Wehrmacht im Ostkrieg: Front und militärisches Hinterland 1941/42 9783486702262, 9783486702255

Wehrmacht in der NS-Diktatur: Über 17 Millionen Soldaten. Kaum eine deutsche Familie, die nicht einen Angehörigen bei de

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Wehrmacht im Ostkrieg: Front und militärisches Hinterland 1941/42
 9783486702262, 9783486702255

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Christian Hartmann Wehrmacht im Ostkrieg

Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 75

R. Oldenbourg Verlag München 2010

Christian Hartmann

Wehrmacht im Ostkrieg Front und militärisches Hinterland

1941/42

2. Auflage

R. Oldenbourg Verlag München 2010

Mit Unterstützung des Bayerischen Forschung und Kunst

Staatsministeriums

für

Wissenschaft,

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht) Satz: Typodata GmbH, München Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach I S B N 978-3-486-70225-5

Inhalt Prolog: Ein kleines Ereignis in einem großen Krieg

1

Einleitung

11

1.

Formationen

29

1.1 Die Division

29

1.2 Divisionstypen

53

Soldaten

81

2.1 Formierung und Sozialstruktur

83

2.

3.

4.

2.2 Heimat

112

2.3 Kader

132

2.4 Auszeichnungen

189

2.5 Verluste

201

2.6 Resümee: Fünf Divisionen als Prototypen des deutschen Ostheers

230

Krieg (1941/42)

243

3.1 Aufmarsch: Vor dem Sturm

246

3.2 Durchbruch: Der Sieg (Juni bis Juli 1941)

250

3.3 Bewegungskrieg: Die Entscheidung (August bis November 1941)

283

3.4 Krise: Die Wende (Dezember 1941 bis Februar 1942)

345

3.5 Stellungskrieg: Das Patt (März bis Juni 1942)

397

Räume

425

4.1 Zur Topographie des „Unternehmens Barbarossa"

425

4.2 Eine Reise im Juli 1942

431

4.3 Front und Hinterland im deutsch-sowjetischen Krieg

457

VI 5.

Inhalt

Verbrechen

469

5.1 Kommissare und Funktionäre

477

5.2 Kriegsgefangene I: Gefechtszone

516

5.3 Kriegsgefangene II: Hinterland

568

5.4 Völkermord

635

5.5 Partisanen

699

5.6 Rückzugsverbrechen

765

Schluss

789

Dank

805

Anhang

807

Divisionsgliederungen

807

Kriegführung, militärische Besatzungspolitik und Holocaust

816

Abkürzungsverzeichnis

849

Quellen- und Literaturverzeichnis

855

Register Personenregister Ortsregister

921 921 925

„Das Jahrhundert geht zu Ende, und mit ihm lösen sich die Landschaften auf, die es in seiner Sturm-und-DrangZeit hervorgebracht hat. [...] So müssen wir mit der Hinterlassenschaft des Jahrhunderts leben. Sie ist unsere Umgebung. Wir können über den Wahn vorangegangener Generationen klagen, aber sie haben nur getan, was sie konnten, mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, mit den Erwartungen und Hoffnungen, die auch ihr Leben erfüllten. Ob wir über sie wirklich hinaus sind, steht dahin. Bekanntlich stellt sich die Menschheit nur Aufgaben, zu deren Bewältigung sie auch das Zeug hat. Alles geschieht wie immer nur in bester Absicht. Uber die Kehrseite des Fortschritts lamentiert man meist ex post. Die das zuwege brachten, taten es nicht leichtfertig, sondern unter großen Opfern. Sie riskierten einen hohen Einsatz, während wir darüber nur eine Ansicht zu haben brauchen. Worauf sie noch mit bestem Gewissen zusteuerten, bereitet uns, den Nachgeborenen, Kopfzerbrechen und Gewissensbisse. Wir gehen über das Gelände nach der Schlacht, in der nicht wir, sondern andere umgekommen sind, ermattet, distanziert und mit dem abgeklärten Blick derer, die mehr wissen als die, die dabei gewesen sind. Aber wenn wir so fair sind, ihnen nicht weniger Intelligenz und nicht weniger Anstand zuzubilligen, als wir uns selbst in der Regel zubilligen, dann hilft nur, der Spur des Sturm und Drangs nachzugehen. Sie wird gewiß in die Zone extremster Verwerfungen und Tumulte führen,

1

Karl Schlögel, Promenade in Jaita und andere Städtebilder, Frankfurt a . M . 2003, S.297Í.

In memoriam Karl Christ (1923-2008)

Prolog Ein kleines Ereignis in einem großen Krieg Zwei

Delinquenten

Für die beiden Soldaten sah es nicht gut aus. Am 10. März 1942 hatte man ihnen eröffnet, der General habe ihr Gnadengesuch abgelehnt. Nun warteten sie, ein Gefreiter und ein Obergefreiter aus einem Nachschubkommando der 4. Panzerdivision, auf ihre Hinrichtung. Eine Hoffnung hatten sie noch: ihre Division, die das Urteil nicht akzeptierte. Kein Geringerer als ihr Erster Generalstabsoffizier, Oberstleutnant i. G. Otto Heidkämper, hatte sich für sie bei seinen Vorgesetzten eingesetzt. Daraus entspann sich ein längerer Schriftwechsel, bei dem mehr verhandelt wurde als nur ein juristischer Fall. Denn das Kriegsgericht hatte die zwei Landser „wegen Mordes an einem Russen" zum Tode verurteilt. Dahinter aber stand wiederum eine politische Grundsatzfrage·. Wie sollte es mit der deutschen Besatzungspolitik in der Sowjetunion auf Dauer weitergehen, zumindest im H o heitsgebiet der 2. deutschen Panzerarmee? Das war kein beliebiger Frontabschnitt, sondern ein Raum, in dem die Wehrmacht Hunderttausende von Soldaten konzentrierte 1 . Die Bedeutung, die man dieser Frage zumaß, veranschaulichen schon die Briefe, die wegen der beiden Verurteilten ausgetauscht wurden. Ein Russe und ein Disput Begonnen hatte diese Korrespondenz am 7. März 1942. Es sei, so Heidkämper, bei der Division „nicht ganz verständlich, daß zwei deutsche Soldaten wegen eines umgelegten Russen ihr Leben lassen sollen" 2 . Könne man die Vollstreckung der Todesurteile nicht erst einmal aufschieben? Beim Oberbefehlshaber der 2. Panzer1

2

D e m Pz. A O K 2 waren im März 1942 neben einer Reihe spezieller Armeetruppen (wie Artillerie-, Pionier- oder Fernmelde-Einheiten) sowie der Kommandantur des Rückwärtigen Armeegebiets die folgenden Kampfverbände unterstellt: X X I V . Armeekorps (mit der 18. Panzer-, der 208., 211. und 339. Infanterie- sowie der 403. Sicherungsdivision), X X X X V I I . Pz. K o r p s (mit der 4. Panzer- und 134. Infanteriedivision), L I I I . Armeekorps (mit der Infanteriedivision „Großdeutschland", der 17. Panzer- sowie der 25., 56., 112., 167. und 296. Infanteriedivision) und X X X V . Armeekorps (mit der 29., 262. und 293. Infanteriedivision). Angaben nach: Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 2, S. 89f. Z u r wechselnden G r ö ß e der K o m m a n d a n t u r des Rückwärtigen Armeegebiets der 2. Panzerarmee (seit dem 4 . 4 . 1 9 4 2 : K o r ü c k 532), damals immerhin ein Areal von einigen zehntausend Quadratkilometern, vgl. Schulte, G e r m a n Army, S. 78 f. IfZ-Archiv, M A 1582: 4. Pz. Div., 1. G e n S t O f f z . , Schreiben an den X X X X V I I . Pz. Korps, C h e f GenSt, vom 7 . 3 . 1 9 4 2 . Es handelt sich hier um ein „privat-dienstliches" Schreiben H e i d k ä m pers, in dem es weiter heißt: „ D a wegen Nichtbefürwortung des Gnadengesuches kaum mit einer Aufhebung der Bestätigung des Todesurteils gerechnet werden kann, bittet O b e r s t Eberbach, daß vor Vollstreckung des Urteiles ihm als Divisionsführer Gelegenheit gegeben wird, in die Akten Einsicht zu nehmen, um eine Entscheidung fällen zu können, ob er seinerseits nochmals ein Gnadengesuch an den Führer einreichen soll oder nicht." Heidkämpers indirekte D r o hung mit einer Vorlage beim „Führer" ist bemerkenswert. B A - M A , I 10 O s t Speziai Κ 395: X X X X V I I . Pz. K., Strafsache Ν . B . , 6./kl. Kw. Kol. 84, Gnadengesuch B.'s vom 1 8 . 2 . 1 9 4 2 .

2

Prolog

armee, Generaloberst Rudolf Schmidt, war er damit aber nicht weit gekommen. Schon drei Tage später stellte dieser nochmals klar, dass die künftige Besatzungspolitik nun durch einen Armeebefehl „eindeutig und abschließend geregelt" sei 3 . Deshalb wolle er auch am Urteil nichts ändern. Zwar habe, so Schmidt, die 4. Panzerdivision „vorher eine Reihe von Divisionsbefehlen erlassen, die [...] auf die Straftat der Angeklagten offensichtlich nicht ohne Einfluß gewesen" seien. Diese Befehle habe die Division ja mittlerweile auch aufgehoben. „Trotzdem habe ich das Urteil, das durchaus der Sach- und Rechtslage entspricht, bestätigt und auch die Gnadengesuche beim 0[ber]b[efehlshaber] d[es] H[eeres] 4 , dem sie bestimmungsgemäß vorzulegen waren, nicht befürwortet, da die Rohheit der aus der Tat sprechenden Gesinnung und die Notwendigkeit der Abschreckung die schärfste Strafe erfordern, um einer hier und da bereits eingetretenen Verwilderung der Truppe deutlich Einhalt zu gebieten." Schon deshalb wolle er das Urteil auf deutscher wie auf russischer Seite bekannt geben lassen. Das war deutlich, und Heidkämper blieb nichts anderes übrig, als seinen Standpunkt in einem langen Brief nochmals zu rechtfertigen 5 . Nicht ungeschickt verwies er auf den berüchtigten Befehl des Generalfeldmarschalls Walter von Reichenau vom Oktober 1941 - auf ein Schriftstück, das schon damals zum „Synonym für die Komplizenschaft der Wehrmacht im Vernichtungskrieg" 6 geworden war. Dieser Grundsatzbefehl über das „Verhalten der Truppe im Ostraum" sei damals von der 4. Panzerdivision 7 - so Heidkämper weiter - „sehr begrüßt, sofort mit den Ic-Off[i]z[ieren] eingehend besprochen und bis zu den Kompanien verteilt" worden. Die Division habe „sich mit allen Mitteln bemüht, die Gedanken dieses Befehls zum Gemeingut der Truppe zu machen. Aus diesem Befehl sind die Gedanken genommen, die in den .Parolen des Tages' ihren Ausdruck fanden. Immer wieder sollte durch diese Parolen der tiefste Sinn unseres gegenwärtigen Kampfes allen Soldaten eingeimpft werden. Die Division hielt dies auch deshalb für erforderlich, weil den Leuten die Notwendigkeit der oft harten, ja roh erscheinenden eigenen Maßnahmen verständlich gemacht werden mußte. Wenn die Angehörigen der Division während des Rückzuges im Dezember viele Hunderte von russischen] Gefangenen an der Straße elend verrecken sahen oder wenn sie auf höheren Befehl zahlreiche Dörfer zwischen den Fronten oder im Partisanengebiet niederbrennen und dabei die den Brand zu verhindern suchende Bevölkerung umlegen, die übrige Bevölkerung bei 40 Grad Kälte in die Wälder, also in den sicheren Tod treiben 3 4

5

6

7

IfZ-Archiv, M A 1582: Pz. A O Κ 2, O B , Befehl an das X X X X V I I . Pz. K o r p s vom 10.3.1942. Oberbefehlshaber des Heeres war seit dem 19.12.1941 Hitler. Vgl. hierzu Hartmann, Halder, S. 301 ff. IfZ-Archiv, M A 1582: 4. Pz. Div., A b t . I a , Schreiben an das X X X X V I I . Pz. K o r p s vom 20.3.1942. So Richter, Handlungsspielräume am Beispiel der 6. Armee, S.61. Vgl. hierzu Hürter, Heerführer, S.424, 575ff., 581 ff. Druck von Reichenaus Befehl zum „Verhalten der Truppe im Ostraum" vom 10.10.1941 in: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 339f. Nachdem Hitler den Befehl Reichenaus „als ausgezeichnet" bezeichnet hatte und bei den Oberbefehlshabern des Ostheers um „entsprechende Anordnungen" gebeten hatte, machte sich G u derian als Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee am 6.11.1941 Reichenaus Befehl vom 10.10.1941 „zu eigen". Das X X I V . Pz. K o r p s leitete diesen Befehl dann fünf Tage später an die Divisionen in seinem Befehlsbereich weiter. B A - M A , R H 24-24/95: Pz. A O K 2, A b t . I a, Befehl vom 6.11.1941 ; X X I V . Pz. Korps, Abt. I a, Befehl vom 11.11.1941. Ferner Müller (Hrsg.), O k kupation, S. 113.

Prolog

3

mußten, so w a r es notwendig, den Soldaten klar zu machen, w a r u m dies alles sein mußte. Hätte man es nicht getan, so wären die Leute innerlich zerbrochen. Dies allein w a r der Hauptgrund, die Angehörigen der Div[ision] immer v o n neuem gegen das bolschewistische System aufzuhetzen, ihnen - wie der Befehl der 6. A r m e e sagt - volles Verständnis f ü r die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum beizubringen." Wenn Heidkämper schließlich um eine Entscheidung bat, „ob der Befehl des A . O . K . 6 aufgehoben ist" und „welche der beigefügten .Parolen des Tages' von der Division aufzuheben" seien, so w a r das freilich nicht mehr als ein Nachhutgefecht, denn Schmidt hatte keinen Zweifel daran gelassen, was er v o n seinen Soldaten künftig forderte: etwas ganz anderes als das, was bislang bei der 4. Panzerdivision üblich gewesen war 8 . W i e sehr diese während der zurückliegenden Monate moralisch verkommen war, illustriert schon eine A u s w a h l jener „Parolen des Tages", die Heidkämper seinem Schreiben beigelegt hatte: „ 21. ll.[19]41: Träger und Drahtzieher der bolschewistischen Idee ist der J u d e . Deutscher Soldat denke immer daran, wo noch Juden leben, gibt es hinter der Front keine Sicherheit. Jüdische Zivilisten und Partisanen gehören nicht in die Gefangenenlager, sie sind zu erschießen. 25. ll.[19]41/4.2.[19]42: Furcht vor deutschen Maßnahmen muß der Bevölkerung mehr in den Knochen sitzen als der Terror umherirrender bolschewistischer Restteile und Partisanen. Gegenüber dem bolschewistischen Untermenschentum gibt es keine Gnade, auch nicht für Weiber und Kinder. Partisanen und Mitwisser an den nächsten Baum! [...] 6. l.[19]42: Der deutsche Soldat steht als Kämpfer in Rußland! Zum A r b e i t e n sind genügend Russen vorhanden! [...] 15. l.[19]42: Es gibt keine harmlosen Zivilisten im Sowjetstaat. Zwanzig Jahre Bolschewismus haben die Bevölkerung zu gehorsamsten Sklaven der jüdischen Verbrecher gemacht. Nur drakonische Maßnahmen können Dich vor der Heimtücke hinter der Front schützen. An den höchsten Baum mit Partisanen und Juden! [··•] 24.1 .[19J42: Mitleid mit der Zivilbevölkerung ist am falschen Platz! Sei hart gegen jeden verdächtigen Zivilisten. Erschieße ihn, bevor er Deine Kameraden morden kann! [...] 19.3.[19]42: Jeglicher Zivilverkehr außerhalb geschlossener Ortschaften ist verboten. Darum: Herumlaufende Zivilisten - falls möglich nach Vernehmungen - e r s c h i e ß e n . " Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich auszumalen, welche Folgen diese w ö chentlichen Freibriefe zur Gewalt hatten. Das Prinzip des rassenideologischen Vernichtungskriegs, wie es der radikalste und auch brutalste Oberbefehlshaber des deutschen Ostheers in seinem Befehlsbereich schon längst praktizierte, sollte nun

8

IfZ-Archiv, MA 1582:4. Pz. Div., Abt. I a, Schreiben an das XXXXVII. Pz. Korps vom 20.3.1942, Anlage. Diese Anlage besteht aus insgesamt 23 „Parolen", von denen zwei zweimal ausgegeben wurden. Sie beginnen am 21.11.1941 und enden am 14.3.1942, wobei die letzte lediglich dazu aufforderte, liegen gebliebenes Kriegsgerät zu „vernichten oder mit[zu]nehmen".

4

Prolog

zum Maßstab für die Besatzungspolitik der gesamten Wehrmacht in der Sowjetunion werden. Im Prinzip war dies nicht neu, Hass-Befehle hatte es schon vorher gegeben. Dass ausgerechnet dieser eine so große Wirkung entfaltete, besaß auch militärische Gründe. Denn die 4. Panzerdivision befand sich im Spätherbst 1941, wie viele Verbände, in einer tiefen Krise 9 . Obwohl sich ihre Offensivkraft definitiv erschöpft hatte, wurde sie weiter in einen Angriff getrieben, an dessen Ende nicht der Einmarsch in Moskau stand, sondern eine sowjetische Gegenoffensive, der die zerschlissenen Divisionen der Wehrmacht nicht mehr viel entgegenzusetzen hatten. Was folgte, war ein Kampf, bei dem es um die Existenz des gesamten Ostheers ging. Kein deutscher Soldat konnte sich ihm entziehen. Während die Front immer wieder zu zerbrechen drohte, erfasste auch der Partisanenkrieg große Teile ihres Hinterlands. Jene widerwärtigen Parolen, in der Geschichte dieser Formation bislang ohne Beispiel 10 , trugen freilich kaum zu Verbesserung ihrer militärische Lage bei - im Gegenteil: Bei einer solch drakonischen Besatzungspolitik war abzusehen, dass sich selbst die Etappe in einen riesigen Kriegsschauplatz verwandeln würde. Ganz offensichtlich ging es nicht nur um militärische Ziele; diese Ideologisierung der Kriegführung besaß immer auch die Funktion eines psychologischen Ventils. Es bot den Landsern in der Krise dieses Winters eine Möglichkeit, ihre Anspannung, ihre chronische Unterversorgung und ihre Todesangst zu kompensieren 11 . Als Opfer dienten die Schwächsten - Gefangene, Zivilisten, Frauen und Kinder. So etwas hatte System: „Der Terror im Zweiten Weltkrieg ist zumeist aus Zuständen der Labilität erwachsen, besessen von tödlichem Zeitverlust, von dem Hinterhalt im Rücken, dem Kollaps der Heimat, dem Verrat der Kollaboranten, der Fragilität von Landungstruppen, Nachschublinien usw." 12 Das wollte Schmidt nun abstellen. Die Verurteilung der beiden Soldaten war ein klares Signal1·5. Zugegeben, hier handelte es sich um zwei „kleine Fische". Aber sieht man einmal davon ab, dass auch diese beiden Soldaten schuldig geworden 9

10

11

12 13

A m 1 0 . 1 1 . 1 9 4 1 musste sich die 4. Panzerdivision erstmals auf breiter Front zur A b w e h r einstellen. Vgl. B A - M A , R H 27-4/12: 4. Pz. Div., A b t . I a, „Divisions-Befehl für die Gliederung zur A b w e h r " v o m 1 0 . 1 1 . 1 9 4 1 . Bereits in einer zeitgenössischen Selbstdarstellung der 4. Panzerdivision wurde offen eingeräumt, ihre Angehörigen seien im Spätherbst 1941 „rau und hart geworden". Vgl. O. Verf., Sturm im Osten, S.270. Bei dieser Panzerdivision, deren Identität in diesem Buch ungenannt bleibt, handelt es sich eindeutig (wie schon der Name des Verfassers, die Ortsangaben oder die Fotos belegen) um die 4. Pz. Div. Zu Ursachen und Verlauf solcher Transformationsprozesse vgl. etwa Shay, Achill in Vietnam, S.33ff. Friedrich, Gesetz des Krieges, S.654. Welche Wirkung von diesem Urteil ausging, ist schon an dem Papierkrieg zu erkennen, den es nach sich zog. Sogar der Kommandierende General des X X X X V I I . Pz. K., Gen. Joachim Lemelsen, setzte sich mit einer Eingabe v o m 1 8 . 2 . 1 9 4 2 für die beiden Delinquenten ein, wobei er selbst „zur Abschreckung" eine Zuchthausstrafe empfahl. A m 4 . 3 . 1 9 4 3 beharrte Schmidt aber nochmals schriftlich auf seiner Ablehnung, „weil die Tat eine überaus rohe Gesinnung der Verurteilten verrät und der Verwilderung der Truppe durch Abschreckung deutlich Einhalt geboten werden muß". Erst nach einer Intervention durch den G F M Wilhelm Keitel, der diese Sache (unter Bezug auf Hitlers Verfügung v o m 6 . 1 . 1 9 4 2 ) vermutlich diesem persönlich vorgelegt hatte, wurde das Todesurteil am 4 . 4 . 1 9 4 2 auf dem Gnadenwege in „eine Zuchthausstrafe von 12 Jahren umgewandelt"; die beiden Verurteilten N. B. (* 1910) und F. B. (* 1919) waren bereits vorher in die Wehrmachtsstrafanstalt Frankfurt/Oder überstellt worden. Fasst man alles zusammen, so stand am Ende noch immer eine bemerkenswert harte Strafe; die Strafeinheiten der

Prolog

5

waren - wie ließ sich eine Division, die außer Rand und Band geraten war, wieder in den Griff bekommen? Eben durch ein Exempel. Und, durch einen Neuanfang. Schmidts Grundsatz-Befehl vom 3. März 1 4 war kein allgemein gehaltener Appell an die „Disziplin und geistige Haltung" seiner Soldaten. Vielmehr konkretisierte der Generaloberst auf drei großen Feldern 15 , wie er sich künftig die Besatzungspolitik seiner Armee vorstellte: (1) Alle Kriegsgefangenen seien „dem Völkerrecht entsprechend zu behandeln. Ungerechtfertigte Erschießungen von Gefangenen" seien verboten, gegen Tatverdächtige werde man kriegsgerichtlich ermitteln. Auch wäre dafür Sorge zu tragen, dass die Gefangenen genügend zu essen bekämen. „Verwundete sind, soweit es die Lage erlaubt, zu versorgen." 1 6 (2) In geregelte Bahnen versuchte Schmidt auch den Kampf gegen die Partisanen zu lenken; zwar seien, so Schmidt, gefangen genommene Partisanen weiterhin zu erschießen, da sie durch das Völkerrecht nicht gedeckt seien. Doch könne das nur der dienstälteste Offizier befehlen. Falls der Gefangene nachweisen könne, „daß er zum Dienst bei den Partisanen gepresst wurde und keine Gelegenheit zum Überlaufen hatte, kann von der Erschiessung abgesehen werden". Im Grunde wurde damit jedem Offizier anheimgestellt, wie er mit den Partisanen verfahren wollte. Uberläufer seien „als Kriegsgefangene zu behandeln oder in ihren Heimatort zu entlassen". Und weiter: „Abbrennen von Dörfern" oder „summarische Vergel tungsmassnahmen" seien verboten; nur ein höherer Offizier könne dies befehlen. (3) Auch zu den Zivilisten, der größten Personengruppe in Schmidts Kommandobereich, wollte dieser „ein gutes Verhältnis" herstellen: „Es muss jedem Soldaten klar sein, daß ein durch falsche Behandlung in die Arme der Partisanen getriebener Einwohner ihm morgen mit der Waffe in der Hand gegenüberstehen kann." Plünderungen seien von nun an „mit schärfsten Mitteln zu bekämpfen", ebenso jede Art von sexuellen Ubergriffen. „Besonders ist auch zu bedenken, daß bei der ungeheuren Armut der Bevölkerung bereits kleine Dinge des täglichen Gebrauchs,

14

15

16

Wehrmacht waren zu Recht gefürchtet. Noch am 2 9 . 7 . 1 9 4 3 lehnte das Gericht der WehrmachtKommandantur Berlin eine Wiederaufnahme des Verfahrens ab. Zum Strafsystem der Wehrmacht vgl. Ausländer, Topographie des Strafgefangenenwesens; Klausch, Sonder- und Bewährungseinheiten; Geldmacher, Strafvollzug. Hitlers Verfügung betr. „Aufhebung rechtskräftiger Urteile von Wehrmachtsgerichten" vom 6 . 1 . 1 9 4 2 , in: Moll (Hrsg.), Führer-Erlasse", Dok. 130. Angaben zu diesem Prozess: B A - M A , I 10 Ost Speziai Κ 395: X X X X V I I . Pz. K., Strafsache N. B., 6./kl. Kw. Kol. 84. Ferner Schreiben V/24-677/286 der Deutschen Dienststelle (ehem. W A S t ) Berlin v o m 1 8 . 1 0 . 2 0 0 5 an d. Verf. Mein Dank gilt dem B A - M A und der W A S t f ü r ihre rasche Unterstützung bei dieser Anfrage. B A - M A , R H 21-2/867 a: Pz. A O K 2, A b t . I c / A . O . , „Armeebefehl für die Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen, Feindkundschaftern und der Bevölkerung" v o m 3 . 3 . 1 9 4 2 . D o r t auch die folgenden Zitate. Dass Schmidt diese Überlegungen weiterspann, belegt Hürter, Heerführer, S . 4 5 9 f . Schmidts Befehl besteht eigentlich aus vier Teilen. A u s Gründen der Übersichtlichkeit wurde hier aber Punkt 3 „Behandlung von Feindkundschaftern" unter Punkt 2 „Behandlung von Partisanen" subsumiert. Schon am 9 . 1 2 . 1 9 4 1 hatte der Vertreter des Auswärtigen A m t s beim A O K 2, der Oberleutnant A n t o n Graf Bossi-Fedrigotti von Ochsenfeld, einen sehr kritischen Bericht über das „Kriegsgefangenenelend" verfasst, der „mit der ausdrücklichen Genehmigung des Oberbefehlshabers der Armee, General der Panzertruppen Schmidt abgesandt worden" war. P A - A A , R 60705: A O K 2, A b t . I c/VAA, Bericht Nr.31 v o m 9 . 1 2 . 1 9 4 1 ; A A , Informations-Abt., Vorlage an StS vom 1 9 . 1 2 . 1 9 4 1 . Druck des Berichts: A D AP, Serie E, Bd.I, Dok. 122.

6

Prolog

die für uns wertlos erscheinen, einen großen Besitz darstellen. [...] Jeder Familie ist nach Möglichkeit das z u m Leben N o t w e n d i g e (eine K u h ! ) zu belassen." Dieser Befehl sei „bis zu den Kompanien zu verteilen" und dort „allen Angehörigen der A r m e e bekanntzugeben". D a s waren keine vagen Absichtserklärungen 1 7 . D a s G e richtsurteil des X X X X V I I . Panzerkorps, das Schmidt noch einmal definitiv bestätigt hatte, ließ daran keinen Zweifel. Ihm war es ernst mit diesen Forderungen, todernst.

Zweierlei

Moral

Der Generaloberst hatte sich durchgesetzt, dieses mal 1 8 . Die Intention seiner A n ordnung wurde von der Truppe auch durchaus verstanden 1 9 . Wenig später registrierte die Geheime Feldpolizei seines A r m e e k o m m a n d o s , dass „das Auftreten der Wehrmacht in der Öffentlichkeit einwandfrei" sei, „fast garnisonsmäßig"· 2 0 . D o c h verraten Heidkämpers Ausführungen, vor allem aber der A u s z u g jener Tagesbefehle, mit denen die Divisionsführung ihre Soldaten „aufzuhetzen" versucht hatte, so Heidkämper wörtlich, dass dies im Krieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion nicht selbstverständlich war. D a s galt auch für Schmidts Befehlsbereich, w o der Partisanenkrieg nicht mehr zur R u h e kam und w o es dann vorkam, dass sich die deutschen Soldaten gar nicht „garnisonsmäßig" aufführten 2 1 . Solche Widersprüche waren A u s d r u c k eines generellen Problems: D i e deutsche Besatzungsmacht verfügte in den eroberten sowjetischen Gebieten über relativ große Spielräume. Einer Panzerdivision wie der vierten war es möglich, in ihrem vergleichsweise kleinen Besatzungsgebiet ein Schreckensregiment zu errichten, doch konnte ein Oberbefehlshaber wie Schmidt dies auch relativ schnell wieder beenden. Für die Verhältnisse der Jahre 1933 bis 1945 war so etwas durchaus typisch. Erinnert sei an jene Dichotomie von Normenstaat und Maßnahmenstaat, in der bereits Ernst Fraenkel eines der wesentlichen Strukturmerkmale der N S - D i k tatur sah 2 2 , oder an die Beobachtung von Bernd Wegner, der mit Blick auf die

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21 22

Wenig später bekräftigte die 2. Panzerarmee nochmals diese Absichten. IfZ-Archiv, M A 1593: Pz. A O K 2, O . Q u . / Q u . 2, Befehl betr. „Beitreibungen und Versorgung der Truppe aus dem L a n d e " vom 2.4.1942; B A - M A , R H 21-2/867 a: Pz. A O K 2, O . Q u . / Q u . 2/1 c/A. O., „Richtlinien für die Behandlung der einheimischen Bevölkerung im O s t e n " vom 30.5.1942. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1591: X X X X V I I . Pz. Korps, A b t . I c, Befehl an 4. Pz. Div. betr. „Parolen des Tages" vom 22.3.1942: „Die .Parolen des Tages' der Div. sind aufzuheben, soweit sie dem Armeebefehl vom 3.3.42 für die Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen, Feindkundschafter und der Bevölkerung widersprechen." B A - M A , MSg 2/5320: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 14.3.1942; B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 29.3.1942. Reinert gehörte damals zur 296. Inf. Div., die dieser Armee ebenfalls unterstellt war. B A - M A , R H 21-2/639: G r u p p e Geheime Feldpolizei 639 beim Pz. A O K 2, „Tätigkeitsbericht für Monat April 1942" vom 25.4.1942. Dass es sich hierbei nicht um ein Strohfeuer handelte, veranschaulicht ein Ereignis aus dem März 1943. Der damalige Kommandeur der 4. Pz. Div., Gen.ltn. Erich Schneider, war während der Kämpfe im Winter 1942/43 auch mit ungarischen Truppen in Berührung gekommen. Er war „von deren Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung derart entsetzt, daß er [am 28.3.1943] eine streng geheime Eingabe an die 2. Panzerarmee sandte", in der er „eine sofortige Abschaffung der Mißstände" forderte. Vgl. Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte, S. 163. Vgl. Kap. 5.5. Fraenkel, The Dual State, N e w York 1941 (Dt. Übers.: Der Doppelstaat, Frankfurt a.M. 1974).

Prolog

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deutsche Besatzungspolitik in der Sowjetunion von „einem oft unkoordinierten, nicht selten bizarren Nebeneinander von maßlos brutalem und vergleichsweise rücksichtsvollem Herrschaftshandeln" spricht 2 3 . Wie weit aber lassen sich diese sehr allgemein gehaltenen Feststellungen im H i n b l i c k auf die Wehrmacht präzisieren und vor allem generalisieren?

Zwei

Protagonisten

Schon an den Exponenten dieses Disputs: Schmidt und Heidkämper, wird deutlich, wie facettenreich das T h e m a Wehrmacht ist. Beide waren deutsche Offiziere, beide trugen denselben R o c k . D e n n o c h findet sich in ihren Biografien, ihrer Laufbahn und schließlich in dem, was man als „politisch-militärische Vorstellungswelt" bezeichnet hat 2 4 , nicht nur Uniformes: R u d o l f Schmidt 2 5 , geboren im Mai 1886 als Sohn eines Berliner Oberstudiendirektors, verkörperte in gewisser Weise noch die Alte Armee und jene Welt, die mit dem Ersten Weltkrieg eigentlich zu E n d e gegangen war - die Welt des wilhelminischen Deutschland mit ihren scheinbar unverrückbaren Traditionen und Moralvorstellungen. Seit 1906 hatte er seinen Dienst für die A r m e e und - wie er es verstand - für sein Vaterland nicht ein einziges Mal unterbrochen. Dabei war er schnell reüssiert; „Panzer-Schmidt", dem man in der Schlacht eine „beispielhafte R u h e " attestierte und auch eine „mitreißende T a t k r a f t " 2 6 , hatte bereits im Juli 1941 das Eichenlaub zum Ritterkreuz erhalten 2 7 , am 15. N o v e m b e r 1941 übernahm er den O b e r b e f e h l über die 2. deutsche A r m e e 2 8 . Dass Schmidt schon wenig später, am 25. D e z e m b e r 1941, noch eine weitere A r m e e anvertraut wurde, die 2. Panzerarmee, anfangs zusätzlich, dann ausschließlich 2 9 , war im Grunde eine weitere B e förderung, denn kein G r o ß verband der Wehrmacht war so stark und wertvoll wie ihre Panzerarmeen 3 0 . N o c h ungewöhnlicher als diese Karriere aber war, dass die-

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Wegner, Krieg gegen die Sowjetunion S.925. So etwa Müller, Beck. Die Personalakte Schmidts hat sich nicht erhalten; Einen gewissen Ersatz bieten die Angaben von: B A - M A , MSg 109: Slg. Krug, Biographische Angaben zu Rudolf Schmidt (1886-1957); Heuer, Die Generalobersten des Heeres, S. i 80-184: Rudolf Schmidt; Stahl, Generaloberst R u dolf Schmidt; Hürter, Heerführer, S.660f. Heuer, Generalobersten, S. 182. Schmidt war der 19. Soldat der Wehrmacht, der diese Auszeichnung erhalten hatte. Lenfeld/ Thomas, Eichenlaubträger 1940-1945, S.38. Schmidt hatte bis zum 1 5 . 1 . 1 9 4 2 den Oberbefehl über beide Armeen innegehabt, danach nur noch über die 2. Panzerarmee. IfZ-Archiv, M A 1699: A O K 2, Abt. II a, „Armee-Tagesbefehl Nr. 153" v o m 1 5 . 1 . 1 9 4 2 . Anlass dafür war Hitlers Misstrauen gegenüber dem bisherigen Oberbefehlshaber, Generaloberst Heinz Guderian, der am 2 6 . 1 2 . 1 9 4 1 abberufen und am 1 1 . 1 . 1 9 4 2 in die „Führerreserve" versetzt wurde. Vgl. Macksey, Guderian, S.243ff.; Walde, Guderian, S. 157f. Das hatte zur Folge, dass Schmidt am 1 . 1 . 1 9 4 2 zum Generaloberst befördert wurde. Natürlich war die Bezeichnung „Panzerarmee" zu diesem Zeitpunkt eher ein Anspruch. Vor dem Hintergrund des Potenzials, über das die Wehrmachtsführung damals aber noch immer verfügte, wäre es freilich falsch, die Bedeutung dieser Kommandobehörde zu unterschätzen. Im Winter 1941/42 meldete sie einen „Tiefststand von 3 0 " Panzern, im Frühjahr 1942 war diese Zahl dann auf „über 70 einsatzbereite Panzer" geklettert. B A - M A , R H 2 1 - 2 / 3 3 3 : Pz. A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Anlage: „Besprechung am 8 . 4 . 1 9 4 2 bei Heeresgruppe Mitte durch O . B . H.Gr, in Anwesenheit des Chefs der O p . Abt. und des Gen.Qu. mit den O . B . der Armeen", o . D . Ferner Jentz, Panzertruppe, 2 Bde.

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ser Offizier alter Schule dennoch nicht zu moralischen Konzessionen bereit war. Einem Besucher Schmidts schien es, als sei für diesen General „die gemeinsame Abscheu vor dem [NS-]Regime und die Kritik an ihm ein selbstverständlicher Gesprächsstoff" 3 1 . Doch blieb es nicht nur bei Lippenbekenntnissen. Bereits im September 1941 hatte Schmidt als Kommandierender General des X X X I X . Armeekorps entschieden gegen den Mordbefehl protestiert, der die Erschießung aller sowjetischen Kommissare forderte. Stattdessen hatte es Schmidt für „viel wichtiger [gehalten], dem russischen Volk eine positive Zukunft zu zeigen" 3 2 . Von dieser Eingabe lässt sich eine direkte Linie zu einigen weiteren Quellen ziehen - zu jenem bereits zitierten Befehl vom 3.März 1942, mit dem Schmidt die Wehrlosen in seinem Befehlsbereich: Kriegsgefangene, Zivilisten oder Uberläufer, schützen wollte, zu einem Bericht vom Juni 1942, demzufolge Schmidt „die Russen in stärkster Form für uns zu gewinnen" suchte 33 , zu seinem Experiment des Lokoter Rayons, der sich ohne deutsche Funktionäre als „Selbstverwaltungsbezirk" organisieren konnte 3 4 , und schließlich zu einem Tagebucheintrag von Joseph Goebbels. Dieser diktierte am 10.Mai 1943, Schmidt sei „wegen Landesverrats verhaftet" worden, weil man bei seinem Bruder „eine ganze Serie von Briefen des Generalobersten selbst gefunden" habe, „die sehr scharf gegen den Führer gerichtet waren" 3 5 . Es gehört zu den Widersprüchen der Geschichte, dass ausgerechnet ein Mann wie Schmidt, den die Wehrmacht im September 1943 entließ 36 , zu Weihnachten 1947 von sowjetischen Behörden in Ellerich im Harz verhaftet und als „Kriegsverbrecher" zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde 3 7 . Als man ihn im Januar 1956 entließ, war er ein gebrochener, todkranker Mann, der bereits ein gutes Jahr später, im April 1957, starb. Ein General wie Schmidt, der viel von sich und seinen Soldaten forderte, wusste, was er an einem Eliteverband wie der 4. Panzerdivision hatte 3 8 . Dass er sich mit 31

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So Frido von Senger und Etterlin (Krieg in Europa, S.71) nach einem Besuch im Sommer 1942 bei dem ihm bis dahin unbekannten Schmidt. Bei seiner Abmeldung habe Schmidt ihn gebeten, „alles zu vergessen, was er in diesen zwei Stunden gesagt habe". Druck: Jacobsen, Kommissarbefehl, Dok.21. Am 29.8.1941 hatte Schmidt bereits „das Versprechen auf gute Behandlung" für die Kommissare gefordert, aber noch konzediert: „Von hier aus ist jedoch die politische Seite der Frage nicht zu beurteilen, die vielleicht doch die Erschießung der Kommissare erforderlich macht." Mit seiner Denkschrift vom 17.9.1941, die direkt an Hitler weitergeleitet werden sollte, hatte sich Schmidt zu einem klaren Votum gegen den Kommissarbefehl entschieden. Vgl. hierzu nun Römer, Kommissarbefehl, S.530f. So die Wirtschaftsinspektion Mitte in einem Bericht vom 26.6.1942, zit. bei: Hürter, Heerführer, S. 460. Vgl. Schulte, German Army, S. 172ff. sowie Kap. 5.5. Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 8, S. 266 (Eintrag vom 10.5.1943). Anlass der Verhaftung war ein Verdacht gegen Schmidts Bruder, von dem man glaubte, er sei in eine Spionageaffäre verwickelt. Dabei wurden, so der Bericht des Chefs des Heerespersonalamts, bei Schmidt Briefe zu Tage gefördert, „die politisch für ihn so belastend sind, daß ein Verbleiben in seiner Stellung unmöglich ist. Unter anderem übte er Kritik an der Obersten Führung und wirft ihr Fehler vor, die zu den schweren Rückschlägen der letzten Zeit geführt haben sollen." Bradley/Schulze-Kossens (Hrsg.), Tätigkeitsbericht des Chefs des Heerespersonalamtes, S. 80f. Dass Schmidt über Heinrich Himmler versuchte, wieder reaktiviert zu werden (Hürter, Heerführer, S. 602 f., Anm. 8), ist ein Beleg für eine patriotische, nicht unbedingt aber eine nationalsozialistische Gesinnung. Vgl. die Angaben bei Bezborodova, Generäle des Dritten Reiches in sowjetischer Hand, S. 197. Das gute Verhältnis Schmidts zur 4. Panzerdivision belegt: IfZ-Archiv, E D 91/9: Schreiben G L Willibald Frhr. von Langermann und Erlencamp an Leo Geyr Frhr. von Schweppenburg vom

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ihrem Ersten Generalstabsoffizier anlegte, war nicht gerade üblich, und erst vor dem Hintergrund von Heidkämpers Biografie offenbart sich, wie unterschiedlich schon allein diese beiden Offiziere waren. O t t o Heidkämper, im März 1901 als Sohn eines Pfarrers aus Bückeburg geboren 3 9 , stieß - noch keine 18 - in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs zur Armee. Es war daher weniger der Einsatz an der Front, der ihn prägte, sondern die darauf folgende „Verwendung im Grenzschutz" 4 0 . Dahinter stand meist die Erfahrung eines extrem politisierten und grausamen Bürgerkriegs, wie ihn damals auch viele spätere Parteigänger der NS-Ideologie erlebten. Heidkämpers politische Formierungsphase war damit aber noch nicht abgeschlossen. Auch er gehörte zu einer Generation, die die Weimarer Republik ganz anders erlebte als den Nationalsozialismus 4 1 , schon weil sich auch in seinem Fall die Erfahrung des kollektiven mit der des persönlichen Erfolgs verband: Nach langen Jahren in der Reichswehr war Heidkämper erst in der Wehrmacht der berufliche Durchbruch geglückt, als er sich für den Generalstabsdienst qualifizierte. Dass dieser „außergewöhnlich tüchtige Generalstabsoffizier, der sich immer und immer wieder bewährt hat" 4 2 , seine militärische Laufbahn schließlich als Generalleutnant beendete, war selbst in der Wehrmacht nicht gerade häufig 4 3 . Viel häufiger war dagegen etwas anderes: Dass sich Intelligenz und Können, Tapferkeit und Idealismus 4 4 mit viel Schlechtem in ein und derselben Biografie vereinigten - mit pervertierter politischer Energie, mit moralischer Korrumpierbarkeit und einer Inhumanität, die im „Notfall" auch über Leichen ging. Man kann daher einen Offizier wie Heidkämper als Typus begreifen, als fast schon paradigmatische Verkörperung des „Weltanschauungskriegers". Gefördert und ermutigt von den politischen Verhältnissen nahmen Leute wie er die Armee, die doch viel älter war als der Nationalsozialismus und sich ursprünglich anderen Traditionen verpflichtet gefühlt hatte, nun immer stärker in ihren Griff.

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1 4 . 2 . 1 9 4 2 . Langermann war vom 8 . 9 . 1 9 4 0 bis 7 . 1 . 1 9 4 2 K o m m a n d e u r der 4. Panzerdivision und hatte danach als Nachfolger G e y r s das K o m m a n d o über das X X I V . Panzerkorps ü b e r n o m men. Angaben zur Person Heidkämpers ( 1 9 0 1 - 1 9 6 9 ) : B A - M A , Pers. 6 / 6 1 3 : Personalakte O t t o H e i d kämper; B A , Außenstelle Ludwigsburg, II 2 0 2 A R 5 0 9 / 7 0 : Verfahren gegen die Kampfgruppe von Gottberg; Ferner: Zweng (Hrsg.), Dienstlaufbahnen, Bd. 1, S . 2 6 5 ; B A - M A , Ν 592: N a c h lass Generalleutnant a. D . O t t o Heidkämper. Angaben nach: B A - M A , Pers. 6/613: Personalakte O t t o Heidkämper, Personal-Nachweis, B1.2. D o r t auch die folgenden Angaben. Vgl. hierzu B A - M A , Pers. 6 / 6 1 3 : Heerespersonalamt, Stellv. C h e f , A k t e n n o t i z vom 3 0 . 8 . 1 9 4 4 : „SS-Obergruppenführer und General der Polizei von G o t t b e r g , Kommandierender General des X I I I . S S - K o r p s , teilt mir mündlich vertraulich mit: Gen.maj. Heidkämper, C h e f Generalstab 3. Pz. Armee, ist ein besonders tüchtiger und vorzüglicher Generalstabsoffizier, der von mir politisch als absolut zuverlässig und treu beurteilt wird." B A - M A , Pers. 6/613: X X I V . Pz. Korps, D e r Kommandierende General, Beurteilung O b e r s t leutnant Heidkämper v o m 2 . 3 . 1 9 4 2 . Vgl. hierzu Lieb, Hirschfeld, S . 5 6 , A n m . 17. Heidkämper wurde am 8 . 2 . 1 9 4 3 das Ritterkreuz verliehen, nachdem er sich an der Spitze einer bereits eingeschlossenen Gruppe von ca. 9 0 0 0 deutschen und 11 000 italienischen Soldaten wieder zu den deutschen Linien zurückgekämpft hatte. B A - M A , Pers. 6 / 6 1 3 : H G r . B , O B , Fernschreiben an das Heerespersonalamt vom 3 1 . 1 . 1 9 4 3 . Ferner, ebda., Pz. A O K 3, O B , Beurteilung Generalmajor Heidkämper vom 1 . 3 . 1 9 4 4 , in der es u.a. heißt: „Außergewöhnlich wertvolle Persönlichkeit, die selbst vorbildlich denkt und lebt, gleich hohe Anforderungen auch an seine Kameraden stellt."

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Waren es die Heidkämpers, die mittlerweile das Verhalten der Wehrmacht prägten? Sie repräsentierten den jüngeren, leistungsfähigeren und auch den mit Abstand größeren Teil des deutschen Offizierskorps. Daneben aber gab es Leute wie Schmidt, die in diesem Fall sogar am längeren Hebel saßen. Auch sonst scheint jene Episode vom März 1942 mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten. Die Dokumente zeichnen einerseits das Bild einer zutiefst verbrecherischen Wehrmacht; sie dokumentieren jedoch andererseits den Sieg des alten traditionellen Rechtsverständnisses. Und noch etwas wird an diesem Exempel deutlich: Das Prinzip des Verbrecherischen, wie es Reichenaus Hass-Befehl einforderte, war anfangs nicht Allgemeingut dieser Panzerdivision. Schon die Reaktion ihres damaligen Kommandeurs, des Generalmajors Willibald Freiherr von Langermann und Erlencamp, der den Eingang des Reichenau-Befehls mit der Bemerkung quittiert hatte, der deutsche Soldat müsse „noch wesentlich härter werden im Kampf gegen die bolschewistisch-jüdische Gefahr" 45 , ist dafür ein Beleg. Noch aufschlussreicher ist das Tagebuch eines ihrer Offiziere, der einige Tage später, am 17. November 1941, notierte 46 : „Auf der Rückfahrt ins Quartier erzählt mir [Hauptmann] Franke einiges aus dem Inhalt der [Kommandeurs-JBesprechung. Der Kernpunkt ist rücksichtsloses Vorgehen und Einschreiten gegenüber den Russen. Was da in mehrstündiger Verhandlung festgelegt wurde, ist an sich nicht urdeutsch, aber vielleicht ein Gebot der Stunde, jedenfalls eine ganz scharfe und deutliche Festlegung." „Nicht urdeutsch" - die Zeitgenossen waren sich über die Bedeutung dieser Zäsur durchaus im Klaren. In anderen Worten: Das, was die 4. Panzerdivision in der Zeit von November 1941 bis März 1942 zu verantworten hatte, ist mit dem, was vorher und nachher geschah, nur zum Teil zu vergleichen. Man kann es sich leicht machen und ausschließlich auf das Beispiel Heidkämpers verweisen, oder, nicht weniger holzschnittartig, auf das seines Antipoden, des Generaloberst Schmidt. Aber was beweist das? Sicher scheint nur eins: In ihrer Divergenz eröffnen solche Beispiele immer auch den Blick auf das, was zwischen diesen beiden Extremen liegt - ein riesiges, schier grenzenloses Geschehen, überwältigend, schon allein durch seine bloße Größe. Sich daraus zu bedienen und mit einzelnen Bruchstücken das zu belegen, was der eigenen Vorstellung entspricht, ist keine Kunst. Die Beschaffenheit des dazwischen liegenden Geschehens, sein Charakter, seine Strukturen und nicht zuletzt seine Größenverhältnisse, sind damit aber nur sehr unzureichend beschrieben.

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IfZ-Archiv, M A 1581: 4. Pz. Div., Abt. IIa, „Divisions-Tagesbefehl Nr. 88" v o m 1 3 . 1 1 . 1 9 4 1 (gez. Frhr. von Langermann). B A - M A , MSg 1/3274: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 1 7 . 1 1 . 1 9 4 1 .

„ D i e Wirklichkeit des Krieges ist nicht in den B ü r o s der Militärstrategen zu finden, sondern auf d e m Schlachtfeld." 1

Einleitung Eine Frage Ist denn die Wehrmacht noch ein Rätsel? Die einschlägige Literatur füllt ganze Bibliotheken 2 . Vor allem aber hat diese Armee ihre Unschuld schon lange verloren. Bereits in den alliierten Nachkriegsprozessen zeigte sich, wie sehr sich die deutsche militärische Führung zum Komplizen des NS-Regimes gemacht hatte 3 . Schon deshalb musste die Wehrmacht zum wichtigsten Exekutivorgan der Nationalsozialisten werden. Ohne sie wären Hitlers Kriege, die blutigsten der Weltgeschichte, nie möglich gewesen. Viel zu oft aber war die Wehrmacht mehr als nur ein militärisches Machtinstrument: mit ihrer Hilfe ist während der Jahre 1939 bis 1945 ein beträchtlicher Teil der deutschen Unterdrückungs-, Ausbeutungs- und auch Ausrottungspolitik verwirklicht worden. Ihren unbestrittenen Höhepunkt fand diese Entwicklung im Krieg gegen die Sowjetunion, mit dem Hitler gleich mehrere Ziele seines Programms verwirklichen wollte - Eroberung von „Lebensraum", Unterwerfung, Dezimierung oder „Beseitigung" der dort lebenden Völker, Vernichtung des Bolschewismus und schließlich Aufbau einer strategischen Position, durch die das „Großgermanische Reich deutscher Nation" zur unbestrittenen Weltmacht werden sollte 4 . „Man kann also wirklich nicht behaupten", schrieb Konrad Adenauer bereits im Februar 1946, „daß die Öffentlichkeit nicht gewusst habe, daß die nationalsozialistische Regierung und die Heeresleitung ständig aus Grundsatz gegen das Naturrecht, gegen die Haager Konvention und gegen die einfachsten Gebote der Menschlichkeit verstießen." 5 Das sollte sich nicht als Schlusswort erweisen. Selten ist in der Bundesrepublik so erbittert, so lange und mit so großer öffentlicher Beteiligung über etwas Vergangenes debattiert worden wie im Falle der Wehrmacht 6 . Schon allein die Ge1

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Peter Arnett zu Beginn des Vietnam-Krieges. In: F A Z vom 27.4.1999, „Zum Schluß gaben sie ihm nur noch einen Piepser. Wie der Krieg klingt, weiß allein der Reporter des Augenscheins, der das Schlachtfeld kennt." Verwiesen sei etwa auf die folgenden Spezialbibliographien: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.271ff.: Literaturbericht; The Third Reich at War (1984); Enser, A Subject Bibliography of the Second World War (1985); Neue Forschungen zum Zweiten Weltkrieg (1990); Weinberg, Eine Welt in Waffen (1995), S. 963 ff.; Müller/Ueberschär, Hitler's War in the East (1997; Dt. Ubers.: Hitlers Krieg im Osten, 2000); Kühne, Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg, 2 Teile (1999/2000); Ruck, Bibliographie zum Nationalsozialismus, Bd. 1 (2000), S. 225 ff., 1054ff.; Bd. 2, S. 1054ff. Zusammenfassend: Boll, Wehrmacht vor Gericht. Vgl. hierzu Hillgruber, Hitlers Strategie, S. 527, 530; Thies, Architekt der Weltherrschaft. An Bernhard Custodis am 23.2.1946. Druck: Konrad Adenauer, Briefe über Deutschland 19451951, S.32-34, hier S.33. Ihren ersten publizistischen Niederschlag fand diese Debatte in der Reihe „Zeit-Punkte": Gehorsam bis zum Mord? (1995), insbes. S.70ff.; bereits hier zeichnete sich ab, wie weit die Meinungen auseinandergingen und mit welcher Vehemenz diese Diskussion geführt wurde.

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Einleitung

s c h i c h t e d e r e r s t e n „ W e h r m a c h t s a u s s t e l l u n g " , d i e seit 1 9 9 5 in 3 4 d e u t s c h e n u n d ö s t e r r e i c h i s c h e n S t ä d t e n z u s e h e n w a r 7 , bis sie 1 9 9 9 z u r ü c k g e z o g e n 8 u n d z w e i J a h re später d u r c h eine zweite revidierte Ausstellung ersetzt w u r d e 9 , hat einen E i n d r u c k v e r m i t t e l t v o n d e r S p r e n g k r a f t dieses T h e m a s , v o n s e i n e r B e d e u t u n g u n d n i c h t z u l e t z t a u c h v o n seiner K o m p l e x i t ä t . D a s s das T h e m a

„Wehrmacht"

die

d e u t s c h e G e s e l l s c h a f t a u f d i e s e W e i s e „ e i n h o l t e " , liegt n i c h t allein d a r a n , d a s s d i e M i l i t ä r g e s c h i c h t s s c h r e i b u n g in D e u t s c h l a n d l a n g e Z e i t ein S c h a t t e n d a s e i n f r i s t e t e . Seit d e m E n d e d e r 8 0 e r J a h r e b e g a n n s i c h m i t d e m G e n e r a t i o n s w a n d e l 1 0

sowie

d e m Z u s a m m e n b r u c h des W a r s c h a u e r Pakts das Bild v o n der W e h r m a c h t i h r e r K r i e g e völlig z u v e r ä n d e r n . U n d a u c h die Z e i t g e s c h i c h t s f o r s c h u n g

und

lieferte

g e r a d e in d e n l e t z t e n b e i d e n J a h r z e h n t e n i m m e r n e u e B e l e g e d a f ü r , w i e s e h r d i e G e s c h i c h t e der d e u t s c h e n Gesellschaft mit der des N a t i o n a l s o z i a l i s m u s u n d seiner m o n s t r ö s e n Verbrechen v e r w o b e n war. E i n e so große u n d v o r allem mächtige Inst i t u t i o n w i e d i e W e h r m a c h t ließ s i c h a u f D a u e r v o n d i e s e m

Erkenntnisprozess

kaum ausnehmen. D a s allein a b e r k a n n V e h e m e n z u n d D a u e r d e r W e h r m a c h t s - D e b a t t e n i c h t w i r k lich e r k l ä r e n 1 1 . Viel w i c h t i g e r s c h e i n e n d e n n a u c h z w e i a n d e r e A s p e k t e : D i e gesells c h a f t l i c h e R e l e v a n z d e r W e h r m a c h t ist, o b w i r d a s n u n w o l l e n o d e r n i c h t , n a c h w i e v o r s e h r g r o ß , ü b r i g e n s n i c h t n u r in D e u t s c h l a n d . W ä h r e n d sie als

Institution

z i e m l i c h b e d e u t u n g s l o s g e w o r d e n i s t 1 2 , gilt dies k a u m f ü r d i e 1 7 bis 1 8 M i l l i o n e n

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Zur Debatte über die erste „Wehrmachtsausstellung" vgl. Thiele (Hrsg.), Die Wehrmachtsausstellung (1997); Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Eine Ausstellung und ihre Folgen (1999); dass. (Hrsg.), Krieg ist ein Gesellschaftszustand (1998); Keil/Kellerhoff, Deutsche Legenden (2002), S.93ff.; Thamer, Vom Tabubruch zur Historisierung? Die Auseinandersetzung um die „Wehrmachtsausstellung", in: Sabrow/Jessen/Große Kracht (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte (2003), S. 171-186; Jeismann, Einführung in die neue Weltbrutalität. Zweimal „Verbrechen der Wehrmacht", in: ebda., S. 229-239; Jureit, „Zeigen heißt verschweigen" (2004); G r o ß e Kracht, Die zankende Zunft, S. 155ff. Siehe hierzu den Katalog und den begleitenden Sammelband: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Vernichtungskrieg (1996); Heer/Naumann (Hrsg.), Vernichtungskrieg (1995). Ausgelöst durch die folgenden drei Aufsätze: Musial, Bilder einer Ausstellung; Ungváry, Echte Bilder; Schmidt-Neuhaus, Tarnopol-Stellwand. Vgl. auch Bartov/Brink/Hirschfeld/Kahlenberg/Messerschmidt/Rürup/Streit/Thamer, Bericht der Kommission zur Uberprüfung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", o. O . November 2000. Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944. Ausstellungskatalog. Hrsg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg 2002. Gehörten 1968 noch 3 7 , 3 5 % der männlichen deutschen Bevölkerung dem Jahrgang 1928 oder einem älteren Jahrgang an - 1928 war der letzte Jahrgang, der zur Wehrmacht einberufen wurde - , so waren dies 25 Jahre später nur noch 1 1 , 2 4 % . Damals, 1993 (also zwei Jahre vor Beginn der ersten „Wehrmachtsausstellung"), ging der Jahrgang 1928 in Rente. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1970. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 1970, S.35; 1995, S.62. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die ganz unterschiedlichen Reaktionen der Medien auf den Kommissionsbericht: F A Z vom 16.11.2000, „Kritik an der Ausstellung über Wehrmacht ,in Teilen berechtigt'"; SZ vom 16.11.2000, „Historiker entlasten Wehrmacntsausstellung". Charakteristisch dafür ist etwa das offizielle Traditionsverständnis der Bundeswehr. Vgl. Punkt 6 der Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr vom 2 0 . 9 . 1 9 8 2 , in dem es u.a. heißt: „Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen." Ferner Generalinspekteur Klaus Naumann, Erinnern, lernen - nichts kopieren, in: Gehorsam bis zum Mord? ZEIT-Punkte 3 (1995), S. 87-90; Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, in: D I E Z E I T vom 1 . 1 2 . 1 9 9 6 , „Die Wehrmacht ist kein Vorbild."

Einleitung

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Menschen, die ihr während der Jahre 1939 bis 1945 angehörten 1 3 - die lebenden wie die toten. Sie sind keine Randgruppe. In der öffentlichen Diskussion ging es also nicht u m eine Streitmacht, über die die Geschichte hinweggegangen ist und über die sie ihr Urteil längst gesprochen hat. Es ging vielmehr u m die Frage, w i e sich jene, die w i r als unsere Angehörigen bezeichnen, als Angehörige der Wehrmacht verhalten haben. Wieweit aber kann man von einer Institution auf ihre Angehörigen schließen? Wieweit lassen sich Individuen für die Taten eines Kollektivs und insbesondere für seine Rechtsverletzungen verantwortlich machen? Da die erste „Wehrmachtsausstellung" genau dies getan hat, w a r der erbitterte Streit unausweichlich. Mittlerweile wissen w i r viel von den Verbrechen der Wehrmacht, w i r sind zumindest über die Resultate genauestens informiert, w i r kennen Verantwortlichkeiten, Verantwortliche und nicht zuletzt viele Einzelbeispiele. Von einer wirklich flächendeckenden empirischen Forschung oder einer Kenntnis aller Strukturen kann aber noch längst nicht die Rede sein. Erst auf einer solchen Grundlage aber w ä r e eine A n t w o r t auf die Frage möglich, wie weit die Angehörigen einer Institution, deren Zweck die Gewalt war, nicht aber das Verbrechen, auch dafür verantwortlich gemacht werden können. U b e r die bloße Darstellung des Rechtsbruchs w i r d sich diese Frage kaum beantworten lassen. Erst durch den institutionellen, räumlichen oder militärischen Kontext, kurz: den Alltag dieser Soldaten, w e r d e n die Relationen erkennbar, der Stellenwert, den das Kriminelle damals hatte, und auch seine Voraussetzungen und Bedingungen. Was aber taten die deutschen Soldaten? Welche Funktionen und Aufträge hatten sie? W i e weit waren diese „konventioneller" N a t u r ? Wie groß w a r ihre Bereitschaft oder die ihrer Vorgesetzten, die hergebrachten moralischen und rechtlichen Standards 1 4 zu ignorieren? Unter welchen Bedingungen kam es zu Kriegs- oder NS-Verbrechen 1 5 , und nicht zuletzt w o ? Fragen w i e diese lassen sich nicht w i e in einem Kriminalfall klären. Auch w i r d es kaum möglich sein, mit Zahlen oder gar Prozentangaben aufzuwarten 1 6 . Möglich ist dagegen eine A n t w o r t auf

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Vgl. Müller-Hillebrand, Heer, Bd.3, S.253: 17,9 Mio.; Overmans, Verluste, S.215: 17,3 Mio. Noch größer war lediglich die Deutsche Arbeitsfront, zu der 1939 über 22,1 Mio. und 1940 über 25,1 Mio. Mitglieder gehörten. Die Schnittstelle zwischen ihrer Tätigkeit und den Verbrechen des Regimes war aber zwangsläufig sehr viel kleiner. Vgl. Partei-Statistik. Hrsg. vom Organisationsleiter der NSDAP, Bd. IV: Die Deutsche Arbeitsfront, Berlin 1939, S. 76ff., 86. Deutlich kleiner dagegen die übrigen NS-Organisationen: NSDAP: 3,9 Mio. (1938), SA: 4,5 Mio. (Juni 1934), NS-Frauenschaft: 6 Mio. (1941) und Hitler-Jugend: 8,7 Mio. (1938), wobei es sich hier nicht um Gesamtzahlen handelt. Das Verbrecherische ist zunächst eine juristische Kategorie; es definiert sich in diesem Fall über das damals herrschende Völkerrecht. Schon mit Blick auf seine Grauzonen sollten freilich seine aktuellen Regeln, die nicht selten auf den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs basieren, ebenso wenig aus dem Blickfeld geraten wie das individuelle moralische Empfinden. Die entsprechende Kennzeichnung dieser unterschiedlichen Kategorien ist freilich ein Gebot der historiographischen Redlichkeit. Anachronistisch wäre es dagegen - selbst wenn dies immer wieder geschieht - , allein die persönlichen Vorstellungen zur Grundlage eines historischen Urteils zu machen. Vgl. mit der Definition durch Artzt, Zur Abgrenzung von Kriegs verbrechen und NS-Verbrechen. Einer zuweilen kolportierten Behauptung zum Trotz habe ich nie Schätzungen über den prozentualen Anteil der Kriegsverbrecher in der Wehrmacht abgegeben. Allerdings bin ich nach wie vor der Ansicht, dass es sich durchaus lohnt, sich mit den ganz unterschiedlichen Schätzungen auseinander zu setzen, die während der Debatte um die erste „Wehrmachtsaustellung" genannt

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die Frage nach den Strukturen dieser Armee und nach den Strukturen ihres Einsatzes. Deren Rekonstruktion ist das Hauptziel dieser Untersuchung. Ihre Protagonisten sind nicht die Vertreter der wenigen militärischen Zentralinstanzen oder die winzige, vergleichsweise gut überschaubare Gruppe der Generäle und Generalstabsoffiziere 17 , sondern jene, auf die sich das öffentliche Interesse zwangsläufig konzentrieren musste, die Soldaten, die man gewöhnlich die einfachen nennt. Mit immerhin 99,97 Prozent stellten sie das Gros aller Wehrmachtsangehörigen 18 . Zwar waren die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten der Millionen Mannschaftssoldaten, Unteroffiziere oder Subalternoffiziere vergleichsweise klein. Um so größer ist aber die gesellschaftliche Bedeutung der „ordinary men"; ihnen gilt eigentlich unser Interesse. Es waren diese Menschen, welche „die größte Berührungsfläche zwischen Volksgemeinschaft und Regime" bildeten. „Sprach man von Verbrechen der Wehrmacht, so sprach man über die mögliche Nähe der eigenen Familie zu Massen- und Völkermord. Der Zivilisationsbruch war kein Abstraktum hinter Stacheldraht, weit draußen dort, wo niemand hinsehen konnte. Er fand in Gräben, auf Feldern, in Waldstücken statt - und vielleicht war der eigene Vater, Onkel oder Großvater dabei gewesen." 19 Ein historiographiscbes Problem: Die Geschichte der Wehrmacht Warum ist es so schwer, über Taten und Untaten dieser Soldaten Klarheit zu gewinnen? Der Hinweis, nichts sei so schwierig zu dokumentieren wie ein Verbrechen, greift viel zu kurz. Dass das Bild dieser Armee noch immer zwischen den Schlagworten von der „sauberen" und von der „verbrecherischen" Wehrmacht oszilliert, hat viele Gründe, die sich wiederum drei Problemkreisen zuordnen lassen, welche die Uberschrift tragen: Institution, Angehörige, Geschichte. (1 ) Beginnen wir zunächst mit der Institution·. Schon die Größe der Wehrmacht 20 ist eine gewaltige historiographische Herausforderung 21 . Erst recht gilt das für die Beschreibung ihrer vielfältigen Funktionen22 oder ihrer überwältigenden fak-

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wurden. Diese zum Teil sehr willkürlichen Schätzungen über die Zahl der Täter sind im Grunde nicht mehr als Metaphern; sie stehen für die Begriffe „viel" oder „wenig", bzw. für sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Wehrmacht. Wenn Hannes Heer schreibt, ich würde die Meinung von ca. 5 % Wehrmachtstätern vertreten, so kann oder will er meine Argumentation nicht verstehen. Auch spart er seinen eigenen Anteil an dieser unseligen Zahlendebatte aus, die er mit seiner Schätzung einer Täterquote von 60-80 % überhaupt erst angestoßen hat. Vgl. Hartmann, Verbrecherischer Krieg, insbes. S. 2 mit Anm. 4, S. 71 ; Hannes Heer, Taten ohne Täter. Wie Guido Knopp die Verbrechen der Wehrmacht kleinrechnet, in: Konkret 1/2008, S.27. Vgl. nierzu nun Hürter, Hitlers Heerführer. Vgl. Stumpf, Wehrmacht-Elite, S. 161 ff. Zur militärischen Elite rechnet Stumpf allein die Generalität. Reemtsma, Zwei Ausstellungen, S. 58 f. Es spricht für sich, wenn ein großformatiges und eng beschriebenes Nachschlagewerk, das alle Formationen der Wehrmacht bis hinab auf die Ebene der Bataillone bzw. Abteilungen erfasst, mittlerweile 17, faktisch 15 Bände zählt (Bd. 15 befasst sich mit den taktischen Zeichen, Bd. 16/1-4 mit den Stationierungen): Georg Tessin, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg 1939-1945, 17 Bde., Frankfurt a.M. 1965-Osnabrück 2002. Zum Problem einer quantifizierenden Militärgeschichtsschreibung vgl. Wegner, Kliometrie des Krieges? Die Wehrmacht w a r mehr als nur ein militärisches Machtinstrument, sie fungierte als Besatzungsorgan, als Sozialisationsinstanz, als gesellschaftliches Subsystem und anderes mehr, so

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tischen Macht, die allerdings ein totalitäres und verbrecherisches Regime kontrollierte, so dass diese Armee schon bald in einen politischen, ethischen und nicht zuletzt auch fachlichen Zwiespalt geraten musste. (2) Auch die Angehörigen der Wehrmacht gewinnen oft nur schwer an Profil, weil dieses militärische Kollektiv - wie jede andere Armee auch - auf die Deindividualisierung ihrer Angehörigen hinarbeitete, so dass deren Biografien, deren Individualität und nicht zuletzt deren persönliche Verantwortung oft in der feldgrauen Monotonie dieses uniformierten Machtblocks zu verschwinden drohen. Zudem sind persönliche Quellen rar. Und noch ein Problem ist zu bedenken, das bei der Diskussion um die Schuld „der" Wehrmacht immer mehr in den Hintergrund gerückt ist; auch diese Armee hat Opfer in Millionenhöhe zu beklagen 23 . Ihre Geschichte ausschließlich auf die simple Dichotomie von Tätern und Opfern zu reduzieren, würde der komplexen Wirklichkeit einer militärischen Auseinandersetzung kaum gerecht. (3) Damit wären wir beim dritten Problemkreis. Nichts hat die facettenreiche Geschichte der Wehrmacht so sehr geprägt wie der Kriegu. Der Krieg aber, und erst recht ein Weltkrieg, bietet „Tatsachenmaterial von einer Dichte und einem Umfang, daß dem Durchschnittsgelehrten Hören und Sehen vergeht" 25 . Noch mühseliger wird der Prozess der Wahrheitsfindung bei der Frage, was in einem solchen Ausnahmezustand als „gerecht" oder zumindest doch als völkerrechtskonform zu gelten hat und was nicht. Das beweist nicht nur die Debatte über die Wehrmacht, die sich genau auf diese Frage konzentrierte. Auch die Kriegsverbrecherprozesse der vergangenen Jahre boten hierüber Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle 26 . Ein Ansatz Diese drei Problemkreise verweisen erneut auf die zentrale Frage nach der vielbeschworenen „Normalität" dieser Armee 27 . Dass der Begriff „Wehrmacht" im

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dass sich die Frage stellt, wie sich diese ganz unterschiedlichen Funktionen angemessen abbilden lassen. Die deutschen militärischen Verluste während des Zweiten Weltkriegs werden auf 5,3 Millionen Menschen geschätzt. Wenn dieses Ergebnis, dem umfangreiche wie systematische statistische Erhebungen zugrunde liegen, erst 1999 vorgelegt wurde, so kennzeichnet auch dies das deutsche Erkenntnisinteresse. Wie ungenau die davor kursierenden Schätzungen waren, belegt allein die Tatsache, dass sie sich in einer Spannbreite zwischen ca. 3 Millionen und ca. 6 - 7 Millionen bewegten. Vgl. hierzu Overmans, Verluste. Es wird gern übersehen, dass diese Prägung gewöhnlich schon im Frieden beginnt. „Ohne dieses Merkmal, die Ausrichtung auf den Kampf, lassen sich viele Eigenarten des Militärs nicht erklären." Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 9, S. 157. Keegan, Die Schlacht, S.28. Dies haben beispielsweise jene Verfahren unter Beweis gestellt, welche seit Ende des Kalten Krieges durch die U N O initiiert wurden: 1993 für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), 1994 für Ruanda (ICTR) und 2002 für Sierra Leone; 1998 wurde auf einer Konferenz in Rom die G r ü n dung des International Criminal Court, I C C , beschlossen. Vgl. hierzu Ball, Prosecuting War Crimes and Genocide (1999); Beigbeder, Judging War Criminals (1999); Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20.Jahrhundert (1999); Bass, Stay the Hand of Vengeance (2000); Boot, Genocide, Crimes against Humanity, War Crimes (2002). Zur vielbeschworenen Frage der „Normalität" vgl. beispielsweise die beiden unterschiedlichen Deutungen von: Lieb, Täter aus Überzeugung?; Heer, Extreme Normalität.

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Grunde nicht mehr ist als ein „Sammelbegriff"28, ist keine neue Erkenntnis. Er kann vieles bedeuten, und entsprechend unterschiedlich waren der Alltag dieser Armee und erst recht das Verhalten ihrer Angehörigen; erinnert sei an unseren Prolog. Was aber kann als repräsentativ für die Wehrmacht gelten - welche Biografie, welcher Truppenteil, welche Begebenheit? Um dieses Problem der Repräsentativität einigermaßen zufriedenstellend zu lösen, erscheint es zunächst sinnvoll, den Ausschnitt dieser Untersuchung unter den drei klassischen militärischen Prämissen von Organisation, Raum und Zeit auf jene Aspekte zu verengen, die für die Geschichte der Wehrmacht die größte Bedeutung besaßen: - organisatorisch, auf einen Teil der Wehrmacht: und zwar auf ihren größten und wichtigsten, auf die Teilstreitkraft des Heeres 29 , - räumlich auf einen einzigen Krieg: in diesem Fall auf den gegen die Sowjetunion, der nicht nur als „Hitlers eigentlicher Krieg" 30 gilt, als „Kernstück" nationalsozialistischer Politik31, sondern auch als „the major theater of war in the Second World War" 32 , - und zeitlich auf das erste Jahr des deutsch-sowjetischen Krieges, auf eine Phase, in der sich alles entschied, nicht nur der Krieg gegen die UdSSR. Da die Wehrmacht zu Beginn dieses Krieges „von absolutem Selbstvertrauen erfüllt" war 33 , 28 29

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So Streim, Saubere Wehrmacht, S. 572. Das deutsche Heer hatte nicht nur den mit Abstand größten Anteil an der deutschen Kriegführung im Zweiten Weltkrieg. In der Sowjetunion war es auch die einzige Teilstreitkraft der Wehrmacht, die mit der Besatzungsherrschaft über große Gebiete beauftragt war. Die dominierende Bedeutung dieser Teilstreitkraft können schon einige Zahlen veranschaulichen: Im Mai 1941 besaß das deutsche Feldheer eine Kopfstärke von 3 800000, die Luftwaffe von 1680000 und die Kriegsmarine von 404000 Mann. Seit Juni 1941 kämpften 3,3 Millionen Angehörige des deutschen Feldheers gegen die Sowjetunion. Insgesamt waren rund zehn Millionen deutsche Soldaten während der Jahre 1941 bis 1944 in der Sowjetunion im Einsatz, die hier vor allem einen Landkrieg führten. Nach ihren Anfangserfolgen wurde die deutsche Luftwaffe im Ostkrieg „nur noch in taktischer Absicht" eingesetzt, marginal blieb hier der Einsatz der deutschen Kriegsmarine. Angaben und Wertungen nach: Geschichte des Zweiten Weltkrieges, 2. Teil, S. 107ff., 438ff., Zitate S. 167, 486; Müller-Hillebrand, Heer, Bd.3, S.65f., 217; Klink, Die militärische Konzeption des Krieges, S. 270. Zahlen über die damals an der Ostfront eingesetzten Angehörigen von Luftwaffe und Kriegsmarine sind hier nicht angegeben. Die Gesamtangabe von 10 Millionen Soldaten bei: Müller, Hitlers Ostkrieg, S.2. So Förster, Das nationalsozialistische Herrschaftssystem, S.33. Vgl. hierzu auch Fest, Hitler, S. 831 ff. So Hillgruber, „Endlösung". Die Einschätzung von Gerhard L. Weinberg in der Einleitung zu Müller/Ueberschär, Hitler's War in the East, S. VI. Vgl. auch mit der Bewertung Gabriel Gorodetskys (Die große Täuschung, S.9), der die These vertritt, es gäbe „nur wenige Ereignisse des 20. Jahrhunderts, die in ihrer Tragweite mit der Operation .Barbarossa' vergleichbar" seien. In diesem Sinne auch Overy, Wurzeln des Sieges, S.9 Iff. Für diese Einschätzung sprechen viele Gründe; erinnert sei an den Stellenwert des „Unternehmens Barbarossa" im Rahmen des Zweiten Weltkriegs, aber auch an die unermesslichen Verluste, die der Existenzkampf dieser beiden totalitären Systeme kostete: Die Verluste der sowjetischen Zivilbevölkerung werden auf 17,9 Millionen Menschen, die der sowjetischen Streitkräfte auf 8,7 Millionen Menschen, die der Wehrmacht an der Ostfront auf etwa 2,7 Millionen geschätzt. Vgl. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S.616; Koslow, Kriegsverluste der Sowjetunion; Wheatcroft/Davies, Population, in: Davies/Harrison/Wheatcroft (Hrsg.), The economic transformation of the Soviet Union, 1913-1945, S. 57-80; Zubkova, Russia after the War, S.20ff.; Mawdsley, Great Fatherland War; Glantz, Colossus, S.621ff.; Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 265. So Ulrich von Hasseil am 10.4.1941 (Tagebücher, S.246) mit Blick auf die deutschen Erfolge auf dem Balkan. Rückblickend hat es wohl keine Phase in der Geschichte der Wehrmacht gege-

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lassen sich - so die naheliegende Vermutung - Ziele und Vorstellungen, die sie und ihre Angehörigen mit diesem mörderischen wie selbstmörderischen Unternehmen verfolgten, damals vermutlich am besten erschließen. Damit haben wir einen Ausschnitt und eine Fragestellung. Wie aber lässt sich diese operationalisieren? Es geht darum, möglichst viele Menschen in den Blick zu nehmen, obwohl deren Spuren nicht leicht zu verfolgen sind. Und es geht darum, ihr Verhalten im militärischen Apparat (wenn man so will: die individuelle und institutionelle Interaktion) zu rekonstruieren. Schon deshalb scheint ein Einstieg über die Institution sinnvoll. Diese Arbeit konzentriert sich auf Ausschnitte dieser Institution, nicht beliebige, sondern gewissermaßen auf ihre elementaren Bausteine, auf ihre Divisionen. Zwischen diesen gab es strukturelle Ähnlichkeiten, aber auch große Abweichungen, was sie für eine komparatistisch angelegte Untersuchung 3 4 geradezu prädestiniert. Doch gibt es noch mehr Gründe, warum sich gerade ein militärischer Verband von der Größe einer Division für eine Untersuchung eignet, die ein möglichst vielfältiges wie differenziertes Bild über den Einsatz der Wehrmacht und ihrer Angehörigen zeichnen will: Mit knapp 18000, später 12000 Mann waren die Divisionen der deutschen Wehrmacht „die kleinsten Heereskörper, die durch ihre organische Zusammensetzung zu operativer Selbständigkeit befähigt" waren 35 . Dass diese Formationen auf sich gestellt kämpfen und sich auch selbst versorgen konnten, stand nicht nur in der Vorschrift. Auch in der Wirklichkeit des Krieges bewährte sich dieses Prinzip. Dabei handelte es sich bei den Divisionen um die einzigen Großverbände der Wehrmacht, deren Zusammensetzung nicht ständig fluktuierte, wie dies etwa bei den Korps oder den Armeen der Fall war. Vielmehr war die Division als organisatorisches Kontinuum angelegt, auch dafür stand das gemeinsame Divisionswappen 36 . Da man die Divisionen in der Regel geschlossen einsetzte, blieben ihre Einsatzräume begrenzt und überschaubar. Selbst wenn ihre Frontabschnitte, deren Breite 20 Kilometer eigentlich nicht übersteigen sollten 37 , sich im Laufe des Krieges zunehmend ausdehnten, waren die Angehörigen eines solchen Kollektivs gewöhnlich denselben militärischen, geographischen und auch politischen Rahmenbedin-

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ben, in der ihre Angehörigen so selbstbewusst agierten wie in der Phase von Frühjahr bis Herbst 1941. N u r unter Berücksichtigung dieser Mentalität lässt sich die katastrophale Fehleinschätzung des sowjetischen Militärpotentials wirklich verstehen. Grundlage für diesen methodischen Ansatz ist der oft zitierte Essay von O t t o Hintze, in dem dieser darauf hingewiesen hat, dass sich mit dem Kunstgriff des Vergleichs ganz unterschiedliche, ja entgegengesetzte Ziele verfolgen lassen: man könne vergleichen, „um ein Allgemeines zu finden, das dem Verglichenen zugrunde liegt; und man kann vergleichen, um den einen der verglichenen Gegenstände in seiner Individualität schärfer zu erfassen und von dem andern abzuheben." Hintze, Soziologische und geschichtliche Staatsauffassung (1929), S.251. Uberholt scheint hingegen Hintzes Auffassung, wonach es Aufgabe des Soziologen sei, das Allgemeine zu bestimmen, während der Historiker über das Individuelle der verglichenen Themen zu urteilen habe. Überblicke bieten: Hampl/Weiler (Hrsg.), Vergleichende Geschichtswissenschaft (1978); Kaelble, Der historische Vergleich (1999). IfZ-Archiv, Da 34.08: H.Dv. 300/1: Truppenführung, 1. Teil (Abschnitt I-XIII), Berlin 1936, S.7. Vgl. mit der ausführlichen Ubersicht von Schmitz/Thies, Die Truppenkennzeichen der Verbände und Einheiten der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS, Bd. 1, Bd. 3. Vgl. etwa Meier-Welcker, Aufzeichnungen eines Generalstabsoffiziers, Karte zwischen S. 176 und S. 177.

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gungen unterworfen. Auch hielt man es auf deutscher Seite für keinen guten Gedanken, dezimierte Truppenteile mit anderen zu vermischen. Meist ließ man sie so lange kämpfen, bis sie „ausgebrannt" waren, doch erlebten sie auch danach die „Auffrischung" als Kollektiv 38 . Solche Voraussetzungen sorgten für eine ausgeprägte „Corporate Identity 39 , die freilich nicht erst im Einsatz begann. Jede Division der Wehrmacht rekrutierte sich gewöhnlich aus derselben Region des Deutschen Reichs 40 ; ihr waren dort einzelne Ausbildungseinheiten zugeordnet, die zugleich die Verbindung „nach Hause" garantierten. Diese Homogenität bei Herkunft und Ausbildung, Auftrag und Einsatz gab jedem dieser Verbände wenigstens während der ersten Kriegsjahre eine unverwechselbare Identität. Wie wirksam diese war, wird schon daran deutlich, dass sich die Traditionspflege der Veteranen wie selbstverständlich an „ihren" Divisionen orientierte 41 . Natürlich blieb die Division nicht der einzige institutionelle Bezugspunkt des Soldaten. Gerade für sein soziales Umfeld waren kleinere Einheiten: Gruppe, Kompanie oder Regiment, wichtiger. Auf diesen Ebenen der militärischen Hierarchie formierten sich die vielbeschworenen „Primärgruppen" 42 . In der operativen Führung spielten hingegen ganz andere Größenordnungen eine Rolle. Erst die Division als „unterste operative Einheit" 43 machte aus einigen Truppenteilen einsatzfähige Verbände, die dann durch ihren gemeinsamen Einsatz zu dem wurden, was man als „militärische Schicksalsgemeinschaft" bezeichnet hat. Dies ist freilich nicht die einzige historiographische Chance, die gerade die Organisationsform der Division bietet: - Für die Wissenschaft waren Divisionen nur selten ein Thema. Diese Hierarchieebene der Wehrmacht galt meist als Zwitter - zu klein für die Generalstabsperspektive der traditionellen Kriegsgeschichte, die vor allem in Heeresgruppen oder Armeen denkt, zu groß für jene Ansätze, die sich ganz auf den Erfahrungshorizont des einzelnen Soldaten konzentrieren, meist des einfachen. Daher blieb das Feld der „Divisionsgeschichten lange Zeit allein den Veteranen und den Apologeten des Krieges überlassen" 44 , deren Darstellungen - erinnert sei an die Bedeutung des Subsystems Division für die Traditionspflege - mittlerweile ganze Bibliotheken füllen 45 . Dagegen gab es bis vor kurzem noch „keine vor-

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Vgl. Frieser, Kursker Bogen, S. 168. Vgl. hierzu Rass, Sozialprofil, S. 661 f.; Ambrose, Band of Brothers (1992). Zu den Vorteilen dieses Verfahrens, das zumindest bis 1943 funktionierte, vgl. Creveld, Kampfkraft, S. 76 ff. Vgl. Diehl, Thanks of the Fatherland, S. 186ff.; Searle, Veterans' Associations and Political Radicalism; Rass, Sozialprofil, S. 661 f.; Kühne, Kameradschaft, S . 2 1 4 f f . Mit dem Begriff der Primärgruppe hat die angelsächsische Forschung schon früh die hohe militärische Leistungsfähigkeit der Wehrmacht zu erklären versucht. Vgl. Shils/Janowitz, Cohesion and Disintegration in the Wehrmacht in World War II; George, Primary Groups; Kellett, C o m bat Motivation, S. 320; Meyer, Kriegs- und Militärsoziologie, S. 112 ff. Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften, Bd. II, S.537. So Bernd Wegner in seiner Einleitung zu Sydnor, Soldaten des Todes, S.VIII. (erstmals: Princeton, NJ, 1977). Wie umfangreich diese Literatur ist, verdeutlicht die folgende Bibliographie: Held, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg. Eine Bibliographie der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, z.Z. 5 Bde., Osnabrück 1978-1995. Vgl. ferner Bibliographie zur Geschichte der Felddivisionen der Deutschen Wehrmacht und Waffen-SS 1939-1945. 2 Teile (Masch. Manuskript), Wien 1976-1984.

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bildliche und gründliche Divisions- und Regimentsgeschichte von wissenschaftlichem Wert" 46 . Ganz besonders betrifft das die Kampfdivisionen. Während die rückwärtigen Besatzungsgebiete der Wehrmacht vergleichsweise gut erforscht sind47, ist das Geschehen im Gefechtsgebiet noch immer weitgehend unbekannt. Dort aber entschied sich der Krieg, und hier waren mit Abstand die meisten Angehörigen der Wehrmacht im Einsatz. Auch methodisch scheint gerade der Ausschnitt der Division vielversprechend. Die klassische militärische Operationsgeschichte („an deren Geschichtsmächtigkeit kein ernsthafter Zweifel bestehen kann" 48 ) hat gewöhnlich die überindividuelle Organisation in den Mittelpunkt gestellt: „das" Regiment oder „die" Armee, die „neue" Militärgeschichtsschreibung, die sich primär für sozial-, mentalitäts- und alltagsgeschichtliche Aspekte interessiert49, hingegen den „Krieg des kleinen Mannes" 50 . Bei einer Divisionsgeschichte ist es noch möglich, beiden Perspektiven Beachtung zu schenken und damit ganz verschiedene Stränge miteinander zu verknüpfen - abstrakte Führungsentscheidungen wie auch sehr konkrete Erfahrungen aus dem Mikrokosmos von Krieg und Besatzungspolitik, so dass auf diese Weise auch das Spannungsverhältnis von Individuum und Institution als eines der wichtigsten Strukturmerkmale einer Armee51 sichtbar wird. Auch die Quellenlage ist günstig. Da die Wehrmacht eine Meisterin im Dokumentieren ihres Handelns war, haben sich für viele ihrer Divisionen Berge an Quellen erhalten - solche, die zur Kommunikation dienten wie Befehle und Meldungen, und solche, die von vornherein einen dokumentarischen Zweck verfolgten: die Kriegstagebücher, welche die beiden ersten Generalstabsoffiziere täglich zu führen hatten52, und die Tätigkeitsberichte, welche die übrigen FunkVgl. Müller, Wehrmacht, S. 29. Interessanterweise gilt dies weniger für die Waffen-SS, für die die folgenden wissenschaftlichen Formationsgeschichten vorliegen: Sydnor, Soldaten des Todes; Hastings, Das Reich; Lepre, Himmler's Bosnian Division; Casagrande, Die Volksdeutsche SSDivision „Prinz Eugen"; Cüppers, Wegbereiter der Shoah. Generell: Wegner, Hitlers Politische Soldaten; Leleu, Waffen-SS. Für Divisionen der Wehrmacht liegen mittlerweile folgende Untersuchungen vor: Rass, „Menschenmaterial"; Shepherd, War in the Wild East. Vgl. hierzu auch Christian Hartmann, „Auf Profilsuche", in: FAZ vom 8.8.2003; ders., „Weiche Soldaten, harte Offiziere", in: FAZ vom 13.9.2005. Ferner: Schulte, German Army; Meyer, Von Wien nach Kalavryta; ders., Blutiges Edelweiß. Zu den rückwärtigen Besatzungsgebieten vgl. nun den großen zusammenfassenden Uberblick von Pohl, Herrschaft. Wegner, Wozu Operationsgeschichte?, in: Was ist Militärgeschichte?, S. 105-113, hier S. 105. Vgl. in diesem Zusammenhang etwa die Arbeit von Fritz, Frontsoldaten, Lexington, KY, 1995. Dt. Ubersetzung: Hitlers Frontsoldaten. Berlin 1998 - eine Arbeit, in der kaum auf den übergreifenden militärischen und politischen Kontext eingegangen wird. Dies der Titel des von Wolfram Wette herausgegebenen Sammelbandes (München 1992). Hierzu kritisch: Ulrich, „Militärgeschichte von unten". Vgl. Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 9, S. 156ff. Kriegstagebuch führten im Divisionsstab der Erste und meist auch der Zweite Generalstabsoffizier, der I a und der I b. IfZ-Archiv, MA 1564/25, NOKW-1888: OKH/GenStdH/Kriegswissensch. Abt., „Bestimmungen für die Führung von Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten" vom 23.4.1940. Wichtig auch Hitlers „Grundsätzlicher Befehl über Meldewesen in der Wehrmacht" vom 26.12.1941, in dem er nochmals auf den „Grundsatz bedingungsloser Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit" verwies. Druck: Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse", Dok. 126. Zur Bewertung dieser Quellengattung vgl. Hubatsch, Das Kriegstagebuch als Geschichtsquelle; Ueberschär, Geschichte der Kriegstagebuchführung in Heer und Luftwaffe (1850 bis 1975).

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Einleitung t i o n s t r ä g e r i m D i v i s i o n s s t a b alle 1 4 T a g e v o r l e g t e n 5 3 . Z w e i f e l l o s b e s i t z e n diese Q u e l l e n ihre P r o b l e m e ; sie sind sehr n ü c h t e r n gehalten, referieren o f t n u r E r gebnisse u n d sind i m G r u n d e das P r o d u k t d e r offiziellen S e l b s t d a r s t e l l u n g 5 4 . G l e i c h w o h l ist die T a t s a c h e einer institutionalisierten h i s t o r i o g r a p h i s c h e n D o k u m e n t a t i o n u n d Selbstreflexion, die r e g e l m ä ß i g u n d z e i t n a h e r f o l g t e u n d die a u c h a b w e i c h e n d e M e i n u n g e n o d e r gar K r i t i k m i t einschloss, keine Selbstverständlichkeit. B e r e i t s d u r c h die A n h ä n g e dieser A u f z e i c h n u n g e n w u r d e ein Q u e l l e n b e s t a n d geschaffen, d e r in seiner A u t h e n t i z i t ä t u n d Verlässlichkeit sein e s g l e i c h e n s u c h t . Z u d e m liegen für eine e i n z i g e D i v i s i o n A k t e n m e h r e r e r intern e r A b t e i l u n g e n v o r , s o dass sich ihre u n t e r s c h i e d l i c h e n P e r s p e k t i v e n g u t erg ä n z e n . A u f d e n d a r u n t e r liegenden H i e r a r c h i e e b e n e n b r i c h t die U b e r l i e f e r u n g d a g e g e n m e i s t a b 5 5 . D a s heißt: W e n n es d a r u m geht, das H a n d e l n d e r W e h r m a c h t s a n g e h ö r i g e n z u r e k o n s t r u i e r e n , i n s b e s o n d e r e ihr H a n d e l n i m i n s t i t u t i o nellen K o n t e x t , d a n n b e s i t z t g e r a d e die H i e r a r c h i e e b e n e d e r D i v i s i o n e n z e n t r a l e B e d e u t u n g . D e n n ihre A k t e n k o m m e n d e m G e s c h e h e n a n d e r Basis a m n ä c h s ten. N a t ü r l i c h h a t d e r K r i e g a u c h in diese U b e r l i e f e r u n g L ü c k e n

gerissen56,

d o c h lassen sich diese teilweise d u r c h die A k t e n d e r v o r g e s e t z t e n K o m m a n d o behörden, der Korps, A r m e e n und Heeresgruppen, füllen57. -

N i c h t n u r die Instanzen

e i n e r D i v i s i o n , a u c h ihre Angehörigen

r e n hinterlassen: Nachlässe,

Feldpostbriefe,

Tagebücher58

sen, eine teilweise u m f a n g r e i c h e Erinnerungsliteratur,

h a b e n viele S p u -

und, nicht zu vergesderen historiographischer

W e r t freilich s t a r k d i f f e r i e r t 5 9 . A m g r ö ß t e n sind g e w ö h n l i c h A u s s a g e k r a f t u n d

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Dies waren I c: 2. Generalstabsoffizier, verantwortlich für Feindaufklärung und Abwehr; II a: 1. Adjutant, auch verantwortlich für Offizierspersonalien; III: Divisionsrichter; IV a: Intendant, verantwortlich für Verwaltung und Verpflegung; IV b: Arzt; IV c: Veterinär; IV d/e bzw. /k: evangelischer, bzw. katholischer Geistlicher. Sie sollten alle vierzehn Tage „einen zusammenfassenden Uberblick im Großen über Tätigkeit, Ereignisse und Maßnahmen" geben. Vgl. hierzu auch Kap. 5.0. Die Akten der Regimenter und Bataillone der Wehrmacht sind während des Zweiten Weltkriegs fast gänzlich verloren gegangen. Vgl. Das Bundesarchiv und seine Bestände, S. 244ff., 339. Die Behauptung von Hannes Heer, die I-c-Akten seien bei Kriegsende systematisch vernichtet worden und würden gewöhnlich in den überlieferten Beständen fehlen, ist ein aufschlussreicher Hinweis auf seine Quellenkenntnis. Da die Einheiten ihre Akten regelmäßig abgeben mussten, waren sie zu einer nachträglichen, systematischen Säuberung überhaupt nicht in der Lage. Ganz davon abgesehen wurden große Bestände der deutschen Militärakten - lange vor ihrer Rückgabe an das Bundesarchiv - von den National Archives verfilmt, so dass zumindest bei einer Benutzung der Mikrofilme eine nachträgliche „Säuberung" durch Veteranen auszuschließen ist. Vgl. Heer, Mitwirkung der Wehrmacht am Holocaust, S. 88 mit Anm. 137 sowie ders., Hitler war's, S. 269. Akten der Korps, Armeen und Heeresgruppen oder persönliche Aufzeichnungen von Angehörigen dieser Formationen werden für diese Arbeit dann herangezogen, wenn in dem betreffenden Zeitraum eine der uns interessierenden Divisionen diesen Kommandobehörden unterstellt war. An wenigen Stellen wurden auch Akten bzw. Aufzeichnungen von Nachbarformationen ausgewertet. Als sog. „Schwesterdivisionen" kämpften sie nicht selten auf engstem Raum miteinander. Die Gesamtzahl der deutschen Feldpostbriefsendungen des Zweiten Weltkriegs wird auf etwa 40 Milliarden geschätzt. Auch das Führen eines persönlichen Tagebuchs war damals ein relativ häufig verbreitetes Phänomen, selbst wenn das O K H am 17.2.1942 noch einmal die Mitnahme persönlicher Aufzeichnungen „in die vordere Linie" ausdrücklich verbot (BA-MA, R H 2018/1295). Eine erste Einführung bietet Düsterberg, Soldat und Kriegserlebnis. Deutsche militärische Erinnerungsliteratur (1945-1961) zum Zweiten Weltkrieg. Das Genre der Verbandsgeschichten ist hier allerdings ausgespart.

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Unmittelbarkeit jener Selbstzeugnisse, die noch im Krieg verfasst wurden; sie erweisen sich nicht selten als unabdingbare Ergänzung zu den oft spröden Dienstakten. Natürlich sind persönliche Aufzeichnungen aus dem Krieg schon öfters ausgewertet w o r d e n 6 0 , allerdings nur verhältnismäßig selten in ihrem institutionellen Kontext, unter Berücksichtigung der amtlichen Quellen. Gerade ein solches Verfahren bietet aber die beste Möglichkeit, den historiographischen Wert dieser verschiedenen Quellengruppen am jeweils konkreten Fall zu überprüfen. Private Zeugnisse sind nicht einfach zu beschaffen; die erste „Wehrmachtsausstellung" hat viel getan, um diese oft unersetzlichen Quellen zuzuschütten. Dennoch konnten einige größere und längere Tagebücher oder Briefserien erschlossen werden, so dass w i r - neben einer Vielzahl kleinerer persönlicher Quellen 6 1 - f ü r jeden Verband gewissermaßen über einen „Kronzeugen" verfügen: Fritz Farnbacher (4. Panzerdivision), Ludwig Hauswedell (45. Infanteriedivision), Hans Reinert (296. Infanteriedivision), Johannes Gutschmidt und nun auch Konrad Jarausch (221. Sicherungsdivision bzw. Korück 580) 6 2 . Z w a r steht deren Zahl in keinem Verhältnis zur Zahl der Angehörigen einer Division, doch bilden schon ihre Zeugnisse so etwas wie Fenster zur Erlebniswelt einer großen Masse von Soldaten, die sonst bestenfalls in der Rolle grauer Statisten blieben. Schließlich existiert noch eine dritte große Quellengruppe, durch die die G e schichte einer Wehrmachtsformation plastischer wird: die Personal-63 und GerichtsaktenM. Sie sind nicht nur ein Produkt der Wehrmachtsbürokratie; auch nach 1945 entstanden solche „Vorgänge", sei es bei Nachforschungen über verSelbst wenn die zahllosen, nach 1945 geschriebenen Erlebnisberichte und Verbandsgeschichten sich primär auf Aspekte wie Kriegführung, Tapferkeit und Kameradschaft konzentrieren und teilweise nicht frei von apologetischen Tendenzen sind, so enthalten sie doch wichtige, teilweise unersetzbare Details. Auch hier eilt, dass diese retrospektiven Quellen ihren eigentlichen Wert erst im Kontext der Uberrestquellen erhalten. Zu dieser Quellengattung, ihren Inhalten und ihren besonderen methodologischen Herausforderungen vgl. Latzel, Deutsche Soldaten - nationalsozialistischer Krieg?; ders., Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung; ders., Kriegsbriefe und Kriegserfahrung; Humburg, Das Gesicht des Krieges; Kühne, Kameradschaft. Bei Latzel (Deutsche Soldaten, S. 19ff.) auch Angaben zu den vorhandenen Feldpostbriefsammluneen und den einschlägigen Editionen. Dass die „Ego-Dokumente" aus den Reinen der Kampfverbände überwiegen, liegt nicht allein daran, dass deren Angehörige oft den Eindruck hatten, ihre Kriegserlebnisse weitererzählen zu können. Die größere Quellendichte begründet sich auch in der größeren Zahl an Menschen, die diese Kampfverbände durchliefen. Vgl. hierzu auch Kap. 1.2 und 2.5. Das Dulag 203, dem Gutschmidt und Jarausch angehörten, war 1941 eine Zeitlang der 221. Sich. Div., eine Zeitlang dem Korück 580 unterstellt. Verwiesen sei auf die Bestände der folgenden Archive: Bundesarchiv Zentralnachweisstelle (Aachen-Kornelimünster), Berlin Document Center, jetzt Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Deutsche Dienststelle (WASt) und Krankenbuchlager (beide Berlin), Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (München). In Deutschland waren hiermit seit 1958, bzw. 1968 zwei Behörden betraut, die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, nun Bundesarchiv Außenstelle Ludwigsburg, sowie das „NS-Archiv" der ehemaligen Abteilung IX/11 (Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, nun Bundesarchiv Außenstelle Dahlwitz-Hoppegarten. Zu den besonderen Problemen dieser verschiedenen Quellengattungen vgl. Krausnick/Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges, S. 333 ff.; Steinbach, Zum Aussagewert der nach 1945 entstandenen Quellen; Tuchel, Die NS-Prozesse als Materialgrundlage für die historische Forschung; Gerlach, Morde, S. 24 ff.

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misste oder kriegsgefangene Soldaten, sei es bei Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen. Auf die besonderen Probleme dieser unterschiedlichen Quellen soll hier nicht eingegangen werden 65 - sicher ist, dass der Ansatz einer Divisionsgeschichte auch in diesem Fall die Chance bietet, unzählige Einzelinformationen, die lediglich Teilaspekte referieren, wieder in ihren ursprünglichen Zusammenhang zurückzuführen. Keine Frage: Bei all diesen Quellengruppen handelt es sich vor allem um - wenn man so will - „Täterakten". Sieht man aber einmal davon ab, dass schon ihre verschiedenen Provenienzen und Perspektiven für ein gewisses Korrektiv sorgen, so ist in diesem Zusammenhang an ein Urteil von Raul Hilberg zu erinnern; er sah in den „Täterakten" die beste Möglichkeit, um „an die historische Realität heranzukommen" 66 . Ein Ausschnitt als Modell: fünf Divisionen der Wehrmacht Die Division als Armee im Kleinen, die Division als Modell der Wehrmacht oder zumindest doch als Modell ihrer Landstreitkräfte. Doch stellt sich auch hier das Problem der Repräsentativität. „Daß zwischen Division und Division ein himmelweiter Unterschied sein kann", wussten schon die Zeitgenossen 67 . Das fing an mit der Organisation, dem Personal und der Ausrüstung dieser Formationen, setzte sich dann fort bei Aspekten wie Auftrag, Einsatzort und Mentalität, um schließlich bei ihren Verlusten oder Verbrechen zu enden. Gerade bei den Verbrechen der Wehrmacht hat es den Anschein, dass es ganz bestimmte neuralgische Punkte gab, wo der Krieg eskalierte 68 . Um all diese Unterschiede zu kompensieren, beschäftigt sich diese Studie nicht mit einer, sondern mit mehreren Divisionen 69 . Für deren Auswahl waren allein drei Prinzipien maßgeblich: die Organisation der Division (also möglichst unterschiedliche Divisionstypen), ihr Einsatzraum (der insgesamt homogen sein sollte) und schließlich die Quellenlage (die möglichst reichhaltig sein und auch Recherchen in den ehemaligen Friedensstandorten ermöglichen sollte 70 ). Keine Rolle spielte bei der Auswahl dieser Verbände deren Geschichte; unter diesem Aspekt ist das Design dieser Untersuchung bestimmt vom Prinzip des Zufalls. Aufgrund dieses Verfahrens fiel die Wahl schließlich auf die folgenden fünf Verbände: 65 66 67

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Vgl. mit den Überlegungen in Kap. 5.0. Zit. bei: Orth, System der nationalsozialistischen Konzentrationslager, S. 18. B A - M A , MSg 2/5315: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 19.6.1941. Reinert war damals Artillerieoffizier in der 296. Infanteriedivision. Das haben etwa L u t z Klinkhammer und Carlo Gentile für die Front in Italien 1943 bis 1945 und Peter Lieb für den Westkrieg 1943/44 detailliert nachgewiesen. Vgl. Lieb, Konventioneller Krieg; Klinkhammer, Stragi naziste in Italia, insbes. S. 81 ff., 105 ff.; Gentile, "Politische Soldaten". Es ist aufschlussreich, dass bei der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zunächst Eliteformationen im Mittelpunkt standen - die Fallschirmjägertruppe beispielsweise, die U-Boot-Waffe oder die Jagdflieger. Mittlerweile konzentriert sich öffentliche Aufmerksamkeit auf das, was man als die Hinterhöfe des deutschen Militärapparats bezeichnen könnte, die Sicherungsdivisionen und Ortskommandanturen, die Straf-Einheiten und die Kriegsgefangenenlager. D e m lag die Überlegung zugrunde, dass ein Friedensstandort in der alten Bundesrepublik oder in Österreich die Recherchen in den betreffenden Ortsarchiven bzw. den jeweiligen Veteranenverbänden erleichtern würde.

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4. Panzerdivision: Dieser Verbandstyp steht für die motorisierten Verbände, in denen die Wehrmacht ihr modernstes Kriegsgerät konzentrierte 71 . Ohne diese wenigen, aber sehr wertvollen Divisionen wäre der Blitzkrieg undenkbar gewesen. Im November 1938 in Würzburg aufgestellt, profilierte sich die 4. Panzerdivision schon im Polen- und im Westfeldzug als Eliteverband. Seit Juni 1941 war die „Vierer" dann ohne Unterbrechung an der Ostfront eingesetzt, wo ihre letzten Reste erst am 9. Mai 1945 (!) auf dem schmalen Band der Frischen Nehrung kapitulierten. Von ihrem Selbstverständnis war diese Formation, zu der etwa 13300 Soldaten gehörten, ein Zwitter: technisch, aber auch politisch ein Produkt der Moderne, blieben sie auch der feudalistisch geprägten Tradition der Kavallerie-Regimenter verhaftet, so dass sich gerade in ihrem Fall mit Nachdruck die Frage stellt, wie weit sich Einheiten diesen Typs in Hitlers Konzept des rassenideologischen Vernichtungskriegs einfügten. 45. Infanteriedivision: Es sind vor allem drei Aspekte, welche diese Division für unser Sample 72 empfehlen: Sie verkörperte einen Divisionstyp, der am häufigsten in der Wehrmacht vertreten war 73 , die Infanteriedivision 74 ; regional ist sie allerdings ein Sonderfall, weil sie im April 1938 in Linz aus Einheiten des ehemaligen österreichischen Bundesheeres zusammengestellt worden war und sich auch weiterhin fast ausschließlich aus der „Ostmark", insbesondere aus Oberösterreich, rekrutierte, was zur Frage berechtigt, welche Folgen das für Mentalität und Verhalten dieser Soldaten hatte 75 ; und sie gehörte zur Gruppe der Vorkriegsverbände, zu den „aktiven" Divisionen, die so etwas wie den Kern der Wehrmacht darstellten. Auch die 45. ID, deren Stärke sich laut Plansoll auf ca. 17700 Mann belief, war seit Juni 1941 pausenlos an der Ostfront im Einsatz, bis sie im Juni 1944 zusammen mit der Heeresgruppe Mitte vernichtet wurde 76 . 296. Infanteriedivision: Sie verkörpert gewissermaßen das Gegenstück zur 45. ID. Galt diese als aktive und vor allem bewährte Infanteriedivision, so war die 296. zunächst nicht mehr als eine Improvisation, ein hastig formierter Verband, den man ab Februar 1940 auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr aus dem Personal zusammenstellte, das übrig geblieben war oder das andere EinVgl. Michulec (4. Panzer-Division on the Eastern Front (1) 1941-1943), der sich primär mit der technischen Ausstattung dieser Division beschäftigt. Der Einfachheit halber wird die Gruppe dieser fünf Divisionen im Folgenden als „unser Sample" bezeichnet, zuweilen auch als „unsere Divisionen". Dem A u t o r möge aus dieser arbeitsökonomischen Sprachregelung bitte nicht der Vorwurf einer unkritischen Identifikation mit diesen Organisationen erwachsen. In der einschlägigen deutschen Dienstvorschrift Führung und Kampf der Infanterie vom 1 8 . 1 . 1 9 4 0 heißt es einleitend: „Die Infanterie ist die Hauptwaffe. Alle anderen Waffen unterstützen sie." Zit. bei: Middeldorf, Neuzeitliche Infanterie, S.285. Allein das Ostheer verfügte bei Angriffsbeginn über 99 Infanteriedivisionen. Angabe nach: Mueller-Hillebrand, Heer, Bd.2, S . l l l . Insgesamt stammten 7 , 6 % aller Wehrmachtsangehörigen aus der „Ostmark". Rein „österreichische" Verbände hat es in der Wehrmacht nicht gegeben, jedoch Divisionen, die in den Wehrkreisen X V I I (Wien) und XVIII (Salzburg) formiert wurden und die sich überwiegend aus diesen rekrutierten. 1963 ging das österreichische Verteidigungsministerium von 30 „ostmärkischen" Divisionen aus: 13 Infanterie- und vier Volksgrenadierdivisionen, zwei Leichte Divisionen, zwei Panzer-, vier Jäger- und fünf Gebirgsdivisionen. Vgl. Overmans, Verluste, S. 224; Tuider, Wehrkreise X V I I und XVIII, S. 1 u. S . 3 0 Í ; Unser Heer, S . 3 7 2 f f . Nach ihrer Zerschlagung wurde die Reste der 45. Inf. Div. als 546. Volksgrenadierdivision wieder aufgestellt, die dann wenig später als 45. Volksgrenadierdivision firmierte.

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heiten hatten abgeben müssen. Dieses „Kriegskind", das sich vor allem aus dem östlichen Bayern ergänzte, war den aktiven Divisionen quantitativ (Stärke ca. 17000 Mann) und zunächst auch qualitativ unterlegen. Ihre „Feuertaufe" erlebte sie erst im Krieg gegen die Sowjetunion, an dem sie sich bis Juni 1944 ohne Unterbrechung beteiligte, bis auch sie zusammen mit der Heeresgruppe Mitte zerschlagen wurde. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie viel unter dem Begriff der Division subsumiert sein konnte. Hinsichtlich Ansehen, Selbstbild und militärischer Effizienz repräsentierte die 4. Panzerdivision gewissermaßen die Oberschicht der Wehrmacht, die 45. ID die obere und die 296. ID die untere Mittelschicht. Entsprechend unterschiedlich gestalte sich ihr militärischer Einsatz. Doch gab es eine große Gemeinsamkeit, ihre primär militärische Aufgabe; diese Divisionen kamen fast nur vorne, an den Hauptkampflinien, zum Einsatz. Es gab Formationen der Wehrmacht, bei denen dies anders war. - 221. Sicherungsdivision: Mit dieser 1939 formierten „Landwehrdivision", die 1940 beurlaubt und ab März 1941 in Breslau als Sicherungsdivision reaktiviert wurde, kommt ein neuer Divisionstypus in unser Sample: der Besatzungsverband. Die Sicherungsdivisionen kamen in deutlicher Entfernung zur Front in den Rückwärtigen Heeresgebieten zum Einsatz und fungierten als militärische Einheit wie auch als „Besatzungsbehörde"; sie sollten die deutsche Herrschaft durchsetzen, sichern und das militärische Besatzungsgebiet organisieren. Mit einer Personalstärke von insgesamt höchstens 8000 bis 9000 Mann 77 und einer sehr mediokren Ausrüstung 78 waren Schlagkraft und Ressourcen eines Verbands wie der 221. sehr begrenzt. Von einigen wenigen Unterbrechungen abgesehen, war diese Division, die im Juli 1944 zusammen mit der Heeresgruppe Mitte unterging, in deren rückwärtigen Gebieten eingesetzt, also im irontfernen Hinterland. - Korück 580: Bei den Kommandanten/Kommandanturen 79 des rückwärtigen Armeegebiets handelte es sich ebenfalls um Besatzungsverbände. Sie waren, wie schon der Name verrät, jeweils einer Armee zugeordnet, also dem frontra^e« Hinterland. Die Korücks, mehr Rahmenverband als Truppenteil, rangierten gewöhnlich auf der untersten Stufe in der informellen Hierarchie der Wehrmacht. Gleichwohl waren sie für die deutsche Kriegführung unverzichtbar. Diese Besatzungsbehörden dienten ihrer Armee als Etappe und leiteten als erste Vertre77

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Vgl. Kreidel, Partisanenkampf in Mittelrußland, S.381. Kreidel war I a der 221. Sicherungsdivision. Eine ganz ähnliche Stärkeentwicklung bei der 281. Sich. Div. Vgl. Hill, War behind the Eastern Front, S. 48. Vgl. mit dem Urteil von Cooper (Phantom War, S.44), der der 221. bescheinigt, dass ihre Ausrüstung „of poor quality" gewesen sei. Der Genus des Begriffs „Korück" wechselt - teilweise schon in den zeitgenössischen Quellen und erst recht in der Nachkriegsliteratur. Die Abkürzung für diesen Besatzungsverband, der hier im Übrigen abweichend zum damaligen Ordnungssystem zur Gruppe der Divisionen gerechnet wird, kann unterschiedlich aufgelöst werden: als der Kommandant des ... oder auch als die Kommandantur des ... ; teilweise hat sich auch die Bezeichnung „das Korück" eingebürgert. Die Verwendung der männlichen Form kommt dem zeitgenössischen Sprachgebrauch vermutlich am nächsten.

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ter der deutschen Besatzungsmacht gewöhnlich auch die Neustrukturierung des eroberten Territoriums ein, wozu im Laufe des Krieges zunehmend auch die Auseinandersetzung mit den Partisanen gehörte. Obwohl ein Korück formal eigentlich nicht als Division galt, scheint aufgrund seiner Größe und Gliederung ein Vergleich mit Verbänden dieser Größe durchaus möglich 8 0 . Das Beispiel des Korück 580 wird das bestätigen. E r wurde im August 1939 im Wehrkreis V I (Münster) aufgestellt, im Juli 1941 der 2. Armee zugeordnet und erlebte als Teil dieser Armee schließlich das Kriegsende in Westpreußen. Keine Frage: Bei diesen fünf Formationen handelte es sich nur um einen verschwindend kleinen Teil jenes Machtkolosses, der im Juni 1941 die Grenzen zur Sowjetunion überschritt. Allein dem Ostheer waren damals 164 Verbände in Divisionsgröße unterstellt 8 1 . Trotzdem scheint diese Auswahl repräsentativ 82 . Denn in ihren Funktionen stehen diese fünf Formationen für über 90 Prozent aller Divisionstypen des Heeres. So gesehen lässt sich dieser Ausschnitt als Modell verstehen, als Modell des Ostheers und damit auch seines Gefechts- und Besatzungsgebiets - selbst wenn bei einem Verhältnis von drei Front- und zwei Besatzungsverbänden die Letzteren, also die vermutlich kriminelleren Teile der Wehrmacht, bewusst überrepräsentiert sind. Diese fünf Divisionen haben freilich auch einige Gemeinsamkeiten - eine gute Uberlieferung ihrer Akten 8 3 , ein permanenter Einsatz in der Sowjetunion und dort mit dem südlichen Teil des mittleren Frontabschnitts einen weitgehend homogenen Einsatzraum, so dass dieser komparatistisch angelegten Untersuchung dieselben militärischen, geographischen und politischen Rahmenbedingungen zugrunde liegen. Schon dieses Setting spricht dafür, die Institution zum Ausgangspunkt dieser Arbeit zu machen und nicht - wie so oft - einige zentrale Befehle, die ideologischen Prämissen des Ostkriegs oder die „Große Strategie". Dahinter steht auch die Überlegung, dass ohne das institutionelle und soziale Umfeld unsere zentrale Frage nach dem Verhalten dieser Soldaten kaum zu beantworten ist. Daher versu80 81

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Vgl. hierzu Kap. 1.2. Darin eingeschlossen die Besatzungsverbände. Mueller-Hillebrand, Das Heer, Bd. 2, S. 111. Ferner: D R Z W , Bd. 4, Kartenband, Karte 2: Schematische Kriegsgliederung. Stand: B-Tag 1941 ( 2 2 . 6 . ) „Barbarossa". Laut Mueller-Hillebrand setzte sich das deutsche O s t h e e r am 2 2 . 6 . 1 9 4 1 aus etwa 153 Divisionen zusammen. D a z u kamen noch acht Korücks, die den Armeen zugeordnet waren, und die drei Befehlshaber der Rückwärtigen Heeresgebiete, die hier ebenfalls zu den Verbänden gerechnet werden. Angaben zu den Besatzungsverbänden bei: Keilig, Das Deutsche Heer, Bd. I I , Lieferung 160-169. N i c h t vertreten sind folgende Divisionstypen der damaligen deutschen Streitkräfte: eine Division der Waffen-SS, des Ersatzheeres oder der Luftwaffe, von der an der O s t f r o n t ebenfalls große Teile zu Lande kämpften. Sieht man davon ab, dass die Aufstellung der Luftwaffenfeldaivisionen, nicht aber der Flak-Regimenter der Luftwaffe, erst im S o m m e r 1942 begann, so spricht neben arbeitsökonomischen Überlegungen der Gesichtspunkt der Übersichtlichkeit für eine Auswahl dieser G r ö ß e . Vgl. hierzu Stang, Z u r Geschichte der Luftwaffenfelddivisionen; Stumpf, D i e Luftwaffe als drittes Heer; Haupt, Luftwaffenfelddivisionen; Steffen Rohr, D i e Erdkampfverbände der Luftwaffe im Ostkrieg unter besonderer Berücksichtigung der L u f t waffen-Felddivisionen. Entstehung, Einsatz und Überführung in das Heer, D i p l Arbeit, Univ. der Bundeswehr M ü n c h e n - N e u b i b e r g , 2003. Vgl. Bundesarchiv und seine Bestände, S . 2 4 6 f .

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chen die beiden ersten Kapitel möglichst tief in die Institution Wehrmacht einzudringen; unter den Uberschriften Formationen bzw. Soldaten beschäftigen sie sich mit ihrer Organisation und ihren Menschen. Dies ist kein Selbstzweck. Erst durch diese Analyse werden Strukturen in ihrem Handeln erkennbar, das erstmals im Kapitel Krieg Darstellung findet. Dass bei ihrer Kriegführung und Besatzungspolitik auch von ihren Rechtsverletzungen die Rede ist, liegt in der Natur der Sache. Doch wird erst durch den Kontext der militärischen Routine der Stellenwert und die Praxis des Kriminellen deutlich. Ein anderes Ziel verfolgt das Kapitel Raum, mit dem der kleine Ausschnitt dieser Untersuchung noch einmal räumlich und institutionell verortet wird - in den Schauplatz des deutsch-sowjetischen Krieges und in das Netzwerk der deutschen Institutionen, die hier im Einsatz waren. Gerade der letzte Punkt scheint unabdingbar zum Verständnis des Kapitels Verbrechen, das sich ausschließlich mit den Kriegs- und NS-Verbrechen dieser fünf Verbände beschäftigt. Die Gliederung dieses Kapitels orientiert sich nicht an der Chronologie des militärischen Geschehens, sondern an den Opfergruppen dieser Verbrechen. Dabei geht es nicht nur um Befehle, es geht auch - was die Sache nicht vereinfacht - um deren Vollzug. Dass diesen fünf Kapiteln, bzw. Themen jeweils unterschiedliche methodische Ansätze zugrunde liegen, versteht sich von selbst84. Ein kleiner Ausschnitt, zweifellos. Das Geschehen, für das er steht, ist um vieles größer. Doch bietet dieser Ausschnitt nicht nur den Vorteil von Präzision und Anschaulichkeit; viel wichtiger ist, dass er eine Art Referenzrahmen absteckt. In dessen Grenzen lassen sich Kriegführung und Besatzungspolitik der Wehrmacht empirisch analysieren und der Anteil des Verbrecherischen genauer bestimmen. Anstatt sich willkürlich aus einem schier unendlichen Fundus an Quellen das herauszusuchen, was die eigenen Thesen bestätigt, bilden die zeitgenössischen Ordnungsprinzipien gewissermaßen den Parameter. An ihm sind die Ergebnisse dieser Untersuchung zu messen. Das wiederum verweist auf die Bedeutung der militärischen Ordnungsprinzipien, dem Thema des ersten Kapitels.

Abschließend noch einige sprachliche und formale Bemerkungen: Mit dem Terminus „Wehrmachtsführung" sind das OKW (Oberkommando der Wehrmacht), unter Umständen aber auch alle militärischen Zentralbehörden und deren Personal gemeint. Die Bezeichnungen „OKH" (Oberkommando des Heeres), „Heeresleitung" oder „Heeresführung" werden synonym verwendet. Der Begriff „Streitkräfte" steht für die Gesamtheit aller deutschen Soldaten, die Begriffe „Wehrmacht", bzw. „Armee" für alle Wehrmachtsangehörigen, die Begriffe „Heer", bzw. „Ostheer" für die Angehörigen der Landstreitkräfte (außer der Waffen-SS). Alle militärischen Organisationen ab der Hierarchieebene der Division werden als „Verband" bezeichnet, alle kleineren als „Einheit".

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Vgl. mit dem Urteil von Neitzel (Militärgeschichte ohne Krieg?, S. 294), der zu Recht betont, es könne nicht angehen, in der Militärgeschichtsschreibung „die so kritisierte methodische Verengung der sechziger und siebziger Jahre lediglich durch eine andere zu ersetzen".

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Nicht unterschieden wird zwischen der Organisationsform des Armeekorps und des Höheren Kommandos. Beide befanden sich auf derselben Hierarchieebene, ihre Organisation variierte nur in einigen Details, so dass in den Anmerkungen nur von A. K.'s die Rede ist. Die unterschiedliche Bezeichnung der 221., die im Haupttext wie in den Anmerkungen mal als Infanteriedivision, mal als Sicherungsdivision firmiert, orientiert sich jeweils an der Schreibweise in den Quellen. Zu beachten ist, dass sich die 221. nicht nur bis Juli 1940, sondern auch in der Zeit von Dezember 1941 bis März 1942 Infanteriedivision nannte. Die Bezeichnung „Deutsche" erscheint auch dann zweckmäßig, wenn damit Deutsche, Österreicher oder Auslandsdeutsche gemeint sind; sie bezieht sich freilich nicht auf deren Verbündete oder einheimische Hilfskräfte. Die Bezeichnung „sowjetische Gebiete" und „sowjetische Bevölkerung" orientiert sich an den politischen Verhältnissen des Juni 1941; dies ist freilich nicht als Urteil über die Rechtmäßigkeit der sowjetischen Annexionen während der Jahre 1939/40 zu verstehen. Da es sich bei den vorkommenden Ortsnamen teilweise um kleine und kleinste Ortschaften handelt, die geographisch schwierig zur recherchieren sind, ist für deren Schreibweise die Orthographie in den deutschen Quellen maßgeblich; das gilt insbesondere für Zitate. Handelt es sich um mehrere Versionen, so orientiert sich die Schreibweise an den Angaben des Duden 8 5 . Aus Gründen der Einheitlichkeit wurde auf eine Transliteration der bekannten sowjetischen Städtenamen verzichtet. Die Orthographie der Zitate orientiert sich gewöhnlich an der Originalquelle; die Korrektur offensichtlicher Schreibfehler oder notwendige kleinere Anpassungen an die Syntax dieser Darstellung werden zum Teil stillschweigend vorgenommen. Ansonsten wird die grammatikalische Anpassung von Zitaten mit , . . . ' (anstelle von „...") kenntlich gemacht. Die Aktenzeichen werden in der Regel nur bei den zentralen Dokumenten von O K W und O K H wiedergegeben, jedoch nur dann, wenn sie nicht ediert sind. Verzichtet wurde auf die Aktenzeichen der Divisionsakten, da diese in den Originalen - insbesondere in der Zeit des Krieges - nur sehr sporadisch auftauchen. Einige Archive, die mittlerweile neue Bezeichnungen tragen (BA, ZNS oder P R O ) werden so zitiert wie zum Zeitpunkt der Recherche. Da die Arbeit im Jahr 2008 abgeschlossen wurde, konnte die in diesem Jahr erschienene Literatur nur noch zum Teil berücksichtigt werden.

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Duden. Wörterbuch geographischer Namen des Baltikums und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Mit Angaben zu Schreibweise, Aussprache und Verwendung der Namen im Deutschen. Hrsg. vom Ständigen Ausschuss für geographische Namen, Mannheim 2000.

„Ich staune ja doch, in wie kurzer Zeit aus einem H a u f e n Zivilisten eine T r u p p e wird, ein Körper. Die eiserne K l a m m e r des Dienstes vollbringt es." 1 „Wer einmal auf die Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selbst gehört."

1. Formationen 1.1 Die Division Die Geschichte jener fünf Verbände, um die es in dieser Studie geht, begann nicht im Krieg. Sie lässt sich zurückverfolgen bis in die Welt der Truppenübungsplätze, der Schreibstuben und Kasernenhöfe, der Kreiswehrersatz-Amter und schließlich in die Organisations-Referate der obersten militärischen Führungsinstanzen: Hier waren sie geplant worden, hier hatte man ihre Aufstellung befohlen. Auf den ersten Blick schien das Ergebnis wenig zeitgemäß, fast schon altertümlich 2 , zumindest im Frieden: Formalausbildung, Ausgehuniformen, Fahnen, Militärmusik, O f fiziere zu Pferd. Angesichts der offiziellen Selbstdarstellung vieler Armeen wird freilich leicht übersehen, dass es sich bei ihnen um hochartifizielle Konstrukte handelt, die nicht allein der Tradition verpflichtet sind. Im Gegenteil: Ihre Organisation, alles andere als „naturgegeben" 3 , hat in erster Linie den technischen, demographischen, finanziellen und politischen Voraussetzungen ihrer Zeit Rechnung zu tragen, vor allem aber der jeweils gültigen Militärdoktrin. Sie entscheidet letzten Endes über die Organisation eines militärischen Subsystems, über seine Funktion und auch über die Aufgaben seiner Angehörigen 4 . Gerade an einer Division lässt sich dies besonders gut veranschaulichen, da sie im Dickicht der militärischen Organisationen eine besondere Rolle spielt. Bis zum Beginn des 19.Jahrhunderts hatte man Krieg meist auf der Grundlage von Regimentern geführt, die nur aus einer einzigen Waffengattung bestanden. „Reinrassig" nannte man das damals. Das Prinzip, mehrere Waffengattungen in einem Großverband wie einer Division zu vereinigen, war zum ersten Mal am Ende des

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Johannes Niermann, Brief vom 18.12.1939, zit. in: Schleicher/Walle (Hrsg.), Feldpostbriefe junger Christen 1939-1945, S. 103. Vgl. die These von John Keegan, demzufolge es sich über die kulturelle Konditionierung entscheidet, wie ein Krieg geführt wird. Unter Kultur versteht Keegan einen „Ballast von gemeinsamen Uberzeugungen, Werten, Assoziationen, Mythen, Tabus, Forderungen, Gebräuchen, Uberlieferungen, Verhaltens- und Denkweisen, Sprachen und Kunst - ein Ballast, der jede Gesellschaft im Gleichgewicht hält". Keegan, Kultur des Krieges, S. 84. Es ist aufschlussreich, dass selbst die beiden einschlägigen Dienstvorschriften (H.Dv. 300/1: Truppenführung; H.Dv. 487: Führung und Gefecht der verbundenen Waffen) keine Angaben zur Organisation einer Division enthalten. Offenbar sah die deutsche militärische Führung darin eher eine Frage der Praxis als eine Frage der Theorie. Generell zur Organisationssoziologie des Militärs: Schössler, Militärsoziologie; König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 9. Ferner Crozier/Friedberg, Zwänge kollektiven Handelns.

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1. F o r m a t i o n e n

18.Jahrhunderts in Frankreich erdacht, in den Revolutionskriegen erprobt und schließlich von Napoleon I. perfektioniert worden 5 . Eine Division konnte nun allein auf sich gestellt operieren. Im 19. und 20. Jahrhundert, mit der zunehmenden Technisierung und Modernisierung des Kriegs, hatten sich diese Verbände immer mehr differenziert und spezialisiert. In der Division - dem Geteilten, Zerlegten war mehr als eine Spielart der Kriegführung versammelt, die freilich alle diesem einem Zweck dienten. Auch in der Wehrmacht galten die Divisionen als „die kleinsten Heereskörper, die durch ihre organische Zusammensetzung zu operativer Selbständigkeit befähigt sind" 6 . Deshalb bestanden diese Armeen im Kleinen, die mit fast allen Anforderungen der modernen Landkriegführung zurechtkommen sollten, nicht nur aus vielen Soldaten, sie bestanden aus vielen Spezialisten 7 ! Allein auf sich gestellt wären sie auf dem Schlachtfeld verloren gewesen; erst durch das taktische Prinzip des „Gefechts der verbundenen Waffen" 8 wurden sie autark, konnten sie kämpfen und überleben. Der Prototyp unter den Divisionen der Wehrmacht war die Infanteriedivision. Sie trug gleich mehreren Anforderungen Rechnung: Da die deutsche Aufrüstung seit 1933/35 möglichst rasch vonstatten gehen musste, ließ sich die Schlagkraft der deutschen Landstreitkräfte mit Divisionen dieses Typs, die sich schnell und mit verhältnismäßig geringem finanziellen und materiellen Aufwand formieren ließen, relativ einfach erhöhen 9 . Auch waren Infanteriedivisionen beweglich, sie ließen sich vielseitig einsetzen, was angesichts der geostrategischen Lage des Deutschen Reichs mit seinen langen und ungeschützten Grenzen von großem Vorteil war. Am 22. Juni 1941 bestand das deutsche Heer aus insgesamt 205 Divisionen, 152, also etwa drei Viertel, waren reine Infanteriedivisionen 10 . Wie waren sie organisiert, wie ausgerüstet, und welche Aufgaben übernahmen ihre Angehörigen?

1.1.1 Manpower Zunächst einmal: eine Division war groß, so groß, dass nur die Stabsoffiziere sie noch überblicken konnten. 1939 gehörten laut Plan 17734 Mann zu einer Infanteriedivision - 534 Offiziere, 102 Beamte, 2 701 Unteroffiziere und 14397 Mann-

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Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften, Bd. II, S. 532 ff.; Fiedler, Taktik und Strategie, S. 16 ff. IfZ-Archiv, Da 34.08: H. Dv. 300/1: Truppenführung, 1. Teil (Abschnitt I-XIII), Berlin 1936, S.7. Generell zur Organisation der Division und zu den einzelnen Waffengattungen: Schottelius/ Caspar, Organisation, S.338ff.; Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1; Die Deutsche Wehrmacht 1 9 1 4 - 1 9 3 9 , S. 169ff.; Buchner, Handbuch. Aufgrund der gestiegenen Feuerkraft und Motorisierung ist in vielen modernen Armeen die Brigade an die Stelle der Division getreten. Bei diesen Brigaden handelt es sich nicht mehr um Zusammenfassungen mehrerer Regimenter derselben Waffengattung, sondern um Formationen, die in ihrer Zusammensetzung der einer Division entsprechen. Das heißt, dass sich an der Bedeutung dieses Organisationsprinzips nichts geändert hat; es firmiert nur unter einem neuen Namen. Vgl. auch Regling, Grundzüge der Landkriegführung, S . 2 1 6 f f . Vgl. Schottelius/Caspar, Organisation, S.338; Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit, S.347ff., insbes. S.353. Vgl. Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 2, S. 1 1 1 .

1.1 Die Division

Krieg und Frieden: Einheiten der 45. Inf. Div. bei einer Parade in Brünn ( März 1939, auf der Bühne Mitte General Wilhelm List, rechts von ihm der Divisionskommandeur Generalmajor Friedrich Materna).

Deutsche Infanterie auf dem Vormarsch in der Sowjetunion (Quelle: OEGZ_S17_21; IfZ-Archiv)

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1. Formationen

schaftssoldaten 11 . Sie verteilten sich nicht gleichmäßig auf all ihre Subsysteme. Den Schwerpunkt bildeten hier drei Infanterie-Regimenter (mit zusammen 9180 Mann) sowie das Artillerie-Regiment (mit weiteren 3 172 Mann). Diese Hauptstreitmacht war kaum motorisiert 12 ; vielmehr hatten über 4 000 Pferde ihre Mobilität zu garantieren 13 . Mehr Fahrzeuge hatten die kleineren Formationen, die schon deshalb nicht nur in ihrer Spezialverwendung eingesetzt wurden, sondern auch als „Divisionsfeuerwehr", die dort kämpfte, wo es gerade „brannte". Allerdings besaßen diese Einheiten meist nur die Stärke eines Bataillons bzw. einer Abteilung: ein Pionier-Bataillon (779 Soldaten), eine Aufklärungs- (623 Soldaten), eine Panzerabwehr- (708 Soldaten) und eine Ν achrichten-Abteilung (649 Soldaten). Allerdings war selbst dieser bescheidene Fuhrpark Anfang Dezember 1941, also noch vor Beginn der sowjetischen Winteroffensive, aufgebraucht 14 . Spätestens jetzt operierte der größte Teil des deutschen Ostheers „wie zu Napoleons Zeiten: zu Fuß, mit Pferd und Wagen, mit Gewehr und Kanone" 15 . Da eine Division auch bei der Versorgung autonom sein sollte, verfügte sie auch über „Rückwärtige Dienste" mit 1 747 und über ein Feldersatz-Bataillon mit 876 Mann - wohlgemerkt: Mann, denn auch die deutschen Divisionen des Zweiten Weltkriegs waren Teile jenes „frauenfreien Raums" (Karen Hagemann), zu denen die Armeen im 19.Jahrhundert geworden waren 16 . Doch selbst der Wehrmacht gelang es nicht, das weibliche Geschlecht auf Dauer vollkommen auszugrenzen 17 . Selbst in einer Kampfdivision der Wehrmacht traten Frauen nicht nur indirekt auf - als Mütter, Ehefrauen, Verlobte oder Töchter, die von der „Heimatfront" die Soldaten unterstützten. Mit zunehmender Dauer des Krieges kam es gerade in der besetzten Sowjetunion immer häufiger vor, dass eine Art Tross einheimischer Frauen die deutschen Divisionen begleitete; selbst an der Front entstanden mitun11

12

13 14

15 16

17

Die Stärkeangaben nach: Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 1, S. 73. Sie beziehen sich auf eine Infanteriedivision 1. Welle, Stand September 1939. Abweichende Angaben bei Keilig, Das Deutsche Heer, Lieferung 101,1, Iff. Mit der Infanteriedivision 43 wurde am 2.10.1943 der Typ einer neuen, erheblich kleineren Infanteriedivision eingeführt; sie besaß offiziell 13 656 Mann. Vgl. Keilig, Das Deutsche Heer, Lieferung 101,1, Iff. Ferner Overmans, Verluste, S.277; Absolon, Wehrmacht, S. 192. Zusammen besaßen diese vier Regimenter nicht mehr als 178 Pkw, 155 Lkw und 242 Kräder. Zu diesem Problem vgl. Müller, Wirtschaftsallianz, S. 185ff. Vgl. hierzu Nardo, Mechanized Juggernant; Frieser, Blitzkrieg-Legende, S.35. Damals konstatierte das O K H die definitive „Entmotorisierung der Infanteriedivisionen". O K H / G e n S t d H / O p . Abt.I a, „Weisung für die Aufgaben des Ostheeres im Winter 1941/42" vom 8.12.1941. Druck: KTB OKW, Bd. I, Dok. 108. Mit dem Abklingen der Winterkrise waren Kfz bei den Infanteriedivisionen fast nicht mehr vorhanden. Vgl. in diesem Zusammenhang Bock, Tagebuch, S.377 (Eintrag vom 11.2.1942), der die „trostlose Kraftfahrzeuglage" der 2. Armee schildert. Müller, Der letzte deutsche Krieg, S. 123. Vgl. Buchner, Handbuch, S.9: „Weibliches Wehrmachtspersonal wie z.B. Nachrichtenhelferinnen, Rotkreuzschwestern usw. gab es in einer Infanteriedivision nicht." Insgesamt dienten schätzungsweise zwischen 450 000 und 500 000 Frauen als Helferinnen in der Wehrmacht, aber nicht in der Kämpfenden Truppe. Vgl. hierzu Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst 1914-1945; Seidler, Frauen zu den Waffen?, S.59. Ferner Higonnet (u.a. Hrsg.), Behind the Lines; Hagemann/Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenkrieger und Nationalkrieger; Hämmerle, Von den Geschlechtern der Kriege und des Militärs. Doch wurden Frauen bis 1945 nur sehr selten zum Kampf an der Waffe zugelassen. Vgl. hierzu: Dörr, Frauenerfahrungen; Kundrus, Kriegerfrauen, S. 221 ff.; dies., N u r die halbe Geschichte; Vogel/Wette (Hrsg.), Andere Helme; Killius, Wehrmachthelferinnen.

1.1 D i e Division

33

ter „familiäre Verhältnisse" 18 oder zumindest doch Beziehungen, die an die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs erinnern mochten 19 . Doch waren Frauen auch auf andere Weise präsent - als militärische Gegnerinnen, als Kriegsgefangene oder als Teil einer Besatzungsgesellschaft, auf deren Dienste die neuen deutschen Herren oft und gern zurückgriffen. Das ist freilich das Ergebnis von Entwicklungen, nicht von Organisationsstrukturen, so dass erst später davon die Rede sein soll. In den offiziellen Stellenplänen war weibliches „Wehrmachtsgefolge" für eine Kampfwie auch für eine Besatzungsdivision jedenfalls nicht vorgesehen. Die Einteilung von knapp 18000 Männern in den Organismus einer Division, die sich dann in ein kompliziertes Geflecht von Regimentern, Bataillonen und Kompanien verzweigte, hatte jedoch nicht allein den Zweck, die Masse Mensch zu organisieren und zu steuern. Die militärische Organisation wird bestimmt von ihren Aufgaben, den taktischen und, darauf basierend, den operativen. Doch vollzieht sich die Kriegskunst nicht einfach in einem luftleeren Raum. Sie ist wiederum gebunden an ganz bestimmte Voraussetzungen, technische zum Beispiel, also an die Ausrüstung dieser Organisationen, und das heißt natürlich vor allem an deren Waffen. Die schon damals hochkomplexe Militärtechnologie schuf nicht nur im Krieg Zwänge und Normen 2 0 ; auch im Frieden war dies permanent spürbar, bei der Logistik, Unterbringung oder der Ausbildung. Schon eine Infanteriedivision der Wehrmacht, also ein durchschnittlicher und vergleichsweise einfach ausgestatteter Divisionstyp, verfügte über ein beträchtliches Arsenal an Waffen: „Soll-Ausstattung

" einer deutschen

Infanteriedivision

im Jahr 19392i

4 4 8 1 Pistolen, 12609 G e w e h r e , 312 Maschinenpistolen, 378 leichte u n d 138 s c h w e r e M a schinengewehre, 12 F l a - M a s c h i n e n k a n o n e n (Kaliber: 2 cm), 75 P a n z e r a b w e h r k a n o n e n (Ka-

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20 21

So Müller, Liebe im Vernichtungskrieg, S.250. In seiner Erzählung „Hauptmann Pax" (München 1975) hat Joachim Fernau diesen Frauen in der Gestalt der „Maja" ein Denkmal gesetzt. Dass die immer stärkere Inanspruchnahme von weiblichen Hilfskräften durch die Truppe diese selbst nachhaltig verändern konnte, verdeutlicht das Beispiel der 296. ID: „Zur Zeit wird ein großer Kampf gegen das Uberhandnehmen der Russenweiber in sämtlichen Einrichtungen der Division ausgefochten, denn es hat sich so eingebürgert, daß jeder Mann bald eine Russin als Hilfsperson und persönliche Ordonnanz engagiert hat - natürlich nur wieder in den Trossen und rückwärtigen Diensten - , und daß diese Weibergeschichten zu Dingen geführt hat, die man nicht mehr mit ansehen kann, weil sie disziplinschädigend sind." B A - M A , MSg 2/5326: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 18.4.1944. Dort auch die folgenden beiden Dokumente: 296. Inf. Div., Kdr., „Divisionstagesbefehl Nr. 16" vom 14.4.1944: „Es gibt bei Truppen und Stäben jetzt nurmehr die zugestandene Zahl von Frauen zum Waschen, Flicken und notfalls als Küchen-Hilfskräfte. Darüber hinaus noch die Hiwis und Hiwi-Anwärter, sonst dürfen sich bei den Truppen keinerlei Zivilisten und Kriegsgefangene mehr befinden. [ . . . ] Ich verbiete jeden Aufwartedienst durch zivile Hilfskräfte [••·]·" 296. Inf. Div., Kdr., „Divisionstagesbefehl Nr.28" vom 12.6.1944: „Wenn ich immer noch Soldaten ohne Waffe, Gasmaske, ohne [Koppel] umgeschnallt, mit völlig aufgeknöpftem Rock herumlaufen sehe oder auch Fahrzeuge beobachte, schlecht bespannt, mit einem kutschierenden Soldaten auf dem Bock und einem schlafenden H i w i oder beide schlafend, schließlich noch in Begleitung von Weiberleuten, so ist mir das ein Beweis, daß es noch an der Zucht, Ordnung und Disziplin, an der Einsicht und der Erkenntnis der Forderungen unserer derzeitigen Lage fehlt." Vgl. Creveld, Technology and War, S. 1 : „War is completely permeated by technology and governed by it." Ferner Kaufmann, Technisiertes Militär, S. 199. Angaben nach: Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 1, S. 72; Keilig, Das Deutsche Heer, Lieferung 101,1,2. Zur Waffentechnologie vgl. Hahn, Waffen und Geheimwaffen, 2 Bde.

34

1. F o r m a t i o n e n

liber: 3,7 cm), 93 leichte u n d 54 mittlere G r a n a t w e r f e r (Kaliber: 5 cm bzw. 8 cm), 20 leichte u n d 6 schwere Infanteriegeschütze (Kaliber: 7,5 cm bzw. 15 cm), 9 Flammwerfer, 3 Panzerspähwagen, 36 leichte u n d 12 schwere Feldhaubitzen (Kaliber: 10,5 cm bzw. 15 cm).

Zahlen wie diese vermitteln nicht nur eine Vorstellung von der Technisierung und Vernichtungskraft einer Division 2 2 , sondern auch von den Aufgaben ihrer Angehörigen. Dass diese „Krieg führten", ist ein sehr allgemeiner Befund. Wenn ein Vertreter der „neuen Militärgeschichtsschreibung" festgestellt hat, „wir wissen noch kaum, wann welche Soldaten das ein oder das andere taten" 2 3 , dann erscheint es notwendig, sich genau dieser Frage zu stellen. U n d deren Beantwortung beginnt mit den Funktionen, die das militärische System für seine Soldaten vorgesehen hatte. Gewiss wäre es abwegig, die Biographien dieser Soldaten allein darauf zu reduzieren; nicht minder abwegig wäre es aber, diese zu ignorieren. D e n n mit dem Platz, den der einzelne in einem militärischen System einnahm, entschied sich viel: Wo erlebte er den Krieg? Was tat er dabei eigentlich? In was für Gruppen war er eingebunden? U n d wie groß waren seine persönlichen Spielräume?

1.1.2

Aufgaben

Einen ersten Anhaltspunkt bilden die Waffengattungen, aus denen sich eine Division nach dem Prinzip des Baukastens zusammensetzte. Diese Waffengattungen konnten sich in ihrer Organisation, Ausrüstung, Beweglichkeit und Funktion, aber auch in ihrem Selbstverständnis und Ansehen sehr unterscheiden, so dass schon durch sie ein erstes, wenn auch zunächst noch sehr skizzenhaftes Bild von den dort eingesetzten Soldaten entsteht. Kampftruppen 2 4 „Hauptwaffengattung" 2 5 des deutschen Heeres war und blieb damals die Infanterie. Die Infanteristen waren so etwas wie die „Arbeitspferde" der Wehrmacht, und was John Steinbeck f ü r die Infanterie der US-Army festgestellt hat, das galt auch f ü r ihr deutsches Pendant 2 6 : „Der einfache Infanterist hatte die schmutzigste, ermüdendste Aufgabe im ganzen Krieg, und er wurde kaum dafür gelohnt." Immerhin war die deutsche Infanterie seit dem Ersten Weltkrieg schlagkräftiger und mobiler geworden 2 7 . Schon 1939 verfügten die Infanterie- (seit O k t o b e r 1942:

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26 27

Vgl. Lidschun/Wollert, Enzyklopädie der Infanteriewaffen, Bd.I, S. 18. Vgl. Kühne, Victimisierungsfalle, S. 193. Die hier verwandte Zusammenfassung der Waffengattungen orientiert sich an der modernen Begrifflichkeit, die übersichtlicher ist. Innerhalb der Wehrmacht war das Feldheer lediglich unterteilt in die drei Gruppen: Fechtende Truppen, Versorgungstruppen, Sicherungstruppen. Vgl. Absolon, Die Wehrmacht, Bd. V, S. 84 f. Schottelius/Caspar, Organisation, S.345. Vgl. mit dem Urteil von Müller, Rüstungspolitik, S. 619 sowie von Senger und Etterlin, Krieg in Europa, S.288f.: „Infanterie - Königin des Schlachtfelds". Dieses Urteil, das erst während des Krieges entstand, scheint um so bemerkenswerter, als Senger und Etterlin der Kavallerietruppe entstammte und im Januar 1944 zum General der Panzertruppe ernannt wurde. Steinbeck, An den Pforten der Hölle, S. 8. Vgl. zu diesem Aspekt die eingehende Darstellung von Storz, Kriegsbild und Rüstung vor 1914.

1.1 D i e Division

35

Gre«dí&er- 28 )Regimenter der Wehrmacht über zwölf verschiedene Waffen 29 und eine entsprechende Anzahl an Spezialisten - neben den Schützen auch Fernmelder, Reiter, Sanitäter oder Fahrer, die einen Teil der Ausrüstung transportierten, um ihre Kameraden wiederum beweglicher zu machen. Doch sollte all das nicht wirklich genügen. Vielmehr brachte der Krieg immer mehr zum Vorschein, dass die wichtigste und größte Waffengattung der Wehrmacht den militärischen Anforderungen immer weniger gewachsen war 3 0 . Sieht man einmal von der Einführung des gefürchteten M G 42 ab, so änderte sich an der Ausrüstung der deutschen Infanterie bis 1944 nur wenig 31 . Vor allem den Panzer- und Luftangriffen des Gegners hatte sie immer weniger entgegenzusetzen. Begriffe wie „Panzernahkampf" 32 waren nur ein Euphemismus dafür, dass man gerade das „Fußvolk" brutal „verheizte". „Mißbrauchte Infanterie" nannte ein deutscher General seine Memoiren 33 , während Heinrich Boll einen Veteranen sagen lässt: „Ach gäbe es nur Infanteristen, das ganze Geschrei Krieg oder Nichtkrieg wäre überflüssig. Es gäbe keine mehr." 3 4 Solche Erfahrungen zeigen, wie begrenzt die Schlagkraft der Wehrmacht im Grunde genommen war; sie konnte Blitzfeldzüge in Europa gewinnen, für einen langen und kräftezehrenden Weltkrieg aber war sie kaum gerüstet 35 . Was der deutschen Infanterie fehlte, waren vor allem Fahrzeuge und schwere Waffen. Dies hatte sich teilweise schon vor dem Krieg abgezeichnet. So sollte jede aktive Division ursprünglich noch ein Maschinengewehr-Bataillon bekommen, bis Kriegsbeginn reichte es nur zu je einer Kompanie 36 . Blieb die Unterstützung von Luftwaffe und Flak aus - was im Verlauf des Krieges immer häufiger geschah - , dann waren die deutschen Divisionen der gegnerischen Luftwaffe weitgehend schutzlos ausgeliefert37. Zu schwach war auch ihre Panzerabwehr. Die Panzerabwehr- (seit März 1940 3 8 : P4«2er/¿ger)-Abteilung der Division verfügte zwar über viele Kanonen, immerhin 28 29

30

31

32

33 34 35

36 37

38

Vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd. VI, S. 239. Handgranate, Pistole, Gewehr, Maschinenpistole, Präzisionsgewehr, leichtes und schweres Maschinengewehr, leichter und mittlerer Granatwerfer, leichtes und schweres Infanteriegeschütz, Panzerabwehrkanone. Ein Regiment bestand aus 3 Infanterie-Bataillonen mit je vier Kompanien sowie einer 13. (Infanteriegeschütze) und einer 14. Kompanie (Panzerjäger) und einer leichten Infanteriekolonne. Metz, Die deutsche Infanterie, in: Die Deutsche Wehrmacht 1914— 1939, S. 169-207, hier S.202. Ferner Barker, Die deutschen Infanteriewaffen. Vgl. hierzu Hürter, Heinrici, S.68 (Brief vom 11.7.1941): „Der Bolschewik kämpft vorläufig am Dnjepr. An einzelnen Stellen ist er schon überschritten. Das bedeutet für uns laufen, daß die Zunge heraushängt, immer laufen, laufen, laufen. Ich glaube nach dem Kriege schafft man die Infanterie ab. Der Unterschied zwischen Motor u[nd] Mensch ist zu groß." Erst 1944 veränderte sich die Situation der Infanterie grundlegend durch die Einführung des Sturmgewehrs 44, der Panzerfaust und der Raketenpanzerbüchse „Panzerschreck". Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1636: Pz. A O K 2, Abt. I a, Befehl betr. „Bildung von Panzervernichtungstrupps" vom 9.1.1942. Ferner Müller, Rüstungspolitik, S.622ff.; Buchner, Handbuch, S. 41 ff. Fretter-Pico, Mißbrauchte Infanterie (1957). Boll, Vermächtnis, S.58. Bereits im Laufe des Jahres 1942 wurden die insgesamt neun Bataillone Infanterie, die zu einer Division gehörten, auf sechs gekürzt. Vgl. Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 948. Vorgesehen waren 48 schwere MGs und 12 2-cm-Fla-Kanonen. Vgl. hierzu Freter, Heeres-Fla. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 13.7.1941: „Die feindl. Luftaufklärung kommt über dem Kampfraum der Div. nahezu ungehindert durch, weil keinerlei Flakkräfte zur Verfügung stehen und eigene Luftwaffe in der Gegend nicht eingesetzt ist." Vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd.V, S.303.

36

1.

Formationen

75 Stück 3 9 , die sich aber mit ihrem Kaliber von 3,7 cm schon 1940 als Auslaufmodell erwiesen hatten. Zu einer „Umbewaffnung mit einem leistungsfähigeren Geschütz", die man für „dringend notwendig" hielt 40 , war es aber nicht gekommen, so dass diese zierlichen Waffen gegen die „schwersten Panzer" der Roten Armee nur wenig Chancen besaßen 4 1 . Dass ein Zug einer Panzerjäger-Abteilung „durch Niederwalzen seine sämtlichen Waffen" verlor 4 2 , kam nicht nur einmal vor. Auch die Abhängigkeit von Zugmaschinen sorgte immer wieder für Probleme. Erst im Laufe des Krieges konnte die Einführung von stärkeren Waffen und Selbstfahrlafetten diese eklatante Unterlegenheit etwas ausgleichen 43 . Doch blieb auch die Panzerabwehr für die deutschen Divisionen des Zweiten Weltkriegs bis 1944 eine ausgesprochene Achillesferse. Besser gerüstet war die Aufklärungs-Abteilung; sie sollte erkunden, sichern oder auch verschleiern, und zwar „an der Spitze", mitunter bis zu 30 Kilometer vor den eigenen Linien 4 4 . Kennzeichen dieser heterogenen Formation war ihre Beweglichkeit: Reiter, Radfahrer, ein motorisierter Nachrichtenzug sowie Panzerspähwagen und einige Geschütze hatten dafür zu sorgen, dass die Divisionsführung nicht blind agierte. Mit dem Ende des Bewegungskrieges verloren solche Einheiten jedoch ihren Sinn, so dass sie nun als „Schnelle Abteilung" (später unter der Traditionsbezeichnung Füsilier-Bataillon) meist als Divisions-Reserve fungierten 45 . Kampfunterstützungstruppen Neben der Infanterie beanspruchte die Artillerie die meisten Kräfte in einer Division, für die gewöhnlich neun leichte und drei schwere Batterien vorgesehen waren, zuweilen auch eine Abteilung Beobachtender Artillerie 46 . Die Artillerie war bereits im Ersten Weltkrieg das zentrale Instrument der Kriegführung gewesen und auch im Zweiten war ihre Bedeutung viel höher, als gemeinhin vermutet wird. Hier war die Feuerkraft der Division am stärksten, hier reichte sie (mit bis zu 15 Kilometern) am weitesten. Bei der Artillerie handelte es sich seit alters her um eine ausgesprochen technisierte Waffengattung, und entsprechend unterschiedlich waren die Funktionen ihrer Angehörigen: In einer einzigen Batterie waren Rieht-, Lade-, Munitionskanoniere und Geschützführer im Einsatz, ferner Vorgeschobene Beobachter, Funker, Fernsprecher und Vermesser. Des weiteren waren, da die meisten deutschen Artillerie-Regimenter 1939 noch bespannt in den Krieg zogen, 39 40

41

42

43 44 45 46

Hierzu: Fleischer/Eiermann, Panzerjägertruppe 1935-1945. B A - M A , R H 5 3 - 7 h . 2 0 6 : 4. P z . Div., A b t . I a, „ E r f a h r u n g s b e r i c h t der 4. P a n z e r - D i v i s i o n ü b e r den Westfeldzug", o . D . , S.6. Vgl. e t w a B A - M A , R H 2 4 - 4 / 3 9 : IV. A . K . , A b t . I a, F e r n s p r u c h an A O K 17 v o m 2 8 . 6 . 1 9 4 1 : „ A u f t r e t e n s c h w e r s t e r P a n z e r [ . . . ] einwandfrei festgestellt. W i r k u n g gegen d e r e n P a n z e r [sie] bei 3 , 7 u n d 5 c m P a k fraglich. W i r k u n g gegen K e t t e stets v o r h a n d e n . " E i n g a n z ähnliches F a z i t z o g die P a n z e r - S o n d e r k o m m i s s i o n des H e e r e s - W a f f e n a m t s , w e l c h e die 2. P a n z e r a r m e e u n d hier a u c h das P a n z e r - R e g i m e n t 3 5 a m 1 8 . 1 1 . 1 9 4 1 besuchte. B A - M A , R H 2 1 - 2 / 2 4 4 : P z . A O K 2, A b t . I a, K r i e g s t a g e b u c h , E i n t r a g v o m 1 8 . 1 1 . 1 9 4 1 . B A - M A , R H 2 4 - 2 4 / 1 3 8 : 2 9 6 . Inf. Div., M e l d u n g an X X I V . P z . K o r p s v o m 1 0 . 1 2 . 1 9 4 1 . Vgl. a u c h Schaub, P a n z e r - G r e n a d i e r - R e g i m e n t 12, S. 1 1 4 : „ D a s ,leichte H e e r e s a n k l o p f g e r ä t ' ( 3 , 7 c m - P a k ) ist längst reif fürs K r i e g s m u s e u m . " Vgl. Senger u n d E t t e r l i n , G e s c h ü t z e , S . 5 7 f f . G e n e r e l l hierzu vgl. T o l m e i n , S p ä h t r u p p , insbes. S. 7 0 f f . Vgl. Richter, D i e feldgrauen Reiter, S. 1 7 6 . J e eine V e r m e s s u n g s - , L i c h t m e s s - u n d S c h a l l m e s s - B a t t e r i e u n d ein W e t t e r - Z u g .

1.1 D i e D i v i s i o n

37

Bespannte Artillerie und Fieseier Storch, Mai 1942. Das Bild symbolisiert das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Modernität, das nicht nur im Technischen und Militärischen charakteristisch für die Wehrmacht war. (Quelle:IfZ-Archiv)

Fahrer nötig sowie Schmiede, Pferdepfleger und Veterinäre 47 . Schon dieses Beispiel zeigt, wie sehr allein in einer einzigen Waffengattung die militärischen Funktionen und mit ihnen auch die Erfahrung „des" Krieges differieren konnten. Eines war freilich allen Artilleristen gemeinsam; ihre Chancen, den Krieg zu überleben, waren deutlich größer als etwa bei der Infanterie 48 . Dass von den drei „Kronzeugen" unserer Kampfverbände zwei Artilleristen waren, ist sicherlich kein Zufall. Das Pionier-Bataillon der Division 49 war faktisch mehr als nur eine Unterstützungstruppe, oft waren die Pioniere die ersten am Feind. Das Bataillon sollte nicht nur Sperren beseitigen, Stellungen anlegen oder den angreifenden Truppen den Weg bahnen - über feindliche Stellungen, Minenfelder oder Gewässer hinweg. Ausgerüstet mit Sprengstoff, Minen oder Flammwerfer handelte es sich hier weniger um Bau- als um Kampftruppen, die häufig als Schwerpunktwaffe dienten.

47

48

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Vgl. hierzu Engelmann/Scheibert, Deutsche Artillerie 1934-1945; Senger und Etterlin (Hrsg.), Geschütze. Dass die Verluste der Kampfeinheiten mit 9 1 % signifikant höher waren als die der Artillerie und der Unterstützungseinneiten (8 und 1 % ) , belegt Rass, „Menschenmaterial", S . 7 9 . Interessant auch das Urteil von L e w Kopelew, der meinte, dass die Artilleristen und Pioniere nicht so schnell hart und rau geworden seien wie ihre Kameraden von der Infanterie. Vgl. Kopelew, Aufbewahren für alle Zeit!, S. 104. Drei motorisierte Kompanien sowie je eine B r ü c k e n - und G e r ä t e - K o l o n n e . Vgl. hierzu Riebenstahl, Pioniere.

38

1. Formationen

Führungstruppen N e b e n den N a c h r i c h t e n e i n h e i t e n in d e n R e g i m e n t e r n , die i m m e r h i n fast sechs P r o z e n t ihrer G e s a m t s t ä r k e a u s m a c h t e n 5 0 , v e r f ü g t e die D i v i s i o n z u s ä t z l i c h ü b e r eine eigene Nachrichten-Abteilung51.

I n D e u t s c h l a n d b e s a ß m a n traditionell viel

E r f a h r u n g m i t h o c h e n t w i c k e l t e r N a c h r i c h t e n t e c h n i k 5 2 , m i t d e r die A r m e e a n d e r e S c h w a c h p u n k t e k o m p e n s i e r e n k o n n t e . Z w a r h a t t e d e r Versailler V e r t r a g diese E n t w i c k l u n g für k u r z e Z e i t u n t e r b r o c h e n , d o c h w a r es d e r W e h r m a c h t bis 1 9 3 9 gelungen, die „ m o d e r n s t e F e r n m e l d e t r u p p e " i h r e r Z e i t a u f z u b a u e n 5 3 . E i n e g u t funktionierende und rasche K o m m u n i k a t i o n garantierte Kontrolle und K o o r d i n a t i o n , a b e r a u c h A u f k l ä r u n g u n d n i c h t z u l e t z t die U b e r w i n d u n g v o n R ä u m e n , w a s g e r a d e f ü r einen V e r b a n d v o n d e r G r ö ß e einer D i v i s i o n u n a b d i n g b a r w a r 5 4 . Ersatz- und Versorgungstruppen A u c h ein F r o n t v e r b a n d h a t t e eine E t a p p e , d e n n er sollte sich ja selbst v e r s o r g e n . Z u d i e s e m Z w e c k f o r m i e r t e jede D i v i s i o n d e r W e h r m a c h t m i t d e r M o b i l m a c h u n g ein w e i t v e r z w e i g t e s , w e i t g e h e n d m o t o r i s i e r t e s N a c h s c h u b s y s t e m 5 5 . S c h o n seine Teile: eine Werkstatt-,

eine Nachschub-,

eine Bäckerei-

u n d eine

Schlächterei-Kom-

panie, a c h t Kraftwagen-

u n d eine Betriebsstoff-Kolonne56,

z w e i Sanitäts-

Vetenraär-Kompanie,

z w e i Krankenkraftwagen-Kompanien,

ein

ein Feldpost&mt5%

s o w i e ein Feldgendarmerie-Ύηιρρ,

u n d eine

Feldlazarett57,

lassen e r k e n n e n , w i e viele

logistische F u n k t i o n e n in einer einzigen D i v i s i o n v e r s a m m e l t w a r e n , die ein sionsnachschubführer,

50 51

52 53

54

55

56 57

58

59

Divi-

meist ein M a j o r , k o o r d i n i e r t e 5 9 . Z u diesen 1 7 4 7 S o l d a t e n

Vgl. Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 1, S. 73. Je eine Fernsprech- und Funkkompanie, ein Nachrichtenaufklärungszug und eine Geräte-Kolonne. Vgl. Niehaus, Die Nachrichtentruppe; Kampe, Heeres-Nachrichtentruppe. Insbesondere mit der Telegrafie. Vgl. hierzu Dudley, The Word and the Sword, S. 181 ff. So das Urteil von Schottelius/Caspar, Organisation, S. 357. Vgl. auch Wildhagen, Erich Fellgiebel; Kaufmann, Kommunikationstechnik und Kriegführung 1815-1945, S.262ff.; ders., Telefon und Krieg, S. 7-25. Es spricht für sich, wenn selbst die deutsche Nachrichtentruppe im Ostkrieg an ihre Grenzen stieß. So registrierte man bei der 4. Pz. Div. schon im September 1941, „daß die Ausstattung mit Funkgeräten und deren Reichweite im großen Raum unzureichend sind". IfZ-Archiv, MA 1589: 4. Pz. Div., 5. Pz. Brig., „Gefechtsbericht für die Zeit vom 13.9.-18.9.1941" vom 20.9.1941. Vgl. hierzu etwa B A - M A , R H 26-45/2: „Kriegstagebuch der 45. Division vom polnischen Feldzug im Jahre 1939", Anlage 3: „Versorgung der Division im Feldzug gegen Polen 1939", wo die Mobilmachung der rückwärtigen Dienste während der „Spannungszeit" detailliert geschildert wird. Die zeitgenössischen Bezeichnungen für die Logistiktruppen waren uneinheitlich; 1942 wurden sieben Kategorien in der Wehrmacht eingeführt: Nachschub-, Verwaltungs-, Sanitäts-, Veterinär·, Kraftfahrpark- und Ordnungstruppen sowie die Feldpost. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1624: 45. Inf. Div., Abt.I a, Anlage 122: Führungsanordnung Nr.7 vom 2.11.1942. Vgl. hierzu Milson, German Military Transport. Das Feldlazarett wurde im Verlauf des Krieges wieder von der Divisionsebene abgezogen. Zum Zentrum der medizinischen Betreuung wurden nun die Armee-Sanitäts-Abteilungen. Vgl. Neumann, Arzttum, S. 88f. Ferner: Feldchirurgie. Leitfaden für den Sanitätsoffizier in der Wehrmacht. Hrsg. von H. Käfer, Dresden 1942. Vgl. hierzu Oberleitner, Geschichte der Deutschen Feldpost; Hinrichsen, Deutsche Feldpost 1939-1945; Ueberschär, Deutsche Reichspost 1933-1945, Bd.II, S.37ff. Wie groß die Aufgaben selbst eines Feldpostamts waren, illustriert das Beispiel der 4. Panzerdivision, dessen Feldpostamt bis Oktober 1941 36000 Postsäcke mit einem Gesamtgewicht von 1095000 kg beförderte. Sturm im Osten, S.206. Seit 15.10.1942: „Kommandeur der Infanterie-Divisions-Nachschubtruppen".

1.1 D i e Division

39

der Rückwärtigen Dienste kamen noch einmal 1 695 Soldaten, die den „gefechtsnahen" Tross bildeten, also der kämpfenden Truppe zugeordnet waren 60 . Für sich genommen war das viel, im internationalen Vergleich war es wenig. Obwohl schon Clausewitz erkannt hatte, dass sich mit einer „Verminderung des Trosses" zwar Kräfte einsparen, aber kaum die Bewegungen beschleunigen ließen 61 , hatte die Wehrmacht daraus nicht wirklich Konsequenzen gezogen. In einer Infanteriedivision kamen auf 81 „Kämpfer" 19 „Versorger", im gesamten deutschen Feldheer lag dieses Verhältnis sogar bei 85 zu 15. Wie spartanisch die Logistik der Wehrmacht aufs Ganze gesehen war, zeigt der Vergleich mit einer verwöhnten Streitmacht wie der US-Army, in der auf 57 „Kämpfer" 43 „Versorger" kamen 62 . An dieser Relation lassen sich gleich mehrere Dinge ablesen - etwa, wie sehr die deutsche Kriegsmaschinerie auf den Kampf an der Front ausgerichtet war, wie sehr sie ihre Etappe ausgedünnt hatte oder wie gering ihre logistischen Spielräume waren 63 , so dass die Truppe schon bald „von der Hand in den Mund" lebte, wenn der Krieg länger dauerte oder wenn sich ihre Einsatzräume weiter von der Heimat entfernten 64 . Auch anderes wird nachvollziehbar: der eigenartige Widerspruch, dass sich die deutschen Invasoren selbst in der Phase ihrer operativen Initiative ständig mit technischen oder logistischen Problemen herumschlagen mussten, oder der gewaltige Bedarf der Wehrmacht an „Hilfswilligen" und einheimischen Arbeitskräften. Sobald eine militärische Auseinandersetzung den zeitlich knapp bemessenen Rahmen eines „Blitzfeldzugs" sprengte, war die Logistik dieser Armee gefährdet 65 . Denn der Bedarf der Truppe war enorm. Eine einzige Infanteriedivision benötigte pro Tag 170 Tonnen - Nahrung, Munition 66 , Treibstoff und anderes mehr; noch höher war die „Bedarfsmenge" einer motorisierten Division 67 . Dieses Material musste Tag für Tag empfangen oder requiriert, transportiert, verarbeitet, 60

61

62

63 64 65

66

67

Unterschieden wurde hier zwischen dem Gefechtstross (Munition, Ersatzteile und unmittelbarer Bedarf der Truppe), dem Verpflegungstross (Verpflegung), dem Gepäcktross (75 % des Marschgepäcks) und den leichten Kolonnen (Bindeglied zwischen der Truppe und den Nachschubdepots). Vgl. Bieringer, Nachschubfibel, S. 20. Clausewitz, Vom Kriege, S.298. Das wurde auch in der Wehrmacht so gesehen, ohne dass daraus aber Konsequenzen gezogen wurden. Vgl. Bieringer, Nachschubfibel, S. 9. Vgl. Creveld, Kampfkraft, S.69ff. Bereits 1954 war der Anteil der Angehörigen der US-Army, die rein militärische Funktionen ausübten, sogar auf 2 9 % gesunken. Vgl. Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 9, S. 159. Vgl. auch mit der Bewertung durch Overy, Wurzeln des Sieges, S.409f. B A - M A , R H 21-2/244: Pz. A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 24.11.1941. Der Generalquartiermeister des Heeres hatte schon bei einem Planspiel im Februar 1941 erkannt, dass die Versorgung des Ostheers mit dem Angriff auf die Sowjetunion die Grenzen des Machbaren überschreiten würde. Vgl. Gerlach, Morde, S. 783. Davon waren zwischen 30 und 45 Tonnen Lebensmittel und Futter. Die Grundausstattung einer Division an Munition wog insgesamt 615 Tonnen. Vgl. Buchner, Handbuch, S. 72 f.; Keilig, Das Deutsche Heer, Lieferung 101,1, 10. Die Abt. I b bei den Panzerdivisionen waren oft zu einer Quartiermeister-Abteilung erweitert; außerdem war in diesen Divisionen noch ein Divisionsingenieur eingesetzt, der die Abt.V „Kraftfahrwesen" betreute. Die Transportkapazität einer motorisierten Division betrug fast 500 Tonnen, ihr täglicher Durchschnittsverbrauch an Munition (Westfeldzug) 27 Tonnen. IfZ-Archiv, MA 1579: 4. Pz. Div., Abt. I b, „Munitions-Verbrauch Einsatz West", o.D.; IfZ-Archiv, MA 1582: 4. Pz. Div., Abt.I a, „Zustandsbericht der Division" vom 28.12.1941. Zum Treibstoff-Verbrauch vgl. IfZ-Archiv, MA 1593: 4. Pz. Div., Abt.I b, Denkschrift „Die Betriebsstoff-Versorgung der 4. Panzerdivision im Einsatz Rußland", o . D . [April 1942].

40

1. Formationen

v e r t e i l t u n d e n t s o r g t w e r d e n 6 8 . D i e B ä c k e r e i - u n d die

Schlächterei-Kompanien

w a r e n d a h e r k l e i n e F a b r i k e n : t ä g l i c h s o l l t e n ca. 1 2 0 0 0 B r o t e g e b a c k e n , b z w . 1 5 Rinder, 120 Schweine oder 2 4 0 Schafe verarbeitet w e r d e n 6 9 . M i t täglich knapp viertausend Kilokalorien war der Versorgungssatz der deutschen Soldaten sehr h o c h 7 0 . A l l e r d i n g s s a h die W i r k l i c h k e i t i m K r i e g o f t a n d e r s a u s 7 1 . A u c h in d e r W e h r m a c h t k a m es h ä u f i g v o r , d a s s s i c h d e r P l a t z i n d e r N a h r u n g s k e t t e m i t z u n e h mender N ä h e zur F r o n t kontinuierlich verschlechterte. N o c h übler waren freilich j e n e d r a n , w e l c h e d i e d e u t s c h e n S o l d a t e n als u n g e b e t e n e , a b e r a n s p r u c h s v o l l e G ä s t e b e w i r t e n m u s s t e n . G a n z u n a b h ä n g i g d a v o n , o b es s i c h n u n u m e i n e g e r e g e l t e o d e r u m e i n e i m p r o v i s i e r t e V e r s o r g u n g h a n d e l t e , f ü r die E i n h e i m i s c h e n w u r d e das d e u t s c h e P r i n z i p des „ L e b e n s aus d e m L a n d e " 7 2 a u f j e d e n F a l l z u r ö k o n o m i s c h e n Katastrophe. D e n Personalersatz für eine D i v i s i o n organisierten ihre

Feldersatz-Einheiten,

die g l e i c h z e i t i g e i n e A r t S c h a r n i e r z w i s c h e n F r o n t , E t a p p e u n d H e i m a t b i l d e t e n . D i e Z w e i t e i l u n g d e r d e u t s c h e n L a n d s t r e i t k r ä f t e in j e e i n Feld-

u n d ein

Ersatzheer

( l e t z t e r e s w a r f ü r die A u s b i l d u n g d e r R e k r u t e n z u s t ä n d i g ) s e t z t e s i c h f o r t b i s a u f die H i e r a r c h i e e b e n e d e r D i v i s i o n . D i e s e F e l d e r s a t z - B a t a i l l o n e , die es i n d e r H e i mat wie auch im Gefechtsgebiet73

gab, w a r e n keine a n o n y m e n

Ausbildungs-

zentren, s o n d e r n v o n v o r n h e r e i n Teil „ i h r e r " D i v i s i o n 7 4 . M a r t i n van C r e v e l d hat die V o r z ü g e d i e s e s d e z e n t r a l e n A u s b i l d u n g s s y s t e m s a u f g e z ä h l t : es g a r a n t i e r t e e i n e

68

69 70 71

72

73

74

IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., A b t . I b , Vermerk „Planspiel beim A O K 4 vom 22.24.5.1941". Vgl. Buchner, Handbuch, S.72f. Peltner, Soldatenernährung, S. 159. Ferner Thoms, „Ernährung ist so wichtig wie Munition". Die 4. Pz. Div. gestand schon während des Krieges ein, dass ihre Angehörigen während der Winterkrise 1941/42 oft nicht mehr im Magen hatten „als Brocken gefrorenen Brotes". Sturm im Osten, S.293. So auch Neumann, 4. Panzerdivision, S.465, 531 sowie Schaub, Panzergrenadier-Regiment 12: „Das Hauptnahrungsmittel in dieser Zeit sind Dauerbrot und Graupen. Für Abwechslung im Speisezettel sorgt nicht die Küche - sie kann nicht dafür sorgen - sondern der Landserhumor." Ännlich die Verhältnisse bei der 45. Inf. Div.: „Truppe ist eingesetzt und hungert." BA-MA, R H 26-45/46: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 28.12.1941. Noch drei Monate später schrieb ein Unteroffizier der 45. ID, er sei „ganz scnwindlich [...] vor Hunger". Brot gebe „es keines mehr, das Essen [sei] leer und dünn": B A - M A , MSg 3-217/1: Linzer Turm 26 (1983), Nr. 102: [Uffz. Adolf Bräuer], Aus dem Kriegstagebuch eines Sanitätsunteroffiziers, Eintrag vom 29.3.1942. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt. IV a, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.3. bis 28.12.1941, Eintrag vom 30.8.1941. Vgl. etwa den Befehl der 2. Panzerarmee vom 24.2.1942 (BA-MA, R H 24-24/136: Pz. A O K 2, Abt.I a, Befehl vom 24.2.1942), mit dem diese jeder Division befahl, ein Feldersatz-Bataillon aufzustellen; hierin wäre aufzunehmen: a) der neu eingetroffene Ersatz, „der noch nicht genügend ausgebildet erscheint", b) „vorübergehend schonungsbedürftige Frontkämpfer, c) Spezialisten, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt werden sollen, d) Unterfuhreranwärter, die besonders geschult werden. Das Btl. ist nicht als Fronttruppe einzusetzen, sondern dient lediglich zu Ausbildungs-, Auffrischungs- und Ergänzungszwecken. Die dorthin kommandierten Führer und Unterführer sind gleichzeitig Führerreserve der Division." In diesem Sinne auch: IfZ-Archiv, MA 1636: Pz. A O K 2, O B , Abt. I a, Weisung betr. „Ausbildung des Ersatzes" vom 21.3.1942. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div., Abt. II a, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 21.4. bis 30.9.1940. Ferner Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 820ff. sowie die Graphik auf S.831. Eine weitere Variante des Ersatzwesens stellten die „Ergänzungstruppenteile" dar, deren Aufgabe es war, die ungedienten Jahrgänge möglichst rasch auszubilden. Vgl. etwa B A - M A , MSg 3-217/1: Linzer Turm 20 (1977), Nr. 78: Hans Rödhammer, Die Ergänzungs-Truppenteile der 45. Inf.-Division 1938-1939.

1.1 D i e Division

41

enge Bindung zwischen Front und Heimat, eine regionale Homogenität jedes Truppenteils, eine realitätsnahe Ausbildung und schließlich die schrittweise Integration der unerfahrenen Rekruten in die Front 7 5 . Selbst Kranke und Verwundete wurden nach ihrer Genesung - im Sommer 1941 betrug ihr Anteil immerhin 83 Prozent - „zu dem Ersatztruppenteil geschickt [...], der ihrem letzten Feldtruppenteil angegliedert war. Sie w u r d e n Ersatzkompanien bis zur Wiederherstellung ihrer Diensttauglichkeit zugeteilt, fuhren dann gemeinsam mit neuen Rekruten in denselben Marschbataillonen zu ihrem ursprünglichen Truppenteil zurück und w u r d e n dabei häufig von Offizieren angeführt, die selbst z u m aktiven Dienst zurückkehrten." 7 6 Schließlich die Feldgendarmen·. In den Kampfdivisionen der Wehrmacht blieben sie Exoten, hier waren nicht mehr als 33 Mann im Einsatz 7 7 . Gleichwohl w a r ihre Macht groß. Die „Kettenhunde" besaßen die Befugnisse von Polizisten; alle Soldaten, aber auch die einheimische Bevölkerung unterstanden ihrer Kontrolle und ihren Weisungen. Nicht selten überließ man den Feldgendarmen auch das, w a s als „Drecksarbeit" galt: die Erschießung von Geiseln, „Partisanenverdächtigen", J u den oder auch deutschen Deserteuren 7 8 . Die Existenz dieser Militärpolizei ist ein weiterer Beleg für die arbeitsteilige Struktur des militärischen Apparats, ihre geringe Größe zeigt aber auch, dass bei den Kampfverbänden der Wehrmacht militärpolizeiliche oder besatzungspolitische Aufgaben nur rudimentär vorhanden waren 7 9 . Zweifellos übernahm die Feldgendarmerie bei den Verbrechen der Wehrmacht eine Schlüsselfunktion, doch sollte nicht übersehen werden, dass sie auch die eigene Truppe zu kontrollieren hatte. Auch in ihrem Fall hing viel davon ab, was der jeweilige Kommandeur aus einer solchen Einheit machte 8 0 . N i m m t man alles zusammen, so besaß eine Infanteriedivision der Wehrmacht durchaus solide militärische Grundlagen; bei Kriegsausbruch waren sie mit „dem Modernsten" ausgestattet, „was es 1939 gab" 8 1 . In einigen Bereichen - Artillerie, Fernmeldetruppe und in gewisser Weise auch Infanterie - w a r sie den meisten ihrer Gegner deutlich überlegen, ein weiterer Vorzug war, dass gerade die deutschen Verbände das Gefecht der verbundenen Waffen sehr gut beherrschten 8 2 . Andererseits fallen auch einige deutliche Schwachpunkte ins Auge: die eklatante Unterle75 76 77

78 79

80

81 82

Vgl. Creveld, Kampfkraft, S. 76ff.; Rass, „Menschenmaterial", S. 146ff.; ders. Sozialprofil, S.693f. Creveld, Kampfkraft, S. 123. Ferner Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1, S. 125. In einer motorisierten Division 64 Feldgendarmen. Diese Einheiten waren durchgehend motorisiert. Vgl. Böckle, Feldgendarmen, S. 158ff.; www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/ Ordnungstruppen. Oldenburg, Ideologie, passim. Im Gegensatz zu den Kampfverbänden war bei den Besatzungsverbänden der Wehrmacht in der Regel eine Feldgendarmerie-Abteilung im Einsatz, also ca. 400 bis 500 Mann. Aufschlussreich etwa B A - M A , R H 24-35/98: Feld-Gend.-Trupp mot. 435, Tagebuch für die Zeit vom 1 . 6 . - 3 1 . 1 2 . 1 9 4 1 . Dieser Feldgendarmerie-Trupp war Teil des X X X V . A.K., dem zeitweise auch die 45. ID unterstellt war. Teilweise fungierte dieser Trupp als Vollstrecker des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms (Erschießung eines Juden am 1 4 . 7 . 1 9 4 1 , Erschießung von fünf Zivilisten am 2 2 . 7 . 1 9 4 1 , Erschießung von 17 Juden am 7.8.1941 usw.), teilweise aber auch als Garant einer Besatzungspolitik im traditionellen Sinne. So schritt der Trupp am 9.7.1941 gegen plündernde deutsche Soldaten ein, Rückgabe von geplündertem Vieh an die Eigentümer am 27.7.1941, Verhinderung von deutscher Plünderung am 3 0 . 7 . 1 9 4 1 , Freilassung von zwei partisanenverdächtigen Zivilisten am 8 . 8 . 1 9 4 1 usw. Beide Listen ließen sich fortsetzen. Schottelius/Caspar, Organisation, S . 3 1 2 . Skeptischer: Frieser, Blitzkrieg-Legende, S.37. Vgl. mit dem Urteil von Frieser, Kursker Bogen, S. 167.

42 Graphik 1:

1. Formationen Verteilung des Personals einer deutschen Infanteriedivision,

1939-1941



Kampftruppen

Β

Kampfunterstützungstruppen



Führungstruppen

Η Tross

52%



Versorgungstruppen



Feldersatztruppen

genheit bei der Panzer- und Fliegerabwehr, die mangelnde Motorisierung und die unzureichende Logistik. Trotzdem sprechen schon die frappierenden Anfangserfolge dieser Divisionen wie auch ihr erstaunliches Durchhaltevermögen für deren militärische Effizienz. Schließlich verdient noch ein Punkt Beachtung: Die Kampfdivisionen der Wehrmacht waren so organisiert, dass sich fast alles auf eine einzige Aufgabe konzentrierte, auf das Herbeiführen einer militärischen Entscheidung. Alles andere hatte dahinter zurückzustehen. Selbst Funktionen, auf die ein militärisches System eigentlich angewiesen war, Funktionen wirtschaftlicher oder politischer Art, waren zumindest in der durchschnittlichen deutschen Kampfdivision auf das Allernötigste reduziert. Das soll nicht heißen, dass es sich bei dieser Armee quasi um eine politikfreie Zone gehandelt habe - im Gegenteil: Spätestens seit Clausewitz wissen wir von den unauflösbaren Zusammenhängen zwischen Krieg und Politik. D o c h ist auch richtig, dass diese Zusammenhänge arbeitsteilig organisiert sind und dass sich im Falle der Wehrmacht die meisten ihrer Angehörigen in der Regel auf nichts anderes zu konzentrieren hatten als auf das Kriegshandwerk in seiner ursprünglichsten Form, erinnert sei an das quantitative Ubergewicht der Kampftruppen. Die Existenz dieser Soldaten war in einem unvorstellbar hohen Maß geprägt durch den militärischen Apparat, oder genauer: durch die Aufgabe, die ihnen dieser Apparat zuwies. „Wir haben ja nichts anderes zu tun, als zu gehorchen , . . " 8 3 , charakterisierte ein Unteroffizier der 4. Panzerdivision seine Situation, während ein Feldwebel aus einem Dulag bekannte, man wisse „von den großen politischen Dingen gar nichts mehr" 8 4 . Eine Privatsphäre war für ihresgleichen kaum vorgesehen: etwas Feldpost, wenig „dienstfreie" Zeit 8 5 und ein knapp bemessener Urlaub 8 6 , der

83 84 85

86

BfZ, Slg. Sterz, 44705, Brief L. D. vom 22.2.1943. Jarausch/Arnold, Sterben, S. 300 (Brief vom 30.8.1941). Vgl. Seitz (4. Pz. Div.), Verlorene Jahre, S. 70: „In den fast ganz mit dem Dienst ausgefüllten Tagen gab es naturgemäß wenig Freizeit. Einmal in der Woche gab es einen freien Nachmittag: Auf einigen Lastwagen fuhr dann die Batterie zum Kinobesuch nach Gonozec." Den Soldaten des Ersatzheeres standen jährlich 14 Tage, den Soldaten des Feldheeres zweimal jährlich 14 Tage Urlaub zu. Vgl. Creveld, Kampfkraft, S. 130f.; Absolon, Wehrmacht, S.303.

1.1 D i e Division

43

freilich oft der militärischen Lage zum Opfer fallen konnte 8 7 . Wenn diese „totale Erfassung des Soldaten", grosso modo Kennzeichen jedes militärischen Systems 8 8 , in der Wehrmacht gewissermaßen auf die Spitze getrieben war, dann begründete sich dies nicht allein in ihrer preußisch-deutschen Vergangenheit. Mit der nationalsozialistischen Diktatur 8 9 und dem Beginn des Krieges kamen zwei weitere Determinanten hinzu, welche die ohnehin spärlichen Freiräume ihrer Angehörigen noch weiter einschränkten. Doch war das Fundament dieser Armee beileibe nicht nur der Kadavergehorsam. Zweifellos war die Kontrolle des einzelnen durch Armee, Diktatur und Krieg extrem engmaschig und restriktiv, doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die meisten Wehrmachtsangehörigen mit ihrer Rolle als Soldat doch in einem Maße identifizierten, wie es in der Geschichte nur selten vorgekommen war.

1.1.3

Hierarchien

Zugleich aber gab es - und auch das macht die Beurteilung der Wehrmacht so schwierig - das militärische „System", den Apparat mit seinen streng ausgebildeten Hierarchien, die durch vieles: Uniform, Dienstgrad und Rangabzeichen, institutionelle und personelle Ausstattung (erinnert sei etwa an das System der Adjutanten, „Burschen" oder Fahrer) die eigene Position scharf markierten. Eine Division war denn auch stets ein Herrschaftsverband, dessen Zusammensetzung und Funktionsweise sich auch über seine formale Hierarchie erschließt 90 . Stabsoffiziere Mit ihren knapp 18000 Mann entsprach die Größe einer Infanteriedivision bei Kriegsbeginn etwa der einer deutschen Kleinstadt. Ihre soziale Schichtung ähnelte hingegen einer relativ flachen Pyramide mit einem sehr breiten Sockel, gekrönt von einer dünnen hohen Spitze. Dort stand der Divisionskommandeur, ein Generalmajor, manchmal auch Generalleutnant, der sich als einziger Divisionsangehöriger im Generalsrang schon durch seine Uniform: hochrote Hosenstreifen, hoch-

87

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90

Vgl. hierzu Hürter, Heinrici, S. 163 (Bericht vom 8 . 5 . 1 9 4 2 ) : „Denn f ü r viele, darunter auch f ü r mich, war ja die Zeit vom Feldzugsbeginn bis heute eine ununterbrochene Dauerschlacht, ohne Urlaub, ohne Ruhe. Im 1. Weltkrieg gab es ähnliches nicht." Ferner B A - M A , R H 21-2/877: Pz. A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Eintrag vom 1 2 . 2 . 1 9 4 2 , w o ein Bericht eines Korpsarztes zitiert wird, der f ü r „den teilweise zu Tage getretenen völligen körperlichen und seelischen Zusammenbruch" der Truppe als Grund anführt, man habe der Truppe nicht „eine ausreichende Erholungsmöglichkeit geben [...] können, wie dies zum Beispiel im Weltkriege grundsätzlich geschah". Schließlich IfZ-Archiv, M A 1672: 221. Sich. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Anlage: „Während der Urlaubssperre, die seit Beginn des Ostfeldzuges bis Mitte April 42 bestand, wurde nur bei Todesfall nächster Familienangehöriger vereinzelt Sonderurlaub gewährt." König, Handbuch der empirischen Sozialforschung, S. 170; Meyer, Kriegs- und Militärsoziologie, S. 102 ff. Dies betraf nicht nur die generellen Lebensbedingungen unter der nationalsozialistischen Diktatur. Gerade die Wehrmacht wurde von Hitler unter ein besonders extremes Diktat der Geheimhaltung gestellt, was dazu führte, dass der einzelne Soldat - noch stärker als in einem militärischen Apparat üblich - seine Umwelt nur in Ausschnitten wahrnahm. Vgl. Hitlers „Grundsätzlicher Befehl" vom 1 1 . 1 . 1 9 4 0 , vom 2 5 . 9 . 1 9 4 1 sowie seine Ergänzung vom 1 2 . 7 . 1 9 4 2 . Druck: Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse", Dok. 17, 112, 174. Vgl. hierzu Bahrdt, Gesellschaft und ihre Soldaten, S . 6 0 f f .

44

1. F o r m a t i o n e n

rote Kragenspiegel sowie goldene Knöpfe und Stickereien 91 klar von allen übrigen Soldaten absetzte, über die er die Befehlsgewalt besaß. Doch konnte er sein Amt nicht allein ausüben. Es war Ausdruck der zunehmenden Differenzierung, Spezialisierung und auch Technisierung der Kriegführung, wenn auch die Divisionsspitze vom Prinzip der Arbeitsteilung und Bürokratisierung geprägt war 92 . Zu diesem Zweck war dem Kommandeur ein Divisionskommando attachiert, ein Generalstab im Kleinen mit immerhin 161 Soldaten, darunter 18 Offiziere sowie 13 Beamte 93 . Doch handelte es sich nur bei zweien um „echte" Generalstabsoffiziere, die gezielt für diese Verwendung ausgebildet worden waren. Die privilegierte Stellung dieser kleinen, hochspezialisierten Elite machten das stolze Kürzel „i. G." (im Generalstab) kenntlich, ferner ihre karmesinroten doppelten Hosenstreifen und Kragenspiegel 94 . Der Erste Generalstabsoffizier {la), meist ein Oberstleutnant, war verantwortlich für die operativ-taktische Führung der Division. Dieses Führungsgebiet besaß in der deutschen Generalstabstradition das mit Abstand höchste Prestige 95 . Auch in einem Divisionskommando besaß der I a, dessen Posten als die „Kleine Krone des Generalstabes" 96 galt, etwa die Stellung eines Chefs des Stabes 97 . Alle übrigen Offiziere des Divisionsstabs waren ihm nachgeordnet. So besaß der Zweite Generalstabsoffizier (I b), der primär die Versorgung koordinierte, gewöhnlich nur den Rang eines Majors 98 , während der Dritte Generalstabsoffizier (I c), zuständig für die Feindaufklärung, in der Regel keine Generalstabsausbildung mehr besaß, zumindest nicht in einem Divisionskommando. Nicht selten handelte es sich hier um einen Hauptmann der Reserve, der als „Gehilfe des I a" 99 diesem direkt unterstellt war.

9

' Vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd. III, S.295. Ferner Schlicht/Angolia, Wehrmacht, Bd. 1, S.226ff. Die Ausmaße des „Papierkriegs", den bereits eine einzige Division führte, ist einem entsprechenden Bedarfsplan zu entnehmen, den das A O K 6 im Oktober 1941 veröffentlichte. In der langen Liste waren pro Division u.a. vorgesehen: 26000 Blatt Schreibmaschinenpapier, 58000 Blatt Durchschlagpapier, 4700 Briefumschläge, 2100 Urlaubsscheine, 14 Liter schwarze Tinte usw. BA-MA, R H 24-17: A O K 6, Abt. O . Q u . / Q u . 1, „Besondere Anordnungen für die Versorgung und die Versorgungstruppen Nr. 63" vom 4.10.1941. Vgl. hierzu auch Hittle, The Military Staff. 93 Stärkeangabe nach Mueller-Hillebrand, Heer, B d . l , S.73. Ferner IfZ-Archiv, Da 034.008-92.1: Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege, Teil I, Berlin 1939, insbes. S. 33ff. sowie Buchner, Handbuch, S. 86 ff. 94 Vgl. Schlicht/Angolia, Wehrmacht, Bd. 1, S.249. 95 Hierzu eingehend Megargee, Hitler und die Generäle. 96 So Meier-Welcker, Aufzeichnungen eines Generalstabsoffiziers, S. 113f. BA-MA, MSg 1/1513; N L Wilhelm Hamberger, Schreiben Oberst i. G. Wöhler an Hamberger vom 20.3.1940: „Es braucht nicht gesagt zu werden, daß die Stellung des I a einer Division zweifellos die schönste für einen jüngeren Generalstabsoffizier ist." 97 Vgl. Schottelius/Caspar, Organisation, S.336. 98 Bemerkenswert ist, dass in der Wehrmacht die personelle und materielle Versorgung lediglich als Management-Aufgabe verstanden wurde. In diesem Sinne sind die deutschen Generalstabsoffiziere des Zweiten Weltkriegs durchaus als Erben des deutschen Idealismus' zu verstehen. Zum geringen Ansehen der Logistik im deutschen Heer vgl. Schüler, Logistik im Rußlandfeldzug, S.37ffi; Megargee, Hitler und die Generäle, S. 117ff. 99 IfZ-Archiv, Da 034.008-92.1: Handbuch für den Generalstabsdienst im Krieg, Teil I, S.19, 35. BA-MA, R H D 5/89: H.Dv. 89: Feindnachrichtendienst (Entwurf), Berlin 1941. Ferner Megargee, Hitler und die Generäle, S. 127ff. 92

1.1 D i e D i v i s i o n

45

Zusammen mit dem Kommandeur verkörperten diese drei Offiziere, denen jeweils ein Ordonnanzoffizier zuarbeitete 100 , die wichtigsten Führungsfunktionen der Division. Dabei unterstreichen Struktur und Aufgabenprofil dieser „Funktionselite" 101 mit ihrer klaren Akzentsetzung auf der operativ-taktischen Führung noch einmal die Dominanz des im engeren Sinne Militärischen. Trotzdem ging es in einem Divisionskommando bereits um mehr als nur um das bloße Kriegshandwerk. Die Abteilung I b ist dafür etwa ein Beispiel. Sie war für die Versorgung der Division zuständig, aber auch für jene „Etappendienste", die selbst eine Kampfdivision brauchte 102 . Da die deutsche Führung beim „Unternehmen Barbarossa" ihre „Truppen restlos aus den besetzten Gebieten" verpflegen wollte 103 , diese aber den Krieg gegen die Sowjetunion mit gerade mal 20 Tagessätzen Verpflegung eröffneten 104 , mussten die „Quartiermeister" und ihr Stab von insgesamt 58 Mann 1 0 5 zwangsläufig zu Handlagern des nationalsozialistischen Raubkriegs werden 1 0 6 . Ebenfalls zuständig war die Abteilung I b für die Besatzungspolitik im Divisionsgebiet, meist aber erst dann, wenn der Krieg erstarrte und die Einsetzung eines Kommandeurs des rückwärtigen Divisionsbereichs notwendig wurde 1 0 7 . Allerdings war dies nicht mehr als eine Interimslösung, zu mehr war die kämpfende Truppe nicht in der Lage. Wirklich „federführend" für die Besatzungspolitik im Gefechtsgebiet waren erst die Armeeoberkommandos, deren Oberquartiermeister in jener - für die deutsche Armee typischen Kombination von Logistik und Besatzungsverwaltung - sowohl für „die Versorgung der Armee" wie auch „für alle Fragen der vollziehenden Gewalt im Armeegebiet" zuständig waren 1 0 8 .

D e m I a war der 1. Ordonnanzoffizier ( O 1) zugeordnet, der für ihn die Lagekarten und das Kriegstagebuch führte, der O 2 dem I b, während der O 3 zusammen mit einigen D o l m e t schern (meist im Rang von „Sonderführern") den I c unterstützte. Angaben nach: IfZ-Archiv, D a 0 3 4 . 0 0 8 - 9 2 . 1 : Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege, Teil I, S . 5 1 f . 1 0 1 Z u m militärischen Elitebegriff vgl. Stumpf, Wehrmacht-Elite, S. Iff.; Kroener, Generationserfahrungen und Elitenwandel. 1 0 2 D e m I D waren formal für die folgenden Dienststellen verantwortlich: I b / W u G und I b / K f z . , meist zwei Hauptleute, die sich um Waffen und Geräte, bzw. die Kraftfahrzeuge der Division kümmerten, I V a: Intendanturrat, als Divisionsintendant Vorgesetzter aller Verwaltungsdienste I V b: Oberfeldarzt, als Divisionsarzt Fachvorgesetzter aller Sanitätsdienstgrade I V c: Oberstabsveterinär, als Divisionsveterinär Fachvorgesetzter des Veterinär- und Beschlagpersonals I V d: der katholische und evangelische Kriegspfarrer I V z: Stabszahlmeister, der die Kriegskasse verwaltete. F.P.: Leiter des Feldpostamts der Division. Angaben nach: IfZ-Archiv, D a 034.008-92.1: Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege, T e i l l , S. 51 f. 1 0 3 So die Richtlinien des Wirtschaftführungsstabs O s t vom Juni 1941, in: M o r i t z (Hrsg.), Fall Barbarossa, S. 3 6 3 - 3 9 9 , hier S . 3 6 6 . 1 0 4 Müller, Scheitern, S . 9 9 1 . 1 0 5 Ein Generalstabsoffizier, elf Offiziere, acht Beamte sowie 39 Unteroffiziere und Mannschaften. Vgl. Buchner, H a n d b u c h , S . 8 8 . 106 J ) i e Verpflegung aus dem Lande war an und für sich nicht illegal. D i e Haager Landkriegsordnung erlaubte dies ausdrücklich, falls sie - und das war ein entscheidender Punkt - in einem vernünftigen „Verhältnis zu den Hilfsquellen" des okkupierten Landes stand. Art. 52 H L K O . D r u c k : Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S . 6 5 . 1 0 7 Rass, „Menschenmaterial", S. 349. Vgl. auch K a p . 4 . 2 . 1 0 8 IfZ-Archiv, D a 0 3 4 . 0 0 8 - 9 2 . 1 : Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege, Teil I, S . 3 0 f . 100

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1. F o r m a t i o n e n

Auch das Erstellen des „Feinbilds" 109 durch den I c war primär eine militärische Aufgabe. Doch fielen auf Divisionsebene auch andere Aufgaben in sein Ressort: „Abwehrdienst, geistige Betreuung, Propaganda, Presse" usw. Das konnte vieles bedeuten - die Umsetzung der Verbrecherischen Befehle etwa, die Bekämpfung des irregulären Widerstands oder auch die Abstimmung mit Himmlers Sonderkommandos. Dass den zuletzt genannten Aufgaben auf dieser Hierarchieebene zumindest in der Theorie wenig Bedeutung zugemessen wurde (was nicht heißen muss, dass sie es dann faktisch nicht waren) 110 , wird schon daran erkennbar, dass reine „Abwehr-Offiziere", die sich als I c/A.O.'s 111 ausschließlich mit solch hochpolitischen Fragen beschäftigten, ebenfalls erst auf der Ebene der Armeeoberkommandos installiert waren. Und noch ein Punkt war eigentlich nicht selbstverständlich, zumindest nicht in einer totalitären Diktatur: Anders als im zivilen Staatsapparat 112 fehlte den Kommandostellen der Wehrmacht bis zur Einführung der „Nationalsozialistischen Führungsoffiziere" zur Jahreswende 1943/44 113 eine Institution oder wenigstens einzelne Funktionäre, deren primäre Aufgabe es gewesen wäre, die Truppe im Sinne des Regimes zu indoktrinieren 114 . Nicht ohne Selbstbewusstsein betonte der Generaloberst Maximilian Freiherr von Weichs noch im Februar 1942 115 : „Wir haben keine Kommissare und wir Deutsche brauchen keine Kommissare." Das Beispiel der Divisionsführung zeigt, dass große Teile der Wehrmacht zumindest in institutioneller Hinsicht lange Zeit relativ autonom blieben.

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Ebda., S. 19, 22. Entscheidend war auch, dass den I c's auf Divisionsebene ein Offizier (O 3), zwei Dolmetscher, ein Unteroffizier und drei Mannschaftssoldaten als Schreibpersonal unterstellt waren, aber kein Exekutivorgan. Der I c/A.O. hatte sich im Armeeoberkommando um die Bereiche Spionage- und Sabotageabwehr, Propaganda, Presse, Zensur und allgemeine politische Fragen zu kümmern; auch empfahl das Handbuch für den Generalstabsdienst „die Verbindung mit der Partei" sowie mit „der im Operationsgebiet etwa tätigen Gestapo". Als Exekutivorgan war ihm die Geheime Feldpolizei unterstellt. Vgl. IfZ-Archiv, Da 034.008-92.1: Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege, Teil I, S.22f.; Geßner, Geheime Feldpolizei, insbes. S. 31 ff. Zum Dualismus von „Staat und Partei", dem grundlegenden Charakterzug des zivilen Staatsapparats, vgl. Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 653 ff. Ferner Hüttenberger, Gauleiter; Nolzen, Kreisleiter. Der Führerbefehl zur Bildung eines „NS-Führungsstabes" im O K W vom 22.12.1943 wurde am 7.1.1944 bekannt gegeben. Druck: Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse", Dok.289. Vgl. hierzu Messerschmidt, Wehrmacht, insbes. S. 441 ff.; Weinberg, NS-Führungsoffizier; Zoepf, Wehrmacht; Förster, Geistige Kriegführung, insbes. S.590ff.; Longerich, Hitlers Stellvertreter, S. 193 f. Es wäre sicherlich abwegig, das komplizierte und vielschichtige Verhältnis zwischen Wehrmacht und Nationalsozialismus auf die Bestimmung eines einzigen Paragraphen zu reduzieren, des §36 des Wehrgesetzes vom 23.3.1921 (RGBl. 1921,1, S.336), bzw. §26 des Wehrgesetzes vom 21.5.1935 (RGBl. 1935,1, S.609), der allen Soldaten die politische Betätigung und damit auch die Zugehörigkeit zur N S D A P untersagte. Andererseits wäre es auch falsch, die Bedeutung, die diese Bestimmung für die Mentalität vieler Soldaten hatte, einfach zu ignorieren. Auffallend ist ferner, dass die einschlägige Dienstvorschrift, das formale Verhältnis zwischen „Wehrmacht und Partei" im Sinne einer Abgrenzung möglichst umfassend und minutiös zu regeln suchte, bis hin zur „Marschfolge bei Parteiveranstaltungen". Erst am 24.9.1944 wurde ein Eintritt von Wehrmachtsangehörigen in die N S D A P gestattet (RGBl. 1944, I, S. 317). IfZ-Archiv, Da 34.08: H . Dv. 22: Politisches Handbuch, Teil I (Pol. H . I), Berlin 1938. Ferner Absolon, Wehrmacht, Bd. III, S.367f.; Messerschmidt, Wehrmacht, S.93ff. BA-MA, R H 20-2/296-2: A O K 2, OB, Weisung an die „Herrn Kommandierende Generale und die Herrn Divisionskommandeure" vom 19.2.1942.

1.1 D i e D i v i s i o n

47

Auch die übrigen Funktionen im Stab einer Kampfdivision waren in erster Linie militärischer Natur: Für das Personalwesen waren der 1. und der 2. Adjutant (Abt. II a und II b) zuständig, für Rechtsfragen die Abteilung III, das Kriegsgericht der Division116, während zur weitgefächerten Abteilung IV der Sanitäts-, Veterinär- und Verwaltungsdienst gehörte, der sich rudimentär auch um die besetzten Gebiete kümmern sollte. Schließlich waren jedem Divisionskommando ein, meist zwei Kriegspfarrer zugeordnet, ein evangelischer und ein katholischer117, auch das nicht unbedingt ein Beleg für die „Durchsetzung der ganzen Wehrmacht mit dem nationalsozialistischen Gedankengut", wie sie Hitler forderte 118 . Dieser sah jedenfalls in den Militärgeistlichen nur „Spaltpilze und Unruhestifter [...], die den Glauben missbrauchten, um im Trüben zu fischen" 119 . Trotzdem gehörten Vertreter beider großen Kirchen bis Kriegsende zu jeder Division des Heeres 120 , die nicht nur als Geistliche wirkten, sondern auch als Psychologen eine wichtige „Ventilfunktion" besaßen121. Wie sie diese dann nützten, hing freilich von der Person des jeweiligen Geistlichen ab. Den Bannkreis der Macht (und der Geheimhaltung), der um einen solchen Stab gezogen war, vervollständigten schließlich der Kommandant des Stabsquartiers, eine Kraftwagengruppe, eine Registratur, die Kartenstelle122 und ein Meldezug Einrichtungen, die immer auch veranschaulichen, wie kompliziert und vielschichtig das moderne Kriegshandwerk geworden war. Gleichwohl waren es im Grunde nur sehr wenige Menschen, die über das Schicksal einer Division bestimmten, selbst wenn sie ihrerseits eingebunden waren in ein System der Befehlsketten. In einer Division aber waren sie am mächtigsten, sie waren es, die hier die Befehle formulierten.

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Z u r Tätigkeit der A b t . I I I vgl. etwa Huber, Rechtsprechung der deutschen Feldkriegsgerichte. Vgl. hierzu Messerschmidt, Wehrmacht, S. 171 ff.; ders., Militärseelsorgepolitik (1968); ders., Militärseelsorgepolitik (1969); Vogt, Religion im Militär; Güsgen, Militärseelsorge; K a t h o lisches Militärbischofsamt (Hrsg.), „Mensch, was wollt ihr denen sagen?"; Beese, Seelsorger in U n i f o r m ; Kroener, F r o m m , S. 571 ff. So Hitler am 7 . 1 . 1 9 4 4 gegenüber der Wehrmachtsführung, zit. bei: Streit, General der Infanterie Hermann Reinecke, S . 2 0 6 . Engel, Tagebuch, S . 7 0 (Eintrag vom 1 4 . 1 2 . 1 9 3 9 ) . O b w o h l es sich hier teilweise um eine retrospektive Quelle handelt, vermittelt sie doch eine recht gute Vorstellung über Hitlers E i n schätzung der Wehrmacht, die in einer eigentümlichen Weise zwischen Respekt und Misstrauen schwankte. So verfügte die Luftwaffe über keine eigenen Seelsorge-Einrichtungen. So Rass, Sozialprofil, S. 6 8 2 , der auf das .ausgeprägte konfessionelle L e b e n ' aufmerksam macht, das in der 2 5 3 . I D herrschte. Vgl. auch IfZ-Archiv, M A 1632: 221. Sich. Div., Kath. Div.pfarrer, „Tätigkeitsbericht vom 1 . 4 . - 3 0 . 6 . 1 9 4 2 " vom 1 4 . 7 . 1 9 4 2 . E r berichtet, dass er in dieser Zeit „62 Gottesdienste, davon 2 Feldgottesdienste abgehalten" hätte, an denen sich „gegen 3 3 5 0 Soldaten beteiligt hätten. Während der Kämpfe sei er „von B u n k e r zu B u n k e r " gegangen und habe dort mit den Soldaten gesprochen und gebetet. Ansonsten habe er sich auf Hauptverbandsplatz aufgehalten, w o er sich um die Verwundeten und Sterbenden kümmerte. Selbst unter diesem Aspekt war die Wehrmacht mit dem „Unternehmen Barbarossa" überfordert. D i e Klagen über die „völlig unzureichenden K a r t e n " finden sich jedenfalls in vielen deutschen Berichten, so dass man zunehmend dazu überging, sich mit erbeutetem sowjetischen Kartenmaterial zu versorgen. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1589: 4. Pz. Div., 5. Pz. Brig., „ G e fechtsbericht für den Einsatz der Brigade vom 1 . - 3 . 8 . 1 9 4 1 " v o m 4 . 8 . 1 9 4 1 ; N e u m a n n , 4. Panzerdivision, S. 214, 310.

48

1. Formationen

Offiziere „Der Geist einer Armee sitzt in seinen Offiziers", lautete eine Devise Friedrichs des Großen 1 2 3 . 200 Jahre später hatte sich daran, der allgemeinen Wehrpflicht zum Trotz, nur wenig geändert. Diese Dienstgradgruppe besaß die größte Befehlsgewalt, ihre Identifikation mit dem militärischen System war am größten. In einer durchschnittlichen Division der Wehrmacht waren 534 Offiziere im Einsatz, meist als Subalternoffiziere. Als Leutnant, Oberleutnant oder Hauptmann führten sie gewöhnlich einen Zug (ca. 50 Soldaten) oder eine Kompanie (bis zu 150/200 Soldaten), im Krieg zuweilen auch ein Bataillon (ca. 700 bis 800 Soldaten) oder gar ein Regiment (ca. 3000 bis 3 500 Soldaten). Bis 1939/40 waren solch ausgewählte Posten allerdings der Dienstgradgruppe der Stabsoffiziere vorbehalten, den Dienstgraden: Major, Oberstleutnant, Oberst. Überträgt man die Relation der Subalternund der Stabsoffiziere im gesamten Heeresoffizierskorps 124 auf eine einzige Division, dann heißt das, dass von ihren 534 Offizieren 385 dem „gehobenen Dienst" und 149 dem „höheren" angehörten. Natürlich dominierte bei ihrer Verwendung das eigentliche Geschäft der Truppenführung, wobei diese Führungskräfte eher dem Typus des Managers ähnelten als dem des „Kämpfers" 1 2 5 . Wohl für keine Dienstgradgruppe waren die Chancen, aber auch die Probleme, die sich aus der überstürzten Aufrüstung der Wehrmacht ergaben, so groß wie für ihre Offiziere. Das Hunderttausend-Mann-Heer der Reichswehr war lediglich von 4175 Offizieren kommandiert worden 126 . Bis Oktober 1942 schwoll dieses „Korps", das einst überschaubar, ja fast schon familiär gewesen war, auf 181000 Mann an - wohlgemerkt, nur Heeres-Offiziere 127 ! Ihre soziale und weltanschauliche Homogenität hatte diese Gruppe spätestens in den 30er Jahren verloren, als man sie mit Polizei-, Reserve- sowie älteren E(rgänzungs)-Offizieren aufzufüllen begann, und als auch die fachlichen und charakterlichen Konzessionen stetig wuchsen 128 . Beamte Noch stärker trat die Spezialisierung der Divisionsführung bei den Sanitäts-, Veterinär-, Waffen- oder Ingenieuroffizieren zu Tage und auch bei ihren 102 Beamten. Ihre Aufgaben: Besoldung etwa oder Bekleidung, Verpflegung, Rechtsprechung Zit. bei Kroener, Generationserfahrung und Elitenwandel, S . 2 2 0 . I m August 1939 gab es im H e e r insgesamt 1 5 4 6 9 Subaltern- und 5 991 Stabsoffiziere, das entsprach einer Relation von 72:28%. Vgl. die Ubersicht bei Kroener, D i e personellen Ressourcen, S. 896. 125 Vg] hierzu die grundlegende Studie von Huntington, T h e Soldier and the State. 1 2 6 Stand 1 . 5 . 1 9 3 2 . Angabe nach: Schottelius/Caspar, Organisation, S . 3 7 3 . 127 Y g l Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 856. 1 2 8 N a c h dem Polenfeldzug setzte der Oberbefehlshaber des Heeres am 2 5 . 1 0 . 1 9 3 9 den folgenden Erlass in Kraft, in dem es u.a. hieß: „Leistungen und Erfolge des polnischen Feldzuges dürfen nicht darüber hinwegsehen lassen, daß einem Teil unserer Offiziere die feste innere Haltung fehlt. Eine bedenkliche Anzahl von Fällen, wie unrechtmäßige Beitreibung, unerlaubte B e schlagnahme, persönliche Bereicherung, Unterschlagung und Diebstahl, Misshandlung und Bedrohung von Untergebenen teils in der Erregung, teils in sinnloser Trunkenheit, U n g e h o r sam mit schwersten Folgen für die unterstellte Truppe, Notzuchtverbrechen an einer verheirateten Frau usw., geben ein Bild von Landknechtsmanieren, die nicht scharf genug verurteilt werden können. Diese Offiziere sind, ob fahrlässig oder bewusst handelnd, Schädlinge, die nicht in unsere Reihen gehören." D r u c k : Offiziere im Bild von D o k u m e n t e n , D o k . 108. 123

124

1.1 D i e D i v i s i o n

49

usw. 129 , vermitteln eine Vorstellung von der bürokratisch organisierten Struktur des modernen Militärapparats. Gleichwohl waren es die professionellen Militärs, die in der Wehrmacht weiterhin den Ton angaben; aufgrund ihrer schmaleren Schulterstücke galten die Beamten als „Schmalspursoldaten" - eine Bezeichnung, die verrät, wie sehr in der Wehrmacht noch der traditionelle Typus des „Kriegers" als Leitbild dominierte, selbst wenn die Wirklichkeit mittlerweile ganz anders aussah. Unteroffiziere Die Unteroffiziere bildeten das eigentliche Bindeglied zwischen Führern und Geführten. Das entscheidende Charakteristikum dieser Dienstgradgruppe - N a p o leon sah in ihr den Kitt der Armee 1 3 0 - ist ihre „beaufsichtigende Funktion" 1 3 1 , die sie in der Wehrmacht freilich sehr unterschiedlich wahrnahm; das Spektrum reichte vom Vorbild bis hin zum Sadisten. Gleichwohl wurzelte die hohe professionelle Leistungsfähigkeit der deutschen Armee gerade auch in ihren Unteroffizieren; nicht selten bildeten sie das eigentliche „Rückgrat der Truppe" 1 3 2 , schon weil sie mit Abstand am längsten in „ihrer" Division blieben 133 . In einer militärischen Kultur, die ganz auf die Selbständigkeit und Kompetenz ihrer Unterführer setzte, war ihre Bedeutung denkbar groß. „Verantwortungsfreudigkeit" galt auch bei den U n teroffizieren als „vornehmste Führereigenschaft" 1 3 4 , die sie - so die zentrale Dienstvorschrift - „in allen Lagen ohne Scheu vor Verantwortung" unter Beweis stellen sollten. Auch das kann vieles erklären, nicht nur die überraschenden militärischen Erfolge während der Blitzfeldzüge, sondern auch die Tatsache, dass es bereits vergleichsweise niedrige Chargen sein konnten, die darüber entschieden, ob eine Einheit außer Kontrolle geriet oder nicht. Laut „Plansoll" gehörten 2701 U n teroffiziere zu einer Division. Ihr Einsatzspektrum war groß. Sie konnten als Gruppen- (12 Soldaten) oder Zugführer (50 Soldaten) wirken, als Panzerkommandant, Geschützführer, Gerätewart oder in Sonderlaufbahnen als Schirrmeister, Musiker oder Feuerwerker 1 3 5 . Mannschaften Die Offiziere führen die Unteroffiziere. Die Unteroffiziere führen die Soldaten. Die Soldaten führen den Krieg. Die Mannschaften waren dem Krieg am nächsten, 129

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Vgl. hierzu Schottelius/Caspar, Organisation, S.378f.; Messerschmidt, Wehrmacht, S. 126ff. Ferner Schlicht/Angolia, Wehrmacht, Bd. 1, S.330ff. D o r t auch detaillierte I n f o r m a t i o n e n z u m Status u n d zu den zahlreichen F u n k t i o n e n dieser G r u p p e . Vgl. Lahne, Unteroffiziere, S. 163. H a n d b u c h der empirischen Sozialforschung, Bd. 9, S. 179. So Lahne, Unteroffiziere, S.485. Allerdings war die überhastete A u f r ü s t u n g auch an dieser Dienstgradgruppe nicht spurlos vorübergegangen. Vgl. Kroener, Personelle Ressourcen, S. 729 ff. Vgl. Rass, Sozialprofil, S. 740. Das lag auch daran, dass es sich bei den Unteroffizieren o f t u m jene Soldaten handelte, welche die längste militärische E r f a h r u n g besaßen. IfZ-Archiv, D a 34.08: H . Dv. 300/1: T r u p p e n f ü h r u n g , 1. Teil (Abschnitt I-XIII), Berlin 1936, S.2. A u c h z u m Folgenden. A u c h die Dienstgradgruppe der U n t e r o f f i z i e r e war zweigeteilt, in die G r u p p e der Unteroffiziere ohne Portepee - Dienstgrad Unteroffizier, Unterfeldwebel - u n d denen mit Portepee, den Feldwebeln, von denen es zuletzt fünf verschiedene Dienstgrade bis z u m Oberstabsfeldwebel gab.

50

1. F o r m a t i o n e n

sie waren ausführendes Organ, gewissermaßen die Arbeiter, wenn man die übrigen Hierarchien der Division mit Begriffen wie Vorstandsvorsitzender, Manager, Abteilungsleiter, Ingenieure, Meister und Vorarbeiter beschreiben will 136 . 14 3 97 Mannschaftssoldaten gehörten zu einer Division, mit über 81 Prozent bildeten sie die Masse ihrer Angehörigen. In einem totalitären Regime, das viel unternahm, um die Militarisierung der Gesellschaft in jeder nur denkbaren Hinsicht zu fördern, bereitete deren Führung gewöhnlich keine Probleme 137 . Doch waren die Anforderungen, welche die Wehrmacht an ihre „gemeinen" Soldaten stellte, sehr hoch, so dass auch für sie galt, dass sie nur selten „auch nur eine Minute ohne Beobachtung und Kontrolle" waren 138 . Schon die Stärkeverhältnisse einer Division können dies belegen: auf fünf Mannschaftsdienstgrade kam ein Unteroffizier, auf fünf Unteroffiziere ein Offizier. Angesichts dieser engmaschigen Kontrolle verwundert es nicht, wenn Desertion oder Befehlsverweigerung in der Wehrmacht relativ selten vorkamen, sieht man einmal von den letzten Kriegsmonaten ab 1 3 9 . Erst recht undenkbar waren für die Wehrmacht Massendesertionen oder gar Meutereien; die Geschichte, die Alfred Andersch für ein Infanterie-Bataillon des Jahres 1944 durchspielte, blieb ein Produkt der literarischen Phantasie 140 . Dazu war die Wehrmacht viel zu diszipliniert. Dieser gleichermaßen mörderische wie selbstmörderische Gehorsam war nicht nur das Ergebnis einer entsprechenden Mentalität oder der viel beschworenen „Kohäsionskräfte", welche die Einheiten oft sehr stark „zusammenschweißten" 141 . Dieser Gehorsam war auch eine Folge einer harten, mitunter brutalen Menschenführung, die eine lange Tradition hatte und an deren Ende Hitlers Befehl vom Februar 1943 stand, mit dem er alle militärischen Vorgesetzten ermächtigte, „die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung nötigenfalls mit Waffengewalt zu erzwingen" 142 . Sieht man einmal davon ab, dass jeder Vorgesetzte in der Praxis des Krieges ohnehin Herr über Leben und Tod seiner Soldaten ist, so wäre es dennoch völlig falsch, sich die Menschenführung der Wehrmacht wie in einem Hollywood-Film vorzustellen, als eine „rein autoritäre, kalt-institutionelle Auffassung des Vorgesetztenverhältnisses" 143 . Die Methoden, 136 V g l . m ; t d e m Ansatz von Wido Mosen (Militärsoziologie), der militärische Organisation und militärisches Handeln mit Hilfe des zivilen Arbeitsbegriffs zu erklären sucht. Ahnliche Uberlegungen auch bei Bahrdt, Gesellschaft, S.70ff. Vgl. hierzu Wette, Ideologien, Propaganda und Innenpolitik; Förster, Geistige Kriegführung; Müller, Nationalismus in der deutschen Kriegsgesellschaft 1 9 3 9 - 1 9 4 5 ; Ferner Nittner, Menschenführung im Heer der Wehrmacht und im Zweiten Weltkrieg. 1 3 8 Salomon, Die Kadetten, S.47. 139 V g l . hierzu Messerschmidt/Wüllner, Wehrmachtsjustiz; Wüllner, NS-Militärjustiz; Detlef Garbe, Im N a m e n des Volkes?!; Seidler, Militärgerichtsbarkeit; Haase (Hrsg.), Reichskriegsgericht; Scheurig, Desertion und Deserteure; Bröckling/Sikora (Hrsg.), Armeen und ihre Deserteure; Manoschek (Hrsg.), Opfer der NS-Militärjustiz. 1 4 0 Alfred Andersch, Winterspelt. Roman, Zürich 1977. 1 4 1 Vgl. Kap. 2.6. 1 4 2 Zit. bei Absolon, Wehrmacht, Bd. VI, S. 703f. Schon davor konnte über den § 5 a der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) Verstöße „gegen die Manneszucht oder das Gebot soldatischen Mutes" mit der Todesstrafe geahndet werden. IfZ-Archiv, Da. 0 3 4 . 0 0 8 - 3 / 1 3 : H.Dv. 3 / 1 3 : Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz vom 1 7 . 8 . 1 9 3 8 , hier § 5 a. 1 4 3 So Karl Demeter (Offizierskorps, S. 170) mit Blick auf das deutsche Offizierskorps zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei er darauf hinweist, dieser menschenverachtende Führungsstil sei bereits damals weitgehend „ausgestorben". 137

1.1 D i e Division

51

die in den deutschen Streitkräften der Jahre 1933 bis 1945 zur Anwendung kamen, waren vielfältiger, sublimer und nicht zuletzt auch zeitgemäßer, schon weil in einem modernen Krieg der selbständig handelnde Soldat gefragt war, nicht aber der Phänotypus der friderizianischen Armee, die verängstigte und getretene „Canaille". Charakteristisch für die Wehrmacht war - auch bei ihrer Menschenführung eine Mischung aus alten und neuen Prinzipien. Vereinfachend könnte man sagen, dass die traditionellen „preußischen" Methoden vor allem in den Friedensstandorten dominierten, ganz besonders während der gefürchteten Grundausbildung, während dann im Ernstfall, auch mit zunehmender Nähe zur Front, ganz andere Einflüsse und Erfahrungen ihre Wirkung entfalteten - die der modernen Psychologie 1 4 4 , der Jugendbewegung, der sozialen Reformen der Zwischenkriegszeit und nicht zuletzt das Erbe dessen, was man im Ersten Weltkrieg als „Frontgemeinschaft" apostrophiert hatte. Es war genau diese Mischung, auf der die militärische Effizienz der Wehrmacht beruhte: die traditionelle, bewährte Erfahrung und Professionalität der preußisch-deutschen Armee, kombiniert mit den Impulsen jener militärischen, politischen und psychologischen Modernisierungsschübe, wie sie auch die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg erzwungen hatte. Davon profitierte gerade der „einfache Soldat", der im egalitären Verständnis der NS-Ideologie ohnehin mehr sein sollte als nur der „gemeine Mann": Sein Sold war relativ hoch 1 4 5 , er und seine Familie wurden unterstützt durch ein Sozialsystem, das sich im internationalen Vergleich als relativ attraktiv erwies 1 4 6 , er konnte befördert 1 4 7 und mit jedem Orden dekoriert werden 1 4 8 , und er sollte auch denselben Verpflegungssatz erhalten wie seine Vorgesetzten 149 . Viel wichtiger aber war ein anderer Punkt: Letztere waren für ihn auch dann präsent, wenn es darauf ankam; für die Frontsoldaten waren zumindest die rangniederen Offiziere mehr als nur eine entfernte Kaste 150 .

Den vergleichsweise hohen Stellenwert, den diese Wissenschaft in der Wehrmacht hatte, verdeutlicht Berger, Die Beratenden Psychiater des deutschen Heeres 1939 bis 1945; Creveld, Kampfkraft, S. 165 f. 1 4 5 Generell zur finanziellen und sozialen Versorgung der Wehrmachtsangehörigen im Krieg: A b solon, Wehrmacht, Bd.V, S.343ff.; Bd.VI, S.61 I f f . Zu den sozialpolitischen Verwerfungen infolge des Krieges vgl. auch Essner/Conte, „Fernehe". Ferner Creveld (Kampfkraft, S. 128tf.), der betont, dass gerade die einfachen Soldaten am stärksten von den relativ großzügig bemessenen Zulagen profitierten. 146 Vgl. hierzu ausführlich Kundrus, Kriegerfrauen, S.247ff., 397ff., 4 3 3 f . Dies auch die These von Aly, Hitlers Volksstaat, S.86ff., 1 1 4 ff. Zur Bewertung von A l y s Thesen vgl. Wildt, A l y s Volksstaat; Wolfgang Seibel, Rechnungen ohne Belege, in: F A Z vom 25.7.2005, S. 37; G ö t z Aly, Wohin flöß das Geld?, in: F A Z v o m 3.8.2005, S.32 sowie die Sammelrezension, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 7/8 [15.7.2005], U R L : http://www.sehepunkte. historicum.net/ 2005/07/7698.html. 1 4 7 Selbst die Mannschaftsdienstgrade waren vielfältig. So gab es allein in dieser Gruppe fünf Dienstgrade, vom Schützen bis zum Stabsgefreiten. Vgl. Schlicht/Angolia, Wehrmacht, Bd. 1, S . 2 3 9 f . In der 253. ID erhielten 5 - 1 0 % des Divisionspersonals pro Monat einen höheren Dienstgrad. Vgl. Rass, „Menschenmaterial", S.262. 1 4 8 Vgl. Kap. 2.4. 149 Vgl. hierzu Peltner, Soldatenernährung, S. 154ff. 1 5 0 Vgl. etwa Michels, Fremdenlegion 1870-1965, S.337, der beschreibt, wie sehr sich in der Perspektive der deutschen Veteranen der französische Führungsstil v o m deutschen unterschied. In diesem Sinne auch Frevert, kasernierte Nation, S. 321 f. 144

52

1. F o r m a t i o n e n

Attraktiv war schließlich auch das traditionelle preußisch-deutsche Führungsprinzip der Auftragstaktik 151 . Man sollte die Möglichkeiten, die dieses Prinzip bot, nicht überschätzen, hier ging es vor allem um eine gewisse fachliche Handlungsfreiheit, um die flexible Anpassung militärischer Aufträge an die Wirklichkeit des Krieges, wo Selbständigkeit, Eigeninitiative und Verantwortungsbewusstsein auf allen Ebenen der militärischen Hierarchie gefordert waren. Trotzdem: Jeder Soldat konnte sich bewähren, trug Verantwortung, mitunter auch für Gut oder Böse, schon weil die Auftragstaktik ursprünglich auch die Verweigerung fragwürdiger Befehle legitimiert hatte 1 5 2 . In der Praxis hatte sich auch diese Tradition zunehmend auf das Militärfachliche verengt. Gleichwohl ist die Bedeutung dieses Führungsprinzips für das Selbstverständnis der Wehrmacht, für ihr Verhalten und schließlich auch für ihre Anfangserfolge, die ihre Gegner so sehr erstaunten 153 , kaum zu überschätzen. 1.1.4 Von der Ungleichheit des

Uniformen

„Soldaten sind sich alle gleich, lebendig und als Leich", heißt es bei Wolf Biermann. Für den Betrachter von außen, den überzeugten Zivilisten und Pazifisten, der nur die offizielle Selbstdarstellung des Militärs kennt, mag dies so scheinen. Denn jede Armee versucht ihre Angehörigen zu normieren, ihre Persönlichkeit ganz ihrer Funktion unterzuordnen. Nirgends werden diese uniformen Sozialisationsmechanismen so sichtbar wie in der Grundausbildung, die, im Sinne von Michel Foucault, Individuen in eine „Machtmaschinerie" verwandeln will 1 5 4 . Einrichtungen wie Uniform, Gleichschritt, einheitliche Ausrüstung oder formalisierte Behandlung sind Beispiele dafür, wie sehr der standardisierte soldatische Typus das Denken des Militärs beherrscht. Ist diese Armee Teil eines totalitären System wie im Falle der Wehrmacht und steht diese Armee auch noch im Krieg, dann dürften auch diese beiden Faktoren kaum für Pluralismus in den eigenen Reihen sorgen. Das ist die eine Seite. Dagegen steht die alte Erfahrung, dass es bislang keine Armee dieser Welt geschafft hat, das Individuelle ihrer Angehörigen völlig auszulöschen. Dies begründet sich nicht allein in der menschlichen Natur oder der zerstörerischen Wirkung des Krieges, der häufig neue soziale und organisatorische Strukturen schafft, die mit den offiziellen keineswegs deckungsgleich sein müssen. Bei näherem Hinschauen sind schon die äußeren Zeichen einer Armee, das komplizierte und weitgefächerte System an Dienstgraden, Spezialverwendungen, Auszeichnungen, Waffenfarben oder Verbandswappen, ein Beweis für den ungebrochenen Hang zur Distinktion, nur dass sich dieses Bedürfnis in einer vergleichsweise sublimen Form

Vgl. Oetting, Auftragstaktik, insbes. S. 193 ff.; Creveld, Kampfkraft, S.42ff.; Leistenschneider, Die Entwicklung der Auftragstaktik. Natürlich wurde dieses liberale Führungsprinzip unter den Bedingungen der NS-Diktatur mehr und mehr eingeschränkt; allerdings betraf die permanente Gängelung der militärischen Führung durch Hitler vor allem die Spitzen der Wehrmachts- und Heeresführung. Vgl. hierzu Jacobsen, Die deutsche Oberste Wehrmachtsführung 1939-1941; Hartmann, Halder; Hürter, Heerführer; Megargee, Hitler und die Generäle. 1 5 2 Vgl. etwa Hartmann, Halder, S.254; Hürter, Heerführer, S . 3 5 4 mit A n m . 3 7 3 . 153 Vgl. hierzu auch Dupuy, Genius for War. 1 5 4 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 176. 151

1.2 Divisionstypen

53

auslebt. G l e i c h w o h l basiert jedes m o d e r n e militärische S y s t e m auf den Prinzipien v o n H i e r a r c h i e , D i f f e r e n z und Spezialisierung. So gesehen lässt sich die F u n k tionsweise militärischer O r g a n i s a t i o n e n eher d u r c h die Prinzipien v o n A r b e i t s t e i ligkeit u n d Spezialisierung erklären, also d u r c h zwei A s p e k t e , die in h o h e m M a ß e aufeinander angewiesen sind. D a b e i schafft das Militär „eine U m w e l t , in der die Instinkte des Soldaten s o reagieren, daß sie d e m Militär nützlich w e r d e n " 1 5 5 . Bereits das Beispiel einer durchschnittlichen Infanteriedivision zeigt, dass es „die W e h r m a c h t als geschlossenen, leicht z u fassenden B l o c k nie gab und dass u n t e r diesem Sammelbegriff meist ganz unterschiedliche Teile des militärischen A p p a r a t s gemeint w e r d e n " 1 5 6 . W o h l g e m e r k t hier ging es n u r u m einen A u s s c h n i t t u n d u m einen vergleichsweise einfach zu beschreibenden A s p e k t , den des O r g a n i satorischen. In der Diskussion ü b e r die W e h r m a c h t w u r d e aber die differenzierte Darstellung einer Institution gefordert, der nicht knapp 1 8 0 0 0 M e n s c h e n angehörten, s o n d e r n bis z u 18 Millionen. D e s h a l b ist n u n die Perspektive auszuweiten. N a c h d e m w i r die S t r u k t u r e n einer einzelnen Division, quasi ihren P h ä n o t y p , kennen gelernt haben, sind nun alle D i v i s i o n s t y p e n in den Blick zu n e h m e n , die das Sample dieser U n t e r s u c h u n g bilden.

1.2 Divisionstypen J e länger der K r i e g dauerte, d e s t o m e h r Divisionen u n d D i v i s i o n s t y p e n kreierte die W e h r m a c h t 1 5 7 . Bis K r i e g s e n d e w u r d e n nicht w e n i g e r als 5 4 4 Divisionen aufgestellt, ungefähr die H ä l f t e w a r e n Infanteriedivisionen 1 5 8 . D i e andere H ä l f t e lässt sich nicht s o schnell auf einen N e n n e r bringen, s c h o n ihre B e z e i c h n u n g e n v e r m i t teln einen ersten E i n d r u c k v o n ihrer T y p e n v i e l f a l t 1 5 9 . Diese w a r kein Selbstzweck. 155 156 157

158

159

Schneider, Buch vom Soldaten, S. 302. Hürter, Wehrmacht vor Leningrad, S.377. Vgl. etwa die Ubersicht über alle deutschen Divisionen, Stand vom 10.6.1944, in: Die Geheimen Tagesberichte, Bd. 10, S.509ff. In dieser Zahl sind alle Wehrmachtsdivisionen erfasst, die zu Lande kämpften, also auch die Luftwaffenfeld- oder Flakdivisionen der Luftwaffe und die Erdkampfverbände der Kriegsmarine, ferner die Kommandanturen der Rückwärtigen Armee- und Heeresgebiete, jedoch nicht die Divisionen der Waffen-SS. Divisionen, die lediglich umgegliedert wurden, sind für diese Zählung nur einmal erfasst, wirkliche Neuaufstellungen, welche die Zahl eines bereits untergegangenen Verbands erhielten, dagegen zweimal. Zu den Infanteriedivisionen werden hier auch die Volksgrenadierdivisionen gerechnet sowie Divisionen mit reinen Traditionsbezeichnungen wie 44. Reichsgrenadierdivision oder 78. Sturmdivision. Als Grundlage für dies Zählung diente: Mueller-Hillebrand, Heer, Bd.3, S.284ff.; Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1, S.40ff. Etwas höher die Angaben bei Buchner (Handbuch, S. 7) und Rass (Sozialprofil, S. 650), die 294, bzw. etwa 290 reine Infanteriedivisionen in der Wehrmacht ermittelt haben. Unterscheiden lassen sich folgende Gruppen, wobei die Zuordnung nicht immer eindeutig ist: Schnelle Verbände: motorisierte Infanteriedivision, bzw. Panzergrenadierdivision, leichte Division, Panzerdivision, Kavalleriedivision. Spezialisierte Infanterieverbände: Gebirgsdivision, Skijägerdivision, Luftlandedivision. Erdkampfverbände von Luftwaffe oder Kriegsmarine: Fallschirmjägerdivision, Luftwaffenfelddivision, Luftwaffendivision Hermann Göring, Flakdivision, Marine-Infanteriedivision. Besatzungsverbände·. Sicherungsdivision, Feldausbildungsdivision, Ersatz- und Ausbildungsdivision, Reservedivision, Festungsdivision, Bodenständige Infanteriedivision, Kommandantur Rückwärtiges Armeegebiet, Befehlshaber Rückwärtiges Heeresgebiet. Spezialverbände: Artilleriedivision, Division Brandenburg. Allerdings konnte ein Verband wie eine Feldausbildungsdivision sowohl als Ausbildungs- wie auch Besatzungsverband eingesetzt werden.

54

1. Formationen

Vielmehr versuchten die Stabsoffiziere in den zentralen Planungs- und Organisationsreferaten 160 mit diesen ganz unterschiedlichen Lösungen des Organisationsprinzips Division den wachsenden militärischen Anforderungen des Zweiten Weltkriegs ebenso Rechnung zu tragen wie den wirtschaftlichen, technischen und personellen Möglichkeiten oder Zwängen, die sich mit diesem Krieg auftaten 161 . Es wäre zu einfach, das organisatorische Durcheinander, das dabei schließlich herauskam, allein mit den polykratischen Strukturen des NS-Regimes zu erklären 162 . Das Komplizierte, fast schon Vertrackte, das der Organisationsstruktur der Wehrmacht, ihrer Ausrüstung und Sozialstruktur stets anhaftete, war immer auch eine Folge davon, dass diese Armee das Ergebnis einer gigantischen Improvisation blieb: aus einem kleinen Kaderheer, dessen Umfang in wenigen Jahren auf das Siebenfache gesteigert worden war 163 , ergänzt durch die personelle und materielle „Beute" der deutschen „Blumenfeldzüge" des Jahres 1938, war ein Jahr später durch die Einberufung aller Reservisten - deren militärisches Können vom blutigen Anfänger bis zum erfahrenen Profi reichte - ein Millionen-Heer geworden. Je länger sich der Krieg hinzog, desto mehr musste sich dieses Heer verändern. Was die immer rücksichtslosere Ausbeutung des „Menschenmaterials", beileibe nicht nur des deutschen, an militärischem Potenzial schuf, zerstörten die wuchernden Aufgaben, welche die deutsche Führung der Wehrmacht wiederum aufhalste, vor allem aber die Verluste, die seit 1941 eine Dimension erreichten, wie sie selbst in der preußisch-deutschen Militärgeschichte bislang unbekannt geblieben war. Diese extrem heterogenen Voraussetzungen in eine organisatorisch schlagkräftige Form zu bringen, ohne dabei einen wirklichen Neuanfang wagen zu können, hätte auch den erfahrensten Manager überfordert. Was blieb, war eine Organisationsstruktur, welche die widersprüchlichen Tendenzen dieses permanenten Aufbau- und Zerstörungsprozesses widerspiegelt. Von dieser organisatorischen und wie sich noch zeigen wird: sozialen und militärischen - Vielfalt der Wehrmacht vermitteln die fünf Verbände unseres Samples eine erste Vorstellung: 1.2.1 Die 45. Infanteriedivision - eine professionelle, Kampf division

durchschnittliche

Die 45. ID ist der Verband unseres Samples, der dem eingangs skizzierten Prototyp einer infanteristischen Durchschnittsdivision am ehesten entsprach. Dagegen ließ sich ihre „österreichische" Herkunft im Organigramm nicht mehr erkennen. Das ehemalige österreichische Bundesheer war voll und ganz in der Wehrmacht aufgegangen, eine föderative Sonderstellung, auf die manche noch gehofft hatten,

160

161 162

163

Eine gewisse Vorstellung von dieser Arbeit vermitteln die Biografien von Friedrich Fromm und Claus Graf Schenk von Stauffenberg, die 1944 die Spitze des deutschen Ersatzheeres bildeten. Vgl. hierzu Kroener, Fromm, S. 342ff.; Müller, Stauffenberg, S. 185 ff.; Hoffmann, Stauffenberg, S. 213 ff. Vgl. hierzu DRZW, Bd. 5/1 und 5/2 (Beiträge Müller und Kroener). Zusammenfassend: Rebentisch, Führerstaat; Funke, Diktator; Kißener, Das Dritte Reich, S. 19ff. Die Personalstärke des deutschen Heeres belief sich im Jahr 1933 auf 112000 Mann und im Jahr 1938 auf 760000 Mann. Angabe nach: Schottelius/Caspar, Organisation, S. 315.

1.2

55

Divisionstypen

sollte es nicht geben 1 6 4 . Bei Organisation oder Dienstvorschrift ließ sich diese „Gleichschaltung" leicht kontrollieren, bei der Mentalität weniger. Daher wollte die Wehrmachtsführung wenigstens die Kader austauschen. Während viele Offiziere und Unteroffiziere aus dem „Altreich" in die neuen Wehrkreise X V I I und X V I I I versetzt wurden, gingen ihre österreichischen Kameraden häufig den umgekehrten Weg 1 6 5 . Diese Wehrpolitik, die ganz offensichtlich darauf zielte, „Osterreich und alles Osterreichische auszutilgen" - so die Klage des Generals Edmund Glaise von Horstenau 1 6 6 - , konnte indes nichts daran ändern, dass die Wehrpflichtigen dieser Division 1 6 7 weiterhin aus der „Ostmark" kamen.

1.2.2 Die 296. Infanteriedivision

- eine professionelle, Kampf division

unterdurchschnittliche

Als Division der achten Welle konnte die 296. I D bereits von ihrer Größe und Ausrüstung nicht mehr mit einer aktiven Division mithalten 1 6 8 - auch das ein Beispiel dafür, wie früh die deutsche Rüstungspolitik an ihre Grenzen stieß. So fehlten dieser Infanteriedivision eine Aufklärungs-Abteilung, ihr Pionier-Bataillon und Teile ihrer Versorgungsdienste waren nur bespannt 1 6 9 , ihr übriger Fuhrpark bestand vor allem aus französischen und britischen „Beutefahrzeugen" 1 7 0 . Trotzdem handelte es sich bei der 296. noch immer um einen schlagkräftigen Infanterieverband, der organisatorisch weitgehend der bereits vorgestellten „Musterdivision" entsprach.

1.2.3 Die 4. Panzerdivision - eine professionelle, Kampfdivision

überdurchschnittliche

Uber die Schwächen des deutschen Heeres, vor allem seine mangelnde Tiefenrüstung, hatte sich seine Führung schon vor dem Juni 1941 keine Illusionen gemacht 1 7 1 . U n d auch die Geschichte Napoleons I. und das Fiasko seines Russlandfeldzugs waren ihr wohl bekannt 1 7 2 . D o c h glaubten die deutschen Generäle, es dieses mal besser machen zu können - mit Hilfe des motorisierten Bewegungs-

Vgl. hierzu Tuider, Wehrkreise X V I I und X V I I I , S. 12ff.; Absolon, Wehrmacht, Bd. IV, S.263ff. Ferner Manstein, Soldatenleben, S. 326ff. Von ehemals 2 1 2 8 Offizieren des Bundesheeres wurden etwa 1 6 0 0 in die Wehrmacht übernommen. D e r Anteil der ehemaligen österreichischen Leutnants, die ins „Altreich" versetzt wurden, belief sich auf 4 5 % . Vgl. Matuschka, Organisation des Reichsheeres, S.310; Caspar, Die militärische Tradition, S.285. 1 6 6 Broucek (Hrsg.), General im Zwielicht, Bd. 2, S.294. 1 6 7 Ein Offizier der 45. Inf. Div. schätzte, dass 90 % ihrer Angehörigen aus dem ehemaligen Ö s terreich kamen. Interview d. Verf. mit Ludwig Hauswedellam 8 . 5 . 2 0 0 1 . Vgl. hierzu Kap.2.2. Hauswedell (*1913), seit 1933 Offizier, kam im Juli 1938 zur 45. Infanteriedivision, der er bis April 1942 angehörte. 168 Vg[ Kroener, Die personellen Ressourcen, S. 827. Zum Begriff der „Welle" vgl. Kap. 2.1. 1 6 9 Vgl. Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 2, S.169Í. 1 7 0 B A - M A , MSg 2 / 5 3 1 4 : N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 9 . 1 . 1 9 4 1 . 1 7 1 Vgl. hierzu Kroener, F r o m m . 172 Vg] Blumentritt, Moscow, S. 42; Praun, Soldat in der Telegraphen- und Nachrichtentruppe, S. 154; Hartmann, Halder, S.348; Hürter, Heerführer, S.252 sowie P A - A A , R 60704: A O K 2, Abt. I c / V A A , Schreiben an L R von Rantzau vom 6 . 8 . 1 9 4 1 . 164

165

56

1. F o r m a t i o n e n

Theorie und Praxis des Panzerkriegs: Schneidige Signalübungen auf Panzerkampfwagen II (1940), Instandsetzung (1942) (Quelle: BSB, Fotoarchiv Hoffmann 29204; BA, 1011-269-0214-23)

kriegs. Insgesamt 17 Panzer- und 17 motorisierte Divisionen hatten sie für den Angriff gegen die Sowjetunion bereitgestellt 1 7 3 . D e r Krieg in den Weiten des sowjetischen Imperiums galt aus Sicht der deutschen Panzergeneräle als „eine nahezu

173

Vgl. Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 2, S. 111 sowie J e n t z , Panzertruppe, Bd. 1, S. 186. Bei den motorisierten Verbänden handelte es sich um 9 2 Λ mot. Inf. Div., M mot. Divisionen der Waffen-SS und vier leichte Divisionen. Allerdings waren auch diese Divisionen nicht voll-

1.2 Divisionstypen

57

ausschließliche Angelegenheit der Panzertruppe" 1 7 4 . Wenn es hier nicht gelang, ihr taktisch-operatives Konzept des Blitzkriegs auszuspielen, wo sonst? Mit ihren 13 300 Mann war eine durchschnittliche Panzerdivision der Wehrmacht deutlich kleiner als eine Infanteriedivision 175 . Die hektischen Vorbereitungen im Vorfeld des „Unternehmens Barbarossa" waren auch an der 4. Panzerdivision nicht spurlos vorübergegangen. Schon im November 1940 hatte sie eines ihrer beiden Panzer-Regimenter abgeben müssen 176 . Trotzdem konnte die Division am „B-Tag" mit insgesamt 212 Panzern und über 5 000 Fahrzeugen die Grenze zur Sowjetunion überschreiten 177 . Die deutschen Erfolge zu Beginn dieses Krieges waren auch ihr Werk. Doch brachte es eine Auseinandersetzung wie die gegen die Sowjetunion ziemlich rasch zu Tage, wie begrenzt das Potenzial der deutschen Panzertruppe im Grunde genommen war. Das Tragische daran war, dass man ihr mangelnde Einsatzbereitschaft und Leistungswillen kaum vorwerfen konnte. Es lag an der Technik, am Ersatz, vor allem aber an den aberwitzigen Zielen der obersten deutschen Führung, welche die Kräfte und Möglichkeiten der Panzerdivisionen hoffnungslos überspannten. Dieser Prozess lässt sich am Kernstück der „Vierten", dem Panzer-Regiment 35 178 , sehr genau verfolgen: Von seinen 177 Panzern 179 erwiesen sich nur 20, der schwere Typ IV mit seinem 7,5-cm-Geschütz, dem sowjetischen Gegner überhaupt als ebenbürtig 180 ! Der Rest: 105 Panzer III (3,7-cm-, später 5-cm-Kanone) 181 ,

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ständig motorisiert, der einzige vollmotorisierte Verband der Wehrmacht war die erst 1944 aufgestellte Panzer-Lehr-Division. Vgl. hierzu Ritgen, Panzer-Lehr-Division; Deutschland im Zweiten Weltkrieg, Bd. 5, S.635. So der General Guderian in einem Brief an seine Frau vom 12.7.1941, zit. bei Hürter, Heerführer, S.285. Vgl. hierzu Borgert, Grundzüge der Landkriegführung, S. 578 ff. Zur Bedeutung der motorisierten Kriegführung auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz vgl. Bauer, Der Panzerkrieg, Bd. 1, S. 11 Off.; Steiger, Panzertaktik im Spiegel deutscher Kriegstagebücher. BA-MA, R H 27-4/192: Kriegsgliederungen der 4. Pz. Div.; Kroener, Die personellen Ressourcen, S. 847. Und zwar das Pz. Rgt. 36. Vgl. Halder, Kriegstagebuch, Bd. II, S. 157 (Eintrag vom 1.11.1940); BA-MA, R H 27-4/199: Geschichte der 4. Panzerdivision, masch. Manuskript, S.3. Vgl. mit dem Urteil von Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 3, S. 17: „Die Panzerdivisionen waren zu schwach an Panzerkampfwagen." Ferner Middeldorf, Taktik im Rußlandfeldzug, S. 37. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 1580: 4. Pz. Div., Abt.I b/V: Meldung über die Panzerlage nach dem Stande vom 1.9.1941. Die „Ausrückstärke" dieser Division am 22.6.1941 belief sich demzufolge auf 1 553 Kräder, 979 PKW's, 1 964 LKW's, 212 Panzerkampfwagen, 171 Zugmaschinen, 40 Schützenpanzerwagen und 35 Panzerspähwagen. Zwischen dem Panzer-Regiment 35 und der 4. Panzerdivision war zeitweise noch eine Hierarchieebene zwischengeschaltet, die 5. Panzer-Brigade, seit dem Wegfall des Pz. Rgt. 36 aber ohne praktische Bedeutung. Daneben verfügte die 4. Pz. Div. noch über folgende Panzerkampfwagen: Panzer-Brigade 5: fünf Panzer II, drei Befehlspanzerwagen; Nachrichtenabteilung 79: drei Befehlspanzerwagen; Panzerpionierbataillon 79: zehn Panzer I (ausgerüstet mit zwei MG's), vier Panzer II; Artillerieregiment 103: zwölf Befehlspanzerwagen. Zu den technischen Details vgl. Oswald, Kraftfahrzeuge und Panzer, S. 340ff.; Hahn, Waffen, Bd. 2, S. 15 ff. Vgl. mit dem Urteil des damaligen Divisionskommandeurs, der rückblickend schrieb, dass die 4. Panzerdivision 1939 „in der Masse nur über leichte Panzer verfügt" habe. Vgl. BA-MA, Ν 245/22: N L Georg-Hans Reinhardt, Autobiographie, o.D. [1945/46], Der Panzer III war mit 979 Stück derjenige Panzerkampfwagen, der am 22.6.1941 im Ostheer am meisten verbreitet war. Insgesamt verfügte das Ostheer damals über 3 848 Panzerkampfwagen. Angabe nach: Müller, Wirtschaftsallianz, S. 185.

58

1. Formationen

4 4 P a n z e r II ( 2 - c m - K a n o n e ) 1 8 2 s o w i e a c h t B e f e h l s p a n z e r w a g e n , b e e i n d r u c k t e u n d w i r k t e d u r c h ihre b l o ß e Z a h l 1 8 3 , i m D u e l l P a n z e r gegen P a n z e r zeigte sie sich aber s c h o n bald u n t e r l e g e n 1 8 4 . I m G r u n d e h a t sich das bereits i m W e s t f e l d z u g a b g e zeichnet, d o c h gelang es d e n D e u t s c h e n b e k a n n t e r m a ß e n , ihre t e c h n i s c h e n D e f i z i t e d u r c h eine ü b e r l e g e n e F ü h r u n g , d u r c h E r f a h r u n g , I m p r o v i s a t i o n s v e r m ö g e n 1 8 5 u n d nicht zuletzt ihrem bloßen Angriffswillen zu kompensieren: „ N i c h t wanken! N i c h t s c h w a n k e n ! N u r d e n einen G e d a n k e n : V o r w ä r t s u n d d u r c h ! " , hatte m a n als P a r o l e a n die P a n z e r b e s a t z u n g e n a u s g e g e b e n 1 8 6 . D i e s e s t a k t i s c h e K o n z e p t d e r F l u c h t n a c h v o r n w i r k t e a u c h g e g e n ü b e r d e r R o t e n A r m e e , z u m i n d e s t anfangs: „ D e r R u s s e ist u n s u m ein Vielfaches ü b e r l e g e n " , b r a c h t e es ein O f f i z i e r d e r „ V i e r e r " i m Juli 1 9 4 1 auf d e n P u n k t : „ E r b r a u c h t e n u r v o n beiden Seiten z u z u p a c k e n , d a n n h ä t t e er uns. Statt dessen greifen w i r ihn i m m e r z u an. D a s ist u n s e r e R e t t u n g . " 1 8 7 D o c h ließ es sich bei einer s o l c h e n T a k t i k n i c h t v e r m e i d e n , dass sich seine D i v i s i o n d a r ü b e r „ d o c h sehr v e r b r a u c h t e " . I m F e b r u a r 1 9 4 2 r e s ü m i e r t e diese, dass die eigenen P a n z e r „ d e n r u s s i s c h e n Τ 3 4 , K W 4 5 u. 5 2 t o . a b s o l u t u n t e r l e g e n " s e i e n 1 8 8 . E n t s p r e c h e n d h o c h w a r e n die Verluste: V e r f ü g t e n die „ V i e r e r " A n f a n g A u g u s t n o c h ü b e r 9 2 P a n z e r 1 8 9 , s o m u s s t e bereits i m N o v e m b e r 1 9 4 1 , also n o c h vor B e g i n n des s o w j e t i s c h e n G e g e n a n g r i f f s , das P a n z e r - R e g i m e n t 3 5 z u r „ A u f f r i s c h u n g " in die H e i m a t g e s c h i c k t w e r d e n 1 9 0 . Ü b r i g geblieben w a r e n n u r n o c h 3 0 P a n z e r - n i c h t m e h r als

Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 1582: 4. Pz. Div., Abt.I a, Meldung an den General der Schnellen Truppen beim O b d H vom 7.2.1942: „Panzer II ist als Aufklärungspanzer wegen seiner Sichtvernältnisse, seiner dünnen Panzerung und seinem geringen Aktionsradius ungeeignet. Er hatte dadurch und durch die Überlastung des Motors infolge des Panzerschutzes so viele Ausfälle, dass mit dem Panzer II während des Einsatzes nicht mehr gerechnet werden konnte." 1 8 3 Dabei gehörte die 4. Panzerdivision zu jenen Formationen, die nach Auffassung des Generalstabschef des Heeres für alle anstehenden Aufgaben „am besten geeignet" waren, da sie nur mit deutschem Material ausgestattet war. Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S. 45 (Eintrag vom 5.7.1941). 184 groß diese Defizite waren, verdeutlicht das Fazit, das anlässlich eines Besuchs der PanzerSonderkommission des Heeres-Waffenamts, der auch Professor Ferdinand Porsche angehörte, bei der 2. Panzerarmee am 18.11.1941 gezogen wurde: Als „Neukonstruktion" wurde von der Truppe gefordert: „Stärkerer Panzer, besseres Laufwerk mit breiterer Kette, besseres Geschütz, stärkerer Motor, wobei zu beachten ist, daß sich das Verhältnis von Gewicht zur Leistung des Motors so verhalten muß, daß ein dauerndes Fahren im Gelände und auf grundlosen Wegen ermöglicht wird." Das hieß, die deutschen Panzer hatten bis dahin weder von ihrer Bewaffnung, noch von ihrer Motorisierung, noch von ihrem Fahrwerk den Anforderungen dieses Krieges genügt. BA-MA, R H 21-2/244: Pz. A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 18.11.1941. 1 8 5 Hierzu eingehend Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 44 ff. Ferner Bradley, Generaloberst Heinz Guderian; Förster, Totaler Krieg und Blitzkrieg; Bitzel, Die Konzeption des Blitzkrieges. 1 8 6 Luther, SOS im Panzersturm, S. 13. Daraufhin hatte man die 4. P D von Anfang an ausgebildet. So hatte ihr erster Kommandeur, der damalige Gen.mj. Reinhardt, bei einer Kommandeursbesprechung vor dem Krieg folgende Parole ausgegeben: „Selbsttätigkeit, Wendigkeit, Entschlussfreudigkeit und Angriffsgeist anerziehen, so viel Sie können." Zit. bei: Ciasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt (1887-1963), S. 113f. 1 8 7 Vgl. B A - M A , R H 39/377: Heinrich Eberbach, Brief vom 21.7.1941. Auch zum Folgenden. 1 8 8 IfZ-Archiv, MA 1589: 4. Pz. Div., Abt. I a, Bericht an den General der Schnellen Truppen beim O b d H vom 7.2.1942. 1 8 9 B A - M A , R H 24-24/97: X X I V . Pz. Korps, Abt.Qu./V, Bericht über die Kfz.-Lage vom 3.8.1941. Bereits im September 1941 kam es zu einer ersten Umgliederung des Panzer-Regiments 35. B A - M A , R H 24-24/92: 4. Pz. Div., Abt. I a/I b, „Umgliederung Panzer-Regiment 35" vom 19.9.1941. 1 9 0 B A - M A , R H 27-4/12: 4. Pz. Div., Kommandeur, Divisions-Tages-Befehl vom 28.11.1941. Dies war nur der Anfang. Es war ursprünglich geplant, im Dezember 1941 die gesamte 2. Panzerarmee zur „Auffrischung, Umgliederung, Neuaufstellung und Ausbildung" in die Heimat 182

59

1.2 Divisionstypen eine „ F e u e r w e h r - K [ o m ] p [ a n i e ] " 1 9 1 ,

s o das E i n g e s t ä n d n i s d e r

Divisionsführung.

M i t s o l c h e n „ D i v i s i o n e n " sollte die W e h r m a c h t M o s k a u e r o b e r n u n d den K r i e g entscheiden192! D a die I n s t a n d s e t z u n g - T r u p p s n i c h t m e h r n a c h k a m e n , m u s s t e n a n d e r e W a f f e n g a t t u n g e n d e n P a n z e r e r s e t z e n 1 9 3 . A u c h in dieser D i v i s i o n w a r e n es v o r allem die beiden S c h ü t z e n - , ( s p ä t e r : P a n z e r g r e n a d i e r ) - R e g i m e n t e r 12 u n d 3 3 1 9 4 , die z u n e h m e n d die „ H a u p t l a s t des K a m p f e s " t r u g e n 1 9 5 . Sie galten als „eine S o r t e b e s s e r e r I n f a n t e r i e " 1 9 6 , weil sie m o t o r i s i e r t w a r e n , anfangs freilich v o r allem m i t K r ä d e r n 1 9 7 , s o dass sie - ähnlich w i e f r ü h e r die D r a g o n e r - in d e r S c h l a c h t p r i m ä r z u F u ß k ä m p f t e n . T r o t z d e m b e h e r r s c h t e diese m o t o r i s i e r t e A v a n t g a r d e n o c h bis

zum

H e r b s t 1 9 4 1 das Schlachtfeld, s c h o n weil die e n g e Z u s a m m e n a r b e i t m i t L u f t w a f f e u n d F l a k - E i n h e i t e n v o r e r s t n o c h vieles k o m p e n s i e r t e 1 9 8 . D a s P r i n z i p d e r T a k t i k basiere - s o d e r b e k a n n t e b r i t i s c h e M i l i t ä r t h e o r e t i k e r s J . F . C . F u l l e r - v o r allem auf drei K o m p o n e n t e n : B e w e g l i c h k e i t , S c h u t z u n d A n g r i f f s k r a f t 1 9 9 , u n d w a s dieser D i v i s i o n an S c h u t z u n d A n g r i f f s k r a f t v e r l o r e n ging, k o m p e n s i e r t e sie v o r e r s t d u r c h ihre B e w e g l i c h k e i t : d e n G e g n e r ü b e r r a s c h e n , an a u s g e s u c h t e n Stellen k u r z fristig eine ö r t l i c h e Ü b e r l e g e n h e i t bilden, d o r t die g e g n e r i s c h e F r o n t a u f r e i ß e n u n d sie f ü r die n a c h f o l g e n d e n i n f a n t e r i s t i s c h e n V e r b ä n d e ö f f n e n . D a s reichte, u m die D i v i s i o n n a c h n e u n M o n a t e n O s t k r i e g z u ruinieren. Z w a r g a b es sie n o c h n a c h d e r „ W i n t e r k r i s e " , d o c h fehlte es ihr m i t t l e r w e i l e an allem n i c h t n u r an P a n z e r n 2 0 0 , s o n d e r n a u c h an F a h r z e u g e n , N a c h r i c h t e n m i t t e l n

oder

zu schicken. Vgl. hierzu die „Weisung für die Aufgaben des Ostheeres im Winter 1941/42", die das O K H am 8.12.1941 ausgab. Druck: K T B OKW, Bd.I, Dok. 108. 1 9 1 B A - M A , R H 24-24/122: X X I V . Pz. Korps, A b t . I a , „Aktenvermerk: Besprechung Oberbefehlshaber mit Kom. General am 20.11., 12:00 Uhr, auf dem K[orps]Gef[echts]Stand Gorjatschkino" vom 20.11.1941; IfZ-Archiv, MA 1582: 4. Pz. Div., A b t . I a , Befehl zur Umgliederung der Division vom 11.12.1941. Zu beachten ist freilich, dass die Verluste mit 7 5 % (bis Anfang September 1941) bei der Panzergruppe 2 mit Abstand am höchsten waren. Am geringsten waren sie bei der Panzergruppe 4, die in diesem Zeitraum 3 0 % ihrer Panzer einbüßte. Angabe nach: Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 3, S.20. 1 9 2 B A - M A , R H 27-4/12: 4. Pz. Div., Abt.I b, Meldung über die Panzer-Lage vom 28.11.1941. 1 9 3 B A - M A , MSg 2/4391: 4. Pz. Div., Berichte von Angehörigen. Bericht Uffz. Rudolf Ruyter vom 5.3.1942: „Musestunden kannten die I[nstandsetzung]-Trupps fast gar nicht. In den wenigen Ruhetagen hatten die Panzerwarte alle Hände voll zu tun, um die Panzer einsatzbereit zu halten. Nicht selten wurden an Angriffstagen auch die Nachtstunden dazu geopfert. Im Walde bei Kritschew wurde die unmittelbare Nähe der Werkstatt eifrig ausgenutzt, um den einsatzbereiten Panzerbestand möglichst hoch zu bringen. Das führte sogar zu Wettbewerben zischen den einzelnen Kompanien." 194 Vgl. Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 2, S. 105; Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12. 1 9 5 IfZ-Archiv, MA 1579: 4. Pz. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 3.10.1941; B A - M A , R H 24-24/140: 3. Pz. Div., Kdr., „Zustandsbericht" an X X I V . Pz. Korps vom 14.12.1941. Dieser Bericht wurde vom Korps an das Pz. A O K 2 weitergegeben mit der Bemerkung: „Der Bericht entspricht in allem der wirklichen Sachlage. Bei 4. Pz. Div. ist sie gleichartig." 1 9 6 Grass, Katz und Maus, S. 100. 197 Vgl. hierzu Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S.62ff., 332ff. Allg. Hinrichsen, Kräder; Scheiben, Panzergrenadiere; Lucas/Cooper, Panzergrenadiere. 1 9 8 Vgl. etwa B A - M A , R H 53-7/v. 206: 4. Pz. Div., Abt. I a, „Erfahrungsbericht der 4. Panzer-Division über den Westfeldzug", o.D., S.6. Diese Verstärkung durch Fla-Kräfte, Nebelwerfer- oder Schwere Mörser-Einheiten hatte zur Folge, dass sich der Personalstand der 4. Panzerdivision zeitweise stark vermehrte. Er betrug am 9.7.1941 insgesamt 28000 Mann. Angabe nach: Neumann, 4. Panzerdivision, S.209. 199 O'Sullivan, Terrain and Tactics, S. 113. 2 0 0 Vgl. hierzu R H 27-4/192: 4. Pz. Div., Kriegsgliederung vom 1.1., 1.2., 1.3.1942.

60

1. F o r m a t i o n e n

Artillerie201. T r o t z d e m beschied das O K H diesem „abgewirtschafteten" H a u f e n 2 0 2 , d e m m a n n u r n o c h „ b e g r e n z t e Angriff sauf g a b e n " z u t r a u t e 2 0 3 , im M ä r z 1 9 4 2 , dass m a n ihn g a n z einfach „auf d e r G r u n d l a g e des V o r h a n d e n e n " n e u gliedern w o l l e 2 0 4 . U n t e r den Divisionsangehörigen begann sich daraufhin das G e r ü c h t z u verbreiten, die F ü h r u n g w o l l e die Division g a n z „ a u s s t e r b e n " lassen205. D a s s sich m i t d e m v o r läufigen A u s l a u f e n der d e u t s c h e n O f f e n s i v e n die F u n k t i o n , O r g a n i s a t i o n u n d A u s r ü s t u n g j e n e r D i v i s i o n e n v e r ä n d e r t e n 2 0 6 , d i e k o n z e p t i o n e l l s t e t s ein I n s t r u m e n t d e s A n g r i f f s k r i e g s g e w e s e n w a r e n , h a t t e n i c h t allein ö k o n o m i s c h e , s o n d e r n a u c h m i l i tärische U r s a c h e n . I m Stellungskrieg k o n n t e m a n notfalls auf m o t o r i s i e r t e V e r b ä n d e v e r z i c h t e n 2 0 7 . Seit d e m W i n t e r 1 9 4 1 / 4 2 b e g a n n die „ V i e r t e " d a h e r z u n e h m e n d „ v o n , m o t ' a u f , h o t " ' u m z u s t e l l e n 2 0 8 ; m e h r e r e T a u s e n d P f e r d e 2 0 9 u n d ein e n t s p r e c h e n d e r F u h r p a r k an Panjewagen o d e r Schlitten ersetzten nun Z u g m a s c h i n e n u n d L K W ' s 2 1 0 . H a n d e l t e es s i c h h i e r u m j e n e n P r o z e s s d e r „ E n t m o d e r n i s i e r u n g " , a u f d e n O m e r B a r t o v so n a c h d r ü c k l i c h hingewiesen hat u n d mit d e m er a u c h die B r u t a l i s i e r u n g d e r W e h r m a c h t z u e r k l ä r e n s u c h t 2 1 1 ? W o h l k a u m . V i e l m e h r lässt s i c h a u c h bei dieser m o t o r i s i e r t e n D i v i s i o n genau die gegenläufige E n t w i c k l u n g feststellen. E r s t in d e r z w e i t e n K r i e g s h ä l f t e , m i t d e m A n l a u f e n d e s S p e e r s c h e n „ R ü s t u n g s w u n d e r s " , w u r d e a u c h die „ V i e r t e " z u e i n e r „ r i c h t i g e n "

201

202 203 204

205

206

207

208

209

2,0

211 212

Panzerdivision212:

die

Vgl. hierzu B A - M A , R H 27-4/21: 4. Pz. Div., A b t . I b/V, Meldung über die Kfz.-Lage nach dem Stande vom 3 . 1 . 1 9 4 2 ; Meldung über die Panzer-Lage nach dem Stande vom 3 1 . 1 . 1 9 4 2 . Neumann, 4. Panzerdivision, S.532. B A - M A , R H 21-2/882: Pz. A O K 2, A b t . I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1 1 . 5 . 1 9 4 2 . A m 2 3 . 1 . 1 9 4 2 war Hitler durch den Generaloberst Friedrich F r o m m in Kenntnis gesetzt worden, dass alle motorisierten Divisionen der Heeresgruppen N o r d und Mitte „nur bedingt einsatzfähig zu sein brauchen". (Kroener, Fromm, S.427). A m 1 2 . 2 . 1 9 4 2 befahl das O K H , dass ein Teil der schnellen Verbände, darunter auch die 4. Pz. Div., „nur in sich selbst" aufgefrischt werden sollten. Vgl. O K H / G e n S t d H / O p . A b t . ( I ) , „Weisung für die Kampfführung im Osten nach Abschluß des Winters" vom 1 2 . 2 . 1 9 4 2 , Druck: K T B O K W , B d . I , D o k . 115. Ferner IfZArchiv, M A 1579: 4. Pz. Div., Abt. I b, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1 6 . 3 . 1 9 4 2 . B A - M A , MSg 1/3279: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 7.4.1942. Das Pz. Rgt. 35, Kernstück der Division, bestand 1942 nur noch aus einer schwachen Abteilung. Diese Reflexion veranschaulicht sehr anschaulich jene Denkschrift von immerhin 31 Seiten, die der damalige Oberst Eberbach im März 1942 dem O K H vorlegte und in der er die bisherigen Erfahrungen des Ostkriegs verarbeitete. B A - M A , R H 24-24/167: 4. Pz. Div., A b t . I a, „Beantwortung Fragebogen O . K . H . betr. Erfahrung Ostfeldzug in Führung, Ausbildung und Organisation" vom 12.3.1942. Seit Sommer 1942 besaßen die Panzerdivisionen im Bereich der Heeresgruppe Mitte nur noch eine Panzer-Abteilung, die bei der Heeresgruppe Süd dagegen drei. Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1, S. 174. Ferner Stoves, Großverbände, S.37ff.; Jentz, Die deutsche Panzertruppe, passim. B A - M A , Ν 460/14: N L Gerlach von Gaudecker, Tätigkeitsbericht Pz. Gren. Rgt. 33 vom Juni 1941-März 1944. IfZ-Archiv, M A 1593: 4. Pz. Div., A b t . I b, „Gefechts- und Verpflegungsstärken, einschließl. Pferdebestand", vom 13.5.1942. Während der Winterkrise begann die Division zunehmend auf dieses Beförderungsmittel zu setzen. D e r Gen.ltn. Frhr. von Langermann schrieb im Februar 1942, dass seine ehemalige Division ihren Bestand in kürzester Zeit „von 0 auf 4 2 0 0 Pferde" gesteigert habe. IfZ-Archiv, E D 91/9: Schreiben Gen.ltn. Willibald Frhr. von Langermann und Erlencamp an Gen. Leo Geyr Frhr. von Schweppenburg vom 1 4 . 2 . 1 9 4 2 . B A - M A , R H 27-4/19: X X I V . Pz. Korps, Abt. I a/Qu., Befehl vom 12.1.1942, in dem es u. a. heißt: „Die Panzer-Divisionen haben sich ab sofort mit Masse auf Schlittenbetrieb umzustellen." Vgl. Bartov, Hitlers Wehrmacht, S.27ff., 50. Vgl. Müller, Rüstungspolitik, hier S. 275ff. sowie Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 777ff. Interessant auch das ambivalente Urteil des Gen.mj. Erich Schneider in seinem Schreiben an Gen.ltn. Heinrich Eberbach vom 2 2 . 2 . 1 9 4 3 ( B A - M A , R H 39/373): „Die Männer kämpfen hervorragend und die Bewaffnung und Ausrüstung ist zwar nicht ganz nach dem

1.2

61

Divisionstypen

Kradschützen (die sich nun Panzergrenadiere nannten) erhielten Schützenpanzerwagen, die Artillerie Selbstfahrlafetten 213 (so dass sie nicht mehr auf Zugmaschinen angewiesen war), während die Division mit einer motorisierten Flugabwehr-Abteilung verstärkt wurde 2 1 4 (und sich nun nicht mehr mit den Flak-Abteilungen der Luftwaffe abstimmen musste). Vor allem aber erhielt die Division nun wirklich leistungsfähige Panzer, bis Mai 1943 den Panzer IV mit seiner zielsicheren 7,5 cm Langrohr-Kanone 2 1 5 , ab Juni 1944 teilweise auch den „Panther" 2 1 6 , der dem Gegner „gewaltigen Respekt" bereitete 217 . Wenn dieser Panzertyp bis in die 50er Jahre im Einsatz waren (etwa in der französischen Armee 2 1 8 ), dann lässt sich zumindest im Fall dieser Division kaum von einer „Entmodernisierung" sprechen. Gerade die motorisierten Truppen der Wehrmacht profitierten am stärksten von der technologischen und wirtschaftlichen Zäsur des Jahres 1943, und es ist sicherlich kein Zufall, dass sich gerade sie oft bis in die letzten Kriegstage behaupten konnten 2 1 9 .

1.2.4 Die 221. Sichemngsdivision - ein durchschnittlicher, Besatzungsverhand

frontferner

Wenn es Einheiten der Wehrmacht gab, für die die Formel von der Entmodernisierung zutrifft, so waren es die im Hinterland. Das begann schon sehr früh. Sollten die Kampfverbände eine militärische Entscheidung herbeiführen, so hatten die Sicherungsverbände ungleich bescheidenere Aufgaben, zumindest im Verständnis der deutschen Generalität; sie sollten, wie ihr Name schon verriet, in den rückwärtigen Gebieten Versorgungsstützpunkte, Flugplätze und Rollbahnen schützen sowie den Verkehr und das Kriegsgefangenenwesen organisieren 220 - kurz: sie sollten der Front den Rücken freihalten 221 . Erst wenige Monate vor Beginn des neuesten Stande, aber doch so hochwertig, daß sich immer wieder Gelegenheit bietet, die vielseitigen modernen technischen Kampfmittel voll zur Auswirkung zu bringen." Besonders deutlich wird dies im folgenden Bildband, der sich detailliert mit der Ausrüstung dieser Division beschäftigt: Michulec, 4. Panzer-Division, 2 Bde. Ferner N e u m a n n , 4. Panzerdivision, S . 5 3 3 f f . 2 1 3 Seitz, Verlorene Jahre, S. 183. 2 1 4 Die Heeres-Flakartillerie-Abteilung 2 9 0 (mot.). Vgl. B A - M A , R H 2 7 - 4 / 1 9 9 : Geschichte der 4. Pz. Div., masch. Manuskript, o. D., S . 2 , 5. 2 1 5 Selbst Panzer I V dienten nach dem Kriege noch in Spanien, der Türkei und im mittleren O s t e n - Syrien setzte diesen Typ sogar noch während des Krieges von 1967 ein. Vgl. Culver, Panzerkampfwagen IV, S . 4 . 216 £ ) ¡ e 4 p z 13¡ v verfügte allerdings nur über eine Abteilung von „Panthern"; Schwerpunktwaffe war nach wie vor der Panzer IV. B A - M A , R H 2 7 - 4 / 1 9 9 : Geschichte der 4. Pz. Div., masch. Manuskript, o . D . , S . 3 . 2 1 7 B f Z , Slg. Sterz, 03711 B , Brief L. D . (4. Pz. Div.) vom 1 7 . 8 . 1 9 4 4 : „Vor unseren Panzern haben sie wieder gewaltigen Respekt b e k o m m e n (Panther)." Generell hierzu J e n t z , Panther. 2 1 8 Vgl. Bishop (Hrsg.), Waffen des Zweiten Weltkriegs, S. 15. 2 1 9 Eine Ubersicht mit den Aufstellungs- und Untergangsdaten aller deutschen Divisionen des Zweiten Weltkriegs existiert nicht. Von den deutschen Panzerdivisionen aber wissen wir, dass 28, also die Masse, erst in den letzten April- oder sogar erst in den ersten Maitagen kapitulierten. Vgl. Haupt, Panzertruppe 1916-1945, S. 139; J e n t z , Panzertruppe, B d . 2 , S . 2 4 7 f f . 2 2 0 Vgl. B A - M A , R H 2 6 - 2 2 1 / 7 : O K H / G e n S t d H / A u s b . A b t . ( I a), „Richtlinien für die Ausbildung der Sicherungsdivisionen und der dem Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets unterstehenden Kräfte" vom 2 1 . 3 . 1 9 4 1 . 2 2 1 Dabei war ursprünglich vorgesehen, dass die Sicherungsdivisionen die militärisch besonders sensiblen Punkte sichern, die Einheiten des SS- und Polizeiapparats hingegen das übrige Land durchkämmen sollten. Vgl. Pohl, Kooperation, S. 112.

62

1. Formationen

Ostkriegs hatte man dafür die Sicherungsdivisionen geschaffen222. Doch blieb ihre Zahl viel zu niedrig. Statt 360000 Mann, wie vor Kriegsbeginn eigentlich veranschlagt223, standen dem Ostheer zunächst nur 100000 Mann für die Sicherung seines Hinterlands zur Verfügung. Da aber jede Heeresgruppe mit „zwei einigermaßen brauchbaren Nachschubstraßen" auskommen wollte224, hielt es die deutsche Führung für ausreichend, ihre Sicherungskräfte vor allem an diesen wenigen Linien zu konzentrieren. Für den Feldzug gegen die Sowjetunion hatte man insgesamt neun Sicherungsdivisionen aufgestellt, jeweils drei für das rückwärtige Gebiet jeder Heeresgruppe 225 . Bei diesen Divisionen handelte es sich im Grunde um Zwitter. Auch von der 221. Sicberungsdivision, die den Krieg noch als konventionelle Infanteriedivision begonnen hatte 226 , war nach ihrer Neuformierung im März 1941 nur noch ein Rumpf-Verband übrig geblieben227. Ihre 10267 Mann228 waren wiederum drei Bereichen zugeordnet, die ganz unterschiedliche Segmente der deutschen Kriegs- und Okkupationsmaschinerie repräsentierten: - Kern der 221. war das Infanterie- (und spätere Grenadier-)Regiment 350. Als „Eingreiftruppe"229 sollte es auch offensive Aufgaben übernehmen230, etwa „an wichtigen Punkten der Nachschubstraßen [...] gegen versprengte Feindkräfte oder sich bildende Banden" 231 . Schon bald aber mussten diese „kampfkräftigen Reserven" an der Front aushelfen232, während man sich hinten mit dem behelfen musste, was dort übrig geblieben war. Auch sonst verfügten die Sicherungsdivisionen noch über Relikte eines Kampfverbands: einen Divisionsnachschubführer233 oder ein Artillerie-Regiment, das

Vgl. den Aufstellungsbefehl des O K H vom 3.3.1941 in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S.21f. Vgl. Pohl, Herrschaft, S.68. Megargee, Hitler und die Generäle, S. 146. 2 2 5 Vgl. Halder, Kriegstagebuch, Bd. II, S.251 (Eintrag vom 22.1.1941); zusätzlich formiert wurde nur noch eine weitere Sicherungsdivision, die 201., im Juni 1942. Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1, S.298; Bd. 8, S.2f. 226 Vgl. m i t J e m Urteil von Hesse (Partisanenkrieg, S. 186f.), der darauf hinweist, dass die 221. Sicherungsdivision zu einer Welle gehört habe, die „noch leidlich ausgerüstet" war. 2 2 7 Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, B d . l , S.44, 51. Ferner IfZ-Archiv, MA 1661: 221. Sich. Div., Organigramm vom 1.7.1941. 2 2 8 IfZ-Archiv, M A 1662: 221. Sich. Div., Abt.I a, Anlagen: Soll- und Ist-Stärke der 221. Sicherungsdivision, Stand 21.10.1941. Der Soll-Stand belief sich auf 376 Offiziere, 243 Beamte, 1 751 Unteroffiziere und 7897 Mannschaften. Am 1.6.1942 waren davon noch 192 Offiziere, 52 Beamte, 1 077 Unteroffiziere und 7145 Mannschaftssoldaten übrig. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt. I b, Gefechts- und Verpflegungsstärken vom 20.3.-17.6.1942. 2 2 9 IfZ-Archiv, MA 1564/41, N O K W - 3 5 6 6 : OKH/GenStdH/Op. Abt./GenQu, Weisung vom 23.5.1941. 2 3 0 IfZ-Archiv, M A 1659: OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (I a), „Richtlinien für die Ausbildung der Sicherungs-Divisionen und der dem Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets unterstehenden Kräfte" vom 21.3.1941. 2 3 1 So der Generalquartiermeister Wagner im Februar 1941, zit. bei: Müller, Kriegsrecht oder Willkür?, S. 140. Ferner Klein, Zwischen den Fronten, S. 84, mit weiterführenden Quellen. 2 3 2 Vgl. etwa Kap. 3.4. Ferner Arnold, Wehrmacht, S.431. 2 3 3 Nach ihrem Fronteinsatz im Winter 1941/42 hatte die 221. Sich. Div. selbst diese bescheidenen Bestände verloren, so dass ihre Führung auf eine „Beweglichmachung" durch eine „Erhöhung der Trosse" dringen musste, um den Aufgaben des Bewegungskriegs im Hinterland gerecht zu werden. IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a/I b, Bericht an den Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte vom 8.4.1942. 222

223 224

1.2 D i v i s i o n s t y p e n

63

aber bereits 1941 „erhebliche Fehlstellen" z u verzeichnen hatte234 u n d n u r n o c h mit

„Museumsstücken"235

oder

Beutewaffen ausgerüstet

war.

„Hearts

and

M i n d s " der vor O r t lebenden Menschen waren mit einem großkalibrigen Eins a t z w o h l k a u m z u e r o b e r n . D a b e i charakterisiert es d a s W i d e r s p r ü c h l i c h e d e s d e u t s c h e n S i c h e r u n g s k o n z e p t s , d a s s dieses b e s c h e i d e n e A r s e n a l an

Artillerie

a u s g e r e c h n e t i n d e m M o m e n t v e r b r a u c h t w a r 2 3 6 , als es e i n e D i v i s i o n w i e d i e 2 2 1 . eigentlich hätte b r a u c h e n k ö n n e n - a b F r ü h j a h r 1942, als d e r A n t i - P a r t i s a n e n k a m p f militärisch i m m e r m e h r d e m K r i e g an der F r o n t ähnelte. Alle übrigen Einheiten: Pioniere etwa237, F e r n m e l d e r 2 3 8 oder A u f k l ä r e r 2 3 9 fehlten zunächst, o b w o h l gerade diese W a f f e n g a t t u n g e n f ü r einen

Besatzungsver-

band unverzichtbar gewesen wären. Erst während des Krieges begann m a n diese Einheiten irgendwie z u „organisieren", nicht selten unter Z u h i l f e n a h m e

von

Kriegsgefangenen und sowjetischem Beutematerial. A u c h sonst waren Bewaffnung u n d Ausstattung dieser Division dürftig - m o d e r n e u n d vor allem auch schwere Waffen blieben die A u s n a h m e 2 4 0 . D i e wenigen Kraftfahrzeuge, meist aus französischer Beute241, reichten k a u m aus, so dass m a n sich mit

Fahrrä-

IfZ-Archiv, M A 1669: 221. Sich. Div., Abt. I b, Meldung an das X X X V . Α. K. vom 24.12.1941 ; Meldung an das LV. A . K . vom 5.1.1942. Die gesamten Versorgungstruppen der Division bestanden damals aus zwei kleinen Kraftwagen-Kolonnen, aus zwei Fahr-Kolonnen und einer reduzierten Nachschub-Kompanie. Die Instandsetzungs-Einheit der Division konnte etwa nur deshalb arbeiten, weil man am 12.7.1941 „40 poln. Kfz.-Arbeiter" einstellte. IfZ-Archiv, M A 1667: 221. Inf. Div., A b t . I b , Kriegstagebuch, Eintrag v o m 12.7.1941. 2 3 5 Zit. bei: Arnold, Wehrmacht, S.415. 2 3 6 N a c h einem Jahr Ostkrieg bestand das Art. Rgt. 221. nur noch aus sowjetischen Beutegeschützen. IfZ-Archiv, M A 1670: Bfh. im Heeresgebiet Mitte, Abt. I a/StOArt., Befehl an 221. Sich. Div. zur „Neuaufstellung und Umgruppieren der Artillerie der Art. Abt. Smolensk und Ergänzung bei 221. Div." Ferner: Ebda., 221. Sich. Div., A b t . I a, Kriegstagebuch, Anlage 332: „Gegenwärtiger Einsatz der Artillerie" vom 12.6.1942. 2 3 7 A b O k t o b e r 1941 suchte die 221. Sich. Div., dieses M a n k o durch die Aufstellung von PionierKompanien aus gefangenen „russischen Pionieren - Ukrainern, Wolgadeutschen" - zu kompensieren. IfZ-Archiv, M A 1667: 221. Sich. Div., A b t . I b , Kriegstagebuch, Eintrag vom 12.10.1941; B A - M A , R H 26-221/15: 221. Sich. Div., Abt. I a, B e f e h l v o m 25.11.1941. 238 Nachdem sich die Divisionsführung im September 1941 bitter über ihre unzureichenden Nachrichtenmittel beschwert hatte, wurde ihr am 1.12.1941 die Divisions-Nachrichten-Abteilung 824 zugeteilt. Allerdings musste sich die 221. Sich. Div. noch im März 1942 Fernsprech- und Funktrupps bei der 162. Inf. Div. „ausleihen". Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 13, S.31; IfZ-Archiv, M A 1661: 221. Sich. Div., A b t . I a, Meldung an den Bfh. Rückw. Heeres-Geb. Mitte vom 18.9.1941; IfZ-Archiv, M A 1670: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, „Besprechungspunkte für die Besprechung mit Generalltn. Pflugbeil" vom 19.3.1942. 2 3 9 D a z u kam das Problem, dass in den Sicherungsdivisionen viel zu wenig Dolmetscher eingesetzt waren - auch dies im Übrigen ein Beleg dafür, dass man auf die Kommunikation mit der einheimischen Bevölkerung keinen großen Wert legte. Vgl. Hesse, Partisanenkrieg, S.60. 2 4 0 Bis Herbst 1942 waren beispielsweise die alten M G ' s aus dem Ersten Weltkrieg: Typ 08 bzw. Typ 08/15, sowie ein Sammelsurium an österreichischen, tschechoslowakischen oder französischen Beutewaffen im Einsatz. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., A b t . I b, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1.5.1941; IfZ-Archiv, M A 1673: 221. Sich. Div., A b t . I a, „Eingreiftruppe und ihre Einsatzorte, Ausstattung und Bewaffnung jedes einzelnen Stützpunktes an den Bannstrecken im Bereich des Sicherungs-Bataillons 302" vom 22.10.1942. Ferner Kreidel, Partisanenkampf, S.381. Kreidel war ehemaliger I a der 221. Sicherungsdivision. 2 4 1 Verschärft wurde dieses Problem noch durch die Typenvielfalt. Allein bei der 221. waren 1941 insgesamt 12 ausländische Marken im Einsatz, im gesamten Ostheer jedoch über 2000 Kfz.Typen. Dabei wurden vor allem die qualitativ schlechteren Verbände mit der Beute „abgespeist". Vgl. IfZ-Archiv, M A 1659: 221. Sich. Div., A b t . I b , Meldung an das O K H vom 9.4.1941 sowie Creveld, Supplying War, S. 150. 234

64

1. F o r m a t i o n e n

dern 2 4 2 und Pferden behelfen musste 2 4 3 . Von den französischen Beute-Panzern, die Hitler im Juli 1941 vollmundig angekündigt hatte 2 4 4 , bekam die Division erst einige Monate später gerade mal drei Stück 245 . Dabei gab es kaum einen Divisionstyp der Wehrmacht, dessen Einsatzgebiet so groß war. Bei der 221. Sicherungsdivision umfasste es im Juli 1941 bereits 35 000 Quadratkilometer, also etwa die Größe von Baden-Württemberg 2 4 6 . Dass es der deutschen Besatzungsmacht nicht gelang, diese Riesenräume flächendeckend zu kontrollieren, war bereits in der eklatanten personellen und materiellen Schwäche ihrer Besatzungskräfte begründet 2 4 7 . D a f ü r ist die 221. Sicherungsdivision ein anschauliches Beispiel. - U m diese Lücken zu stopfen, bediente man sich der Landesschützen-Regimenter und der Wach-Bataillone (später euphemistisch Sicberungs-Regimenter24S genannt). In diesem zweiten Teilbereich der Sicherungsdivisionen kamen reine Reservisten-Einheiten zum Einsatz, die eigentlich nicht mehr zum Frontdienst taugten 2 4 9 . Daher sollten sie - so stellte man sich das zumindest vor - zur Sicherung der Versorgungsstützpunkte, der Nachschubstraßen und Nachschubtransporte, der Flughäfen, Beutelager und zur Bewachung der Kriegsgefangenen eingesetzt werden 2 5 0 . D o c h waren Ausbildungs- und Ausrüstungsstand dieser Hilfskontingente häufig so dürftig, dass sie noch nicht einmal dazu in der Lage waren 2 5 1 . Der Ersatz sei als „völlig unausgebildet 242

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IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 26.4.1941: „Der Division werden 1 400 Fahrräder zugewiesen. " IfZ-Arch iv, MA 1666: IL/Inf. Rgt. 350, Meldung „an das Regiment" vom 18.8.1941: „Das Verfahren, die zum Einsatz gelangenden Einheiten auf Fahrrädern direkt nach dem abzusuchenden Raum zu transportieren, hat sich nicht bewährt." Im Juni 1942 verfügte die Division über 1 730 Pferde. IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt. I b, „Gefechts- und Verpflegungsstärken der 221. Sich. Div. für die Zeit vom 2 0 . 3 17.6.1942". Hitler forderte am Beginn des Ostkriegs, alle Sicherungsdivisionen, Landesschützen-Einheiten und Polizei-Formationen mit Beute-Panzer auszurüsten. Chef OKW, Schreiben an Chef HRüst und BdE vom 5.7.1941. Druck: Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 104f. Die 221. Sich. Div. erhielt im Oktober 1941 drei französische Panzer vom Typ Renault R 35. IfZ-Archiv, MA 1666: Inf. Rgt. 350, Meldung an 221. Sich. Div. vom 19.10.1941. Auch unterhielt die Division seit Juli 1941 einen erbeuteten Panzerzug. IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 22.7.1941. Ferner Förster, Sicherung des „Lebensraumes", S. 1057. Schon im Juli 1941 musste Hitler zugeben, dass die rückwärtige „Sicherung natürlich sehr dünn" sei. Aktenvermerk über eine Besprechung Hitlers mit Rosenberg, Lammers, Keitel und Göring vom 16.7.1941, in: IMT, Bd.38, S. 86-94 (hier S.88): Dok.221-L. Am 29.5.1942 wurden die Landesschützen-Regimenter und -Bataillone sowie die Wach-Bataillone umbenannt in Sicherungs-Einheiten. Vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd. VI, S.238. Vgl. hierzu etwa IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, Bericht vom 3.5.1942, in dem auf die Kriegstauglichkeit der Landesschützen-Bataillone eingegangen wird. So waren etwa beim L.S. Btl 545 in der genau abgestuften Terminologie des Wehrersatzwesens: 181 Mann k [riegs]v[erwendungsfähig], 13 Mann g[arnisons]v[erwendungsfähig] Feld, 198 Mann gfarnison s]v[erwendungsfähig] Heimat und ein Mann a[rbeits]v[erwendungsfähig], IfZ-Archiv, MA 1659: OKH/GenStdH/Ausb.Abt. (I a), „Richtlinien für die Ausbildung der Sicherungs-Divisionen und der dem Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets unterstehenden Kräfte" vom 21.3.1941. Vgl. auch den Befehl des O b d H (Besondere Anordnungen für die Versorgung, Ani. 6, Teil C) vom 3.4.1941, in: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S.299-304, hier S. 299. Schon im Juli 1941 begann man die Landesschützen-Einheiten der 221. Sicherungsdivision mit Beutewaffen auszurüsten. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1661: 221. Sich. Div., Abt.I a, Befehl an L.S. Regt. 45 vom 12.7.1941.

1.2 Divisionstypen

65

anzusprechen", klagte die Divisionsführung im April 1942 über die neu eingetroffenen Landesschützen-Bataillone. 252 Und weiter: „Die Masse des Bat[ail]l[on]s hat noch nicht scharf geschossen. Bat[ail]l[on]sführer und Komp[anie]führer haben ihre Einheiten unmittelbar vor dem Abtransport übernommen. Eine Ausbildung an schweren Inf[anterie]waffen sowie Gefechtsausbildung haben überhaupt nicht stattgefunden." Die Folge war, dass diese Einheiten ständig ausgewechselt werden mussten 253 , so dass schon aufgrund dieser ständigen Fluktuation eine Wärme und Geborgenheit vermittelnde Solidargemeinschaft nur schwer wachsen konnte 2 5 4 . Im April 1942 befürchtete die Führung, dass „durch die Zersplitterung Werte verloren" gingen, „die der Stolz eines jeden Soldaten sind, nämlich das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Kameradschaft und der Tradition." 2 5 5 - Der dritte Teilbereich dieser Sicherungsdivision war der mit Abstand „politischste". Zu ihm gehörten „bodenständige" Einrichtungen wie die Feld- und Ortskommandanturen, „welche die Kriegsverwaltung im Divisions-Gebiet" auszuüben hatten, oder auch die Kriegsgefangenenlager2^. Ende Oktober 1941 waren allein der 221. vier Feld- und zwölf Ortskommandanturen sowie drei Durchgangslager zugeordnet 257 . Zudem verfügte diese Division über eine Gruppe der Geheimen Feldpolizei25S. Knapp 100 Mann, vollmotorisiert - keine „gewöhnliche" Feldgendarmerie, sondern eine Truppe, die zu Recht als „Gestapo der Wehrmacht" galt 259 . Noch deutlicher wurden die Funktionen der Sicherungsdivisionen aber durch ihre enge Verflechtung mit dem nicht-militärischen

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IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, Meldung an den Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte vom 8.4.1942. Auch zum Folgenden. Dazu kamen auch immer wieder verbündete Einheiten, die der 221. Sicherungsdivision unterstellt wurden, so im Mai 1942 Teile des französischen Inf. Rgt. 638. B A - M A , R H 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 15.5.1942. Kühne, Kameradschaft - „das Beste im Leben des Mannes", S. 509. Vgl. auch Wellershoff (Ernstfall, S.236), der die „zynische Stimmung" in den 1945 rasch formierten „Alarm-Einheiten" beschrieben hat. Vgl. hierzu B A - M A , R H 22/231: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, Meldung an die H.Gr. Mitte vom 30.4.1942. Vgl. den Ergänzungsbefehl des O K H vom 4.3.1941, in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S.30-32. Ferner Hartmann, Massensterben, S. 150 mit Anm. 49. IfZ-Archiv, MA 1662: 221. Sich. Div., Abt.I a, Anlagen: Soll- und Ist-Stärke der 221. Sicherungsdivision, Stand 21.10.1941. Zu ihren Aufgaben vgl. den entsprechenden Abschnitt über den Korück 580. Vgl. Gerlach, Morde, S. 141; Geßner, Geheime Feldpolizei (1986), S. 73; Brown, The Senior Leadership Cadre of the Geheime Feldpolizei. Die Geheime Feldpolizei war Teil der Wehrmacht, wobei sich ihre Kader bis zu 80 % aus der Gestapo rekrutierten. Schon dadurch bestand eine Verbindung zum zivilen Polizei-Apparat. Bis März 1943 umfassten diese Gruppen, die später auf zwei pro Sicherungsdivision erweitert wurden, 60 bis 100 Polizisten, die von einem Feldpolizeidirektor geführt wurden. Der 221. Sich. Div. waren zeitweise die G F P Gruppen 707, 718 und 729 unterstellt, die laut H.Dv.g. 150 vom 24.7.1939 als „politische Abwehrexekutive" des Heeres fungieren sollten. Zit. bei: Förster, Umsetzung, S.422 mit Anm. 37. Die gesamte Geheime Feldpolizei umfasste beim Feldheer 1941 4 0 8 5 , 1 9 4 2 / 4 3 7885 Mann, die auf allen Kriegsschauplätzen im Einsatz waren. Allein in den besetzten sowjetischen Gebieten erschoss die G F P 35 000 Menschen. Vgl. Geßner, Geheime Feldpolizei (1995), S. 346; Gerlach, Morde, S. 873; Pohl, Herrschaft, S. 105. So Geßner, Geheime Feldpolizei - die Gestapo der Wehrmacht.

66

1. Formationen

Besatzungsapparat 260 : So hatte Görings Wirtschaftsorganisation Ost in jeder Sicherungsdivision ein Wirtschaftskommando installiert 261 , dessen Vertreter auch im Divisionsstab saßen 2 6 2 , während Himmlers SS- und Polizeiapparat der 221. Sicherungsdivision zeitweise das berüchtigte 2 6 3 Polizei-Bataillon 309 2 6 4 , später die Polizei-Bataillone 91 und 3 2 3 2 6 5 unterstellt hatte 2 6 6 . Und noch eine Einheit war dieser Sicherungsdivision temporär zugeordnet - das Einsatzkommando 8 2 6 7 . Die Stärke dieser institutionellen Fremdkörper betrug „noch mal etwa 2 0 0 0 bis 3 0 0 0 Mann" 2 6 8 . Viel wichtiger als ihre manpower war freilich ihre Funktion: Handelte es sich bei den Angehörigen der Einsatzgruppen, aber auch Dass diese Kooperation in der Phase des Bewegungskriegs oft schwierig aufrechtzuerhalten war, belegt IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt. IV a, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.3. bis 28.12.1941, wo es unter dem 25.8.1941 heißt: „Darüber hinaus kommt anscheinend durch den ständigen Wechsel bei der Mehrzahl dieser Kommandanturen ein Zugehörigkeitsgefühl zu .ihrer' Division nicht auf." 2 6 1 Richtlinien des Wirtschaftsführungsstabes Ost für die wirtschaftliche Ausplünderung der besetzten sowjetischen Gebiete (grüne Mappe, Teil I: Aufbau und Organisation der Wirtschaft), Juni 1941, Druck: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S.363-399, hier S.371; O K W / W F S t , Besondere Anordnungen Nr. 1 zur Weisung Nr.21, Anlage I vom 8.5.1941: „Gliederung und Aufgaben der im Raum .Barbarossa' einzusetzenden Wirtschaftsorganisation". Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.310ff. Ferner: Müller (Hrsg.), Die deutsche Wirtschaftspolitik, S. 47: „Die Entwicklung führte aber dann zu der Maßnahme, für jedes A O K , jede O F K bzw. Sich. Div. nur 1 Wi. Kdo. gebietsgleich einzusetzen." Zu Aufgaben und Organisation vgl. den Abschnitt über den Korück 580. 2 6 2 Sie sollten dort „die Geschäfte der Gruppe IV Wi" übernehmen. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Inf. Div., Abt. I b, Kriegstagebuch, Eintrag vom 17.7.1941. 2 6 3 Klemp, „Nicht ermittelt", S.261. Vgl. ferner mit dem Urteil von Shepherd, War, S.66: „No other Order Police or SS unit was murdering Jews on such a scale so early in the eastern campaign." Vgl. ferner mit seiner Bewertung der besonders berüchtigten „300er-Bataillone", ebda., S. 116. Die mit Abstand beste Vorstellung von der Rolle der Polizei-Bataillone vermittelt die Studie von Browning, Reserve-Polizeibataillon 101. Vgl. auch ders., Entfesselung der „Endlösung", S.340ff. Ende 1941 waren in der Sowjetunion mindestens 26 Polizei-Bataillone mit einer Gesamtstärke von 12000 Mann im Einsatz. Zahl nach Curilla, Ordnungspolizei, S.59. 2 6 4 Das Polizei-Bataillon 309 war der 221. Sich. Div. Ende Mai 1941 unterstellt worden. Vgl. IfZArchiv, MA 1665:221. Sich. Div., Abt. I a, Tagesmeldung vom 23.5.1941; Die Geheimen Tagesberichte der deutschen Wehrmachtführung, Bd. 3, S. 118; Tessin/Kannapin, Waffen-SS, S.636. Generell zur Geschichte dieser Einheit: Klemp, Kölner Polizeibataillone in Osteuropa; Lichtenstein, Lügengewirr; Okroy, Wuppertaler Bialystok-Prozeß 1967/68; Curilla, Ordnungspolizei, passim; Klemp, „Nicht ermittelt", passim; Westermann, Hitler's Police Battalions, passim. 2 6 5 Eigentlich Reserve-Polizei-Bataillon 91. Tessin/Kannapin, Waffen-SS, S. 631 ff.; Rüter/Mildt, Die westdeutschen Strafverfahren: Verfahren: 664, 730, 741, 785; Curilla, Ordnungspolizei, S. 641 ff., 696ff. 266 j n einem Erlass vom 21.5.1941 legte Himmler fest, dass die in der Sowjetunion eingesetzte Ordnungspolizei nach seinen „grundlegenden Weisungen" handele, während die motorisierten Polizei-Bataillone bei den Sicherunesdivisionen deren Kommandeuren „taktisch unterstellt" seien. Druck: Jacobsen, Kommissarbefehl, Dok. 12. Diesem Unterstellungsverhältnis wurde auch symbolisch Rechnung getragen. Die Polizisten erhielten auf dem linken Unterarm ihrer Uniform einen Ärmelstreifen, in den die Aufschrift „Deutsche Wehrmacht" eingestickt war. Vgl. Lichtenstein, Himmlers grüne Helfer, S.73; Schlicht/Angolia, Wehrmacht, Bd. 1, S.300. ™ IfZ-Archiv, M A 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 90 vom 21.9.1941; Gerlach, Einsatzgruppe B, in: Klein (Hrsg.), Einsatzgruppen, S. 52-70, hier S. 54; Einsatzgruppe B, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 23.6.1941 bis 13.7.1941, in: ebda., S.375-386, hier S.377f. Generell zu diesem Einsatzkommando: Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 120ff.; Curilla, Ordnungspolizei, S.557. Zum organisatorischen Verhältnis zwischen Wehrmacht einerseits und SS- und Polizeiapparat andererseits vgl. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 107ff., 205ff.; Gerlach, Morde, S. 180ff.; Pohl, Kooperation. 268 Yg] Kreidel, Partisanenkampf in Mittelrussland, S. 381. 260

1.2

Divisionstypen

67

Mit Hitler-Gruß: Angehörige des Polizei-Bataillons 309 in Köln, 1940 (Quelle: HSA, R4 Nr.34239-193A)

bei denen der Geheimen Feldpolizei um ausgesuchte Anhänger der NS-Ideologie 269 , die meisten jung und selbstbewusst, die wenig Skrupel hatten, jedes nur denkbare Verbrechen im Namen dieser Weltanschauung zu begehen, so sollten auch die Angehörigen der Polizei-Formationen immer wieder unter Beweis stellen, dass sie im Sinne dieser Ideologie „funktionierten", selbst wenn ihre Sozialisation längst nicht so homogen war wie bei SS, SD oder auch Gestapo. Durch sie war dieser Teil des militärischen Apparats bereits auf seiner Mikroebene mit Institutionen vernetzt, die sich eher ideologischen als militärischen Prinzipien verpflichtet fühlten 270 . Dass die Aufgaben einer Sicherungsdivision mit dem Begriff der klassischen militärischen Besatzungspolitik kaum adäquat beschrieben sind, ist bereits dem Organigramm zu entnehmen. Auch eine Sicherungsdivision verfügte über die klassischen Führungsressorts I a, I b und I c, doch waren diese kleiner und gewöhnlich nicht mit professionellen Generalstäblern besetzt 2 7 1 . Dafür waren hier Ressorts zu finden, die es bei den Kampfdivisionen nicht gab - ein Feldpolizeidirektor etwa, zuständig für die Geheime Feldpolizei 272 , oder eine Abteilung zur „Kriegsverwaltung", die Ab-

269 Ygi Krausnick/Wilhelm, Truppe; Wildt, Generation; Geßner, Geheime Feldpolizei. 270 Vg[. e t w a Westermann, Hitler's Police Battalions, insbes. S. 31 ff. 271

272

Vgl. hierzu Kap. 2.3. Bei den Sicherungsdivisionen hatte die Abteilung I b im Vergleich zu den Kampfdivisionen einen höheren Stellenwert, da sie die Besatzungspolitik zu koordinieren hatte und auch sonst für entsprechende Fragen zuständig war, etwa für das Kriegsgefangenenwesen. D e r Feldpolizeidirektor unterstand hier zunächst dem I c, dann dem I a der Sicherungsdivision. Vgl. hierzu Geßner, Geheime Feldpolizei, S . 3 6 , 73; Gerlach, Morde, S. 141 mit A n m . 79.

68

1. F o r m a t i o n e n

teilung VII273, deren Militärverwaltungsbeamte, meist zwei oder drei Spezialisten aus der Innenverwaltung 274 , die Verwaltung und Kontrolle des besetzten Gebietes zu regeln hatten. Im Grunde handelte es sich bei dieser Abteilung um ein kleines Landratsamt, das für ein Besatzungsgebiet von 40 000 Quadratkilometern mit bis zu zwei Millionen Einwohnern verantwortlich sein konnte; sie war zuständig für „Aufbau, Führung und Beaufsichtigung der einheimischen Verwaltung (außer in der Wirtschaft und mit Einschränkungen bei der einheimischen Polizei), Mitwirkung bei der Erarbeitung politischer Richtlinien und der Versorgung der Bevölkerung, Rechts- und Meldewesen, Kultur, Schul- und Gesundheitswesen, seit l . M ä r z 1943 auch Finanzverwaltung, Volksdeutsche, Flüchtlingswesen und vor allem die Judenfrage' in Zusammenarbeit mit den Einsatzgruppen". Eine Sicherungsdivision hatte also zwei Aufgaben, sie fungierte als „Truppenverband und Verwaltungseinheit" 275 . Die strukturellen Unterschiede zwischen den Kampf- und den Besatzungsverbänden der Wehrmacht waren also denkbar groß. Im Gegensatz zur Kämpfenden Truppe hatte man die besatzungspolitischen Funktionen bei den Sicherungsdivisionen und Korücks stark ausgebaut, während sie auf die militärischen Herausforderungen, die auf sie warteten - ein gnadenloser Partisanenkrieg in einem unübersichtlichen Gelände - , mit ihren älteren Jahrgängen „von durchschnittlich 35-40 Jahren" 276 kaum vorbereitet waren. Schon im Juli 1941 kam der Generalstabschef Halder zu dem Ergebnis, „die Sicherungsdivisionen allein" würden „nicht für die großen Räume" genügen 277 . Noch kritischer fiel die Bilanz des Kommandeurs der 221., des Generalleutnants Johann Pflugbeil, im November 1941 aus: In ihrer „jetzigen Zusammensetzung" sei die Division eine „völlige Fehlschöpfung" 278 . Die Folge war, dass man die Sicherungsdivisionen ständig umorganisierte. Auch bei der 221. suchte man seit Herbst 1941 in einer Art „organisatorischem Mimikry" 2 7 9 Organisation und Taktik des Gegners zu kopieren - mit Hilfe von motorisierten Partisanen-Bekämpfungs-Bataillonen 280 , durch eine Reiter-Hundertschaft (221),

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Vgl. hierzu Pohl, Herrschaft, S. 95; Gerlach, Morde, S . 1 3 6 f f . , 515. Auch zum Folgenden. Da diese Abteilungen bei den Sicherungsdivisionen ohne Initiative waren, wurden sie Ende 1943 aufgelöst. Da nie mehr als 175 Militärverwaltungsbeamte im „Osteinsatz" waren, verlagerte sich faktisch die eigentliche Arbeit auf die Stabsoffiziere bei den militärischen Dienststellen. Vgl. hierzu Umbreit, Kriegsverwaltung, S. 128; Pohl, Herrschaft, S. 103. A u c h zum Folgenden. So die Definition von Gerlach, Morde, S. 138. Kreidel, Partisanenkampf in Mittelrussland, S. 382. Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S. 32 (Eintrag v o m 1 . 7 . 1 9 4 1 ). B A - M A , R H 26-221/15: 221. Sich. Div., A b t . I a, Befehl vom 4 . 1 1 . 1 9 4 1 . Vgl. hierzu Heins/Warburg, Kampf der Zivilisten, S.93, 9 8 f f . IfZ-Archiv, M A 1661: 221. Sich. Div., A b t . I a, Befehl zur „Aufstellung eines Partisanen-Bekämpfungsbatl. (mot.)" vom 7 . 9 . 1 9 4 1 . Dieses Bataillon wurde 1942 auf zwei erweitert. Vgl. Gerlach, Morde, S. 885, Anm. 134.

1.2 Divisionstypen

69

die man aus Kriegsgefangenen formierte 2 8 1 , vor allem aber in Form autonomer Kleingruppen, den Jagdkommandos, die als eine Art „Gegenbande" aus Deutschen und Landeseinwohnern den Gegner mit seinen eigenen Methoden schlagen sollten 2 8 2 . Hier sammelte sich gewissermaßen die Elite der Sicherungsdivisionen. Erst mit solch unkonventionellen Gruppen, zunehmend unterstützt durch „Osttruppen" 2 8 3 , ließ sich ein Krieg gegen die immer stärker werdenden „Banden" überhaupt führen. Doch hatte es seine Zeit gebraucht, bis die Deutschen diese Lektion gelernt hatten. Ihr Hochmut, ihre konsequente Unterschätzung des sowjetischen Gegners, ja sogar die Brutalität ihres Besatzungskonzepts lassen sich selbst an der Organisation dieser Sicherungsdivision wie an einer Blaupause ablesen. Wie wirklichkeitsfremd sich die Deutschen auf diesen Krieg vorbereitet hatten, wird vollends bei einem Vergleich ihrer Herrschaftsmittel mit denen alter Kolonialmächte wie Großbritannien oder Frankreich deutlich; diese hatten schon relativ früh ausgefeilte Konzepte zum „Imperial Policing" entwickelt 284 , um ihre territoriale Herrschaft über große Räume zu sichern, auch wenn diese weit vom Mutterland entfernt waren 2 8 5 . In einer Armee wie der deutschen, die im Grunde nur wenig Erfahrungen mit Kolonien besaß 2 8 6 , und deren Bild vom Krieg sich lange Zeit in den begrenzten, geradezu provinziellen Verhältnissen der Reichswehr bewegte, war man unfähig, etwas Adäquates auch nur in Ansätzen zu entwickeln. Nirgends wird das Dilettantische des „Unternehmens Barbarossa" so greifbar wie in den wenigen und unfertigen Sicherungseinheiten der Wehrmacht, die doch eigentlich ein Riesenreich im Griff halten sollten.

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284

285 286

IfZ-Archiv, MA 1666: Div. Nachsch. Führer 350, „3. Bericht über den Stand der Aufstellung der Reiterhundertschaft aus Kriegsgefangenen" vom 7.11.1941. Bemerkenswert daran, ist, dass das O K H erst danach die „ B i l d u n g von Kriegsgefangenen-Bataillonen" anordnete. Vgl. B A - M A , R H 20-18/135: OKH/GenStdH/Org.Abt.(II), Nr. 10000/41 geh., Weisung betr. „Kriegsgefangenen-Btl." vom 11.11.1941. Diese Reiter-Hundertschaften wurden dann fallweise durch deutsche Reiter-Regimenter unterstützt. Vgl. Förster, Sicherung des „Lebensraumes", S. 1058. Ferner Richter, Die Geschichte der deutschen Kavallerie, S. 235 ff. Umbreit, Herrschaft, S. 155; Förster, Sicherung des „Lebensraumes", S. 1042; Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 185 f. Obwohl ein Befehl zur Aufstellung von Jagdkommandos schon vor Beginn des Ostkriegs gegeben wurde, blieb er ohne Konsequenzen. (Vgl. IfZ-Archiv, MA 1660:221. Sich. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 17.6.1941). Erste Ansätze zum Aufbau von Jagdkommandos fallen in den September 1941, scheinen dann aber erst am Ende dieses Jahres umgesetzt worden zu sein. Vgl. Kroener, Fromm, S. 883, Anm.380. Der grundsätzliche Befehl des O K H dann in: Z A M O , Findbuch 12454, Akte 396: O K H / G e n S t d H / O p . A b t . (I), Befehl vom 31.8.1942. Gerade die Sicherungsdivisionen ergänzten sich schon bald aus landeseigenen Hilfskräften. So gab es schon im Herbst 1941 Sicherungsdivisionen, die über 8000 Hilfswillige beschäftigten. Arnold, Wehrmacht, S.418ff. So der Name jenes Konzepts, das Sir Charles Gwynn 1934 in seinem bekannten Handbuch prägte. Charles Gwynn, Imperial Policing, London 1934. Vgl. Shepherd, War, S.38ff. Spätestens im Zweiten Weltkrieg zeigte sich, wie begrenzt die Erfahrung der deutschen Streitkräfte mit kolonialen Herrschaftsstrategien war. Schon allein deshalb kann es nicht überzeugen, wenn die deutsche Eroberungs- und Besatzungspolitik mit der kolonialen Vergangenheit des Deutschen Reichs erklärt wird. In diesem Sinne für den Ersten Weltkrieg etwa Hull, Absolute Destruction.

70

1. Formationen 1.2.5 Der Koriick 580 - ein unterdurchschnittlicher, Besatzungsverband

frontnaher

Beim Kommandanten des Rückwärtigen Armeegebiets, dem Korück, handelte es sich um einen ganz anderen Typ von Besatzungsverband. E r war im unmittelbaren Hinterland der Front im Einsatz, um die dazugehörende Armee zu ergänzen. Im Frühjahr 1942 existierten im gesamten Heer 17 Korücks, 15 von ihnen auf dem Boden der besetzten Sowjetunion 287 . Auch die Korücks waren Zwitter, sie besaßen militärische und besatzungspolitische Aufgaben. Denn im fremden Besatzungsgebiet waren die Oberbefehlshaber der Armeen und der Heeresgruppen Träger der Vollziehenden Gewalt; das hieß, sie hatten in ihrem Hoheitsgebiet alle Funktionen des okkupierten gegnerischen Staates wahrzunehmen (mit Ausnahme der Judikative) 288 . Das war auch im Krieg gegen die Sowjetunion der Fall - wenn auch mit Einschränkungen: Hitler wollte das „Operationsgebiet des Heeres [...] der Tiefe nach soweit als möglich [...] beschränken" 2 8 9 (so dass noch vor Abschluss des Feldzugs Zivilverwaltungsgebiete eingerichtet wurden), während man die Autonomie der Wehrmacht in dem verbleibenden Hoheitsgebiet durch Himmlers Einsatzgruppen und Görings Wirtschaftsinspektionen durchbrach. Dessen ungeachtet war die Macht der Militärs hier immer noch „beträchtlich. Besonders die Armeeoberbefehlshaber agierten in einem breiten Streifen hinter der Front wie kleine ,Warlords'. Sie besaßen Macht und konnten Macht ausüben." 2 9 0 Da sie aber mit ihren militärischen Aufgaben ziemlich ausgelastet waren, hatte man ihre territoriale Befehlsgewalt an jene Kommandobehörden delegiert, die „hinten" für „Ruhe und Ordnung" sorgen sollten: bei den Armeen an die Kommandanten der Rückwärtigen Armeegebiete, bei den Heeresgruppen an die Befehlshaber der Rückwärtigen Heeresgebiete, die seit März 1942 den klingenden Titel eines Kommandierenden Generals der Sicherungstruppen und Befehlshaber im Heeresgebiet führten. Wie weit sich der jeweilige Ober-

287 Vgl. ]3¡ e Geheimen Tagesberichte der deutschen Wehrmachtführung, Bd. 4, S.374f. Insgesamt sind allein 40 mit Ziffern versehene Korücks bekannt. Hinzu kamen die „Korücks bei den Armeen", etwa „Korück beim P z A O K 2" (später Korück 532), von denen 26 weitere bekannt geworden sind. Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1, S.281, 290ff.; Keilig, Das Deutsche Heer, Lieferung 163, B1.3ff.; Schulte, German Army, S.313f.

288

289

290

Generell zum Einsatz von Korücks: Müller, Wehrmacht und Okkupation 1941-1944, S.71ff.; Simpson, The German Experience; Kumanyev, Soviet People's Partisan Movement; Förster, Sicherung des „Lebensraumes"; Polonsky, German Occupation; Schulte, German Army; ders., Korück 582; ders., German Soldier in Occupied Russia; Umbreit, Herrschaft, S.3ff.; ders., Die Verantwortlichkeit der Wehrmacht als Okkupationsarmee; Vestermanis, Ortskommandantur Libau; Anderson, Conduct of Reprisals, S. 106ff.; Röhr, Forschungsprobleme, S. 89ff.; Hammel, Kompetenzen und Verhalten der Truppe; Gerlach, Morde, S. 134ff.; Hürter, Wehrmacht vor Leningrad, S. 385ff.; Kunz, Die Feld- uncí Ortskommandanturen auf der Krim und der Judenmord 1941/42; Oldenburg, Ideologie, S.62ff.; Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 157. Vgl. IfZ-Archiv, Da 34.08: H.Dv.g. 90: Versorgung des Feldheeres, Teil 1, Berlin 1.6.1938, S. 21 f., 25. Für die Situation des Ostkriegs: Befehl des Oberbefehlshabers des Heeres (Besondere Anordnungen für die Versorgung, Ani. 6, Teil C), 3.4.1941, in: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S. 299-304, insbes. S.299. Vgl. hierzu auch Umbreit, Deutsche Militärverwaltungen 1938/39, S. 13ff. sowie Müller, Kriegsrecht oder Willkür? Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr.21 vom 13.3.1941, Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S. 88-91, hier S.89. Hürter, Heerführer, S. 611. Vgl. ferner mit der Bewertung bei ders., Wehrmacht vor Leningrad, S.388.

1.2 Divisionstypen

71

befehlshaber der Armee oder Heeresgruppe wirklich für seine „Etappe" interessierte, hing von seinem Charakter ab und nicht zuletzt von der militärischen Lage. Für die meisten „OB's" hatte die „Kriegskunst" absolute Priorität 2 9 1 . Auch diese militärfachliche Verengung kann erklären, warum die NS-Führung so großen politischen Einfluss in Bereichen gewinnen konnte, die doch traditionell zu den Residuen des Militärs gehörten. Die Kommandantur des Rückwärtigen Armeegebiets war also eine Art Hilfsverband, die ihrer Armee auf Schritt und Tritt folgen sollte, um sie zu ergänzen, zu entlasten und ihr - so der offizielle Auftrag - die „Sicherung und Ausnützung" ihres Besatzungsgebiets abzunehmen 292 . Am Beispiel des Korück 532 wird deutlich, was das im Einzelnen bedeutete 293 : „1.) militärische Sicherung des R ü c k w ä r t i g e n ] Armee-Geb[ietes] (aktive Partisanenbekämpfung, Sicherung und Verteidigung wichtiger Anlagen) 2.) Leitung des Durchmarsches von Truppen [ . . . ] 3.) Unterbringung von Truppen und Armee-Einrichtungen [ . . . ] 4.) Fahrbarhaltung der Straßen [ . . . ] 5.) Sicherung der wirtschaftlichen Erfassung 6.) Einsatz der Ordnungsdienste 7.) Erhaltung und Ausbau des zivilen Verwaltungsdienstes 8.) Heranziehung der Zivilbevölkerung zu Dienstleistungen 9.) Erfüllung der Aufgaben als K[omman]d[eu]r der Kriegsgefangenen 10.) Durchführung der Abwehrmaßnahmen [gegen Spionage] 11.) Propagandistische Durchdringung und Befriedung des R ü c k w ä r t i g e n ] Armeegebietes."

Die Korücks, die ja der Gefechtszone folgten, besaßen gewöhnlich eine Tiefe von bis zu 50 Kilometern 294 , doch konnten sie sich auch weiter nach hinten ausdehnen. Allein der Korück 580 war zwischen November 1941 und Juni 1942 für Areale verantwortlich, deren Größe zwischen 18000 und 37500 Quadratkilometern schwankte 295 . Während des Bewegungskriegs schoben sich die Korücks wie große Luftkissenboote Stück für Stück weiter nach Osten. Erst mit Beginn des Stellungskriegs trat dann die langfristige Sicherung der deutschen Herrschaft in den Vordergrund. Ähnlich wie eine Sicherungsdivision zerfiel auch ein Korück organisatorisch in drei große Teile: - U m sein Besatzungsgebiet zu beherrschen, war jedem Korück ein Netz von Feld- und Ortskommandanturen unterstellt. In diesen „territorialen KommandoVgl. hierzu Hürter, Heerführer, S. 266ff., 350. Dieser kommt zu dem Schluss, dass sich „über 90 Prozent ihrer dienstlichen und privaten Äußerungen" auf das taktische und operative Geschehen in ihrem Befehlsbereich bezogen hätten. 2 9 2 Befehl des Oberbefehlshabers des Heeres (Besondere Anordnungen für die Versorgung, Ani. 6, Teil C ) vom 3.4.1941, Druck: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S.299-304, hier S.299. 2 9 3 B A - M A , R H 21-2/877: Pz. A O Κ 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1.3.1942. Interessant die Unterschiede zu den Aufgaben, die der Generalquartiermeister im Februar 1941 für die Korücks festgelegt hatte. Sie verdeutlichen, wie sehr sich diese Einrichtung während des Krieges verändert hatte. Müller, Kriegsrecht oder Willkür?, S. 140. 294 Vgl. a u c h Hürter, Wehrmacht vor Leningrad, S. 385. Auch „die Tiefe des Armeegebietes" sollte „auf unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden". Befehl des O b d H (Besondere Anordnungen für die Versorgung, Ani. 6, Teil C) vom 3.4.1941, in: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S.299-304, hier S.299. 2 9 5 IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" vom 28.6.1942. Vgl. Pohl, Herrschaft, S.99. 291

72

1. Formationen s t e l l e n " 2 9 6 w a r e n p r o K o r ü c k n i c h t m e h r als 5 0 0 S o l d a t e n e i n g e s e t z t 2 9 7 . U m s o g r ö ß e r w a r ihre M a c h t . Sie w a r e n es, die als erste eine r u d i m e n t ä r e , a b e r o r t s f e s t e 2 9 8 M i l i t ä r v e r w a l t u n g o r g a n i s i e r t e n , i n d e m sie „ m i t d e n z u u n t e r s t e l l e n d e n Sicherungstruppen und Polizeikräften Stützpunkte für Versorgung [und] B e h e r r s c h u n g des L a n d e s " b i l d e t e n 2 9 9 . K a u m ein Teil d e r W e h r m a c h t h a t t e d a h e r s o intensiven K o n t a k t z u r e i n h e i m i s c h e n B e v ö l k e r u n g . D i e s e K o m m a n d a n t u r e n ü b e r n a h m e n , in K o o p e r a t i o n m i t d e n R e s t e n d e r e i n h e i m i s c h e n A d m i n i s t r a t i o n , die t e r r i t o r i a l e V e r w a l t u n g . S o w a r d e r K o r ü c k 5 8 0 i m H e r b s t 1 9 4 2 f ü r i m m e r hin 6 3 0 7 8 3 M e n s c h e n z u s t ä n d i g 3 0 0 , also f ü r eine B e v ö l k e r u n g in d e r G r ö ß e n o r d n u n g eines d e u t s c h e n R e g i e r u n g s b e z i r k s .

-

D a n e b e n dienten die K o r ü c k s f ü r die F r o n t als „ H a u p t t r ä g e r d e r V e r s o r g u n g " 3 0 1 . Z u d i e s e m Z w e c k arbeiteten sie i m O s t k r i e g eng m i t d e n

Armeewirtschaftsführ-

ern bei den A r m e e o b e r k o m m a n d o s z u s a m m e n s o w i e m i t d e n mandos

des W i r t s c h a f t s s t a b s O s t 3 0 2 . D i e V e r t r e t e r dieser

Wirtschaftskom-

„zivil-militärischen

M i s c h g e b i l d e " 3 0 3 , p r o K o m m a n d o e t w a 4 0 0 bis 6 0 0 M a n n 3 0 4 , h a t t e n w i e d e r u m z w e i k o n t r ä r e A u f g a b e n , bei d e n e n ständige R e i b u n g e n v o r p r o g r a m m i e r t w a r e n 3 0 5 : A l s „eigentliche A u s f ü h r u n g s s t e l l e d e r p r a k t i s c h e n L a n d e s a u s n u t z u n g " 3 0 6 sollten sie einerseits die b e s e t z t e n G e b i e t e in g r o ß e m M a ß s t a b für das D e u t s c h e R e i c h a u s b e u t e n u n d andererseits d e m „ S o f o r t b e d a r f " d e r T r u p p e v o r O r t R e c h n u n g t r a g e n 3 0 7 . I m G e b i e t des K o r ü c k 5 8 0 w a r i m F e b r u a r 1 9 4 2 beispielsweise Keilig, Das Deutsche Heer, Lieferung 163, Bl. 10. Insgesamt waren in den besetzten sowjetischen Gebieten 65-70 Feldkommandanturen und 300-350 nummerierte Ortskommandanturen eingesetzt. Vgl. Pohl, Herrschaft, S. 107; Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 14. Zur Arbeitsweise vgl. B A - M A , R H D 4-485: H.Dv. 485: Dienstanweisung Feld- und Ortskommandanturen, Berlin 1939. Ferner Kunz, Feld- und Ortskommandanturen. 297 Vgl. Oldenburg, Ideologie, S. 64 f. In einer Feldkommandantur waren gewöhnlich 10-14 Offiziere und Beamte sowie 50-60 Soldaten eingesetzt. In einer Ortskommandantur I waren es bis zu 5 Offiziere und Beamte sowie 20-35 Soldaten, während eine Ortskommandantur II nur über zwei Offiziere sowie 15-20 Soldaten verfügte. 2 9 8 Vgl. hierzu auch B A - M A , R H 21-4/336: O K H / G e n S t d H / G e n Q u , „Besondere Anordnungen für die Sicherungen der rückwärtigen Heeresgebiete bei Fortsetzung der Operationen" vom 29.7.1941: „In der Westukraine und in Weissruthenien sind die erforderlichen Feld- und Ortskommandanturen [...] ortsfest zu belassen." 2 9 9 B A - M A , R H 3/132: O K H / G e n S t d H / G e n Q u I/II a, Anordnungen über militärische Hoheitsrechte, Sicherung und Verwaltung im rückwärtigen Gebiet undKriegsgefangenenwesen vom Februar 1941, Anlage 15. Ferner BA-MA, R H D 4-485: H.Dv. 485: Dienstanweisung Feld- und Ortskommandanturen, Berlin 1939 sowie Müller, Kriegsrecht oder Willkür?, S. 141. 3 0 0 IfZ-Archiv, MA 907: Wi. Kdo. A O K 2, Gruppe Arbeit, „Übersicht über die Bevölkerung und die Arbeitseinsatzfähigkeit im Bereiche Korück 580" vom 25.10.1942. Gezählt wurden damals 494319 Menschen, die auf dem Land, und 107564 Menschen, die in der Stadt lebten, davon in Kursk 75 000. Hinzu kamen noch 28 900 Evakuierte. 3 0 1 Bieringer, Nachschubfibel, S. 10. 3 0 2 In den besetzten sowjetischen Gebieten waren zunächst 23, schließlich etwa 50 Wirtschaftskommandos eingesetzt. Angabe nach: Pohl, Herrschaft, S. 110. 3 0 3 So Hürter, Wehrmacht vor Leningrad, S.387. Vgl. freilich auch mit dem Urteil Gerlachs (Morde, S.145), dass „von einer Dominanz der Wehrmacht [in der Wirtschaftsorganisation Ost] keine Rede sein" könne. 3 0 4 Gerlach, Morde, S. 149. 3 0 5 Vgl. hierzu Müller, Scheitern, S.936ff. 306 Müller (Hrsg.), Die deutsche Wirtschaftspolitik, S.34. Ferner Müller, Wirtschaftsallianz, S. 129ff.; Gerlach, Morde, S. 142ff. 307 Vgl. Anlage 1 zu den Besonderen Anordnungen Nr. 1 des Chefs O K W zur Weisung Nr. 21 vom 19.5.1941, in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S.45-54, hier S.51. Ferner IMT, Bd.27, 296

73

1.2 Divisionstypen

das W i r t s c h a f t s k o m m a n d o R y l s k eingesetzt, dessen L e i t e r zugleich die Stelle eines W e h r w i r t s c h a f t s o f f i z i e r s ( I V W i ) i m Stab dieses K o r ü c k w a h r n a h m 3 0 8 . -

Schließlich hatte d e r K o r ü c k „ s e i n e " A r m e e o r g a n i s a t o r i s c h z u i m p l e m e n t i e r e n . Alles, w a s diese z u m K r i e g f ü h r e n b r a u c h t e , w a s ihre K a m p f v e r b ä n d e a b e r selbst n i c h t leisten k o n n t e n , blieb b e i m K o r ü c k h ä n g e n : er hatte D e p o t s a n z u l e g e n , für d e n N a c h s c h u b , d e n U n t e r h a l t d e r Straßen, d e n A b s c h u b d e r K r i e g s g e f a n g e n e n o d e r für die Sicherheit i m u n m i t t e l b a r e n H i n t e r l a n d der F r o n t z u s o r g e n 3 0 9 . J e n e eigentümliche, für die W e h r m a c h t s o t y p i s c h e V e r k n ü p f u n g v o n L o g i s t i k u n d B e s a t z u n g s h e r r s c h a f t 3 1 0 k e n n z e i c h n e t e also a u c h A u f g a b e n u n d

Organisation

eines K o r ü c k . D a z u w a r e n d i e s e m R a h m e n v e r b a n d m i t s e i n e m „ R u m p f s t a b " 3 1 1 , in d e m g e w ö h n l i c h n i c h t m e h r als 1 2 0 M a n n tätig w a r e n 3 1 2 u n d in d e m sich k a u m einmal ein geschulter G e n e r a l s t ä b l e r v e r i r r t e 3 1 3 , die u n t e r s c h i e d l i c h s t e n E t a p p e n e i n r i c h t u n g e n unterstellt; b e i m K o r ü c k 5 8 0 w a r e n das i m A u g u s t 1 9 4 1 Nachschub-

und Β au-Bataillone,

fahr-Kompanien, u n d ein Feldpostamt

f e r n e r E i n h e i t e n des Reichsarbeitsdienstes,

Armee-Gefangenensammelstellen, s o w i e eine g a n z e

ein

308

309 310 311

312

313

3,4

315

Mitte3i5

Rad-

Schienenschlepperzug

Feldgendarmerie-Abteilung.

D a s w a r n o c h n i c h t alles. A u c h E i n h e i t e n w i e das Sonderkommando das Polizei-Regiment

Wach-,

o d e r das u n s s c h o n b e k a n n t e

7 b314,

Polizei-Bataillon

S. 169ff.: Dok.PS-1317; Bd. 39, S.455: Dok.USSR-180. Ferner Thomas, Wehr- und Rüstungswirtschaft 1918-1943/45, S. 18f. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1669: LV. A.K., Abt. Qu., „Besondere Anordnungen für die Versorgung und für die Versorgungstruppen Nr. 86" vom 11.2.1942. IfZ-Archiv, M A 885: Korück 580, Abt. Qu., „Umgruppierungsbefehl" vom 26.8.1941. Vgl. Wagner, Der Generalquartiermeister, S. 247ff. Für den Kommandanten eines Rückwärtigen Armeegebiets war der Quartiermeister der wichtigste Mitarbeiter; er übernahm die Funktionen eines I b und zunehmend auch die eines I a. Allerdings wurde beim A O K 2 die Bekämpfung von Partisanen seit April 1942 von der Abteilung I a des A O K koordiniert. Daneben gab es im Stab eines Korück eine reduzierte Abt. I c unci II a, ferner die Funktionen der Abt. III (Kriegsgerichtsrat), IV a (Intendantur), IV b (Oberfeldarzt) sowie IV c (Oberstabsveterinär), eine Gruppe Ordnungsdienste sowie die Abt. VII, die eine landeseigene Gemeindeverwaltung aufbauen und kontrollieren sowie die von den Wirtschaftsdienststellen beabsichtigte Ausbeutung unterstützen sollte. Insgesamt waren im Stab des Korück 580 nur 18 Offiziere und Beamte tätig, im Stab einer Infanteriedivision wie der 45. ID insgesamt 40 Offiziere und Beamte. Vgl. IfZ-Archiv, MA 907: Kriegsrangliste des Stabes des Korück 580 für die Zeit vom 1.10.-31.12.1942; B A - M A , R H 20-2/401: A O K 2, Abt. I a, Fernschreiben an Korück 580 vom 30.4.1942; IfZ-Archiv, MA 1622: Kriegsrangliste des Stabes der 45. Inf. Div. [Stand Januar 1942]. Ferner Neumann, Arzttum, S. 89. Die Abteilung VII, die erst während des Ostkriegs installiert wurde, gab es bis zum Ende des Jahres 1942 bei den Korücks. Vgl. Schulte, German Army, S. 61 ff.; Gerlach, Morde, S. 140; Oldenburg, Ideologie, S. 64. So verfügte der Korück 553 beispielsweise über 12 bis 16 ältere Offiziere, 4 bis 8 Beamte und rund 100 Soldaten, „die überwiegend mit Schreib- und Koordinierungsaufgaben beschäftigt waren". Vgl. Oldenburg, Ideologie, S.63, Anm.221. Vgl. etwa Schade, Briefe aus dem Krieg, S.60ff. (Briefe vom 24.2.1942ff., Manuskript im Besitz des Verf.). IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Verlegungsbefehl vom 8.8.1941. Vgl. auch B A - M A , R H 20-2/1445: A O K 2, O Q u / Q u . 2, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 29.6.-5.7.1941: „Das Sonderkommando 7 b der Sicherheits-Polizei trifft am 28.6. ein und wird durch I c angesetzt." Vgl. hierzu auch Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 179ff.; Gerlach, Einsatzgruppe B, S.54; Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 116 ff. Das Polizei-Regiment Mitte war dem Korück 580 nur kurz unterstellt, vom 23.8. bis 1.9.1941. Wenn dieses freilich in dieser Zeit die Tötung von 1200 Menschen meldete, „russische Soldaten, Partisanen, Kommissare", so lässt sich ermessen, was dies bedeutete. IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Anordnung vom 26.8.1941; ebda., Anordnung vom 2.9.1941. Vgl. hierzu auch Kap.5.5.

74

1. F o r m a t i o n e n

309316 waren diesem Korück zeitweise zugeordnet - auch das ein Beleg dafür, dass der rassenideologische Vernichtungskrieg im unmittelbaren Hinterland der Front begann. Diese Todesschwadronen hatten hier freie Hand. Ihre „fachlichen Weisungen" erhielten sie direkt von Reinhard Heydrich 317 , nur „hinsichtlich Marsch, Versorgung und Unterbringung" waren sie den Armeen, und das hieß konkret: deren Korücks, unterstellt 318 . Wenn sich die Gliederung des Korück 580 bereits nach einem Jahr fast völlig verändert hatte, so spiegelte sich darin vor allem der Verlauf des Krieges - weniger der beginnende Stellungskrieg an der Front als vielmehr die zunehmende Bedeutung der Partisanen, die sich selbst in diesem Teil des deutschen Besatzungsgebiets festzusetzen begannen 319 . Nun erst wurden die Korücks richtig „aufgerüstet", wenn auch nicht mit der ersten Garnitur dessen, was die deutsche Kriegsmaschinerie zu bieten hatte. Vielmehr mussten die Verbündeten oder die Kollaborateure der Deutschen, in ihrem Verständnis die „Hilfsvölker", die Lücken im Rücken der deutschen Front zu schließen: So unterstanden dem Korück 580 im Mai 1942 zwei schwache ungarische Divisionen und ein ungarisches Infanterie-Regiment, ferner

„fremdvölkische"

Einheiten wie etwa das Turkestanische

Bataillon 450i2° und

nicht weniger als 14 Sicherungs-Hundertschaften aus ehemaligen Kriegsgefangenen 321 ; auch begann man mit Eingreif- und Jagdkommandos zu experimentieren 322 und sogar mit Nebelwerfern, wenn auch nur in Stärke einer Batterie, während die konventionellen Sicherungsaufgaben weiterhin bei deutschen Wach-Bataillonen und Feldgendarmerie-Abteilungen lagen. Was dieses Sammelsurium an Truppen zu leisten hatte, kann ein Bericht des Korück 580 vom Juni 1942 illustrieren 323 : Man habe seit Januar 1942 „über 140 größere, mehrtägige" sowie „über 800 kleinere, eintägige Säuberungsaktionen" unternommen, 20 größere Ortschaften, „796 km Eisenbahnen mit 120 Eisenbahnbrücken" und „520 km Straßen mit

316 317

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322

323

IfZ-Archiv, M A 895/1: Korück 580, Anordnung vom 2 6 . 8 . 1 9 4 1 . Befehl des O b d H v o m 2 8 . 4 . 1 9 4 1 , in: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.303f. Laut Befehl des O K H zur „Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD im Verbande des Heeres" v o m 2 8 . 4 . 1 9 4 1 sollten die I c's als Schnittstelle zwischen Wehrmacht und Einsatzgruppen fungieren. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S . 3 0 3 f . Vgl. hierzu auch Kap.5.4. Vgl. hierzu Kap. 3.4 und 3.5. Dieses wurde, wie man bei der benachbarten 2. Panzerarmee bedauernd feststellte, ab Mai 1942 im Hinterland der 2. A r m e e eingesetzt. B A - M A , RH 21-2/355: Pz. A O K 2, A b t . I a , Fernsprechbuch, Eintrag vom 6 . 5 . 1 9 4 2 ; B A - M A , R H 20-2/336: A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1 3 . 5 . 1 9 4 2 . A m 1 . 1 1 . 1 9 4 2 waren beim Korück 580 insgesamt 1 1 4 7 Gefangene, 3 9 1 3 entlassene Kriegsgefangene und 147 Zivilisten eingesetzt. Angabe nach: Arnold, Wehrmacht, S. 337 mit Anm. 72. Vgl. IfZ-Archiv, M A 907: Korück 580, Abt. Qu., Weisung betr. „Jagd-Kdos. und EingreifKdos. zur Bandenbekämpfung" vom 1 7 . 1 0 . 1 9 4 2 . Diese sollten auf weite (Jagd-) und kurze Distanz (Eingreif-Kommandos) operieren. Pro Kommando wurden gerechnet: Ein Offizier, 7 Unteroffiziere und 58 Mannschaften, ausgerüstet mit 23 Gewehren, 13 Pistolen, 16 MP's, 14 Scharfschützengewehren, 3 le. MG's, einem sw. M G und einem Granatwerfer, ferner einer Leuchtpistole und 162 Handgranaten. IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" v o m 28.6.1942.

1.2

Divisionstypen

75

100 Straßenbrücken" gesichert und schließlich etwa 80 Ortschaften „zur Verteidigung hergerichtet". Als „Dienstleister" des modernen Krieges blieben die Korücks Verbände „ohne Eigenschaften". Es spricht für sich, wenn selbst die Sicherungsdivisionen noch über ein Verbandswappen verfügten, die Korücks aber nicht 3 2 4 . Verächtlich schrieb ein Hauptmann von den „Pantoffel-Soldaten", was übrigens wörtlich zu nehmen ist, weil Angehörige eines Korück tatsächlich in Pantoffeln auf Wache gezogen waren 3 2 5 . Eine solche Verachtung hatte Tradition, erinnert sei an das geringe Prestige, das die Artilleristen oder Pioniere in der preußischen Armee besessen hatten, von den Nachschubtruppen, dem Train, einmal ganz zu schweigen 3 2 6 . Gefördert wurde diese lang eingeübte Geringschätzung durch den nationalsozialistischen Frontkämpfermythos, demzufolge nur jene als Soldaten zu gelten hatten, die an der Front dem Gegner ins Auge blickten 3 2 7 . Selbst Heinrich Himmler, der doch die Front nur aus Berichten kannte, sprach von den rückwärtigen Truppen nur als den „Troßknechten" 3 2 8 . Dass diese für das Funktionieren einer modernen Armee unabdingbar waren, passte offenbar nicht in sein archaisches Kriegsbild, und es ist sicherlich nicht falsch, in dieser konsequenten Unterschätzung der materiellen Bedingtheit des modernen Krieges einen Grund für den Zusammenbruch der deutschen Kriegsmaschinerie zu erkennen. Auch die Geschichte des Korück 580 ist ein Beispiel dafür, wie sehr die deutsche militärische Führung die Etappe vernachlässigte. Obwohl selbst hier die sowjetischen Partisanen kontinuierlich an Boden gewannen, musste ein Leutnant aus dem Korück 580 noch im April 1942 „die Inferiotät [sie!] der eigenen Truppen an Stärke und Bewaffnung" 3 2 9 melden. In seinen Aufgaben, seinem deutlich reduzierten Stab und seiner unruhigen, ständig wechselnden Organisationsstruktur unterschied sich ein Korück stark von den übrigen Divisionen unseres Samples. Doch gab es auch strukturelle Ubereinstimmungen. Laut Dienstvorschrift sollte „der Kommandant des rückwärtigen Armeegebietes [...] die Stellung eines Divisionskommandeurs" habe 3 3 0 , was sich auch durch die Größe dieses Besatzungsverbands begründete; so gehörten zum Korück 580 etwa 15400 Mann (Mai 1942) 3 3 1 , zum Korück 532 exakt 14143 Mann (September 1942) 3 3 2 , was ziemlich genau der Größe einer starken Division ent-

324 Vgl. Schmitz/Thies, Truppenkennzeichen, Bd. 1 und 3. Schulte, German Army, S. 146. Das bekam beispielsweise in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Wilhelm Groener zu spüren, der als Oberstleutnant i. G. am 1 . 1 0 . 1 9 1 2 Chef der Eisenbahnabteilune im Großen Generalstab geworden war. O b w o h l die operative Planung und Führung ohne diese Abteilung eigentlich nicht denkbar war, haftete ihren Mitarbeitern „das O d i u m von Verwaltungsbeamten" an. Vgl. Hürter, Wilhelm Groener, S. 7. 327 Vgl. Kroener, „Frontochsen", S. 377. 5 2 8 Smith/Peterson (Hrsg.), Heinrich Himmler. Geheimreden, S.235. 3 2 9 IfZ-Archiv, M A 895/2: Gruppe Ltn. Burkhardt, Funkspruch an Korück 5 8 0 vom 2 5 . 4 . 1 9 4 2 . Vgl. hierzu auch Creveld, Kampfkraft, S. 204. 3 3 0 IfZ-Archiv, D a 34.08: H.Dv.g. 90: Versorgung des Feldheeres, Teil 1, S.23. Aufschlussreich ist ferner, dass der Kommandeur einer Division und der Kommandant eines Rückwärtigen Armeegebiets sowie ihre ersten Generalstabsoffiziere dieselben Dienstränge besaßen. 3 3 1 IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1 9 4 2 " vom 28.6.1942. 3 3 2 Angaben nach Schulte, German Army, S. 77f. 325 326

76

1. Formationen

sprach. Unter dem Aspekt von Organisation, Größe und Einsatzraum war ein Korück nichts anderes als eine weitere Variante der deutschen Landstreitkräfte. O h n e dessen Einbeziehung bliebe nicht nur eine Organisationsform der Wehrmacht ausgespart, sondern auch ein essentieller Teil ihres Aktionsraums, das unmittelbare Hinterland der Front.

Zusammenfassung Im Mittelpunkt dieses organisationsgeschichtlichen Uberblicks standen Truppenteile, keine Soldaten. D o c h erschließt sich deren Identität auch über die Organisation, schon weil in der Vorstellung jedes militärischen Apparats die Person hinter ihrer Funktion zurückzutreten hat. N u r wenige Armeen haben das Prinzip der „totalen Organisation" 3 3 3 so sehr gelebt wie die preußisch-deutsche. Schon ihr Motto, Generalstabsoffiziere hätten keine N a m e n 3 3 4 , lässt das erahnen. Wenn diese Maxime bereits für jene kleine, hervorgehobene Elite galt, quasi den intellektuellen Kern dieser Armee, um wie viel mehr musste es für den „gemeinen Mann" gelten. Eine Beantwortung jener Kardinalfrage, was die deutschen Soldaten im Krieg konkret zu tun und zu verantworten hatten, ist daher ohne Kenntnis der Institution, der sie angehörten und die ihre Existenz vollkommen in Beschlag zu nehmen suchte, kaum möglich. (1) Obwohl es sich beim Sample dieser Untersuchung nur um einen verschwindend kleinen Ausschnitt der Wehrmacht handelt, vermittelt schon dieser eine Vorstellung von ihrer Größe und ihrer Komplexität. Die oft gesehenen Bilder der uniformierten, streng ausgerichteten Soldatenblöcke, Sinnbild des Homogenen schlechthin, täuschen. Während des 18.Jahrhunderts hatte diese soldatische Geometrie noch eine militärische Funktion, in der Wehrmacht war sie nur noch Tradition. Sie diente der Selbstdarstellung (und auch der Sozialisation der Rekruten), zu mehr nicht. Spätestens im Krieg sah deren Alltag anders aus. Schon eine einzige Division, die zwar als Kollektiv wirkte, zerfiel faktisch in Dutzende, wenn nicht Hunderte hochspezialisierter Subsysteme. Kaum etwas hat die Situation des einzelnen Wehrmachtsangehörigen so sehr geprägt. Die Prinzipien von Arbeitsteiligkeit und Spezialisierung erzwangen nicht nur eine strikte Unterordnung unter das militärische Kollektiv, sie sorgten auch dafür, dass sich die Aufgaben, die der Einzelne in diesem Kollektiv wahrnahm, extrem unterschieden. Diese Vielfalt an Funktionen ist bereits das Charakteristikum einer einzigen Division; mit jedem Divisionstyp und erst recht mit jeder Teilstreitkraft musste sich dies weiter potenzieren. Das soll nicht heißen, dass es in der Wehrmacht nicht übergreifende Merkmale gegeben hätte. Ihre Angehörigen trugen - grosso modo - ein und dieselbe U n i form, sie unterstanden dem Oberbefehl eines einzigen Mannes, sie hatten die gleichen Rahmenbestimmungen und -befehle zu beachten und sie mussten - was vermutlich am folgenreichsten war - gegen ein und dieselbe Streitmacht Krieg führen. 333 Vgl. Meyer, Kriegs- und Militärsoziologie, S. 102 ff. 334

So der General Hans von Seeckt, zit. in: Meier-Welcker, Seeckt, S.234f.

1.2 Divisionstypen

77

Das aber sah in der Praxis sehr unterschiedlich aus, weil es bereits die formale Struktur militärischer Organisationen war 3 3 5 , an der sich diese Tendenzen zur Vereinheitlichung brachen. (2) So sehr sich die Aufgaben, die der militärische Apparat seinen Angehörigen zuwies, auch diversifizierten, sie dienten doch einem einzigen Zweck - einem militärischen. Der Blick in den Organismus einer Kampfdivision offenbart, dass die weit überwiegende Mehrheit dieser 18000 Männer eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld herbeiführen sollte. Alles andere hatte dahinter zurückzustehen, und schon jene Funktionen, die nur mittelbar dieser Aufgabe dienten - Nachschub etwa, Verwaltung, Instandsetzung oder auch die Sicherung der Besatzungsherrschaft - , waren hier auf ein M i n i m u m reduziert 3 3 6 . Diese D o m i n a n z des Militärischen, w i e es typisch für eine Kampfdivision der Wehrmacht ist, setzt sich auf den darüber liegenden Hierarchieebenen fort, sie ist auch ein Charakteristikum des gesamten Ostheers 3 3 7 . Zwar verfügte dieses Heer über Besatzungsverbände, doch blieben sie eindeutig in der Minderheit. Das begründete sich nicht allein in der Tradition der preußisch-deutschen Armee, die sich für die „zivilen Aspekte" des Krieges meist nur wenig interessiert und diese bewusst vernachlässigt hatte. Angesichts des Kräfteverhältnisses des deutsch-sowjetischen Krieges blieb der Wehrmachtsführung gar nichts anderes übrig, als die Masse ihrer Soldaten an die Front zu werfen. Da die politische Führung gleichzeitig nicht-, bzw. halb-militärische Organisationen zur Sicherung der deutschen Herrschaft einsetzte, förderte das bei der militärischen Führung die unverzeihliche Vorstellung, sie könne sich getrost aus der Besatzungspolitik zurückziehen, obwohl es sich hier doch u m eine zentrale A u f g a b e der Wehrmacht handelte. Das hatte zur Folge, dass die meisten deutschen Soldaten ausschließlich mit der Kriegführung beschäftigt waren, was in einem ganz wörtlichen Sinne zu verstehen ist. (3) Aufschlussreich ist auch die Ausrüstung der fünf Formationen. Mit dem „Unternehmen Barbarossa" w u r d e n die deutschen Soldaten in einen Krieg geschickt, in dem sie militärisch nur wenig Chancen besaßen. Mit Abstand am schwächsten ausgerüstet waren die Besatzungsverbände. Aber auch an der Front konzentrierte die Wehrmacht ihr modernes Kriegsgerät letzten Endes nur in sehr wenigen Elite-Formationen. A n ihnen hing alles. Das Rückgrat der Wehrmacht, die Infanteriedivisionen - nach damaliger Vorstellung eigentlich leidlich ausgerüstet - , waren dagegen bei einem Unternehmen dieser Dimension schon bald heillos überfordert 3 3 8 . Dies sollte viele Konsequenzen haben - nicht nur militärische. 335 336

337

338

Vgl. hierzu König, Handbuch der empirischen Sozialforschung, S. 156ff. Das wird schon an der Dislozierung einer Division erkennbar. Natürlich hatte auch eine Kampfdivisionen nicht alle ihrer Soldaten an vorderster Front platziert, doch war es hier nur eine Minderheit, die primär „hinten" im Einsatz war. Ganz davon abgesehen handelte es sich hier gewöhnlich um das frontnahe Hinterland, nicht das rückwärtige Militärverwaltungsgebiet. Vgl. mit dem Urteil von Dieter Pohl, die Aufgabe der Wehrmacht habe „mehr in der Eroberung und weniger in der Besatzung fremder Territorien" bestanden. Pohl, Die Wehrmacht und der Mord an den Juden, S. 39. Bereits im Dezember 1940 hatte der Generalstabschef des Heeres dies auch unverblümt zugegeben: Die Divisionen könnten „nicht gleichmäßig ausgestattet werden", dies habe „fallweise" zu geschehen. Meier-Welcker, Aufzeichnungen, S.95 (Eintrag vom 1 8 . 1 2 . 1 9 4 0 ) nach einer Chefbesprechung bei Halder.

78

1. F o r m a t i o n e n

Nicht selten sind es Unterlegenheit und Verunsicherung, die Soldaten unberechenbar werden lassen 3 3 9 . Gewiss lassen sich damit allein die deutschen Kriegsverbrechen in der Sowjetunion nicht erklären. D o c h wäre es genauso falsch, dieses zentrale Strukturmerkmal des deutschen Militärapparats zu ignorieren: Das beispiellose Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen war auch eine Folge der unzureichenden deutschen Logistik, die im Grunde noch nicht einmal die eigene Versorgung garantieren konnte; zur radikalen Ausbeutung des besetzten Landes kam es auch deshalb, weil der Führung eine Versorgung aus der Heimat entbehrlich schien; und der Partisanenkrieg eskalierte auch deshalb, weil die Deutschen das Problem militärisch nicht in den Griff bekamen. Dass bei all diesen Verbrechen die Ideologie und die Entscheidungen der obersten Führung stets eine zentrale Rolle spielten - ausschließlich war dies beim Genozid an den sowjetischen Juden sowie bei der Ermordung der sowjetischen Kommissare und Funktionäre der Fall - , steht außer Frage. D o c h gerade bei einer Darstellung, die sich auf das Verhalten der Basis konzentriert, sind auch diese organisatorischen und technischen Voraussetzungen stets im Blick zu behalten. (4) Deutlich geworden sind auch die großen funktionalen Unterschiede zwischen den Kampf- und den Besatzungsverbänden der Wehrmacht 3 4 0 . D e r Zweck der Ersteren war ein rein militärischer, auch war ihre Autonomie größer. Die Besatzungsformationen hatten dagegen von Anfang an eine administrative und auch eine politische Funktion. Auch agierten sie in ganz anderen funktionalen Zusammenhängen: Schon auf Divisionsebene waren sie mit Teilen der nationalsozialistischen Ausbeutungs- und Mordorganisationen durchsetzt, mit Organisationen, die von ihrer Genese, ihren Aufgaben und ihrem Selbstverständnis etwas anderes darstellten als der militärische Apparat - auch das ein Hinweis darauf, wie sehr die politische Führung speziell diesen Teil der Wehrmacht zu kontrollieren versuchte. (5) Schließlich verdient noch ein Aspekt Erwähnung: D e r Wehrmacht ist es wie kaum einer Armee gelungen, den einzelnen in den militärischen Apparat zu integrieren. Das lag nicht allein daran, dass Faktoren wie Diktatur und Krieg diesen Prozess erheblich unterstützten. Es hatte auch lang zurückreichende historische und mentale Voraussetzungen; die soziale Militarisierung der preußischen Gesell339 Vgl. etwa Friedrich, Gesetz des Krieges, S. 654; Greiner, Krieg ohne Fronten. 340

Unerfindlich bleibt die Behauptung von Hannes Heer (Hitler war's, S.244), es habe „keine reinen Besatzungsverbände" gegeben. Auch sein Hinweis, dass immer wieder Kampfverbände im Hinterland eingesetzt worden seien, kann in diesem Zusammenhang nicht uberzeugen, schon weil deren Zahl sehr gering blieb. In der Regel handelte es sich hier, wie das bekannte Beispiel der 707. I D zeigt, um schwache und militärisch nicht vollwertige Verbände. Seit 1 9 4 2 / 4 3 kam es dann zu kurzfristigen Einsätzen einzelner Frontverbände bei „Großunternehmen" gegen Partisanen, doch blieb auch das die Ausnahme, da sich die deutsche Führung angesichts der militärischen Entwicklung etwas anderes überhaupt nicht leisten konnte. Für die Zeit von Februar 1942 bis Juni 1944 sind insgesamt 68 solcher Großunternehmen bekannt geworden; an 33, etwa an der Hälfte hat sich die Wehrmacht beteiligt, aber nur an dreizehn sicher mit einzelnen Fronteinheiten. Weitere dreizehnmal ist allgemein von „Heeresverbänden" die Rede, wobei hier nicht zu erkennen ist, ob sie von der F r o n t oder aus den Rückwärtigen Gebieten kamen. Vgl. die Ubersichten bei Röhr, Forschungsprobleme, S.202f.; Hesse, Partisanenkrieg, S. 319ff.; Gerlach, Morde, S. 899f. Weitere Angaben in: Chant, Encyclopedia of Codenames; Uhlich, Deutsche Decknamen des Zweiten Weltkrieges. Vgl. auch mit dem Urteil von Wegner, Krieg, S.925.

1.1 Die Division

79

schaft lässt sich bis ins 17.Jahrhundert zurückverfolgen. Unter dieser Perspektive bildete die Wehrmacht den Endpunkt einer langen Entwicklung. Ihre Angehörigen haben Armee und Kriegsdienst in der Regel als einen als selbstverständlich wahrgenommenen Bestandteil ihrer Existenz empfunden. Das brauchte Kritik im Deutsche Divisionen an der deutsch-sowjetischen Front (inkl.

Lapplandfront)

B-Tag (22. Juni 1941) Verbandstyp Infanterie- und Jägerdivisionen Panzer- und Infanteriedivisionen (mot.) Gebirgs- und Kavalleriedivisionen Sicherungsdivisionen B-Rücks Korücks Divisionen der Waffen-SS Luftwaffenfeld- und Flakdivisionen Feldausbildungsdivisionen Gesamt

Anzahl 81 26 (17 und 9) 5 (4 und 1) 9 3 11 5 0 0

in Prozent 57,8 % 18,6% 3,6 % 6,4% 2,1 % 7,9% 3,6% 0,0% 0,0 %

140

100,0%

Verbandstyp

Anzahl

in Prozent

Infanterie- und Jägerdivisionen Panzer- und Infanteriedivisionen (mot.) Gebirgsdivisionen Sicherungsdivisionen B-Rücks Korücks Divisionen der Waffen-SS Flakdivisionen Feldausbildungsdivisionen

131 29 (19 und 10) 6 11 3 13 6 8 0

Gesamt

207

100,0%

Verbandstyp

Anzahl

in Prozent

Infanterie- und Jägerdivisionen Panzer- und Infanteriedivisionen (mot.) Gebirgsdivisionen Sicherungsdivisionen B-Rücks Korücks Divisionen der Waffen-SS Luftwaffenfeld- und Flakdivisionen Feldausbildungsdivisionen

135 23 (17 und 6) 6 '/2 10 4 12 6 20 (12 und 8) 4

Gesamt

220 Vi

24. Juni 1942

63,3 % 14,0% 2,9% 5,3 % 1,4% 6,3 % 2,9% 3,9% 0,0%

21. Juni 1943

61,3% 10,4% 2,9% 4,5 % 1,8% 5,5 % 2,7% 9,1 % 1,8% 100,0%

80

1. Formationen

einzelnen nicht ausschließen, das Prinzip selbst aber stellten nur die wenigsten wirklich in Frage. Diese hohe Motivation und Disziplinierung der deutschen Soldaten allein mit nationalsozialistischen Motiven zu erklären, hieße, sie gründlich zu missverstehen. Doch war es der Nationalsozialismus, der es verstand, sich diese Mentalität zu N u t z e zu machen. Damit kommt der Faktor Mensch ins Spiel, der einzelne Soldat, der uns im Folgenden beschäftigen soll.

„,Sie' - damit meinte Pierre die Soldaten, die, welche in der Batterie gewesen waren, die, welche ihm zu essen gegeben hatten, die, w e l c h e v o r dem Heiligenbild gebetet hatten. ,Sie', diese seltsamen, i h m bisher so u n b e k a n n t e n M e n s c h e n , ,sie' schieden sich j e t z t in seinem Innern klar und scharf v o n allen anderen M e n s c h e n . .Soldat sein, einfach Soldat sein', dachte Pierre, wieder einschlafend. ,In diese G e m e i n s c h a f t mit ganzem Wesen eintreten, sich v o n d e m durchdringen lassen, was die L e u t e zu dem macht, was sie s i n d ! ' " 1

2. Soldaten Waffen sind leicht zu beschreiben, Menschen nicht. Aber erst sie sind es, die eine Einheit lebendig werden lassen, die ihr eine Geschichte geben und auch ein Schicksal. Daher soll nun von diesen Menschen die Rede sein. Ihre Zahl ist groß. Im Juni 1941 gehörten etwa 63 000 Männer zu den fünf Verbänden, um die es in dieser Studie geht 2 . Und doch bildeten diese Soldaten nur einen sehr kleinen Teil jener 3,3 Millionen Wehrmachtsangehörigen, die damals in Richtung Osten aufbrachen. Eine Darstellung jener 6 3 0 0 0 ist nicht nur schwierig aufgrund ihrer Zahl. Armeen sind bestrebt, die Individualität ihrer Angehörigen möglichst zurückzudrängen und ihre persönlichen Merkmale durch die Merkmale des Apparats zu ersetzen. Dass man der Gefallenen der Weltkriege mit der Figur des „Unbekannten Soldaten" gedacht hat, begründet sich nicht allein im Charakter dieser Kriege. Verschärfend kommt in unserem Fall hinzu, dass sich kaum aussagekräftige „ E g o - D o kumente" erhalten haben. Die wenigen Tagebücher und Serien an Feldpostbriefen, die von unserem Sample vorliegen, stehen jedenfalls in keinem Verhältnis zur Zahl dieser Menschen. O f t wissen wir noch nicht einmal ihre Namen 3 . Das liegt auch daran, dass die personelle Fluktuation innerhalb einer militärischen Formation während des Krieges extrem hoch war 4 . Für eine Infanteriedivision wie die 253. hat Christoph Rass errechnet, dass sie zwischen 1939 und 1945 von rund 2 7 0 0 0 Soldaten durchlaufen wurde, obwohl ihr Plansoll doch bei knapp 18000 Mann lag 5 . Überträgt man diese Relation auf die drei Kampfverbände unseres Samples,

1 2

3

4

5

Leo Tolstoi, Krieg und Frieden. Roman in zwei Bänden, Berlin (Ost) 1947, Bd. 2, S.274. 4. Panzerdivision: ca. 1 3 0 0 0 Mann, 45. und 296. Infanteriedivision: je ca. 1 8 0 0 0 Mann, 221. Sicherungsdivision: ca. 9 0 0 0 Mann, Korück 580: ca. 5 0 0 0 Mann Wie sich bei den Nachforschungen der deutschen Nachkriegsjustiz häufig herausgestellt hat, fällt es mitunter schon schwer, aie personelle Zusammensetzung einer einzigen Kompanie zu rekonstruieren. Mit Hilfe der einschlägigen Personalkarten hat Christoph Rass für zwei K o m panien der 253. ID (7./Inf. Rgt. 435; l./Inf. Rgt. 464) 58, bzw. 90 Biografien ermittelt. Rass, „Menschenmaterial", S. 196. Ferner ders., Gab es den Gefreiten Jedermann?; Hoffmann, Verfolgung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Hessen, insbes. S. 196ff. A m Beispiel einer einzigen Kompanie hat dies Stephen E. Ambrose eindrucksvoll veranschaulicht: Band of Brothers. Zur Verlustentwicklung in unserem Sample vgl. Kap. 2.5. Vgl. Rass, „Menschenmaterial", S. 86. Entschieden zu hoch dagegen die Schätzungen bei Bartov, der in diesem Zusammenhang auf eine Zahl von 5 0 0 0 0 Soldaten kommt. Vgl. Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 91 f.

82

2. Soldaten

so wäre man bereits bei einer Summe von 81000 Soldaten angelangt. Zusammen mit den beiden Besatzungsverbänden, die schwächer waren und auch geringere Verluste hatten 6 , dürfte es sich also etwa um 100 000 Soldaten handeln, die zumindest zeitweise in eine der fünf Formationen unseres Samples ihren Kriegsdienst absolvierten 7 . Angesichts solcher Voraussetzungen könnte man, überspitzt gesagt, genau so gut die Sozialgeschichte eines belebten Platzes schreiben; eine flächendeckende prosopographische Analyse ist kaum möglich. Andererseits sind in militärischen Organisationen auch Elemente des Stetigen zu erkennen 8 , die eine Art Korsett für ihre Entwicklung bilden - Rekrutierung, Ausbildung, Standorte, Vorgesetzte, Traditionen und nicht zuletzt ihre gemeinsame Geschichte. Schon weniger lässt Individuen in Kollektiven aufgehen, die mitunter als „Band of Brothers" bezeichnet wurden. Durch diese Ordnung bietet sich die Möglichkeit so etwas wie sozialstatistische Schneisen in unsere fünf Divisionen zu schlagen. Erkennbar wird dabei nicht nur das Alters- und Sozialprofil einer Formation, ansatzweise enthüllt sich auch deren Mentalität, ihr vielbeschworener „Korpsgeist". Natürlich entzieht sich dieses sozialpsychologische Phänomen jeder Quantifizierung. Das ändert aber nichts an seiner Präsenz. Oder etwas deutlicher: Es gab kaum einen Faktor, der sich für das Selbstverständnis dieser Verbände, ihre Kampfkraft, ihren Zusammenhalt und ihre Moral, kurz: für die Geschichte eines solchen Verbands als so ausschlaggebend erwies wie diese kollektive Bewusstseinslage. U m von all dem genauere Vorstellungen zu bekommen, bieten sich fünf Zugänge an: - Formierung und Sozialstruktur: Der Zeitpunkt, an dem eine Division aufgestellt wurde, entschied über viel - ihre Alters- und Sozialstruktur, ihre militärische Leistungsfähigkeit, ihre Tradition und schließlich auch über ihre Funktion während der ersten militärischen Einsätze in den Jahren 1939/40. - Heimat'. Dieses Teilkapitel ergänzt das vorhergehende. Skizziert werden die Regionen und Sozialmilieus, aus denen sich unsere Divisionen rekrutierten. Die Unterschiede, die sich dabei abzeichnen, sind so groß, dass die Frage berechtigt erscheint, wie weit diese regionalen Signaturen in der Wehrmacht weiterlebten. - Kader: Thema ist die Positionselite dieser Divisionen, von der knapp 280 höhere Offiziere ermittelt werden konnten. In diesem Fall geht es nicht nur um die Beschreibung dieser Kommandeure und Generalstabsoffiziere, sondern auch um die Frage, welchen Einfluss sie auf ihre Einheiten hatten. - Auszeichnungen: Die Leistungsfähigkeit einer militärischen Formation lässt sich am besten an den Auszeichnungen ihrer Angehörigen ablesen. Da über das weitverzweigte Ordenssystem der Wehrmacht genau Buch geführt wurde, bietet sich hier eine Möglichkeit, das systemkonforme Verhalten ihrer Angehörigen zu analysieren. 6 7

8

Vgl. Kap. 1 und 2.5. Die Tatsache, dass diese 100 000 Mann nur einen kleinen Teil der Wehrmacht darstellten, sollte nicht dazu führen, ihre G r ö ß e zu unterschätzen. Die Landstreitkräfte der Reichswehr und mittlerweile auch der Bundeswehr besaßen bzw. besitzen etwa denselben Umfang. Rass (Sozialprofil, S. 652) hat errechnet, dass die mittlere Existenzdauer einer deutschen Infanteriedivision des Zweiten Weltkriegs bei immerhin 39 Monaten lag.

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r

83

- Verluste·. Dieses letzte Teilkapitel korrespondiert w i e d e r u m mit dem vorhergehenden; es berichtet von den menschlichen „Kosten" dieser militärischen Leistungen. Damit werden nicht allein die enormen Verluste dieser Verbände erkennbar, sondern auch die Folgen, die dieser Auszehrungsprozess für die Einheiten und auch deren Angehörige hatte. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über die deutschen Streitkräfte des Zweiten Weltkriegs sind aufs Ganze gesehen noch immer rar; auf jeden Fall stehen sie in keinem Verhältnis zu deren Größe 9 . Auch deshalb ist es günstig, sich mit mehr als einer Division zu beschäftigen. Erst im Vergleich werden N o r m und Ausnahme klarer erkennbar 1 0 . U m das Typische dieser Formationen so deutlich wie möglich herauszuarbeiten, w i r d in diesen sozialstatistischen Vergleich bewusst die gesamte Zeit des Krieges einbezogen oder wenigstens jene Jahre, für die aussagekräftige Daten vorliegen. Oft sind die Quellen verstreut oder nur in Bruchstücken überliefert; so endet etwa die Uberlieferung bei jenen drei Divisionen unseres Samples, die im Sommer 1944 aufgerieben wurden, teilweise schon im vorhergehenden Jahr 1 1 . Dennoch lohnt sich die M ü h e einer systematischen Sammlung. Die Informationen sind doch so dicht, dass sie Sozialstruktur und auch Mentalität dieser Formationen wenigstens in Umrissen abbilden. O h n e eine solche Analyse w ü r d e n die Akteure dieser Studie weitgehend anon y m bleiben. Aber nicht nur das. Ein Vergleich zwischen einigen Divisionen, die sich lediglich durch ihre „Hausnummer" oder ihre Organisationsstruktur unterscheiden, bliebe im Grunde beliebig 1 2 . Erst durch die Kenntnis ihrer Sozialstruktur und - w e n n möglich - ihrer Mentalität w i r d ihr Verhalten im Krieg plastischer, scheint eine Strukturanalyse dieser gewaltigen und mitunter verwirrenden Kriegsmaschinerie möglich. Was also w a r typisch für diese fünf Verbände - über das Organisatorische und Materielle hinaus? U n d w i e weit ist es möglich, von ihren A n gehörigen ein genaueres Bild zu zeichnen?

2.1 Formierung und Sozialstruktur 2.1.1 Aufstellung und erster Einsatz Die fünf Divisionen unseres Samples entstanden in wenigen Jahren. Die Impulse, welche die meisten Divisionen der Wehrmacht hervorgebracht haben, waren auch für ihre Entstehung verantwortlich: Wiederaufrüstung, „Anschluß", M o b i l m a -

9

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11 12

Vgl. in diesem Zusammenhang etwa die Arbeiten von Horst Boog, Jürgen Förster, Stephen G. Fritz, Johannes Hürter, Bernhard R. Kroener, Thomas Kühne, Peter Lieb, Rüdiger Overmans, Christoph Rass oder Reinhard Stumpf. Bemerkenswert bleibt, dass die Waffen-SS ein ungleich größeres Interesse gefunden hat als die Wehrmacht. So die These von Else 0 y e n (Comparative Methodology, S. 4): Kein soziales Phänomen könne isoliert studiert werden, ohne es mit anderen sozialen Phänomenen zu vergleichen. Dies gilt für alle Sicherungsverbände der Heeresgruppe Mitte. Vgl. Shepherd, War, S.33. Vgl. etwa Bartov, Hitlers Wehrmacht, der in seiner Darstellung ebenfalls auf einige Divisionen der Wehrmacht eingeht, wobei seine Auswahlprinzipien völlig willkürlich sind.

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2. Soldaten

chung und schließlich der Krieg, in dessen Folge immer neue deutsche Verbände auf den Schlachtfeldern Europas auftauchten und wieder verschwanden. Die 45. Infanteriedivision und die 4. Panzerdivision wurden 1938, also noch im Frieden, aufgestellt, die 221. Infanteriedivision und der Korück 580 während der Mobilmachung im August 1939, die 296. Infanteriedivision schließlich im Krieg, im Frühjahr 1940. D o c h ging die Aufbauphase dieser fünf Divisionen weiter. Die 221. Infanteriedivision gehörte zu jenen Formationen, die man ab Juli 1940 beurlaubte 1 3 , so dass sie gewissermaßen eine zweite Geburt erlebte. Als man ihre Angehörigen im März 1941 wieder einberief, wurden aus der „alten" 221. drei schwache Sicherungsdivisionen geschaffen, darunter auch die „neue" 221. Daraus ergibt sich folgende Chronologie: 1938: 1939: 1940: 1941:

45. Infanteriedivision, 4. Panzerdivision 221. Infanteriedivision, Korück 580 296. Infanteriedivision 221. Sicherungsdivision

Zwischen diesen wenigen Angaben liegt eine entscheidende Zäsur. Verbände wie die 4. Panzer- und die 45. Infanteriedivision, die es schon vor dem Krieg gegeben hatte, galten als aktive Divisionen 1 4 , mit einem Wort - sie galten als etwas Besonderes. Die Zahl jener 58 aktiven Divisionen, über die die Wehrmacht im September 1939 verfügte 1 5 , ist klein im Vergleich zu jenen 550 Divisionen, die sie bis zum Ende des Krieges formierte 1 6 . N u r ein gutes Zehntel der Wehrmachtsverbände war also mehr als ein Produkt des Krieges. Sie hatten sich auf ihn schon vorbereitet, als es diesen noch gar nicht gab. Zwar kam es zwischen den aktiven und den neu aufgestellten Divisionen immer wieder zu personellen Durchmischungen in F o r m von Versetzungen oder „Abgaben", doch konnte das den Charakter der aktiven Verbände nicht wirklich verändern. Sie bildeten gewissermaßen den Kern der Wehrmacht. Und: Sie verkörperten in einer besonderen Weise die deutsche und die österreichische Militärtradition. Denn Verbände wie die 4er oder 45er waren im Grunde viel älter, als es ihre kurzfristige Aufstellung im Jahr 1938 vermuten lässt. Sie verstanden sich als Teil einer militärischen Uberlieferung, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen konnte 1 7 . Weder die Zäsur des Ersten Weltkriegs, in dessen Folge die meisten alten R e gimenter aufgelöst worden waren, noch die ständigen Neuaufstellungen und U m gliederungen infolge der Wiederaufrüstung hatten daran etwas geändert 1 8 . 13

14 15 16 17

18

IfZ-Archiv, M A 1659: O K H / C h e f HRüst und B d E / A H A , A b t . I a , Weisung vom 29.7.1940. Davon waren 18 Divisionen betroffen. Bei der 221. wurden insgesamt „8914 Soldaten (einschl. Offz.) in die Kriegswirtschaft beurlaubt". Ebda., 221. Sich. Div., Abt.I a, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10.7.1940 bis 28.2.1941. Generell hierzu: Kroener, Personelle Ressourcen, S. 833 ff. Hogg (Hrsg.), German Order of Battle 1944, S . D 28 und 59. Vgl. Stahl (Hrsg.), Heereseinteilung 1939. Vgl. hierzu Kap. 1.2. Vgl. mit den Angaben bei Mohr, Heeres- und Truppengeschichte des Deutschen Reiches und seiner Länder 1806 bis 1918, S.745ff. Im August 1921 hatte der Chef der Heeresleitung jeder Kompanie des neuen Reichsheers „die Pflege der Überlieferung eines Verbandes der alten Armee zugewiesen". Vgl. Caspar/Marwitz/ Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S.229f.

85

2.1 Formierung und Sozialstruktur D i e 45.

Infanteriedivision

war 1938, nach dem „Anschluß"

Österreichs

im

W e h r k r e i s X V I I ( W i e n ) e n t s t a n d e n , d o c h v e r s t a n d sie sich n i c h t als „ N e u a u f s t e l l u n g " 1 9 , d a in ihr die 4 . u n d Teile d e r 3. ö s t e r r e i c h i s c h e n D i v i s i o n f o r t l e b t e n 2 0 . A l s aktiver V e r b a n d k ä m p f t e die 4 5 . I D bereits i m P o l e n - u n d i m W e s t f e l d z u g . E r l e b t e sie d e n S e p t e m b e r 1 9 3 9 p r i m ä r als einen einzigen G e w a l t m a r s c h d u r c h d e n S ü d e n P o l e n s 2 1 , bei d e m sich ihr m i l i t ä r i s c h e r E i n s a t z u n d a u c h ihre V e r l u s t e n o c h in G r e n z e n hielten, s o w u r d e die D i v i s i o n i m W e s t f e l d z u g s c h o n h ä r t e r h e r a n g e n o m m e n 2 2 . „ N a c h langen, a n s t r e n g e n d e n M ä r s c h e n " 2 3 e r k ä m p f t e sie a m 9 . / 1 O.Juni 1 9 4 0 d e n Ü b e r g a n g ü b e r die A i s n e - ein u n g e w ö h n l i c h blutiger D u r c h b r u c h , m i t d e m die 4 5 e r aber u n t e r B e w e i s stellten, dass sie eine d e r leistungsfähigsten Verbänden der W e h r m a c h t darsellten24. 1 9 3 8 w a r a u c h das G e b u r t s j a h r d e r 4. Panzerdivision.

D a die u r s p r ü n g l i c h in

F r a n k e n u n d T h ü r i n g e n s t a t i o n i e r t e 2. P a n z e r d i v i s i o n seit A p r i l 1 9 3 8 in W i e n b l i e b 2 5 , k o n n t e n ihre f r e i g e w o r d e n e n U n t e r k ü n f t e i m W e h r k r e i s X I I I ( N ü r n b e r g ) durch „Zuführung von österreichischen Teilverbänden und von

Panzertruppen

aus d e m bisherigen R e i c h s g e b i e t " neu belegt w e r d e n 2 6 . D i e s e K a d e r fasste m a n n u n z u r 4 . P a n z e r d i v i s i o n z u s a m m e n . D e m k ü n f t i g e n E l i t e v e r b a n d , anfangs n i c h t m e h r als eine „ d ü n n e N e u a u f s t e l l u n g " 2 7 , fehlte es z u n ä c h s t an allem, „ w a s eine 19 20

21

22

23

24

25 26

27

So Gschöpf, Weg, S.25. Vgl. Tuider, Wehrkreise X V I I und X V I I I , S.9ff.; Gschöpf, Weg, S.25 ff.; Gschaider, Das österreichische Bundesheer 1938; Rödhammer, Oberösterreicnische Wehrgeschichte, S. 64ff. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1615: 45. Inf. Div. Abt.I a, Bericht an das O K H / G e n S t d H betr. „Erfahrungen und Zustand der 45. Div." vom 6.10.1939: „Zu einem planmäßigen Angriff im offenen Feld ist es nie gekommen; die Gefechte spielten sich in Wäldern und Ortschaften ab. [...] Die Marschleistung betrug durchschnittlich 30 km am Tag mit Gefechten; von der Truppe durchgehalten in der Erkenntnis, daß dadurch Blut im Angriff gespart wird." Vgl. hierzu Ludwig Hauswedell, Einsatztagebuch 1938/39, Kopie im Besitz d. Verf., Eintrag vom 26.8.1939ff. Für die Überlassung einer Kopie bin ich Herrn Hauswedell zu großem Dank verpflichtet. Ferner ÖStA, NLS, B/238: Nachlass Friedrich Materna, Masch. Manuskript: „Kriegstagebuch der 45. Division vom polnischen Feldzug im Jahre 1939"; Gschöpf, Weg, S.63ff Die 45. Inf. Div. verlor während des Polenfeldzugs 154 Gefallene, 291 Verwundete und 703 Kranke, diese meist aufgrund der extrem harten Marschleistungen. Während des Westfeldzugs stiegen die Verluste der Division auf 334 Gefallene, 1 022 Verwundete und 28 Vermisste. ÖStA, NLS, B/238: Nachlass Friedrich Materna, Masch. Manuskript: „Kriegstagebuch der 45. Division vom polnischen Feldzug im Jahre 1939", Anlage 4; B A - M A , R H 26-45/9: „Die 45. Division beim Feldzug in Frankreich vom 10.5.-20.7. [1940]; B A - M A , MSg 1/1513; N L Wilhelm Hamberger, „45. I.D. Als 1. Generalstabsoffizier (I a) der Div. im Frankreichfeldzug". Dort auch ein großes Foto-Album; B A - M A , Ν 532/45: Nachlass Wilhelm Mittermaier, Manuskript Stabsveterinär Dr. Hallwachs, „Krieg in Frankreich". Ferner IfZ-Archiv, MA 1615: 45. Inf. Div., Abt. I a/I c, Kriegstagebuch und Tätigkeitsbericht mit Anlagen, 26.9.1939-10.11.1940; Gschöpf, Weg, S. 122 ff. „Feldzug im Westen, Tagebuch einer ostmärkischen Schützenkompanie (6./Inf. Rgt. 130), aufgezeichnet von ihrem Kompaniechef", Masch. Manuskript im Besitz d. Verf. Ferner BfZ, Slg. Sterz, 24016, Brief J . S.vom 21.5.1940: „Ich war in Luxemburg, Belgien und jetzt wieder tief in Frankreich. Wenn dieses Tempo so weitergeht, sind wir bald wieder in der Heimat. Dieses Tempo ist hier noch größer als in Polen." J . S. war damals Feldwebel in der 45. Inf. Div. Vgl. hierzu auch B A - M A , Ν 260/3: N L Rudolf v. Bünau, Masch. Manuskript: „Der 9. u. 1 O.Juni 1940". Schottelius/Caspar, Organisation des Heeres, S.309. Dies waren vor allem die Kasernen in Würzburg, Bamberg und Meiningen. B A - M A , R H 274/199: Geschichte der 4. Panzerdivision, S.6. Ferner Schottelius/Caspar, Organisation des Heeres, S. 310. Schäufler, So lebten und so starben sie, S. 11.

86

2. Soldaten

T r u p p e b e n ö t i g t e " 2 8 - Panzer, G e r ä t u n d S p e z i a l i s t e n 2 9 . D e n n o c h b e w i e s diese D i v i s i o n s c h o n s e h r bald, dass sie genau das w a r , w a s sie sein s o l l t e - eine s c h n e l l e T r u p p e . D a s s es in d e n w e n i g e n M o n a t e n v o r K r i e g s b e g i n n n o c h gelang, eine e i n s a t z b e r e i t e D i v i s i o n a u f z u b a u e n 3 0 , w a r s c h o n viel. D a s s diese j e d o c h a m S . S e p t e m b e r 1 9 3 9 n a c h e i n e m P a r f o r c e r i t t als e r s t e r d e u t s c h e r V e r b a n d d e n S t a d t r a n d v o n W a r s c h a u e r r e i c h t e 3 1 , g r e n z t e fast an ein W u n d e r . Selbst die m i l i t ä r i s c h e B ü r o k r a t i e k a m da n i c h t mit, sie bescheinigte d e r D i v i s i o n erst z w e i M o n a t e s p ä t e r o f f i ziell i h r e „ F e l d v e r w e n d u n g s f ä h i g k e i t " 3 2 . N a c h d i e s e m m i l i t ä r i s c h

vielverspre-

c h e n d e n A u f t a k t g e h ö r t e n die „ V i e r e r " auch i m W e s t f e l d z u g z u r A v a n t g a r d e 3 3 : A l s Teil d e r H e e r e s g r u p p e Β stießen sie z u n ä c h s t d u r c h die s ü d l i c h e n N i e d e r l a n d e u n d Belgien u n d beteiligten sich an d e r S c h l i e ß u n g des K e s s e l s v o n D ü n k i r c h e n . W ä h r e n d d e r a n s c h l i e ß e n d e n „ S c h l a c h t u m F r a n k r e i c h " k a m diese D i v i s i o n a m w e i t e s t e n n a c h S ü d e n . A l s sie a m 2 4 . J u n i 1 9 4 0 d e r F u n k s p r u c h e r r e i c h t e : „ 2 5 . 6 . , 1 . 3 5 U h r W a f f e n r u h e ! " , stand sie 1 0 0 K i l o m e t e r südlich v o n L y o n 3 4 .

28 29

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31

32 33

34

Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr.5 vom M ä r z 1959, S.2. Ferner Ciasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, S. 129. Vgl. B A - M A , Ν 245/22: N L Georg-Hans Reinhardt: „Aufzeichnungen über meine Teilnahme an den Kriegen Hitlers 1938-1945", S.2f.; B A - M A , R H 27-4/199: Geschichte der 4. Panzerdivision, S.6ff.; Neumann, 4. Panzerdivision, S. Iff. So war die Division zunächst nur zur Hälfte mit Panzern ausgestattet, „fast nur Panzer vom Typ I und oft reparaturbedürftig". Noch im Polenfeldzug besaß die Division eine Stärke von lediglich 10000, an Stelle der geforderten 13000 Mann (Neumann, 4. Panzerdivision, S.8, 174). Vgl. etwa B A - M A , Ν 245/4: 4. Pz. Div., Abt. I a, Weisung zur „Sommerausbildung" vom 8.5.1939. Die Akten, die sich in Reinhardts Nachlass erhalten haben, vermitteln eine Vorstellung von dem enormen Zeitdruck, unter dem diese Division damals stand. Halder, Kriegstagebuch, Bd.I, S.66 (Eintrag vom 8.9.1939): „17.15 U h r 4. Pz. Div. in Warschau eingedrungen." Der Divisionskommandeur schrieb am 11.9.1939, er sei „wieder Mensch nach 10 entbehrungsreichen und sehr anstrengenden, auch seelisch anstrengenden Tagen. Diese Ruhe vor Warschau tut auch meiner Truppe gut, Mensch und Fahrzeuge und Waffe braucht Auffrischung in jeder Hinsicht, denn unser Gewaltmarsch auf Warschau war ebenso anstrengend wie gefährlich und kampfreich. [ . . . ] Der Kampftag von Warschau hat uns schwere Opfer gekostet, aber w i r müssen uns trösten, daß ihre Zahl im Vergleich zu dem Riesenerfolg gering sind." BAM A , Ν 245/2: Nachlass Georg-Hans Reinhardt, Brief vom 11.9.1939. Ferner IfZ-Archiv, M A 1575: 4. Pz. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch vom 28.8.1939-20.9.1939, Anlagen; B A - M A , R H 39/373, 374: „Kriegstagebuch des Panzer-Regiments 35 im Feldzug in Polen"; B A - M A , R H 39/512: 2./Pz.-Rgt. 35, „Der polnische Feldzug vom 1.9.-19.9. [1939]"; B A - M A , R H 27-4/199: Geschichte der 4. Panzerdivision, S. 18 ff.; Neumann, 4. Panzerdivision, S. 41 ff.; Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S.23ff. IfZ-Archiv, M A 483: Divisionen-Kartei: 4. Pz. Div., o. D. Viele Einheiten der Division wurden erst 1939 formiert, teilweise erst nach Kriegsausbruch. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, M A 1575: 4. Pz. Div., Abt.I a/Ic, Kriegstagebuch vom 10.5.194027.6.1940 mit Anlagen, Meldungen, Feindnachrichten usw. Ferner Zimmermann, Der Griff ins Ungewisse. B A - M A , R H 27-4/199: Geschichte der 4. Panzerdivision, S.73; Neumann, 4. Panzerdivision, S. 172; Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S.52f. Allerdings ist in der Divisionsgeschichte Neumanns (4. Panzerdivision, S. 173) die Kritik am damaligen Divisionskommandeur, Gen.mj. Johann Joachim Stever, unüberhörbar: Seine Führung war schlecht, am 16.5.1940 begab er sich nach einer leichten Verwundung erst einmal „ins Res. Lazarett Köln". N u r „die Führung von der Brigade an abwärts und die Leistungen der Truppe selbst und deren Kampf- und Siegeswillen" hätten die Erfolge dieser Division während des Westfeldzugs garantiert. Stever, der das Kommando über die 4. Pz. Div. am 11.2.1940 übernommen hatte, wurde bereits am 1.9.1940 wieder abgelöst und zur „Führerreserve" versetzt. Darauf erkundigte er sich beim Reichsführer-SS über die Möglichkeit eines „Einsatzes bei der volkspolitischen Arbeit im Osten", blieb dann aber bei der Wehrmacht, w o er freilich nicht mehr reüssierte. Vgl. Müller, Hitlers Ostkrieg, S.29; IfZ-Archiv, M A 1575: 4. Pz. Div., Abt. IV b, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10.5.-25.6.1940 „Einsatz Westen"; BA, Abt.R: Personalakte Hans-Joachim Stever.

87

2.1 Formierung und Sozialstruktur

I m G e g e n s a t z z u diesen beiden aktiven D i v i s i o n e n b e g a n n die G e s c h i c h t e d e r a n d e r e n drei V e r b ä n d e u n s e r e s Samples erst i m o r g a n i s a t o r i s c h e n C h a o s d e r letzten F r i e d e n s - u n d ersten K r i e g s t a g e . Alles w a r g e p r ä g t v o n der „ H a s t des A u f b a u s v o n .Null-Komma-Lipezks'"35.

Bei d e r 221,

Infanteriedivision,

aufgestellt seit d e m

2 6 . A u g u s t 1 9 3 9 als D i v i s i o n d e r d r i t t e n Welle i m W e h r k r e i s V I I I ( B r e s l a u ) , h a n d e l te es sich u m eine reine L a n d w e h r d i v i s i o n 3 6 , bei ihren A n g e h ö r i g e n meist u m ältere „ W e l t k r i e g s g e d i e n t e " o d e r „ w e i ß e J a h r g ä n g e " , die n o c h nie eine K a s e r n e v o n innen gesehen h a t t e n . O b w o h l dieser disparate E r s a t z n o c h „erst z u r T r u p p e g e m a c h t w e r d e n " m u s s t e 3 7 , t r a t er „ s o f o r t ins G e f e c h t " 3 8 . Blieb die 2 2 1 . i m P o l e n f e l d z u g in d e r R e s e r v e , s o stand sie i m W e s t f e l d z u g a m O b e r r h e i n , an d e m es z u n ä c h s t r u h i g blieb, ü b e r d e n sie d a n n aber, z u s a m m e n m i t a n d e r e n V e r b ä n d e n , n o c h k u r z v o r d e m Waffenstillstand ü b e r s e t z t e 3 9 . D a m i t aber h a t t e n die 2 2 1 e r erst einmal ihre Schuldigkeit getan, i m J u l i 1 9 4 0 w u r d e n sie bis auf w e n i g e K a d e r b e u r l a u b t 4 0 . A l s m a n sie d a n n ab M ä r z 1 9 4 1 w i e d e r einberief, h a t t e die d e u t s c h e F ü h r u n g längst eingesehen, dass sich L a n d w e h r d i v i s i o n e n n i c h t z u m E i n s a t z an d e r F r o n t eigneten. D e s h a l b b e g a n n m a n die alte 2 2 1 . „ a u s z u s c h l a c h t e n " . Z u s a m m e n m i t einigen E t a p p e n - E i n r i c h t u n g e n , die „aus F r a n k r e i c h [ k a m e n ] , w o sie seit E n d e des W e s t f e l d z u g e s b o d e n s t ä n d i g eingesetzt w a r e n " 4 1 , w u r d e n u n o r g a n i s a t o r i s c h e t w a s völlig N e u e s geschaffen: die 4 4 4 . , die 4 5 4 . u n d die „ n e u e " 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n 4 2 . M i t einer Infanteriedivision alten Schlages h a t t e n sie n i c h t s m e h r g e m e i n , s c h o n weil sie k a u m G e l e g e n h e i t h a t t e n , z u einer w i r k l i c h e n E i n h e i t z u s a m m e n z u w a c h s e n 4 3 . 35 36

37

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39

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41

42 43

Vgl. Petter, Militärische Massengesellschaft, S. 363. Vgl. Schlesische Tageszeitung vom 18.11.1939, „Schlesische Landwehr im Kampf. Ruhmestaten einer Landwehrdivision im Osten"; zur Organisation: Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 1, S.69; Schottelius/Caspar, Organisation des Heeres, S.387. So der Generaloberst Gerd von Rundstedt am 11.11.1939 über die „Masse der rückwärtigen Dienste". IfZ-Archiv, MA 1564/8 N O K W - 5 1 1 : H.Gr. A, Aufzeichnung über eine Kommandeurs-Besprechung vom 11.11.1939. Generell hierzu IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div. Für das Jahr 1939 haben sich die Tätigkeitsberichte der Abteilungen III, IV a und IV b (alle ab 26.8.1939) erhalten. Die der Abt. I c beginnen am 21.2.1940, die der Abt. II a am 21.4.1940, die Anlagen zum Kriegstagebuch der Abt. I a am 21.3.1940. So das Urteil des Artillerie-Regiments 221: „Diese, im Sommer 1939 neu zusammengestellte Abteilung, die auf einem Truppenübungsplatz noch nicht geübt hatte, mußte somit nach großen Marschleistungen, ohne seit der Mobilmachung Zeit zur Führerausbildung und zum Geschützexerzieren gehabt zu haben, sofort ins Gefecht treten." B A - M A , R H 41/408: Art. Rgt. 221, Kriegstagebuch vom 25.8.1939-10.11.1939. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Inf. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Einträge vom 10.5.1940ff. Dort und in IfZ-Archiv, MA 1661, auch die jeweiligen Anlagen. Ferner Göhri, Breisgauer Kriegstagebuch, S. 51 ff. Während des Westfeldzugs verlor die 221. Inf. Div. insgesamt 139 Tote, 504 Verwundete und 14 Vermisste, die meisten „beim Durchbruch durch die Maginotlinie". IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div., Abt. I I a , „Tätigkeitsbericht der Abteilung I I a für die Zeit vom 21.4. bis 30.9.1940". Vgl. IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div., Abt. II a, „Tätigkeitsbericht der Abteilung II a für die Zeit vom 21.4. bis 30.9.1940". Generell hierzu Kroener, Personelle Ressourcen, S. 834ff., 855ff. IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., A b t . I V a, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.3. bis 28.12.1941. Hier handelte es sich vor allem um Landesschützen- und Wach-Bataillone, Feldund Ortskommandanturen sowie Durchgangslager. Vgl. den Aufstellungsbefehl des O K H vom 3.3.1941 in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S.29f. Auch im Krieg war das nur schwer möglich. Das lag nicht nur daran, dass die Sicherungsdivisionen immer wieder aus „ihrem kriegsgliederungsmäßigen Zusammenhalt gerissen wurden", sie erlebten auch nicht - wie die Kampfverbände - eine gemeinsame „Feuertaufe", ein Ereignis, das in seiner Wirkung auf die Kohäsion kaum überschätzt werden kann. Tessin, Verbände und Truppen, B d . l , S . 2 9 9 .

88

2. Soldaten

Noch einmal anders verlief die Formierungsphase der 296. Infanteriedivision, die man ab Februar 1940 als Division der achten Welle im Wehrkreis XIII (Nürnberg) mit Hilfe einiger Kader förmlich aus dem Boden stampfte 44 . Mensch und Material waren zu Beginn des Jahres 1940 fast zur Gänze ausgeschöpft, so dass bereits während der Aufstellung auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz die Probleme nicht abzureißen drohten: Die Rekruten schienen fachlich und gesundheitlich kaum geeignet, der „Mangel an Gerät, Betriebsstoff, Vorschriften usw." war groß 45 , und zu allem Überfluss vernichtete im Frühjahr eine Seuche fast den gesamten Pferdebestand. Dennoch glaubte die Führung, schon am 15. April 1940 die „Feldverwendungsfähigkeit" dieses Verbands melden zu können 46 ; am 21. Mai sollte er die erste gemeinsame Übung absolvieren47. Aber schon tags zuvor setzte man die Division in Richtung Westen in Marsch. Nun sollte der Ernstfall das Manöver ersetzen. Doch hatte die 296. ID Glück: Divisionen wie sie bildeten vorerst nur die „Komparsen des Blitzkrieges" 48 . Wie die 221., so blieb auch die bayerische Division vorerst „weit hinten" 49 , in der Reserve 50 . Wenn es in der 296. ID Soldaten gab, die damals die Furcht quälte, sie würden „zu spät" kommen 51 , so war das wirklichkeitsfremd und unverantwortlich. Denn hinter der Strategie der Wehrmachtsführung, eine Division nach der anderen aufzustellen, stand ein zynisches Prinzip, bei dem nicht allein militärische, sondern auch propagandistische Gründe eine Rolle spielten. Anstatt die bereits bestehenden Verbände personell und materiell auszubauen, meldete man die Aufstellung immer neuer Divisionen. Dieses Prinzip der fortlaufenden Teilung und Neuaufstellung von Stämmen und Ablegern war für die bereits bestehenden Verbände eine extreme Belastung. Doch begann erst mit dem Ostkrieg dieses System der permanenten „Zellteilung" zu kollabieren 52 . Die 296. Infanteriedivision, auch sie ein Produkt dieser Entwicklung, erhielt

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Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 1631: 296. Inf. Div., Führungsabteilung, Kriegstagebuch, Einträge vom 28.2.-11.4.1940. IfZ-Archiv, MA 1631: 296. Inf. Div., Führungsabteilung, Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.3.1940. Keilig, Das Deutsche Heer 1939-1945, S. lOOff.; IfZ-Archiv, M A 1631: 296. Inf. Div., Führungsabteilung, Kriegstagebuch, Eintrag vom 28.2.1940. IfZ-Archiv, M A 1631: 296. Inf. Div., Führungsabteilung, Kriegstagebuch, Einträge vom 12.4. und 22.5.1940. Frieser, Blitzkrieg-Legende, S.39. BayHStA, Abt. IV, N L Thoma 5: Kriegstagebuch, Brief vom 29.5.1940. Oberstleutnant Heinrich Thoma war damals Kommandeur des Infanterie-Regiments 519. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, M A 1631: 296. Inf. Div., A b t . I a , Kriegstagebuch, Einträge vom 20.5.1941 ff. Dort und in IfZ-Archiv, M A 1632, auch die Anlagen. Ferner F. S., Die Truppe und der Weg des Infanterie-(Grenadier-)Regiments 521 der 296. Division 1940-1944, S. 3 ff. Masch. Manuskript im Besitz d. Verf. B A - M A , MSg 2/5314: Tagebuch Hans P. Reinert, Eintrag vom 4.6.1940. Vgl. auch mit seinem Eintrag vom 15.6.1940 über die (Falsch)Meldung, Frankreich habe bereits kapituliert: „Die erste Reaktion ist verschieden: die einen jubeln und schreien - die anderen marschieren ruhig weiter, im Herzen die Bitterkeit, nicht dort gewesen zu sein, wo die Entscheidung gefallen ist." Derartige Sorgen quälten damals nicht nur die Offiziere. Vgl. etwa BfZ, Slg. Sterz, 21011 A, Brief L. B. vom 7.7.1940: „Leider durften wir nicht in vorderster Linie mitkämpfen. Mein einziger Trost war, es müssen auch Truppen hintennach marschieren im Falle der Not. Und da zählten auch wir dazu..." Vgl. hierzu Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 826ff.

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r

89

in der kurzen Zeit nach dem Westfeldzug noch die Chance einer kurzen Atempause. Erst jetzt wurde sie zu einem schlagkräftigen militärischen Verband 5 3 . Schließlich der Korück 580: Uber dessen Entstehungsgeschichte ist nur wenig bekannt. Offiziell wurde er am 7. August 1939 im Wehrkreis VI (Münster) aufgestellt 5 4 , gleichzeitig formierte man acht weitere dieser Rahmenverbände, welche die neu formierten Armeen ergänzen sollten. D e m Korück 580 selbst war anfangs nicht viel unterstellt: eine Feldgendarmerie-Abteilung (581), je zwei StraßenbauBataillone (580 und 584), Feld- (580 und 581) und Ortskommandanturen (585 und 586) 5 5 , wobei diese Einheiten schon jetzt ständig wechselten. Auch dieser Besatzungsverband nahm am Polen- und am Westfeldzug teil, doch davon später. 2.1.2

Altersstruktur

Die Heere des Zweiten Weltkriegs waren Massenheere. Ohne die Mobilmachung aller Personalressourcen schien jede Beteiligung an diesem globalen Konflikt von vorneherein aussichtslos. Das galt auch und gerade für die Wehrmacht, die jeden Mann, der nur irgendwie verfügbar schien, zu den Fahnen rief. Das Ergebnis war eine Wehrpflichtigenarmee, „in der - bei aller Stereotypisierung einer kriegerischen Männlichkeit als gemeinsames Substrat - alle möglichen Leute unter Waffen standen" 5 6 . Auch dafür sind die fünf Formationen unseres Samples ein anschauliches Beispiel. In ihrer ganz unterschiedlichen Sozialstruktur repräsentieren sie große Teile jener feldgrauen Gesellschaft, die während der Jahre 1939 bis 1945 Kriegsdienst leisteten. Allein bei den Mannschaftssoldaten waren im Jahr 1939 insgesamt 27 Jahrgänge vertreten, von 1893 bis 1919 5 7 . Allerdings war diese „Volksgemeinschaft in Waffen" 5 8 nicht wahllos über die Wehrmacht verteilt; vielmehr dominierten in jedem Verband des Heeres ganz bestimmte Regionen und auch Generationen: in den aktiven Divisionen wie der 4. oder 45. waren es vor allem die jungen Soldaten, während sich die gesetzteren Jahrgänge wiederum in einer Landwehrdivision wie der 221. sammelten. Neuaufstellungen wie die 296. oder der Korück 580 dienten schließlich als Sammelbecken jener Gruppen, für die woanders kein Platz mehr gewesen war, wobei die 296. als Kampfdivision zu einer jüngeren, der Korück hingegen zu einer deutlich fortgeschritteneren Altersstruktur tendierte. Schon dieser Aspekt beweist, wie vorsichtig man den Begriff Wehrmacht verwenden sollte. Nicht nur bei der Organisation ihrer Einheiten, sondern auch bei deren Alters- und Sozialprofil, konnte es große Unterschiede geben. Wie dieses Profil aussah, entschied der Zeitpunkt der Aufstellung. Denn die Mobilmachung der Wehrmacht vollzog sich in „Wellen"; das hieß, es wurden nach und nach Gruppen von Divisionen aufgestellt, deren Organisation und Ausrüstung in etwa gleich waren und die sich auch beim Alter und Aus53

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Allerdings musste die 296. I D in dieser Zeit nochmals einzelne Kader für die Bildung neuer Divisionen abgeben. Vgl. etwa Hauck, 305. Infanteriedivision, S. 11. B A - M A , R H 2 3 / 1 6 8 : K o r ü c k 580, Befehl vom 7 . 8 . 1 9 3 9 . IfZ-Archiv, M A 876: K o r ü c k 580, Kriegstagebuch N r . l , 2 6 . 8 . ^ 1 . 1 0 . 1 9 3 9 . D e r Stand bezieht sich auf den 2 6 . 8 . 1 9 3 9 . Geyer, Stigma der Gewalt und das Problem der nationalen Identität in Deutschland, S. 690. Vgl. A b s o l o n , Wehrmacht, Bd. V, S. 119ff. Müller, Deutsche Soldaten, S . 2 0 .

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2. Soldaten

Metamorphose: Rekrut Einkleidung

bei der

(Quelle: BSB, Fotoarchiv Hoffmann 11687)

bildungsstand ihrer Mannschaften ähnelten 59 . Welche Folgen hatte das für die Divisionen unseres Samples? Verbände wie die 4. Panzer- und die 45. Infanteriedivision bestanden fast ausschließlich aus militärischen Profis: Aktive Soldaten bildeten das Offiziers- und Unteroffizierskorps, während 90 Prozent der Mannschaften ihre zweijährige Wehrpflicht gerade absolvierten oder sie erst vor wenigen Jahren hinter sich gebracht hatten 6 0 . Im Herbst 1939 befanden sich noch vier Jahrgänge (1916 bis 1919) 61 bei der Truppe, während man die vorher ausgebildeten (bis Jahrgang 1911) nun wieder reaktivierte 62 . Die Lebenserfahrung dieser jungen und ausgesuchten 59 60

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Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1, S.40. Ferner: Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 1, S.65ff. Vgl. Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 1, S. 69f.; Kroener, Personelle Ressourcen, S. 710. Auch zum Folgenden. Das bestätigt sich auch für die Divisionen unseres Samples: Deutlich wird dies etwa an den sozialstatistischen Erhebungen, die Hans Reinert als Batteriechef im Artillerie-Regiment 296 während des Juni 1942 erstellte. Von den 140 Unteroffizieren und Mannschaften dieser Einheit, deren Division während des Krieges praktisch den Status eines aktiven Verbands bekam, gehörten 84% dem Jahrgang 1911 oder einem jüngeren Jahrgang an. Der jüngste Jahrgang war damals der Jahrgang 1922. BA-MA, MSg 2/5321: N L Hans R Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 2.6.1942 mit Anlage. Die 45. ID berichtete im März 1942, dass „das Durchschnittsalter" ihres personellen Ersatzes 25 Jahre betrage. BA-MA, R H 26-45/47: 45. Inf. Div., Abt. I a, Bericht betr. Feld-Ersatzbataillon 45/3 an das LV. Α. K. vom 23.3.1942. Ferner IfZ-Archiv, MA 1668: Inf. Rgt. 130, Meldung an 221. Sich. Div. vom 5.3.1942, das ein „Durchschnittsalter zwischen 24 und 25 Jahren" angibt. Am 1.10.1937 hatte man den Jahrgang 1916 einberufen, ein Jahr später den Jahrgang 1917, und ab dem 26.8. 1939 dann die Jahrgänge 1918/19. Vgl. Kroener, Personelle Ressourcen, S. 727; Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst, S. 108 ff.

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r

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Soldaten 63 hielt sich meist in Grenzen. U m so größer war ihre Leistungsfähigkeit und auch ihre Identifikation mit ihrer militärischen Aufgabe. Ganz besonders galt das für die Panzerdivisionen, die sich durch einen hohen Prozentsatz an Freiwilligen auszeichneten 64 . Bei den anderen drei Verbänden unseres Samples dominierten hingegen zunächst Rekruten und Reservisten. A m höchsten war der Altersschnitt bei der 221. Infanteriedivision: 1939 gehörten 42 Prozent ihrer Angehörigen bereits zur Landwehr I, waren damals also schon zwischen 39 und 45 Jahre alt, während 46 Prozent zur Reserve II zählten 6 5 . Letztere waren deutlich jünger, unter 35 Jahre, dafür aber nur kurzfristig ausgebildet, meist nur in einem „stumpfsinnigen Exerzierbetrieb" 6 6 . Bis Sommer 1940 konnte man den Altersschnitt der 221. senken - und damit ihre Motivation erhöhen 6 7 - , doch stieg mit ihrer Neuaufstellung als Sicherungsdivision im Frühsommer 1941 wieder das Durchschnittsalter der Mannschaften und Unteroffiziere auf „35-40 Jahre" 6 8 , teilweise sogar „untermischt mit Weltkriegsteilnehmern" 69 . Manche waren schon so alt, dass sie das harte Kommissbrot „infolge ihres schon schadhaften Gebisses nicht mehr richtig" kauen konnten 7 0 , andere waren, so ein Ausbilder, schon „sehr verarbeitet" und zitterten, „wenn sie das Gewehr in ihren harten Händen" hielten 71 . Noch älter waren ihre Offiziere, 1942 lag deren Durchschnittsalter bei den Landesschützen-Bataillonen bei bis zu 47 Jahren 7 2 . „Es waren natürlich solche Leute, die man für die Kampftruppe nicht gut verwenden konnte, d. h. ältere Männer, auch vielleicht etwas gebrechlich, die nicht mehr ganz auf der Höhe waren, also jedenfalls [das,] was man so früher unter Landwehr verstand", gab ein deutscher General nach 1945 zu Pro-

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Gerade in den Jahrgängen von 1911 bis 1915 erkennt Rass („Menschenmaterial", S . 9 9 ) den „Dreh- und Angelpunkt" im Altersprofil einer aktiven Division. Ältere Jahrgänge wurden als Mannschaftssoldaten in den aktiven Divisionen nur im Bereich der Rückwärtigen Dienste sowie der Trosse eingesetzt, die erst mit der Mobilmachung ins Leben gerufen wurden. Vgl. Kap. 1.1. Vgl. Lieb, Weltanschauungskrieg, S. 103. Vgl. A b s o l o n , Wehrmacht, B d . V , S. 119. Diese offensichtliche Anlehnung an das Vorbild der kaiserlichen Armee war weder eine Vorbereitung auf einen modernen Krieg, noch dürfte dies die Motivation dieser Soldaten irgendwie gesteigert haben. Vgl. Kroener, Personelle Ressourcen, S. 735. Ferner Jarausch/Arnold, Sterben, passim. IfZ-Archiv, M A 1659: 221. Inf. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 2 1 . 2 31.12.1940. Vgl. Kreidel, Partisanenkampf in Mittelrußland, S . 3 8 2 . Kreidel war I a der 221. Sicherungsdivision. IfZ-Archiv, M A 1668: Lds. Schtz. Rgt. 45, Gefechtsbericht für die Zeit vom 2 2 . - 2 9 . 6 . 1 9 4 1 ; dort heißt es auch, dass das Durchschnittsalter bei den Mannschaften bei 36 Jahren gelegen habe. Ein weiteres Beispiel ist das Sicherungs-Bataillon 323; dessen Durchschnittsalter Tag bei den O f f i zieren bei 47, bei den Unteroffizieren bei 38 und bei den Mannschaften bei 35 Jahren. I f Z - A r chiv, M A 1673: Sicherungs-Btl. 323, Meldung an die 221. Sich. Div. vom 1 2 . 1 0 . 1 9 4 2 . IfZ-Archiv, M A 1659: 221. Inf. Div., A b t . I V a, Tätigkeitsbericht vom 2 6 . 8 . 1 9 3 9 - 1 . 7 . 1 9 4 0 . Jarausch/Arnold, Sterben, S . 2 3 2 (Brief vom 2 . 8 . 1 9 4 0 ) . IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., A b t . I a , Bericht vom 3 . 5 . 1 9 4 2 . Das Alter der Unteroffiziere lag bei 38,5 Jahre und das der Mannschaften bei 36,7 Jahren. D o r t auch ähnliche Angaben für die Landesschützen-Bataillone 555, 557, 573 und 973. Ferner IfZ-Archiv, M A 1673: Sich.Batl. 743, Bericht an Sich.-Rgt. 27 betr. „Teilnahme an Unternehmen .Blitz' und . L u c h s ' " vom 1 7 . 1 0 . 1 9 4 2 : „Einzelne O f f z . sind zu alt und körperlich nicht genügend leistungsfähig. Auch fehlt vielen, altersgemäß bedingt, sich selbst und ihren Leuten gegenüber, oft die notwendige Härte und der mitreißende Schwung. Andererseits ergaben sich auch bei älteren Offizieren erfreuliche Bilder von passioniertem Soldatentum."

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2. Soldaten

tokoll 73 . Dass diese Soldaten militärisch zum Teil „völlig unausgebildet" waren, machte die Sache nicht besser: Man habe ihnen zu Hause erzählt, meinten die „Neuen", dass sie „nur für Wachaufgaben verwendet" werden sollten 74 . Solche, nicht selten „unlustig geführten" 75 Truppen mochten noch zur Objektsicherung taugen, nicht aber für einen Partisanenkrieg, dessen Bedingungen immer härter, grausamer und nicht zuletzt auch militärisch anspruchsvoller wurden. Bei der 296. Infanteriedivision waren die Soldaten im Durchschnitt jünger 76 , aber nicht unbedingt geeigneter - zumindest nicht zu Beginn des Krieges. Obwohl damals die personellen Reserven fast ausgeschöpft waren, hatte die Führung im Vorfeld der Westoffensive nochmals die allerletzten Reste für eine weitere Welle von Divisionen zusammengekratzt 77 . Ein Verband wie die 296., anfangs mehr Wille als Wirklichkeit, bekam zunächst nur „Abgaben aus dem Feld- und Ersatzheer" 7 8 , nicht selten Leute, die man woanders loswerden wollte 79 . Sie bildeten die Stämme der neuen Regimenter, zu denen dann Rekruten kamen, deren Ausbildung nicht mehr als acht Wochen gedauert hatte 80 . Trotzdem gelang es der Divisionsführung relativ rasch, den Altersschnitt der 296. ID zu senken 81 und die verbleibende Zeit für eine intensive militärische Ausbildung zu nützen. Wirkliche militärische Profis fanden sich in den neuen Infanteriedivisionen wie der 221. und der 296. zunächst aber nur in den oberen Führungspositionen 82 . An der Spitze dieser Alterspyramide stand schließlich der Korück. In solch einem Besatzungsverband waren - wie ein deutscher General einmal bemerkte 73

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So Karl von Roques, dem als Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Süd drei Sicherungsdivisionen unterstellt waren. Zit. bei: Friedrich, Gesetz des Krieges, S. 745. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgebiet Mitte betr. „Ausrüstungs- und Ausbildungsstand der neu eingetroffenen L.S.-Bataillone" vom 9.4.1942. Auch in der deutschen Führung musste man das erkennen. Bemerkenswert der Befehl Hitlers vom 27.4.1943, der „zur Führung von Bandenunternehmungen" nur noch „tatkräftige, energische und körperlich leistungsfähige Persönlichkeiten" einsetzen wollte. Druck: Müller (Hrg.), Okkupation, Dok. 57. So Seebach, Mit dem Jahrhundert leben, S.254. Seebach war seit Januar 1943 Offizier beim Korück 532. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1631: Inf.-Rgt. A, Abt.I a, „Beurteilung des Ersatzes der 296. Inf. Div." vom 1.3.1940. Zu den Ursachen vgl. Kroener, Personelle Ressourcen, S. 729. Vgl. Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 2, S. 36; Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 1, S.49. So erhielt allein das Inf. Rgt. 521 Abgaben aus der 17. I. D., 35. I. D. und 73. I. D. Vgl. K. H., Die Truppe und der Weg des Infanterie-Regiments 521 der 296. Division 1940-1944, Masch. Manuskript im Besitz d. Verf. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1631: Inf.-Rgt. A, Abt.I a, „Beurteilung des Ersatzes der 296. Inf. Div." vom 1.3.1940: Noch 1944 meinte ein britischer Geheimbericht, die 296. ID habe sich primär aus „newly trained personnel" rekrutiert. Hogg (Hrsg.), German Order of Battle 1944, S. D 95. Während des Krieges war die 296. ID eine sehr junge Truppe. So ermittelte der Hauptmann Reinert im April 1942, dass von den 2280 Angehörigen des Art. Rgt.s 296 lediglich sechs: je zwei Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, bereits am Ersten Weltkrieg teilgenommen hätten. B A - M A , MSg 2/5321: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Anlage: Art. Rgt. 296, „Teilnehmer an den Feldzügen" vom 30.4.1942 [nach Eintrag vom 8.5.1942], Mit aktiven Offizieren waren in diesen Divisionstypen nur die Spitzenstellen besetzt, die des Divisionskommandeurs und des Ersten Generalstabsoffiziers sowie die der Regiments- oder Bataillonskommandeure, während es sich bei den übrigen Kadern um Reservisten handelte. So fungierte etwa der damalige Major i. G. Henning von Tresckow von August bis Oktober 1939 als Erster Generalstabsoffizier der 228. Infanteriedivision, also einer Division, die zur selben Welle gehörte wie die 221. Vgl. Scheurig, Henning von Tresckow, S.69ff. Generell vgl. hierzu Kap. 2.3.

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r

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„lauter alte Kracher" im Einsatz, allerdings „zum Teil tolle Hechte darunter" 8 3 . Jüngere Leute blieben in der Minderheit, gerade bei den Kadern der Korücks dominierten, neben wenigen reaktivierten Offizieren, zivile, nicht selten „weltkriegserfahrene" Spezialisten. Viele kamen aus Verwaltung oder Polizei, manche aus der Privatwirtschaft. Dadurch waren sie aber den Aufgaben eines solchen Besatzungsverbandes häufig besser gewachsen als die „Nur-Soldaten" 8 4 . Oft blieben sie im Grunde ihres Herzens „in Uniform gesteckte Zivilisten" 85 , die nun ihre zivilen Qualifikationen in ein militärisches Umfeld einbrachten, um so den „richtigen" Soldaten zuzuarbeiten 8 6 . Zwischen den Verbänden der Wehrmacht lagen also nicht nur Wellen, es lagen Welten. Das betraf auch ihr militärisches Können. Von den fünf Verbänden, die uns interessieren, waren bei Kriegsbeginn nur zwei wirklich einsatzfähig 87 : Ihre Angehörigen waren gut ausgerüstet, militärisch trainiert und beherrschten - was besonders wichtig war - auch die Kooperation innerhalb eines Verbands. Wenn freilich selbst bei der 4. Panzer- und der 45. Infanteriedivision die Aufstellungsphase im Herbst 1939 gerade erst abgeschlossen war, so veranschaulicht auch dies, wie gering das Reservoir jener Streitmacht eigentlich war, die Hitlers Eroberungsphantasien nun realisieren sollte. Schlecht sah es dagegen mit der militärischen Leistungsfähigkeit der drei übrigen Verbände aus 8 8 . Bei einem Etappenverband wie einem Korück war die Konversion von zivilen in militärische Spezialisten noch am einfachsten zu bewerkstelligen; bei den beiden neu formierten Infanteriedivisionen, der 221. und der 296. war es hingegen schon schwieriger: Besaß letztere noch den Vorteil eines eher jungen Altersschnitts, so wurde das durch die geringe militärische Erfahrung ihrer Mannschaften wieder aufgehoben. Umgekehrt war die Lage bei der 221.: Die Hälfte ihrer Angehörigen konnte noch auf ihr Wissen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgreifen, was freilich einen hohen Altersschnitt dieser Landwehrdivision zur Folge hatte. Bereits nach einem Monat Krieg lag ihr Krankenstand bei über 11 Prozent 8 9 ! Obwohl alle drei Neuaufstellungen schon sehr bald ins Feuer gewor-

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So der Gen.ltn. Heinrich Kittel am 2 8 . 1 2 . 1 9 4 4 in einer heimlich v o m C S D I C aufgezeichneten Besprechung, in: Neitzel, Abgehört, S. 272-282, hier S. 273. Kittels Bemerkung bezieht sich auf die Orts- und Feldkommandanten, die freilich auch ein Teil der Korücks bildeten. Vgl. B A - M A , R H 23/169: Korück 580, Kriegstagebuch Nr. 2, 3 . 1 0 . 1 9 3 9 - 2 4 . 6 . 1 9 4 0 ; Anhang: „Kriegsrangliste der Offiziere, Sanitäts- und Veterinäroffiziere und ob[eren] Beamten des Stabes Kommandant r. A . G. 580". So Seebach, Mit dem Jahrhundert leben, S.243. Uber das Korück 532 schreibt Seebach, dass hier nur zwei Berufsoffiziere eingesetzt waren. Ferner Schade, Briefe aus dem Krieg, S. 60 (Brief vom 2 4 . 2 . 1 9 4 2 , Manuskript im Besitz des Verf.), der beim Korück 582 eingesetzt war. Das A l ter der Offiziere in dessen Stab 582 schwankte zwischen Mitte 30 und Mitte 50, nur einer war 27 Jahre alt. Während des Kriegs gegen die Sowjetunion gingen gerade Einrichtungen wie die Korücks dazu über, ihre Stellen mit nichtdeutschem Personal aufzufüllen. So waren beim Korück 580 Ende 1942 insgesamt 1 1 4 7 Gefangene, 3 9 1 3 entlassene Kriegsgefangene und 147 Zivilisten eingesetzt. Angabe nach: Arnold, Wehrmacht, S. 337 mit Anm. 72. Grundlegend hierzu Frieser, Blitzkrieg-Legende, S . 2 8 f f . und vor allem S . 3 7 f f . So bescheinigte der Generalstabschef des Heeres der 221. ID im Frühjahr 1940, dass sie „möglicherweise brauchbar" sei. Halder, Kriegstagebuch, Bd. I, S. 234. (Eintrag vom 2 6 . 3 . 1 9 4 0 ) . IfZ-Archiv, M A 1659: 221. Inf. Div., Verpflegungsstärke für die Zeit vom 2 6 . 8 . - 3 1 . 1 2 . 1 9 3 9 . In der Zeit vom 1 . 1 0 . - 1 0 . 1 0 . 1 9 3 9 betrug die Verpflegungsstärke 15 866 Mann, von denen 1 7 9 4 krank gemeldet waren. Bis Jahresende sank der Krankenstand freilich auf 624.

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2. Soldaten

fen, genügte diese Mobilmachung für die Blitzfeldzüge der Jahre 1939/40. Die überraschenden deutschen Erfolge waren auch das Werk von Verbänden, deren Charakteristikum ihre kurzfristige Improvisation war. Dass die Wehrmacht im Grunde ein sehr heterogenes Bild bot, wusste auch deren Führung. Im Mai 1940 räumte der Oberbefehlshaber des Heeres vorsichtig ein, dass sich in den Reihen dieser Teilstreitkraft „alle natürlich vorhandenen und alle künstlich geschaffenen Gegensätze eines 80-Millionen-Volkes" wiederfänden 90 . Da das O K H bei der Formierung der Divisionen auf diese Gegensätze Rücksicht zu nehmen suchte, bietet dieser Ausleseprozesses wiederum einen Anhaltspunkt, um sich über eines der wichtigsten Merkmale dieser Formationen klar zu werden. Damals bezeichnete man es als Korpsgeist, heute als Mentalität. 2.1.3 Mentalität Bei den aktiven Divisionen war die Identifikation mit dem militärischen System zweifellos am größten. Das lag nicht allein daran, dass es sich hier meist um junge Soldaten handelte - gesund, unverbraucht und belastungsfähig, gut ausgerüstet und einigermaßen wirklichkeitsnah ausgebildet 91 . Wichtiger war, dass bei dieser Gruppe die Integration in den militärischen Apparat am besten gelungen war. Besonders betraf dies die Offiziere und Unteroffiziere. Zwar stammten sie aus ganz unterschiedlichen Generationen, und entsprechend bunt und vielfältig waren ihre Biografien. Ein Punkt war jedoch fast immer gleich: Die meisten hatten sich freiwillig für ihren Beruf entschieden. Die Wehrmacht und stärker noch: „ihre" Division und „ihr" Regiment, empfanden diese Berufssoldaten als „Heimat" 9 2 , manchmal auch als „Familie". Deren Existenz stellte man gewöhnlich nicht in Frage. Ihre Bestimmung, den Krieg, kannten freilich nur die wenigsten. Nur die verhältnismäßig kleine, wenngleich einflussreiche Gruppe der höheren Offiziere hatte noch am Ersten Weltkrieg teilgenommen 93 und war seinen desillusionierenden Erfahrungen ausgesetzt gewesen. Dass sie danach ihre militärische Laufbahn aber fortgesetzt hatten, zeigt, dass sie die Erfahrung des „Großen Krieges" im Sinne des militärischen Apparats verarbeitet hatten. Das galt auch für das Offiziers- und Unteroffizierskorps der 4. Panzer- wie der 45. Infanteriedivision, selbst wenn der „Anschluß" bei den Kadern des ehemaligen österreichischen Bundesheers nicht nur Jubel ausgelöst hatte 94 . Ein Teil hatte die Wehrmacht entlassen, die Übrigen versuchte sie mit Hilfe „reichsdeutscher" Lehrkompanien oder Versetzungen ins

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So der ObdH, Gen.oberst v. Brauchitsch, in einem Erlass vom 8.5.1940, in: Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten, Dok. 110. 4. Pz. Div.: Seitz, Verlorene Jahre, S.70; 4Í. Inf. Div.: BA-MA, R H 26-45/8: 45. Inf. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch vom 1/40-V/40, das die Vorbereitung dieser Division auf den Westfeldzug dokumentiert. Aus den Akten wird deutlich, wie sehr sich die Divisionsführung um eine realistische und kriegsnahe Ausbildung bemühte, fernab von jedem Kasernenhofdrill. So Heinrich Eberbach über das Panzer-Regiment 35, zit. in: Schaufler, So lebten und so starben sie, S. 11. Generell hierzu Frevert, Kasernierte Nation, S. 245 ff. Vgl. Kap. 2.3. Vgl. hierzu Gschöpf, Weg, S. 33 ff. Selten werden diese Enttäuschungen und Ressentiments so deutlich wie in den Memoiren des Generals Glaise von Horstenau. Vgl. Broucek (Hrsg.), General im Zwielicht, Bd. 2 und 3.

2.1 Formierung und Sozialstruktur

„ Tiefste Gangart Deutscher Rekrut bei der Grundausbildung (Quelle: BSB, Fotoarchiv Hoffmann 62806)

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( 1941 )

„ A l t - R e i c h " „auf einen d e u t s c h e n N e n n e r " z u b r i n g e n 9 5 , w a s w i e d e r u m f ü r m a n che Spannungen sorgte. B e i a k t i v e n D i v i s i o n e n w i e d e r 4 . u n d der 4 5 . w a r e n die m e i s t e n A n g e h ö r i g e n freilich n i c h t B e r u f s s o l d a t e n , s o n d e r n W e h r p f l i c h t i g e . I h r V e r h ä l t n i s z u r A r m e e w a r a m b i v a l e n t . G e w ö h n l i c h z ä h l t e n sie die T a g e bis z u m E n d e ihres W e h r d i e n s tes, s c h o n weil sie w ä h r e n d i h r e r h a r t e n , m i t B l i c k auf d e n K r i e g allerdings realit ä t s n a h e n A u s b i l d u n g „ u n w a h r s c h e i n l i c h g e s c h l i f f e n " w u r d e n 9 6 : „ D e r S o l d a t ist eine aus K o m m i ß z u s a m m e n g e s e t z t e M a s c h i n e , die d u r c h das B r ü l l e n u n d S c h r e i e n der A u s b i l d e r in B e w e g u n g gesetzt w i r d " 9 7 , s c h r i e b ein A n g e h ö r i g e r der 4 . P a n -

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So das in Wien stationierte Heeresgruppenkommando 5 am 12.4.1938, zit. in: Schmidl, „Anschlug", S.221. Von ehemals 2128 Offizieren des Bundesheers wurden etwa 1 600 in die Wehrmacht übernommen. Vgl. dazu Matuschka, Organisation des Reichsheeres, S. 310; Slapnicka, Oberösterreich (1978), S. 102 sowie Kap.2.3. BA-MA, MSg 1/3266: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Einleitung. Doch schreibt er hier auch, dass sich diese Schulung „für das Zurechtfinden in den harten Kriegs- und Gefangenschaftsjahren und im Leben überhaupt bezahlt gemacht" habe. Ähnliche Berichte bei: BA-MA, RH-39/373: Bericht von Rudolf Meckl (4. P.D.), o.D. über seine Ausbildung in Bamberg, „in der uns der Leutnant Seiter (mit einem Arm) [...] die Kunst lehrte, Soldat auch dann zu sein, wenn es einem nicht mehr so danach zumute war". 45. Inf. D i u : Josef Gusenbauer [„Mit der 45. ID von 1940 bis 1944", in: BA-MA, MSg 3-217/1: Linzer Turm 43 (2000), Nr. 171], der seine militärische Ausbildung als „teilweise hart und schikanös" bezeichnete. 221. Inf. Div.: IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Sich. Div., Abt.I a, Befehl vom 27.8.1940: „Zwei Vorfälle geben mir Veranlassung, erneut auf meine wiederholt bei den Kdr.-Besprechungen festgelegten Weisungen über vorschriftsmäßige Behandlung von Untergebenen hinzuweisen." Generell hierzu: Schröder, Kasernenzeit; Bröckling, Disziplin, insbes. S.24Iff. Seitz, Verlorene Jahre, S. 60.

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2. Soldaten

zerdivision in seinen Erinnerungen, denen er den bezeichnenden Titel „Verlorene Jahre" gab. Dies war freilich eine späte Erkenntnis. Damals galt die Wehrpflicht als „Ehrendienst", dessen prinzipiellen Sinn die deutsche Gesellschaft kaum in Frage stellte 98 . Dieser Konsens war wiederum das Ergebnis eines „äußerst komplexen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und schließlich militärischen Prozesses, der die gesamte Bevölkerung erfaßte" 9 9 , und in den sich in den 30er Jahren zunehmend auch Elemente der NS-Ideologie einnisteten. Dass diese jungen Burschen den Krieg in der Regel nur noch aus der Literatur kannten oder häufiger noch aus Erzählungen, die ihnen die „Stahlgewitter" der Jahre 14 bis 18 oft, wenn auch nicht immer, als ein im Grunde notwendiges „Mannbarkeitsritual" darstellten 1 0 0 , wird ihre Akzeptanz alles Militärischen ebenso wenig gemindert haben wie die Tatsache, dass die soldatische Erziehung in dieser Gesellschaft schon lange vor der Einberufung begann 1 0 1 . Dagegen war der Kommissbetrieb selbst mit seinen Hierarchien und Demütigungen nur den wenigsten sympathisch. Idealisiert wurde hingegen der militärische Einsatz, wurden Begriffe wie Frontgemeinschaft, Kameradschaft, Kampf, Tat oder auch Opfer 1 0 2 . In einem Verband wie der 4. Panzerdivision mit ihren zahlreichen Freiwilligen 103 war dies besonders zu spüren. Während der Vorbereitung auf den Ostkrieg, immerhin eine Zeit von fast fünf Monaten, registrierte die Division lediglich zwölf Fälle von Desertion oder Unerlaubter Entfernung, wobei das Kriegsgericht in einem Fall auf Freispruch erkannte und in weiteren vier Fälle das Verfahren einstellte 104 . Selbst nach dem Juni 1941 blieben Desertionen hier lange Zeit „einmalige Kuriositäten" 1 0 5 . Charakteristisch für die „Vierer", die in der Wehrmacht gewissermaßen die Funktion der „Garde" erfüllten, waren eher Soldaten, die sich trotz schwerster körperlicher Behinderungen

So § 1 des Wehrgesetzes vom 21.5.1935 (RGBl. 1935, I, S.609). Gesellschaftlich wurde das kaum infrage gestellt. Vgl. hierzu Frevert, Kasernierte Nation, S.245ff., 314ff.; Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 2, S. 123 ff.; Wette, Deutsche Erfahrungen mit der Wehrpflicht 1918-1945; Foerster, Die Wehrpflicht; Opitz/Rödiger (Hrsg.), Allgemeine Wehrpflicht. 9 9 Geyer, Aufrüstung oder Sicherneit, S.501. 100 v g [ . Wette, Ideologien, Propaganda und Innenpolitik als Voraussetzungen der Kriegspolitik des Dritten Reiches; zur Wirkung einer solchen Erziehung vgl. auch Kittel, Provinz, S. 274ff. 1 0 1 Ein Kanonier der 4. Pz. Div. schrieb später: „So wird aus uns eine Generation systematisch herangezogen, die für das Soldatische in unserem Volkstum schwärmen muss, aller Unterricht zielt darauf hin." Seitz, Verlorene Jahre, S. 34. 102 Vg] hierzu Messerschmidt, Der Reflex der Volksgemeinschaftsidee in der Wehrmacht. Zu diesem Aspekt auch Wildt, Generation, S. 128ff. 103 Vgl. hierzu auch Ciasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, S. llOff. 1 0 4 IfZ-Archiv, MA 1579: 4. Pz. Div., Gericht, „Tätigkeitsbericht des Gerichts der 4. Panzerdivision in der Zeit vom 1.1.-24.5.1941" vom 26.5.1941. 1 0 5 So Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S. 123. Gemeint ist der Fall des Gefreiten Joseph S., der sich am 25.4.1942 „von einem Spähtrupp unerlaubt entfernte". S., geboren im März 1920 in Golleow bei Kattowitz, war 1939 als polnischer Soldat in deutsche Gefangenschaft geraten und hatte dann 1941/42 den Krieg gegen die Sowjetunion bei der 4. Panzerdivision mitgemacht. Bei seinen Kameraden galt er - so deren Urteil - als „mürrisch, schlampig, tapfer". Von seiner Desertion meint Schaub, dass sie „vom ganzen Rgt. einmütig als ehrlos schärfstens verurteilt" worden sei. Vgl. auch IfZ-Archiv, MA 1594: 5./Schtz. Rgt. 12, Vernehmung des Obfeldw[ebel] Franz Grundlmeyer vom 25.4.1942; dgl., „Tatbericht gegen Gefreiten Joseph S. wegen unerlaubter Entfernung/Fahnenflucht" vom 29.4.1942; Stellungnahme des K[om]p[anie]-Chefs vom 29.4.1942; 4. Pz. Div., Abt. I c, Meldung an das X X X X V I I . Pz. Korps vom 6.5.1942. Während der ersten acht Monate des Jahres 1942 soll es in der gesamten 4. Pz. Div. nur zwei registrierte Fälle von Überläufern gegeben haben. Vgl. Neumann, 4. Panzerdivision, S. 528. 98

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r

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„ f r e i w i l l i g z u r F r o n t " m e l d e t e n 1 0 6 , die h e i m l i c h das L a z a r e t t v e r l i e ß e n 1 0 7 , u m w i e d e r bei i h r e n K a m e r a d e n sein z u k ö n n e n , o d e r die n o c h als S c h w e r v e r w u n d e t e : „linkes A u g e o f f e n b a r v e r l o r e n , K n i e k a p u t t u n d z w e i B a u c h s c h ü s s e " , i h r e V o r g e s e t z t e n baten, „ S o l d a t bleiben" z u d ü r f e n 1 0 8 . S e l b s t in d e r K r i s e des W i n t e r s 1 9 4 1 / 4 2 m e l d e t e n sich die A n g e h ö r i g e n dieses V e r b a n d s in d e r Regel „erst d a n n k r a n k , w e n n es gar n i c h t m e h r a n d e r s " g i n g 1 0 9 . In k e i n e r D i v i s i o n u n s e r e s S a m p l e s waren daher „Einsatzfreude"110, Selbstvertrauen und Integrationskraft111 so groß w i e bei d e n „ V i e r e r n " , w a s auch d a r a n lag, dass i h r e A n g e h ö r i g e n g e l e r n t hatten, die z a h l l o s e n N o t l a g e n v o n A u s b i l d u n g u n d E i n s a t z im K o l l e k t i v z u ertragen. N i c h t w e n i g e e m p f a n d e n i h r e D i v i s i o n als g r o ß e „ F a m i l i e " 1 1 2 , in d e r eine „ P f u n d s k a m e r a d s c h a f t " 1 1 3 g e h e r r s c h t habe.

IfZ-Archiv, M A 1589: Art. Rgt. 103, Gefechtsbericht vom 9.7.1941: „Der Gefrfeite] Sommerfeld hatte durch einen Unglücksfall vor dem Kriege ein Auge verloren. Obwohl er deswegen zum aktiven Wehrdienst nicht verpflichtet war, hatte er sich freiwillig zur Front gemeldet." Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht auch der Schriftwechsel, den ein Angehöriger der 4. Panzerdivision mit seiner Mutter „wegen der verfluchten arischen Abstammung" führte. Auch dieser Gefreite wollte auf alle Fälle bei seiner Truppe bleiben. BfZ, Slg. Sterz, 21705, Brief H . W . vom 11.4.1943. 107 Vgl. B A - M A , R H 39/377: Panzer-Regiment 35: Bericht Oberfeldwebel Hans Luther, o. D. Ferner Eberbach in: Neumann, 4. Panzerdivision, S.VI. 108 Vgl. B A - M A , MSg 1/3271: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 22.9.1941: „Steffen wird zurückgebracht; ich sehe ihn weiter hinten. Auf der Bahre liegt er, blut- und dreckverschmiert im Gesicht, das Haar wild hereinhängend, das linke Auge von einem Splitter durchschlagen. Er hat die Augen geschlossen. Er bittet um eine Zigarette. Sein Chef zündet sie an und steckt sie ihm in den Mund. Steffen schlägt die Augen auf; [ . . . ] Dann winkt er Hptm. Guillaume mit der Hand; der beugt sich nieder und dann sagt Steffen mit matter, aber klarer Stimme: .Herr Hauptmann, wenn ich wieder zurückkomme, und ich hoffe, daß das recht bald ist, kann ich dann Soldat bleiben?' [ . . . ] In voller Kenntnis der Tatsache, daß Steffen hoffnungslos ist, sagt sein Chef zu ihm: ,Aber Junge, das ist doch selbstverständlich, daß Du Soldat bleibst!' Dann nimmt er sein eigenes ΕΚ I von der Brust und heftet es dem Schwerverwundeten an." Ferner IfZ-Archiv, M A 1589: I./Schtz. Rgt. 12, Gefechtsbericht vom 1.7.1941: „Leichter Verwundete baten alle beim Btl. bleiben zu dürfen." 109 Neumann, 4. Panzerdivision, S. 468. 110 So IfZ-Archiv, M A 1594: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Stimmungsbericht" an das XXXXVII. Pz. K. vom 22.5.1942, in dem heißt, dass die Division nach einer Auffrischung und einem Heimaturlaub „mit der gleichen Passion an den Feind gehen" würde wie bisher. Ferner Neumann, 4. Panzerdivision, S. 10. 1 , 1 Darin einbezogen wurden zum Teil auch sehr unkonventionelle Naturen, etwa der legendäre „Peronje", im Zivilleben Landstreicher aus dem „alleräußersten Zipfel von Oberschlesien", der besser Polnisch als Deutsch sprach und aus einem Wehrmachtgefängnis zur 4. Panzerdivision gekommen war - zur „Frontbewährung". Dort aber wurde er „von allen respektiert und für voll genommen. Seine Kraft, sein Witz, seine Unerschrockenheit, seine Kaltblütigkeit wurden gebraucht". Sogar die charakteristische Meldung dieses ungewöhnlichen, aber hochdekorierten Soldaten wurde hier akzeptiert: „Leck mich am Arsch, Herr Hauptmann." Dass hier auch solchen Soldaten eine Chance gegeben wurde, spricht im Grunde für die Exklusivität und das Selbstbewusstsein dieses Verbands. Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 42 vom April/Mai 1974. 112 Vgl. etwa die Erinnerungen des Panzer-Regiments 35, dem Kernstück der 4. Panzerdivision, das in der Erinnerung eines Veteranen als „eine große Familie" beschworen wurde. „Einer stand für alle, alle für einen." Auch General Heinrich Eberbach meinte im Nachruf auf einen seiner Offiziere, dieser würde nun „in der Erinnerung unserer Panzerfamilie weiterleben". Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 5 vom März 1959 sowie Nr. 35 vom Juli/ August 1971. Gerade die amerikanische Militärsoziologie hat sich nach 1945 stark für diesen Aspekt interessiert; am bekanntesten hier der Aufsatz von: Shils/Janowitz, Cohesion and Disintegration in the Wehrmacht. Ferner Creveld, Kampfkraft. 113 Vgl. Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S. 116. Dort ist das Tagebuch eines Angehörigen des Schtz. Rgt. 12 abgedruckt, in dem unter dem 1.3.1942 steht: „Pfundskameradschaft". 106

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2. Soldaten

Einem aktiven Verband wie der 45. ID fehlte ein solch zugespitztes Korps- und Elitebewusstsein, doch waren auch hier Kohäsion und Motivation keineswegs zu unterschätzen. Schon im März 1939 bescheinigte einer ihrer Offiziere seinen Soldaten einen .hervorragenden Geist', sie „hätten alle mitgerissen" 114 . Ein halbes Jahr später registrierte ein Erfahrungsbericht „viele Einzelbeispiele persönlicher Tapferkeit"; die Truppe würde Strapazen „willig ertragen" 115 . Die Bemerkung eines Hauptwachtmeisters der 45. ID, es sei „während des Einsatzes [...] ja selbstverständlich, dass jeder seine Sache leistet", wie es ihm möglich sei 116 , ist ebenso Ausdruck dieser Hingabe wie die Bekenntnisse eines Rekruten, der im Dezember 1941 mit einem Marsch-Bataillon der 45. am Heiligen Abend sehr unsanft an der Ostfront gelandet war: „Doch habe ich mir nicht vorgenommen, bald Uffz. zu werden, [das] EK zu verdienen? Vielleicht ist die Prüfung recht nahe, da heißt es halt ausharren, Zähne zusammenbeißen und weitermachen." 117 Für die aktiven Divisionen sollte diese Mentalität während der ersten Kriegshälfte charakteristisch bleiben; ihren Angehörigen waren „Nationalismus und kriegerische Gesinnung in Fleisch und Blut übergegangen" 118 . Das lag auch daran, dass in der Existenz dieser jungen Leute das zivile Leben noch kaum Platz gegriffen hatte. Die meisten hatten Lehre oder Schule gerade hinter sich gebracht, oft auch die vielfältigen Sozialisations- und Erziehungsinstanzen des „Dritten Reichs". Zwar setzten sich Drill und Kontrolle in der Wehrmacht fort, doch war man wenigstens für eine gewisse Zeit der Enge von Familie und Heimat entkommen und profitierte vom hohen Sozialprestige des Militärs. Angesichts solcher Voraussetzungen war es kein Wunder, wenn unter dem Druck des Krieges die militärische Umgebung die alte zivile mehr und mehr zu ersetzen begann: „Meine Truppe war meine Heimat, meine Familie, die es zu bewahren galt", erinnerte sich einer dieser Soldaten später 119 . Die Altersstruktur der aktiven Divisionen spricht nicht nur für eine hohe militärische Motivation, sondern auch für eine verhältnismäßig große Identifikation mit dem herrschenden politischen System, selbst wenn es gerade in diesem Punkt große biographische Unterschiede geben konnte. Die jungen Soldaten, die 1939 in den Weltkrieg zogen, entstammten in ihrer Mehrzahl den Jahrgangsklassen zwischen 1910 und 1919 120 , waren also zwischen 1925 und 1935, im Spannungsfeld 114

115

116 117

118 1,9 120

Ludwig Hauswedell, Einsatztagebuch 1938/39, Fazit März 1939, Kopie im Besitz d. Verf. Ferner Groscurth, Privattagebuch, S.206 (Eintrag v o m 1 8 . 9 . 1 9 3 9 ) : „Stülpnagel sagt, unsere Truppe schlüge sich hervorragend, einschließlich der Österreicher." IfZ-Archiv, M A 1615: 45. Inf. Div. Abt. I a, Bericht an das O K H / G e n S t d H betr. „Erfahrungen und Zustand der 45. Div." vom 6 . 1 0 . 1 9 3 9 . BfZ, Slg. Sterz, 11802, Brief Ε. H. v o m 1 4 . 1 0 . 1 9 4 0 . B A - M A , M S g 3-217/1: Linzer Turm 26 (1983), Nr. 102: [Uffz. Adolf Bräuer], A u s dem Kriegstagebuch eines Sanitätsunteroffiziers, Eintrag v o m 2 4 . 1 2 . 1 9 4 1 . Vgl. auch B A - M A , Ν 260/6: N L R. v. Bünau, Schreiben an R. v. Bünau v o m 2 8 . 7 . 1 9 4 1 [Unterschrift unleserlich], w o es über den Einsatz des Inf. Rgt. 133 v o r Brest-Litowsk heißt: „Als ich von Ablösung sprechen wollte, da sagte man mir einmütig, daß so etwas gar nicht in Frage käme, bevor nicht der letzte Russe erschlagen wäre." So Grami, Loyalität und Verblendung, S.24f. Vgl. Fritz, Hitlers Frontsoldaten, S . 2 0 1 ; Kühne, Kameradschaft, S. 1 4 0 f f . Daran änderte sich während des Krieges zunächst wenig. So besaß die Kampftruppe der 45. ID (Gren. Rgt. 133) im Mai 1943 ein „Durchschnittsalter" von 23,5 Jahren. B A - M A , R H 2420/41: X X . Α . K., Abt. I a, „Truppenbesuch des Herrn Kommandierenden Generals bei der 9./Gr. R. 133 am 27.5.43".

2.1 Formierung und Sozialstruktur

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zwischen Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus politisch sozialisiert geworden 1 2 1 . Diese Erfahrung: der glanzlose Untergang der Weimarer Republik, der so sehr abstach von den überwältigenden politischen, wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Anfangserfolgen des NS-Regimes, hatte sie entscheidend geprägt. Je jünger diese Soldaten wurden, desto mehr verflüchtigte sich diese Erfahrung. An ihre Stelle trat freilich die eines organisierten Nationalsozialismus. Dass bis 1942/43 bis zu 90 Prozent der Rekruten Mitglied einer NS-Organisation gewesen waren, meist der H J 1 2 2 , dürfte ihre Distanz zu dieser Ideologie kaum gefördert haben. Allerdings: In den 30er Jahren konnte man sich dem politischen „Dienst" noch leichter entziehen als dem militärischen 123 , so dass zur Armee zwangsläufig auch diejenigen kamen, die sich bisher gegenüber jeder Vereinnahmung durch Partei oder Staat als resistent erwiesen hatten 1 2 4 . Mit zunehmender Dauer des Krieges wurden die Mannschaftssoldaten der aktiven Divisionen immer jünger: Lag im Jahr 1939 bei den Rekruten noch der Schwerpunkt bei den Jahrgängen 1911 bis 1915 1 2 5 , so begann sich dieser zwei Jahre später bereits auf die Jahrgänge 1921 bis 1925 zu verschieben 126 ; ab 1944 dominierten dann die Jahrgänge 1926 und jünger. In den sechs Kriegsjahren senkte sich das Alter der deutschen Rekruten also um bis zu 15 Jahre. Je jünger diese Soldaten waren, desto selbstverständlicher werden ihnen das „Dritte Reich", seine Ideologie und seine Politik erschienen sein. Ein Unteroffizier aus einem LandesschützenBataillon hatte den Eindruck, dass gerade bei den jüngeren Soldaten „die ganz andere Haltung" vorherrschend sei, „die Intoleranz in jeder Beziehung - zur Kirche, den Juden gegenüber" 1 2 7 . 121

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Vgl. Rass, „Menschenmaterial", S. 92. Bei der 253. ID stammten etwa zwei Drittel ihrer Angehörigen aus dieser Jahrgangsgruppe. Laut Rass (Sozialprofil, S. 687) waren bis zum Geburtsjahrgang 1916 etwa 3 0 % der Soldaten Mitglied einer NS-Organisation, beim Geburtsjahrgang 1919 überschritt der Erfassungsgrad bereits die Marke von 5 0 % , um für die Jahrgänge Í924 und 1925 Werte von nahezu 9 0 % zu erreichen. Im Deutschen Reich galt seit dem 1.12.1936 das „Gesetz über die Hitler-Jugend", seit dem 25.3.1939 die „Jugenddienstpflicht". Erst jetzt war jeder zehnjährige Junge und jedes zehnjährige Mädchen zum Dienst im Deutschen Jungvolk, bzw. im Jungmädelbund definitiv verpflichtet, auch gegen den Willen der Eltern, da deren Kinder nun „einer öffentlich-rechtlichen Erziehungsgewalt" unterstanden. Vgl. Buddrus, Totale Erziehung, Teil I, S.250ff. Druck: R G B l . 1936,1, S.993; 1939,1, S.709ff: Rass („Menschenmaterial", S. 121 ff.) hat für die Geburtsjahrgänge zwischen 1910 und 1920 einen „Erfassungsgrad durch R A D , Wehrdienst und Parteigliederungen von etwa 7 5 % " errechnet, für die älteren Jahrgänge liegen die entsprechenden Prozentzahlen zum Teil deutlich niedriger. Dass die Wehrmacht politische Rückzugsmöglichkeiten bieten konnte, wurde nach dem Krieg immer wieder bestätigt. Vgl. etwa Bamm, Eines Menschen Zeit, 162ff.; aicher, Innenseiten des kriegs, S. 130; Slapnicka, Oberösterreich (1978), S.98f. Generell zu den politischen Spannungen zwischen Wehrmacht und NS-Regime: Müller, Das Heer und Hitler. Vgl. die Graphik bei Overmans, Verluste, S.222: 1939 waren 3 5 , 5 % der Rekruten in den Jahren 1911-1915 geboren, 2 5 , 9 % in den Jahren 1916-1920. Im Jahr 1940 verteilten sich die Schwerpunkte noch auf drei Altersdekaden: 1906-1910: 2 6 , 7 % , 1911-1915:26,7%, 1916-1920: 2 6 , 7 % . Seit 1941 lag dann der Schwerpunkt bei den Rekruten auf den Geburtsjahren 19211925:1941 lag ihr Anteil bei 41,8 % , 1942 bei 51,7 % und 1943 bei 40,5 % . Seit 1944 begann der Altersschnitt nochmals zu sinken: 35,1 % gehörten dem Jahrgang 1926 an oder waren jünger. 1945 wuchs der Anteil dieser Altersdekade unter den Rekruten schließlich auf 50,1 % . Vom Marsch-Bataillon 45/4 beispielsweise, das die 45. I D am 27.5.1942 erreichte, gehörten „ 6 5 % [...] dem Jahrgang 1922 an". IfZ-Archiv, MA 1623: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 27.5.1942. Jarausch/Arnold, Sterben, S.201 (Brief vom 7.4.1940). Ferner ebda., S.357 (Brief vom 29.12.1941).

100

2. Soldaten

Allerdings bedarf auch dies der Differenzierung, der zeitlichen wie der regionalen. U m einen Sonderfall handelt es sich etwa bei den Soldaten aus der „Ostmark", die nicht so lange der Indoktrination und Sozialisation durch das N S - R e gime ausgesetzt waren wie ihre „reichsdeutschen" Kameraden. Zwar hatten große Teile der österreichischen Gesellschaft geradezu enthusiastisch auf den „Anschluß" reagiert, doch machte sich mit zunehmendem Abstand zum März 1938 eine gewisse Ernüchterung breit und auch eine Wiederbelebung des alten antipreußischdeutschen Reflexes 1 2 8 . Das zeigte sich besonders während des Wehrdienstes, da die „Mannschaften aus Osterreich und dem Sudetenland [...] durch das ,reichsdeutsche' Ausbildungspersonal immer wieder eine kränkende und ehrverletzende Behandlung erfuhren" 1 2 9 ; möglicherweise war auch das ein Grund dafür, dass sich die Österreicher im Ostkrieg dann „außerordentlich milde" aufführten 1 3 0 , so ein deutscher General später. Wie weit dies wirklich zutraf, wird später zu prüfen sein. Aber auch bei ihren „reichsdeutschen" Kameraden insgesamt entwickelte sich die Zustimmung zum Nationalsozialismus keinesfalls geradlinig. Diese hatte spätestens durch Hitlers außenpolitische Abenteuer der Jahre 1938/39 und erst recht durch das ernüchternde Erlebnis des Kriegsausbruchs einen ersten wirklichen Dämpfer erhalten 131 . Der Ernstfall ließ viele Soldaten nachdenklicher werden. Sie wussten sehr genau, dass sie die Ersten sein würden, die für Hitlers Politik bezahlen mussten 1 3 2 . In der 45. I D war man schon im Oktober 1938 sehr froh, dass „wir [...] Gottseidank von einem Kriege verschont geblieben" sind 1 3 3 , und auch im Sommer 1939 war die „Kriegsbegeisterung" in Oberösterreich „nicht groß" 1 3 4 . Bei Charakteristisch etwa Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1934-1945, Bd. I, S.365 (Lagebericht aus Steinbach v o m 21.12.1938): „Bei der h[ier] ortsansässigen] Bevölkerung ist eine besondere Begeisterung, wie es zur Zeit des Umbruches [März 1938] der Fall war, nicht mehr wahrzunehmen. Bei Besitzern, w o der Sohn beim Arbeitdienst oder Militär ist, und bei solchen, welche im Laufe des heurigen Jahres zum Militär eingerückt waren, sowie bei jenen, welche sich zur Zeit des Umbruches besonders hervorgetan haben, hat die Begeisterung zur N S D A P stark nachgelassen." Generell hierzu Hanisch, Peripherie und Zentrum. 129 v g l . Kroener, Personelle Ressourcen, S. 823. 1 3 0 So der Gen.ltn. Heinrich Kittel am 28.12.1944 in einer heimlich vom C S D I C aufgezeichneten Besprechung, in: Neitzel, Abgehört, S. 272-282, hier S.273. Dass Einheiten aus der „ O s t m a r k " teilweise auch eine sehr brutale Besatzungspolitik, allerdings auf dem Balkan, ausüben konnten, belegen die folgenden Studien: Manoschek, „Serbien ist judenfrei", S.27ff.; ders., Die Vernichtung der Juden in Serbien, S.218; Meyer, Von Wien nach Kalavryta; Lieb, Weltanschauungskrieg, S. 96. 131 Vgl. hierzu Kershaw, Hitler-Mythos, S. 118ff., 123ff.; Deutsch, Verschwörung gegen den Krieg, S. 71 ff.; Steinert, Hitlers Krieg und die Deutschen, S. 77ff., 91 ff. Zur offiziellen Linie der Wehrmachtsführung vgl. Messerschmidt, Wehrmacht, S. 232 ff. 1 3 2 Schon im Ersten Weltkrieg beobachtete Max Weber, wie sich die Kriegsbegeisterung mit wachsender Entfernung zu den Schützengräben immer mehr steigerte. Ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. III, S. 121 f. 1 3 3 So die Meinung eines Offiziers: Ludwig Hauswedell, Einsatztagebuch 1938-1939 I: 16.9.3829.10.38, Eintrag vom 28.10.1938, Kopie im Besitz d. Verf. 1 3 4 Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1934-1945, Bd. II, S.322 (Lagebericht aus Klaus vom 24.7.1939). D o r t viele weitere Beispiele. Vgl. auch Gschöpf, Weg, S. 72: „ A u s diesen Stunden ist mir eine bezeichnende Szene in Erinnerung geblieben. [...] Wie nicht anders zu erwarten, drehte sich das Gespräch natürlich um die Entwicklung der nächsten Zukunft. Trotz des Ernstes redeten wir uns einen gewissen Optimismus ein; an eine Ausweitung des Krieges wollte niemand glauben. N u r der damalige Div. Adj. H p t m . Harhausen, blieb schweigsam und hing eigenen Gedanken nach. Schließlich warf er die Bemerkung dazwischen: .Meine Herren, täuschen wir uns doch nicht, wir stehen am Vorabend eines zweiten Weltkrieges!'" 128

101

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r der 4. P a n z e r d i v i s i o n w a r das nicht anders, „ d i e f r o h e B e g e i s t e r u n g v o n

1914"

fehlte135. A l s d a n n der K r i e g b e g a n n , n a h m m a n das hier lediglich „ s t u m m " Kenntnis136. T r o t z d e m gehorchten die Soldaten. Mit d e m Begriff der

zur

„widerwil-

l i g e n L o y a l i t ä t " 1 3 7 ist d i e S t i m m u n g , d i e d a m a l s s e l b s t i n d e n a k t i v e n V e r b ä n d e n der W e h r m a c h t herrschte, recht genau beschrieben. U m

so stärker musste

der

S t i m m u n g s u m s c h w u n g nach d e m überraschend schnellen Sieg über den A n g s t g e g ner Frankreich ausfallen. D i e E r f a h r u n g der g e m e i n s a m d u r c h g e s t a n d e n e n „erfolgreich" bewältigten K r i s e schuf eine Ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen

und

Regime,

B e v ö l k e r u n g u n d W e h r m a c h t , w i e sie bis dahin u n b e k a n n t g e w e s e n w a r u n d die s i c h b i s in d i e J a h r e 1 9 4 4 , j a 1 9 4 5 a l s e r s t a u n l i c h z ä h l e b i g e r w e i s e n s o l l t e n 1 3 8 . D a s soll nicht heißen, dass das Verhältnis v o n W e h r m a c h t u n d N a t i o n a l s o z i a l i s m u s frei v o n S p a n n u n g e n u n d Rivalitäten geblieben wäre. D a s k a n n m a n a u c h an unseren Divisionen beobachten. W ä h r e n d der „ F ü h r e r " schon d u r c h seine F u n k t i o n als O b e r s t e r B e f e h l s h a b e r d e r W e h r m a c h t d o r t ü b e r e i n b e t r ä c h t l i c h e s

Prestige

verfügte139, k o n n t e m a n das v o n „der Partei" u n d ihren F u n k t i o n ä r e n

weniger

s a g e n 1 4 0 : B e i der 2 2 1 . I n f a n t e r i e d i v i s i o n e t w a w u r d e ein R i t t m e i s t e r v o r s e i n e m angetretenen Bataillon v o n einem Kreisleiter der N S D A P

so „beschimpft

und

beleidigt", dass der Kreisleiter d a r a u f h i n versetzt w e r d e n m u s s t e 1 4 1 , bei der 45. I D e m p ö r t e m a n sich ü b e r d i e P a r t e i g e n o s s e n , d i e sich als „ u n a b k ö m m l i c h "

zurück-

stellen ließen142, ein O f f i z i e r d e r „ V i e r e r " kritisierte d i e S S s o sehr, d a s s sich d e r

135

136 137

138 139

140

141

142

So der damalige Oberstleutnant Heinrich Eberbach: „Wir haben alle das Gefühl, daß wir es schaffen werden, aber die frohe Begeisterung von 1914 fehlt." Schaufler, So lebten und so starben sie, S. 13. B A - M A , Ν 245/22: Nachlass Georg-Hans Reinhardt: „Aufzeichnungen über meine Teilnahme an den Kriegen Hitlers 1938-1945", S.2f.: „ A n Krieg dachten die wenigsten, auch wir Soldaten nicht, alles sah mit Vertrauen auf den Führer, dass er, der mit diplomatischem Geschick so viel für Deutschland erreicht hatte, auch gegenüber Polen unblutig zum Ziele kommen würde." Selbst in der offiziellen Selbstdarstellung wird die Skepsis der Soldaten vorsichtig angedeutet. Vgl. B A - M A , R H 39/374: Kriegstagebuch des Pz. Rgt. 35 im Feldzug in Polen: „An den Mann wird die scharfe Munition ausgegeben und da gehen allen mannigfache Gedanken durch den Kopf. Die Gesichter sind plötzlich ernst, aber nur kurze Zeit, dann leuchtet schon wieder die Freude heraus, endlich den bedrängten Brüdern in Polen zu Hilfe kommen zu können." Seitz, Verlorene Jahre, S. 20 f. Krausnick/Graml, D e r deutsche Widerstand und die Alliierten, S.482. Zur Ernüchterung bei Kriegsbeginn vgl. auch Vogel, „aber man muß halt gehen, und wenn es in den Tod ist", insbes. S.39. Vgl. mit dem Urteil von Förster, Geistige Kriegführung in Deutschland 1919 bis 1945, S. 511. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1659: 221. Sich. Div., Kdr., Tagesbefehl v o m 15.7.1940: „In Ehrfurcht gilt aber unser aller Dank unserem Führer und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht Adolf Hitler, der uns unsere unwiderstehlichen Waffen geschmiedet und in die Hand gegeben hat, [...]. [...], eins ist sicher, unser Leben, unsere Arbeitskraft, unsere ganze Hingabe gehört dem Führer, bereit zu neuen Taten, bis der Endsieg Deutschland gehört". Ferner K o p p , Die Wehrmacht feiert. Kommandeurs-Reden zu Hitlers 50. Geburtstag. Dies ging so weit, dass sich diese Konflikte zuweilen sogar in Schlägereien zwischen „Feldgrauen" und „Braunen" entladen konnten. Vgl. hierzu Müller, Heer und Hitler, S.612f. (Wehrkreis VII); Hartmann, Halder, S.47f. (7. Infanteriedivision/Wehrkreis VII); Sydnor, Soldaten des Todes, S. 65 f. (3. SS-Division „Totenkopf"); Stahl, Generaloberst Rudolf Schmidt, S.219 (1. Panzerdivision). IfZ-Archiv, M A 1659: 221. Inf. Div., A b t . I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 21.2.194031.10.1940. B A - M A , Ν 532/24: Nachr. Komp., Inf. Rgt. 135, Meldung an das Regiment wg. U n a b k ö m m lichkeit d. Schtz. A. vom 25.8.1939. Ferner P A - A A , R 60705: A O K 2, A b t . I c/VAA, Bericht Nr.31 vom 9.12.1941, in dem der Oberleutnant Anton Graf Bossi-Fedrigotti über den Zorn vieler Soldaten berichtete, dass die Mitgliedschaft zur N S D A P die Chancen auf „ U n a b k ö m m -

102

2. Soldaten

zuständige H ö h e r e SS- u n d Polizeiführer f ü r ihn zu interessieren begann143. A u f s G a n z e gesehen b l i e b e n dies j e d o c h e i n z e l n e V o r k o m m n i s s e , w a s sich sicherlich n i c h t allein m i t d e n B e d i n g u n g e n eines t o t a l i t ä r e n R e g i m e s e r k l ä r e n lässt. G l e i c h w o h l b l e i b t d e r E i n d r u c k v o n R i v a l i t ä t , m i t u n t e r a u c h einer g e w i s s e n D i s t a n z z w i s c h e n M i l i t ä r u n d N S - R e g i m e 1 4 4 . D a s hatte seinen G r u n d auch d a r i n , dass in d e r u n i f o r m i e r t e n u n d militarisierten D i k t a t u r des N a t i o n a l s o z i a l i s m u s die W e h r m a c h t lange Z e i t die einzige I n s t i t u t i o n b l i e b (sieht m a n einmal v o n e i n e r z u n ä c h s t k l e i n e n A u s n a h m e w i e d e r W a f f e n - S S ab), die sich d e r W i r k l i c h k e i t des K r i e g e s stellte. S c h o n allein das m u s s t e bei d e n m i l i t ä r i s c h e n P r o f i s f ü r ein G e f ü h l v o n Ü b e r l e g e n h e i t s o r g e n . D a s gab m a n a u c h w e i t e r : D e r E i n d r u c k v o n C h r i s t o p h Rass, dass bei d e r 2 5 3 . I D „eine s p e z i f i s c h n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e S o z i a l i s a t i o n k e i ne h e r v o r r a g e n d e R o l l e s p i e l t e " 1 4 5 , scheint n i c h t n u r f ü r diese D i v i s i o n g e g o l t e n z u h a b e n 1 4 6 . G e r a d e in d e n a k t i v e n V e r b ä n d e n d e r W e h r m a c h t w a r das alte n a t i o n a l k o n s e r v a t i v e W e l t b i l d n o c h w i r k s a m 1 4 7 , selbst w e n n dieses bis 1 9 4 5 z u n e h m e n d v e r d r ä n g t , a b e r nie v ö l l i g e r s e t z t w u r d e d u r c h E l e m e n t e d e r N S - I d e o l o g i e . D e n n die I d e n t i t ä t d e r „alten" D i v i s i o n e n d e f i n i e r t e sich i m m e r a u c h ü b e r i h r e T r a d i t i o n 1 4 8 . D i e s e s i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e B e k e n n t n i s z u einer v e r g a n g e n e n , v o r m o d e r n e n E p o c h e , z u m t r a d i t i o n e l l e n s o l d a t i s c h e n S e l b s t v e r s t ä n d n i s u n d d a m i t auch z u einer d o m e s t i z i e r t e n K r i e g f ü h r u n g , w i e sie i m 1 8 . u n d 1 9 . J a h r h u n d e r t ü b l i c h g e w e s e n w a r 1 4 9 , w a r w o h l m e h r als b l o ß e K o n v e n t i o n . G e r a d e die 4. P a n z e r d i v i lichkeit" zum Wehr- und Kriegsdienst erhöhte: „Hier fällt auch oft das Wort von den Parteidienststellen. Bezeichnend ist dabei, daß der Soldat ein ungemein feines Gefühl dafür hat, wer in der Parteileitung wirklich unabkömmlich ist und wer nicht. [...]. Man hört auch Worte, daß viele, die in Parteistellen heute rückwärts tätig sind und die nach Ansicht des Soldaten durchaus nicht unabkömmlich sind, nicht zu den echten Nationalsozialisten gehören, sondern Mitläufer seien. Hier einmal Ordnung, dann aber eine aufrichtige, richtige und einleuchtende Aufklärung zu schaffen, wäre allerernsteste Pflicht aller alten Nationalsozialisten." Zur 2. deutschen Armee gehörten zum damaligen Zeitpunkt u.a. die 45. Inf. Div. und der Korück 580. Solche Stimmungen waren relativ weit verbreitet. Vgl. etwa Groscurth, Tagebücher, S. 522-523 (Brief vom 14.8.1941): „Erfreulich ist, daß man bei Mann und Offizieren - nur nicht beim General - offen reden kann und daß fast alle von der gleichen Wut beseelt sind gegen die Bonzen." Ferner Meldungen aus dem Reich, Bd. 2, S.421 (Bericht vom 6.11.1939): „Aus verschiedenen Meldungen geht hervor, daß unter vielen Politischen Leitern der Partei nach wie vor darüber Unzufriedenheit besteht, daß sie bei ihrer parteiamtlichen Tätigkeit oft als Drückeberger angesehen werden." 143 Erhalten hat sich eine längere Korrespondenz zwischen dem Inspekteur der SiPo und des SD in Breslau und dem Höheren SS- und Polizeiführer Südost aus dem Jahr 1943, in dem dieser detaillierte Informationen über den einstigen Kommandeur des Kradschützen-Bataillons 34 (4. PD), Major Erich von Stegmann, einholte, weil dieser sich negativ über SS und Waffen-SS geäußert hatte. BA, Abt. R: Personalakte Erich von Stegmann. 144 Vgl. etwa Seitz, Verlorene Jahre, S. 134: „Ich w a r in einer Einheit, die auf eine stolze Leistung in diesem Kriege zurückblicken konnte. Der Geist, der die Truppe beseelte, war sauber und einwandfrei, neDenbei bemerkt - nicht nationalsozialistisch!" 1 4 5 So Rass, „Menschenmaterial", S. 129. 1 4 6 So wunderte sich ein Rekrut der 4. Pz. Div. darüber, dass man hier Politischen Unterricht „fast gar nicht" kenne. Seitz, Verlorene Jahre, S.68. Dies scheint erst bei Kriegsende anders geworden zu sein. Vgl. mit dem Beispiel für die 4. Pz. Div. vom Januar 1945 bei: Bartov, Hitlers Wehrmacht, S.203. 1 4 7 Generell hierzu Messerschmidt, Wehrmacht; Kroener, Strukturelle Veränderungen in der Militärischen Gesellschaft des Dritten Reiches; Weinberg, Adolf Hitler und der ÑS-Führungsoffizier; Zoepf, Wehrmacht zwischen Tradition und ideologie; Förster, Geistige Kriegführung in Deutschland, S.590ff. 148 Vgl. hierzu die Definition von Pieper, Tradition in der sich wandelnden Welt. 1 4 9 Die 4. Panzerdivision stand etwa in der Tradition der Bayerischen Chevauleger-Regimenter 2 und 3, des Bayerischen Feldartillerie-Regiments 22 sowie des (Thüringischen) Infanterie-Re-

2.1 Formierung und Sozialstruktur

103

sion mit ihrem feudalistisch geprägten Offizierskorps war dafür anfällig. Nicht ohne Wehmut erinnerte sich einer ihrer Generalstabsoffiziere an seine Zeit im Bamberger Reiter-Regiment 17, aus dem „allein vier aktive Offiziere hervorgegangen [sind], die später nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurden" 1 5 0 . Auch bei der 45. ID waren die Traditionsstränge zur k.u.k.-Monarchie im Jahr 1938 nicht ganz abgerissen 151 . Zwar hatte Hitler bei der „Eingliederung des österreichischen Bundesheeres in die Wehrmacht" 1 5 2 nicht die geringsten föderativen Zugeständnisse gemacht 1 5 3 , doch akzeptierte die Wehrmachtsführung noch einzelne österreichische Traditionselemente 154 . Deshalb war auch die 45. ID institutionell mit einer Vergangenheit verbunden, die in der Vorstellung vieler Militärs als ruhmreich und gut galt. So gesehen standen die aktiven Formationen nicht allein in der militärischen Tradition der deutschen oder der österreichischen Armee, sie fühlten sich auch als Teil jener alten „Kultur des Krieges" 1 5 5 , so dass sich gerade in ihrem Fall die Frage stellen wird, welche Chancen diese Kultur noch in einem Regime hatten, das den Zivilisationsbruch zu seinem Programm gemacht hatte. Sicher ist, dass die Wirkung dieser Traditionskultur schon während der Aufrüstung, erst recht aber im Krieg langsam zu verblassen begann. Dafür schuf der Ernstfall neue Traditionen, in der nun aber auch andere Werte zählten. Gerade in Eliteverbänden wie der 4. Panzerdivision, die besonders zur Traditionsbildung prädestiniert sind 156 , gab es dazu reichlich Gelegenheit. Aber nicht nur das, auch die technische Modernität dieser Division ließ ihre Angehörigen empfänglich werden für eine Identifikation mit der „neuen" Zeit, wie sie auch der Nationalsozialismus verkörperte 157 . Die Angehörigen der drei „Kriegskinder": der 221. und 296. Infanteriedivision sowie des Korück 580, mussten sich von vorneherein in einem ahistorischen U m giments 32. Vgl. Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 15, S.286ff.; Schaub, Panzer-GrenadierRegiment 12, S.12Í. 150 Vgl. Sauerbruch, Bericht eines ehemaligen Generalstabsoffiziers, S.423. 1 5 1 Ihrem organisatorischen Vorläufer, der 4. (und 3.) österreichischen Division, waren schon vor 1938 eine Reihe von Fahnen oder Namen der alten k.u.k.-Armee zugeteilt worden. Diese „altehrwürdigen Fahnen" wurden im November 1938 allerdings eingezogen „und in Museen deponiert". Vgl. Gschöpf, Weg, S. 17; Rödhammer, Oberösterreichiscne Wehrgeschichte, S.68; Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S.286; Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 15, S. 337 und 344. Zur Vorgeschichte vgl. auch Slapnicka, Oberösterreich (1983), insbes. S.897ff. 1 5 2 Druck von Hitlers Weisung: Helfried Pfeifer (Hrsg.), Die Ostmark: Eingliederung und Neugestaltung. Historisch-systematische Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16. April 1941, Wien 1941, S.327f. 1 5 3 Vgl. Schottelius/Caspar, Organisation des Heeres 1933-1939, S.309; Schmidl, „Anschluß", S.220ff. 1 5 4 Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S.286. In den Memoiren des Generals Glaise von Horstenau wird freilich deutlich, dass sich damit die österreichische Militärtradition nicht einfach auslöschen ließ. Glaise von Horstenau hat jedenfalls selbst viel - so Broucek - für „die Herausstreichung der Werte des Soldatentums aus dem Raum [getan], der nicht mehr Österreich genannt werden durfte". Vgl. Broucek (Hrsg.), Ein General im Zwielicht, Bd. 2, S.43. 1 5 5 So der Titel des Buchs von: John Keegan, Die Kultur des Krieges, Berlin 1995. 156 Yg] Schneider, Das Buch vom Soldaten, S.340. 1 5 7 Vgl. hierzu Heinz Guderian, Die Panzerwaffe, ihre Entwicklung, ihre Kampftaktik und ihre operativen Möglichkeiten bis zum Beginn des Großdeutschen Freiheitskampfes, Stuttgart 2 1943, S. 170: „Die Übertragung der Regierungsgewalt an Adolf Hitler am 30.Januar 1933 führte diesen für unsere Waffe ausschlaggebenden Umschwung mit einem Ruck herbei." Vorsichtig angedeutet sind diese Sympathien auch bei Macksey, Guderian, S.96ff., insbes. S. 101 f. Vgl. ferner Kap. 2.3.

104

2. Soldaten

feld zurechtfinden. Selbst wenn einige ihrer Offiziere und Unteroffiziere auch aus alten Traditionsregimentern kommen mochten, ihre neuen Verbände hatten - wie etwa Ernst Jünger von seiner Einheit im Mai 1940 feststellte - „noch keine Geschichte angesetzt" 158 . Diese begann erst im Krieg. Ihre Angehörigen, „zum großen Teil ältere Mannschaften, etwas schwerfällige, aber biedere, ordentliche Männer" 159 , fühlten sich denn auch zunächst vor allem als Zivilisten. Bei einem Verband wie der 296. ID, die gewissermaßen aus dem Nichts entstehen sollte, wurde dies besonders deutlich. Ihre Führung war anfangs entsetzt über ihren Gesundheitszustand 160 und den ,,z[um] T[eil] geringen Wehrwillen" 161 : „Alle möglichen Ausflüchte kamen schon bei der Verteilung des Ersatzes auf die Kompanien zur Sprache wie häusliche Nöte, angebliche Unabkömmlichkeit beim Arbeitgeber usw. Dazu kommt, daß die Ersatzleute den Dienst beim Bataillon als weitaus schärfer und anstrengender als beim Ersatzbataillon während ihrer Rekrutenzeit bezeichnen. Eine Anzahl von Krankmeldungen zeigt den äußerst mangelhaften körperlichen Zustand eines großen Teils auf der einen Seite, auf der anderen eine große Lustlosigkeit, Willenlosigkeit und Weichheit vieler Leute." Mit ihrer neuen Existenz als Soldat konnten sie sich offenbar nur schwer abfinden: „Das hätten wir alle nicht geglaubt, dass die Sache so lange dauert, und es ist noch keine richtige Aussicht, dass bald Schluss wird" 1 6 2 , schrieb ein Infanterist der 296er im August 1940. Gleichwohl gelang es dieser Division relativ rasch, an das Alters- und Leistungsprofil einer aktiven Infanteriedivision anzuschließen 163 - durch eine entsprechende Personalpolitik, durch ein scharfes und rücksichtsloses Training und schließlich durch die erste Erfahrung des Kriegseinsatzes. Verglichen damit blieben Besatzungsverbände wie die Sicherungsdivisionen oder die Korücks bunte Haufen. Ihre Angehörigen, meist gestandene, lebenserfahrene Männer, waren zwar „nicht ganz so zackig" wie ihre jüngeren Kameraden 164 , hatten aber bereits im Zivilleben Kompetenz und auch Selbstbewusstsein erworben, so dass sie dem Kommis in der Regel distanzierter begegneten. Auch waren sie im Gegensatz zu ihren jüngeren Kameraden in den aktiven Verbänden viel seltener Mitglied einer NS-Organisation 165 . Was für diesen Sozialtypus zählte, war weniger „die Partei" als die Familie - die zivile, nicht die militärische 166 ! Die VerSo Ernst Jünger im Mai 1940 über seine Reservisten-Einheit, die freilich nicht zu unserem Sample gehörte. Ders., Strahlungen I/Gärten und Straßen, S. 132 (Tagebucheintrag vom 14.5.1940). 1 5 9 B A - M A , MSg 2/5323: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, undatierter Eintrag v o m Frühjahr 1940. 1 6 0 IfZ-Archiv, M A 1631: I./Inf.-Rgt. 520, Truppenarzt, Bericht an das I./Inf. Rgt. 520 v o m 23.2.1940. 1 6 1 IfZ-Archiv, M A 1631: Inf.-Rgt. 5 2 0 , 1 a vom 2 . 3 . 1 9 4 0 : Zustand des Ersatzes der 296. Inf. Div. 1 6 2 BfZ, Slg. Sterz, 04650: Brief L. B. vom 1 5 . 8 . 1 9 4 0 . 1 6 3 Vgl. Kap. 2.4. 1 6 4 Jarausch/Arnold, Sterben, S . 1 7 3 (Brief v o m 6 . 2 . 1 9 4 0 ) . 1 6 5 Vgl. Rass, Sozialprofil, S.687. 166 1942 schrieb ein Artillerie-Unteroffizier der 221. Sicherungsdivision aus Russland, man versuche „den Abend etwas lustiger zu gestalten, denn sonst denkt man dauernd [an] zu Hause". Zweifellos handelt es sich beim Heimweh um ein Phänomen, das fast alle Soldaten quält, doch dürfte dies die Angehörigen der 221. mit ihrem ungewöhnlich hohen Altersschnitt und ihrer bereits stark entwickelten Bindung an „zu Hause" besonders betroffen haben. Hermann B. (Art. Rgt. 221), Schreiben v o m 4 . 5 . 1 9 4 2 . Kopie im Besitz d. Verf. Für die Überlassung dieses Nachlasses bin ich Matthias B. zu großem Dank verpflichtet. 158

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r

105

heiratetenquote war bei den Reservisten fast dreimal so hoch wie bei den Wehrpflichtigen 1 6 7 , so dass bei den älteren Jahrgängen „die Sehnsucht nach Heimat und Beruf im Gefühl der militärischen Unzulänglichkeit und Uberflüssigkeit" überwog 1 6 8 . Wie weit das auch ihr Handeln beeinflusste, ist eine interessante Frage 1 6 9 . Dass bei den Sicherungsdivisionen „in jugendlichem Übereifer unüberlegt und zu scharf gehandelt" worden sei 170 , so der General Karl von Roques später, war jedenfalls kaum in ihrer Altersstruktur begründet, sondern primär in den Befehlen, die Generäle wie Roques - er war von Juni 1941 bis Dezember 1942 Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Süd - erteilt hatten. An diesem Alters- und Sozialprofil der Besatzungsverbände konnte und wollte deren Führung nichts ändern. Charakteristisch für Verbände dieser Art wurde die Mentalität der Etappe, nicht aber die der Front, schon weil die älteren Reservisten - 1939 waren dies allein bei den Mannschaftssoldaten die Jahrgänge 1893 bis 1900/01 - diese bereits gut kannten. Für sie war das Kaiserreich, vor allem aber der „Große Krieg", zum zentralen Bildungserlebnis geworden. Natürlich galt dies auch für die älteren Professionals der aktiven Verbände, freilich mit einem entscheidenden Unterschied: Hatten sich diese bewusst für eine Fortsetzung ihrer militärischen Laufbahn entschieden, so konnte man das von jenen, die 1918/19 ins Zivilleben zurückgekehrt waren, nicht behaupten - aller nationalistischen oder martialischen Beteuerungen zum Trotz. Die Erfahrungen und auch die Leiden der Jahre 1914 bis 1918 hatten sie nicht vergessen, schon im Herbst 1939 war unübersehbar, dass ihrer Begeisterungsfähigkeit „erkennbare Grenzen gesetzt waren" 1 7 1 . A m stärksten galt das wohl für die reaktivierten Mannschaften. Sie hatte man auf einer Postkarte zu einer mehrwöchigen Übung einberufen, ohne Rücksicht auf ihre familiären, sozialen und beruflichen Verpflichtungen, und nun fanden sie sich entsetzt in einem neuen Weltkrieg wieder. Der Schock über den zweiten Kriegseinsatz saß tief, die Akten berichten von Befehlsverweigerungen, Krankmeldungen oder Alkoholexzessen 1 7 2 . Auffällig war auch, dass die Divisionsgeistlichen der 167

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170 171 172

Für die 253. ID hat Rass ermittelt, dass die Quote der ledigen Soldaten der Jahrgänge 1 9 1 0 bis 1 9 1 9 bei 6 9 % lag, die der Verheirateten dagegen bei nur 2 7 % . Bei den Jahrgängen, die vor dem Jahr 1909 geboren worden waren, war das Verhältnis etwa umgekehrt: nur noch 20 % der Soldaten waren unverheiratet, 7 7 % jedoch verheiratet. Angaben nach: Rass, „Menschenmaterial", S. 1 1 1 . Jarausch/Arnold, Sterben, S. 137 (Brief vom 1 9 . 1 1 . 1 9 3 9 ) . Vgl. auch Schlesische Tageszeitung vom 1 6 . 1 1 . 1 9 4 1 , „Auf der Rollbahn", in der der Divisionspfarrer der 221. Sich. Div. schilderte, wie diese Soldaten ihre Familienbilder wie „kostbare Schätze" herumreichten. Sicher belegt ist dieser Aspekt bei einem so bekannten Fall wie dem Polizei-Bataillon 101. Hier versuchte ein Teil der älteren Polizisten seine verbrecherischen Aufträge an andere zu delegieren. Vgl. Browning, Ganz normale Männer. Ferner Clippers, Wegbereiter der Shoah, S . I l l , w o ein Angehöriger der Waffen-SS-Brigaden wie folgt zitiert wird: „Ich habe jetzt selbst gesehen, daß sich insbesondere die noch jugendlichen Jahrgänge freiwillig zur Exekution meldeten. Innerhalb unserer Kp. gab es nämlich zwei Gruppen. Dies waren die Jahrgänge um 1920 bis 1923 und wir älteren Reservisten, Jahrgänge um 1910." Zit. bei: Friedrich, Gesetz des Krieges, S.745. Kroener, Personelle Ressourcen, S. 824. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, M A 1 6 5 9 : 2 2 1 . Inf. Div., „Verpflegungsstärke f ü r die Zeit vom 2 6 . 8 . 3 9 3 1 . 1 2 . 3 9 " , aus der erkennbar wird, dass der Krankenstand der 221. im Oktober mit 11 % einen Höchststand erreichte. Zum Problem des Alkoholismus in der Wehrmacht vgl. demnächst die Dissertation von Peter Steinkamp, Pervitin und Kalte Ente, Russenschnaps und Morphium. Zur Devianz-Problematik in der Wehrmacht: A l k o h o l - und Drogenmissbrauch bei der Truppe.

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2. Soldaten

221. häufig konsultiert wurden 1 7 3 . Henning von Tresckow, während des Polenfeldzugs ebenfalls Generalstabsoffizier einer Landwehrdivision, meinte bereits im Herbst 1939, es sei „grauenhaft" gewesen, „man habe Mühe gehabt, die Einheiten vorzubringen" 1 7 4 . Diese Grundbefindlichkeit dürfte für die Besatzungsverbände charakteristisch geblieben sein, selbst wenn der Stimmungsumschwung des Sommers 1940 auch an ihnen nicht spurlos vorüberging. Solange sie dem eigentlichen militärischen Geschehen entzogen waren, konnten sie ihren Aufgaben genügen. Wurden sie aber so eingesetzt wie Kampfverbände, dann waren sie bald überfordert. 2.1.4 Blitzkrieg, Ideologie und

Verbrechen

Wie diese Soldaten dachten und handelten, zeigte sich nirgends so deutlich wie im Ernstfall. Schon den Feldzug gegen Polen führte die Wehrmacht nicht allein nach militärischen Prinzipien. Zwar zeigte sich der verhängnisvolle Einfluss der NS-Ideologie noch längst nicht überall, doch gab es schon damals Brennpunkte, Orte, wo der Krieg unter dem Einfluss von Ideologie und den Aufregungen des Kriegsbeginns eskalierte 175 . Ein solcher Ort war etwa Bromberg, den der Korück 580 im Gefolge der 4. deutschen Armee am 5. September 1939 erreichte 176 . Dort sah es wüst aus. Zwei Tage zuvor waren dort vermutlich ca. 350 deutschstämmige Zivilisten - die genaue Zahl ist umstritten - von ihren polnischen Mitbürgern ermordet worden 1 7 7 . Nicht weniger verhängnisvoll war, dass ausgerechnet der Kommandant dieses Rückwärtigen Armeegebiets, Generalmajor Walter Braemer, damit konfrontiert wurde. Denn Braemer, der von August 1939 bis Mai 1941 als Korück 580 wirkte, war ein fanatischer Nationalsozialist 178 , der schon damals „mit unerVgl. die vielen einschlägigen Gerichtsakten, die sich für den Korück 580 erhalten haben. Vgl. BA, ZNS, R H 23-G: Gericht Korück 580, ferner Jarausch/Arnold, Sterben, S.217 (Brief vom 16.6.1940), der schreibt, seine Rekruten seien „sehr überzeugt davon, daß sie viel zu alt seien und viel zu streng herangenommen würden". 1 7 3 Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div., Abt.IV d/kath., „Tätigkeitsbericht über die Zeit des Einsatzes im Westen (4.6.-5.7.1940)" vom 20.10.1940. Dort heißt es, dass die mehrheitlich katholischen Angehörigen der Division von der Möglichkeit der seelsorgerischen Betreuung „sehr viel Gebrauch gemacht" hätten. 1 7 4 Scheurig, Tresckow, S. 72. Tresckow war damals I a der 228. Inf. Div., die zur selben Welle gehörte wie die 221. Inf. Div. 175 Vgl. hierzu Umbreit, Militärverwaltungen; Datner, Crimes committed by the Wehrmacht; Rossino, Eastern Europe; Ders., Hitler strikes Poland; Böhler, Auftakt; Hürter, Heerführer, S. 177ff., 405. 1 7 6 IfZ-Archiv, MA 877: Korück 580, Befehl an die Orts-Kommandantur 586 vom 5.9.1939. Ferner Umbreit, Militärverwaltungen, S. 70, Anm.22. 1 7 7 Der genaue Verlauf der Ereignisse konnte sich bis heute nicht genau klären lassen. Wahrscheinlich ist, dass in Bromberg um die 1000 Volksdeutsche ermordet wurden und dann weitere 100 auf einem Marsch nach Kutno. Vgl. hierzu die teilweise widersprüchlichen Darstellungen von: Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 55ff.; Jaszowski, Verlauf der nationalsozialistischen Diversion am 3. September 1939 in Bydgoszcz; Aurich, Der deutsch-polnische September 1939; Schubert, Das Unternehmen „Bromberger Blutsonntag"; Jastrzçbski, Bromberger Blutsonntag; Jansen/Weckbecker, Der „Volksdeutsche Selbstschutz", insbes. S. 56ff.; Weckbecker, Zwischen Freispruch und Todesstrafe, S.442ff.; Rossino, Hitler strikes Poland, S. 61 ff.; Zayas, Wehrmacht-Untersuchungsstelle, S.36f.; Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg, S. 206 ff. 1 7 8 Braemer, der im November 1932 seinen Abschied aus der Reichswehr erhalten hatte, wurde noch im selben Monat hauptamtlicher SS-Funktionär, seit Juni 1938 im Rang eines SS-Bri-

2.1 F o r m i e r u n g u n d S o z i a l s t r u k t u r

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h ö r t e r B r u t a l i t ä t " 1 7 9 a u f t r a t . A l s sich R o l a n d Freisler, d a m a l s S t a a t s s e k r e t ä r im R e i c h s j u s t i z m i n i s t e r i u m , a m 9. S e p t e m b e r v o r O r t ein B i l d ü b e r die Ereignisse m a c h e n w o l l t e , m e l d e t e B r a e m e r , „dass b i s h e r n u r die T r u p p e selbst g e s p r o c h e n hat und mehrere H u n d e r t e Zivilisten wegen Waffentragens bzw. Widerstand erschossen w u r d e n " 1 8 0 . D i e s s o l l t e n n i c h t die e i n z i g e n p o l n i s c h e n O p f e r in B r o m b e r g bleiben. N a c h d e m in d e r b e s e t z t e n S t a d t i m m e r w i e d e r e i n z e l n e S c h ü s s e gefallen w a r e n 1 8 1 , w u r d e n in d e n f o l g e n d e n Tagen H u n d e r t e w e i t e r e r G e i s e l n i n t e r n i e r t u n d erschossen; T ä t e r w a r e n SS, P o l i z e i , aber auch die F e l d g e n d a r m e n

dieses

K o r ü c k 1 8 2 . D a s s gerade dieser V e r b a n d m i t seinen ä l t e r e n J a h r g ä n g e n , d e r d a m a l s d u r c h a u s a u c h auf R e c h t u n d D i s z i p l i n achten k o n n t e 1 8 3 , s o l c h e x o r b i t a n t e V e r b r e c h e n z u v e r a n t w o r t e n hatte, ist z u n ä c h s t ein ü b e r r a s c h e n d e s E r g e b n i s u n d b e g r ü n d e t e sich w o h l v o r allem in d e r P e r s o n seines K o m m a n d a n t e n . H i e r h a n d e l t e es sich w e n i g e r u m s p o n t a n e G e w a l t e x z e s s e , s o n d e r n g e w i s s e r m a ß e n u m K r i e g s v e r b r e c h e n auf B e f e h l . V o n d e n K a m p f d i v i s i o n e n u n s e r e s S a m p l e s sind G r ä u e l t a t e n dieser G r ö ß e n o r d n u n g nicht bekannt geworden, w o h l aber einzelne Exekutionen. Im Septemb e r 1 9 3 9 ist eine E r s c h i e ß u n g v o n „ u n g e f ä h r 2 5 " G e i s e l n d u r c h A n g e h ö r i g e d e r 4. P a n z e r d i v i s i o n r e l a t i v s i c h e r b e l e g t 1 8 4 , die 2 2 1 . I D m e l d e t e m e h r e r e T o d e s u r t e i l e „ w e g e n v e r b o t e n e n W a f f e n b e s i t z e s " 1 8 5 . S e h r w a h r s c h e i n l i c h w e r d e n dies

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gadeführers, seit April 1944 im Rang eines SS-Gruppenführers. Militärisch reaktiviert wurde Braemer, der zumindest im frühen SS-Führerkorps eine Ausnahme darstellte, im August 1939. Angaben nach: B A - M A , Pers. 6/2102: Personalakte Walter Braemer; BA, A b t . R : Personalakte Walter Braemer. Zur Rolle Braemers, von August 1939 bis Mai 1941 Kommandant des Rückwärtigen Armeegebiets 580, beim Judenmord in der besetzten Sowjetunion vgl. Verbrechen der Wehrmacht, S. 470; Europa unterm Hakenkreuz, Bd. 5, Dok. 58; Lieb, Täter, S. 547. Zu Braemers politischen Vorstellungen vgl. Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 2, S. 357 (Eintrag vom 24.11.1941). Umbreit, Militärverwaltungen, S. 143. IfZ-Archiv, M A 876: Korück 580, Aufzeichnung: „Lage am 9.9.1939, Mittag: Besuch des Staatssekretärs Freisler". So wurde am 9.9.1939 ein deutscher Soldat schwer verwundet. IfZ-Archiv, M A 876: Korück 580, Aufzeichnung: „Lage am 10.9.1939". IfZ-Archiv, M A 876: Korück 580, Aufzeichnung: „Lage am 11.9.1939", in der es u.a. heißt: „Feststellung der seit meiner Anwesenheit in Bromberg Erschossenen ergibt eine Zahl von etwa 370." Einem Befehl des Korück 580 vom 9.9.1939 (ebda.) ist zu entnehmen, dass diese Exekutionen vor allem die „Einsatzgruppe [IV] Beutel", das Polizei-Bataillon 6, mot. sowie die Feldgendarmerie-Abteilung 581 vornahmen. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht BA, ZNS, R H 23-G: Gericht Korück 580, Nr. 212/39: Strafsache gegen den Kanonier R. K., der im Polenfeldzug mit seinem Krad liegen geblieben war und daraufhin begonnen hatte, eine Art „Privatkrieg" zu führen. Zusammen mit dem Volksdeutschen Selbstschutz ermordete und beraubte er 13-15 Polen. Aufgrund Hitlers Amnestie-Erlasses vom 4.10.1939 konnte das Gericht ihn deswegen nicht so verurteilen, wie es das eigentlich wollte; es erkannte aber wegen „Fernbleibens im Feld und wegen Plünderung" immerhin auf acht Jahre Gefängnis. Bemerkenswerterweise hat ein Angehöriger der Division nach 1945 relativ offen über diese Repressal-Maßnahme berichtet. Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr.39 vom Februar/März 1973. Infolge eines Standgerichtsverfahrens, das einzige Todesurteil, das durch die 221. Inf. Div. selbst vollstreckt wurde, und zwar am 11.9.1939. B A - M A , R H 41/408: Art. Rgt. 221, Kriegstagebuch, Eintrag vom 9.11.1939. Vgl. freilich auch den Eintrag vom folgenden Tag: „Das Standgericht verhandelt in gleicher Besetzung gegen einen Russen wegen verbotenen Waffenbesitzes, der freigesprochen wird."

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2. Soldaten

d a m a l s n i c h t die e i n z i g e n R e p r e s s a l i e n u n s e r e r D i v i s i o n e n geblieben sein 1 8 6 . D a s P a n z e r - R e g i m e n t 35 e t w a b e r i c h t e t v o n „ k l e i n e r e n G e h ö f t g e f e c h t e n " gegen „die u n a n g e n e h m e n H e c k e n s c h ü t z e n u n d in Zivil verkleideten S o l d a t e n " 1 8 7 , alle D i v i s i o n e n v o n U b e r f ä l l e n v o n „ F r e i s c h ä r l e r n " 1 8 8 . O b es sich dabei u m P r o d u k t e einer ü b e r b o r d e n d e n Phantasie, v o n N e r v o s i t ä t o d e r a n t i p o l n i s c h e r A f f e k t e 1 8 9 h a n d e l t e o d e r o b sie d o c h e i n e n realen K e r n b e s a ß e n , ist e b e n s o schwierig zu b e a n t w o r t e n w i e die F r a g e n a c h d e n d e u t s c h e n R e a k t i o n e n . D a s s diese w i e d e r u m gewalttätig w a r e n , scheint sehr w a h r s c h e i n l i c h , selbst w e n n es a u c h Beispiele d a f ü r gibt, dass sich dieselben D i v i s i o n e n g e g e n ü b e r d e r Z i v i l b e v ö l k e r u n g o d e r d e n p o l n i s c h e n K r i e g s g e f a n g e n e n 1 9 0 auch d u r c h a u s k o r r e k t v e r h a l t e n k o n n t e n 1 9 1 . D i e g r o ß e A u s n a h m e blieb freilich s c h o n d a m a l s ein B e s a t z u n g s v e r b a n d w i e d e r K o r ü c k .

Vgl. auch IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div., Abt. III, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 26.8.1939-24.6.1940. Dort ist die Rede von insgesamt „29 Strafsachen, die in der Hauptsache verbotenen Waffenbesitz, Raub mit Waffen und ähnl. betrafen". Die Todesurteile seien durch „ein Kommando der Schutzpolizei in Lublin" vollstreckt worden, nur das gegen den o.g. Freischärler durch die Division. Die genaue Zahl der Todesurteile, die durch das Gericht der 221. Inf. Div. ausgesprochen wurden, bleibt offen, offen bleibt auch, ob sich diese nur gegen Polen (erster Strafbestand) oder möglicherweise auch gegen deutsche Soldaten (zweiter Straftatbestand) gerichtet haben. 186 Möglicherweise waren Angehörige der 221. Inf. Div. während des Polenfeldzugs für folgende Verbrechen verantwortlich: Erschießung von zwei polnischen Zivilisten am 7./8.9.1939 in Wichrow, Erschießung von sechs polnischen Zivilisten in Gluchow und von fünf Zivilisten in Leczyca am 9.9.1939, von je einem Zivilisten in Wilczkow, in Orszewice und in Leczyca am 9.9.1939, Erschießung von sechs polnischen Zivilisten am 9.9. oder 13.9.1939 in Budy und von einem polnischen Zivilisten in Zacisze am 12.9.1939. Allerdings beruht dieser Verdacht allein darauf, dass an diesen Tagen das III. deutsche Armeekorps, damals drei Divisionen und eine Kampfgruppe, in diesen Orten im Einsatz war. Unklar bleibt ferner, ob Angehörige der 221. Inf. Div. am 10.9. oder 17.9. in dem Dorf Biala sechs polnische Soldaten erschossen, nachdem diese zusammen mit einem polnischen Zivilisten auf eine Wehrmachtskolonne gefeuert hatten. Ungeklärt blieb in diesem Fall nicht nur das Datum, als in Frage kommende Einheit wurde auch die 17. Inf. Div. genannt. BAL, 203 AR-Z 104/82: Verfahren gegen unbekannt, Einstellungsverfügung vom 17.12.1984; ebda., 203 AR-Z 86/84: Verfahren gegen unbekannt, Einstellungsverfügung vom 17.11.1986. 187 BA-MA, RH 39/512: 2./Pz.-Rgt. 35, „Der polnische Feldzug vom 1.9.-19.9.[1939]". 188 4. Pz. Div.: Ebda., „Der Feind behandelt unsere Leute, auch wenn sie verwundet sind, nicht ritterlich. Wir fanden später viele mit zertrümmertem Schädel und grausamen Verstümmelungen." BA-MA, Ν 245/2: Nachlass Georg-Hans Reinhardt, Brief vom 11.9.1939: „Dort [hinter der Front] ziehen diese Hunde Zivil an, das sie bei sich tragen, markieren harmlose Einwohner, bis sie dann hinter uns, wenn nur noch Kolonnen mit Benzin, Munition usw. nach uns kommen, auf diese wieder zu schießen anfangen." 4}. Inf. Div.: Ludwig Hauswedell, Einsatztagebuch 1938/39, Kopie im Besitz d. Verf., Eintrag vom 26.8.1939ff.; BA-MA, Ν 532/25: Nachlass Wilhelm Mittermaier, Gefechtsberichte über den Feldzug in Polen. 221. Inf. Div.: BA-MA, RH 41/408: Art. Rgt. 221, Kriegstagebuch, Eintrag vom 8.9.1939: „In Tokary wurde kurz vor der Spitze des Rgt. Stabes ein Meldefahrer des IR 350 von Freischärlern aus dem Straßengraben angeschossen, die durch MG-Feuer vertrieben wurden." 189 4. Pz. Div.: BA-MA, RH 39/373: Kriegstagebuch des Panzer-Regiments 35 im Feldzug in Polen; BA-MA, RH 39/512: 2./Pz.-Rgt. 35, „Der polnische Feldzug vom 1.9.-19.9.[1939]". 45. Inf. Div.: „Dreckig und verwahrlost die Straßen, dreckig und verkommen das Volk, [...]." BA-MA, Ν 532/25: Nachlass Wilhelm Mittermaier, Manuskript Stabsveterinär Dr. Hallwachs, „Vom Krieg in Polen". In diesem Sinne auch BfZ, Slg. Sterz, 27523, Brief J. S. vom 3.11.1939. 190 Allein die 4. Pz. Div. machte 1939 über 20000 Kriegsgefangene, die - folgt man ihrer Selbstdarstellung - korrekt behandelt wurden. Außerdem berichtet sie von Hilfsmaßnahmen gegenüber einzelnen polnischen Zivilisten. BA-MA, RH 39/374: Kriegstagebuch des Pz. Rgt. 35 im Feldzug in Polen 191 Die Tatsache, dass Angehörige der 4. Pz. Div. den militärisch sinnlosen Widerstand ihres polnischen Gegners rügten, ist sicherlich kein Beweis für einen entsprechenden Vernichtungs-

2.1 Formierung und Sozialstruktur

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Solch eine e x t r e m e Polarisierung ist im Westfeldzug nicht z u erkennen; auf diesem Schauplatz führte die W e h r m a c h t insgesamt

den Beweis, dass sie die G e s e t z e

und G e b r ä u c h e des Krieges auch im E i n s a t z sehr ernst n e h m e n k o n n t e . Z w a r k a m es a u c h 1 9 4 0 zu d e u t s c h e n K r i e g s v e r b r e c h e n : B e k a n n t g e w o r d e n sind insgesamt fünf g r o ß e Massaker, v o n denen zwei auf das K o n t o der W e h r m a c h t 1 9 2 u n d drei auf das der W a f f e n - S S 1 9 3 gingen, ferner M o r d e an farbigen K o l o n i a l s o l d a t e n 1 9 4 , P l ü n d e r u n g e n und a u c h O p f e r u n t e r den französischen Flüchtlingen, d o c h blieben das A u s n a h m e n . A u c h u n s e r Sample ist ein gutes Beispiel dafür, dass auf diesem K r i e g s s c h a u p l a t z andere M a ß s t ä b e galten als in P o l e n : B e r i c h t e t wird, wie f r a n z ö sische V e r w u n d e t e d u r c h d e u t s c h e Sanitäter v e r s o r g t 1 9 5 o d e r französische Gefallene „in derselben W ü r d i g k e i t b e s t a t t e t " w u r d e n wie die eigenen K a m e r a d e n 1 9 6 . A u c h die Kriegsgefangenen scheinen in u n s e r e m Fall gut behandelt w o r d e n z u s e i n 1 9 7 . D i e F ü h r u n g der 2 2 1 . I D beobachtete, „daß d e u t s c h e Soldaten aus N e u gierde sich an Kriegsgefangene h e r a n d r ä n g e n u n d in freundschaftlicher Weise G e spräche mit ihnen f ü h r e n " , was m a n d o r t nicht billigte 1 9 8 . E i n e A u s n a h m e bildeten allerdings die f r a n z ö s i s c h e n Kolonialsoldaten, die m a n bei der 4 5 . I D als „ A f f e n " b e z e i c h n e t e 1 9 9 . Bei der 2 9 6 . I D w a r m a n i m m e r h i n der A n s i c h t , dass „die Inder, I n d o c h i n e s e n usw. [ . . . ] n o c h einen verhältnismäßig ordentlichen E i n d r u c k " m a -

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willen: „Wie oft müssen so polnische Soldaten ihr Leben enden, das ihnen gerne geschenkt worden wäre." BA-MA, R H 39/374: Kriegstagebuch des Pz. Rgt. 35 im Feldzug in Polen. Am 27.5.1940 erschossen Angehörige der 225. ID 86 Einwohner von Vinkt (Belgien), am 28.5.1940 töteten Angehörige der 267. ID insgesamt 114 Einwohner der O n e Oignies und Courrières (Dép. Pas-de-Calais). Offenbar hatten diese beiden Massaker ähnliche Gründe wie zuvor in Polen, da für beide Divisionen dies der erste Einsatz war. Angaben nach: Lieb, Konventioneller Krieg, S. 15 f. Zwischen dem 21. und 24.5.1940 erschoss die SS-Division „Totenkopf" in Aubigny (Dép. Pas-de-Calais) 92 Zivilisten, in Vandelicourt/Berles-Monchel (Dép. Pas-de-Calais) 45 Zivilisten und in Béthune (Dép. Pas-de-Calais) 48 Zivilisten. Am 27.5.1940 erschoss die SS-Division „Totenkopf" in Le Paradis (Dép. Pas-de-Calais) 121 britische Kriegsgefangene. Am 28.5.1940 erschoss die SS-Division „Leibstandarte Adolf Hitler" in Wormhout (Belgien) ca. 80-90 alliierte Kriegsgefangene. Angaben nach: Lieb, Konventioneller Krieg, S. 16ff. mit Anm.3, S.518; Sydnor, Soldaten des Todes, S. 80, 89ff.; Leleu, La division SS-Totenkopf. Die Zahl dieser Opfer ist umstritten. Lieb (Konventioneller Krieg, S. 18f.) spricht von mehreren Hundert Opfern unter den französischen Kolonialsoldaten, Raffael Scheck von etwa 3 000. Vgl. ders., „They are just Savages"; ders., Killing of Black Soldiers; ders., Hitler's African Victims, S.28ff., 165. IfZ-Archiv, MA 1575: 4. Pz. Div., Abt. IV b, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10.5.-25.6.1940 „Einsatz Westen". BA-MA, MSg 2/5314: Tagebuch Hans Paul Reinert, Eintrag vom 18.6.1940. Ferner ebda., vom 14.6.1940. IfZ-Archiv, MA 1615:45. Inf. Div., Abt. I ^Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 21.7.-20.9.1940; IfZ-Archiv, MA 877: Korück 580, Kriegstagebuch, Einträge vom 10.5.1940ff. Dort auch die entsprechenden Anlagen. IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div., A b t . I b , „Besondere Anordnungen Nr. 134/40" vom 2.7.1940. Dort heißt es weiter: „Abgesehen davon, daß dadurch den deutschen Wachmannschaften der Uberblick erschwert und z.T. ihre Autorität durch übergroße Freundlichkeit der nicht im Wachdienst befindlichen deutschen Soldaten beeinträchtigt wird, darf nicht vergessen werden, daß der gefangene Franzose der Gegner ist und daß Frankreich nach Beendigung des Weltkrieges die deutschen Kriegsgefangenen unter z.T. unwürdigen Bedingungen über ein Jahr festgehalten hat." So der Stabsveterinär Dr. Hallwachs in seinem Gedicht: „Krieg in Frankreich", in: BA-MA, Ν 532/45: Nachlass Wilhelm Mittermaier. „Und er [Weygand] gab an seine Affen/ Den Befehl, sich aufzuraffen/ Und sich hier fest einzukrallen/ Auch, wenn nötig, hier zu fallen/ Für .Patrie' und für .Gloire'/ Wie's für Neger üblich war."

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2. Soldaten

chen. Die „Schwarzen" aber „ekeln uns an" 200 . Doch gibt es aus unserem Ausschnitt keine Indizien dafür, dass dies Gewalttaten zur Folge gehabt hätte - im Gegenteil: Bei der 4. Panzerdivision registrierte man, „daß im Kampfe gegen gemischte, farbige und weiße französische Truppen festgestellt wurde, daß der Gegner beim Rückzug nur seine weißen Gefallenen und Verwundeten mit zurücknimmt, in sehr vielen Fällen die schwarzen Toten und Verletzten dagegen zurücklässt. Die Truppe hält das Verfahren des Gegners für unwürdig." 2 0 1 Auch das Verhältnis zur französischen Zivilbevölkerung galt - aus deutscher Sicht! - als „freundlich, und als die Waffenruhe da war, herzlich" 202 . Die Angehörigen der 296. und auch der 45. ID empfanden die französische Bevölkerung als „sehr zuvorkommend" 2 0 3 . Hier manifestierte sich wohl nicht nur eine spezifisch deutsche Perzeption. Exzesse wie 19 1 4 204 hatten sich diesmal kaum wiederholt, auch zeigten sich „deutsche Soldaten aller Dienstgrade beeindruckt" über das „Schicksal dieser Flüchtlinge und versuchen, diesen jede Unterstützung zuteil werden zu lassen, in dem sie dabei auch mit ihrer letzten Tafel Schokolade nicht geizen" 205 . Hinter solchen Reaktionen standen nicht nur persönliche Motive. Die militärische Führung, vor allem aber der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht achteten damals auf eine Kriegführung im traditionellen Sinne 206 , selbst wenn sie 200

BA-MA, MSg 2/5314: Tagebuch Hans Paul Reinert, Eintrag vom 17.6.1940. Ferner ebda., Eintrag vom 4.6.1940. Es existieren ferner Berichte über Ausschreitungen marokkanischer Truppen, bei denen schwer zu entscheiden ist, ob es sich hier um rassistische Phantasien oder um wahre Nachrichten handelt. IfZ-Archiv, MA 1575: Art. Rgt. 103, Meldung an 4. Pz. Div. betr. „Verwüstung der Kirche Locquignol" vom 21.5.1940. Dort berichtete das Rgt., „daß die in der Umgebung und im O r t in großer Anzahl sich aufhaltenden Marokkaner die Schändung der Kirche vorgenommen und den Pfarrer erschlagen haben". IfZ-Archiv, MA 1575: 4. Pz. Div., Abt. I c, Meldung an das XVI. Α. K. vom 19.5.1940: „Nach Meldung der 4. Schützen-Brigade vom 18.5.1940 nachm. ist die Ortschaft Marbais und Umgebung von den Marokkanern derartig geplündert worden, daß selbst die Belgier ihrer Empörung den deutschen Soldaten gegenüber Ausdruck gegeben haben." In diesem Sinne auch BA-MA, MSg 2/5314: Tagebuch Hans Paul Reinert, Eintrag vom 12.6.1940. 201 IfZ-Archiv, MA 1575: Art. Rgt. 103, Meldung an 4. Pz. Div. vom 19.5.1940. 202 BA-MA, R H 39/603: Pz.-Rgt. 35, Bericht vom 23.6.1940. In diesem Sinne auch BA-MA, MSg 2/5314: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 1.6.1940. 203 BfZ, Slg. Sterz, 04650, Brief L. B. vom 11.9.1940. In diesem Sinne auch Kurowski, Fränkische Infanterie, S.305, 317; Interview d. Verf. mit Ludwig Hauswedell am 8.5.2001. Die „Fraternization" ging der 45. ID so weit, dass sie die Weisung ausgab, es sei „eines siegreichen deutschen Soldaten nicht würdig", in den „Beziehungen zur Zivilbevölkerung weiterzugehen, als es das Gebot der Menschlichkeit vorschreibt". IfZ-Archiv, MA 1615: 45. Inf. Div., Abt. I c, Weisung betr. „Abwehr" vom 30.7.1940. 204 Vgl. Horne/Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. 205 IfZ-Archiv, MA 1575: 4. Pz. Div., Abt. IV b, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10.5.-25.6.1940, „Einsatz Westen". Ferner, ebda., 4. Pz. Div., Div. Nachsch. Fhr. 84, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 26.5.1940: „Der Bürgermeister wird veranlaßt, für die Versorgung der vielen Flüchtlinge zu sorgen." Auch Lüttwitz schreibt, dass seine Soldaten „Mitleid" mit den Flüchtlingen hatten. „Anderes kam uns damals noch nicht in den Sinn." BA-MA, Ν 10/9: Lebenserinnerungen Smilo Frhr. von Lüttwitz, S. 103. Dass man sich damals in seiner Division um eine ideologische Sinngebung dieses Kriegs bemühte, belegt das folgende Zitat: „Es ist ein schönes Land, das wir durchfahren. Aber während in Deutschland jedes Stück Erde ausgenützt ist, sind hier große Flächen Brachland und in jedem Dorf zerfallene Häuser. Noch einmal wird die Anmaßung klar, die darin lag, daß dieses sterbende Volk mit seinem Überschuß an Boden dem landhungrigen Deutschland weite Gebiete wegnahm." BA-MA, R H 39/603: Pz.-Rgt. 35, Bericht vom 23.6.1940. 206 IfZ-Archiv, MA 1575: XVI. Α. Κ., Abt. I c , Befehl an die 4. Pz. Div. vom 30.5.1940 unter Bezugnahme auf einen Befehl des O K H : „Mit Rücksicht auf das bisherige Verhalten der

2.1 Formierung und Sozialstruktur

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die „zahllosen Plünderungen durch Soldaten und Zivilisten" nur teilweise verhindern konnten 2 0 7 . D o c h beließ es die deutsche Führung auch in diesem Fall nicht nur bei Ermahnungen 2 0 8 oder „strikten Befehlen" 2 0 9 . Immer wieder wurden wegen „Beutemachens" drakonische Strafen ausgesprochen 2 1 0 , bei der 296. I D wurde ein Sanitäts-Soldat wegen Vergewaltigung „mit acht Jahren Zuchthaus bestraft" 2 1 1 , ein Obersoldat des Korück 580 deswegen zunächst zum Tode verurteilt, dann zu einer „Zuchthausstrafe von sieben J a h r e n " 2 1 2 . Zwei weitere Ereignisse sollten diesen positiven Eindruck der deutschen militärischen Besatzungsmacht fürs Erste verstärken. Zunächst einmal übernahm die Wehrmacht, darunter auch unsere Divisionen, die Betreuung und „Rückführung der Flüchtlinge" 2 1 3 . O b w o h l sich im Juni 1940 von etwa 4 0 Millionen Franzosen zwischen 7 und 8 Millionen auf der Flucht befanden 2 1 4 , gelang es der Wehrmacht relativ schnell, diese Menschen zu versorgen und wieder zurückzuführen 2 1 5 . Eine zweite Herausforderung, die sich ihr damals stellte, war die „restlose Einbringung" der Ernte; sie sei, so das A O K 16, „vordringlich vor jedem D i e n s t " 2 1 6 . „Das Verhalten gegen die Zivilbevölkerung", so fasste die 296. ID im Juli 1940 nochmals

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belgischen Bevölkerung und im Hinblick auf die Waffenstreckung des belgischen Heeres ist ab sofort vor Vollstreckung von Todesurteilen gegen belgische Zivilisten Entscheidung des OKH einzuholen." Bemerkenswert auch der scharfe Befehl Brauchitschs zur „Manneszucht" nach dem Sieg über Frankreich. IfZ-Archiv, MA 1615: ObdH/Gen. Qu. (III)/GenStdH, Nr. 14816/40 vom 19.6.1940. 4. Pz. Div.: IfZ-Archiv, MA 1575: 4. Pz. Div., Abt. III, Tätigkeitsbericht vom 2.12.1940; 221.Inf.Div.: IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Inf. Div., Abt.Ib, „Besondere Anordnungen Nr. 134/40" vom 2.7.1940, Anlage; 296. Inf. Div.: BA-MA, MSg 2/5314: NL Hans Paul Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 3.6.1940. So wollte der Oberstleutnant v. Lüttwitz damals keine Übergriffe dulden, „die die Disziplin und das Ansehen des deutschen Soldaten im besetzten Gebiet gefährdeten". BA-MA, Ν 10/9: Lebenserinnerungen Smilo Frhr. von Lüttwitz, Bl. 105. BA-MA, MSg 2/5314: NL Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 3.6.1940. In diesem Sinne auch Gschöpf, Weg, S. 195 f. IfZ-Archiv, MA 1659: XXVII. Α. Κ., Korpstagesbefehl vom 30.6.1940. Das XXVII. Α. K., zu dem damals die 221. Inf. Div. gehörte, verurteilte einen Unteroffizier wegen geringfügiger Plünderung („Kleider und Wäschestücke") zu 6 Jahren Gefängnis und Rangverlust, einen Obergefreiten zu 5 Jahren und 6 Monaten Gefängnis, einen Gefreiten zu zwei Jahren Gefängnis und einen Soldaten zu sechs Monaten Gefängnis. Vgl. auch BA, ZNS, RH 23-G, Gericht Korück 580, Nr. 372/40: Strafsache gegen den Soldaten Sebastian S., der wegen eines ähnlichen Delikts zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. BA, ZNS, RH 23-G: Gericht 296. Inf. Div., Nr. 111/40: Strafsache gegen den Franz H., Urteil vom 10.7.1940. BA, ZNS, RH 23-G: Gericht Korück 580, Nr. 91/40: Strafsache gegen den Werner M., Urteil vom 19.1.1941. M. wurde nur deshalb begnadigt, weil er 1938 bei einem Autounfall eine schwere Gehirnverletzung erlitten hatte. Zum Problem der sexuellen Moral vgl. Petter, Militärische Massengesellschaft, S. 370 mit Anm.49; Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt. IfZ-Archiv, MA 1615: 45. Inf. Div., Abt.I a, Befehl betr. „Flüchtlingsfürsorge, Ortskommandanturen" vom 1.7.1940. Ebda., 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.7.20.7.1940: „Von den hiernach der Abt.I c zufallenden Aufgaben erscheinen Flüchtlingsorganisation und -betreuung als die vordringlichsten." Siehe hierzu Umbreit, Militärbefehlshaber, S. 175 ff.; Jäckel, Frankreich, S.89f. Reinert, der seinen Ressentiments immer wieder freien Lauf ließ und „die" Franzosen als „faul und frech" charakterisierte, berichtete auch: „Wir geben ihnen Brot und Essen, versorgen ihre Kranken und helfen ihnen, so weit es unsere Mittel überhaupt erlauben." BA-MA, MSg 2/5314: NL Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 22.6. und 8.7.1940. IfZ-Archiv, MA 1615: AOK 16, Abt.O.Qu./Qu.2, „Anordnungen Nr.4 für die Ernte" vom 19.8.1940. Ebda., 45. Inf. Div., Abt.I a, „Divisions-Befehl Nr.43 vom 12.7.1940. Ferner Ani. 2 „Bergung der Ernte im Dép. Aisne" vom 11.7.1940. Generell zur Erntehilfe der Wehrmacht: Umbreit, Militärbefehlshaber, S. 305 ff.

112

2. Soldaten

zusammen, „hat zurückhaltend und höflich zu sein. Immer wieder ist die Truppe darüber zu belehren, daß jeder, der einer weiblichen Person Gewalt antut, die schärfsten Strafen zu erwarten hat. Anzug und Auftreten in der Öffentlichkeit sind der Prüfstein für die innere Disziplin. Einbringung der Ernte ist im Interesse der Volksernährung vordringlich. Wünschen der bodenständigen Mil[itär-]Verwaltung ist daher zu entsprechen. Bei Übungen ist Flurschaden zu vermeiden." 217 Gewiss sollten die Franzosen in den kommenden Jahren noch ganz andere Erfahrungen mit den deutschen Besatzern machen, auch mit der Wehrmacht 218 , doch war das damals noch nicht abzusehen. Ausschlaggebend blieb vielmehr, dass bis zum Sommer 1941 die Wehrmacht einen sehr zwiespältigen Eindruck hinterlassen hatten. Sie hatte bewiesen, dass sie einen Krieg führen konnten, in dem die Signaturen der NS-Ideologie kaum zu erkennen waren 219 , sie hatte aber auch bewiesen, dass sie dazu durchaus in der Lage war.

2.2 Heimat 2.2.1 Region als militärisches

Organisationsprinzip220

Die Identität einer Division erschließt sich nicht nur über ihren Einsatz, sie erschließt sich auch über ihre regionale Herkunft. Das ist eigentlich überraschend, war doch das Deutsche Reich der Jahre 1933 bis 1945 ein durch und durch zentralistisch organisierter „Führerstaat" 221 . Gerade im Militärischen musste sich diese Monopolisierung der Macht besonders stark manifestieren; Aufrüstung, Kriegführung oder Strategie galten ausschließlich als Reichsinteresse 222 . Allerdings hat die Frage, woher ein Soldaten kam, im deutschen Militär stets besondere Bedeutung besessen. Selbst das Wehrgesetz vom 23. März 1921 wollte noch die „landsmannschaftlichen Interessen [...] bei der Ergänzung des Reichsheeres" beachten 223 , obwohl doch wenige Jahre zuvor jede partikularistische IfZ-Archiv, M A 1632: 296. Inf. Div., A b t . I a, „Richtlinien f ü r die Handhabung des Dienstes im besetzten Gebiet" vom 27.7.1940. 2 1 8 Vgl. Jaeckel, Frankreich; Umbreit, Militärbefehlshaber; Lieb, Konventioneller Krieg. 2 1 9 Hürter, Heerführer, S. 192. 2 2 0 Der Begriff „Region" wird hier im Sinne eines Traditionsraums mit sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Identität gebraucht. Dabei orientiert sich dieser interregionale Vergleich nicht nur an der traditionellen politischen Grenzziehung, die im nationalsozialistischen Deutschland ohnehin an Bedeutung verlor, sondern auch an den Grenzen der Wehrkreise und der Wahlkreise, die teilweise diesen Traditionsräumen genauer entsprachen. Vgl. hierzu Pankoke, Polis und Regio; Meier-Dallach, Räumliche Identität; Hard, A u f der Suche nach dem verlorenen Raum; Szejmann, regionalgeschichtliche Forschungen, S.44, mit weiterführender Literatur. 221 Yg] hierzu: Nationalsozialismus in der Region, hier insbesondere die Beiträge von Andreas Wirsching und Michael Ruck. Ferner Schaarschmidt, Regionalität im Nationalsozialismus. Zu den Schnittstellen v o n zeitgeschichtlicher und landesgeschichtlicher Forschung vgl. auch Küppers, Zum Begriff der Landeszeitgeschichte. 2 2 2 Dem wurde auch symbolisch Rechnung getragen: So wurden die Landeskokarden, die das Reichsheer noch auf den Mützen sowie als Wappen am Stahlhelm getragen hatte mit Verfügung vom 1 4 . 3 . 1 9 3 3 durch die neuen schwarz-weiß-roten Reichsfarben ersetzt. Vgl. Schlicht/ Angolia, Wehrmacht, Bd. 1, S. 588. 2 2 3 So § 13 des Wehrgesetzes v o m 2 3 . 3 . 1 9 2 1 (RGBl. 1 9 2 1 , 1 , S.331). 217

2.2

Heimat

113

Autonomie im deutschen Wehrwesen eigentlich zu Ende gegangen war 2 2 4 . Zwar fehlte dieser Passus im Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 - bei der überstürzten Wiederaufrüstung hatte man ganz andere Sorgen - , doch änderte das nichts daran, dass in der Praxis das Prinzip der landsmannschaftlichen Homogenität für die Organisation der Wehrmacht noch immer einen denkbar hohen Stellenwert besaß 2 2 5 . Als Faustregel galt, dass mindestens zwei Drittel des Personalersatzes aus jenem Raum kommen sollten, in der die jeweilige Einheit stationiert war 2 2 6 . Die Rekruten trafen daher in den Kasernen „auf ein soziales Umfeld, das ihnen in regionaler Hinsicht nicht fremd war, sondern in dem sich soziale Bindungen und Beziehungen auf der Grundlage ähnlicher Herkunft entwickeln konnten" 2 2 7 . Dieses Erbe einer föderalistischen Wehrverfassung hat Selbstverständnis und auch Charakter der deutschen Divisionen lange geprägt 228 . Wenn die Wehrmachtsberichte fast schon stereotyp an ihre landsmannschaftliche Herkunft erinnerten 229 , wenn ein einfacher Soldat erleichtert war, „in einer Einheit mit Männern aus seiner Gegend und seinem Dorf zusammen zu sein" 2 3 0 , oder wenn die Angehörigen eines „zusammengeschossenen R[e]g[imen]ts [...] gern bei ihrer alten Div[ision] bleiben" wollten 231 , so illustrieren diese unterschiedlichen Stimmen, welch hohen Stellenwert diese regionale Bindung für das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Kampfkraft wie überhaupt für die Identität dieser Soldaten hatte. Nur ihre Offiziere rekrutierten sich aus dem gesamten Deutschen Reich 2 3 2 . Deren permanente Fluktuation schien nicht nur eine engmaschige und objektive Kontrolle der Mannschaften zu garantieren, sondern auch homogene Standards bei Ausbildung und Führung.

224 Vgl. dazu Matuschka, Organisation des Reichsheeres. 2 2 5 Zwar suchte man auch in der R o t e n Armee diesem Prinzip Rechnung zu tragen, doch wurden gerade in der chaotischen Anfangszeit des Krieges die sowjetischen Einheiten oft aus dem Personal rekrutiert, das gerade zur Verfügung stand, wie die deutsche Seite immer wieder mit Erstaunen und Verachtung feststellte: „Das Verblüffendste beim Anblick des russischen Soldaten von heute ist das Bild einer planmäßigen Durchmischung der Verbände, das einem die Menagerie [sie] des r u s s i s c h e n ] Riesenreiches im Verbände eines einzigen Regimentes vor A u gen führt." P A - A A , R 60704: A O K 2, A b t . I c / A . O . ( V A A ) , „Bericht N r . 2 " vom 5 . 7 . 1 9 4 1 ; Glantz, Colossus R e b o r n , S . 5 9 I f f . 226 Vgl. hierzu Walter Hedler, Aufbau des Ersatzwesens der Deutschen Wehrmacht, Berlin 1938, S. 136f. 2 2 7 Rass, „Menschenmaterial", S. 107. Ferner ders., Sozialprofil, S . 6 8 0 f f . ; Creveld, Kampfkraft, S. 93 f. 228 intensiv die Verbindung zwischen einer Formation und einer Region war, zeigt eine Publikation wie die folgende: Baden-Württembergische Divisionen im 2. Weltkrieg. Zusammengestellt von Rudolf Wich, Karlsruhe 1957. Hier wurden deutsche Divisionen des Zweiten Weltkriegs zu einer regionalen Gruppe zusammengefasst, die es zum Zeitpunkt ihrer Existenz noch gar nicht gab. 2 2 9 Vgl. etwa den Wehrmachtsbericht vom 3 . 9 . 1 9 4 3 : „In dieser großen Abwehrschlacht haben sich die rheinisch-westfälische 6., die niedersächsische 31., die rheinisch-pfälzische 36. Infanteriedivision, die niederbayerisch-oberpfälzische 10. Panzergrenadierdivision, die mainfränkische 4. Panzerdivision und die württembergisch-badische 78. Sturmdivision besonders ausgezeichnet." D r u c k : D i e Wehrmachtberichte 1 9 3 9 - 1 9 4 5 , Bd. 2, S . 5 5 4 . Die regionale Bindung einer Division konnte sich auch in den Verbandswappen widerspiegeln, etwa im „Linzer T u r m " der 45. Infanteriedivision. Vgl. hierzu Schmitz/Thies, Truppenkennzeichen, Bd. 1. 2 3 0 Vgl. Fritz, Hitlers Frontsoldaten, S. 194. 2 3 1 B A - M A , R H 2 1 - 2 / 3 3 7 a: Pz. A O K 2, Abt. I a, Fernsprechbuch, Eintrag vom 5 . 6 . 1 9 4 2 . 2 3 2 Vgl. Kap. 2.3.

114

2. Soldaten

D i e M a n n s c h a f t s s o l d a t e n u n d auch die meisten U n t e r o f f i z i e r e k a m e n dagegen meist aus j e n e r R e g i o n , die „in d e r N ä h e des S t a n d o r t s " ihres Truppenteils lag 2 3 3 . V o n einer D i v i s i o n w i e der 2 5 3 . w i s s e n wir, dass ü b e r 8 8 P r o z e n t i h r e r S o l d a t e n aus „ i h r e m " W e h r k r e i s s t a m m t e n 2 3 4 . M a n ging sogar so w e i t , das P r i n z i p d e r landsm a n n s c h a f t l i c h e n H o m o g e n i t ä t auf die Regimenter, ja bis auf die K o m p a n i e n z u ü b e r t r a g e n 2 3 5 . D a s Milieu, das so aus einer zivilen in eine militärische U m w e l t transp o r t i e r t w u r d e , u n d das m a n s c h o n am „richtigen" D i a l e k t erkannte, blieb auf diese W e i s e ü b e r s c h a u b a r u n d v e r t r a u t . A n diesem p s y c h o l o g i s c h e n K u n s t g r i f f suchte die W e h r m a c h t auch im K r i e g f e s t z u h a l t e n . Selbst bei k u r z f r i s t i g e n F o r m i e r u n g e n im f r e m d e n Besatzungsgebiet e m p f a h l sie „ l a n d s m a n n s c h a f t l i c h geschlossene" Bataill o n e aufzustellen, „ z . B . : süddeutsch, mitteldeutsch, w e s t d e u t s c h , n o r d d e u t s c h " 2 3 6 . Erst seit 1 9 4 3 w u r d e n die Belastungen i n f o l g e d e r ständigen Verlegungen, V e r s e t z u n g e n , v o r allem aber i n f o l g e der nicht a b r e i ß e n d e n V e r l u s t e so g r o ß 2 3 7 , dass es i m m e r s c h w i e r i g e r w u r d e , dieses P r i n z i p , „das bis d a h i n als eine w i c h t i g e K l a m m e r des i n n e r e n Z u s a m m e n h a l t s angesehen w u r d e " , d u r c h z u h a l t e n 2 3 8 . T r o t z d e m gab es bis K r i e g s e n d e F o r m a t i o n e n , bei d e n e n i h r e H e r k u n f t k l a r z u e r k e n n e n w a r . G e r a d e bei „älteren" D i v i s i o n e n w a r dies d e r Fall. Eine d e r w e n i g e n Q u e l l e n , die das detailliert belegen k ö n n e n , hat sich v o n d e r 2 9 6 . I n f a n t e r i e d i v i s i o n e r h a l t e n 2 3 9 . N a c h v i e r K r i e g s j a h r e n w a r i h r P e r s o n a l auf 9 3 3 5 S o l d a t e n

ge-

s c h r u m p f t . D i e s e k a m e n aus d e n f o l g e n d e n R e g i o n e n :

233

234 235

236

237

238

239

Vgl. hierzu Hedler, Aufbau des Ersatzwesens, S.136: „Dabei sind die Rekrutierungsbezirke für den Bedarf des Eigenbereichs möglichst so zu wählen, daß die Rekruten und demzufolge auch die Wehrpflichtigen d. B. aus einem verhältnismäßig engbegrenzten R a u m in der Nähe des Standorts des Truppenteils genommen werden." 8 8,61 % entstammten dem Wehrkreis VI, der Anteil der übrigen Wehrkreise betrug meist je unter einem Prozent. Vgl. Rass, „Menschenmaterial", S. 101. So wurde etwa im Art. Rgt. 296 darauf geachtet, dass jede Batterie ihre spezielle „landsmannschaftliche Zusammensetzung" hatte. Vgl. B A - M A , MSg 2/5321: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Anlage: Art. Rgt. 296 „Aufbau und Zusammensetzung bei Aufstellung" vom 30.4.1942. IfZ-Archiv, M A 263: A O K 7, Abt.I a, Befehl an das XXV. A.K. vom 12.1.1942. Dieses Prinzip besaß in der deutschen Armee große Bedeutung. A m 8.12.1941 forderte das O K H in seiner „Weisung für die Aufgaben des Ostheeres im Winter 1941/42" u.a.: „Soweit möglich sind die Wiedergenesenen ihren alten Truppenteilen, der übrige Ersatz den aus dem betreffenden Wehrkreis stammenden Einheiten zuzuführen." A m 8.9.1942 bezeichnete Hitler in einem „Führerbefehl" Regiment bzw. Division als „Heimat" jedes Soldaten, aus der man ihn nicht herausreißen könne. Druck: KTB OKW, Bd.I, Dok. 108; Bd.II/4, Dok.21. Zuweilen konnte dies schon früher einsetzen. Vgl. B a y H S t A , Abt. IV, N L Thoma 3, Brief des Oberstleutnants Schenks (296. ID) vom November 1941: „Ich führe zum Erstaunen der Welt immer noch mein altes Deggendorfer Bataillon. Aus 100% Bayern sind durch Tote, Verwundete und Abgaben deren 20-25 % geworden. Es ist ein Jammer, man kennt das Bataillon nicht wieder..." Kroener („Menschenbewirtschaftung", S.962) meinte, dass es seit Ende 1943 bei der Neuformierung von Divisionen kaum noch eine Rolle gespielt habe. Vgl. hierzu auch Rass, „Menschenmaterial", S. 106; ders., Sozialprofil, S.656; Tuider, Wehrkreise XVII und XVIII, S.31. Die älteren Divisionen, wie die unseres Samples, waren von diesem Prozess nur schleichend betroffen. Als Beispiel sei hier auf die „Auffrischung" der 45. ID im Frühjahr 1942 verwiesen: A m 23.5.1942 erreichte das Marsch-Bataillon 45/5 die Division, vier Tage später das MarschBataillon 45/4. War das erste Bataillon noch auf dem „heimischen" Truppenübungsplatz Döllersheim formiert worden, so das zweite „in der Kölner Gegend". IfZ-Archiv, M A 1623: 45. Inf. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 23. und 27.5.1942. B A - M A MSg 2/5326: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Anlage. Die Reihenfolge entspricht der Vorlage. Bekannt ist eine entsprechende Liste von der 1. Geb. Div., zu der am 11.11.1943 insgesamt 12657 Schwaben und Bayern, 3401 Österreicher, 1551 Rheinländer, Westfalen und Hessen,

2.2 Heimat „ Landsmannschaftliche

Zusammensetzung

der [296. Infanterie-JDivision.

Altbayern (Ober-, Niederbayern, Oberpfälzer) und Schwaben: Mittel- u. Oberfranken Sudetendeutsche Mainfranken Rheinländer Sachsen Ostmärker Württemberger Badener Westfalen Ostpreußen Thüringer Warthegau Schlesier Hessen Brandenburger Pommern übriges Preußen Rheinpfälzer Mecklenburger Hannoveraner Schlesw[ig]-Holsteiner Elsässer Saarländer Anhalt[in]er Westpreußen Berliner Oldenburger- und Niedersachsen Braunschweiger Hamburger Danziger Kärntner 2 4 0 u. Krainer Lothringer Steiermärker [sie] [Süd?]Tiroler Memelländer Bessarabier Wolgadeutsche Slovenier [sie] Kroatier [sic] Lettländer [sie], Italiener, Engländer, Schweizer

115 Stand: 25.4.

[19]44 2421 1185 908 521 500 492 408 359 332 285 246 199 194 187 167 149 123 90 100 74 77 61 52 49 22 21 21 18 16 10 7 6 4 2 2 2 6 1 3 1 4 9335"

M a n n für M a n n belegt diese Ü b e r s i c h t , dass die 2 9 6 . I D n o c h i m v i e n e n Kriegsjahr v o n ihrer p e r s o n e l l e n Z u s a m m e n s e t z u n g als „ b a y e r i s c h e r " ( 4 4 P r o z e n t ihrer A n g e h ö r i g e n ) , z u m i n d e s t aber als „ s ü d d e u t s c h e r " V e r b a n d (61 P r o z e n t ) gelten k o n n t e .

240

1463 Schlesier und Sudetendeutsche, 761 Badener, Pfälzer und Elsässer, 701 Sachsen, Thüringer und Anhaltiner, 482 Berliner, Pommern, Hannoveraner und „Hanseaten" sowie 441 Danziger, Ost- und Westpreußen gehörten. Angabe nach: Lanz, 1. Gebirgsdivision, S.318. Dieser vergleichsweise große „Einzugsbereich" dieser Division beruhte auch darauf, dass sie sich nur aus Freiwilligen rekrutierte. Möglicherweise sind hier Einwohner jener Gebiete gemeint, die vor 1938 außerhalb der Grenzen Österreichs lagen.

116

2. Soldaten

Erkennbar aber werden auch die Metamorphosen, die der Krieg erzwang. Vertreten waren hier mittlerweile fast alle Regionen des Großdeutschen Reiches, aber auch Nationen oder Ethnien, die man in einer deutschen Infanteriedivision des Zweiten Weltkriegs kaum vermuten würde 2 4 1 . Angesichts der großen Bedeutung, welche die regionale Herkunft für die Personalpolitik der Wehrmacht hatte, wäre es abwegig, diesen Aspekt zu ignorieren, schon weil sich an der zivilen Herkunft dieser Menschen mitunter mehr ablesen lässt als an ihrem militärischen Status 2 4 2 .

2.2.2 Stationierungs-

und

Rekrutierungsräume

U m welche Regionen handelt es sich in unserem Fall? Die Einteilung des Deutschen Reichs in neunzehn Wehrkreise (so der Stand im Herbst 1939) bietet die Möglichkeit, diese relativ präzise zu bestimmen 2 4 3 : -

Die 4. Panzer-

und die 296. Infanteriedivision

kamen aus dem Wehrkreis X I I I ,

der seinen Schwerpunkt in Franken, Niederbayern und der Oberpfalz, ferner in einigen Teilen des Sudetenlands besaß. Ergänzt wurde er durch einige Land-

Schon im Ersten Weltkrieg, als die regionale Herkunft eine entschieden größere Rolle spielte, war es nicht immer möglich gewesen, das Prinzip einer landschaftlich homogenen Rekrutierung durchzuhalten. Carl Zuckmayer (Als wär's ein Stück von mir, S.270), der eine solche Metamorphose selbst erlebte, hat dies anschaulich beschrieben: „Im Anfang, solange wir noch einem hessischen Regiment und dem 18. Armeekorps angehörten, waren es mehr die Bewohner und Mundarten der engeren und weiteren Heimat, des deutschen Westen und Südwestens, mit denen man es zu tun hatte, von der Eifel und der Porta Westfalica über Hunsrück, Taunus, Rhön, Vogelsberg bis zum Schwarzwald und den Vogesen. Dann, durch den besonderen Charakter unserer Formation, die immer wieder anderen Armeekorps und anderen Divisionen zugeteilt war, kamen die für uns fremdartigsten, entferntesten Provinzstämme dazu, die Männer aus der .kalten Heimat' Ostpreußen, manche mit litauischem Einschlag, aus Lyck und Memel, Westpreußen von der Weichsel, ,Missingsche' von der Waterkant." 2 4 2 Es spricht für sich, wenn die regionale Herkunft der deutschen Verbände sogar der gegnerischen Feindaufklärung auffiel. 1944 heißt es in einem Handbuch der britischen Armee über die Wehrmacht: 4. Pz. Div.: „Personnel largely Bavarian"; 45. Inf. Div.: „Personnel mainly Austrian"; 296. Inf. Div.: „Formed [...] from newly trained men from Northern Bayern and Western Sudetenland"; 221. Sich. Div.: „Formed on mobilisation [...] with Silesian Personnel". Angaben nach: German Order of Battle 1944, S.D 28, 59, 95, 116. 243 1 93 9 w a r ¿¡e Bildung der deutschen Wehrkreise abgeschlossen; es existierten die Wehrkreise I-XIII, XVII und XVIII sowie X X und XXI, ferner zwei Stellvertretende Generalkommandos eines im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren sowie eines im Generalgouvernement. Vgl. hierzu Verordnung über die Wehrbezirkseinteilung für das Deutsche Reich vom 17.7.1941, in: RGBl. 1941,1, S. 391 ff. sowie Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 16: Teil 2, S.50ff., 318ff.; Teil 3, S. 2 ff. Durch das System der Wehrkreise wurden die zivile Gesellschaft sowie das Ersatz- und Feldheer miteinander verzahnt. Die Wehrkreise entsprachen zunächst der Gliederung des Feldheers in Armeekorps; gleichzeitig waren die Wehrkreiskommandos für alle Angelegenheiten der Landesverteidigung und des Wehrersatzes zuständig. Das heißt, sie hatten zwei Funktionen, eine operativ-militärische und eine bei der Mobilisierung und Ausbildung des personellen Ersatzes. Vgl. Dietz, Wehrgesetz, S. 47. Im Gegensatz zur Einteilung der Alten Armee vor 1914, bei der Preußen stark dominierte, war die Struktur der einzelnen Wehrkreise des damaligen deutschen Ersatzheeres so beschaffen, dass sie sich in ihrer Größe und vor allem in ihrer Bevölkerungszahl ungefähr entsprachen. In ihrer Größe sind sie mit den Wahlkreisen der Weimarer Republik vergleichbar. Übersichtlichkeit und Homogenität ermöglichen einen Zugriff, welcher der regionalen Differenzierung einigermaßen gerecht wird. So zerfiel beispielsweise Bayern in einen nördlichen (XIII) und in einen südlichen Wehrkreis (VII), so dass diese beiden Wehrkreise die ganz unterschiedlichen Traditionen, Konfessionen oder Strukturen Nord- und Südbayerns differenzierter abbilden, als es der bayerische Staat tat. 241

2.2

Heimat

117

kreise in Thüringen, Baden, Württemberg und Schwaben. Das Generalkommando lag in Nürnberg. - Die 45. Infanteriedivision war im Wehrkreis X V I I zu Hause, einem der beiden ehemals „österreichischen" Wehrkreise. Der Wehrkreis X V I I umfasste die Bezirke Ober- und Niederösterreich (die man ab 1938 Ober- und Niederdonau nannte) sowie Wien, wo auch sein Generalkommando stationiert war. Auch zu diesem Wehrkreis waren im Herbst 1938 einige sudetendeutsche Landkreise hinzugekommen 2 4 4 . - Die 221. Sicherungsdivision war im schlesischen Wehrkreis V I I I aufgestellt worden, der Standort des Generalkommandos war Breslau. Im Süden war dieser Wehrkreis ebenfalls durch einige sudetendeutsche Landkreise erweitert worden. - Den Korück 580 hatte man im Wehrkreis V I formiert, einem der bevölkerungsreichsten Wehrkreise. Zu ihm gehörten die Rheinprovinz und die Provinz Westfalen, ferner Teile der Provinz Hannover und das Land Lippe. Das Generalkommando dieses Wehrkreises lag in Münster. Das sind vier der insgesamt neunzehn deutschen Wehrkreise. Zwar überwiegt in unserem Fall das süddeutsch-österreichische Element 2 4 5 , doch repräsentieren die Wehrkreise V I und V I I I je ein nord- und ostdeutsches Gebiet. Natürlich verteilten sich die Stationierungs- und Ergänzungsräume einer Division nicht über den gesamten Wehrkreis; meist lassen sie sich nochmals eingrenzen. Dass sie in einem anderen Wehrkreis lagen, war hingegen selten 2 4 6 . Die Standorte der 45. Infanteriedivision mit dem Divisionskommando in Linz, das wie mit einem Kranz von Standorten (Ried, Braunau, Stockerau und Steyr) umgeben war, sind typisch für einen älteren Verband, der Zeit gehabt hatte, in eine Landschaft „hineinzuwachsen" 2 4 7 . Improvisierter wirkt dagegen der Stationierungsraum der 4. Panzerdivision·, die Führung in Würzburg, die übrigen Einheiten hingegen weit verstreut über Bamberg, Schweinfurt, Meiningen, Dessau bis hin nach München. D a motorisierte Truppenteile in der Wehrmacht selten waren, war ihr „Einzugsbereich" entsprechend groß 2 4 8 .

Vgl. Tuider, Wehrkreise X V I I und X V I I I , S. 17ff. Auch die 45. ID hatte sich an der Besetzung des Sudetenlands und der „Rest-Tschechei" beteiligt, danach hatte man einige ihrer Garnisonen ins Sudetenland verlegt. 245 Vgl. mit der Begründung in der Einleitung. 2 4 6 Gerade bei den „alten" Verbänden der Wehrmacht waren Standort und Herkunft ihrer Angehörigen identisch, da die Einheiten „grundsätzlich in dem Lande ihren dauernden Standort" erhalten sollten, zu dessen „Landsmannschaft sie gehören". § 14 des Wehrgesetzes vom 2 3 . 3 . 1 9 2 1 (RGBl. 1 9 2 1 , 1 , S.331f.). 247 Vgl. m ¡ t d e r Karte bei Schmidl, „Anschluß", Vorsatzseite sowie S.297. Auch die Veteranen betonten, dass die Angehörigen der 45. ID „vorwiegend aus Oberösterreich und dem nördlichen Niederösterreich stammten". B A - M A , MSg 3 - 2 1 7 / 1 : Linzer Turm 32 (1989), Nr. 126, „Die Ritterkreuzträger der 45. Infanteriedivision". 248 Vgl. mit den Angaben bei Neumann, 4. Panzerdivision, S.627. Interessanterweise hatte die Wehrmachtsführung vor 1939 in Thüringen mit der 1. Panzerdivision (Standort: Weimar), der 2. leichten Division (Standort: Gera) und der 29. Infanteriedivision mot. (Standort: Erfurt) einen Schwerpunkt in der Dislozierung ihrer motorisierten Truppen gebildet. 244

118

2. Soldaten

4. Panzerdivision

Friedensstandorte ScMz-Rsl '2

103 (ohne 11 )

ri. jo {MNOV 1940) PZ Jg -Abi 49 Div Nachecfiubftihref 84 (mal)

Als ein Sonderfall erweist sich in diesem Fall der Koriick 580: Da die Einheiten dieses Rahmenverbands sehr oft wechselten und aus ganz unterschiedlichen Regionen stammten, ist hier weder eine organisatorische noch eine regionale Identität erkennbar. Der Korück präsentiert sich auch hier als Verband „ohne Eigenschaften", der zumindest bei diesem Vergleich ausscheidet.

119

2.2 H e i m a t

SAUWAKfflELANP isiiU®BierJJB9J

Drvísionsstab Inf.-Rgt. 350 Art.-Rgt. 221 Wach-Btl. 701 Div.Nacíir.-Abt. 824 Div. Nachschubführer 350

Bei den anderen beiden „Kriegskindern" ist eine regionale Zuordnung durchaus möglich: Die 221. Infanteriedivision konnte mit Breslau sogar eine Großstadt als „Geburtsort" angeben 249 , die 296. Infanteriedivision dagegen „nur" einen Truppenübungsplatz wie Grafenwöhr 2 5 0 . Beide Divisionen besaßen jedoch klar umgrenzte Rekrutierungsbasen: bei der 221. ID hauptsächlich Niederschlesien 251 , bei der 296. ID einen Raum, der damals „Bayerische Ostmark" hieß: Niederbayern und die Oberpfalz, erweitert durch einige Teile Oberfrankens und des benachbarten Sudetenlands. Selbst wenn auch in diesen beiden Divisionen Soldaten aus ganz „Großdeutschland [...] versammelt" waren 252 , so existierte doch in beiden eine

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In Breslau lag das Divisionskommando und die Masse ihrer Truppenteile, der Rest war „im Raum westlich und südwestlich von Breslau untergebracht". IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.5.1941; IfZ-Archiv, MA 1659: 221. Sich. Div., „Unterkunftsübersicht Sich. Div. 221, 444, 454, Stand 15.3.41". IfZ-Archiv, MA 1631: 296. Inf. Div., Führungsabteilung, Kriegstagebuch vom 3.2.-28.2.1940. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1673: I./Art. Rgt. 221, Meldung an 221. Sich. Div. vom 11.10.1942; Div. Nachsch. Führer, Meldung an 221. Sich. Div. vom 12.10.1942. Demzufolge waren 6 7 % der Angehörigen des Art. Rgt.s und 91 % ihres Nachschubpersonals Schlesier. Zur Identität dieser Division vgl. auch Schlesische Tageszeitung vom 18.11.1939, „Schlesische Landwehr im Kampf. Ruhmestaten einer Landwenrdivision im Osten". Später wurde aber auch diese Sicherungsdivision immer häufiger durch Bataillone aufgefüllt, die aus allen Teilen des Reichs kamen. Vgl. Arnold, Wehrmacht, S.421 f. mit Anm.56. So der Divisionspfarrer der 221. Sich. Div., Dr. Ody, in: Schlesische Tageszeitung vom 16.11.1941, „Auf der Rollbahn".

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2. Soldaten

klare regionale Akzentsetzung, die dafür sorgte, dass sich die Mehrheit ihrer Angehörigen mit „ihrer" Heimat, die eine zivile und eine militärische war, verbunden fühlte253; im Falle der 45. ID sprach man sogar von den „Söhnen Oberdonaus" 254 , Oberösterreich galt als ihr „Mutterboden" 255 . Das war, so grobschlächtig solche Bilder auch sein mögen, nicht nur Propaganda; auch im militärischen Alltag spielte die Frage nach dem „Woher" eine große Rolle: Im Juni 1941 meinte ein Oberleutnant der 296. ID, ein „Lieblingsthema" ihrer Offiziere sei die regionale Abgrenzung gewesen: „Hie Preußen! Hie Süddeutsche!"256 Wofür aber steht diese regionale Herkunft? Sicher ist, dass sich die gleichsam bunteren Erscheinungsformen des zivilen Lebens oft besser zur Analyse eignen als das feldgraue Einerlei des Militärs. Mit den Rekrutierungsräumen kommen auch Milieus, Strukturen und Ereignisse in den Blick, historische Zäsuren wie die Weltwirtschaftskrise257 oder der Aufstieg der NSDAP 258 , durch die es wiederum möglich ist, dichter an die Sozialstruktur und die Mentalität dieser Soldaten heranzukommen. Gerade für die zentrale Frage: Wie dachten diese eigentlich über die NS-Ideologie, in deren Namen sie doch kämpften? bieten die Wahlergebnisse einen ersten wichtigen Anhaltspunkt. Gewiss lässt sich ein solcher Ansatz kritisieren: Bei den Wahlkreisen handelte es sich um relativ große, amorphe Räume, die sich in ihren Strukturen und erst recht in ihrem Wahlverhalten bei näherem Hinsehen meist als sehr viel heterogener erwiesen; die Wahlergebnisse enden schon 1933; und schließlich: Die meisten deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs haben vor 1933 nicht gewählt259. Solche Bedenken lassen sich aber entkräften. Zunächst einmal: Wahlkreise und Rekrutierungsräume waren relativ identisch, so dass sie sich durchaus in Korrelation setzen lassen. Die Unterschiede, die sich dabei zwischen den einzelnen Rekru253

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4. Pz. Div.: Neumann, 4. Panzerdivision, S. 13; B A - M A , MSg 3-141/2: Broschüre zum Treffen der 4. Panzerdivision, o.D.; B A - M A , R H 27-4/199: Geschichte der 4. Pz. Div., Masch. Manuskript, O.D., S.6. 45. Inf. Div.: Gschöpf, Weg, S.25ff. 296. Inf. Div.: Kurowski, Fränkische Infanterie, S.296. Linzer Tagespost vom März 1942, „Seit Kriegsbeginn ruhmreich bewährt!". So Gschöpf, Weg, S. 15, für die 45. Inf. Div. B A - M A , MSg 2/5314: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 3.6.1941. Alle Angaben zur Arbeitslosigkeit entstammen - soweit nicht extra gekennzeichnet - dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich, dem Statistischen Jahrbuch für den Freistaat Bayern sowie dem Sozialgeschichtlichen Arbeitsbuch, Bd. III. Im Falle der bayerischen Regierungsbezirke musste - da Volkszählungen nur in den Jahren 1925 und 1933 stattfanden, nicht aber in den Jahren der Massenarbeitslosigkeit - ein gleichmäßiges, aber für diese Zeit relativ geringfügiges Bevölkerungswachstum unterstellt werden. Auch für den Anteil der Erwerbsbevölkerung an der Gesamtbevölkerung, der sich 1925 interessanterweise von dem im Jahr 1933 kaum unterschied, wurde ein Mittelwert gebildet; er beträgt 53,3 % . Dieser Anteil wurde dann auf die Bevölkerungszahl der einzelnen Regierungsbezirke übertragen, um so den Prozentsatz der Arbeitslosigkeit, für die nur absolute Zahlen vorliegen, bestimmen zu können. Natürlich sind solche Angaben nur ein Produkt der offiziellen Arbeitslosenstatistik. Da längst nicht alle Arbeitslosen als „Hauptunterstützungsempfänger" registriert wurden, sind die jeweiligen Zahlen stets etwas höher anzusetzen. Vgl. hierzu Winkler, Weg in die Katastrophe, S.23ff. Alle Wahlergebnisse nach Falter/Lindenberger/Schumann, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Soweit nicht extra angegeben, dort alle Angaben zu den Wahlergebnissen und Wahlkreisen. Ferner Falter, Hitlers Wähler. Laut Art. 22 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919 erhielten Männer und Frauen mit 20 Jahren das aktive Wahlrecht. Das heißt, dass von den uns interessierenden Jahrgängen jene von 1911 und 1912 die letzten waren, die sich an freien Wahlen beteiligen konnten. Das betraf freilich nicht die aktiven Soldaten, denen § 36 des Wehrgesetzes vom 23.3.1921 (RGBl. 1921,1, S.336), bzw. § 26 des Wehrgesetzes vom 21.5.1935 (RGBl. 1935, 1, S.609) das Recht zum Wählen verbot.

2.2 Heimat

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tierungsräumen abzeichnen, sind auf alle Fälle so groß, dass d u r c h sie sozial- und auch mentalitätsgeschichtlich auf jeden Fall ein genaueres und differenziertes Bild entsteht. N a c h 1 9 3 3 w a r e n diese regionalen und sozialen Signaturen d u r c h die „egalisierende .Planierraupe' der N S D A P " 2 6 0 nicht einfach ausgelöscht w o r d e n , selbst w e n n sich diese Partei mit gewissen zeitlichen Verschiebungen bis 1 9 3 9 im gesamten G r o ß d e u t s c h e n R e i c h d u r c h s e t z t e 2 6 1 . Damals, 1 9 3 9 , g e h ö r t e n allein zu den Mannschaftssoldaten der W e h r m a c h t 2 7 J a h r g ä n g e - v o m J a h r g a n g 1 8 9 3 bis 1 9 1 9 . F ü r die jüngsten Soldaten w a r e n „ M a c h t e r g r e i f u n g " o d e r gar Weltwirtschaftskrise nur n o c h Kindheitserinnerungen. Ihre älteren K a m e r a d e n aber hatten diese E r e i g nisse hingegen s c h o n sehr bewusst e r l e b t 2 6 2 , sie hatten, w e n n auch meist n u r als Wähler, gewöhnlich a u c h politische V e r a n t w o r t u n g ü b e r n o m m e n und sie bildeten schließlich das familiäre u n d soziale Milieu, in d e m die jüngeren Generationen g r o ß w u r d e n 2 6 3 . S c h o n deshalb scheint der Blick z u r ü c k sinnvoll, mindestens bis in den H e r b s t 1 9 2 9 . D e n n w e n n es richtig ist, dass o h n e die „ S c h o c k w i r k u n g " der damals einsetzenden Weltwirtschaftskrise nichts in „der deutschen G e s c h i c h t e der folgenden zehn J a h r e [ . . . ] verstanden w e r d e n " k a n n 2 6 4 , dann w ä r e es falsch, das damalige Verhalten jener M ä n n e r zu ignorieren, die dann 1 9 3 9 in den Krieg z o g e n . 2.2.2.1 D i e Stationierungs- u n d E r g ä n z u n g s r ä u m e der 4. Panzerdivision D i e H e i m a t dieser Division: die drei fränkischen Thüringen266,

Regierungsbezirke265,

Anhalt

und

lässt sich n u r s c h w e r mit einem einzigen Begriff beschreiben; s c h o n

Mintzel, Regionale politische Traditionen, S. 141. So stimmten bei der Volksabstimmung vom April 1938 in Franken 99,3% mit „Ja", in Niederbayern-Oberpfalz 98,2%. Vgl. Kershaw, Hitler-Mythos, S.117. Dass zu allen vier Divisionen auch sudetendeutsche Rekruten einrückten, also Angehörige einer Volksgruppe, die in einem ganz besonderen Maße der Verführungskraft des Nationalsozialismus erlegen war, dürfte ihre Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus kaum erhöht haben. Die Sudetendeutsche Partei (SdP), die zunehmend in das Fahrwasser der NSDAP geriet, erhielt schon im Mai 1935 6 6 % aller deutschen Stimmen. Vgl. Smelser, Sudetenproblem und das Dritte Reich 1933-1938; Boyer/Kucera, Die Deutschen in Böhmen, Zahl S.276; Gebel, „Heim ins Reich!". 2 6 1 Vgl. hierzu Steinert, Hitlers Krieg, S. 77ff.; Kershaw, Hitler-Mythos, S.46ff., 111 ff.; Boberach (Hrsg.), Meldungen aus dem Reich 1938-1945, Bd. 4. Ferner Wirl, Die Öffentliche Meinung unter dem NS-Regime. 2 6 2 So ließ ein Offizier der 221.: Jahrgang 1886, Hauptmann der Reserve und im Zivilberuf Innenarchitekt, im Dezember 1941 seine Kameraden wissen, er werde nun, „wenn er heimkommt, seine Existenz zum vierten Mal neu aufbauen" müssen. Jarausch/Arnold, Sterben, S. 356 (Brief vom 25.12.1941). 2 6 3 Zusammenfassend zum Milieubegriff vgl. Bosch, Das konservative Milieu, S. 11. 2 6 4 Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S.262. 2 6 5 Zu Franken: Übergreifend'. Hambrecht, Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken; Seiten (Hrsg.), Nationalsozialismus in Franken. Oberfranken: Winkler, Oberfranken; Tapken, Bamberg als Garnisonsstadt; ders./Kestler, „Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezäumt ..."; Bamberg. Eine Stätte deutscher Kultur. Fünf Jahre nationalsozialistischer Aufbau 1933/1937. Hrsg. im Auftrag des Oberbürgermeisters durch das Statistische Amt der Stadt Bamberg, Bd. 1, Bamberg 1938; Hayward/Morris, The First Nazi Town. Mittelfranken: Kittel, Provinz; Unterfranken: Memming, The Bavarian Governmental District Unterfranken; Rockenmaier, Das Dritte Reich und Würzburg; Weidisch, Machtergreifung in Würzburg. Der Regierungsbezirk Unterfranken, der 1938 offiziell die Bezeichnung Mainfranken erhielt, wird hier weiter als Unterfranken bezeichnet. 266 Yg] hierzu Patze/Schlesinger, Geschichte Thüringens, Bd. 5/2; Heiden (Hrsg.), Nationalsozialismus in Thüringen; ders., Thüringen auf dem Weg ins Dritte Reich; Dornheim, Thüringen 1933-1945. 260

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2. Soldaten

geographisch war sie ausgesprochen heterogen. Die Geschichte - erinnert sei an die dort dominierende Kleinstaaterei und das in der Landwirtschaft vorherrschende Prinzip der Erbteilung - hatte das Kleinräumige dieser Regionen noch weiter verstärkt. Bis 1805 waren die fränkischen Teile mit ihrer Einverleibung ins Königreich Bayern in einem modernen Flächenstaat aufgegangen; das Land Thüringen wurde dagegen erst 1920 gegründet. Trotzdem wirkte die partikulare Tradition noch lange nach; mit ihren unzähligen Dörfern und Kleinstädten, ihren unterschiedlichen Konfessionen und Sozialmilieus handelte es sich hier um hochgradig fragmentierte Gebiete, teilweise stark geprägt von konservativen weltanschaulichen und sozialen Normen. Andererseits hatte in diesen, aufs Ganze gesehen noch immer agrarischen Räumen, das 19.Jahrhundert mit seinen großen Tendenzen: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Landflucht deutliche Spuren hinterlassen. Die größte Bedeutung hatte die Landwirtschaft während der Zwischenkriegszeit noch im katholisch geprägten Unterfranken 267 , während im protestantisch geprägten Mittel- und Oberfranken damals bereits über 40 Prozent der Erwerbstätigen von Industrie und Handwerk lebten 268 , in Thüringen sogar 75 Prozent, nicht zuletzt von der Heimarbeit, die für diese Region besonders charakteristisch war. Diese Voraussetzungen dämpften etwas die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit lag in Unterfranken 1932 bei 8,9 Prozent, in Thüringen (1933: 11,5 Prozent) und Oberfranken (1932: 12,4 Prozent) dagegen etwas höher 269 . Dass Mittelfranken und dann auch Thüringen für die Parolen der NSDAP besonders anfällig waren, hatte freilich nicht allein wirtschaftliche Gründe 270 . Bereits im 19.Jahrhundert hatte sich das protestantische Franken zur stärksten Bastion eines politisierten, kämpferischen und nicht zuletzt antisemitischen Protestantismus entwickelt 271 . Vor dem Aufkommen der NSDAP dominierten hier DNVP und Bayerischer Landbund 272 , aber schon bei der Reichstagswahl von 1924 erhielt die Deutsch-Völkische Freiheitspartei im Wahlkreis Franken sensationelle 20,7 Prozent der Stimmen (bei einem reichsweiten Ergebnis von 6,5 Prozent) 273 . Erst ab 1930 begann sich die NSDAP mit ihren reicbsweiten Wahlerfolgen dem hohen fränkischen Niveau anzunähern 274 , wobei sich nun die deutlichen, konfessionell begründeten Unterschiede im Wahlverhalten der drei fränkischen Regierungsbe-

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Fast die Hälfte der Erwerbstätigen ( 4 8 , 7 % ) fand hier ihr Auskommen, ein weiteres Drittel ( 3 8 , 6 % ) wurde in der Kategorie der „mithelfenden Familienangehörigen" geführt. Mittelfranken: 4 2 , 6 % , Oberfranken: 4 1 , 2 % , Unterfranken: 2 6 , 4 % . Zahlen nach: Spitznagel, Wähler und Wahlen in Unterfranken 1 9 1 9 - 1 9 6 9 . Das bedeutete, dass in Unterfranken 3 7 3 4 0 , in Thüringen 2 9 1 0 0 und in Oberfranken 51 562 Arbeitslose registriert waren. Die Zahl für Thüringen bei: Patze/Schlesinger, Geschichte Thüringens, Bd. 5/2, S. 521. Das Stationierungs- und Ergänzungsgebiet der 4. Panzerdivision war auf die Wahlkreise Franken (letzterer umfasste die drei fränkischen Regierungsbezirke) und Thüringen aufgeteilt. Kittel, Provinz zwischen Reich und Republik, S.39. Hambrecht, Der Aufstieg der NSDAP, S.4f. 1 92 8 kam die N S D A P im Wahlkreis Franken bereits auf 8,1 % , im gesamten Reich hingegen nur auf 2,6 % . Vgl. hierzu auch Glaser, Franken und der Nationalsozialismus. Reichstagswahl 1930: Franken 20,5 % , Reich 18,3 % ; Reichstagswahl 1932 (I): Franken 39,9 % , Reich 3 7 , 3 % ; Reichstagswahl 1932 (II): Franken 3 6 , 4 % , Reich 33,1 % ; Reichstagswahl 1933: Franken 45,7 % Reich 43,9 % .

2.2 H e i m a t

123

zirke neutralisierten 275 . In Thüringen war dagegen die Zustimmung zur NSDAP nicht ganz so ausgeprägt. Allerdings konnte sich hier die NSDAP aufgrund der chronischen Instabilität der Thüringer Landesregierungen 276 1 930 erstmals an einer Koalitionsregierung beteiligen 277 , mit der Folge, dass sie hier ihren Stimmenanteil von 11,3 in drei Jahren auf 42,5 Prozent steigerte. 2.2.2.2 Die Stationierungs- und Ergänzungsräume der 296. Infanteriedivision Diese Division stammte aus einem Raum, in dem sich die Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts vergleichsweise wenig bemerkbar gemacht hatten. Äußerlich wirkten Niederbayern und die Oberpfalz27S relativ geschlossen. Diese beiden Regierungsbezirke am östlichen Rand Bayerns wurden sehr stark geprägt von der Landwirtschaft, wobei das Landschaftsbild der Oberpfalz mit ihrer schlechten Bodenqualität stärker von Wäldern bestimmt wird als das Niederbayerns. Landflucht, Nebenerwerbstätigkeit, aber auch eine bescheidene Industrialisierung besaßen daher in der Oberpfalz eine größere Bedeutung als in Niederbayern, wo sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts strukturell nur wenig verändert hatte. Das Leben der Menschen wurde bestimmt vom Rhythmus des bäuerlichen Lebens, von der katholischen Religion (ihr gehörten damals 92,2 Prozent der Oberpfälzer und 98,8 Prozent der Niederbayern an 279 ) und auch von der Dürftigkeit der materiellen Verhältnisse 280 . Noch zu Beginn der 30er Jahre galten Niederbayern und die Oberpfalz als Armenhäuser 281 . Immerhin sorgten diese agrarisch geprägten Erwerbsstrukturen dafür, dass die Arbeitslosigkeit damals in Niederbayern reichsweit am niedrigsten war, hier kam sie nie über 6 Prozent hinaus 282 . Etwas schlechter sah es in der Oberpfalz aus, 1931 wurden hier immerhin 9,3 Prozent der Erwerbstätigen

275

W ä h r e n d die Wahlergebnisse der Nationalsozialisten im evangelisch dominierten Mittel- u n d O b e r f r a n k e n (69 % bzw. 60 % Protestanten) weit über d e m Reichsdurchschnitt lagen, gelang es ihnen im katholisch geprägten U n t e r f r a n k e n (80,6 % Katholiken) - traditionell eine H o c h burg der Β VP - niemals, auf ein solch hohes Niveau zu k o m m e n . Reichstagswahl 1930: O b e r f r a n k e n 2 3 , 9 % , Mittelfranken 2 3 , 8 % , U n t e r f r a n k e n 1 2 , 3 % , Reich 1 8 , 3 % ; Reichstagswahl 1933: O b e r f r a n k e n 4 8 , 7 % , Mittelfranken 5 1 , 6 % , U n t e r f r a n k e n 3 3 , 9 % , Reich 4 3 , 9 % . Angaben nach: Statistisches J a h r b u c h f ü r den Freistaat Bayern 1930, S. 580f.; 1933, S. 524f.; 1934, S. 9. Vgl. ferner mit der Einschätzung bei Spitznagel, Wähler, S.49. 276 Yg] Mai, T h ü r i n g e n in der Weimarer Republik. 277 Neliba, Wilhelm Frick, S. 57ff.; H a n d b u c h zur Geschichte Thüringens, S.506f. 278 Übergreifend: Zittel, Volksstimmung im Dritten Reich. Niederbayern: Becker (Hrsg.), Passau in der Zeit des Nationalsozialismus; Hettinger, Passau als Garnisonsstadt im 19. J a h r h u n d e r t ; Kenkenstein (Hrsg.), C h r o n i k der Garnisonsstadt Passau; Heller, 2000 Jahre Passau. Oberpfalz: Zweck, Die Nationalsozialistische D e u t s c h e Arbeiterpartei in Regensburg; Halter, Stadt u n t e r m H a k e n k r e u z . K o m m u n a l p o l i t i k in Regensburg. 279 Statistisches J a h r b u c h f ü r Bayern 1934, S. 9. 280 p ü r diese A r m u t gibt es viele Belege, etwa die hohe Säuglingssterblichkeit, die doppelt so hoch w a r wie im Ü b r i g e n D e u t s c h e n Reich, oder das auffallend geringe S t e u e r a u f k o m m e n . Säuglingssterblichkeit nach den Statistischen Jahrbüchern: 1919 N i e d e r b a y e r n : 2 5 , 6 % , Reich: 14,5%; 1925 N i e d e r b a y e r n : 2 1 , 2 % , Reich: 10,5%. A n f a n g der 30er Jahre zahlten in Niederbayern n u r 1 4 % der Bevölkerung Einkommenssteuer, im gesamten Bayern hingegen 2 5 % . Angaben nach: Statistisches J a h r b u c h f ü r Bayern 1936, S. 409. 281 Seit 1927 w a r das gesamte oberfränkisch-oberpfälzisch-niederbayerische Grenzland in die finanzielle „Osthilfe" des Reichs einbezogen. Vgl. Z o r n , Bayerns Geschichte im 20. J a h r h u n dert, S.328. Vgl. auch mit d e m eindrucksvollen Bericht von Wimschneider, Herbstmilch. 282 1 932 erreichte sie einen Stand von 5 , 7 % , was 23 178 registrierten Arbeitslosen entsprach.

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2. Soldaten

als arbeitslos registriert, auch das lag freilich noch unter dem Reichsdurchschnitt 2 8 3 . Zweifellos konnten diese Räume die wirtschaftliche Depression besser abfedern als ihre industrialisierten Nachbarn, doch sollte man nicht vergessen, auf welch bescheidenem ökonomischen Niveau dies geschah. Der konservative Charakter Niederbayerns und der Oberpfalz zeigte sich auch bei den Wahlen. Kaum ein Wahlkreis bereitete der N S D A P solche Schwierigkeiten wie Niederbayern und die Oberpfalz 2 8 4 . Uberrepräsentiert war die äußerste Rechte hier nur bei der Reichstagswahl vom Mai 1924 285 . Danach blieb der Wahlkreis Niederbayern-Oberpfalz für die Nationalsozialisten ein Diasporagebiet: 1930 erhielten sie hier 12 Prozent (Reichsdurchschnitt: 18,3 Prozent), 1932 dann 20,4 bzw. 18,5 Prozent (Reichsdurchschnitt: 37,3 bzw. 33,1 Prozent) der Stimmen; erst 1933 waren es schließlich 39,2 Prozent (bei einem Reichsdurchschnitt von 43,9 Prozent), wobei die Nationalsozialisten in der Oberpfalz 2 8 6 noch schlechter abschnitten als in Niederbayern 2 8 7 . Wenn es der NS-Bewegung nur langsam gelang, im östlichen Bayern Fuß zu fassen 288 , dann lag das nicht nur an der vergleichsweise geringen Arbeitslosigkeit. Auch die Dominanz des Katholizismus, das Beharren der Bevölkerung auf dem Althergebrachten und eine auffallend niedrige Wahlbeteiligung sorgten dafür, dass hier die Resistenz gegenüber der N S D A P reichsweit am stärksten blieb 289 . 2.2.2.3 Die Stationierungs- und Ergänzungsräume der 221. Infanterie- bzw. Sicherungsdivision Schlesien erwies sich dagegen als politisch und wirtschaftlich sehr viel anfälliger f ü r die Krisen der Zwischenkriegszeit. Schlesien hatte schon sehr früh zu einer politischen Einheit gefunden 2 9 0 und war dann in einer Großmacht aufgegangen, zu-

283

Einzelne Industriezweige wie die Glas- oder die Porzellanfabrikation litten freilich stark unter der Krise. Die Rekrutierungsbasis der 296. Infanteriedivision konzentrierte sich vor allem auf den Wahlkreis Niederbayern-Oberpfalz (entsprechend den beiden gleichnamigen Regierungsbezirken). 285 Niederbayern-Oberpfalz: 10,2%, Reichsdurchschnitt: 6,5%. Danach aber entsprachen ihre dortigen Wahlergebnisse ziemlich genau dem Reichsdurchschnitt. 286 Zunächst ähnelten sich die Ergebnisse der beiden Regierungsbezirke. Später war die Skepsis gegenüber den Nationalsozialisten in der Oberpfalz deutlich stärker ausgeprägt. Reichstagswahl 1930: Oberpfalz 12,4%; Niederbayern 11,6%; Reich 18,3%. Reichstagswahl 1933: Oberpfalz 34%; Niederbayern 4 4 % . Angaben nach: Statistisches Jahrbuch für den Freistaat Bayern 1930, S. 580f.; 1933, S.524f. Die 296. Infanteriedivision rekrutierte sich aber aus beiden Regierungsbezirken, so dass eine stärkere Differenzierung hier nicht nötig erscheint. 287 Ein Ausnahme bildete hier nur Passau, das aufgrund seiner ungünstigen Randlage von der Arbeitslosigkeit besonders betroffen war. Vgl. hierzu Becker (Hrsg.), Passau in der Zeit des Nationalsozialismus. (Hier besonders Martin Hille, Zur Sozial- und Mitgliederstruktur der Passauer N S D A P in den zwanziger und dreißiger Jahren). 288 Dies war auch nach 1933 zu spüren, selbst wenn die N S D A P in allen Wahlkreisen eine Zustimmung von weit über 90 % erzielte. Allerdings verschlechterten sich deren Ergebnisse in der Zeit von 1936 bis 1938 nirgends so sehr wie in Niederbayern und der Oberpfalz. Vgl. Kershaw, Hitler-Mythos, S. 117 mit Anm.26. 289 Während der Weimarer Republik war die Wahlbeteiligung im Wahlkreis Niederbayern-Oberpfalz am niedrigsten. Schon 1928 lag die Wahlbeteiligung im Regierungsbezirk Niederbayern bei 68,6 %, im Regierungsbezirk Oberpfalz bei immerhin 75,5 % . Bei der Reichstagswahl 1930 sank die Wahlbeteiligung im Regierungsbezirk Niederbayern dann auf 58,1 %. Vgl. Statistisches Jahrbuch für den Freistaat Bayern 1928, S. 591; 1930, S. 564. Ferner Falter/Lindenberger/ Schumann, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik, S.275. 290 Vgl. hierzu Sommer, Landeskunde Schlesien; Bartsch, Die Städte Schlesiens (in den Grenzen des Jahres 1937); Neubach, Parteien und Politiker in Schlesien; Bossle, Nationalsozialismus 284

2.2 Heimat

125

nächst in Österreich, danach in Preußen. Bedingt durch seine Randlage galt das konfessionell geteilte Land - Oberschlesien war mehrheitlich katholisch, Niederschlesien protestantisch 291 - mal als eine Zone friedlicher Begegnung, mal als verteidigende Festung, mal als „Ausfallstor deutscher Kultur nach O s t e n " 2 9 2 . Ein weiteres Charakteristikum Schlesiens war sein immenser Reichtum, bedingt durch seine Rolle als klassisches Durchgangsland, die Fruchtbarkeit seiner Böden und nicht zuletzt seine Bodenschätze. Im 19.Jahrhundert wurde Oberschlesien zum zweitgrößten Industrierevier in Deutschland und Breslau zum „unbestrittenen Verwaltungs-, Wirtschafts- und Kulturzentrum im Osten Deutschlands" 2 9 3 . Allerdings war dieser Wohlstand lange Zeit sehr unterschiedlich verteilt - in der Industrie wie in der Landwirtschaft, wo sich riesige Güter in der Hand weniger Familien befanden. Schon deshalb hatte eine Region wie Schlesien besonders unter den Folgen des Ersten Weltkriegs, erinnert sei nur an den Verlust von Ostoberschlesien, und unter der Weltwirtschaftskrise zu leiden; bereits 1930 stieg hier die Arbeitslosigkeit auf 10,6 Prozent, 1932 sogar auf 16,9 Prozent 2 9 4 . Bis 1939 waren diese Schwierigkeiten freilich überwunden. Schlesien galt damals als eine der prosperierendsten Regionen Deutschlands. Auch hier erzielte die N S D A P jene nachgerade erdrutschartigen Wahlerfolge, wie sie damals für ganz Ostdeutschland charakteristisch waren 2 9 5 . Hatten im Wahlkreis Breslau bis 1928 SPD, D D P und D N V P dominiert 2 9 6 , so konnten die Nationalsozialisten nun auch hier ihre Vormacht rasch ausbauen; bei der Juli-Wahl 1932 gewannen sie im Wahlkreis Breslau bereits 43,5 Prozent, reichsweit dagegen nur 37,3 Prozent, bei der letzten, halbfreien Reichstagswahl im März 1933 betrug das Verhältnis sogar 50,2 zu 43,9 Prozent. 2.2.2.4 Die Stationierungs- und Ergänzungsräume der 45. Infanteriedivision Oberösterreicb297,

einst ein Kerngebiet der Habsburger-Monarchie, war von den

Veränderungen infolge des Ersten Weltkriegs nur indirekt berührt worden. Auch

2,1 292 293

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und Widerstand in Schlesien; Sprenger, Groß-Rosen; Irgang/Bein/Neubach, Schlesien; Fuchs, Gestalten und Ereignisse aus Schlesiens Wirtschaft; Conrads, Schlesien; Bahlke (Hrsg.), Schlesien und die Schlesier; Bartosz/Hofbauer (Hrsg.), Schlesien. Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1926, S. 36. Bartosz/Hofbauer (Hrsg.), Schlesien, S. 18. Ebda., S.237. Ferner: Davies/Moorhouse, Die Blume Europas. Breslau - Wroclaw - Vratislavia, insbes. S. 403 ff.; Thum, Die fremde Stadt. 1 930 waren dies 260530 registrierte Arbeitslose, deren Zahl 1932 dann auf 420206 stieg. Als „Hauptherd der Arbeitslosigkeit" erwies sich nicht nur das hochindustrialisierte Oberschlesien, sondern auch Breslau, wo die Arbeitslosenquote schon 1931 auf über 28 % stieg. Statistisches Taschenbuch Breslau 1936, S. 15. Vgl. Falter, Hitlers Wähler, S.30ff. Sehl esien zerfiel entsprechend seiner Regierungsbezirke in die Wahlkreise Breslau (7), Liegnitz (8) und Oppeln (9). Während die NSDAP in den ersten beiden - protestantisch geprägten - Wahlkreisen weit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, galt dies nicht für den oberschlesischen Regierungsbezirk Oppeln. Reichstagswahl 1928, DNVP: Breslau 2 2 , 9 % , Reich 14,2%; NSDAP: Breslau 1 % , Reich 2 , 6 % . Während die Stadt Breslau zunächst eher links wählte, dominierten auf dem „platten Land" die rechten Parteien. Vgl. etwa Conrads, Schlesien, S.648: „Im Gutsbereich des [nieder]schlesischen Banau gab es beispielweise nicht eine einzige schwarzrotgoldene Fahne. Wer die Farben des Reiches gezeigt hätte, wäre ein Landesverräter gewesen." Oberösterreich: Slapnicka, Oberösterreich (1975/1978/1983); Mayrhofer/Schuster (Hrsg.), Bilder des Nationalsozialismus in Linz; Moser, Oberösterreichs Wirtschaft 1938 bis 1945;

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2. S o l d a t e n

wirtschaftlich hatte sich nur wenig geändert; die meisten Menschen lebten nach wie vor von der Landwirtschaft 298 . Fabriken hatten sich nur in Linz, Wels und Steyr angesiedelt, doch galten sie als „veraltet und wenig gewinnträchtig" 299 . Auch hier verstärkte die homogene Konfessionalität - 1923 waren 97 Prozent der oberösterreichischen Bevölkerung katholisch - den stark konservativen Charakter dieser Gegend. Die Massenarbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise zeigte sich in Oberösterreich mit einer gewissen Verspätung; 1933 erreichte sie hier mit 10 Prozent ihren Höchststand 300 , was etwa einem „mittleren" Platz in der deutschösterreichischen Erwerbslosenstatistik entspricht. Doch dauerte es hier länger, um diese Krise zu bewältigen. Bis 1933 führten die Nationalsozialisten in Oberösterreich ein Schattendasein; bescheidene 3,5 Prozent erhielten sie bei der Landtagswahl vom April 1931 301 . Da die NSDAP nach 1933 in ganz Osterreich verboten wurde, können wir über ihre weitere Entwicklung nur spekulieren. Sicher ist, dass Linz vor 1938 als „Hochburg der illegalen NSDAP" galt 302 , als „Brückenkopf" zum nationalsozialistischen Deutschland 303 . Das hatte nicht nur geographische Gründe. Für Hitler, der von 1899 bis 1908 in Linz aufgewachsen war, blieb die Stadt stets Bezugspunkt seines Planens. Schon 1931 machte er das „deutsche Linz" und nicht den „Wasserkopf Wien" zum Sitz der österreichischen NSDAP 3 0 4 . Nach dem März 1938 verlieh er dann dem verschlafenen Provinzstädtchen den Status einer „Führerstadt", die er zur monumentalen Kulturmetropole ausbauen wollte 305 . Dass sich schon vorher Slapnicka, Hitler und Oberösterreich; Bukey, T h e N a z i Party in Linz; ders., „Patenstadt des Führers"; ders., Hitler's Austria; Rödhammer, Oberösterreichische Wehrgeschichte; Z i n n h o b ler, Das Bistum L i n z im Dritten Reich; Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1 9 3 4 1945, 2 Bde. 2 9 8 Vgl. Slapnicka, Oberösterreich (1983), S. 885. In der Zwischenkriegszeit bestand der oberösterreichische R a u m zu 3 8 % aus A c k e r n , zu 3 7 % aus Wald, zu 2 0 % aus Wiesen und zu 2 % aus Weideland und Gärten. 2 9 9 Ihr Produktionsschwerpunkt lag auf der Herstellung von Maschinen, Autos, Nahrungsmitteln und Kleidung. Vgl. Bukey, „Patenstadt des F ü h r e r s " , S. 103. 3 0 0 Slapnicka, Oberösterreich (1983), S . 8 8 6 f . 1933 wurden ca. 4 8 0 0 0 , 1936 ca. 38 000 Arbeitslose registriert. 3 0 1 Ergebnisse der Wahl in den oberösterreichischen Landtag vom 19. April 1931. Hrsg. von der Landesregierung in Linz, L i n z 1931, S. 2 ff. A u c h im sozialdemokratisch geprägten Milieu der Landeshauptstadt L i n z blieben die N a t i o nalsozialisten bis 1933 eine politische Randerscheinung. Allerdings existierten Affinitäten beim Militär. D i e Linzer Ortsgruppe der N S D A P war 1924 von einigen Soldaten ins Leben gerufen worden. I m O k t o b e r 1932 wählten 1 3 % der in Linz stationierten Soldaten den V ö l kischen Soldatenbund. Vgl. Bukey, „Patenstadt des F ü h r e r s " , S. 131. 3 0 2 So Schmidl, „ A n s c h l u ß " , S. 119. Ferner Bukey, „Patenstadt des F ü h r e r s " , S. 9. Bei der Entnazifizierung in Oberösterreich wurden rund 7 % der Bevölkerung als registrierte NS-Mitglieder erfasst, in L i n z dagegen 9 % . Vgl. hierzu Schuster, Politische Restauration und Entnazifizierungspolitik in Oberösterreich, S . 2 0 5 . 3 0 3 Slapnicka, Oberösterreich (1983), S . 8 8 4 . Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Ernst Kaltenbrunner und Adolf Eichmann in Linz aufgewachsen sind, w o sie sich bereits in der Schule kennen lernten. Vgl. Black, Ernst Kaltenbrunner, S . 4 0 f f . ; Aharoni/Dietl, D e r Jäger. Operation Eichmann, S . 2 2 f f . Z u m Antisemitismus in Linz, w o im N o v e m b e r 1938 bereits jüdischen Frauen öffentlich die Haare geschoren wurden, vgl. auch Gilbert, F r o m the Ends of the Earth, S. 177. 304 Vgl. Mayrhofer/Schuster, Bilder des Nationalsozialismus, Bd. 1, S. 12; Hitler - Reden, Schriften, Anordnungen, Bd. IV, D o k . 5. 3 0 5 Linz war die einzige österreichische Stadt, die diesen Status erhielt. Vgl. hierzu Bukey, „Patenstadt des Führers"; Mayrhofer/Schuster (Hrsg.), Bilder des Nationalsozialismus in Linz, 2 Bde.; dies., Nationalsozialismus in Linz, 2 Bde.

2.2

Heimat

127

das politische Klima in Oberösterreich zu ändern begann, hatte freilich nicht nur externe Gründe 3 0 6 . In Linz, Wels und auch im Innviertel war die illegale Nachfolgeorganisation der N S D A P besonders aktiv, so dass Oberösterreich zu einer der wichtigsten Schauplätze des Juli-Putsches von 1934 wurde 3 0 7 . Damals war auf das Bundesheer noch Verlass gewesen; auch national eingestellte Offiziere beteiligten sich an der Niederwerfung der nationalsozialistischen Aufstände 3 0 8 . 1938 blieb ihnen diese Prüfung erspart. In Linz erfolgte die „Machtergreifung" der Nationalsozialisten „schnell, reibungslos und ohne Blutvergießen unter begeisterter Zustimmung der Bevölkerung" 3 0 9 . Die dort stationierten Einheiten, die doch an den langen ungeschützten Grenzen Oberösterreichs aufmarschieren sollten 310 , setzten dem nichts mehr entgegen. Auch hier überwogen mittlerweile Offiziere, die mit den Nationalsozialisten sympathisierten; ein Generalstabsoffizier spielte sogar die streng geheimen österreichischen Aufmarschpläne dem deutschen Geheimdienst in die Hände, während der Nationalsozialistische Soldatenring (NSR) die wichtigsten Kommandobehörden in Linz übernahm 3 1 1 . Doch wäre es zu einfach, die Zustimmung zum „Anschluß" mit der zum Nationalsozialismus gleichzusetzen. In Oberösterreich verfügte der N S R nur über 647 Mitglieder 312 , in ganz Österreich lag der Anteil der NSDAP-Mitglieder unter den Berufstätigen bei fünf Prozent, der harte Kern der NS-Befürworter wird auf 25 bis 30 Prozent geschätzt 3 1 3 . Die Beziehung zwischen Hitler, Linz und der 45. Infanteriedivision, aus der man nun die „Heimatdivision des Führers" machte 3 1 4 , war jedenfalls ein reines Propagandakonstrukt 3 1 5 . Geschichte und Selbstverständnis der 306 Vgl. hierzu Slapnicka, Hitler und Oberösterreich. 307

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D i e Zahl der Toten, die aufgrund dieses Ereignisses in Oberösterreich umkamen, wird auf bis zu 30 Personen geschätzt. Vgl. Slapnicka, Oberösterreich, in: Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1 9 3 4 - 1 9 4 5 , Bd. I, hier S . 2 4 ; Kepplinger, Aspekte nationalsozialistischer H e r r schaft in Oberösterreich, S . 4 1 8 f . Slapnicka, Oberösterreich (1983), S . 8 9 7 ; Schmidl, „ A n s c h l u ß " , S . 4 7 f f . Aus einem Bericht des deutschen Konsulats in L i n z vom 1 2 . 3 . 1 9 3 8 , zit. in: Schmidl, „Anschluß", S. 119. Vgl. auch Below, Als Hitlers Adjutant 1 9 3 7 ^ 5 , S . 9 1 : „ D e r Jubel war unbeschreiblich. Die G l o c k e n läuteten. D i e 120 Kilometer von Braunau bis L i n z glichen einer Triumphfahrt." A u c h der Generaloberst Wilhelm Ritter von Leeb will noch im Herbst 1938 in L i n z eine „ungeheure Begeisterung" gespürt haben. Leeb, Tagebuch, S. 48. Slapnicka, Oberösterreich (1983), S . 8 9 7 ; Schmidl, „Anschluß", S . 4 3 f f . , 63. Schmidl, „Anschluß", S . 4 0 , 120. Ebda., S . 5 5 . Schmidl ( „ A n s c h l u ß " , S . 4 3 f f . ) betont, dass es in der A r m e e auch einige entschiedene N a z i - G e g n e r gab. Sie aber blieben damals eindeutig in der Minderheit Vgl. Hanisch, D e r lange Schatten des Staates, S . 3 4 5 . Ferner Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1 9 3 4 - 1 9 4 5 , 2 Bde. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1617: 45. Inf. Div., A b t I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1 . 4 2 1 . 6 . 1 9 4 1 . Ferner Linzer Tagespost vom März 1942, „Seit Kriegsbeginn ruhmreich bewährt!". Während ihrer Vorbereitungszeit auf den Westfeldzug im Raum Treysa wurde die 45. I D von einer oberösterreichischen Delegation unter Leitung des Gauleiters August Eigruber besucht, der dort „Liebesgaben" verteilte. Während des Ostkriegs lassen sich solche „Frontfahrten" jedoch nicht mehr nachweisen. (Vgl. G s c h ö p f , Weg, S. 116f.) N u n versorgten die politischen Funktionäre „ihre" Soldaten lieber per Feldpost. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1624: 45. Inf. Div., A b t . I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit v o m 1 . 1 0 . - 3 1 . 1 2 . 1 9 4 2 : „ D e r Gauleiter von O b e r d o n a u spendete außerdem für alleinstehende Soldaten der Division 500 Bücher, 2 5 0 0 0 Zigaretten, 820 Flaschen Weinbrand, Pralinen, L e b k u c h e n und Briefpapier sowie 2 Waggons Bier." U m gekehrt spendeten die Angehörigen dieser Division für das Winterhilfswerk 1942 den „Riesenbetrag" von 7 7 0 9 8 5 , 7 9 R M . Weitere Angaben in IfZ-Archiv, M A 1622: 45. Inf. Div., A b t . I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1 . 2 . - 1 2 . 3 . 1 9 4 2 .

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2. Soldaten

45. ID lassen auch nicht ansatzweise erkennen, dass sie so etwas gewesen ist wie eine „Leibstandarte Adolf Hitler im Dienste der deutschen Wehrmacht". Vielmehr blieb sie eine durchschnittliche Infanteriedivision, die aus einem Standort kam, den der Nationalsozialismus eher zufällig für sich „entdeckt" hatte. Diese vier Regionen sind ein Ausschnitt, kein Querschnitt des damaligen Großdeutschen Reichs, schon weil für ihre Auswahl die militärischen Sozialstrukturen maßgeblich waren, nicht aber die zivilen. In unserem speziellen Fall dominieren das katholische Sozialmilieu und rural geprägte Wirtschaftsformen 3 1 6 . Trotzdem ist aber schon in dieser Skizze deutlich geworden, wie unterschiedlich diese Landschaften waren. In einem entscheidenden Punkt bestand aber doch Übereinstimmung: Die meisten Soldaten, um die es in dieser Studie geht, waren in eher kargen Verhältnissen groß geworden, besonders jene, die „vom Lande" kamen 3 1 7 . Ein O f fizier der 45. I D berichtete, dass es sich bei den meisten Soldaten um „Kleinhäusler" gehandelt habe, „meist Waldbauern, anspruchslose, aber zuverlässige Menschen, die gewöhnlich auch gute Kameraden waren" 3 1 8 . Bei der 296. I D sah es ähnlich aus 3 1 9 , bei einem ihrer Regimenter verfügten knapp 92 Prozent der Mannschaften und Unteroffiziere nur über eine Volksschulbildung 3 2 0 . Von der 253. ID, deren Sozialstruktur viel genauer erforscht wurde, wissen wir, dass etwa drei Viertel ihrer Angehörigen der Unterschicht angehörten, das restliche Viertel der unteren Mittelschicht 321 , wobei diese eher aus Urbanen Räumen stammten. Dies ist auch ein Anhaltspunkt für das Sozialprofil der 221. Sicherungs- und der 4. Panzerdivision, wobei der technische Charakter dieses motorisierten Verbands wie auch 316

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Zweifellos war das Deutschland der 30er Jahre schon längst zu einem modernen Industriestaat geworden, doch w o g das „Gewicht der Provinz" (Manfred Kittel) noch immer schwer: 1939 lebten 29 % der deutschen Gesellschaft in Städten mit über 100 000 Einwohnern, 30,9 % lebten in Siedlungen mit weniger als 2000 Einwohnern. Etwas anders verhielt es sich mit der Konfessionalität der deutschen Gesellschaft, die in etwa zwei gleich große Hälften zerfiel. 1939 waren 48,6 % der Deutschen protestantischer und 45,7 % katholischer Konfession. Angaben nach: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Hrsg. vom Statistischen Reichsamt. 59. Jg. 1941/42, Berlin 1942, S.22f., 26. So das Urteil eines Angehörigen der 45. I.D. Vgl. B A - M A , M S g 3-217/1: Linzer Turm 18 (1975), Nr. 70: „Winter 1939/40 in Hessen - Erinnerungen eines ,133igers'". Auch Jarausch meinte über seine Rekruten: „Sie kommen meist aus einfachen Verhältnissen oder vom Lande." Jarausch/Arnold, Sterben, S.232 (Brief v o m 2.8.1940). Interview d. Verf. mit Ludwig Hauswedell am 8.5.2001. Dies ist den sozialstatistischen Erhebungen zu entnehmen, die Hans Reinert für das Art.-Rgt. 296 erstellte. Von dessen 2311 Angehörigen kamen 3 6 , 7 % aus der Landwirtschaft, 2 7 , 8 % waren Handwerker, 6,6 % Berufssoldaten, während die restlichen 28,9 % anderen Berufen angehörten (Beamte, Lehrer, Kaufleute usw.). B A - M A , M S g 2/5321: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag v o m 2.6.1942 mit Anlage. Verglichen mit der reichsweiten Berufsstatistik (Land- und Forstwirtschaft: 26,1 % ; Industrie und Handwerk: 42,1 % ; Handel und Verkehr: 1 7 , 5 % ; Öffentliche und private Dienstleistungen: 10,4 % ; Häusliche Dienste: 3,9 % ; Stand 1939) waren die landwirtschaftlichen Berufe also deutlich überrepräsentiert. Angaben nach: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. 59. Jg. 1941/42, S.33. B A - M A , M S g 2/5321: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Anlage: Art. Rgt. 296, „Schulbildung der Jahrgänge 1917 und jünger". Erfasst wurden 902 Unteroffiziere und Mannschaften, von denen 828 Volksschulbildung (91,8 % ) hatten, 35 Mittlere Reife (3,9 % ) und 39 Abitur (4,3 %). Rass („Menschenmaterial", S. 112), der die Sozialstruktur der 253. Inf. Div. mit Hilfe der überlieferten Karteikarten rekonstruiert hat, kommt zu folgendem Ergebnis: 74,1 % Unterschicht; 24,8 % untere Mittelschicht. Diese Soldaten stammten allerdings vor allem aus dem R a u m Aachen und aus den rheinisch-westfälischen Industriegebieten, also aus Urbanen und stark industrialisierten Räumen. Vgl. Rass, „Menschenmaterial", S. 101 ff.

2.2 Heimat

129

sein Rekrutierungsgebiet dafür sprechen, dass hier deutlich mehr Arbeiter und Handwerker zum Einsatz kamen 3 2 2 . Welche Folgen hatten diese Voraussetzungen für das Handeln dieser Menschen im Krieg? Existiert hier überhaupt eine Verbindung? Immerhin: Keine Division unseres Samples sollte sich so weit von Völkerrecht und Moral entfernen wie die 221. Dass dies auch eine Folge ihrer regionalen Herkunft sein könnte - erinnert sei an die weit überdurchschnittlichen Wahlerfolge der N S D A P in Schlesien - , ist keine neue Überlegung 3 2 3 . Doch spricht auch einiges für die Gegenthese, für die normative Kraft der militärischen Sozialisation, die allein ausschlaggebend für das Verhalten im Krieg gewesen sei. Waren es also doch Institution oder Situation, die Situation des Krieges, die darüber entschieden, wie der Einzelne im Krieg handelte? Solche Fragen sind nicht müßig. Dahinter steht auch jener alte Disput, ob die Verbrechen der Wehrmacht primär ideologisch zu erklären sind oder doch situativ. Diese Frage ist später zu diskutieren. Ohne die Kenntnis der Milieus, aus denen diese Soldaten stammten, ist dies aber kaum möglich.

2.2.3 Garnisonen Auch nach ihrer Einberufung zur Wehrmacht blieben viele Soldaten zunächst in ihrer Heimat. Ihr Standort wurde nun zur Schnittstelle zwischen ihrer alten zivilen und ihrer neuen militärischen Existenz. Das Verhältnis zwischen einer Garnison und ihrer zivilen Umwelt galt oft als „herzlich" 3 2 4 , was nicht nur weltanschauliche, sondern auch viel profanere Gründe besaß 3 2 5 . Gerade die „alten", aktiven Verbände wie etwa die 45. ID waren gut in ihre zivile Umwelt integriert 326 , hier konnte sich die traditionelle Welt des Militärs mit ihren Manöverbällen, öffentlichen Vereidigungen, den Offizierscasinos und Soldatenheimen noch in Szene setzen 3 2 7 . Schon bei einer hastigen Neuaufstellung wie der 4. Panzerdivision blieb die Von den motorisierten Truppen der Wehrmacht wurden bevorzugt Rekruten mit einer technischen Berufsausbildung gesucht - Autoschlosser, Elektriker und Mechaniker. Vgl. hierzu Hochstetter, Das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps ( N S K K ) 1931-1945, S.261. 3 2 3 So etwa die These von Shepherd, War, S. 78; Arnold, Wehrmacht, S. 422. Auffällig ist, dass alle Sicherungsdivisionen der Wehrmacht aus den Wehrkreisen II (Mecklenburg, Pommern) und VIII (Schlesien) stammten. O b die ostdeutsche Herkunft dieser Divisionen lediglich organisatorische Gründe hatte oder ob ihr ein psychologisches Kalkül zugrunde lag, bleibt der Spekulation überlassen. Sicher ist, dass solche Überlegungen der Wehrmachtsführung nicht gleichgültig waren; so setzte sie bevorzugt „österreichische" Einheiten auf dem Balkan ein. Vgl. hierzu Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 30-32; Manoschek, „Serbien ist judenfrei", S.27ff.; ders., Die Vernichtung der Juden in Serbien, S.218; Meyer, Von Wien nach Kalavryta; Lieb, Weltanschauungskrieg, S.96. 3 2 4 Vgl. B A - M A , R H 27-4/199: Geschichte der 4. Pz. Div., masch. Manuskript, o.D., S.7: „Mit der Bevölkerung verband uns vom ersten Tage an ein herzliches Einvernehmen." In diesem Sinne auch Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S. 17; IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Inf. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.11.1940-14.5.1941. In dieser Zeit war die Division in ihren Heimatstandorten einquartiert; der I c meinte das Verhältnis der Soldaten zur Zivilbevölkerung sei damals „ausgezeichnet" gewesen. 325 Vgl. hierzu Braun, Garnisonswünsche 1815-1914. Bemühungen bayerischer Städte und Märkte um Truppen oder militärische Einrichtungen; Schmidt, „Eine Garnison wäre eine feine Sache." 326 4i. Inf. Div.: Rödhammer, Oberösterreichische Wehrgeschichte, S. 64ff. Ferner: Kaserne und Garnison Melk. Ein historischer Überblick. 4. Pz. Div.: Tapken, Bamberg sowie ders./Kestler, Kameraden. 327 Vgl. mit der anschaulichen Rekonstruktion der Lebensverhältnisse der militärischen Elite während der 30er Jahre durch Kroener, Fromm, S. 322 ff. 322

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2. Soldaten

Garnisonszeit aber „nur von kurzer Dauer" 3 2 8 . Jene Divisionen, die erst im Krieg formiert wurden, kannten noch nicht einmal das. Sie hatten die prägende Kraft eines „Friedensstandorts" nie wirklich kennen gelernt. Auch der Krieg konnte die Bindung eines Truppenteils an seine Garnison nicht zerstören. Zwar haben die meisten Divisionen mit Beginn des Zweiten Weltkriegs „ihren Friedensstandort nicht mehr wiedergesehen" 329 , doch gilt dies nur für die Formationen im Ganzen. Ihre Angehörigen kehrten dagegen immer wieder in ihre alten Kasernen zurück - als Verwundete oder Genesene, zur Ausbildung oder als Urlauber. Das Beispiel einer Infanteriedivision wie der 253. hat gezeigt, dass ihre Angehörigen „einen nicht unbedeutenden Teil ihrer Dienstzeit bei den ErsatzEinheiten verbrachten" 330 , ihr Anteil betrug zeitweise bis zu 30 Prozent 3 3 1 . Auch emotional bestanden viele Bindungen an den alten Standort 3 3 2 , was schon daran lag, dass nicht wenige Soldaten dort ihre Heimat zum letzten Mal gesehen hatten. Umgekehrt barg aber auch die regionale Identität einer Einheit ein entsprechend großes Identifikationspotenzial für die „Daheimgebliebenen". Sie nahmen meist „regen Anteil" am Schicksal „ihrer" Soldaten 333 , was Wehrmacht, Staat und NSD A P noch zusätzlich zu fördern suchten 334 . Von unseren Divisionen kehrten während der Jahre 1939 bis 1945 nur zwei in ihren Friedensstandort zurück - die 221. ID im Juli 1940, die 45. ID vier Jahre später. Beide Ereignisse vermitteln nicht nur eine Vorstellung von der engen Verbundenheit zwischen militärischer und ziviler Welt, sie lassen sich auch als Symbol verstehen für die facettenreiche Geschichte der Wehrmacht: Als die 221. Infanteriedivision nach dem Sieg im Westen am 17. Juli 1940 stolz in Breslau einzog, wur-

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B A - M A , R H 27-4/199: Geschichte der 4. Pz. Div., masch. Manuskript, o.D., S.7. Ferner BAM A , MSg 3-281/1 (Panzer-Nachrichten Nr. 32 vom November 1970), in dem ein ehemaliger Offizier der 4. Panzerdivision berichtet: „In dem sehr turbulenten Friedensjahr 1938/39 haben wir bereits sehr oft auf Truppenübungsplätzen und in Wäldern kampiert." Auch für die 45. ID war die Zeit vor Kriegsausbruch keine „Ruhezeit", schon weil sie sich im September/Oktober 1938 am Einmarsch im Sudetenland und im M ä r z 1939 an der Besetzung der „Rest-Tschechei" beteiligte. Vgl. Rödhammer, Oberösterreichische Wehrgeschichte, S. 64ff. B A - M A , MSg 3-151/1: Schrift zum 11. Treffen ehemaliger Angehöriger des Panzer-ArtillerieRegiments 103 vom 8.-10.5.1988 in Bamberg, S . l l . Die 4. Panzerdivision kehrte Mitte Oktober nach Würzburg zurück, war dann wenige Wochen in ihren Kasernen, um dann bis Jahresende schon wieder auszurücken. Vgl. B A - M A , Ν 245/22: N L Georg-Hans Reinhardt: „Aufzeichnungen über meine Teilnahme an den Kriegen Hitlers 1938-1945", S. 17. Rass, „Menschenmaterial", S. 49. B A - M A , ZA 1/1992: Burkhart Mueller-Hillebrand, Division Slice, Study P-072, S. 13ff. So war etwa für Seitz (Verlorene Jahre, S.61) der „Ausgang" in seinen Standort stets ein „Erlebnis". Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., Abt.I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung" vom 18.11.1941, in denen deutlich wird, wie intensiv der Austausch an Feldpost zwischen „Front und Heimat" sein konnte. Ferner Tapken/Kestler, Kameraden, S. 117 (für das

, post wird oft übersehen, dass nur ein Teil dieser Briefe, zweifellos der größere, an die nächsten Angehörigen gerichtet war. Als Adressaten dienten häufig auch Kameraden, die man in der Grundausbildung, im Lazarett oder auf Lehrgängen kennen gelernt hatte, und zuweilen auch Vorgesetzte. 334 Yg] hierzu etwa Absolon, Wehrmacht, Bd. VI, S. 665. Ferner: Hirt, Die deutsche Truppenbetreuung im Zweiten Weltkrieg; Vossler, Propaganda in die eigene Truppe. Aus der Sicht der Truppe: Rass, „Menschenmaterial", S. 105.

2.2 H e i m a t

Deutsche Rückkämpfer mer 1944

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im Som-

(Quelle: Rolf Hinze, Rückkämpfer 1944, Meerbusch 2 1996, S. 167)

de sie „förmlich mit einem Regen von Blumen und Liebesgaben" überschüttet. „Sämtliche Marschstrassen und die daran liegenden Gebäude waren festlich mit Girlanden und Fahnen geschmückt. Kein Soldat, kein Fahrzeug war ohne Blumenschmuck. Uberall wurde die Truppe von den tosenden Heilrufen der Bevölkerung begrüßt, die häufig in begeisterten Sprechchören wie ,Wir danken Euch' ausklangen." 335 Genau vier Jahre später sah alles ganz anders aus. Die Wehrmacht hatte mittlerweile die größte Niederlage ihrer Geschichte erlitten - die Vernichtung der Heeresgruppe Mitte 336 , unter ihr auch die 45. Infanteriedivision. Etwa Tausend 45er, die diesem Hexenkessel entkommen und schließlich nach Linz transportiert wor335

336

IfZ-Archiv, M A 1659: 221. Inf. Div., A b t . I a, „Tätigkeitsbericht f ü r die Zeit vom 10.7.194028.2.1941", o . D . Die 221. k o n n t e n u r deshalb in Breslau einmarschieren, weil sie zu jenen Divisionen gehörte, die nach dem Sieg im Westen „beurlaubt" w u r d e n . Vgl. hierzu Kap. 1.2 sowie Kroener, Personelle Ressourcen, S. 840 f. Dieses zentrale Ereignis in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs hat in der deutschen H i s t o riographie erst allmählich die gebührende Beachtung gefunden. Seit O v e r m a n s (Verluste, insbes. S.238 u n d 278) wissen wir, dass es kein Ereignis in der Geschichte der Wehrmacht gab, das so vielen ihrer Angehörigen den Tod brachte. Vgl. hierzu Hinze, D e r Z u s a m m e n b r u c h der H e e r e s g r u p p e Mitte (1980); ders. D e r Z u s a m m e n b r u c h der H e e r e s g r u p p e Mitte (1995); R ü c k kämpfer 1944; Frieser, Z u s a m m e n b r u c h .

132

2. Soldaten

den waren, formierten sich am frühen Morgen des 24. Juli 1944 zu einem letzten Marsch durch die Innenstadt ihrer alten Garnison. Hier handelte es sich nicht um eine der vielen organisierten Feiern des „Dritten Reichs" 337 . Diese letzte „Parade" der 45er, die Tod oder Gefangenschaft oft nur durch Zufall entgangen waren 338 , war für sie nur eine kurze Unterbrechung auf ihrem Weg zurück in den Krieg. Auf dem niederösterreichischen Truppenübungsplatz Döllersheim bildete dieser „kleine Haufen", zusammen mit neuen Rekruten, ein allerletztes Aufgebot, die 45. Volksgrenadier-Division 339 . Uber die Stimmung, die dieser gespenstische Abschied in Linz auslöste, lässt sich nur mutmaßen. Von chauvinistischem Triumph war wohl nicht mehr viel zu spüren, doch berichten die Teilnehmer von großer Herzlichkeit, die ihnen „unauslöschlich in Erinnerung" blieb. In einer Episode wie dieser wird noch einmal die Bedeutung fassbar, welche die „Heimat" oder etwas präziser: der Stationierungs- und Ergänzungsraum, für eine Division und ihre Angehörigen besaß. Ihre regionalen Wurzeln waren mehr als nur propagandistische Fiktion oder ein integratives Element im Mikrokosmos der Truppe 340 . Hier handelte es sich um Signaturen, die viele Wirkungen hatten, und die selbst dann noch nachwirkten, als es diese Formationen schon längst nicht mehr gab. Denn der Wehrmacht gelang es, relativ homogene zivile Mentalitäten in militärische zu überführen, die durch Wehr- und Kriegsdienst entsprechend überformt und verändert, aber nie völlig ausgelöscht wurden. Das war nicht nur ein Charakteristikum dieser Streitmacht, es war auch eine ihrer Stärken. Damit tritt wieder der militärische Apparat in den Vordergrund. Niemand aber hat diesen so sehr verkörpert wie die höheren Offiziere.

2.3 Kader Die Wassertemperatur im Kattegat liegt Mitte April gewöhnlich bei 5° Celsius. Höchstens. Vielleicht war das dem Oberst Hubert Lendle zum Verhängnis geworden. Eigentlich hätte er sich im April 1940 an der Spitze seines Infanterieregiments an der deutschen Besetzung Norwegens beteiligen sollen 341 . Doch war es dazu nicht gekommen, weil britische Zerstörer das Transportschiff, auf dem Lendles 337

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340 341

Vgl. B A - M A , MSg 3-217/1: Linzer Turm 28 (1985), Nr. 112: „Bobruisk 1944 - Rückkämpfer erzählen", ebda., Linzer Turm 20 (1977), Nr. 78, „Anno 1944 - bei Bobruisk durchgekommen!" Auch zum Folgenden. Ferner Gschöpf, Weg, S.389 sowie Oberdonau-Zeitung, Nr.202 vom 24.7.1944: „Heute, Montag 24. Juli [1944], trifft nach fünfeinhalbjährigem Fronteinsatz die Heimatdivision in Linz ein. Die Division wird um 4.50 U h r früh auf dem VerschiebeBahnhof Neue Welt ankommen und von dort um 7.00 U h r in die Stadt marschieren, und zwar geht der eine Teil auf der Wiener Reichsstraße, Landstraße, Mozartstraße, Eisenhandstraße, Krankenhausstraße, Darrgutstraße zur Artillerie-Kaserne, der zweite [Teil durch die] Wiener Reichsstraße, Landstraße, Adolf-Hitler-Platz, Hofgasse, Tummelplatz zur Schloß-Kaserne." Vgl. hierzu Kap. 2.5. Vgl. Slapnicka, Oberösterreich (1978), S.109. Gschöpf, Weg, S.389ff.; Tuider, Wehrkreise X V I I und XVIII, S.30. Vgl. hierzu Rass, „Menschenmaterial", S. 103, 105. Vgl. Hubatsch, „Weserübung", S. 171 mit A n m . 11. Das Inf. Rgt. 345, das Lendle führen sollte, befand sich an Bord des Transportdampfers „Wigbert". Dieser wurde am 1 0 . 4 . 1 9 4 0 durch das britische U - B o o t HMS „Triton" torperdiert; die Verluste des Inf. Rgt.'s 345 betrugen etwa 400 Mann.

2.3 K a d e r

133

Regiment übersetzte, mit Mann und Maus versenkt hatten. Erst nach einer halben Stunde hatte man den Oberst zusammen mit den Resten seines Regiments aus dem eiskalten Wasser gezogen. Obwohl er nicht ernsthaft verwundet war, stand er noch immer unter Schock: „Sofortige Ablösung Oberst Lendle [ . . . ] erbeten. Bitte um Ob[er]stl[eu]t[nant] Küster. [...] Umgehende Neubesetzung im Interesse der Kampfführung dringend notwendig", hatte der deutsche Befehlshaber, General Nikolaus von Falkenhorst, daraufhin an das Heerespersonalamt telegrafieren lassen 342 . Mehr verriet das Telegramm nicht, aber jedem war klar, was passiert war: Lendle hatte „Nerven gezeigt", er hatte „versagt". Zwar steht das nicht in dieser dezidierten Form in seinen Personalakten 3 4 3 , doch machen diese unmissverständlich klar, wie unerbittlich die Wehrmacht in solchen Fällen verfuhr: Ehrgerichtsverfahren, danach Verwendung als Kommandant eines Truppenübungsplatzes in Frankreich. Das hatte man von Lendle nicht erwartet: 1919 gehörte der Oberleutnant und „Generalstabsanwärter" zu den wenigen Offizieren, welche die Reichswehr übernahm 3 4 4 . Sogar an der streng geheimen Ausbildung in der verbündeten Sowjetunion hatte er teilgenommen. Und nun das. Doch hatte schließlich auch das Heerespersonalamt ein Einsehen, schon weil es bald merkte, wie begrenzt die Reserven an höheren Offizieren waren. 1942 bekam Lendle doch noch „seine" begehrte Division, allerdings eine schwache, keine vollwertige. A m 5. Juli 1942 übernahm er offiziell das Kommando über die 221. Sicherungsdivision 3 4 5 . Der „Fall Lendle" steht beispielhaft für die Personalpolitik der Wehrmacht. Gerade bei den personellen Veränderungen in einer so ausgesuchten und wertvollen Gruppe wie der der Offiziere geschah nichts zufällig. Hinter dem komplizierten, schwer durchschaubaren System der Beförderungen, Auszeichnungen, Kommandierungen, Ausmusterungen und Degradierungen stand ein einziges Ziel: Es ging darum, die richtigen Führungskräfte an die richtigen Stellen zu bringen. Ähnliches ereignete sich daher auch in den übrigen Divisionen unseres Samples. Die 45. ID verlor etwa während des Westfeldzugs einen ihrer Regimentskommandeure, den Oberst Claus Boie 3 4 6 , weil er „seine Stelle wegen ungenügender kör-

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B A - M A , Pers. 6/2577: Gruppe X X I , OB, Fernschreiben an OKH/Heerespersonalamt vom 21.4.1940. Wie grausam die damaligen Ereignisse sein konnten, veranschaulicht der folgende Bericht: Korvettenkapitän Zoepffel, Die letzten Stunden des schweren Kreuzers Blücher, in: Den Gefallenen, S. 58-61. Erhalten hat sich ein Bericht des Heeres-Personalamts vom 2 7 . 4 . 1 9 4 0 : „Nach Meldung des Div. Kdr. war Oberst Lendle nicht mehr in der Lage, sein Regiment und damit zugleich seine selbständige Kampfgruppe zu führen, da er am Ende seiner seelischen und körperlichen Kräfte war. Seine körperliche Verfassung war geschwächt durch eine Verletzung im Gesicht und Beschwerden in den Stirnhöhlen, die er auf eine Erkältung infolge der Torpedierung seines Transportdampfers, bei der er längere Zeit im kalten Wasser schwimmen musste, zurückführte." B A - M A , Pers. 6/2577. Weitere Angaben zur Biographie Lendles in B A - M A , Ν 350: Nachlass Hubert Lendle ( 1 8 9 2 1970). B A - M A , Pers. 6/2577: Beurteilung Hubert Lendle zum 1 . 4 . 1 9 4 3 . B A - M A , Pers. 6/2526: Personalakte Claus Boie. Boie war 1944 schließlich als Kommandant der Feldkommandantur 4 9 7 (Marseille) eingesetzt. Vgl. Lieb, Konventioneller Krieg, S. 58. Gnädiger dagegen die Erinnerung der Veteranen: „Trotz seiner Strenge und Härte - übrigens auch gegen sich selbst - war Oberst Boie hochgeschätzt und geachtet in der Truppe." B A - M A , MSg 3-217/1: Linzer Turm 4 (1961), Nr. 12: „Zum 70. Geburtstag Generalmajors a.D. Claus Boie".

134

2. Soldaten

p e r l i c h e r V e r f a s s u n g n i c h t " ausfüllte - s o das u n e r b i t t l i c h e D i k t u m des O b e r b e fehlshabers d e r 2 . A r m e e , G e n e r a l M a x i m i l i a n F r e i h e r r v o n W e i c h s 3 4 7 . B e i b e i d e n Fällen, B o i e w i e L e n d l e , lassen sich einige b e m e r k e n s w e r t e Parallelen e r k e n n e n : J e d e s M a l h a n d e l t es sich u m die A b l ö s u n g eines h o h e n O f f i z i e r s , beide h a t t e n i m G e f e c h t v e r s a g t , beide in d e r A n f a n g s p h a s e des K r i e g e s , als m a n die O f f i z i e r e n o c h b e s o n d e r s s t r e n g k o n t r o l l i e r t e . M i t B l i c k auf das S a m p l e u n s e r e r f ü n f D i v i s i o n e n lässt sich freilich ein e n t s c h e i d e n d e r U n t e r s c h i e d k o n s t a t i e r e n , g e w i s s e r m a ß e n eine gegenläufige B e w e g u n g . W ä h r e n d eine aktive D i v i s i o n w i e die 4 5 . sich v o n O f f i zieren, die i h r e n A n f o r d e r u n g e n n i c h t g e n ü g t e n , r a s c h t r e n n t e , w ä h r e n d ein E l i t e v e r b a n d w i e die 4. P a n z e r d i v i s i o n s o l c h e n F ä l l e n s o g a r d e n S e l b s t m o r d

nahe-

l e g t e 3 4 8 , s c h e i n e n V e r b ä n d e w i e die 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n f ü r sie g e r a d e z u e i n e m b e v o r z u g t e n S a m m e l b e c k e n g e w o r d e n z u sein. H i n t e r diesen beiden, b e s o n d e r s e x t r e m e n , Beispielen s t a n d also ein P r i n z i p . S c h o n das s p r i c h t dafür, einen militär i s c h e n V e r b a n d a u c h ü b e r seine K a d e r z u b e s c h r e i b e n . W i e w i r g e s e h e n h a b e n , w a r es bei d e r g r o ß e n G r u p p e d e r M a n n s c h a f t e n u n d U n t e r o f f i z i e r e o f t d e r e n r e g i o n a l e H e r k u n f t , die d a r ü b e r b e s t i m m t e , w o ein W e h r pflichtiger schließlich landete. B e i d e n O f f i z i e r e n w a r das a n d e r s . I h r e r e g i o n a l e H e r k u n f t spielte f ü r ihre V e r w e n d u n g k a u m eine R o l l e 3 4 9 . A u c h die T r u p p e k o n n te d a r a u f n u r w e n i g E i n f l u s s n e h m e n 3 5 0 . Z w a r s c h r i e b sie die B e u r t e i l u n g e n , die definitive E n t s c h e i d u n g ü b e r die K a r r i e r e eines O f f i z i e r s lag a b e r bei einer I n s t i t u t i o n , die a u ß e r h a l b d e r T r u p p e s t a n d u n d d a h e r m e h r O b j e k t i v i t ä t bei d i e s e m

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B A - M A , Pers. 6/2526: A O K 2, Fernschreiben Nr. 61753 vom 2.6.1940 an Heerespersonalamt. Dort heißt es weiter: „Seine Verwendung im Heimatgebiet wird erbeten. Ich erbitte Neubesetzung des Regiments mit jüngerem energischem Reg[imen]t[s-]K[omman]deur." Weichs hatte am selben Tag die 45. Inf. Div. besucht. Vgl. Gschöpf, Weg, S. 143. Vgl. hierzu den Brief des Generalleutnants Georg-Hans Reinhardt, den er als einstiger Kommandeur der 4. Panzerdivision im Dezember 1939 schrieb: „Leider trage ich seit gestern schweren seelischen dienstlichen Kummer mit mir herum. Von einem Offizier, natürlich vom Regiment Czettritz [Schützen-Regiment 12], hat sich herausgestellt, dass er in Polen vor dem Feinde feige war. Das Gerichtsverfahren schwebt hier, die schwersten Strafen mindestens Zuchthaus, Degradation [sie] usw. sind wahrscheinlich. Furchtbar, dabei ist der Mann aktiver Hauptmann und verheiratet. Welches Elend, welche Schande für alle! Und ich muss dann das Urteil bestätigen. Wenn es nun gar Todesurteil wird? Schrecklich! Dein Hansi, der wirklich nicht hartherzig ist, hat heute sogar den einzig anständigen Weg weisen müssen, dass dem Schuldigen die Möglichkeit zum Selbstmord gegeben wird, dann wäre alles gut. Ich kann ja nicht anders, ich kann und will ja auch keine Feiglinge schützen, und einen feigen Offizier erst recht nicht. Aber Dir wenigstens muss ich mein Herz ausschütten, damit Du siehst, wie sehr ich unter dieser Frage leide. Bitte behalte alles für Dich, es ist schrecklich genug, dass so etwas in meiner Division vorgekommen ist." B A - M A , Ν 245/2: N L Georg-Hans Reinhardt, Brief vom 6.12.1939. Reinhardt war am 10.11.1939 versetzt worden, musste sich aber noch mit diesem Fall in seiner alten Division beschäftigen. Verwiesen sei ferner auf das Schicksal des Generalmajors Johann Joachim Stever, der als Kommandeur der 4. Panzerdivision nach dem Westfeldzug abgelöst wurde. Vgl. Kap. 2.1. Vgl. hierzu Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 870ff.; Neumann, 4. Panzerdivision, S. 13. Eine gewisse Möglichkeit der Einflussnahme bestand noch mit der sog. Offizierswahl. Bei diesem Verfahren, das auf die Scharnhorstschen Reformen zurückgeht, mussten die Offiziersanwärter nach bestandenem Lehrgang durch das Offizierskorps ihres Regiments „bestätigt", also feierlich aufgenommen werden. Es spricht freilich für sich, wenn dieses Verfahren Ende 1942 aufgegeben wurde. Die Stammeinheiten konnten den Ausleseprozess also vor allem durch ihren Vorschlag beeinflussen. Vgl. Kroener, Auf dem Weg zu einer „nationalsozialistischen Volksarmee", S. 660; Messerschmidt, Wehrmacht, S. 428.

2.3 Kader

135

höchst sensiblen Geschäft garantierte, beim Heerespersonalamt 351 . Diese Behörde sollte das Offizierskorps des Heeres bewerten und seinen Einsatz steuern 352 . Es gab damals nur wenige Gruppen, die einer so starken institutionellen, sozialen und zunehmend auch politischen·55·5 Kontrolle ausgesetzt waren wie die Militärkaste. Selbst das Private wurde in den Personalakten und Beurteilungen nicht ausgespart 354 : Herkunft, Ehefrau, Schwiegereltern, Vermögen und immer stärker auch die weltanschauliche Gesinnung 355 . Erst dieses komplexe System der Personalplanung und -Steuerung entschied darüber, wie sich das militärische Führungspersonal einer Division dann im Einzelnen zusammensetzte. Aufgrund dieses Ausleseprozesses lässt sich daher das höhere Offizierskorps zu Recht als herausgehobener Repräsentant „seiner" Einheiten begreifen. „Der" O f fizier sollte diese allerdings nicht nur kommandieren, er hatte auch - wie es in der einschlägigen Dienstvorschrift hieß - „Führer und Erzieher" zu sein 356 . Wenn ein Regimentskommandeur der 4. Panzerdivision im Februar 1942 nach Hause schrieb: „Es hängt ja alles davon ab, wie die Offiziere ihre Stellung ausfüllen" 357 , dann wird daran deutlich, wie wichtig diese vergleichsweise kleinen Kader für die ihnen unterstellten Einheiten waren. Ihr Einfluss war denkbar groß. Im Falle der Wehrmacht kamen noch zwei weitere Aspekte hinzu, die diesen Einfluss noch steigerten: Das Führungskonzept der Auftragstaktik 358 , das in der preußisch-deutschen Armee eine lange Tradition hatte, eröffnete gerade den höheren Offizieren mitunter mehr Handlungsspielräume, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Ein Generalstabsoffizier oder gar ein Regimentskommandeur saßen bereits in Stellungen, die ihnen großes Prestige und beträchtliche Macht gaben. Und auch die Absicht des NS-Regimes, die Wehrmacht immer stärker in den Griff zu bekommen, konnte paradoxerweise die Handlungsspielräume des Militärs er351

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Zu Organisation und Bedeutung dieser Behörde vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd.V, S.60f.; Bd. VI, S. 196ff.; Stumpf, Wehrmacht-Elite, S.320ff.; Bradley/Schulze-Kossens (Hrsg.), Tätigkeitsbericht des Chefs des Heerespersonalamtes General der Infanterie Rudolf Schmundt. Bis zum 30.9.1942 wurde dieses Amt von General Bodewin Keitel geleitet, dem Bruder des Feldmarschalls, danach von Generalmajor Rudolf Schmundt. Galt schon Keitel als „Parteigeneral" (Streit, Kameraden, S.68), so schwamm Schmundt völlig in Hitlers Fahrwasser. Die anderen beiden Teilstreitkräfte der Wehrmacht waren für ihre eigene Personalplanung zuständig. Vgl. etwa Boog, Luftwaffenführung 1935-1945, passim. Zum System der Beurteilung vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd. III, S. 293 ff.; Creveld, Kampfkraft, S. 175 ff. Da Hitler am 11.9.1939 beschlossen hatte, sich „die Stellenbesetzung [der Offiziere] bis zu den Divisionskommandeuren" persönlich vorzubehalten, hatte er auch einen unmittelbaren Einfluss auf das Klima in den Divisionen. Vgl. hierzu Absolon, Wehrmacht, Bd.V, S.49; Megargee, Hitler und die Generäle, S. 149. Zum Problem der „Heiratsordnung" für Offiziere vgl. Kroener, Heeresoffizierskorps, S.662ff. Die politische Einschätzung, die in den Beurteilungen abgegeben wurde und die darauf hinauslief, fast alle Offiziere zu Nationalsozialisten zu erklären, wurde freilich schon bald so inflationär eingesetzt, dass bereits Schmundt als Chef des Heerespersonalamts im Juni 1943 darüber klagte, die Begriffe würden so schematisch gehandhabt, dass „eine Wertung daraufhin kaum noch erfolgen kann". Bradley/Schulze-Kossens (Hrsg.), Tätigkeitsbericht, S. 75 (Eintrag vom 24./25.6.1943). Altrichter, Reserveoffizier, S.8f. So auch dezidiert B A - M A , R H 20-2/296-2: AOK 2, OB, Weisung an die „Herrn Kommandierende Generale und die Herrn Divisionskommandeure" vom 19.2.1942. B A - M A , Ν 10/9: N L Smilo Frhr. von Lüttwitz, Brief vom 25.2.1942. Vgl. Oetting, Auftragstaktik, insbes. S. 193ff.; Creveld, Kampfkraft, S.42ff.; Leistenschneider, Die Entwicklung der Auftragstaktik im deutschen Heer.

136

2. Soldaten

weitern. Da der subkutane Konflikt zwischen Wehrmacht und NS-Regime nie völlig entschieden wurde 3 5 9 , blieb manches in der Schwebe 3 6 0 . So waren beispielsweise die Ermessensspielräume eines Offiziers bei der Auslegung der „Verbrecherischen Befehle" größer, als es in einem totalitären Regime zu erwarten war. Gerade die Divisions- und Regimentskommandeure, mitunter auch die Generalstabsoffiziere, waren es, die in „ihren" Einheiten „den Ton angaben" und die den Korpsgeist „ihrer" Formation prägten. Sie kannten „ihre Pappenheimer". Es gab Offiziere, die „ihre Leute" auf Zackigkeit drillten, oder solche, die einen lässigen Umgangston pflegten, es gab väterliche Kommandeure, die um ihre Männer besorgt waren, und es gab Offiziere, die ihren Ruf als „Blutsäufer" und Menschenschinder niemals los wurden. Diese Unterschiede bekamen nicht nur die „eigenen" Leute zu spüren. Auch für die „anderen": den Gegner, die Kriegsgefangenen oder die Zivilbevölkerung, waren Charakter und Führungsverhalten dieser Offiziere nicht selten von existentieller Bedeutung. Schon vor Beginn des Ostkriegs erkannte ein Generalstabsoffizier, dass es in dieser Hinsicht „sehr große Unterschiede in unserem Heer" gäbe. Auf jeden Fall sei „das Verhalten der Offiziere entscheidend für das Benehmen der Truppe" 3 6 1 . Schon das spricht für eine genauere Analyse. Ansatz Es ist weder sinnvoll noch möglich, wirklich alle Offiziere aus den fünf Divisionen unseres Samples zum Thema einer umfassenden sozialhistorischen Analyse zu machen. Beschränkt man sich aber auf die höheren Offiziersränge und damit auf die wichtigsten Funktionen innerhalb einer Division, erhält man eine Gruppe, die einerseits noch überschaubar ist, andererseits aber doch so groß, dass sich an ihr viel Repräsentatives ablesen lässt. Für diese Untersuchung wurden daher jene Offiziere berücksichtigt, die von September 1939 bis Mai 1945 mindestens eine der folgenden Führungspositionen bei einer unserer fünf Divisionen besetzten: - die Divisionskommandeure - die Generalstabsoffiziere (I a, I b und I c) - die Kommandeure der Regimenter sowie die der „selbständigen" Bataillone und Abteilungen (also etwa des Pionier-Bataillons, der Aufklärungs-Abteilung usw.). Insgesamt konnten 276 Offiziere ermittelt werden, die in unseren fünf Divisionen eine oder mehrere dieser Positionen durchliefen; von dieser Gruppe, im folgenden Führungsgruppe genannt, sind Biographien oder biographische Selbstzeugnisse kaum vorhanden. Grundlage dieser prosopographischen Analyse waren daher die militärischen Personalakten, die freilich nicht lückenlos überliefert oder zum Teil

Vgl. etwa D i e Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 15, S.481 (Eintrag v o m 1 2 . 3 . 1 9 4 5 ) : „ D e r Führer antwortet mir darauf, daß er keinen Mann hat, der beispielsweise Oberbefehlshaber des Heeres werden könnte. E r hat recht, wenn er erklärt, hätte er Himmler dazu gemacht, so wäre jetzt die Katastrophe noch größer, als sie ohnehin schon ist. E r will jetzt junge, an der F r o n t bewährte Soldaten in den Ofnziersstand hineinbringen, [auch] wenn sie nicht die gesellschaftliche Vorbildung mitgebracht hätten. A b e r was heißt in dieser kritischen Zeit gesellschaftliche Vorbildung. Wir müssen alles daransetzen, Männer als Führer an die F r o n t z u b e k o m m e n , ohne Rücksicht darauf, ob sie das gesellschaftliche Zeug zur Führung mitbringen." 360 Vgl. hierzu Hürter, Konservative Akteure; ders., Heerführer, passim. 361 Meier-Welcker, Aufzeichnungen, S. 117 (Eintrag v o m 9 . 6 . 1 9 4 1 ) . 359

2.3

137

Kader

noch gesperrt sind 362 . Einen gewissen Ersatz boten die Kriegsranglisten in den Divisionsakten, ferner personenbezogene Akten aus anderer Provenienz 363 , biographische Nachschlagewerke 364 und schließlich auch einzelne Artikel, etwa aus den Zeitschriften der Veteranenverbände. Angesichts dieser disparaten Quellenlage schien es sinnvoll, aus der Führungsgruppe, die alle Offiziere umfasst, nochmals eine kleinere Gruppe herauszulösen, und zwar jene, die mit den Posten des Divisionskommandeurs und des Ersten Generalstabsoffiziers die einflussreichsten Positionen in einer Division besetzten - in unserem Fall 54 Offiziere. Diese „Positionselite" 365 firmiert hier als Kerngruppe. Auch die archivalische Überlieferung spricht für ein solches Vorgehen: Während bei der größeren Führungsgruppe für nur etwa ein Drittel aller Offiziere (35 Prozent) vollständige Personalakten vorliegen, sind es bei der Kerngruppe immerhin knapp zwei Drittel (63 Prozent). Diese beiden Gruppen sollen im Folgenden unter drei Aspekten untersucht werden: - Soziale Merkmale: Herkunft, Adelsanteil, Schulbildung, Konfession, regionale Herkunft, Familienstand - Individuelle Merkmale: Alter und Diensteintritt - Militärische Merkmale: Offiziersstatus, Auszeichnungen, Beurteilungen, Laufbahn, Verluste 366 . 2.3.1 Soziale Merkmale: Herkunft, Adelsanteil, Schulbildung, regionale Herkunft, Familienstand

Konfession,

Warum hatten sich gerade diese Offiziere für Spitzenpositionen in ihren qualifiziert? Woher kamen sie? Was zeichnete sie aus? Bei der Frage nach der Elitenbildung 3 6 7 , gerade auch der militärischen, hat die Frage nach der sozialen Herkunft stets eine besondere Rolle gespielt. Noch nie, noch nicht einmal in der Reformzeit D i e Personalakten derjenigen Offiziere, bei denen eine Verbindung zum militärischen Widerstand nachgewiesen oder vermutet wurde, sind beispielsweise häufig lückenhaft. Teilweise noch gesperrt waren die Akten jener Offiziere, die nach 1945 ihre militärische Karriere in der Bundeswehr fortsetzten. 3 6 3 H i e r seien besonders die Bestände des ehemaligen Berlin D o c u m e n t Center, nun Bundesarchiv, Abt. Lichterfelde, erwähnt, ferner die Abteilung I V des Bayerischen Hauptstaatsarchivs (Kriegsarchiv) oder die ehemalige Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, nun Bundesarchiv, A b t . Ludwigsburg. 364 Y g ] e t w a Folttmann/Möller-Wittmann, Oprergang der Generale; Podzun (Hrsg.), Das D e u t sche H e e r 1939; Stahl (Hrsg.), Heereseinteilung 1939; Keilig (Hrsg.), Rangliste des Deutschen Heeres 1944/45; Ders., D i e Generalität des Heeres im 2. Weltkrieg 1939-1945; Model, D e r deutsche Generalstabsoffizier, S. 2 0 2 ff.; Stumpf, Wehrmacht-Elite; Mehner, Die Deutsche Wehrmacht 1939-1945; G e r m a n O r d e r of Battle 1944, S . K 8ff.; B e z b o r o d o v a , Generäle des Dritten Reiches in sowjetischer Hand; Zweng (Hrsg.), Offiziere des Generalstabes des deutschen Heeres; Range/Düfel, Ritterkreuzträger in der Bundeswehr; Klee, Personenlexikon zum Dritten Reich; Lilla (Bearb.), Statisten in U n i f o r m . 365 Vgl. hierzu Stumpf, Wehrmacht-Elite, S . 2 f . ; Kroener (Hrsg.), Generationserfahrungen und Elitenwandel. 3 6 6 Dass es sinnvoll ist, einen solchen Ansatz in diesen Vergleich mit einzubeziehen, hat Wegner (Hitlers Politische Soldaten, S.207ff.) vorgeführt. Anders hingegen Rass, „Menschenmaterial", S.205. 367 Vgl. hierzu B o t t o m o r e , Elite und Gesellschaft; Meyer, Kriegs- und Militärsoziologie, S. 95ff.; Handbuch der empirischen Sozialforschung, B d . 9 , S. 186ff.; Stumpf, Wehrmacht-Elite, S . 2 f f . ; Wegner, Hitlers Politische Soldaten, S . 2 0 7 f f . ; Bald, Offizier, S . 3 8 f f . ; Banach, Heydrichs Elite, S . 3 5 f f . ; Wildt, Generation, S . 2 6 f f . ; R u c k , Korpsgeist und Staatsbewusstsein. 362

138

2. Soldaten

während der Napoleonischen Kriege, veränderte sich die Rekrutierung des deutschen Offizierskorps indes so schnell wie im Zweiten Weltkrieg. Man kann diesen Prozess als Höhe- und Endpunkt einer Entwicklung begreifen, die bereits im frühen 19.Jahrhundert begonnen hatte. Mit der damals einsetzenden Verbürgerlichung des Offizierskorps in Deutschland wurde dieser Beruf und Stand aber längst nicht für alle Schichten geöffnet. Vielmehr waren es bis zu Beginn der 30er Jahre fast ausschließlich die Söhne des Geburts- und des Geldadels, teilweise auch die des Bildungsbürgertums, die Zugang zum Offiziersberuf erhielten. Mit dieser klaren Bevorzugung der „erwünschten" Kreise bewegte sich die soziale Rekrutierungsbasis des deutschen Offizierskorps immer noch in sehr engen Grenzen. Im Oktober 1942 war damit Schluss. Damals legte Hitler definitiv fest, dass „nunmehr jeder junge Deutsche ohne Rücksicht seiner Herkunft, nur ausgelesen auf Grund seiner Persönlichkeit und seiner Bewährung ,vor dem Feind', Offizier werden" könne 3 6 8 . Spätestens jetzt war klar - so Hitlers Chefadjutant, Generalmajor Rudolf Schmundt - , dass „das Offizierskorps nicht aus einer Gesellschaftsschicht stammen" sollte 369 . Mit diesem „späten Triumph des Weltkriegsgefreiten über die in hierarchischer Ordnung aufgestiegene militärische Führungsschicht" 370 wurde freilich einer Entwicklung Rechnung getragen, die sich schon länger abgezeichnet hatte, wenn auch zunächst nur zögerlich. Das deutsche Offizierskorps, in der Reichswehr nicht größer als 5500 Mann 3 7 1 , hatte seine soziale, fachliche und auch weltanschauliche Geschlossenheit, auf die die militärische Führung doch so sehr vertraute 372 , im Grunde schon während der Aufrüstung verloren 373 . Infolge seiner „Vermassung" - so ein konservativer Kritiker 374 - verfügte das Heer 1938 bereits über 14000 aktive, 8000 aktiv verwendete E[rgänzungs]- und z.D.-Offiziere sowie über weitere 77000 Reserveoffiziere. Eine wirkliche Wende aber brachte erst der Krieg. Zunächst einmal begann sich das Offizierskorps des Heeres förmlich aufzublähen; im Juli 1943 hatten ca. 250 000 Mann 3 7 5 , bis Kriegsende schließlich 500000 Mann eine Offiziersverwendung durchlaufen 376 . Gleichzeitig aber schössen ihre Verluste in schwindelerregende Höhe: bis April 1942 waren bereits über 21000 Heeresoffiziere gefallen, vermisst oder gefangen genommen 377 , bis Juni 1944 dann etwa 62000 3 7 8 . Das brachte das Befehl Hitlers vom 10.10.1942, in: Absolon, Wehrmacht, Bd.VI, S.670, 675 und 481 f. Hitler hatte seinen Entschluss schon am 30.9.1942 in einer öffentlichen Rede angekündigt. Zur Bedeutung dieser Zäsur Knox, 1 October 1942. Adolf Hitler, Wehrmacht Officer Policy, and Social Revolution. Ferner Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 856. 3 6 9 Zit. bei: Kroener, Heeresoffizierskorps, S. 679. 3 7 0 So Messerschmidt, Wehrmacht, S.426. 3 7 1 4 0 00 Offiziere des Heeres und 1 500 Offiziere der Kriegsmarine. 3 7 2 Vgl. dazu Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S. 39 (Eintrag vom 3.7.1941): „Das Vertrauen auf die ausführenden Organe, was eine unserer stärksten Führungsseiten ist, kennt man an oberster Stelle [Hitler] nicht, weil man sich der Kraft einer gemeinsamen Ausbildung und Erziehung des Führerkorps nicht bewusst ist." 3 7 3 Kroener, Personelle Ressourcen, S.733. 3 7 4 Hasseil, Tagebuch, S. 283 (Eintrag vom 30.11.1941 ). 3 7 5 1.7.1943 : 24 8 5 3 7 Offiziere des Heeres. Zahl nach: Messerschmidt, Wehrmacht, S.423. 376 Vgl. Kroener, Heeresoffizierskorps, S.653. 377 v g l . Kroener, Personelle Ressourcen, S. 905. 378 Overmans, Verluste, S. 56f. Da 3 1 , 5 % aller deutschen Gefallenen des Zweiten Weltkriegs erst 1945 ums Leben kamen (ebda., S.241), ist auch bei den gefallenen Offizieren von einer deutlich höheren Gesamtzahl auszugehen. 368

2.3

Kader

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Heerespersonalamt in ein gehöriges Dilemma: Keine Dienstgradgruppe hatte während des Krieges so hohe Ausfälle, doch waren gerade die Offiziere am schwierigsten zu ersetzen 3 7 9 . Daher musste die deutsche Armee immer mehr Vorstellungen und Vorschriften über Bord werfen, um immer neue Gruppen als Offiziersersatz zu gewinnen. Den Protagonisten des Nationalsozialismus, innerhalb wie außerhalb der Wehrmachtsführung, kam dies nur entgegen. Sie wollten schon lange ein „Volksoffizierskorps" 3 8 0 . Mit Hitlers Akzentsetzung auf dem militärischen, oder besser: soldatischen, Leistungsprinzip wurde nicht nur die bisherige Entwicklung legitimiert. Damit einher ging auch ein ganz neues Offiziersbild 3 8 1 : Entwertet wurde der traditionelle Bildungs- und Erfahrungshorizont des Offizierskorps, sein alter Wertekanon und teilweise auch die bisher gültigen Prinzipien des Kriegshandwerks und der militärischen Führungskunst. Stattdessen setzte man ganz auf den „Charakter". Zweifellos wäre es zu einseitig, nur die negativen Seiten einer solchen Entwicklung herauszustellen 382 . Die Betonung von sozialer Mobilität, von praktischer Erfahrung (und Bewährung) hatte - professionell gesehen - auch unbestreitbare Vorteile. Problematisch aber war, dass nun der linientreue Draufgänger, für den primär das Prinzip des Gehorsams zählte, zum Vorbild wurde und nicht mehr der Typ eines intellektuell geschulten „Managers", der sich auch seinen fachlichen und moralischen Prinzipien verpflichtet fühlte. 2.3.1.1 Soziale Herkunft Wie weit lässt sich diese Entwicklung in unserer Gruppe erkennen? Ein Anhaltspunkt ist der Beruf des Vaters, selbst wenn die entsprechenden Angaben oft unscharf oder uneinheitlich sind 3 8 3 . Immerhin sind diese bei 68 Offizieren aus unserem Sample vorhanden, das sind knapp 25 Prozent der Führungs-, aber immerhin 52 Prozent (29 Fälle) der Kerngruppe. Von diesen 29 Vertretern der Kerngruppe lassen sich immerhin 11 (knapp 38 Prozent) der Oberschicht zurechnen 3 8 4 , 13 (45 Prozent) der oberen Mittelschicht und fünf (17 Prozent) der unteren Mittelschicht,

Rass, „Menschenmaterial", S . 8 2 sowie Kap. 2 . 5 . 380 Y g ] A b s o l o n , D a s Offizierskorps des Deutschen Heeres, S . 2 6 4 . 3 8 1 Vgl. Creveld, Kampfkraft, S . 2 8 f f . ; Kroener, Heeresoffizierskorps, S . 6 6 2 ; A b s o l o n , Wehrmacht, B d . VI, S. 481 f. 382 V g l . a u c h mit d e m Urteil v o n Frevert, Kasernierte N a t i o n , S . 3 2 2 f . 3 8 3 D i e oft rudimentären Angaben in den Personalakten, die in dieser Ausführlichkeit natürlich v o r allem für aktive Offiziere angelegt wurden, beschreiben meist die Wirtschaftsbranchen, das Arbeitsverhältnis oder auch die soziale Stellung des Vaters. Bei jenen Berufsangaben, deren soziale Z u o r d n u n g nicht klar war, wie etwa „ B a u e r " (Kullmer, Schlemminger, S t r a h a m m e r ) oder „ K a u f m a n n " ( E b e r b a c h , Engel), w u r d e versucht, diese begriffliche U n s c h ä r f e mit Hilfe weiterer Informationen zu kompensieren, etwa durch A n g a b e n über die Großeltern, die M u t ter (adlig, B e r u f des G r o ß v a t e r s ) oder aus weiteren A n g a b e n des eigenen Lebenslaufs. Vgl. Strauß, Deutschlands Freie Berufe 1 9 3 4 - 1 9 4 0 ; Bolte, D i e Berufsstruktur im industrialisierten Deutschland; Katz, O c c u p a t i o n a l Classification in H i s t o r y ; Kater, Quantifizierung und N S Geschichte; Siegrist ( H r s g . ) , Bürgerliche Berufe. 379

384

O p e r i e r t wurde hier mit einem zeitgenössischen Schichtungsraster, das zwischen O b e r - , o b e rer und unterer Mittelschicht sowie U n t e r s c h i c h t unterscheidet. Vgl. hierzu Geiger, D i e soziale Schichtung des D e u t s c h e n Volkes. Ferner: B o l t e / K a p p e / N e i d h a r d t , Soziale Schichtung; Lepsius, Sozialstruktur und soziale Schichtung in der Bundesrepublik Deutschland; H a r d a c n , Klassen und Schichten in Deutschland 1 8 4 8 - 1 9 7 0 . Z u den methodischen Problemen vgl. etwa Stumpf, W e h r m a c h t - E l i t e , S. 189ff.; Wegner, Hitlers Politische Soldaten, S . 2 2 2 f .

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2. Soldaten

aber kein einziger der Unterschicht 385 . Damit lag unsere Offiziersgruppe voll und ganz in der Norm: Bernhard R. Kroener hat darauf hingewiesen, dass in allen drei Wehrmachtsteilen zunächst „die Vertreter der alten Offizierseliten ihre Führungspositionen behaupten konnten" 386 . Hätten sich vor Beginn des Ersten Weltkriegs noch 66 Prozent der Offiziere aus den „sozial erwünschten Schichten" rekrutiert, so seien es in der Reichswehr sogar 75 Prozent gewesen. Noch höher lag diese Quote bei der Heeresgeneralität der Wehrmacht. Reinhard Stumpf beziffert sie auf 97,8 Prozent 387 . Unser Gesamtergebnis, dass 83 Prozent der Kerngruppe aus den offiziersfähigen Schichten stammte, fügt sich sehr genau zwischen die beiden Ergebnisse von Kroener und Stumpf. Die soziale Herkunft der gesamten Führungsgruppe ist mit 25 Prozent natürlich nur unzureichend dokumentiert. Doch entsprechen unsere wenigen Anhaltspunkte sehr genau den oben zitierten Ergebnissen; der Anteil von Oberschicht und oberer Mittelschicht liegt mit zusammen 76 Prozent (28,3 und 47,7 Prozent) etwas unter dem Anteil der Kerngruppe·, der Rest verteilt sich auf die untere Mittelschicht (22,4 Prozent) sowie mit einem Fall auch auf die Unterschicht (1,5 Prozent) 388 . Das heißt: Der sozialen Rekrutierung der gesamten Führungsgruppe unseres Samples lagen also bis zuletzt fast ständisch orientierte Selektionsmechanismen zu Grunde 389 . Wirkliche soziale Aufsteiger blieben die Ausnahme, und es entbehrt nicht der Symbolik, wenn in der Personalakte von Alfred Burgemeister (von seinem Fall wird noch zu sprechen sein) erst in dem Moment wieder an seine Herkunft aus dem Stand der Unteroffiziere erinnert wurde 390 , als er in Konflikt mit seinen Vorgesetzten geriet. 2.3.1.2 Adelsanteil Im Gegensatz zu den Berufen der Väter ist die adlige Herkunft dieser Offiziere sofort zu erkennen 391 . Obwohl der Offiziersberuf schon seit dem 19. Jahrhundert keine Domäne des Adels mehr gewesen war 392 , lag der Adelsproporz im Heeres-

Interessant ist auch der hohe Selbstrekrutierungsgrad dieser militärischen Elite; bei 18 dieser Offiziere wird beim Beruf des Vaters ein (meist höherer) Offiziersdienstgrad angegeben, teilweise auch in Kombination mit einer zivilen Beschäftigung wie etwa „Gutsbesitzer". 3 8 6 Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 863. A u c h zum Folgenden. 3 8 7 Stumpf, Wehrmacht-Elite, S.257. 388 £) e n größten sozialen Aufstieg in dieser Gruppe hat Hans Hüttner hinter sich gebracht, der zunächst als Maurer ausgebildet wurde, um dann den Zweiten Weltkrieg als Generalmajor zu beenden. A l s Beruf seines Vaters wird „Fabrikmeister" oder „Saalmeister" angegeben. Vgl. B A - M A , Pers. 6/1418: Personalakte Hans Hüttner; Rosenwald, Generalmajor Hans Hüttner, S.ll. 3 8 9 Mit einer Dokumentationsdichte von 25 % liegt in diesem Fall nicht mehr v o r als eine Stichprobe, so dass in diesem Fall auf einen Vergleich innerhalb unseres Samples verzichtet wurde. Hierfür scheinen andere soziale Merkmale besser geeignet. 3 9 0 Vgl. BA, ZNS, Heer 26082: Beurteilung Alfred Burgemeister vom 17.6.1943. 3 9 1 Dabei wird nicht zwischen hohem und niederem, zwischen deutschem, österreichisch-ungarischem oder baltischem Adel unterschieden. Ausgeklammert wird auch die Frage, ob es sich - etwa bei den Inhabern des bayerischen Militär-Max-Josephs-Ordens — lediglich um eine persönliche Nobilitierung handelte (in unserem Sample sind zwei Fälle vertreten: Radimeier und Rosenthal). Zu den Kriterien vgl. auch Stumpf, Wehrmacht-Elite, S. 277ff.; Malinowski, Vom König zum Führer, S . 3 4 f f . 392 Vg] etwa Demeter, Das deutsche Offizierskorps, S. 1 ff., 63 ff.; Absolon, Wehrmacht, Bd. II, S. Iff.; Rumschöttel, Das bayerische Offizierskorps 1 8 6 6 - 1 9 1 4 , S.61 ff.; Hofmann (Hrsg.), O f 385

2.3 Kader

141

offizierskorps noch 1938 bei 13,2 Prozent 3 9 3 , in der damaligen deutschen Bevölkerung hingegen bei nur 0,15 Prozent 3 9 4 . Die nationalsozialistische Elitenmanipulation wie überhaupt der soziale Strukturwandel im Offizierskorps infolge des Zweiten Weltkriegs sorgten freilich dafür, dass auch hier der Adelsanteil immer geringer wurde 3 9 5 , bzw. dass er gewöhnlich parallel zum Dienstalter und zum Dienstgrad wuchs 3 9 6 . Am höchsten war diese Quote bei den Wehrmachtsgenerälen, die noch in einer längst untergegangenen Welt militärisch sozialisiert worden waren; ihr Adelsanteil betrug 18,1, bei der Heeresgeneralität sogar 20,3 Prozent 3 9 7 . Auch in unserer Offiziersgruppe finden sich Vertreter vieler adliger Familien; insgesamt sind es 44 Personen, knapp 16 Prozent - ein Wert, der ziemlich genau zwischen dem durchschnittlichen Adelsanteil am gesamten Heeresoffizierskorps (13,2 Prozent) und dem an der Heeresgeneralität (20,3 Prozent) liegt. Allerdings ist dies nur ein Mittelwert, zwischen den fünf Verbänden unseres Samples lassen sich auch in dieser Hinsicht große Unterschiede feststellen. Am auffälligsten ist der große Adelsanteil in der 4. Panzerdivision: Bei der Führungsgruppe liegt er bei 20, bei der Kerngruppe sogar bei über 41 Prozent! Am anderen Ende dieser Skala liegt die Führung des Korück, in der während des gesamten Krieges kein einziger Vertreter des Adels auftauchte. Dies spricht nicht nur für das geringe Sozialprestige dieses Besatzungsverbands, hier konnte man die klassischen Vertreter der alten Militärelite auch am ehesten entbehren. Dazwischen liegen die drei übrigen Divisionen unseres Samples: in der Führungsgruppe der 45., 296. und der 221. I D beanspruchen die adligen Offiziere einen Anteil von 14 Prozent, was etwa dem Durchschnittswert der deutschen Streitkräfte entsprach, aber weit über dem der übrigen deutschen Gesellschaft lag 3 9 8 . Bei der kleineren Kerngruppe ist der Adelsproporz sehr viel uneinheitlicher 399 . Zum Teil ist das darauf zurückzuführen, dass es sich hier nur um wenig Personen handelte. Wenn der Adelsanteil in der Kerngruppe der 221. Sicherungsdivision mit 25 Prozent sehr hoch ist, dann lag das daran, dass von lediglich acht Offizieren eben zwei adlig waren. Doch wird in diesem Fall noch etwas anderes sichtbar: Mit den Besatzungsverbänden, wo es nicht so „darauf anzukommen schien", konnte man den - zum Teil - heftigen Reaktivierungs- oder Beförderungswünschen jener älteren Offiziere Rechnung tragen, die aufgrund ihres vorgerückten Alters für eine

fizierskorps; Kehr, Zur Genesis des königlich-preußischen Reserveoffiziers; Bald, Der deutsche Offizier, insbes. S. 85ff.; Funck, Feudales Kriegertum und militärische Professionalität. 3 9 3 Angaben nach: Absolon, Offizierskorps, hier S.255. Nach Bald (Offizier, S.90) lag der entsprechende Anteil im Jahr 1937 bei 1 5 , 3 % . 3 9 4 Malinowski, Vom König zum Führer, S.34. 3 9 5 Bis 1943 war er bereits auf 7,1 % gefallen. Vgl. Bald, Offizier, S.90. 3 9 6 N o c h am 1 . 9 . 1 9 4 4 betrug der Anteil des Adels bei den zum Generalstab kommandierten und den in der Generalstabsausbildung befindlichen Offizieren 1 5 % . Vgl. Absolon, Offizierskorps, S. 255; Model, Generalstabsoffizier, S. 181 ff.; 202 ff. 397 Vgl. Stumpf, Wehrmacht-Elite, S.282; Preradovich, Die militärische und soziale Herkunft der Generalität des Deutschen Heeres. 398 Führungsgruppe: 4. PD: 25 % ; 45. I.D.: 14,6 % ; 296. I.D.: 1 3 , 9 % ; 221. Sich. D.: 15,6 % ; Korück 580: 0 % . 399 Kerngruppe: 4. PD: 4 1 , 6 % ; 45. I.D.: 1 3 , 1 % ; 296. I.D.: 1 1 , 1 % ; 221. Sich. D.: 2 5 % ; Korück 580: 0 % .

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2. Soldaten

Graphik 2:

Adelszugehörigkeit

4. PzDiv 45. ID 296. ID Führungsgruppe in absoluten Zahlen

221.SichD

Korück 580

4.PzDiv 45.ID 296.ID Kerngruppe in absoluten Zahlen

221.SichD

Korück 580

Frontverwendung nun einfach nicht mehr taugten 4 0 0 . Zuweilen muss die Führung der Sicherungsdivisionen oder Ortskommandanturen geradezu militärischen Traditionsvereinen geähnelt haben, obwohl gerade sie mit militärischen und politischen Aufgaben konfrontiert wurden, die ein junges, bewegliches und vor allem reformbereites Offizierskorps erfordert hätten. N o c h höher war die Adelspräsenz bei der 4. Panzerdivision 4 0 1 . H i e r handelte es sich freilich nicht um „ältere Kavaliere, [ . . . ] die kein sonderlicher Ehrgeiz mehr

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Beispiele: Hartmann, Massensterben, S. 106, 108, 138; Lieb, Täter aus Überzeugung?, S.531 mit Anm.47. Obwohl allein die Positionen von Kommandeur und I a von 24 Offizieren durchlaufen wurden, waren 10 von ihnen adlig; das sind immerhin über 41 %.

2.3 Kader

143

stach" 402 . Im Gegenteil: Die Exklusivität dieses „Vereins" 403 definierte sich vor allem durch eine ungewöhnlich hohe Leistung, die wiederum der sozialen Exklusivität entsprach, die zumindest einen Teil dieser Kader auszeichnete. Für die Vertreter alter Soldatenfamilien, die schon von „zu Hause" mitunter Erfahrung, Selbstbewusstsein oder Charisma mitbrachten 404 , bot sich hier die Chance, an den Habitus, die Leistung und das Selbstverständnis des Offizierskorps traditioneller Prägung anzuknüpfen. Gerade eine Panzerdivision wie die 4. bot eine gesellschaftliche Nische, die diese „elitäre Zirkelbildung" 405 ermöglichte, jenes „entre-nousMilieu" 406 , das die adlige Lebenswelt in einem hohen Maße auszeichnete 407 . Schon den Zeitgenossen fiel auf, dass sich die Offizierslisten „der 4. Panzerdivision, w o man normal von Langermann, von Saucken, von Götz und Schwanenfliess, Graf Moltke, Reichsfreiherr von Gaupp usw. hieß" 408 , teilweise lasen wie ein Auszug des Gotha. Ein Regimentskommandeur aus dieser Division erinnerte sich später, dass er von einem preußischen Prinzen inständig gebeten wurde, ihn von seiner Stellung im rückwärtigen Gebiet „herauszulösen", weil er unbedingt „in meinem Verband den Rest des Krieges mitmachen" wollte 4 0 9 . Hier ging es wohl nicht allein um den Wunsch, wieder in ein vertrautes Sozialmilieu zu kommen oder gar um eine aristokratische Form der inneren Emigration. Attraktiv war vor allem der Elitecharakter dieser Division, der ihr ein gewisses Eigenleben ermöglichte 410 , und auch die Möglichkeit, die Kultur der alten Kavallerietruppe 4 1 1 , seit jeher eine bevorzugte Domäne des Adels, in den motorisierten

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So Friedrich, Gesetz, S.751. So Heinrich Eberbach über das Offizierskorps dieser Division. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 11 vom März 1963, S. lf.: „Unser Pampas". Dass dies nicht immer so war, belegt folgende Quelle, bei der freilich ein Standartenführer der Waffen-SS zu Wort kommt. Hans Ligner, ehemaliger Kommandeur der 17. SS-Panzergrenadierdivision „Götz von Berlichingen", äußerte sich in britischer Kriegsgefangenschaft über den Gen.ltn. Hans Frhr. von Boineburg-Lengsfeld, der 1940 für kurze Zeit die 4. Panzerdivision kommandiert hatte, folgendermaßen: „Boineburg hat zwar jetzt im Krieg das Ritterkreuz bekommen, ist aber völlig degeneriert. Er kam mal zu uns und stellte so dämliche Fragen, dass sein eigener Adjutant ihn unterbrechen musste. Als er drei- oder viermal so dumm dazwischen fragte, da sagte ihm der Adjutant: ,Nun einmal Punkt, Boini-Boini!' Da lächelte er so ganz dämlich und sagte keinen Ton!" PRO, W O 208/4140: C.S.D.I.C. S.R. Report S.R.M. 1220 Information from 19.2.1945. Kroener, Heeresoffizierskorps, S. 655. So Malinowski, Vom König zum Führer, S.48. Wie „stilbildend" dies wirkte, wird etwa daran deutlich, dass ein Regimentskommandeur wie der Oberst Smilo Frhr. von Lüttwitz allein in seinem Stab „noch drei adlige Offiziere, Oblt. v. Heyden, Lt. v. Baumbach und Lt. v. Tiedemann" einsetzte. Vgl. B A - M A , MSg 1/3270: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 13.8.1941. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 30 vom April/Mai 1970, „Müller - Meier Schulze und Konsorten". B A - M A , Ν 10/9: Lebenserinnerungen Smilo Frhr. von Lüttwitz, Bl. 176. Vgl. mit der Bemerkung Eberbachs, dass die Division „ihre Kommandeure und die ihrer Truppenteile ab 1942 großenteils den eigenen Reihen" entnehmen konnte. Neumann, 4. Panzerdivision, S. VI. Symbolisch scheint das Ende dieser Division, die ohne jede direkte Verbindung zum deutschen Machtbereich zunächst im Kurlandkessel, dann im Raum Danzig und schließlich auf der Frischen Nehrung kämpfte, w o sie erst am 9.5.1945 kapitulierte. Vgl. etwa B A - M A , MSg 1/3290: Fritz Farnbacher, Tagebuch für die Zeit vom 1.10.1944-8.5.1945; Haupt, Kurland, S. 196 ff.; Luther, SOS im Panzersturm; Schäufler, 1945 - Panzer an der Weichsel. In den Kavallerie-Regimentern war der Adelsanteil besonders hoch; noch in der Reichswehr lag er bei 47,3 %. Vgl. Bald, Offizier, S. 92.

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2. Soldaten

Verbänden fortzuführen. Nach der enttäuschenden Rolle, welche die Kavallerie im Ersten Weltkrieg gespielt hatte 412 , schien nun die Panzerwaffe wieder eine Gelegenheit zu bieten, an den Ruhm vergangener Tage anzuknüpfen, an den alten „Reitergeist" 413 , der unter dem Aspekt der militärischen Effizienz eigentlich schon längst überlebt schien. Mit einem feinem Gespür für weltanschauliche Unterschiede bemerkte man in der Waffen-SS, dass gerade die Panzerwaffe der Wehrmacht den Ruch des Reaktionären nie ganz los wurde 414 . Manifestierte sich hier bereits die vielbeschworene Distanz zwischen Adel und Nationalsozialismus? Dies allein mit einem Hinweis auf den 20.Juli zu beantworten, würde entschieden zu kurz greifen. Zwar besteht an der weit überproportionalen Präsenz des Adels im deutschen Widerstand kein Zweifel, doch bildeten die Protagonisten dieses Widerstands wiederum nur einen verschwindend kleinen Teil des deutschen Adels. Dass der Dissenz zwischen Adel und Nationalsozialismus längst nicht so groß war, wie nach 1945 gerne hervorgehoben wurde, haben verschiedene Untersuchungen mittlerweile klar belegt 415 . Denn mit der Zäsur von 1918/19 begannen sich auch Mentalität und Verhaltensregeln des Adels zu verändern, in denen Marion Gräfin Dönhoff so etwas wie ein „Sicherheitsgeländer" sah 416 . Bei den Offizieren der 4. Panzerdivision wird dies nicht anders gewesen sein - zumindest nicht bis 1941. Die Wirkung des NS-Regimes, das ihnen die Aussicht auf eine glanzvolle militärische Karriere eröffnet und eine Waffengattung wie die Panzertruppe überhaupt erst geschaffen hatte 417 , war lange ungebrochen. In gewisser Weise entsprach das Selbstverständnis der Panzeroffiziere, jene eigentümliche Mischung aus Stolz und Traditionsbewusstsein 418 , Leistungsfähigkeit und Modernität, dem Doppelcharakter des Nationalsozialismus als einer gleichermaßen „alt-neuen, revolutionär-rückschlägigen Welt" 419 . Trotzdem wäre es falsch, die Unterschiede zwischen den „alten" feudalen und den „neuen" nationalsozialistischen Eliten völlig zu ignorieren. Erinnert sei an den politischen, gesellschaftlichen und teilweise auch wirtschaftlichen Machtverlust des deutschen Adels, der sich seit 1933/34 nicht abschwächte, sondern noch weiter beschleunigte; an das geradezu „antithetische Verhältnis" der NS-Ideologie gegen-

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Vgl. hierzu Storz, Kriegsbild, S . 2 6 9 f f . So der erste Kommandeur der 4. PD, der damalige Gen.mj. Reinhardt, bei einer Kommandeursbesprechung vor dem Krieg. Zit. bei: Ciasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, S. 114. Vgl. Oechelhaeuser, Leuchtspuren, S. 172. A m stärksten durch Malinowski, Vom König zum Führer. Vgl. ferner Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert; Conze, Von deutschem Adel; ders., Adel und Adeligkeit im Widerstand des 20. Juli 1944; ders. (Hrsg.), Adel und Moderne; Walterskirchen, Blaues Blut f ü r Osterreich. Dönhoff, Namen, S. 42. Vgl. etwa Zeidler, Reichswehr und Rote Armee, S. 188ff.; Guderian, Die Panzerwaffe, S. 170; Macksey, Guderian der Panzergeneral, S. 96ff., insbes. S. 101 f. Bemerkenswert etwa das Eingeständnis des evangelischen Militärpfarrers der 4. Pz. Div., „fast alle Kommandeure" hätten im Westfeldzug seine Arbeit „aufs wärmste" unterstützt. Vgl. IfZArchiv, M A 1575: 4. Pz. Div., A b t . I V d (k/ev.), Tätigkeitsbericht f ü r die Zeit v o m 9 . 5 25.6.1940. Mann, D o k t o r Faustus, S. 489. Schon vor 1939 hatte man in der Wehrmacht gefürchtet, die Panzerdivisionen würden sich zu einem „Heer im Heer" entwickeln. Vgl. Caspar/Marwitz/Ottmer, Tradition in deutschen Streitkräften, S.287.

2.3 Kader

145

ü b e r d e m P r e u ß e n t u m 4 2 0 u n d an H i t l e r s tief s i t z e n d e A v e r s i o n e n g e g e n ü b e r d e n V e r t r e t e r n des alten M i l i t ä r a d e l s 4 2 1 . D e r A d e l b l i e b eine „ d e g r a d i e r t e

Macht-

e l i t e " 4 2 2 , d e r sich a u c h d e s h a l b n i c h t eindeutig e i n e m e i n z i g e n p o l i t i s c h e n L a g e r z u o r d n e n lässt, w e i l ein e n t s c h e i d e n d e s K e n n z e i c h e n dieser K l a s s e i h r e H e t e r o g e nität u n d z u d e m ein a u s g e p r ä g t e r I n d i v i d u a l i s m u s w a r e n 4 2 3 . I m m e r h i n ist d e n n auch v o n f ü n f h ö h e r e n O f f i z i e r e n d e r 4. P a n z e r d i v i s i o n b e k a n n t , dass sie sich u n ter d e m E i n d r u c k des K r i e g e s - v o r s i c h t i g f o r m u l i e r t - v o m N a t i o n a l s o z i a l i s m u s e n t f r e m d e t e n 4 2 4 . Ü b e r d e n F r e i h e r r n v o n L a n g e r m a n n e t w a , d e r seit

Winter

1 9 4 1 / 4 2 in einen i m m e r s t ä r k e r e n G e g e n s a t z z u m N S - R e g i m e geriet, b e r i c h t e t e sein K a m e r a d F r e i h e r r v o n L ü t t w i t z im M ä r z 1 9 4 2 4 2 5 : „ W a r d a n n lange bei L a n g e r m a n n . W i r u n t e r h i e l t e n u n s ü b e r die Lage. (Er u [ n d ] sein C h e f Schilling, d e n ich v o n R e i t e r 5 s c h o n gut k a n n t e , sind die e r b i t t e r t s t e n F e i n d e des N a z i s m u s u [ n d ] s c h i m p f t e n m i t l a u t e r S t i m m e . Ich bat sie e t w a s leiser z u s p r e c h e n , d a m i t sie m i r nicht e t w a in s p ä t e r e n K a m p f t a g e n v o n d e r SS a b g e h o l t w ü r d e n ! ) . "

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So Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg?, S.348. Ferner Hildebrand, Hitlers Ort in der Geschichte des preußisch-deutschen Nationalstaates. Zuletzt hierzu: Arnold, Wehrmacht, S.45f. Zitate wie das folgende finden sich häufig in den Goebbels-Tagebüchern: „Die Generale hängen dem Führer zum Halse heraus. Es ist eine seiner schönsten Vorstellungen, nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Er fällt über die gesamte Generalität ein vernichtendes Urteil, das in seiner Schärfe zwar manchmal etwas voreingenommen oder ungerecht ist, aber im großen und ganzen doch wohl zutrifft. Er erklärt mir auch, warum er jetzt im Hauptquartier nicht mehr am großen Mittagstisch ißt. Er kann die Generale nicht mehr sehen; [ . . . ] Alle Generale lügen, sagt er: alle Generale sind treulos, alle Generale sind gegen den Nationalsozialismus, alle Generale sind Reaktionäre." Druck: Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 8, S.265 (Eintrag vom 10.5.1943). Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S.747. Ein solches Beispiel ist etwa der ziemlich unkonventionelle Lebenslauf des Ernst Frhr. von Jungenfeld, genannt „Pampas", weil dieser sich eine Zeitlang als Farmer in Südamerika versucht hatte. Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 11 vom März 1963, „Unser Pampas". Willibald Frhr. v. Langermann und Erlencamp, Smilo Frhr. v. Lüttwitz, Dietrich v. Saucken, Peter Sauerbruch (mehrere Verhöre, kurzfristige Inhaftierung), Georg Reichsritter von GauppBerghaussen (mehrere Verhöre und Kriegsgerichtsverfahren), möglicherweise auch Erich Schneider. Vgl. auch B A - M A , Ν 10/9: NL Smilo Frhr. von Lüttwitz, Lebenserinnerungen, Bl. 144: „Am 3. XI. kam neben Schimer, der auch zum Lt. beförderte Happich wieder zum Rgt. Ich hatte ihn je 1 mal in Frankreich u. im Warthelager bei der Prüfung durchfallen lassen. Nun hatte er beim 3. mal in der Heimat die Prüfung bestanden. Er war nicht von uns zum Offz. vorgeschlagen, sondern als Parteimitglied von einem Gau- oder Kreisleiter, daher meine scharten Prüfungen. Als ich ihm nun gratulierte, sagte er, Herr Oberst, ich habe jetzt alles gelernt, was sie früher beanstandeten. Ich: Das freut mich sehr u. ich wünsche Ihnen alles Gute! Er wurde ein guter Zugführer, war besonders tapfer. Durch seine NS-Verbindung hatte ich mich vorher in seinem Charakter getäuscht." Ferner Seitz, Verlorene Jahre, S. 125, der berichtet, es habe an der Basis der 4. Panzerdivision sowohl überzeugte Nationalsozialisten als auch entschiedene Kritiker dieses Systems gegeben, die freilich in einer Art friedlichen Koexistenz nebeneinander lebten. B A - M A , Ν 10/9: N L Smilo Frhr. von Lüttwitz, Brief vom 20.3.1942. In seinem Tagesbefehl vom 29.12.1941, den Langermann aus Anlass seines Ausscheidens aus der 4. Panzerdivision erließ (IfZ-Archiv, M A 1581), wird Hitler - mit Ausnahme der Grußformel - nicht ein einziges Mal erwähnt. In einem Schreiben Langermanns vom Februar 1942 wird dieser Gegensatz vorsichtig angedeutet, doch schreibt Langermann dann selbst: „Uber die Hauptgründe möchte ich mich schriftlich nicht äußern, vielleicht habe ich den Vorzug, mich mal späterhin mündlich zu äußern." Vgl. IfZ-Archiv, ED 91/9: Schreiben Gen.ltn. Willibald Frhr. von Langermann und Erlencamp an Gen. Leo Geyr Frhr. von Schweppenburg vom 14.2.1942.

146

2. Soldaten

Wie weit aber machte sich diese Kritik im Handeln bemerkbar? Von den Offizieren dieser Division ist nur ein einziger Fall, eines - im Übrigen nichtadligen Generalstabsoffiziers bekannt, den man nach dem 20. Juli wegen seiner Kontakte zu den Verschwörern verhaftete 426 . Schon am einem prominenten Beispiel wie dem der Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen, unter denen der Adel besonders stark vertreten war, zeigte sich, dass Hitler gar „keine neue Generation von Generalen und keine neuen Kommandobehörden an der Front" brauchte, um seine militärischen, aber auch politisch-ideologischen Ziele durchzusetzen 427 . Auch bei der mittleren militärischen Führungsebene 428 blieb ein Fall wie der von Peter Sauerbruch offenbar eine Ausnahme. Doch ging es nicht allein um die prinzipielle Frage der politischen Loyalität, sondern auch um die Frage, wie weit in der Praxis des militärischen Handelns das traditionelle Postulat der Ritterlichkeit noch zählte. Davon aber später. 2.3.1.3 Schulbildung, Zivilberufe Kommen wir zurück zum Sozialprofil unserer Offiziersgruppe; es ist auch an ihrer Schulbildung abzulesen. Bei 71 Offizieren sind wir darüber informiert, welchen Bildungs- oder Berufsabschluss sie erreicht haben; das entspricht einer Quote von knapp 26 Prozent bei der Führungs- und 52 Prozent bei der Kerngruppe. Von den 71 Offizieren dieser ersten Gruppe besaßen 67 Abitur oder einen gleichwertigen Schulabschluss 429 , den fast alle (64) auf einer zivilen Lehranstalt erworben hatten, nur drei dagegen auf einer Kadettenanstalt. Auch damit bestätigt sich, dass die meisten dieser Offiziere den „offiziersfähigen" Schichten entstammte. Die Reichswehr hatte die Auswahlkriterien sogar noch verschärft: Seit 1920 galt das Abitur als unbedingte Voraussetzung zum Offiziersberuf 430 . Auch die Wehrmacht hielt sich zunächst an diesen Grundsatz, erst seit Mitte der 30er Jahre begann man ihn allmählich durch die massenhafte Beförderung von Unteroffizieren zu durchbrechen. Interessanterweise blieb aber Hitlers Entscheidung vom Oktober 1942, mit der er diese Bildungsvoraussetzung dann definitiv aufhob, zumindest für unsere Offiziersgruppe ohne Folgen. Die wenigen Ausnahmen sind rasch aufgezählt 431 : Über die niedrigste Schulbildung verfügte Hans Hüttner (296. ID), der nur eine 426 Yg] Sauerbruch, Bericht eines ehemaligen Generalstabsoffiziers. Verdächtigt wurde auch der ehemalige Divisionskommandeur Erich Schneider, mittlerweile Generalleutnant und Chef des Heereswaffenamts. Das Reichssicherheitshauptamt kam jedoch am 1 8 . 9 . 1 9 4 4 zu den Schluss, dass „die Beschuldigungen [ . . . ] zu Unrecht erhoben" worden seien. Bradley/Schulze-Kossens (Hrsg.), Tätigkeitsbericht des Chefs des Heerespersonalamtes, S.258. 427 v g l . hierzu Hürter, Konservative Akteure, S. 42; ders., Heerführer. 4 2 8 D e r institutionelle Spielraum dieser Gruppe war natürlich deutlich kleiner als bei den Oberbefehlshabern. D o c h war diese Gruppe anders sozialisiert, so dass es kein Zufall war, dass es gerade die „Obristen" waren, die als die eigentlichen Schrittmacher des militärischen Widerstands galten. 4 2 9 D a der Abschluss des Realgymnasiums seit 1900 dem des humanistischen Abiturs gleichgestellt war, wurde auf eine diesbezügliche Unterscheidung verzichtet. 4 3 0 Vgl. Bald, Offizier, S. 101 ff.; Demeter, Offizierskorps, S.109ff.; Absolon, Wehrmacht, Bd. II, S.41. 4 3 1 Hüttner hatte sich im Ersten Weltkrieg die Goldene Tapferkeitsmedaille erworben. Vgl. Β Α Μ Α , Pers. 6 / 1 4 1 8 : Personalakte Hans Hüttner; Rosenwald, Generalmajor Hans Hüttner. BA, Z N S , Heer 26082: Personalakte Alfred Burgemeister; B A , Z N S , Heer 48286: Personalakte Erich Schlemminger; B A - M A , Pers. 6 / 1 9 5 4 : Personalakte Martin Strahammer.

147

2.3 Kader

Graphik 3: 13

Schulbildung •

13

m

Realgymnasium



Gymnasium



Studium



Sonstiges

3

4.PzDiv

45. ID

296. ID

2

221.SichD Korück580 jfl.

Führungsgruppe in absoluten Zahlen

4. PzDiv 45. ID 296. ID Kerngruppe in absoluten Zahlen



Realgymnasium



Gymnasium



Studium

221.SichD Korück 580

Volksschule besucht hatte. Der gelernte Maurer und ehemalige Vizefeldwebel hatte sich bereits während des Ersten Weltkriegs als „Tapferkeitsoffizier" für diese Laufbahn qualifiziert. Auch Alfred Burgemeister und Erich Schlemmiger (beide 45. ID), beide erheblich jünger, verfügten lediglich über einen Volksschulabschluss, der freilich schon in den 30er Jahren durch den Besuch einer Fachschule des H e e res (Burgemeister) bzw. einer Gewerbefachschule (Schlemminger) ergänzt wurde. Beide waren typische Vertreter jener Unteroffiziere, denen bereits in der Phase der Aufrüstung der Laufbahnwechsel glückte. Martin Strahammer (4. PD) schließlich hatte eine „Bürgerschule" besucht, w u r d e Volksschullehrer und qualifizierte sich dann während des Ersten Weltkriegs in der k.u.k.-Armee zum Offizier. Bei diesen vier Beispielen fällt der Karrieresprung schon in die Zeit vor 1942, was beweist, wie viel Zeit die von Hitler dekretierte soziale Öffnung des Offizierskorps

148

2. Soldaten

b r a u c h t e 4 3 2 . D i e O f f i z i e r e u n s e r e s S a m p l e s b e s a ß e n n o c h e i n e n g e m e i n s a m e n , allg e m e i n v e r b i n d l i c h e n B i l d u n g s - u n d E r f a h r u n g s h o r i z o n t u n d sie w u r d e n z u s a m m e n g e h a l t e n v o n e i n e r w e l t a n s c h a u l i c h e n „ K l a m m e r , die bis d a h i n das O f f i z i e r s k o r p s ü b e r die i n d i v i d u e l l e soziale H e r k u n f t h i n a u s v e r b u n d e n h a t t e " 4 3 3 . N o c h ein P u n k t fällt in diesem Z u s a m m e n h a n g auf: Bei j e n e n 71 O f f i z i e r e n , ü b e r d e r e n Bildungsabschlüsse w i r i n f o r m i e r t sind, hatten i m m e r h i n 1 2 (bzw. 1 7 P r o z e n t ) ein S t u d i u m absolviert. Diese a u f f a l l e n d h o h e Zahl ist freilich w e n i g e r A u s d r u c k einer A k a d e m i s i e r u n g des damaligen O f f i z i e r s k o r p s , s o n d e r n eher seiner gesellschaftlichen D e k l a s s i e r u n g i n f o l g e des Ersten W e l t k r i e g s 4 3 4 . Ein b e s o n d e r s prägnantes Beispiel ist der später h o c h d e k o r i e r t e D r . m e d . dent. K a r l M a u s s (4. P D ) , d e r nach seinem A b s c h i e d i m J a h r 1 9 2 2 Z a h n a r z t g e w o r d e n w a r 4 3 5 : E r s t 1 9 3 4 hatte er sich reaktivieren lassen, w ä h r e n d des Z w e i t e n W e l t k r i e g s w u r d e er als „ M a u s s m i t d e m L ö w e n h e r z e n " z u einem der h o c h d e k o r i e r t e s t e n S o l d a t e n der W e h r m a c h t . Technisch versierte O f f i z i e r e w i e ein Dr.-Ing. A x e l v o n H o r n (45. I D ) 4 3 6 o d e r D i p l . - I n g . Erich S c h n e i d e r (4. P D ) 4 3 7 blieben j e d o c h A u s n a h m e n 4 3 8 , o b w o h l „die W a n d l u n g des O f f i z i e r s v o m .ritterlichen K ä m p f e r ' des 1 9 . J a h r h u n d e r t s z u m , K r i e g s t e c h n i k e r des Industriezeitalters'" 4 3 9 viel h ä u f i g e r eine technische A u s b i l d u n g e r f o r d e r t hätte. I m Ü b r i g e n geben die z i v i l e n B e r u f e , die einige dieser O f f i z i e r e z e i t w e i s e ausgeü b t haben, a u c h A u s k u n f t ü b e r i h r e soziale P r ä g u n g 4 4 0 . Bei d e n j e n i g e n , die sich 432

433 434

435

436

437

438 439 440

Schon 1942 ließen sich nur noch 21 % den oberen gesellschaftlichen Schichten zuordnen, während 51 % der mittleren und 2 8 % der unteren entstammten. Vgl. Kroener, Heeresoffizierskorps, S.670. Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 874. Die Zahl derer, die in der Zwischenkriegszeit einen zivilen Beruf ausgeübt hatten, war mit 24 sogar noch erheblich größer. Neben neun Polizeioffizieren lassen sich folgende Tätigkeitsfelder nachweisen: Lehrer (Benke, Bertele, Seizinger), Landwirt (Castell-Castell (auch SA), Christern, Pannwitz (auch SA)), Bankier (Breitkopf, Seewald), Beamter (Grünewald, Rüling), Buchprüfer (Klett), Verlagsleiter (Meesmann), Zahnarzt (Mauss) und schließlich SA (Betzel) und SS (Braemer). Mauss' Lebenslauf ist in mancher Hinsicht symptomatisch: Im Ersten Weltkrieg als Pilot schwer verletzt, wurde er 1922 aus der Reichswehr entlassen und arbeitete bis 1925 als Kaufmann in Oberschlesien. Danach begann er mit dem Studium der Zahnmedizin und erhielt 1928 die Approbation zum Zahnarzt. Angaben zum Lebenslauf in: Karl Mauss, Zahnanomalien bei Idioten und Imbezillen, Diss. Med. Dent., Hamburg 1928 sowie B A - M A , Pers. 6/741: Personalakte Dr. Karl Mauss. Horn hatte neben seinem Dienst im Heereswaffenamt während der Jahre 1930 bis 1935 an der Technischen Hochschule studiert. Vgl. B A - M A , MSg 3-217/1: Linzer Turm 5 (1962), Nr. 18, „Dr.-Ing. Axel von Horn". Ungewöhnlich war auch die Karriere des Gen.ltn. Erich Schneider (1894-1980), der nach seinem Kommando über die 4. PD die Leitung des Heereswaffenamts übernahm. Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 63 vom Dezember 1980. In der Wehrmacht galt ein studierender Offizier als „ein Widerspruch in sich". Vgl. Bald, Offizier, S. 108. Kroener, Heeresoffizierskorps, S. 659. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich einige Offiziere aus unserem Sample schon vor 1945 als Militärschriftsteller betätigten; zum Teil blieb das beschränkt auf das Verfassen und Kommentieren militärischer Dienstvorschriften, die freilich weite Verbreitung fanden, wie im Falle von Fritz Kühlwein, Felddienst-ABC für den Schützen, Berlin 1932; ders., Unterführer-ABC, Berlin 5 1934; ders., Die Gruppe im Gefecht, Berlin 1934/ 10 1938; ders., Gefechtstaktik des verstärkten Bataillons, Berlin ^1936; ders., Schützenzug und Kompanie im Gefecht, Berlin 5 1940. Andere wie Kurt Agricola meldeten sich auch bei politischen Themen zu Wort: [Kurt] Agricola, Der rote Marschall. Tuchatschewskis Aufstieg und Fall, Berlin 1939. Agrícolas Schrift gibt nicht nur Hinweise auf seine politische Einstellung, insbesondere seinen entschiedenen Antibolschewismus, sondern auch auf seine überraschend intimen Kenntnisse der sowjetischen Ver-

2.3

Graphik 4:

Kader

149

Tätigkeiten in der Zwischenkriegszeit •

:

29

Soldat

Η Polizei •

Sonstiges



Soldat

20

11

4 4

3 3 1 4.PzDiv

45. ID

296. ID

221.SichD

2 π Korück 580

Führungsgruppe in absoluten Zahlen

13

Η Polizei @ Sonstiges

•i

1

1

4. PzDiv 45. ID 296. ID Kerngruppe in absoluten Zahlen

221.SichD

Korück 580

nach dem Ersten Weltkrieg im Zivilleben bewähren mussten, finden sich oft schwierige, manchmal auch kümmerliche Lebenswege, aber kaum verkrachte Existenzen. J e n e r Kreis der „Gescheiterten und Marginalisierten, Fanatiker und nie zivilisierten Soldaten, Abenteurer und A b s t e i g e r " 4 4 1 , der gewissermaßen „zwischen den Klassen" stand und der zum bevorzugten Rekrutierungspotential der frühen N S D A P , mitunter auch der Waffen-SS wurde 4 4 2 , taucht im höheren O f f i zierskorps unserer Divisionen sehr selten auf 4 4 3 . A u c h das bestätigt, dass es sich im

441 442 443

hältnisse und schließlich auch auf seine politischen Spekulationen, die er an Aufstieg und Fall des „roten Marschalls" knüpfte. Eine weitgehend unpolitische Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse bot: Hans Christern, Die „Roten Teufel" und ihr Kommandeur, München 1941. Herbert, Wer waren die Nationalsozialisten?, S . 2 3 . Vgl. hierzu Wegner, Hitlers Politische Soldaten, S . 2 3 0 f f . Im Falle dieser Gruppe sind dies Clemens Betzel und Helmuth von Pannwitz.

150

2. Soldaten

Falle unseres Samples um eine relativ homogene soziale Gruppe handelt, die nicht nur von ihrer Herkunft, sondern auch von ihrer zivilen wie von ihrer militärischen Sozialisation eher den Vorstellungen und Anforderungen der militärischen als denen der politischen Führung entsprach. 2.3.1.4 Konfession, regionale Herkunft, Familienstand Diese drei Aspekte besaßen vor 1945 einen verhältnismäßig hohen gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert. Für nicht wenige Offiziere, gerade die aktiven, waren die christliche Religion, die Bindung an eine Region und damit auch an ein angestammtes Herrscherhaus entschieden mehr als nur Konvention oder Tradition, so dass auch diese Aspekte Berücksichtigung verdienen. 2.3.1.4.1 Konfession Bei insgesamt 73 Offizieren der Führungs- (26 Prozent) sowie 29 Offizieren der Kerngruppe (53 Prozent) ließ sich ermitteln, welcher Konfession sie angehörten. Von den 73 Offizieren der Führungsgruppe waren 54 evangelisch und 17 katholisch, während sich zwei als „gottgläubig" bezeichneten - also mit einem seit N o vember 1936 amtlich anerkannten Begriff, mit dem man damals seinen Atheismus zu kaschieren suchte. Verglichen mit den konfessionellen Verhältnissen im damaligen Deutschen Reich - 1939 wurden 48,6 Prozent Protestanten und 45,6 Prozent Katholiken gezählt 4 4 4 - sind die Protestanten in unserer Führungsgruppe mit 74 Prozent also deutlich über-, die Katholiken mit 23 Prozent hingegen klar unterrepräsentiert. Dagegen entsprechen die 3 Prozent „Gottgläubigen" genau dem Reichsdurchschnitt (3,1 Prozent). N o c h höher liegt der Anteil der Protestanten in der Kerngruppe·. Von 29 Offizieren waren 23 Protestanten, aber nur sechs Katholiken, während sich keiner für „gottgläubig" hielt; dies entsprich einem Verhältnis von 79 zu 21 Prozent. Auch in diesem Fall sind die Unterschiede zwischen Führungs- und Kerngruppe Abbild einer umfassenderen historischen Entwicklung. 1907 hatten sich 83 Prozent der deutschen Offiziere zum protestantischen, aber nur 16,6 Prozent zum katholischen Glauben bekannt 4 4 5 . Diese protestantische Dominanz im preußisch-deutschen Offizierskorps, jenes alte Bündnis zwischen Thron, Kirche und Militär 4 4 6 , hat sich in der Kerngruppe naturgemäß stärker konserviert als in der größeren (und heterogeneren) Führungsgruppe. Dies entsprach dem allgemeinen Trend: J e länger der Krieg dann dauerte, desto stärker nivellierten sich die konfessionellen Unterschiede des Offizierskorps 4 4 7 . Interessant sind schließlich die Fälle jener beiden Offiziere, die sich als „gottgläubig" bezeichneten. N o c h 1934 hatte der Reichskriegsminister Werner von Blomberg Kirchenaustritte von Wehrmachtsangehörigen als „unerwünscht" bezeichStatistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. 59. Jg. 1941/42, Berlin 1942, S.26: 4 8 , 6 % Protestanten, 4 5 , 7 % Katholiken, 3 , 1 % „Gottgläubige", 2 , 6 % Sonstige. Angaben nach: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Jg. 1941/42, Berlin 1942, S. 26. 4 4 5 Bald, Offizier, S. 77. 4 4 6 Vgl. auch Bald, Offizier, S. 74ff. Ferner ders., Katholiken und Protestanten im deutschen Offizierskorps, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 29 (1980), S.53f.; Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 871. 447 Vgl, Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S. 873. 444

2.3

Graphik 5: 19

151

Kader

Konfession •

19

Evangelisch

H Katholisch

8



Gottgläubig



Evangelisch



Katholisch



Gottgläubig

8

IL! DI 8. Eine anschauliche Vorstellung über Aufbau, Innenleber und Schicksal einer solchen Freiwilligen-Einheit vermitteln die Memoiren von: Mann, Die Ost-Reiterschwadron 299. 3 8 4 Die Truppe konnte auch deshalb so schnell auf Wagners Befehl reagieren, weil dieser bereits im Juli 1941 eine entsprechende Trennung der Kriegsgefangenen verfügt hatte, bei der auch Aspekte wie Nationalität oder Einstellung eine Rolle spielten. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1564/31, N O K W 2423: O K H / G e n S t d H , Az. Gen. z.b.V. O.b.d.H., GenQu, A b t . K . Verw., Nr. II/ 4590/41 geh., Weisung betr. „Russische Kriegsgefangene" vom 24.7.1941. 376 377

624

5. Verbrechen

Beschäftigung von Köchen, Fahrern oder „Leib-Russen", es ging um den systematischen Aufbau von bewaffneten

Freiwilligen-Einheiten, die ausschließlich im Hin-

terland zum Einsatz kommen sollten. Bereits fünf Tage später befahl die 221. Sicherungsdivision, „Pioniere, Funker, Ukrainer oder Weißruthenen, die reiten können", zu melden 3 8 5 . Wie sehr sie an ihrem Einsatz interessiert war, belegt die Chronologie: Als am 16. November 1941 auch die Sicherungsdivisionen die Erlaubnis zur Aufstellung je einer „Reiterhundertschaft" aus Kriegsgefangenen erhielten 386 , existierte in der 221. bereits eine solche Einheit 3 8 7 . N o c h ungewöhnlicher war die F o r mierung „russischer" Pionier-Kompanien 3 8 8 . Wie zügig dies ging, erkennt man auch an der „Verrechtlichung" ihres Einsatzes. Schon bald folgte eine Fülle einschlägiger Vorschriften - über den Status dieser „Freiwilligen" 3 8 9 , über ihre Behandlung 3 9 0 , ihren Sold: „8 Rubel täglich", bei Verheirateten „ein Familiengeld von täglich 10 R u b e l " 3 9 1 , und nicht zuletzt über einen Aspekt, der alle Soldaten brennend interessierte: ihre Verpflegung. In einer Welt, in der täglich Tausende an Hunger starben, definierte sich der soziale Status auch über den Inhalt des K o c h geschirrs. Uniformen oder Orden schienen demgegenüber als zweitrangig 3 9 2 . Wenn

385 386 387

388

389

390

391

392

IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt. I b, Kriegstagebuch, Eintrag vom 11.10.1941. Hoffmann, Ostlegionen, S. 21. IfZ-Archiv, MA 1668: Dulag 203, Meldung an 221. Sich. Div. betr. „Kosaken-Hundertschaft" vom 27.10.1941; IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Inf. Div., Abt.Ib, Kriegstagebuch, Eintrag vom 25.10.1941; IfZ-Archiv, MA 1666: Div. Nachsch. Führer 350, „3. Bericht über den Stand der Aufstellung der Reiterhundertschaft aus Kriegsgefangenen" vom 7.11.1941; IfZ-Archiv, MA 1667: Div. Nachsch. Führer 350, „Abschlußbericht über die Aufstellung der Reiterhundertschaft aus Kriegsgefangenen" vom 22.11.1941. Ferner Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 8, S. 103. Ab November 1941 begann die 221. Sich. Div. aus gefangenen „russischen Pionieren - Ukrainern, Wolgadeutschen - " Pionier-Kompanien zu formieren. BA-MA, RH 26-221/15: 221. Sich. Div., Abt. I a, Befehl vom 25.11.1941. IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Abt.Qu./Ib, Anordnung betr. „Personelle Auffüllung der Hundertschaften bei Feldgend.-Abt.581 und den Wach-Batlen." vom 25.4.1942 sowie ebda., Korück 580, Abt. III, Anordnung betr.: „Ausdehnung der deutschen Kriegsgerichtsbarkeit auf mit der Waffe eingesetzte Landeseinwohner" vom 7.5.1942, die über die Entscheidung des OKW informierte, „daß die zum Kampf gegen den Bolschewismus mit der Waffe eingesetzten Landeseinwohner als Truppe anzusenen und zur Aufrechterhaltung der Mannszucht der Kriegsgerichtsbarkeit unterstellt sind." Dasselbe gelte auch für die verschiedenen Freiwilligenverbände, wie etwa die Georgische oder Armenische Legion und die im Ordnungsdienst eingesetzten Landeseinwohner, sowie für die ständig als Kraftfahrer im Heeresgefolge dienenden Russen, „auch wenn ihnen keine Waffen übergeben sind. [...] Mit den nunmehr der deutschen Kriegsgerichtsbarkeit unterstellten Landeseinwohnern ist bei strafbaren Handlungen in gleicher Weise zu verfahren wie bei strafbaren Handlungen deutscher Wehrmachtsangehöriger. Es findet das deutsche Strafrecht Anwendung." Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt.I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 161/41" vom 18.11.1941, wo es u.a. heißt, dass sowjetische Kriegsgefangene „als Pferdewärter, Kraftfahrer, Köche, Putzer usw. bei Verlegungen aus [den sowjetischen] besetzten Gebieten" nicht ins Reichsgebiet oder in andere besetzte Gebiete mitgeführt werden dürften. IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Abt. Qu., Anordnung betr. „Aufstellung neuer Hundertschaften im rückwärtigen Armeegebiet" vom 21.5.1942. Vgl. auch den positiven Erfahrungsbericht in: PA-AA, R 60705: AOK 2, Abt. I c/VAA, Schreiben an Legationsrat von Rantzau vom 10.3.1942. Noch im Februar 1942 wollte das OKH den sowjetischen Freiwilligen nur Leistungsabzeichen wie das Sturm- oder Verwundetenabzeichen zugestehen, nicht aber Kriegsauszeichnungen wie das Eiserne Kreuz. Stattdessen schuf man spezielle Orden für die Angehörigen der Sicherungshundertschaften. IfZ-Archiv, MA 1591: H.Gr. Mitte, Abt.IIa, Fernschreiben an Pz. AOK 2 vom 21.2.1942; IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Fernschreiben vom 7.5.1942, betr. „Vorschläge zur Belohnung und Auszeichnung von Russen gemäss Fernschreiben AOK 2/O.Qu./Qu.2 vom 5.5.1942." Generell hierzu Absolon, Wehrmacht, Bd. VI, S.502f.

5.3 Kriegsgefangene II: Hinterland

625

die 2 . A r m e e s c h o n i m D e z e m b e r 1 9 4 1 d a r a u f drang, eingestellte K r i e g s g e f a n g e n e nicht allein m i t „ B e u t e - B e s t ä n d e n " o d e r „Speiseresten" z u e r n ä h r e n , s o n d e r n a u c h m i t „ T r u p p e n v e r p f l e g u n g " 3 9 3 , d a n n w a r genau dieser P u n k t - s o f r e m d dies h e u t z u t a g e a n m u t e n m a g - A u s d r u c k ihrer E m a n z i p a t i o n 3 9 4 . D a s soll n i c h t heißen, dass M i s s v e r s t ä n d n i s s e u n d S p a n n u n g e n z w i s c h e n d e n beiden u n g l e i c h e n P a r t n e r n a u s g e b l i e b e n w ä r e n . D i e U n t e r s c h i e d e in p u n k t o H e r kunft, Sozialisation u n d M e n t a l i t ä t w a r e n g r o ß ; i m R ü c k w ä r t i g e n

Heeresgebiet

M i t t e e m p f a h l m a n i m M a i 1 9 4 2 , d e n eingestellten K r i e g s g e f a n g e n e n - G r u p p e n j e weils „ e i n e n V - M a n n b e i z u g e b e n " 3 9 5 , w ä h r e n d sich ein O b e r l e u t n a n t d e r 2 2 1 . Sic h e r u n g s d i v i s i o n ü b e r die „völlig u n z u l ä n g l i c h e " S i c h e r u n g einer B r ü c k e e m p ö r t e 3 9 6 : „ D i e W a c h m a n n s c h a f t e n w a r e n i m W a c h l o k a l auf 4 - 5 Z i m m e r verteilt, z . T . schlafend, z . T . beim Essenzubereiten, der W a c h h a b e n d e beim Rasieren, und die ü b r i g e n b u m m e l t e n ( o h n e [das K o p p e l ] u m g e s c h n a l l t ) u m h e r - ein tolles B i l d d e r U n o r d n u n g einer W a c h e . V o n K a m p f - u n d E i n s a t z b e r e i t s c h a f t k o n n t e g a r keine R e d e sein. [ . . . ] E i n U k r a i n e r p o s t e n s t a n d m i t d e m G e w e h r l a u f n a c h u n t e n u n d h a t t e d e n M a n t e l u m g e h ä n g t ; eine r i c h t i g e R e v o l u t i o n s f i g u r ! " E s s p r i c h t f ü r sich, w e n n die 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n 3 9 7 u n d d e r K o r ü c k 5 8 0 3 9 8 den Einsatz der Freiwilligen d e n n o c h insgesamt ausgesprochen positiv bewerteten. G e r a d e ein V e r b a n d w i e d e r K o r ü c k 5 8 0 , d e r in d e r K r i s e des D e z e m b e r s 1 9 4 1 m i t

393

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B A - M A , R H 20-2/1445: A O Κ 2, O . Q u . / Q u . 2, Meldung an die H.Gr. Mitte betr. „Freimachung von Soldaten durch vermehrte Einstellung von Kriegsgefangenen in die Truppe" vom 20.12.1941. Die 221. Sich. Div. war damals der 2. deutschen Armee unterstellt. Dies wurde dann nochmals definitiv im Mai 1942 klai gestellt. Vgl. IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Abt. Qu., Anordnung betr. „Aufstellung neuer Hundertschaften im rückwärtigen Armeegebiet" vom 21.5.1942: „Die Hundertschaften erhalten die gleichen Verpflegungssätze wie die deutschen Truppen." Vgl. hierzu auch Rass, „Menschenmaterial", S.364. IfZ-Archiv, M A 1670: Bfh. im Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I a, Befehl an die 221. Sich. Div. vom 3.5.1942. Die Partisanen wiederum wandten sich mit speziellen Aufrufe an die Kollaborateure, u.a. auch direkt an die der 221. Sich. Div. Druck: Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S. 717f. (Doc. 30). IfZ-Archiv: MA 1670: Meldung Oberleutnant Heim an 221. Sich. Div., o . D . Vgl. ferner etwa IfZ-Archiv, MA 1593: 4. Pz. Div., Abt. I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 244" vom 24.7.1942: „Es häufen sich die Meldungen über Entweichungen von Ukrainern, die aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und bei Welirmachtdienststellen beschäftigt sind. In den meisten Fällen handelt es sich bisher um Ukrainer, die nicht bei der kämpfenden Truppe eingesetzt sind. U m dem Umsichgreifen solcher Entwicklungen vorzubeugen, ist erhöhte Beaufsichtigung auch der aus der Kriegsgefangenschaft entlassenen, als Hilfspolizisten, Dolmetscher, im Sicherheitsdienst usw. eingesetzten Ukrainer erforderlich. Den unterstellten Einheiten ist daher schärfste Bewachung aller eingesetzten Ukrainer, insbesondere das Mitführen schußbereiter Waffen durch die Wach- und Begleitmannschaften zur Pflicht zu machen." IfZ-Archiv, M A 1669: 221. Sich. Div., Abt.I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 10/42" vom 6.2.1942. B A - M A , R H 26-221/15: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 12.12.1941. IfZ-Archiv, MA 1669: 221. Sich. Div., Abt.I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 10/42" vom 6.2.1942. Vgl. auch mit dem ebenfalls positiven Eindruck der 2. Armee, in deren Rahmen die 221. Sich. Div. wenig später eingesetzt wurde. B A - M A , R H 20-2/1445: A O K 2, O . Q u . / Q u . 2, Meldung an die H. Gr. Mitte betr. „Freimachung von Soldaten durch vermehrte Einstellung von Kriegsgefangenen in die Truppe" vom 20.12.1941. Ferner IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Abt. Qu., Meldung betr. „1./Turkestan. Inf. Btl. 450" an A O K 2 vom 30.6.1942: „Die Turkestaner sind wegen ihrer eingewurzelten Abneigung gegen den Bolschewismus und in ihrem Streben nach nationaler Selbständigkeit sehr Brauchbare Mitkämpfer, wenn sie von Offizieren gefühlt werden, die sich mit voller Hingabe dieser schwierigen Aufgabe zu widmen entschlossen sind."

626

5. Verbrechen

g e r a d e m a l 8 0 0 M a n n 3 9 9 ein B e s a t z u n g s g e b i e t v o n d e r G r ö ß e Belgiens k o n t r o l l i e r e n s o l l t e 4 0 0 , w u s s t e , w a s e r a n d e n K r i e g s g e f a n g e n e n h a t t e . D a m a l s b e g a n n er s o g e n a n n t e „ k a u k a s i s c h e " R e i t e r - H u n d e r t s c h a f t e n a u f z u s t e l l e n - „ k a u k a s i s c h " , weil n u r die T u r k s t ä m m e u n d K o s a k e n „in d e n A u g e n n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e r R a s s e d o g m a t i k e r die P r i v i l e g i e r t e n u n t e r d e n s o n s t als P a r i a s b e h a n d e l t e n

Sowjet-

v ö l k e r n " w a r e n 4 0 1 . I n W i r k l i c h k e i t aber h a n d e l t e es sich hier a u c h u m U k r a i n e r , W e i ß r u s s e n u n d R u s s e n 4 0 2 , die n u n „ z u r P a r t i s a n e n b e k ä m p f u n g in a b g e l e g e n e n G e b i e t e n e i n g e s e t z t w e r d e n " sollten. A u c h d a m i t eilte d e r K o r ü c k d e n A n o r d nungen der Heeresführung weit v o r a u s 4 0 3 . N o c h Anfang April 1 9 4 2 wollte der O b e r b e f e h l s h a b e r d e r H e e r e s g r u p p e M i t t e , G e n e r a l f e l d m a r s c h a l l v o n K l u g e , dass die F r a g e d e r F r e i w i l l i g e n - V e r b ä n d e „an O K H n i c h t gestellt w i r d " 4 0 4 . D a b e i e n t s t a n d e n d o c h d a m a l s allein in d i e s e m K o r ü c k , das n u n in seinen L a g e r n r e g e l r e c h t e W e r b e k a m p a g n e n „ f ü r d e n E i n t r i t t in die S i c h e r u n g s h u n d e r t s c h a f t e n "

eröffne-

t e 4 0 5 , i n s g e s a m t 14 „ H u n d e r t s c h a f t e n " aus K r i e g s g e f a n g e n e n 4 0 6 . O h n e sie w a r d e r K a m p f gegen die P a r t i s a n e n n i c h t m e h r m ö g l i c h .

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IfZ-Archiv, M A 885: Korück 580, Abt. Qu. op., Weisung vom 12.12.1941; der Korück 580 verfügte damals über eine Feldgendarmerie-Abteilung, eine russische „Reiter-Hundertschaft", zwei Wach-Bataillone, sechs Ortskommandanturen, drei Kriegsgefangenenlager sowie ein Feldpostamt. Vgl. hierzu Kap. 3.4. B A - M A , R H 20-2/1453: Korück 580, Kdt., „Lagebericht" vom 21.1.1942. Neulen, An deutscher Seite, S.323. Ferner Hoffmann, Ostlegionen, S.24f. Ferner IfZ-Archiv, MA 1593: 4. Pz. Div., Abt. I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr.254" vom 18.8.1942: „ O K H verlangt Angabe, wie viel Kgf. an tatarisch sprechenden Tschuwaschen, Mari, Mordyinen, und Udmurten sich im Operationsgebiet befincfen." Ende Juni 1942 registrierte der Korück dann in einem offiziellen Bericht diese Hilfskontingente unter ihrer wirklichen Nationalität, als Russen, Ukrainer und Turkestaner. IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" vom 28.6.1942. Vgl. auch Kroener, Die Personellen Ressourcen, S. 986; Hoffmann, Kaukasien 1942/43, S.44. Ferner Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 7, S. 226 (Eintrag vom 31.1.1943). Am 9.1.1942 hatte der O . Q u . I im GenStdH, Gen. Paulus, den Armeen lediglich die Aufstellung je einer Hundertschaft aus „zuverlässigen, entlassenen Kriegsgefangenen und Landeseinwonnern" erlaubt. Am 24.3.1942 untersagte der Generalstabschef Halder jedoch „die Neuaufstellung von Kampf- und Sicherungsverbänden aus Landeseinwohnern im Operationsgebiet im Osten"; genehmigt waren nur Einheiten aus kaukasischen Ethnien. Vgl. Hoffmann, Ostlegionen, S. 21 ff. B A - M A , R H 21-2/333: Pz. A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Anlage: „Besprechung am 8.4.1942 bei Heeresgruppe Mitte durch O.B. H.Gr, in Anwesenheit des Chefs der Op. Abt. und des GenQu mit den O.B. der Armeen", o . D . Allerdings trug das O K H dieser Entwicklung am 15.12.1942 durch die Einrichtung einer Stelle eines Generals der Osttruppen beim O K H Rechnung. Vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd. VI, S. 194. IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Abt. Qu./I b, Anordnung betr. „Personelle Auffüllung der Hundertschaften bei Feldgend.-Abt.581 und den Wach-Batlen." vom 25.4.1942; ebda., Korück 580, Abt. Qu., Befehl an die unterstellten Kriegsgefangenenlager vom 29.6.1942: „Aus den Sicherungshundertschaften der zugeteilten Wach-Komp. sind je Lager 5 besonders geeignete Angehörige der Sicherungshundertschaften auszusondern, die als Werber für den Eintritt in die Sicherungshundertschaften unter den neu anfallenden Kgf. einzusetzen sind." IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" vom 28.6.1942. Wie groß die Erfahrung des Korück 580 war, wird auch daran deutlich, dass diese Dienststelle regelrechte Lehrgänge über „Behandlung und Ausbildung landeseigener Kampfverbände" organisierte. Druck einer entsprechenden Verfügung des A O K 2 vom 24.9.1942 in: Mann, OstReiterschwadron 299, S.77.

5.3 Kriegsgefangene II: Hinterland

627

Bei den Fronteinheiten blieben „landeseigene" Kombattanten hingegen Exoten. Die 4. Panzerdivision wurde seit 1941 von einigen „Wolga-Deutschen" begleitet 407 , die 45. ID von einem ehemaligen Angehörigen „der kaiserlichen] russischen] Armee", den sie bereits im Juni 1941 „aus dem sowjetischen Gefängnis in BrestLitowsk befreit" hatte 4 0 8 . Erst im Herbst 1942 begann die 4. Panzerdivision mit einer Sicherungskompanie aus Kriegsgefangenen (84) zu experimentieren - kontrolliert von deutschem Stammpersonal 4 0 9 und nu:' im rückwärtigen Divisionsgebiet! Aufgrund von Hitlers Starrsinn besaß der Au:"bau einer sowjetischen Freiwilligen-Bewegung an der Front von vorneherein kei ie Chance. Auf einige grundsätzliche Probleme, die diese ungewöhnliche Kooperation aufwerfen musste, soll hier nur kurz eingegangen werden. Die Frage nach der „Freiwilligkeit" 4 1 0 der sowjetischen Kollaborateure ist ebenso komplex, wie die nach den Motiven, welche sie mit ihrem Dienst für die Deutschen verbanden. Auch andere Fragen: Wie weit profitierten die Deutschen von dieser Zusammenarbeit 4 1 1 ? Wie gingen sie mit dem Vertrauen und dem Engagement um, das ihnen ihre ehemaligen Gegner entgegenbrachten?, bedürften schon deshalb einer ausführlichen Erörterung, weil hier individuelle Konstellationen eine denkbar große Rolle spielten. Gleichwohl lassen sich doch einige übergreifende Strukturmerkmale dieser Kooperation erkennen - etwa das Prinzip der Ungleichheit, das das Verhältnis zwischen den sowjetischen Kollaborateuren und ihren deutschen Vorgesetzten prägte. Diese hatten ihre ehemaligen Gegner völlig in der Hand. Waren sie unzufrieden mit ihren „fremdländischen" Soldaten, dann war ihr „Heeresgefolge-Verhältnis" 4 1 2 rasch zu Ende; sie wurden dann wieder zu Kriegsgefangenen 413 . Denn

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B A - M A , R H 27-4/116: I./Schtz. Rgt. 33, Meldung an das Schtz. Rgt. 33 vom 18.9.1941: „Uberall ist es aufgefallen, dass die Wolgadeutschen in vorderer Linie kämpfend, außerordentlich tapfere und gute Soldaten sind, die als Freiwillige am Feldzug weiterhin teilnehmen. Einzelne Soldaten haben so außerordentliche Einzelleistung en vollbracht, daß sie bei Reichszugehörigkeit zweifellos mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden wären." Dieser wurde dann neun Monate von der Division offiziell als Dolmetscher bestätigt. IfZ-Archiv, M A 1622: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht f i r die Zeit vom 1.2.-12.3.1942. Neumann, 4. Panzerdivision, S.526f. Da dieser Aspekt im Einzelnen sehr schwer zu beurteilen ist, wurde dieser Begriff bislang bewusst nicht in Anführungszeichen gesetzt. Wie ambivalent die militärische Leistungskraft der „landeseigenen" Verbände sein konnte, die zudem sehr stark durch die allgemeine Kriegslage beeinflusst wurde, verdeutlicht eine Einschätzung des Generalmajors Ralph von Heygendorff, der nach dem Krieg meinte, „daß ein Fünftel der Freiwilligen gut war, ein Fünftel schlecht und drei Fünftel labil". Zit. bei: Neulen, An deutscher Seite, S. 327. IfZ-Archiv, MA 1671: 221. Sich. Div., Abt.I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 38/42" vom 7.6.1942; IfZ-Archiv, MA 895/2: Koiück 580, Abt. Qu., Anordnung betr. „Kriegsgefangenenwesen" vom 7.6.1942. Vgl. auch P o h , Herrschaft, S. 177 sowie das Beispiel bei Mann, Ost-Reiterschwadron 299, S. 233. In welchem Ausmaß die sowjetischen Freiwilligen auf das Wohlwollen ihrer Vorgesetzten angewiesen waren, belegt eine Anordnung des Koriick 580 vom Mai 1942, die festlegte, dass dem einzelnen deutschen Offizier hinsichtlich dieses Personenkreises kein „Erschießungsrecht" mehr zustände; die sowjetischen Freiwilligen unterständen nun der ordentlichen deutschen Kriegsgerichtsbarkeit. IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Abt. III, Anordnung betr. „Ausdehnung der deutschen Kriegsgerichtsbarkeit auf mit der Waffe eingesetzten Landeseinwohner" vom 7.5.1942. So unterhielt der Korück 580 ein Zivilgefangenlager, das auch als „Besserungsanstalt für Angehörige landeseigener Verbände" diente. Korück 580, Anordnung betr. Zivilgefangenenlager Schtschigry, in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 144 f.

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5. Verbrechen

für die deutsche Seite zählten in erster Linie militärische Erwägungen, selbst wenn bei einigen Offizieren auch humanitäre, soziale414 oder gar politische Überlegungen mit hinzukamen415. Umgekehrt galt, dass es sich bei der Entscheidung dieser Kriegsgefangenen für die deutsche Seite immer auch um das Produkt einer Zwangslage handelte. Darauf wurde später oft nur wenig Rücksicht genommen - nicht nur in der Sowjetunion, wo die „Wlassow"-Leute schlichtweg als „Unrat" galten416; auch in der deutschen Sprache hat die Bezeichnung „Kollaborateur" einen schlechten Klang 417 . Mehr Gewicht besitzt hingegen das Urteil eines ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen, der sich selbst im Übrigen nicht für die Kollaboration entschied, sondern für die Flucht und den Kampf bei den Partisanen; er meinte später, „daß nicht weniger als 95% dieser Freiwilligen sich in diese Hundertschaften und Abteilungen am Vorabend ihres unausweichlichen Hungertodes in den Kriegsgefangenenlagern eingeschrieben hatten und nur auf diese Weise ihr Leben retten konnten. Ich glaube, daß viele von ihnen, bevor sie diesen Schritt gingen, nicht nur eine schlaflose Nacht verbracht haben. Ich weiß nicht, ob man viele Leute finden könnte, auch die Ehrenhaftesten, Höchstmoralischen und moralisch Gefestigten, welche den Tod diesem Schritt vorziehen würden. Die Deutschen wussten genau, was sie machten! Jener, der diese vor Hunger sterbenden Menschen gesehen hat, wird sich nicht erlauben, den ersten Stein auf sie zu werfen." 418 Auf jeden Fall war das eine Alternative zum Tod in den deutschen Lagern. Und es war - zumindest im Falle der Kollaboration - ein Ansatz, der den ideologischen und politischen Zielen, die Hitler mit dem „Unternehmen Barbarossa" verfolgte, zuwiderlief. Die Waffe, welche die ehemaligen Kriegsgefangenen erhielten, war ein Symbol, sie stand für die Möglichkeit einer gewissen, wenngleich sehr eingeschränkten Partizipation an der militärischen Macht. Dass sich daran zwangsläufig auch politische Erwartungen knüpfen mussten, ließ sich kaum vermeiden. Über deren Chancen zu spekulieren, erübrigt sich, weil sich diese Möglichkeit nie wirklich bie414

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Bemerkenswert erscheint, dass das O K H im N o v e m b e r 1943 ein Programm für die „Verwendung der dienstunfähigen landeseigenen Hilfskräfte aus den Ostgebieten" initiierte, die in spezielle Umschulungslager geschickt wurden, die sie auf eine zivile Verwendung in den besetzten Ostgebieten vorbereiten sollte. Vgl. Absolon, Wehrmacht, Bd. VI, S. 360. Zur Rolle des O K H und insbesondere des Majors i. G. Graf von Stauffenberg bei der Formierung der Freiwilligen-Verbände vgl. Hoffmann, Ostlegionen, S.50ff.; Hoffmann, Stauffenberg, S.255ff. „Das Wort ,Wlassow-Mann' klingt bei uns wie: ,Unrat', keiner mag es in den Mund nehmen, so als wäre der Klang an und für sich schon unappetitlich, und darum will es jeder tunlichst vermeiden, auch nur einen langen Satz mit dem verpönten W o r t auszusprechen." Solschenizyn, Der Archipel Gulag, S. 253; Werth, Russland im Krieg, S. 478. Vgl. freilich mit dem bemerkenswert frühen Ansatz von Werner Rings (Leben mit dem Feind), der verschiedene F o r m e n von Kollaboration unterschied: (1) Neutrale Kollaboration, oder: Ich passe mich an; (2) Bedingungslose Kollaboration, oder: Unser Feind ist mein Freund; (3) Bedingte Kollaboration, oder: Ich kollaboriere mit Vorbehalt; (4) Taktische Kollaboration, oder: Ich kollaboriere, aber ich tue nur so. Shumejko, NS-Kriegsgefangenenlager, S. 168. Vgl. auch mit dem Urteil Atanasyans (ebda., S. 158), der selbst dem sowjetischen System treu blieb, über die politische Veränderung seiner Mitgefangenen: „Die Abwendung von der sowjetischen Wirklichkeit [!] war vollständig. Das Letztere trug nicht wenig zu den Erfolgen der deutschen Propaganda unter den Kriegsgefangenen bei, als die Deutschen völlig ungehindert jede Lüge und Falschaussage in die Köpfe der Kriegsgefangenen einhämmern konnten. Leider war die Sache auch nicht besser, als ich außerhalb des Stacheldrahtes leben konnte, in der Stadt."

5.3 Kriegsgefangene II: Hinterland

629

ten sollte. Wichtiger scheint indes ein anderer Aspekt: Unter dem Eindruck ihrer täglichen Zusammenarbeit und vor allem ihres gemeinsamen Kampfes gegen ein und denselben Gegner mussten sich diese beiden ungleichen Partner zwangsläufig verändern. Das betraf auch die deutschen Soldaten, die nun Vorstellungen von der Sowjetunion und ihren zahllosen Völkern und Stämmen entwickeln konnten, die mehr mit der Wirklichkeit zu tun hatten als bisher. Schon deshalb sind die Bedeutung dieser Zusammenarbeit und auch ihre Folgen kaum zu unterschätzen. 5.3.8 Bilanz: Opfer und Verant

wortlichkeiten

„Nur jener, der bei den Deutschen in Kriegsgefangenschaft gewesen war, kann mit vollem Recht sagen, dass er tatsächlich die Grenzen des menschlichen Leidens kennengelernt hat, die Grenzen jener physischen, moralischen und seelischen Qualen, welche der Mensch aushalten kann" 4 1 9 , meinte ein sowjetischer Kriegsgefangener später. Hier handelte es sich nicht allein um einen Reflex auf den apokalyptischen Charakter dieses Verbrechens oder auf seine schiere Dimension, ein solches Urteil hatte seinen Grund auch schlichtwe 5 darin, dass der Hungertod eine der grausamsten und langwierigsten Formen des Sterbens ist. Etwa 60 Tage kann ein normalgewichtiger Mensch ohne Nahrung iberleben. Da aber viele sowjetische Gefangene oft knapp an der Uberlebensgrenze vegetierten, zog sich ihr Sterben meist noch mehr in die Länge. „Ich habe geweint vor Hunger", erinnerte sich später einer von ihnen 420 . Zwar lassen sich im Fall dieser Opfergruppe noch ganz andere Todesursachen ausmachen: Kälte, Krankheiten und auch gezielte Morde. Die meisten Gefangenen aber sind schlichtweg ve rhungert. Wie kam es dazu? Wer hat dieses Verbrechen zu verantworten? Und welche Erkenntnisse ergeben sich aus dem Beispiel unseres Samples? Gerade dieser Ausschnitt zeigt einmal mehr, dass es kaum möglich ist, dieses Geschehen zu isolieren. Es verlief eher wie ein dialektischer Prozess, an dem stets zwei Teile, Führung und Basis, mitwirkten. Deshalb wäre zunächst von den Rahmenbedingungen zu sprechen; sie hatte die Führung zu verantworten. Das s sie vor Beginn des Krieges und auch noch während seiner ersten Wochen einen Plan verfolgte, dessen Ziel die systematische Ermordung aller sowjetischen Kriegsgefangenen gewesen wäre, lässt sich nirgends nachweisen. Etwas anderes hingegen schon: Ideologie, Gehorsam und auch das Prinzip des militärischen Erfolgs um jeden Preis schienen der Wehrmachtsführung mittlerweile wichtiger als jener Ehrenkodex, der die preußischdeutsche Armee lange ausgezeichnet hatte. In den Angehörigen der Rote Armee sah die deutsche Führung kaum gleichwertige Gegner, die tapfer und anständig gekämpft hatten und die nach ihrer Gefangennahme Anspruch auf eine ehrenvolle oder zumindest doch lebenserhaltende Behandlung besaßen. Sie sah in ihnen nur den „Todfeind" 421 . Dessen Vernichtung schien die logische Konsequenz dieser 419 420 421

Shumejko, NS-Kriegsgefangenenlager, S. 184. Bach/Leyendecker, Ich habe geweint vor Hunger. O K W / W F S t , Besondere Anordnungen N r . l zur Weisung Nr.21, Anlage 3 vom 19.5.1941: „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland". Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.312. Auch zum Folgenden. Zur terminologischen Unterscheidung von „Feind" und „Gegner" vgl. auch Andersch, Winterspelt, S.49f.

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5. V e r b r e c h e n

Definition. Allerdings haben die führenden deutschen Militärs dies anfangs vor allem in einem militärischen und weniger in einem physischen Sinne verstanden. Nur einen Teil der Gefangenen, den mit Abstand kleineren, verurteilten sie explizit zum Tode: die jüdischen, die Kommissare oder jene, die sie als „untragbare Elemente" stigmatisierten. Der große Rest sollte nicht sterben - im Gegenteil: er sollte arbeiten! Das war das Hauptinteresse der deutschen Heeresführung, dem hatte sich alles andere unterzuordnen, auch die Bestimmungen des Völkerrechts. In dieser brutalen Verantwortungslosigkeit manifestierte sich nicht allein eine menschenverachtende Ideologie. Eine ebenso große Rolle spielten in diesem Zusammenhang militärisches und ökonomisches Zweckdenken, Zynismus, Uberforderung und reiner Dilettantismus. Hier von einem „Hungerplan" zu sprechen, geht völlig an der Realität vorbei. Das entscheidende Charakteristikum in der Vorbereitungs- und Formierungsphase dieses gigantischen Verbrechens ist weniger das Geplante wie vielmehr seine weitgehende Planlosigkeit. Die deutsche Führung hatte nur das geklärt, was ihr wichtig erschien, alle übrigen Fragen sollte dann - um eine Formel des Generalstabschefs Halder aufzugreifen - der Krieg „beantworten" 422 . Die Schuld der deutschen Führung - nicht allein Hitlers, sondern auch die seiner militärischen „Experten", der Herren Keitel, von Brauchitsch, Halder, Reinecke und Wagner präsentiert sich in diesem Fall als eine Mischung aus bodenloser Verantwortungslosigkeit und einem Uberlegenheitsdenken, das sich rassistisch oder nationalistisch legitimierte. Als sich dann während des Krieges die Folgen zeigten, suchte sich diese kleine Führungsgruppe mit der Vorstellung zu beruhigen, hier seien „Naturgewalten" am Werk. Dabei waren es doch sie, die die Voraussetzungen für eines der schrecklichsten und schäbigsten Verbrechen dieses Krieges geschaffen hatten. Es sollte nicht ihre einzige Schuld bleiben. Als sie sich im Herbst 1941 darüber klar zu werden begannen, wie sehr sie sich mit dem „Unternehmen Barbarossa" verspekuliert hatten, zögerten sie nicht, nun die sowjetischen Kriegsgefangenen als „das letzte und schwächste Glied" 4 2 3 der deutschen Besatzungsgesellschaft dem Hungertod preiszugeben. Bei zwei Anlässen wurde dies auch mehr oder weniger deutlich ausgesprochen: War Görings Diktum vom 16. September 1941, die „Verpflegung der bolschewistischen Gefangenen" habe sich allein „nach den Arbeitsleistungen für uns" zu richten" 4 2 4 noch relativ allgemein gehalten, so lässt sich das von der berüchtigten Forderung des Generalquartiermeisters Wagner vom 13. November 1941 nicht mehr sagen: nichtarbeitende Kriegsgefangene hätten zu verhungern 425 . Dass es ein Spitzefunktionär des O K H war, der dieses Todesurteil aussprach, lässt erkennen, auf welch moralischem Tiefpunkt die Heeresführung mittlerweile angelangt war. Allerdings dürfte es dem O K H selbst jetzt weniger um die Realisierung eines genozidalen Projektes gegangen sein 426 , als vielmehr um den Versuch, die damals ausbrechende Versorgungskrise „irgendwie" wieder in den Vgl. Hartmann, Halder, S. 157, 190. So Müller, Scheitern, S. 1015. 4 2 4 Zit. bei: Streit, Kameraden, S. 144. 4 2 5 IfZ-Archiv, M A 1564, N O K W - 1 5 3 5 : [ A O Κ 18, Chef GenSt], „Merkpunkte aus der Chefbesprechung in Orscha am 1 3 . 1 1 . 1 9 4 1 " . 426 Vgl. mit der Überlegung von Overmans, Kriegsgefangenenpolitik, S. 822 f. 422

423

5.3 Kriegsgefangene II: Hinterland

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Griff zu bekommen. Die Schuld der Verantwortlichen kann das nicht verkleinern. Ihnen fiel nichts Besseres ein, als das eigene Versagen einfach auf jene abzuwälzen, die ihnen am hilflosesten ausgeliefert waren. Gleichwohl: Das nun beginnende Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen war nicht der Zweck, es war in der perversen Logik der deutschen militärischen Führung ein Mittel, um die Versorgung des Ostheers wieder zu stabilisieren. Dafür spricht schon allein der Umstand, dass Hitler just zu diesem Zeitpunkt die Kriegsgefangenenpolitik erneut korrigierte; eine Rüstungssteigerung sei, so seine Erkenntnis, „nur noch durch den zusätzlichen Einsatz von Kriegsgefangenen erreichbar" 4 2 7 . Doch blieb die Reaktion des O K U , das daraufhin am 2. Dezember 1941 befahl, die Ernährungssätze der nichtarbeitenden Kriegsgefangenen wieder zu erhöhen, zu zögerlich. Vor allem aber kam sie zu spät. So kam es, dass bis Frühjahr 1942 etwa zwei jener drei Millionen Rotarmisten starben, welche die Wehrmacht bis zum Ende des Jahres 1941 gefangen genommen hatte. Die Geschichte des Krieges kennt nur wenig Katastrophen, die von ihrem Ausmaß und ihrem Charakter damit zu vergleichen sind. Wie ist die Basis, in diesem Fall die deutschen Lagerverwaltungen, mit diesen Vorgaben umgegangen? Probleme bereiteten ihnen nicht allein die Erfüllung der ohnehin kargen Standards, welche die Führung festgesetzt hatte. Auch das U n klare der deutschen Kriegsgefangenenpolitik war eine erhebliche Belastung. Dies war nicht nur zu Beginn des Krieges so, als sich das O K H mit der Festlegung der Ernährungsrichtlinien Zeit ließ, oder im Herbst 1941, als die Heeresführung einen Teil der Kriegsgefangenen dem Untergang preisgab und wenige Wochen später diese Entscheidung wieder revidierte. Widersprüche dieser Art zeigten sich überall: Einerseits war allen deutschen Soldaten schnell klar, dass im Krieg gegen die Sowjetunion andere Maßstäbe galten als in den vorhergehenden Feldzügen. Andererseits war längst nicht alles außer Kraft gesetzt worden, was Recht, Gewohnheit und Tradition geboten. Diese mitunter bizarre Widersprüchlichkeit war schon in den zentralen Erlassen der Wehrmachtsführung zu erkennen: W o notwendig, sei gegenüber den Kriegsgefangenen „sofort von der Waffe Gebrauch zu machen", befahl das O K W im Juli 1941 und schwächte sogleich ab, dass natürlich „jede Willkür untersagt" 4 2 8 sei. Dies blieb nicht die einzige Unbestimmtheit: Auf der einen Seite war - neben den Hetzbefehlen, Hunger-Rationen und Aussonderungsverfahren - das Desinteresse der obersten militärischen Führung überall zu spüren, so dass auch hier „das .Organisieren' hier fast zum Uberleben gehörte" 4 2 9 , wie ein deutscher Kriegsteilnehmer erkannte. Aui: der anderen Seite aber bezeichnete selbst das O K W in seiner Weisung vom 16. Juni 1941 die Genfer Kriegsgefangenenkonvention als „Grundlage für die Behandlung" der sowjetischen Kriegsgefangenen 4 3 0 - eine Formulierung, die man offÌ2:iell erst am 8. September wieder 427 428

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So Hitler in seiner Weisung vom 3.12.1941. Druck: Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse", Dok. 124. Druck der Verfügung des O K H betr. „Behandlung feindlicher Zivilpersonen und russischer Kriegsgefangener" vom 25.7.1941, in: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.349f., hier S.350. Vgl. zu diesem Problem auch Wegner, Krieg, S.922. Grützner, in: Die deutsche Wirtschaftspolitik, S. 623. IfZ-Archiv, IMT, Dok. PS 888: OKW, Abt. Kriegsgefangene, Anordnung betr. „Kriegsgefangenenwesen im Fall Barbarossa" vom 16.6.1941. Teilw. ed. in: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 315.

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5. Verbrechen

revidierte 431 , an die der Generaloberst Schmidt aber bereits im März 1942 wieder erinnerte 432 . Auch andere Oberbefehlshaber wollten „Rohheiten" bei der Behandlung der Kriegsgefangenen nicht dulden - erst recht nicht mehr nach der Winterkrise 433 . Selbst das brutale wie eindeutige Diktum Wagners vom November 1941 war nicht mehr als eine interne Information, gedacht für eine ausgesuchte Gruppe von Generalstäblern, die darauf mit sehr gemischten Gefühlen reagierten. Schriftlich aber wurde das nie nach unten gegeben. Im Gegenteil: Wagner selbst ließ die Lagerkommandanten zu genau diesem Zeitpunkt wissen, dass die Verpflegungssätze, „wenn sie in vollem Umfang gewährt werden, zur Ernährung der Kriegsgefangenen" doch ausreichen würden. Man müsse sie nur erfüllen 434 . Dass dies den Gipfel des Zynismus' darstellte, steht hier nicht zur Debatte. Viel wichtiger erscheint, dass die deutsche Führung selbst in dieser Situation gegenüber ihren Lagern noch den Anschein aufrechtzuerhalten suchte, dass sie am Weiterleben der Gefangenen interessiert sei. Denn es blieb nicht allein bei diesem Befehl. Die Tatsache, dass schon damals einzelne Lagerkommandanten, bei denen damals das Sterben außer Kontrolle geriet, abgelöst oder mitunter sogar vors Kriegsgericht gestellt wurden, dürfte bei ihnen kaum die Vorstellung gefördert haben, dass ihre Führung das Massensterben befürworte. Angesichts dieser unklaren und oft widersprüchlichen Vorgaben musste sich die Basis „völlig im Stich gelassen" fühlen 435 . Ihr hatte man, neben einem allgemeinen Desinteresse an den völkerrechtlichen Standards, im Grunde nur signalisiert, dass sich die sowjetischen Kriegsgefangenen am Ende der deutschen Ernährungshierarchie befänden und sich bitteschön mit dem zu bescheiden hätten, was übrig blieb. Diese Rahmenbedingungen, die im Kern darauf hinausliefen, alle Verantwortung nach unten abzuwälzen, können auch erklären, warum das Verhaltensspektrum schon im Mikrokosmos unseres Ausschnitts so groß und widersprüchlich war: Gerade zu Beginn des Krieges fanden sich viele Varianten: Lager, in denen das deutsche Personal dem „Appell des Nationalsozialismus' an den inneren Schweinehund" (Kurt Schumacher) reichlich Rechung trug; Lager, in denen ein raues Regime herrschte, in denen die Gefangenen aber zunächst durchaus Chancen hatten zu überleben; und schließlich auch solche, die so zu arbeiten suchten wie bisher,

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Druck der Anordnungen des O KW zur „Behandlung sowjetischer Kr. Gef. in allen Kriegsgefangenenlagern" vom 8.9.1941: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.351-354, hier S.351. BA-MA, R H 21-2/867 a: Pz. A O Κ 2, Abt.I c/A.O., „Armeebefehl für die Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen, Feindkundschaftern und der Bevölkerung" vom 3.3.1942, wo es dezidiert heißt, alle Kriegsgefangenen seien „dem Völkerrecht entsprechend zu behandeln". Bock, Tagebuch, S.256 (Eintrag vom 22.8.1941); Gersdorff, Soldat, S. 100; Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S. 221 (Eintrag vom 11.9.1941). Ferner BA-MA, R H 20-2/1445: A O K 2, Abt. O. Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 17.-23.8.1941. Zur Neuorientierung nach der „Winterkrise" vgl. Hürter, Heerführer, S. 391 f. Vgl. etwa BA-MA, R H 19-III/639: OKH/GenStdH/GenQu/Abt. IV a, Nr. 1/36143/41, Anordnung betr. „Verpflegung von Kriegsgefangenen" vom 27.11.1941. Auch zum Folgenden. In diesem Sinne auch BA-MA, R H 19-III/638: OKH/GenStdH/GenQu, Abt. IV a, Az. 960, Nr. 1/35946/41 geh., Weisung betr. „Verpflegung der Kriegsgefangenen-Bau-Bataillone" vom 18.11.1941. Jarausch/Arnold, Sterben, S.331 (Brief vom 28.10.1941). Ferner, ebda., S.361 (Brief vom 4.1.1942): „Aber für unsere Gefangenen wissen wir bald nicht mehr aus noch ein."

5.3 Kriegsgefangene II: Hinterland

633

erinnert sei an das Beispiel des Dulag 203, über das wir besonders gut informiert sind. Wie groß der jeweilige Anteil dieser drei Lagertypen war, lässt sich nur schwer sagen. Allerdings fällt auf, dass die Überlebensquote der sowjetischen Kriegsgefangenen bis Herbst 1941 vergleichsweise hoch war. Das spricht dafür, dass damals der größere Teil der Lagerkommandanten bereit war, ihre Freiräume zugunsten der Gefangenen zu nutzen. Zwar existierten schon damals so berüchtigte Lager wie das in Minsk, doch spricht schon die Aufmerksamkeit, die diese riesige Anlage erregte, dafür, dass es eine Ausnahme blieb. Allerdings waren schon seinerzeit - wie auch das Beispiel unseres Samp les veranschaulicht - die meisten Lagerkommandanten bereit, die selektive Ermordung eines Teils ihrer Gefangenen zu akzeptieren. Schon im Herbst 1941 begannen sich die Unterschiede zwischen den Lagern zu verflüchtigen. Grund war nicht allein die schreckliche Hungerdirektive 4 3 6 , die das O K H am 21. Oktober 1941 in Kraft setzte 4 3 7 . Nicht weniger folgenreich war, dass sich zur selben Zeit auch die äußeren Faktoren rapide verschlechterten. Selbst für jene Lagerverwaltungen, die dieser Entwicklung entgegensteuern wollten, wurde dies nun immer schwieriger. Spätestens jetzt mussten sie zu Exekutoren einer Führung werden, die sich längst damit abgefunden hatte, dass ein Teil der Kriegsgefangenenlager eben „zum Aussterben verurteilt" sei' 3 8 . Zweifellos waren jene, die diese Lager betrieben, in ein unbarmherziges System von Befehl und Gehorsam eingebunden, ganz davon abgesehen, dass sie nicht annähernd auf das vorbereitet waren, was sie in der Sowjetunion erwarten sollte. „Dazwischen ist man nun geworfen, ohne etwas tun zu können als das bißchen Pflicht", schrieb der Feldwebel Jarausch im November 1941 4 3 9 . Andererseits wurden Leute wie er täglich aufs Neue mit den apokalyptischen Bildern in ihren Lagern konfrontiert, auch er war letzten Endes verantwortlich für das, was dort geschah. Wie seine Umwelt insgesamt zu beurteilen ist, lässt eine Beobachtung Alfred Rosenbergs vom Februar 1942 erahnen, der meinte, die „Mehrheit" der deutschen Lagerkommandanten hätten in dieser Zeit nicht alle Möglichkeiten zur Ernährung der Kriegsgefangenen genützt, wären also nicht bereit gewesen, die eng gezogenen Grenzen von Vorschriften und Befehlen zu überschreiten. Tatsächlich war es erst die Natur, die ab Frühsommer 1942 die Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen substantiell verbessern sollte. Allerdings hatten die Deutschen mittlerweile ei nige Lektionen gelernt. Dies war auch eine Folge jener Kritik, die in der Truppe laut geworden war. Im Ostheer erkannte man recht bald, wie groß das wirtschaftliche, militärische und politische Potential war, das in den Kriegsgefangenen steckte. Auch handelte es sich bei ihnen um eine Gruppe, die von den deutschen Soldaten noch am ehesten als ebenbürtig akzeptiert wurde - nicht zuletzt unter dem Eindruck, dass man mit ihnen kooperieren konnte. Ein Teil der Truppe hatte daher, noch bevor die Führung ihre 436 Vgl. mit dem Hinweis bei Pohl (Herrschaft, S.219), dass das Massensterben schon vor der 437

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Rationskürzung einsetzte. B A - M A , R H 19-III/638: O K H / G e n S t d H / G e n Q u , A bt. IV a, Az. 960 N r . I / 23738/41 geh. Anordnung betr. „Verpflegung sowjetrussischer Kriegsgefangener" vom 21.10.1941. Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S.289 (Eintrag vom 14.11.1941). Jarausch/Arnold, Sterben, S.339 (Brief vom 14.11.1941).

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5. Verbrechen

Kriegsgefangenenpolitik revidierte, begonnen praktisch zu handeln: Ausbeutung, Kollaboration, zuweilen auch Entlassung waren, wie wir gesehen haben, weite Felder, deren Motive und Wirklichkeit sehr unterschiedlich aussehen konnte. Entscheidend aber war, dass diese vorsichtigen Initiativen oft, wenn auch nicht immer, eine Alternative zu den tödlichen Existenzbedingungen in den Lagern darstellten. Wie unzureichend diese Veränderungen letzten Endes waren, wird schon allein daran erkennbar, dass bis Kriegsende eine weitere Million sowjetischer Kriegsgefangener umkam. Zwar sollte sich eine Katastrophe wie die von 1941/42 nicht wiederholen, doch blieben die sowjetischen Gefangenen in den deutschen Kriegsgefangenenlagern die mit Abstand gefährdetste Gruppe. Dies hatte zunächst die deutsche Führung zu verantworten, während an der Basis zunehmend auch andere, entgegengesetzte Tendenzen wirksam wurden. Zum Teil war es dadurch möglich, Leid und Elend der sowjetischen Kriegsgefangenen mehr oder weniger zu lindern. Doch ändert das nichts daran, dass es dieselbe Basis war, die nach wie vor als Vollzugsorgan einer Führung wirkte, die in Millionen toter Kriegsgefangener keinen Grund zur Aufregung erkannte.

5.4 Völkermord

5.4 Völkermord Der Mord an den Juden ist das mit Abstand groß te Verbrechen des Nationalsozialismus. Keine Schuld wiegt schwerer. Trotzdem stieß die Frage nach dem Anteil der Wehrmacht am Holocaust lange Zeit nur aui wenig Interesse, obwohl es sich doch bei ihr um eine der größten und mit Abstand mächtigsten Institutionen des „Dritten Reichs" handelte. Dass beim Thema Holocaust die Wehrmacht fast schon „vergessen" wurde, hatte viele Gründe - das Schweigen der Veteranen 1 , das mit dem Desinteresse der deutschen Gesellschaft an ihrer Geschichten und ihren G e schichte korrespondierte, der Versuch der ehemaligen Wehrmacht-Elite, ein weitgehend entpolitisiertes Bild von der Wehrmacht zu präsentieren, und schließlich auch die Quellen. Teilweise waren die einschlägigen Dokumente verloren gegangen oder gezielt vernichtet worden 2 , viel folgenreicher aber war und ist, dass sich in den dienstlichen und persönlichen Aufzeichnungen 3 zum Stichwort „Juden" meist nur so wenig findet, dass sich die Verantwortung der Wehrmacht oft allein den Experten erschließt. Wenn nur gegen einen sehr kleinen Teil der Wehrmacht - „klein" im Vergleich zur gesamten Institution - von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen ermittelt wurde, so ist das sicher kein Zufall 4 . Erst langsam begannen einzelne Forscher, das weit verbreitete Bild, „die" Wehrmacht habe so gut wie nichts mit dem Völkermord an den Juden zu tun gehabt, zu korrigieren. In seinem 1965 erschienenen Werk arbeitete Andreas Hillgruber die ideologischen Prämissen heraus, unter denen das Deutsche Reich Krieg gegen die Sowjetunion führte, mit den Studien von Raul Hilberg (1961, deutsche Übersetzung aber erst 1982), Norbert Müller (1971), Christian Streit (1978) und Helmut Krausnick (1981) wurde dann erstmals das Ausmaß der Kooperation zwischen Armee und NS-Regime beim Judenmord in Umrissen erkennbar 5 . Bezog sich Krausnicks Diktum „einer weitgehenden, in ihrem Ausmaß erschreckenden Integration des Heeres in das Vernichtungsprogramm und die Vernichtungspolitik Hitlers" 6 noch in erster Linie auf die Spitze des Heeres sowie die O b e r k o m mandos an der Front, so begann sich mit zunehmendem Wissen über die Wirklichkeit der Jahre 1939 bis 1945 immer deutlicher abzuzeichnen, dass sich auch die Truppe stärker an diesem Verbrechen beteiligte, als man es zunächst vermutet hatte. Mit dem Beginn einer Militärgeschichtsschreibung, die sich als „neu" bezeichnete, vor allem mit der Debatte um die beiden „Wehrmachtsausstellungen" ist die 1 2 3

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Vgl. hierzu Bartov, Wem gehört die Geschichte?, S.605f. Vgl. Hürter, Heerführer, S. 521. Ein Beispiel dafür sind etwa die Aufzeichnungen des Generals Gotthard Heinrici oder des Oberstleutnants i. G. Hans Meier-Welcker. Nur wenige deutsche Offiziere haben über ihre Erlebnisse und Erfahrungen im Ostkrieg so detailliert, so anschaulich und nicht zuletzt auch so reflektiert berichtet wie diese beiden. Während beide vor dem 22.6.1941 zuweilen auch über die Juden berichten, ist nach Kriegsbeginn in ihren Aufzeichnungen nichts mehr über sie zu lesen. Vgl. hierzu Hürter, Heinrici; Meier-Welcker, Aufzeichnungen. In der Bundesrepublik wurden etwa 2300 einschlägige Ermittlungsverfahren gegen Wehrmachtsangehörige geführt. Angabe nach: Pohl, Herrschaft, S. 334. Vgl. ferner Streim, Saubere Wehrmacht?; Birn, Wehrmacht und Wehrmachtangehörige. Ferner die Statistik in: Verbrechen der Wehrmacht, S. 663. Hillgruber, Hitlers Strategie, S.516ff.; Hilberg, Vernichtung, S.216ff.; Krausnick/Wilhelm, Truppe, S.107ff. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 278.

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5. Verbrechen

Frage nach der Mitverantwortung der Wehrmacht am Holocaust immer stärker ins Zentrum des Interesses gerückt, des wissenschaftlichen wie des öffentlichen 7 . Angesichts der G r ö ß e und Komplexität dieses Themas wäre es zu wenig, sich allein auf die fünf Divisionen unseres Samples zu konzentrieren. Erst in einem größeren Kontext wird deren Rolle bei der Verfolgung und Ermordung der sowjetischen Juden wirklich verständlich.

5.4.1 Wehrmacht und Holocaust - ein Überblick 5.4.1.1 Voraussetzungen Die Schnittstellen zwischen der Wehrmacht und der antisemitischen Politik des NS-Regimes blieben zunächst sehr schmal. Keine Frage: Schon im ^ . J a h r h u n dert waren im preußisch-deutschen Offizierskorps Juden quasi nicht existent gewesen 8 (nur im Ernstfall, etwa während der deutschen Einigungskriege oder w ä h rend des Ersten Weltkriegs, durften Juden auch als O f f i z i e r e f ü r das Königreich Preußen bzw. f ü r das Deutsche Reich kämpfen) 9 . A u c h hatte es in der deutschen A r m e e schon immer Vorbehalte gegenüber „den" Juden gegeben 1 0 , die sich dann während des Ersten Weltkriegs 1 1 , v o r allem aber unter dem Eindruck v o n Nie-

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Vgl. hierzu etwa Müller, Wehrmacht und Okkupation 1941-1944, S. 117 ff; Förster, Sicherung, S. 1030ff.; ders., Die Wehrmacht; Messerschmidt, Harte Sühne am Judentum; Schulte, German Army, S.21 Iff.; Petter, Wehrmacht und Judenverfolgung; Manoschek, Serbien; ders., „Wo der Partisan ist, [...]"; Dreßen, Role of the Wehrmacht and the Police; Heer, Killing Fields; ders., Bittere Pflicht; ders., Nicht Planer, aber Vollstrecker; ders., Tote Zonen; ders., Mitwirkung der Wehrmacht am Holocaust; ders., Einübung in den Holocaust; ders., Lemberg 1941; Heer/Naumann (Hrsg.), Vernichtungskrieg, hier insbes. die Beiträge von Walter Manoschek, Hannes Heer, Margers Vestermanis, Bernd Boll/Hans Safrian, Truman O. Anderson, Theo J. Schulte, Klaus Geßner; Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 163 ff.; ders., German Soldiers and the Holocaust; Gerlach, Die Ausweitung der deutschen Massenmorde; ders., Morde, S. 503 ff.; Longerich, Politik, S. 405ff.; Förster, Wehrmacht, Krieg und Holocaust; Pohl, Schauplatz Ukraine; ders., Die Wehrmacht und der Mord; ders., Das deutsche Militär und die Verbrechen an den Juden; ders., Herrschaft, S. 243 ff.; Ueberschär, Der Mord an den Juden und der Ostkrieg; Lieb, Täter aus Überzeugung?; Wette, Wehrmacht, S.95ff.; Oldenburg, Ideologie, S.159ff., 251 ff.; Shepherd, War in the wild East; Angrick, Besatzungspolitik; Priemel, Am Rande des Holocaust; Hürter, Heerführer, S.509ff.; ders., Auf dem Weg zur Militäropposition; ders./Römer, Widerstand und Ostkrieg; Kunz, Krim unter deutscher Herrschaft; Stein, Die 11. Armee und die „Endlösung"; Arnold, Wehrmacht, S. 486 ff.; Bensoussan (Hrsg.), La Wehrmacht dans la Shoah. 1906 waren von 33067 aktiven deutschen Offizieren nur 16 jüdischer Herkunft, bei den Reserveoffizieren waren es ca. 300. Dagegen zählte man in der k.u.k.-Armee 2179 jüdische Offiziere. Angaben nach: Messerschmidt, Juden im preußisch-deutschen Heer, S. 103, 105; Vogel, Ein Stück, S.38. Im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 kämpften auf preußischer Seite 9400 Juden. 373 erhielten das Eiserne Kreuz oder vergleichbare Auszeichnungen, 483 fielen während des Krieges oder wurden verwundet. Vogel, Stück, S.34f. Während des Ersten Weltkriegs dienten ca. 96 000 deutsche Juden in den deutschen Streitkräften, von denen 12000 fielen. Knapp 30000 erhielten Auszeichnungen, 19545 wurden befördert. 2 022 wurden Truppenoffiziere, 1159 Sanitätsoffiziere oder Militärbeamte im Offiziersrang. Vgl. Messerschmidt, Juden im preußisch-deutschen Heer, S. 105 ff. Ferner Dunker, Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. Allerdings war ein gewisser Prozentsatz der Offiziere mit Jüdinnen verheiratet. Vgl. hierzu auch Messerschmidt, Wehrmacht, S.357. Das erste Signal bildete in dieser Hinsicht die vom preußischen Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn am 11.10.1916 angeordnete Zählung, wie viele Juden aktiv im Heer dienten, wie viele noch nicht einberufen und wie viele als untauglich ausgemustert worden waren. Dahinter

5.4 Völkermord

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derlage und Revolution, radikalisiert hatten. Doch standen viele Militärs dem „Radau-Antisemitismus" der radikalen Rechten eher kritisch gegenüber 12 . Auch die Reichswehrführung wollte, dass in der Truppe „Judenhetze unter keinen Umständen weiter betrieben wird" 1 3 . Im Dienst habe es keine „Judenfrage" zu geben 1 4 . Vielmehr seien alle „Klassen- und Rassen-Unterschiede zwischen deutschen Staatsbürgern" aufgehoben, „deren Schutz uns als Ehrenpflicht anvertraut" sei. Das sollte sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ändern. Der Antisemitismus wurde nun zu einer Art Staatsdoktrin, auch für die Wehrmacht. Allerdings kamen ihre Angehörigen bis 1939 kaum noch mit Juden zusammen, weil sich diese Armee mittlerweile strikt von allem distanzierte, was auch nur entfernt jüdisch schien. Jene, die nicht den „Rassekriterien" des Berufsbeamtengesetzes genügten, mussten bereits im Februar 1934 die deutschen Streitkräfte verlassen; dass es nicht mehr als 70 Soldaten waren, charakterisiert die Rekrutierungspolitik der Reichswehr 15 . Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht im März 1935 wurden Juden generell vom Wehrdienst ausgeschlossen, Offiziere mussten den Nachweis „ihrer arischen Abstammung" vorlegen 16 . Noch perfider waren die einschlägigen Bestimmungen über jene Gruppe, die man als „Jüdische Mischlinge" definierte. Ihr Wehrdienst war zwar unter bestimmten Bedingungen möglich, doch durften sie nicht „Vorgesetzte in der Wehrmacht werden" 17 ; noch nicht einmal „eine Befehlsbefugnis als Wachhabender", also eine temporäre Funktion, wollte man ihnen übertragen 18 . Da Hitler bei der „Behandlung von jüdischen Mischlingen in der Wehrmacht" den „schärfsten Maßstab" anlegen wollte 19 , verschlechterte sich deren Situation bis Kriegsende, obwohl die Wehrmacht doch dringend Soldaten gebraucht hätte 20 . Auch sonst hielt das Militär auf Distanz. Wehrmachtsangehörigen war verboten, Jüdinnen zu heiraten, bei Juden zu kaufen, Wohnungen zu stand der Versuch, den Patriotismus des deutschen Judentums zu überprüfen. Vgl. Vogel, Stück, S. 131. Hürter, Heerführer, S.511. Kritischer dagegen Förster, Reichswehr und Antisemitismus. 1 3 Gen.mj. O t t o Haas, Führer der Gruppe Haas, in einem Befehl vom 8.4.1920. Druck: Hürten (Hrsg.), Ära Seeckt, Dok.58. 14 So der Chef der Heeresleitung, Gen.ltn. Walther Reinhardt, in einem Befehl vom 21.2.1920. Druck: ebda., Dok.160. 1 5 Vgl. Messerschmidt, Deutsche jüdische Soldaten, S. 128. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933, in: R G B l . 1933, I, S.175ff., § 3 : „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand (§ 8ff.) zu versetzen." 1 6 Vgl. hierzu Steiner/Cornberg, Willkür in der Willkür, S. 168ff.; Rigg, Hitlers Jüdische Soldaten, S. 114ff. Rigg schätzt allerdings (S. 65) die Zahl der jüdischen „Mischlinge" in der Wehrmacht auf „mindestens 150000", wobei diese oft versucht hätten, ihre Herkunft geheim zu halten. 1 7 Wehrgesetz vom 21.5.1935, in: RGBl. 1935,1, § 15, S.ii09ff., hier S.611. 'S IfZ-Archiv, Da 034.08: H. Dv. 22: Politisches Handbuch, Teil I (Pol. H. I), Berlin 1938, Abschnitt G. Am 8.4.1940 ordnete Hitler an, dass „Mischlinge ersten Grades" nicht mehr Soldat werden dürften. Allerdings konnten sie bei besonderer „Bewährung" bzw. bei Auszeichnungen weiterverwendet werden. Am 25.9.1942 ordnete das O K W dann auch die Entlassung dieser Soldaten an. Laut Befehl Hitlers vom 26.10.1944 wurden schließlich sogar Offiziere, die mit „Mischlingen ersten Grades" verheiratet waren, aus der Wehrmacht entlassen. Vgl. Messerschmidt, Wehrmacht, S.357f.; Petter, Wehrmacht, S. 197f. 1 9 IfZ-Archiv, D b 001.003: Verordnungsblatt der Reichsleitung der NSDAP, Anordnung A 34/42: „Behandlung von jüdischen Mischlingen in der Wehrmacht". 2 0 Vgl. hierzu Kroener, „Menschenbewirtschaftung". 12

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5. Verbrechen

mieten oder sich bei Juden einzuquartieren 21 . In anderen Worten: Juden existierten in der Propaganda der Wehrmacht, aber nicht mehr in ihrem Alltag, zumindest nicht bis zum Beginn des Krieges. Trotz der Linientreue der Wehrmachtsführung schien zunächst nur wenig darauf hinzudeuten, dass ausgerechnet diese Armee einmal eine zentrale Funktion beim Mord an den europäischen Juden übernehmen würde. Während ihrer Feldzüge im Westen und in Skandinavien blieben antisemitische Gewalttaten aus. Bereits im Februar 1940 hatte das O K H „ein Aufrollen der Rassenfrage" strikt verboten 22 : „Allein auf den Umstand hin, daß ein Landeseinwohner Jude ist, dürfen Sondermaßnahmen gegen ihn nicht gestützt werden." Erst im Herbst 1940, also lange nach Abschluss der Kämpfe, begannen die deutschen Militärverwaltungen in Frankreich und Belgien eine Politik einzuleiten, welche die dort lebenden Juden entrechten und enteignen sollte 23 ; ab Sommer 1941, als die Diskussion über die „Sühnegeisel" begann, waren diese dann auch in ihrer Existenz bedroht. Anders entwickelten sich die Dinge in Polen. Das lag nicht allein daran, dass dieses Land zu Beginn des Zweiten Weltkriegs die höchste jüdische Bevölkerungsdichte in Europa aufwies24. Die Morde begannen schon während des Feldzugs, bis zum Ende des Jahres 1939 hatten sie bereits mehreren Tausend polnischer Juden das Leben gekostet 25 . Täter waren nicht nur die Einsatzgruppen, die damals im Rücken der vordringenden deutschen Armeen operierten. Es kam auch vor, dass Wehrmachtsangehörige, fast durchgehend niedere Ränge, Juden diskriminierten, quälten oder töteten. Gleichwohl war „die Wehrmacht insgesamt weniger häufig an antisemitischen Gewalttaten beteiligt als die SS und Polizei" 26 , schon weil das Militär ger21

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Die einzige Ausnahme, welche die Wehrmachtsführung machte, bestand in ihrem Engagement für die ehemaligen jüdischen Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, vor allem dann, wenn sie während der Jahre 1914-1918 dekoriert oder verwundet worden waren. Vgl. hierzu Hilberg, Vernichtung, S.303ff. Zit. bei: Petter, Wehrmacht, S.203. Ferner Arnold, Wehrmacht, S.489; Förster, Umsetzung, S.423. Die systematische deutsche Repression gegen die Juden, die im besetzten Frankreich und Belgien lebten, begann am 27.9.1940 mit der so genannten „Ersten Judenverordnung"; sie verbot den geflüchteten Juden den Ubertritt ins Besetzte Gebiet. Stieß die „Judenfrage" bei der „Militärverwaltung jedoch nach wie vor nur auf geringes Interesse und galt eher als ein unerfreuliches, wenngleich unvermeidliches Randproblem, welches man eigentlich Heydrichs Leuten in der Avenue Foch gern überlassen hätte" (Herbert, Best, S.306), so änderte sich diese Haltung, als es im August 1941 zu den ersten Attentaten auf Wehrmachtsangehörige kam. Die deutsche Besatzungsmacht, darunter auch der Militärbefehlshaber in Frankreich, General Otto von Stülpnagel, reagierte darauf noch im selben Monat mit Razzien, bei denen Tausende von Juden verhaftet wurden. Am 24.3.1942 fuhr der erste Zug mit 1112 französischen Juden nach Auschwitz, was die deutsche Militärverwaltung als „Repressionsmaßnahme" auf die Attentate deklarierte. Vgl. hierzu Klarsfeld (Hrsg.), Endlösung; ders., Vichy-Auschwitz; Herbert, Best, S.262ff., 298ff.; Meyer, Die deutsche Besatzung in Frankreich, insbes. S.43ff.; ders., Täter im Verhör; Delacor, Attentate und Repressionen; dies., Weltanschauungskrieg im Westen; Lambauer, Opportunistischer Antisemitismus; Lieb, Konventioneller Krieg, S.20ff. Zu Belgien vgl. Weber, Die innere Sicherheit im besetzten Belgien und Nordfrankreich, S. 59ff., 119ff. Die Gesamtbevölkerung in Polen wird für das Jahr 1939 auf 35100000 Personen geschätzt, davon waren 3 446 000 Polen jüdischer Herkunft. Angabe nach: Golczewski, Polen, in: Dimension des Völkermords, S.417. Vgl. Pohl, Verfolgung, S. 64. Vgl. ferner Datner, Crimes committed by the Wehrmacht; Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 32 ff.; Müller, Heer und Hitler, S. 422 ff.; Umbreit, Militärverwaltungen, S.28ff. Nich t überzeugend hingegen die Deutung von Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg. Vgl. dagegen Rossino, Hitler strikes Poland, S. 105 f. Hürter, Heerführer, S. 181.

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5.4 V ö l k e r m o r d

ne „die in i h r e r N o t w e n d i g k e i t nicht bestrittenen, im einzelnen aber n o c h nicht festgelegten antijüdischen M a ß n a h m e n d e r V e r w a l t u n g u n d d e r Polizei" ü b e r l i e ß 2 7 . D o c h gab es d a m a l s a u c h g a n z a n d e r e T e n d e n z e n . S o b e o b a c h t e t e d e r O b e r b e f e h l s h a b e r des H e e r e s bei seinen F r o n t f a h r t e n „ v i e l f a c h ein z u f r e u n d s c h a f t l i c h e s Verhältnis zwischen Soldaten und Zivilisten einschließlich] Juden"28. A u c h f ü h r e n d e R e p r ä s e n t a n t e n d e r W e h r m a c h t w a r e n e n t s e t z t ü b e r die „ S c h w e i n e r e i e n h i n ter d e r F r o n t " 2 9 , d i s t a n z i e r t e n sich v o n d e r sich a b z e i c h n e n d e n

rassenideolo-

gischen „ F l u r b e r e i n i g u n g " o d e r p r o t e s t i e r t e n d a g e g e n 3 0 . Es w a r n i c h t z u l e t z t die a m b i v a l e n t e R e a k t i o n d e r W e h r m a c h t auf die i d e o l o g i s c h e n V o r g a b e n H i t l e r s , die diesen d a z u b r a c h t e , die H e r r s c h a f t des M i l i t ä r s ü b e r die p o l n i s c h e W e s t h ä l f t e , in d e r 1 , 9 M i l l i o n e n J u d e n l e b t e n 3 1 , schnell z u b e e n d e n 3 2 . B e r e i t s a m 2 5 . O k t o b e r 1 9 3 9 w u r d e die M i l i t ä r v e r w a l t u n g d u r c h eine d e u t s c h e Z i v i l v e r w a l t u n g

abge-

l ö s t 3 3 . V o n n u n an lag die a n t i j ü d i s c h e P o l i t i k , gegen die d e r n e u e O b e r b e f e h l s haber Ost, Generaloberst Johannes Blaskowitz, im Übrigen weiter opponierte34, in d e n H ä n d e n d e r Z i v i l v e r w a l t u n g , bis d a n n 1 9 4 2 die F e d e r f ü h r u n g f ü r das eigentliche M o r d p r o g r a m m auf SS u n d P o l i z e i ü b e r g i n g . N a c h d e m B l a s k o w i t z im M a i 1 9 4 0 in d e n R u h e s t a n d v e r s e t z t w o r d e n w a r , hielt es d e r G e n e r a l o b e r s t G e o r g v o n K ü c h l e r , als O b e r b e f e h l s h a b e r d e r 1 8 . A r m e e seit J u l i 1 9 4 0 n u n d e r w i c h t i g s t e V e r t r e t e r d e r W e h r m a c h t i m G e n e r a l g o u v e r n e m e n t , f ü r besser, sich b e i m „ V o l k s t u m s k a m p f " aus d e n „ A u f g a b e n a n d e r e r V e r b ä n d e h e r a u s z u h a l t e n " 3 5 . 27

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Umbreit, Militärverwaltungen, S.206. Auch Musial (Zivilverwaltung, S. 106ff.) betont, dass die Einsatzgruppen bei den ersten antisemitischen Maßnahmen „federführend" gewesen seien, die Maßnahmen der Militärverwaltung hätten vor allem darauf gezielt, „die Teilnahme der Juden im Wirtschaftsleben einzuschränken". Brauchitschs Interesse beschränkte sich darauf, Truppe und Einsatzgruppen soweit wie möglich voneinander zu trennen. A m 21.9.1939 informierte er die Heeresgruppen, dass die Einsatzgruppen „gewisse volkspolitische Aufgaben" zu erfüllen hätten, welche „außerhalb der Verantwortlichkeit der Oberbefehlshaber" lägen. Dre Tage später verbot er jede Mitwirkung an „polizeilichen Exekutionen". Vgl. Browning, Die Entfesselung der „Endlösung", S. 126; Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 56. Groscurth, Diensttagebuch, S.270 (Eintrag vom 16.9.1.939). Halder, Kriegstagebuch, Bd.I, S.68 (Eintrag vom 10.9.1939). Vgl. auch Bock, Tagebuch, S.78 (Eintrag vom 20.11.1939): „Nachts Fahrt nach Koblenz im Zuge des Oberbefehlshabers des Heeres. Ich höre hier Vorgänge aus der .Kolonisierung' des Ostens, die mich tief erschrecken. Macht man dort weiter so, so werden diese Methoden sich einmal gegen uns kehren." Vgl. Müller, Heer und Hitler, S.425ff., ferner, ebda., Dok.48-50; Browning, Entfesselung, S.37ff., 116; Hürter, Heerführer, S. 181ff., 512f. Angabe nach: Musial, Zivilverwaltung, S.342f. Vgl. Hitler, Monologe, S. 59 (Eintrag vom 14./15.9.1941): „Wie ich ihn hasse, diesen fiktiven Rechtsbegriff! Erst in Polen ist es vorgekommen, daß Juristen sich gegen die Truppe wenden wollten, die 60 Einwohner anliegender Straßen erschossen hatte als Entgeltung dafür, daß verwundete Deutsche dort niedergemacht wurden. [ . . . ] Sie begreifen nicht, daß in Notzeiten andere Gesetze gelten." Hitler hatte Hans Frank bereits am 15.9.1939 darüber informiert, dass seine „zunächst notwendige Unterstellung unter den Militärbefehlshaber [ . . . ] baldmöglichst aufgehoben werden" solle. Präg/Jacobmeyer (Hrsg.), Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs, S. 45; Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse", Dok. 14 und 15. Die Autonomie des Militärs hatten freilich schon vorher die formal unterstellten, faktisch aber mehr oder weniger selbständigen Chefs der Zivilverw;iltung durchbrochen. Vgl. Hürter, Heerführer, S. 184ff. So Küchler in einer Anordnung vom 22.7.1940, zi t. bei: Müller, Heer und Hitler, S.453, Anm. 164. Dort heißt es u.a.: „Bestimmte Verbände der Partei und des Staates sind mit der Durchführung dieses Volkstumskampfes im Osten beauftragt worden. Der Soldat hat sich daher aus diesen Aufgaben anderer Verbände herauszuhalten. Er darf sich auch nicht durch Kritik in diese Aufgaben einmischen [. . .]." Vgl. auch Hürter, Heerführer, S. 189f.

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5. Verbrechen

Dass sich die Wehrmacht damals nicht oder eher partiell an der antijüdischen Politik des NS-Regimes der Jahre 1 9 3 8 bis 1940 beteiligte, belegt auch das Beispiel unseres Samples. Z w a r gab es auch hier antisemitische Strömungen 3 6 , doch hatten sie vergleichsweise wenig Konsequenzen. Von der 45. ID wissen wir, dass sie Juden zum Arbeitseinsatz zwang 3 7 , ihre Waren beschlagnahmte 3 8 oder sie mitunter auch als Geiseln nahm - f ü r den Fall v o n Unruhen 3 9 . Doch sollen dies, so der Eindruck eines Zeitzeugen, Ausnahmen geblieben sein 40 . D a f ü r spricht auch der A u f r u f des Divisionskommandeurs, Generalmajor Materna, der Anfang O k tober öffentlich festlegte, dass „die im Reichsgebiet geltenden Gesetze über die Juden [...] vorläufig noch nicht durchgeführt werden" sollten 4 1 . Die große Ausnahme bildete freilich der K o r ü c k 580. W i e viel Aggressionspotenzial in diesem Besatzungsverband steckte, w u r d e nicht nur bei den Massenexekutionen in Bromberg erkennbar 4 2 , sondern auch an seiner engen Kooperation mit der SS, die auch im Befehlsbereich dieses K o r ü c k Juden vertrieb oder ermordete 4 3 . Die Sonderstellung dieses Besatzungsverbands begründete sich freilich nicht nur in seiner Funktion. Sein Kommandant, Generalmajor Walter Braemer,

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Vgl. etwa BA-MA, RH 39/373: Kriegstagebuch des Panzer-Regiments 35 im Feldzug in Polen, S. 6: „Polnische Juden, schmierig und dreckig, schleichen vorbei, kriecherisch die Hand zum deutschen Gruß gekrümmt und Heil Hitler murmelnd." Allerdings soll der Kommandeur der 4. Panzerdivision, der damalige Generalmajor Reinhardt, im März 1939 in der böhmischen Stadt Iglau den Ausnahmezustand verhängt haben, „um weitere Ausschreitungen der Schutzpolizei gegen die jüdische Bevölkerung zu unterbinden sowie deren Rechte und Eigentum zu schützen". Vgl. Ciasen, Generaloberst Hans-Georg Reinhardt, S. 157. Ludwig Hauswedell, Kriegstagebuch 1939 (26.8.39-11.10.39), Kopie im Besitz d. Verf., Eintrag vom 25.9. 1939; BA-MA, Ν 260/4: NL R. v. Bünau, „Brief eines Komp. Chefs von Rudolfs Rgt. [Inf. Rgt. 133]" vom 18.10.1939. Dies entsprach der Linie der Wehrmachtsführung, obwohl ein Arbeitszwang für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements erst am 26.10.1939 eingeführt wurde. Vgl. hierzu Trunk, Judenrat, S.48; Umbreit, Militärverwaltungen, S. 205ff. BA-MA, Ν 260/4: NL R. v. Bünau, „Brief eines Komp. Chefs von Rudolfs Rgt. [Inf. Rgt. 133]" vom 22.10.1939. IfZ-Archiv, MA 1615: 45. Inf. Div., „Bekanntmachung", o.D. So Herbert Urban am 4.10.2000 in einem Interview mit d. Verf. Urban, der nach damaliger Definition als „Halbjude" galt, gehörte der 45. Inf. Div. vom Februar bis November 1938 und erneut vom August 1939 bis Februar 1941 an. Nach dem Krieg diente Urban beim österreichischen Bundesheer, das er als Oberst verließ. Unterschiedlich die zeitgenössischen Stimmen; vgl. etwa Ludwig Hauswedell, Kriegstagebuch 1939 (26.8.39-11.10.39), Kopie im Besitz d. Verf., Einträge vom 11.9. und 10.10.1939, der die Juden, als „dreckig und recht unfreundlich", aber auch als „höflich und dienstbeflissen" charakterisierte. Deutlicher die antisemitischen Vorurteile in: BÀ-MA, Ν 532/25: Nachlass Wilhelm Mittermaier, Manuskript Stabsveterinär Dr. Hallwachs, „Vom Krieg in Polen": „Dazwischen reichlich Vertreter des .auserwählten Volkes', hündisch dienernd und katzbuckelnd, mit krummen Rücken die schmierigen Deckel ziehend." Für diese ambivalente Haltung österreichischer Militärs gibt es weitere Belege. Vgl. mit der Beobachtung des US-Militârattachés in Wien vom März 1938, der berichtete, dass das Verhalten der deutschen Soldaten „in jeder Weise tadellos" sei. „Ich erfuhr von etlichen Fällen, wo deutsche Offiziere gegen besonders offensichtliche Juden-Mißhandlungen einschritten und die betreffenden Juden vor rachsüchtigen Parteifunktionären gerettet haben." Auch die Wehrwirtschaftsinspektion XVII aus Wien meldete im November 1938, dass die weitaus größere Zahl der Österreicher mit der Art und Weise der „Entfernung der Juden" nicht einverstanden sei. Schmidl, Der „Anschluß" Österreichs, S.207; Förster, Wehrmacht, Krieg und Holocaust, S.951. Zit. bei: Gschöpf, Weg, S. 105. Ein solches Verhalten scheint bei Materna glaubhaft; vgl. Kap. 2.3. Vgl. Kap.2.1. Rossino, Poland, S. 102,119f.

5.4 Völkermord

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hatte nach seinem Abschied aus der Reichswehr im November 1932 eine zweite Karriere in der SS begonnen 4 4 , so dass er nun den Schulterschluss zu Organisationen suchte, von denen sich seine Kameraden damals eher noch fernhielten. Trotzdem gab es damals in diesem Korück auch Soldaten, welche die Ansichten ihres Kommandanten nicht teilten; so verurteilte dessen Kriegsgericht noch im Dezember 1939 einen Feldgendarm zu einer einjährigen Gefängnisstrafe und Degradierung, weil dieser eine Jüdin erpresst hatte 4 5 . Uberhaupt schien bis Frühjahr 1941 noch manches ungeklärt, nicht nur das Verhältnis der Wehrmacht zur Judenpolitik des NS-Regimes, sondern auch die Frage, welche Richtung diese Politik überhaupt einschlagen würde. Sicherlich gab es in dieser Millionenarmee nur wenige, welche die generelle Bedeutung der „Judenfrage" in Zweifel gezogen hätten. Einige Soldaten hatten zudem zu erkennen gegeben, dass sie SS und Polizei gerne unterstützen würden. Und schließlich zeigte die Propaganda der Wehrmacht, wie groß die Bereitschaft ihrer Führung war, die Parolen von N S D A P und SS nachzubeten. Doch blieb das alles Theorie. Welche Funktion die Wehrmacht in der Praxis der Judenverfolgung spielen würde, schien vorerst noch fraglich 46 . Zweifellos begann sich teilweise schon während der Feldzüge in Polen und im April/Mai 1941 dann auch auf dem Balkan 4 7 das „funktionale Zusammenspiel" zwischen militärischen und nicht-militärischen Institutionen anzubahnen 48 . Und es existierten Militärverwaltungen, die im Westen zögerlicher, im besetzten Serbien aber umso entschiedener 49 demonstrierten, dass sie auch selbst bereit waren, eine radikale antisemitische Politik im großen Stil umzusetzen. Doch war nicht nur das „Experiment" einer deutschen Militärverwaltung in Polen gescheitert 50 . Mit einer feinen Witterung für Mentalitäten und Weltbilder, besonders fremden, konstatierte kein Geringerer als Reinhard Heyd44

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Braemer wurde bereits 1937 SS-Brigadeführer. Vgl. B A - M A , Pers. 6/2102: Personalakte Walter Braemer; BA, Abt. R: Personalakte Walter Braemer. Vgl. hierzu auch Gerlach, Morde, S. 136 mit Anm.45. BA, ZNS, R H 23-G, Gericht Korück 580, Nr. 175/39: Strafsache gegen den Feldgendarmen Hans M. Dieser hatte versucht eine ehemalige Breslauer Jüdin, die nach Leobschütz/Westpreußen ausgewandert war, wegen angeblicher Devisenvergehen um 5000 R M zu erpressen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung des Generalquartiermeisters Wagner, der noch im Februar 1941 (!) bei internen Planspielen die Meinung vertrat, die „Feldgendarmerie- und Polizei-Einheiten" seien „im Polizeidienst (Verkehrsregelung, Ordnungsdienst)" einzusetzen. „Geschlossener Einsatz ist nur in besonderen Fällen vorzusehen." Müller, Kriegsrecht oder Willkür?, S. 141. Vgl. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 137. Vgl. Longerich, Politik, S.247. Am 2.4.1941 hatte das O K H in einem Befehl zur „Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des S D " im Feldzug gegen Jugoslawien neben „Emigranten, Saboteuren, Terroristen usw." ausdrücklich auch „Juden und Kommunisten" als Gegner bezeichnet. Vgl. Krausnick/ Wilhelm, Truppe, S. 137. Erste antijüdische Maßnahmen begannen bereits während des Balkanfeldzugs; zu ausgedehnten Repressalmaßnahmen kam es dann freilich erst in der Zeit von Ende September bis Anfang Dezember 1941. In diesem Zeitraum erschossen Einheiten der Wehrmacht zwischen 20000 und 30000 „Geiseln", die meisten von ihnen Juden und Roma. Vgl. hierzu Manoschek, Serbien. Wie tief sich der Disput zwischen Wehrmacht und SS eingegraben hatte, verdeutlicht der folgende Tagebucheintrag Halders: „Alte Streitfälle mit SS über Polen-Vorkommnisse. Untersuchungen müssen unter Heranziehung unserer Dienststellen fortgesetzt werden. Dann erst Urteil möglich." Halder, Kriegstagebuch, Bd. II, S.345 (Ei ntrag vom 4.4.1941). Allerdings war es bezeichnend, wenn dieser Streit d;inn im Juni 1941 beigelegt wurde. Vgl. hierzu Arnold, Wehrmacht, S. 131; Browning, Entfesselung, S. 126 ff.

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5. Verbrechen

rich noch im Juli 1940, dass „über grundsätzliche Fragen der Staatsfeindbekämpfung [...] in vielen Fällen bei den höheren Befehlshabern des Heeres eine grundsätzlich andere Auffassung" bestände. Die Auffassungen der Militärs „über Juden, Freimaurer, Marxisten und Kirchenfragen" seien „naturgemäß" völlig anders als die, die man im Reichssicherhauptamt vertrete 51 . Das war etwa die Lage während jenes richtungsweisenden Jahres, das im Sommer 1940 begann. Bei den Feldzügen im Westen und in Skandinavien hatten antisemitische Verbrechen keine Rolle gespielt, während sich die Besatzungspolitik der Wehrmacht in Frankreich und Serbien erst im Herbst 1941 radikalisieren sollte. Unklar war die Situation im besetzten Polen. Mit der Absetzung von Blaskowitz hatte sich die politische Führung zwar fürs Erste durchgesetzt, doch wusste man noch nicht, wie sich die Wehrmachtsführung verhalten würde, falls dieser Konflikt wieder aufbrechen würde. Ganz davon abgesehen handelte es sich in all diesen Fällen um Feldzüge, die nur kurze Zeit gedauert hatten, so dass sich die militärischen Besatzungsverwaltungen, nicht aber die kämpfende Truppe, mit der Frage beschäftigen musste, wie mit den Juden zu verfahren sei. Was aber würde geschehen, wenn das Regime seine Judenpolitik radikalisieren würde? Wie würde sich dann die militärische Führung verhalten und wie die Masse der Wehrmacht, die Truppe? Die SS-Führung erwartete eine Antwort auf diese Fragen „mit einiger Spannung" 52 und versuchte schon vor Beginn des deutschsowjetischen Krieges einige zentrale Punkte mit der Wehrmacht zu regeln. 5.4.1.2 Befehle Die Kooperation zwischen der Wehrmacht einerseits und den SS- und Polizeiformationen andererseits beruhte auf vier Anordnungen, auf die sich die politische und die militärische Führung vor Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges geeinigt hatten 53 : - die „Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr. 21", des OKWvom 13. März 194154 - die „Besonderen Anordnungen für die Versorgung", des OKH vom 3. April 194155 - der Befehl des OKH zur „Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD im Verbände des Heeres" vom 28. April 1941 56 - und schließlich der Befehl des Reichsführers SS über die Einsetzung Höherer SS- und Polizeiführer im Rückwärtigen Heeresgebiet vom 21. Mai 194157.

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In einem Brief vom 2 . 7 . 1 9 4 0 . Druck: Krausnick, Hitler und die Morde in Polen, S. 206-209. Hüner, Heerführer, S.517. Vgl. hierzu Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 116; Förster, Unternehmen, S. 421 ff.; Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 19ff.; Angrick, Besatzungspolitik, S. 41 ff.; Gerlach, Morde, S- 81 ff.; Arnold, Wehrmacht, S. 125ff.; Hürter, Heerführer, S . 2 4 0 f f . Die ersten Richtlinien, die Heydrich „über die Säuberung der Gefangenenlager" erließ, datieren v o m 17.7.1941. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 346ff. Druck: Hubatsch, Hitlers Weisungen, S. 88-91. Zur Genese vgl. K T B O K W , Bd. I, S. 340f. (Eintrag vom 3 . 3 . 1 9 4 1 ) . Druck: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S. 299-304. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S . 3 0 3 f . Druck: Jacobsen, Kommissarbefehl, Dok. 9.

5.4 Völkermord

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Der Inhalt dieser Anordnungen blieb, verglichen mit ihren Folgen, bemerkenswert vage und diffus 58 . Zwar hatte das O K W in seinen Richtlinien, die es schon am 13. März 1941, also noch vor jener richtungsweisenden Konferenz vom 30. März, in Kraft gesetzt hatte 59 , „Sonderaufgaben" angekündigt, die „der Reichsführer SS zur Vorbereitung der politischen Verwaltung" erhalten solle und die „sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme" ergäben. Doch blieb offen, was darunter genau zu verstehen war. Viel wichtiger erschien vorerst ein anderer Punkt - die Abgrenzung zwischen den militärischen und den nicht-militärischen Organisationen 60 : Der Reichsführer SS sollte im Hoheitsgebiet der Wehrmacht „selbständig und in eigener Verantwortung" operieren können, und zwar „im Auftrage des Führers", freilich ohne dabei die militärischen Operationen zu stören. So etwas war theoretisch noch denkbar. Dass mit einer solchen Regelung jedoch die „Vollziehende Gewalt" des Heeres nicht berührt sei, wie eben diese Richtlinien behaupteten, war eine glatte Lüge. Laut Vorschrift sollten die Armeeoberkommandos in ihren Besatzungsgebieten „die gesamte Verwaltung" leiten 61 . Auf einem zentralen Feld aber hatte man sie bereits mit diesen Rahmenrichtlinien von vorneherein durchbrochen. Zum Verständnis dessen, was nun geschah, ist daran zu erinnern, dass sich in dieser „Schicksalsstunde des deutschen Heeres" 62 viele Alternativen boten. Eine Option wäre - zweifellos - gewesen, Himmlers Apparat ganz aus dem Hoheitsgebiet der Wehrmacht hinauszudrängen. Dies war gewissermaßen das eine Extrem. Das andere hätte die Forderung an die Wehrmacht gebildet, sie solle doch bitteschön selbst jene Aufträge übernehmen, welche die politische Führung dem SSund Polizei-Apparat übertragen wollte. Dass so etwas theoretisch durchaus denkbar war, belegt bereits der „Kommissarbefehl", mit dem Hitler sehr bewusst die Wehrmacht zum Komplizen seines Vernichtungsprogramms machte. In dieser Situation schien der Heeresführung ein Mittelweg am besten, wie an ihrer Anordnung vom 3. April 1941 erstmals erkennbar wird 63 . Dort wurde, unter vielen anderen Punkten, fast schon am Rande von „Sonderaufgaben" des Reichsführers SS gesprochen64, dessen Einheiten in den Rückwärtigen Heeres- und den Rückwär58 59

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So Pohl, Kooperation, S. 108. Gerlach (Morde, S. 81 f.), der die Eigeninitiative der militärischen Führung betont, hat darauf hingewiesen, dass die Vorbereitungen zum Einsatz von Himmlers Formationen schon sehr früh begonnen hätten, „bereits um die Monatswende Januar/Februar 1941". Er übersieht aber, dass man von Seiten der SS bereits seit Sommer 1940 in dieser Frage zu „bohren" begonnen hatte. Erste Gespräche, welche Heeresführung und SS in dieser Frage geführt hatten, blieben zunächst ergebnislos. Vgl. hierzu Krausnick, Hitler und die Morde; Hartmann, Halder, S.242f.; Arnold, Wehrmacht, S. 127f. mit Anm.494. Vgl. mit der Argumentation Heydrichs in seinem Brief vom 2.7.1940, dass das O K H sich „bei zukünftigen Einsätzen [...] zwar der fachlichen Kräfte der Polizei" bedienen wolle, „diese aber nicht in SS-Uniform und nicht unter Führung ihrer Polizei- und SS-Vorgesetzten", sondern „lediglich im Rahmen des Heeres als Geheime Feldpolizei zum Einsatz" bringen wolle. Druck: Krausnick, Hitler und die Morde, S. 207. Vgl. IfZ-Archiv, Da 34.08: H.Dv.g. 90: Versorgung des Feldheeres, Teil 1, Berlin 1.6.1938,S.21f.,25. So Hillgruber, Hitlers Strategie, S. 527. Den entsprechenden Auftrag hatte Halder schon am 14.3.1941 erteilt. Vgl. Halder, Kriegstagebuch, Bd.II, S.312 (Eintrag vom 14.3.1941). „Im rückwärtigen Armeegebiet und im rückwärtigen Heeresgebiet führt der Reichsführer SS mit eigenen Organen selbständig und in eigener Verantwortlichkeit Sonderaufgaben durch. Hierüber ergeht besonderer Befehl." Druck: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S.302.

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5. Verbrechen

tigen Armeegebieten unterwegs sein würden. Das O K H hatte sich auf einen Kompromiss eingelassen. Akzeptabel erschien ihm das durch die Vorstellung, damit wenigstens einen Teil seiner Autonomie gerettet zu haben. Es lag in der Konsequenz dieses Denkens, mit Hilfe formaler Bestimmungen Distanz wahren zu können, wenn am 28. April 1941 die Einbindung von SS und Polizei nochmals präzisiert wurde. Dieser Regelung war das Ergebnis einer Absprache, die zwölf Tage zuvor in Graz stattgefunden hatte 65 . Die Position des Heeres war schwach; andere Aspekte schienen seiner Führung offenbar wichtiger. Deshalb war es lediglich durch seinen Generalquartiermeister, General Eduard Wagner, vertreten. Die SS hatte hingegen gleich ihren Reichsführer Heinrich Himmler aufgeboten, den Chef des Reichssicherheitshauptamts, SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, und eine Reihe weiterer Funktionäre. Diese ungleichen Partner scheinen sich freilich rasch darüber geeinigt zu haben, wie Himmlers Schergen ins Hoheitsgebiet der Wehrmacht einzubinden waren: die Einsatzgruppen als ihr eigentlicher Kern sollten in zwei Wellen agieren. Während „Sonderkommandos" im Rückwärtigen Armeegebiet einzelne „Objekte" sowie „besonders wichtige Einzelpersonen" sicherzustellen hatten, lag die „Erforschung und Bekämpfung der staats- und reichsfeindlichen Bestrebungen" bei den „ Einsatzkommandos" im Rückwärtigen Heeresgebiet, deren Befehlshaber von den Einsatzkommandos über die „politische Lage" auf dem Laufenden gehalten werden sollten. Das konnte vieles bedeuten. Klarer waren die funktionalen und territorialen Definitionen: Die Sonderkommandos sollten gewissermaßen als Vorhut fungieren, während die eigentliche Exekutive dann bei den Einsatzkommandos lag, die in einiger Entfernung zum Gefechtsraum in den Rückwärtigen Heeresgebieten operierten. Im Gegensatz zu den Sonderkommandos, die eng an ihre jeweiligen Armeen gebunden blieben, waren die Freiräume der Einsatzkommandos etwas größer. Allerdings sollten beide „in eigener Verantwortlichkeit" handeln; disziplinarisch und gerichtlich unterstanden sie allein Reinhard Heydrich. Nur „hinsichtlich Marsch, Versorgung und Unterbringung" waren sie den jeweiligen militärischen Verbänden „unterstellt". Wie man sich dies auf Seiten der Wehrmacht vorstellte, ließ eine Besprechung vom 16. Mai 1941 erkennen. Bei dieser Gelegenheit konkretisierte der Major i. G. Hans Georg Schmidt von Altenstadt, ein enger Mitarbeiter Wagners, dass es sich bei den Sonderkommandos nur um „schwache Gruppen" handeln würde. „Größere Aktionen" würden erst „im rückwärtigen Heeresgebiet" stattfinden, es handele sich hier um die „Bekämpfung politischer Bestrebungen", erst hier sei der SS- und Polizeiapparat in seiner vollen Stärke im Einsatz 66 . Die Stärke der Einsatzkommandos veranschlagte die Wehrmachtsführung denn auch auf je 500 Mann, die der Sonderkommandos dagegen nur auf je 80 67 .

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Grundlage dieser Besprechung war ein Entwurf, den der Generalquartiermeister des Heeres am 26.3.1941 erarbeitet hatte. Druck: Jacobsen, Kommissarbefehl, Dok. 2. Die Tatsache, dass weder Brauchitsch noch Halder bei dieser Absprache vertreten waren, macht deutlich, dass sie auch in diesem Fall gerne diese undankbare Aufgabe an Wagner delegierten. Vortragsnotiz Majori. G. Hans Georg Schmidt von Altenstadt zur Besprechung vom 16.5.1941, faksimilierter Druck: Verbrechen der Wehrmacht, S. 61. Vgl. auch Förster, Umsetzung, S.424. Förster, Umsetzung, S.425.

5.4 Völkermord

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Nachdem es bei all diesen Absprachen offensichtlich keine Probleme gegeben hatte, schien dem Reichsführer SS der Zeitpunkt gekommen, die Stärke seiner Formationen noch einmal erheblich zu erweitern. Einen knappen Monat nach der Veröffentlichung des „Wagner-Heydrich-Abkommens", am 21. Mai 1941, befahl er, „in den drei rückwärtigen Heeresgebieten je ein[en] .Höheren SS- und Polizeiführer'" einzusetzen. Ihnen sollten zusätzlich je ein Polizei-Regiment sowie weitere Einheiten der Ordnungspolizei und der Waffen-SS unterstehen. Damit hatte Himmler seine Macht enorm ausgebaut. Während sich die Größe der Einsatzgruppen auf etwa 3 500 Mann belaufen sollte, umfasste die Stärke aller Polizei-Bataillone sowie der drei Brigaden der Waffen-SS nochmals über 30000 Mann 68 . Das bedeutete: SS und Polizei waren so groß und mächtig geworden, dass ohne sie die Sicherung des Hinterlandes kaum noch möglich schien. Diese „militärische" Funktion wurde für diese nun zu einem weiteren Einfallstor in das Hoheitsgebiet der Wehrmacht. Charakter und Dimension der bevorstehenden ethnischen Säuberung ließen sich all diesen abstrakten Regelungen - „unbestimmt und vieldeutig zugleich" 69 - aber kaum entnehmen. Die Abmachungen, die man getroffen hatte, enthielten „keine Formulierungen, die den Einsatzgruppen die summarische Exekution aller Juden erlaubt hätten" 70 . Trotzdem konnte die militärische Führung kaum für sich in Anspruch nehmen, sie hätte nicht gewusst, worauf sie sich damals eingelassen habe 71 . Denn nicht allein in den vorhergehenden Feldzügen hatte man ungute Erfahrungen mit den Einsatzgruppen gemacht. Hitler selbst hatte bereits im März 1941 gegenüber seiner unmittelbaren militärischen Umgebung offen über seine Vernichtungsphantasien gesprochen; die besetzten sowjetischen Gebiete könne man nur mit „brutalster Gewalt" neu organisieren 72 . Auch müsse „die jüdischbolschewistische Intelligenz, als bisheriger .Unterdrücker' des Volkes, [...] beseitigt werden" 73 . Das ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Deshalb hatte man sich nicht nur in der Wehrmachts-, sondern auch schon in der Truppenführung darüber Gedanken gemacht, wie denn nun der „Einsatz von SS-Einsatzkommandos" in der Praxis auszusehen habe 74 . Dass es hierbei zu Exekutionen kommen würde, stand außer Zweifel; sie müssten „abseits der Truppe vorgenommen werden" - allein darauf legte die militärische Führung Wert.

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Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 147; Kwiet, Auftakt zum Holocaust, S. 193. Hürter, Heerführer, S. 240. Zu Recht hat Gerlach (Morde, S. 84) darauf hingewiesen, dass der Befehl des O K H vom 28.4.1941 aufgrund seiner unklaren Angaben „lediglich als .Geheim' eingestuft" wurde. Streit, Ostkrieg, S.244. Vgl. mit der Argumentation Keitels, der in seiner Eidesstattlichen Erklärung vom 29.3.1946 behauptete, wie sich der Einsatz der SS in den besetzten Gebieten auswirken würde, „konnte ein Soldat nicht voraussehen, ja nicht einmal vorausahnen". 1MT, Bd. 40, S. 376-385 (hier S. 377): Dok. Keitel 12. Halder, Kriegstagebuch, B d . I I , S.320 (Eintrag vom 17.3.1941). K T B O K W , Bd.I, S.341 (Eintrag vom 3.3.1941). Handelte es sich hier um eine Äußerung gegenüber dem OKW, so bekräftigte Hitler zwei Wochen später gegenüber der Heeresführung: „Wir müssen stalinfreie Republiken schaffen. Die von Stalin eingesetzte Intelligenz muß vernichtet werden." Halder, Kriegstagebuch, Bd.II, S.320 (Eintrag vom 17.3.1941). Besprechungsnotiz des Rittmeisters Schach von Wittenau vom 6./7.3.1941, faksimilierter Druck: Verbrechen der Wehrmacht, S. 57.

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5. V e r b r e c h e n

Vor allem Kontrolle und Information war den militärischen Führungszentralen wichtig, auch eine gewisse räumliche Distanz zu Himmlers Einheiten, alles andere aber ließ man laufen 75 . Das offene Eingeständnis des Generalquartiermeisters Wagner, er sei im Grunde genommen froh, „daß wir diesmal mit den ganzen politischen Dingen nichts zu tun haben" 76 , macht klar, dass man sich der politischen wie moralischen Verantwortung mit derart formalistischen Planspielen auf eine gleichermaßen bequeme wie unakzeptable Weise entledigen wollte. Bereits 1939, noch während des Polenfeldzugs hatte die politische Führung der Heeresführung kühl und bestimmt beschieden, „wenn die Wehrmacht" mit der rassenideologischen Mordpolitik „nichts zu tun haben wollte, sie es auch hinnehmen müsse, dass SS und Gestapo neben ihr in Erscheinung träten" 77 . Zumindest die obersten militärischen Instanzen hatten das damals letzten Endes akzeptiert 78 . In Polen hatten sie gegenüber Hitler an politischem Terrain verloren, und auch der Westfeldzug, für die Heeresführung im Grunde eine fachliche „Blamage", erschien als eine sehr reale Bestätigung von Hitlers nominellem Führungsanspruch über die Wehrmacht 79 . Dass bei der Beurteilung des künftigen sowjetischen Gegners zwischen der politischen und der militärischen Führung eine Reihe handfester Gemeinsamkeiten existierte, kam Hitler ebenso zugute wie die Erwartung an die Heeresführung, sie müsse das bevorstehende Unternehmen, das selbst Hitler für „gigantisch" hielt 80 , in kürzester Zeit durchfechten 81 . Vor diesem Hintergrund hielten es die führenden Militärs für besser, der politischen Leitung eine Art Deal anzubieten. Um „ihre" Soldaten aus „den ganzen politischen Dingen" herauszuhalten und um wenigstens bei der operativen Führung des bevorstehenden Feldzugs, über deren Schwerpunkte auch noch Unklarheit bestand 82 , Handlungsfreiheit zu besitzen, opferten sie einen Teil ihrer politischen Autonomie in den rückwärts gelegenen Besatzungsgebieten 83 . Doch wurde das Verhalten der Wehrmacht nicht allein durch Befehle geregelt. Ausschlaggebend waren dafür auch Vorstellungen, die mitunter viel älter waren als die Angehörigen dieser Armee. 5.4.1.3 Bilder Für die deutsche Gesellschaft und deren bewaffnete Macht waren die sowjetischen Juden etwas Besonderes. Im Blick auf diese Gruppe vereinigten sich gleich zwei tiefsitzende deutsche Phobien - der Antisemitismus und der Antibolschewismus.

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So schärfte der Generalquartiermeister den hierfür zuständigen Generalstabsoffizieren des Ostheers ein: „Als Grundprinzip wurde erreicht: Die Durchführung politischer Aufträge des Führers soll nicht Sache des Heeres sein." So Wagner bei einer Besprechung beim A O K 16 am 1 6 . 5 . 1 9 4 1 , zit. bei: Arnold, Wehrmacht, S. 132. Wagner, Generalquartiermeister, S.201 (Brief v o m 2 0 . 9 . 1 9 4 1 ) . In diesem Sinne auch Daliin, Herrschaft, S.32ff.; Arnold, Wehrmacht, S. 109ff., 132; Hürter, Heerführer, S.242. Aktenvermerk des Oberstleutnants i. G. Erwin Lahousen, Edler von Vivremont, „über die Besprechung im Führerzug" vom 1 2 . 9 . 1 9 3 9 , in: Groscurth, Tagebücher, S. 357-359, hier S. 358. Vgl. Müller, Heer und Hitler, S.425ff., ferner ebda., D o k . 4 8 - 5 0 ; Hartmann, Halder, S . 1 4 9 f f . ; Longerich, Politik, S. 243 ff.; Browning, Entfesselung, S. 3 4 f f . Vgl. Hartmann, Halder, S.201 ff. Bock, Tagebuch, S. 181 (Eintrag vom 3 0 . 3 . 1 9 4 1 ) . Vgl. Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 4 3 7 f f . Vgl. hierzu Hartmann, Halder, S . 2 3 7 f f . Vgl. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 1 1 6 f f .

5.4 Völkermord

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Diese These ist weder neu noch originell 84 . Doch erklärt sie, warum sich gerade in diesem Fall der deutsche Antisemitismus so radikalisierte. D a man den deutschen Soldaten unaufhörlich einredete, beim Bolschewismus handele es sich um „eine politische Aktion des Weltjudentums" 8 5 , schien jedes sowjetische Verbrechen, jeder ökonomische Missstand, jede Kriegslist der Roten Armee als Bestätigung jenes Wahns, hier seien allein „die" Juden am Werk. So wahnwitzig der Versuch auch war, ein politisches Phänomen wie den Bolschewismus rassistisch erklären zu wollen, im Sommer 1941 war die Uberzeugungskraft dieses Erklärungsmusters doch hoch, schon weil kaum einer der deutschen Invasoren die Sowjetunion wirklich kannte. Was sie hingegen mitbrachten waren Feindbilder, auch das von „RussischJudäa". J e wirklichkeitsfremder und vor allem verschwommener solche Wortfassaden waren, desto größer war ihre Wirkung. Seit Ende des Ersten Weltkriegs hatten sich diese trostlosen Ideen jedenfalls immer stärker in der Mentalität der deutschen Gesellschaft eingenistet, 1933 erhielten sie den Status eines Regierungsprogramms 8 6 , das auch die propagandistische Konfrontation mit der Sowjetunion prägte. Nach der kurzen Unterbrechung durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt wurden die Soldaten des Ostheers seit dem 22.Juni 1941 förmlich überschüttet von Verlautbarungen, welche die Identität und die Gefährlichkeit von Judentum und Bolschewismus zu belegen suchten. Wenn selbst Viktor Klemperer den Zweiten Weltkrieg als „Jüdischen Krieg" verstand 8 7 , so verdeutlicht dies einmal mehr den Stellenwert, den dieser Topos hatte; er wurde nun zum „Leitthema der gesamten NS-Propaganda gegen den Kriegsgegner im Osten" 8 8 . Im Juli 1941 erwartete Goebbels, dass nun „der größte Judenschwindel aller Zeiten aufgedeckt und entlarvt" werde. Das sowjetische „Arbeiterparadies" würde sich nun als „ein gigantisches Betrüger- und Ausbeutersystem" entpuppen. „In diesem System, in dem Juden, Kapitalisten und Bolschewisten Hand in Hand arbeiten, herrscht ein geradezu unvorstellbarer Grad menschlicher Verkommenheit." 8 9 „Juden, Kapitalisten und Bolschewisten Hand in H a n d " - geistesgeschichtlich handelt es sich hier um eine geradezu atemberaubende Synthese einer sowohl antikapitalistisch wie antibolschewistisch ausgerichteten Judenfeindschaft, die dann in der Vorstellung mündete, dass „die" Juden unter verschiedenen ideologischen Vor-

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Vgl. etwa die frühe Deutung von Hillgruber, Die „Endlösung" und das deutsche Ostimperium; Ferner Wette, „Rassenfeina"; Ueberschär, Der Mord an den Juden und der Ostkrieg; Streit, Ostkrieg, Antibolschewismus und „Endlösung". Ferner: Hecker, Die Sowjetunion im Urteil des nationalsozialistischen Deutschland; Jahn, „Russenfurcht" und Antibolschewismus. IfZ-Archiv, Db 052.29 a: E. V. von Rudolf [i.e. Rudolf Elmayer von Vestenbruge], Totengräber der Weltkultur. Der Weg des jüdischen Untermenschentums zur Weltherrschaft, München 1937, S. 103. Pohl, Wehrmacht und Mord, S.40. Klemperer, Tagebücher 1945, S.8 (Eintrag vom 14.1.1945). Vgl. etwa IfZ-Archiv, Db 008.024: NSDAP, Hauptschulungsamt, Sprechabenddienst, Parole Nr.21 (Sept./Okt. 1944): „Den Juden kennen, heißt den Sinn des Krieges verstehen!" Weitere Beispiele bei Herff, „Der Krieg und die Juden", S. 159ff. Wette, Rußlandbild, S. 64. Zur Bedeutung und Konstanz dieses Ziels für Hitlers Denken und Politik vgl. Jäckel, Hitlers Weltanschauung, S.55ff. Ferner Wilhelm, Die „nationalkonservativen Eliten". Boelcke (Hrsg.), Geheime Goebbels-Konferenzen, S.238 (Konferenz vom 5.7.1941).

648

5. Verbrechen

zeichen nach nichts anderem strebten als nach der „Weltherrschaft" 9 0 . So abstrus solche Theorien auch waren, selbst in der Wehrmachtsführung hielten sie viele f ü r schlüssig. Der Generaloberst Erich Hoepner, der seinen Soldaten erklärte, dass es in diesem Krieg um die „ A b w e h r des jüdischen Bolschewismus" gehe 9 1 , w a r kein Außenseiter 9 2 . A u c h in vielen anderen Oberkommandos w u r d e schon v o r Kriegsbeginn „der Topos v o m notwendigen Kampf gegen den .jüdischen Bolschewismus' immer wieder in die Befehle" aufgenommen 9 3 . U n d auch in den „Richtlinien f ü r das Verhalten der Truppe in Rußland", die das O K W v o r Feldzugsbeginn an alle im Osten eingesetzten Formationen verteilte 9 4 , w u r d e auch ein „rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden" gefordert. Diese G r u p p e n galten als die eigentlichen Drahtzieher dieses Krieges, gegen den sich das Deutsche Reich - so eine weitere deutsche Propagandalüge - nun präventiv zur Wehr setzte. Durch diese Verschmelzung von Antisemitismus und Antibolschewismus gerieten die sowjetischen Juden sehr rasch in eine Rolle, in der sie sich nicht zum ersten Mal befanden - in die der Sündenböcke. Das Fremde, Unheimliche und Verbrecherische dieses politischen Systems sei, so die Gebetsmühle der NS-Propaganda, allein das Werk der „jüdisch-bolschewistischen Machthaberschaft von Moskau" 9 5 . Immer dann, so die nationalsozialistischen Deutungsmuster, wenn sich der Krieg radikalisierte, seien die Juden am Werk - an der Front in Gestalt des „jüdischen Kommissars" 96 , im Hinterland als „Anstifter des Partisanenkriegs" 97 . Je „rücksichtsloser und energischer" aber die Juden beseitigt würden - so die implizite Versprechung der deutschen Propaganda - , um so schneller wäre der Krieg zu Ende 9 8 . 90

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Vgl. etwa IfZ-Archiv, Da 034.006 (a): Wofür kämpfen wir? Hrsg. vom Personal-Amt des Heeres, Berlin 1944, S. 8: Als erster Satz zum Thema Judentum wurde dort verkündet: „Die Juden streben seit Jahrtausenden die Herrschaft über die Welt an." Befehl Hoepners vom 2.5.1941, Druck: Wette/Ueberschär (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 305. Schon 1939 hatte das OKW in einem seiner „Schulungshefte" die Auffassung vertreten, dass man mit „den nichtjüdischen Völkern [...] eine ritterliche Auseinandersetzung" führe. „Das Weltjudentum aber bekämpfen wir, wie man einen giftigen Parasiten bekämpfen muß." IfZArchiv, Da 033.059: C. A. Hoberg, Der Jude in der deutschen Geschichte, in: Schulungshefte für den Unterricht über nationalsozialistische Weltanschauung und nationalpolitische Zielsetzung. Hrsg. vom Oberkommando der Wehrmacht, Abt. Inland, 1 (1939), H. 5, S. 3-42. Zur Wirkung solcher Parolen vgl. etwa Müller, Deutsche Soldaten, S. 147f. Hürter, Heerführer, S. 516 sowie Uziel, Wehrmacht Propaganda Troops and the Jews. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 312. So führte etwa die Ortskommandantur Gomel im Auftrag der 221. Sich. Div. den Film „Der ewige Jude" vor. IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sich. Div., Abt.I c, Meldung betr. „Geistige Betreuung" an 286. Sich. Div. vom 14.12.1941. So Hitler in seinem Aufruf an die „Soldaten der Ostfront" vom 22.6.1941, die unmittelbar vor Angriffsbeginn allen deutschen Kriegsteilnehmern bekannt gegeben wurde. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 319-323, hier S.319. Vgl. Kap.5.1. Ferner Messerschmidt, Wehrmacht, S.326f.; Römer, Befolgung, S. 190. Das versuchte man auch der Gegenseite einzureden. Das Bild des „jüdisch-kommunistischen Kommissars" war in den Flugblättern, welche die Wehrmacht über der gegnerischen Front abwarf, ein häufiges Motiv. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1591: 4. Pz. Div., Abt.I c, Flugblatt „Offiziere, Soldaten des russischen Heeres, Genossen!", Flugblatt „Kämpfer und Kommandeure". Hilberg, Vernichtung, S.217. Vgl. ferner Kap.5.5. Vgl. mit der Einschätzung durch Messerschmidt (Wehrmacht, S.360f.), der die antisemitische Propaganda der Wehrmacht als „.gemäßigt', als nicht unmittelbar .mentalitätserzeugend' im Sinne der Ausrottungsmentalität" charakterisierte. Doch habe sie bereits dadurch das Verständnis gefördert für das, „was die Avantgarde des Führers praktizierte".

5.4 Völkermord

649

Dass solche Parolen unter den deutschen Soldaten nicht ungehört verhallten", ist leicht zu belegen. Zu eben diesem Zweck erschienen vor wie nach 1945 knappe Editionen, die - wenn auch unter unterschiedlichem Vorzeichen - genau diesen Beweis zu führen suchten: „Bolschewik sein, kann nur ein Jude, für diesen Blutsauger gibt es nichts schöneres, als Bolschewik zu sein [...]", schrieb ein SanitätsGefreiter in einer nationalsozialistischen Briefedition von 1941 1 0 0 , ein Obergefreiter wurde zitiert, der „die" Juden als „die Übeltäter" jener Massaker präsentierte, auf die die deutschen Truppen damals trafen. Zeugnisse dieser Art knüpfen fast nahtlos an jene schmale Briefedition an, die über 50 Jahre später erschien 101 . Wenn hier ein Leutnant die Sowjetunion für „das satanischste und verbrecherischste System aller Zeiten" hielt und für „ein Paradies für Juden", wenn einem Gefreiten die „Gründlichkeit" imponierte, mit der hier die „Judenfrage" gelöst würde, dann scheint der Schluss nahe zu liegen, dass der Antisemitismus, und zwar ein radikaler, eliminatorischer Antisemitismus, damals Allgemeingut des deutschen Ostheeres gewesen sei. Doch sind solch rasch zusammengestellte Broschüren 102 wirklich repräsentativ? Bei einer Zahl von etwa 10 Millionen deutscher Kriegsteilnehmer in der Sowjetunion 103 liegt das Problem nicht darin - so Klaus Latzel - , „Äußerungen zu finden, in denen die genannte Schwelle [zum Antisemitismus] überschritten wird, sondern darin, solche Belegstellen zu gewichten" 104 . Dieses Problem wird sich auch hier stellen. Denn in einer Millionenarmee wie der Wehrmacht existierten viel mehr Bilder von den Juden und der Sowjetunion, als es die dürren Propagandaformeln vermuten lassen 105 . Das lag schon allein daran, dass es sich bei diesem Krieg um einen dynamischen Prozess handelte, der mit zunehmender Dauer auch zu einer Art „Nagelprobe für die Richtigkeit des nationalsozialistischen Rußlandbildes" wurde 106 . Und auch die Prämissen, unter denen Auch die deutsche „Heimatfront" wurde mit ähnlichen Bildern konfrontiert und entwickelte interessanterweise ähnliche Stimmungen. Vgl. etwa Boberach (Hrsg.), Meldungen aus dem Reich 1938-1945, Bd. 7, S. 2564 (Meldung Nr. 205 vom 24.7.1941 ): „Mit lebhafter Zustimmung wurden die Bilder von der Inhaftierung der am Mordwerk beteiligten Juden aufgenommen und zum Ausdruck gebracht, daß mit diesen noch viel zu loyal umgegangen würde. Die Bildfolgen vom Zwangseinsatz der Juden zu Aufräumungsarbeiten seien überall mit großer Freude aufgenommen worden." 1 0 0 Wolfgang Diewerge, Deutsche Soldaten sehen die Sowjet-Union, Berlin 1941, S.35, 44. Zur Person Diewerges vgl. Frei, Vergangenheitspolitik, S.366, 368, 380; Weißbecker, „Wenn hier", S.38. 1 0 1 Manoschek (Hrsg.), „Es gibt nur eines für das Judentum", S. 43, 51. 102 Während die Broschüre von Diewerge den Angriff auf die Sowjetunion propagandistisch begleiten sollte (die Reichspropagandaleitung der N S D A P plante, diese Broschüre in einer Höhe von drei Millionen Exemplaren zu verbreiten), ist die Edition von Manoschek im Kontext der ersten Wehrmachtsausstellung erschienen. Angesichts der Größe der von ihm herangezogenen Sammlung an Feldpostbriefen (ca. 50000 Stück) sind seine 103 Belege, die noch dazu teilweise von denselben Autoren stammen, noch kein Beweis für eine antisemitische Indoktrination der Wehrmacht. Vgl. dagegen die folgende Edition, die - basierend auf der wohl größten Sammlung deutscher Feldpost des Zweiten Weltkriegs - einen repräsentativen Querschnitt aus diesen Briefen zu präsentieren sucht. Von 206 Seiten sind insgesamt vier antisemitischen Briefpassagen gewidmet, wobei offen bleibt, ob diese Auswahl ihrem prozentualen Anteil Rechnung trägt. Vgl. Buchbender/Sterz, Gesicht, S. 170-173. 1 0 5 So eine Schätzung von Müller, Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik, S.2. 1 0 4 Latzel, Deutsche Soldaten, S.204. 1 0 5 Förster, Rußlandbild, S. 141. Auch zum Folgenden. 1 0 6 Weißbecker, „Wenn hier", S.34. 99

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5. Verbrechen

das D e u t s c h e R e i c h diesen K r i e g b e g o n n e n hatte, w u r d e n d u r c h seinen V e r l a u f z u n e h m e n d in F r a g e gestellt. Spätestens seit H e r b s t 1 9 4 1 w u r d e d a r ü b e r i n v i e l e n S t ä b e n des O s t h e e r s d i s k u t i e r t 1 0 7 - die „ J u d e n f r a g e " m i t eingeschlossen, s c h o n w e i l d e r e n „ L ö s u n g " bei e i n e r g a n z e n R e i h e v o n S o l d a t e n E r s t a u n e n , E k e l o d e r E m p ö r u n g h e r v o r g e r u f e n hatte. G a n z d a v o n a b g e s e h e n k o n n t e j e d e r m a n n sehen, dass sich w e d e r die p o l i t i s c h e n o c h die m i l i t ä r i s c h e S i t u a t i o n z u g u n s t e n d e r D e u t schen v e r b e s s e r t e , o b w o h l d o c h i m m e r m e h r J u d e n v e r s c h w a n d e n . A b e r selbst, w e n n m a n seine M e i n u n g in d e r „ J u d e n f r a g e " r e v i d i e r t e o d e r w e nigstens m o d i f i z i e r t e , w a r es d o c h s c h w i e r i g , d a r a u s K o n s e q u e n z e n z u z i e h e n . D e n n das N S - R e g i m e w a r in dieser, a n g e b l i c h existentiellen A n g e l e g e n h e i t u n e r b i t t l i c h 1 0 8 . 1 9 4 2 b e k r ä f t i g t e d e r G e n e r a l S c h m u n d t n o c h m a l s , dass m a n v o m d e u t schen O f f i z i e r „eine eindeutige, v ö l l i g k o m p r o m i ß l o s e H a l t u n g in d e r J u d e n f r a g e " e r w a r t e 1 0 9 . S c h o n G e b u r t s t a g s b r i e f e o d e r ein ö f f e n t l i c h e s T r e f f e n m i t d e n S t i g m a tisierten k o n n t e n z u r E n t l a s s u n g o d e r D e g r a d i e r u n g f ü h r e n 1 1 0 . A n g e s i c h t s dieses K o n f o r m i t ä t s d r u c k s f i n d e t sich selbst v o r s i c h t i g e K r i t i k an d e r d e u t s c h e n J u d e n p o l i t i k n u r sehr selten in d e n m i l i t ä r i s c h e n A k t e n 1 1 1 . H ä u f i g e r w e r d e n i n t e r n e G e s p r ä c h e g e w e s e n s e i n 1 1 2 ; a u c h r e g i s t r i e r t e n die S o n d e r k o m m a n d o s aus S i P o u n d

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Vgl. hierzu Hürter, Heerführer, S.449ff.; ders., Militäropposition; Richter, „Herrenmensch", S. 91 ff.; Pohl, Herrschaft, S. 170ff. Noch 1944 wurde die Broschüre „Wofür kämpfen w i r ? " in einer Millionenauflage an die Truppe verteilt. Den „Sinn" dieses Krieges reduzierte man hier auf folgende Formel „Jetzt geht es darum, welche Weltanschauung siegt: Der jüdisch-bolschewistische Ungeist des Materialismus oder die schöpferische Weltanschauung des germanischen Idealismus, der Nationalsozialismus." IfZ-Archiv, Da 034.006 (a): Wofür kämpfen wir? Hrsg. vom Personal-Amt des Heeres, Berlin 1944, S.32f. So in einem Befehl vom 31.10.1941, zit. bei: Messerschmidt, Wehrmacht, S.355. Auch zum Folgenden. So war etwa der Oberst Otto Marschall, während der Jahre 1941-1942 Kriegsgefangenen-Bezirkskommandant J, am 1.5.1941 als Kommandeur des Artillerieregiments 188 abgelöst worden, weil er - so der Befehlshaber im Wehrkreis XIII - „eine recht laxe Auffassung hinsichtlich der rassepolitischen Grundsätze gezeigt" habe. Marschall hatte einen Wachtmeister Tresper, dieser hatte sich 1939 in einem Alter von 51 Jahren kriegsfreiwillig gemeldet, in sein Regiment aufgenommen, obwohl ihm bekannt war, daß es sich bei diesem zu 50 % um einen „jüdischen Mischling" handelte. Vgl. B A - M A , Pers 6/8620: Otto Marschall. Am bekanntesten ist in dieser Hinsicht jener Eintrag im Kriegstagebuch der Heeresgruppe Mitte, demzufolge dort „die Erschießung der Juden, der Gefangenen und auch der Kommissare fast allgemein im Offizierskorps abgelehnt" würde. IfZ-Archiv, FD 600/1: HGr. Mitte, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 9.12.1941. Typischer dagegen Berichte wie etwa die Vernehmung des sowjetischen Hauptmanns i. G. Wassilij Malachow, aus der man auch eine vorsichtige deutsche Kritik am Genozid an den Juden herauslesen kann. Malachow mache „den bisher intelligentesten und soldatischsten Eindruck, der von einem Offizier der Roten Armee zu gewinnen ist", so jedenfalls das Urteil seiner deutschen Gegenüber. „Die bisherige Flugblattpropaganda bezeichnet Malachow als zu einseitig und unzweckmäßig. Die deutsche Propaganda beschränke sich z.Zt. auf Agitation gegen Kommissare und Juden. Die Judenfrage sei im r u s s i s c h e n ] Volke z. Zt. nicht besonders aktuell. Dies sei darauf zurückzuführen, daß viele Juden auch durch das bolschewistische System gelitten hätten. Außerdem trete der Jude im Osten immer weniger in Erscheinung. Hinter der allgemeinen Linie Smolensk - Gomel - Kiew gäbe es, vor allem auf dem Lande und in den kleineren Städten, sehr wenig Juden." Vgl. P A - A A , R 60704: A O K 2, Abt. I c/A.O. (VAA), „Bericht Nr. 16" vom 7.9.1941. Vgl. etwa Neitzel, Abgehört, S. 225 ff. Die in britischer Kriegsgefangenschaft heimlich abgehörten Berichte sind Ausdruck eines großen Meinungsspektrums, wobei hier nicht nur Zustimmung, sondern auch Entsetzen oder Wut als Reaktion auf den Holocaust vorkommen. Ferner Müller, Deutsche Soldaten, S. 153.

5.4 V ö l k e r m o r d

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SD, dass sie „überall", w o sie hinkamen, „etwas schräg angesehen" wurden 1 1 3 . Doch ist es angesichts der vielen Kontroll- und Sanktionsmechanismen einer Diktatur 1 1 4 nicht einfach, ein wirkliches Stimmungsbild zu erhalten 1 1 5 . Wie aber sah die Situation der sowjetischen Juden in Wirklichkeit aus? 5.4.1.4 Zur Situation der sowjetischen Juden In der Sowjetunion lebten im Januar 1939 rund drei Millionen Juden: die Hälfte davon in der Ukraine, eine weitere knappe Million in Russland sowie 3 7 5 0 0 0 in Weißrussland 1 1 6 . Das war die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Europa. Gleichwohl bildeten die Juden in der Sowjetunion nur eine kleine Minderheit. Bei einer Gesamtzahl von über 170 Millionen Sowjetbürgern betrug ihr Anteil damals 1,78 Prozent. Bis Juni 1941 war die Zahl der sowjetischen Juden allerdings stark gewachsen, auf knapp 5 Millionen Menschen 1 1 7 . Mit den Territorien, welche die Sowjetunion 1939/40 annektierte, waren nochmals 1,4 Millionen ostpolnische Juden, 2 2 5 0 0 0 baltische und 2 5 0 0 0 0 Juden aus Bessarabien hinzugekommen 1 1 8 . A m Vorabend des deutschen Angriffs existierten in der Sowjetunion zwei jüdische Lebensformen: Zum einen die traditionelle Stetl-Kultur, die sich vor allem auf die Gebiete westlich und östlich der deutsch-sowjetischen Demarkationslinie konzentrierte 1 1 9 . Hier lebten die nicht assimilierten Ostjuden, meist als kleine Händler, Handwerker und Taglöhner. Zum anderen hatte sich vor allem in den Städten der Sowjetunion ein modernes Judentum etabliert 120 . Nachdem schon mit der Februar-Revolution 1917 alle rechtlichen Beschränkungen für Juden aufgehoben worden waren 1 2 1 , hatten viele ihre traditionellen Siedlungsgebiete verlassen, jenen „Ansiedlungsrayon" zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, den ihre Vorfahren von der Zarin Katharina II. erhalten hatten. Ziel ihrer Migration bil-

Aus einem Brief des SS-Obersturmführers Karl Kretschmer (SK 4 a) vom 19.10.1942, zit. in: Klee/Dreßen/ Rieß (Hrsg.), „Schöne Zeiten", S. 161. 114 Vgl. hierzu Petter, Wehrmacht, S.201, der auf folgendes Ereignis verweist: Oberstleutnant Prof. Dr. Oskar Ritter von Niedermayer, während des Zweiten Weltkriegs General der Osttruppen, habe bei einem Vortrag bestritten, „daß die Juden in der Roten Armee dominierten". Daraufhin wurde Niedermayer denunziert. „Nur nachgewiesene .Verdienste' während der bayerischen Rätekämpfe konnten Niedermayer vor der Anklage wegen heimtückischer Gesinnung, auf die das nationalsozialistische Strafrecht abzuheben pflegte, bewahren." 115 Vgl. Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst"; Bajohr/Pohl, Massenmord und schlechtes Gewissen. 116 Altshuler, Soviet J e w r y on the Eve of the Holocaust, S. 3. Gezählt wurden ferner 50 676 Juden in Usbekistan, 42300 Juden in Georgien, 41245 Juden in Aserbaidschan und 19240 Juden in Kasachstan. 117 Altshuler, Soviet Jewry, S. 9. 118 Vgl. Ebda., Soviet Jewry, S. 9. Ferner mit zum Teil differierenden Angaben: Levin, The J e w s in the Soviet Union, S. 154, 337; Nove/Newth; The Jewish Population; Pinkus, The Jews of the Soviet Union, S.49ff.; Morde, S. 92; Gross, The Jewish C o m m u n i t y in the Soviet-Annexed Territories. 119 Vgl. etwa Gilbert, Endlösung, S. 64; Altshuler, Soviet Jewry, S.45. 120 Vgl. hierzu Hürter, Heerführer, S. 515: „Diese assimilierten Juden wurden allgemein als wesentlich gefährlicher eingeschätzt als die orthodoxen .Ostjuden', so dass sich die Judenfeindschaft im Ostheer und unter seinen Oberbefehlshabern nicht auf einen plumpen Antisemitismus gegen das .Ostjudentum' reduzieren lässt." 121 Dagegen wurde die jüdische Religion seit dem Ende der 20er Jahre massiv durch den sowjetischen Staat bekämpft; auch war dieser nicht bereit, eine nationale jüdische Staatlichkeit zu akzeptieren. 113

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5. Verbrechen

deten meist die großen Städte 1 2 2 . Die soziale Revolution der Bolschewiki beschleunigte diesen Prozess. Gerade in qualifizierten Berufen wie Kaufleute, Ingenieure, Lehrer, Wissenschaftler und A r z t e 1 2 3 sowie bei den politischen Funktionären, nicht aber in der Generalität 1 2 4 , waren die Juden weit überrepräsentiert, selbst wenn zwischen den einzelnen Sowjetrepubliken starke Unterschiede herrschten 1 2 5 . D o c h w a r diese Entwicklung „nicht Ausdruck ihrer traditionellen Kollektivität und Ethnizität, womöglich gar informellen Solidarität", die sowjetischen Juden verdankten ihn „ihren sozialen Fähigkeiten" 1 2 6 . Mit Beginn des deutschen Einmarsches waren alle sowjetischen Juden v o m Tode bedroht. Schlecht informiert, im Stich gelassen und häufig ahnungslos 1 2 7 konnten und wollten viele nicht fliehen 1 2 8 . Von den vier Millionen Juden, die im deutschen Besatzungsgebiet gelebt hatten 1 2 9 , gelang 1,5 Millionen die Flucht 1 3 0 . Was aber geschah mit jenen 2,5 Millionen, die unter deutsche Herrschaft gerieten?

Ys'· e t w a Freitag, Aus der Provinz in die Metropole. Überrepräsentiert waren die Juden bei den Facharbeitern (38,5 % aller jüdischen Beschäftigen gegenüber einer Quote von 19% aller sowjetischen Beschäftigten), im Handel (18,5% gegenüber 4,8%), in Erziehung und Wissenschaft (8,4% gegenüber 4%), in der Medizin (6,1% gegenüber 2,1 %) und schließlich auch in der Verwaltung (6,9% gegenüber 3,2%). Unterrepräsentiert waren die Juden dagegen in den Bereichen Landwirtschaft (8,8 % gegenüber einer Quote von 51% aller sowjetischen Beschäftigten), Transport (3,7% gegenüber 4,4%) und Bau (3,2 % gegenüber 4,1 %). Angaben nach: Altshuler, Soviet Jewry, S. 133ff. 124 Der Anteil aller jüdischen Angehörigen der Roten Armee belief sich auf 2,1 %, der Anteil unter den höheren Offizieren dagegen auf 4,6%. Während der Jahre 1940 bis 1945 erreichten insgesamt 229 sowjetische Juden den Rang eines Generals oder Admirals. Angaben nach: Altshuler, Soviet Jewry, S. 156f. Zum Einsatz der sowjetischen Juden in der Roten Armee vgl. Arad, Soviet Jews in the War against Nazi Germany. 125 In der Ukraine waren 1939 28,8 % aller führenden politischen Funktionäre Juden, in Russland dagegen nur 8,3%, in Weißrussland wiederum 35,9%. Bei den Richtern und Staatsanwälten lag die Quote bei insgesamt 5,4%. Angaben nach: Altshuler, Soviet Jewry, S. 163, 151. Generell hierzu Yuri Slezkine, Das jüdische Jahrhundert, S. 121 ff. 126 Dan Diner im Vorwort zu Slezkine, Das jüdische Jahrhundert, S. 13. 127 Vgl. etwa PA-AA, R 60759: AOK 4, Abt.I c (VAA), „Bericht Nr.86" vom 16.7.1941, Anlage „Stimmung der Bevölkerung": „Die Juden sind auffallend schlecht unterrichtet, wie wir zu ihnen stehen und wie die Juden in Deutschland oder in dem für sie doch nicht so entfernt liegenden Warschau behandelt werden." Sie würden oft glauben, „daß wir sie in Ruhe lassen, wenn sie fleißig ihrer Arbeit nachgehen". Auch von sowjetischer Seite wurde die besondere Gefährdung ihrer jüdischen Bevölkerungsgruppe konsequent negiert. So veröffentlichte die Rote Armee zwischen 1942 und 1945 insgesamt 15 Schriften, die sich mit den deutschen Verbrechen beschäftigten, ohne dass dort einmal explizit auf die jüdische Herkunft der Opfer Bezug genommen wurde. Stattdessen war stereotyp von „friedlichen Sowjetbürgern" die Rede. Vgl. Levin, The Jews, Vol. I, S.424. Ferner Gitelman, Soviet Reactions to the Holocaust, 1945-1991; Hirszowicz, The Holocaust in the Soviet Mirror; Levin, The Fateful Decision. 128 Während viele Juden in den Randzonen des sowjetischen Imperiums von der deutschen Offensive buchstäblich überrollt wurden, sah es in den Räumen, die ostwärts des Dnjepr lagen, für sie noch am besten aus; dort gelang relativ vielen Juden die Flucht. Vgl. Levin, The Jews, Vol. I, S.410. Gerlach (Morde, S.92) schätzt, dass von den 650000 bis 680000 weißrussischen Juden - so die von ihm veranschlagte Gesamtzahl - „etwa 150000-1800000" sich durch Flucht nach Osten retten konnten. Ferner IfZ-Archiv, MA 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 144 vom 10.12.1941, wo es über die „Allgemeine Lage in den neubesetzten Gebieten" heißt: „Die jüdische Bevölkerung ist restlos geflohen. Der jüdische Bevölkerungsanteil in diesen Gebieten war sowieso sehr niedrig." 129 Yg] Hilberg, Vernichtung, S.209. Abweichend Altshuler, Soviet Jewry, S. 16. 130 Insgesamt wurden etwa eine Million ukrainischer und weißrussischer Juden evakuiert, außerdem eine halbe Million russischer Juden. Vgl. Levin, The Jews, Vol. I, S. 402; Lewin, Fateful Decision; Gerlach, Morde, S.380; Dubson, Problem of Evacuation of the Soviet Jews. 122 123

5.4 Völkermord

653

5.4.1.5 Die Wehrmacht und der Holocaust in der Sowjetunion - Strukturen und Verlauf Am 22.Juni 1941 begann mehr als nur eine militärische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten. Zwischen dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und dem Massenmord an den Juden bestand „eine symbiotische Beziehung [...], auch wenn es sich um eine extrem komplexe und vielgestaltige Interdependenz handelte" 1 3 1 . Tatsächlich beschränkte sich die Funktion der deutschen Streitkräfte nicht mehr allein darauf, die militärische Macht des Gegners zu brechen und den deutschen Machtbereich auszuweiten. Wie wir gesehen haben, war der Verfolgungsapparat aus SS und Polizei auf eine komplizierte, aber dennoch effiziente Weise in die deutsche Kriegsmaschinerie eingebunden. Dafür verantwortlich waren nicht nur die zentralen Dienststellen der Wehrmacht, die Oberkommandos, Generalstäbe und Ämter. Als der Krieg begann, zeigte es sich bald, dass auch alle Oberbefehlshaber des Ostheers das Morden in ihrem Hoheitsgebiet duldeten oder gar begrüßten 132 . Reaktionen wie die eines Reichenau, der die Morde von SS und Polizei offen billigte 133 , oder die eines Leeb, der sie resigniert hinnahm 134 , bilden die Grenzen des Verhaltensspektrums; etwas anderes war von den höchsten Repräsentanten des Ostheers damals nicht zu erwarten. Die Bedeutung, die das für ein hierarchisch organisiertes System wie das der Wehrmacht hatte, kann man nur schwerlich überschätzen; im Grunde war damit bereits die zentrale Entscheidung gefallen. Dabei verfügten die deutschen Oberbefehlshaber nicht allein über formale Macht 135 . Die Wehrmacht war in den besetzten Ostgebieten die mit Abstand stärkste Organisation. Gleichwohl akzeptierten ihre zentralen Repräsentanten, dass ihr Besatzungsgebiet zum Schauplatz eines der größten Völkermorde der Menschheitsgeschichte wurde. Denn schon sehr bald entpuppten sich die zahlenmäßig kleinen Einheiten aus SS und Polizei - verglichen mit dem Ostheer betrug ihr Umfang gerade mal ein Prozent! 136 - als reine Todesschwadronen 137 . Bereits in den ersten Tagen dieses Krieges erreichten ihre „Aktionen" eine Dimension, „die sich weder mit den militärischen oder polizeilichen Notwendigkeiten, noch mit den politisch-ideologischen Prägungen und Vorurteilen der Generale begründen ließ, sondern jeden Rahmen

131

132 133

134 135

136 137

Mayer, Der Krieg als Kreuzzug, S. 357. Vgl. auch mit den Überlegungen bei Hillgruber, „Endlösung"; Ferner Streit, Ostkrieg, Antibolschewismus und „Endlösung"; Longerich, Der Russlandkrieg als rassistischer Vernichtungskrieg. Vgl. Hürter, Heerführer, S.535ff. Am bekanntesten ist sein Befehl zum „Verhalten der Truppe im Ostraum" vom 10.10.1941, Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.339f.; weitere Belege bei Hürter, Heerführer, S. 575 ff.; Longerich, Politik, S.406. Leeb, Tagebuch, S. 62ff., 288 (Eintrag vom 8.7.1941). Erinnert sei an das militärische Vetorecht, das man ihnen am 13.3.1941 zugestanden hatte, und daran, dass das Prinzip der Vollziehenden Gewalt in einem besetzten Land auf der Vorrangstellung des Militärs beruhte. Vgl. IfZ-Archiv, Da 034.008-92.1: Handbuch für den Generalstabsdienst im Krieg, Berlin 1939, S. 117f. Insgesamt waren in den rückwärtigen Gebieten etwa 35000 Mann von Polizei und SS im Einsatz. Vgl. Kwiet, Auftakt zum Holocaust, S. 193. Dieser Uberblick beruht vor allem auf einer Auswertung der in Anm. 7 dieses Kapitels genannten Literatur.

654

5. Verbrechen

sprengte" 138 . Dennoch war dies erst der Anfang. Die Einsatzgruppen aus SD und Sicherheitspolizei „beschränkten" sich zunächst vor allem auf die Ermordung eines ausgewählten Personenkreises: kommunistische Funktionäre, Angehörige der jüdischen Intelligenz und solche Personen, die man für potenzielle Unruhestifter hielt. Auch initiierten oder förderten die Einsatzgruppen antijüdische Pogrome. Schon damals wurden Zehntausende Menschen abgeschlachtet, die meisten von ihnen Juden 139 . Als klar wurde, dass die Wehrmacht dieses „Mindestprogramm" akzeptierte, begannen SS und Polizei ihre Mordpolitik auf alle wehrfähigen jüdischen Männer auszudehnen. Auch das war offensichtlich möglich - „organisatorisch" und, mit Blick auf die Wehrmacht, auch politisch. Nun taten die Mörder ihren dritten und letzten Schritt. Nachdem Heydrich am 31. Juli 1941 bei Göring in dessen Funktion als Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung (!) den Befehl erwirkt hatte, „alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussbereich in Europa" 140 , fielen ab August alle sowjetischen Juden, unabhängig von Alter und Geschlecht, der deutschen Vernichtungspolitik zum Opfer, ferner Roma, Kranke und zunächst auch solche Menschen, welche die Deutschen für „Asiaten" hielten. Auch die Tarnbezeichnungen für die Massaker, die man zunächst oft als Repressalmaßnahmen deklariert hatte, verschwanden allmählich. Spätestens mit der Auslöschung ganzer jüdischer Gemeinden ab September/Oktober 1941 hatte dann der systematische Genozid an den sowjetischen Juden begonnen, der allein in den besetzten sowjetischen Gebieten bis März 1942 nahezu 600000 Opfer forderte 141 . Im östlichen Teil des deutschen Besatzungsgebiets waren damit fast alle Juden tot. Aber erst das Jahr 1942, als sich abzeichnete, dass Hitlers „Weltblitzkriegsplan" definitiv gescheitert war, sollte zur zentralen Phase des Holocausts werden 142 . Die besetzte Sowjetunion war davon nicht ausgenommen. In ihrem westlichen Teil, der mittlerweile nicht mehr der Wehrmacht, sondern einer deutschen Zivilverwaltung unterstand, hatten noch relativ viele Juden den deutschen Einmarsch überlebt. Uber diese Gemeinden brach seit Frühjahr 1942 eine zweite Vernichtungswelle herein, die bis Oktober 1943 weiteren 1,5 Millionen Menschen das Leben 138 139

140

141 142

Hürter, Heerführer, S. 517. A m 2 . 7 . 1 9 4 1 bekräftigte Heydrich dieses Konzept gegenüber den Höheren SS und Polizeiführern nochmals schriftlich. Vgl. Longerich, Politik der Vernichtung, S.315. Zum Verlauf vgl. Ogorreck, Einsatzgruppen, S. llOff.; Browning, Entfesselung, S.371 ff. Longerich, Politik der Vernichtung, S.421. Ferner Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 161 ff. Der genaue Zeitpunkt des deutschen Entschlusses, alle Juden auf sowjetischem Boden zu ermorden, ist noch immer umstritten. Während Browning (Entfesselung, S.405ff., 449ff.) von einer Entscheidung im Juli 1941 ausgeht, sind Ogorreck (Einsatzgruppen, passim) und Jersak (Entscheidung, S.287ff.) der Ansicht, dass diese Entscheidung erst im August gefallen sei. Gerlach (Wannsee-Konferenz, S.42; Morde, S. 566) vertritt die These, dass die Entscheidung zum Mord an den sowjetischen Juden „spätestens" auf August zu datieren ist, möglicherweise aber bereits auf den Beginn des Jahres 1941. Pohl, Verfolgung und Massenmord, S.77. Vgl. auch Krausnick/Wilhelm, Truppe, S.620. Browning, G a n z normale Männer, S . l l : In ganz Europa lebten „Mitte März 1942 [...] noch etwa 75 bis 80 Prozent aller Holocaust-Opfer; bis dahin hatten erst 20 bis 25 Prozent ihr Leben verloren. N u r elf Monate später, Mitte Februar 1943, hatten sich die Prozentzahlen genau umgekehrt."

5.4 Völkermord kostete143. Waren

1 9 4 1 die m ä n n l i c h e n , arbeitsfähigen J u d e n die

655 bevorzugten

O p f e r g e w e s e n , s o s u c h t e n die d e u t s c h e n B e s a t z e r diese n u n m ö g l i c h s t lange a u s z u b e u t e n , w ä h r e n d sie alle ü b r i g e n , v o m Säugling bis z u m G r e i s , s o f o r t u m b r a c h t e n 1 4 4 . I n s g e s a m t w i r d die G e s a m t z a h l d e r J u d e n , die d e r d e u t s c h e n B e s a t z u n g s h e r r s c h a f t in d e r S o w j e t u n i o n z u m O p f e r fielen, auf schließlich ca. 2 , 4 M i l l i o n e n geschätzt, v o n ihnen starben zwischen 4 5 0 0 0 0 und 5 0 0 0 0 0 im Hoheitsgebiet der Wehrmacht145. F ü r diese existierte „kein Befehl z u r allgemeinen E r m o r d u n g v o n J u d e n " 1 4 6 . A u c h beteiligten sich n u r relativ w e n i g e S o l d a t e n aktiv an d i e s e m V e r b r e c h e n . D o c h ist d a m i t die V e r a n t w o r t u n g d e r W e h r m a c h t n u r sehr u n v o l l k o m m e n b e s c h r i e b e n . O h n e die U n t e r s t ü t z u n g o d e r z u m i n d e s t d o c h o h n e die R ü c k e n d e c k u n g dieser M i l l i o n e n a r m e e w ä r e ein G e n o z i d dieses A u s m a ß e s niemals m ö g l i c h g e w e s e n 1 4 7

-

n i c h t nur, weil sich ein Teil dieser M a s s e n m o r d e i m H e r r s c h a f t s g e b i e t d e r W e h r m a c h t e r e i g n e t e 1 4 8 . Allein auf sich gestellt w ä r e n H i m m l e r s E i n h e i t e n n i c h t w e i t g e k o m m e n . Z w a r b e g a n n e n die E i n s a t z g r u p p e n s c h o n bald, H i l f s k r ä f t e z u r e k r u t i e r e n 1 4 9 . A b e r erst eine O r g a n i s a t i o n w i e die W e h r m a c h t k o n n t e ein V e r b r e c h e n dieser D i m e n s i o n w i r k l i c h organisieren. M i t d e r W e h r m a c h t b e g a n n die d e u t s c h e B e s a t z u n g ; sie w a r es, die die e r o b e r t e n G e b i e t e u n d ihre Gesellschaft n e u z u o r d nen b e g a n n . D a z u g e h ö r t e a u c h „die K e n n z e i c h n u n g (in F o r m v o n A r m b i n d e n o d e r auf B r u s t u n d R ü c k e n z u t r a g e n d e n A b z e i c h e n ) u n d R e g i s t r i e r u n g d e r J u d e n s o w i e die B i l d u n g v o n J u d e n r ä t e n " 1 5 0 o d e r v o n G h e t t o s , s o dass d a n n SS u n d P o l i -

Angaben nach: Ilja Altman, Schertwy nenawisti [Die Opfer des Hasses]. Cholokost w SSSR 1941-1945 gg. Moskau 2002, S.303. Für die Zeit von Februar 1942 bis Oktober 1943 hat er folgende jüdische Opferzahlen errechnet: Ukraine: 860000, Weißrussland: 550000, Moldawien: - , Litauen: 25000, RSFSR: 75000-80000, Lettland: 2000, Estland: - ; zusammen 1 5 1 2 0 0 0 - 1 5 1 7 0 0 0 Menschen. Zu hoch wahrscheinlich die Opferzahlen für Weißrussland und Russland). Für diese Information danke ich Dieter Pohl, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Angaben Altmans vermutlich um 1 0 % zu hoch liegen. Altmans Gesamtzahl der ermordeten ukrainischen Juden (1430000 Menschen) wird von Pohl bestätigt. Dagegen schätzt Gerlach (Morde, S.743), dass in Weißrussland während der Jahre 1941-1944 ca. 500000 Juden von der deutschen Besatzungsmacht umgebracht wurden, während Altman die Zahl dieser Gruppe mit 810000 Menschen veranschlagt. 144 Vgl. Gerlach, Morde, S. 583. Ferner Matthäus, „Reibungslos und planmäßig". Anfang August 1942 stimmten die Reichskommissariate Ostland und Ukraine, die zunächst auf das Ausbeutungskonzept gesetzt hatten, einer Vernichtung aller jüdischen Ghettos zu. Vgl. Pohl, Holocaust, S. 75. 1 4 5 Angabe nach: Pohl, Herrschaft der Wehrmacht, S.281. 1 4 6 Curilla, Ordnungspolizei, S. 897f. 147 Yg] hierzu etwa das Beispiel Galizien: Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung, S.45ff.; Sandkühler, „Endlösung", S. 114ff. 1 4 8 In den Militärverwaltungsgebieten wurden zwischen 450000 und 500000 Juden ermordet, in den Zivilverwaltungsgebieten etwa 1,9 Millionen. Angaben nach: Pohl, Herrschaft der Wehrmacht, S. 47. 1 4 9 Vgl. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S.145ff., 287, 478; weitere Angaben bei Klein (Hrsg.), Einsatzgruppen. 1 5 0 Hilberg, Vernichtung, S.249, wobei dieser konzediert, dass „die Wehrmacht die Errichtung von Ghettos nicht überall als eine Aufgabe von größter Dringlichkeit" betrachtet habe. „Sie sollte keinesfalls Vorrang vor den eigentlichen Militärbelangen erhalten." Vgl. auch Gerlach, Morde, S.521 ff.; Arnold, Wehrmacht, S.497ff.; Pohl, Herrschaft, S.249, 252. Grundlage hierfür war ein Befehl des O K H vom 19.8.1941, der die Ghettoisierung von Juden unter bestimmten Bedingungen vorsah. Das Original dieses Befehls hat sich nicht erhalten. Vgl. hierzu Gerlach, Morde, S. 525; Angrick, Besatzungspolitik, S. 226f.; Pohl, Schauplatz, S. 9, Anm.38; Arnold, Wehrmacht, S.492, 500. 143

656

5. Verbrechen

Kameramann einer Propaganda-Kompanie beim Filmen einer jüdischen ihre Angehörigen sind mit einem runden Fleck, nicht mit dem Davidstern Oktober 1941 bei Minsk

Arbeitskolonne; gekennzeichnet;

(Quelle: BA, 1011-121-1231)

zei ihre wehrlosen Opfer oft nur noch „abzuholen" brauchten. 1941 entstanden auf diese Weise allein im östlichen Weißrussland, in Russland und in der Ukraine 93 solcher Zwangssiedlungen, von denen noch im selben Jahr 55, alle übrigen dann 1942 ausgelöscht wurden 1 5 1 . Schon das charakterisiert ihre Funktion: sie waren nicht mehr als Sammelstellen auf dem Weg in den Tod. Nicht allein das organisierte die Wehrmacht. Militärische Dienststellen entrechteten die Juden und knechteten sie durch Ausbeutung, Kontributionen und H u n gerrationen. Damit konnten mitunter schon deutsche Fronteinheiten beginnen. Zu den eigentlichen Organisatoren dieses Programms aber entwickelten sich erst „die Abteilungen VII/Kriegsverwaltung beim Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets, bei den Sicherungsdivisionen und den Feldkommandanturen" 1 5 2 - Einrichtungen also, die weit hinter den Hauptkampflinien wirkten. U b e r deren „Vorbereitungen" war der SS- und Polizeiapparat bestens informiert. Die „ständige enge Zusammenarbeit" - etwa auf der Ebene zwischen den Armeen und den Sonderkommandos - 1 5 3 ermöglichte erst die erschreckend schnel151

152 153

Angaben nach: Levin, The Jews, Vol. I, S.413. 23 Ghettos befanden sich im östlichen Weißrussland und in Russland, von denen noch zwölf im Jahr 1941 ausgelöscht wurden. In der Ukraine existierten etwa 70 Ghettos, von denen 1941 bereits 43 „liquidiert" wurden. Ferner Gerlach, Morde, S. 52 Iff.; Trunk, Judenrat; Friedmann, The Jewish Ghettos. Gerlach, Morde, S. 515. Vgl. auch seine Einschätzung ebda., S. 539. So der Befehl des O K H zur „Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD im Verbände des Heeres" vom 28.4.1941. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.303f.; auch zum Folgenden. Der Informationsaustausch sollte vor allem über die

5.4 Völkermord

657

le und effiziente „Tötungsarbeit" der Himmlerschen Maschinerie. Doch ging es nicht nur um Austausch und Abstimmung. Logistisch waren die Einsatzgruppen den Befehlshabern der Rückwärtigen Heeresgebiete unterstellt; von dort bekamen sie Benzin, Munition, Proviant, Plakate 154 . Sogar die „Frequenzzuteilung" erfolgte durch den Chef des Heeresnachrichtenwesens 155 . In Anlehnung an einen modernen Begriff könnte man also von einer fast nahtlosen, institutionellen „Einbettung" von Himmlers Einheiten in den Apparat der Wehrmacht sprechen. Doch tat die Wehrmacht noch mehr. Zwar blieb ein Fall von der Größenordnung der 707. Infanteriedivision, die im Reichskommissariat Ostland allein ca. 10000 Juden und weitere 9000 Nichtjuden hinschlachtete 156 , eine Ausnahme, doch existierten einige Bereiche, in denen die Wehrmacht selbst initiativ wurde - erinnert sei an ihre Kriegsgefangenenpolitik, mit der sie Rotarmisten jüdischer Herkunft und die vermeintlich „jüdischen" Kommissare 157 zum Tod verurteilte, an den Krieg gegen die Partisanen, der immer wieder als Deckmantel für den Holocaust missbraucht wurde, und schließlich an die antisemitischen Ubergriffe der Truppe, zu der es vor allem im Westen der besetzten Sowjetunion kam. Als Vorwand dienten die Mordaktionen des N K W D zu Beginn des Krieges, die Ermordung deutscher Kriegsgefangener oder die Furcht vor angeblichen Partisanenüberfällen - alles Ereignisse, mit denen die Juden nichts zu tun hatten 158 . Von ihrer Häufigkeit wie von ihrer Dimension war diese antijüdische Gewalt, die teilweise auch auf das Konto deutscher Fronteinheiten 159 ging, jedoch nicht mit dem flächendeckenden Terror des SS- und Polizeiapparats zu vergleichen, schon weil die Kommandobehörden diese Gewaltausbrüche meist zu unterbinden suchten 160 . Für die Einbindung der Wehrmacht in den Judenmord wurde der Partisanenkrieg viel wichtiger. Durch die Gleichsetzung von Partisanenbekämpfung und Judenvernichtung vermischten sich hier zunehmend militärische Aufgaben mit der

I c's und den I c/A.O.'s erfolgen. Vgl. IfZ-Archiv, M A 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr.43 vom 5.8.1941: „Die Zusammenarbeit mit den [...] Feldkommandanturen [...] war ausnahmslos gut. In zahllosen Fällen erfolgte eine gegenseitige Unterrichtung über beabsichtigte Maßnahmen oder eine gegenseitige Unterstützung bei notwendigen Aktionen." 154 Vgl. Pohl, Die Wehrmacht und der Mord, S.45. Ferner der Bericht der Prop. Kp. 637 (mot.) vom 27.9.1941, in: Verbrechen der Wehrmacht, S. 162; Plakat: ebda., S. 161. 1 5 5 Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa', S.303Í. 1 5 6 Zahlenangabe nach: IfZ-Archiv, Fb 104/2: KdS Minsk, Burckhardt-Bericht, o . D . [Januar 1942], Vgl. hierzu Lieb, Täter; Gerlach, Morde, S. 579, 620 sowie Heer, Extreme Normalität. Seine These von der „extremen Normalität" scheint allerdings ebenso wenig plausibel wie seine Behauptung, Lieb verfolge die Absicht, „seinen Protagonisten Andrian zu entlasten". Vgl. auch die Einschätzung bei Förster (Wehrmacht, Krieg und Holocaust, S.958), der die Geschichte der 707. Inf. Div. als „schrecklichen Gipfel, nicht die Norm militärischer Befriedungspolitik" charakterisiert. 1 5 7 Vgl. hierzu Kap. 5.1. 158 Vgl. hierzu Musial, Stets zu erschießen, S . 2 3 I f f . 1 5 9 Auffällig ist, dass die anfänglichen antisemitischen Gewalttaten deutscher Fronteinheiten, welche die militärische Führung freilich bald unterband, meist eine Reaktion waren auf Morde des N K W D , Ermordung deutscher Kriegsgefangener oder ukrainische Pogrome. Vgl. Pohl, Judenverfolgung, S.59ffT; Curilla, Ordnungspolizei, S. 892 ff.; Gerlach, Verbrechen, S. 100; Bald, Weiße Rose, S. 100. 160 Vgl. Pohl, Herrschaft, S.245ff. sowie mit der Einschätzung durch Gerlach (Morde, S.537f.): „Es handelte sich um spontane antisemitische Übergriffe oder brutale, organisierte Einschüchterungsaktionen, aber sie erreichten noch nicht die Dimension der Massaker, die später Einsatzgruppe B, Polizeibataillone oder die 707. Infanteriedivision der Wehrmacht verübten."

658

5. Verbrechen

eliminatorischen Strategie der NS-Rassenideologie 1 6 1 , selbst wenn die Wirklichkeit diese Gleichsetzung kaum bestätigte. Sieht man einmal davon ab, dass einige Partisanengruppen eine geradezu frappierende Judenfeindschaft an den Tag legten 1 6 2 , dann gingen sehr viele Juden mit einer schier unglaublichen Schicksalsergebenheit in den Tod 1 6 3 . Gerade bei jenen, die am stärksten unter der deutschen Besatzungsherrschaft zu leiden hatten, blieb Widerstand die Ausnahme 1 6 4 . Selbst die Juden, die in die Wälder flüchteten, flohen zunächst v o r dem sicheren Tod 1 6 5 . Indes galt jene dürre Formel: „Wo der Partisan ist, ist der Jude, und w o der Jude ist, ist der Partisan" 166 , welche SS und Wehrmacht auf ihrem gemeinsamen Lehrgang Ende September 1941 in Mogilew gefunden hatten, nicht allein als ideologische „Erkenntnis". Man hielt das auch für eine A r t militärische Doktrin, die zudem den Vorteil bot, dass sie sich auch als Deckmantel f ü r den Genozid an den Juden verwenden ließ, schon weil sich an der Bekämpfung der Partisanen meist gemischte „Bandenkampfverbände" beteiligten. A l s die Partisanen dann immer mehr Erfolge hatte, obwohl doch die Juden immer weniger wurden - ab Winter 1941/42 lebten im Herrschaftsgebiet der Wehrmacht kaum noch Juden - , musste das „Konstrukt von der militärischen Relevanz des Judenmords" 1 6 7 rasch an Bedeutung verlieren. Doch waren in der Wehrmacht auch ökonomische „Argumente" zu hören, wenn es um den Judenmord ging. Dies w a r nicht immer so gewesen. Gerade die Wehrmacht hatte gern auf das Arbeitskräftepotenzial der Juden zurückgegriffen, Vgl. etwa mit dem Armeebefehl Hoths vom 17.11.1941, der die Juden als „die geistigen Stützen des Bolschewismus, die Zuträger seiner Mordorganisation, die Helfer der Partisanen" bezeichnete. In seinem Armeebefehl vom 20.11.1941 behauptete Manstein: „Das Judentum bildet den Mittelsmann zwischen dem Feind im Rücken und den noch kämpfenden Resten der Roten Wehrmacht und der Roten Führung. Es hält stärker als in Europa alle Schlüsselpunkte der politischen Führung und Verwaltung, des Handels und des Handwerks besetzt und Dildet weiter die Zelle für alle Unruhen und mögliche Erhebungen." Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.341ff., hier S.342 bzw. 343. Hierzu auch Hilberg, Vernichtung, S.218. 162 Vor allem dann, wenn sie sich aus Ukrainern, Polen und Litauern rekrutierten. Doch gab es auch „rote" Partisanengruppen, die Juden ermordeten. Noch in Stalins Befehl Nr. 189 vom 5.9.1942 „Über die Aufgaben der Partisanenbewegung" wurde die Rettung der Juden mit keinem Wort erwähnt. Vgl. hierzu Levin, The Jews, Vol. I. S.419; Musial (Hrsg.), Partisanen, S. 186f.; Slepyan, The Soviet Partisan Movement and the Holocaust. 163 Vgl. mit der Bewertung bei Hilberg, S.229: „Bezeichnend ist, daß sich die Juden in der Regel widerstandslos niederschießen ließen - in den Berichten der Einsatzgruppen gibt es nur sporadische Hinweise auf .Zwischenfälle'. Die Tötungskommandos verloren bei ihren Erschießungsaktionen nicht einen einzigen Mann." Zu den geistesgeschichtlichen Hintergründen vgl. ebda., S. 22ff. 164 vgl. hierzu Kahanowitz, Jewish Partisan Movement; Eckman/Chaim, The Jewish Resistance; Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod!, S. 259ff.; Ainsztein, Jüdischer Widerstand, S. 93ff.; Musial (Hrsg.), Partisanen, S. 183 ff. 165 Die Zahl derjenigen Juden, die in den weißrussischen Wäldern und Sümpfen zu überleben suchten, wird auf ca. 25 000 Menschen geschätzt. Cholawsky, The Jews of Byelorussia, S. 306; Eckman/Lazar, Jewish Resistance, S. 13; Musial (Hrsg.), Partisanen, S. 186 f. 166 D e r Lehrgang fand vom 24.9.-26.9.1941 im Raum Mogilew statt, dem Standort des Befehlshabers des Rückwärtigen Heeresgebiets Mitte. Vgl. hierzu die einschlägigen Dokumente in: Verbrechen der Wehrmacht, S.462ff. Zur Quellenlage: Gerlach, Morde, S.644, Anm.773. Generell hierzu: Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 217f.; Förster, Sicherung, S. 1043 f.; Bim, Zweierlei Wirklichkeit, S. 282f.; Gerlach, Morde, S. 566,643f.; Mallmann (u. a. Hrsg.), Deutscher Osten, S. 144f.; Hürter, Heerführer, S.558ff. Kritisch hingegen Arnold, Wehrmacht, S.456 mit Anm.258. 167 Cüppers, Wegbereiter, S. 187. Es charakterisiert freilich die ideologische Verblendung der deutschen Führung, wenn Himmler noch am 18.12.1941 schrieb: „Judenfrage. Als Partisanen auszurotten." (Witte u.a. Hrsg.), Dienstkalender Heinrich Himmlers, S.294 (Eintrag vom 18.12.1941). 161

5.4 V ö l k e r m o r d

659

deren Rechtlosigkeit sie zu einer stets einsetzbaren Verfügungsmasse der deutschen Interessen machte 168 . Juden dienten zur Instandsetzung der Straßen, als Handwerker in den zahllosen Wehrmachts-Betrieben, als Dolmetscher oder als Arzte. Als Keitel am 12. September 1941 den Einsatz von „Juden zu irgendwelchen bevorzugten Hilfsdiensten für die Wehrmacht" strikt verbot, außer „in besonders zusammengefassten Arbeitskolonnen" 169 , hatte er auch jene Juden, die bisher im Umkreis der Wehrmacht ihre Existenz gefristet hatten, an Himmlers Schergen ausgeliefert. Nicht alle militärischen Dienststellen befürworteten dies 170 . Andere hingegen meinten vom Verschwinden „nutzloser Esser" auch noch ökonomisch zu profitieren. Doch handelte es sich hier - schon die geringe Größe der jüdischen Ethnie lässt daran keinen Zweifel - lediglich um eine besonders makabre Form der Rechtfertigung, deren Stellenwert nicht zu überschätzen ist. Die Ideologie, nicht die Ökonomie blieb die eigentliche Triebfeder dieses Genozids 171 . Schon dieser kursorische Uberblick lässt keinen Zweifel daran, daß die Wehrmacht beim Genozid an den Juden mehr war als nur Zuschauer. Die deutschen Streitkräfte fungierten auch als Komplizen, mitunter sogar als Motor der Judenvernichtung - erinnert sei an die Felder Partisanenkrieg, Kriegsgefangenen- und Wirtschaftspolitik. Viel wichtiger aber erscheint eine andere Überlegung, jene Beobachtung von Götz Aly, dass der Holocaust in der Sowjetunion zunächst „experimentell" angelegt war 172 . Die Wehrmacht war Teil dieses Experiments. Als es erkennbar wurde, dass sie das Morden hinnahm, förderte oder gar begrüßte, wussten die Täter, dass sie nun freie Hand in ihrer Politik der Vernichtung besaßen. Dies eigentlich ist die Hauptschuld der Wehrmacht. Diese Schuld verteilte sich nicht flächendeckend über alle Angehörigen und Einheiten, schon weil diese Armee arbeitsteilig organisiert war und ihre Angehörigen über eine sehr unterschiedliche Verantwortung verfügten. Auch die Schnittstellen zu den eigentlichen Täterorganisationen waren alles andere als einheitlich. Es waren deshalb - schon dieser Überblick lässt dies erkennen - ganz bestimmte Teilbereiche des deutschen Ostheers, die überdurchschnittlich viel Verantwortung für dieses Menschheitsverbrechen übernahmen: - Mit Abstand am größten war die Verantwortung seiner Führungszentralen. Bei den Oberkommandos der Armeen und Heeresgruppen liefen alle administrativen Fäden und Informationen zusammen. Hier erst erschloss sich die ganze Dimension dieses Genozids, hier erst kommunizierte man regelmäßig mit der Führung des SS- und Polizeiapparats, erst hier wurden die Details der Koopera168 Yg] Trunk, Judenrat, S. 4 0 6 f f . Ferner Gerlach, Morde, S. 93f., 574ff., dessen Darstellung in dieser Frage allerdings widersprüchlich ist (insbes. S.576 und S. 580). Druck: Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 72; IfZ-Archiv, M A 1667: 221. Sich. Div., A b t . I b, „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 130/41" vom 6 . 1 0 . 1 9 4 1 . Vgl. hierzu Shepherd, War, S. 86ff.; Gerlach, Morde, S. 578; Schulte, German A r m y , S. 228. 170 Vgl. etwa mit dem vorsichtigen Einspruch des in der Ukraine eingesetzten Oberkriegsveraltungsrats Peter-Heinz Seraphim, der darauf verwies, dass die Juden „in zufriedenstellendem Umfang Wirtschaftswerte produziert" hätten. Zit. bei: Petter, Wehrmacht, S.210. Ferner: Trunk, Judenrat, S.407f.; Neitzel (Hrsg.), Abgehört, Dok. 135. Ungewöhnlich war der Fall von Przemysl, w o am 2 6 . 7 . 1 9 4 2 Wehrmachtsangehörige ihre „Arbeitsjuden" aktiv gegen die SS verteidigten. Vgl. Haase, Oberleutnant Dr. Albert Battel. 1 7 1 Vgl. dagegen Gerlach, Morde, S.576 ff.; ders., Deutsche Wirtschaftsinteressen. 1 7 2 So Aly, „Endlösung", S.398. 169

660

5. V e r b r e c h e n

tion mit den Einsatzgruppen geregelt und auch die zentralen Richtlinien erarbeitet, wie sich die unterstellten Soldaten in der „Judenfrage" zu verhalten hätten. Die weit überdurchschnittliche politische und moralische Verantwortung dieser vergleichsweise wenigen Zentralinstanzen entspricht ihrer herausgehobenen Position in der militärischen Hierarchie, wobei zu beachten ist, dass auch diese Stäbe arbeitsteilig organisiert waren. - Eine Schlüsselfunktion bei der Verfolgung und Ermordung der sowjetischen Juden übernahmen auch die rückwärtigen Teile des Ostheers - Institutionen wie die BRücks und Korücks mit ihren Feld- und Ortskommandanturen173, die Sicherungsdivisionen oder die Geheime Feldpolizei, kurz jene Einheiten, welche die rückwärtigen Teile des Militärverwaltungsgebiets organisierten. Bei diesen Gebieten handelte es sich nicht nur um die bevorzugten Einsatzräume von SS und Polizei, der Antisemitismus war - wie wir zur Genüge gesehen haben immer auch integraler Bestandteil jenes Besatzungskonzeptes, das die Wehrmacht in der Sowjetunion umsetzte. Dieser Antisemitismus musste nicht eliminatorisch sein; es reichte, wenn er bei diesem arbeitsteiligen Prozess die Funktion eines einzelnen Bausteins erfüllte. Allerdings waren die rückwärtigen Einheiten, von denen hier die Rede ist, weder von ihrer Größe noch von ihrer Funktion und ihrem Prestige repräsentativ für das gesamte Ostheer 174 . - Damit kommt schließlich der größte Teil des Ostheers in den Blick, die Fronttruppe, und mit ihr die Frage nach ihrer Rolle beim Judenmord. Auch von diesem Teil des Ostheers sind antisemitische Verbrechen bekannt, jedoch scheint es sich dabei eher um Ausnahmen gehandelt zu haben. Das lag schon daran, dass der kämpfenden Truppe in der Regel Zeit und auch Gelegenheit zum Judenmord fehlte. „Bewegung und Kampf mit der feindlichen Wehrmacht" seien - so eine zentrale Weisung des Oberbefehlshabers des Heeres - „eigentliche Aufgabe der Truppe. [...] Diese Aufgabe darf an keiner Stelle in Frage gestellt sein. Besondere Such- und Säuberungsaktionen scheiden daher im allgemeinen für die kämpfende Truppe aus." 175 Außerdem operierten zumindest die Heeresgruppen Nord und Mitte schon bald in Gegenden, wo nur noch verhältnismäßig wenige Juden lebten. Viel wichtiger aber war, dass die militärische Führung in der Regel die vereinbarte Aufgabentrennung befürwortete und zumindest die kämpfende Truppe aus dem Judenmord herauszuhalten suchte, dessen Schauplätze nur selten im Gefechtsgebiet lagen176. Zur antisemitischen Politik dieser Kommandanturen vgl. etwa Pohl, Judenverfolgung, S.45f. Die gesamte Geheime Feldpolizei beim Feldheer umfasste 1941 4 0 8 5 , 1 9 4 2 / 4 3 7 8 8 5 Mann, die an allen Fronten im Einsatz waren. Vgl. Geßner, Geheime Feldpolizei, S. 346. Z u r sehr hohen Zahl ihrer Opfer vgl. Gerlach, Morde, S. 873. 175 Weisung des O b d H zum „Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im G e b i e t , B a r barossa' und über besondere Maßnahmen der Truppe" vom 2 4 . 5 . 1 9 4 1 , Druck: Ueberschär/ Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.307f., hier S.307. 1 7 6 So befahl etwa das A O K 4 vor Kriegsbeginn, dass „grundsätzliche Sondermaßnahmen den später folgenden politischen Organen" vorbehalten seien, während die 454. Sicherungsdivision im August 1941 die Ansicht vertrat, „daß Lynchjustiz gegenüber Juden und andere Terrorakte mit allen Mitteln zu verhindern" sei. A O K 4, Abt. O . Q u . / Q u . 2 am 8 . 6 . 1 9 4 1 , zit. bei: Arnold, Wehrmacht, S.489. D e r Befehl der 454. Sich. Div. bei: Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 57-62. Weitere Beispiele: ebda., D o k . 2 5 und 30; Krausnick/Wilhelm, Truppe, S.229f., 240; Hürter, Heerführer, S. 579; Hilberg, Vernichtung, S.232ff.; Röbel, Sowjetunion, S.530f.; Klee/ Dreßen (Hrsg.), „Gott mit uns", S. 102f. 173

174

661

5.4 V ö l k e r m o r d

Unter der Maßgabe dieser drei Voraussetzungen spricht viel für die Einschätzung von Dieter Pohl, der die Zahl der Wehrmachtsangehörigen „auf einige Zehntausend" schätzt, „die an Selektion, Organisierung, Durchführung, Absperrung bei Erschießungen oder Abgabe an die Sicherheitspolizei tätig waren" 177 . Verglichen mit den 10 Millionen Wehrmachtsangehörigen, die in der Sowjetunion im Einsatz waren, ist das eine sehr kleine Gruppe. Angesichts der technischen wie organisatorischen Möglichkeiten, die eine moderne Armee bietet, konnte freilich schon diese kleine Gruppe sehr viel bewirken. Noch viel kleiner ist freilich jene Gruppe von Wehrmachtsangehörigen, die ihr Unbehagen gegenüber dem Holocaust artikulierte oder gar dagegen Widerstand leistete178. Das heißt, wir haben es in diesem Fall mit einem breiten, scheinbar indifferenten Mittelfeld zu tun. Die Frage, wie sich diese amorphe Gruppe, mit Abstand die große Mehrheit des Ostheers, bei der Judenverfolgung verhielt, ist damit freilich noch längst nicht beantwortet - im Gegenteil, sie ist gerade erst einmal gestellt. Denn die große institutionelle Verantwortung der Wehrmacht am Holocaust sagt nur wenig aus über die individuelle Verantwortung ihrer Angehörigen. Was haben sie getan und wie haben sie auf die unvorstellbaren Verbrechen in ihrem Umfeld reagiert 179 ? Gerade dann, wenn man die Gesamtheit ihrer Angehörigen in den Blick nimmt, fällt ein Urteil schwer180. Die fünf Divisionen unseres Samples bieten deshalb auch bei dieser Frage die Chance, wenigstens an einem Ausschnitt zu präziseren Ergebnissen zu kommen, der auch in diesem Fall Modellcharakter für das gesamte Ostheer haben könnte. 5.4.2 Wehrmacht

und Holocaust - das Fallbeispiel

von fünf

Formationen

5.4.2.1 Tatorte Uberblick lässt sich auch hier über den Raum gewinnen: Wie verliefen die Marschwege jener fünf Divisionen, wie die des SS- und Polizeiapparats, wo kreuzten sich ihre Wege? Wann näherten sie sich an? Und wann arbeiteten sie zusammen? Zumindest an der Basis war Kooperation nur dann möglich, wenn sie sich am selben Ort oder wenigstens im selben Raum befanden. Pohl, Die Wehrmacht und der Mord, S.50. 178 Vgl. hierzu Müller, Wehrmacht und Okkupation, S . 1 2 5 f . ; Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 255ff.; Streit, Kameraden, S. 101 f.; Haase/Paul (Hrsg.), Die anderen Soldaten; Wette (Hrsg.), Retter in Uniform; Priemel, A m Rande des Holocaust. 1 7 9 Die moralische Ambivalenz des Ostheers gegenüber dem Völkermord hat niemand schärfer erfasst als die Mörder selbst: Die Einsatzgruppen berichteten, dass zur Wehrmacht „vom ersten Tage an ein ganz ausgezeichnetes Einvernehmen" bestehe. „Vor allem bei den Stäben [!] der Wehrmacht würde die Sicherheitspolizei „ein hohes Ansehen" genießen. „Lediglich in der Judenfrage" - also dem Hauptziel der Mordeinheiten - sei „bis in die jüngste Zeit kein restloses Verständnis bei den nachgeordneten Wehrmachtsdienststellen [!]" zu finden. IfZ-Archiv, M A 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 128 vom 3 . 1 1 . 1 9 4 1 . 1 8 0 Vgl. auch hier Pohl, Die Wehrmacht und der Mord, S.48: „Erheblich schwieriger ist die Einschätzung der Mehrheit der Soldaten im Osten, also der Fronttruppe. [...] Die Zahl der Divisionen, in denen Soldaten an Verbrechen gegen Kriegsgefangene und Zivilisten teilgenommen haben, ist zwar insgesamt vergleichsweise groß; aber aie Frage, in welcher Zahl, in welchem Rahmen die Täter handelten und in welchem Ausmaß Juden die O p f e r waren, ist noch offen." 177

662

5. Verbrechen

Die Standorte von Wehrmacht sowie von SS und Polizei lassen sich relativ genau rekonstruieren 181 . Um einen Uberblick über ihre Marschwege zu erhalten, wurde eine entsprechende Liste erarbeitet, die alle Einsatzräume bzw. Standorte dann berücksichtigt, wenn sich Wehrmacht bzw. SS oder Polizei auf 100 Kilometer oder weniger annäherten. An dieser Tabelle182 lassen sich zwei Dinge ablesen die militärische Entwicklung wie auch die militärisch-politischen Besatzungsstrukturen, welche die deutschen Invasoren der okkupierten Sowjetunion aufzuzwingen suchten: vorne die Kampf-, dahinter die Besatzungsverbände der Wehrmacht und dazwischen, mit zunehmender Entfernung zur Front immer dichter, die drei Wellen des SS- und Polizeiapparats. Allein mit diesem Uberblick wird sich jene zentrale Frage nach der Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust sicher nicht beantworten lassen; andererseits wäre es ohne diesen Hintergrund aber nur schwer möglich, die einschlägigen Quellenfragmente dieser fünf Divisionen angemessen einzuordnen. Uberblickt man diesen Ausschnitt, so fallen zunächst die Unterschiede zwischen den Front- und den Besatzungsverbänden ins Auge. Letztere waren den Schauplätzen dieses Völkermords am nächsten, schon weil sie selbst mitunter als Exekutoren wirkten. Das lässt sich in Zahlen ausdrücken: Während sich für die 4. Panzerdivision im Jahr 1941 nur zwei Situationen finden, in denen sich diese Division den Tatorten der „Himmler-Truppe" auf weniger als 100 Kilometer näherte 183 , sind es bei der 45. Infanteriedivision sechs solcher Situationen. Dagegen

181

182 183

Die Marschwege und Einsatzräume jener fünf Divisionen, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen, wurden auf der Basis der militärischen Akten rekonstruiert, Marschwege und Tatorte der Einsatzgruppen aufgrund der „Ereignismeldungen", die der Polizei-Bataillone und der Brigaden der Waffen-SS anhand der Literatur. Als Standortangabe diente bei den großen Wehrmachtsverbänden in der Regel der Standort des Divisionshauptquartiers. Lagen detaillierte Angaben für einzelne Teileinheiten der Division vor, insbesondere bei einer Kooperation mit Einheiten von SS und Polizei, dann wurden diese berücksichtigt. Zwar ergibt sich daraus ein recht genaues Bild über die Einsatzräume von Wehrmacht, SS und Polizei, doch bestehen zwischen den einzelnen Einsatzorten der militärischen wie der nicht-militärischen Einheiten zum Teil größere Lücken; sie sind räumlicher, aber auch zeitlicher Natur. Auch ist es nicht einfach, die zeitlich zum Teil nicht deckungsgleichen Angaben über die Einsatzorte der militärischen und der nicht-militärischen Einheiten aufeinander abzustimmen. Schließlich können auch die Distanzen schwanken, wenn sich Einheiten auf dem Marsch befanden. Als Quellen und Literatur dienten neben den einschlägigen militärischen Akten vor allem: IfZ-Archiv, M A 91/1-4: Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD: Ereignismeldungen UdSSR Nr. 1-66; 67-117; 118-167; 168-195. Headland, Messages of Murder; Tessin/Kannapin (Hrsg.), Waffen-SS und Ordnungspolizei im Kriegseinsatz 1939-1945; Klemp, „Nicht ermittelt"; Curilla, Ordnungspolizei; Baade/Behrendt/Blachstein (Hrsg.), Unsere Ehre heißt Treue; Ferner: Mallmann (u.a. Hrsg.), Deutscher Osten, S. 143ff.; Gerlach, Morde, S.555ff., 563ff.; Yerger, Riding East, S. 132 ff. Die Ereignismeldungen enthalten zwar meist genaue Angaben über die Zahl der Opfer, aber nur selten exakte Daten über den Zeitpunkt eines Einsatzes, der über weitere Quellen und mit Hilfe der Literatur präzisiert wurde. Hilfreich waren dabei vor allem Krausnick/Wilhelm, Truppe; Klein (Hrsg.), Einsatzgruppen; Spector (Hrsg.), The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, 3 Bde. Für cue Unterstützung bei der Erstellung dieser Tabelle sei Stefan Becker herzlich gedankt. Die Tabelle ist dem Buch als Anlage beigegeben. Auch sonst finden sich in den dienstlichen und privaten Quellen aus dieser Division so gut wie keine Hinweise auf den Holocaust. Eine Ausnahme bildet lediglich die folgende Passage: BAMA, MSg 1/3268: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 24.6.1941: „Nachmittags fahre ich mit ein paar Männern, die fotografieren wollen, in die Stadt Kobryn, weil es da schon seit Stunden brennt; man hat die Synagoge angezündet und das Feuer frißt nun um sich wie ein Krebsschaden."

5.4

663

Völkermord

lassen sich für die 296. Infanteriedivision und den Korück 580 je 24 Annäherungen feststellen, während es bei der 221. Sicherungsdivision sogar 33 sind. „ Annäherungen " an die Tatorte des Holocausts im Jahr 1941 (auf eine Entfernung auf 100 Kilometer oder weniger) 4. Panzerdivision 4 5 . Infanteriedivision 2 9 6 . Infanteriedivision

2 6 24

Korück 580

24

2 2 1 . Sicherungsdivision

33

Bei dieser ersten Übersicht wird ein Prinzip erkennbar: Mit der militärischen Leistungsfähigkeit dieser Formationen stieg auch ihre Entfernung zu den Schauplätzen dieses Genozids. Sie bekamen daher naturgemäß - so die naheliegende Vermutung - am wenigsten von dem mit, was in ihrem Rücken passierte 184 . Eine Ausnahme unter den Kampfverbänden bildet allerdings die 296. ID. Die Gründe sind später zu erläutern, jedenfalls ist ihr Wert mit 24 Annäherungen genau so groß wie der des Korück 580. N o c h höher sind die Einträge bei der 221. Sicherungsdivision; sie war den Schauplätzen des Judenmords am nächsten. Damit ist noch nichts gesagt über die Qualität dieser Begegnungen. Eines der wichtigsten Kriterien ist hier die genaue Entfernung zwischen den militärischen und den nicht-militärischen Einheiten. Blieb der Abstand zwischen der 4. Panzerdivision und Himmlers Mordkommandos auch bei den „Annäherungen" sehr groß, so galt das meist auch für die 45. ID; nur im September 1941 verringerte sich ihr Abstand zum Sonderkommando 7 b für kurze Zeit auf 50 Kilometer. Eine Ausnahme bildet dagegen die 296. ID. 24 Fälle, in denen sich die Distanz dieser Division zu Himmlers Formationen auf unter 100 Kilometer verringerte, sind eine große Zahl. Das hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen handelte es sich bei der 296. um die einzige Division aus unserem Sample, die zu Beginn des Krieges in der Ukraine eingesetzt war, wo viel mehr Juden lebten als in Weißrussland. Außerdem war - und das war wahrscheinlich noch folgenreicher - die 296. I D anfangs vor allem in der Reserve eingesetzt 185 , so dass sie dem Kampfgeschehen am weitesten „hinterher hinkte". Zweimal, am 3.Juli und am 20.Juli 1941, teilten sich die 296er und Himmlers Männer sogar ein und denselben Standort - in Lemberg (Lwow) 1 8 6

184 Vgl. hierzu auch Gerlach, Morde, S.538: „Die Aufgabe der Fronteinheiten bestand nicht darin, Besatzungspolitik zu betreiben, sondern die gegnerischen Truppen möglichst schnell und nachhaltig zu schlagen, wobei das Tempo in diesem Fall eine besonders große Rolle spielte. Weder scheint ihnen während des zeitweilig tatsächlich raschen Vormarschs in Weißrußland Zeit für größere Judenvernichtungsaktionen geblieben zu sein, noch sahen die Kommandeure sie als Aufgabe ihrer Einheiten an oder waren darauf eingestellt, obwohl Antisemitismus in der Frontruppe verbreitet und in den geschilderten Morden seinen Ausdruck fand." 185 Vgl. Kap. 3.2. Seit Ende Juli lag die 296. ID zudem mehrere Wochen in Stellung vor Kiew. Vgl. hierzu B a y H S t A , Abt. IV, N L T h o m a 3: Tagebuch, Eintrag vom 2 1 . 6 . 1 9 4 1 sowie ebda., 5: Inf. Rgt. 519, Kriegstagebuch, Eintrag vom 2 9 . 6 . 1 9 4 1 . 186

Zu den Ereignissen in Lemberg vgl. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 186ff.; Hilberg, Vernichtung, S.210, 223; Pohl, Judenverfolgung, S.62ff.; Sandkühler, „Endlösung", S. 114; Held, Vom P o g r o m zum Massenmord, S. 102 ff., 175 ff.; Heer, Lemberg (in ZfG und in Wette/Ueberschär, Kriegsverbrechen im 20.Jahrhundert); Musial, „Konterrevolutionäre Elemente", S. 102ff., 175fr.; Wachs, Fall Theodor Oberländer, S. 86f.

664

5. Verbrechen

und in Shitomir 187 , so dass die Soldaten den Massenmord an den Juden aus nächster Nähe erlebten. Uber ihre Reaktionen wird noch zu berichten sein. Diese Nähe zu den Todesschwadronen von SS und Polizei endete abrupt im September 1941, als die 296. ID die Ukraine verließ. Noch näher an den Tatorten des Völkermords waren jedoch die beiden Besatzungsverbände unseres Samples: 24 Annäherungen beim Korück 580 und 33 bei der 221. Sicherungsdivision, wobei sich beim Korück drei, bei der 221. sogar neun Situationen feststellen lassen, bei denen deren Hauptquartiere mit denen von SS und Polizei identisch waren. Aber nicht allein das spricht dafür, dass gerade diese beiden Formationen viel stärker in diese Verbrechen involviert waren. Im Gegensatz zu den Kampfverbänden, deren Gros sich selbst im Bewegungskrieg vor allem an den „Hauptkampflinien" konzentrierte, waren die Besatzungsverbände in der Regel flächendeckend für große Räume verantwortlich 188 . Das heißt: Wenn sich eine SS- oder Polizei-Einheit dem Hauptquartier eines solchen Besatzungsverbands näherte, dann bedeutete das, dass die betreffende Einheit bereits in seinem Besatzungsgebiet operierte. Im Besatzungsgebiet des Korücks 580 waren das 1941 zeitweise das Einsatzkommando 8 1 8 9 , das Sonderkommando 7 b 1 9 0 sowie das Polizei-Regiment Mitte oder das Polizei-Bataillon 309 1 9 1 , bei der 221. Sicherungsdivision damals das Einsatzkommando 8, die Polizei-Bataillone 309, ferner 307, 316 und 322 sowie das 1. SS-Kavallerie-Regiment. Dabei blieb die 221. Sicherungsdivision - auch diese Besonderheit bedarf der Erwähnung - zum Teil sogar hinter den SS- und Polizei-Einheiten zurück; sie ist damit die einzige Formation unseres Samples, die von ihnen „überholt" wurde. Schon dieser Uberblick vermittelt einen Eindruck, wie viele Facetten die Kooperation „der" Wehrmacht mit Himmlers Einheiten haben konnte. Als Faustregel ließe sich formulieren: Je intensiver sich eine Division am Kampfeinsatz beteiligte, desto größer war ihre Entfernung zu den Epizentren dieses Massenmords. Wenn immer wieder darauf verwiesen wurde, dass die ursprünglich verabredete Arbeitsteilung: die Rückwärtigen Heeresgebiete als Operationsraum der Einsatzkommandos, die Rückwärtigen Armeegebiete als Operationsraum der Sonderkommandos, während des laufenden Feldzugs rasch an Bedeutung verlor und beide sehr viel weiter vorne operierten 192 , dann macht schon diese Ubersicht klar, wie man sich dies in der Realität vorzustellen hat 1 9 3 . Zweifellos waren bereits im 187

188

189 190

191 192

193

Zu den Ereignissen in Shitomir vgl. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 187f.; Hilberg, Vernichtung, S.210; Pohl, Vernichtung, S.56; Dean, German Gendarmerie. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 22.7.1941, wo die Größe ihres Besatzungsgebiets mit 35 000 Quadratkilometern angegeben wird. Ferner Kap. 1.2. Vgl. Curilla, Ordnungspolizei, S.426ff. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Verlegungsbefehl vom 8.8.1941; Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 11 Off. Vgl. hierzu Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 158. Vgl. Streit, Kameraden, S. 110; Pohl, Judenverfolgung, S.53; Hürter, Heerführer, S.527ff. Dies widersprach eigentlich den Vorstellungen der Heeresführung: Am 14.8.1941 hatte der Generalquartiermeister des Heeres entschieden, dass die SS- und Polizeiverbände „zur Durchführung besonderer Aufgaben in den rückwärtigen] Heeresgebieten vorgesehen" seien. Ein Einsatz bei den Armeen komme „in keinem Falle in Frage". Zit. bei: Arnold, Wehrmacht, S.517. So bilanzierte die Einsatzgruppe Β im September 1941, dass die Zusammenarbeit zwischen ihr und der Wehrmacht „äußerst befriedigend und reibungslos verlaufen" sei, wobei sie in diesem

5.4 Völkermord

665

Gefechtsgebiet Vorkommandos unterwegs 194 , die - so die Forderung Heydrichs versuchen sollten, „mit der militärischen Entwicklung Schritt zu halten" 1 9 5 . Wirklich beginnen konnten die großen Massaker aber frühestens in den Rückwärtigen Armeegebieten, während sie dann in den westlich davon liegenden Besatzungsgebieten, den militärischen und den zivilen, schließlich ihren Höhepunkt fanden 1941 und dann noch einmal 1942, als eine zweite „Vernichtungswelle" über die Reichskommissariate hinwegrollte. Dass Massenmorde in dieser Dimension einen institutionellen und technischen Vorlauf brauchen, liegt in der Natur der Sache. Allerdings ruft das Beispiel der 296. ID auch in Erinnerung, wie schnell selbst ein Frontverband in das Mordgeschehen hineingezogen werden konnte, wenn er nur etwas zurückblieb. Wieweit sich diese Ergebnisse dieses Ausschnitts verallgemeinern lassen, ist eine interessante, aber doch spekulative Frage. Einiges scheint dafür zu sprechen, dass die hier konstatierten Strukturen für das gesamte Ostheer Gültigkeit besitzen könnten. Doch würde eine solche Diskussion den Rahmen dieses Teilkapitels sprengen. Viel wichtiger scheint die Frage, wieweit die einschlägigen Quellen mit den bisher skizzierten Befunden korrelieren. 5.4.2.2 Schriftliche Zeugnisse In den Akten der militärischen Dienststellen wird der Judenmord „auffällig selten und sporadisch" angesprochen 196 . Dies allein mit dem Verlust oder der Vernichtung dieser Papiere zu erklären, geht am eigentlichen Problem vorbei. Schon „im O K H waren Gespräche über dieses Thema verpönt" 1 9 7 . Wenn selbst Himmler die Meinung vertrat, dass über die „Ausrottung des jüdischen Volkes" öffentlich „nie" gesprochen werden dürfe 198 , dann legt dies nahe, dass auch in der Wehrmacht dieses Verbrechen und seine schaurigen Details zwar der Gegenstand interner Debatten sein konnten, aber eher selten das Thema schriftlicher Aufzeichnungen.

194

1,5

196

197 198

Zusammenhang besonders auf die Kooperation mit „der Heeresgruppe, dem Befehlshaber des rückw. Heeresgebietes, den A O K s , den Feld- und Ortskommandanturen" verwies, die sich „äußerst fruchtbringend" ausgewirkt habe. Schon diese Aufzählung illustriert, welche Teile der Wehrmacht in der Praxis mit dem SS- und Polizeiapparat kooperierten. Vgl. IfZ-Archiv, M A 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 90 vom 21.9.1941. Auch bei der Panzergruppe 2 war seit Anfang Oktober 1941 ein „Vorauskommando" des Sonderkommandos 7 b im Einsatz. IfZ-Archiv, MA 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 106 vom 7.10.1941. In diesem Sinne auch IfZ-Archiv, MA 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 128 vom 3.11.1941. So Heydrich in seinem Einsatzbefehl Nr.3 vom 1.7.1941, zit. bei: Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 172. Damals soll Heydrich von den Einsatzgruppen gefordert haben, nach jedem Einrücken in eine größere Stadt sofort „eine Judenaktion einzuleiten". Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 114. Hürter, Heerführer, S.521. Ähnlich auch das Urteil von Latzel (Deutsche Soldaten, S.202f.): „Die Belege für die Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und SS sowohl in den höchsten Führungsstäben wie auch vor Ort sowie für selbständige Mordaktionen von Wehrmachteinheiten sind erdrückend - sie finden sich nur nicht in meinem Quellenkorpus. Darin sind nur ein paar verstreute Einzelinformationen enthalten, in denen zwar verschiedene Elemente des Aussonderungs-, nicht aber des Vernichtungsprozesses erwähnt werden." Nähme man diese Äußerungen zusammen „ - und mehr finden sich zum Thema nicht - dann bleibt der Eindruck diffus". IfZ-Archiv, ZS 322: Hasso von Etzdorf, Vernehmung vom 9.6.1948. So Himmler anlässlich seiner Rede vom 4.10.1943 vor den SS-Gruppenführern in Posen, in: IMT, Bd. 29, S. 110-173 (hier S. 145), Dok. 1919-PS.

666

5. Verbrechen

Doch begründen sich die Spezifika der Quellenlage nicht allein im sinistren Charakter dieses „öffentlichen Geheimnisses" (Götz Aly); entscheidend war auch, dass man schon bei den zentralen militärischen Dienststellen das Thema Juden bestenfalls als ein marginales Thema verstand, das die oberste Führung ja ohnehin an den SS- und Polizeiapparat „ausgelagert" hatte. Anderes, vor allem der nicht enden wollende Alltag des Krieges, okkupierten die Wahrnehmung der Militärs. Erst recht musste das für eine Kampfdivision gelten. Auch bei den drei Beispielen unseres Samples finden sich aufs Ganze gesehen nur wenige Informationen über Juden - in den dienstlichen wie in den privaten Zeugnissen. Dagegen taucht das Thema „Juden" bei den Besatzungsverbänden mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf, weil diese aufgrund ihrer Aufgaben mehr mit der einheimischen Gesellschaft zu tun hatten. Die Spezifika dieser fragmentarischen Quellenlage gilt es bei der folgenden Rekonstruktion zu beachten. Hier wurden vergleichsweise wenig Funde, die sich über einen sehr großen Quellenbestand verteilen, nachträglich verdichtet. Trotzdem ist es möglich, mit Hilfe dieser verstreuten Bruchstücke zu grundsätzlichen Aussagen zu kommen. 4. Panzerdivision Dies betrifft vor allem die 4. Panzerdivision, deren Führung schon vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa" einen mörderischen Antisemitismus propagiert hatte. Bereits eine Woche vor Angriffsbeginn wusste deren I-cAbteilung: „Die überall ansässigen Juden sind besonders verschlagen und unzuverlässig. Es empfiehlt sich bei ihnen die Methode der Einschüchterung."199 Was darunter genau zu verstehen war, präzisierte sie bei dieser Gelegenheit: „Gegenüber dem Juden gilt für den deutschen Soldaten das Wort von Hermann Löns: Not kennt kein Gebot: Sia tot, sia tot!" 200 Krasser konnte man es kaum formulieren. Dass es sich hier nicht um eine einmalige Entgleisung handelte, sondern um ein Prinzip, an dem die Divisionsführung monatelang festhielt, lassen die ekelhaften Vorgaben erkennen, welche sie ab November ausgab, nachdem der berüchtigte Reichenau-Befehl auch sie erreicht hatte201: der Kampf gelte „der völligen Vernichtung der bolschewistisch-jüdischen Irrlehre, des Sowjetstaates und seiner Wehrmacht" sowie der „Ausrottung der asiatischen Einflüsse im europäischen Kulturkreis" 202 . Der deutsche Soldat sei „Träger einer unerbittlichen völkischen Idee". Doch ging es hier nicht nur um die Theorie des Vernichtungskriegs: „Wo noch Juden leben, gibt es hinter der Front [!] keine Sicherheit für die deutsche Wehrmacht und ihre Versorgungseinrichtungen." Und: „Deutscher Soldat denke immer daran, daß der Jude Träger und Drahtzieher der bolschewistischen Idee ist. Er muß aus dem Hinterland [!] verschwinden." Wenn der Autor dieses Pamphlets erneut mit seiner „literarischen Bildung" brillierte und Hermann Löns zitierte, so 199 200 201

202

IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt.Ic, Anlage 1: „Feindnachrichtenblatt Nr.l" vom 15.6.1941. Ebda., „Entwurf: Ziffer 1: Div.-Tagesbefehl", o.D. [Oktober 1941]. IfZ-Archiv, MA 1581: 4. Pz. Div., Abt.Ia, Schreiben an das XXXXVII. Pz. Korps vom 20.3.1942, Anlage. Diese Anlage besteht aus insgesamt 23 „Parolen", von denen zwei zweimal ausgegeben wurden. Sie beginnen am 2 1 . 1 1 . 1 9 4 1 und enden am 14.3.1942. Vgl. mit dem Prolog. IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Entwurf: Ziffer 1: Div.-Tagesbefehl", o.D. [Oktober 1941],

5.4 V ö l k e r m o r d

667

wird deutlich, dass sich im Jahr 1941 buchstäblich kein Jota an der Einstellung der Divisionsführung gegenüber dem jüdischen „Problem" geändert hatte. Noch am 10. Februar 1942 forderte sie: „Jüdische Zivilisten und Partisanen gehören nicht in die Gefangenenlager, sondern an den Galgen!" 203 So etwas lässt auf eine entsprechende Praxis an der Basis schließen. Uber deren Ausmaß kann man allerdings nur spekulieren. Nur ein einziger Judenmord lässt sich hier sicher belegen, erinnert sei an das bereits erwähnte Ereignis vom 20. Juli 1941, als der Major Hoffmann einen jüdischen Kriegsgefangenen - möglicherweise ein Kommissar - quälte und schließlich erschießen ließ 204 . Schon sein „Judentröster", den er dabei zum Einsatz brachte, ist freilich ein Indiz dafür, dass dies vermutlich kein Einzelfall blieb 205 . Allerdings galt Hoffmann in seiner Division eher als Außenseiter, sicherlich nicht im Hinblick auf seine Weltanschauung, aber doch hinsichtlich seines Charakters und seiner Führungsmethoden. Jedenfalls ist von vergleichbaren Ereignissen weder im Tagebuch Farnbachers noch in den Akten dieser Division die Rede 206 . Aber was beweist das? Wenn ein Offizier aus dem Stab dieser Division in den Juden nur „Gesindel" sah 207 , dann ließ dies ebenso wenig Gutes erwarten wie die Suada eines einfachen Panzerschützen, der sich im März 1941 über „die Sau-Juden" ereiferte, die zu Recht „Schellen von den SS-Leuten" 208 erhalten würden. Mehr Zugang zur antisemitischen Praxis dieser Division geben die Ausführungen des Generals Eberbach während seiner Kriegsgefangenschaft. Sie sind - so viel steht fest - widersprüchlich. Von äußerster, geradezu atemberaubender Amoralität war seine Bereitschaft, dieses gigantische Mordprogramm zu akzeptieren: „Ich meine, man kann sogar vielleicht noch so weit gehen, dass man sagt, gut, es müssen eben diese Million Juden, oder wie viele wir da umgebracht haben, gut, das musste eben im Interesse unseres Volkes sein. Aber die Frauen und die Kinder, das musste nicht sein. Das ist das, was zu weit ging." 209 Andererseits will derselbe Eberbach gegenüber Himmler persönlich die Meinung vertreten haben, er könne nicht verstehen, „dass man gegen die Juden generell in so unmenschlicher Weise vorgegangen wäre" 210 . Die Tatsache, dass beide Statements heimlich aufgezeichnet wurden, spricht für deren Glaubwürdigkeit; auch ist bekannt, dass Eberbach IfZ-Archiv, M A 1581: 4. Pz. Div., I a, Schreiben an X X X X V I I . Pz. Korps, ChefGenSt., vom 7.3.1942, Anlage, „Parolen des Tages", hier Parole v o m 1 0 . 2 . 1 9 4 2 . Vgl. Kap. 5 . 1 . 2 0 5 B A - M A , MSg 1/3269: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 2 0 . 7 . 1 9 4 1 . 2 0 6 Farnbacher berichtete zweimal über Begegnungen mit sowjetischen Juden - einmal mit einem jüdischen Jungen und das andere Mal mit jüdischen Kriegsgefangenen. Beide befürchteten, von den Deutschen erschossen zu werden, was Farnbacher sich aber nicht vorstellen konnte. B A - M A , MSg 1/3268: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Einträge vom 25.8. und 1 5 . 9 . 1 9 4 1 . 2 0 7 O. Verf., Sturm im Osten, S. 160. Vgl. auch ebda., S.229, w o der Verfasser behauptete, „wir kennen ja die Juden so genau, daß wir sie im Dunkeln an ihren Gewohnheiten erkennen würden". 2 0 8 BfZ, Slg. Sterz, 04650: Brief L. B. vom 1 2 . 3 . 1 9 4 1 . 209 Vgl. Neitzel, Abgehört, S. 139. Eberbach behauptete bei dieser Gelegenheit, er hätte sich an den Mordaktionen nie beteiligt, wobei unklar bleibt, ob damit Polen, Russen oder Juden gemeint waren. 2 1 0 Zit. bei: Neitzel, Abgehört, S.257. Dass Eberbach bei dieser Gelegenheit behauptet haben will, „dass man die Juden durch andere Behandlung zu einer ganz anderen Einstellung zur Regierung hätte bringen können, das ihm [Himmler] zu sagen, war nicht zweckmäßig", spricht freilich für eine politische Naivität, wie sie f ü r führende deutsche Militärs nicht untypisch war. 203

204

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5. Verbrechen

persönlich (wie vergeblich) v o n Hitler eine „Deutschblütigkeitserklärung" f ü r einen Obergefreiten seiner Division zu erhalten suchte, den man wegen seiner A b stammung nicht mehr beförderte 2 1 1 . Möglicherweise ist die Widersprüchlichkeit der Aussagen Eberbachs, f ü r die 4. Panzerdivision war er w o h l eine der wichtigsten und prägendsten Führerfiguren 2 1 2 , ein Schlüssel zur Beantwortung der Frage, wie sich diese gegenüber dem Judenmord verhielt: Akzeptanz der Judenmassaker, aber nicht in der F o r m eines Genozids 2 1 3 . Immerhin existieren auch einige Zeugnisse, welche die bisherigen Eindrücke etwas relativieren; dazu zählen die Tagebücher Farnbachers, in denen antisemitische Ressentiments völlig fehlen, der Einsatz jüdischer Dolmetscher in dieser Division 2 1 4 oder ein Bericht der Abteilung I c über einen ukrainischen Kriegsgefangenen, dessen Hass auf die Juden so „ausgeprägt" gewesen sein muss, dass „bei der Gefangenen-Auffangstelle der Division Vorsicht geboten war, ihn mit Juden allein zu lassen" 2 1 5 . Hätte man das getan, wenn man alle Juden selbst erschossen hätt e 2 1 6 ? U n d noch ein Aspekt verdient Beachtung. In einem speziellen Merkblatt betonte diese Division, dass sie zwar erste Ortskommandanturen einrichten w ü r de, allerdings nur „zu Zwecken der eigenen Sicherung" und weniger zu „Verwaltungszwecken, da diese bei der K ü r z e des Aufenthaltes der Truppenteile, in dem betreffenden O r t überhaupt nur selten durchführbar" seien 2 1 7 . Das heißt: Es waren - auch der dezidierte Hinweis der Divisionsführung auf ein „judenfreies" Hinterland spricht dafür - erst die nachrückenden Einheiten, die diese Aufgabe übernehmen sollten. Den Kampfverbänden, erst recht den motorisierten, fehlte dafür schlichtweg die Zeit. Trotzdem drang die Dimension des Holocausts ins Bewusstsein der „PanzerMänner" 2 1 8 . Wenn Farnbacher schon im November 1941 seinem Tagebuch anver211

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Rigg, Hitlers Jüdische Soldaten, S.270. Hitler lehnte es ab, den Obergefreiten Georg Struzyna zum Unteroffizier zu befördern und ihm eine „Deutschblütigkeitserklärung" ausstellen zu lassen, obwohl Struzyna das ΕΚ I erhalten hatte und schwer verwundet worden war. Vgl. hierzu auch BA-MA; MSg 1/3281: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 21.6.1942: „Schade, dass der Mann nicht Unteroffizier werden kann, weil er Vierteljude ist! Aber hoffentlich geht es jetzt durch, wenn es auch der Führer persönlich entscheiden muß." Messerschmidt (Wehrmacht, S.357) hat allerdings darauf hingewiesen, dass solche Initiativen als „Ausdruck einer Haltung [zu verstehen sind], die mehr von der soldatischen Solidarität als von bewußter Ablehnung der Rassendiskriminierung her bestimmt war". Vgl. Kap. 2.3. Vgl. hierzu Hürter, Militäropposition, der bei der H.Gr. Mitte zu Beginn des Jahres 1941 eine ähnliche Ambivalenz feststellt: Einerseits Zustimmung zu den Massenerschießungen, die sich erst dann verändert, als auch Frauen und Kindern darin einbezogen wurden. Am 24.10.1941 verbot die Divisionsführung den Einsatz von jüdischen Dolmetschern, die auch in dieser Division tätig waren. IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt. I c, Anlage „Feindnachrichten" vom 24.10.1941. Zum Einsatz vgl. BA-MA, MSg 1/3270: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 25.8.1941. IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt. I c, Meldung an das XXIV. Pz. Korps vom 8.10.1941. Überliefert ist das Vernehmungsprotokoll eines gefangen genommenen jüdischen Rotarmisten durch den I c der 4. Panzerdivision, ohne dass hier eine Abgabe an ein Erschießungskommando vermerkt worden wäre. IfZ-Archiv, MA 1591: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Vernehmungsbericht Nr. 50" (Laser Poljakow) vom 16.2.1942. IfZ-Archiv, MA 1591: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Merkblatt über Einrichtung von Ortskommandanturen", o. D. [Anlage zum Anlagenband August - November 1941]. So schrieb der erste Kommandeur der 4. Pz. Div., der spätere Gen.oberst Reinhardt, 1945 in sein Tagebuch: „Erste Zeitungen (Bayr. Landeszeitung) unter Feindkontrolle [!] erscheinen wieder. Teilweise böse Hetzerei. Furchtbares über Greueltaten in deutschen Konzentrations-

5.4 Völkermord

669

traute, dass es „in Warschau [...] toll zugehen" soll: „täglich sterben Hunderte Juden an Flecktyphus" 219 , wenn Angehörige der 4. Panzerdivision bei ihrer Durchfahrt durch „Warschau-Ost [...] alle Verpflegung in ein Juden-Lager" warfen 220 oder wenn einen Wachtmeister dieser Division im September 1944 das schlechte Gewissen plagte, es sei „furchtbar", den Krieg zu verlieren, schon weil „die Nazis [!] es mal ein bisschen toll mit den Juden getrieben haben" 221 , dann sind diese bruchstückhaften wie widersprüchlichen Nachrichten doch eine Art Echo, eine Ahnung von der unermesslichen Schuld, die das Deutsche Reich auf sich geladen hatte. Zumindest in den ersten neun Monaten des deutsch-sowjetischen Krieges hat die Führung dieser Division - das bleibt als bitteres Fazit - die antijüdische Politik des NS-Regimes voll und ganz akzeptiert, selbst wenn mancher Divisionsangehörige anders denken mochte. Erst im Frühjahr 1942 kam es zu einer Zäsur. Das lag nicht allein daran, dass in ihrem Befehlsbereich kaum noch Juden lebten 222 . Folgenreicher war, dass der Generaloberst Schmidt die menschenverachtenden und nicht zuletzt dezidiert antisemitischen „Parolen der Woche", welche die 4. Panzerdivision regelmäßig ausgegeben hatte, einstellen ließ 223 . Zwar blieben die Juden in seinen Befehlen, mit denen er die Besatzungspolitik in seinem Armeebereich zu humanisieren suchte, unerwährt 224 , doch war seit März 1942 klar, dass die Willkür ein Ende hatte. Davor aber bestand eine Art Freibrief. Die Befehle der Divisionsführung lassen keine Zweifel daran, dass in dieser Division mehr existierte als nur eine antisemitische Disposition. Hier bestand auch die klare Bereitschaft, dafür zu morden. Dass wir nicht mehr Verbrechen kennen, liegt an der Uberlieferung und wohl vor allem daran, dass diese Division mit ihren militärischen Aufgaben zur Genüge ausgelastet war. 45. Infanteriedivision Bei der 45. Infanteriedivision sind die Zeugnisse hingegen spärlicher - was überrascht, war doch der Antisemitismus in den Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie besonders virulent 225 . Linz, der Sitz des Divisionskommandos, war davon jedenfalls nicht ausgenommen; dort lagern. Kaum zu glauben, daß Deutsche so etwas begangen haben sollen, widerliche Bestialitäten." BA-MA, Ν 245/3: NL Hans Reinhardt, Tagebuch, Eintrag vom 30.5.1945. 2 1 9 BA-MA, MSg 1/3274: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 1.11.1941. 2 2 0 Vgl. BA-MA, MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr.31, S.5: Aus dem Kriegstagebuch des Obergefreiten Franz Weber von der 4./Pz. Rgt. 35. 221 BfZ, Slg. Sterz, 03711 B, Brief L. D. (4. Pz. Div.) vom 4.9.1944. 2 2 2 Gerlach, Morde, S.380; Hürter, Heerführer, S.567. 223 Vgl. mit dem Prolog. 2 2 4 In der Zeit, als Schmidt die 2. Panzerarmee führte, verbreitete sie allerdings weiterhin antisemitische Propaganda. So ließ sie, in Absprache mit ihrem I c und unter tatkräftiger Mithilfe russischer Kollaborateure, durch die Propaganda-Kompanie 693 die antisemitische Zeitung Rech publizieren. Vgl. hierzu Herzstein, Anti-Jewish Propaganda; Uziel, Wehrmacht Propaganda Troops and the Jews. BA-MA, RH 21-2/333: Pz. AOK 2, Abt.I c/A.O., „Zusammenstellung aus Berichten der Propagandatrupps der Pz. Prop. Kp. 693" vom 14.4.1942. 225 Vgl. hierzu: Pulzer, Die Entstehung des politischen Antisemitismus; Schubert/Moser (Hrsg.), Der gelbe Stern in Osterreich; Spira, Feindbild „Jud"; Bunzl/Marin (Hrsg.), Antisemitismus in Österreich; Weiss, Antisemitische Vorurteile in Österreich; Kaindl-Widhalm, Demokraten wider Willen; Pauley, From Prejudice to Persecution; Jüdisches Museum der Stadt Wien (Hrsg.), Die Macht der Bilder; Tortelli, La propaganda antisemita; Wassermann, Naziland Österreich?; Betten (Hrsg.), Judentum und Antisemitismus; Halbrainer (Hrsg.), „Feindbild Jude"; Wladika, Hitlers Vätergeneration; Melichar, Who is a Jew?

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5. Verbrechen

h a t t e m a n s c h o n i m N o v e m b e r 1 9 3 8 J ü d i n n e n ö f f e n t l i c h die H a a r e g e s c h o r e n 2 2 6 . W ä h r e n d des P o l e n f e l d z u g s lassen sich d e n n a u c h e i n z e l n e a n t i s e m i t i s c h e V e r o r d n u n g e n d e r 4 5 . I D n a c h w e i s e n 2 2 7 , n i c h t a b e r f ü r die Z e i t des d e u t s c h - s o w j e t i s c h e n K r i e g e s 2 2 8 , in d e m diese D i v i s i o n a u c h sonst, e r i n n e r t sei an i h r e R o l l e b e i m „ K o m m i s s a r b e f e h l " , eine e h e r z u r ü c k h a l t e n d e R o l l e s p i e l t e 2 2 9 . D a b e i agierte dieser V e r b a n d d u r c h a u s in e i n e m a n t i s e m i t i s c h e n U m f e l d - das b e t r i f f t seine v o r g e s e t z t e n K o m m a n d o b e h ö r d e n 2 3 0 w i e a u c h sein B e s a t z u n g s g e biet. S o galt B r e s t - L i t o w s k , das die 4 5 . I D in d e n ersten K r i e g s t a g e n besetzte, als „ B r u t s t ä t t e des A n t i s e m i t i s m u s " . A l l e i n z w i s c h e n 1 9 3 5 u n d 1 9 3 7 hatte m a n h i e r ü b e r 1 0 0 größere P o g r o m e registriert mit zahllosen V e r w u n d e t e n u n d auch Tot e n 2 3 1 - also g a n z ä h n l i c h e V o r a u s s e t z u n g e n w i e i n d e r U k r a i n e , w o es s c h o n v o r d e n g r o ß e n d e u t s c h e n M o r d a k t i o n e n z u P o g r o m e n k a m . T r o t z d e m hat sich bei d e r B e s e t z u n g B r e s t s d u r c h die 4 5 . I D nichts V e r g l e i c h b a r e s e r e i g n e t 2 3 2 . Eine L ü c k e in d e r U b e r l i e f e r u n g ? O d e r eine F o l g e d a v o n , dass sich die „ O s t m ä r k e r " in d e r S o w j e t u n i o n „ a u ß e r o r d e n t l i c h m i l d e " a u f g e f ü h r t h a b e n sollen, w i e ein d e u t s c h e r G e n e r a l einmal m e i n t e 2 3 3 ?

226 Yg| Gilbert, From the Ends of the Earth, S. 177. Vgl. auch das Bild vom Linzer Fasching, bei dem man Spaß daran fand, sich als „Juden" zu kostümieren und damit so gut wie alle antisemitischen Stereotypen zu bedienen. Encyclopedia of Jewish Life, Vol. II, S. 733. Zu antisemitischen Verbrechen in Oberösterreich bzw. zur Hilfeleistung einzelner für Juden vgl. Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1934-1945, Bd. II, S. 372 bzw. Bd. I, S. 532ff. 2 2 7 In einem Interview mit dem Verf. am 4.10.2000 meinte jedoch Herbert Urban, der nach damaliger Definition als „Halbjude" galt und der 45. Inf. Div. vom Februar bis November 1938 und erneut vom August 1939 bis Februar 1941 angehört, er sei in dieser Zeit von seinen Kameraden gut behandelt worden. 2 2 8 Zwar registrierte man in der Division, dass „von jedem Gefangenen die erste Frage, die durch Zeichen angedeutet bzw. von den deutschsprachigen Juden ausgesprochen wurde, [gewesen sei], ,Wird uns auch nicht der Hals abgeschnitten, oder werden wir auch nicht erschossen?'", doch reagierte die Truppe darauf eher mit Erstaunen. IfZ-Archiv, M A 1619:1./Inf. Rgt. 135, „Bericht über die Grausamkeiten der Kämpfe in der Zeit vom 22.9.-27.9.1941" vom 29.9.1941. 2 2 9 Vgl. Kap. 5.1. 230 Während man etwa beim XXXIV. Höheren Kommando nach einzelnen sowjetischen Juden fahndete, unterschied das A O K 2 bewusst zwischen „aktivistischen Parteigängern und Juden" einerseits sowie der übrigen Bevölkerung andererseits. Durch diese Trennung versuchte man offensichtlich mehreren Zielen gerecht zu werden: Bestrafung einer Minderheit, die als „Sündenbock" diente bei gleichzeitiger Schonung der Masse der indigenen Bevölkerung, sowie Befriedigung des deutschen sowie des regionalen Antisemitismus. B A - M A , R H 24-34/120: XXXIV. A. K., Abt. Qu., „Besondere Anordnungen für die Versorgung und für die Versorgungstruppen Nr. 26" vom 8.9.1941; B A - M A , R H 20-2/1090: A O K 2, Abt.I c/A.O., Weisung vom 17.7.1941; PA-AA, R 60704: A O K 2, A b t . I c / V A A , Vermerk „Aussagen der weißrussfischen] Zivilbevölkerung" vom 29.7.1941. 2 3 1 Bei den Pogromen der Jahre 1935-1937, die in den Ereignissen vom 13.5.1937 ihren Höhepunkt gefunden hatten, waren insgesamt 14 Menschen getötet und über 2000 verletzt worden. Vgl. Eckman/Hirschler, Menachem Begin, S. 16ff., Zitat: S. 17; Haber, Menahem Begin, S. 11 ff. 2 3 2 Zum Fall des Jefim Moisejewitsch Fomin vgl. Kap.5.1. Allerdings sollen einige Wehrmachtsangehörige in Janow, das an der Straße Brest-Pinsk lag, den Juden gedroht haben, sie hätten keine Zeit „sich der J u d e n f r a g e ' zu widmen, bald würde aber die SS nachfolgen, die diese Aufgabe übernehmen und endlich ,Ordnung' herstellen würde". Auch in Dawid-Gorodok bei Pinsk wurde mit Hilfe der Pinsker Ortskommandantur eine Kennzeichnung von Juden eingeführt. Ob es sich hier um Einheiten der 45. Inf. Div. gehandelt hat, ist möglich, aber nicht sicher. Vgl. Cüppers, Wegbereiter, S. 153, 162. 2 3 3 So der Gen.ltn. Heinrich Kittel am 28.12.1944 in einer heimlich vom C S D I C aufgezeichneten Besprechung, zit. bei: Neitzel, Abgehört, S.273. Dass Wehrmachts-Einheiten aus der „Ostmark" auch eine sehr brutale Besatzungspolitik ausüben konnten, belegen die folgenden Studien: Manoschek, Serbien, S.27ff.; ders., Die Vernichtung der Juden in Serbien; Meyer, Von

5.4 V ö l k e r m o r d

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Dagegen sprechen die Ereignisse in Pinsk, das die 45. I D am 6. Juli besetzte und wo sehr wahrscheinlich ihre Angehörige 30 Juden festnahmen und im Stadtpark erschossen 2 3 4 - ein Ereignis, das in der Division allerdings nicht nur auf Zuspruch traf. So berichtete der Jesuitenpater Roman Kormann, damals Sanitätssoldat in der 45. I D und 1944 als „wehrunwürdig" aus der Wehrmacht entlassen, wie „unser Internist auf Wunsch einer Dienststelle einmal feststellen sollte, ob ein Russe, der zu ihm geschickt wurde, Jude sei [...]." Er habe zu ihm gesagt: „,Das tue ich nicht!' Er war wütend. Gerade hatten wir mitbekommen, daß in Pinsk Juden liquidiert wurden. Das schockierte den Arzt dermaßen, daß er sich weigerte festzustellen, ob dieser Russe beschnitten war oder nicht. Die Beschneidung sei schließlich, so gab er zu bedenken, auch bei anderen Völkern üblich und deshalb kein Unterscheidungskriterium." 2 3 5 Wie weit ein solcher Fall elementarer Menschlichkeit charakteristisch für die 45. Infanteriedivision war, sei dahingestellt. Sicher ist, dass die großen Massaker an den sowjetischen Juden, welche die 45er damals als „nicht unfreundlich" 2 3 6 erlebten, erst dann begannen, als die Division längst weitergezogen war 2 3 7 . U n d sicher ist auch, dass in den Quellen, die diese Division hinterlassen hat, das Thema „Juden" - aus was für Gründen auch immer - ausgespart bleibt. 296. Infanteriedivision Von der 296. Infanteriedivision lässt sich dies nicht sagen. Obwohl deren Führung keine Mordbefehle erließ, finden sich unter ihren Angehörigen Anzeichen für einen erschreckenden Antisemitismus. Zwar kennen wir insgesamt nur vier Stimmen, doch fällt auf, dass es sich um ganz unterschiedliche Dienstgrade handelte: höherer Offizier, Subalternoffizier, Unteroffizier, einfacher Soldat. Schon allein das lässt vermuten, dass sich diese Mentalität nicht allein auf diese vier beschränkte. Bei der Geschichte der 296. I D fallen zwei Besonderheiten ins Auge: Bei ihrem Marsch durch die Ukraine wurde sie immer wieder mit dem Judenmord konfrontiert, wobei in diesen Fällen nicht nur die Deutschen, sondern auch die Ukrainer

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Wien nach Kalvryta. Allerdings waren diese Einheiten nicht in der besetzten Sowjetunion, sondern auf dem Balkan im Einsatz. Aus dem Feuer gerissen, S. 70. A n der Erschießung hätten sich deutsche Soldaten, „eine österreichische Einheit", und polnische Polizei beteiligt. Anschließend wurde in Pinsk eine Ortskommandantur eingerichtet, auf deren Veranlassung ein Judenrat gebildet wurde. Berichtet wird auch von einer zweiten, späteren Erschießung, der 16 Juden zum O p f e r fielen - o b unter Beteiligung der 45. I D bleibt unklar. Vgl. Fatal-Knanni, J e w s of Pinsk, S. 159f. Priester in Uniform (Roman Kormann), S.275. Dass die Vorfälle in Pinsk bei den dort stationierten Soldaten für „rege Diskussionen" sorgten, bestätigt Pohl, Herrschaft, S.257. So berichtete Hauswedell über sein erstes Zusammentreffen mit Juden während des Ostkriegs: „Die Bevölkerung ist nicht unfreundlich. Von 32000 Einwohnern sind 22000 Juden, der Rest vorwiegend Weiß- und Großrussen, ein kleinerer Teil Ukrainer und Polen." Ludwig Hauswedell, Kriegstagebuch 1941/42 (4.5.41-21.4.1942), Kopie im Besitz d. Verf., Eintrag vom 15.7.1941. D a s 2. SS-Kavallerie-Regiment war damals der 45. I D durch die Pripjet-Sümpfe gefolgt, wenn auch in deutlicher Entfernung. N a c h d e m die 45. I D schon am 6.7.1941 Pinsk besetzt hatte, um danach weiter in Richtung Osten zu marschieren, erreichte das 2. SS-Kavallerie-Regiment diese Stadt einen knappen Monat später, am 5.8., w o es ca. 5 000 Männer, meist Juden, tötete. Vgl. Cüppers, Wegbereiter, S. 151 ff.; Kausnick/Wilhelm, Truppe, S.222f.; Gerlach, Morde, S.555ff.; Mailman (u.a. Hrsg.), Deutscher Osten, S. 143ff.; B i m , Wirklichkeit, S.275-284. Ferner U S H M M , RG-48.004M: Feldpost-Nr. 44762 C , Meldung betr. „Durchsuchungsaktion in Pinsk" vom 26.8.1941.

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5. Verbrechen

als Täter fungierten. A b e r nicht nur das; die 2 9 6 e r w u r d e n damals auch Zeuge jener Massaker, die das N K W D in seinen Gefängnissen angerichtet hatte. Das P r o blem w a r e n die Schlussfolgerungen, die diese Soldaten daraus zogen. Die Propagandalüge v o n den „jüdischen Tätern" fiel bei ihnen auf fruchtbaren B o d e n und hatte zur Folge, dass sich der latente Antisemitismus dieser Soldaten nun rasch radikalisierte. W e n n ein Rassist w i e der Oberleutnant Reinert schon v o r dem 2 2 . J u n i 1941 hatte durchblicken lassen, dass f ü r ihn ein G e n o z i d eigentlich kein Problem darstelle 2 3 8 , so lernte er nun die Wirklichkeit kennen - das erste Mal in Lemberg ( L w o w ) , einer Stadt v o n 3 6 1 0 0 0 Einwohner, d a v o n etwa ein Drittel J u den. D o r t hatte das N K W D unmittelbar v o r dem deutschen Einmarsch etwa 5 3 0 0 Häftlinge ermordet, unter denen sich übrigens auch Juden, etwa zionistische A k t i visten, befanden 2 3 9 . F ü r deren Tod machten Deutsche und U k r a i n e r aber nicht die sowjetische Geheimpolizei v e r a n t w o r t l i c h 2 4 0 . „Die J u d e n w a r e n den Bolschewisten gleichgestellt, ja eigentlich w a r e n nur die J u d e n Bolschewisten", erinnerte sich später einer der wenigen Lemberger J u d e n 2 4 1 , der den Zweiten Weltkrieg überlebte: „ W i r w a r e n vogelfrei." D e n grauenhaften Hetzjagden zu Beginn der deutschen Besetzung fielen etwa 4 000 J u d e n z u m Opfer. Das w a r v o r allem das W e r k der ukrainischen Miliz, das freilich SS und Polizei gezielt förderten. Die Rolle der W e h r m a c h t w a r hingegen weniger eindeutig; die meisten deutschen Soldaten verfolgten das Geschehen „passiv und teilnahmslos" 2 4 2 . D o c h w a r der Anteil derer, 238

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Vgl. etwa BA-MA, MSg 2/5315: NL Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 10.3.1941: „Gegen 4.00 Uhr morgens sind wir in Auschwitz, auch die Einfahrt nach Auschwitz verläuft nicht ganz programmmäßig. Kurz vor Auschwitz hat sich eine Polin mit Selbstmordabsichten vor den Zug geworfen und ist von ihm überfahren worden. Auschwitz ist nämlich eine völlig polnische und jüdische Stadt, die zur Zeit evakuiert wird. Die Leute werden einfach zusammengetrieben und erhalten Befehl, nur mit dem Notwendigsten versehen, innerhalb einer Stunde marschbereit zu sein zur Verschickung ins Generalgouvernement. Pardon und Milde gibt es nicht. Und nach dem, was sich die Polen geleistet haben, wäre Milde auch nicht angebracht, so schrecklich das Schicksal für die Einzelnen ist." Ebda., Eintrag vom 17.4.1941: „Dafür wird mir ein anderes Bild wohl unvergessen bleiben: An einer zerstörten Brücke arbeiten Sträflinge. So sehen sie wenigstens aus in ihren weiß und blau gestreiften Anzügen und Mützen. In Wirklichkeit sind es die im Auschwitzer Konzentrationslager gefangen gesetzten und zum Untergang geweihten - das Krematorium steht ständig unter Rauch - polnischen Intelligenzler. Sie schuften, ohne sich rechts oder links umzuschauen - vielleicht verbieten dies auch die von den SS-Posten schußfertig gehaltenen Maschinenpistolen - so also sieht der Tod bei lebendigem Leib aus! Oder glaubt einer dieser Menschen, daß dieses Tun eines Tages für ihn ein Ende haben könnte und daß diese Ende anders sei als im Krematorium ...?" Ebda., Eintrag vom 25.4.1941: „Ich glaube, es ist Slupna: Da wimmelt es von Juden, die ruckartig bei der Ansicht unseres Wagens die Kappen von ihren dreckigen Kräusellocken ziehen. Man sieht Typen [!] aller Art, genau so, wie man sie schon im Stürmer abgebildet gesehen hat [!]. Es sind mitunter oft widerliche Anblicke und die weißen Armbinden mit dem blauen Judenstern oder die mit einer Schnur am Arm befestigten Schilder mit der gleichen Zeichnung wären gar nicht nötig, um schon aus hundert Meter Entfernung festzustellen, was [!] Jude ist und was nicht." Zahl nach: Pohl, Judenverfolgung, S. 55 f. Insgesamt wird die Zahl der Opfer, die der NKWD kurz vor dem deutschen Einmarsch in der Westukraine erschoss, auf ca. 10000 geschätzt. Vgl. hierzu Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 186ff.; Hilberg, Vernichtung, S.210, 223; Pohl, Judenverfolgung, S. 54ff.; Sandkühler, „Endlösung", S. 114; Heer, Lemberg; Held, Pogrom; Musial, „Konterrevolutionäre Elemente", S. 102ff., 175ff.; Heer, Lemberg (in: ZfG, und in: Wette/ Ueberschär (Hrsg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert); Wachs, Oberländer, S. 69ff., insbes. S. 86 f. So Adolf Folkmann, zit. bei: Held, Pogrom, S. 122. Wachs, Oberländer, S. 80.

5.4 Völkermord

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die sich spontan an den Exzessen beteiligten 243 wohl größer als die Zahl derer, die den Juden halfen 244 . Viel folgenreicher als die Reaktion der Basis aber war die der deutschen Stadtkommandantur, die zunächst nicht mehr Herr der Lage war. Erst nach drei Tagen machte sie diesem Alptraum ein Ende 245 . Während sich in den Akten der 296. ID keine Hinweise auf diese Ereignisse finden, lässt Reinerts Schilderung erkennen, wie sehr er sich mit den Mördern solidarisierte; so notierte er am 3.Juli 246 : „Zur Ahndung dieser Grausamkeiten wurden nun in einem Raum 15 Juden zusammengetrieben, die dort verhört werden sollten. Aber der Bruder des Ermordeten ist in einer solchen sinnlosen Wut, daß er den Raum stürmt und sämtliche Juden mit einer Eisenstange totschlägt, daß in dem Raum buchstäblich das Blut rinnt und die Körper der Gemordeten sich übereinander türmen. Man kann diese Wut verstehen, auch wenn man sie nicht gut heißen kann." Tags darauf ist in Reinerts Tagebuch zu lesen: „In einem Gutshof [in Busk] sind an die 200 russische Gefangene. Sie liegen oder sitzen herum, und man sieht ihnen an, daß sie nicht zu klagen haben. In einem Graben aber stehen 6 Zivilisten, denen man den Juden schon von weitem ansieht. Sie fallen vor Müdigkeit und Hunger schier um, denn sie stehen schon hier seit 3 Tagen und haben während dieser Zeit auch noch nichts zu essen bekommen. Es sollen Heckenschützen sein. Aber trotzdem und trotz der Grausamkeit, die diese Kanaillen und ihre Rassegenossen verübt haben, halte ich diese Methode nicht für das Richtige. Man sollte sie zu denen legen, die in den vergangenen Tagen hier schon erschossen und in der Ecke des Guthofs verscharrt worden sind." 247 Decouvrierend an dieser Passage ist nicht allein der mitleidlose Blick Reinerts auf die Opfer, sondern auch die Tatsache, wie er nun auch den Gewaltausbruch seiner Kameraden legitimierte; schon ein Gerücht genügte: „Es sollen Heckenschützen sein." Entscheidend war, dass Reinert mit solchen Ansichten in seiner Division nicht allein blieb. „Der Ort, bei dem wir seit gestern vormfittag] sind", schrieb damals der Oberst Thoma, „ist zu 50 % von Deutschen bewohnt. Die Russen haben offenbar wie die Bestien gehaust. Die Bewohner (auch Ukrainer und Russen) waren 243 Vgl. mit der eindringlichen Schilderung von Yones, Die Straße nach Lemberg, S. 18 ff. Yones war einer der wenigen Uberlebenden der Lemberger Massaker. Ferner Musial, „Konterrevolutionäre Elemente", S.241 f.; Pohl, Judenverfolgung, S. 59f. 244 Vgl. Friedman, Brot und Bücher, S. 51 ff. Friedman erlebte als Jude, den deutschen Einmarsch in Lemberg. Vgl. mit der Einschätzung bei Held, Pogrom, S. 123; Pohl, Judenverfolgung, S.65ff. 2 4 5 Die Massenmorde waren damit nicht zu Ende; sie wurden nun von deutschen Einheiten fortgeführt. A b dem 2.7.1941 ermordete das EK 5 in Lemberg nach eigenen Angaben 7 000 Juden als „Vergeltungsmaßnahme" für „Greueltaten" an Ukrainern. Weitere 73 Personen, von denen behauptet wurde, sie seien als Funktionäre und Spitzel des N K W D tätig gewesen, wurden ebenfalls erschossen. 40 Mann, vor allem Juden zwischen 20 und 40 Jahren, wurden auf Grund von Anzeigen aus der Bevölkerung getötet. Angaben nach: Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 186f.; Held, Pogrom, S. 124f. 2 4 6 BA-MA, MSg 2/5316: NL Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 3.7.1941. Fernen Yones, Straße, S. 20f. sowie Manuskript, K. H., „Unser Einsatz im Osten", o. D., Kopie im Besitz d. Verf. 2 4 7 BA-MA, MSg 2/5316: NL Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 4.7.1941. Vgl. auch mit ebda., Eintrag vom 6.7.1941: „Scheu drücken sich die Juden, die auch hier [Brody] schon durch die Zionssterne gekennzeichnet sind durch die Straßen, während die ukrainische Bürgerwehr stolz die Gewehre geschultert an den Straßenecken steht und sich ihre Freizeit wohl damit verkürzt, daß sie aussinnt, wie auch vollends der Rest der Juden beiseite geräumt werden kann, denn unter den Ukrainern herrscht eine erbitterte Wut gegen die ,Auserwählten' und sie halten die Juden alle für Verräter und Halsabschneider, was ihnen kein vernünftiger Mensch bestreiten kann [sie]."

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5. Verbrechen

früher Eigentümer von Bauernhöfen. Diese wurden ihnen allen entschädigungslos genommen. [...] Die Leute sind natürlich ganz verschüchtert. Man hat das Gefühl, dass sie noch nicht aus sich herausgehen. Die Hauptschuld schieben sie auf die Juden. Wenn man das gesehen und gehört hat, dann kommt man zur Uberzeugung, daß diese tatsächlich samt und sonders mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden müssen. Für keinen Juden ist [es] schade, wenn er erschossen wird. Je eher das geschieht, desto besser ist es. Jeder Judenfreund und jeder, der etwa noch mit dem Kommunismus sympathisiert, müsste das Elend hier sehen; dann wäre er für alle Zeiten geheilt." 248 Auch hier zeigte sich jenes auffällige ideologische Amalgam - ein fanatischer Hass gegen die Juden und die Bolschewisten, wobei sich in diesem speziellen Fall ältere Stereotypen mit dem überlagerten, was Thoma von den Einheimischen gehört hatte. Im Angesicht seiner Reaktion kann es daher kaum wundern, wenn seine Soldaten diese Ansichten teilten. Mit bemerkenswerter Offenheit fasste ein Unteroffizier der 296. ID seine damaligen Beobachtungen wie folgt zusammen: „Langsam formierte sich bereits der ukrainische Selbstschutz, der, von uns eingesetzt [!], für Ordnung sorgte und vor allem seine lange zurückgehaltene Wut an der jüdischen Bevölkerung auslassen konnte. Wir wären ja die letzten gewesen, die dies nicht begrüßt hätten. Kaum waren wir am Abend in einer kleinen oder auch größeren Stadt als, mit Gewehren bewaffnet, der Selbstschutz durch die Straßen zog, hier und da aufräumte, dort das Judenpack aus den Häusern heraus holte und dort hinbrachte, wo sie niemandem mehr ein Leid zufügen können und dort sind, wo sie schon längst und auch alle hingehören, zum Teufel. Greueltaten von Juden wurden bekannt, wo man den Sohn, Vater und Mutter ermordet, in anderen Fällen die Augen ausgestochen hatte und nun der Sohn dafür zehnfache Vergeltung ungestört [!] üben konnte." 249 Und schließlich sei noch auf ein letztes, ein viertes Zeugnis verwiesen, das erst im September 1941 entstanden ist, während des Blutbads von Babij Jar 250 , dem „Symbol für den Judenmord der SS auf dem Boden der

BayHStA, Abt.IV, N L Thoma 3: Tagebuch, Brief vom 1 9 . 7 . 1 9 4 1 . Vgl. auch ebda., Brief v o m 8 . 7 . 1 9 4 1 : „Die Gegend, durch die w i r jetzt schon seit Tagen marschieren, ist sehr fruchtbar. [...] Die Russen müssen vor allem in den Städten fürchterlich gegen Ukrainer und Volksdeutsche vorgegangen sein. Sie müssen sehr viele erschossen, gemartert und verstümmelt haben. Die Zahlen, die da genannt werden, sind z.T. sehr groß. Die Richtigkeit kann ich nicht nachprüfen. Natürlich erfolgt jetzt eine Reaktion. Der Selbstschutz der Ukrainer, der jetzt in Tätigkeit tritt, geht nun seinerseits gegen die Juden, die ja in erster Linie Anstifter dieser Scheußlichkeiten waren, energisch vor. Eine erhebliche Anzahl scheint schon ihr Leben eingebüßt zu haben. A b e r die meisten und vermutlich die Rädelsführer sind natürlich ausgerissen." 2 4 9 Manuskript, K. H., „Unser Einsatz im Osten", o.D., Kopie im Besitz d. Verf. Bemerkenswert ist, dass der Verfasser eine zweite, f ü r die Öffentlichkeit „gereinigte" Version anfertigte, in der dieser Teil entsprechend abgeschwächt wurde: „Langsam formierte sich auch der von uns eingesetzte ukrainische Selbstschutz, welcher f ü r Ordnung sorgte, der auch bald Waffen trug und mit vielerlei Aufgaben betraut wurde, was sicherlich nur f ü r die Befreiung der Ukraine Geltung haben durfte. Greueltaten, welche unter der Bevölkerung vorgekommen waren, sehr lange hatte man darauf gewartet, fanden nun ihre Vergeltung, ausschließlich jedoch nur durch die Ukrainer selbst." K. H., Rückblick und Erinnerung an den Einsatz der 296. Inf. Div. im Osten aus der Sicht des II./IR 521. Manuskript im Besitz d. Verf. 250 Vg] hierzu Wiehn (Hrsg.), Die Schoáh von Babij Jar; Rüß, Massaker von Babij Jar; Arnold, Die Eroberung und Behandlung der Stadt Kiew, S. 160ff.; Wiehn (Hrsg.), Babij Jar; Pohl, Schauplatz Ukraine; Lower, Nazi Empire-Building and the Holocaust in Ukraine, S . 6 9 f f . 248

5.4 V ö l k e r m o r d

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Sowjetunion" 2 5 1 . Der Gefreite B. kommentierte das Geschehen mit den Worten: „In Kiew zum Beispiel ist eine Explosion nach der anderen durch Minen. Die Stadt brennt schon acht Tage, alles machen die Juden. Darauf sind die von 14 bis 60 Jahre alten Juden erschossen worden, und es werden auch noch die Frauen der Juden erschossen, sonst wird's nicht Schluß damit [...]." 2 5 2 Er blieb in seiner Division nicht der Einzige, der die Lügen, mit denen die deutsche Führung den Massenmord an den Juden zu rechtfertigen suchte, bereitwillig glaubte 2 5 3 . Erinnert sei an Reinerts Ausbruch, der sich über „die Anstifter dieses Untermenschentums" ereiferte und die „Fressen" der Juden „mit dem Stiefel zusammentreten" wollte 2 5 4 . Allerdings hat die Rekonstruktion der militärischen Ereignisse gezeigt, dass sich die 296. Infanteriedivision nach der Eroberung von Kiew sehr wahrscheinlich nicht an den sich anschließenden Massakern beteiligte, schon weil sie schon bald wieder in den nächsten militärischen Einsatz geworfen wurde. Was aber ist sonst an Taten bekannt? Dass die Angehörigen der 296. I D es nicht nur bei Worten beließen, belegen die Ereignisse in Lemberg. Auch weiß man von „187 Sowjetrussen und Juden", die von der Wehrmacht in Shitomir an die Einsatzgruppe C zur Exekution weitergeleitet wurden 2 5 5 . Shitomir war zu diesem Zeitpunkt gemeinsamer Standort dieser Einsatzgruppe und der 296. ID. Sonst aber sind wir in ihrem Fall ebenfalls auf Spekulationen angewiesen, weil weitere einschlägige Angaben über eine Beteiligung am Judenmord fehlen 2 5 6 . Was bekannt ist, ist ein Befehl des X X I X . Armeekorps, dem die 296. I D zeitweise unterstellt war: „Für die Durchführung gefährlicher Räumungsarbeiten sind Juden aus den Dulags heranzuziehen." 2 5 7 Wie ist das Schweigen in den Quellen zu deuten? In einer Division wie der 296. I D war - wie wir zur Genüge gesehen haben - Antisemitismus alles andere als ein Tabu, so dass man entsprechende Befehle und Taten in ihren dienstlichen und privaten Aufzeichnungen wohl kaum schamhaft verschwiegen hätte. Ausschlaggebend war wohl auch hier, dass im Selbstverständnis ihrer Führung die Juden letzten Endes nur ein Randthema darstellten - zumindest im Alltag jenes Krieges, den

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Förster, Wehrmacht, Krieg und Holocaust, S.956. BfZ, Slg. Sterz, 04650, Brief L. B. vom 28.9.1941. Auch zit. in: Verbrechen der Wehrmacht, S. 78. Vgl. mit den damaligen Impressionen des Oberst Thoma: „Gestern Abend bin ich noch etwas durch die Stadt [Kiew] gefahren. [...] Die Kaufläden sind alle leer. Ich habe nur in einem einzigen Laden ein paar Bücher stehen sehen. Z[um] T[eil] sollen die Läden schon vom M o b geplündert worden sein. Z u m anderen Teil werden die Russen wohl schon vorher die Bestände abgeschleppt haben. U n d schließlich sind vielleicht noch Vorräte in Kellern und Magazinen vorhanden, wie es ja auch in Warschau gewesen ist. Es wäre ja verwunderlich, wenn die Juden nicht auch ein Geschäft gewittert hätten." B a y H S t A , Abt. IV, N L T h o m a 3: Tagebuch, Brief vom 21.9.1941. Β Α - M A, M S g 2/5317, N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 24.9.1941 f.; Β A - M A , M S g 2/5318, N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag v o m 26.9.1941ff. Vgl. Kap.3.3. Auch zum Folgenden. IfZ-Archiv, M A 91/1: Chef SiPo und S D , Ereignismeldung U d S S R Nr. 30 vom 22.7.1941. Bei den Exekutionen des Sonderkommandos 4 a, die Anfang Juli 1941 in der Ukraine stattfanden, beteiligten sich freiwillig auch einige Wehrmachtsangehörige, wobei unklar bleibt, zu welcher Einheit diese gehörten. Vgl. Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 132. IfZ-Archiv, M A 1635: X X I X Α. Κ., A b t . I a/I c, Befehl vom 22.9.1941. Vgl. auch Krausnick/ Wilhelm, Truppe, S.237.

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5. Verbrechen

diese Division zu führen hatte 258 - und dass die Führung, den Soldaten jede Teilnahme an den Morden strikt verbot 2 5 9 , die sich - der räumliche Uberblick hat es gezeigt - mitunter direkt vor ihren Augen abspielten 260 . Hätten sie sich diesen Verbrechen verweigert? Angesichts ihrer Reaktionen 261 fällt es schwer, diese Frage zu verneinen 262 . 221. Sicherungsdivision Im Gegensatz zu den drei Frontdivisionen, von denen bislang die Rede war, erscheint die Rolle, welche die beiden Besatzungsverbände unseres Samples beim Völkermord an den Juden spielten, klarer. Bei der 221. Sicherungsdivision wie beim Korück 580 sind wir über beides informiert - über die Theorien, die man sich hier von „den" Juden machte, wie auch über die Praxis ihrer Verfolgung. Die 221. Sicherungsdivision eröffnete den Krieg gegen die Sowjetunion mit einem Paukenschlag. Bereits in der ersten großen Stadt, welche die Division besetzte, ermordete das ihr unterstellte Polizei-Bataillon 309 zwischen 2000 und 2200 Menschen, die meisten von ihnen Juden. Von dieser Gewaltorgie war bereits ausführlich die Rede 2 6 3 . Auffallend ist nicht nur die unfassbare Brutalität, mit der die Deutschen damals vorgingen, oder der sehr frühe Zeitpunkt dieses Massakers, sondern auch der interne Machtkampf, der hinter diesem Ereignis stand. Zwar handelte es sich bei einem solch unkontrollierten Gewaltausbruch um „den Alptraum aller militärischen Verwaltungsexperten" 264 , doch konnte und wollte die Divisionsführung ihn nicht stoppen 265 . Allein die Polizisten bestimmten an jenem 27. Juni, was in Bialystok passierte. Gleichwohl versuchte der Divisionskommandeur, Generalleutnant Pflugbeil, den Vorfall zu vertuschen; einige Polizisten wurden sogar mit Orden dekoriert. Dahinter stand - wie noch zu zeigen sein wird eine Art Lernprozess, der schon sehr früh seinen Abschluss gefunden hatte. Die Divisionsführung hatte den Judenmord akzeptiert, und zwar als genuine Aufgabe!

258 Vgl. auch mit der Einschätzung von Pohl (Schauplatz Ukraine, S. 151 und 169 ff.), dass es von den ukrainischen Juden wohl „einige Tausend" (bei einer Gesamtzahl von 1,4 Millionen jüdischen Opfern) waren, die von deutschen Soldaten umgebracht wurden. So der Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Süd am 2 9 . 7 . 1 9 4 1 . Vgl. Pohl, Judenverfolgung, S. 60. 260 Wenn die Einsatzgruppen in Reinerts Tagebuch allerdings nie erwähnt wurden, so spricht auch das dafür, dass in der Wahrnehmung dieses Offiziers allein militärische Aufgaben zählten. 261 Vgl. auch die hämischen Kommentare Reinerts über das Warschauer Ghetto: B A - M A , MSg 2 / 5 3 1 8 : N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag v o m 2 0 . 1 1 . 1 9 4 1 . 2 6 2 Erst spät begann man diese Meinung zu revidieren; so notierte der I c der 296. Inf. Div. im ersten Quartal des Jahres 1942: „Politische Kommissare sind keine Juden. Die Juden haben sich nach hinten verzogen." IfZ-Archiv, M A 1637: 296. Inf. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1 . 1 . - 3 1 . 3 . 1 9 4 2 , Anlage: Vernehmung v o m 1 8 . 1 . 1 9 4 2 . 263 Vgl. Kap. 3.2. D o r t auch Angabe der relevanten Quellen sowie der weiterführenden Literatur. 2 6 4 Hilberg, Vernichtung, S. 233. 2 6 5 Vgl. auch B A L , 2 0 5 A R - Z 2 0 / 6 0 : Vernehmung J. O . v o m 6 . 2 . 1 9 6 0 : „Ich möchte erwähnen, daß der Div. Kdr. der 221. Sich. Div., Gen. Pflugbeil, sich bei unserem Kommandeur, Major Weis, [dem Kdr. des Pol.-Btl. 309] über die Vorfälle in Bialystok beklagte." Das geschah am Abend des 2 7 . 6 . 1 9 4 1 , als Pflugbeil den völlig betrunkenen Major Weis zu sich befahl. Diese interne Auseinandersetzung wurde jedoch nach außen nicht sichtbar. Allerdings dürfte sie für das weitere Verhalten des Bataillons nicht ohne Folgen geblieben sein. 259

5.4 V ö l k e r m o r d

Das brennende Bialystok, 27. Juni (Quelle: HSA, R 4 Nr.34239-179A)

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1941

Zwei Angehörige der 221. Sicherungsdivision, die detailliert und zuverlässig über die grauenhaften Ereignisse in Bialystok berichtet haben 2 6 6 , meinten fast übereinstimmend, sie hätten „ähnliche Vorgänge wie in Bialystok [...] auf dem ganzen Vormarsch in Rußland nicht erlebt" 2 6 7 . Das ist zwar so richtig, bedeutete aber nicht, dass es in den kommenden Wochen und Monaten nicht mehr zur Ermordung Unschuldiger gekommen wäre - im Gegenteil: Wie die Akten belegen, wurde das gewissermaßen zum Tagesgeschäft dieser Sicherungsdivision. Nach Bialystok, das auch die Funktion eines ersten Tabubruchs hatte, hinterließ die Division zunächst schmalere, seit Herbst 1941 dann breitere Blutspuren auf ihrem Marsch nach Osten 2 6 8 . Meist waren es so genannte „Partisanen", die der 221. zum Opfer fielen, was immer sich hinter diesem Begriff verbarg, aber auch Vertreter anderer Gruppen, darunter auch Juden. 266 Q e r Zeuge R. kehrte aufgrund seiner Funktion als Intendant einige Wochen später nochmals nach Bialystok zurück. Hier erfuhr er von einem deutschen Brauereibesitzer von den großen Mordaktionen des Einsatzkommandos 8, das im Juli 1941 in der Umgebung von Bialystok ca. 3 000, nach anderen Quellen sogar 4 500 Juden ermordet hatte. B A L , 205 A R - Z 20/60, Vernehmung R. R. vom 27.4.1960. 267

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B A L , 205 A R - Z 20/60: Vernehmung R. R. vom 27.4.1960. R. gehörte damals als Oberstabsintendant (vergleichbar einem Major) zum Stab des Sich. Rgt. 2, das zu jenem Zeitpunkt von Oberst Ronicke geführt wurde. Kaum ein deutscher Zeuge hat die Ereignisse so präzise, farbig und überzeugend geschildert wie R. Vgl. auch B A L , 205 A R - Z 20/60: Vernehmung W. H . vom 12.5.1960: „Erwähnen möchte ich, daß ich während des ganzen weiteren Rußlandfeldzuges von derartigen oder gleichartigen Vorfällen wie in Bialystok nichts gehört habe." Vgl. Kap. 3.2 und 3.3.

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5. Verbrechen

Denn sie hielt man für besonders gefährlich 269 . Ende Juli 1941 schrieb der I c der 221., der Oberleutnant Helmut Mann, in einem großen „Ubergabebericht" 270 : „In dem abzutretenden Gebiet setzt sich die Bevölkerung aus Weißrussen, Polen und Juden zusammen. [...] Die Juden sind in ihrer Grundeinstellung bolschewistisch, sie werden es jetzt [!] naturgemäß erst recht bleiben. [...] Die Juden haben von der zwischen beiden Volksgruppen bestehenden Spannung bisher ihren Nutzen gezogen. Sie bekommen jetzt für alle Angebereien und Drangsalierungen der Bevölkerung nur die wohlverdiente Quittung. Sie sind und bleiben in diesem Land auch die Hauptträger der Zersetzung und des bestehenden Dreckes in jeder Hinsicht. Ihre Isolierung von der übrigen Bevölkerung erscheint notwendig. Sie leisten die notwendig gewordenen Arbeiten aus angeborener Angst heraus mit z[um] T[ei]l staunenswerter Schnelligkeit, ohne dass besonderes Antreiben notwendig ist. An ihrer Einstellung, dem Deutschen Reich zu schaden, wo es für sie ungefährlich ist und wo immer sie nur Schaden anrichten können, wird dadurch nichts geändert. [...] Die souveräne Beherrschung dieses alten Volkstumskampfes unter gleichzeitiger Ausmerzung des Judentums ist zugleich der Schlüssel zur totalen politischen und wirtschaftlichen Befriedung des Gebietes." „Hauptträger der Zersetzung und des bestehenden Dreckes in jeder Hinsicht"; „Ausmerzung des Judentums" - solche Worte hätten auch aus dem Reichssicherheitshauptamt stammen können. Doch handelt es sich bei diesem Autor um einen „kleinen" Oberleutnant, der freilich durch seine Funktion im Stab dieser Sicherungsdivision über vergleichsweise viel Einfluss und Macht verfügte 271 . Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Bialystok sowie der beginnenden Mordwellen von SS und Polizei war klar, was mit dem Begriff der „Ausmerzung" gemeint war. Ein Offizier aus dem Stab der 221. notierte denn auch an den Rand dieses Berichts: „ist Sache der Polizei, die schon das Richtige veranlassen wird". Etwas später, im September 1941, wurde man im Stab der 221. etwas deutlicher. Mit entwaffnender Offenheit behauptete die Abteilung VII, deren Aufgabe der Aufbau einer neuen Besatzungsverwaltung 272 sein sollte: „Die Juden des Berichtbereiches haben die Partisanen unterstützt und betreiben [sie] auch vielfach Flüsterpropaganda. Sie mußten daher vom S.D. großenteils liquidiert werden. Diese Maßnahme ist von der Bevölkerung begrüßt worden, da die Juden allgemein ver-

Generell zum Antisemitismus in der 221. Sicherungsdivision vgl. Shepherd, War, S. 64ff., 70, 93; Gerlach, Morde, S. 529, 543. 2 7 0 IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., A b t . I c , „Übergabebericht über Haltung, Stimmung und politische Strömungen innerhalb der Bevölkerung des am 1 . 8 . 4 1 an die Verwaltung Ostpreußens abzutretenden ehem. Russischen Gebietes" v o m 2 8 . 7 . 1 9 4 1 . Auch zum Folgenden. Vgl. hierzu auch Förster, Sicherung, S. 1045; Gerlach, Morde, S. 529. Der „Ubergabebericht" - ein in der Forschung immer wieder zitiertes Dokument - sollte die Abtretung des „Raumes um Bialystok" an die Provinz Ostpreußen vorbereiten. Vgl. hierzu Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse", Dok. 103; Röhr, Forschungsprobleme, S. 117ff.; Karten: ebda. S. 124; Umbreit, Kontinentalherrschaft, S. 140. 2 7 1 Vgl. auch seinen Lagebericht v o m 1 8 . 8 . 1 9 4 1 , in dem es u.a. heißt: „Besonders das stark hervortretende jüdische Element bedingt dabei in erheblichem Umfange die unsichere Haltung der Bevölkerung." IfZ-Archiv, M A 1667: 221. Sich. Div., A b t . I c, „Lagebericht" an 221. Sich. Div., Abt. VII, v o m 1 8 . 8 . 1 9 4 1 . 272 Yg] Kap. 1.2. Von der Abteilung VII der 221. Sich. Div. ist ferner bekannt, dass sie das „von Juden verwaltete Vermögen" zu sichern suchte. Zit. bei: Gerlach, Morde, S. 515, Anm. 64. 269

5.4 Völkermord

679

hasst s i n d . " 2 7 3 J e n e s alte A r g u m e n t a t i o n s m u s t e r , die G l e i c h s e t z u n g v o n J u d e n , B o l s c h e w i s t e n u n d P a r t i s a n e n 2 7 4 , w a r n i c h t n u r i m Stab d e r 2 2 1 . z u h ö r e n . E i n e r ihrer B a t a i l l o n s - K o m m a n d e u r e hielt es für g e r a t e n , „ d e n E i n f l u ß d e r J u d e n , d e r in m a n c h e n O r t e n n o c h h e u t e b e s t i m m e n d u n d k e i n e s w e g s g e b r o c h e n ist, z u beseitigen u n d diese E l e m e n t e m i t d e n radikalsten M i t t e l n a u s z u s c h a l t e n , d a g e r a d e sie e s " seien, w e l c h e die „ V e r b i n d u n g z u r R o t e n A r m e e " u n d d e n P a r t i s a n e n aufr e c h t e r h i e l t e n 2 7 5 . Sein V o r g e s e t z t e r , d e r K o m m a n d e u r des

Infanterie-Regiments

3 5 0 , k o n z e d i e r t e f r e i m ü t i g : „ D i e J u d e n f r a g e m u ß radikal g e l ö s t w e r d e n . I c h s c h l a ge E r f a s s u n g aller auf d e m L a n d e l e b e n d e n J u d e n in b e w a c h t e S a m m e l - u n d A r beitslager vor. V e r d ä c h t i g e E l e m e n t e m ü s s e n beseitigt w e r d e n . " 2 7 6 D a s w a r e n keine Planspiele a m g r ü n e n T i s c h . D i e 2 2 1 . s t a n d m i t t e n i m „ F e i n d e s l a n d " , u n d ihre F ü h r u n g w u s s t e sehr w o h l , w a s B e g r i f f e w i e „ a u s m e r z e n " , „ a u s s c h a l t e n "

oder

„ b e s e i t i g e n " in d e r P r a x i s d e r d e u t s c h e n B e s a t z u n g s p o l i t i k b e d e u t e t e n . H i e r h a n delte es sich n i c h t u m R e s s e n t i m e n t s , die m a n in p r i v a t e n A u f z e i c h n u n g e n a u s lebte, hier ging es v i e l m e h r u m die generelle F r a g e , w i e m i t allen J u d e n ( u n d i m Ü b r i g e n a u c h d e n R o m a 2 7 7 ) z u v e r f a h r e n sei. J e n e n b e r ü c h t i g t e n A n t i - P a r t i s a n e n - „ L e h r g a n g " in Mogilew, an d e m n e b e n A n g e h ö r i g e n v o n SS, S D u n d Polizei a u c h O f f i z i e r e d e r W e h r m a c h t teilnahmen, d a r u n ter a u c h einige aus der 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n 2 7 8 , m o c h t e m a n in deren R e i h e n als „Erfahrungsaustausch"

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begrüßen,

möglicherweise

a u c h als eine

praxisbezogene

IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt. VII, „Bericht über die Lage im Bereich der Sich.Div. 221" vom 19.9.1941. Dort heißt es weiter: „Juden waren besonders in den Städten sehr zahlreich vertreten, wo sie z[um] T[eil] 50 % und mehr der Gesamtbevölkerung ausmachten. Sie sind z[um] T[eil] geflohen, z[um] T[eil] in Lagern zusammengefaßt, z[um] T[eil] auch in Ghettos untergebracht. Bemerkenswert ist, daß z.B. in Gomel die reichen Juden bei Beginn des Krieges auf Grund ergangener Regierungsmaßnahmen in das Innere des Landes abtransportiert wurden und zwar die männlichen Juden durch die russischen Militärdienststellen auf großen Lastzügen erst kurz vor der Einnahme der Stadt durch die deutschen Truppen. [...] Infolge der Abwanderung und zum anderen der Zusammenfassung treten die Juden nach außen kaum noch in Erscheinung. Es gibt daher auch keine Verbindung mehr mit ihnen, ebenso ist ihre propagandistische Wirksamkeit dadurch zum mindesten sehr beeinträchtigt. [...] Lediglich gegen die Juden herrscht vielfach eine allgemeine Erbitterung, da ihnen die Hauptschuld an diesem Kriege zugeschoben wird. Die übrige Bevölkerung freut sich, daß die Juden, soweit sie noch vorhanden sind, zum Arbeiten gezwungen werden; sonst hat sie an dem weiteren Schicksal der Juden wenig Interesse." Schon am 8.7.1941 behauptete die Führung der 221. Sich. Div., die Juden würden die Bildung von Partisanengruppen unterstützen. IfZ-Archiv, M A 1660: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 8.7.1941. Vgl. auch B A - M A , R H 24-7/140: 221. Sich. Div., Abt.I c, Bericht betr. „Allgem. Lage im Raum von Bialystok" an VII. Α. Κ. vom 1.7.1941: „Die seit der russischen Besetzung im Jahre 1939 neu eingestellten Polizisten waren Juden und sind ebenfalls alle geflüchtet. Die früheren polnischen Polizisten und Beamten wurden zum größten Teil nach Sibirien verschleppt oder eingesperrt oder erschossen." IfZ-Archiv, MA 1666: IL/Inf. Rgt. 350, Meldung „an das Regiment" vom 18.8.1941. Ebda., Inf. Rgt. 350, Meldung an die 221. Sich. Div. vom 19.8.1941. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1666: Feldkommandantur 528 (V)," Kommandanturbefehl Nr. 25 vom 8.10.1941, demzufolge „Zigeuner" generell zu internieren seien. „Wird Plünderungsoder Diebesgut festgestellt, so sind die betr. Zigeuner (sämtl. Beteiligte) zu erschießen. Im Übrigen sind sämtliche Zigeuner wie die Juden in einem Zwangsarbeitslager zu internieren. Sie sind jedoch von den Juden getrennt zu halten." Vgl. hierzu Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, S.259ff.; Wippermann, Nur eine Fußnote?; Pohl, Herrschaft, S.272ff. Von der 221. Sich. Div. waren vertreten: ein Offz. der Div. fhrg. (I c), zwei Offze. Inf. Rgt. 350, ein Offz. Lds. Btl. 352, ferner fünf Offze. des benachbarten Sich. Rgt. 2. Vgl. Verbrechen der Wehrmacht, S.466ff.; IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I a, Befehl an die 221. Sich. Div. vom 17.9.1941.

680

5. Verbrechen

„Schule des T e r r o r s " 2 7 9 . I n d e r S a c h e selbst a b e r b e d u r f t e n die meisten dieser O f f i ziere k a u m n o c h d e r U b e r z e u g u n g s a r b e i t . D a s , w a s m a n bei dieser G e l e g e n h e i t p r o pagierte u n d präsentierte ( d a r u n t e r a u c h eine „ Ü b u n g " , die „ernstfallmäßig anges e t z t " w u r d e , w a s i m K l a r t e x t bedeutete, dass m a n „ 1 3 J u d e n u n d 1 9 J ü d i n n e n in Z u s a m m e n a r b e i t m i t d e m S D " in einer A r t „ S c h a u e x e k u t i o n " liquidierte 2 8 0 ), w a r für die V e r t r e t e r d e r 2 2 1 . k a u m e t w a s N e u e s - w e d e r in d e r T h e o r i e n o c h in d e r Praxis. D i e s v e r w e i s t auf die F r a g e , w i e w e i t sich die 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n selbst an d e r V e r f o l g u n g u n d E r m o r d u n g d e r s o w j e t i s c h e n J u d e n beteiligte. D a s P o l i z e i - B a taillon 3 0 9 f u n g i e r t e in d i e s e m F a l l zweifellos als S p e e r s p i t z e 2 8 1 , a b e r es agierte n i c h t allein. A u c h die ü b r i g e n , m i l i t ä r i s c h e n E i n h e i t e n dieser D i v i s i o n b e g a n n e n seit J u l i 1 9 4 1 , m a l allein auf sich gestellt, m a l „ i m gegenseitigen E i n v e r n e h m e n m i t P o l [ i z e i ] B [ a ] t [ a i ] l [ l o n ] 3 0 9 " 2 8 2 , K r i e g g e g e n die J u d e n z u f ü h r e n . Z w a r sollten sich B l u t b ä d e r w i e in B i a l y s t o k n i c h t m e h r w i e d e r h o l e n , d o c h w a r das n u r eine V e r ä n derung im Quantitativen, nicht aber i m Qualitativen. „Die restlose Beseitigung der J u d e n " g e h ö r t e n u n z u m A l l t a g d e r 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n 2 8 3 ; das b e s a ß viele F a c e t t e n : D i e D i v i s i o n s f ü h r u n g s o r g t e dafür, dass m a n die J u d e n „ a u f s p ü r t e " 2 8 4 , sie „ d u r c h einen g e l b e n F l e c k e n auf B r u s t u n d R ü c k e n " 2 8 5 stigmatisierte, in spezielle „ J u d e n l a g e r " 2 8 6 o d e r in A r b e i t s k o l o n n e n z w a n g 2 8 7 , die m a n z u r I n s t a n d s e t z u n g So Verbrechen der Wehrmacht, S. 462. Angaben nach: Verbrechen der Wehrmacht, S. 468. 2 8 1 Vgl. mit dem Urteil von Klemp, „Nicht ermittelt", S.261; Shepherd, War, S . 6 6 , 1 1 6 . 2 8 2 Die Tatsache, dass der Terror dieser Sicherungsdivision seit Herbst 1941 zunehmend auch Juden traf, ist auch eine Folge von Keitels Erlass vom 12.9.1941, der den Arbeitseinsatz von Juden bei Dienststellen der Wehrmacht grundsätzlich verbot - mit Ausnahme von „besonders zusammengefassten Arbeitskolonnen". Für viele Juden, die bislang im Umfeld der Wehrmacht noch überlebt hatten, war das ein Todesurteil. Druck: Müller (Hrsg.), Deutsche Besatzungspolitik, S. 72; Shepherd, War, S. 86ff.; Gerlach, Morde, S. 578. Eine falsche Zuordnung dagegen bei Müller, Wehrmacht und Okkupation, S. 117. 283 Vgl. a u c h d a s rückblickende Fazit, das der I c der 221. in dem Moment erstellte, als sie zur Front abmarschierte: „Alles, was in Kräften der Division stand, wurde getan, um den Div[isions]-Bereich zu befrieden. Die restlose Beseitigung der Juden war dabei Vorbedingung. Sie waren die Zuträger, Hetzer und Zersetzer." IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10.5.-14.12.1941. 2 8 4 So berichtete ein Leutnant der 221., er habe bei einem Spähtrupp in den Wäldern um Bialystok „versprengte Soldaten, teilweise in Zivil, teilweise Juden" angetroffen, „die mit Gewalt herausgeholt" werden mussten. B A - M A , R H 26-221/20: 9./Inf. Rgt. 350, Bericht vom 29.6.1941. Vgl. ferner Shepherd, War, S. 58f. 2 8 5 IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt. VII, „Bericht über die Lage im Bereich der Sich.Div. 221" vom 19.9.1941. 2 8 6 Die Divisionsführung hatte am 8.7.1941 „die Evakuierung aller im Bereich des Forstes von Bialowicza liegenden Ortschaften von männlichen jüdischen Einwohnern angeordnet". Diese 600-700 Juden wurden in den folgenden Tagen in ein „Judenlager in Hajnowka" überführt. Ende August oder Anfang September wurde diese Gruppe „unter Schlägen und Quälereien" von deutscher Polizei nach Prushany gebracht, wobei die Hälfte bereits auf dem Weg starb. IfZ-Archiv, M A 1661: 221. Sich. Div., Abt. I a, Tagesmeldungen an Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 8.7.1941ff.; IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt.I a, Befehl vom 8.7.1941. Ferner Gerlach, Morde, S.522; Curilla, Ordnungspolizei, S. 550f. Dagegen verzichtete man vorerst auf die „Bildung von Judenräten" sowie „die Schaffung von besonderen Wohnvierteln für Juden". IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., Abt. VII, „Bericht über die Lage im Bereich der Sich.-Div. 221" vom 19.9.1941. Ferner Shepherd, War, S. 76. 2 8 7 Vgl. IfZ-Archiv, M A 1667: Pol.-Btl. 309, „Gefechtsbericht" an die 221. Sich. Div. vom 1.7.1941: „Ein Kommando sorgte mit Hilfe von Panjefahrzeugen und Juden für die Säuberung und Räumung der Straßen [in Bialystok] von rund 230 Leichen, die in Massengräbern außerhalb des Stadtgebietes vergraben wurden." Ferner IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., Abt. VII, „Bericht über die Lage im Bereich der Sich.-Div. 221" vom 19.9.1941. 279 280

5.4 Völkermord

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der großen Rollbahnen 2 8 8 oder - welch sinnige Idee! - zum Umstürzen „sämtlicher Lenin- und Stalin-Denkmäler" 2 8 9 einsetzte, wobei eines der Opfer den Eindruck hatte, „daß die Deutschen nicht nur an der Arbeit interessiert waren, sondern auch daran, uns zu quälen" 2 9 0 . Damit aber nicht genug: Juden wurden als Geiseln genommen 2 9 1 , malträtiert 292 und vor die Erschießungspeietons gestellt. Mit schrecklicher Eintönigkeit meldete die 221. Sicherungsdivision 29 · 5 : - 1. September 1941: 25 Juden erschossen - 13. September: acht Juden erschossen - 8. Oktober: 22 Juden (in Esmon) erschossen („denen Verbindung mit Partisanen nachgewiesen wurde") 2 9 4 - 8. Oktober: 19 Juden (in Golowtschin) erschossen (als „Vergeltungsmaßnahmen" für einen Uberfall auf eine „Ortsstreife") - 15. Oktober: ein Jude öffentlich gehenkt - 1 7 . Oktober: drei Juden wegen „Sabotage" erschossen - 21. Oktober: „vier jüdische Jungkommunisten erschossen" 2 9 5 - 22. Oktober: ein Jude („Partisane") erschossen - 29. Oktober: ein „jüdischer Bankdirektor" als „Anhänger der Partisanen" öffentlich gehenkt - 8. November: drei Juden erschossen (eine Jüdin wegen „Partisanenunterstützung", zwei Juden wegen „Aufhetzung" der Bevölkerung) Eine Liste wie diese verdeutlicht das Alltägliche, das Routinierte dieser „Tötungsarbeit". Zwar macht sie auch klar, dass die Mordstatistiken der Einsatzgruppen und auch der berüchtigten 707. Infanteriedivision andere Dimensionen erreichten 296 , doch scheint der Judenmord der Division, oder genauer: ihrer Führung, keine Probleme bereitet zu haben. Die einfachen Soldaten konnten sich dagegen bei den Exe288

289 290 291

292

293

294 295 296

IfZ-Archiv, MA 1665: 221. Sich. Div., Abt. I a, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 8.7. und 15.7. 1941; IfZ-Archiv, MA 1661: 221. Sich. Div., Abt.I a, Befehl an das Pol.-Btl. 309 vom 4.7.1941. IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 30.6.1941. Yones, Straße, S.26f. Zum Alltag in den „Judenlagern" vgl. Friedman, Brot und Bücher, S.67ff. IfZ-Archiv, MA 1661: 221. Sich. Div., Abt.I a, Befehl an Feld-Kdtr. 549 vom 18.7.1941: „Es sind Geiseln (besonders Juden) festzunehmen, deren Erschießung bei geringster Unruhestiftune anzuordnen ist." Offenbar beteiligte sich auch das Wach-Bataillon 701, damals Teil der 221. Sich. Div., am 25.10.1941 an der Niederschlagung der jüdischen Aufstände in Starodub und Tatarsk. Vgl. hierzu Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 161; Gilbert, Endlösung, S.76f. Soweit nicht gesondert erwähnt, stammen die Angaben aus folgender Quelle: IfZ-Archiv, MA 1665: 221. Sich. Div., Abt.I a, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mine. Hierbei handelt es sich um eine Sammlung von Tagesmeldungen, welche die 221. Sicherungsdivision täglich an den Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Mitte sandte; das jeweilige Datum wird im Haupttext genannt. Die Morde des Pol.-Btl. 309 sind in dieser Statistik nicht erfasst. Unerfindlich bleibt die Behauptung Gerlachs (Morde, S. 604), „der Anteil der jüdischen Opfer", welche die 221. Sich. Div. ermordet habe, sei „wegen der Verschleierung in den Militärakten nicht abzuschätzen". Wie die Statistiken der 221. belegen, hat diese Division darüber sehr genau Buch geführt. IfZ-Archiv, MA 1668: 221. Sich. Div., A b t . I a , Meldung vom 8.10.1941. Auch zum Folgenden. IfZ-Archiv, MA 1666: Inf. Rgt. 350, Meldung an 221. Sich. Div. vom 21.10.1941. Die 707. Inf. Div. ermordete allein im Herbst 1941 über 10000 Juden. Vgl. Lieb, Täter, S.536; Gerlach, Morde, S.619f.

682

5. Verbrechen

k u t i o n e n als „ z u w e i c h " erweisen, s o dass d a n n ihre O f f i z i e r e selbst eingreifen m u s s t e n 2 9 7 . A u c h g a b es L e u t e w i e jenen O b e r s t R o n i c k e , K o m m a n d e u r des b e n a c h b a r t e n S i c h e r u n g s - R e g i m e n t s 2 2 9 8 , v o n d e m b e k a n n t ist, dass er sich in B i a l y s t o k m i t d e m P o l i z e i - B a t a i l l o n 3 0 9 u n d i m A u g u s t 1 9 4 1 m i t d e r SS w e g e n einer J u d e n e r s c h i e ß u n g anlegte. D a m a l s lehnte e r jede M i t w i r k u n g seines R e g i m e n t s k a t e g o r i s c h a b 2 9 9 . W e n n freilich a u s g e r e c h n e t dieser O f f i z i e r an j e n e m b e r ü c h t i g t e n L e h r g a n g in M o g i l e w t e i l n e h m e n m u s s t e , u n d z w a r a k t i v 3 0 0 , d a n n lässt dies a u c h e r k e n n e n , dass selbst jene, die i m G r u n d e ihres H e r z e n s gegen diesen M o r d w a r e n , sich d e m b r u t a l e n S y s t e m v o n Befehl u n d G e h o r s a m u n t e r w a r f e n 3 0 1 . T r o t z d e m s c h e i n t diese S i c h e r u n g s d i v i s i o n d e n M o r d an d e n J u d e n g e r n e an die P o l i z e i - E i n h e i t e n delegiert z u h a b e n , die ihr u n t e r s t e l l t w a r e n . S o e r s c h o s s das P o l i z e i - B a t a i l l o n 3 0 9 a u c h i m H e r b s t 1 9 4 1 i m m e r w i e d e r J u d e n 3 0 2 , e b e n s o das

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IfZ-Archiv, M A 1666: Inf. Rgt. 350, Voraus-Abt., Meldung an 221. Sich. Div. vom 14.10.1941. Noch im Mai 1942 bemängelte der General von Schenckendorff, es läge „Veranlassung vor", darauf hinzuweisen, dass „die Beschäftigung von einzelnen Juden in Wehrmachtbetrieben verboten" sei. IfZ-Archiv, MA 1671: Kd. Gen. d. Sich. trp. u. Bfh. i. Heeresgeb. Mitte, Abt. Qu., „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 45" vom 30.5.1942. Das Sicherungs-Regiment 2 unterstand damals unmittelbar dem Befehlshaber Rückwärtiges Heeresgebiet Mitte, wurde aber eine Zeitlang als „Schwester-Regiment" neben der 221. Sicnerungsdivision eingesetzt. Vgl. hierzu B A L , 205 A R - Z 20/60: Vernehmung R. R. vom 27.4.1960: „Ronicke schickte den SS-Offz. hinaus und rief telefonisch in meiner Gegenwart eine vorgesetzte Dienststelle an, welche, weiß ich nicht. R[onicke] erklärte nun am Telefon dem Angerufenen, daß ein SS-Offz. da sei, der einen Uffz. und 12 Mann des Regiments für Judenerschießungen abgestellt haben will, und zwar sollten Juden aus Prushany erschossen werden. Der Angerufene sagte zu Ronicke, ich konnte das selbst hören, daß dieses nicht in Frage komme, da das Heer mit solchen Sachen sich nicht befasse. Dieses erklärte Ronicke auch dem SS-Offz. Dieser hatte kurz das Zimmer verlassen, als ihn Ronicke noch mal zurückrufen ließ und nach dessen Ausweis fragte. Der SS-Offz. erklärte in schroffer Form, sein Ausweis ging Oberst R. nichts an, und er sei nicht verpflichtet, seinen Ausweis vorzuzeigen. Als ich nach 3 Tagen von Warschau wieder zurückkam, das Regiment befand sich zu dem Zeitpunkt bei Bobruisk, erzählte mir Oberst Ronicke, daß dieser SS-Offz. mit seinen 2 oder 3 Männern m. E. noch 12 oder 13 Juden, und zwar Männer, Frauen und Kinder, in einem Straßengraben außerhalb von Prushany erschossen habe und liegen ließ." Die 221. Sich. Div. erreichte am 25.8.1941 Bobruisk. Vgl. hierzu auch B A L , 205 A R - Z 20/60: Vernehmung Martin Ronicke vom 11.3., 14.3. und 25.4.1960. Ronicke war nicht nur Teilnehmer des Lehrgangs, sein Sicherungs-Regiment 2 umstellte und „säuberte" während der „Lehrübung" am 26.9.1941 auch das Dorf Kussikowitschi. Die Erschießung der 32 Juden erfolgte dann „in Zusammenarbeit mit dem S D " . Vgl. Verbrechen der Wehrmacht, S.467f. Bemerkenswert erscheint das Verhalten Ronickes, als er im März 1960 zum ersten Mal vernommen wurde. Obwohl während des Massakers in Bialystok niemand so klar gegen das Polizei-Bataillon einzuschreiten versucht hatte wie er, nahm er darauf keinen Bezug, sondern behauptete, dass er „von Erschießungen von Juden aus rassischen Gründen" nichts wisse. Auch sonst insistierte Ronicke, der später mit dem Generalfeldmarschall Schörner in einen Streit geraten war und daraufhin in die „Führerreserve" versetzt wurde, darauf, seine Einheit sei allein im militärischen Einsatz gewesen. B A L , 205 A R - Z 20/60: Vernehmung Martin Ronicke vom 11.3.1960. Außer den Ereignissen in Bialystok ermittelten die deutschen Behörden wegen folgender Straftaten, die dem Polizei-Bataillon 309 vorgeworfen wurden. Im Zeitraum vom 17.9.3.10.1941 ermordeten Angehörige des Bataillons „mindestens" 25 Juden, darunter auch Kinder, in Dobrjanka. Am 5.10.1941 erschossen Angehörige dieses Bataillons 13 männliche Juden in Kletnja als Vergeltung für einen Partisanenüberfall, im November einen Juden, den man vorher gequält hatte. Angaben nach: HStA Düsseldorf, Zweigarchiv Schloß Kalkum: StA Dortmund (Z) (Wuppertal), 45 Js 21/61: Verfahren gegen Angehörige des Polizei-Bataillons 309; B A L , 205 A R - Z 20/60: Verfahren gegen Angehörige des Polizei-Bataillons 309, Anklageschrift vom 8.5.1967.

5.4 V ö l k e r m o r d

683

P o l i z e i - B a t a i l l o n 9 1 3 0 3 , das d e r 2 2 1 . d a n n 1 9 4 2 u n t e r s t a n d . O f f e n b a r w a r dies A u s d r u c k e i n e r A r t A r b e i t s t e i l u n g : W ä h r e n d die 2 2 1 . fast ausschließlich gegen Partisanen, v e r m e i n t l i c h e o d e r tatsächliche, im E i n s a t z w a r , w a r die E r m o r d u n g d e r J u d e n m i t t l e r w e i l e z u e i n e r A u f g a b e d e r P o l i z e i g e w o r d e n - nicht n u r d e r z i v i l e n , s o n d e r n auch d e r G e h e i m e n F e l d p o l i z e i ( 7 0 7 3 0 4 , 7 2 9 ) , die o f t als „ G e n i c k s c h u ß - S p e z i a l i s t e n " 3 0 5 o d e r als E x e k u t i o n s k o m m a n d o s 3 0 6 d i e n t e n u n d auch n i c h t d a v o r z u r ü c k s c h r e c k t e n , dabei m i t u n t e r „ S p r e n g m u n i t i o n " z u v e r w e n d e n 3 0 7 . D i e s e i n t e r n e A r b e i t s t e i l u n g , die i h r e n G r u n d a u c h d a r i n hatte, dass die W e h r m a c h t „die E x e k u t i o n u n b e w a f f n e t e r P e r s o n e n [ . . . ] als p o l i z e i l i c h e M a ß n a h m e " v e r s t a n d 3 0 8 , w u r d e auch n a c h a u ß e n f o r t g e s e t z t . A l s F o r m a t i o n k o o p e r i e r t e die 2 2 1 . m i t v i e l e n S S u n d P o l i z e i - E i n h e i t e n - m i t d e m E i n s a t z k o m m a n d o 8, das „im V e r b a n d " 3 0 9 dieser Sicherungsdivision 303

304

305 306

307 308 309

„umfangreiche

sicherheitspolizeiliche

Maßnahmen"

durch-

Vgl. IfZ-Archiv, M A 1672: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 12.7.1942: „In Chotimsk führte Res. Pol. Batl. 91 eine Razzia gegen die Juden durch, da begründeter Verdacht der Partisanenunterstützung und des Waffenbesitzes vorliegt. Die Juden wurden in ein Ghetto überführt, bei Ausbruchversuchen wurden 24 Juden erschossen." Ferner wurden dem Res. Pol. Btl. 91 für das Jahr 1942 u.a. folgende Verbrechen vorgeworfen, wobei die jüdische Identität der Opfer nicht immer geklärt werden kann: - Erschießung von Häftlingen im Gefängnis von W o l k o w y s k im Jan./Febr. 1942 sowie im März/April 1942 - Tötung von mindestens 20 Juden durch Sprengung der Synagoge im Frühjahr 1942 - Beteiligung an der Tötung von mindestens 15 alten und gebrechlichen Juden („unnütze Brotesser") des Ghettos von Krynki durch Erschießen im Frühsommer 1942 - Erschießung von drei ukrainischen Hilfswilligen aus der dem Bataillon angegliederten ukrainischen Hilfspolizei-Einheit bei Jerschitschi im Herbst 1942 - Erschießung von drei Männern in einem Dorf bei Jerschitschi; Erschießung eines Bauern und anderer Zivilisten bei Jerschitschi im Winter 1942/43 - Erschießung eines 17jährigen Juden in Nowidwor, bei dem eine Pistole gefunden worden war - Erschießung von 4-6 Zivilisten bei einer Razzia in einem Dorf bei Wolkowysk; Angaben nach: HStA Düsseldorf, Zweigarchiv Schloß Kalkum: StA Dortmund (Z) 45 Js 7/62 (= Düsseldorf 8 Ks 2/71): Verfahren gegen Angehörige des Polizei-Bataillons 91. Zur Tätigkeit der GFP 707, die der 221. Sich. Div. unterstellt war, vgl. BAL, 202 A R - Z 9/63: Vernehmung H. R. (Leutnant) vom 25.3.1965; Vernehmung Ε. K. (Dolmetscher) vom 1.4.1965 und 10.5.1965; Vernehmung J. L. vom 27.4.1965; Vernehmung F. K. (Kraftfahrer) vom 15.7.1965; Vernehmung W. K. vom 12.7.1965. Diese Angaben sind freilich ungenau und höchst widersprüchlich. Während R., gegen den sich das Verfahren richtete, alles abstritt und meinte, dass er „sehr enttäuscht" gewesen sei, als der SD 1942 die jüdischen Handwerker abgeholt habe, die für den GFP-Trupp gearbeitet hätten, ansonsten aber „nur" über die Erschießung einiger russischer Zivilisten berichtete, erwähnten andere Angehörige eine Erschießung von Juden bei Starye Dorogi sowie ferner einen Abtransport von Juden. Dass gerade die GFP-Trupps eine Schlüsselfunktion bei der Terrorisierung des besetzten Gebietes übernahmen, belegt etwa IfZ-Archiv, M A 1665: 221. Sich. Div., Abt.I a, Meldung an den Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 8.11.1941 : „Durch die eingesetzten GFP-Gruppen im Raum Gomel, N o w o s y b k o w und Korma wurden bei den durchgeführten Säuberungsaktionen 24 Partisanen, darunter eine Jüdin, wegen Partisanenunterstützung, sowie 2 Juden wegen Aufhetzung der Bevölkerung und ein Bürgermeister im Raum N o w o s y b k o w wegen nachgewiesener Partisanenunterstützung und deutschfeindlicher Einstellung erschossen." Vgl. BAL, 202 A R - Z 9/63: Vernehmung W. K. vom 12.7.1965. „Exekutionen fanden vielmehr in unregelmäßigen Zeitabständen statt, und zwar immer dann, wenn die Bestätigungen für die Exekutionen von der Sicherungsdivision bei uns einging." B A L , 202 A R - Z 9/63: Vernehmung H. R. vom 25.3.1965. BAL, 205 A R - Z 20/60: Vernehmung W. K. vom 27.5.1966: „Die Folge war, daß den Delinquenten die Schädeldecke abgerissen wurde." Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte, S. 150. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, M A 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 90 vom 21.9.1941: „Vom 10. bis 13.9.41 waren 2 weitere Trupps im Verband der Sicherungsdivision 221, das Sich. Rgt. 2 und das Pol. Rgt. Mitte zur Säuberung des Raumes zwischen Mogilew und

684

5. Verbrechen

führte 3 1 0 , mit dem Polizei-Regiment M i t t e 3 1 1 , mit der SS-Kavallerie-Brigade 3 1 2 , die v o r allem die Räume abseits der Marschstraßen der 221. durchkämmte, und nicht zuletzt mit der nicht minder berüchtigten 707. Infanteriedivision, an die die 2 2 1 . immer wieder ihr Besatzungsgebiet „weiterreichte" 3 1 3 . A l l das zeigt: Schuldig w u r d e diese Sicherungsdivision nicht allein durch ihre eigenen Taten. Vielmehr w a r gerade eine Formation wie diese in ein sehr viel umfassenderes N e t z w e r k eines erschreckend effizienten Terror- und Mordapparats eingebunden, der damals die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht f ü r „äußerst befriedigend" hielt 3 1 4 . Das w a r bei der 221. nicht anders: Sie hatte sich v o r allem auf die „Vorarbeiten" zum Judenmord zu konzentrieren und f ü r die militärische „Befriedung" jener Gebiete zu sorgen, die dann dem SS- und Polizei-Apparat als Tatort dienten. Die Schuld dafür trug in erster Linie die Führung dieser Sicherungsdivision, während es bei ihren übrigen Angehörigen nicht klar ist, ob sie aus Befehl oder aus Überzeugung handelten. N i m m t man alles zusammen, so hat es in unserem Sample keinen Verband gegeben, der eine so exponierte Rolle beim Holocaust spielte wie die 221. Sicherungsdivision. Das gilt v o r allem f ü r das Jahr 1 9 4 1 . Nach ihrem Fronteinsatz während des Winters 1941/42 w u r d e diese Sicherungsdivision primär im Partisanenkrieg eingesetzt, und z w a r in Gebieten, in denen so gut wie keine jüdischen Gemeinden mehr existierten. Die Tatsache, dass das Thema „Judenmord" in den A k t e n dieser Sicherungsdivision kaum noch auftaucht, ist kein Beleg f ü r einen Mentalitätswandel; vielmehr fehlte zum Judenmord nun die Gelegenheit, zumindest f ü r diesen Verband 3 1 5 .

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Bobruisk eingesetzt." Ferner IfZ-Archiv, MA 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 123 vom 24.10.1941 sowie Curilla, Ordnungspolizei, S.426ff.; Gerlach, Morde, S. 540. Die 221. Sicherungsdivision kooperierte schon bald eng mit dem Einsatzkommando 8. In ihrem Tätigkeitsbericht vom 14.7.1941 meldete die E.Gr. B: „Ab 5.7.41 löste sich das EK 8 zunächst von der Sich. Div. 221., rückte über Slonim, Baranowitschi und Stolbzy vor und erreichte am 8.7.41 mit seiner Spitze Minsk. Zwecks Durchführung umfangreicher sicherheitspolizeilicher Maßnahmen im Bereich der Sicherungsdivisionen 221 und 252 [sie!] operiert das EK 8 seit 8.7.41 in Baranowitschi und Umgebung, Slonim und Umgebung sowie Stolpce [sie] und Umgebung." Einsatzgruppe B, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 23.6.1941 bis 13.7.1941, in: Klein (Hrsg.), Einsatzgruppen, S.377f. Zum Einsatzkommando 8 vgl. Mallmann (u.a. Hrsg.), Deutscher Osten, S. 129ff. Bereits am 24.6.1941 hatte Schenckendorff die 221. Sich. Div. darüber informiert, dass nun der Höhere SS- und Polizeiführer den Kräften der Wehrmacht dicht folgen würde, u. a. mit dem Polizei-Regiment Mitte. IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.Ia, „Korpsbefehl Nr. 18" vom 24.6.1941. Ferner Curilla, Ordnungspolizei, S.557. IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Befehl an die 221. Sich. Div. vom 27.7.1941; IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 18.8.1941. Ferner IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Inf. Div., Abt.I b, Kriegstagebuch, Eintrag vom 13.9.1941: „SSBrigfade], die zur Zeit der Div. zugeteilt ist, braucht große Mengen von Betriebsstoff." IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Inf. Div., Abt.Ib, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.8.1941; IfZArchiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Abt.I a, Eintrag vom 16.8.1941. Vgl. auch Lieb, Täter, S.532f. IfZ-Archiv, MA 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 90 vom 21.9.1941. Vgl. auch Kreidel (Partisanenkampf, S.381), der als ehemaliger I a der 221. Sich. Div. noch nach 1945 betonte, wie „wichtig" die Zusammenarbeit mit der GFP und dem SD sowie den Abwehrtrupps des OKH bei der Partisanenbekämpfung gewesen sei. Ob sich das allein darauf bezog, scheint sehr fraglich. Der einzige Beleg findet sich in IfZ-Archiv, MA 1673: 221. Sich. Div., Abt.I a, Tagesmeldung an Kd. Gen. d. Sich. trp. u. Bfh. i. Heeresgeb. Mitte vom 6.9.1942: „1 Jude erschossen".

5.4 Völkermord Koriick

580

685

V o m a n d e r e n B e s a t z u n g s v e r b a n d u n s e r e s Samples, d e m Korück

580,

sind die einschlägigen Z e u g n i s s e n i c h t g a n z s o z a h l r e i c h , d o c h s p r e c h e n a u c h sie f ü r eine v e r h ä l t n i s m ä ß i g e n g e E i n b i n d u n g in diesen G e n o z i d , z u m i n d e s t i m e r s t e n halben J a h r des d e u t s c h - s o w j e t i s c h e n K r i e g e s . A m f o l g e n r e i c h s t e n w a r w o h l , dass das S o n d e r k o m m a n d o 7 b, das n o c h i m J u n i 1 9 4 1 v o m A O K 2 selbst „ a n g e s e t z t " 3 1 6 w o r d e n w a r , z e i t w e i s e i m H i n t e r l a n d dieser A r m e e o p e r i e r t e , e b e n i m G e b i e t des K o r ü c k 5 8 0 3 1 7 . G l e i c h e s gilt f ü r das P o l i z e i - R e g i m e n t M i t t e s o w i e das P o l i z e i - B a taillon 3 0 9 3 1 8 . M i t i h n e n s c h e i n t d e r K o r ü c k g u t k o o p e r i e r t z u h a b e n , d e r s o g a r B e k a n n t m a c h u n g e n des S o n d e r k o m m a n d o s v e r ö f f e n t l i c h t e (dieses h a b e „ 3 0 m ä n n liche J u d e n d e r Stadt B i e l s k e r s c h o s s e n " , d a sie v e r s u c h t h ä t t e n , „die w e i ß r u s s i s c h e und polnische Bevölkerung durch W u c h e r und D r o h u n g zu

terrorisieren").319

A u c h s o n s t k o n n t e n sich H i m m l e r s L e u t e auf d e n K o r ü c k verlassen; er k e n n z e i c h nete die jüdische B e v ö l k e r u n g 3 2 0 ,

g h e t t o i s i e r t e s i e 3 2 1 u n d / o d e r u n t e r s t e l l t e sie

e i n e m „ J u d e n r a t " . „ J u d e n u n d d e r e n B e t ä t i g u n g " solle m a n , s o d e r K o r ü c k a m 3 1 . A u g u s t , „ b e s o n d e r s e i n g e h e n d feststellen". D a diese „ v o r allem d e n b o l s c h e w i s t i s c h e n F u n k t i o n ä r e n w e i t g e h e n d s t Spitzeldienste leisten u n d V e r b i n d u n g m i t i h n e n h a l t e n " w ü r d e n , seien sie - a u c h hier b e d i e n t e m a n sich d e r b e k a n n t e n F o r m e l - ein S i c h e r h e i t s r i s i k o 3 2 2 . W e n n es d e m S o n d e r k o m m a n d o 7 b gelang, bis E n d e

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B A - M A , R H 20-2/1445: A O K 2, A b t . O . Q u . / Q u . 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 29.6.-5.7.1941. Vgl. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu., Befehl vom 8.8.1941; B A - M A , R H 202/1445: A O K 2, Abt. O . Q u . / Q u . 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 29.6.-5.7.1941; IfZArchiv, M A 91/1: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr.9 vom 1.7.1941. Ferner Krausnick/Wilhelm, Truppe, S. 180ff.; Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 116ff. Im September 1941 war im Gebiet des Korück 580 auch das Polizei-Bataillon 309 im Einsatz. Vgl. hierzu Curilla, Ordnungspolizei, S. 519. Das Polizei-Regiment Mitte war dem Korück 580 nur kurz unterstellt, vom 23.8.-1.9.1941. Wenn dieses freilich in dieser Zeit die Tötung von 1200 Menschen meldete, „russische Soldaten, Partisanen, Kommissare", so lässt sich ermessen, was dies bedeutete. IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Anordnung vom 26.8.1941; ebda., Anordnung vom 2.9.1941. Auch zum Folgenden. B A - M A , R H 22/224, Κ 4: Korück 580, Plakatanschlag des Ortskommandanten von Bielsk vom 3.7.1941. B A - M A , R H 22/224, Κ 5: Korück 580, Plakatanschlag des Ortskommandanten von Bielsk vom 5.7.1941; dort wurde die „Bildung eines kommissarischen Judenrates" verkündet, dessen Anordnungen die jüdische Bevölkerung „unbedingt Folge zu leisten" habe. „Der Alteste des Judenrates stellt sofort vorläufig 10 Arbeitskommandos mit je 1 Vorarbeiter und 14 Mann zusammen, die auf Anforderung deutscher Dienststellen zur Verfügung zu stellen sind." Außerdem sei die jüdische Bevölkerung („sämtliche männlichen und weiblichen Juden über 10 Jahren, das heißt Personen über 10 Jahren, die von 3 oder mehr jüdischen Großelternteilen abstammen") entsprechend zu kennzeichnen. Aufschlussreich ist, dass der Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Mitte erst am 7.7. die Kennzeichnung der jüdischen Bevölkerung und am 13.7.1941 die Bildung von Judenräten anordnete. Vgl. Brakel, Baranowicze, S. 108. Besonders bekannt wurde der Fall des Minsker Ghettos, für dessen Errichtung die Feldkommandantur 812, die damals noch dem Korück 580 unterstand, am 19.7.1941 den Befehl erteilte. Vgl. Gerlach, Morde, S. 524. Ähnliches ereignete sich dann Anfang September 1941 in Rogatschew bei der Ortskommandantur O K 1/827. Vgl. Pohl, Herrschaft, S.263. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu. op., „Richtlinien für Säuberung, Befriedung und Beuteerfassung" vom 31.8.1941. Vgl. auch IfZ-Archiv, MA 1666: Koriick 580, Bericht an A O K 2 / O . Q u . vom 2.9.1941; Bericht des Korück 580 an A O K 2 vom 2. September 1941, in dem es u.a. heißt, dass „die wenigen deutschsprechenden Elemente [...] vielfach durchaus unsicher (Juden)" seien.

686

5. Verbrechen

September 1 5 4 4 Menschen zu töten 3 2 3 , dann w a r das auch auf die reibungslose Kooperation mit dieser Dienststelle der Wehrmacht zurückzuführen, wobei auch diese sorgsam darauf achtete, sich selbst bei der „Drecksarbeit" des Erschießens nicht die Hände schmutzig zu machen 3 2 4 . Diese enge Zusammenarbeit w a r nicht nur Ausdruck einer entsprechenden ideologischen Disposition, sondern auch der chronischen militärischen Schwäche dieses K o r ü c k 3 2 5 , der schon bald spürte, wie ihm die Kontrolle über sein Besatzungsgebiet immer mehr entglitt. „Auf Bitten des A b w e h r o f f i z i e r s A O K 2" musste daher „das Sonderkommando 7 b in die Partisanenbekämpfung" eingreifen 3 2 6 , was zur Folge hatte, dass sich die Grenzen zwischen militärisch begründeten G e genmaßnahmen und einer rein rassenideologisch motivierten „Flurbereinigung" immer mehr auflöste. Wichtiger aber schienen dem A O K 2 der Gedanke unbedingter militärischer Sicherheit wie auch der Wunsch, die Truppe mit derartigen „Maßnahmen" nicht zu belasten, da „sie [dazu] selbst nicht in der Lage ist" 3 2 7 . Das w a r in diesem Fall selbst dem O K H zu viel 3 2 8 . D o c h w u r d e schon bald das „Gebiet westl[ich] des Dnjepr" „auf A n f o r d e r u n g des A . O . K . [2] [...] durch die SS Kav[allerie-]Brig[ade] befriedet", wobei der K o r ü c k 580 weiterhin über seinen „Kräftemangel [...] und die Unmöglichkeit einer allgemeinen Befriedung" klagte 3 2 9 . Anfang Dezember sollte dann auch noch die 1. SS-Infanterie-Brigade im Bereich dieses K o r ü c k „wirksam" werden; nur die militärische Krise an der Front verhinderte, dass man auch diesem Mord-Verband im Hinterland der 2. A r m e e freie Hand ließ 3 3 0 .

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Vgl. IfZ-Archiv, MA 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 108 vom 9.10.1941. Bis zum 20.8. hatte dieses Sonderkommando 886 Menschen, bis zum 13.9. 1153 Menschen ermordet. IfZ-Archiv, MA 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 73 vom 4.9.1941, Nr. 92 vom 23.9.1941. Möglicherweise beteiligte sich der Korück auch an der Ermordung von 1 500 psychiatrischen Patienten in Kursk, das die 2. Armee Anfang November 1941 besetzt hatte. Die Stadtkommandantur zwang das medizinische Personal, 400 Patienten verhungern zu lassen und 600 mit Giftinjektionen zu töten. Die Übrigen wurden durch das Sk 4a seit Sommer 1942 ermordet. Vgl. Pohl, Herrschaft, S.275. Mit der Verstärkung von SS und Polizei im eigenen Besatzungsgebiet wollte das AOK 2 auch die eigene Truppe möglichst aus den Exekutionen heraushalten. Solange Himmlers Leute aber noch nicht eingetroffen seien, so das AOK 2 weiter, habe die Truppe durch „energisches Einschreiten gegen alle verdächtigen Personen Abhilfe" zu schaffen. Vgl. hierzu Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 118, Anm. 34. Eine andere Linie verfolgte das AOK 2 allerdings bei den jüdischen Kriegsgefangenen. Vgl. BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, „Besondere Anordnungen für das Kriegsgefangenenwesen" vom 5.8.1941. So beklagte der Kommandant dieses Rückwärtigen Armeegebiets im August 1941, „daß die ihm unterstellten Kräfte völlig unzureichend" seien. BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, O.Qu./ Qu. 2, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 17.8.-23.8.1941. Vgl. Kap. 3.3. IfZ-Archiv, MA 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 67 vom 29.8.1941. BA-MA, RH 20-2/1091: AOK 2, Abt.I c/A.O., Meldung an die H.Gr. Mitte betr. „Bekämpfung des Bandenwesens" vom 10.8.1941. Vgl. auch Ogorreck, Einsatzgruppen, S. 118; Hürter, Heerführer, S. 554; Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 157. Förster, Sicherung, S. 1041. Vgl. hierzu BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 31.8.-6.9.1941. Vgl. hierzu auch Hürter, Heerführer, S.554 sowie Cüppers, Wegbereiter, S. 142 ff. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 11.12.1941 : „SS Brigade 1 (mot.) trifft in Kromy ein. Besuch des Kommandeurs, [SS-]Oberführer Hartenstein, bei Generalleutnant Müller]. Brigade sollte Korück als Armeereserve ursprünglich unterstellt werden, Druck des eingebrochenen Feindes macht sofortigen Einsatz [an der Front] erforderlich."

5.4 Völkermord

687

Exekution durch eine deutsche Einheit in der Sowjetunion; Ort, Zeitpunkt und Einheit sind unbekannt, doch veranschaulicht das Foto das Improvisierte und Grausame dieses Ereignisses. Ein Teil der Delinquenten ist schon tot, einige brechen im Feuer zusammen, die restlichen warten noch auf ihren Tod (Quelle: BSB, Fotoarchiv Hoffmann 59744) G a n z offensichtlich bestanden gegenüber dem SS- und P o l i z e i - K o m p l e x bei der Führung der 2. A r m e e keine Berührungsängste. D e n n deren Oberbefehlshaber, Generaloberst Maximilian Freiherr von Weichs, glaubte zu wissen, wie „die SSF ü h r e r " zu „nehmen" seien. Anlässlich eines militärisch begründeten Streits im S o m m e r 1942 wies er darauf hin, dass man in der SS dazu neige, Kritik, „auch wenn sie berechtigt ist, vielfach als Ubelwollen, sogar als Beleidigung" aufzufassen. „ N a c h Erfahrungen, die ich an anderen Stellen gemacht habe, sind SS-Führer aber Belehrungen und Anregungen durchaus zugänglich, wenn sie in freundschaftlich-kameradschaftlichen T o n gemacht werden. O f f e n e Aussprache ist im allgemeinen erst möglich, wenn ein gewisses Vertrauensverhältnis gewonnen ist. Dieses gewinnt man am besten durch außerdienstlichen Verkehr. Es empfiehlt sich also nicht, SS-Verbände nach A r t deutscher Soldaten zu behandeln, sondern wie B u n desgenossen." 3 3 1 Das war die Linie, die damals in diesem Armeebereich galt: die SS als „Bundesgenossen". Dass sich dabei militärische, sicherheitspolizeiliche und ideologische Absichten zunehmend miteinander vermengten, nahm man hin. D a bei war es hier weniger ideologische Ubereinstimmung, wie vor allem militärischer Utilitarismus, die dazu führten, dass man die M ö r d e r in den eigenen Reihen duldete.

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BA-MA, RH 20-2/160: AOK 2, OB, Schreiben an OB H.Gr. Süd vom 13.5.1942. Anlass des Schreibens waren Differenzen, die zwischen dem Gen.ltn. Willi Moser und der 1. SS-Inf.-Brigade über ihren Einsatz entstanden waren. Bock antwortete am 15.5.1942 (ebda.).

688

5. Verbrechen

Zu einer wirklichen Zäsur scheint es erst im Dezember 1941 gekommen zu sein, in der Zeit der militärischen Krise 332 . Denn mit der damaligen Ablösung des alten Kommandanten, Generalleutnant Müller, begann sich die Besatzungspolitik dieses Korück zu verändern - auch gegenüber den Juden. Schon die Tatsache, dass der neue Kommandant, Generalleutnant Agricola, mit einer Jüdin verheiratet war, derentwegen er seine militärische Karriere abgebrochen hatte 333 , lässt vermuten, dass die Führung dieses Korücks den SS- und Polizei-Verbänden zumindest in dieser Frage mit mehr Distanz begegnete als bisher 334 . Agrícolas Stabschef berichtete jedenfalls nach dem Krieg, dass Agricola, den er als einen ,sehr humanen, sehr gebildeten und außerordentlich fähigen Mann' charakterisierte335, über die Judenmassaker „sehr aufgebracht" gewesen sei und deswegen mehrmals bei seinen Vorgesetzten interveniert habe 336 : „Ich erinnere mich, dass Gen[eral] Agricola einmal gegenüber Radetzki (Führer des SD-Trupp 4 a, Obersturmführer [sie]337) eingriff, als ihm bekannt wurde, daß ein SD-Trupp Erschießungen in Fatesh vorgenommen habe." Dies war im September 1942. Im darauf folgenden Jahr wurden „in der Nähe unseres Stabsquartiers an einem ausgetrockneten Bachbett, das Terrassen aufwies, ebenfalls durch seinen Trupp Erschießungen vorgenommen". „Auch hier griff Gen[eral] Afgricola] sofort ein und stellte die Erschießungen sogleich ab. Diese Geschehnisse wurden auch dem nächsthöheren Vorgesetzten, Genfeneral] d[er] Infanterie] Weiß, gemeldet."338

332 Vgl. Kap. 3.4. 333 Vgl. Kap. 2.3. Agrícolas Frau befand sich während des Zweiten Weltkriegs in Südamerika im Exil. Nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft im Jahr 1955 heiratete Agricola seine Frau erneut. 334 Auch der Standortskommandant von Orel [bis Sommer 1942: Ortskommandantur 273, dann 273 (I)], Generalmajor Adolf Hamann, soll „sich die Herren von der SS möglichst vom Leib" gehalten haben; er habe „sich von ihnen nicht in seine Kommandanturgeschäfte hineinreden" lassen. „Er hat häufig oder wenigstens einige Male in meiner Gegenwart über die SS geschimpft und seinen Reden konnte ich entnehmen, daß er mit den Leuten nichts zu tun haben wollte." Orel war 1942 zunächst Standort des Korück 580, der diesen dann im Juli 1942 nach Rylsk verlegte. BAL, 202 AR-Z 287/62: Vernehmung von G. v. B. vom 20.10.1964. 3 3 5 Vgl. hierzu freilich auch BAL, 204 AR, Nr. 2359/65: Vernehmung F. S. vom 17.8.1967. 336 BAL, 204 AR, Nr.2359/65: Vernehmung F. S.vom 14.2. und 17.8.1967. Als Oberst d. R. war S. vom 26.7.1942-21.3.1944 Chef des Stabes des Korück 580. In einem großen, zusammenfassenden Bericht, den der Korück 580 Ende Juni 1942 vorlegte, berichtete man, dass man nicht weniger als 1600 Menschen „unschädlich" gemacht habe: „Partisanenhelfer, Kommissare und Politruks, kommunistische Funktionäre und Aktivisten, Saboteure und Hetzer, Terroristen, Spione und Banditen". Juden wurden hier nicht erwähnt. IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" vom 28.6.1942. 337 Gemeint ist der Hauptsturmführer Waldemar von Radetzky, damals eingesetzt als Führer eines Teilkommandos beim Sonderkommando 4 a. Vgl. Krausnick/Wilhelm, Truppe, S.243, 290; MacLean, The Field Men, S. 97. 338 BAL, 204 AR, Nr.2359/65: Vernehmung F. S.vom 14.2.1967. General Walter Weiß übernahm am 3.2.1943 das Oberkommando über die 2. Armee. Ein ähnlicher Fall aus dem AOK 2 lässt sich mit zeitgenössischen Quellen belegen. Am 21.5.1943 protestierte der Chef des Stabes, Generalmajor Gustav Harteneck, gegen die Erschießungen durch den SD, „die geradezu eine Sabotage unserer Bestrebungen, endlich eine anständige und gerechte Behandlung der Bevölkerung durchzusetzen, bedeuten". Es sei sicherzustellen, „daß derartige Vorkommnisse sofort auch auf dem I-c-Wege gemeldet werden". Zit. bei: Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte, S. 150.

5.4 Völkermord

689

S o l c h e c o u r a g i e r t e R e a k t i o n e n w a r e n i m O s t h e e r selten. D o c h z e i g t dieses B e i spiel a u c h , dass selbst dieser G e n e r a l das M o r d e n n i c h t a u f h a l t e n k o n n t e 3 3 9 . B e i m V ö l k e r m o r d a n d e n J u d e n a k z e p t i e r t e das N S - S y s t e m keine K o m p r o m i s s e .

Da

a b e r v o n d e n d a m a l i g e n O b e r b e f e h l s h a b e r n des O s t h e e r s in dieser F r a g e „fast n u r D u l d u n g , K o o p e r a t i o n u n d U n t e r s t ü t z u n g b e k a n n t " w u r d e n 3 4 0 , blieb einer n a c h g e o r d n e t e n D i e n s t s t e l l e w i e e i n e m K o r ü c k n u r die W a h l z w i s c h e n R e b e l l i o n , O b s t r u k t i o n o d e r A k z e p t a n z . D a s s es hier n i c h t z u m e h r M a s s a k e r n k a m , w a r allein d a r a u f z u r ü c k z u f ü h r e n , dass in s e i n e m B e f e h l s b e r e i c h k a u m n o c h J u d e n l e b t e n m i t A u s n a h m e d e r j ü d i s c h e n A r b e i t s - K o m p a n i e n , der, w i e sie sich selbst n a n n t e , , d u m m u n d dusselig g e p r ü g e l t e n . K n o c h e n b r i g a d e ' , w e l c h e die U n g a r n n u n a u c h in dieses B e s a t z u n g s g e b i e t d e r W e h r m a c h t m i t b r a c h t e n 3 4 1 . A n i h r e r V e r f o l g u n g aber s c h e i n e n die hier s t a t i o n i e r t e n K o m m a n d o b e h ö r d e n n i c h t interessiert g e w e sen z u s e i n 3 4 2 . U n d n o c h e t w a s w i r d a m F a l l A g r i c o l a e r k e n n b a r : D a s s er eine a n d e r e L i n i e w i e sein V o r g ä n g e r M ü l l e r v e r f o l g t e 3 4 3 , e r s c h l i e ß t sich w e n i g e r aus d e r schriftlichen, s o n d e r n i m G r u n d e erst aus d e r m ü n d l i c h e n Ü b e r l i e f e r u n g 3 4 4 .

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In Orel selbst hatten 1939 3143 Juden gelebt. Von denjenigen, die zurückgeblieben waren, wurden im August 1942 insgesamt 185, zwischen Februar und Juli 1943 weitere 120 Menschen ermordet, am 10.7.1943 dann alle Übrigen. Angaben nach: Encyclopedia, Vol. II, S.943. In Rylsk, dem späteren Standort des Korück 580, waren die wenigen Juden, die noch hier geblieben waren, schon bald nach dem deutschen Einmarsch ermordet worden. Angaben nach: Encyclopedia, Vol. II, S. 1109. Hürter, Heerführer, S. 597. Zum Einsatz dieser Arbeitskompanien - ihre Zahl bei der 2. ungarischen Armee betrug immerhin 45 Stück - vgl. Zsolt, Neun Koffer, S.70ff., Zitat S.210; Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte, S. 144ff.; Pihurik, Hungarian Soldiers and Jews. Auch Zsolt kam im Rückwärtigen Gebiet der 2. deutschen Armee zum Einsatz. Die einzige deutsche Reaktion findet sich in: B A - M A , R H 20-2/401: A O K 2, O B , Schreiben an den „Kommandeur der kgl. ung. 6. le. Div., Herrn Oberst Gödry" vom 14.5.1942: „Eine Weigerung von Bahndienststellen, Arbeiter-Kompanien deshalb nicht zu befördern, weil sie aus Juden bestehen, ist ausgeschlossen." Entscheidend war, dass die höheren Dienststellen der Wehrmacht diesen Teil der Besatzungsgesellschaft möglichst zu ignorieren suchten. Eine ähnliche Haltung konnten mitunter auch die ihm unterstellten Soldaten zeigen. Vgl. etwa B A L , 202 A R - Z 287/62: Vernehmung F. D. vom 30.1.1964: „Ich weiß noch, daß wir bei uns auf der Feldkommandantur ständig einen jüdischen Schuster beschäftigten, der auch bei den verschiedenen Verlegungen stets bei uns blieb. Ich erinnere mich ferner, daß wir diesen jüdischen Schuster später abgeben mußten. Der Oberstleutnant Frhr. von Würffei soll sich seinerseits sehr dagegen gewehrt haben. Er hatte jedoch keinen Erfolg, [...]." Berichtet wird ferner von einem Vorfall in der Armee-Gefangenen-Sammelstelle 4, die dem Korück 580 unterstellt war, wo ein Major die Meldung über einen jüdischen Kriegsgefangenen mit den Worten abtat: „Der Mann arbeitet ja, lassen Sie ihn arbeiten!" B A L , 449 A R - Z 455/67: Verfahren gegen Angehörige der Armee-Gefangenen-Sammelstelle 3 vom 30.11.1970, 18.3.1971 und 6.3.1972. Während Agrícolas Amtszeit sollen aus jenen Lagern, die dem Korück unterstellt waren, keine jüdischen Kriegsgefangenen an SS und Polizei ausgeliefert worden sein. B A L , 204 A R , Nr. 2359/65: Vernehmung F. S.vom 17.8.1967. Für das erste Halbjahr 1942 liegen lediglich zwei Dokumente des Korück 580 vor, die sich explizit mit Juden beschäftigen: - Am 11.5.1942 erließ der Korück eine Anordnung über „Ausweise für die Zivilbevölkerung", die auf einen entsprechenden Befehl des O K H vom 14.2.1942 Bezug nahm. Obwohl dort explizit verfügt wurde, Juden in ihrem Ausweis mit einem „J" zu kennzeichnen, war davon in der Anordnung des Korück nicht die Rede. IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Anordnung betr. „Ausweise für die Zivilbevölkerung" vom 11.5.1942; Ebda.: Korück 580, Abschrift eines Befehls des Heeres-Quartiermeisters, O K H , betr. „Befehl über Ausgabe von Ausweisen für die Zivilbevölkerung im Operationsgebiet" vom 14.2.1942. - Im Mai 1942 wurde der Korück vom A O K 2 darüber informiert, dass mit „den neu eingetroffenen ungarischen Verbänden" auch „Arbeits-Bataillone" eingetroffen seien, die sich aus „jüdischen Dienstpflichtigen" rekrutierten, die, obwohl „wehrunwürdig, im Rahmen der all-

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5. Verbrechen

5.4.2.3 Zum Schicksal der jüdischen Kriegsgefangenen Auch die Verfolgung der sowjetischen Kriegsgefangenen jüdischer Herkunft war eine Aufgabe der deutschen Besatzungsverbände 345 . Die Zahl dieser Gefangenen ist nicht zu unterschätzen: 2,1 Prozent aller Angehörigen der Roten Armee waren Juden, beim höheren Offizierskorps betrug deren Anteil sogar 4,6 Prozent 346 . Das waren immerhin 450000 bis 500000 Soldaten 347 . Fielen sie den Deutschen in die Hände, dann konnten auch sie nicht auf Gnade hoffen 348 , obwohl sie doch eigentlich - so die einschlägige Bestimmung der Genfer Kriegsgefangenenkonvention von 1929 - „jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und insbesondere gegen Gewalttätigkeiten, Beleidigungen und öffentliche Neugier geschützt werden" mussten 349 . Im Gefechtsgebiet, in dem es primär darum ging, die Gefangenenmassen nach hinten abzuschieben, blieb meist kaum Zeit für ein ausführliches „Screening" 350 . Daher wurden die jüdischen Rotarmisten gewöhnlich erst in den Rückwärtigen Armeegebieten identifiziert, manchmal sogar noch später, in den weiter westlich gelegenen Stammlagern. Für sie war das eine Frage von Leben und Tod. Denn Heydrich hatte schon am 28.Juni 1941, nach ersten Vorgesprächen mit General Hermann Reinecke, dem Kriegsgefangenen-Referenten im OKW, einen Entwurf vereinbart, „der die Aussonderung politisch und rassisch unerwünschter Personen in den Kriegsgefangenenlagern durch Kommandos der Sicherheitspolizei und des SD im Zusammenwirken mit den Lagerkommandanten vorsah" 351 . Die definitiven Richtlinien „über die Säuberung der Gefangenenlager, in denen Sowjetrussen untergebracht sind" 352 , übermittelte Heydrich dann am 17. Juli 1941 seinem Apparat nicht ohne den Zusatz: „Die besondere Lage des Ostfeldzuges verlangt daher besondere Maßnahmen, die frei von bürokratischen und verwaltungsmäßigen Einflüssen verantwortungsfreudig durchgeführt werden müssen" 353 , was im Klartext hieß: Lieber ein Delinquent zu viel als zu wenig. Beim Heer war man darüber nicht glücklich - sei es aus prinzipiellen Überlegungen, sei es auch nur deshalb,

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gemeinen Wehrpflicht zum Arbeitsdienst eingezogen" würden. „Die Truppe, alle rückwärtigen Dienste und alle militär. und zivilen Dienststellen" seien über diesen Einsatz zu unterrichten, damit „Ubergriffe aus Unkenntnis des Sachverhalts" vermieden würden. IfZ-Archiv, M A 895/2: A O K 2, Abt. I c/A.O., Anordnung betr. „Orientierung über ungar. Arbeits-Bataillone" vom 1 1 . 5 . 1 9 4 2 . Vgl. hierzu generell: Hilberg, Vernichtung, S.239ff.; Streit, Kameraden, S. 109ff.; Krakowski, The Fate of the Jewish P O W s ; Poljan, Sowjetische Juden als Kriegsgefangene. Altshuler, Soviet Jewry, S. 153. Während der Jahre 1940 bis 1945 erreichten insgesamt 229 sowjetische Juden den Rang eines Generals oder Admirals. Ebda., S. 156f. Poljan, Sowjetische Juden, S. 488. Insgesamt wurden im Reichsgebiet etwa 3 8 0 0 0 sowjetische Kriegsgefangene ermordet, außerhalb des Reichs ungefähr 62 000, nicht alle wegen ihrer jüdischen Herkunft. Vgl. Overmans, Kriegsgefangenenpolitik, S. 815. Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27.7.1929, A r t . 2. Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S. 86. Vgl. Kap. 5.1-5.3. Curilla, Ordnungspolizei, S. 103. Streit (Kameraden, S. 75) geht davon aus, dass es bereits vor dem 2 2 . 6 . 1 9 4 1 einen Sonderbefehl der Wehrmachtführung gegeben haben muss, der darüber bestimmte, wie mit den gefangenen Rotarmisten jüdischer Herkunft zu verfahren sei. In Form des Einsatzbefehls Nr. 8. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.346ff., hier S.346. Vollständiges Faksimile: Streim, Behandlung, D o k . I . l . Vgl. hierzu auch Otto, Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene. Diesen Satz übernahm das O K W wörtlich in seine Anordnung v o m 8 . 9 . 1 9 4 1 .

5.4 Völkermord

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weil man keine Kompetenzen abgeben wollte. Eine Woche später, am 24. Juli 1941, befahl der Generalquartiermeister des Heeres, General Wagner, die „Kriegsgefangenenlager des Operationsgebietes" zumindest von diesem Teil des Mordprogramms erst einmal auszunehmen. Zwar sollten schon jetzt, so Wagner, „politisch untragbare und verdächtige Elemente, Kommissare und Hetzer" erschossen werden 3 5 4 , Juden und „Asiaten" aber seien „für den Arbeitseinsatz im Operationsgebiet" heranzuziehen. Diese Einschränkung dürfte der Mentalität vieler Lagerkommandanten entsprochen haben, die es meist nicht gern sahen, wenn andere in ihren Lagern herumschnüffelten 355 . Doch wurde dieser Versuch des O K H , wenigstens die jüdischen Kriegsgefangenen aus dem Vernichtungsprogramm herauszunehmen, schon bald darauf Stück für Stück durchbrochen - nicht nur, weil es schon damals Kommandanten gab, die von sich aus Himmlers Leuten zuarbeiteten oder die in eigener Regie Juden quälten und auch schon „beseitigten" 356 . Mit einer Anordnung vom 8. September 1941 machte das O K W den Kommandanten aller Lager die „engste Zusammenarbeit mit den Einsatzkommandos zur Pflicht" 3 5 7 . Am 29. Oktober 1941 hatte die Heeresführung dann auch diese Auseinandersetzung mit der SS verloren: Durch Heydrichs berüchtigten Einsatzbefehl Nr. 14 mussten nun auch die Kriegsgefangenenlager im Operationsgebiet den Mordkommandos ihre Tore öffnen 3 5 8 . Von nun an wurden alle Lager mit sowjetischen Kriegsgefangenen, nicht nur die im Reich und im Generalgouvernement, entsprechend „gesiebt" 3 5 9 . Die Exekutoren des Reichssicherheitshauptamts, die durch das „Kommunismus-Referat" (IV A 1) in der Berliner Zentrale koordiniert und kontrolliert wurden, arbeiteten erschreckend schnell 360 . Anfang April 1942 lebten in den Kriegsgefangenenlagern im Zivilverwaltungsgebiet in der besetzten UdSSR nur noch 68 jüdische Sowjetgefangene 361 . IfZ-Archiv, M A 1564/31, N O K W 2423: Befehl O K H / G e n S t d H , Az. GenzbV O b d H / G e n Q u Abt.K.Verw. Nr. 11/4590/41 vom 24.7.1941. Vgl. hierzu Streit, Kameraden, S.87ff. Vgl. mit dem Protest Bocks in ders., Tagebuch, S.312f. (Eintrag vom 9.11.1941). Bock betonte bei dieser Gelegenheit nochmals, dass das Heer „nach Soldatenbrauch und Recht für Leben und Sicherheit seiner Kriegsgefangenen, welcher Art sie auch seien, verantwortlich" sei. Die Verantwortung des Lagerkommandanten sei „unteilbar", er solle bei der „Aussonderung bestimmter Persönlichkeiten" das letzte Wort haben. Vgl. hierzu Hürter, Heerführer, S.383. Ferner Hartmann, Massensterben, S. 117f. Noch Anfang November beklagten sich SiPo und SD, „daß dieser grundlegende Erlaß immer noch nicht an die nachgeordneten Dienststellen [der Wehrmacht] gelangt ist". IfZ-Archiv, M A 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 128 vom 3.11.1941. 3 5 6 Hilberg, Vernichtung, S. 240; Overmans, Kriegsgefangenenpolitik, S. 814. 3 5 7 Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 351 ff., hier S.352. 3 5 8 Bezeichnend hier der Satz: „Diese Richtlinien sind im Einvernehmen mit dem O K H ausgearbeitet worden." Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 361 f. Vollständiges Faksimile: Streim, Behandlung, Dok. 1.3. 3 5 9 Zur schlechten Quellenlage speziell zu diesem Aspekt vgl. Streit, Kameraden, S. 109; Pohl, Wehrmacht und Mord, S.41. Erforscht sind diese Morde bislang nur fürs Reichsgebiet; vgl. Otto, Wehrmacht. 360 Vgl. Wildt, Generation, S. 342 ff. Ferner Overmans, Kriegsgefangenenpolitik, S. 815: „Am 15.November 1941 erklärte sich Himmler damit einverstanden, .Ausgesonderte' nicht mehr unmittelbar ermorden zu lassen, sondern in die KZ einzuweisen - langfristig allerdings mit demselben Resultat." 3 6 1 Streit, Kameraden, S.347, Anm. 159. Insgesamt sollen bis 1945 ca. 15 000 bis 200000 jüdische Kriegsgefangene überlebt haben, weil es ihnen gelang, ihre Identität geheim zu halten. Angabe nach: Poljan, Sowjetische Kriegsgefangene, S. 503. 354

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5. Verbrechen

Insgesamt wird die Zahl der jüdischen Rotarmisten, die in den deutschen Kriegsgefangenenlagern ermordet wurden, auf 8 0 0 0 0 bis 8 5 0 0 0 Mann geschätzt 3 6 2 . Die Lager, die dem Korück 5 8 0 oder der 221. Sicherungsdivision unterstellt waren, blieben davon nicht ausgenommen; dafür sprechen schon die zahllosen E r mittlungsverfahren, die nach 1945 gegen Angehörige dieser Lager eröffnet wurden 3 6 3 . Zwar sollen sich zwei Kommandanten von Armee-Gefangenen-Sammelstellen (4 und 2 1 ) gegen die Aussonderungen gewehrt haben 3 6 4 , doch wissen wir auch, dass schon ihre vorgesetzten Dienststellen der Ansicht waren, dass die Juden „weg" müssten 3 6 5 . Auch hat ein Verband wie der Korück 5 8 0 regelmäßig KriegsArad, Soviet Jews in the War against Nazi Germany, S. 125. Höher dagegen die Schätzung Streits, der von weit über 140000 sowjetischen Gefangenen ausgeht, die diesem Befehl zum Opfer gefallen seien. Vgl. Streit, Deutsche und sowjetische Kriegsgefangene, S. 184. Pohl (Die Wehrmacht und der Mord, S.41) veranschlagt die Größe dieser Gruppe auf 70000 bis 90000 Opfer. 3 6 3 Gegen die folgenden, für unser Sample relevanten Lager wurde von der deutschen Justiz ermittelt. Allerdings wurde in keinem dieser Fälle ein Gerichtsverfahren eröffnet oder gar eine Verurteilung ausgesprochen, was im übrigen nicht gegen die Substanz der Vorwürfe zu sprechen braucht. - Armee-Gefangenen-Sammelstelle 4: StA Augsburg, Staatsanwaltschaft Augsburg 30 Js 43/71 gg. unbekannt. - Armee-Gefangenen-Sammelstelle 21: HStA Hannover, Nds. 721 Gött. Acc. 99/81; Nr. 58 Staatsanwaltschaft Göttingen, 3 Js 47/71 gg. v. Knigge. - Dulag 130: BAL, 319 AR-Z 38/69: Ermittlungsverfahren gegen Angehörige des Dulag 130; StA Marburg, 274 Kassel, Acc. 2002/7Ks, Nr. 46/1-11; Staatsanwaltschaft Kassel, 3a Js 53/73 gg. Kunze u. a. - Dulag 131: StA Ludwigsburg, EL 317 III Nr. 261-262; Staatsanwaltschaft Stuttgart, 15 Js 143/64 gg. Roeder von Diersburg u.a. Vgl. hierzu auch Pohl, Herrschaft, S.234 (mit Bezug auf russische Literatur). StA Ludwigsburg, EL 317 III, Zug 2002/41, [noch ohne Nummer]; Staatsanwaltschaft Stuttgart, 19 Js 481/78 gg. Roeder von Diersburg u.a. - Dulag 134: StA Darmstadt, H 13 Darmstadt, Nr. 1697/1-7; Staatsanwaltschaft Darmstadt, 2 Js 413/70 gg. Hermersdorf . - Dulag 142: StA Ludwigsburg, EL 317 III Nr.805-811; Staatsanwaltschaft Stuttgart, 15 Js 396/70 gg. Eicheler. - Dulag 185: StA Nürnberg, Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth 2004-01, Nr. 417-424, 730; Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, 11 Js 1/70 F sowie 95 Js 26269/78 gg. Marschall. Vgl. hierzu auch Pohl, Herrschaft, S.234 (mit Bezug auf russische Literatur). - Dulag 192: StA Münster, Staatsanwaltschaft Dortmund-Zentralst. 197-202; Staatsanwaltschaft Hamburg, 147 Js 31/69 gg. Stahmer u.a.; Staatsanwaltschaft Dortmund (Z), 45 Js 31/73 gg. Hülshoff. - Dulag 203: HStA Hannover, Nds. 721 Hann. Acc. 90/99, Nr. 124/1-21; Staatsanwaltschaft Hannover, 2 Js 608/70 gg. Hausbrand u. a. - Dulag 220: BAL, 319 AR-Z 75/70 gg. Daemm. - Dulag 314: BAL, 319 AR-Z 41/71 gg. Meley u.a. - Stalag 308: HStA Wiesbaden, Abt. 461, Nr. 32569/1-6; Staatsanwaltschaft Frankfurt, 4 Js 480/72 gg. Hönig - Kriegsgefangenen-Bezirks-Kommandant E: Landesarchiv Schleswig, Abt. 354 Flensburg, Nr. 13512-13518; Staatsanwaltschaft Flensburg 2 Js 13/72 gg. Morré. Für diese Informationen bin ich Edith Raim und Andreas Eichmüller zu großem Dank verpflichtet. 364 Ygj Streim, Behandlung, S.239. Dazu passt auch, dass gegen die Angehörigen der Armee-Gefangenen-Sammelstellen 3,19 und 22, nicht aber gegen 4, von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen nur Vorermittlungsverfahren geführt wurden. Vgl. BAL, 319 AR 455/67; 449 AR 471/67 und 319 AR 474/67. 3 6 5 Vgl. etwa BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, „Besondere Anordnungen für das Kriegsgefangenenwesen" vom 5.8.1941: „Politisch untragbare Elemente usw. sind vom Abschub ausgeschlossen; mit ihnen ist nach Entscheidung des Lagerkommandanten gem. gegebener Sonderanweisung zu verfahren. Organe der Sicherheitspolizei (SD) sind hierfür nicht heranzuziehen." Jüdische Kriegsgefangene wollte das AOK 2 allerdings „in erster Linie zur 362

5.4 Völkermord

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gefangene an den SD abgegeben, wobei die Gründe und Folgen in diesem Fall unklar bleiben 366 . Auch von anderen Lagern aus unserem Sample 367 liegen einzelne Nachrichten vor: Im Dulag 185 wurden bereits im Juli 1941 „5 Gefangene (Juden) wegen Fluchtversuchs" von Angehörigen des Polizei-Bataillons 309 niedergeschossen 368 ; damals plädierte der Kommandant des Dulag 131, „daß in der Erledigung der Juden zweckmäßigere Bearbeitung wünschenswert wäre", was bedeutete, dass er Arzte „für den Fall einer Seuchengefahr" vorerst von den offenbar üblichen Exekutionen ausnehmen wollte 369 ; von der Armee-Gefangenen-Sammelstelle 4 wird berichtet, dass die SS ca. 20 Gefangene aus dem Lager abgeholt und „in Kursk auf einem Platz in der Nähe des dortigen Theaters erhängt" habe. „Die Erhängten haben an dieser Stelle noch wochenlang gehangen." 370 Auch die Armee-Gefangenen-Sammelstelle 3, ebenfalls eine Zeitlang zum Korück 580 gehörig, hat wahrscheinlich Juden „ausgesondert", ein Angehöriger dieses Lagers erinnerte sich an einen „jüdischen Gefangenen", den man zunächst als „Verwalter" für Lebensmittel eingesetzt, dann aber wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten an die Wand gestellt habe 371 . Auf eine sehr spezielle Weise beteiligte sich schließlich das Dulag 314 am Judenmord 3 7 2 : Es überstellte nichtjüdische 25 Gefangene an den SD, die dieser angeblich „zum Arbeitseinsatz" brauchte. Als man später im Lager hörte, dass durch den SD „die jüdische Bevölkerung erfaßt, abtransportiert und auch erschossen wurde", habe man daraus geschlossen, „daß die 25 russischen Kriegsgefangenen durch den SD zum Ausheben und Zuschütten solcher Gräben verwendet wurden. Es ist ja klar, daß solche Gefangene nicht mehr in das Lager zurückgeführt werden können." 3 7 3 All dies bleiben nur Schlaglichter, doch sind sie sehr wahrscheinlich Ausdruck einer viel weitergehenderen Praxis. Immerhin sind wir auch über einige Gegenbeispiele informiert. In der Armeegefangenensammelstelle 21 versuchte der Kommandant, ein Major von Knigge, die Auslieferung eines jüdischen Gefangenen offenbar mit der Begründung abzuleh-

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Arbeit" einsetzen und erst danach an die Dulags weiterleiten. Vgl. jedoch Jarausch/Arnold, Sterben, S. 309 (Brief vom 13.9.1941): „Die Kameraden sagen ja meist, wenn der Jude ausgeschaltet ist, werden sich überall andere Kräfte durchsetzen." Vgl. hierzu Kap. 5.3. Vgl. mit der Übersicht in Kap.5.3. U S H M M , RG-48.004M: Pol.-Btl. 309, Meldung an das Polizei-Regiment Mitte vom 12.7.1941. B A - M A , R H 23/251: Kgf.-Bezirkskommandant J, „Bericht über die Besichtigung des Dulags 131" vom 23.7.1941. B A L , 449 A R - Z 138/71: Vernehmung F. B. vom 16.6.1969. B. berichtete ferner von der Ermordung von jüdischen Männern, Frauen und Kindern in einem Lagerkomplex für Kriegsgefangene [gemeint wahrscheinlich ein Zivilgefangenenlager] in Orel. Die Juden wurden vorher in Kursk bei Hausdurchsuchungen durch die SS festgenommen. B., der gerade einen Gefangentransport nach Orel begleitete, beobachtete diese Aktion. So mussten sich die Juden trotz strengster Kälte ihre Gruben mit der Hacke selber ausheben. Anschließend wurden sie durch die SS-Leute, die einen betrunkenen Eindruck machten, erschossen. B A L , 449 A R - Z 455/67: Ermittlung gegen Angehörige der Armee-Gefangenen-Sammelstelle 3; Vernehmung W. B. vom 18.3.1971. Ebda., Vernehmung Α. H. vom 19.11.1970, der meinte, er habe von entsprechenden „Gerüchten" gehört. Das Dulag 314 war zeitweise der 221. Sicherungsdivision zugeordnet. B A L , 319 A R - Z 41/71: Verfahren gegen ehem. Angehörige des Dulag 314, Vermerk vom 19.4.1971. Ferner B A L , 319 A R - Z 41/71: Vernehmung A. G. vom 19.8.1971. G. berichtete ferner, er habe später von Kameraden erfahren, dass die jüdische Bevölkerung von Bobruisk in den alten Festungsanlagen in der Nähe des Dulags ermordet worden seien.

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5. Verbrechen Gefangener jüdischer Rotarmist, August 1941 (Quelle: BA 1011-267-0111-36)

n e n , „er sei u n e n t b e h r l i c h " 3 7 4 . A l s sich d a n n a u c h hier die SS n a c h e i n e m l ä n g e r e n V e r f a h r e n d u r c h s e t z t e , h a b e d e r J u d e bei s e i n e m A b s c h i e d gesagt: „ W e h r m a c h t gut - SS S c h e i ß e - j e t z t m u ß ich sterben." A u c h i m D u l a g 2 0 3 k a m es r e g e l m ä ß i g z u „ A u s s o n d e r u n g e n " - als T a t o r t e w e r d e n Bielsk, O r s c h a , K o c h a n o w o u n d K r i t s c h e w g e n a n n t 3 7 5 - v o n K o m m i s s a r e n 3 7 6 u n d v e r m u t l i c h auch v o n e i n z e l n e n J u -

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Vgl. BAL, 319 A R - Z 121/70: Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der AGSSt 21; Vernehmung W.-L. S. vom 7.9.1970 und 20.3.1979. Die Darstellung von S. erhält dadurch Glaubwürdigkeit, dass dieser angab, er sei 1933 wegen „politischer Unzuverlässigkeit" aus der Stadtverwaltung Trier entlassen worden. Dr. A. H., der in der AGSSt 21 als Stabsarzt eingesetzt war, gab in einer Vernehmung vom 25.6.1971 an, die jüdischen Kriegsgefangenen seien zu seiner Zeit „unbehelligt geblieben". „Ich hatte sogar die Möglichkeit, die Juden wie andere Kriegsgefangene zu entlassen." Vgl. hierzu Hartmann, Massensterben, S. 121 ff. sowie Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/5: Vernehmung G. M. vom 19.7.1971, Vernehmungen M. B. vom 6.3.1972 und A. S.vom 14.7.1971; Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/6: Vernehmung A. R. vom 4.3.1975; StA München, Staatsanwaltschaften 31508: Vernehmung H. M. vom 15.1.1969; StA München, Staatsanwaltschaften 31508: Vernehmung F. M. vom 21.1.1969. Ferner Streim, Behandlung, S. 242. Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/5: Vernehmungen G. M. vom 19.7.1971 und M. B. vom 6.3.1972. Die meisten der befragten Zeugen, über 150, gaben freilich zu Protokoll, sie hätten „nichts von Erschießungen gehört". Ob es sich hier um bloße Schutzbehauptungen handelt, ist fraglich;

5.4 Völkermord

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d e n 3 7 7 , selbst w e n n d e r K o m m a n d a n t dieses L a g e r s , M a j o r G u t s c h m i d t , d a r ü b e r „ s e h r e r r e g t " g e w e s e n sein s o l l 3 7 8 . A l l e r d i n g s g a b ein s o w j e t i s c h e r Z e u g e , d e r i m J a n u a r 1 9 4 2 - n a c h G u t s c h m i d t s V e r s e t z u n g - in dieses D u l a g k a m , n a c h d e m K r i e g z u P r o t o k o l l 3 7 9 , es h a b e hier n o c h viele J u d e n g e g e b e n , „die auf d e m R ü c k e n ihrer K l e i d u n g d e n g e l b e n S t e r n " g e t r a g e n h ä t t e n . Sie w ä r e n d a n n z u d e n b e v o r z u g t e n O p f e r n eines W o l g a d e u t s c h e n D o l m e t s c h e r s g e w o r d e n , d e r sie alle d a n n bis M a i 1 9 4 2 w ä h r e n d ihres A r b e i t s e i n s a t z e s e r s c h o s s e n h a b e 3 8 0 . U b e r v e r g l e i c h b a r e F ä l l e sind w i r aus d e n ü b r i g e n L a g e r n u n s e r e s S a m p l e s n i c h t i n f o r m i e r t , w o b e i n o c h e i n m a l d a r a u f h i n z u w e i s e n ist, dass die Q u e l l e n l a g e in d i e s e m speziellen Fall d ü n n ist. I m m e r h i n l e h r e n die z u l e t z t e r w ä h n t e n Beispiele a u c h , dass in jenen F ä l l e n , in d e n e n die W e h r m a c h t n o c h ü b e r eine g e w i s s e A u t o n o m i e v e r f ü g t e ( u n d das w a r in d e n K r i e g s g e f a n g e n e n l a g e r n - w e n n a u c h m i t A b s t r i c h e n - n o c h i m m e r d e r F a l l 3 8 1 ) , d e r e i n z e l n e O f f i z i e r die E n t w i c k l u n g u n gleich s t ä r k e r beeinflussen k o n n t e 3 8 2 als bei d e r m i l i t ä r i s c h e n B e s a t z u n g s p o l i t i k ( u n d d a m i t b e i m M a s s e n m o r d an d e n j ü d i s c h e n Zivilisten), w o die h ö c h s t e n milit ä r i s c h e n F ü h r u n g s g r e m i e n n o c h v o r K r i e g s b e g i n n a k z e p t i e r t h a t t e n , dass sie n i c h t m e h r H e r r i m eigenen H a u s w a r e n .

5.4.3 Bilanz Z w e i A b s c h n i t t e , ein T h e m a : ein allgemeiner U b e r b l i c k ü b e r das T h e m a „ W e h r m a c h t u n d H o l o c a u s t " u n d das k o n k r e t e Beispiel v o n f ü n f d e u t s c h e n D i v i s i o n e n . B e i d e s m a l ist die h o h e M i t v e r a n t w o r t u n g d e r W e h r m a c h t a n e i n e m d e r g r ö ß t e n

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viele wie etwa G. K., ehemaliges KPD-Mitglied und Buchenwald-Häftling, hatten wohl tatsächlich den Eindruck, es habe in diesem Durchgangslager „ein ständiges Kommen und Gehen" geherrscht. (Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/6: Vernehmung G. K. vom 17.2.1975) Auch bei diesen Vernehmungen zeigte sich, dass nur diejenigen, die wirklich in diese Vorgänge involviert waren, einigermaßen zutreffende und lohnende Angaben machen konnten. Vgl. Jarausch/Arnold, Sterben, S. 335 (Brief vom 7.11.1941 ), der von „Juden barfuß im Schnee" berichtet und davon, dass sein „halbjüdischer" Russisch-Lehrer, ein Kriegsgefangener, nun „fortgekommen" sei. Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/13: Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hannover, Verfügung 11/2 Js 608/70 vom 25.2.1980, S. 24. Ferner Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/4: Vernehmung H. H. vom 5.5.1976. Dass Gutschmidt den Judenmord ablehnte, belegt etwa der folgende Eintrag aus seinem Tagebuch: „Es ist unerhört, wie die Polizei wütet. Wir bemühen uns, gut zu den Russen zu sein, und die Polizei tat das Gegenteil. Sie behauptet, die Juden hätten Sabotage betrieben. Dabei ist kein einziger Fall von Sabotage vorgekommen." Hartmann, Massensterben, S. 144 (Eintrag vom 8.7.1941). Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/4: Vernehmung W. T. N. vom 28.1.1975. Zum Teil sind die Angaben allerdings widersprüchlich. Vgl. hierzu StA München, Staatsanwaltschaften 31508: Vernehmung F. W. vom 14.1.1969; Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/5: Vernehmung W. B. vom 11.12.1968; Nds. HStA, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 124/2: Vernehmung F. M. 21.1.1969, wo von der Erschießung von zwei jüdischen Dolmetschern sowie von Nachforschungen nach jüdischen Gefangenen berichtet wird. Unklar bleibt dabei freilich der Zeitpunkt und damit die Frage, ob dies bereits in die Zeit vor dem 3.12.1941 fällt, also in die Zeit, als Gutschmidt dieses Dulag führte. Noch im Einsatzbefehl Nr. 14 vom 29.10.1941 betonte Heydrich: „Auftretende Schwierigkeiten sind durch persönliche Verhandlungen mit den in Frage kommenden Stellen der Wehrmacht zu bereinigen." Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 361 f., hier S.361. Vgl. hierzu generell Otto, Wehrmacht, S.200ff.

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5. Verbrechen

Völkermorde der Weltgeschichte deutlich geworden 383 . Gezeigt hat sich aber auch, dass die persönliche Schuld ihrer Angehörigen dabei sehr unterschiedlich ausfällt. Wie passen diese beiden Befunde zusammen? Sicher ist, dass die Beteiligung einer so hochgradig organisierten, disziplinierten und weitverzweigten Organisation wie der Wehrmacht an diesem gigantischen Verbrechen nicht einfach ungeordnet und planlos verlief. Hier handelte es sich vielmehr um ein zentrales Anliegen der politischen Führung; die Strukturen, die schon beim allgemeinen Überblick erkennbar geworden sind, setzen sich fort im Ausschnitt unseres Samples und treten hier - wie könnte es anders sein - plastischer hervor. Mit Hilfe dieser Strukturen lässt sich die Frage nach der institutionellen Schuld der deutschen Armee präziser beantworten. Nicht beantworten lässt sich dagegen die Frage nach der individuellen Schuld, aber sie lässt sich zumindest doch eingrenzen. Nirgends war die Beteiligung am Holocaust so groß wie in den rückwärts gelegenen Militärverwaltungsgebieten. Verbände wie ein Korück oder eine Sicherungsdivision fungierten in der besetzten Sowjetunion als Stichwortgeber und Exekutoren einer Besatzungspolitik, die sich immer auch gegen die Juden richtete - erinnert sei an die Punkte: Entrechtung, Ghettoisierung, Ausbeutung sowie an die regelmäßigen Erschießungsaktionen, die teilweise auch auf das Konto dieser Verbände gingen. Noch folgenreicher aber war, dass diese Verbände als Teile eines sehr viel umfassenderen Verfolgungs- und Terror-Netzwerkes fungierten. Die Beispiele aus unserem Sample belegen, dass das Vernichtungswerk der Einsatzgruppen ohne die Vorarbeit der Wehrmacht und ohne deren logistische und administrative Unterstützung niemals diese Ausmaße erreicht hätte. Darin liegt ihre größte Schuld. Die Kampfverbände der Wehrmacht übernahmen dagegen einen anderen Part. Sie hatten die Gebiete zu erobern, die dann zum Tatort dieses einzigartigen Verbrechens werden sollten. Zwar kam es auch in der Gefechtszone zu antisemitischen Verbrechen, doch ist das, was von den drei Beispielen unseres Samples an Taten bekannt ist, kaum mit dem zu vergleichen, was hinter der Front geschah. Möglicherweise resultiert dieser Eindruck auch aus einer unvollständigen Quellenlage oder daraus, dass man diese Verbrechen stillschweigend duldete. Angesichts des prononcierten Antisemitismus, der charakteristisch für die Stimmung in vielen Wehrmachtsverbänden gewesen zu sein scheint, ist es aber wenig wahrscheinlich, dass solche Vorfälle in den Akten verschwiegen worden wären. Viel folgenreicher war, dass für den Judenmord im Aufgabenprofil und Selbstverständnis dieser Kampfverbände kein Platz vorgesehen war. Bei den Massakern von Babij Jar wird dies fast schon exemplarisch deutlich: Ein Kampfverband wie die 296. ID wurde in Kiew noch Zeuge der großen Verhaftungswellen, die ihre Angehörigen auch durchaus begrüßten. Als die Mordaktionen selbst begannen, war diese Division aber schon längst wieder an der Front. Dies hatte System. Denn ein Großver-

383

Darunter fielen die Insassen psychiatrischer Anstalten, die Roma oder jene, die man als „Asiaten" bezeichnete, wobei auch in diesen Fällen die Ermordung oft an die SiPo und den SD delegiert wurde. Generell hierzu Hürter, Leningrad, S.433ff.; Gerlach, Morde, S. 1063ff.; Zimmermann, Rassenutopie, insbes. S.259ff.; Pohl, Herrschaft, S. 271 ff.

5.4 Völkermord

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brechen wie der Holocaust brauchte Zeit. Auch dafür ist unser Sample ein Modell: Je mehr entfernt man von der Front im Einsatz war, desto wahrscheinlicher wurde eine Beteiligung an diesem Verbrechen. Doch informiert dieser Ausschnitt nicht nur über Strukturen, sondern auch über Mentalitäten. Existierte beim Handeln eine klare Trennlinie zwischen Frontgebiet und Hinterland, so verschwand diese spätestens dann, wenn es um die Frage ging, wie man die Juden oder auch den Holocaust bewertete. Für weite Teile des deutschen Ostheers scheint der Antisemitismus Teil ihres geistigen Marschgepäcks gewesen zu sein. Den schlimmsten Eindruck hinterlassen in dieser Hinsicht die 296. Infanterie-, die 4. Panzer- und die 221. Sicherungsdivision. Dagegen sind antisemitische Tendenzen von der 45. ID während der Jahre 1941/42 nicht bekannt geworden; ob das Zufall war oder nicht, lässt sich nicht sagen. Auch beim Korück 580 sollte man sich vor einem vorschnellen Urteil hüten: Während sich dieser Besatzungsverband noch 1941 in seinen Verlautbarungen wie auch in seinem Handeln nahtlos in jene Linie einfügte, welche die politische und militärische Führung vorgegeben hatten, änderte sich das abrupt mit dem Führungswechsel, zu dem es auch in diesem Korück während des Dezembers 1941 kam. Der neue Kommandant, Generalleutnant Agricola, ist ein Beispiel dafür, wie vorsichtig man mit Pauschalierungen beim Thema „Wehrmacht und Holocaust" sein sollte. Sein Beispiel zeigt freilich auch, wie begrenzt selbst die Handlungsspielräume eines höheren Offiziers in dieser Frage waren. Das verweist auf ein weiteres Problem: Die Stimmen, die in diesem Teilkapitel zu hören waren, erwiesen sich mitunter als so laut und so grell, dass sie nicht selten all jene übertönen, die sich zum Thema „Juden" gemäßigter oder gar nicht äußerten. Leise Zwischentöne oder bloßes Schweigen (wie beredt dies auch immer sein mochte) sind freilich nur schwer als repräsentative historiographische Fundstücke zu präsentieren, selbst wenn auch sie einen Teil des Meinungsspektrums bildeten. Bei den drei „Kronzeugen" aus den Kampfverbänden unseres Samples: Fritz Farnbacher (4. Pz. Div.), Ludwig Hauswedell (45. Inf. Div.), und Hans Reinert (296. Inf. Div.), die Tausende Seiten persönlicher Aufzeichnungen hinterlassen haben, handelte es sich im Falle Reinerts um einen Antisemiten übelster Sorte. Dagegen finden sich in den Tagebüchern der beiden anderen Offiziere noch nicht einmal antisemitische Untertöne. Auch bei den militärischen Dokumenten ist das meist so. Natürlich existieren auch hier Bekenntnisschriften, die über den Standpunkt des Verfassers keinen Zweifel lassen. Viel mehr Dokumente sind aber so nüchtern und allgemein gehalten, dass sie nur wenig oder nichts über die Vorstellungen ihrer Verfasser verraten. Diese Zurückhaltung war nicht nur Ausdruck des militärischen Selbstverständnisses. Die Bedingungen eines totalitären Systems, das gerade bei der Judenfrage keine Abweichungen akzeptierte, ließen eigene Meinungen - noch dazu in dienstlichen Aufzeichnungen - kaum erwarten. Verglichen mit der Zahl der Menschen, um die es hier geht, also geschätzten Hunderttausend Mann, verfügen wir also nur über einen Bruchteil an Quellen. Gerade in den Dienstakten der Kampfverbände bleibt das Thema Juden weitgehend ausgespart, während man in denen der Besatzungsverbände häufiger darauf stößt. Uber die entsprechenden Vorstellungen der meisten Soldaten können wir indes nur spekulieren; was wir besitzen, sind im Grund nur Splitter. Allerdings

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5. Verbrechen

sind diese so aussagekräftig, dass es doch möglich scheint, diese wenigen Fragmente zusammenzusetzen. Dabei entsteht - so viel steht fest - kein gutes Bild von der Wehrmacht. Dass diese das Abbild einer Gesellschaft war, in die sich „das Gift des Antisemitismus [...] schon zu tief eingefressen" hatte 3 8 4 - so das häufig zitierte Fazit von Peter Bamm - , ist keine neue Erkenntnis. Doch wirkt diese sehr theoretisch. Einen wirklichen Eindruck von jenem Abgrund an Gemeinheit und Brutalität vermitteln erst die zeitgenössischen Auslassungen, die zugleich dokumentieren, wie sehr sich Teile des deutschen Ostheers, unabhängig von Dienstgrad und Funktion, der N S Propaganda angepasst hatten und dabei moralisch verkommen waren. Dabei fällt ein charakteristischer Widerspruch ins Auge. Bemerkenswerterweise blieb gerade jenen Teilen des Ostheers, von denen aufgrund ihrer Sozialisation die geringsten Vorbehalte gegenüber dem Holocaust zu erwarten gewesen wären, eine Beteiligung an diesem Verbrechen am häufigsten erspart. Es waren in der besetzten Sowjetunion häufig die vergleichsweise unmilitärischen Besatzungsverbände, jene Reservisteneinheiten, die sich meist aus älteren, reaktivierten Familienvätern rekrutierten, die zu Vollstreckern der schlimmsten Befehle wurden, und weniger die Frontverbände, deren Personalstruktur eine größere weltanschauliche Nähe zum NS-Regime wahrscheinlich machte. Einer der wenigen Hinweise, die über eine wirkliche Ablehnung der Exekutionen berichten, stammt denn auch aus den Reihen der 221. Sicherungsdivision. Auf diese Mentalitäten und Befindlichkeiten nahm die militärische Führung aber nicht die geringste Rücksicht. Für sie galt allein das Prinzip von Befehl und Gehorsam, und auch die Vorstellung, mit Hilfe einiger formaler Abgrenzungen die Institution Wehrmacht aus diesem gigantischen Verbrechen heraushalten zu können. Genau das sollte aber nicht gelingen. U n d auch ihrer Führung, die sich auf diesen Teufelspakt eingelassen hatte, war es kaum möglich, sich auf eine so billige Weise aus ihrer Verantwortung herauszustehlen. Gleichwohl sollte man die Folgen, die sich aus dieser formalen Abgrenzung ergaben, nicht unterschätzen. Sie schaffte doch jene Strukturen, unter denen sich diese Kooperation dann vollzog. Weder die Wehrmacht als Institution noch ihre Führung lassen sich von dieser Schuld freisprechen. Dagegen lassen sich Verantwortung und Schuld der nachgeordneten Dienststellen und ihrer Millionen Angehöriger nicht so einfach auf einen Nenner bringen. O b aus Soldaten Mörder wurden oder nicht, entschieden - und das ist eigentlich das Frappierende - weniger Weltanschauungen oder Meinungen. O f t waren viel banalere Faktoren ausschlaggebend wie etwa Funktion, Standort, Alter oder Beziehungen. Ohne diesen differenzierenden Blick auf die Wehrmacht scheint es jedenfalls kaum möglich, jene zentrale Frage, welche Rolle ihre Angehörigen beim Holocaust spielten, auch nur einzugrenzen. Wie sich diese Soldaten verhalten hätten, falls die Rahmenbedingungen anders ausgesehen hätten, ist eine spekulative Frage. Aber ist sie wirklich müßig? Angesichts der Stimmen, die in diesem Teilkapitel zu hören waren, war es wohl besser, wenn diesem Teil der Wehrmacht diese Entscheidung erspart blieb.

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Bamm, Die unsichtbare Flagge, S. 75.

5.5 Partisanen

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5.5 Partisanen Niemand wollte den Partisanenkrieg - weder die Deutschen noch die Sowjets. Während die Wehrmacht schon vor dem Angriff auf die Sowjetunion die Parole ausgab, dass alles, was nur nach irregulärem Krieg roch, bereits „im Keime zu ersticken" sei 1 , wollte auch die sowjetische Führung von einem Krieg im Rücken eines potentiellen Gegners nichts wissen, zumindest nicht bis zum 22. Juni 19412. Dabei besaß das Konzept des „Volkskriegs" in Russland - sehr im Gegensatz zum Deutschen Reich 3 - eine lange Tradition 4 , schon weil die geographischen, ethnischen und auch die politischen Voraussetzungen hierfür sehr günstig waren. Die Säuberungen der 30er Jahre hatten jedoch alle Vorbereitungen von Staat, Partei und Armee für einen revolutionären Krieg, der den potentiellen Gegner auch in seinem Hinterland treffen sollte, zunichte gemacht. Die Vordenker dieser Strategie waren erschossen worden oder in Lagern verschwunden 5 . Nur 90 der ursprünglich 9000 Instruktoren, die man speziell für einen Partisanenkrieg ausgebildet hatte, hatten überlebt. Grund dafür war nicht nur Stalins chronisches Misstrauen gegenüber jeder Initiative von unten; ein solcher Ansatz widersprach auch der damaligen sowjetischen Militärdoktrin, derzufolge das militärische Geschehen unverzüglich ins Land des Aggressors getragen werden sollte 6 . Waren die deutschen Befürchtungen damit unbegründet? Nur zum Teil. Zweifellos bewiesen die Warnungen der deutschen Militärs, wie wenig sie von den aktuellen Entwicklungen in der Sowjetunion wussten. Doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn nach dem 22. Juni 1941 musste die sowjetische Führung nicht nur ihre außenpolitische Doktrin revidieren, auch ihre militärischen Planungen und Konzepte waren nun mit einem Schlag über den Haufen geworfen. Der „Vaterländische Volkskrieg gegen die faschistischen Unterdrücker" 7 wurde sehr rasch zu einem zentralen Bestandteil der sowjetischen Strategie. So gesehen hatten die ' Befehl des O b d H (Besondere Anordnungen f ü r die Versorgung, Ani. 6, Teil C ) vom 3 . 4 . 1 9 4 1 , in: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S. 299-304, hier S.301. 2 Allgemein hierzu Aubrey/Heilbrunn, Communist Guerilla Movement; Howell, Soviet Partisan Movement; Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans; Hesse, Partisanenkrieg; Cooper, Phantom War; Wilenchik, Partisanenbewegung; Bonwetsch, Sowjetische Partisanen; Wegner, Krieg, S.91 Iff.; Bim, Zweierlei Wirklichkeit?; Slepyan, „The Peoples's Avengers"; Umbreit, Das unbewältigte Problem; Lustiger, Kampf auf Leben und Tod; Richter, „Herrenmensch"; Grenkevich, Soviet Partisan Movement; Gerlach, Morde, S. 859ff.; Shepherd, Hawks; ders., War; Musial, Partisanen; Arnold, Wehrmacht, S. 4 1 3 ff.; Blood, Hitler's Bandit Hunters; ders., Bandenbekämpfung; Hürter, Heerführer, S.404ff.; Pohl, Herrschaft, S . 2 8 3 f f . 3 Dass Deutschland das einzige Land des Zweiten Weltkriegs war, in dem sich keine echte Partisanenbewegung formierte, war nicht nur Ausdruck der militärischen, politischen und mentalen Lage der Jahre 1944/45. Zwar hatten die deutschen Militärs immer wieder mit dem Gedanken des „Kleinen Krieges" experimentiert, insbesondere nach 1919, ohne diese Überlegungen aber wirklich umzusetzen. Vgl. hierzu Geyer, Aufrüstung, S.97ff.; Rink, „Partheygänger"; ferner die zeitgenössische Schrift von: A r t h u r Ehrhardt, Kleinkrieg, Geschichtliche Erfahrungen und künftige Möglichkeiten, Potsdam [1935]. 4 Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen, S.52ff.; Shepherd, War, S . 6 1 f . 5 Bonwetsch, Sowjetische Partisanen; Hoffmann, Kriegführung, S.890f.; Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S. 73 ff.; Slepyan, Avengers, S. 24 ff., 31 f.; ders., People Avengers or Enemies of the People; Grenkevich, Partisan Movement, S.37ff.; Starinov, Front, S. 112. 6 Vgl. hierzu Hummel, Nordwest- und Westfront, S . 2 8 f f . 7 So Stalin in seiner bekannten Rundfunkrede v o m 3 . 7 . 1 9 4 1 . Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 326-329, hier S. 328.

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5. V e r b r e c h e n

Deutschen wiederum Recht mit ihren Prognosen. Doch bedarf auch diese Feststellung der Differenzierung. Der Erfolg des sowjetischen Paradigmenwechsels begründete sich nicht zuletzt in den gravierenden politischen und militärischen Fehlern der deutschen Besatzer. 5.5.1 Ansprachen und Weisungen Denn der deutschen Führung war das Schicksal der sowjetischen Gesellschaft bestenfalls gleichgültig. Verfügungsmasse waren sie für die deutschen Stichwortgeber, nicht mehr; eine Rücksichtnahme auf die einfachsten Grundregeln der politischen Klugheit schien ihnen nun, im Moment des endgültigen „Politikverzichts" 8 , nicht mehr nötig. Sollten sich Russen oder Ukrainer gegen ihre Versklavung, Ausbeutung oder Vernichtung wehren oder gar gegen den Prozess der militärischen Eroberung, dann schien in Hitlers Sicht nur ein einziges Mittel legitim: die „Anwendung brutalster Gewalt" 9 . Das hielten auch die führenden Militärs im Prinzip für richtig10. Grund für diese Übereinstimmung war nicht nur jene vielbeschworene ideologische „Teilidentität" zwischen Wehrmacht und NS-Regime. Die Furcht des deutschen Offizierskorps vor der irregulären Kriegführung war groß. Nach den Erfahrungen der Jahre 1870/71, als die „Francs-tireurs" den Sieg der deutschen Armeen beinahe revidiert hätten 11 , hatten viele deutschen Militärs 1914 fast schon panisch auf die bloße Möglichkeit reagiert, dass belgische oder französische Zivilisten ihren Vormarsch stören könnten 12 ; und auch 1918 bei der Besetzung der Ukraine kam es immer wieder zu brutalen Uberreaktionen der deutschen Besatzer 13 . Natürlich handelte es sich hier nicht nur um eine spezifisch deutsche Wahrnehmung; für jede Armee ist ein irregulärer Krieg ein Horror. Ausdruck einer deutschen Sonderentwicklung war freilich die Tatsache, dass die überlieferten Feindbilder in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nie wirklich kritisch analysiert wurden. Deshalb konnte dieses Gemisch aus Gerüchten, Halbwahrem, Selbsterlebtem und purer Ideologie ungeprüft weiterleben, bis es sich dann während der 30er Jahre unter dem Einfluss der Rassenideologie erst recht radikalisierte. Wie gefährlich die Wirkung dieses Denkens war, zeigte sich dann erstmals während des Feldzugs gegen Polen 14 .

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Fest, Hitler, S. 838. Halder, Kriegstagebuch, B d . I I , S . 3 2 0 (Eintrag v o m 1 7 . 3 . 1 9 4 1 ) . Vgl. auch ebda., S.336Í. (Eintrag vom 3 0 . 3 . 1 9 4 1 ) . Vgl. etwa die „Blaupausen" des Generalquartiermeisters, die im Ton etwas moderater sind und stärker zwischen den Völkern der Sowjetunion zu differenzieren suchen, ansonsten aber in ihrem Ergebnis auf dasselbe Ziel hinauslaufen, in: Müller, Kriegsrecht oder Willkür? N a c h d e m sich die provisorische französische Regierung im September 1870 die Francs-tireurs unterstellt hatte, wurde im Winter 1 8 7 0 / 7 1 ihr „Volkskrieg" für die deutsche Armeen zu einem echten Problem. A u c h dies war ein Grund für Bismarck, diesen Krieg möglichst schnell zu beenden. Vgl. Hillgruber, Bismarcks Außenpolitik, S. 124f.; Kolb, Der schwierige Weg zum Frieden, S.9f.; Best, Humanity, S. 191. Vgl. etwa Wieland, Belgien 1914; Alan Kramer, „Greueltaten"; H o r n e / K r a m e r , Deutsche Kriegsgreuel 1914; Hull, Absolute Destruction. Vgl. Lieb, Aufstandsbekämpfung im strategischen Dilemma. Vgl. hierzu Böhler, Auftakt; Rossino, Hitler strikes Poland; Hürter, Heerführer, S. 177ff., 405, wobei hier - im Gegensatz zu Böhlers Deutung - an der These festgehalten wird, dass es sich beim Feldzug gegen Polen noch nicht um einen Vernichtungskrieg handelte.

5.5 Partisanen

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Doch beruhte die deutsche Angst vor „ d e m " Partisan auch auf militärischem Kalkül. Denn den deutschen Verantwortlichen war von Anfang an klar, dass es sich beim deutschen Operationsplan gegen die Sowjetunion um ein hochriskantes Unternehmen handelte, wie die Analyse der klassischen militärischen Trias: Zeit, Raum und Kraft, belegt: - Das „Unternehmen Barbarossa" hatte nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine militärische Entscheidung in kürzester Zeit fiel. Schon deshalb musste die Wehrmacht, wollte sie nicht in der Unendlichkeit der Sowjetunion verbluten, jede Verzögerung ihrer Offensive verhindern. Bei unübersichtlichen und zeitzehrenden Guerilla-Kämpfen bestand die große Gefahr, dass sich die deutschen Angriffskeile im Gestrüpp des „Kleinen Krieges" verfangen und ihre Stoßkraft erlahmen würde. - Dass die Kontrolle des sowjetischen Riesenreichs kein leichtes Unterfangen sein würde - problematisch waren nicht nur die schiere Größe, sondern auch die Wegeverhältnisse sowie die klimatischen und geographischen Verhältnisse (angefangen mit den Pripjet-Sümpfen) - wussten selbst die Optimisten in der deutschen militärischen Führung. D a s Beispiel Napoleons blieb unvergessen 1 5 , so dass die Frage, wie man eigentlich ein Besatzungsgebiet dieser Größe „gegen Aufruhr, Sabotage und feindliche Fallschirmtruppen'' 1 6 sichern könne, durchaus Beachtung fand. - Doch blieb diese Frage ungelöst. Das deutsche Ostheer mochte gewaltig sein, verglichen mit der Roten Armee war es schwach. Dass ausgerechnet der Angreifer dem Verteidiger quantitativ (und wie sich bald herausstellen sollte, auch qualitativ) unterlegen war, widersprach jeder militärischen Doktrin. Angesichts dieser Voraussetzungen war es unausweichlich, dass das Ostheer für die militärische Sicherung der riesigen rückwärtigen Räume zunächst kaum Kräfte übrig hatte. Neben Himmlers Hilfstruppen sollten anfangs nicht mehr als neun Sicherungsdivisionen das gesamte Rückwärtige Heeresgebiet kontrollieren. All das waren für die Deutschen keine Variablen: Weder ließ sich das Ostheer vergrößern 1 7 , noch konnte man Abstriche am Zeitplan dieses „Blitzfeldzugs" machen 1 8 . U n d auch die Größe der Sowjetunion ließ sich kaum kompensieren 1 9 , vor 15

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Vor Beginn und während des deutsch-sowjetischen Krieges gehörten die „Denkwürdigkeiten" des Armand de Caulaincourt (1773-1827) immer wieder zur bevorzugten Lektüre der deutschen militärischen Elite, wahrscheinlich die folgende Ausgabe: Friedrich Mathaesius (Hrsg.), Mit Napoleon in Rußland, Bielefeld 1938. Vgl. Blumentritt, Moscow, S. 42; Praun, Soldat in derTelegraphen- und Nachrichtentruppe, S. 154; Hartmann, Halder, S. 348; Hürter, Heerführer, S. 252 sowie PA-AA, R 60704: A O K 2, Abt. I c/VAA, Schreiben an LR von Rantzau vom 6.8.1941. So das O K W in seinen „Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr.21" vom 13.3.1941 mit Blick auf die Wehrmachtsbefehlshaber. Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S. 8891, hier S.90. Die Wehrmachtsführung hatte die übrigen deutschen Besatzungsgebiete bis an die Grenze des militärisch Akzeptablen entblößt. Vgl. Hillgruber, Hitlers Strategie, S.457ff., insbes. S.458 mit Anm.4. Vgl. hierzu Frieser, Blitzkrieg-Legende, S.437ff.; zu Hitlers Weltblitzkriegsplan vgl. Hillgruber, Hitlers Strategie, S.316ff. Diese Probleme wurden - mit Ausnahme der strukturellen Schwäche des Ostheers - bereits in der Präambel des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses angedeutet: „Die weite Ausdehnung der Operationsräume im Osten, die Form der dadurch gebotenen Kampfesführung und die Besonderheit

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5. Verbrechen

allem dann nicht, wenn große Teile des deutschen Ostheers Krieg führten wie zu Napoleons Zeiten - zu Fuß oder mit Pferd. Schon vor Kriegsbeginn war absehbar, dass die rückwärtigen Gebiete mit ihren dünnen, schnell wachsenden Versorgungslinien zur Achillesferse des deutschen Ostheers werden mussten. Den deutschen militärischen Planern schien das Problem nur dadurch lösbar, wenn sie „bereits gegen aufkeimendes Aufstehen der Bevölkerung" mit größter Härte vorgehen würden 20 . Terror hieß das Allheilmittel, notfalls auch präventiv. Ohne die „schnelle Befriedung" des Besatzungsgebiets21, so die Forderung des O K H , war dieser Blitzfeldzug nicht zu realisieren. Sichtbarster Ausdruck dieser Intention war der Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet „Barbarossa" und über besondere Maßnahmen der Truppe, genannt: Kriegsgerichtsbarkeitserlaß, den Keitel als Chef des O K W am 13. Mai 1941 unterzeichnete, der aber erst seit Anfang Juni an die Truppe ausgegeben wurde 22 . Es hat wohl nichts gegeben, was das Verhalten des Ostheers so nachhaltig beeinflusst haben dürfte, wie dieser Erlass. Er war der große Freibrief für die in der Sowjetunion eingesetzten deutschen Soldaten, weil Hitler und seine militärischen Berater mit diesem scheinbar spröden Dokument, dessen Bedeutung die Nachwelt lange unterschätzt hat, zwei entscheidende Weichenstellungen vornahmen: - Sie entzogen, erstens, die sowjetische Zivilbevölkerung der ordentlichen Kriegsgerichtsbarkeit und stellten sie dem Gutdünken der Truppe anheim: Freischärler waren „schonungslos zu erledigen", bei .tatverdächtigen Elementen' hatte ein Offizier über deren Erschießung zu entscheiden. Offiziere in höherrangigen Funktionen konnten auch „kollektive Gewaltmaßnahmen" gegen ganze Ortschaften anordnen, „aus denen die Wehrmacht hinterhältig oder heimtückisch angegriffen wurde". Gleichzeitig verbot der Erlass die längere Verwahrung Verdächtiger. „Das drängte die Truppe zur Alternative: Erschießen oder Laufenlassen."23 - In seinem zweiten Teil hob der Kriegsgerichtsbarkeitserlass den „Verfolgungszwang" für alle Straftaten auf, die Wehrmachtsangehörige „gegen feindliche [!] Zivilpersonen begehen". Der Gerichtsherr habe nur noch zu prüfen, „ob in solchen Fällen eine disziplinare Ahndung angezeigt oder ob ein gerichtliches Emdes Gegners stellen die Wehrmachtsgerichte vor Aufgaben, die sie während des Verlaufs der Kampfhandlungen und bis zur ersten Befriedung des eroberten Gebiets bei ihrem geringen Personalbestand nur zu lösen vermögen, wenn sich aie Gerichtsbarkeit zunächst auf ihre Hauptaufgabe beschränkt." Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.306. 20

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So der Generalquartiermeister Wagner am 1 6 . 5 . 1 9 4 1 in einer Besprechung mit den Abwehrund Versorgungsoffizieren des Ostneers. Zit. bei: Hürter, Heerführer, S. 249. Erlass des O b d H v o m 2 4 . 5 . 1 9 4 1 , Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.307f., hier S.307. Ein halbes Jahr später sollten die deutschen Militärs bei den sowjetischen Kriegsgefangenen eine ähnliche Lösung praktizieren. Anstatt sich das eigene U n v e r m ö gen wie überhaupt das Illusionäre dieses ganzen Kriegsprojekts einzugestehen, suchten sie einen Ausweg, indem sie das Versorgungsproblem einfach auf eine andere Gruppe abwälzten. Vgl. hierzu Kap.5.3. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.305ff. Zur Entstehung und Bedeutung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses vgl. Messerschmidt, Wehrmacht, S.407ff.; Krausnick, Kommissarbefenl; Streit, Kameraden, S. 33 ff; Förster, Unternehmen „Barbarossa", S.426ff.; Hartmann, Halder, S.245ff.; Gerlach, Morde, S. 87ff.; Arnold, Wehrmacht, S. 133 ff.; Hürter, Heerführer, S. 2 4 8 ff.; Römer, Kriegsgerichtsbarkeitserlass, insbes. S.53ff. Hürter, Heerführer, S.250.

5.5 Partisanen

703

schreiten notwendig" sei. Kurz zusammengefasst hieß das, dass „praktisch jedem Soldaten das Recht" eingeräumt wurde, „auf jeden Russen, den er für einen Freischärler hält - oder zu halten vorgibt - von vorne oder von hinten zu schießen", wie der Generalfeldmarschall von Bock noch vor Kriegsbeginn missvergnügt konstatierte 24 . Beide Regelungen standen in einem engen Zusammenhang. Die potentiellen Täter sollten amnestiert, den potentiellen Opfern sollte jeder rechtliche Schutz genommen werden. Anders gewendet: Die Wehrmacht sollte quasi in einem rechtsfreien Raum agieren; dazu gehörte auch, dass das traditionelle Prinzip der Fürsorge ersetzt werden sollte durch das Prinzip der blanken Willkür 25 . Für die deutsche Führung besaß dieses Ziel oberste Priorität: In einer Art Merkblatt, den „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland", die das OKW vor Kriegsbeginn an alle im Osten eingesetzten Formationen verteilte, forderte es noch einmal „rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jedes aktiven oder passiven Widerstandes" 26 . Bei drei Besprechungen mit ausgesuchten Stabsoffizieren des Ostheers - am 16. Mai in Wünsdorf mit dem Generalquartiermeister Wagner und Oberst-Kriegsgerichtsrat Erich Lattmann 27 sowie am 1 O.Juni in Allenstein und am 11. Juni in Warschau, beides Mal geleitet von Generalleutnant Eugen Müller 28 , wurde die Führung noch deutlicher; im Krieg gegen die UdSSR habe „Rechtsempfinden u[nter] U[mständen] hinter Kriegsnotwendigkeit zu treten". Man solle zum „alten Kriegsbrauch" zurückkehren, das hieße: „Träger der feindlichen Einstellung nicht konservieren, sondern erledigen." Noch am 25. Juli - der Krieg war längst im Gange - erließ Müller einen Befehl, der „unverzüglich kollektive Gewaltmaßnahmen" auch dort forderte, „wo sich passive Widerstände abzeichnen", oder dort, wo „die Täter nicht sofort festgestellt" werden könnten 29 . Damit konnten die Truppenführer im Grunde tun, was sie wollten, was freilich auch bedeutete, dass die Verantwortung bei ihnen lag; die Führung hatte sie dorthin abgeschoben 30 . Doch war der Kriegsgerichtsbarkeitserlass nicht so eindeutig, wie es zunächst schien. Zwar teilten die meisten Militärs Hitlers Meinung über die Freischärlerei 31 , über die Bekämpfung dieses Phänomens existierten in der Truppe aber mehr 24 25

26 27 28 29 30 31

Bock, Tagebuch, S. 190 (Eintrag vom 4.6.1941). Dazu gehörte etwa auch die Anordnung des OKW, Quartierleistungen und Kriegsschäden nicht zu entschädigen. Allerdings sollten die übrigen Requirierungen bezahlt werden. OKW/WFSt/ Abt. L (IV/Qu.) vom 19.5.1941, Druck: Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 45-54, hier S.48, 52. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.312. Vgl. Gerlach, Morde, S.88 mit Anm.317. Vgl. Jacobsen, Kommissarbefehl, Dok. 14. Ferner Förster, Unternehmen „Barbarossa", S.433f.; Gerlach, Morde, S. 89; Hürter, Heerführer, S.253. OKH/Gen. z.b.V., Erlass vom 25.7.1941, Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.349f., hier S.350. Vgl. hierzu Förster, Unternehmen „Barbarossa", S.433. Auch das O K H forderte schon früh ein „selbstbewußtes und rücksichtsloses Auftreten gegenüber den deutschfeindlichen Elementen" in der sowjetischen Gesellschaft; jeden aktiven oder passiven „Widerstand der Zivilbevölkerung" wollte das O K H „mit scharfen Strafmaßnahmen im Keime" ersticken. OKH/GenStdH/GenQu., Abt. Kriegsverwaltung (Besondere Anordnungen für die Versorgung, Ani. 6, Teil C) vom 3.4.1941, Druck: Fall Barbarossa, S. 299-304, hier S. 301.

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5. Verbrechen

als eine Auffassung. Es war daher Ausdruck der vielen Widersprüchlichkeiten, denen sich die Wehrmacht damals ausgesetzt sah, wenn derselbe Erlass, der das Töten und anderes mehr erlaubte, aber nicht ausdrücklich befahl, gleichzeitig an „die Aufrechterhaltung der Manneszucht" erinnerte und Strafverfolgung für jene deutschen Verbrechen androhte, die sich nicht allein militärisch oder ideologisch legitimieren ließen. Schon das eröffnete gewisse Spielräume. Aufschlussreich ist etwa, dass sich Hitler noch im Dezember 1942 darüber beklagte, „daß einzelne in der Bandenbekämpfung eingesetzte Angehörige der Wehmacht wegen ihres Verhaltens im Kampf nachträglich zur Rechenschaft gezogen" würden 32 , und aufschlussreich ist auch, dass bereits die Drahtzieher in den obersten deutschen Kommandobehörden ihre Zweifel daran hatten, ob „die" Truppe so auf Kriegsgerichtsbarkeitserlass reagieren würde, wie sie sich das vorstellten. Die Prinzipien, die ihr „zugemutet" würden - so resümierten die Rechtsexperten im O K W im Mai 194133 „ließen sich im Verlauf der Kampfhandlungen und bis zur ersten Befriedung von der Truppe durchführen. Schon für diese Zeit sei es wahrscheinlich, daß die Offiziere viel weniger scharf sein würden als die an Härte bei Urteilssprüchen gewöhnten Richter." Doch sprechen noch mehr Punkte dafür, dass die Truppe nicht immer so auf diesen Erlass reagierte, wie sich das seine Verfasser vorstellten. Gerade die älteren Militärs, die noch den Ersten Weltkrieg und die Jahre danach erlebt hatten, hofften, dass mit dem deutschen Angriff die sowjetische „Völkerfamilie" rasch zerfallen würde 34 , so dass ihnen schon deshalb die „Zubilligung gewisser Freiheiten und materieller Vorteile" 35 ratsam schien. Ganz davon abgesehen hielten viele Militärs Abstriche an der Disziplin der Truppe für undenkbar. Rückendeckung bekamen sie durch die ergänzende Weisung vom 24. Mai 1941, dem so genannten Disziplinarerlaß, in der der Generalfeldmarschall von Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres daran erinnerte, dass „Bewegung und Kampf" die „eigentliche Aufgabe der Truppe" seien. Dies verlange „vollste Sammlung und höchsten Einsatz aller Kräfte. Diese Aufgabe darf an keiner Stelle in Frage gestellt sein. Besondere Such- und Säuberungsaktionen scheiden daher im allgemeinen für die kämpfende Truppe aus." 36 Auch empfahl er eine differenzierte Bestrafung der sowjetischen Bevölkerung 37 , nicht immer aber ihr sofortiges Erschießen. Und: „Der einzelne Soldat darf nicht dahin kommen, daß er gegenüber Landeseinwoh32 33

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Weisung des O K W vom 16.12.1942, in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 139f. O K W / W R , Schreiben an Chef WFSt vom 9.5.1941. Faksimile: Verbrechen der Wehrmacht, S.45f. Die spätere Bemerkung des wohl informierten Helmuth James von Moltke, es könne keine Rede davon sein, dass der Krieg gegen die Sowjetunion „ein militärischer Spaziergang" sei, „unterstützt durch Unruhen in Rußland", reflektiert sehr genau die Erwartungen vieler deutscher Militärs. Moltke, Briefe an Freya 1939-1945, S.259 (Brief vom 1.7.1941). ObdH, Besondere Anordnungen für die Versorgung, Ani. 6, Teil C vom 3.4.1941, in: Moritz (Hrsg.), Fall Barbarossa, S. 299-304, hier S.302. ObdH, Erlass betr. „Behandlung feindlicher Zivilpersonen und Straftaten Wehrmachtsangehöriger gegen feindliche Zivilpersonen" vom 24.5.1941, Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.307f. Damit stand er im O K H nicht allein. So wollte der Generalquartiermeister Wagner schon im Februar 1941 die sowjetfeindliche Bevölkerung „den deutschen Interessen, gegebenenfalls unter Zubilligung gewisser Freiheiten und materieller Vorteile, nutzbar" machen. Druck: Müller, Kriegsrecht oder Willkür?, S. 141.

5.5 Partisanen

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nern tut und läßt, was ihm gut dünkt, sondern er ist in jedem Fall gebunden an die Befehle seiner Offiziere." 3 8 Zweifellos zielten diese verschiedenen Ergänzungen in erster Linie auf „die Wahrung der Truppendisziplin" 39 . Das muss aber nicht heißen, dass sich ihre Wirkung allein darauf beschränkte. Wenn behauptet wurde, es mache keinen Unterschied, „ob eine disziplinierte Truppe oder eine wilde Soldateska ein Dorf niederbrennt und seine männlichen Einwohner ermordet" 40 , dann mag das für diesen speziellen Fall durchaus gelten. Doch übersieht eine solche Argumentation, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob die Entscheidung bei jedem Soldaten liegt oder nur bei einigen Offizieren. Im ersten Fall sind - schon statistisch gesehen - Gewaltausbrüche sehr viel wahrscheinlicher 41 . Eine Verwilderung einer Truppe hat nicht nur Auswirkungen auf deren Disziplin. Spätestens in einem solchen Fall droht - wie die Geschichte des Krieges wieder und wieder lehrt - eine Situation, in der kollektive und individuelle Motive zunehmend verschmelzen. So gesehen scheint die Frage durchaus berechtigt, ob sich das Ostheer ohne diese Zusätze nicht noch schneller und nicht noch viel mehr radikalisiert hätte, als es dies ohnehin tat. Trotz dieser Interpretationsmöglichkeiten, die diese Ergänzungen eröffneten, konnten sie aber an der Substanz des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses nichts ändern. Mit ihm war eine alte Rechtstradition, die sich schon lange vor ihrer Kodifizierung ausgebildet hatte, unterbrochen worden. Die prinzipielle Bedeutung dieses Rahmenbefehls lässt sich daher kaum überschätzen, er wurde zur Grundlage der deutschen Gewaltpolitik in der Sowjetunion, ohne die sich auch die Radikalisierung des Partisanenkriegs in der Sowjetunion nicht erklären lässt. Die Entscheidung hierzu fiel auf deutscher Seite schon vor Beginn des Krieges, mit der Ausgabe dieses Erlasses an die Truppe. Wie aber hat diese darauf reagiert? Dass sie die Widersprüchlichkeiten und Freiräume, die in diesem Erlass angelegt waren, durchaus erkannte, belegt schon die schriftliche Umsetzung durch die Truppenführung 42 . Von den fünf Verbänden unseres Samples hat die 296. ID den Erlass bereits bei seiner Weitergabe in einigen Details schriftlich verändert 43 . Sah dieser ursprünglich vor, dass jeder Offizier über 38

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Mit seinen moderaten Kommentaren blieb der Oberbefehlshaber des Heeres nicht allein. Auch der Generalfeldmarschall Fedor von Bock hatte als Oberbefehlshaber der größten deutschen Heeresgruppe Probleme mit dem Kriegsgerichtsbarkeitserlass, so dass sein Heeresgruppenkommando noch einige „Zusätze" formulierte. Vgl. Bock,Tagebuch, S.190ff. (Einträge vom 4.6.1941 ff.); Fall Barbarossa, Dok. 101 (S. 323f.); Streit, Kameraden, S.44; Hürter, Heerführer, S.251f. So Gerlach, Morde, S. 89. In diesem Sinne etwa auch Rass, „Menschenmaterial", S. 272; Römer, Kriegsgerichtsbarkeitserlass, S. 64 ff. So Hürter, Heerführer, S.255. Wenn beispielsweise Rass („Menschenmaterial", S.345f.) mit dem Ansteigen der Strafverfahren gegen deutsche Soldaten während der zweiten Hälfte des Jahres 1941 deren „Radikalisierung" zu belegen sucht, so ließe sich mit einem solchen Hinweis auch das glatte Gegenteil beweisen. Auch in der 253. Inf. Div. arbeiteten die Kriegsgerichte noch, so dass auch deren Rechtsprechung - erst recht in einem militärischen Apparat - Normen setzen musste. Vgl. auch Förster, Unternehmen „Barbarossa", S.435; Römer, Kriegsgerichtsbarkeitserlass, S. 81 ff. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1633: 296. Inf. Div., Abt.I a, Befehl vom 21.6.1941, Anlage 6: „Richtlinien für die Behandlung feindlicher Zivilpersonen". Auch zum Folgenden. Vgl. auch IfZ-Archiv, MA 1783/2: 296. Inf. Div., Abt.Ia, Kriegstagebuch, Eintrag vom 17.6.1941: „Dann erfolgte eine Einweisung über das Merkblatt des O.K.H. über Verhalten der Truppe in Rußland und den Erlaß des Führers über Behandlung feindl. Zivilpersonen."

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5. Verbrechen

die Erschießung „tatverdächtiger Elemente" entscheiden könne (1.4), so verengte man das bei der 296. ID auf einen sehr viel enger gezogenen Kreis, auf die Offiziere „mit den Befugnissen [mindestens] eines nicht-selbstfändigen] Bat[ail]l[ons]K[omman]deurs". Allein diese hätten zu entscheiden, „ob die Verdächtigen zu erschießen oder freizulassen sind" - die zweite Variante wurde in der Vorlage des O K W nicht erwähnt. Auch die übrigen Modifikationen der Divisionsführung gegenüber der Empfehlung des O K H , in verdächtigen Ortschaften „30 Mann erschießen" zu lassen 44 , wollte die 296. ID, dass „der oder die Orts-Sowjets festgenommen und erschossen werden" 4 5 - , lassen erkennen, dass die Führung dieses Verbands für eine gemäßigtere Besatzungspolitik plädierte. Auch diese war mörderisch. Trotzdem besaß man hier den Mut, die offiziellen Vorgaben abzuschwächen, noch dazu schriftlich, wie auch die folgenden Passagen verdeutlichen: „Das Abbrennen von Ortschaften und Häusern als ,Strafmaßnahme1 hat zu unterbleiben. Dadurch werden nur Vorräte und Unterbringungsmöglichkeiten der Truppe vernichtet. Desgleichen sind Ortschaften nur zu evakuieren, wenn es die Kampftätigkeit wirklich erfordert." Bemerkenswert sind auch die Grundsätze zu Beginn dieser Richtlinien: die Kommandeure seien verantwortlich für „schnelle und gerechte Maßnahmen, Verhinderung jeglicher Willkürakte, Aufrechterhaltung strengster Disziplin, Wahrung der Ehre des deutschen Soldaten." All das wurde der Truppe nicht vorenthalten: „Keine wilde und planlose Schießerei in den ersten Tagen - nicht jeder Zivilist schießt" 4 6 , lautete die Parole, die ein Regimentskommandeur dieser Division ausgab. Auch die 4. Panzerdivision erhielt eine Version des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses, die modifiziert worden war - wenn auch nicht in diesem Ausmaß und auch nicht durch sie selbst. Vielmehr hatte Generaloberst Heinz Guderian als Befehlshaber der Panzergruppe 2 am 9.Juni 1941 entschieden, dass die entsprechenden Maßnahmen „nicht durch einzelne Leute (auch nicht durch Offiziere als Zugführer), sondern in einem schnellen Feldgerichtsverfahren zu tätigen" seien 47 . Damit hatte man auch hier den Kreis der Verantwortlichen eingeschränkt und ihnen sogar die Möglichkeit eines einigermaßen formalisierten Verfahrens (freilich in Form eines Feld-, nicht Kriegsgerichts!) eingeräumt. Doch waren das nur Änderungen im Detail. Mit Blick auf unser Sample heißt das: Es war prinzipiell durchaus möglich, diesen Erlass im Sinne des Prinzips der Auftragstaktik zu modifizieren, doch war dazu offenbar nur eine Minderheit bereit. Spielräume im Partisanenkrieg eröffnete aber nicht allein die deutsche Befehlsgebung, sondern auch die internationale Rechtslage.

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So der Generalquartiermeister Wagner am 1 6 . 5 . 1 9 4 1 in einer Besprechung mit den Abwehrund Versorgungsoffizieren des Ostheers. Zit. bei: Gerlach, Morde, S.88. Weiter heißt es: „Dabei ist es wichtig, daß auch wirklich der Orts-Sowjet herausgegriffen wird und diese Maßnahme der Bevölkerung bekannt wird." B a y H S t A , Abt. IV, N L Thoma 3: Tagebuch, Eintrag v o m 3 . 6 . 1 9 4 1 . Vgl. auch ebda., Eintrag v o m 1 7 . 6 . 1 9 4 1 : Ein „Erschießen von Zivilisten [sei] im Kampf selbstverständlich, wenn sie die Truppe angreifen, sonst nur auf Befehl eines B[a]t[ail]l[ons-]K[omman]d[eu]rs. Kein Anzünden von Häusern als Strafe für Einwohner!" Zit. bei: Römer, Kriegsgerichtsbarkeitserlass, S.71.

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5.5.2 Internationale Rechtslage Im Gegensatz zu vielen anderen Verbrechen der Wehrmacht fällt ein Urteil über ihre Rolle im Partisanenkrieg auch deshalb schwerer, weil der juristische Referenzrahmen unzureichend war. Der militärischen und politischen Wirklichkeit der 40er Jahre wurde die Haager Landkriegsordnung, die 1899 in Kraft getreten und 1907 noch einmal geringfügig modifiziert worden war, jedenfalls kaum gerecht. Spätestens mit Beginn eines flächendeckenden Partisanenkriegs im Rücken der gegnerischen Besatzungsmacht erhielten - neben einer Reihe kleinerer völkerrechtlicher Probleme - zwei juristische Fragen zentrale Bedeutung: Kombattantenstatus und Repressalmaßnahmen. Unter welchen Bedingungen schien ein irregulärer Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht legitim? Und: Wie weit waren wiederum deren Gegenmaßnahmen juristisch vertretbar? Der erste Aspekt war relativ präzise geregelt, zumindest unter formalen Gesichtspunkten. Als Kombattant galt - unabhängig davon, ob es sich bei ihm um einen Soldaten, einen Milizionär oder einen Freiwilligen handelte - , wer die folgenden vier Forderungen erfüllte: (1) Unterstellung unter einen verantwortlichen Vorgesetzten, (2) Tragen eines aus der Ferne erkennbaren Abzeichens, (3) offenes Führen der Waffen und (4) Beachtung der Gesetze und Gebräuche des Krieges (Art. 1 H L K O ) 4 8 . Mit Hilfe dieser vier Prinzipien ließ sich relativ klar definieren, ob im völkerrechtlichen Sinne legal gekämpft wurde oder nicht. Schwieriger wurde es bei Artikel 2 der H L K O . Er erlaubte der „Bevölkerung eines nicht besetzten Gebiets", den eindringenden Gegner zu bekämpfen, falls sie keine Zeit gehabt hatte, „sich nach Artikel 1 zu organisieren" 49 . Allerdings mussten auch diese Milizionäre „die Gesetze und Gebräuche des Krieges" beachten, sie mussten die Waffen offen führen 50 und sie durften nur im „nicht besetzten Gebiete" kämpfen. Diese Form der Kriegführung hatte spätestens dann zu enden, wenn die militärische Besetzung eines Gebiets abgeschlossen war. Während ihres Einmarsches war dagegen der Kampf paramilitärischer Einheiten gegen die Wehrmacht völkerrechtlich legitim, wobei die Frage nach der Beachtung der Gesetze und Gebräuche des Krieges und mehr noch nach dem offenen Führen der Waffen denkbar viele Auslegungsmöglichkeiten boten. Mehr Rechte hatte die Haager Landkriegsordnung der Zivilbevölkerung jedoch nicht eingeräumt, erst recht nicht ein festgeschriebenes Widerstandsrecht. Noch weniger definiert waren die Sanktionsmöglichkeiten der Besatzungsmacht 51 . Geregelt war lediglich die Fürsorgepflicht der Okkupationsmacht (Art. 43 H L K O ) . Wie aber sollte sie auf Rechtsverletzungen durch die Bevölkerung 48

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Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S. 50. Zur historischen und völkerrechtlichen Entwicklung vgl. Büß, Kombattantenstatus. Das wurde durch die Kriegssonderstrafrechtsverordnung anerkannt. IfZ-Archiv, Da. 034.0083/13: H.Dv. 3/13: Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom 17.8.1938, hier § 3, Abs. 3. Art. 2 H L K O , Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S.50. Auch in der Zwischenkriegszeit war man hier zu keiner befriedigenden Lösung gekommen. Vgl. Best, Humanity in Warfare, S.232f.

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5. Verbrechen

eines besetzten Gebietes reagieren? Dass „Freischärlern [ . . . ] mit dem Tode bestraft" werden sollte, war nicht allein eine Bestimmung des nationalen deutschen Rechts, der so genannten Kriegssonderstrafrechtsverordnung

vom

17. August

193 8 5 2 , es entsprach auch dem internationalen Gewohnheitsrecht. Völlig unklar war dagegen die Frage der Geiselnahme und -tötung. Die Juristen waren damals in dieser Frage gespalten. „Außerhalb der deutschen Völkerrechtsschule wurde sie nur von wenigen Autoren für zulässig gehalten" 5 3 , so dass im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess Geiseltötungen und Repressalien schon aufgrund des exzessiven deutschen Missbrauchs prinzipiell als Kriegsverbrechen bewertet wurden. In den Folge-Prozessen, insbesondere während des „Südosteuropa-Prozesses" und des „ O K W - P r o z e s s e s " (beide 1947/48), kamen die amerikanischen Richter dagegen zu einem anderen Ergebnis: unter bestimmten, eng begrenzten Voraussetzungen, könnten Geiseltötungen und Kriegsrepressalien auch erlaubt sein 5 4 . D o c h warf der Partisanenkrieg noch mehr Fragen auf, die juristisch ungeklärt waren: Wie weit war etwa ein Kampf von Kombattanten in bereits besetzten

Ge-

bieten legitim 5 5 ? Wann hatte ein Gebiet überhaupt als besetzt zu gelten 5 6 ? Welchen Status hatten jene Partisanen, die sich nicht zur Sowjetunion bekannten, die sich also nicht einer bestimmten politischen Einheit zuordnen ließen? U n d wie war eine Gruppe zu bewerten, die sich aus Kämpfern zusammensetzte, die zum Teil den Kombattanten-Status besaßen und zum Teil nicht? Kollidierte das Gebot zum 52

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IfZ-Archiv, Da. 034.008-3/13: H.Dv. 3/13: Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom 17.8.1938, hier §3, Abs. 1: „Wegen Freischärlerei wird mit dem Tode bestraft, wer, ohne als Angehöriger der bewaffneten feindlichen Macht durch die völkerrechtlich vorgeschriebenen äußeren Anzeichen der Zugehörigkeit erkennbar zu sein, Waffen oder andere Kampfmittel führt oder in seinem Besitz hat, in der Absicht, sie zum Nachteil der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu gebrauchen oder einen ihrer Angehörigen zu töten, oder sonst Handlungen vornimmt, die nach Kriegsgebrauch nur von Angehörigen einer bewaffneten Macht in Uniform vorgenommen werden dürfen." Ferner IfZ-Archiv, Da 034.008-92.1: Handbuch für den Generalstabsdienst im Kriege, Teil I, Berlin 1939, insbes. S. 105 ff.; Delacor, Attentate und Repressionen, Dok. 1. Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 636. Ferner Hammer/Salvin, The Taking of Hostages, S. 32 f.; Albrecht, War Reprisals, S. 602 f. Diese Voraussetzungen waren: 1.) Es muss ein illegaler Akt des Gegners vorliegen; 2.) es muss versucht werden, den Täter zu ermitteln; 3.) die Repressalie muss angekündigt und die Exekution ggfs. von einem Gericht angeordnet sein; 4.) Repressalien und Geiseltötungen müssen unter klar definierter Verantwortung durchgeführt werden; 5.) das Prinzip der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein; 6.) es muss eine Verbindung zwischen den Geisel- bzw. Repressalopfern und dem illegalen Akt vorliegen; 7.) die Exekution der Geiseln muss bekannt gegeben werden; 8.) Die Tötung der Geiseln bleibt letztes, äußerstes Mittel. Vgl. Jentsch, Beurteilung summarischer Exekutionen. Ferner: Geisel- und Partisanentötungen im Zweiten Weltkrieg. Hinweise zur rechtlichen Beurteilung. Hrsg. von d. Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen, Masch. Manuskript, Ludwigsburg 1968; Lieb, Konventioneller Krieg, S. 256. Das internationale Völkerrecht unterscheidet zwischen den beiden Begriffen der Treuepflicht und der Gehorsamspflicht. Die kriegerische Besetzung eines Landes kann keine Treuepflicht gegenüber dem Okkupanten begründen, vielmehr behält die Bevölkerung des besetzten Landes ihre alte Staatsangehörigkeit. Allerdings besteht für die Landesbewohner eine Gehorsamspflicht gegenüber dem Okkupanten, dessen Befehlen und Anordnungen sie Folge zu leisten haben. Vgl. Wörterbuch des Völkerrechts, Bd.I, S. 195 ff. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang Art. 42 HLKO: „Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet." Das war zwar im Falle der besetzten Sowjetunion zumindest formal, nicht immer aber praktisch der Fall, so dass schon der Tatbestand der Besetzung Auslegungssache sein konnte. Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S.63.

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offenen Führen von Waffen mit der Kriegslist, die Art. 24 der H L K O erlaubte 57 ? Und: Wann war eine Repressalie noch verhältnismäßig und wann war sie das nicht mehr? Es wäre grundfalsch, die zahllosen Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkriegs allein mit den Lücken und Unklarheiten des internationalen Völkerrechts zu erklären. Ursache dafür waren in erster Linie ein politischer Wille und ein ideologisches Programm, die sich um Recht und Moral wenig scherten. Andererseits wäre es aber auch nicht richtig, die Bedeutung dieser völkerrechtlichen Defizite 58 einfach zu ignorieren, schon weil sie den Rechtsbruch erleichtern mussten und weil sie - was vermutlich noch folgenreicher war die Handelnden in der Praxis des Krieges oft schlichtweg alleinließen. Auch das Verhalten der deutschen Führung trug nicht zur Klärung der Situation bei, schon weil es widersprüchlich war. Faktisch hatte sie bewusst und ohne Not einen Teil des geltenden Völkerrechts außer Kraft gesetzt. Offiziell aber war die Haager Landkriegsordnung (schon aus Rücksicht auf die internationale Öffentlichkeit, den Gegner und nicht zuletzt auch auf die Wehrmacht selbst) nie sistiert worden. Schon deshalb existierten Teilbereiche - erinnert sei etwa an das Kriegsgefangenenwesen, an das System der Parlamentäre, an das Rote Kreuz usw. - , wo sich zumindest die Kriegführung an dem orientierte, was Kriegsrecht und Kriegsbrauch eigentlich vorsahen. Diese Grundsätze waren schon deshalb nicht völlig obsolet geworden, weil neue Rechtsprinzipien nicht an ihre Stelle getreten waren. Zur Klärung der Frage, was im Krieg als legal bzw. als illegal zu gelten hatte, war zumindest die Truppe noch immer auf die Grundsätze des alten Rechts angewiesen. Auch in diesem speziellen Fall ist jenes charakteristische Nebeneinander eines gesetzlichen „Normenstaates" und eines, die gleichen Gesetze ignorierenden „Maßnahmenstaates" zu beobachten 59 . Diese Situation, welche nicht die Truppe zu verantworten hatte, sondern deren Führung, bot mehr Spielräume, als man zunächst vermuten würde. Da die einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen offiziell nie aufgehoben worden waren, konnte man sich - was auch zuweilen geschah - auf sie berufen 60 . Auch das für die Wehrmacht charakteristische Führungsprinzip der Auftragstaktik, die weiten Entfernungen zu den militärischen Zentraldienststellen oder die Tatsache, dass der Kriegsgerichtsbarkeitserlass mehr Auslegungsmöglichkeiten bot, als es auf den ersten Blick schien, förderten die Handlungsspielräume der Truppenführung, freilich auch deren Verantwortung 61 . Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, dass 57

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Art. 22 H L K O bestimmte, dass die Kriegsparteien „kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes" hätten; diese wurden in Art. 23 genannt. Art. 24 bestimmte jedoch definitiv, dass „Kriegslisten" erlaubt seien. Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S.58f. Informationen zur Rechtssituation vor 1945 auch bei: Gimmerthal, Kriegslist und Perfidieverbot, S. 45 ff. Wie unvollkommen die damalige Rechtsordnung war, belegt allein das „IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten", das am 12.8.1949 in Kraft gesetzt wurde und das den Defiziten, wie sie im Zweiten Weltkrieg zutage getreten waren, Rechnung zu tragen suchte. Druck: Die Vier Genfer Abkommen zum Schutze der Opfer des Krieges vom 12.8.1949, S. 112 ff. Vgl. Fraenkel, Der Doppelstaat. Vgl. etwa mit dem Prolog. Vgl. hierzu auch Anderson, 62. Infanterie-Division, S. 311.

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5. V e r b r e c h e n

das damals gültige Völkerrecht zumindest für die Truppe mehr war bzw. mehr sein konnte als nur eine Quantité négligeable. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch ein Aspekt zu beachten: Auch die sowjetische Führung zeigte im Falle des Partisanenkriegs kein großes Interesse an der Einhaltung des Völkerrechts. Zweifellos war dieser Krieg eine Reaktion auf den völkerrechtswidrigen deutschen Uberfall und auf die nicht minder völkerrechtswidrige deutsche Besatzungspolitik. Mit seinem Aufruf vom 3. Juli 1941 hatte Stalin freilich von vorneherein klar gestellt 62 , dass man den Kampf gegen die Deutschen „nicht als einen gewöhnlichen Krieg betrachten" dürfe. Dies sei vielmehr ein „schonungsloser Kampf", bei dem allein das Prinzip der militärischen Effizienz zähle, denn es gehe gegen den „schlimmsten und heimtückischsten Feind, den deutschen Faschismus". Entscheidend ist der sehr frühe Zeitpunkt dieser Proklamation. Stalins Rede datiert vom 3. Juli, der erste Aufruf der sowjetischen Führung zum Partisanenkrieg sogar vom 29.Juni 1941. Damals aber war die Dimension dessen, was die deutschen Besatzer vorhatten, noch längst nicht zu erkennen. Stalins Ansprache allein damit zu rechtfertigen, wäre jedenfalls anachronistisch; auch in seinem Fall handelte es sich - ähnlich wie bei der deutschen Gegenseite um eine auffallend frühe Grundsatzentscheidung. Zwar agierte die Sowjetunion in der Defensive, zwar war sie - gegen jedes Völkerrecht - vom einen auf den anderen Tag überfallen worden, doch hatte auch sie mit der Besetzung von Ostpolen im September 1939, spätestens aber mit dem Angriff auf Finnland zwei Monate später, der Weltöffentlichkeit vorgeführt, dass sie sich in der Frage der Kriegseröffnung ebenfalls souverän über das Völkerrecht hinwegsetzen konnte 6 3 . Schließlich sollte man noch einen völkerrechtlichen Grundsatz hier nicht völlig aus dem Spiel lassen: Beim lus ad bellum (Wozu führt man Krieg?) und beim lus in bello (Wie führt man Krieg?) handelt es sich um zwei Rechtsbereiche, die „vollkommen unabhängig von einander" sind 64 . Gültiges Prinzip war (und ist) vielmehr, „daß das Kriegsrecht in jedem Krieg und für alle Kriegführenden in gleicher Weise galt, ob der Krieg gerecht oder ungerecht, legal oder illegal, ob er Angriffsoder Verteidigungskrieg oder sogenannter Präventivkrieg war [...]". Natürlich ist dieses Prinzip nur begrenzt auf den Ostkrieg übertragbar, bei dem es sich immer auch um einen Völkermord handelte; für viele Juden, Russen oder Ukrainer ging es um das nackte Uberleben. Ihre Interessen aber waren wiederum mit denen der sowjetischen Führung nur zum Teil deckungsgleich. Deren primäres Ziel war die Durchsetzung ihrer Herrschaft, auch in jenen Gebieten, in denen offiziell die Deutschen herrschten. Alles andere hatte sich dieser Absicht unterzuordnen. Alles in allem waren das keine günstigen Voraussetzungen. Ideologische Radikalität und militärisches Nützlichkeitsdenken - die Deutschen suchten ihre Schwäche im Hinterland zu kompensieren, die Sowjets ihre anfängliche Unterlegenheit an der Front - ließen hier einen Krieg im Krieg entstehen, bei dem das Völkerrecht

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Rundfunkrede Stalins v o m 3 . 7 . 1 9 4 1 , Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 3 2 6 - 3 2 9 . Nachdem sowjetische Truppen am 3 0 . 1 1 . 1 9 3 9 die finnische Grenze überschritten hatten, erklärte der Völkerbund die UdSSR am 1 4 . 1 2 . 1 9 3 9 z u m Angreifer und schloss sie aus dem Völkerbund aus. Vgl. hierzu Jakobson, Diplomatie im Finnischen Winterkrieg, S. 215 ff. Karma Nabulsi, lus ad bellum/Ius in bello, in: Gutman/Rieff (Hrsg.), Kriegsverbrechen, S.210f.

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5.5 Partisanen

von vornherein sistiert war. An die sozialen Folgen, die das hatte, verschwendeten beide Diktatoren keine Gedanken, zumindest nicht zu Beginn des Krieges. Angesichts der Grenzen und Unzulänglichkeiten des herrschenden Kriegsrechts wurde ihnen dies leicht gemacht. Anders gewendet: Wären die internationalen Regeln umfassender und vor allem auch präziser gewesen, so wäre es schwieriger geworden, sie zu ignorieren oder gar bewusst zu brechen. Doch hatten die beiden totalitären Diktaturen, die auf diesem Kriegsschauplatz aufeinandertrafen, schon öfters demonstriert, wie rücksichtslos sie sich über diese Prinzipien hinwegsetzen konnten. Entsprechend groß ist die Verantwortung dieser beiden Apparate, in Sonderheit ihrer Führer, für die Exzesse auf diesem Schauplatz des Ostkriegs. Doch gilt auch hier, dass es die deutsche Seite war, die hierzu den ersten Schritt tat. 5.5.3 Beginn: Juni/Juli

194165

Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Für Verbände wie die 4. Panzerdivision, die unter dem größten Erfolgs- und Zeitdruck standen, war die Versuchung groß, „mit den zahlreichen Misshelligkeiten, Reibereien, Seitenhieben, Anschlägen aus der Sphäre des Zivils" 66 kurzen Prozess zu machen 67 . Anfang Juli fanden einige Schützen acht ihrer Kameraden, tot und verstümmelt. Obwohl unklar blieb, warum das so war, füsilierte das Schützen-Regiment 12 daraufhin „über 100 Freischärler" - zur „Vergeltung" 68 . „Unmengen Gefangene sitzen hier herum", schrieb der Leutnant Farnbacher, „und ab und zu verrät ein einzelner Schuß, daß wieder ein Freischärler erschossen worden ist." 6 9 Wieder scheint der Major Hoffmann, der sich auch bei der Umsetzung des „Kommissarbefehls" als Hardliner aufführte 7 0 , der Initiator gewesen zu sein. Farnbacher beobachtete damals, wie er „jeden Abend [...] ein Dorf anzünden" ließ 71 . An seinem Beispiel werden die katastrophalen Folgen des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses wie in einem Brennspiegel er65

66 67

68

69 70 71

Bei der folgenden Darstellung wird nicht nur die Entwicklung im Hinterland der 2. deutschen Armee (Korück 580) berücksichtigt, sondern - wo nötig - auch das Hinterland der 2. deutschen Panzerarmee (Korück 2. Panzerarmee, ab 1.4.1942: Korück 532), in dem seit 1942 immer wieder Teile der 4. Panzerdivision im Einsatz gegen Partisanen waren. Friedrich, Gesetz des Krieges, S.517. Ohne „den rücksichtslosen Kampf gegen die Heckenschützen und Freischärler" hielt das XXIV. Pz. Korps „das schnelle Ende des Feldzugs" für kaum möglich. X X I V . Pz. Korps, Abt. I a, in einem Korpsbefehl vom 25.6.1941. Zit. bei: Römer, Kriegsgerichtsbarkeitserlass, S. 78. In diesem Sinne auch BA-MA, R H 24-24/104: X X I V . Pz. Korps, Abt.I a, Aktenvermerk „Besprechung beim X X I V . Pz. Korps", o . D . [Ende Juni 1941]. Angst hatte man freilich weniger vor der Zivilbevölkerung als vor den umher vagabundierenden Rotarmisten. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1590: XXIV. Pz. Korps, Abt. I c, Meldung an Pz. Gr. 2 vom 27.6.1941. B A - M A , R H 24-24/325: 4. Pz. Div., Abt. I c, Meldung an das X X I V . mot. Korps vom 1.7.1941. Wieweit dieser Vorwurf stichhaltig war, ließ sich anhand der vorliegenden Akten nicht klären. Farnbacher bestätigt, dass man seine Divisionsangehörigen in „bestialischer Weise" hergerichtet habe, „die Schädel eingeschlagen und mit Bajonetten zerstochen". Dort findet sich auch ein Hinweis auf die Bewaffnung der Zivilisten: „So hat auch Hptm. Horn heute morgen mitgebracht, daß unsere Kradschützen über 100 Freischärler erschossen haben, die mit zehn Maschinengewehren, zehn Maschinenpistolen und Flakgeschützen hinübergebracht wurden." BAMA, MSg 1/3268: Fritz Farnbach er, Tagebuch, Eintrag vom 2.7.1941. Vgl. hierzu auch Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S. 67, wo es heißt, die verwundeten Kameraden seien „in Feindeshand" gefallen. B A - M A , MSg 1/3268: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 3.7.1941. Vgl. Kap. 5.1. B A - M A , MSg 1/3269: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 19.7.1941.

712

5. Verbrechen

k e n n b a r . D a s P r o b l e m w a r n i c h t die P s y c h o p a t h o l o g i e des M a j o r s H o f f m a n n , das P r o b l e m w a r , dass sich s o l c h e N a t u r e n n u n u n g e h i n d e r t a u s l e b e n k o n n t e n . T r o t z d e m - u n d das s c h e i n t das eigentlich U b e r r a s c h e n d e - blieb er z u n ä c h s t eine A u s n a h m e . D e n n m e i s t e n s t r a f e n die „ V i e r e r " g e r a d e n i c h t auf das, w a s H i t l e r p r o g n o s t i z i e r t h a t t e - auf eine .total v e r h e t z t e b o l s c h e w i s t i s c h e Statt d e s s e n z e i g t e sich diese o f t „ s e h r f r e u n d l i c h " sofort zu handeln , brachte „Blumensträußchen" 75

73

76

Bevölkerung'72.

und „zutraulich"74, begann o d e r „Salz u n d B r o t " 7 7 .

Es

k a m s o g a r vor, dass die e i n m a r s c h i e r e n d e n P a n z e r s o l d a t e n „ v o n d e r B e v ö l k e r u n g a u c h g e k ü ß t " w u r d e n 7 8 : „Sie h a l t e n u n s o f f e n b a r f ü r B e f r e i e r . " E s s p r i c h t f ü r die 4er, w e n n sie diese C h a n c e n in d e r R e g e l n ü t z t e n ; m i t u n t e r w u r d e n s o g a r Zivilisten medizinisch versorgt79. Bei Verdachtsmomenten - o b begründet oder nicht lässt sich s c h w e r e n t s c h e i d e n - r e d u z i e r t e sich ihr H a n d e l n n i c h t allein auf die g l e i c h e r m a ß e n einfallslose w i e m e n s c h e n v e r a c h t e n d e D i c h o t o m i e des K r i e g s g e r i c h t s b a r k e i t s e r l a s s e s , d e r d a r a u f hinauslief: „ E r s c h i e ß e n o d e r F r e i l a s s e n " 8 0 ;

meist

m a c h t e sie „ Z i v i l g e f a n g e n e " 8 1 , o b w o h l d o c h die V e r w a h r u n g V e r d ä c h t i g e r „ a u s drücklich

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verboten"

war82.

So der Chef O K W über Hitlers Meinung in einem Schreiben an den Chef HRüst u BdE vom 5.7.1941, Druck: Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 104f., hier S. 104. Neumann, 4. Panzerdivision, S.201. In diesem Sinne auch Schaufler, So lebten und so starben sie, S. 44. Vgl. auch PA-AA, R 60759: A O K 4, Abt.I c (VAA), „Bericht Nr. 86" vom 16.7.1941, Anlage „Stimmung der Bevölkerung": „Grundsätzlich sind die Leute durchwegs entgegenkommend und freundlich. Zunächst habe ich mir das nicht erklären können, da sie ja durch unseren Einmarsch bisher nur Negatives, Hunger, Wohnungsnot usw. erfahren haben. Die Freundlichkeit ist auch nicht etwa durch Angst begründet, denn dann würde sich mehr passive Resistenz bemerkbar machen." B A - M A , MSg 1/3268: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 29.6.1941. Wie schnell solche Stimmungen freilich wechseln konnten, belegt ebda., MSg 1/3269: Eintrag vom 31.7.1941, in dem Farnbacher von einer „ängstlichen" Bevölkerung berichtet und sich über ihre „stupide" Stimmung beklagt. Ebda., Eintrag vom 29.6.1941. Generell hierzu Arnold, Wehrmacht, S. 147 ff. B A - M A , MSg 1/3268: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 3.7.1941. Die 4. Pz. Div. erlebte damals, wie ein russischer Bauer zwei schwer verwundete Kameraden „36 Stunden lang vor den bolschewistischen Truppen" versteckte. „Dieses alles unter Lebensgefahr für ihn und seine Frau." O. Verf., Sturm im Osten, S. 53f. B A - M A , Ν 10/9: N L Smilo Frhr. von Lüttwitz, Brief vom 7./8.7.1941: „Im Hause, in dem wir zu 6 das einzige Zimmer bewohnen, betreut uns eine ordentliche Frau. Ecker, Baumbach, Heyden, Stäuber, Tiedemann u. ich liegen zusammen unten im Stroh, alle Panje oben auf dem Ofen. Sie haben ihre Ikonen wieder aufgestellt u. bekreuzigen sich manchmal. In einer anderen Ortschaft brachten sie uns Salz u. Brot, weil wir dort die ersten Deutschen waren." B A - M A , MSg 1 /3268: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 1.7.1941. Auch zum Folgenden. B A - M A , R H 39/373: Hans Luther, fr. San. Ofw. I./Pz. Rgt. 35, Bericht „Privat-Praxis". Vgl. hierzu B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 30.7.1941: „Am 29.7. wurden vom Feldgendarmerietrupp 84 vier Zivilisten im Bereich der Div. aufgegriffen. Die heutige Vernehmung ergab, daß die Leute bereits von einer Gefangenensammelstelle angehalten worden waren, jedoch wiederum mit Ausweisen versehen wurden nach Orten, die sich zur Zeit noch in Feindeshand befinden." Der ergänzende Bericht zeigt freilich eine maßvolle Reaktion der Division; der I c berichtete dem X X I V . Panzerkorps: „Mangels Ausweispapieren konnte den Zivilisten nicht nachgewiesen werden, daß sie Angehörige der Roten Armee sind bzw. zu derselben einberufen wurden; auch sonst machten ihre Aussagen einen immerhin glaubwürdigen Eindruck." B A - M A , R H 27-4/115: 4. Pz. Div., Abt. I c, Meldung an das X X I V . Pz. Korps vom 30.7.1941. B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 18.7.1941: Eingang der „Anweisung über die Behandlung russischer Zivilgefangener". Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 306. Hervorhebung im Original.

5.5 Partisanen

713

Deutsche Panzersoldaten treffen auf russische Zivilisten, Juli 1941 (Quelle: BSB, Fotoarchiv Hoffmann 36501)

Auch bei der 296. Infanteriedivision setzte man damals - erinnert sei an ihre abwägende Reaktion auf den Kriegsgerichtsbarkeitserlass - weniger auf Härte. Das konnten sich die bayerischen Soldaten auch leisten, denn bei ihrem Einmarsch in die Ukraine trafen sie auf eine Woge der Empathie 8 3 , der sie offenbar auch „Rechnung [zu] tragen" verstanden 8 4 . „Die ukrainische Zivilbevölkerung wandte sich in zahlreichen Fällen um Rat und Hilfe" an die Division, vermerkte deren Abteilung I c. Die N ö t e dieser Menschen habe man „in vielen Fällen durch geeignete Maßnahmen behoben oder zumindest gemindert [...], was sich in propagandistischer Hinsicht günstig auswirkte" 8 5 . Auch Plünderungen, Misshandlungen

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BA-MA, MSg 2/5316: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Einträge vom 22.6., 5.7., 6.7., 21.7. und 6.8.1941; BfZ, Slg. Sterz, 04650, Brief L. B. vom 25.7.1941; BayHStA, Abt. IV, N L Thoma 3: Tagebuch, Eintrag vom 1.7.1941: „Wir sind jetzt in einer offenbar sehr deutschfreundlichen Gegend. Uber die Straße ist ein Spruchband gespannt, das auf deutsch und russisch (od. ukrainisch?) sagt: ,Heil Hitler! Das ukrainische Volk begrüßt seinen Befreier, die heldenmütige, siegreiche deutsche Armee.' Wie ich bei der Kirche halte, kommt der ehemalige Lehrer und begrüßt uns. Er spricht einigermaßen deutsch. Dann werden Milch und wundervolle Walderdbeeren gebracht [...] Der Lehrer erzählt sehr interessant. Die Russen scheinen ja während der kurzen Zeit ordentlich gewirkt zu haben. Die Leute hier machen einen wesentlich günstigeren Eindruck wie z.B. die Polen." BA-MA, MSg 2/5316: 296. Inf. Div., A b t . I c , „Feindnachrichtenblatt Nr. 3" vom 4.7.1941: „Unter der Sowjetherrschaft hat das ukrainische Volk bis in die letzten Tage hinein schwerste Blutopfer bringen müssen. Seine deutschfreundliche Haltung kann infolgedessen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, erwartet werden. Dem muß die Truppe Rechnung tragen." IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 30.6.-22.7.1941.

714

5. Verbrechen

o d e r Ü b e r r e a k t i o n e n 8 6 s u c h t e die 2 9 6 . I D d a m a l s n o c h z u u n t e r b i n d e n 8 7 . A l l e r dings k o n n t e diese S t i m m u n g s c h o n d a m a l s u m s c h l a g e n - e t w a d a n n , w e n n ihre Sicherheit g e f ä h r d e t w a r o d e r gar ihr m i l i t ä r i s c h e r A u f t r a g 8 8 , o d e r w e n n sie auf Juden oder Kommunisten traf89. D i e s w a r a u c h bei d e r 45. Infanteriedivision

so; w e n n es z u R e p r e s s a l i e n k a m ,

d a n n g e w ö h n l i c h in F o r m v o n V e r h a f t u n g e n , die a b A u g u s t „ m e h r u n d m e h r ü b e r h a n d " n a h m e n 9 0 , s o das ü b e r g e o r d n e t e A O K 2 . D a s w a r kein Zufall. D e n n diese A r m e e w o l l t e die „ M a s s e d e r B e v ö l k e r u n g " ( n i c h t a b e r die „ a k t i v i s t i s c h e n P a r t e i g ä n g e r " u n d die J u d e n 9 1 ) g u t b e h a n d e l n 9 2 , u n d registrierte befriedigt, dass „die g r o ß e M a s s e d e r S o l d a t e n " sich t a t s ä c h l i c h „ e i n w a n d f r e i g e g e n die r u s s i s c h e Z i v i l b e v ö l k e r u n g " v e r h a l t e 9 3 . E t w a s a n d e r e s w ä r e a u c h w e n i g sinnvoll g e w e s e n . D i e 4 5 . I D e r l e b t e diese als „ n i c h t f e i n d s e l i g " 9 4 , m e i s t h ä t t e m a n „ n u r F r a u e n , K i n d e r und Greise" gesehen95. K e i n e F r a g e : S c h o n d a m a l s k o n n t e die k ä m p f e n d e T r u p p e b r u t a l u n d r ü c k s i c h t s los a u f t r e t e n , v o r allem d a n n , w e n n es u m i h r e e l e m e n t a r e n I n t e r e s s e n ging: Sicherheit, Z e i t p l a n u n d a u c h V e r s o r g u n g . I n d e r P h a s e des B e w e g u n g s k r i e g s aber blieb e n G e w a l t a u s b r ü c h e die A u s n a h m e . D a s lag n i c h t allein d a r a n , dass die B e g e g -

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B A - M A , MSg 2/5316: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 3./4.7.1941, der von der standrechtlichen Erschießung eines Russen durch die 296. I D berichtet, der deren Angehörige mit einem Knüppel angegriffen hatte. Fünf Geiseln, die wegen des Verdachts der Unterstützung festgenommen worden waren, wurden dagegen am nächsten Morgen freigelassen. Ferner IfZArchiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 29.7.-24.8.1941: „Fernsprechkabel-Beschädigungen wurden gemeldet. Es konnte nicht einwandfrei erwiesen werden, ob es sich um Sabotageakte handelt." Vgl. IfZ-Archiv, MA 1634: 296. Inf. Div., Abt.I a, „Divisionsbefehl Nr.52" vom 4.8.1941, in dem der Divisionskommandeur jede „unrechtmäßige Wegnahme von Verpflegungsmitteln" als Diebstahl oder Plünderung bezeichnet; PA-AA, R 60705: A O K 2, O B , Erlass betr. „Verhalten der Truppen in der Ukraine" vom 9.9.1941, in dem noch einmal deutlich gefordert wird, „auf berechtigte Interessen der Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Gegen etwa vorkommende Plünderungen ist mit schärfsten Maßnahmen einzuschreiten." B A - M A , MSg 2/5316: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 22.6.194Iff. Ferner IfZArchiv, M A 1633: Radf. Schw. 296, Meldung an die Pz. Jg. Abt. 296 vom 25.6.1941; die Schwadron erkundigte sich damals bei der Divisionsführung, OD sie eine Gruppe von Zivilisten selbst erschießen dürfe, „zumal diese Personen auch untertags in Brand geschossene Dörfer und Ortschaften wieder zu besetzen pflegen und aus Beutegewehren auf die angreifende Truppe oft ein wohleezieltes und hinterlistiges Feuer abgeben". IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 29.7.-24.8.1941: „Auf Befehl des Rgts.-Kdeurs, I. R. 519, wurde am 30.7. ein Zivilist erschossen, der einwandfrei als Spion erkannt war." B A - M A , R H 24-7/141: Plakat „Bekanntmachung". Dem VII. A.K. war damals die 296. Inf. Div. unterstellt. Vgl. hierzu Kap. 5.1 und 5.4. B A - M A , R H 20-2/1445: A O K 2, A b t . O . Q u . / Q u . 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 1 0 16.8.1941. Sehr wahrscheinlich hatte auch die 45. I D damals eine Exekution von Juden zu verantworten. Vgl. Kap. 5.4. B A - M A , R H 20-2/1090: A O K 2, Abt. I c/A.O., Weisung vom 17.7.1941. In einem Befehl vom 8.8.1941, zit. bei: Hürter, Heerführer, S.451. Auch nach 1945 betonte der ehemalige Oberbefehlshaber der 2. Armee, Gen.oberst Frhr. von Weichs, dass seine Soldaten zwar durch die NS-Propaganda nicht unbeeinflusst gewesen seien, durch den direkten Kontakt hätten sie aber bald „einen Teil der russischen Bevölkerung in ganz anderem Lichte sehen" gelernt. Zitat: Ebda., S.445. Gschöpf, Weg, S. 163. Auch die Feldkommandantur (V) 184, die damals Gebiete übernahm, welche die 45. ID durchquert hatte, berichtete über ein gutes Verhalten der Fronttruppe. IfZArchiv, MA 1661: Feldkommandantur (V) 184, Bericht vom 8.7.1941. Ludwig Hauswedell, Kriegstagebuch 1941/42 (4.5.41-21.4.1942), Kopie im Besitz d. Verf., Eintrag vom 29.7.1941.

5.5 Partisanen

715

nungen zwischen den deutschen Soldaten und den vor Ort lebenden Menschen meist nur kurz und oberflächlich blieben. Viel folgenreicher war, dass diese anfangs meist eben nicht feindselig auf die deutschen Invasoren reagierten, was sich politisch (erinnert sei an die kurz vorher erfolgte sowjetische Machtverschiebung nach Westen) und gesellschaftlich erklären lässt; gerade die Landbevölkerung, mit der die vorrückenden Deutschen am häufigsten zusammen trafen, hatte für den Bolschewismus meist wenig übrig. Im Verhalten der deutschen Soldaten sind wiederum antibolschewistische und auch antisemitische, aber weniger antislawische Motive zu erkennen, selbst wenn sich diese Soldaten den Einheimischen klar überlegen fühlten. Allerdings blieb jene Wehrmachtsangehörigen, die ihre Ressentiments gewaltsam auslebten, damals eindeutig in der Minderheit. Bei den Besatzungsverbänden war das anders, schon weil die Herrschaft über die sowjetische Gesellschaft ihre Kernaufgabe darstellte. Davon abgesehen vollzog sich ihr Vormarsch langsamer und beschränkte sich nicht allein auf die großen Rollbahnen 96 . Vielmehr hatten sie das gesamte Besatzungsgebiet zu „befrieden", auch die „abseits der Straßen gelegenen Dörfer" 9 7 . Gleichwohl war auch ein Verband wie die 221. Sicherungsdivision in den westlichen Teilen des sowjetischen Imperiums zunächst „mit Blumen, Salz und Brot als Befreier vom Sowjet-Joch" begrüßt worden 9 8 . Doch unterließ sie nichts, um diesen Vertrauensvorschuss zu verspielen 99 . Dabei handelte es sich um eine systematische Strategie, nicht um einzelne Ubergriffe. U m „zur totalen politischen und wirtschaftlichen Befriedung" ihres Besatzungsgebietes zu kommen 1 0 0 , schien es ihrer Führung am besten, alle potentiellen Unruhestifter von vorneherein zu paralysieren. Von den schrecklichen Folgen, die diese Strategie des Rundumschlags hatte, war bereits die Rede 1 0 1 und auch von der intensiven Kooperation dieser Sicherungsdivision mit den Einheiten des SS- und Polizei-Apparats 1 0 2 . Zweifellos blieb ein Massaker wie das von Bialystok in seinem Ausmaß und in seinem Charakter ein Einzelfall. Doch besaß dieser 96

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Die Säuberung undurchdringlicher Waldgebiete blieb für die deutschen Kampfverbände eine Ausnahme. S o berichtete das Infanterie-Regiment 510: „Hierzu mußten durch ein völlig versumpftes und dichtes Waldgebiet etwa 30 km zurückgelegt werden. Dieses Gebiet wurde bis jetzt noch von keinem deutschen Soldaten betreten." B a y H S t A , Abt. IV, N L T h o m a 5: IR 519, Kriegstagebuch vom 19.10.1941. IfZ-Archiv, M A 1667: 221. Sich. Div., A b t . I c, „Lagebericht" an 221. Sich. Div., Abt. VII, vom 18.8.1941. IfZ-Archiv, M A 1660: 221. Sich. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 23.6.1941. Ferner B A - M A , R H 24-7/140: 221. Sich. Div., A b t . I c, Bericht betr. „Allgem. Lage im R a u m von Bialystok" an VII. Α. Κ. vom 1.7.1941: „ D i e polnische Bevölkerung ist nach wie vor entgegenkommend. Sie hat bei der Niederlegung der Standbilder der Sowjetgrößen ihren unumschränkten Beifall gezollt." Dieser Eindruck setzte sich zunächst auch Anfang August beim Einmarsch der Division in die R S F S R fort. Dabei hatte auch der Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Mitte registriert, „daß die weißrussische u. polnische Bevölkerung eine durchaus deutschfreundliche Haltung zeigt". Er „wünsche daher schonendste Behandlung dieser Bevölkerungsteile". U S H M M RG-48.004M: Polizei-Regiment Mitte, Befehl betr. „Verhalten gegenüber der weißrussischen und polnischen Bevölkerung" vom 12.7.1941. D e m Befehl war eine Besprechung mit dem Bfh. Rückw. Heeresgebiet Mitte am 15.7.1941 vorausgegangen. So die Divisionsführung in IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., A b t . I c, „Übergabebericht über Haltung, Stimmung und politische Strömungen innerhalb der Bevölkerung des am 1.8.41 an die Verwaltung Ostpreußens abzutretenden ehem. Russischen Gebietes" vom 28.7.1941. Vgl. hierzu auch Förster, Sicherung, S. 1045; Gerlach, Morde, S.529 sowie Kap. 5.4. Vgl. Kap. 3.2. Vgl. Kap. 1,3.2 und 5.4.

716

5. Verbrechen

Massenmord für die 221. immer auch die Funktion eines Tabubruchs, schon weil es in Bialystok nicht nur die Juden traf, sondern auch - um in der Diktion der 221. zu bleiben - die ersten „Freischärler" 103 . Seitdem waren Hinrichtungen an der Tagesordnung. Dabei lassen die täglichen Meldungen der 221. keinen Zweifel daran, dass die Zahl ihrer zivilen Opfer mit der Zahl derer, die auf das Konto der Kampfverbände gehen, auch nicht ansatzweise zu vergleichen ist. In anderen Worten: Mochte es an der Front auch immer wieder zu einzelnen brutalen Interventionen gegen die Zivilbevölkerung kommen, wirklich systematisiert wurde diese gewalttätige Form der Besatzungspolitik erst im Hinterland. Das galt auch für das frontnahe Hinterland 104 , wenngleich hier die Verhältnisse zunächst noch etwas erträglicher gewesen zu sein scheinen als in den weiter westlich gelegenen Besatzungsgebieten. Das Problem war freilich, dass der Korück 580, dem damals die Exekutivkräfte fehlten, auf die Unterstützung durch den SS- und Polizeiapparat setzte - mit der Folge, dass nun auch in diesem Teil des deutschen Besatzungsverbands Einheiten wie das Polizei-Bataillon 309, das Polizei-Regiment Mitte, das Sonderkommando 7 b oder die Brigaden der Waffen-SS das tun konnten, was sie für richtig hielten. Dabei richtete sich ihr Terror nicht nur gegen die jüdische Minderheit, sondern zunehmend auch gegen „Freischärler" - oder solche, die sie dafür hielten 105 . All das verweist auf eine zentrale Frage: Existierte in der Anfangsphase des Krieges überhaupt eine Bedrohung durch irreguläre Kräfte oder waren die entsprechenden Meldungen lediglich das Produkt deutscher Vorurteile und Ängste? Dass jede Truppe im Moment des Einmarsches in ein gegnerisches, fremdes Land zur „Anfängerpanik" neigt, so der Landser-Jargon, ist eine alte Erfahrung 106 . Erst recht musste das unter Voraussetzungen wie diesen gelten, erinnert sei nur an die propagandistischen und rechtlichen „Vorarbeiten" der deutschen Führung oder an die Missverständnisse und Friktionen, die es auf dem Schlachtfeld infolge der deutschen wie sowjetischen „Kampfesweise" 107 geben konnte. Doch war der irreguläre Krieg mehr als nur ein Produkt des Zufalls. Die sowjetische Führung wollte diese Form des Krieges; am 18. Juli, gute zwei Wochen nach Stalins Rundfunkrede, gab hierzu das ZK der Kommunistischen Partei hierzu den offiziellen Befehl 108 . Die Resonanz 103

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Für die Zeit vom 22.6.-3.7.1941 registrierte die 221. Sich. Div. 4004 Gefangene, von denen sieben als Kommissare und 323 als „Freischärler" erschossen wurden. IfZ-Archiv, MA 1661: 221. Sich. Div., Abt.I c, Meldung „Kriegsgefangene" vom 16.7.1941; ebda., Feldpostnr. 43985 A, „Bericht über den Einsatz des Btl. im Räume südostw. Brest-Litowsk" vom 5.7.1941. Vgl. hierzu Kap. 3.2. Auch zum Folgenden. Mit dem Vorwurf der „Partisanenunterstützung", der „Partisanenverbindung" oder der „Partisanentätigkeit" rechtfertigte dieses Bataillon jedes nur denkbare Verbrechen. Vgl. hierzu die umfangreichen Ermittlungen der deutschen Justiz nach 1945 in: HStA Düsseldorf, Zweigarchiv Schloß Kalkum: StA Dortmund (Z) (Wuppertal), 45 Js 21/61: Verfahren gegen Angehörige des Polizei-Bataillons 309. BA-MA, MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr.39 vom Februar/März 1973. Ferner Grami, Wehrmacht, S. 372f. Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S.32 (Eintrag vom 1.7.1941). Generell hierzu Kap. 5.2. Druck: Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S. 653-655 (Doc. 1). Das Diktum des Hannes Heer, der von einem „Partisanenkampf ohne Partisanen" gesprochen hat, ist längst überholt; bereits Christian Gerlach hat darauf hingewiesen, dass davon „zu keiner Zeit die Rede sein" könne. Trotzdem zeigt sich Heer an solchen Meinungen nicht interessiert. Vgl. Heer, Die Logik des Vernichtungskrieges, S. 109; Gerlach, Morde, S.861; Heer, Hitler war's, S.261.

5.5 Partisanen

717

blieb freilich zunächst gering. Wenn damals in den deutschen Berichten von „bolschewistischen Banden" 1 0 9 die Rede war, welche die Bevölkerung „terrorisieren" 1 1 0 , von ihr Lebensmittel „erpressen" 1 1 1 oder deutsche Kradmelder töten w ü r d e n 1 1 2 , so handelte es sich meist um „abgesprengte Feindteile" 113 . Uber deren Kombattantenstatus konnte kein Zweifel bestehen - allerdings nur, solange sie uniformiert waren, was zumindest bei den Versprengten nicht immer der Fall war. A u c h fiel auf, dass auch sie mitunter keine Gnade kannten: Anfang Juli 1941 meldete etwa ein Landesschützen-Bataillon, dass sowjetische „Heeresangehörige 3 Hirtenjungen auf der Weide mit dem Bajonett erstochen haben, da sie ihren Aufforderungen, nach dem Verbleib der deutschen Soldaten zu forschen, nicht nachgekommen waren" 1 1 4 . Daneben suchte die sowjetische Seite aber auch mit Hilfe überrollter Funktionäre oder mittels Agenten, den „Diversanten", einen Krieg im Rücken der deutschen Eindringlinge zu entfachen. Die 296. ID nahm beispielsweise im Juli 1941 vier Zivilisten gefangen, bei denen „Maschinenpistolen, Pistolen, Gerät und Werkzeug gefunden" wurden und die daraufhin beim Verhör zugaben, „sie seien in Kiew gestartet, hätten Zivil anziehen müssen" und seien per Fallschirm abgesetzt worden, um „an den Bahnlinien Sabotageakte durchzuführen" 1 1 5 . Gleichzeitig registrierte diese Division, 109

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111 112 U3 114 115

Vgl. etwa BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt.O.Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht vom 27.7.2.8.1941, wo es u.a. heißt: „Zum ersten mal treten im rückw. Armeegebiet Banden auf, die sich in der Hauptsache aus versprengten Rotarmisten zusammensetzen, insbesondere im Waldgebiet zuwischen Dnjepr una Beresina." Ferner IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Weisung betr. „Sicherung des rückw. Armeegebietes" vom 22.7.1941; IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.8.1941. Davon war das gesamte Hinterland der H.Gr. Mitte betroffen. Vgl. etwa Die Geheimen Tagesberichte, Bd. 3, S. 170 (Eintrag vom 6.7.1941 ): „Vereinzelte Überfälle durch feindliche Banden meist im Hintergelände." IfZ-Archiv, MA 1661: 221. Sich. Div., Abt. I a, Befehl an Divisions-Panzerzug „Leutnant Marx" vom 26.7.1941; ebda., Bfh. im Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I a, Befehl an die 221. Sich. Div. vom 24.7.1941. Ferner IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 9.7.1941: „Überfälle von russischen Jagdkommandos auf unsere Truppen weiterhin möglich. Es bilden sich russ. Banden, die angeblich nachts in den Dörfern die Zivilbevölkerung beunruhigen." Ebda., Eintrag vom 25.7.1941, wo berichtet wird, „daß sich etwa 30 km südostw. Dawidgrodek [sie], in Gegend Kolki, bolschewistische Terrorbanden befänden". Ferner ebda., 45. Inf. Div., Abt. I a, „Divisionsbefehl für den 19. u. 20.7.41" vom 19.7.1941: „In Übereinstimmung mit vielfachen Einwohneraussagen im Unterkunftsbereich der Div. bringt der russ. Nachrichtendienst ständig Meldungen über Unternehmungen russ. Partisanenabteilungen im Rücken der deutschen Truppen. Wenn es auch bisher zu Kampfhandlungen gegen die eigenen Truppen nicht gekommen ist, sondern nur die Bevölkerung ständig beunruhigt und terrorisiert wurde, so ist ständige Wachsamkeit und Abwehrbereitschaft aller Truppen einschl. der Versorgungstruppen unbedingt erforderlich." IfZ-Archiv, MA 1665:221. Sich. Div., Abt. I a, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 24.7.1941. Vgl. hierzu auch Musial, Partisanen, S. 105ff. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.8.1941. Auch zum Folgenden. Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S.32 (Eintrag vom 1.7.1941). IfZ-Archiv, MA 1661: Feldpostnr. 43985 A, „Bericht über den Einsatz des Btl. im Räume südostw. Brest-Litowsk" vom 5.7.1941. BA-MA, MSg 2/5316: NL Hans P. Reinen, Tagebuch, Eintrag vom 9.7.1941. Dies blieb kein Einzelfall. V g l etwa BA-MA, MSg 2/5317: 296. Inf. Div., Abt.I c, Befehl betr. „Verhalten gegenüber feinal. Spionage u. Sabotagetrupps" vom 20.8.1941; IfZ-Archiv, MA 1661: 221. Sich. Div., Abt. I a, Funkspruch an die nachgeordneten Einheiten vom 18.7.1941; IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 5.8.1941: „In der Nacht schleichen sich russische Fallschirmjäger an das Div[isions]stabsqu[artier] heran und werden durch die Stabswache unter Hinterlassung eines Toten und zahlreicher geballter Ladungen vertrieben." Offenbar handelte es sich hier um Diversanten-Trupps des NKWD, das seit Kriegsbeginn

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5. Verbrechen

wie „der Gegner des öfteren Saboteure durch unsere dünnen Linien zu schleusen" suchte. „In verschiedenen Fällen wurden Angehörige solcher Partisanengruppen schon beim Versuch unsere vordere Linie zu durchschreiten gefasst. Sie hatten Schußwaffen, Handgranaten und Sprengmunition bei sich und waren mit größeren Geldbeträgen und falschen Ausweisen versehen." 1 1 6 So etwas ließ sich wohl nur schwer erfinden. Deutlich wird aber auch, wie begrenzt die Wirkung dieser Einzelaktionen vorerst blieb 1 1 7 . Allerdings fielen just zu dieser Zeit einige grundlegende Entscheidungen in der deutschen wie in der sowjetischen Führung. Beides sorgte dafür, dass der irreguläre Krieg im Rücken des deutschen Ostheers nun rasch an Boden gewann 1 1 8 . 5Λ.4

Weichensteilungen

Bereits im Juli 1941, im Hochgefühl der ersten militärischen Triumphe, hielt Hitler den Zeitpunkt für gekommen, um seine politischen Absichten vor seinen engsten Mitarbeitern zu konkretisieren. Aus den eroberten sowjetischen Gebieten solle

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kleinere Gruppen in Stärke von 3-10 Mann zu Erkundungs- und Sabotagezwecken über die Front schickte. Vgl. hierzu Glantz, Colossus, S. 168; Slepyan, People's Avengers, S.36ff. IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 29.7.-24.8.1941. Selbst im Bereich der Heeresgruppe Mitte - ein Jahr später ein Epizentrum des sowjetischen Partisanenkriegs - war etwa die Pz. Gr. 3 im August 1941 noch der Ansicht, „daß entgegen den Erwartungen Freischärlerei nur vereinzelt vorgekommen ist und infolgedessen die strengen Strafen nur vereinzelt zur Anwendung kommen brauchten". Zit. bei: Hürter, Militäropposition, S.557Í., Anm. 103. In diesem Sinne auch PA-AA, R 60759: AOK 4, Abt.I c (VAA), „Bericht Nr. 86" vom 16.7.1941; Römer, Kriegsgerichtsbarkeitserlass, S. 81. Ein methodisches Problem, das sich bei der Beschreibung des Partisanenkriegs stellt, sind die Angaben, die beide Seiten, die deutsche wie die sowjetische, über die Verluste ihres jeweiligen Gegners gemacht haben. Es besteht kein Zweifel daran, dass beide Seiten bei ihren entsprechenden Meldungen übertrieben, zum Teil sogar weit übertrieben haben - „mit dem leicht durchschaubaren Ziel einer Belobigung oder Beförderung", so Lutz Klinkhammer. Auch konnten die Übertreibungen der Verlustmeldungen auch dazu dienen, mehr Nachschub zu erhalten (so im Falle der sowjetischen Partisanen, die zum Teil aus der Luft versorgt wurden) oder auch das eigene Verhalten zu verschleiern. Dabei könnten auch bloße Feigheit, Unterlegenheit oder Bequemlichkeit eine Rolle gespielt haben, aber auch Mitleid, zumindest mit den Zivilisten. Beim Ausschnitt dieser Arbeit spricht vieles dafür, dass während des Jahres 1941, als die deutsche Seite noch in ihrem Besatzungsgebiet dominierte, von einem relativ zuverlässigen „bodycount" auszugehen ist, während schon 1942, als der Krieg im Hinterland größer, gefährlicher und vor allem auch unübersichtlicher wurde, eine genaue „Buchführung" für die Deutschen immer schwieriger wurde. Erschwerend kam hinzu, dass die Partisanen gewöhnlich ihre Toten und Verwundeten mitzunehmen suchten, während sie dies bei der übrigen Zivilbevölkerung natürlich nicht taten. Vgl. Klinkhammer, Partisanenkrieg, S. 817; Mulligan, Reckoning the Cost of People's War; Musial, Partisanen, S. 105ff.; Lieb, Konventioneller Krieg, S.412ff. Die Zahl der Partisanen über die der Beutewaffen zu erschließen, wie es immer wieder geschieht, ist entschieden zu einfach. So schätzte etwa Gerlach aufgrund dieser Zahlen (Morde, S.907), dass „etwa 10 bis 15 Prozent der Opfer der deutschen Aktionen Partisanen" waren. Röhr (Forschungsprobleme, S. 203) veranschlagt sie sogar auf nur 5 Prozent. Natürlich steht die Zahl der sowjetischen Waffen, welche die Deutschen im Partisanenkrieg erbeuteten, in einem oft krassen Missverhältnis zur Zahl der durch sie gemeldeten „Feindtoten". Allerdings sollte man nicht übersehen, dass für viele militärische Funktionen bei den Partisanen wie etwa Späher, Melder, Versorger oder Pioniere eine Bewaffnung nicht unbedingt nötig war. Ganz davon abgesehen waren Waffen bei den Partisanen so hochbegehrt, dass sie die ihrer gefallenen Kameraden sofort übernahmen. Wenn überhaupt, dann sind also die deutschen Berichte über Beutewaffen nur ein sehr grober Anhaltspunkt für die Relation von Partisanen und Nicht-Partisanen. Vgl. auch mit der Einschränkung bei Gerlach, Morde, S.958 sowie Hill (War behind the Eastern Front, S. 128), der die schlechte Bewaffnung der Partisanen mit Waffen präzise belegt.

5.5 Partisanen

719

Deutschland „nie wieder herauskommen" 119 ; es gehe nun darum, „den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen". Es kennzeichnete die inhumane Monstrosität seiner Ziele, aber auch deren Wirklichkeitsfremdheit, wenn Hitler bei dieser Gelegenheit zu erkennen gab, dass für ihn doch der „Partisanenkrieg [...] auch wieder seinen Vorteil" habe; „er gibt uns die Möglichkeit, auszurotten, was sich gegen uns stellt." Das war deutlich. Eine durchaus notwendige militärische Option, den Schutz des Ostheers vor Partisanen, wollte Hitler von vorneherein für die Verwirklichung seiner ideologischen Ziele missbrauchen. Dass seine militärische Umgebung ihm dabei folgte, zeigt, wie diese einzuschätzen ist. Der unglückselige Keitel sekundierte seinem „Führer", die sowjetischen „Einwohner müssten wissen, daß jeder erschossen würde, der nicht funktioniere"; eine Woche später konkretisierte der Generalfeldmarschall, „die zur Sicherung der eroberten Ostgebiete zur Verfügung stehenden Truppen" würden nur ausreichen, „wenn alle Widerstände nicht durch die juristische Bestrafung der Schuldigen geahndet werden, sondern wenn die Besatzungsmacht denjenigen Schrecken verbreitet, der allein geeignet ist, der Bevölkerung jede Lust zur Widersetzlichkeit zu nehmen. [...] Nicht in der Anforderung weiterer Sicherungskräfte, sondern in der Anwendung entsprechender drakonischer Maßnahmen müssen die Befehlshaber das Mittel finden, um ihre Sicherungsräume in Ordnung zu halten." 1 2 0 Die strukturelle Schwäche der deutschen Besatzungsmacht durch Terror kompensieren. Selbst wenn man im O K H nicht ganz so radikal dachte, etwas grundsätzlich anderes hatte man auch hier nicht anzubieten. Schon am l.Juli hatte der Generalstabschef Halder zugegeben, dass ihm „die Befriedung des rückwärtigen Gebietes" erstmals „ernste Sorgen" bereite: „Die Sicherungsdivisionen allein genügen nicht für die großen Räume." 1 2 1 Solch undankbare Aufgaben delegierte das O K H gerne an den General z. b. V. Müller 122 , der schon im Vorfeld des „Unternehmens Barbarossa" durch seine menschenverachtenden Ansprachen aufgefallen war. Nun monierte dieser am 25.Juli in einem Befehl, „daß nicht an allen Stellen mit der erforderlichen Härte durchgegriffen" werde 123 ; maßgebend sei allein der Gedanke „unbedingter Sicherheit für den deutschen Soldaten", schon passiver Widerstand sei mit „kollektiven Gewaltmaßnahmen" zu brechen. Dass das O K H bereits die bloße Möglichkeit zivilen Widerstands für ein Verbrechen hielt, war an Radikalität kaum zu überbieten, und lässt keinen Zweifel daran, dass auch diese Weichenstellung nicht allein Hitler zu verantworten hat. Allerdings war auch die Gegenseite nicht untätig geblieben. Ihre Not war groß. Nachdem die sowjetische Führung schon am 29.Juni 1941 sämtliche Partei-, Gewerkschafts-, Sowjet- und Komsomol-Organisationen in den bereits besetzten Gebieten zum Kampf gegen die deutschen Invasoren verpflichtet hatte, erteilte 119

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Aktenvermerk vom 16.7.1941, in: IMT, Bd.38, S.86-94: Dok.221-L. Auch zum Folgenden. Vgl. auch Witte (u.a. Hrsg.), Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, S.294 (Eintrag vom 18.12.1941). Weisung Nr.33 a vom 23.7.1941. Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S. 141-145, hier S. 145. Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S.32 (Eintrag vom 1.7.1941). Zu seiner Person vgl. Hartmann, Halder, S.245ff. O K H / G e n . z.b.V., Erlass vom 25.7.1941, Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.349Í. Auch zum Folgenden.

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5. Verbrechen

Stalin selbst vier Tage später in seiner bekannten Rundfunk-Rede allen Sowjetbürgern hierzu gewissermaßen eine Generalvollmacht 124 . „Erwürgt, zerhackt, verbrennt, vergiftet den faschistischen Auswurf", empfahl das ZK der Kommunistischen Partei (b) Weißrusslands am 1. Juli 1 2 5 . Teil dieser totalen Mobilmachung war die Aufstellung von „Volkswehren" in den großen Städten, die unter der historischen Bezeichnung „narodnoe opolcenie" auftraten 126 , die Formierung von „Vernichtungs-Bataillonen", die eigentlich zum offenen Einsatz im eigenen Hinterland vorgesehen waren 127 , und schließlich die Mobilisierung des N K W D , der sowohl konventionelle Schützendivisionen aufstellte als auch kleine Trupps von Diversanten für den Einsatz hinter den feindlichen Linien 128 . Diese feinen Unterschiede machte die militärische Entwicklung oft zunichte, so dass sich die Grenzen zwischen regulären Volksmilizen, die völkerrechtlich als Kombattanten legitimiert waren, und solchen, bei denen dies von vorneherein nicht der Fall war, zunehmend auflösten. Aufgrund des rapiden deutschen Vormarschs fanden sich viele: Soldaten, Milizionäre, Funktionäre oder NKWD-Agenten plötzlich hinter den deutschen Linien. Dort blieb ihre Wirkung vorerst gering. Gerade Weißrussland ist dafür ein besonders eindrückliches Beispiel. Noch im Juni 1941 waren hier erste Ausbildungszentren für Partisanen entstanden 129 , wenig später meldete die Weißrussische KP die Aufstellung von 118 Gruppen mit insgesamt 2664 Mitgliedern nach Moskau. Doch gingen sie fast alle im Strudel der sowjetischen Niederlagen und Rückzüge unter 130 . Im Sommer 1941 war der „Vaterländische Volkskrieg", den Stalin im Rundfunk beschwor, eine Absicht, ein Projekt - aber auch ein Beginn, schon weil die deutsche Führung nichts unversucht ließ, um dem Konzept der sowjetischen Führung in die Hände zu arbeiten. 5.5.5 August-November

1941: Radikalisierung auf beiden Seiten

Im August begann das deutsche Besatzungsgebiet allmählich unsicher zu werden 1 3 1 . Die Durchbrüche und Kesselschlachten hatten zahlreiche sowjetische Überlebens-Gruppen zurückgelassen, die „Okruzeny" („Umzingelten"), die weiter kämpfen oder wenigstens ihre Freiheit retten wollten 132 . Nicht immer waren sie uniformiert 133 . Dass „auch Zivilisten" 134 auf sie schössen, erlebten unsere DiviRundfunkrede Stalins vom 3.7.1941, Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 326-329. 1 2 5 Hoffmann, Kriegführung, S. 756. 1 2 6 Ebda., S. 718. 1 2 7 Bonwetsch, Partisanen, S.93; Glantz, Colossus, S. 170. 1 2 8 Vgl. Glantz, Colossus, S. 157ff. Zur Größenordnung vgl. Pohl, Herrschaft S. 160. 129 Vg] hierzu Musial (Hrsg.), Partisanen, S. 17ff. 1 3 0 Nolte, Partisan War in Belorussia, 1941-1944, S.265. 1 3 1 Vgl. Hürter, Militäropposition, S.557 (Bericht der H.Gr. Mitte vom 14.8.1941). Ferner Richter, „Herrenmensch", S.6ff.; Gerlach, Morde, S. 862ff.; Brakel, Versorgung der Partisanen, S. 399ff. 1 3 2 Vgl. hierzu Musial (Hrsg.), Partisanen, S.33, 105. 1 3 3 Dies war ein Phänomen, dass von allen Divisionen beobachtet wurde und das zeitweise offenbar massenhaft auftrat. 4. Pz. Div.: IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Feindnachrichtenblatt 1" vom 17.10.1941; BA-MA, R H 27-4/19: 4. Pz. Div., Kdr., Fernspruch vom 11.11.1941: „Es ist festgestellt worden, daß in hiesiger Gegend sich zahlreiche in Zivil umgekleidete russische Soldaten aufhalten, die aus dem Brjansker Kessel entkommen sind und ver124

5.5 Partisanen

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sionen nun häufiger. Das war ein klarer Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung. Andererseits bot sich den versprengten Rotarmisten kaum eine andere Wahl, weil weder auf deutscher noch auf sowjetischer Seite eine wirkliche Perspektive für sie existierte 1 3 5 . Es ist sicherlich kein Zufall, wenn in den deutschen Berichten nun erstmals von „Partisanen" die Rede ist. Diese Bezeichnung war für die Wehrmacht mehr als nur eine willkürliche Chiffre 1 3 6 . So wollte die 4. Panzerdivision diesen Begriff „auf alle Soldaten, Truppeneinheiten und Gruppen in Zivil angewendet [wissen], die volkskriegsähnliche Aufgaben im rückwärtigen Gelände (Brückensprengungen, Uberfälle auf Einzelfahrzeuge, Quartiere usw.) durchführen". Ein solches Verständnis war nicht völkerrechtswidrig. Vor allem aber zeigt diese Definition, dass sich die Truppe durchaus u m eine differenzierte Wahrnehmung bemühen konnte 1 3 7 . N i c h t erfinden ließ sich vermutlich der Fall des Parteisekretärs von Mglin, Michail Izkoff, der nach der Besetzung der Stadt versucht hatte, „in das N K W D - H a u s einzudringen". D o r t fand man bei einer anschließenden Hausdurchsuchung 332 M o l o t o w Cocktails. Izkoff, der außerdem „Leute zur Teilnahme am Partisanenkrieg gepresst" hätte, wurde daraufhin „standrechtlich erschossen" 1 3 8 . U n d auch die deutschen Verluste waren kein Produkt der Einbildung; blieben deutsche Soldaten

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suchen, sich nach Osten durchzuschlagen." IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Kdr. „Punkte für I-c-Offiziersbesprechung am 17.11.41". 45. Inf. Div.: IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.8.1941, wo berichtet wird, dass sich sowjetische Soldaten „Zivilkleider" besorgen und „als Banden nachts die Zivilbevölkerung" beunruhigen würden. 296. Inf. Div.: IfZ-Archiv, MA 1634: 296. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Einträge vom 8.8. und 30.8.1941; IfZ-Archiv, MA 1635: III./I.R. 519, Meldung an das Inf. Rgt. 519 betr. „Spähtrupp Lt. Oppel" vom 20.10.1941. 221. Sich. Div.: IfZ-Archiv, MA 1665: 221. Sich. Div., Abt.I a, Meldung an den Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 2.10.1941. AOK 2: IfZArchiv, MA 885: AOK 2, OB, Befehl vom 8.7.1941 (Abschrift): „Das Zurückfließen versprengter russischer Soldaten in Zivil nimmt einen solchen Umfang an, daß es sich zu einer Gefahr für die Truppe entwickelt." BA-MA, RH 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 18.9.1941, wo berichtet wird, dass „auch Zivilisten" aus den Häusern geschossen hätten; IfZ-Archiv, MA 1635: 296. Inf. Div., Abt. I c, „Meldung über die Sprengung der Partisanen-Zentrale dicht südl. des Bolischoj Cheron-Sees (etwa 13 km südwestl. Trubtschewsk)" vom 18.10.1941. Vgl. Kap. 5.2 und 5.3. Vgl. BA-MA, RH 20-17/276: OKH/Gen. z.b.V. beim ObdH, Weisung betr. „Partisanen-Abteilungen der Sowjets" vom 18.7.1941: „Angehörige sowjetischer .Partisanen'-Abteilungen, die vor oder hinter unserer Front auftreten und hinsichtlich Beachtung der Kriegsgesetze, Bekleidung, Ausrüstung oder Erkennbarkeit nicht einwandfrei die Voraussetzungen erfüllen, die an eine kriegsführende Truppe, Miliz und Freiwilligenkoips zu stellen sind, sind als Freischärler zu behandeln. Dabei ist gleichgültig, ob sie bisher Sold aten waren, sich noch als Soldaten bezeichnen oder Nicht-Soldaten sind. Zivileinwohner, die solchen Partisanen-Abteilungen in irgendeiner Form Vorschub leisten, unterstützen damit irreguläre Kampfhandlungen und sind damit nach Kriegsbrauch ebenfalls als Freischärler anzusehen." In diesem Sinne auch IfZ-Archiv, MA 1564/29, NOKW-2258: ObdH/GenStdH/Ausb. Abt.Ia, „Richtlinien für Partisanenbekämpfung" Nr. 1900/41 vom 25.10.1941. Vgl. BA-MA, RH 27-4/12: 4. Pz. Div., Abt.I c, Befehl vom 4.10.1941. Zwar nahm diese Definition keine Rücksicht auf alle Merkmale des Kombattantenstatus', doch trug sie einem wesentlichen Element der internationalen Standards Rechnung - dem nämlich, dass die Kombattanten als solche zu erkennen sein mussten. BA-MA, RH 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 22.8.1941; BAMA, RH 27-4/116: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Bekanntmachung", o.D. sowie Aktenvermerk vom 22.8.1941.

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5. Verbrechen

hinter der Front zurück 1 3 9 , waren sie als Kradmelder unterwegs 1 4 0 oder auf abgelegenen Stützpunkten verteilt 1 4 1 , so konnten sie schon damals zum Ziel v o n GuerillaAngriffen werden. Das betraf auch sowjetische Kollaborateure; am 8. September wurden etwa der Bürgermeister der Gemeinde Grodsjanka „und 8 weitere Personen wegen ihrer Deutschfreundlichkeit" v o n Partisanen niedergeschossen 1 4 2 , die im Übrigen immer häufiger in größeren Gruppen operierten 1 4 3 , „mit größter Dreistigkeit" 1 4 4 und gut bewaffnet 1 4 5 . Daneben existierten noch mehr Spielarten des irregulären Krieges: Bei einem Verhör versuchte ein „Partisanenführer" durch „eine versteckt gehaltene Pistole den deutschen Vernehmungsoffizier zu erschießen" 1 4 6 ,

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Manuskript, Κ. H., „Unser Einsatz im Osten", o.D., Kopie im Besitz d. Verf. H. berichtet, dass einzelne Angehörige der 296. ID, die in den Dörfern zurückgeblieben waren, von Partisanen erschossen wurden. Ferner IfZ-Archiv, MA 1589: 4. Pz. Div., 5. Pz. Brig., „Gefechtsbericht für die Zeit vom 23.8.-29.8.1941" vom 30.8.1941; IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt Qu. op., Befehl vom 27.9.1941, wo über einen Anschlag im Raum Klentnaja berichtet wird, bei dem fünf deutsche Soldaten ums Leben kamen. Vgl. auch Hürter, Heinrici, S. 70 (Brief vom 22.7.1941): „Das Kennzeichen des Krieges sind die überall in den Wäldern auftretenden russischen Banden. Sie überfallen jeden einzelnen. Nur an die größere Truppe trauen sie sich nicht heran." IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt.Ic, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 28.9.25.10.1941: „Während des Vormarsches der Division von Browary nach N. wurde am 4.10., 11.00 Uhr, ein Meldefahrer der V[oraus-]A[bteilung] mit einem Beifahrer 5 km südl. Orlowka von 10 Partisanen, die mit 1 M.G. und Gewehren ausgerüstet waren, überfallen." In diesem Sinne auch IfZ-Archiv, MA 1618:45. Inf. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.8.1941; IfZ-Archiv, MA 1666: Lds. Schtz. Rgt. 45, Befehl, betr. „Partisanenbekämpfung" vom 8.10.1941. Ferner Schlesische Tageszeitung vom 16.11.1941, „Auf der Rollbahn", in der der Divisionspfarrer der 221. Sich. Div. beim Besuch eines Außenpostens „vom letzten Versuch der Partisanen" berichtete, „die Wache zu überrumpeln und die Brücke in Brand zu stecken". So wurde Ende August ein Verpflegungslager der 221. Sich. Div., „besetzt mit 1 Uffz. und 5 Mann" (Wach.-Btl. 701) von Partisanen überfallen: „5 Mann getötet, 1 Mann schwer verletzt." Tags darauf wurde eine Blockhütte an einer Eisenbahnlinie von Partisanen gestürmt: „Der Füh rer der Blockstelle wurde getötet, 4 Mann verwundet." In der Nacht vom 7. auf 8.10. wurde die Wache an einer Eisenbahnbrücke überfallen. IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Abt.Ia, Eintrag vom 30.8.1941; IfZ-Archiv, MA 1665: 221. Sich. Div., Abt.Ia, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 31.8.1941; IfZ-Archiv, MA 1666: Lds. Schtz. Btl. 352, „Zusammenfassender Bericht über den Angriff von Partisanen auf die Wache an der Eisenbahnbrücke über den Fluß Bessedj" vom 8.10.1941. IfZ-Archiv, MA 1665: 221. Sich. Div., Abt. I a, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 12.9.1941. Vgl. hierzu auch BA-MA, RH 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.Ic, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 13.8.1941 sowie IfZ-Archiv, MA 1618: Aufkl.-Abt.45, Meldung an 45. Inf. Div. vom 1.11.1941: „Bevölkerung freundlich, jedoch eingeängstigt [sie] durch Partisanen." Vgl. hierzu etwa BA-MA, RH 27-4/116: 4. Pz. Div., Abt. I c, Aktenvermerk vom 22.8.1941, wo von einer Gruppe von „rund 500 Kommunisten" berichtet wird, die im Raum Mglin den Partisanenkrieg vorbereite. Ferner BA-MA, RH 27-4/12: 4. Pz. Div., 5. Pz. Brig., Gefechtsbericht für die Zeit vom 25.8.-29.8.1941; hier ist von einem Uberfall durch eine „etwa 90 Mann starke Partisanengruppe mit M.G., Gewehrfeuer und Handgranaten" die Rede. Das XXXIV. A.K. meldete am 6.11.1941 eine bevorstehende „Großaktion durch Partisanen im Hinterland der deutschen Front". IfZ-Archiv, MA 1618: XXXIV. Α. Κ., Funkspruch an 45. Inf. Div. vom 6.11.1941. BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 2 . 1 1 8.11.1941. Vgl. etwa BA-MA, MSg 2/5317: 296. Inf. Div., Abt.I c, „Feindnachrichtenblatt Nr. 17" vom 15.8.1941 ; IfZ-Archiv, MA 1667,221. Inf. Div., Abt. I b, Kriegstagebuch, Eintrag vom 17.8.1941; IfZ-Archiv, MA 1637:296. Inf. Div., Abt.I c,Tätigkeitsbericht für die Zeit von 28.9.-25.10.1941. Generell hierzu Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 140, welche die sowjetischen Statistiken zitieren. Sie übersehen aber, dass die Schlachtfelder geradezu Selbstbedienungsläden glichen. Vgl. BA-MA, RH 39/377: „Meine Kriegserlebnisse 1941/42 in Rußland als ehem. Hauptfeldwebel der 3./Pz. Rgt. 35".

5.5 Partisanen

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Zivilisten verlegten Minen im Rücken der deutschen F r o n t 1 4 7 oder sprengten Gebäude oder Brücken in die L u f t 1 4 8 , die Deutschen trafen auf Vorbereitungen zur Vernichtung der landwirtschaftlichen 1 4 9 und industriellen 1 5 0 Infrastruktur, Meldungen liefen ein über gut ausgerüstete Saboteure, welche die deutschen Linien zu passieren suchten 1 5 1 und sich dabei gern als „befreite Sträflinge" ausgaben 1 5 2 , ferner über mobile Rekrutierungsbüros, die - ausgerüstet mit Waffen und Stempeln 1 5 3 - hinter den deutschen Linien unterwegs waren, oder über Arsen, das in erbeuteten Lebensmitteln nachgewiesen w u r d e 1 5 4 . Dies alles blieben zunächst nicht mehr

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221. Sich. Div.: IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sich. Div., Abt.I a, Befehl betr. „Aufstellung von Pionier-Gruppen" vom 9.10.1941; 4. Pz. Div.: BA-MA, MSg 1/3274: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 9.11.1941; 45. Inf. Div.: IfZ-Archiv, MA 1618: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 8.11.1941. 4. Pz. Div.: IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt.Ic, Anlage „Feindnachrichten" vom 24.10.1941; BA-MA, RH 24-24/92: XXIV. Pz. Korps, K. Pio. Fü., „Feindnachrichtenblatt" vom 14.11.1941; IfZ-Archiv, MA 1590: Pz. AOK 2, Abt.I c/A.O., „Feindnachrichten Nr. 13" vom 19.11.1941; 221. Sich. Div.: IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sich. Div., Abt.I a, Befehl betr. „Aufstellung von Pionier-Gruppen" vom 9.10.1941. BA-MA, RH 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.Ic, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 13.8.1941; IfZArchiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu., Befehl betr. „Maßnahmen zum Schutze der Ernte im besetzten Teil der U.d.S.S.R." vom 1.9.1941; PA-AA, R 60704: AA, Inf. Abt., Länderreferat Rußland, Vermerk D IX 156 vom 21.8.1941, mit Anlage. Das Korück 580 versuchte beispielsweise die Zerstörung des „Industriekombinats" in Nowosybkow, Slynka, Klimowo und Klinzy mit Hilfe ihrer Feldeendarmerie zu verhindern, damit „die in Gang befindlichen Industriewerke in ungestörter Arbeit erhalten bleiben". IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu., Erlass vom 9.9.1941. BA-MA, RH 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 9.11.1941: „Wegen Partisanentätigkeit wurden verschiedene angezeigte Hüttenarbeiter vernommen. Ein Betriebsobmann hatte die Ausbildung der Bevölkerung im Schießen und Geländedienst geleitet. [...] Zahlreiche Verhöre wegen gegenseitiger Partisanenbezichtigung. Ein Mann mit Waffen angetroffen, Frau und Sohn Mitwisser. Ein Hüttenarbeiter hatte Auftrag, die Zeche zu sprengen, brachte aber die befohlene Sprengladung nicht an, um sich und dem Dorf die Arbeitsmöglichkeit zu erhalten." 296. Inf. Div.: BayHStA, Abt. IV, NL Thoma 5: Inf.-Rgt. 519, Kriegstagebuch, Eintrag vom 3.8.1941; IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt.Ic, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 29.7.-24.8.1941 sowie für die Zeit vom 25.8.- 27.9.1941; BA-MA, MSg 2/5317: 296. Inf. Div., Abt.I c, „Feindnachrichtenblatt Nr. 17" vom 15.8.1941 und Befehl betr. „Verhalten gegenüber feindl. Spionage u. Sabotagetrupps" vom 20.8.1941, in dem von einem regelrechten .kleinen Grenzverkehr' „über die Linien hinweg" die Rede ist. 4. Pz. Div.: BA-MA, RH 27-4/116: 4. Pz. Div., Abt. I c, Aktenvermerk vom 22.8.1941 ; IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt. I c, Meldung betr. „Erkennen und Ausrüstung von mit Fallschirmen abgesetzten Partisanen" vom 17.10.1941 und „Feindnachrichtenblatt 1" vom 17.10.1941; ebda., 4. Pz. Div., Kdr. „Punkte für I-c-Offiziersbesprechung am 17.11.41"; ebda., Pz. AOK 2, Abt. I c/A.O., „Feindnachrichten Nr. 13" vom 19.11.1941. Zur systematischen Ausbildung von Saboteuren, den so genannten SPECNAZ, in sowjetischen Partisanenschulen vgl. Musial, Partisanen, S. 19; Glantz, Colossus, S. 169f. IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.Ic, „Korpsbefehl Nr.51" vom 11.9.1941. BA-MA, RH 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.Ic, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 13.10.1941: „Durch Streife der Pz. A.A. 7 wird ein Zivilist festgenommen, der zwischen Hemd und Hose eine Pistole trug und außerdem ein Säckchen mit Stempeln bei sich führte. Wie sich durch Vernehmung bei der Armee herausstellte, war der Zivilist als fliegendes Aushebungsbüro hinter den deutschen Linien eingesetzt." Vgl. auch BA-MA, RH 24-24/125: XXIV. Pz. Korps, Kdr. Gen., Korpstagesbefehl vom 20.10.1941, in dem ein Unteroffizier der 4. Pz. Div. öffentlich belobigt wurde, weil er einen Zivilisten festgenommen hatte, „der sich noch in letzter Zeit mit der Erfassung russischer Wehrpflichtiger betätigt hat". BA-MA, RH 27-4/165: 4. Pz. Div., Abt.Ib, „Besondere Anordnung für die Versorgung Nr. 142" vom 14.11.1941. So auch BA-MA, MSg 2/5317: NL Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 30.8.1941.

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5. Verbrechen

als „örtliche Störaktionen" 1 5 5 ; im August 1941 konnten noch 90 Prozent der besetzten Wälder, dem künftigen Hauptoperationsgebiet der Partisanen, v o n den Deutschen forstwirtschaftlich genutzt w e r d e n 1 5 6 . N o c h wichtiger war, dass diesen Irregulären vorläufig eine wirkliche Verankerung in der Bevölkerung fehlte. A n d e rerseits w a r doch deutlich, dass sich hier ein Untergrund formierte, dessen Motive, dessen Protagonisten und dessen Stärke vorerst noch sehr unterschiedlich waren, der aber bereits erahnen ließ, welches Potenzial in ihm steckte 1 5 7 . Die Reaktion des O K H war - wie es selbst sagte - „rücksichtslos und unbarmherzig" 1 5 8 , und sie w a r völlig falsch. Neben ausgedehnten Repressalien kam es damals schon zu größeren „Strafaktionen", so etwa bei der 221. Sicherungsdivision, die Mitte September 1941 sich im Raum Bobruisk bei einem Großeinsatz gegen eines der „Unruh-Gebiete" beteiligte 159 . Da man der Ansicht war, dass gerade die „Befriedung" des Hinterlands „von kriegsentscheidender Bedeutung" sei 1 6 0 , besaßen diese Anti-Partisanen-Aktionen hier, nicht an der Front, ihren eindeutigen Schwerpunkt 1 6 1 . Problematisch war dabei nicht nur das undifferenzierte, schonungslose Vorgehen der Wehrmacht, sondern auch ihre enge Kooperation mit dem SS- und Polizeiapparat. Dass Einheiten wie das Polizei-Bataillon 309 und das Polizei-Regiment Mitte sogenannte „Säuberungsaktionen im rückwärtigen] Armeegebiet" 580 durchführten 1 6 2 , dass das Einsatzkommando 8 zeitweise „in enger Absprache" mit der 221. Sicherungsdivision operierte 1 6 3 , wurde bereits erwähnt, schon weil diese „Aktionen" auch als Vorwand f ü r den Massenmord an den sowjetischen Juden Vgl. BA-MA, RH 39/377: „Meine Kriegserlebnisse 1941/42 in Rußland als ehem. Hauptfeldwebel der 3./Pz. Rgt. 35". 156 Zwei Jahre später war diese Quote auf nur 10 Prozent gesunken. Angaben nach: Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 150, 153. 157 Die Zahl der aktiven sowjetischen Partisanen wird für das Jahr 1941 auf ca. 22000 geschätzt. Angabe bei: Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 141. 158 IfZ-Archiv, MA 1564/29, NOKW-2258: ObdH/GenStdH/Ausb. Abt.(Ia), „Richtlinien für Partisanenbekämpfung" Nr. 1900/41 vom 25.10.1941. 159 IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sich. Div., Abt.Ic, „Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10.514.12.1941" vom 14.12.1941; IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I a, „Korpsbefehl Nr. 52" vom 14.9.1941; 221. Sich. Div., Abt.I a, „Divisionsbefehl für Durchführung einer Partisanen-Bekämpfungsaktion im Raum nordwestl. Bobruisk am 17. und 18. Sept. 1941" vom 16.9.1941. 160 So der General Max von Schenckendorff in: BA-MA, RH 22/233: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt. I a, Weisung vom 3.8.1941. Vgl. hierzu auch Bock, Tagebuch, S.296 (Eintrag vom 17.10.1941). 161 Vgl. mit der Bewertung durch Hürter, Heerführer, S.423. Laut Meldungen des Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte wurden bis einschließlich September 1941 insgesamt 24668 angebliche Partisanen „erledigt", worunter mitunter auch die Gefangennahme fallen konnte; die entsprechenden Zahlen für Oktober lauteten 14265, für November 14037 Menschen. Vgl. mit den Angaben bei: Gerlach, Morde, S. 875 sowie den Kommentaren von Arnold, Wehrmacht, S.474ff. und Hürter, Heerführer, S.419 mit Anm.261. 162 IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Anordnung vom 26.8.1941. Während des Jahres 1941 operierten im Besatzungsgebiet des Korück 580 zeitweise das Einsatzkommando 8, das Sonderkommando 7 b sowie das Polizei-Regiment Mitte und das Polizei-Bataillon 309, bei der 221. Sicherungsdivision war ebenfalls das Einsatzkommando 8 im Einsatz, aber auch die Polizei-Bataillone 309, ferner 307, 316 und 322 sowie das 1. SS-Kavallerie-Regiment. Vgl. hierzu Kap. 5.4. 163 IfZ-Archiv, MA 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 123 vom 24.10.1941. Ferner Einsatzgruppe B, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 23.6.1941 bis 13.7.1941, in: Klein (Hrsg.), Einsatzgruppen, S. 375-386, hier S.377f.; IfZ-Archiv, MA 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 90 vom 21.9.1941. Zum Einsatzkommando 8 vgl. Mallmann (u.a. Hrsg.), Deutscher Osten, S. 129ff. 155

5.5 Partisanen

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à Alltag: Ein Kompaniefeldwebel des Polizei-Bataillons 309 erschießt sowjetische Zivilisten, vermutlich Herbst 1941 (Quelle: HSA, R Nr. 34239-217A)

dienten 164 . Doch blieben sie nicht die einzigen Opfer. Gerade Himmlers Leute waren für „radikale" Lösungen empfänglich. So setzte das uns bereits bekannte PolizeiBataillon 309 einen Dolmetscher ein, der, so die Erinnerung eines Zeugen, „wirklich nicht gut russisch" konnte, der eigentlich nur polnisch verstand. Trotzdem ging er mit der Bezeichnung „Partisan" sehr verschwenderisch um, mit der Folge, dass das Schicksal der so Bezeichneten „dann besiegelt" gewesen sei 165 . Jener berüchtigte Lehrgang für die „Bekämpfung von Partisanen" in Mogilew, den der Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Mitte im September 1941 veranstaltete 166 , war also nur noch eine Bestätigung dessen, was die Basis schon längst praktizierte. Für die Wehrmacht, die in dieser „Schule des Terrors" 1 6 7 ausschließlich von ihren rückwärtigen Einheiten vertreten wurde, waren die Themen 1M

Vgl. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Erlass vom 26.8.1941. Zu den Morden des Pol.-Btl. 309 vgl. HStA Düsseldorf, Zweigarchiv Schloß Kalkum: StA Dortmund (Z) (Wuppertal), 45 Js 21/61: Verfahren gegen Angehörige des Polizei-Bataillons 309; BAL, 205 AR-Z 20/60: Verfahren gegen Angehörige des Polizei-Bataillons 309, Anklageschrift vom 8.5.1967 sowie Kap. 3.3. Auch der Korück 580 war der Ansicht, dass Juden sowohl für die Rote Armee, als auch für die „Bolschewistische Funktionären" Spionagearbeit leisten würden. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu., „Richtlinien für Säuberung, Befriedung und Beuteerfassung" vom 31.8.1941. Ferner IfZ-Archiv, MA 1666: Feldkommandantur 549 (V), Bericht an 221. Sich. Div. vom 13.9.1941 sowie Kap.5.4. 165 BAL, 205 AR-Z 20/60: Vernehmung W. K. vom 27.5.1966. K. war Angehöriger der 1. Kompanie des Pol.-Btl. 309. Seine Aussage bezieht sich auf die Zeit nach dem Massaker in Bialystok. 166 Vgl. hierzu die Angaben in Kap. 3.3. An diesem Lehrgang nahmen auch einige Offiziere der 221. Sich. Div. teil. IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I a, Befehl an die 221. Sich. Div. vom 17.9.1941. 167 Verbrechen der Wehrmacht, S.462.

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5. Verbrechen

jedenfalls nicht wirklich neu: die Gleichsetzung von Partisanen und Juden, die es beide zu vernichten galt, und die Kooperation mit Himmlers Männern, ohne deren „Methoden" sich das Hinterland angeblich nicht „befrieden" lasse. Allerdings erhielt das, was an der Basis zur Praxis geworden war, nun gewissermaßen den „Segen" der Führung. Wie aber hat man sich diese Praxis vorzustellen? Im Bereich des Korück 580, w o man die „Befriedung" des Hinterlands „rollend und pausenlos" vorantrieb 1 6 8 , galten mittlerweile auch jene, welche die „Banden irgendwie [!] unterstützen", als Todeskandidaten. Selbst Ortsfremde, die „Wanderer", wollte der K o r ü c k nun „grundsätzlich festnehmen bzw. beseitigen" 169 , obw o h l es doch die Deutschen waren - der K o r ü c k 580 eingeschlossen - , welche die großen Städte leerten, um deren Einwohner nicht „über den Winter" ernähren zu müssen 1 7 0 . Schon bei einer einzigen jener „umfangreichen Partisanenbekämpfungen" w u r d e n gleich „mehrere hundert Partisanen erschossen" 1 7 1 . In dieser Größenordnung ging das M o r d e n nun weiter 1 7 2 , wobei der Kreis der O p f e r noch wuchs: „russische Soldaten, Partisanen, Kommissare usw. [!]" 1 7 3 . A b e r auch die unbeteiligte Zivilbevölkerung w u r d e nun durch den entgrenzenden Terminus' des „Bandenhelfers" kriminalisiert oder als potentielle Geiseln „mit ihrem Leben f ü r die Sicherheit der Truppe haftbar" gemacht 1 7 4 . W ü r d e n deutsche Soldaten zu Schaden kommen, so seien unverzüglich „doppelt soviel Einwohner" niederzuschießen 1 7 5 . Es spricht f ü r sich, w e n n der K o r ü c k schon im Herbst 1941 einsehen musste, dass sein Terror „nur vorübergehend" Erfolg gezeigt hätte 1 7 6 . Selbst unter dem

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IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu. op., „Richtlinien für Säuberung, Befriedung und Beute-Erfassung" vom 31.8.1941. Auch zum Folgenden. Dabei hatte der Korück in demselben Befehl festgestellt, dass „viele Orte [...] ausgesprochen deutschfreundlich" seien. Ferner IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu. op., Befehl vom 18.9.1941. In diesem Sinne auch BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 21.-27.9.1941. Vgl. hierzu Gerlach, Morde, S.877f. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu., „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 3" vom 29.11.1941. In diesem Fall ging es um Kursk. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Meldung an den Bfh. Rückw. Heeresgebiet Mitte vom 29.8.1941. Am 2.9.1941 meldete der Korück 580, dass das bei ihm eingesetzte Polizei-Regiment Mitte, in wenigen Tagen „rund 1200 russische Soldaten, Partisanen, Kommissare usw. z.T. in größeren Feuergefechten unschädlich gemacht und vernichtet" habe. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Erlass vom 2.9.1941. Vgl. ferner ebda., Korück 580, Abt. Qu., Meldung an 221. Sich. Div. und Bfh. Rückw. Heeresgeb. 102 [Mitte] vom 5.9.1941. In der Zeit vom 24.9.-5.10. meldete der Korück 580 insgesamt 125 erschossene „Partisanen", am 16.10.1941 berichtete er dem AOK 2, man habe „im Oktober eine große Zahl Verdächtiger erschossen und in den Orten nicht weit von Weretenine mehrere Hundert Verdächtige erledigt"; am 28.10.1941 kam es zu einer Vergeltungsaktion für den Partisanen-Überfall vom 26.10.1941, bei der man 91 Partisanen erschossen habe. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Kriegstagebuch, Einträge vom 5.10. und 28.10.1941; Rüß, Wehrmachtskritik aus ehemaligen SS-Kreisen, S. 441. Aufschlussreich sind die Verluste, welche die beteiligten Einheiten, 3./FeldgendarmerieAbt. 581 und die l./Pol.-Btl. 309, im Zeitraum von Ende September bis Ende Oktober 1941 hatten: zwei Tote und ein Schwerverwundeter. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Kommandant, Tagesbefehl vom 24.10.1941. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Erlass vom 2.9.1941. BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 21.-27.9.1941. IfZ-Archiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu., Befehl vom 27.9.1941. Vgl. hierzu auch Klein, Zivilbevölkerung Weißrußlands, S.86f. BA-MA, RH 20-2/1445: AOK 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 2 8 . 9 4.10.1941.

5.5 Partisanen

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Gesichtspunkt der „militärischen Effizienz" war diese Strategie der Friedhofsruhe letzten Endes nur kontraproduktiv. Bei der 221. Sicherungsdivision,

die damals weiter westlich, im Rückwärtigen

Heeresgebiet Mitte operierte, war das nicht anders. In ihrem Fall sind wir aufgrund ihrer peniblen Buchführung noch präziser darüber informiert, wie sehr sich ihre „Kriegführung" in eben dieser Zeit radikalisierte 1 7 7 . Von Anfang Juli bis Mitte September nahm sie 3 4 0 0 „Partisanen" und 126 „Partisanenhelfer" fest 1 7 8 , von denen sie allerdings „nur" 134, also 3,8 Prozent, erschoss. Seit Mitte September veränderte sich diese Relation 1 7 9 - zweifellos auch eine Wirkung von Schenckendorffs verhängnisvollem Befehl, mit dem er alle versprengten sowjetischen Soldaten kriminalisierte. Das soll im Umkehrschluss nicht heißen, dass alle Versprengten ihren Krieg hinter den deutschen Linien völkerrechtskonform fortgesetzt hätten 1 8 0 . D o c h hatte darüber allein die deutsche Truppe zu entscheiden, nicht aber ihre Kriegsgerichte, so dass der Willkür Tür und Tor geöffnet war. Die 221. Sicherungsdivision ist auch dafür ein Beispiel: In der Zeit von Mitte September bis Mitte N o v e m b e r 1941 erschoss sie insgesamt 1 8 4 7 „Partisanen" 1 8 1 . Weitere 8 4 1 7 Menschen wurden als „Partisanen", 3 820 als „Partisanenhelfer" oder als „partisanenverdächtig" festgenommen 1 8 2 . Damit hatte diese Division ihre „Tötungsquote" auf 15,1 Prozent hochgeschraubt. Z w a r tötete sie selbst jetzt den kleineren Teil jener, die man unter das Verdikt des Partisanen stellte, doch ändert das nichts an einer vierstelligen Zahl jener Opfer, die innerhalb von nur acht Wochen starben! Zweifellos war auch hier der Partisanenkrieg mehr als nur eine Fiktion, bereits im August 1941 musste sich die 221. mit einer „bewaffneten Bande von 1 0 0 0 M a n n " herumschlagen 1 8 3 , selbst „in kleinsten Gruppen" konnten die Partisanen schon da177 178

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Zur Bedeutung dieser Zäsur vgl. Shepherd, War, S. 96. Die Angaben sind dem Kriegstagebuch der 221. Sicherungsdivision (IfZ-Archiv, MA 1660) und ihren Tagesmeldungen an den Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Mitte (IfZArchiv, MA 1665) entnommen, wobei hier die Zahl der toten Partisanen etwas höher liegt. Die hier verwendeten Angaben orientieren sich an den höheren Zahlen. Dort auch die im Folgenden genannten Zahlen. Zu den Meldungen anderer Sicherungsdivisionen, die in der Regel höher lagen, vgl. Kap. 3.2. So auch Shepherd (War, S.83ff.), der ebenfalls unter der Kapitel-Uberschrift „Bludshed Mushrooms" auf den Radikalisierungsschub ab Herbst 1941 verweist. Vgl. hierzu Kap.5.3. Eine Unterscheidung zwischen tatsächlichen oder vermeintlichen Partisanen ist aufgrund der deutschen Quellen nicht möglich. Entscheidend war, dass die Frist, die der Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Mitte, General von Schenckendorff, den versprengten Rotarmisten eingeräumt hatte, um sich bei deutschen Dienststellen zu melden, am 15.9.1941 ablief. Danach sollten alle sowjetischen Soldaten, die sich noch im Militärverwaltungsgebiet befanden, wie Partisanen behandelt werden. Vgl. hierzu Kap. 5.2 und 5.3. Faktisch eröffnete dies jeder Einheit die Möglichkeit, mit diesen Kriegsgefangenen nach eigenem Gutdünken zu verfahren. Damit lässt sich nicht nur die Tatsache erklären, warum aie Opferzahlen bei der 221. Sicherungsdivision seit September sprunghaft in die Höhe schnellten, sondern auch der Umstand, dass mehrere Tausend Partisanen als „festgesetzt", aber als nicht erschossen gemeldet wurden. Die Zahl der erschossenen Partisanen, die Shepherd nennt (War, S. 85), ist mit 1746 Opfern etwas niedriger. IfZ-Archiv, MA 1660: 221. Sich. Div., Abt.Ia, Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.8.1941. Vgl. auch BA-MA, RH 53-7/206: Beobachtungs-Ers. Abt. 7, „Bericht über die Reise zur Ostfront" vom 22.8.1941: „Feindliche Truppenkörper bis zur Stärke eines Kavallerie-Regiments mit Artillerie befinden sich heute noch bis zu 400 km hinter der Front in den Wäldern." Dies betraf ab Oktober 1941 das gesamte Hinterland der H.Gr. Mitte. Vgl. hierzu Reinhardt, Wende, S. 129.

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5. Verbrechen

mais „bis z u r Vernichtung" k ä m p f e n 1 8 4 . D o c h bleibt der Eindruck, dass nicht nur die deutsche F ü h r u n g 1 8 5 , sondern auch die Besatzungstruppe selbst darauf nur eine Reaktion kannte - einen undifferenzierten und grausamen T e r r o r 1 8 6 , der im Endeffekt den Guerillakrieg eher f ö r d e r t e als bremste, weil er jede Verhältnismäßigkeit vermissen ließ. Die deutsche Terminologie lässt den Anteil derer, die hier zu U n r e c h t an die W a n d gestellt w u r d e n , nur schwer erkennen. Sicher ist, dass er sehr groß w a r 1 8 7 . D o c h gab es auch im Hinterland „die anderen Soldaten" 1 8 8 , bei denen das G e f ü h l f ü r G u t und Böse noch nicht v e r k ü m m e r t war, selbst w e n n sie in den amtlichen Quellen n u r am Rande v o r k o m m e n : berichtet w i r d v o n einzelnen Hilfsmaßnahmen f ü r Einheimische 1 8 9 , kritisiert w i r d der Leichtsinn „bei Festnahmen und Wiederentlassungen v o n unsicheren Elementen" 1 9 0 - selbst Partisanen seien „deutsche Ausweise" ausgestellt w o r d e n 1 9 1 . A u c h schlug die Truppe schon damals 184 185

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IfZ-Archiv, MA 1666: Lds. Schtz. Rgt. 45, Befehl, betr. „Partisanenbekämpfung" vom 8.10.1941. Am 16.9.1941 hatte Keitel als Chef OKW seinen bekannten Erlass „über die Bekämpfung kommunistischer Aufstandsbewegungen" ausgegeben. Er forderte als „Sühne für ein deutsches Soldatenleben [...] die Todesstrafe für 50-100 Kommunisten". „Die Art der Vollstreckung muß die abschreckende Wirkung noch erhöhen." Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.359f. Zweifellos hat die 221. Sich. Div. nicht Keitels Quoten erfüllt. Doch befahl sie am 20.9.1941: „Verdächtige Zivilisten werden, wenn sie als russische Wehrmachtsangehörige oder verbrecherische Elemente erkannt werden, sofort erschossen. Ansonsten werden sie der nächsten Dienststelle der GFP, des SD oder dem nächsten Dulag übergeben. Bestätigt sich dort der Verdacht nicht, können sie entlassen werden." IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sien. Div., Abt.I b, Anordnung vom 20.9.1941. Die eminent hohe Zahl der Verhaftungen erklärt sich auch damit, dass die 221. Sich. Div. „Zivilpersonen ohne Ausweis" festnahm „und der GFP bzw. dem nächsten Dulag" zuführte. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1665: 221. Sich. Div., Abt.I a, Meldung an den Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 21.10.1941. Vgl. hierzu die Einschätzung Pohls (Herrschaft, S.297), demzufolge „im Durchschnitt etwa 20-30 % der Todesopfer bei den deutschen Aktionen auch Partisanen waren, offensichtlich in den frontnahen Gebieten der RSFSR ein höherer Satz und entsprechend im Zivilgebiet ein niedrigerer". Geringer dagegen die Einschätzungen bei Gerlach (Morde, S.907: „etwa 10 bis 15 Prozent") und Röhr (Forschungsprobleme, S.203), der sie sogar nur auf 5 Prozent veranschlagt. So der Titel von Haase/Paul (Hrsg.), Die anderen Soldaten, Frankfurt a.M. 1995. Erwähnt wird die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung durch Einheiten der 221. sowie ein Fall, bei dem zwei Schützen ein Kind aus einem brennenden Haus „schwer verletzt und mit Brandwunden" herausholten und versorgten. IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sich. Div., Abt. VII, Meldung vom 19.9.1941; IfZ-Archiv, MA 1666: 6./Lds. Schtz. Batl. 230, Meldung an Lds. Schtz. Batl. 230 vom 28.10.1941. IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I a, „Korpsbefehl Nr.38" vom 8.8.1941. Auch das OKH kritisierte am 2.10.1941, dass die Kontrolle der Zivilbevölkerung zu nachlässig sei, dass abseits liegende Ortschaften „nicht durchkämmt" würden, „daß deutsche Kommandobehörden besonderes Vertrauen ehrwürdig und bieder aussehenden älteren Leuten entgegenbringen" würden und dass deutsche Ortskommandanturen immer wieder Passierscheine für Partisanen ausgestellt hätten. BA-MA, RH 20-6/135: OKH/GenStdH/O.Qu. IV/Abt. Frd. Heere Ost (II c), Erlass vom 2.10.1941. Vom Korück 580 ist ferner ein Fall überliefert, bei dem vier Soldaten am 28.10.1941 bis zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurden, weil sie eine „Wasch- und Putzfrau" dieser Einheit ausgeplündert hatten. BA, ZNS, RH 23-G, Gericht Korück 580, Nr. 179/41: Strafsache gegen Uffa. J., OGefr. B., OGefr. K. und Gefr. B. IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I c, „Korpsbefehl Nr.51" vom 11.9.1941; IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt.I c, Anlage zu „Feindnachrichten" vom 24.10.1941; IfZ-Archiv, MA 1667: Kdo. 221. Sich. Div., Meldung betr. „Feststellungen in Klimowitschi" an 221. Sich. Div. vom 23.10.1941.

5.5 Partisanen

729

vor, kollaborationsbereite Partisanen zu schonen und „ihnen das Leben und eine Existenz" zu versprechen 1 9 2 ; und schließlich w u r d e von der Möglichkeit der Inhaftierung viel häufiger Gebrauch gemacht als v o m dem der Exekution 1 9 3 . Bei diesen konnte es passieren, dass sie v o n den Offizieren übernommen werden musste, da „die Masse der Männer" hierfür „zu weich" sei, so die Klage aus der 2 2 1 . 1 9 4 . Trotzdem blieben das Ausnahmen, schon weil die Vorgaben anders lauteten. Sie hatten zur Folge, dass auch dieser Besatzungsverband letzten Endes im Sinne der obersten Führung funktionierte 1 9 5 . A u c h die kämpfende Truppe blieb damals v o m irregulären Krieg nicht verschont. Sie kam nun in Gebiete, in denen „von irgendeiner Begeisterung oder lebhaftem Empfang" nichts mehr zu merken w a r 1 9 6 . Trotzdem bemühte sich deren Führung meist noch um ein gutes Verhältnis zu den Einheimischen - so etwa die Heeresgruppe Mitte 1 9 7 , die 2. A r m e e 1 9 8 oder das X X X I V . Höhere Kommando, das im August von seinen Soldaten „straffste Disziplin" verlangte, „um das Vertrauen der Zivilbevölkerung zur deutschen Wehrmacht aufrecht zu erhalten" 1 9 9 . Seine Forderung lautete, „die ansässige, arbeitende Bevölkerung, die v o n den Deutschen eine Besserung ihrer Lage erwartet, human zu behandeln" 2 0 0 . Selbst die 2. Panzerarmee rief noch im O k t o b e r 1941, kurz v o r ihrer Radikalisierung, zur 192 193

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IfZ-Archiv, MA 1666: Lds. Schtz. Rgt. 45, Befehl betr. „Partisanenbekämpfung" vom 8.10.1941. IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sich. Div., Abt.I b, Anordnung vom 20.9.1941: „In jedem Dulag ist - soweit noch nicht vorhanden - sofort eine Abteilung für Zivilisten einzurichten." IfZArchiv, MA 885: Korück 580, Abt. Qu., Kriegstagebuch, Eintrag vom 15.11.1941, wo berichtet wird, dass die Armee-Gefangenen-Sammelstelle 4 in Kursk 2100 Gefangene übernommen habe, davon 1100 Zivilisten. 467 Zivilisten seien daraufhin sofort „auf Verfügung durch G.F.P. entlassen" worden. IfZ-Archiv, MA 1666: Inf. Rgt. 350, Voraus-Abt., Meldung an 221. Sich. Div. vom 14.10.1941. Vgl. auch IfZ-Archiv, MA 1661: Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte, Abt.I a, Befehl an die 221. Sich. Div. vom 26.7.1941: „Die Div. meldet, dass sie etwa 20 Kommunisten gefaßt und in das .Gefängnis' eingeliefert hat. Wenn es erforderlich ist, Kommunisten zu erfassen, kann es sich nach diesseitiger Auffassung nur um solche Elemente handeln, die nach den mündlich übermittelten Bestimmungen an den SD zu übergeben wären. Die Einlieferung in das Gefängnis zur gerichtlichen Aburteilung ist verboten. Die Kommunisten sind dem SD sogleich zu übergeben." Vgl. mit der Mahnung des I c der 221. Sich. Div.: „Als wirksamste Propaganda hat sich jedoch die Haltung der deutschen Soldaten und die Propaganda der Tat herausgestellt." IfZ-Archiv, MA 1667: 221. Sich. Div., Abt.I c, „Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10.5.-14.12.1941" vom 14.12.1941. Vgl. etwa PA-AA, R 60704: AOK 2, Abt.I c/VAA, „Bericht Nr. 15" vom 5.9.1941: „Von irgendeiner Begeisterung oder lebhaftem Empfang, die unsere Truppen erwarten sollten, ist in dieser Gegend der Ukraine allerdings wenig zu merken. Die Ursache dafür ist in erster Linie auf den unmittelbaren Eindruck der Kämpfe zurückzuführen, die Bewohner sind verschreckt und stehen unter dem Eindruck der verlorenen oder vernichteten Habe." Bock, Tagebuch, S.227 (Eintrag vom 22.7.1941). Das AOK 2 erinnerte damals daran, „daß die im Rücken der Truppe aufgetretenen „Partisanengruppen [...] erfahrungsgemäß tatsächlich weniger durch die Masse der Bevölkerung unterstützt [würden], als durch die noch vorhandenen politischen Funktionäre und sonstige aktivistisch eingestellte Kommunisten". Im Oktober 1941 war man beim AOK 2 der Ansicht, dass „Kollektivmaßnahmen gegen Dörfer und deren Bevölkerung" eine „Ausnahme" bleiben müssten. Vielmehr bestehe „bei geschickter und freundlicher Behandlung" der Zivilbevölkerung die Chance, sie bei der Bekämpfung der Partisanen auf die eigene Seite zu ziehen. BAMA, RH 20-2/1091: AOK 2, Abt. I c/A.O./Abw. III, Befehl betr. „Bekämpfung des Bandenwesens" vom 7.8.1941; BA-MA, RH 20-2/1093: AOK 2, Abt. I c/A.O./Abw. III, Befehl betr. „Partisanenbekämpfung" vom 2.10.1941. BA-MA, RH 24-34/33: XXXIV. Höheres Kommando, Abt.I a, Kriegstagebuch vom 3.8.1941. IfZ-Archiv, MA 1634: XXXIV. Höheres Kommando, Bfh., Weisung an den „Herrn Div.Kommandeur der 296. Div." vom 14.8.1941.

730

5. Verbrechen

Mäßigung auf: Z w a r sei es „unwürdig, heute schon so zu tun, als ob es nie etwas Trennendes zwischen Sowjetrußland und Deutschland gegeben habe [...]. Andrerseits aber entspricht es nicht deutscher Größe, w e n n der einzelne Soldat sich in der Geste des Siegers und Eroberers fühlt, w e n n er glaubt, er könne jeden Bürger des Landes in herrischer Weise zu den privatesten Handreichungen anstellen und seine Bitte um Entlohnung mit drohender Beschimpfung abtun. Unsere Haltung fordert viel Takt und viel Weitsicht." 2 0 1 Das scheint zunächst nicht ohne Wirkung auf die unterstellten Divisionen geblieben zu sein: Bei der „Vierten" w a r noch im August der bloße Verdacht auf Sabotage 2 0 2 oder auf Unterstützung der Partisanen kein automatischer Erschießungsgrund 2 0 3 . Die 296. ID forderte damals eine korrekte Behandlung der Zivilisten, um sie nicht „zu einer feindlichen Haltung" zu drängen 2 0 4 . Natürlich waren derartige Äußerungen Ausdruck einer Politik des „sow o h l als auch", die - wie noch zu zeigen sein wird - großen Schwankungen unterlag. D o c h unterschieden sich diese Signale zunächst noch deutlich von jenen „drakonischen" 2 0 5 Vorgaben, die damals aus dem Führerhauptquartier kamen. Im Herbst 1941 aber begann die Stimmung definitiv zu kippen - auch an der Front. Die Soldaten w u r d e n nun intensiv über die Partisanen „belehrt", und Farnbacher blieb sicherlich nicht der einzige, der v o n nun an „vorsichtiger" sein w o l l te 2 0 6 . Eine Division wie die 296. duldete nun keine Zivilisten in ihrem Gefechtsgebiet mehr 2 0 7 und befahl, alle Partisanen „ohne Rücksicht und falsche Humanität 201

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IfZ-Archiv, MA 1590: „Das Neueste für den Soldaten. Wandzeitung für Orel, Nr. 2 vom 19.10.1941. Hrsg. von der Prop. Komp. [693] einer [der 2.] Panzerarmee". Auch sonst hielt die 4. Pz. Div. damals noch auf Zucht und Ordnung. Anfang Oktober drohte die 4. Pz. Div. mit der Todesstrafe, weil zwei ihrer Angehörigen in betrunkenem Zustand das Stadtmuseum von Orel angezündet hatten. IfZ-Archiv, MA 1581: Stadtkommandant von Orel, Anordnung vom 5.10.1941. IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt.Ic, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 29.7.24.8.1941: „Einige Fälle von Fernsprechkabel-Beschädiguneen wurden gemeldet. Es konnte nicht einwandfrei erwiesen werden, ob es sich um Sabotageakte handelte." BA-MA, RH 27-4/116: 4. Pz. Div., Abt. I c, Aktenvermerk vom 22.8.1941. Ferner IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt.I c, Schreiben an Pz. AOK 2, Abwehr-Gruppe vom 20.10.1941, wo als Ergebnis eines Verhörs eines Mzensker Bürgers festgehalten wird, dass sich hier der Verdacht der Partisanenbeteiligung „nicht einwandfrei nachweisen" ließ. IfZ-Archiv, MA 1634: 296. Inf. Div., Abt.I a, „Divisionsbefehl Nr.52" vom 4.8.1941. Allerdings hieß es in diesem Befehl auch: „Die Zivilbevölkerung ist anzuhalten, fremde Elemente, Versprengte usw. anzuzeigen. Ihr ist anzudrohen, daß sie bei Unterstützung derartiger Elemente selbst auch zur Rechenschaft gezogen wird." Vgl. auch BA-MA, RH 24-17/269: XVII. A.K., Abt.III, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.9.-31.12.1941. Verhandelt wurden u.a. 7 Straffälle wegen DieLstahls bei Zivilisten sowie ein Fall von Notzucht. Dem XVII. A.K. war die 296. I.D. damals zeitweise unterstellt. So explizit die Weisung Nr. 33 a vom 23.7.1941. Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S. 141-145, hier S.145. BA-MA, RH 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 29.9.1941, wo es heißt, dass „Sicherungsmaßnahmen" gegen Freischärler nun zum „Allgemeingut der Truppe" gehörten. BA-MA, MSg 1/3272: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 29.9.1941 sowie Neumann, 4. Panzerdivision, S.277; IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 28.9.-25.10.1941: „Belehrung der Truppe über Verhalten gegenüber der (feindlich eingestellten) Zivilbevölkerung." BayHStA, Abt. IV, NL Thoma 5: Inf.-Rgt. 519, Kriegstagebuch, Eintrag vom 21.8.1941: „Das Rgt. [519] befiehlt hierzu: Im Rgts. abschnitt (etwa 5 km tief) sind sämtliche Zivilisten, die in diesem Streifen wohnen, zu evakuieren. Jeder Zivilist, der in diesem Streifen angetroffen wird, ist sofort festzunehmen und dem Rgt. zu überführen." Immerhin scheint bemerkenswert, dass auch hier nirgends von Erschießungen die Rede ist. Vgl. auch BA-MA, MSg 2/5317: 296. Inf. Div., Abt.I c, Befehl betr. „Verhalten gegenüber feindl. Spionage u. Sabotagetrupps" vom 20.8.1941.

5.5 Partisanen

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zu vernichten" 2 0 8 . Einer ihrer Angehörigen hat beschrieben, wie die Bevölkerung „durch einen Dolmetscher zusammengerufen" und den Partisanen „gegenübergestellt" wurde. „Der Dolmetscher mußte nun zu verstehen geben, daß diese sich als nicht reguläre Kampftruppe gegen uns gewandt hätten und aus diesem Grund erschossen würden. Für den Fall, daß sich dies wiederholen sollte, würden die männlichen Einwohner der Ortschaft ohne Ausnahme erschossen. Die ersten und zugleich auch gefährlichsten Typen dieser Art wurden unter Anwesenheit der Bevölkerung außerhalb der Ortschaft erschossen." 2 0 9 Ein ähnlich rigides Vorgehen ist auch von den anderen Kampfverbänden unseres Samples überliefert, selbst wenn es in seinem Ausmaß nicht mit dem zu vergleichen ist, was sich damals in den Rückwärtigen Gebieten ereignete 210 . Das wird schon an den Kräften deutlich, welche diese Divisionen damals zur Bekämpfung der Partisanen einsetzten: Bei den „Vierern" war es „eine Kradschützenkompanie" 2 1 1 , bei der 296. I D nicht mehr als „ein kampfkräftiger Spähtrupp" 2 1 2 , während die 45. ID sich mit Hilfe eines Trupps Reiter diesen Kleinkrieg vom Leibe halten wollte 2 1 3 . Je mehr sich freilich die militärische Lage zuspitzte, desto unnachsichtiger reagierte die Fronttruppe auf jede zusätzliche Bedrohung, auch auf die potentielle. Das war neu. Besonders schlimm wurde es bei der 4. Panzerdivision. Als ihr Vormarsch zu stocken begann, errichtete sie in ihrem Frontabschnitt ein wahres Schreckensregiment. Hier manifestierte sich nicht allein die Frustration über die militärische Entwicklung, die Zunahme des sowjetischen Guerillakriegs 214 , die Tatsache,

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Die Räumung der Gefechtszone, die im Übrigen auch dem Sicherheitsbedürfnis der Zivilisten Rechnung trug, wie auch die zeitweilige Internierung der Zivilbevölkerung gehörten damals zum international anerkannten Kriegsbrauch. Vgl. Umbreit, Kontinentalherrschaft, S. 186. B A - M A , MSg 2/5317: 296. Inf. Div., Abt.I c, Befehl betr. „Verhalten gegenüber feindl. Spionage u. Sabotagetrupps" vom 20.8.1941. Vgl. auch ebda., N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 30.8.1941. Manuskript, Κ. H., „Unser Einsatz im Osten", o. D., Kopie im Besitz d. Verf. Ferner B A - M A , MSg 2/5317: 296. Inf. Div., Abt.I c, Befehl betr. „Verhalten gegenüber feindl. Spionage u. Sabotagetrupps" vom 20.8.1941. Dahinter stand ein System; in seinen „Richtlinien für Partisanenbekämpfung" befahl das O K H am 25.10.1941, dass zur Bekämpfung der Partisanen pro Division „eine mot. Eingreifgruppe in Stärke von mindestens 2 Kompanien" zu bilden sei. IfZ-Archiv, MA 1564/29, N O K W - 2 2 5 8 : ObdH/GenStdH/Ausb. A b t . ( I a ) , „Richtlinien für Partisanenbekämpfung" Nr. 1900/41 vom 25.10.1941. Nach Schulte (German Army, S. 136f.) forderten freilich die „Kleinunternehmungen" besonders hohe Verluste. B A - M A , R H 27-4/12: 4. Pz. Div., 5. Pz. Brig., Gefechtsbericht für die Zeit vom 25.8.29.8.1941. Generell begann die kämpfende Truppe seit Herbst 1941 „Jagdkommandos" zur Bekämpfung der Partisanen abzuordnen. Vgl. Förster, Sicherung, S. 1042; Rass, „Menschenmaterial", S.342. IfZ-Archiv, MA 1635: 296. Inf. Div., Abt.I c, „Meldung über die Sprengung der PartisanenZentrale dicht südl. des Bolischoj Cheron-Sees (etwa 13 km südwestl. Trubtschewsk)" vom 18.10.1941; IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 28.9.-25.10.1941. Dazu gehörte auch die Praxis, dass man die Hinrichtung der Partisanen der Geheimen Feldpolizei überließ: „Alle der Zugehörigkeit zu Partisanen Abteilungen Verdächtige wurden nach Verhör der G.F.P. beim Gen. Kdo. zugeführt." IfZ-Archiv, MA 1637: 296. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit von 29.7.-24.8.1941. In diesem Sinne auch ebda., 296. Inf. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 25.8.-27.9.1941. B A - M A , R H 26-46 D: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 26.11.1941. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., A b t . I c , „Feindnachrichtenblatt 1" vom 17.10.1941; B A - M A , R H 27-4/19: 4. Pz. Div., Kdr., Fernspruch vom 11.11.1941. Ferner BA-

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5. Verbrechen

dass sie mittlerweile im russischen Kerngebiet kämpfte 215 , oder der Beginn der Schlechtwetter-Periode, der dazu führte, dass die Deutschen mit den Einheimischen „Seite an Seite" in völlig „überfüllten" Räumen hausten 216 . Am folgenreichsten war der berüchtigte Reichenau-Befehl, der just zu diesem Zeitpunkt auch die 2. Panzerarmee erreichte und der die latenten Tendenzen zur Radikalisierung nun offiziell legitimierte 217 . „Schonung verdächtiger Elemente ist nicht am Platze" 218 , lautete nun die Parole. Waren russische Zivilisten „soldatenverdächtig", so konnte schon allein das das Todesurteil bedeuten 219 . Wohlgemerkt: Nicht der Kampf in Zivilkleidung galt als „Verbrechen", sondern deren bloßer Gebrauch durch versprengte Rotarmisten. Auch Repressalien gegen die männliche Zivilbevölkerung schienen nun im Falle von Partisanenangriffen als legitim 220 . Die Aufzeichnungen Farnbachers, der sehr offen schildert, wie nun in seinem Umfeld „nicht mehr viel Federlesen" gemacht und ein „verdächtiger" Zivilist nach dem anderen „umgelegt" wurde 221 , vermitteln einen Eindruck davon, wie schnell nun diese .barbarischen Manieren' durchbrachen, so das Urteil Farnbachers 222 . Er war damals „froh", mit all dem „nichts zu tun" zu haben 223 . Aber wie viele in seinem Umfeld dachten noch so? Es ist sicherlich richtig, dass es damals auch im Gefechtsgebiet zu einzelnen irregulären Angriffen gekommen ist. Die Schuld der Wehrmacht aber war es, und das betrifft speziell auch die Truppe, dass sie spätestens seit Herbst 1941 zusätzlich Ol ins Feuer goss, anstatt auf eine Deeskalation hinzuarbeiten. Den Charakter jenes „schmutzigen Krieges", den sie mittlerweile nicht nur im Hinterland führte, können selbst Nüchternheit und Abstraktion der amtlichen Quellen nicht völlig verbergen: „Durch die GFP wurde unter Ausnutzung von zwei festgenommenen Partisanenweibern als Kundschafter im Raum von Worga (20 km südlich von Roslawl) ein nichtbesetztes Partisanenlager entdeckt und zerstört. 6 Partisanen wurden in Worga festgenommen. Diese wie auch die beiden Flintenweiber wurden

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M A , R H 2 1 - 2 / 2 4 4 : Pz. A O K 2, A b t . I a, Kriegstagebuch, Eintrag v o m 4 . 1 1 . 1 9 4 1 : „Im Waldgebiet nördl. Brjansk befinden sich zahlreiche Partisanen, die sich aus ehemaligen Soldaten der Kesselkämpfe und aus der Industriebevölkerung zusammensetzen." Bei ihrem Vormarsch in die Ukraine hatte die Division noch die Erfahrung gemacht, dass sich die Bevölkerung ihr gegenüber „äußerst freundlich" verhielt. Neumann, 4. Panzerdivision, S.292. B A - M A , R H 2 4 - 3 4 / 4 1 a: X X X I V . Α . K., Abt. I a, Anlage zum Kriegstagebuch v o m 1 1 . 1 0 . 1 9 4 1 : „Jeder kleinste Raum des Ortes war von Soldaten, die Schutz gegen Kälte und Nässe suchten, überfüllt." B A - M A , MSg 1/3273: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 9 . 1 0 . 1 9 4 1 : „Das gibt natürlich jetzt ein ziemliches Gedränge, weil alles ein Dach finden will und doch nicht übermäßig viel Platz da ist." Ferner B A - M A , Ν 10/9, N L Smilo Frhr. von Lüttwitz, Brief v o m 1 4 . 1 1 . 1 9 4 1 ; B A - M A , R H 2 4 - 2 4 / 1 3 5 : Pz. A O K 2, Abt. II a, Weisung v o m 1 . 1 2 . 1 9 4 1 . A m 6 . 1 1 . 1 9 4 1 hatte sich Guderian den Reichenau-Befehl „zu eigen" gemacht. B A - M A , R H 2 4 - 2 4 / 1 2 8 : Pz. A O K 2, A b t . I a, Weisung vom 6 . 1 1 . 1 9 4 1 . IfZ-Archiv, M A 1590: Pz. A O K 2, A b t . I c / A . O . , „Feindnachrichten Nr. 13" v o m 1 9 . 1 1 . 1 9 4 1 . B A - M A , MSg 1/3274: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag v o m 1 3 . 1 1 . 1 9 4 1 . IfZ-Archiv, M A 1590: 4. Pz. Div., A b t . I c, „Entwurf: Div.-Tagesbefehl", o . D . Ebda., Einträge v o m 9 . 1 1 . , 13.11., 2 4 . 1 1 . , 2 5 . 1 1 . und 3 0 . 1 1 . 1 9 4 1 . B A - M A , M S g l / 3 2 7 2 : Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 2 3 . 9 . 1 9 4 1 : „Die russische Familie darf auch wieder in ihr Haus einziehen, nachdem sie kleine Kinder hat und den Türhaken offenbar niemand absichtlich entfernt hat; ich finde ja die Manieren teilweise auch recht barbarisch." B A - M A , MSg 1/3275: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag v o m 3 0 . 1 1 . 1 9 4 1 .

733

5.5 Partisanen

e r s c h o s s e n " 2 2 4 , ist in e i n e m B e r i c h t d e r 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n v o m N o v e m b e r 1 9 4 1 z u lesen, eine i h r e r E i n h e i t e n m e l d e t e d a m a l s lapidar: „ D a t r o t z aller . E r m a h nungen' weitere Auskünfte nicht zu erhalten w a r e n " , hätte m a n den Partisan erh ä n g t . 2 2 5 U n d a u c h die 4 . P a n z e r d i v i s i o n e m p f a h l n u n b e i m V e r h ö r „ v o n F r e i schärlern (nicht uniformierte Arbeiterbat[ail]l[one]): [ . . . ] Reichlicher

Gebrauch

von Gegenüberstellungen, Gegeneinanderausspielen der Leute, P r ü g e l . " 2 2 6

5.5.6 Dezember 1941-Februar 1942: Wende, auch im Hinterland E s w a r e n die E r e i g n i s s e an d e r F r o n t , die w ä h r e n d d e r f o l g e n d e n W i n t e r m o n a t e alles b e h e r r s c h t e n . D e r R e s t s c h i e n z w e i t r a n g i g , a u c h das G e s c h e h e n i m r ü c k w ä r tigen d e u t s c h e n B e s a t z u n g s g e b i e t . N i c h t w e n i g e H i s t o r i k e r h a b e n d a h e r diese W i n t e r m o n a t e als eine P a u s e i m P a r t i s a n e n k r i e g v e r s t a n d e n 2 2 7 . U n s e r

Sample

s c h e i n t eine s o l c h e D e u t u n g v o r d e r g r ü n d i g z u bestätigen. Selbst ein B e s a t z u n g s v e r b a n d w i e die 2 2 1 . w a r d a m a l s d o r t eingesetzt, w o die E n t s c h e i d u n g e n fielen: an d e r F r o n t . D o c h blieb diese S c h w e r p u n k t v e r l a g e r u n g n i c h t f o l g e n l o s 2 2 8 .

Denn

g e n a u in d e m M o m e n t , w o die d e u t s c h e B e s a t z u n g s m a c h t in d e n R ü c k w ä r t i g e n G e b i e t e n s c h w ä c h e r w u r d e , b e g a n n e n sich a n d e r e dieser F r e i r ä u m e z u b e m ä c h t i gen. A m Beispiel des K o r ü c k 5 8 0 lässt sich das sehr g e n a u v e r f o l g e n 2 2 9 . Seit D e z e m b e r 1 9 4 1 w a r e n die d e u t s c h e n B e s a t z u n g s t r u p p e n hier s o in d e r M i n d e r h e i t , dass es fraglich schien, o b sie sich selbst n o c h i m u n m i t t e l b a r e n H i n t e r l a n d d e r F r o n t behaupten würden230.

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IfZ-Archiv, MA 1665: 221. Sich. Div., Abt. I a, Meldung an den Bfh. Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 13.11.1941. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1666: Partisanen-Bekämpf.-Batl. (Wach-Batl. 701), Meldung an Inf. Rgt. 350 vom 21.11.1941. Schon im September 1941 legte das X X I V . Panzerkorps „Wert darauf, einzelne Freischärler über die Organisation zu vernehmen. Gefangene Freischärler sind nicht sofort abzuurteilen, sondern zunächst dem Generalkommando I c, auch verwundet, zur Vernehmung anzubieten [sic]." B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 26.9.1941. Vgl. hierzu auch Umbreit (Herrschaft, S. 154), der darauf hingewiesen hat, dass die Deutschen im Partisanenkrieg „mit den brutalsten Mitteln" verhörten. IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Kdr., „Punkte für I-c-Offiziersbesprechung am 17.11.41". Umbreit, Probleme, S. 135; Richter, „Herrenmensch", S . l l . Dagegen Nolte, Partisan War, S.270. Erinnert sei an die skeptische Lageeinschätzung der Einsatzgruppe B, die bereits im September 1941 moniert hatte, man gehe „in deutschen militärischen Kreisen" davon aus, „daß mit Beginn der Kälteperiode sich die Partisanenfrage .selbst löst', indem die Partisanen aus den Wäldern kommen und sich .stellen müssen"* IfZ-Archiv, MA 91/2: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr.92 vom 23.9.1941. Vgl. auch Shepherd, War, S. 105. Philippi/Heim, Feldzug, S. 99. Vgl. hierzu auch Hürter, Heinrici, S. 121 (Tagebucheintrag vom 5.12.1941). Vgl. Kap. 3.4 sowie IfZ-Archiv, MA 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 148 vom 19.12.1941: „Die Partisanentätigkeit hat im Bereich der Einsatzgruppe weiter zugenommen. Auch der strenge Frost hat ein Nachlassen dieser Tätigkeit nicht zur Folge gehabt. Auf der einen Seite richten sich die Angriffe der Partisanen nach wie vor gegen Angehörige und Einrichtungen der deutschen Wehrmacht, auf der anderen Seite gehen die Partisanen gegen die Bevölkerung in gleicher Weise vor wie früher." Das betraf auch jene Teile der 221. Sich. Div., die im Rückwärtigen Heeresgebiet Mitte geblieben waren: „Durch Partisanentätigkeit ist im Gebiet um Brjansk und im Bereich der F[eld]K[ommandantur] 200 Konotop Nowgorod-Sewerski die Erfassung der Bestände im Lande erschwert." IfZ-Archiv, M A 1667: 221. Sich. Div., Abt.I b, Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.12.1941.

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5. Verbrechen

D a s w a r nicht die einzige V e r ä n d e r u n g dieses W i n t e r s 2 3 1 . D e r s o w j e t i s c h e U n t e r g r u n d w a r n u n besser a u s g e b i l d e t 2 3 2 , w u r d e k o o r d i n i e r t 2 3 3 u n d b e g a n n z u d e m seine O p e r a t i o n e n m i t d e m G e s c h e h e n an d e r F r o n t a b z u s t i m m e n , k u r z : E r e n t w i c k e l t e sich d a m a l s z u einem e r n s t z u n e h m e n d e n m i l i t ä r i s c h e n G e g n e r , w i e d e r G e n e r a l v o n S c h e n c k e n d o r f f a m l . M ä r z 1 9 4 2 eingestehen m u s s t e : „In d e r K a m p f e s w e i s e d e r P a r t i s a n e n ist im L a u f e des W i n t e r s ein d e u t l i c h e r W a n d e l eingetreten. W ä h r e n d die P a r t i s a n e n f r ü h e r fast a u s n a h m s l o s n u r in k l e i n e n G r u p p e n , m a n g e l h a f t b e w a f f n e t u n d o h n e militärisch geschulte F ü h r e r a u f t r a t e n , nach e r f o l g t e m U b e r f a l l sich s o f o r t a b z u s e t z e n u n d d e r n a c h s t o ß e n d e n T r u p p e

auszuweichen

p f l e g t e n , h a b e n sie sich j e t z t z u g r ö ß e r e n A b t e i l u n g e n u n t e r s t r a f f e r militärischer F ü h r u n g z u s a m m e n g e f u n d e n , sind mit allen m o d e r n e n I n f a n t e r i e w a f f e n , teilweise s o g a r m i t A r t i l l e r i e ausgerüstet u n d f ü h r e n e i n e n K a m p f , d e r sich in nichts v o n d e m e i n e r r e g u l ä r e n T r u p p e u n t e r s c h e i d e t . D u r c h K e n n t n i s des L a n d e s u n d seiner B e völkerung, durch Ausnutzung der Furcht v o r der Rückkehr der Bolschewisten und d u r c h geschickte P r o p a g a n d a sind sie d e r B e s a t z u n g s t r u p p e ü b e r l e g e n . " 2 3 4 D a s w a r d e u t l i c h . D i e M a c h t des s o w j e t i s c h e n U n t e r g r u n d s w u c h s d a m a l s so rapide, dass selbst an d e r F r o n t „die U n s i c h e r h e i t g r o ß " w u r d e 2 3 5 . A u ß e r h a l b i h r e r S t e l l u n g e n w a r a u c h die k ä m p f e n d e T r u p p e n i c h t m e h r s i c h e r 2 3 6 . E i n e m B e r i c h t d e r 4. P a n z e r d i v i s i o n ist z u e n t n e h m e n , w i e a m 2 6 . D e z e m b e r 1 9 4 1 e t w a 3 0 0 P a r t i s a n e n „in B j a k o w o e i n e n d e u t s c h e n S t ö r u n g s t r u p p v o n 1 5 M a n n e r s c h o s s e n u n d die L e i c h e n in d e n K f z . " v e r b r a n n t e n 2 3 7 . U n d a u c h ein L e u t n a n t d e r 2 9 6 . I D ,

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So berichtete etwa die 221. Sich. Div., wie die sowjetischen Partisanen laufend durch sowjetische Fallschirmjäger verstärkt wurden. IfZ-Archiv, M A 1668:221. Sich. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 9.1.1942. Vgl. B A - M A , R H 20-6/770: A m t Ausl./Abw., Abt. III, Weisung betr. „Erfahrungen in der Partisanenerkundung" vom 31.12.1941: „Es ist zu erwarten, daß der Russe von dem Einsatz intelligenter, militärisch vorgeschulter und genau eingewiesener Partisanen vermehrt Gebrauch machen wird. Mit einer sehr gewandten, organisierten Partisanentätigkeit ist im Winter zu rechnen." Ferner wurde hier berichtet, dass jeder Partisanen-Abteilung künftig ein Funker mit „Radio-Apparatur" sowie ein Flugzeug zugeteilt würde. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1590: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Feindnachrichten" vom 2.12.1941, w o über sowjetische „Sonder-Bataillone" im Rücken der deutschen Front berichtet wird, deren Auftrag es sei, „Brücken zu sprengen, Stäbe und einzelne Fahrzeuge zu überfallen und Terrorund Sabotageakte zu verüben". Vgl. hierzu auch Shepherd, War, S. 1 lOf. B A - M A , R H 22/230: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, „Vorschläge zur Vernichtung der Partisanen im rückw. Heeresgebiet und in den rückw. Armeegebieten" vom 1.3.1942. In diesem Sinne auch B A - M A , R H 20-2/292: A O K 2, A b t . O . Qu./Qu. 2, „Bericht über die Partisanenbewegung im Bereich der 2. Armee" vom 11.2.1942. Vgl. B A - M A , R H 39/373: Bericht von Albert Siebald über seine Erlebnisse in Rußland bei Pz.Gren. 22 und Feld-Ers.Btl. 84. Einer seiner Kameraden schilderte ebenfalls, dass sich seit dieser Zeit einzelne Soldaten nicht mehr hinter den eigenen Linien bewegen konnten. Vgl. B A - M A , R H 39/373: Hans Luther, frh. San.-Ofw. I.[Abt.]/[Pz.Rgt.] 35, o.D. Vgl. hierzu B A - M A , R H 20-2/1453: A O K 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, „Besondere Anordnung für die Partisanenbekämpfungen Nr. 4" vom 1.1.1942, w o es hieß, dass Partisanen in der Gefechtszone nur „vereinzelt" aufgetreten seien, während im Rückwärtigen Armeegebiet bereits ein „stärkeres Auftreten" registriert wurde. B A - M A , R H 24-24/143: XXIV. Pz. Korps, Abt. I a, Tagesmeldung vom 31.12.1941. Ein Angehöriger dieser Division berichtete später, wie bereits im Dezember 1941 ihre Marsch-Bataillone, aie personellen Ersatz an die Front bringen sollten, von Partisanen attackiert wurden. Vgl. B A - M A , R H 39/373: Bericht von Albert Siebald über seine Erlebnisse in Rußland bei Pz. Gren. 22 und Feld-Ers. Btl. 84. Auch bei ihrem Rückzug war die Division zuweilen Angriffen der Partisanen ausgesetzt. Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 11 vom M ä r z 1963, „Tagebuchblätter" (Einträge vom 26. und 28.12.1942).

5.5 Partisanen

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der im Hinterland aufklären sollte, erlebte geradezu gespenstische Szenen. O f t waren die Orte, die er passierte, völlig leer. Traf er auf Menschen, so wusste er nicht, ob sie auf sowjetischer oder deutscher Seite standen. In Dubno schließlich wurde er vom Bürgermeister begrüßt, der ihm „herausfordernd" die Hand gab und erklärte, „die Ortschaft sei von 400 Partisanen umstellt", er „käme nicht mehr heraus". Nur durch eine List und sofortige Flucht gelang es ihm, sich und seinen Reiter-Zug zu retten 238 . Aber auch bei ihren Märschen in Richtung Westen wurden die Kolonnen der 296. ID immer wieder von Partisanen, „bestens ausgerüstet mit M G , Granatwerfer, MP u[nd] automatfischen] Gewehren" 2 3 9 „aus Hecken, Büschen und Waldstückchen" beschossen 240 . Wirklichen Schutz boten nur noch die festen Stellungen 241 . Zeitweise reichte die Macht der Wehrmacht kaum darüber hinaus. Ein Angehöriger der „Vierer" hat eindrucksvoll geschildert, wie er im Januar 1942 nach Ordshonikidsegrad kam, w o man in den Wäldern rings um der Stadt die Motorengeräusche der Partisanen hörte 2 4 2 , ohne dass sie viel dagegen tun konnten 2 4 3 . Die Schwäche der deutschen Invasoren bot dem sowjetischen Untergrund Chancen, wie er sie bisher noch nie gekannt hatte. A n manchen Stellen ähnelte die deutsche Front schon einem schmalen isolierten Band 2 4 4 , das sowohl von vorne, aber zunehmend auch von hinten bedrängt wurde. Noch gefährlicher war, dass die regulären und die irregulären sowjetischen Kräfte ihre Operationen zunehmend aufeinander abstimmten: „Eine Schwächung der Front zu Gunsten der Bildung von Reserven bei Divisionen und Korps ist deshalb nicht möglich, weil der Russe durch seinen vorzüglichen Kundschafterdienst jede schwache Stelle erkennt und bei seiner Initiative jede Schwäche ausnutzt" 245 , meldete die 2. Armee, wenig später musste sie eingestehen, dass die Partisanen „auf dem Funk- und Luftwege in ständiger Verbindung mit der roten Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1636: Ltn. Mathieu, Ord. Offz., Rgt. Stab Inf. Rgt. 521, „Meldung über die Durchführung des Auftrages vom 10.12.41" vom 11.12.1941. IfZ-Archiv, M A 1636: Pz. Jg. Abt. 296, „Gefechtsbericht für die Zeit vom 2.1.-12.1.42", o. D. 2 4 0 B A - M A , MSg 2/5319: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 19.12.1941. IfZ-Archiv, M A 1637: 296. Inf. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.12.-31.12.1941, w o von „starken mit Schwerwaffen ausgerüsteten Partisanengruppen" die Rede ist. Erste irreguläre Angriffe hatte die 296. ID schon Ende November 1941 registriert. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, M A 1636: Inf. Rgt. 520, „Regimentsbefehl Nr. 1 für die Verteidigung vor Tula" vom 30.11.1941. Diese Scharmützel zogen sich bis Anfang Januar hin. IfZ-Archiv, M A 1632: 296. Inf. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 5.1.1942. 2 4 1 Im Falle der 296. ID war dies die „Wyra-Stellung". IfZ-Archiv, M A 1637: 296. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.1.-31.3.1942. 2 4 2 Seitz, Verlorene Jahre, S.119f. Vgl. auch B A - M A , MSg 1/3276: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 12.1.1942: „Neulich sollen auch 150 von ihnen [Partisanen] am Rande unserer Stadt erschienen sein, aber niemand war da, der ihnen etwas zuleide tun konnte." 2 4 3 B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 16.1.1942. In diesem Sinne auch: Die Geheimen Tagesberichte, Bd. 4, S. 101 (Eintrag vom 26.12.1941): „XXIV. A.K. Gruppe Eberbach: Schisdra von Partisanen besetzt. Kräfte zur Wiederbesetzung fehlen." 244 Vgl. Hürter, Heinrici, S. 151 (Tagebucheintrag vom 9.3.1942): „Wenn ich mir die Armee-Lage betrachte, ist sie doch eine erstaunlich absonderliche. In einer Front von 130 km steht sie wie ein schmales Band in 2x gebrochenem Winkel da." Vgl. DRZW, Bd. 4: Karten-Beiheft, Karte Nr. 20. Besonders gefährlich wurde die Lage im Bereich der nördlich liegenden 4. Armee, w o sich das Partisanengebiet mit den beiden nördlich bzw. südlich davon liegenden sowjetischen Stoßkeilen zu vereinigen drohte. Noch größer waren damals allerdings - wie die Karte auch verdeutlicht - die Partisanengebiete im Rücken der 2. Panzer- und der 2. deutschen Armee. 2 4 5 B A - M A , R H 20-2/1787: A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 20.1.1942. 238

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5. Verbrechen

Armee" ständen 246 . Würde aber die Front ihre Anbindung an ihr Hinterland verlieren, so wäre das ihr Ende 2 4 7 . Daher ernannte man auch hier „Offiziere für Partisanenbekämpfung" 248 und glaubte mit dem Vokabular der Erbarmungslosigkeit dem Problem Rechnung tragen zu können: „schärfstes Durchgreifen" (XXIV. Panzerkorps) 249 , „Zivilisten, die ohne Ausweis angetroffen werden, sind als Freischärler zu behandeln" (221. Infanteriedivision) 250 , „Partisanen in Zivil oder Halbzivil sind nicht gefangen zu nehmen oder zu erschießen, sondern öffentlich zu erhängen" (LV. Armeekorps) 2 5 1 , „auf Zivilisten, die sich der Bahnlinie nähern, ist ohne weiteres zu schießen" (4. Panzerdivision). 252 Die Umsetzung dieser wüsten Drohungen war weniger einfach, schon weil Soldaten für eine offensive Bekämpfung der Partisanen fehlten. Nur so aber ließen sich diese wirklich packen. Angesichts der real existierenden Kräfteverhältnisse blieb ein Befehl der mittlerweile an der Front eingesetzten 221., dass sich „jede Einheit der fechtenden Truppe und der Versorgungsdienste [...] an der Bekämpfung der Partisanen" zu beteiligen habe 253 , nicht mehr als ein frommer Wunsch. Die „fechtende Truppe" hatte genug damit zu tun, sich der nicht enden wollenden Angriffe der Roten Armee zu erwehren. Ihr Beitrag zum Krieg gegen die „Banden" 2 5 4 beschränkte sich in der Praxis denn faktisch auch darauf, dass pro Armeekorps (!) nicht mehr als ein „Verband in B[a]t[ai]l[lons]-Stärke mit erforderlichen schweren Waffen und Nachr[ichten]-Mitteln" 2 5 5 zusammengekratzt wurde, in dem natürlich vor allem jene Kräfte zum Einsatz kamen, die man vorne noch am ehesten entbehren konnte 2 5 6 . Teilweise suchte man diese quantitative und zunehmend auch qualitative Unterlegenheit dadurch zu kompensieren, dass man nun auch im rückwärtigen Frontbereich auf jene Notlösung setzte, die sich in den

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B A - M A , R H 20-2/401: A O K 2, Abt.I a, Meldung an H.Gr. Süd betr. „Lage im rückwärtigen Armee-Gebiet" vom 29.4.1942. Dabei sollte es in diesem Gebiet auch bleiben: Vgl. den Befehl des Pz. A O K 2 vom 19.8.1942 in: Europa unterm Hakenkreuz, Bd.5, Dok.235. Generell zur Bedeutung dieser „Luftbrücken" vgl. Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S.362ff. Vgl. hierzu B A - M A , R H 24-24/143: Sicherungsverband Eberbach, „Befehl N r . l " vom 23.12.1941: „Von unserem Einsatz hängt der Nachschub und damit das Schicksal von 2 Armeen ab. Dies muß jeder unserer Leute wissen. Auch hier ist Front und vorne." IfZ-Archiv, MA 1670: 45. Inf. Div., A b t . I c , Weisung betr. „I-c-Dienst (Feindnachrichtendienst, Abwehr)" vom 1.2.1942. B A - M A , R H 24-24/143: X X I V . Pz. Korps, Abt. I a, Weisung vom 30.12.1941. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Inf. Div., Abt.I c, Weisung betr. „Aufklärung" vom 19.1.1942. IfZ-Archiv, M A 1670: LV. A. K., Abt.I c/Qu. Partisanenoffz., Weisung, betr. Partisanen vom 6.2.1942, Anlage: „Merkblatt für Partisanenbekämpfung Nr. 2 " . B A - M A , R H 24-24/143: Sicherungsverband Eberbach, „Befehl N r . 2 " vom 23.12.1941. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Inf. Div., Abt.I c, Weisung betr. „Partisanen" vom 14.2.1942. Der Begriff „Banden" begann sich im deutschen Sprachgebrauch seit Frühjahr 1942 zunehmend einzubürgern; am 23.8.1942 entschied das O K H , dass „aus psychologischen Gründen" das von „den Bolschewisten eingeführte und verherrlichte Wort .Partisan' nicht mehr gebraucht" werden dürfe. IfZ-Archiv, M A 1564/22, N O K W - 1 6 3 5 : O K H / G e n S t d H / O p . Abt., „Richtlinien für die verstärkte Bekämpfung des Bandenunwesens im Osten" vom 23.8.1942. B A - M A , R H 24-24/161: Pz. A O K 2, A b t . I a , Fernschreiben an X X I V . Pz. Korps vom 23.2.1942. B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 17.1.1942. Einer der hieran beteiligten Soldaten schrieb später, dass sich die Anti-Partisanen-Unternehmen dieses Bataillons vor allem auf das „rückwärtige Korpsgebiet" erstreckten. Vgl. B A - M A , R H 39/373: Bericht von Albert Siebald über seine Erlebnisse in Rußland bei Pz. Gren. 22 und Feld-Ers. Btl. 84.

5.5 Partisanen

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R ü c k w ä r t i g e n G e b i e t e n d a m a l s i m m e r m e h r e i n b ü r g e r t e 2 5 7 : die A u f s t e l l u n g landeseigener E i n h e i t e n 2 5 8 . D o c h ließen sich selbst mit s o l c h e n I m p r o v i s a t i o n e n n o c h „ V e r g e l t u n g s u n t e r n e h m e n " realisieren - so e t w a bei d e r 4 5 . I D , bei d e r im N o v e m b e r in U r y n o w s k i i „6 P a r t i s a n e n e r s c h o s s e n u n d 3 erhängt" w u r d e n 2 5 9 . I m J a n u a r f o l g t e eine S t r a f a k t i o n gegen K u r a k i n o , dessen B ü r g e r m e i s t e r v o n P a r t i s a n e n e r m o r d e t

worden

w a r 2 6 0 , E n d e M ä r z 1 9 4 2 k o n n t e ein „aus 81 M i t g l i e d e r n b e s t e h e n d e s V e r n i c h t u n g s b[a]t[ail]l[on] [ . . . ] gefasst u n d liquidiert b z w . a b g e s c h o b e n w e r d e n " 2 6 1 . Z u r selben Zeit b e f a h l die 2 2 1 . e i n e m i h r e r T r o s s - F ü h r e r (!) „eine S o n d e r a k t i o n nach T r o s n i k o w k a ( 1 4 k m südlich Div. G e f . Stand)": „ M i t H i l f e des S t a r o s t ist nach Z u s a m m e n t r e i b e n d e r g e s a m t e n D o r f b e v ö l k e r u n g die o r t s f r e m d e m ä n n l i c h e B e v ö l k e r u n g a u s z u s o n d e r n u n d z u erschießen. I m A n s c h l u ß d a r a n ist j e d e r 1 0 . M a n n d e r m ä n n lichen B e v ö l k e r u n g des D o r f e s T r o s n i k o w k a gleichfalls z u e r s c h i e ß e n . " 2 6 2 Z u e i n e m S o n d e r f a l l w u r d e schließlich die 4. P a n z e r d i v i s i o n . N a c h i h r e m R ü c k z u g w a r sie s o a b g e k ä m p f t , dass n u n Teile u n t e r d e r B e z e i c h n u n g „ S i c h e r u n g s v e r b a n d E b e r b a c h " die P a r t i s a n e n i m H i n t e r l a n d in S c h a c h h a l t e n s o l l t e n 2 6 3 , d e n e n g e g e n ü b e r sich die w e n i g e n O r d n u n g s k r ä f t e aus d e m R ü c k w ä r t i g e n A r m e e g e b i e t als „ m a c h t l o s " f ü h l t e n 2 6 4 . E b e r b a c h , d e r n o c h in b r i t i s c h e r K r i e g s g e f a n g e n s c h a f t 257

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Im rückwärtigen Gebiet der 2. Armee begann die Aufstellung der Sicherungshundertschaften „aus Landeseinwohnern und entlassenen Kriegsgefangenen" im Januar 1942. Das deutsche Rahmenpersonal wurde „so niedrig als möglich gehalten", auch wurde auf eine „einheitliche Stammeszugehörigkeit innerhalb der Hundertschaft geachtet". Im Juni 1942 existierten fünf bodenständige Hundertschaften und weitere neun, die der Truppe angegliedert waren. Vgl. B A - M A , R H 20-2/1787: A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 21.1.1942; IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" vom 28.6.1942 sowie Kap. 3.5. Auch bei der 4. Pz. Div. wurden ein „Ukrainer-Bataillon" und weitere Einheiten aus kriegsgefangenen Freiwilligen formiert. B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 17.1.1942. Vgl. hierzu auch Richter, „Herrenmensch", S.55. B A - M A , R H 26-46 D: 45. Inf. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 26.11.1941. IfZ-Archiv, M A 1622: 45. Inf. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.1.-31.1.1942. Man habe in Kurakino „Nachforschungen durch Feldgendarmerie und Spähtrupps des I.R. 135 [angestellt], in deren Verlauf die Mörder des Bürgermeisters, zugleich kommunistische Agitatoren, unschädlich gemacht werden konnten. Kommunistische Parteimitglieder, die in den Ortschaften westl. der Bahn bis zur Rybniza festgestellt wurden, wurden über die Gefangenensammelstelle Smijewka nach Orel abgeschoben, bei gefährlichen aktiven Kommunisten die Erledigung in ihren Heimatorten angeordnet. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß die Zivilbevölkerung den deutschen Truppen vertrauensvoll und aufgeschlossen gegenübertrat. Organisationen bewaffneter Partisanen konnten nicht aufgedeckt werden. Überfälle auf deutsche Soldaten und andere Sabotageakte wurden nicht gemeldet." Und zwar durch die Geheime Feldpolizei. IfZ-Archiv, M A 1622: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 12.3.-31.3.1942. Bekannt ist aus dieser Zeit ferner, dass der Stab der 45. Inf. Div. am 31.3.1942 vier zum Tode verurteilte Partisanen erschoss. IfZ-Archiv, M A 1622: 45. Inf. Div., Tätigkeitsbericht des Stabes für die Zeit vom 1.1.-31.3.1942. IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., A b t . I c , Befehl an „Troß-Führer Inf. Rgt. 429" vom 20.1.1942. Außerdem meldete diese Division für die Zeit vom 15.12.1941-12.3.1942, dass man „über 50 Zivil-Kommissare und bolschewistische Führer" erschossen habe. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 15.12.1941 bis 21.3.1942. Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 11 vom M ä r z 1963, „Tagebuchblätter". Hier handelt es sich um den Nachdruck der damaligen Tagebuchaufzeichnungen des Oberleutnants Hermann Vogel. B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 3.6.194131.3.1942, hier Eintrag vom 16.1.1942. Auch zum Folgenden.

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5. Verbrechen

e i n e n e r b a r m u n g s l o s e n K r i e g gegen die P a r t i s a n e n und

gegen die Z i v i l b e v ö l k e r u n g

r e c h t f e r t i g t e 2 6 5 , gab die P a r o l e aus: „ N u r g r ö ß t e R ü c k s i c h t s l o s i g k e i t f ü h r t z u m Z i e l e u n d spart d a m i t d e u t s c h e s B l u t . " 2 6 6 O b w o h l die „ P a n z e r - M ä n n e r " bislang die A n s i c h t v e r t r e t e n h a t t e n , dies sei k e i n K r i e g f ü r s i e 2 6 7 , l e r n t e n sie schnell: „Verdächtige" w u r d e n „ e l i m i n i e r t " 2 6 8 u n d O r t s c h a f t e n n i e d e r g e b r a n n t 2 6 9 . F ü r diese E n t g r e n z u n g d e r G e w a l t h a t t e die d e u t s c h e F ü h r u n g s c h o n längst die V o r a u s s e t z u n g e n g e s c h a f f e n . I m M o m e n t i h r e r existentiellen G e f ä h r d u n g b e g a n n die F r o n t t r u p p e diese F r e i r ä u m e w e i d l i c h z u n u t z e n . D i e R e a k t i o n d e r s o w j e t i s c h e n I r r e g u l ä r e n w a r e n t s p r e c h e n d . D i e 2. d e u t s c h e P a n z e r a r m e e registrierte allein i m F e b r u a r 1 9 4 2 in i h r e m H i n t e r l a n d 6 0 t o t e u n d 2 4 v e r w u n d e t e W e h r m a c h t s a n g e h ö r i g e , aber a u c h 3 2 russische B ü r g e r m e i s t e r m i t 3 5 F a m i l i e n a n g e h ö r i g e n u n d ü b e r 1 0 0 L e u t e des russischen O r d n u n g s - D i e n s t e s , w e l c h e die s e l b s t e r n a n n t e n „ V o l k s r ä c h e r " e r s c h o s s e n h a t t e n 2 7 0 . Beide Seiten k ä m p f t e n n u n i m m e r v e r b i s s e n e r 2 7 1 . Es k a m v o r , dass d e u t s c h e S p ä h t r u p p s i m H i n t e r l a n d „völlig s p u r l o s " v e r s c h w a n d e n 2 7 2 , traf m a n auf L e i c h e n - w i e e t w a bei d e r 4. P a n z e r d i v i s i o n - , so k o n n t e n diese so „mit B e i l h i e b e n v e r s t ü m m e l t " sein, dass m a n „die Teile in e i n e n Sack stecken" m u s s t e 2 7 3 . D a s s die P a r t i s a n e n m i t u n t e r auch v e r kleidet a u f t r a t e n , als P o p e n 2 7 4 , als d e u t s c h e o d e r als u n g a r i s c h e S o l d a t e n 2 7 5 , dass sie Zit. bei: Neitzel, Abgehört, S. 140. B A - M A , R H 24-24/143: Sicherungsverband Eberbach, „Befehl N r . l " vom 23.12.1941. A m 31.12.1941 erhielt der Verband den Befehl: Partisanen „vernichten", „Zivilpersonen ohne Ausweis [ . . . ] erschießen". B A - M A , R H 24-24/143: Pz. A O K 2, A b t . I a , Fernschreiben an XXIV. Pz. Korps vom 31.12.1941. 267 v g l . Schaufler, So lebten und so starben sie, S. 128. Vgl. auch Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S. 115: „Ein derartiger Kleinkrieg bei Kälte, tiefem Schnee und mit den wenig vertrauten Pferden in einem Partisanenwald war nicht nach unserem Geschmack." (Eintrag eines Angehörigen vom Schtz. Rgt. 12 für die Zeit vom 21.1.-2.2.1942). 2 6 8 B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 24.1.1942: „I c stellt aus Beutepapieren fest, daß Uberfall auf Jaschinskije zu zwei Dritteln aus Partisanen und Einwohnern durchgeführt wurde, daher Befehl: alle männlichen Einwohner festsetzen und Verdächtige sofort erschießen." 2 6 9 B A - M A , MSg 1/3277: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 27.2.1942: „Heute steigen wieder verschiedene Unternehmungen zur Bekämpfung der Partisanen, bei denen auch Ortschaften angezündet werden." In diesem Sinne auch IfZ-Archiv, M A 1589: Gruppe Jay, Führer „Bericht über Unternehmen gegen Partisanen im Raum um Krasnyj Poeslow" an die 4. Pz. Div. vom 11.2.1942. 2 7 0 B A - M A , R H 21-2/877: Pz. A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Eintrag vom 28.2.1942. Der Berichtszeitraum endete in diesem Fall schon am 23.2.1942. Ferner B A - M A , R H 20-2/292: A O K 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, „Bericht über die Partisanenbewegung im Bereich der 2. Armee" vom 11.2.1942; Tätigkeits- und Lagebericht Nr. 10 der Einsatzgruppen der SiPo und des SD in der UdSSR für die Zeit vom 1.2.-28.2.1942, in: Klein (Hrsg.), Einsatzgruppen, S.288-302, hier S.290 (mit Bezug auf Brjansk). 271 Vgl. Nolte, Partisan War, S.276: „Partisan war in the Soviet Union was total on both sides." 2 7 2 B A - M A , MSg 1/3276: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 12.1.1942. Vgl. auch BAM A , MSg 1/3277: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 21.2.1942, der schildert, wie während eines Spähtrupps fünf deutsche Soldaten getötet und sechs verschleppt wurden. 2 7 3 B A - M A , I 10 Ost Speziai Κ 395: Ν. Β., Aussage vom 18.2.1942. In diesem Sinne auch IfZArchiv, M A 1589: Gruppe Jay, Führer „Bericht über Unternehmen gegen Partisanen im Raum um Krasnyj Poeslow" an die 4. Pz. Div. vom 11.2.1942. Dort ist von deutschen Gefallenen „mit Hinterkopfschuß" die Rede, die „anscheinend verwundet in die Hände der Partisanen gefallen und erschossen worden" wären. „Einigen Gefallenen waren die Ringfinger abgeschnitten." Ein weiteres Beispiel bei: Latzel, Deutsche Soldaten, S.229. 2 7 4 Vgl. B A - M A , R H 39/373: Hans Luther, frh. San.-Ofw. I.[Abt.]/[Pz. Rgt.] 35, o.D. 2 7 5 B A - M A , R H 20-2/1453: A O K 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, „Besondere Anordnung für die Partisanenbekämpfungen N r . 5 " vom 28.2.1942; IfZ-Archiv, M A 895/1: Ltn. Schröder, 102. l e . Div. 265

266

739

5.5 Partisanen

gezielt „ J u g e n d l i c h e beiderlei G e s c h l e c h t s als N a c h r i c h t e n t r ä g e r " e i n s e t z t e n 2 7 6 , die U n t e r k ü n f t e d e r d e u t s c h e n S o l d a t e n ( u n d d a m i t a u c h die d e r s o w j e t i s c h e n Zivilisten) vernichteten277 oder mit geschickt „vorbereiteten Partisanenfallen" arbeiten278, w a r e n E n t w i c k l u n g e n , die z u d e m für A n g s t u n d V e r u n s i c h e r u n g auf d e u t s c h e r Seite s o r g t e n . A l l e r d i n g s g a b es a u c h hier d e u t s c h e S o l d a t e n , die bei dieser w e c h s e l s e i t i g e n R a dikalisierung n i c h t m i t m a c h t e n . W e n n ein O b e r l e u t n a n t d e r „ V i e r e r " d a m a l s feststellte,

„die v e r m e i n t l i c h e n

Partisanen

waren

harmlose

russische

Bauern"279,

w e n n sich die „ P a r t i s a n e n - D e m o n s t r a t i o n e n " dieser D i v i s i o n m i t u n t e r d a r a u f b e s c h r ä n k t e n , sich v o r allem gegenseitig aus d e m W e g z u g e h e n 2 8 0 , w e n n m a n n i c h t r e q u i r i e r e n w o l l t e , „ u m uns die f r e u n d l i c h e G e s i n n u n g d e r B e v ö l k e r u n g z u erh a l t e n " 2 8 1 , o d e r w e n n ein O f f i z i e r f r o h d a r ü b e r w a r , dass seine A n t i - P a r t i s a n e n A k t i o n n i c h t m e h r geblieben w a r als ein „ S p a z i e r g a n g " 2 8 2 , d a n n s t a n d e n d a h i n t e r m o r a l i s c h e B e d e n k e n , a b e r a u c h die n a h e l i e g e n d e E i n s i c h t , dass die h a r s c h e n B e fehle d e r F ü h r u n g die eigenen U b e r l e b e n s c h a n c e n n i c h t u n b e d i n g t v e r b e s s e r t e n .

5.5.7

März-Juni

1942:Konsolidierung

der sowjetischen

Partisanenbewegung

D i e Stabilisierung i h r e r F r o n t h a t t e bei d e n D e u t s c h e n die H o f f n u n g g e n ä h r t , n u n a u c h w i e d e r ihr H i n t e r l a n d in d e n G r i f f z u b e k o m m e n , „ m ö g l i c h s t n o c h v o r B e ginn d e r S c h n e e s c h m e l z e " 2 8 3 . D o c h d a z u sollte es n i c h t k o m m e n - i m G e g e n t e i l ,

276

277

278

279

280

281

282 283

Somlay, Fernspruch an Korück 580 vom 6.4.1942; ebda., Orts-Kdtr. Sewsk, Fernspruch an Korück 580 vom 6.4.1942. B A - M A , R H 24-24/323: X X I V . Pz. Korps, A b t . I c , „Feindnachrichtenblatt Nr. 58" vom 31.12.1941. Bemerkenswert hier auch der folgende Abschnitt: „Mehrfach wurde gemeldet, daß derartige Agenten nach Ergreifung und Uberführung .wegen ihres jugendlichen Alters' in ein Gefangenenlager gebracht worden sind. Diese Maßnahme stößt auf schwerste Bedenken. Durch den russ. Nachrichtendienst werden Jugendliche ja gerade deshalb vorzugsweise ausgewählt, weil angenommen wird, daß sie, falls ergriffen, von den Deutschen geschont werden. Erfolgt diese Schonung tatsächlich in größerem Umfange, so spricht sich dies bei dem gut arbeitenden Nachrichtennetz schnell herum." Vgl. auch B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., A b t . I c , „Feindnachrichten" vom 22.12.1941; ebda., 4. Pz. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 23.2.1942. Zum Einsatz der sowjetischen „Sonder-Bataillone" und „Brandkommandos" hinter den deutschen Linien vgl. B A - M A , R H 20-6/770: Amt Ausl./Abw., Abt. III, Weisung betr. „Erfahrungen in der Partisanenerkundung" vom 31.12.1941; IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., A b t . I c , „Feindnachrichten" vom 2.12.1941; B A - M A , R H 27-4/116: 4. Pz. Div., A b t . I c , „Feindnachrichten" vom 22.12.1941. Ferner Hartmann/Zarusky, Stalins „Fackelmänner-Befehl". B A - M A , Ν 10/2: N L Smilo Frhr. von Lüttwitz, Gruppe von Lüttwitz, Kriegstagebuch vom 3.2.1942. Allein diese eine „Partisanen-Falle" kostete die deutsche Seite 21 Tote und 11 Verwundete. Vgl. B A - M A , MSg 3-281/1: Panzer-Nachrichten Nr. 11 vom März 1963, „Tagebuchblätter" (Eintrag vom 9.1.1942). Vgl. B A - M A , R H 39/373: Bericht von Albert Siebald über seine Erlebnisse in Rußland bei Pz. Gren. 22 und Feld-Ers. Btl. 84. Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S. 115 (Eintrag in einem Tagebuch für die Zeit vom 21.1.-2.2.1942). B A - M A , MSg 1/3276: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 19.1.1942. B A - M A , R H 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 4.3.1942; B A - M A , R H 26-45/47: LV. Α. K., Abt. I a, Befehl betr. „Zusätze des Gen. Kdos. zur Bezugsverfügung" an die 45. Inf. Div. vom 1.3.1942. Hitler hatte dies schon am 29.12.1941 in einem Brief an Mussolini angekündigt. Druck: ADAP, Serie E, Bd.I, Dok.62.

740

5. Verbrechen

im Frühjahr 1942 zeigten sich die sowjetischen Partisanen so stark wie nie zuvor. Auch für sie war der zurückliegende Winter keine leichte Zeit gewesen. Andererseits hatten sie damals erfahren, dass auch die Deutschen besiegbar waren, nicht nur an der Front. Die psychologische Wirkung dieser Erfahrung ist kaum zu überschätzen. Sie hatte den regulären und den irregulären Kämpfern auf sowjetischer Seite gewaltigen Auftrieb gegeben 284 . Noch wichtiger war, dass die einheimische Zivilbevölkerung gegenüber den Deutschen „sowohl in der Stadt, als auf dem Lande [...] zurückhaltender geworden" sei, so die Einschätzung des AOK 2 285 . Die deutschen Eindringlinge hatten nicht nur an der Front Raum aufgeben müssen, auch in ihrem Hoheitsgebiet existierten mittlerweile kleine Inseln, in denen lokale Warlords herrschten. Natürlich konnte die Herrschaft über diese Inseln wechseln. Trotzdem wussten die Partisanen mittlerweile, dass auch bei ihnen die Initiative liegen konnte. 5.5.7.1 Gefechtsgebiet Aus dem Gefechtsgebiet, wo die Wehrmacht ihre Kräfte konzentrierte, begannen sich die Partisanen seit Frühjahr 1942 allerdings immer mehr zurückzuziehen 286 . Das lag auch daran, dass die deutsche Führung damals dazu überging, alle Zivilisten „aus der Kampfzone zu evakuieren" 287 , so dass dem Fisch „Guerilla" nun das „Wasser" seines sozialen Umfelds fehlte 288 . Weitgehend abgeschüttet von ihrer Umwelt lebte die kämpfende Truppe mit dem Beginn des Stellungskriegs ihr Maulwurfsdasein in einem immer ausgefeilteren System aus Stellungen, Bunkern und Schützenlöchern. Kontakte, aber auch Konflikte mit den Einheimischen wurden nun seltener, und auch den wachsenden Einfluss des sowjetischen Untergrunds bekam man hier nur noch punktuell zu spüren - etwa wenn dieser die Hilfskräfte der Wehrmacht zu unterwandern suchte 289 , wenn Kuriere oder Saboteure die deutschen Linien querten 290 oder wenn der Nachschub ausfiel, weil Partisanen ihn

284

285

286

287 288 289 290

Mit welcher Menschenverachtung die Deutschen damals gegen die Partisanen kämpfen wollten, sind einigen Notizen des Generalstabschefs Halder zu entnehmen, der am 25.2.1942 schrieb: „Gas gegen Partisanen? Gas überhaupt?" Zit. bei: Hartmann, Halder, S.310, Anm.86. Vgl. hierzu auch Groehler, Der lautlose Tod, S. 198; Gellermann, Krieg, S.149f. und S. 153. Nach 1945 stellte Halder gar die Frage, ob nicht der Einsatz von Atombomben gegen Partisanen sinnvoll gewesen sei. Vgl. Bor, Halder, S. 248. IfZ-Archiv, MA 885: Koriick 580, Abt. Qu., Kriegstagebuch, Eintrag vom 24.12.1941: „Überhaupt lebt die Partisanentätigkeit und -propaganda unter der Bevölkerung im Zusammenhang mit russischen Erfolgen an der Front erheblich auf." BA-MA, RH 20-2/292: A O K 2, Abt.O.Qu./Qu. 2, „Bericht über die Partisanenbewegung im Bereich der 2. Armee" vom 11.2.1942; PA-AA, R 60752: A O K 2, Abt. I c/A.O./VAA, „Auszug aus einem Bericht von Legationsrat Graf Bossi" vom 3.3.1942; IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, „Div.-Befehl Nr.243/42" vom 3.4.1942, Anlage, wo es u.a. heißt: „Bevölkerung verlor zunehmend das Vertrauen zur Kraft der deutschen Wehrmacht [...]." Vgl. hierzu etwa IfZ-Archiv, MA 1622: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.2.-12.3.1942; BA-MA, RH 20-2/1453: A O K 2, Abt.O.Qu./Qu. 2, „Besondere Anordnung für die Partisanenbekämpfungen Nr. 5" vom 28.2.1942. IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Inf. Div., Abt.I c, Fernspruch an alle Regimenter vom 5.1.1942. Vgl. Kap. 3.5. Vgl. etwa BA-MA, MSg 1/3279: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 23.3.1942; IfZ-Archiv, MA 1623: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Einträge vom 6.5. und 1.6.1942. BA-MA, RH 21-2/333: Pz. A O K 2, Abt.Ia, Kriegstagebuch, Anlage: „Besprechung am 8.4.1942 bei Heeresgruppe Mitte durch O.B. H.Gr, in Anwesenheit des Chefs der Op. Abt. und des Gen.Qu. mit den O.B. der Armeen", o. D.: „Der I c wies abschließend auf in

741

5.5 Partisanen

u n t e r b r o c h e n h a t t e n 2 9 1 . D o c h s t a n d f ü r die d ü n n b e s e t z t e n d e u t s c h e n L i n i e n 2 9 2 d e r K a m p f gegen die a n d r ä n g e n d e R o t e A r m e e i m V o r d e r g r u n d . D a h e r w a r e n an d e r F r o n t „selbständige U n t e r n e h m e n d u r c h e i n z e l n e D i e n s t stellen u n d E i n h e i t e n gegen P a r t i s a n e n " strikt v e r b o t e n 2 9 3 . S t a t t d e s s e n hatte m a n diese A u f g a b e an die K o r p s delegiert, die R e s e r v e n „ z u r A b w e h r f e i n d l i c h e r ] E i n brüche, zur Stützung bedrohter Frontteile und zur Bekämpfung etwa auftretender P a r t i s a n e n g r u p p e n " b i l d e n s o l l t e n 2 9 4 . W i e w e n i g K r ä f t e die k ä m p f e n d e T r u p p e h i e r f ü r f r e i m a c h e n w o l l t e , v e r d e u t l i c h t die R e a k t i o n d e r 4 5 . I D v o m M a i 1 9 4 2 ; sie w o l l t e lediglich L a n d e s e i n w o h n e r z u r P a r t i s a n e n b e k ä m p f u n g m o b i l i s i e r e n , als d e u t s c h e s R a h m e n p e r s o n a l s o l l t e n ein U n t e r o f f i z i e r s o w i e „ 2 - 3 M a n n " aus d e n T r o s s e n g e n ü g e n 2 9 5 . G a n z o f f e n s i c h t l i c h gab es hier d r ä n g e n d e r e A u f g a b e n . D i e Q u e l l e n v e r z e i c h n e n d e n n auch V e r h a f t u n g e n e i n z e l n e r Z i v i l i s t e n 2 9 6 , die im e v a kuierten Gebiet aufgegriffen w o r d e n waren, manchmal Hinrichtungen v o n Partisanen o d e r „ A g e n t e n " - meist w a r e n sie b e i m V e r s u c h v e r h a f t e t w o r d e n , ü b e r die d e u t s c h e n L i n i e n z u k o m m e n - , d o c h b l i e b e n dies damals

Einzelfälle297. Wirklich

k o n f r o n t i e r t w u r d e n die F r o n t s o l d a t e n in dieser P h a s e mit d e m s o w j e t i s c h e n U n t e r g r u n d , w e n n sie e i n m a l n a c h „ h i n t e n " k a m e n 2 9 8 o d e r w e n n sie z u r e g e l r e c h t e n

291 292 293

294 295

296

297

298

letzter Zeit in verstärktem Maße auftretende feindl. Agenten hin, deren Zahl im letzten Monat auf über 100 geschätzt wird. Der Russe verwendet hierfür Greise oder Jugendliche, sehr oft auch Mädchen." In diesem Sinne auch B A - M A , R H 21-2/639: Gruppe Geheime Feldpolizei 639 beim Pz. A O Κ 2, „Tätigkeitsbericht für Monat April 1942" vom 25.4.1942. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1592: 4. Pz. Div., A b t . I a , Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.4.1942; BAM A , MSg 1/3279: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 18.3.1942. Vgl. Bock, Tagebuch, S.402 (Eintrag vom 16.3.1942). Ferner Kap. 4.2 und 4.3. Vgl. ferner B A - M A , R H 21-2/877: Pz. A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Eintrag vom 17.3.1942. A m 19.5.1942 betonte der Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Mitte, Gen.mj. Otto Wöhler, nochmals, dass eine „Erlaubnis zur aktiven Partisanenbekämpfung [ . . . ] nicht erteilt" werden könne. B A - M A , R H 21-2/336: Pz. A O K 2, ChefGenSt, Besprechungsprotokoll über eine Besprechung mit ChefGenSt H.Gr. Mitte am 19.5.1942. Auch in der 4. Pz. Div. wurden selbständige Requirierungsexpeditionen ins Hinterland untersagt. IfZ-Archiv, M A 1592: 4. Pz. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.4.1942; BAM A , MSg 1/3278: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 7.3.1942. IfZ-Archiv, M A 1623: LV. A.K., Abt.I a, „Befehl für die Bildung einer schnellen beweglichen bzw. mot. Korpsreserve" vom 1.5.1942. IfZ-Archiv, M A 1623: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch vom 6.5.1942; IfZ-Archiv, M A 1623: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht vom 1.4.-13.6.1942; IfZ-Archiv, M A 1623: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht vom 1.4.-13.6.1942. Nicht anders die Reaktion im Bereich der 4. Pz. Div.: IfZ-Archiv, M A 1592: XXXXVII. Pz. Korps, Fernspruch betr. „Aufstellung von Bahnschutz-Btlen. aus r u s s i s c h e n ] Landeseinwohnern und Kriegsgefangenen" vom 16.4.1942. IfZ-Archiv, M A 1639: 296. Inf. Div., A b t . I c , „Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1 . 4 31.12.1942" vom 1.1.1943, w o es u.a. heißt. „Durch Streifen aufgegriffene Zivilisten wurden eingehend verhört und bei Verdachtgründen der G.F.P. zugeführt." IfZ-Archiv, M A 1623: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht vom 1.4.-13.6.1942; IfZ-Archiv, M A 1624: 45. Inf. Div., Abt.I a, Bericht an LV. A.K. vom 19.9.1942. Zum Teil wurden die Verdächtigen auch durchweg an die GFP weitergeleitet. IfZ-Archiv, M A 1623: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 14.6.-30.9.1942. Andererseits gibt es auch Belege dafür, dass die Truppe zur Nachsicht gegenüber der Zivilbevölkerung neigen konnte. So gab die 4. Pz. Div. zahllose Beispiele dafür, dass Angehörige der Division „Agentinnen", die später im Hinterland verhaftet wurden, vorher in Autos mitgenommen, mit Passierscheinen versorgt, zeitweise als Wäscherinnen beschäftigt oder in einem Fall auch bei sich beherbergt hätten. IfZ-Archiv, M A 1594: 4. Pz. Div., Abt.I c, „Beispiele für die Nichtbeachtung der befohlenen Überwachungsmaßnahmen" vom 15.6.1942. Vgl. B A - M A , MSg 1/3279: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 18.3.1942.

742

5. Verbrechen

A n t i - P a r t i s a n e n - A k t i o n e n d o r t h i n k o m m a n d i e r t w u r d e n . Seit A p r i l 1 9 4 2 w a r dies in u n s e r e m S a m p l e a b e r k a u m n o c h d e r F a l l 2 9 9 . 5.5.7.2

Hinterland

E s w a r n i c h t die F r o n t , es w a r das H i n t e r l a n d , das i m F r ü h j a h r 1 9 4 2 z u m u n b e s t r i t t e n e n Z e n t r u m des P a r t i s a n e n k r i e g s w u r d e . G e r a d e die E i n s a t z r ä u m e d e r 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n u n d des K o r ü c k 5 8 0 e n t w i c k e l t e n sich dabei z u a u s g e s p r o c h e n e n B r e n n p u n k t e n . U b e r b l i c k t m a n d e r e n M e l d u n g e n , s o sticht z u n ä c h s t die Z a h l i h r e r G e g n e r ins A u g e 3 0 0 . S c h o n i m A p r i l 1 9 4 2 b e r i c h t e t e d e r K o r ü c k 5 8 0 v o n einer g a n z e n B r i g a d e m i t 1 5 0 0 P a r t i s a n e n 3 0 1 . K o n f r o n t i e r t w u r d e n die D e u t s c h e n allerdings n i c h t n u r m i t q u a n t i t a t i v e n , s o n d e r n a u c h m i t qualitativen V e r ä n d e r u n g e n . D e n n hier h a n d e l t e es sich u m K ä m p f e r , die m i t t l e r w e i l e p r o f e s s i o n e l l 3 0 2 u n d i m T e a m o p e r i e r t e n , a u c h bei g r ö ß e r e n A k t i o n e n 3 0 3 . D e r I a d e r 2 2 1 . attestierte ihnen, dass es sich „in d e r M a s s e u m v o l l a u s g e b i l d e t e S o l d a t e n " h a n d e l e 3 0 4 , die „zähen Widerstand"

leisteten u n d m i t

„unverkennbar

eingedrillter[r]

Taktik"

v o r g i n g e n 3 0 5 . D a z u g e h ö r t e a u c h , dass sie i h r e Z i e l e n i c h t einfach w a h l l o s s u c h t e n . V i e l m e h r lassen sich in dieser P h a s e g a n z b e s t i m m t e S c h w e r p u n k t e d e r i r r e g u l ä r e n Kriegführung erkennen. A m naheliegendsten w a r der Versuch der Partisanen, neue Territorien und nicht z u l e t z t die d o r t l e b e n d e n M e n s c h e n z u g e w i n n e n 3 0 6 . N i c h t i m m e r h a n d e l t e es sich dabei u m einen P r o z e s s d e r Ü b e r r e d u n g 3 0 7 . W i e die d e u t s c h e n O k k u p a n t e n 299

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So setzte beispielsweise die 4. Pz. Div. ihr Feldersatz-Bataillon 84 und die Stabs-Kompanie des Pz. Rgt. 35 in der Zeit vom 20.6.-25.7.1942 gegen irreguläre Kräfte ein, nicht aber ihre übrigen Einheiten. Der einzige Fall, der außerhalb dieser Zeit überliefert ist, datiert vom 17.4.1942, als „14 Männer, 2 Knaben und 2 Frauen wegen Partisanenbegünstigung erschossen" wurden. Im o. g. Zeitraum meldeten die beiden Einheiten 238 gefallene Partisanen, 183 Gefangene und 43 Überläufer. IfZ-Archiv, M A 1594: 4. Pz. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 17.4.1942; Neumann, 4. Panzerdivision, S.514. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt. Qu. Meldung an A O K 2, Abt. O.Qu, vom 1.4.1942; ebda., A O K 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, Fernspruch an Korück 580 vom 2.4.1942; ebda., Ltn. Burkhardt, Fernspruch an Korück vom 2.4.1942. Vgl. hierzu auch Musial (Hrsg.), Partisanen, S. 105; Wegner, Krieg, S.914f. IfZ-Archiv, MA 895/1: F K 194, Fernschreiben an Korück 580 über F K 200 vom 5.4.1942. Ferner Bock, Tagebuch, S.422 (Eintrag vom 10.5.1942). Die Zahl der sowjetischen Partisanen in Weißrussland soll im Februar 1942 bei 23000 gelegen haben, aufgeteilt auf 19 Brigaden bzw. 227 Bataillone. Angabe nach: Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 167. Im März musste die 221. Sich. Div. feststellen, dass der Gegner „mit s. M G und Zielfernrohrgewehren auf Entfernungen bis 2 5 0 0 m [!] mit Erfolg" schieße. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich., Div., Abt.I a, „Weisungen für die Kampfführung" vom 30.3.1942. Eine Schlüsselfunktion bei der Koordinierung übernahmen dabei die Fallschirmspringer, welche die sowjetische Seite im deutschen Hinterland absetzte. IfZ-Archiv, MA 439: Chef SiPo und SD, Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr.3 vom 15.5.1942; B A - M A , R H 212/883: Pz. A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 3.6.1942. IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div, Abt.I a, Befehl vom 14.4.1942. Ebda., Anlage zu Div.-Befehl Nr. 243/42 vom 3.4.1942. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt. Qu., Meldung an A O K 2 vom 1.4.1942: „Uralowo, 10 km südwestlich Ssnob, wurde am 29.3. von etwa 70 Partisanen besetzt. In Staraja Guta soll sich nach Einwohnermeldungen ein Stab der Partisanen befinden, der .Requirierungen' von Getreide und dessen Abfuhren ins 20 km nordwestlich gelegene Sseredina Buda vornehmen lässt. In Kamenj, 31 km nördlich Nowgorod-Sewerski, drangen am 31.3. 40 Partisanen ein, die aber zunächst zurückgeschlagen werden konnten." Vgl. IfZ-Archiv, MA 895/1: Ltn. Schröder, 102. le. Div. Somlay, Fernspruch an Korück 580 vom 6.4.1942: „Laut aufgefangenem russischen Funkspruch wurde in Uralowo eine Ver-

5.5 Partisanen

743

so s u c h t e n a u c h die P a r t i s a n e n j e n e z u v e r n i c h t e n , die i m b l o ß e n V e r d a c h t s t a n d e n , m i t d e m G e g n e r z u k o o p e r i e r e n 3 0 8 : O r t s v o r s t e h e r 3 0 9 , A n g e h ö r i g e des O r d n u n g s Dienstes310, Beschäftigte der W e h r m a c h t und deren Familien, mitunter sogar der e n K i n d e r 3 1 1 , o d e r entlassene K r i e g s g e f a n g e n e 3 1 2 w a r e n n u n i h r e s L e b e n s nicht m e h r sicher. S c h o n die Tatsache, dass die B a u e r n i h r e P r o d u k t e an die D e u t s c h e n a b l i e f e r t e n , k o n n t e in d e n A u g e n d e r I r r e g u l ä r e n d e r e n Tod r e c h t f e r t i g e n 3 1 3 . D o c h h a t t e n sie m i t dieser M i s c h u n g aus G e w a l t , D r u c k u n d P r o p a g a n d a tatsächlich E r f o l g ; E n d e A p r i l 1 9 4 2 s o l l e n sie e t w a 4 0 P r o z e n t aller W ä l d e r des g e s a m t e n d e u t s c h e n B e s a t z u n g s g e b i e t s k o n t r o l l i e r t h a b e n 3 1 4 . R e s i g n i e r t stellte die 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n d a m a l s fest, der F e i n d h a b e „mit e i n z e l n e n G r u p p e n v o n 1 0 - 3 0 M a n n die e i n z e l n e n O r t s c h a f t e n besetzt" u n d b e h e r r s c h e „so d e n R a u m n ö r d l i c h u n d s ü d l i c h des D i v i s i o n s ] - R a u m e s fast v ö l l i g " 3 1 5 . A u s „ k l e i n e n F e i n d n e s t e r n " seien n u n „ z a h l e n m ä ß i g nicht u n b e d e u t e n d e W i d e r s t a n d s z e n t r e n " g e w o r d e n 3 1 6 . D i e s e A u s g a n g s b a s e n w a r e n w i e d e r u m u n a b d i n g b a r e V o r a u s s e t z u n g f ü r eine O p e r a t i o n s f o r m , m i t d e r die s o w j e t i s c h e n G u e r i l l a s relativ leicht u n d g e f a h r l o s E r f o l g e e r z i e l e n k o n n t e n - die S a b o t a g e d e r r ü c k w ä r t i g e n d e u t s c h e n V e r b i n d u n g s sammlung abgehalten, bei der vom dortigen Kolchos-Starost ein Memorandum verlesen wurde. Darin sicherte er den Partisanen Lebensmittel und besonders Vieh zu. [ . . . ] Des Weiteren 308

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beklagte er sich über die schlechte Behandlung der russischen Kriegsgefangenen." Vgl. IfZ-Archiv, M A 895/1: Korück 580, Abt. Qu., Meldung an A O K 2, Abt.O.Qu./Qu. 2, vom 19.4.1942; B A - M A , R H 21-2/883: Pz. A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 3.6.1942; Stimmungsbericht der Propaganda-Abteilung Weißruthenien vom 4.9.1942, in: Buchbender, Erz, D o k . 7 (S. 302 ff.). IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Meldung von Flak-Abt.342 vom 20.3.1942. Ferner B A M A , R H 22/248: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt. VII „Monatsbericht" vom 7.7.1942: „Die Steigerung der Partisanengefahr hat verursacht, daß sich in besonders bedrohten Gebieten die Bürgermeister auf den Landgemeinden nicht mehr halten konnten und in die Rayonstädte zurückgezogen werden mußten; in diesen Gebieten ist daher eine Stockung im Aufbau der Verwaltung und in der Durchführung der Verwaltungsaufgaben eingetreten. Die Ermordung von Bürgermeistern und OD-Leuten durch Partisanen dauert in vermehrtem Umfange fort." Generell hierzu Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S. 431 f.; Eckman, Jewish Resistance, S. 104. Teilweise wurden die Kollaborateure auch inhaftiert oder in die Reihen der Partisanen-Einheiten gezwungen. B A - M A , R H 21-2/883: Pz. A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 28.6.1942. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1673: 221. Sich. Div., Abt.I a, Tagesmeldung an Kd. Gen. d. Sich. trp. u. Bfh. im Heeresgeb. Mitte vom 15.7.1942: „In Letjachi, 36 km südlich von Krasnopolje, 2 Frauen und 7 Kinder von Partisanen erschossen." In diesem Sinne auch ebda., Tagesmeldung vom 26.9.1942, w o von 38 Zivilisten und 8 OD-Männern berichtet wird, die von Partisanen erschossen wurden. So schreibt Jarausch, die Partisanen würden „mit Vorliebe auf die entlassenen Kriegsgefangenen auf den Landstraßen schießen, weil sie in ihnen Parteigänger Deutschlands sehen". Jarausch/Arnold, Sterben, S. 347 (Brief vom 2.12.1941). IfZ-Archiv, MFB 4/42870, Wi.Kdo. Rylsk, Lagebericht für Juni 1942 vom 19.6.1942: „In den Partisanen-Rayons erschwerten berittene Banden durch Wegnahme von Saatgut und Pferden die Bestellung in weitestem Umfang; an manchen Orten wurde sogar die bei der Feldbestellung angetroffene Bevölkerung erschossen." Relativ häufig kam es vor, dass die Partisanen die deutschen Landwirtschaftsführer gezielt „herausschössen". Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1673: 221. Sich. Div., Abt. I a, Tagesmeldungen an Kd. Gen. d. Sich. trp. u. Bfh. im Heeresgeb. Mitte vom 18.8., 29.8. und 26.9.1942 Die Wirtschaftsinspektion Mitte schätzte, dass im April 1942 insgesamt 40 Prozent der Waldflächen, für die sie zuständig sein sollte, „bandenverseucht" gewesen seien. Vgl. Verbrechen der Wehrmacht, S. 457: Bericht Wirtschaftsinspektion Mitte vom 22.5.1943. Ähnliche Angaben bei Wegner, Krieg, S. 912. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1.4.1942. Ebda., „Div.-Befehl Nr.243/42", Anlage vom 3.4.1942.

744

5. Verbrechen

l i n i e n 3 1 7 . W i e geschickt u n d s k r u p e l l o s sie dabei v o r g i n g e n , ist d e m Tagebuch F a r n bachers z u e n t n e h m e n , d e r einen Ü b e r f a l l auf e i n e n T r u p p e n t r a n s p o r t schildert: A m 8. M ä r z 1 9 4 2 hätten die P a r t i s a n e n einen Z u g m i t einer M i n e gestoppt, ein Partisan, als d e u t s c h e r F e l d w e b e l v e r k l e i d e t , h a b e d e n B e f e h l z u m A u s s t e i g e n gegeben, i m selben M o m e n t sei v o n z w e i M G ' s das F e u e r auf die A u s s t e i g e n d e n e r ö f f n e t w o r d e n , so dass i m K u g e l h a g e l e t w a 2 0 0 d e u t s c h e S o l d a t e n , u n t e r i h n e n auch einzelne sowjetische Gefangene, u m g e k o m m e n seien318. M i t solchen A k t i o n e n trafen die P a r t i s a n e n i h r e d e u t s c h e n G e g n e r an i h r e n e m p f i n d l i c h s t e n Stellen. I h r Schien e n n e t z v o n insgesamt 6 5 0 0 0 K i l o m e t e r n L ä n g e 3 1 9 k o n n t e n sie n u r „mit g r ö ß t e r A n s t r e n g u n g " sichern, so das Eingeständnis des G e n e r a l f e l d m a r s c h a l l s

Günther

v o n K l u g e im A p r i l 1 9 4 2 3 2 0 . S c h o n b a l d n a h m e n i m r ü c k w ä r t i g e n G e b i e t d e r H e e r e s g r u p p e M i t t e „die S p r e n g u n g e n d e r P a r t i s a n e n in e r s c h r e c k e n d e m U m f a n g e " z u 3 2 1 . D a s traf nicht n u r die d e u t s c h e L o g i s t i k . D u r c h d e n b e g i n n e n d e n „ S c h i e n e n krieg" w a r e n die d e u t s c h e n B e s a t z e r g e z w u n g e n , i h r e K r ä f t e b e i m O b j e k t s c h u t z z u v e r z e t t e l n . G e n a u das aber f ü h r t e i m m e r w e n i g e r z u m E r f o l g . Z u m i n d e s t die v o r O r t e i n g e s e t z t e n d e u t s c h e n M i l i t ä r s - n i c h t alle, a b e r d o c h i m m e r m e h r - b e g a n n e n n u n e i n z u s e h e n , dass sie i h r e A n t i - P a r t i s a n e n - S t r a t e g i e ä n d e r n m u s s t e n , w e n n sie hier n o c h „auf e i n e n g r ü n e n Z w e i g " k o m m e n w o l l 317

318

319 320

321

Im Februar 1942 hatten die Brjansker Partisanen eine entsprechende Weisung erhalten. A m 8.4. bezeichnete das Pz. A O K 2 die „planmäßigen Einzelunternehmungen gegen Bahn und Straße Brjansk-Roslawl und gegen Bahn und Straße Brjansk-Shisdra" als „besonders störend". Die Anschläge auf das Schienennetz sollten sich in den folgenden Monaten dramatisch steigern. Vgl. Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S.494; B A - M A , R H 21-2/333: Pz. A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Anlage: „Besprechung am 8.4.1942 bei Heeresgruppe Mitte durch O.B. H.Gr, in Anwesenheit des Chefs der Op. Abt. und des Gen.Qu. mit aen O.B. der Armeen", o. D.; Shepherd, Hawks, S. 351. B A - M A , MSg 1/3281: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 17.6.1942. Farnbachers Darstellung beruht auf der Erzählung eines Unteroffiziers eines Bau-Bataillons, das im Hinterland der 4. Pz. Div. eingesetzt war. Bestätigt werden Farnbachers Angaben bei Neumann, 4. Panzerdivision, S. 492; er beziffert allein die deutschen Verluste auf 209 Tote und 11 Verwundete. In einem von Einheiten der 4. Pz. Div. später erbeuteten Tagebuch einer Partisanen-Abteilung fanden sich folgende Einträge; möglicherweise beziehen sie sich auf dieses Ereignis: „5.6.1942: U m 13.00 U h r wurde ein Mannschaftstransportzug zur Entgleisung gebracht. 250-300 Deutsche vernichtet, Waggons verbrannt. Rache an unschuldigen Kindern und Frauen in der Umgebung der Entgleisung. 4 Männer und die meisten Kinder und Frauen sind vernichtet worden. [ . . . ] 6.6.1942: Der kraftlose Gegner hat sein Mütchen an wehrlosen Kindern gekühlt. Wir sind in Ruhe. Die Leute sind mit dem gestrigen Tag zufrieden und erzählen einander von ihren Eindrücken. Die Stimmung ist gehoben." B A - M A , R H 39/377: „Ubersetzung des am 26.5.1943 westlich von Glinnoje erbeuteten Tagebuchs der Partisanen-Abteilung .Kotowskij'. Das Tagebuch ist von verschiedenen Personen geführt." Angabe nach: Segbers, Sowjetunion, S. 121. B A - M A , R H 22/231: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, „Notizen über Besprechung Chef, I a beim Feldmarschall von Kluge" vom 28.4.1942. Generell hierzu Wegner, Krieg, S.915f. Allein im rückwärtigen Armeegebiet der 2. Panzerarmee waren „rund 500 km lange Bahnlinien und etwa gleich lange Straßen und Wege zu sichern". Dafür waren Tausende von Soldaten im Einsatz. B A - M A , R H 21-2/882: Pz. A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Eintrag vom 8.5.1942. B A - M A , R H 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, A b t . I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 4.5.1942; Bock, Tagebuch, S.420, 422 (Einträge vom 7.5. und 11.5.1942); IfZ-Archiv, M A 439: Chef SiPo und SD, Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 14 vom 31.7.1942. Wurden im Rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe Mitte im April 1942 noch 30 Anschläge gegen deutsche Eisenbahnverbindungen gemeldet, so waren es im August bereits 208. Vgl! Shepherd, War, S. 114; Pottgießer, Reichsbahn, S. 84ff.; Rohde, Wehrmachttransportwesen, S. 178ff.; Knipping/Schulz, Die Deutsche Reichsbahn, S.240ff.

5.5 Partisanen

745

ten 3 2 2 . Würden sie weiterhin so gewalttätig und unreflektiert handeln wie im vergangenen Jahr, so wäre das nicht nur militärisch sinnlos und moralisch fragwürdig, sondern auch politisch höchst kontraproduktiv. Daher wurden nun alle militärischen Anstrengungen darauf gerichtet, die „Banden" selbst zu treffen 323 . Die Behandlung der Zivilbevölkerung wollte man dagegen abhängig von ihrem Verhalten machen; es käme darauf an - so der Generaloberst Schmidt - die Deutschfreundlichen und die Neutralen „auf unsere Seite zu bringen" 3 2 4 . 5.5.7.3 Die offensive Seite der deutschen Anti-Partisanen-Strategie Bleiben wir zunächst bei der ersten Komponente der deutschen Anti-PartisanenStrategie, der gezielten Offensive. Im Grunde handelte es sich hier um jene Taktik, welche die US-Army unter dem Stichwort „search and destroy" später in Vietnam anwenden sollte 3 2 5 . Die Partisanen könne man nur dann besiegen, so die 221. Sicherungsdivision im April 1942, wenn sie „in groß angelegten, energisch durchgeführten Angriffen umfasst, eingeschlossen und vernichtet" würden 3 2 6 . Diese Großunternehmen glichen nun regelrechten militärischen Operationen; gefragt waren nun „unter weitgehender Heranziehung von V-Leuten" 3 2 7 eine detaillierte Auskundschaftung der „Partisanenzentren", eine mobile Logistik 3 2 8 , die „Mitwirkung der Luftwaffe" sowie eine intensive Kooperation mit der Geheimen Feldpolizei, dem SD und den in Frage kommenden „La[ndwirtschafts]-Führern" 3 2 9 . Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch die sowjetischen Guerillas begannen nun Wehrmacht, Polizei und SS ihre Reihen noch dichter zu schließen. Ihre Einheiten operierten nicht nur gemeinsam 330 , wie schon bei früheren Aktionen, von

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B A - M A , R H 21-2/355: Pz. A O K 2, Abt.I a, Fernsprechbuch, Eintrag vom 6.5.1942: Telefonat 2. Armee mit Chef H.Gr. Mitte: „Wenn wir nicht offensiv gegen die Banden vorgehen, kommen wir nie auf einen grünen Zweig." Vgl. B A - M A , R H 22/230: Bfh. Riickw. Heeresgebiet Mitte, Abt. I a, „Vorschläge zur Vernichtung der Partisanen im rückw. Heeresgebiet und in den rückw. Armeegebieten" vom 1.3.1942, in denen es einleitend heißt: „Die Partisanenbekämpfung muß unter zwei großen Gesichtspunkten erfolgen: 1) Propagandistische Bearbeitung der russischen Bevölkerung, 2) Militärische Vernichtung der Partisanen." Generell hierzu Wegner, Krieg, S.920. B A - M A , R H 21-2/883: Pz. A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 19.6.1942. Vgl. Herring, American Strategy; Carland, Winning the Vietnam War; Greiner, Krieg ohne Fronten, S. 74ff. IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, Bericht an den Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte vom 8.4.1942. Diese militärische Intensivierung war auch daran erkennbar, dass seit Ende April 1942 die Bekämpfung von Partisanen im rückwärtigen Armeegebiet eine Aufgabe der Abteilung I a des A O K war. B A - M A , R H 20-2/401: A O K 2, Abt.I a, Fernschreiben an Korück 580 vom 30.4.1942. IfZ-Archiv, M A 1670: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, „Besprechungspunkte für die Besprechung mit Generalltn. Pflugbeil" vom 19.3.1942; IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt. Qu., Kriegstagebuch, Eintrag vom 1.4.1942. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a/I b, Bericht an den Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte vom 8.4.1942. In der Realität konnte auch diese Forderung oft nicht erfüllt werden. Vgl. etwa BfZ, Slg. Sterz, 24636, Brief H.W. vom 11.7.1942, in dem dieser schreibt: „Wir dagegen haben immer noch keine Fahrzeuge, einige Panjewagen, das ist alles . . . " IfZ-Archiv, MA 1670: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, „Besprechungspunkte für die Besprechung mit Generalltn. Pflugbeil" vom 19.3.1942. So wurden damals die 221. Sich. Div. mit dem Polizei-Regiment Mine zur „Gruppe Schenckendorff" zusammengefasst. B A - M A , R H 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, Kriegstagebuch, Einträge vom 30.5. und 1.6.1942.

746

5. Verbrechen

n u n an w a r e n m e i s t k l e i n e r e K o m m a n d o s aus S D o d e r G F P in j e d e g r ö ß e r e S i c h e rungs-Einheit der Wehrmacht „eingebettet"331. N o c h v o r B e g i n n d e r S c h n e e s c h m e l z e , i m M ä r z 1 9 4 2 , b e g a n n e n die ersten g r o ß e n U n t e r n e h m e n . N a c h d e m es an d e r F r o n t r u h i g e r g e w o r d e n w a r , w o l l t e n die D e u t s c h e n a u c h i h r H i n t e r l a n d „in O r d n u n g b r i n g e n " . D o c h k a m - a b g e s e h e n v o n einer U n t e r b r e c h u n g infolge der S c h l a m m p e r i o d e 3 3 2 - der Krieg auch hier n i c h t m e h r z u r R u h e . D a s w a r g e r a d e a u c h i n u n s e r e m A u s s c h n i t t d e r Fall: -

Die

221. Sicherungsdivision

h a t t e bis z u m 1 9 . M ä r z alle E i n h e i t e n aus d e r F r o n t

a b g e z o g e n u n d ins R ü c k w ä r t i g e H e e r e s g e b i e t M i t t e v e r l e g t 3 3 3 , u m sich, n a c h e i n e r A r t „ G e n e r a l ü b e r h o l u n g " 3 3 4 , bis J u l i 1 9 4 2 an m e h r e r e n m e n z u beteiligen, d e n U n t e r n e h m e n „München" s o w i e „Hannover

I und

II"

Großunterneh-

(19.März-28.März

1942)335

(24.Mai-30.Mai, bzw. 3.Juni-ll./16.Juni 1942)336.

A l l e d r e i h a t t e n ein Ziel: die K a m p f g r u p p e des G e n e r a l l e u t n a n t s B e l o w , d e r i m Raum Jelnja-Dorogobusch-Jarzewo,

östlich v o n Smolensk, mit etwa

20000

M a n n - r e g u l ä r e n w i e i r r e g u l ä r e n K ä m p f e r n 3 3 7 - das g r ö ß t e P a r t i s a n e n z e n t r u m i m R ü c k e n d e r d e u t s c h e n F r o n t k o m m a n d i e r t e u n d das ü b e r einige F l u g p l ä t z e s o g a r m i t d e r s o w j e t i s c h e n Seite v e r b u n d e n w a r 3 3 8 . W e n n die D e u t s c h e n drei „ S ä u b e r u n g s u n t e r n e h m e n " 3 3 9 b r a u c h t e n , u m dessen Basis z u z e r s t ö r e n , s o w i r d d a r a n deutlich, w i e g r o ß u n d m ä c h t i g diese m i t t l e r w e i l e g e w o r d e n w a r . B e i m U n t e r n e h m e n „München"

gelang es lediglich, die d e u t s c h e G a r n i s o n v o n J e l n j a

Die Stärke eines GFP-Kommandos belief sich auf einen Sekretär, einen Dolmetscher, einen Unteroffizier und vier Hilfspolizisten, die Stärke eines SD-Kommandos auf zwei Sicherheitspolizisten, einen Dolmetscher und vier SS-Männer. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt. I a, Befehl vom 23.4.1942. Ähnliches praktizierte man später auch im besetzten Frankreich. Vgl. hierzu Lieb, Weltanschauungskrieg, S. 70. 3 3 2 „Nach Eintritt der Schlammperiode erfährt Partisanenbekämpfung im rückw. Armeegebiet vorübergehende Unterbrechung." B A - M A , R H 20-2/1787: A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 27.3.1942. Zur Datierung vgl. Bock, Tagebuch, S.407, 415 (Einträge vom 24.3. und 24.4.1942). 3 3 3 B A - M A , R H 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 19.3.1942; B A - M A , R H 26-221/1: 221. Sich. Div., Stammtafel. Hier wird als Datum der 21.3.1942 genannt. Hierfür wurden der 221. Sich. Div. unterstellt: Ls. Rgt. 45 (14 Kpn.), Ls. Rgt. Stab 61, Ls. Btl. 973 (3 Kpn.), Art. Abt. 101 (mot.), I./Art. Rgt. 221 (3 Bttr. aus 7,62 cm Beute-Geschützen). IfZ-Archiv, M A 1670: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, „Besprechungspunkte für die Besprechung mit Generalltn. Pflugbeil" vom 19.3.1942. 3 3 4 Vgl. IfZ-Archiv, M A 1670: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, Vermerk betr. „Stand der Aufstellung der 221. Div. am 19.3.1942". 3 3 5 B A - M A , R H 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, Kriegstagebuch, Einträge vom 22.3.1942ff. Generell hierzu Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S. 422ff.; Pohl, Herrschaft, S. 286; Hürter, Heerführer, S. 434f.; Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 199ff.; Kreidel, Jagd auf Grischin, S.45. Auch zum Folgenden. 3 3 6 IfZ-Archiv, M A 1670: XXXXIII. A.K., Abt.I a, „Befehl für die Beendigung des Unternehmens Hannover" vom 16.6.1942; ebda., Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, „Korpsbefehl Nr. 106" vom 14.6.1942. Ferner Shepherd, War, S. 132. 3 3 7 A m 31.3.1942 meldete die 221. Sich. Div. über ihre Gegner: „Führer in den Haupt- und Stabsquartieren Offiziere. Mannschaften der Stäbe anscheinend reguläre Truppe, verstärkt bzw. ergänzt durch Partisanen, versprengte und frisch ausgehobenen Zivilisten". Auch habe man „Angehörige der Luftlandetruppe" festgestellt. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, Divisions-Befehl vom 3.4.1942, Anlage: „Feindlage". 338 Vgl. Reinhardt, Die russischen Luftlandungen im Bereich der deutschen Heeresgruppe Mitte. 3 3 9 KTB OKW, Bd. II, S. 379f. (Eintrag vom 24.5.1942). 331

5.5 Partisanen

747

zu befreien, die seit Januar von den Partisanen umzingelt war 3 4 0 . Erst mit den beiden folgenden Unternehmen, für die das Ende der Schlammperiode das Signal gab, konnten die Deutschen Belows Gruppe zerschlagen. Dazu war ein erhebliches Aufgebot nötig, insgesamt zwischen 4 0 0 0 0 und 4 5 0 0 0 Mann 3 4 1 : das X X X X I . Panzer- und das X X X X I I I . Armeekorps mit jeweils drei Frontdivisionen, verschiedene Besatzungseinheiten, darunter die russische FreiwilligenBrigade „Graukopf", und eben die 221. Sicherungsdivision 342 . Sie stand am südlichen Rand des Kessels und sollte „den Durchbruch der Truppen des Generals Below in südlicher und südwestlicher Richtung [...] verhindern" 343 . Genau hier, an einer der schwächsten Stellen des deutschen Rings, brach Below mit noch 2 0 0 0 Mann durch 3 4 4 . Ein Besatzungsverband wie die 221. verfügte eben nicht über die Kampfkraft einer Frontdivision. Am Ende hatten die Deutschen etwa 5 000 Gegner getötet, weitere 11000 gefangen genommen, selbst aber „nur" 468 Tote und ca. 200 Vermisste verloren, wobei gerade die 221. einen hohen Blutzoll zahlen musste 345 . Obwohl der Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets dieses Gebiet nun für „bereinigt" hielt 346 , waren die Partisanen selbst noch längst nicht vernichtet. Ein Ende des Krieges war nicht absehbar, auch nicht für die 221. Sofort im Anschluss wurde sie bei einer Reihe kleinerer Operationen eingesetzt, die man zusammenfassend Unternehmen „Maikäfer" nannte 347 . - Im Gebiet des Koriick 580 tobten in diesen Monaten ebenfalls erbitterte Kämpfe. In den großen Wäldern südlich von Brjansk war eine regelrechte „Partisanenrepublik" 348 entstanden - flächenmäßig groß, mit anfangs geschätzten 2 0 0 0 Mann 3 4 9 aber längst nicht so mächtig wie die Gruppe Belows. Da sie jedoch an

340

341 342

343 344

345

346

347 348 349

Am 28.3.1942. Vgl. Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S.422, hier S.426; IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt. I a, „Divisionsbefehl für Neugliederung der Division und Einsatz an der Straße Potschinek-Jelnja" vom 28.3.1942. Zahl nach: Pohl, Herrschaft, S.286. Für das Unternehmen „Hannover" wurde die 221. Sich. Div. der 4. Armee unterstellt. Β ΑΜΑ, R H 22/231: H.Gr. Mitte, Fernspruch an Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte vom 8.6.1942. IfZ-Archiv, MA 1670: Gruppe Schenckendorff, Abt. I a, „Gruppenbefehl" vom 2.6.1942. Der Durchstoß erfolgte beim Wach-Bataillon 701, das dabei weitgehend vernichtet wurde. Vgl. Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 203. Allein im April 1942 registrierte die Führung der 221. Sicherungsdivision 102 Gefallene und 462 Verwundete. So viele Gefallene hatte diese Division in einem Monat während des Ostkrieges noch nie. Vgl. IfZ-Archiv, MA 1671: 221. Sich. Div., Abt.I a, Tagesmeldungen an den Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte für die Zeit vom 24.3. bis 16.6.1942 sowie Kap. 2.5. Von Mitte März bis Mitte Juni 1942 meldete die 221. Sich. Div. insgesamt 806 gezählte „Feindtote", 168 Gefangene, 106 Freischärler, 101 Uberläufer sowie weitere 1227 geschätzte getötete oder verwundete Gegner. Dem standen an eigenen Verlusten gegenüber: 235 Tote, 554 Verwundete und 189 Vermisste; ferner 13 gefallene Ukrainer, 2 gefallene OT-Leute sowie „rd. 30 tote u. verw. russ. OD-Männer". IfZ-Archiv, MA 1671: 221. Sich. Div., Abt.I c, „Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 22.3. bis 17.6.1942" vom 18.6.1942. B A - M A , R H 22/231: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, „Notizen über Besprechung Chef, I a beim Feldmarschall von Kluge" vom 28.4.1942. Angaben nach: Munoz/Romanko, Hitlers White Russians, S.206f. Wegner, Krieg, S.916. B A - M A , R H 20-2/292: A O Κ 2, A b t . O . Q u . / Q u . 2, „Bericht über die Partisanenbewegung im Bereich der 2. Armee" vom 11.2.1942. Dort auch detaillierte Angaben über die einzelnen Abteilungen, die u. a. mit „einzelnen Geschützen und Panzern" bewaffnet waren.

748

5. Verbrechen

„Stärke und Köpfe

351

Tätigkeit

[...]

ständig"

wuchs350,

auf v e r m u t l i c h

über

10000

, w a r e n a u c h hier gleich m e h r e r e U n t e r n e h m e n n ö t i g , z u m Teil u n t e r

E i n s a t z d e r d e u t s c h e n L u f t w a f f e 3 5 2 , u m die u n d u r c h d r i n g l i c h e n W ä l d e r S t ü c k für S t ü c k w i e d e r z u r ü c k z u e r o b e r n . D e n e r s t e n A n g r i f f s t a r t e t e d e r K o r ü c k n o c h i m M ä r z . K u r z f r i s t i g v e r s t ä r k t d u r c h ein b u n t z u s a m m e n g e w ü r f e l t e s A u f g e b o t von

ungarischen

Truppen,

landeseigenen

Abteilungen

und

einigen

ausge-

b r a n n t e n d e u t s c h e n F r o n t e i n h e i t e n , k o n n t e d e r K o r ü c k E n d e M ä r z m e l d e n , er habe

„mehrere

Partisanengruppen,

verstärkt

durch

Rotarmisten,

aufgerie-

b e n " 3 5 3 . A u c h in d i e s e m F a l l v e r d e u t l i c h e n die W a f f e n , w e l c h e die „ P a r t i s a n e n j ä g e r " e r b e u t e t e n , a b e r a u c h ihre eigenen Verluste: 9 5 G e f a l l e n e u n d 1 4 3 Verw u n d e t e 3 5 4 , dass es sich hier u m m e h r h a n d e l t e als n u r u m S t r a f a k t i o n e n g e g e n eine w e h r l o s e Z i v i l b e v ö l k e r u n g . G l e i c h w o h l ist das k r a s s e M i s s v e r h ä l t n i s d e r V e r l u s t z a h l e n n i c h t z u ü b e r s e h e n : W e n n die D e u t s c h e n m e l d e t e n , sie h ä t t e n bei diesen K ä m p f e n „ 1 9 3 6 P a r t i s a n e n e r s c h o s s e n " , d a n n w i r d s c h l a g a r t i g deutlich, m i t w e l c h e r G n a d e n l o s i g k e i t sie u n d a u c h ihre V e r b ü n d e t e n diesen K r i e g f ü h r t e n 3 5 5 . A h n l i c h w i e i m N o r d e n bei d e r 2 2 1 . S i c h e r u n g s d i v i s i o n b e d u r f t e es a u c h hier zweier Anschlussunternehmen

i m F r ü h s o m m e r , u m dieses

Partisanen-

z e n t r u m in d e m „ n a h e z u u n g a n g b a r e n S u m p f g e l ä n d e " a u s z u s c h a l t e n 3 5 6 , 350

351

352

353

354

355

356

die

B A - M A , R H 20-2/1453: A O K 2, A b t . O . Q u . / Q u . 2, „Besondere Anordnung für die Partisanenbekämpfungen Nr. 5 " vom 28.2.1942. IfZ-Archiv, M A 895/1: Korück 580, Abt. Qu., Meldung an A O K 2, ChefGenSt vom 15.4.1942. IfZ-Archiv, MA 895/1: Wach-Batl. 552, Fernspruch an Korück 580 vom 24.4.1942; O.Ltn. Crüwell, Meldung an Korück 580 vom 24.4.1942. Umgekehrt konnten auch die Partisanen für ihre Operationen mitunter die Unterstützung der sowjetischen Luftwaffe in Anspruch nehmen. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1673: Sich.-Batl. 743, Bericht an Sich.-Rgt. 27 betr. „Teilnahme an Unternehmen .Blitz' und ,Luchs'" vom 17.10.1942. Das war auch bei den Kämpfen der 221. Sich. Div. der Fall. Vgl. Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S.428ff. B A - M A , R H 20-2/1787: A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 27.3.1942. Dort auch die folgenden Angaben. Vgl. hierzu auch Bock, Tagebuch, S.409 (Eintrag vom 27.3.1942). Deutsche Truppen: 36 Gefallene, 10 Verwundete; Ungarische Truppen: 50 Gefallene, 124 Verwundete; Kosaken: 9 Gefallene, 9 Verwundete. B A - M A , R H 20-2/1787: A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Eintrag vom 27.3.1942. Eine Verlustrelation von 1:20, auf die auch Röhr hinweist (Forschungsprobleme, S. 203), war damals auch an der Front keine Seltenheit. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1623: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 25.4.1942: „Eigene Verluste durch Angriff der Russen 14 Tote und 48 Verwundete, die der Russen ca. 250 Tote und 42 Gefangene." Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt. Qu., Meldung an A O K 2 vom 1.4.1942, wo auch der schwammige Begriff des „Partisanenhelfers" als Erschießungsgrund angegeben wird. Ferner BA-MA, R H 20-2/1787: A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 27.3.1942. Offenbar scheint ein großer Anteil der getöteten Gegner auf das Konto der ungarischen Verbündeten gegangen zu sein. Die 102. ungarische leichte Division meldete allein im April 1942 die „Erledigung" von 1380 Partisanen und „Helfern". Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte, S. 134. Bock, Tagebuch, S.418 (Eintrag vom 1.5. bis 2.5.1942). In der Zeit vom vom 13.5.-30.5.1941 kam es im Gebiet des Korück 580 zu weiteren Kämpfen in den Wäldern „nördlich Chinel", die „vorwiegend durch ungarische Verbände" geführt wurden und bei denen die GefallenenRelation noch stärker auseinanderklaffte. „Als Ergebnis dieser Kämpfe [...] wird gemeldet: Feindverluste 4375 Tote, 135 Gefangene; 21 Geschütze, 26 Granatwerfer, 71 M G , zahlreiche Handfeuerwaffen und Munition wurden erbeutet oder vernichtet. Eigene Verluste in diesen Kämpfen: Gefallen: 90 Ungarn, 31 Deutsche, 11 Turkestanen, Kosaken, Ukrainer, 87 Mann Miliz. Verwundet: 314 Ungarn, 69 Deutsche, 21 Turkestanen, Kosaken, Ukrainer, 50 Mann Miliz. Vermisst: 32 Ungarn, 3 Deutsche, 3 Turkestanen. Insgesamt 711 Mann eigene blutige Verluste." B A - M A , R H 20-2/336: A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 30.5.1942.

5.5 Partisanen

749

Unternehmen „Vogelsang I und II" (5.Juni-4.Juli 1942) 3 5 7 . Unter Führung des X X X X V I I . Panzerkorps wurde eine weitere Einkreisungsoperation im Rücken der 2. Panzerarmee und der 2. Armee gestartet. Etwa 5 500 Deutsche, 1100 Russen und 1800 Ungarn kämpften gegen 10000 Partisanen, die mittlerweile „an die 400 Ortschaften mit 200000 Einwohnern" kontrollierten. Die Deutschen meldeten schließlich 519 gefangen genommene und 1382 getötete Partisanen. Außerdem habe man „3249 Mann im Alter zwischen 16 und 50 Jahren [...] festgesetzt, davon war ein großer Teil Waffenträger bei den Partisanen. [...] 8 5 8 7 Frauen und Kinder wurden außerhalb der Orte in den Wäldern angetroffen. 12351 Menschen wurden evakuiert." 358 Das war immerhin - wie diese verschiedenen Einteilungen belegen - eine differenzierte Reaktion. Trotzdem stehen auch hier die deutschen Verluste, die mit ihren Verbündeten 58 Tote, 130 Verwundete und einen Vermissten verloren, in einem schroffen Gegensatz zu den Verlusten der Gegenseite 359 . Hatten die Deutschen die Sache damit militärisch für sich entschieden? Wohl kaum. Sicherlich, sie hatten viele Partisanen getötet, noch mehr aber rückten mittlerweile nach. Auch an dieser Front gelang es der sowjetischen Seite, ihre horrenden Verluste rasch zu ersetzen. Entscheidend war, dass Kerne dieser Partisanengruppe überlebten, die dann rasch zum Nukleus neuer Einheiten werden konnten 360 . Von wenigen Zehntausend im Januar 1942 stieg denn auch die Gesamtzahl der sowjetischen Partisanen bis Juni 1942 auf 70000, bis Januar 1943 gar auf 120 000 3 6 1 . Schon das brachte die Deutschen immer mehr in die Defensive 362 . Es würden immer wieder Partisanen durchsickern, lautete Schmidts Bilanz Ende

Die folgenden Angaben nach: B A - M A , R H 21-2/901: Pz. A O K 2, Abt.I a, „Weisung für das Unternehmen Vogelsang" vom 28.5.1942; ebda., „Weisung für die Fortführung des Unternehmens Vogelsang" vom 13.6.1942; Hürter, Heerführer, S. 436; Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S.504f.; Wegner, Krieg, S.916f.; Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 205; Pohl, Herrschaft, S.289. 3 5 8 B A - M A , R H 21-2/883: Pz. A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 4.7.1942; ferner ebda., Eintrag vom 21.6.1942. An Beute wurden 4 Geschütze, 15 Pak, 15 Granatwerfer, 26 M G , 6 MPi, 9 Panzerbüchsen, 2 Flugzeuge, zahlreiche Gewehre und andere Waffen eingebracht. Auch hier stehen die vergleichsweise geringe Beute an Waffen in einem auffallenden Gegensatz zur großen Zahl an Lagern, insgesamt 262 ausgebaute Munitions- und Partisanenlager, welche die Deutschen zerstörten. Niedrigere Angaben: 1193 getötete und 1400 verwundete Partisanen bei: Munoz/Romanko, Hitler's White Russians, S. 205. Insgesamt meldete das Pz. A O K 2 von April bis Dezember 1942 5644 getötete Partisanen, 2741 gefangengenommene Partisanen und eigene Verluste in Höhe von 754 Toten (Deutsche, Ungarn und Hiwis). Angaben nach: Mulligan, The Cost of People's War, S. 35. 3 5 9 Bei diesen Relationen sollte es bleiben. Ende Juni 1942 hatte das Korück 580 auf eigener Seite 330 Tote, 120 Vermisste und 711 Verwundete, auf gegnerischer Seite dagegen 8500 Mann „Verluste" (also Tote) registriert. IfZ-Archiv, MA 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" vom 28.6.1942. 360 Vgl. hierzu Kreidel, Jagd auf Grischin. 3 6 1 Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S. 35f.; Slepyan, Avengers, S. 99, 142ff.; die höhere Zahl bei Wegner, Krieg, S.911. 3 6 2 So vertrat die 2. Panzerarmee die Ansicht, dass „eine völlige Befriedung des rückw. Armeegebietes [...] nach der aktiven Bekämpfung der Partisanen nur durch eine stützpunktartige Besetzung der durchkämmten Gebiete zu erreichen sein" würde. B A - M A , R H 21-2/883: Pz. A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 11.6.1942; B A - M A , R H 21-2/901: Pz. A O K 2, Abt.I a, Meldung an die H.Gr. Mitte vom 13.6.1942. 357

750

5. Verbrechen

Juni 1942. „Man muß es eben noch einmal bereinigen. Es ist doch eine Sauarbeit, bis man da einmal fertig wird." 3 6 3 5.5.7.4 Die defensive Seite der deutschen Anti-Partisanen-Strategie Dabei zielte die zweite Komponente der deutschen Anti-Partisanen-Strategie doch eigentlich in eine ganz andere Richtung; es ging um das, was die britische A r m e e nach 1945 unter dem Begriff der „hearts-and-minds-campaign" praktizieren sollte 3 6 4 . Im Frühjahr 1942 richtete sich diese Kampagne an drei Gruppen: die Zivilisten, die „Partisanenverdächtigen" und erstmals auch die Partisanen selbst. Dass die Deutschen einen Keil in ihre G r u p p e n treiben wollten, w a r neu. Eines der wichtigsten Zeichen setzte, auch hier, der Generaloberst Schmidt: In seinem bekannten Befehl v o m 3. M ä r z 1942 legte er fest, dass v o n einer Erschießung dann abgesehen werden könne, w e n n „der Gefangene nachweisen [kann], daß er zum Dienst bei den Partisanen gepreßt w u r d e und keine Gelegenheit zum Überlaufen hatte" 3 6 5 . Überläufer seien „als Kriegsgefangene zu behandeln oder in ihren Heimatort zu entlassen". Ahnlich dachte man bei der 2 2 1 . Sicherungsdivision 3 6 6 . Lange bevor das O K W hierzu die Erlaubnis erteilt hatte 3 6 7 , wollte sie Überläufer nun „wohlwollend" aufnehmen 3 6 8 . Ihre Parole „gerechte Partisanenbekämp363

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368

BA-MA, RH 21-2/338: Pz. AOK 2, Abt.I a, Fernsprechbuch, Eintrag vom 28.6.1942. Auch im Rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe Mitte meldete man damals ein „außerordentliches Anwachsen der Partisanentätigkeit". BA-MA, RH 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 5.6.1942. Das Konzept des „Winning Hearts and Minds" wurde in dieser dezidierten Form erstmals durch General Gerald Templer (1898-1979) während seiner Zeit als High Commissioner in Malaya (1952-1954) entwickelt. Diese Strategie basierte auf drei Überlegungen: 1. die Guerilla militärisch nicht zu zerschlagen; 2. die Guerilla vom Volk zu trennen; 3. die Entscheidung auf wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet zu suchen. Entsprechende Ideen sind freilich sehr viel älter; sie wurden erstmals während der Jahre 1724 bis 1730 von Don Alvaro Navia Osoric, Marqués de Santa Cruz y Marcenado in seinen „Réflections militaires et politiques" zu Papier gebracht. Vgl. hierzu Beckett, Modern Insurgencies and Counter-Insurgencies, S. 26; Nagl, Counterinsurgency Lessons. Ferner Shepherd, Hawks, S. 352. BA-MA, RH 21-2/867 a: Pz. AOK 2, Abt.I c/A.O., „Armeebefehl für die Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen, Feindkundschaftern und der Bevölkerung" vom 3.3.1942. Vgl. auch Umbreit, Herrschaft, S. 165 f. Gestrichen wurde hier freilich der Passus: „Von einer Erschießung ist abzusehen". Stattdessen hieß es, dass „die Gefangenen mit entsprechender Meldung der Division - Abt. I c - zuzuführen" seien. IfZ-Archiv, MA 1671: 221. Sich. Div., Abt.I c, Anordnung betr. „Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen und Bevölkerung" vom 8.4.1942. Ferner Shepherd, War, S. 133 ff. Offiziell möglich war dies erst ab August 1943. Vgl. Armstrong (Hrsg.), Soviet Partisans, S.222f.; Richter, „Herrenmensch", S. 16. Statt dessen befahl das OKW noch am 11.11.1942, gefangen genommene Partisanen grundsätzlich zu erhängen oder erschießen. Vgl. Müller (Hrsg.), Okkupation, S. 136. IfZ-Archiv, MA 1670: 221. Sich. Div., Abt.I c, „Tagesbefehl Nr.7" vom 3.3.1942. Interessant ist, dass der 221. Sich. Div. in der Zeit ihres Fronteinsatzes befohlen wurde, „daß Uberläufer und Gefangene von der Truppe menschlich behandelt, im Rahmen der Bestimmungen ernährt und in geheizten Räumen untergebracht werden". Daran wollte sie auch nach ihrer Verlegung ins Hinterland festhalten, wie ein Befehl vom 8.4.1942 belegt. IfZ-Archiv, MA 1670: LV. A.K., Abt.I a, „Führungsanordnungen Nr.33" vom 22.2.1942; IfZ-Archiv, MA 1671: 221. Sich. Div., Abt. I c, Weisung betr. „Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen und Bevölkerung" vom 8.4.1942. Ferner Shepherd, Hawks, S. 354. Ahnliche Tendenzen zeigten sich damals im Übrigen auch bei anderen deutschen Besatzungsverbänden, etwa beim Korück 580 (IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt.I c, Befehl vom 10.4.1942) oder bei der 207. Sich. Div., die ab Frühjahr 1942 gefangene Partisanen „anständig" behandeln wollte. Vgl. Umbreit, Herrschaft, S. 157.

5.5 Partisanen

751

f u n g " 3 6 9 zeigte aber k e i n e g r o ß e W i r k u n g bei d e n P a r t i s a n e n : O b w o h l i h n e n S t r a f f r e i h e i t z u g e s i c h e r t w u r d e u n d a u c h V e r p f l e g u n g aus d e u t s c h e n

„Nachschub-

beständen"· 5 7 0 , registrierte die 2 2 1 . in d e r Z e i t v o n M i t t e M ä r z bis M i t t e J u n i n u r 1 0 1 U b e r l ä u f e r 3 7 1 , sie selbst n a h m in dieser Zeit 2 1 7 P a r t i s a n e n , 2 3 7 Z i v i l i s t e n u n d 7 Soldaten gefangen372. S e h r viel m e h r M e n s c h e n w a r e n v o n d e m V e r d i k t des „ P a r t i s a n e n v e r d ä c h t i g e n " b e t r o f f e n ; h i e r h a n d e l t e es sich n i c h t selten u m j e n e Z i v i l i s t e n , die i n d e n - aus d e u t s c h e r S i c h t - „ b a n d e n v e r s e u c h t e n " G e b i e t e n lebten. W u r d e n diese „gesäubert" u n d z u n e h m e n d auch v e r ö d e t 3 7 3 , dann mussten den deutschen Besatzern z w a n g s l ä u f i g Z e h n t a u s e n d e Z i v i l i s t e n in die H ä n d e fallen, d e r e n p o l i t i s c h e E i n stellung n u r s c h w e r z u ü b e r p r ü f e n w a r . I m m e r h i n w a r m a n m i t E x e k u t i o n e n m i t t l e r w e i l e v o r s i c h t i g e r 3 7 4 ; u n s e r e b e i d e n B e s a t z u n g s v e r b ä n d e r e g i s t r i e r t e n die m e i s ten Z i v i l i s t e n u n t e r d e n R u b r i k e n „gefangen" o d e r „ e v a k u i e r t " . D i e 2 2 1 . b e f a h l i m M a i , „alle M ä n n e r z w i s c h e n 1 5 - 6 0 J a h r e n [ . . . ] f e s t z u n e h m e n " 3 7 5 u n d z u ü b e r p r ü f e n 3 7 6 , w ä h r e n d d e r K o r ü c k „ V e r d ä c h t i g e u n d n i c h t t r a g b a r e E l e m e n t e " in ein „ Z i v i l - G e f a n g e n e n l a g e r " b r i n g e n lassen w o l l t e 3 7 7 . W i e g r o ß die Z a h l d e r e r w a r , die diesen U b e r p r ü f u n g e n z u m O p f e r f i e l e n o d e r d e n E x i s t e n z b e d i n g u n g e n in d e n L a g e r n , ist u n k l a r . S i c h e r ist, dass v o n d e n n e u e n G r o ß u n t e r n e h m e n n a t u r g e m ä ß s e h r v i e l e M e n s c h e n b e t r o f f e n w a r e n . D i e Schläge, w e l c h e die d e u t s c h e Besatz u n g s m a c h t austeilte, w a r e n n o c h i m m e r m ö r d e r i s c h , a b e r sie b e m ü h t e sich m i t t l e r w e i l e - mal mit m e h r , m a l m i t w e n i g e r E r f o l g - , sie g e n a u e r ins Ziel z u l e n k e n . 369

370

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Shepherd, Hawks, S.355; ders., War, S.134. A m 6.4.1942 berichtete die Division, dass „8 Uberläufer, von den Partisanen zwangsweise ausgehobene Ortseinwohner, eingebracht" wurden. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.4.1942. Vgl. auch mit dem Bericht über ein Erkundungsunternehmen der 221. Sich. Div. am 12.5.1942, bei dem „4 verdächtige Personen", die man mit der Waffe in der Hand antraf, erschossen worden seien, 20 weitere Zivilisten habe man „zwecks näherer Prüfung" mitgenommen. Ebda., Eintrag vom 12.5.1942. IfZ-Archiv, M A 1671: Kd. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt. Qu., „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 28" vom 4.4.1942. Dort wurde auch festgelegt, dass alle Überläufer in der Gefangenschaft „ohne Rücksicht auf die Art ihrer Tätigkeiten" die Schwerarbeiterzulage erhalten sollten. IfZ-Archiv, M A 1671: 221. Sich. Div., Abt.I c, „Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 22.3. bis 17.6.1942" vom 18.6.1942. IfZ-Archiv, M A 1671: 221. Sich. Div., Abt.I a, Tagesmeldungen an den Kd. Gen. d. Sich. Tip. u. Bfh. im Rückw. Heeresgeb. Mitte für die Zeit vom 24.3.-6.6.1942. Diesen Berichten ist nicht zu entnehmen, was mit den Gefangenen geschah. Bei den Kämpfen im Bereich des Korück 580 wurden damals folgende Orte zerstört: Berestok („niedergebrannt"); Bol. Bereska („niedergebrannt"); Borrissowo („niedergebrannt"); Dubrowka („niedergebrannt"); Isbitschni („bombardiert"); Jasnaja Poljana („bombardiert"); Lepetschino („bombardiert"); Ljutoje („niedergebrannt"); Stopucha („bombardiert"). Während es sich bei den Bombardierungen um Einsätze der deutschen Luftwaffe handelte, gehen die Feuersbrünste höchstwahrscheinlich auf das Konto ungarischer Truppen, da die Meldungen von den deutschen Verbindungsoffizieren kamen, die damals bei den ungarischen Verbündeten eingesetzt waren. IfZ-Archiv, M A 895/1: Ltn. Burkhardt, Fernspruch an Korück 580 vom 18.4.1942; ebda., Korück 580, Fernspruch an Kgl. ung. 102. le. Div. vom 19.4.1942; ebda., O.Ltn. Crüwell, Meldung an Korück 580 vom 24.4.1942. Charakteristisch etwa IfZ-Archiv, M A 1673: 221. Sich. Div., Abt.I a, Tagesmeldung an Kd. Gen. d. Sich. trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgeb. Mitte vom 11.7.1942, w o von 245 festgenommenen Männern und 10 erschossenen Partisanen berichtet wird. IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich. Div., Abt. I a, „Weisungen für die Kampfführung in der neuen Sicherungszone" vom 4.5.1942. Ebda., Kriegstagebuch, Eintrag vom 11.6.1942. IfZ-Archiv, M A 895/1 : Korück 580, Abt. I c, Befehl vom 2.4.1942.

752

Von den Deutschen

5. Verbrechen

gefangen

genommene

Partisanen,

Juli

1942

(Quelle: OEGZ-S345-88)

W a s a b e r g e s c h a h m i t d e r ü b r i g e n B e v ö l k e r u n g - m i t j e n e n , die das G l ü c k h a t t e n , in d e n Z o n e n z u l e b e n , die aus d e u t s c h e r S i c h t n o c h n i c h t als N o - g o - A r e a s g a l t e n ? U m sie w o l l t e n die D e u t s c h e n w e r b e n . O b e r s t e s Z i e l w a r e n d a h e r e i n „ k o r r e k t e s A u f t r e t e n des d e u t s c h e n S o l d a t e n " 3 7 8 u n d „ e i n g u t e s V e r h ä l t n i s " z u r Zivilbevölkerung379. Mit Hilfe aufwändiger Propaganda-Aktionen380,

handfester

B A - M A , R H 20-2/1152: A O K 2, Abt.I c/A.O., „Richtlinien für die propagandistische Beeinflussung der Zivilbevölkerung" vom 28.2.1942. 3 7 9 So dezidiert der Gen.oberst Schmidt am 3.3.1942 und ihm folgend die 221. Sich. Div. am 8.4.1942. B A - M A , R H 21-2/867 a: Pz. A O K 2, Abt.I c/A.O., „Armeebefehl für die Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen, Feindkundschaftern und der Bevölkerung" vom 3.3.1942; IfZ-Archiv, MA 1671: 221. Sich. Div., Abt.I c, Anordnung betr. „Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen und Bevölkerung" vom 8.4.1942. Vgl. hierzu auch Bock, Tagebuch, S.391 (Eintrag vom 5.3.1942): „Ich habe Interesse daran, daß die Bevölkerung im Rücken des Heeres ruhig ist. Das zu erreichen, halte ich auch jetzt noch für leicht. Man muß der Bevölkerung allerdings klare Ziele geben, und das, was man verspricht, auch halten." 380 Vgl. etwa B A - M A , R H 20-2/301: A O K 2, Abt.I c/A.O., „Richtlinien für die propagandistische Beeinflussung der Zivilbevölkerung" vom 28.2.1942; B A - M A , R H 21-2/867 a: Pz. A O K 2, Abt. I c/A.O., „Armeebefehl für die Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen, Feindkundschaftern und der Bevölkerung" vom 3.3.1942; IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt. I c, „Richtlinien für die propagandistische Beeinflussung der Zivilbevölkerung" vom 9.4.1942; B A - M A , R H 21-2/333: Pz. A O K 2, Abt.I c/A.O., „Zusammenstellung aus Berichten der Propagandatrupps des Pz. Prop. Kp. 693" vom 14.4.1942; B A - M A , R H 21-2/333: Pz. A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Anlage: „Besprechung am 8.4.1942 bei Heeresgruppe Mitte durch O.B. H.Gr, in Anwesenheit des Chefs der Op. Abt. und des Gen.Qu. mit den O.B. der Armeen", o.D.: „Die Propaganda bei der Bevölkerung im Armeegebiet wurde durch Zeitungen und Lautsprecherwagen, neuerdings auch durch Propagandatrupps durchgeführt." 378

5.5 Partisanen

753

materieller Versprechungen 3 8 1 , v o r allem aber einer Ernährungspolitik, die den Bedürfnissen der Einheimischen Rechnung zu tragen suchte 3 8 2 , sollte diese gegen die Partisanen in Stellung gebracht werden 3 8 3 . Dies scheint tatsächlich eine Zeitlang Erfolg gehabt zu haben - aller Härten, Ungerechtigkeiten und Brutalitäten der deutschen Besatzung zum Trotz. Im Frühjahr 1942 lag freilich einiges noch in der Zukunft 3 8 4 , während die Enttäuschung über den Bolschewismus noch immer nachwirkte. Vor allem aber hatten die deutschen Besatzer mit der „Neuen Agrarordnung" - Reichsminister Rosenberg hatte sie am 15. Februar 1942 verkündet 3 8 5 - den Nerv der einheimischen Landbevölkerung getroffen. Dass dieses Programm in Wirklichkeit nicht mehr bleiben sollte als ein Torso, w a r damals noch nicht absehbar. Zunächst w a r seine Wirkung groß 3 8 6 . So meldete das X X X X V I I . Panzerkorps, „daß sich in den meisten Fällen die Zivilbevölkerung freiwillig angeboten" habe, „Partisanenschlupfwinkel anzugeben. Die Leute freuten sich fast alle, v o n dem Partisanendruck befreit zu sein." 3 8 7 A u c h das Wirtschaftskommando Kursk

Zur Dimension dieser Propagandakampagnen, bei denen Hunderttausende von Broschüren und Zeitungen verteilt wurden, vgl. Shepherd, Hawks, S. 363; Uziel, Wehrmacht Propaganda Troops and the Jews. 381 BA-MA, RH 20-2/301: AOK 2, Abt.I c/A.O., „Richtlinien für die propagandistische Beeinflussung der Zivilbevölkerung" vom 28.2.1942: Beseitigung der Kollektivwirtschaft, „gerechte" Preise und Löhne, „Beseitigung der Lebensmittelknappheit", „Freiheit des Glaubens", „Ordnung, Sicherheit und friedliche Verhältnisse"; BA-MA, RH 27-4/165: 4. Pz. Div. Anlage 1 zu „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr.201": „Belohnung von Landeseinwohnern für Partisanenbekämpfung" vom 28.3.1942: „Landeseinwohner, die bei der Partisanenbekämpfung mitgewirkt haben, können belohnt werden durch: Landzuteilung, Auszahlung einer Geldsumme, bevorzugte Zuteilung von Verbrauchsgütern. Die Belohnung muß rasch und großzügig gehandhabt werden."; IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt. I c, Erlass betr. „Richtlinien für die propagandistische Beeinflussung der Zivilbevölkerung" vom 9.4.1942; BA-MA, RH 22/248: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt. VII „Monatsbericht" vom 7.7.1942, in dem gefordert wird, dass man mit „der Zuweisung von Einzelhöfen an bei der Partisanenbekämpfung verdiente Landeseinwohner zu beginnen" habe. 382 Vgl. Pohl, Herrschaft, S. 195, der einen Befehl Schmidts zitiert, demzufolge die noch vorhandenen Lebensmittel zuerst an die Zivilbevölkerung und erst dann an die Truppe auszugeben seien. 383 IfZ-Archiv: MA 1670: 221. Sich. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 15.12.194121.3.1942, wo ein Befehl dieser Division zitiert wird, demzufolge in den „nicht von der Truppe besetzten Ortschaften sofort Einwohnerwehren zu bilden" seien. IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Abt. Qu., Fernspruch an 3./Wach-Btl. 581 vom 1.4.1942: „Nach Durchführung der Befriedungsaktionen sind in den Orten sofort .Starosten' oder Dorfälteste einzusetzen." 384 Es spricht für sich, wenn ein halbes Jahr später die Stimmung im besetzten Gebiet kippte. „Einsichtige Russen erkennen klar, daß wir Rußland gegenüber keine Kriegziele nennen und bringen diese Tatsache in logischen Zusammenhang mit unseren Mißerfolgen hinsichtlich der Befriedung des Landes." Stimmungsbericht der Propaganda-Abteilung Weißruthenien vom 4.9.1942, in: Buchbender, Erz, Dok. 7 (S. 302ff.). 385 Erlaß Rosenbergs zur Umwandlung der sowjetischen Landwirtschaft Hitlers vom 15.2.1942, in: Europa unterm Hakenkreuz, Bd. 5, Dok. 75. Am 20.2.1942 erließ das O KW eine Weisung, um eine Propaganda-Aktion für die „Neue Agrarordnung" einzuleiten. Druck: Müller (Hrsg.), Okkupation, S.224f. Vgl. hierzu Gerlach, Die deutsche Agrarreform; ders., Morde, S.342ff.; Chiari, Alltag, S. 129ff.; Pohl, Herrschaft, S. 141 ff. 386 Vgl. PA-AA, R 60740: AOK 2, Abt. I c/A.O./VAA, „Bericht Nr. 4" vom 11.4.1942, der konstatiert, dass zunächst, „kurz nach Verkündung der neuen Agrarordnung eine allgemeine Freude in den Äußerungen der Landbevölkerung zum Ausdruck" gekommen sei; mittlerweile gäbe es aber Stimmen, „die die Ehrlichkeit der deutschen Absichten in Zweifel stellen". 387 BA-MA, RH 21-2/883: Pz. AOK 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 9.6.1942. In diesem Sinne auch Schaub (Panzergrenadier-Regiment 12, S. 124), der über ein „gutes" Verhältnis zwischen seiner Einheit und der Zivilbevölkerung berichtet: „Dies zeigt sich unter anderem darin, daß die Masse der Zivilisten durch Kundschafterdienst aktiv bei der Partisanenbekämpfung mithilft. Das tun sie nicht aus reiner Liebe zu uns, sondern sie wählen von zwei ÜbelIn

754

5. Verbrechen

registrierte im Juni 1942 „im Großen und Ganzen eine willige Mitarbeit der Bevölkerung" 388 , während das Wirtschaftskommando Rylsk der Ansicht war, dass sich diese im allgemeinen „zufriedenstellend" verhalte 389 . Noch einen Schritt weiter ging Schmidt schließlich im Falle des Rayons Lokot (südöstlich von Brjansk), der mit seinen 41000 Einwohnern von der 2. Panzerarmee als „Selbstverwaltungsbezirk" geführt wurde - mit dem Ziel, aus diesem Gebiet eine Art „Bollwerk" gegen die Partisanen zu machen 390 . Doch hatte das „Lokoter Experiment", damals eine einmalige Ausnahme im Hoheitsgebiet der Wehrmacht, nicht nur eine militärische Funktion. Erstmals erprobte eine höhere militärische Dienststelle die Möglichkeit einer nationalrussischen Selbstverwaltung und einer weitgehend partnerschaftlichen militärischen Kooperation, selbst wenn ein Warlord wie Bronislaw Kaminski, ein gleichermaßen gewalttätiger und selbstherrlicher Opportunist 391 , dafür kaum die geeignete Führungsfigur war. Verglichen mit den Verhältnissen des Jahres 1941 waren dies freilich schon große Veränderungen. Heutzutage wäre ohne solche Komponenten: ein wirtschaftlichpolitisches Minimalprogramm, eine differenzierte Behandlung der Zivilisten, das Angebot politischer Autonomie oder juristisch-politischer Amnestie an ehemalige Partisanen, jede Form der Counter-Insurgency undenkbar. Damals aber existierten dafür nur wenige Vorbilder, erst recht nicht in der Theorie. Vor allem aber musste ein solches Konzept den politischen und ideologischen Prämissen strikt widersprechen, unter denen die deutsche Führung diesen Krieg ursprünglich vom Zaun gebrochen hatte. Zwar mehrten sich unter den deutschen Besatzern seit Herbst 1941 und erst recht seit Frühjahr 1942 die Stimmen, „die für eine psychologische Kriegführung und eine Ostpolitik eintraten, die annehmbare Inhalte für die einheimische Bevölkerung aufwies" 39 · 2 , doch brauchte es seine Zeit, bis die militärisch und politisch Verantwortlichen an der Spitze dafür überhaupt die Erlaubnis gaben. Noch im April 1942 vertrat der Generalfeldmarschall von Kluge gegendas kleinere. Ein Teil, besonders die ältere Generation, tritt an die Offiziere mit der Bitte heran, als Bauern in Deutschland angesiedelt zu werden. Es sind viele darunter, die während des Ersten Weltkrieges in deutscher Gefangenschaft waren." 3 8 8 IfZ-Archiv, MFB 4/42870, Wi. Kdo. Kursk, „Lagebericht für die Zeit vom 1.-15.Juni 1942", o.D. Dieses und das nachfolgende Wirtschaftskommando waren beide im Bereich des Korück 580 eingesetzt. 3 8 9 IfZ-Archiv, M F B 4/42870, Wi. Kdo. Rylsk, „Lagebericht f ü r Juni 1942" vom 1 9 . 6 . 1 9 4 2 . Vgl. auch IfZ-Archiv, M A 439: Chef SiPo und SD, Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 14 vom 3 1 . 7 . 1 9 4 2 : „Alle aus dem Raum der Heeresgruppe Mitte eingegangenen Meldungen besagen eindeutig, daß die Haltung der Bevölkerung, vor allem im Hinblick auf die Zukunft, abhängig von der Lösung des Partisanenproblems ist. Nach Ansicht der Bevölkerung wäre mit der Lösung des Partisanenproblems auch die Ernährungslage f ü r die Zukunft sichergestellt." 390 Vgl. Schulte, German Army, S. 1 7 2 f f . Der Rayon Lokot, der bereits seit Frühjahr 1942 relativ autonom war, wurde von der 2. Panzerarmee erstmals im August 1942 als „Selbstverwaltungsbezirk" geführt. Die Stärke der „Kaminski-Brigade" wurde auf etwa 7 0 0 0 Mann geschätzt. Nach der sowjetischen Eroberung von Lokot im September 1943 setzte Kaminski, dem bereits die deutsche Seite ein „Willkürregiment" bescheinigte, den Kampf auf deutscher Seite fort. Vgl. ferner Dallin, The Kaminsky Brigade; Armstrong, Soviet Partisans, S.237, 544; Hesse, Partisanenkampf, S. 176. 3 9 1 Vgl. etwa mit der Szene, die Teske (Die silbernen Spiegel, S. 181) schildert. 3 9 2 Umbreit, Herrschaft, S. 165. Ferner Shepherd, War, S. 119; Buchbender, Erz, S.272ff.; Schulte, German Army, S. 150ff.; Hürter, Heerführer, S.449ff.; Pohl, Herrschaft, S. 1 7 0 f f .

5.5 Partisanen

755

über Schmidt die Ansicht, „daß jeder Russe, der sich in Zivil am Kampf beteiligt, als Partisan rücksichtslos zu erschießen ist" 393 . Doch machte Schmidt dabei nicht mit. Im selben Monat nahm die Geheime Feldpolizei seiner 2. Panzerarmee insgesamt 160 Zivilisten fest, u.a. wegen Freischärlerei, Spionage, Sabotage oder unerlaubten Waffenbesitzes; doch endeten „nur" 13 vor den deutschen Erschießungspelotons 394 . Solche Veränderungen blieben nicht allein auf diese Armee beschränkt. Die 221. Sicherungsdivision hielt die Hinrichtung jugendlicher Agenten nur noch dann für gerechtfertigt, „wenn ihnen die Durchführung der ihnen gestellten Aufgaben nachgewiesen werden" könne, während sie „summarische Vergeltungsmaßnahmen auf eigene Faust" strikt verbot 395 . Und auch der Korück 580, wo man die Quote der „Mitläufer" unter den Partisanen auf 70 Prozent schätzte 396 , wollte die Überläufer unter den Partisanen schonen und sie als Kriegsgefangene „würdig" behandeln 397 . Diese Initiativen der Menschlichkeit galten allerdings nur außerhalb der eigentlichen Kampfzone. In ihr herrschten andere Gesetze. „Schärfste Maßnahmen" wollte das Sicherungs-Regiment 45 zur Anwendung bringen 398 , und selbst Schmidt befahl im Juni, „alle Orte innerhalb der ungangbaren Waldgebiete zu vernichten" 399 , obwohl mehrere militärische Dienststellen dagegen „Einspruch erhoben". Die „Feindverluste", welche die 221. Sicherungsdivision und der Korück 580 damals meldeten, sprechen eine deutliche Sprache. Wie diese zustande kommen konnten, illustriert ein Brief eines Rekruten des Feldersatz-Bataillons 84, damals der einzige Teil der 4. Panzerdivision, der im Sommer 1942 noch im Hinterland agierte: „Unser Augenmerk gilt hauptsächlich den Partisanen, denn vor einigen Tagen startete hier in der Nähe ein Angriff, das heißt ein Kesseltreiben gegen diese Bande. Es ist noch ein ziemlich großer Haufen, aber schon ziemlich zusammengedrängt. Das schlechteste dabei ist, daß die ganze Gegend alles Wald und Sumpf ist. Man kann also nicht viel mit motorisierten Truppen anfangen, es muß ausschließlich die Infanterie machen. Wenn Ihr in nächster Zeit mal hört, daß wieder ein großer Partisanenkessel ausgeräuchert wurde, so ist es dieser. Von unserem Zug wurden vor einigen Tagen zwei Gefangene [gemacht], ein Alter und ein junger Bub mit 6-7 Jahren. Hatten Kartoffeln und Salz zur Verpflegung und sagten aus, 393

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B A - M A , RH 21-2/333: Pz. A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Anlage: „Besprechung am 8 . 4 . 1 9 4 2 bei Heeresgruppe Mitte durch O.B. H.Gr, in Anwesenheit des Chefs der O p . Abt. und des Gen.Qu. mit den O.B. der Armeen", o . D . B A - M A , R H 21-2/639: Gruppe Geheime Feldpolizei 639 beim Pz. A O K 2, „Tätigkeitsbericht für Monat April 1942" vom 2 5 . 4 . 1 9 4 2 . IfZ-Archiv, M A 1671: 221. Sich. Div., Abt. I c, Anordnung betr. „Behandlung von Kriegsgefangenen, Partisanen und Bevölkerung" vom 8.4.1942. Vgl. hierzu auch Shepherd, War, S. 134. IfZ-Archiv, M A 895/1: Hptm. Biewald, Fernspruch an Korück 580 vom 1 0 . 4 . 1 9 4 2 . IfZ-Archiv, M A 895/1: Korück 580, A b t . I c, Befehl v o m 1 0 . 4 . 1 9 4 2 . B A - M A , RH 20-2/401: A O K 2, O.Qu./Qu. 2, Befehl an den Korück 580 v o m 3 0 . 3 . 1 9 4 2 . IfZ-Archiv, M A 1673: Sich.-Rgt. 27, „Befehl f ü r die Sicherung und Aufklärung im Raum um N o w o s y b k o f f " vom 2 3 . 6 . 1 9 4 2 . B A - M A , R H 21-2/883: Pz. A O K 2, A b t . I a , Kriegstagebuch, Eintrag v o m 9 . 6 . 1 9 4 2 . Auch zum Folgenden. Vgl. auch ebda., Eintrag vom 8 . 6 . 1 9 4 2 : Die 2. Panzerarmee befahl damals, „daß alle Schlupfwinkel und einzelstehenden Gehöfte nachhaltig zerstört werden, ebenso alle alten Stellungen und Bunker. Auf die Feststellung, dass in dem bisher besetzten Partisanengebiet viel mehr Lebensmittel vorhanden sind, als in den bandenfreien Gebieten und deshalb an eine Aushungerung des Gegners nicht zu denken wäre, wird nochmals rücksichtsloses Vorgehen befohlen."

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5. Verbrechen

sie wollten Fische fangen, hatten aber was ganz anderes vor. Ihre Gefangenschaft war kurz, dann wurden sie durch den Tod erlöst. Ich persönlich hatte noch nicht das Vergnügen, jemanden zu erschießen, würde es aber mit Freuden machen .. ." 400 . Von einem differenzierten Vorgehen oder gar vom Versuch eines „guten Verhältnisses" zur Zivilbevölkerung war hier nicht mehr viel übrig geblieben. Warum aber scheiterte die Idee einer „Deeskalation von oben" selbst in einem Teil des deutschen Herrschaftsgebiets, in dem sich die militärisch Verantwortlichen doch dezidiert um einen Neuanfang bemühten? Verwiesen sei auf fünf mögliche Erklärungen: (1) Der Kampf gegen die Partisanen war militärisch extrem schwierig. In einer eingehenden Analyse kam die 2. Panzerarmee im Juli 1942 zu dem Ergebnis, dass der sowjetische Untergrund „unter energischer, zielbewusster Führung [...] bis zur Selbstvernichtung" kämpfe. Von Nachtgefechten war hier die Rede, von Handgemengen auf kürzeste Distanz und schließlich fiel das Wort vom „bewaffneten Volksaufstand", „wobei den Partisanen selbst Jugendliche als Baumschützen und Weiber als Wegweiser und Sanitäter zur Verfügung standen". Mit anderen Worten: Ansätze zu einem totalen Krieg in einem Terrain, das selbst eine erfahrene Truppe nur mit Mühe gemeistert hätte: „Millionen von Mücken, große Hitze, Unwetterperioden wechselnd mit Kälte" 401 , dabei ständig „große Versorgungsschwierigkeiten"; Feldküchen fehlten ganz, zum Trinken habe man „nur Sumpfwasser". Dass solche Voraussetzungen eine Radikalisierung dieser Kämpfe fördern mussten, kannte man bereits aus den Kolonialkriegen 402 . Erst recht musste das für diesen Kriegsschauplatz gelten, wo die Wehrmacht quasi ihre dritte Garnitur an Truppen in diesen Phantomkrieg schickte. Sie sei jetzt „nur auf das angewiesen, was sie in den wenigen noch zur Verfügung stehenden Tagen ausbildungsmäßig" lernen würde 403 , wurde der 221. Sicherungsdivision von ihrem Kommandeur beschieden 404 . Schon diese materielle und mentale Unterlegenheit musste eine Mentalität fördern, zu deren Kennzeichen es wurde, dass man im Kampf gegen die „Banden" im Zweifelsfall lieber einen „Verdächtigen" zuviel als einen zuwenig „umlegte".

BfZ, Slg. Sterz, 24636, Brief H. W. v o m 9 . 6 . 1 9 4 2 . Vgl. auch ebda., Brief vom 2 1 . 7 . 1 9 4 2 : „Wir sollten neulich eine Partisanenfrau festnehmen, welche in der Nacht durchgebrannt ist (65 Jahre). Wenn w i r sie erwischt hätten, ich hätte sie totgeschlagen, nicht mal erschossen ..." A l lerdings sollten die Soldaten bei ihrem Einsatz nicht alle Gefangenen erschießen. Vielmehr meldete die 4. Pz. Div. bei diesen Kämpfen 238 gefallene Partisanen, 183 Gefangene und 43 Überläufer. IfZ-Archiv, M A 1594: 4. Pz. Div., A b t . I c , Tätigkeitsbericht, Eintrag v o m 1 7 . 4 . 1 9 4 2 ; Neumann, 4. Panzerdivision, S . 5 1 4 . 4 0 1 B A - M A , R H 21-2/883: Pz. A O K 2, A b t . I a, Kriegstagebuch, Eintrag v o m 4 . 7 . 1 9 4 2 . B A - M A , R H 21-2/131: Pz. A O K 2, A b t . I a, Fernschreiben an die H.Gr. Mitte v o m 4 . 7 . 1 9 4 2 . 402 Vgl. hierzu Klein/Schumacher (Hrsg.), Kolonialkriege. 4 0 3 IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich., Div., A b t . I a, Befehl vom 1 4 . 4 . 1 9 4 2 . 4 0 4 Erst im März, unmittelbar vor ihrer ersten Großoffensive, wurde die 221. Sich. Div. wieder einigermaßen materiell und personell aufgefrischt. IfZ-Archiv, M A 1670: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, „Besprechungspunkte f ü r die Besprechung mit Generalitn. Pflugbeil" vom 1 9 . 3 . 1 9 4 2 ; ebda., 221. Sich. Div., A b t . I a/Ib, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgebiet Mitte betr. „Ausrüstung der neu zugeführten L.S. Btle. mit schweren Inf. Waffen" vom 2 1 . 4 . 1 9 4 2 ; IfZ-Archiv, M A 1670: 221. Sich., Div., A b t . I a, Meldung an Bfh. Rückw. Heeresgebiet Mitte betr. „Ausrüstungs- und Ausbildungsstand der neu eingetroffenen L.S.-Bataillone" v o m 9 . 4 . 1 9 4 2 , w o es heißt, diese Bataillone seien „völlig unausgebildet". 400

5.5 Partisanen

757

(2) D a s lag allerdings a u c h d a r a n , dass die d e u t s c h e n S o l d a t e n d e n E i n d r u c k h a t t e n , sie b e w e g t e n sich hier g e w i s s e r m a ß e n in e n t s t a a t l i c h t e n R ä u m e n , in d e n e n n u r eines z ä h l t e : das R e c h t des S t ä r k e r e n . Ein s o l c h e r E i n d r u c k w a r n i c h t n u r ein E r g e b n i s j e n e r M a n i p u l a t i o n e n , m i t d e n e n die d e u t s c h e F ü h r u n g n o c h v o r B e g i n n des „ U n t e r n e h m e n s B a r b a r o s s a " e i n e n Teil des V ö l k e r r e c h t s a u ß e r K r a f t gesetzt hatte. A u c h die s o w j e t i s c h e n P a r t i s a n e n k ä m p f t e n meist a u ß e r h a l b j e d e r R e c h t s o r d n u n g 4 0 5 . A l l e i n die Tatsache, dass sie g e w ö h n l i c h k e i n e G e f a n g e n e n m a c h t e n 4 0 6 , dass sie als Z i v i l i s t e n k ä m p f t e n , aus d e m H i n t e r h a l t , s c h o n w e i l i h n e n e t w a s a n d e res gar n i c h t ü b r i g blieb, s o r g t e auf d e u t s c h e r Seite f ü r E r b i t t e r u n g , f ü r ein G e f ü h l d e r O h n m a c h t u n d n i c h t z u l e t z t f ü r d e n E i n d r u c k , dass R e c h t u n d M o r a l in dieser A u s e i n a n d e r s e t z u n g g e w i s s e r m a ß e n sistiert s e i e n 4 0 7 . S c h o n an dieser E r f a h r u n g , an d e r D y n a m i k w e c h s e l s e i t i g e r B r u t a l i s i e r u n g , b r a c h e n sich die g u t g e m e i n t e n R a t s c h l ä g e u n d B e f e h l e j e n e r G e n e r ä l e u n d S t a b s o f f i z i e r e , die selbst die u n m i t t e l b a r e E r f a h r u n g dieses K r i e g e s n i c h t m a c h e n m u s s t e n . (3) Ein w e i t e r e r S c h w a c h p u n k t d e r d e u t s c h e n A n t i - P a r t i s a n e n - S t r a t e g i e w a r die Tatsache, dass sie auf V e r b ü n d e t e a n g e w i e s e n w a r . B e i m K o r ü c k 5 8 0 t r a f e n seit M i t t e F e b r u a r 1 9 4 2 erste u n g a r i s c h e T r u p p e n ein, bis M a i w a r e n es d a n n 1 0 0 0 0 M a n n 4 0 8 ; G l e i c h e s galt f ü r das H i n t e r l a n d d e r 2. P a n z e r a r m e e . D a die U n g a r n aufgrund ihrer dürftigen militärischen Erfahrung, ihrer erbärmlichen

Ausrüs-

t u n g 4 0 9 u n d i h r e r geringen M o t i v a t i o n g e g e n ü b e r d e n P a r t i s a n e n „ z u n ä c h s t d e n k ü r z e r e n " z o g e n , w i e d e r G e n e r a l f e l d m a r s c h a l l v o n B o c k sarkastisch n o t i e r t e , 4 1 0 ,

Dies wurde von der sowjetischen Führung bewusst gefördert. Vgl. etwa das bekannte, von Ilja Ehrenburg verfasste Flugblatt „Töte!", das im Sommer 1942 an die reguläre und irreguläre Truppe ausgegeben wurde. Druck: Buchbender, Erz, Dok. 8 (S. 305). 406 Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 895/1: Ltn. Burkhardt, Fernspruch an Korück 580 vom 16.4.1942, w o von folgendem aufgefangenen Funkspruch berichtet wird: „Von den Deutschen erbeuteten wir 2 MG, 3 Minenwerfer, machten 20 Gefangene, auch einen Offizier. Die Gefangenen wurden gehängt." 4 0 7 Dies wurde auch offen formuliert; so forderte etwa der Korück 580, sich möglichst „der hinterhältigen Kampfesweise der Partisanen" anzupassen. IfZ-Archiv, M A 895/1: Korück 580, A b t . Q u . , Fernspruch an 3./Wach-Btl. 581 vom 1.4.1942. 4 0 8 IfZ-Archiv, M A 895/2: Korück 580, Kdt., „Abschließender Bericht über die Tätigkeit im rückwärtigen Armeegebiet in der Zeit von Dezember 1941 bis Ende Mai 1942" vom 28.6.1942. Ungarische Besatzungsdivisionen befanden sich seit Herbst 1941 in der Sowjetunion. Dem Korück 580 wurde damals die 102. sowie Teile der 105. ungarischen Infanterie-Brigade (seit Januar 1942: leichte Infanteriedivision) zugewiesen; pro Division erreichten die Ungarn nur eine „Stärke von etwa 4000-5000 Mann". Vgl. hierzu B A - M A , R H 20-2/1787: A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 27.3.1942; Kreidel, Partisanenkampf, S.382; Förster, Stalingrad, S. 19f.; Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte in der Ukraine; Wimpffen, Die 2. ungarische Armee; Niehorster, The Royal Hungarian Army, Vol. I, S. 158 ff., 227; A d o n y i Naredy, Ungarns Armee im Zweiten Weltkrieg, S. 40ff., 62ff.; Mujzer, The Royal Hungarian Army, Vol. II. Vgl. auch B A - M A , R H 20-2/1445: A O K 2, Abt. O.Qu./Qu. 2, Tätigkeitsbericht für Februar 1942: „Die Kampfkraft der ungarischen Truppen stellt sich als recht gering heraus, die Waffenausstattung ist dürftig, die Wendigkeit der Führung nicht sehr groß." Ferner B A - M A , R H 20-2/360: A O K 2, Abt.I a, Denkschrift vom 15.5.1942, in der den Ungarn zugestanden wird, sie seien „vom besten Willen beseelt, aber ohne Kriegserfahrung, insbesondere ohne Osterfahrung". 4 0 9 A m 18.3.1942 meldete die ung. 102. le. Div., dass „ 8 0 % der Schuhe, 5 0 % der Hosen, 100% der Wäsche" unbrauchbar seien. IfZ-Archiv, M A 895/1: Korück 580, Meldung an A O K 2 vom 6.4.1942, Anlage. Bei dieser Beurteilung blieb es dann auch. Vgl. etwa B A - M A , R H 20-2/360: A O K 2, Abt.I a, Denkschrift vom 15.5.1942. 4 1 0 Bock, Tagebuch, S. 417 (Eintrag vom 28.4.1942). 405

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5. Verbrechen

konzentrierten sie sich zunächst weniger auf deren gezielte Bekämpfung. Stattdessen wiederholten sie konsequent jene Fehler, die die Deutschen schon im vergangenen Herbst gemacht hatten. Sie richteten in ihrem Besatzungsgebiet erst einmal ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung an und vernichteten damit jedes politische Vertrauen 4 1 1 . „Wenn nämlich die Ungarn melden", resümierte Goebbels im Mai 1942, „daß sie ein Dorf .befriedet' haben, ist meistens v o n dem Dorf wie v o n den Einwohnern nichts mehr vorhanden." 4 1 2 Schon jene drei ungarischen Divisionen, die damals in der nördlichen Ukraine im Einsatz waren, „töteten im Frühjahr 1942 annähernd so viele Partisanen wie alle anderen Besatzungstruppen im Hinterland der Heeresgruppe Mitte" 4 1 3 . Die Verödung ganzer Landstriche und die Massaker an der Zivilbevölkerung waren f ü r die Ungarn „die billigste und ungefährlichste A r t der Partisanenbekämpfung" 4 1 4 . Natürlich handelte es sich hier beileibe nicht um ein Spezifikum der ungarischen Besatzungstruppen. D o c h gab es damals bereits deutsche Militärs, die deren rüde Methoden entschieden ablehnten, schon weil es ihrem Versuch einer politischen Neuorientierung in die Quere kommen musste 4 1 5 . Nicht allein die ungarischen Verbündeten bereiteten den Deutschen Probleme; unter dem K o m m a n d o der 2 2 1 . Sicherungsdivision waren 1942 auch Freiwillige 411

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So beschwerte sich Bronislaw Kaminski, Anführer einer pro-deutschen Kampfgruppe, beim Koriick 532 über die Ungarn. „Korück: Kaminski will sein Amt niederlegen, das wäre sehr schlecht für uns. Reden ihm natürlich gut zu, und ich denke auch, daß er bleibt, aber es muß etwas geschehen. Kaminski sagt, die Ungarn kennen uns ganz genau. Haben mit uns verhandelt und mit uns gekämpft und nun passieren diese Geschichten. Sie nehmen seinen Leuten das Vieh fort und die sagen nun, was sollen wir da noch kämpfen." BA-MA, RH 21-2/355: Pz. AOK 2, Abt. I a, Fernsprechbuch, Eintrag vom 23.5.1942. In diesem Sinne auch IfZ-Archiv, MA 895/1: Obltn. Crüwell/Ltn. Dulle, Fernspruch an Korück 580 vom 6.4.1942; IfZ-Archiv, MFB 4/42870, Wi. Kdo. Rylsk, Lagebericht für Juni 1942 vom 19.6.1942. Ferner Daliin, Kaminsky Brigade. Goebbels, Tagebücher, Teil II, Bd. 4, S.313 (Eintrag vom 19.5.1942). Vgl. ferner Ganzenmüller, Ungarische und deutsche Kriegsverbrechen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Urteil von Ungváry, Das Beispiel der ungarischen Armee, S. 100: „In ihren Methoden bei der Partisanenbekämpfung standen die ungarischen Formationen denen der Wehrmacht in nichts nach, zuweilen waren die Ungarn noch brutaler als die Deutschen." Ungváry, Das Beispiel der ungarischen Armee, S. 103. Die in der nördlichen Ukraine eingesetzten ungarischen Verbände meldeten für die Zeit von November 1941 bis April 1942: 105. le. Inf. Div.: 5632 exekutierte Partisanen; 102. le. Inf. Div.: 7350 exekutierte Partisanen; 108. le. Inf. Div.: 393 exekutierte Partisanen; Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte, S. 156. Diese Vermutung lässt sich konkret mit Zahlen belegen. Während der ungarische Generalstab jede Verwendung „der in die Gegend von Charkow vorgezogenen ungarischen Sicherungsbrigaden" an der Front verweigerte, war der Kommandeur der 108. le. Inf. Div. der Einzige, der einen Fronteinsatz seines Verbandes dezidiert befürwortete. Verglichen mit der 102. und der 105 le. Inf. Div. tötete die 108. le. Inf. Div. aber deutlich weniger „Partisanen" - ein interessanter Hinweis auf das unterschiedliche Selbstverständnis dieser Divisionen. Ferner Bock, Tagebuch, S.380 und 396 (Einträge vom 17.2., 11.3.1942). Interessant ist, dass der Korück 580 versuchte, den ungarischen Truppen die gefangen genommenen Partisanen abzunehmen. So befahl der Korück am 6.4.1942 den zuständigen Ortskommandanten, „die Vernehmung bzw. ,Aburteilung' gefangener Partisanen und Partisanenhelfer im Gebiet ihrer Standorte durchzuführen". Die Kgl. ung. le. 102. Div. werde „im Interesse einer einheitlichen Nachrichtengewinnung gebeten", alle von ihren eigenen Truppen und deutschen Truppenteilen gefangen genommenen Partisanen, Partisanenhelfer und sonstige Verdächtige ihnen „zuzuführen". Ob dieser Befehl militärischen Überlegungen entsprang, politischen oder gar humanitären, sei dahingestellt. IfZ-Archiv, MA 895/1: Korück 580, Befehl an Kgl. ung. le. 102. Div. u.a. vom 6.4.1942. Vgl. auch BA-MA, RH 21-2/336: Pz. AOK 2, Abt. I a, Fernsprechbuch, Eintrag vom 23.5.1942 (Gespräch ChefGenSt und Korück); Ungváry, Ungarische Besatzungskräfte, S. 129 sowie Shepherd, Hawks, S. 367.

5.5 Partisanen

759

der Französischen Legion eingesetzt 4 1 6 . Schon am 6.Juni 1942 musste die 2 2 1 . allerdings eingestehen, dass ein „Einschreiten" ihres Kommandeurs „gegen den K[omman]d[eu]r der f r a n z ö s i s c h e n ] Legion notwendig" geworden sei 4 1 7 , wenig später folgte die Meldung, man habe ihn „wegen Unfähigkeit nach Hause geschickt" 4 1 8 . Uber die Ursachen dieses Disputs lässt sich nur spekulieren. Wahrscheinlich waren die Deutschen unzufrieden mit der militärischen Leistung ihrer Verbündeten, möglicherweise machte man sich aber auch hier Sorgen über die politische Wirkung, welche die Kriegführung der Franzosen hatte. (4) N o c h folgenreicher aber w a r die Ambivalenz des deutschen Konzepts. Dort, w o keine Kämpfe tobten, an der Front oder in den großen Städten, w a r eine differenzierte, um Gerechtigkeit bemühte Behandlung der Zivilbevölkerung durchaus möglich. Wenn die Geheime Feldpolizei im Bereich der 2. Panzerarmee den Eindruck hatte, dass „das Auftreten der Wehrmacht in der Öffentlichkeit einwandfrei" sei 4 1 9 , dann w a r das keine Propaganda, schon weil es sich um befriedetes Gebiet handelte. In den Kämpfen selbst aber musste die widersprüchliche Befehlsgebung: „schonungslose Härte" 4 2 0 gegenüber den Partisanen bei einer gleichzeitig verständnisvollen Behandlung der Zivilbevölkerung 4 2 1 , die Truppe letzten Endes

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Das verstärkte Inf. Rgt. 638, mit dessen Aufbau seit September 1941 begonnen worden war und das dann am 21.2.1942 im Generalgouvernement formiert wurde, rekrutierte sich aus Angehörigen der Legion Volontaire Française. Dessen III. Bataillon wurde der 221. Sich. Div. am 15.5.1942 unterstellt. BA-MA, RH 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 15.5.1942; Kreidel, Partisanenkampf in Mittelrußland, S. 381; Tessin, Verbände und Truppen, Bd. 12, S. 15. Auch in diesem Fall hatte das deutsche Einschreiten nicht nur militärische Gründe. Den Deutschen missfiel auch die Tatsache, dass die französischen Soldaten bei jeder Gelegenheit plünderten. BA-MA, RH 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 6.6.1942. IfZ-Archiv, MA 1673: Oberst Ieutnant von Kirschbaum, Kdr. des Verbindungsstabes zum III./Frz. IR 638, „Erfahrungsbericht über den Einsatz des III./[IR] 638 und Beurteilung seiner gegenwärtigen Einsatzfähiekeit" vom 27.6.1942; ebda., Verbindungsstab zum III./Frz. IR 638, „Zustandsbericht über aas III./Frz. IR 638" vom 7.8.1942. BA-MA, RH 22/229: Kdr. Gen. d. Sich. Trp. u. Bfh. im Rückw. Heeresgebiet Mitte, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.6.1942. BA-MA, RH 21-2/639: Gruppe Geheime Feldpolizei 639 beim Pz. AOK 2, „Tätigkeitsbericht für Monat April 1942" vom 25.4.1942. Vgl. freilich auch BA-MA, RH 20-2/301: AOK 2, Abt. Ic/A.O., „Richtlinien für die propagandistische Beeinflussung der Zivilbevölkerung" vom 28.2.1942, wo die Meinung der sowjetischen Zivilbevölkerung über die deutschen Soldaten folgendermaßen zitiert wird: „Er ist nicht so schlecht, wie das, was von ihm behauptet wurde, aber auch nicht so gut, wie man es erhofft hatte." Charakteristisch etwa der folgende Tagebucheintrag: „Der O.B. erläßt für die im rückw. Gebiet eingesetzten Verbände einen Befehl, in dem er wohl schonungslose Härte gegen die Partisanen fordert, wo sie am Platze ist, andererseits jedoch darauf hinweist, daß unbedingt Unterschiede zwischen Partisanen und der im Partisanengebiet teilweise unter starkem Terror lebenden Bevölkerung zu machen sind, da es in erster Linie darauf ankommt, letztere auf unsere Seite zu bringen." BA-MA, RH 21-2/883: Pz. AOK 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 19.6.1942. Vgl. auch Stimmungsbericht der Propaganda-Abteilung Weißruthenien vom 4.9.1942, in: Buchbender, Erz, Dok. 7 (S. 302ff.): „Fälle völlig unzweckmäßiger und den Vorschriften widersprechender Behandlung gelegentlich der Unternehmungen gegen Banden durch militärische Einheiten haben dazu in verschiedenen Gebieten sehr viel Unheil angerichtet." Ende Mai 1942 bekräftigte Schmidt nochmals diese Linie. BA-MA, RH 21-2/867 a: Pz. AOK 2, O.Qu./Qu. 2/1 c/A. O., „Richtlinien für die Behandlung der einheimischen Bevölkerung im Osten" vom 30.5.1942.

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5. V e r b r e c h e n

überfordern 422 . Die Klage des Generals von Schenckendorff, der sich im August 1942 darüber beschwerte, „daß im Zuge von Säuberungs- und Befriedungsunternehmungen sogenannte .Vergeltungsmaßnahmen' zur Anwendung kamen, die im Gegensatz zu der von mir vertretenen grundsätzlichen Auffassung stehen, daß es darauf ankommt, die Bevölkerung für uns zu gewinnen" 4 2 3 , ist Ausdruck dieses Zielkonflikts 424 . Anstatt ihre Linie mit der nötigen Deutlichkeit und auch Härte zu vertreten, bzw. vertreten zu können, beließ die Truppenführung es bei vagen Vorgaben des „Sowohl - als auch". (5) Denn an der Spitze fehlte ein politischer Wille, eine Instanz, die wirklich bereit gewesen wäre, die Fehlentwicklungen an der Basis zu korrigieren. Zwar hatte bis Sommer 1942 selbst die oberste deutsche Führung eingesehen, dass der Krieg im Hinterland nicht zu gewinnen war, wenn gleichzeitig gegen zwei Fronten: gegen die Partisanen und gegen die Zivilbevölkerung, gekämpft würde. Doch bildete Hitlers Weisung Nr. 46 für „die verstärkte Bekämpfung des Bandenunwesens im Osten" 4 2 5 schon sein äußerstes Zugeständnis. Lange sollte es nicht gelten. Das, was generell über Hitlers militärisches Handeln in der zweiten Hälfte des Krieges konstatiert wurde 4 2 6 , galt erst recht für die Führung des Partisanenkriegs. Eine auffallende intellektuelle Verarmung und ideologische Verhärtung ersetzten selbst den kleinsten Ansatz von taktischem Kalkül oder politischer Geschmeidigkeit. Auch deshalb wurde das Jahr 1942 zum Entscheidungsjahr. Schon im August begann Hitler seine wenigen Zugeständnisse zurückzunehmen; die Auseinandersetzungen mit den Partisanen verglich er nun mit „den Indianerkämpfen in Nordamerika. Die stärkere Rasse wird siegen, und das sind wir. Unter allen Umständen werden wir da Ordnung bringen." 4 2 7 Zwei Monate später bekräftigte er, „der Krieg gegen die Partisanen" werde „auf die restlose Ausrottung des einen oder des anderen Teils" hinauslaufen 428 , im Dezember 1942 verpflichtete er schließlich die Truppe, den Kampf gegen die Partisanen mit „den allerbrutalsten Mitteln" zu führen, „um dieser Pest Herr zu werden". Sollte es dabei zu Verbrechen kommen, so sicherte er allen deutschen Soldaten nochmals dezidiert

Das wird auch an den widersprüchlichen Parolen von Hitlers Weisung Nr. 46 v o m 1 8 . 8 . 1 9 4 2 deutlich, die einerseits „härteste Maßnahmen" gegen alle Irregulären forderte bei gleichzeitiger .strenger aber gerechter Behandlung der Bevölkerung'. Letzten Endes lief das darauf hinaus, dass sich jeder das heraussuchen konnte, was er f ü r richtig hielt. Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S.201-205. Vgl. mit dem Urteil von Wegner, Krieg, S.919. 423 Verbrechen der Wehrmacht, S.452. Vgl. auch mit Schenckendorffs Protest gegen Görings Befehl aus dem Jahr 1942, alle Siedlungen niederzubrennen, falls es in deren Nähe zu einem A n schlag auf die deutschen Eisenbahnverbindungen gekommen sei. Shepherd, War, S. 115, 125. 424 Vgl auch mit dem Urteil von Wegner (Krieg, S. 925), der die Ambivalenz eines „oft unkoordinierten, nicht selten bizarren Nebeneinander von maßlos brutalem und vergleichsweise rücksichtsvollem Herrschaftshandeln" als eines der Charakteristika der deutschen militärischen Besatzungsherrschaft definiert. 4 2 5 Vom 1 8 . 8 . 1 9 4 2 . Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S.201-205; dort auch die folgenden Zitate. Vgl. hierzu Wegner, Krieg, S . 9 1 8 f . ; Gerlach, Morde, S . 1 8 0 f f . , 884ff.; Blood, Bandit Hunters, S. 77ff. Umgesetzt wurde Hitlers Weisung durch das O K H in den „Richtlinien für die verstärkte Bekämpfung des Bandenunwesens im Osten" vom 2 3 . 8 . 1 9 4 2 . IfZArchiv, M A 1564/22, N O K W - 1 6 3 5 . Vgl. Fest, Hitler, S . 9 1 2 f f . 4 2 7 Jochmann (Hrsg.), Hitler, Monologe, S. 168 (8.8.1942). 4 2 8 Weisung N r . 4 6 b v o m 1 8 . 1 0 . 1 9 4 2 . Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S.207-209. 422

5.5 Partisanen

761

Straffreiheit zu 4 2 9 . Spätestens jetzt - zeitgleich zur Wende in der Schlacht um Stalingrad - konnte die deutsche Seite den Partisanenkrieg politisch nicht mehr gewinnen 4 3 0 . Denn ihre strategischen Fehler stehen in einem auffälligen Gegensatz zum Geschick, mit dem die sowjetische Führung mittlerweile auf diesem Feld agierte: Im März 1942 wurde in Moskau die Bildung eines „Zentralstabs der Partisanenbewegung" beschlossen 431 , so dass der Kampf der sowjetischen Guerilla - Anfang Juli 1942 registrierte der Zentrale Stab 608 Abteilungen mit insgesamt 8 1 5 4 6 Angehörigen 4 3 2 - von nun an sehr viel effektiver gesteuert und koordiniert werden konnte 4 3 3 . A m 5. September 1942 veröffentlichte Stalin den Verteidigungsbefehl Nr. 189 „Über die Aufgaben der Partisanenbewegung", die fortan zu einer „Angelegenheit des ganzen Volkes" werden sollte 4 3 4 . Damit hatte sich Stalin bewusst gegen das Konzept des N K W D entschieden, der in erster Linie auf wenige Funktionäre und Diversanten setzte. Aus dem sowjetischen Untergrund war nun das geworden, was der Generaloberst Schmidt schon im Mai 1942 befürchtet hatte - eine zweite Front 4 3 5 , die vorerst die der Westalliierten ersetzte.

5.5.8 Bilanz Es ist das Grundproblem jedes Partisanenkriegs, dass er die Unterschiede zwischen den Kombattanten und den Nicht-Kombattanten einebnet. Darauf haben im Falle des deutsch-sowjetischen Krieges beide Seiten hingearbeitet, und zwar von Anfang an. Die sozialen Folgen, die das haben musste, für die gegnerische wie im Übrigen auch für die eigene Partei, spielten weder für Hitler noch für Stalin eine erkennbare Rolle. Für die deutsche Führung waren die „Kollateralschäden" 429

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Weisung des O K W vom 16.12.1942, in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S.139f. Vgl. hierzu Wegner, Krieg, S.923; Shepherd, War, S. 126. Auch dies übrigens ein interessanter Hinweis auf die Praxis des Kriegsgericntsbarkeitserlasses. So gesehen handelte es sich bei der bekannten Denkschrift der Abteilung Fremde Heere Ost vom November 1942, in der man die „Einstellung des russischen Menschen zur deutschen Macht" zur Schlüsselfrage einer dauerhaften Befriedung im Osten erklärte, nur noch um ein Rückzugsgefecht. Folgenreich wurden diese Aktivitäten nur noch für die Freiwilligen-Werbung, während die Entscheidung im Partisanenkrieg längst gefallen war. Vgl. Wegner, Krieg, S.918f. Hierzu eingehend Glantz, Colossus, S.376ff. Uber das genaue Datum existieren verschiedene Angaben. Glantz, Colossus, S. 377: 30.3.1942; Musial, Partisanen, S.20 (beruhend auf sowjetischen Angaben): 31.5.1942. Angaben nach: Musial, Partisanen, S.21. Ein Jahr später registrierte man allein in Weißrussland 505 Brigaden mit knapp 73 000 Angehörigen, das entsprach etwa der Stärke der deutschen Sicherungskräfte. Chiari, Alltag, S. 176, Anm. 799. Dem Wehrmachtsbefehlshaber „Ostland" unterstanden am 1.11.1943 53 896 Mann, dazu kamen noch zivile Kräfte. Vgl. Kroener, „Menschenbewirtschaftung", S.976. Vgl. Armstrong (Hrsg.) Soviet Partisans, S. 98ff.; Klein, Zwischen den Fronten, S.91. Für diese bemerkenswert erfolgreiche Abstimmung ist auch unser Ausschnitt ein Beispiel. Teilweise rekrutierten die Partisanen-Einheiten Wehrpflichtige, Pferde sowie Vieh, die sie dann durch die Front auf die sowjetische Seite schleusten. IfZ-Archiv, M A 1673: Sich.-Batl. 743, Bericht an Sich.-Rgt. 27 betr. „Teilnahme an Unternehmen .Blitz' und ,Luchs'" vom 17.10.1942. Slepyan, Avengers, S. 149ff.; Bonwetsch, Partisanen, S. 103. B A - M A , R H 21-2/355: Pz. A O K 2, Abt.I a, Fernsprechbuch, Eintrag vom 6.5.1942 (Telefonat 2. Armee mit Heeresgruppe, Chef H.Gr. Mitte): „Jetzt könnte man mit dem Gesindel noch fertig werden, allmählich aber wächst sich das zu einer zweiten Front aus."

7 62

5. Verbrechen

des Partisanenkriegs freilich nicht nur ein „notwendiges Übel". Da Hitler und seine Berater die sowjetische Gesellschaft ohnehin verdrängen, dezimieren oder ganz „ausrotten" wollten, sahen sie im Partisanenkrieg eine „Chance", wie Hitler in der richtungweisenden Besprechung vom 16. Juli auch unverblümt zugab. Die Folgen waren entsprechend. Allein in Weißrussland, dem unbestrittenen Zentrum des Partisanenkriegs, sollen ihm 345000 Menschen zum Opfer gefallen sein, in der gesamten Sowjetunion waren es wohl an die 500000 Menschen 436 . Wenn dagegen die Verluste der deutschen Besatzer und ihrer Verbündeten im Partisanenkrieg etwa mit einem Zehntel zu veranschlagen sind 437 , so wird bereits an dieser Relation erkennbar, wie das Verhalten der beiden Seiten einzuschätzen ist und auch deren Schuld. Welche Rolle spielte dabei die Wehrmacht? Der Kampf gegen die Partisanen war eine ihrer genuinen Aufgaben. Allerdings agierte sie auch in diesem Fall nicht allein. Gerade die SS- und Polizeikräfte, zuweilen aber auch die Verbündeten oder einheimische Hilfskräfte, verhielten sich bei der „Bandenbekämpfung", ein Terminus der für viele Verbrechen herhalten musste, am aggressivsten, erinnert sei an die Ereignisse in Bialystok oder die Kämpfe beim Korück 580 im Frühjahr 1942. Auch im Großen sind gewisse Unterschiede zu erkennen: Von den etwa 500000 sowjetischen Opfern des Partisanenkriegs starben etwa 300000 bis 340000 in den Reichskommissariaten, der Rest im Hoheitsgebiet der Wehrmacht. Angesichts solcher Dimensionen spielen freilich diese qualitativen und quantitativen Unterschiede letzten Endes nur eine untergeordnete Rolle. Die Wehrmacht hat hier ein Blutbad angerichtet, wie es in der Geschichte des Krieges nur selten vorkam. Wie kam es dazu und wie verteilt sich die Verantwortung? Im Gegensatz zu anderen Verbrechenskomplexen wie etwa dem Judenmord war in diesem Fall die Autonomie der Wehrmacht eingeschränkter: Sie war gewissermaßen eingekeilt zwischen den strategisch-politischen Richtlinien, die ihr die oberste Führung diktierte, den Zwangslagen, die sich aus der militärischen Entwicklung ergaben und auch dem Verhalten der Gegenseite. Trotzdem nahmen Hitler und seine unmittelbaren militärischen Berater auf diese Zwangslagen kaum Rücksicht; was für sie zählte, waren ideologische Prinzipien und erst dann die militärischen Nützlichkeit. Obwohl schon bald sichtbar wurde, dass sein harter, doktrinärer Kurs die Lage im Hinterland kaum verbesserte, von den ethischen Folgen einmal ganz abgesehen, war der „Führer" (abgesehen von einer kurzen Phase des Zögerns im Sommer 1942) auch nicht zur kleinsten Kurskorrektur bereit - sehr im Gegensatz zu seinem Kontrahenten Stalin, der es auf diesem Feld sehr wohl verstand, seine Ideologie und seine Phobie vor autonom handelnden „Untertanen" dem Prinzip der militärischen Effektivität wenigstens zeitweise unterzuordnen.

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Angaben nach: Gerlach, Morde, S. 1158; Pohl, Herrschaft, S.296, 342 (dort auch die folgende Zahl); Hürter, Heerführer, S.438; Musial, Partisanen, S.22 mit A n m . 4 9 ; Arnold, Wehrmacht, S. 462 ff. Mulligan geht von 5 2 3 0 0 Mann Verlusten der deutschen Seite aus sowie von 5 0 0 0 toten Kollaborateuren. Vgl. Mulligan, The Cost of People's War, S. 45. Ferner Cooper, Phantom War, S. IX, basierend auf einer Einschätzung Jodls, geringer die Einschätzung bei Klinkhammer, Partisanenkrieg, S. 822.

5.5 Partisanen

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Trotz dieses eng gesteckten Handlungsrahmes besaßen die vor Ort eingesetzten Truppenführer der Wehrmacht doch gewisse Entscheidungsfreiheiten - erinnert sei an das traditionelle deutsche Führungsprinzip der Auftragstaktik, die Interpretationsmöglichkeiten, die der Kriegsgerichtsbarkeitserlass bot, oder an die Isolierung vieler Einheiten, die weit ab vom „Führerhauptquartier" mitunter fast schon in staatsfernen Räumen agierten. Gerade die Truppenführung, die sich in diesem Fall auffächert von den Armeeoberkommandos bis zur Ebene der Bataillonskommandeure, übernahm bei der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Untergrund nicht selten eine Schlüsselrolle, so dass es sich lohnt, diese etwas genauer zu betrachten. Dass die Truppenführung nicht um jeden Preis einen rassenideologischen Vernichtungskrieg führen wollte, zeigen die ersten Monate dieses Krieges. Damals eröffneten sich den einmarschierenden deutschen Truppen erstaunlich viele politische Chancen, der Stalinismus hatte ihnen letzten Endes entgegengearbeitet, und nicht wenige deutsche Kommandeure waren denn auch bereit, diese Chancen zu nützen. Allerdings galt das eher - so jedenfalls der Eindruck aus unserem Sample - für die Front- als für die Besatzungsverbände, die sich von ihren Aufgaben ganz anders definierten und die schon allein durch Himmlers Einheiten stärker kontrolliert bzw. in Zugzwang gebracht wurden. Blieben Kollektivmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung bei den Fronteinheiten zunächst eher eine Ausnahme, so entwickelten sie sich bei den Besatzungsverbänden schon bald zu einem ihrer wichtigsten Herrschaftsinstrumentarien. Doch gab es eine entscheidende Ausnahme: Schienen die militärischen Interessen bedroht, so kannte man damals auch an der Front kein Pardon. Bis zum Winter 1941/42 sollte sich freilich das Verhältnis zwischen Wehrmacht und sowjetischer Zivilbevölkerung mehr und mehr verschlechtern. Der unerwartete Verlauf des Krieges, die beginnende Mobilisierung des sowjetischen Untergrunds, die Unübersichtlichkeit der Kämpfe sowie die Tatsache, dass sich die Einstellung der sowjetischen Gesellschaft zur Wehrmacht nicht verbesserte, je weiter diese nach Osten kam, sorgten dafür, dass die Truppenführung empfänglicher wurde für die radikalen Vorgaben ihrer obersten Führung. Nun begannen sich die Unterschiede in der persönlichen Handschrift der Kommandeure zunehmend zu verflüchtigen. Der Winter 1941/42 bildete in dieser Hinsicht zweifellos einen düsteren Höhepunkt; die Besatzungsherrschaft der 4. Panzerdivision unterschied sich prinzipiell kaum noch von dem, was die Besatzungsverbände im Hinterland anrichteten, wo es bereits im Herbst 1941 einen Radikalisierungsschub gegeben hatte, erinnert sei an die Kriminalisierung der versprengten Rotarmisten und den ungehemmten Terror gegen die Zivilbevölkerung. Doch erkämpften die deutschen Sicherheitsverbände damit nicht mehr als Pyrrhussiege. Spätestens in der militärischen Zäsur des Winters 1941/42 zeigte sich, wie kontraproduktiv dies war. So gesehen kann der Krieg, den die Deutschen damals gegen die sowjetischen Partisanen führten, immer auch als militärisches Paradigma verstanden werden: Selbst die völlige rechtliche und ethische Bindungslosigkeit führte nicht zum Erfolg, zumindest dann nicht, wenn die Okkupationsarmee quantitativ unterlegen war. Seit Frühjahr 1942 begannen das immer mehr Truppenführer einzusehen. Eine Wende in der Besatzungspolitik, welche die militärischen Zentralinstanzen bestenfalls zögerlich unterstützten, ließ sich aber nur dort verwirklichen, wo noch eini-

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5. Verbrechen

germaßen friedliche Verhältnisse herrschten. In der eigentlichen Auseinandersetzung mit den Partisanen sollte dieses Konzept rasch scheitern, schon weil eine konsequente Unterstützung von oben fehlte. Die Gründe hierfür wurden eingehend erläutert. Sie umreißen die Ermessenräume der deutschen Truppenführung wie auch die Verantwortung, die sie in diesem Fall hatte. Fungierten die vielen einfachen Soldaten im Partisanenkrieg schließlich nur noch als Exekutoren? Zwar lassen die uns bekannten Quellen ihre Rolle weitgehend im Dunkeln, doch sind Hinweise auf ein systemwidriges Verhalten rar. Zwar waren die älteren Jahrgänge, wie sie in den Besatzungsverbänden bevorzugt zum Einsatz kamen, von ihrer Sozialisation und ihrem Selbstverständnis kaum darauf vorbereitet, einen Krieg gegen unschuldige Frauen und Kinder zu führen. Doch blieben gerade ihre Gestaltungsmöglichkeiten außerordentlich begrenzt. Das lag nicht allein am Prinzip von Befehl und Gehorsam, dem sie unterworfen waren, oder daran, dass diese Soldaten bestenfalls die Praxis der deutschen Besatzungsherrschaft beeinflussen konnten, nicht aber deren Prämissen. Entscheidend war auch, dass gerade die ordinary men die Partisanen in einem sehr persönlichen Sinne als Feinde erlebten; die Erfahrung des Vertrauensbruchs, der Ohnmacht, einer Bedrohung aus allernächster Nähe wie überhaupt eines Krieges, in dem der Gegner nicht immer klar zu erkennen war, musste zwangsläufig den Wunsch nach Vergeltung fördern. Dabei begann sich die Unterscheidung zwischen Gegnern, Mitläufern und unbeteiligten Zivilisten oft ebenso aufzulösen wie die Grenzen zwischen militärisch begründeten Gegenmaßnahmen und einer rein rassenideologisch motivierten „Flurbereinigung". Die Natur dieses Kriegsschauplatzes, wo sich alles auf den bloßen Überlebenskampf reduzierte, begünstigte diesen Prozess. Schon deshalb wurden viel zu viele dieser Soldaten zu Handlangern „einer am Vernichtungsprinzip orientierten .Befriedungs'-Politik" 438 - ganz unabhängig davon, ob sie das nun wollten oder nicht. Allerdings waren sie, das ist ein Spezifikum des Partisanenkriegs, nicht allein Täter, sie konnten diesem Krieg auch zum Opfer fallen. Doch waren es nicht die deutschen Soldaten, es war die sowjetische Zivilbevölkerung, die am stärksten unter einer Kriegsform zu leiden hatte, von der sich schon Clausewitz gefragt hatte, „ob diese neue Verstärkung des kriegerischen Elements der Menschheit überhaupt heilsam sei oder nicht" 4 3 9 .

438 Wegner, Krieg, S. 926. 439

Clausewitz, Vom Kriege, S. 492 f.

5.6 Rückzugsverbrechen

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5.6 Rückzugsverbrechen 5.6.1 Ein altes Mittel des Krieges Am 7. Dezember 1941 war es wieder so weit. Das Panzerartillerie-Regiment 103 rückte ab. Zuvor aber hatten die deutschen Soldaten noch einen Auftrag zu erfüllen: Alles vernichten, was dem Gegner irgendwie von Nutzen sein konnte. In einem Winter, in dem die Temperaturen auf über minus 40 0 Celsius fielen, konnte das vieles bedeuten. Denn in dieser gnadenlosen Welt aus Schnee und Eis hing viel davon ab, wo sich die Soldaten beider Parteien festsetzen konnten, wo sich Schutz bot - vor Kälte und Sturm, Nässe und Hunger und schließlich auch vor Granaten und Geschossen. Nun sollten selbst diese kargen Schutzräume ruiniert werden. Auch in diesem Fall besitzen wir mit dem Tagebuch des Leutnants Farnbacher eine Quelle, die präzise, anschaulich und nicht zuletzt zuverlässig darüber informiert, wie sich dieser „Stellungswechsel" vollzog: „Anischino brennt; jedes einzelne Haus wird angesteckt, nachdem die Truppen abgerückt sind; ich lasse das, in dem wir gewesen waren, nicht anbrennen, mögen es andere tun. Auch der Kommandeur ist nicht für solche Sachen. Aber es muß wohl sein, um den Russen wenigstens etwas Einhalt zu gebieten. Wir dürfen auch nicht danach fragen, ob die Zivilbevölkerung verhungert oder erfriert oder sonst umkommt. Im Zusammenhang damit muß ich immer denken, wie merkwürdig ich bisher durch diesen Krieg gegangen bin: Ich habe noch keinen einzigen Schuß abgegeben, weder mit einem Geschütz, noch aus einer Pistole oder aus einem Gewehr oder aus einem Maschinengewehr, habe noch kein Huhn, noch keine Gans geschlachtet, noch kein Haus angebrannt, noch keinen Befehl zur Erschießung irgend eines Russen erteilt, auch noch keiner Erschießung beigewohnt; wie merkwürdig, wie fast unglaublich das klingt! Aber ich bin so dankbar dafür. Ist doch schon genügend gemordet, gebrannt, zerstört worden in diesem unseligsten aller Kriege!"' Reflexionen wie diese sind in militärischen Selbstzeugnissen eher die Ausnahme - nicht nur in denen, die aus der Wehrmacht stammen. Erstaunlich ist zunächst Farnbachers Einsicht in die besondere moralische Problematik dieses Krieges. Eine solche Sensibilität war damals ebenso wenig selbstverständlich wie das Eingeständnis seiner persönlichen Unschuld 2 . Farnbachers Bilanz nach knapp sechs Monaten Krieg ist einmal mehr ein Hinweis darauf, dass sich die individuelle Verantwortung für das Unrecht, das damals im deutschen Namen geschah, nicht gleichmäßig und flächendeckend über die Wehrmacht verteilte, sondern dass es - wie Heinrich Boll einmal festgestellt hat - so etwas „wie ein Scheide-

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B A - M A , MSg 1/3275: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 7.12.1941. Dafür spricht nicht nur der Inhalt seines Tagebuchs, wo eben solche Stellen fehlen, sondern auch die Tatsache, dass Farnbacher dieses Eingeständnis seinem Tagebuch nicht an prominenter Stelle vorausgestellt hat. Vgl. in diesem Zusammenhang auch B A - M A , MSg 1/3275: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 17.12.1941, wo Farnbacher sich über das Schicksal seines Quartiers und seiner Bewohner Gedanken macht: „ O b ihnen nicht in aller Kürze das Dach über dem Kopf abbrennen wird. Es ist scheußlich, daran zu denken."

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5. V e r b r e c h e n

wasser" gab, das die Grenze markierte zwischen den .guten und den schlechten Kerlen' 3 . Und noch ein Aspekt, ein dritter, verlangt Aufmerksamkeit: Die konsequente Unterscheidung des Tagebuchschreibers zwischen individueller und kollektiver Schuld. Seine Zugehörigkeit zu einer Armee, die diesen „unseligsten aller Kriege" führt, war für Farnbacher offenbar kein Problem, obwohl er als Offizier mehr Verantwortung trug als der „gemeine Mann". Dass das Erste, was man im Krieg verliere, um eine Formulierung von Stanley Kubrick aufzugreifen 4 , die U n schuld sei, ist Farnbacher offensichtlich fremd, zumindest will er sich das in seinem Tagebuch nicht eingestehen. Stattdessen ergeht er sich in allgemeinen Klagen über „den" Krieg. Zweifellos tendiert jede militärische Auseinandersetzung zur Eskalation, zur Überschreitung jener Grenzen, die Recht, Anstand und Moral gezogen haben. D o c h ändert das nichts daran, dass jeder Krieg seine ganz eigenen, unverwechselbaren Signaturen besitzt. Diese Unterschiede hat nicht ein Abstraktum wie „der" Krieg zu verantworten, sondern allein jene, die ihn führen. Farnbachers Aufzeichnung belegt noch etwas; wie schwer es für den Einzelnen war, sich einem verbrecherischen System zu entziehen. O b w o h l es sich bei ihm um eine durch und durch redliche Natur handelte, um einen Offizier, der dezidiert im christlichen Ethos wurzelte und der diesen Krieg nicht nur „heil", sondern auch „rein" zu überstehen suchte, obwohl er sich persönlich nicht an der Taktik der „Verbrannten Erde" beteiligen wollte, war er doch bereit, diese als „kriegsnotwendig" zu akzeptieren: „Wir dürfen auch nicht danach fragen, ob die Zivilbevölkerung verhungert oder erfriert oder sonst umkommt." D o c h genau das wäre seine Pflicht gewesen - nicht nur seine moralische. Auch das damals bestehende Recht verbot diese Form des Rückzugs, bei dem eine Zone des Todes zwischen die Kriegsparteien gelegt wurde. Das Mittel der „Verbrannten Erde", das die Wehrmacht im Dezember 1941 erstmals zur Anwendung brachte 5 , war nicht neu. Schon in der Bibel 6 oder bei H o mer 7 wird häufig von der Zerstörung dessen berichtet, was die damaligen Gesellschaften unbedingt zum Leben brauchten: Brunnen, Felder, Ölbäume oder ganze Siedlungen. Es war daher kein Wunder, wenn das Kriegsgewohnheitsrecht diese barbarische Form der Kriegführung, die weniger die Wehrhaften wie vor allem die Wehrlosen traf, schon lange geächtet hatte 8 , was nichts daran änderte, dass das Mittel der Verwüstung in vielen Kriegen zum Einsatz kam (und auch weiterhin kommt) 9 . Artikel 22 der Haager Landkriegsordnung bestimmte dann definitiv, 3

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„Manchmal, wenn ich an diese Zeit zurückdenke, glaube ich, der Krieg ist ein Element. Wenn man ins Wasser fällt, wird man naß, und wenn man sich da vorne um jene Linie herum bewegt, w o Infanteristen und Pioniere sich in die Erde wühlen, dann ist man im Kriege. Diese A t m o sphäre ist wie ein Scheidewasser, es gibt nur gute und schlechte Kerle, sämtliche Mittelstufen fallen ab oder steigen auf ." Boll, Vermächtnis, S. 133. Als Untertitel zum Filmplakat „Full Metal J a c k e t " . Vgl. hierzu generell N o l z e n , „Verbrannte E r d e " ; Pohl, Herrschaft, S . 3 2 2 . Vgl. etwa 1. M o s e 26, 15 und 18; 5. M o s e 7, 5; Josua 11, 6-12; Richter 15, 5; 1. Samuel 15, 3, 13-15; 2. Könige 8, 12; Jesaja 33, 1; Hesekiel 25, 7; Maleachi 3, 19-21. Ilias, 1. Gesang, 127-129; 163-164. Vgl. W ö r t e r b u c h des Völkerrechts., B d . I , S . 3 5 5 f f . Erinnert sei etwa an die Zerstörung der kuwaitischen Erdölfelder durch die irakische Armee im J a h r 1991.

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5.6 Rückzugsverbrechen

dass „die Kriegführenden [...] kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes" haben sollten 10 . Prinzipiell galt: Der militärische Nutzen solcher Zerstörungen sollte in einem vernünftigen Verhältnis stehen zu den Leiden der dort lebenden Menschen 11 . Auf diesem Grundsatz basierten eine ganze Reihe weiterer, wenn auch in der Auslegung dehnbarer Artikel der Haager Landkriegsordnung, die den verschiedenen Spielarten der Devastation einen Riegel vorzuschieben versuchten 12 . Wenn diese dennoch relativ früh im deutsch-sowjetischen Krieg zum Einsatz kam, so lag dies nicht allein an den ideologischen Prämissen dieses Konflikts. Auch die geographischen und militärischen Bedingungen dieses Kriegsschauplatzes förderten den Einsatz einer solchen Strategie. 5.6.2 Ein Vorspiel: Die sowjetische Strategie der „ Verbrannten

Erde"

Bekanntermaßen war es nicht die deutsche, sondern die sowjetische Seite, die als erste zu diesem letzten verzweifelten Mittel griff 13 . In seiner bekannten Rundfunkrede vom 3.Juli 1941 kündigte Stalin an, alles abzutransportieren, was dem Feind von Nutzen sein konnte 14 : „Bei einem erzwungenen Rückzug von Truppenteilen der Roten Armee muß das gesamte rollende Material der Eisenbahnen fortgebracht werden; dem Feind darf keine einzige Lokomotive, kein einziger Waggon, kein Kilogramm Getreide, kein Liter Treibstoff überlassen werden. Die Kollektivbauern müssen das ganze Vieh wegtreiben und das Getreide zur Abbeförderung ins Hinterland dem Schutz der staatlichen Organe anvertrauen. Alles wertvolle Gut, darunter Buntmetalle, Getreide und Treibstoff, das nicht abtransportiert werden kann, muß unbedingt vernichtet werden."

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Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S. 58. Anders hingegen Friedrich, Gesetz, S.493. Ahnliches galt auch für andere Streitkräfte. Im Falle der U.S. Army ächteten etwa § 313 und § 314 der „Rules of Land Warfare" von 1940 diese Form der Kriegführung. Zit. in: Trials of War Criminals before The Nuernberg Military Tribunals, Vol. X , S.317f. Auch die so genannten „Nürnberger Prinzipien" suchten dem Rechung zu tragen. Im „Grundsatz V I " definierte man, was als Kriegsverbrechen zu gelten habe, u.a. auch „die mutwillige Zerstörung von Großstädten, Städten oder Dörfern oder deren Verwüstung, die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt ist". Vgl. ferner H L K O : Art. 23 (Verbot der „Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums"), Art. 25 (Verbot des Angriffs auf unverteidigte Ortschaften), Art. 26 (Benachrichtigung der Behörden bei Beschießung einer gegnerischen Stadt), Art. 27 (Schonung bestimmter Gebäude und Einrichtungen), Art. 28 (Verbot der Plünderung eingenommener Ortschaften), Art. 43 (Pflicht zur Aufrecnterhaltung der öffentlichen Ordnung nach Besetzung eines Gebiets), Art. 46 (Schutz von Ehre, Recht und religiöser Überzeugung der Bevölkerung eines Besatzungsgebiets), Art. 47 („Die Plünderung ist ausdrücklich untersagt"), Art. 48-51 (Regelungen von Zwangsabgaben und Geldstrafen), Art. 52 (Höhe der zu erbringenden Natural- und Dienstleistungen), Art. 53 (Regelung der Beschlagnahme), Art. 55 (Regelung der Nutznießung des öffentlichen Besitzes), Art. 56 (Schutz des Eigentums der Gemeinden sowie sonstiger öffentlicher Einrichtungen). Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S. 58ff. Bereits am 29.6.1941 hatte das Zentralkomitee der Kommunistischen Allunions-Partei und der Rat der Volkskommissare eine entsprechende Direktive erlassen. Vgl. Hoffmann, Kriegführung, S. 732ff.; Barber/Harrison, Soviet Home Front, S.29, 127ff.; Segbers, Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, S. 40, 90 ff.; Arlt, Die Wehrmacht im Kalkül Stalins, S. 111. Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 328. Vgl. auch Segbers, Sowjetunion, S.40. Dieses Dokument war der deutschen Truppe bekannt. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1591: 4. Pz. Div., Abt. I c, Flugblatt: „Rundfunkrecfe des Vorsitzenden des Staatskomitees für Verteidigung J . W. Stalin am 3.Juli 1941."

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5. Verbrechen

M i t d i e s e m P r o g r a m m sollten in d e n o k k u p i e r t e n G e b i e t e n „ f ü r d e n F e i n d u n d alle seine H e l f e r s h e l f e r u n e r t r ä g l i c h e B e d i n g u n g e n " g e s c h a f f e n w e r d e n . D a m i t t r a f m a n aber n i c h t n u r die d e u t s c h e n I n v a s o r e n o d e r ihre „ H e l f e r s h e l f e r " , s o n d e r n alle „ Z u r ü c k b l e i b e n d e n " , f ü r die m a n o f t „ s o g u t w i e n i c h t s " ü b r i g l i e ß 1 5 . A u c h m u s s t e n jene, die dieses Z e r s t ö r u n g s p r o g r a m m u m z u s e t z e n h a t t e n , in viele K o n flikte g e r a t e n 1 6 . W ä h r e n d die s o w j e t i s c h e F ü h r u n g v o n i h n e n e r w a r t e t e , dass sie ihre eigenen L e b e n s g r u n d l a g e n u n d die i h r e r N a c h b a r n v e r n i c h t e t e n , b e t r a c h t e t e n die d e u t s c h e n E i n d r i n g l i n g e sie w i e d e r u m als S a b o t e u r e , d e r e n T u n - s o die 2. P a n z e r a r m e e - „ b e s t i m m t n i c h t u n g e r ä c h t " bleiben w ü r d e n . T r o t z d e m sind die V e r h e e r u n g e n , die die d e u t s c h e n B e s a t z e r w e n i g e M o n a t e s p ä t e r a n r i c h t e n sollten, anders z u b e w e r t e n als das s o w j e t i s c h e R ä u m u n g s - u n d V e r n i c h t u n g s p r o g r a m m 1 7 . Sieht m a n einmal d a v o n ab, dass die d e u t s c h e , n i c h t die s o w j e t i s c h e Seite diesen K r i e g b e g o n n e n hatte, s o h a n d e l t e es sich hier u m Z e r s t ö r u n g e n i m eigenen L a n d ! A u c h besaß die E v a k u i e r u n g , n i c h t d e r K a h l s c h l a g , für die s o w j e t i s c h e F ü h r u n g o b e r s t e P r i o r i t ä t . U n t e r d e r R e g i e eines speziell e i n g e r i c h teten „ R a t s f ü r E v a k u i e r u n g e n " 1 8 gelang es d e r s o w j e t i s c h e n Seite tatsächlich, bis Januar 1942 zwischen 1 7 0 0 und 2 0 0 0 Industriewerke, darunter 1 5 0 0 große, dem Z u g r i f f d e r d e u t s c h e n E r o b e r e r z u e n t z i e h e n 1 9 . D a m i t einher ging der A b t r a n s p o r t v o n R o h s t o f f e n , T r a n s p o r t m i t t e l n , u n d n i c h t z u l e t z t a u c h v o n M e n s c h e n , die m i t u n t e r s o f o r t in die E i n h e i t e n d e r R o t e n A r m e e eingereiht w u r d e n 2 0 . D i e s e riesige

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Vgl. PA-AA, R 60759: A O K , Abt. I c/VAA, Bericht Nr. 8 vom 16.7.1941, Anlage 1: „Stimmung der Bevölkerung": „Immer wieder erzählten sie, wie die Kommissare kurz nach dem Einbruch der deutschen Truppen über die Grenze der UdSSR von den Banken das Geld holten, die Lebensmittellager ausräumten und dann im Auto oder mit der Eisenbahn in Richtung Moskau flüchteten und den Zurückbleibenden so gut wie nichts hinterließen." Vgl. IfZ-Archiv, MA 1590: Pz. A O K 2, A b t . I c , „Feindnachrichten Nr. 10" vom 17.10.1941, Anlage 3: „Propaganda unter den sowjetischen Arbeitern": „Immer eingehämmert werden muß namentlich dem jüngeren Arbeiter, der dazu neigt, die Sowjetbefehle zu befolgen, daß, wer seine Maschinen zerstört, die Voraussetzung seines Daseins beseitigt und damit praktisch Selbstmord verübt. Denn das Deutsche Reich wird bestimmt keinen Finger rühren, um diejenigen vom Hungertode zu retten, die einen so irrsinnigen Befehl wie die Aufforderung Stalins, alle Maschinen vor Räumung der Fabriken zu zerstören, befolgt haben. Der sowjetische Arbeiter selbst, seine Frau und seine Kinder werden nur dann diesen Krieg überleben, wenn sie sich der Möglichkeit eines ausreichenden Unterhalts nicht selbst auf verblendete Weise berauben. Das aber tun sie gewiß, wenn sie Hand an die Produktionsmittel legen. Abgesehen von dieser Seite der Sache muß den Arbeitern klar sein, daß jeder, der Maschinen und lebenswichtige Güter zerstört, eine feindselige Handlung gegen das Deutsche Reich verübt. Es ist aber zur Genüge bekannt, daß die deutsche Wehrmacht feindselige Handlungen, die gegen sie gerichtet sind, bestimmt nicht ungerächt läßt." Auch zum Folgenden. Was die deutsche Besatzungsmacht völkerrechtlich für sich in Anspruch nehmen konnte, war Art. 43 H L K O , der von einer Besatzungsmacht verlangte, „die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten". Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S.63. Segbers, Sowjetunion, S.69. Angabe nach: Segbers, Sowjetunion, S. 120. Leicht differierende Angabe: Hoffmann, Kriegführung, S. 733. Vgl. PA-AA, R 60704: A O K 2, Abt.I c/A.O. (VAA), „Bericht über die Vernehmung von russischen Kriegsgefangenen" vom 6.9.1941, wo es u.a. heißt: „Schließlich ergab sich aus den Vernehmungen, daß die gesamte männliche Bevölkerung bis zum Alter von 50 Jahren von den zurückgehenden Truppen mitgenommen wird. Die Evakuierten werden sofort, auch ohne Ausbildung, als Auffüllung in Einheiten des Feldheeres eingesetzt." In diesem Sinne auch Hürter, Heinrici, S. 80 (Kriegsbericht vom 12.9.1941).

5.6 Rückzugsverbrechen „ O s t v e r l a g e r u n g " w u r d e z u einer „ k r i e g s e n t s c h e i d e n d e n L e i s t u n g " 2 1 , a u c h

769 das

k a n n das V e r h a l t e n d e r S o w j e t u n i o n r e c h t f e r t i g e n . Alles w a s ü b r i g blieb, w a s n i c h t m i t z u n e h m e n w a r u n d w a s d e n d e u t s c h e n E r o berern irgendwie nützen konnte, versuchte m a n zu ruinieren22. Z u diesem Z w e c k t r a t e n s c h o n bald die „ V e r n i c h t u n g s - B a t a i l l o n e " 2 3 auf d e n Plan, die das v e r w i r k lichen sollten, w a s bereits d e r G r o ß e n A r m e e N a p o l e o n s das K r e u z g e b r o c h e n h a t t e : die Strategie d e r „ V e r b r a n n t e n E r d e " . A n g e s i c h t s d e r Schnelligkeit d e r d e u t s c h e n O f f e n s i v e n w a r dies z u n ä c h s t n i c h t einfach. D e n R u s s e n sei es, w i e ein d e u t s c h e r O f f i z i e r n o c h i m J u l i 1 9 4 1 b e m e r k t e , „ e b e n n i c h t gelungen, alles z u z e r s t ö r e n o d e r f o r t z u s c h a f f e n , w i e sie es v o r h a t t e n " 2 4 . D o c h sollte sich das bald ä n d e r n . D a s sowjetische V e r n i c h t u n g s p r o g r a m m profitierte nicht nur v o n der zentralistischen S t r u k t u r d e r S o w j e t u n i o n , w o sich s o e t w a s relativ leicht o r g a n i s i e r e n l i e ß 2 5 , s o n d e r n m e h r n o c h v o n der, gelinde gesagt, D u r c h s e t z u n g s f ä h i g k e i t Stalins. Seit E n d e Juli 1 9 4 1 2 6 b e g a n n seine Strategie d e r partiellen S e l b s t v e r n i c h t u n g m e h r u n d m e h r z u greifen. J e w e i t e r die d e u t s c h e n T r u p p e n „ n a c h O s t e n v o r s t i e ß e n , d e s t o m e h r g a b e n die b e f o h l e n e n D e v a s t i e r u n g e n d e m L a n d e das G e p r ä g e " . D i e W e h r m a c h t t r a f n u n i m m e r h ä u f i g e r auf w a h r e „ I n d u s t r i e f r i e d h ö f e " 2 7 , E n d e A u g u s t 1 9 4 1 k a m m a n i m Stab d e r 2 . d e u t s c h e n A r m e e z u d e r E i n s i c h t , dass „ n e n n e n s w e r t e V o r r ä t e [ . . . ] fast n i r g e n d s m e h r g e f u n d e n [ w e r d e n ] , d a die S o w j e t s alles p l a n m ä ß i g z e r s t ö r t oder weggeführt haben"28. D a s w u r d e n u n z u m Alltag, selbst die E r n t e sollte v e r n i c h t e t w e r d e n 2 9 . A u c h die z a h l l o s e n B r ä n d e u n d F e r n s p r e n g u n g e n in d e n o k k u p i e r t e n Städten gingen

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So Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S.632. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MA 1591: X X I V . Pz. Korps, Abt.I c, Anlage: Übersetzung sowjetisches Flugblatt, „An die Arbeitenden der weißrussischen Westgebiete der U.d.S.S.R.", wo es u.a. heißt: „Versteckt vor ihnen [den Faschisten] die Lebensrnittel, zündet ihre Lager an! Vernichtet die Telegrafen und Telefonverbindungen! Baut die Eisenbahnen ab! Schraubt die Gewinde los! Zerstört das Eisenbahn-Signalnetz! Bringt an wenig befahrene Straßen falsche Wegweiser an! Verderbt jegliche Art Maschinen!" Während des beginnenden Partisanenkriegs konzentrierten sich die deutschen Gegenmaßnahmen immer wieder auf die Zerschlagung dieser Vernichtungs-Bataillone, die im Rücken der deutschen Front agierten. Vgl. hierzu IfZ-Archiv, MA 1669:221. Sich. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 15.12.1941 bis 21.3.1942; IfZ-Archiv, MA 1622: 45. Inf. Div., Abt.I c, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 12.3. bis 31.3.1942. Vgl. hierzu auch Hoffmann, Kriegführung, S.778f. BayHStA, Abt.IV, N L Thoma 3: Tagebuch, Brief vom 28.7.1941. Vgl. auch mit dem Eindruck von Meier-Welcker, Aufzeichnungen, S. 124 (Brief vom 31.7.1941). Vgl. Arnold, Wehrmacht, S. 160. In diesem Monat erreichte auch die Evakuierung mit rund 300000 Wagons bereits ihren Höhepunkt. Vgl. Segbers, Sowjetunion, S. 133. Vgl. hierzu auch Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.40: „In den nach 1939 von den Sowjets besetzten Gebieten gelang die Durchführung dieser Stalinbefehle wegen des Widerstands der Bevölkerung und der Schnelligkeit des deutschen Vormarsches nur in seltenen Fällen." Dort auch das folgende Zitat. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.232. Weitere Beispiele bei Gerlach, Morde, S.382. B A - M A , R H 20-2/1445: A O K 2, A b t . O . Q u . / Q u . 2, Tätigkeitsbericht für die Woche vom 17.23.8.1941. Ahnlich der Tätigkeits- und Lagebericht Nr. 3 der Einsatzgruppen der SiPo und des SD für die Zeit vom 15.8.-31.8.1941, Druck: Klein (Hrsg.), Die Einsatzgruppen in der besetzten Sowjetunion 1941/42, S. 166. Vgl. PA-AA, R 60704: AA, Inf. Abt., Länderreferat Russland, Vermerk D I X 156 vom 21.8.1941, mit Anlage: Ubersetzung eines russischen Flugblatts „Uber das Getreide und die Ernte. Die ausgehungerten Hitler-Banditen strecken ihre blutbefleckten Pfoten nach unserem Getreide, nach der reichen Ernte aus. [...] Es ist natürlich schade, Genossen, die durch ehrliche Arbeit erworbene reiche Ernte zu vernichten, jedoch zuzulassen, daß die Ernte in den Besitz

770

5. Verbrechen

nicht selten auf das Konto der Vernichtungs-Bataillone 30 . Besonders bekannt geworden sind die Ereignisse in Kiew (September 1941) oder Charkow (November 1941), wo es den sowjetischen Verteidigern gelang, große Viertel einzuäschern und bereits damit den deutschen Eindringlingen erhebliche Verluste zuzufügen 31 . Doch bediente man sich nicht nur in den großen Metropolen dieser Strategie. Die sowjetische Seite operierte schon bald so souverän mit Minen und Sprengfallen, dass auch in Dörfern, Kleinstädten und Kasernen Einquartierungen zu einem gefährlichen Unternehmen werden konnten 32 . Auch diese Form der Kriegführung hat einen erheblichen Beitrag zur Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges geleistet 33 . Allerdings ist auch hier die Chronologie zu beachten. Denn Hitler hatte schon zuvor zu erkennen gegeben, dass er Großstädte wie Moskau und Leningrad dem „Erdboden gleich [...] machen" 3 4 wolle. Das sowjetische Vernichtungsprogramm, vor allem aber die Fernsprengungen im deutsch besetzten Kiew, boten ihm nur noch das Stichwort, um gegenüber den besetzten sowjetischen Metropolen eine noch härtere Gangart einzulegen: „Das Leben deutscher Soldaten für die Errettung russischer Städte vor einer Feuergefahr einzusetzen oder deren Bevölkerung auf Kosten der deutschen Heimat zu ernähren, ist nicht zu verantworten. Das Chaos in Russland wird um so größer, unsere Verwaltung und Ausnützung der besetzten Ostgebiete um so leichter werden, je mehr die Bevölkerung der sowjetischen Städte nach dem Innern Rußlands flüchtet." 35 Gerade die Stadtbevölkerung geriet damit schon sehr bald zwischen zwei Fronten. der Faschisten gelangt, heißt das Vaterland verraten, dem Feind zu helfen, unsere Väter, Männer, Brüder, Söhne, Frauen und Kinder weiter zu erschießen. Genossen! Die faschistische Lumienbande wird das Getreide nicht da lassen, sie wird es bis zum letzten Korn rauben. Deshalb asst kein Getreide und keine Ernte in die Hände des Feindes gelangen." Vgl. etwa auch Hürter, Heinrici, S. 105 (Bericht vom 5.11.1941); IfZ-Archiv, MA 895/1: Koriick 580, Abt. Qu., Erlass vom 9.9.1941. Auch die 4. Pz. Div. wurde bei ihrem Einmarsch ins Braunkohlerevier im Raum Tula mit großflächigen Zerstörungsmaßnahmen konfrontiert, die sich zum Teil auch gegen die deutschen Soldaten richteten. B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht, Einträge vom 9.11. und 11.11.1941. Nicht überzeugend dagegen die Interpretation Gerlachs (Morde, S. 371 ff.), der die These vertritt, die Zerstörung der sowjetischen Städte sei fast ausschließlich ein Werk der deutschen Luftwaffe gewesen. Ihrem Einsatz hätten nicht nur militärische Prämissen zugrunde gelegen, sondern auch das Ziel einer bewusst herbei geführten „Entindustrialisierung und Entstädterung". Allerdings deutet Gerlach auf S. 383f. vorsichtig an, dass möglicherweise die Zerstörungen auch auf sowjetische Brandstiftung zurückzuführen seien. Zu den Ereignissen in Kiew vgl. Kap. 3.3. Zu den Zerstörungen in Charkow vgl. Angrick, Das Beispiel Charkow, S. 120. Vgl. etwa Meier-Welcker, Aufzeichnungen, S.133 (Brief vom 11.10.1941). Zum Einsatz von Sprengfallen vgl. auch IfZ-Archiv, M A 1590: 4. Pz. Div., Abt. I c, Anlage „Feindnachrichten" vom 24.10.1941: „In Staraja Russa flog der Mittelbau einer Kaserne hoch [sie], in der Truppen schon seit 3 Wochen einquartiert waren; es gab 49 Tote und 19 Verwundete." Teilweise begann man auch mit der Verseuchung von Brunnen. Vgl. etwa IfZ-Archiv, M A 1590: 4. Pz. Div., Abt. I c, „Feindnachrichten" vom 30.8.1941, Anlage: Übersetzung vom 12.8.1941. So wird etwa immer wieder berichtet, dass die Rote Armee bei ihrem Rückzug 1941 selbst ihre Verwundeten immer wieder zurückließ. Vgl. etwa Schneider-Janessen, Arzt im Krieg, S.62f.; Hartmann, Massensterben, S.146 (Tagebucheintrag vom 23.7.1941); Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S.96. Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S. 53 (Eintrag vom 8.7.1941). Hierzu auch Hürter, Leningrad, 5. 391 ff. O K W / W F S t , Chef, Weisung vom 7.10.1941, Druck: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S. 334f., hier S. 334.

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5.6 Rückzugsverbrechen

Das brennende

Kiew, Ende September

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1941

(Quelle: O E G Z - S 477-647)

Seit H e r b s t 1941 wurde das auch zunehmend zum Schicksal der Einheimischen, die auf dem Lande lebten. D e r Regen und die zunehmende Kälte hatten zur Folge, dass nun militärische Erfolge immer mehr von der Frage abhingen, wie weit es möglich war, für die Truppen „jedes Haus und jeden Schuppen zu erhalten" 3 6 . Das wusste auch die sowjetische Führung, die im N o v e m b e r 1941 wiederum den B e fehl gab, „alle Siedlungspunkte" im Hinterland der deutschen F r o n t durch eigens dafür gebildete J a g d k o m m a n d o s „vollständig zu zerstören und niederzubrenn e n " 3 7 . Auch in diesem Fall schreckte Stalin nicht davor zurück, einen hohen Preis für die Verzögerung der deutschen Offensive zu zahlen. D e n n die Leidtragenden waren auch diesmal nicht allein die Deutschen. Während man bis Februar 1942

36 37

B A - M A , R H 24-24/135: Pz. A O K 2, A b t . II a, Weisung vom 1 . 1 2 . 1 9 4 1 . Stavka, Befehl Nr. 0428 vom 1 7 . 1 1 . 1 9 4 1 , D r u c k : Hartmann/Zarusky, Stalins „FackelmännerB e f e h l " , S . 6 7 4 . An der Authentizität dieses Befehls besteht kein Zweifel. Allerdings wurde dieser Befehl während der Diskussion um die „Wehrmachtsausstellung" mit dem falschen Zusatz in Umlauf gebracht, die Jagdkommandos, die diese Zerstörungen zu realisieren hatten, sollten sich mit deutschen Uniformen tarnen. Z u m Einsatz der sowjetischen „Sonder-Bataillone" hinter den deutschen Linien vgl. I f Z - A r chiv, M A 1590: 4. Pz. Div., A b t . I c , „Feindnachrichten" vom 2 . 1 2 . 1 9 4 1 ; IfZ-Archiv, M A 885: K o r ü c k 580, Abt. Q u . , „Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 9 " vom 1 7 . 1 2 . 1 9 4 1 , w o berichtet wird, dass der Gegner „ B r a n d k o m m a n d o s " einsetze, um „hinter den deutschen Linien Ortschaften einzuäschern. An den Kursen sollen auch viele Frauen teilnehmen." Ferner B A - M A , R H 24-24/323: X X I V . Pz. Korps, A b t . I c , „Feindnachrichtenblatt N r . 5 8 " vom 3 1 . 1 2 . 1 9 4 1 : „Aus einer Meldung geht hervor, dass in Kunzewa (westl. M o s k a u ) laufend Brandkommandos, die hinter den deutschen Linien Ortschaften einäschern sollen, ausgebildet werden."

772

5. Verbrechen

etwa 10 Millionen Sowjetbürger in den Osten evakuierte 38 : neben den Funktionseliten vor allem die Fachkader und das große Heer der Arbeitsfähigen, die das im Übrigen nicht immer begrüßten 39 , blieben nicht weniger als 55 Millionen Menschen zurück - überwiegend Frauen, Kinder, Kranke und alte Leute 40 . Sie mussten sich mit dem zurechtfinden, was noch übrig geblieben war und dem, was ihnen die neuen deutschen Herren zugestanden. Diese scheuten jedenfalls nicht davor zurück, ihr gnadenloses Ausbeutungsprogramm mit den „von den Bolschewisten angeordneten und unter Mitwirkung der Bevölkerung durchgeführten Vernichtungsmaßnahmen" zu kaschieren 41 . Schon vor diesem Hintergrund konnte die sowjetische Strategie der „Verbrannten Erde" ein höheres moralisches Recht für sich in Anspruch nehmen als das, was das deutsche Heer kurze Zeit später praktizierte. Doch ändert eine solche Einsicht nichts daran, dass „die Zerstörungswut der Russen" 42 , die den Vormarsch der Deutschen begleitete, bei ihnen zwangsläufig auch die Vorstellung fördern musste, daß es sich hier nicht mehr um einen Krieg in der hergebrachten Form handelte. Der Oberleutnant Reinert erlebte etwa im August 1941, wie „der Russe [...] einige Ortschaften in dem von ihm besetzten Gebiet angezündet [hat], so daß der ganze Horizont vor dem I[nfanterie]-R[egiment] 520 in roter Glut aufleuchtet" 43 . Seine Einheit blieb beileibe nicht die einzige 44 , auf die damals das „Sengen und Brennen wie zu Napoleons Zeit" 45 „einen tiefen Eindruck machte" 46 . Wenn ein Offizier der 45. ID noch Anfang Dezember 1941 beobachtete, dass sich „der Russe [...] überall nach planmäßiger Zerstörung von Schulen, Gemeindehäusern, Kolchosen usw." zurückziehe 47 , so wird daran nicht nur das Flächendeckende 38 39

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Vgl. Segbers, Sowjetunion, S. 183.; Barber/Harrison, The Soviet H o m e Front, 1941-1945, S. 127ff. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1590: Pz. A O K 2, Abt.Ic/A.O., Weisung an XXIV. Pz. Korps vom 24.11.1941, in der berichtet wird, dass sich in Tula die Fälle mehren, „in denen Zivilisten (vor allem Industrie- und Bergarbeiter) versuchen, die eigenen Linien zu überschreiten, um sich einer Evakuierung und Verfrachtung nach dem Ural bzw. nach Sibirien zu entziehen". Ferner Arnold, Wehrmacht, S. 161. Angaben nach: Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 5. Im Bereich der späteren Wirtschaftsinspektion Mitte betrug das Verhältnis bei 1000 Einwohnern: 370 Kinder unter 14 Jahren, 240 Männer und 390 Frauen. Angaben nach: Gerlach, Morde, S.381. Vgl. auch mit Meier-Welcker, Aufzeichnungen, S.124 (Brief vom 31.7.1941). B A - M A , R H 20-6/887: OKH/GenStdH/Gen. Qu., Abt.K. Verw., Nr. 11/7732/41 geh. Anordnung betr. „Ernährung der Zivilbevölkerung im Operationsgebiet" vom 4.11.1941. Manuskript, Κ. H., „Unser Einsatz im Osten", o.D., Kopie im Besitz d. Verf. B A - M A , MSg 2/5317: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 21.8.1941. Auch im Sommer 1942 setzte die sowjetische Seite die Strategie der „Verbrannten Erde" fort; am bekanntesten wurde in dieser Hinsicht die systematische Vernichtung des Ölfelds bei Maikop, das die deutschen Hoffnungen auf das sowjetische Erdöl mit einem Schlag zerstörte. Vgl. hierzu Wegner, Krieg, S.938, 942ff. Hürter, Heinrici, S.65f. (Brief vom 6.7.1941): „In Minsk, einer Stadt von 2000000 Einwohnern, sollen - nach Schilderung meines Oberbefehlshabers, Generaloberst v. Weichs - noch 2 Sowjetprunkgebäude stehn, alle anderen abgebrannt sein. In unserem Quartierort Kozow steht noch V3 der Häuser, den Kern der Stadt haben die roten Kommissare verbrannt, die Bevölkerung, die das nun seit 1915 zum 4. Mal excerziert, mag die Nase voll haben!" So der Soldat H. H. in einem Feldpostbrief vom 14.7.1941 über das zerstörte Minsk, zit. bei: Gerlach, Morde, S. 383. Ludwig Hauswedell, Kriegstagebuch 1941/42 (4.5.41-21.4.1942), Kopie im Besitz d. Verf., Eintrag vom 1.12.1941. Auch in diesem Fall sprechen die zeitgleich entstandenen Eintragungen im Kriegstagebuch der Division für die Glaubwürdigkeit dieses privaten Tagebuchs: „Bei der Divfision] besteht der Eindruck, daß sich der Feind unter Zurücklassung schwacher Sicherungen

5.6 Rückzugsverbrechen

773

dieses Vernichtungswerks erkennbar 48 , sondern auch die Unerbittlichkeit, mit der sich auch die sowjetische Führung über die elementarsten Interessen der Zivilbevölkerung hinwegsetzte. 5.6.3 Eine "Wende: Der erste Einsatz der „Verbrannten

Erde" durch die Deutschen

Im Dezember 1941 wendete sich das Blatt. Die Deutschen mussten nun etwas tun, was sie - nach Eingeständnis eines Regimentskommandeurs der 4. Panzerdivision - „noch nie gemacht hatten" 4 9 ; sie mussten sich zurückziehen und Räume, die sie unter großen Verlusten erobert hatten, wieder aufgeben. Binnen weniger Wochen wurden die deutschen Truppen um mehr als 100 Kilometer zurückgeworfen, und zwar auf einer Frontlänge von etwa 500 Kilometern. Angesichts dieser dramatischen Wende versuchten sie daher schon bei ihren ersten Rückzügen, zwischen sich und dem Gegner eine Zone der Verwüstung zu legen. Vorerst handelte es sich dabei weniger um eine Strategie, als eine Taktik der „Verbrannten Erde". In drei Punkten unterscheiden sich diese ersten Zerstörungswellen der Deutschen von ihren groß angelegten Devastierungen späterer Jahre. Im Winter 1941/42 ging es noch um räumlich begrenzte Absetzbewegungen und damit um vergleichsweise schmale Gebiete, welche die Wehrmacht nun verwüstete. Auch suchte man noch nicht Arbeitskräfte mit sich zu führen 50 - im Gegenteil: es kam immer wieder vor, dass die Deutschen die ortsansässige Bevölkerung auf die „andere Seite" trieben, weil man hoffte, damit den sowjetischen Vormarsch zu verzögern 51 . Und schließlich zielten diese ersten systematischen Verheerungen weniger auf eine langfristige wirtschaftliche Schädigung 52 ; es ging eher darum, mit solch einer Taktik die eigene militärische Unterlegenheit in der Krise dieses Winters irgendwie zu kompensieren. Gleichwohl charakterisiert es Umfang und Rigorosität dieses Zerstörungswerks, wenn sich alle Formationen unseres Samples daran beteiligten, mit Ausnahme des

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und Zerstörkommandos überall nach Osten abgesetzt hat. Diese zerstören planmäßig alle öffentlichen Gebäude (Schulen, Kolchosen usw.) und Vorräte." IfZ-Archiv, MA 1621: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 20.11.1941; ferner Eintrag vom 2.12.1941 sowie IfZ-Archiv, MA 91/3: Chef SiPo und SD, Ereignismeldung UdSSR Nr. 144 vom 10.12.1941. Bezeichnenderweise stammt die letzte einschlägige Nachricht, die eine Division unseres Samples über sowjetische Zerstörungen abgaben, vom 9.12.1941! Damals versuchte die sowjetische Seite Charino, im Frontabschnitt der 296. ID, zu zerstören. B A - M A , MSg 2/5319: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 9.12.1941. Vgl. auch IfZ-Archiv, MA 1590: 4. Pz. Div., Abt. I c, „Feindnachrichten" vom 2.12.1941: „In letzter Zeit ist wiederholt beobachtet worden, dass der Russe Ortschaften und Getreidevorräte niederbrennt. Es hat den Anschein, als ob es sich hier um einen allgemein geltenden Befehl handelt." B A - M A , Ν 10/9, N L Smilo Frhr. von Lüttwitz, Brief vom 15.12.1941. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 325: „Damals war der Wert des russischen Menschen, insbesondere auch der Frauen, als Produktionsfaktor noch nicht erkannt." IfZ-Archiv, MA 1622: A O Κ 2, Abt.I a, „Armeebefehl Nr. 1 zum Einrichten in der Winterstellung" vom 6.12.1941, wo es u.a. heißt: „Die Bevölkerung der zerstörten Orte ist nach der Feindseite abzuschieben; wehrfähige Männer sind aufzugreifen und in Gefangenen-Sammelstellen abzuliefern." B A - M A MSg 1/1148: N L Joachim Lemelsen, Tagebuch, Eintrag vom 14.12.1941: „Die Bevölkerung wird zu den Russen getrieben. Das mag hart sein, aber es ist eben nötig. Wenn der Russe in unser deutsches Land eingefallen wäre, er hätte viel rücksichtsloser gehaust. Und dieser Russe hängt ja nicht so an seiner Scholle wie der deutsche Bauer." Ähnliches berichtet Rass („Menschenmaterial", S.380) für die 253. ID. Vgl. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.372.

774

5. Verbrechen

Korück 580, der damals im Hinterland geblieben war 5 3 . Alle anderen suchten sich mit jenem Gürtel der „Verbrannten Erde" die sowjetischen Verfolger vom Leib zu halten. So befahl die 296. Infanteriedivision: „Sämtliche vor der Front befindlichen Ortschaften sind beim Räumen niederzubrennen oder der O r t späterhin in Brand zu schießen. Der Gegner darf keine Unterkünfte vor der Front mehr haben." 54 . Auch kam es hier vor, dass man Zivilisten, die man beim Rückzug als „Scouts" eingesetzt hatte, kurzerhand „umlegte", damit sie dem Gegner die Stellungen der Deutschen nicht verrieten 55 . Nicht nur hier wurde die Devastation „gründlichst durchgeführt", so dass „das Gelände von den ungeheuren Bränden der vielen kleinen und größeren Ortschaften weithin erleuchtet" war 5 6 . Bei der 45. ID, deren Rückzug aus Jelez sich besonders dramatisch gestaltete, war dies nicht anders: „Das Absetzen der Division in der Nacht vollzog sich ohne wesentlichen Feinddruck reibungslos. Das Abbrennen und Vernichten der geräumten Zone erfolgte planmäßig." 57 Im Erinnerungsbuch des ehemaligen Divisionspfarrers wurde dies auch gar nicht geleugnet: „Des Nachts war der Himmel weithin glühend rot und bildete eine grauenhafte Silhouette zu dem furchtbaren Kriegsgeschehen." 58 Bei der 4. Panzerdivision richtete sich die Gewalt nicht allein gegen Sachen. Hier schreckte man nicht davor zurück, Ortschaft um Ortschaft niederzubrennen, „die den Brand zu verhindern suchende Bevölkerung um[zu]legen [und] die übrige Bevölkerung bei 40 Grad Kälte in die Wälder, also in den sicheren Tod [zu] treiben" 59 , so das Eingeständnis ihres Ersten Generalstabsoffiziers. Solch schaurige Details sind den militärischen Akten normalerweise nicht zu entnehmen, die entsprechenden Meldungen, welche diese Panzerdivision in solchen Fällen produzierte, lauteten eher so 6 0 : „In Tolkatschi und Siedlung 600 m westlich

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Vgl. hierzu Kap. 3.4. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1636: 296. Inf. Div., Abt.I a, „Divisionsbefehl Nr.100" vom 10.12.1941. Ferner IfZ-Archiv, M A 1636: LIII. Α. Κ., Abt.I a, „Korpsbefehl für den 24.Dezember 1941" vom 23.12.1941. Manuskript, Κ. H., „Unser Einsatz im Osten", o.D., Kopie im Besitz d. Verf. Dort wird beschrieben, wie in dieser Zeit „einige Zivilrussen, die uns trotz Weigerung den Weg nach rückwärts zeigen mußten", danach von Angehörigen der 296. ID ermordet wurden. Manuskript, Κ. H., „Unser Einsatz im Osten", o.D., Kopie im Besitz d. Verf. H. gehörte zum IR 521, einem der drei Infanterie-Regimenter der 296. IÛ. Über den Rückzug der 296. ID aus Beljow am Ende des Jahres 1941 schreibt H.: „Der Ret. Gefechtsstand, der in einem kasernenähnlichen großen Gebäude untergebracht war, wurde rasch zur Sprengung vorbereitet und dann flog er auch in die Luft." IfZ-Archiv, M A 1622: 45. Inf. Div., Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 26.12.1941. Vgl. auch B A - M A , R H 26-45/47: 45. Inf. Div., Abt. I a, „Befehl für die Zurücknahme in die Winterstellung" vom 25.12.1941, in dem nochmals betont wird, „es [sei] besonders wichtig, alle für den Russen möglichen Unterkünfte und Anklammerungspunkte gründlich zu zerstören". Auch seien nach Möglichkeit „Verminungen vorzunehmen". Neben den Unterkünften in Jelez zerstörte die 45. Inf. Div. auch „die Bahnlinie südl. Jelez [ . . . ] an mehreren Stellen". Die Geheimen Tagesberichte, Bd.4, S.67 (Eintrag vom 4.12.1941). Gschöpf, Weg, S. 283. Es waren vor allem diese Verbrechen der 45. Inf. Div., die dann nach 1945 zu Anklagen vor sowjetischen Gerichten führten. Vgl. hierzu Karner/Selemenev (Hrsg.), Österreicher und Sudetendeutsche vor sowjetischen Militär- und Strafgerichten in Weißrußland 1945-1950, S. 242ff. IfZ-Archiv, M A 1582: 4. Pz. Div., A b t . I a , Schreiben an das XXXXVII. Pz. Korps vom 20.3.1942. B A - M A , R H 27-4/109: 4. Pz. Div., Abt. I c, Tätigkeitsbericht, Eintrag vom 4.1.1941. Vgl. auch ebda., Eintrag vom 1.1.1941. Ferner B A - M A , R H 39/373: Bericht von Albert Siebald über seine Erlebnisse in Russland bei Pz. Gren. Rgt. 22 und Feld-Ers. Btl. 84: „Doch blieben wir in

5.6 Rückzugsverbrechen

Deutsche Infanterie im Raum Orel auf dem (Quelle: bpk 0047569)

775

Rückzug

Butyrki wurden schwache Feindkräfte vertrieben und die Orte niedergebrannt. Bolwanowka mittags feindbesetzt. Kargaschinka [wurde] niedergebrannt und bietet dem Feind keinen Unterschlupf mehr." Angesichts dieser neuen Form der Kriegführung musste sich die Stimmung auf der sowjetischen Seite zwangsläufig verändern, und der Leutnant Farnbacher wird vermutlich nicht der einzige deutsche Soldat geblieben sein, der darüber nachdenklich wurde und „bei der nächsten russischen Offensive nicht in Gefangenschaft geraten" wollte 6 1 . Selbst ein ehemaliger Besatzungsverband wie die 221., der erst in einem Moment an die Front kam, als die Ausweichbewegungen der 2. deutschen Armee bereits abgeschlossen waren 6 2 , leistete noch einen Beitrag zu jener Orgie der Verwüstung, wenn auch einen vergleichsweise bescheidenen. Die „örtlich begrenzten Stoßtruppunternehmungen", die diese Division damals in das gegnerische Gebiet unternahm,

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der Ortschaft, bis einsetzendes Tauwetter - es gab schon Ende Februar [1942] einige recht warme Tage - wohl die Aufgabe des Dorfes veranlasste. Alles Vieh wurde entfernt, alle Öfen zerstört. Dann rückten wir eines Nachts ab." Ferner BA-MA, R H 24-24/176: XXIV. Pz. K., Abt.I a, Aktenvermerk: „Ferngespräch O.B. Chef des Stabes, 23.1.42, 12.30 Uhr": „Wenn es nicht gelingt, Szuchinitschi zu halten, kommt es darauf an, die Verwundeten zu bergen, das Material abzutransportieren und alle Anlagen, insbesondere die der Bahn, nachhaltig zu zerstören, so daß die Benutzung der Bahn mindestens auf Wochen hinaus unmöglich ist." BA-MA, MSg 1/3275: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 9.12.1941. Vgl. Kap. 3.4.

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5. Verbrechen

verfolgten nicht selten das Ziel, „das Vorfeld restlos zu veröden" 6 3 , selbst die „Kellergewölbe" wurden dabei nicht ausgenommen 6 4 . Was der Infanterie dabei entging, sollten dann Minen oder planmäßig gelenktes Artilleriefeuer vollenden. Daran werden zwei Dinge erkennbar: Bei ihren Rückzügen sparten die Deutschen kaum einen Quadratkilometer feindlichen Bodens von ihren Verwüstungen aus. Und: Jeder deutsche Verband, der damals dem Druck der Roten Armee standhalten musste, bediente sich solcher Methoden 6 5 - unabhängig davon, ob er sich nun im Stellungskampf oder auf dem Rückzug befand. Schon an diesen wenigen Beispielen lässt sich ermessen, dass es sich schon bei den ersten deutschen Rückzügen um mehr handelte als nur um militärische Operationen. N o c h nie hatte die deutsche Kriegführung - sieht man einmal vom Sonderfall der Leningrader Front ab 6 6 - für die sowjetische Zivilbevölkerung so schreckliche Folgen gehabt wie in dieser Zeit. Keine Frage: Dafür gab es ideologische und mentale Voraussetzungen, doch wurde auch erst hier die militärische Entwicklung zum eigentlichen Auslöser. Dass diese barbarische Form der Kriegführung relativ schnell Schule machte, war freilich nicht allein das Ergebnis einiger Befehle oder Richtlinien. Die Zerstörungswut der Deutschen war immer auch Ausdruck von Angst - Angst vor der schier unheimlichen Regenerationskraft des Gegners, vor seiner souveränen Beherrschung des russischen Winters, aber auch Angst vor der Tatsache, dass man sich nicht in die Sicherheit einer vorbereiteten Ausweichstellung zurückziehen konnte 6 7 . Dass sich diese Angst vermischte mit Frustration und Wut, machte die Sache nicht besser. Zur Erbitterung der Truppe trug nicht nur bei, dass man das teuer erkämpfte Terrain wieder aufgeben musste 6 8 , sondern auch der Umstand, dass man bei diesen Rückzügen das Wenige, was der Truppe noch an Fahrzeugen und schweren Waffen geblieben war, nun selbst in die Luft sprengen oder verbrennen musste 6 9 . Diese ganz unterschiedlichen Motive sorgten jedenfalls dafür, dass sich nun auch immer mehr Front-

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Vgl. IfZ-Archiv, M A 1668: 221. Sich. Div., A b t . I a, Weisung vom 31.12.1941; 221. Sich. Div., Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1.1. und vom 28.1.1942. IfZ-Archiv, M A 1669:221. Sich. Div., A b t . I c , Meldung betr. „Feindorientierung" vom 2.1.1942. Entsprechende Dokumente sind auch von anderen deutschen Verbänden publiziert, so etwa von der 7. Panzerdivision: „ E s kommt darauf an, daß der Feind nicht mehr ein einziges H a u s vorfindet, in dem er Stäbe oder Truppen unterbringen kann." Druck: Müller (Hrsg.), O k k u p a tion, S. 327f. Vgl. Hürter, Die Wehrmacht vor Leningrad 1941/42; Goure, The Siege of Leningrad; Salisbury, 900 Tage; Janiche, Blockade Leningrad 1941-1944; Ganzenmüller, D a s belagerte Leningrad 1941-1944. Erst am 26.12.1942 befahl Hitler, „im mittleren Teil der O s t f r o n t " den „ A u f b a u einer rückwärtigen Stellung einzuleiten". O K W , WFSt/op. (H), Weisung vom 26.12.1941, Druck: K T B O K W , B d . I , D o k . 113. Vgl. auch mit seiner Weisung N r . 3 9 vom 8.12.1941, in der er einen Rückzug erst für den Fall in Aussicht stellte, wenn „eine rückwärtige Stellung vorbereitet" sei. Druck: Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen, S. 171. Vgl. etwa B A - M A , M S g 2/5319: N L H a n s P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 22.12.1941: „Also doch Befehl: Zurück! Wir klappen moralisch völlig zusammen. Ich kann nicht beschreiben, was uns in diesen Minuten bewegt. Es ist zu ungeheuerlich. Wir könnten losheulen . . . " B A - M A MSg 1/1148: N L Joachim Lemelsen, Tagebuch, Eintrag vom 14.12.1941: „Man macht sich kaum einen Begriff, was solche Bewegung, die an sich nur ein operatives Manöver ist, für Anforderungen an die Truppe stellt; seelisch sowohl wie ganz besonders körperlich. U n d dann das viele schöne Kfz.-Material, das kaputt geht, stehen bleibt und soweit möglich gesprengt oder unbrauchbar gemacht werden muss, damit der Feind es nicht mehr benutzen kann." In diesem Sinne auch Schaub, Panzer-Grenadier-Regiment 12, S. 104.

5.6 Rückzugsverbrechen

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Soldaten in einer apokalyptisch scheinenden Situation über die einfachsten völkerrechtlichen und moralischen Prinzipien hinwegsetzten 7 0 . Allerdings war es nicht immer die blanke N o t , die Aussichtslosigkeit der militärischen Lage, welche die Deutschen dazu brachte, mit dem Mittel der „Verbrannten E r d e " zu experimentieren. Der Generaloberst Schmidt beispielsweise erließ schon am 6. Dezember 1941, die Nachricht von der sowjetischen Gegenoffensive hatte ihn noch nicht erreicht 71 , einen „Armeebefehl" zum „Einrichten in der Winterstellung", die östlich davon von „einer Wüstenzone von 10 k m " Tiefe zu begrenzen sei. Hier sollten „alle U n terkünfte, Verkehrswege, Flugplätze und sonstige dem Feinde dienenden Stützpunkte vernichtet werden. Damit soll dem Feind die Möglichkeit genommen werden, sich mit stärkeren Kräften unmittelbar vor der Winterstellung bereitzustellen. Die Truppe ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß sie durch sorgfältig überlegte und gründliche Zerstörung in einer tiefen Wüstenzone sich die besten Vorbedingungen für Abwehr und Ruhe in der Winterstellung schafft." 7 2 Zweifellos handelte es sich hier um eine begrenzte Maßnahme, die sich zudem militärisch begründen ließ. Doch kann sie auch illustrieren, wie sich in diesem Fall Initiativen von oben und von unten trafen. Hitlers berüchtigte Weisung, in der dieser forderte, „alle aufgegebenen Gehöfte nieder[zu]brennen" 7 3 , stammt jedenfalls erst vom 20. Dezember 1941. Zu diesem Zeitpunkt aber war bei allen Divisionen unseres Samples die Praxis der „Verbrannten Erde" bereits an der Tagesordnung. Und noch etwas verdient Beachtung: Für die deutsche Seite waren Vernichtung und Verwüstung nicht nur ein Mittel des Rückzugs, sondern auch erinnert sei an das Beispiel der 221. I D - ein Mittel der Verteidigung. Handelte es sich in diesem Fall um relativ kleine, abgegrenzte Räume, so mussten diese sich rasch ausdehnen, wenn die deutsche Front in Bewegung geriet. Dann begann sich aus deutscher Sicht alles auf die existentielle Frage zu reduzieren, ob es gelang, den Gegner auf sichere Distanz zu halten. Dass sich der deutsche Vandalismus außerhalb der völkerrechtlichen und moralischen Normen bewegte, steht außer Frage. Aber hatte er wenigstens eine militä70

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Die Feststellung von Jörg Friedrich (Gesetz des Krieges, S. 512), der zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die Haager Landkriegsordnung „solche Fälle wie alle Fälle des Zivils höchst wolkig" geregelt habe, ändert nichts an dieser These. Im Stab des A O K 2 war man noch am 1.12.1941 davon ausgegangen, dass die bevorstehende „Zeit der Ruhe" zugunsten der deutschen Seite „arbeiten" würde. IfZ-Archiv, MA 1755: A O K 2, Abt.I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1.12.1941. Dagegen wurde beim Pz. A O K 2 der Entschluss für eine „Zerstörung der Unterkunftsmöglichkeiten für den Gegner im aufzugebenden Raum" erst nach dem Befehl zum Rückzug getroffen. BA-MA, R H 21-2/244: Pz. A O K 2, Abt. I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 8.12.1941. IfZ-Archiv, MA 1622: A O K 2, Abt. I a, „Armeebefehl Nr. 1 zum Einrichten in der Winterstellung" vom 6.12.1941. Bei dieser Gelegenheit erwog man sogar, das gerade von der 45. ID besetzte Jelez „niederzulegen". Vgl. Reinhardt, Wende, S.211. OKW, WFSt/Abt. L/I, Fernschreiben an O K H / O p . Abt. vom 21.12.1941, Druck: KTB OKW, Bd.I, Dok. 111. Diesen Befehl hatte Hitler tags zuvor wörtlich dem Generalstabschef des Heeres mitgeteilt; außerdem sind folgende Aussagen Hitlers überliefert: „Luftwaffe planmäßig auf [Zerstörung von] Ortschaften [die Gegner besetzt hat]. Artilleriewirkung. Orte anzünden!" Halder, Kriegstagebuch, Bd. III, S.356ff. (Eintrag vom 20.12.1941). Am 15.1.1942 bekräftigte Hitler seine Absicht in einem grundlegenden Befehl, in dem er die Zerstörung aller Ortschaften und Verkehrsanlagen befahl. Der Führer und O b d H , GenStdH/Op. Abt., WWFSt/Abt. L/I, Fernschreiben an OKH/Op.Abt.vom 15.1.1942, Druck: KTB OKW, Bd.II/4, Dok.5. Vgl. ferner mit der Aussage Jodls in: IMT, Bd. 15, S.452f. sowie Megargee, Hitler und die Generäle, S. 197 ff.

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5. Verbrechen

rische Wirkung? Bei einem Rückzug, der sich in einzelnen Etappen vollzog, schien sich die Technik des Brandschatzens gegenüber einem unerbittlich nachdrängenden Feind geradezu anzubieten. Denn das damalige militärische Geschehen reduzierte sich, zumindest im Bereich des Taktischen, häufig auf einen „Kampf um Ortschaften" 74 , auf den vielbeschworenen „Kampf um den Ofen", wie man damals in der 4. Panzerdivision sagte 75 . Ohne diese Stützpunkte konnte man nur schwer überleben, geschweige denn kämpfen. „Geländeverstärkungen" oder ein „Eingraben bei dem tiefgefrorenen Boden" war, wie die 2. Panzerarmee meldete, damals einfach nicht mehr möglich 76 . Die sowjetischen Kriegsgefangenen berichteten denn auch, dass die von der Wehrmacht „geschaffene Wüstenzone" ihnen „sehr unangenehm" gewesen sei 77 . Sie hätten „sich nur in den Kartoffelkellern aufhalten [können] und in einzelnen Ruinen". Das konnte auch eine Division wie die 221. bestätigen: „Abbrennen der Ortschaften, Vernichtung jeglicher Unterkunftsmöglichkeit verschlechtert des weitern die Stimmung, da die Russen nach langem Anmarsch im Freien biwakieren müssen, weder Stroh, noch Nahrungsmittel aus dem Lande entnehmen können und ein Abkochen und Aufwärmen unmöglich gemacht wird." 78 Das galt vor allem dann, wenn es den Deutschen gelang, ihre Front zu halten. Dann wurde es - wie man etwa bei der 2. deutschen Armee erkannte - für den Gegner tatsächlich schwierig, sich im Vorfeld der deutschen Front festzusetzen 79 . Etwas anders gestalteten sich die Dinge, wenn sich die deutschen Formationen zurückziehen mussten. Spätestens dann wurde das Missverhältnis zwischen Destruktion und menschlichem Leid einerseits und militärischem Nutzen andererseits immer größer. Auf ihren Rückzügen machten die erschöpften deutschen Soldaten immer wieder die Erfahrung, dass der Gegner ihnen keine Ruhe ließ, dass er nicht selten „sofort" nachstieß 80 : „Wie oft hatten wir schon daran geglaubt, daß sich der Russe in diesen niedergebrannten Ortschaften nicht mehr festsetzen könnte und doch war er uns bereits am nächsten Morgen schon wieder gefolgt. Oft nach Stunden, die zwischen der Loslösung und der Meldung über die neu bezogene Verteidigungsstellung lagen, war schon wieder Feindberührung vorhanden." 81 Das 74 75

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B A - M A , MSg 2/5319: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag v o m 9 . 1 2 . 1 9 4 1 . IfZ-Archiv, M A 1582: 4. Pz. Div., A b t . I a , Schreiben an das X X X X V I I . Pz. Korps v o m 2 0 . 3 . 1 9 4 2 , Anlage „Parolen des Tages". B A - M A , RH 21-2/244: Pz. A O K 2, A b t . I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 1 7 . 1 2 . 1 9 4 1 . B A - M A , R H 24-35/96: 262. Inf. Div., A b t . I c , Bericht vom 9 . 1 . 1 9 4 2 sowie IfZ-Archiv, M A 1669: 221. Sich. Div., A b t . I c, Meldung betr. „Feindorientierung" v o m 2 . 1 . 1 9 4 2 . Ferner Rass, „Menschenmaterial", S.380. IfZ-Archiv, M A 1669: 221. Sich. Div., Abt. I c, Feindorientierung v o m 2 . 1 . 1 9 4 2 . B A - M A , RH 20-2/249: A O K 2, Chef GenSt, Fernspruch an die unterstellten Korps v o m 2 6 . 1 2 . 1 9 4 1 : „Die Truppe ist erneut auf die entscheidende Bedeutung der Zerstörung aller dem Feinde nutzbar werdenden Unterkünfte hinzuweisen. Bei plötzlichem Kälteeinbruch bricht der Russe zusammen, wenn er keine Unterkünfte hat. Alle Rücksichten auf noch so dringend erwünschte Erleichterungen haben dagegen zurückzustehen." Ferner IfZ-Archiv, M A 1636: LIII. Α . Κ., A b t . I a, „Korpsbefehl für den 24.Dezember 1941" vom 2 3 . 1 2 . 1 9 4 1 : „Sämtliche vor der Front befindlichen Ortschaften sind beim Räumen niederzubrennen oder der O r t späterhin in Brand zu schießen. Der Gegner darf keine Unterkünfte vor der Front mehr haben." B A - M A , R H 26-45/47: 45. Inf. Div., A b t . I a, Kriegstagebuch, Eintrag vom 2 4 . 1 2 . 1 9 4 1 . Manuskript, Κ. H., „Unser Einsatz im Osten", o. D., Kopie im Besitz d. Verf. Vgl. in diesem Zusammenhang auch mit Gschöpf, Weg, S.283, der betont, dass „Der Russe [...] deswegen nicht einen einzigen Kilometer zurück [blieb], Tag und Nacht hefteten sich seine Kavallerietrupps und Panzerrudel an unsere Fersen."

5.6

Rückzugsverbrechen

779

lag nicht zuletzt daran, dass die weithin sichtbaren Rauchsäulen die sowjetische Seite schnell und zuverlässig darüber informierten, wann wieder Bewegung in die deutsche Front kam 8 2 . Angesichts dessen könnte man von einer umgekehrt reziproken Wirkung sprechen: Solange die deutsche Front hielt, hatte die destruktive Taktik der deutschen Verbände einen gewissen militärischen Nutzen, während sich die Schäden, die man damit anrichtete, noch einigermaßen in Grenzen hielten. Bei einem Rückzug, der sich zuweilen über Gebiete von bis zu 200 Kilometern Länge erstreckten, fiel ein ungleich größeres Terrain dem Vernichtungswillen der Deutschen zum Opfer. Aber gerade dann konnten diese am wenigsten davon profitieren, weil die nachrückenden sowjetischen Verbände diese Wüstenzone in der Regel relativ rasch durchstießen. Die Taktik der „Verbrannten Erde" war nicht nur brutal, sie war zumindest teilweise auch nutzlos. Die militärische Unterlegenheit der Deutschen ließ sich damit auf Dauer jedenfalls nicht kompensieren. 5.6.4 Ausnahmen

und

Sonderfälle

Nicht alle deutschen Soldaten beteiligten sich an dieser barbarischen Form der Kriegführung oder suchten sich einzureden, diese sei „hart, aber nötig", weil „der Russe [...] viel rücksichtsloser gehaust" hätte, wenn er „in unser deutsches Land eingefallen wäre" 8 3 . Es gab Angehörige der Wehrmacht, die offen zugaben, dass Maßnahmen dieser Art für sie nur „schwer zu ertragen" waren 8 4 . Besonders häufig scheint dies interessanterweise bei den „Vierern" gewesen zu sein, was wohl auch daran lag, dass die Divisionsführung eine besonders harte Linie vertrat 85 . Doch gab es hier Kommandeure wie den Oberst von Lüttwitz, der über den Januar 1942 berichtete: „Ohne .Verbrannte Erde' (wie es Befehl war) zogen wir nach 15.00 U h r ab u[nd] ich meldete mich 2 Stunden später bei [Generalmajor von] Saucken, der nun auch seinerseits keine .Verbrannte Erde' zurückließ." 8 6 Ähnliches ist auch aus anderen Teilen dieser Division überliefert 87 sowie von den vorgesetzten Kommandobehörden, der 2. Panzerarmee 88 oder dem X X I V . Panzer82 83 84

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Vgl. hierzu Meier-Welcker, Aufzeichnungen, S. 150, A n m . 2 4 7 . B A - M A M S g 1/1148: N L J o a c h i m Lemelsen, Tagebuch, Eintrag vom 1 4 . 1 2 . 1 9 4 1 . Vgl. etwa B A - M A , M S g 2 / 5 3 2 0 : N L Hans P. R e i n e n , Tagebuch, Eintrag vom 4 . 3 . 1 9 4 2 : „Ich darf mir, o b w o h l es Krieg ist und wir uns schon an manches gewöhnt haben, dieses Elend, dieses Geheul und dieses Wehklagen nicht vorstellen, wie die Leute auf den Knien angerutscht k o m m e n , weil sie sich von der geringen H a b e , die sie noch ihr eigen nennen, nicht trennen können. Ich darf mir nicht die abgehärmten Gesichter vorstellen, nicht die Trauerzüge, die da tagelang nach hinten ziehen, die Kinder tragend oder mit sich schleppend, ohne Pferde und Schlitten, nur etwas Proviant und sonstige für diese Menschen unentbehrlichen Dinge oder Kostbarkeiten in Säcken auf dem R ü c k e n - Anklage in den Gesichtern, denn sie wissen ja nicht, daß es ihnen dort, w o sie hingebracht werden, nient schlechter geht, als wenn sie hier im Feuer blieben oder zu den Russen zurückkämen, vor denen sie sich doch selbst fürchten. Sie wissen nur, daß sie jetzt ihre elende Hütte aufgeben müssen, die nichts wert [ist], doch diesen M e n schen elles bedeutet, denn sie sind ja ärmer wie arm." Ahnliche Beispiele bei: Meier-Welcker, Aufzeichnungen, S. 150f. (Brief vom 1 8 . 1 . 1 9 4 2 ) ; Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 126. Vgl. mit dem Prolog. B A - M A , Ν 10/9: Lebenserinnerungen Smilo Frhr. von Lüttwitz, Bl. 149. Vgl. etwa B A - M A , M S g 1/3275: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 7 . 1 2 . 1 9 4 1 . So befahl die 2. deutschen Panzerarmee am 4 . 2 . 1 9 4 2 , es k o m m e darauf an, „dem Feind weiterhin D o r f um D o r f zu entreißen. Ein Abbrennen der vor der F r o n t befindlichen D ö r f e r liegt im

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5. Verbrechen

korps, das im März 1942 anordnete, nur die deutschfreundliche Zivilbevölkerung auf dem Rückzug nach Westen mitzuführen 8 9 : „Die übrigen Teile der Bevölkerung sind in weniger wichtigen Ortschaften zusammenzuziehen und bei der Räumung dort zu belassen. Diese Ortschaften sind", so wurde noch einmal hervorgehoben, „nicht zu zerstören." Noch deutlicher wurde die 4. Panzerdivision im März 1942, als man ihr die „Evakuierung des Gefechtsgebietes und die Umsiedelung der gesamten Bevölkerung in das rückwärtige Gefechtsgebiet" befohlen hatte. Dies verweigerte die Divisionsführung mit folgender Begründung: „Da die Umsiedler über keinerlei Schlitten verfügen und die Truppe keinen Laderaum zur Verfügung stellen kann, wird ein großer Teil der älteren Umsiedler und auch viele Kinder diesen Marsch nicht überstehen. Sie würden in großer Zahl an der Straße herumliegen. Dieses ist jedoch nach Ansicht der Division mit der Auffassung eines Kulturvolkes nicht vereinbar." 90 Es ist sicherlich nicht verfehlt, in einer solchen Meldung auch eine Reaktion auf den politischen Paradigmenwechsel zu sehen, welche die 2. Armee im Frühjahr 1942 in ihrem Befehlsbereich durchzusetzen versuchte 91 . Auch aus den darauf folgenden Jahren sind aus den Kampfdivisionen unseres Samples Stimmen überliefert, die klar belegen, dass die mitleidlose Strategie der „Verbrannten Erde" bei der Truppe für Unbehagen sorgte 92 , dass man die entsprechenden Befehle abzumildern oder diese mitunter sogar ganz zu ignorieren suchte 93 . Zu einem Symbol wurde Jasnaja Poljana, wobei dieser Fall auch als ein Beleg dafür gelten kann, wie schwierig sich die Wahrheitsfindung gestalten kann. In dem ehemaligen Gut von Leo Tolstoi im Oblast Tula, das nach seinem Tode zu einem Museum ausgebaut worden war, hatte die Führung der 296. ID seit dem 2. Dezember 1941 ihr Hauptquartier eingerichtet 94 . Die Verwüstungen, die man nach dem

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allgemeinen nicht im Interesse der Truppe, die darüber hinweg wieder angreifen muß". IfZ-Archiv, M A 1582: X X X X V I I . Pz. Korps, Abt.I a, Fernspruch an die 4. Pz. Div. vom 4.2.1942 (beruhend auf einem Befehl des Pz. A O K 2). B A - M A , R H 24-24/167: XXIV. Panzerkorps, A b t . I a , Befehl Nr.225/42 g. Kdos. vom 18.3.1942. B A - M A , R H 24-47/221: 4. Pz. Div., A b t . I c, Meldung an das XXXXVII. Pz. Korps „zur Sicherung im r ü c k w ä r t i g e n ] Gefechtsgebiet und Partisanenbekämpfung", vom 17.3.1942. Dort heißt es ferner: „Es musste daher zunächst jede Entnahme von Vieh, Kartoffeln usw. durch die Truppe unterbunden werden, um die Verpflegung für die Umsiedler zur Verfügung zu haben." Vgl. mit dem Prolog. Bei einem Rückzug der 4. Pz. Div. schrieb Farnbacher in sein Tagebuch, „es ist nicht schön, solche Befehle geben zu müssen, aber es darf doch nicht alles in Feindeshand fallen". Als Angehöriger der 296. Inf. Div. meinte Reinert bei einer ähnlichen Lage: „Es ist schwer, sich einfach darüber hinwegsetzen zu müssen und nicht helfen zu können." B A - M A , MSg 1/3289: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 28.7.1944; B A - M A , MSg 2/5323: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 9.8.1943. So intervenierte etwa ein höherer Offizier der 45. ID im Juni 1943 bei der Divisionsführung und erreichte, dass die Zivilbevölkerung nicht evakuiert wurde. B A - M A , R H 24-20/106: 45. Inf. Div., Abt. I a, Meldung an XX. Α. K. vom 18.6.1943. Vgl. IfZ-Archiv, M A 1632: 296. Inf. Div., A b t . I a , Kriegstagebuch, Einträge vom 1.12.1941 ff. Ferner B A - M A , MSg 2/5319: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 2.12.1941: „Gegen Mittag erreichen wir völlig durchgefroren Jasnaja Poljana, das vermutlich unsere Bleibe für die Zeit bis zum Einsatz bleiben wird." Sowie Hürter, Heinrici, S. 127 (Kriegsbericht vom 11.12.1941): „Durch Vermittlung des Grafen M o y habe ich einige Erzählungen von Tolstoi und Leskow gelesen. Tolstois Villa ist dicht südlich Tula, ein Div[isions]-Stab sitzt darin. Sein Landgut, die Tolstoischen Höfe, sind ganz in unserer Nähe, es sind ganz verkommne Panje-Scheunen!"

5.6

Rückzugsverbrechen

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deutschen Rückzug in der Gedenkstätte vorfand, waren sogar Teil der sowjetischen Anklage vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 9 5 : Bereits während der deutschen Besatzung seien Tolstois Manuskripte dazu benützt worden, um damit in den Öfen Feuer zu machen, während an seinem Grab deutsche Gefallene bestattet worden seien. Bei ihrem Rückzug hätten die „nazistisch-faschistischen Vandalen" die Gedenkstätte „zertrümmert, geschändet und schließlich in Brand gesteckt" 9 6 , was man ihnen im Übrigen auch bei der TschaikowskiGedenkstätte in Klin vorwarf. Diesen Vorwürfen hat Guderian, damals Oberbefehlshaber der dort stationierten 2. Panzerarmee, entschieden widersprochen 9 7 . Seine Darstellung wird gestützt durch die Tatsache, dass Tolstois Gut „noch in einem sowjetischen Film nach der Wiederbesetzung im Jahre 1942 als unversehrt gezeigt worden ist" 9 8 . Träfe dies zu, dann würde dies gegen die sowjetische Behauptung einer völligen Zerstörung von Jasnaja Poljana sprechen. Was allerdings während der kurzen deutschen Besatzung innerhalb der Gedenkstätte geschah, bleibt Spekulation 9 9 und lässt sich kaum mehr klären. Viel wichtiger erscheint die Funktion, die dieser „Fall" nach dem Krieg erhielt. Denn Jasnaja Poljana war kein durchschnittlicher Ort, beide Seiten, die deutsche wie die sowjetische, suchten ihn entsprechend zu instrumentalisieren: Während die sowjetischen Juristen ein offenbar übertriebenes Bild der deutschen Barbaren propagierten, die bei ihren R ü c k zügen noch nicht einmal das kulturelle Erbe Russlands respektiert hätten, wurde genau das von den Deutschen behauptet, wobei die Wortführer einer solchen Verteidigung geflissentlich verschwiegen, dass rechts und links dieses Gedenkorts das Land sehr wohl in Flammen aufgegangen war. Jasnaja Poljana war zweifellos ein besonders spektakulärer Fall. Charakteristisch für das Schicksal jener Gebiete, welche die Deutschen im Winter 1941/42 aufgeben mussten, war er jedoch nicht.

5.6.5 Ausblick: Die deutsche Strategie der „ Verbrannten Erde" bis zum Ende des Krieges Es blieb nicht bei den Rückzügen des „Russlandwinters" 1941/42. Ein Jahr später geriet die Wehrmacht endgültig in die Defensive, bis sie sich schließlich im Sommer 1944 in ihren ursprünglichen Ausgangsstellungen wiederfand. Diese zweite Phase des Ostkriegs war von ganz unterschiedlichen Typen von Rückzugsbewegungen geprägt: Zusammenbrüche ganzer Frontabschnitte, bei denen den

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Vgl. auch IMT, Bd. 1, S.64; Bd. 20, S. 7454. In diesem Sinne auch Lynn, Raub der Europa, S.258. A u c h zum Folgenden. Lynn zufolge verwandten die Deutschen „besondere Aufmerksamkeit auf die Zerstörung von Wohnhäusern und Museen bedeutender historischer Persönlichkeiten". Vgl. auch IMT, Bd. 8, S. 88. Auch zum Folgenden. Guderian, Erinnerungen, S. 233. So auch der Verteidiger Hans Laternser in Nürnberg; vgl. IMT, B d . 2 1 , S.441. Hoffmann, Kriegführung, S. 779. In diesem Sinne auch Werth, Russland im Krieg, S. 271, der meint, dass der Fall von der sowjetischen Propaganda instrumentalisiert worden sei. „In Wirklichkeit standen die beiden Häuser noch, wenn auch einiges entwendet oder zerstört war. A u ßerdem hatten die Deutschen viele ihrer Toten rund um Tolstois Grab im Park bestattet, und das war ohne Zweifel eine A r t .Entweihung'." Vgl. freilich: Eine Schuld, die nicht erlischt, S.396f. Auf den dort publizierten Fotos sind durchwühlte und verdreckte Räume zu sehen, doch deutet nichts auf eine Brandschatzung hin.

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5. Verbrechen

deutschen Besatzern nur noch die überstürzte Flucht blieb, wechselten ab mit systematischen, gut vorbereiteten Absetzbewegungen. A m häufigsten war freilich das kurzfristig improvisierte, schrittweise Ausweichen des deutschen Ostheers, wobei Hitlers eigensinnige wie kontraproduktive Strategie des „Haltens um jeden Preis" dessen Handlungsspielräume noch zusätzlich einschränkte 1 0 0 . Verglichen mit der Wirkung, welche das Mittel der „Verbrannten Erde" nun entfaltete, blieben die Ereignisse des Winters 1941/42 nur ein bescheidenes Vorspiel. Aus der Taktik wurde nun eine Strategie 1 0 1 . Hitler und seine Entourage wollten den eigenen Untergang nicht nur so lange wie nur irgend möglich hinauszögern, sondern auch möglichst große Teile des Gegners mit in diesen Untergang reißen 1 0 2 . Die deutschen Besatzer gewannen daher schnell Erfahrung in der Strategie der „Verbrannten Erde". Ihr einstiger „Lebensraum" wurde von ihnen immer gründlicher in Schutt und Asche gelegt, wobei man sich nicht scheute, dies auch noch als heroischen Kampf zur Verteidigung des „Abendlands" darzustellen. Nicht immer wurde dieses Zerstörungsprogramm so umgesetzt, manchmal fehlte an der Basis die Bereitschaft, manchmal auch nur die Zeit. War aber beides vorhanden, dann hinterließen die Deutschen nicht nur brennende Dörfer und Städte, gesprengte Brücken, aufgerissene Eisenbahnlinien, vergiftete Brunnen oder ruinierte Industrie- oder Energieanlagen; sie begannen nun auch ihrerseits alles mitzunehmen, was sich irgendwie mitnehmen ließ, nicht nur die Ressourcen und Produkte aus Industrie und Landwirtschaft, sondern auch die menschliche Arbeitskraft. In Mzensk, das die 4. Panzerdivision Anfang O k t o b e r 1941 erobert hatte, trafen die sowjetischen Verbände, welche die Stadt im Juli 1943 befreiten, nur noch auf zwei alte Frauen und vier Katzen; sie waren die einzigen Lebewesen, die es hier noch gab 1 0 3 . Auch an diesem schrecklichen Finale haben sich alle Kampfverbände unseres Samples beteiligt. Entsprechende Hinweise finden sich seit Winter 1942/43 im Tagebuch Farnbachers (4. Pz. Div.) 1 0 4 , oder in den Aussagen, die Generalleutnant Arthur Kullmer (296. Inf. Div.) im Jahre 1947 vor einem sowjetischen Gericht machte: „Es war notwendig, für den heranrückenden Gegner Zonen mit unerträglichen Bedingungen zu schaffen", begründete er damals das Verhalten seiner Soldaten 1 0 5 . 100 Yg] p r ; e s e r ; Rückschlag des Pendels; ders., Zusammenbruch im Osten. 101

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Vgl. hierzu Müller, Wehrmacht und Okkupation, S.248ff.; Gerlach, Morde, S.1092ff.; Nolzen, „Verbrannte Erde"; Wegner, Aporie, S.256ff.; Pohl, Herrschaft, S.321 ff. So beschwerte sich Hitler im Februar 1943 darüber, „daß beim Rückzug zu wenig zerstört worden ist". Aus einem Vermerk des Wehrwirtschaftsamts im O K W vom 19.2.1943, in: Europa unterm Hakenkreuz, Bd.5, Dok. 158. Vgl. auch mit Hitlers Weisung vom 4.9.1943, in: K T B OKW, Bd. III/2, S. 1455f.: „Der Gegner muß ein auf lange Zeit voll unbrauchbares, unbewohnbares, wüstes Land, wo noch monatelang Minensprengungen vorkommen, übernehmen." Werth, Russland im Krieg, S.463. B A - M A , MSg 1/3283: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 3.2., 7.2. und 8.2.1943; BAMA, MSg 1/3289, ebda., Eintrag vom 12.7., 15.7. und 28.7.1944 sowie 3.8.1944; B A - M A , MSg 1/3290, ebda., Eintrag vom 29.3.1945. Besonders bemerkenswert scheint Farnbachers Eintrag vom 3.2.1943 (BA-MA, MSg 1/3283): „Der Krieg hat viel scheußlichere Formen angenommen als 1941/42! Nicht, daß es die große Kälte von damals ist - im Durchschnitt ist es doch etwa 10 Grad wärmer als den letzten Winter - , aber die Ausweitungen des Rückzuges in diesem Winter, die moralische Seite, sind doch erschreckend!" StA Gomel, R - l 345-2-7, Kopie U S H M M , RG-53.005 M, reel. 1. Kullmer stritt die Vernichtungsmaßnahmen seiner Division nicht ab, bestritt aber die Vergiftung von Brunnen. Allerdings gab er zu, dass im Bezirk Schisdra und Rogatschow Arbeitsla-

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Rückzugsverbrechen

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Einem Befehl der 45. Infanteriedivision vom Januar 1943 lässt sich entnehmen, was alles unter eine „Räumungsbewegung" fallen konnte 1 0 6 : von der Sprengung aller Brücken ist hier die Rede, von der Verminung der „Straßen, Engen und Furten", der Verseuchung der Brunnen und schließlich auch vom „Abschub der Zivilbevölkerung", deren „wehrfähiger" Teil unverzüglich dem „Einsatz zur Arbeit" zugeführt werden sollte. Der Krieg, den die Deutschen über die Sowjetunion gebracht hatten, hatte dem Land schon vorher viele Wunden geschlagen. N o c h nie aber hatte er mit einer solchen Systematik und mit solch einer zerstörerischen Gewalt das Land durchpflügt. Mit der Verschleppung der Zivilbevölkerung erhielt die Strategie der „Verbrannten Erde" eine neue Dimension. Zu den ersten größeren Deportationen kam es im Winter 1942/43 nach den deutschen Niederlagen in Stalingrad und im Kaukasus 1 0 7 ; systematisch erfasst und zwangsumgesiedelt wurde die ortsansässige Zivilbevölkerung jedoch erstmals während der „Büffel-Bewegung", als die Wehrmacht im März 1943 den weit vorgeschobenen Frontbogen um Rshew und Wjasma räumte und dabei 190000 Menschen mit sich führte 1 0 8 . Wurden allein in Weißrussland eine Million Personen in irgendein Nirgendwo getrieben 1 0 9 , so waren es in der gesamten Sowjetunion schließlich mindestens 2,3 Millionen Menschen, die nun ihr Heim und ihren letzten Besitz verloren 1 1 0 . Ein Teil dieser erschöpften und verängstigten Menschenmassen folgte allerdings mehr oder weniger freiwillig den deutschen Rückzugskolonnen; als sich die Wehrmacht im Winter 1942/43 aus dem Kaukasus und dem Don-Gebiet zurückzog, wurden „100000 Menschen unter Steuerung durch die Arbeitseinsatz- und La[ndwirtschafts]-Dienststellen in Marsch" gesetzt 1 1 1 . „Aus Angst vor den Sowjets setzten sich selbst [ . . . ] etwa noch weitere 5 0 0 0 0 Menschen in Bewegung." Allerdings dürfte die Bereitschaft der Zivilbevölkerung, die Deutschen auf ihrem Weg in den Untergang zu begleiten, mit zunehmender Kriegsdauer abgenommen haben 1 1 2 . U m so rigider reagierten diese wiederum, wenn es darum ging, diese Menschen für sich zu behalten, sie auszubeuten, insbesondere für den immer dringlicheren Stellungsbau, oder wenigstens ihre Wehr- oder Arbeitskraft dem Gegner zu entziehen. Selbst jene, die auf deutscher Seite als „nutzlose Esser" galten 1 1 3 , erwartete oft ein grausames Schicksal. Mitunter pferchte die Wehrmacht die Alten, Krüppel, Frauen und Kinder nach langen, strapaziösen Elendsmärschen in irgendwelche Internierungslager 1 1 4 , wo er für die Zivilbevölkerung existiert hätten, dass er Befehle zur Evakuierung der Zivilbevölerung weitergeleitet habe und dass die 296. ID selbst die Saaten auf den Feldern mit Hilfe spezieller Walzen vernichtet habe. 1 0 6 IrZ-Archiv, M A 1564/37: N O K W - 3 0 4 6 : 45. Inf. Div., A b t . I a , „Divisionsbefehl Nr. 5 " vom 28.1.1943. 1 0 7 Lübbers, Die 6. Armee und die Zivilbevölkerung von Stalingrad; Pohl, Herrschaft, S. 323f. 108 Vgl. Verbrechen der Wehrmacht, S. 387; Rass, „Menschenmaterial", S. 381 f. 1 0 9 Vgl. Gerlach, Morde, S.501. 1 1 0 Vgl. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 325 ff. D o r t differenzierte Zahlenangaben. Vgl. auch die Ubersichten in: Verbrechen der Wehrmacht, S.387ff. sowie Pohl, Herrschaft, S.327. 1 1 1 Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.326. 1 1 2 Im September 1943 rechnete man auf deutscher Seite nur noch mit einer Freiwilligkeit von 1 0 % . Vgl. Okkupationspolitik, D o k . 2 0 8 ; Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.373. 1 1 3 Aus einem Befehl des A O K 2 vom 2 8 . 6 . 1 9 4 4 , zit. in: Gerlach, Morde, S. 1097. 1 1 4 Besonders bekannt wurde das Lager von Osaritschi, das Gerlach und Pohl allerdings als „ E x tremfall" verstehen. A n der Zwangsevakuierung der ca. 4 0 0 0 0 Zivilisten in diesen Lagerkom-

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5. Verbrechen

man sie bis zu ihrer Befreiung durch die Rote Armee einfach ihrem Schicksal überließ 115 . Wie das Beispiel der 45. ID lehrt, hat auch die Fronttruppe diese grausamen Trecks organisiert, wenn auch lustlos 116 . Denn für die Frontsoldaten hatten im Chaos der Rückzüge ganz anderen Fragen Priorität: Wie konnte man den Gegner aufhalten, wie die eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse einigermaßen befriedigen? Und gelang es, das besetzte Hinterland einigermaßen ruhig zu halten? Ein Exodus dieser Dimension musste dagegen nicht den eigenen Bewegungen ins Gehege kommen, sie möglicherweise sogar verlangsamen (was in dieser Phase des Krieges tödlich sein konnte). Sie sorgten auch für eine „Beunruhigung" einer Bevölkerung, auf deren Unterstützung oder zumindest doch Stillhalten man sich immer weniger verlassen konnte. Wenn die Truppenführung die Deportationen mitunter sogar „behinderte" 117 , so wird deutlich, das sie in der Truppe nur auf wenig Gegenliebe trafen. Gerade auch in dieser Phase, die zuweilen geprägt war von Zusammenbrüchen ganzer Frontabschnitte, wurden längst nicht alle Befehle befolgt. So konnte sich beispielsweise der General Eberbach das rapide Vorrücken der Roten Armee im Dezember 1943 am Südflügel der Ostfront nur damit erklären, dass beim deutschen Rückzug viel zu wenig zerstört worden war 118 . Dennoch - schon allein die Zwangsdeportationen, die als ein „System ineinandergreifender Maßnahmen" organisiert waren 119 , wären ohne die stete Unterstützung durch das Militär kaum zu realisieren gewesen. Zwar lag die Verantwortung für das gesamte Procedere formal bei den Arbeitsdienststellen der Zivilverwaltung, doch waren diese mit solch gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen völlig überfordert, so dass diese sie „in engster Verbindung mit den Divisionen und Armeen, den Kriegsgefangenen-Einrichtungen und Versorgungstruppen" durchführten 1 2 0 . Gewöhnlich hatten die weiter vorne gelegenen Einheiten für den ersten Teil der „Evakuierung" zu sorgen 121 , die meist von Feldgendarmerie, den frontnahen Feld- und Ortskommandanturen sowie deren Hilfstruppen eskortiert wurden 1 2 2 , weil man es sich ange-

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plex, in dem zwischen 8000 und 9000 Menschen starben, beteiligten sich auch die 296. und die 45. ID sowie die 4. Panzerdivision. Vgl. Gerlach, Morde, S. 1095ff.; Rass, „Menschenmaterial", S.377ff., insbes. S.389; Pohl, Herrschaft, S.327f. Vgl. auch StA Gomel, R-1345-2-7, Kopie U S H M M , RG-53.005 M, reel. 1, wo der Zeuge P. die Bedingungen in einem Lager beschreibt, das im Raum von Brjansk von der 296. ID aufgebaut worden war: „Wir wurden f...] sehr schlecht behandelt. Zu essen gab es Buchweizensuppe einmal in 24 Stunden; die Menschen starben." Vgl. BA-MA, MSg 1/3289: Fritz Farnbacher, Tagebuch, Eintrag vom 28.7.1944; BA-MA, MSg 2/5323: N L Hans P. Reinert, Tagebuch, Eintrag vom 9.8.1943. Ferner Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 126; Alvensleben, Lauter Abschiede, S.243 (Tagebucheintrag vom 3.11.1942). Vgl. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.328. Ferner Müller (Hrsg.), Okkupation, S.362Í.; in einer Aktennotiz des A O K 8 vom 25.10.1943 heißt es, dass „sich Generalfeldmarschall von Kleist im übrigen gegen die von der Armee gewünschte Evakuierung ausgesprochen" habe. Vgl. Neitzel, Militärgeschichte ohne Krieg?, S.301. Verbrechen der Wehrmacht, S.386; Gerlach, Morde, S. 155. Vgl. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.325f., Zitat: S.329. Vgl. etwa Rass, „Menschenmaterial", S.368f. Vgl. Müller (Hrsg.), Okkupation, Dok. 140, 145-147, 150f., 159. Ferner, Rass, „Menschenmaterial", S.369. Eingehend dazu der Befehl der Heeresgruppe Süd vom 22.8.1943 (Dok.145): „Für die Rückführung sind die Kgf.-Einheiten, frei werdende Kommandanturen, insbesondere aber deutsche und einheimische Polizeikräfte sowie deutsche Wirtschaftsdienststellen

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sichts der dünnen Frontlinien kaum leisten konnte, das Gros der fronttauglichen Truppen auf zeitaufwendige Evakuierungsmärsche nach hinten zu schicken 123 . Waren die Trecks in den Auffanglagern angelangt, dann wurden diese Menschen wie Arbeitssklaven „nach den Weisungen des G[eneral]B[evollmächtigten für den] Arbeitseinsatz] bezw. seiner Beauftragten" an zivile, aber auch militärische Dienststellen verteilt 124 . Der kleinere Teil blieb bei der Truppe 125 , während die meisten in den rückwärtigen Gebieten oder gar erst im Reich zum Einsatz kamen. Ubernahmen die Frontverbände bei den Deportationen gewöhnlich nur den ersten Teil, so spielten sie bei der Verwüstung des aufgegebenen Gebiets nicht selten eine Schlüsselrolle 126 . Zwar lag die Regie bei der Wirtschaftsorganisation Ost 1 2 7 , doch war für die Umsetzung im Operationsgebiet allein der militärische Apparat verantwortlich 128 . Hier ging es um mehr als nur um den Einsatz einiger „Zerstörungskommandos" 129 wie im Winter 1941/42. „Jeder einzelne hat die Pflicht dafür zu sorgen, daß das dem Feind überlassene Gebiet für jede militärische und landwirtschaftliche Nutzung auf absehbare Zeit hinaus ausfällt" 130 , lautete die Parole, welche die deutschen Kommandostellen inzwischen ausgegeben hatten. So war es denn kein Wunder, wenn am Ende dann „jeder Trossknecht sich dazu berufen fühlte, Zerstörungen vorzunehmen" - so eine Beobachtung des Generals Heinrici aus dem Jahr 1944 1 3 1 . Zwar verlangte die vielschichtige und vor allem immer aggressiver gehandhabte Strategie des ARLZ 1 3 2 , des Aufiockerns, Räumens, Lähmens und Zerstörens, eine Vorbereitung „von langer Hand" 1 3 3 sowie eine Beteiligung und Abstimmung vieler Institutionen, auch ziviler wie etwa des R A D , der Organisation Todt oder der Wirtschaftsorganisation Ost. Doch waren die FrontEinheiten naturgemäß jener Teil der deutschen Macht, der das besetzte Land als letztes verließ, so dass oft sie für die Verwirklichung von Verwüstung, Deportation

(Landwirtschaftsführer, W i K o , Arbeitsämter, die Beauftragten des G . B . A . ) heranzuziehen, soweit nicht militärische Kräfte zur Verfügung gestellt werden können." 123 Vgl d e n Bericht der Propagandakompanie K, o . D . , in: Müller (Hrsg.), Okkupation, S . 3 6 3 366: „Die direkte Evakuierung obliegt den einzelnen Divisionen, welche dann die einzelnen Trupps mit kleinen Begleitkommandos zu den bestimmten Ubergabepunkten an die Zivilverwaltung senden." Vgl. ferner Dok. 159. Vgl. auch Rass, „Menschenmaterial", S.375: „Die Soldaten, die mit der Durchsetzung dieser Zwangsmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung befasst waren, waren meist und in der Mehrzahl Angehörige der rückwärtigen Dienste [ . . . ] . " 1 2 4 So der G B A in einem Erlass vom 8 . 9 . 1 9 4 3 , zit. in: Verbrechen der Wehrmacht, S.391. 1 2 5 Einen Teil dieser Arbeitskräfte behielt die Kämpfende Truppe, wobei ihr Anteil „auf ein Mindestmaß" beschränkt werden sollte. Aus einem Befehl des Bfh. Rückw. Heeresgebiet N o r d vom 2 1 . 9 . 1 9 4 3 , in: Europa unterm Hakenkreuz, B d . 5 , D o k . 2 1 0 . 1 2 6 Vgl. die Anordnung des A O K 6 vom 1 0 . 4 . 1 9 4 3 . Druck: Müller (Hrsg.), Okkupation, S.308f. 1 2 7 Vgl. Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.59. Weitere Belege bei Müller (Hrsg.), Okkupation, Dok. 141, 1 4 4 , 1 4 8 , 150-152, 154, 163, 167. 1 2 8 Vgl. Anlage 76, in: Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 5 6 0 - 5 7 6 ; Verbrechen der Wehrmacht, S. 390; Müller (Hrsg.), Okkupation, D o k . 170; Pohl, Herrschaft, S.326. 1 2 9 IfZ-Archiv, M A 1622: Gruppe v. Oven [Teil 45. Inf. Div.], Abt. I a, „Befehl für die Zurücknahme in die Winterstellung" v o m 2 4 . 1 2 . 1 9 4 1 . 130 Vgl. Eine Schuld, die nicht erlischt, D o k . 141. Ferner die Beispiele bei Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 125 ff. 1 3 1 So Heinrici am 1 8 . 3 . 1 9 4 4 , zit. bei: Hürter, Heinrici, S.51. 1 3 2 Hierzu eingehend: Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S.372ff., 553ff. 1 3 3 Befehl der H.Gr. Süd vom 2 2 . 8 . 1 9 4 3 , in: Eine Schuld, die nicht erlischt, D o k . 145 sowie Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 375.

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5. Verbrechen

und Ausplünderung Sorge zu tragen hatten. Das war nicht allein eine Folge der rigiden Vernichtungs-Befehle. Die Rückzüge des Ostheers waren teilweise auch geprägt von einer allgemeinen Untergangsstimmung, die mitunter in ein chaotisches Rette-sich-wer-kann münden konnte. Jeder spürte „den Beginn einer Auflösung" 1 3 4 , die nicht selten auch eine Auflösung von Disziplin und Moral war. Unter dem Druck der militärischen Ereignisse begannen nun die Grenzen zwischen dem befohlenen und dem individuell motivierten Kriegsverbrechen mehr und mehr zu verschwimmen. Angesichts der zusammenbrechenden Strukturen des deutschen Ostheers, auch seiner logistischen, wurden einzelne deutsche Soldaten oder ganze Trupps, die mit dem System der Plünderung ihr Uberleben zu sichern suchten 1 3 5 , phasenweise zu einer Alltagserscheinung. 5.6.6 Ein Fazit Das System der „Verbrannten Erde" kam im deutsch-sowjetischen Krieg nicht zum ersten Mal zum Einsatz. Es hatte eine lange Tradition. Von den vielen Beispielen, welche die Geschichte des Krieges bietet, sei abschließend eines herausgegriffen, das Unternehmen „Alberich", in dessen Folge sich im Februar/März 1917 Teile der deutschen Westfront auf die „Siegfried-Linie" zurückzogen 1 3 6 . Schon damals suchten die Deutschen zwischen sich und dem Gegner eine Wüstenzone zu legen. Ein Augenzeuge wie Ernst Jünger hat sehr genau erfasst, dass seine Landsleute damit nicht nur den Gegner schädigten: „Die Bilder erinnerten, wie gesagt, an ein Tollhaus und riefen eine ähnliche, halb komische, halb widrige Wirkung hervor. Sie waren auch, wie man sogleich bemerkte, der Manneszucht abträglich. Zum ersten Male sah ich hier die planmäßige Zerstörung, der ich später im Leben noch bis zum Überdruß begegnen sollte; sie ist unheilvoll mit dem ökonomischen Denken unserer Epoche verknüpft, bringt auch dem Zerstörer mehr Schaden als Nutzen und dem Soldaten keine Ehre ein." 1 3 7 Dies ist nicht nur ein ungewöhnlich klarsichtiges Urteil, erstaunlich scheint auch der Zeitpunkt. Denn die Vernichtungsaktionen des Zweiten Weltkriegs, auf die Jünger schon vorsichtig verweist, sind mit denen der Jahre 1914 bis 1918 kaum zu vergleichen. In einem Punkt aber bestand eine bemerkenswerte Übereinstimmung: Schon damals hat das Destruktionsprogramm seinen Exekutoren „keine Ehre" eingebracht. Erst recht galt das für die Ereignisse der Jahre 1941 bis 1945. Das lag nicht allein daran, dass die deutsche Untergangsstrategie des Zweiten Weltkriegs sehr viel radikaler und flächendeckender umgesetzt wurde und dass in einem Bewegungskrieg zwangläufig viel mehr Zivilisten unter einer solchen Strategie zu

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Grützner, in: Müller (Hrsg.), Wirtschaftspolitik, S. 640. Vgl. ferner Rass, „Menschenmaterial", S.384. Generell hierzu: Hentig, Die Besiegten. Vgl. etwa Daliin, Deutsche Herrschaft, S.377; Rass, „Menschenmaterial", S.384. Die militärisch erfolgreiche Absetzbewegung, in deren Folge knapp 5 000 Quadratkilometer Land zwischen Arras und Soissons völlig verwüstet, 200 Ortschaften zerstört und 100000 Zivilisten ins Hinterland deportiert wurden, sorgte im Ausland für einen verheerenden Eindruck. Vgl. Kriegsgeschichtliches Forschungsamt des Heeres (Hrsg.), Der Weltkrieg 1914 bis 1918, Bd. 12, S. 130ff.; Hirschfeld/Krumeich/Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S.326f. (Beitrag Markus Pöhlmann). Jünger, In StahTgewittern, S. 141 f.

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Rückzugsverbrechen

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leiden hatten als bei den Stellungskämpfen der Jahre 1914 bis 1918. N o c h folgenreicher war der Einfluss des Ideologischen auf diese Form der Kriegführung. Hinter der Strategie der „Verbrannten Erde" standen eben nicht nur „rein militärische Gründe", wie etwa der Generalfeldmarschall Erich von Manstein vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg behauptete 1 3 8 . Das soll nicht heißen, dass dabei militärische Erwägungen überhaupt keine Rolle gespielt hätten. Aus Sicht der Truppe, gerade auch der einfachen Soldaten, waren solche Erwartungen sogar maßgebend. Aber je höher man in der deutschen militärischen und politischen Führung kam, desto mehr traten auch andere Absichten hervor - Absichten wirtschaftlicher, politischer oder auch ideologischer Art. Wie beim „Projekt" der Shoah 1 3 9 suchte Hitler den Gegner noch mit in den eigenen Untergang zu ziehen 1 4 0 . Zweifellos war die Strategie der „Verbrannten Erde" kein Genozid 1 4 1 , aber es ging doch um eine langfristige Vernichtung der gegnerischen Lebensgrundlagen. Damit erlebte der Krieg gegen die Sowjetunion seine letzte große Steigerung. Es spricht für die Wirkung dieser Entwicklung, wenn sie von der deutschen Seite auch dann nicht mehr außer Kraft gesetzt wurde, als man das sowjetische Territorium längst verlassen hatte 1 4 2 . Diese spezielle Form der Vernichtungsstrategie, die dann mit Hitlers berüchtigtem „Nero-Befehl" vom März 1945 schließlich ihren H ö h e punkt erreichte 1 4 3 , blieb ein Mittel im Arsenal der deutschen Kriegführung. G e wiss hat sich auch Stalin dieses Mittels bedient. D o c h handelte es sich bei seiner Strategie um das, was bereits Clausewitz als den „Rückzug in das Innere des Landes" bezeichnet hat 1 4 4 . Im Gegensatz zu seinem deutschen Gegenspieler verband Stalin damit noch immer eine realistische Hoffnung auf den Sieg. Dagegen verlor das, was man auf deutscher Seite inszenierte, schon bald jeden Sinn; es war im Grunde ein kollektives Selbstmordprogramm, in das die deutsche Führung möglichst viele hineinziehen wollte. Die Verantwortung der Wehrmacht für diese Art der Kriegführung, die ein Augenzeuge als „die verhängnisvollste Maßnahme" bezeichnete, die er im Osten in

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Vgl. I M T , Bd. 21, S. 13. Zu Mansteins Rolle bei der Umsetzung der „Verbrannten E r d e " vgl. W r o c h e m , Erich von Manstein, S. 88ff. So hat bereits Andreas Hillgruber die unbarmherzige Haltestrategie Hitlers auch mit der Überlegung erklärt, dem D i k t a t o r sei es auch darum gegangen, in der ihm noch verbleibenden Zeit so viele Juden wie möglich zu ermorden. Ders., D e r 2. Weltkrieg, S.97. Diese Absicht ließ Hitler schon sehr früh in seiner öffentlichen Rede vom 3 0 . 1 . 1 9 4 2 durchblicken, selbst wenn er dabei die ganze Konsequenz seiner Vernichtungsstrategie nicht wirklich enthüllte: „Diese Fronten - sie stehen, und w o an einzelnen Stellen die Russen durchbrachen, und w o sie irgendwo glaubten, einmal Ortschaften zu besetzen, sind es keine Ortschaften mehr, sondern nur noch Trümmerhaufen." In: Domarus (Hrsg.), Hitler, Bd. II, S. 1832. So hat Gerlach (Morde, S. 1104) darauf hingewiesen, dass die Wehrmacht bei ihren R ü c k z ü gen, „entgegen der landläufigen A n n a h m e , anscheinend nur in Ausnahmefällen vorsätzlich" Zivilisten erschoss. Zu den Rückzugsverbrechen im besetzten Frankreich, die teilweise stark von jenen Mustern beeinflusst wurden, die man bereits seit Jahren „im O s t e n " eingeübt hatte, vgl. nun Lieb, K o n ventioneller Krieg, S . 4 4 8 f f . Signifikant für das Geschehen im Westen ist freilich auch, dass der größere Teil dieses Zerstörungsprogramms nicht mehr umgesetzt wurde, auch deshalb weil die Wehrmacht hierzu nicht bereit war. Vgl. hierzu H e n k e , D i e amerikanische Besetzung Deutschlands, S . 4 2 I f f . Vgl. Clausewitz, Vom Kriege, S. 505 ff.

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5. Verbrechen

zwei Jahren erlebt habe 145 , war groß. Das betraf in diesem Fall besonders die Fronttruppe, die als letzter Teil der deutschen Besatzungsmacht die Sowjetunion räumte. Sie hinterließ ein Land, das so gründlich verwüstet und ausgeplündert war, wie das in diesen langen Kriegsjahren noch nie geschehen war. Zweifellos sollte man sich auch hier vor Verallgemeinerungen hüten. Auch in diesem Fall waren vermutlich die Unterschiede zwischen den einzelnen Einheiten, Frontabschnitten oder Kommandeuren größer, als man unter politischen und institutionellen Umständen wie diesen vermuten könnte. Und es gab - auch das sollte man nicht vergessen - eine Arbeitsteilung zwischen den zivilen und den militärischen Institutionen und auch innerhalb des militärischen Apparats selbst 146 . Doch ändert das nichts daran, dass es in dieser jahrelangen Auseinandersetzung wahrscheinlich keine Entwicklung gab, in der das Prinzip des Vernichtungskriegs auf so breiter Front die militärischen Ereignisse zu prägen begann, wo die Entgrenzung der Gewalt so augenfällig wurde wie in diesem Fall.

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Brief des Militärverwaltungsrats W. Schumann vom 7.3.1944, in: Verbrechen der Wehrmacht,

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Zur besonderen Rolle der Pioniertruppe im Rahmen der Strategie der „Verbrannten Erde" vgl. Müller (Hrsg.), Okkupation, Dok. 138, 142, 162.

„Je suis la plaie et le couteau! J e suis le soufflet et la j o u e ! J e suis les membres et la roue, E t la victime et le b o u r r e a u ! " 1 D e r alte G o t t der Schlachten ist nicht mehr. 2

Schluss Die Wehrmacht hat viel zu verantworten. Völkerrechtswidrig war bereits der Befehl, den Krieg gegen die Sowjetunion als Uberraschungsschlag, ohne Kriegserklärung, zu eröffnen 3 . Ein Befehl Hitlers, keine Frage, aber die Wehrmacht hat ihn befolgt. Die Folgen waren entsprechend: 1945 lagen allein in der Sowjetunion 1 710 Städte und etwa 70000 Dörfer in Schutt und Asche 4 . Demographischen Berechnungen zufolge starben im „Großen Vaterländischen Krieg" insgesamt 26,6 Millionen Sowjetbürger 5 - unter ihnen 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene, 2,4 Millionen sowjetische Juden und weitere 500000 Menschen, die infolge des Partisanenkriegs umkamen. N o c h größer war die Zahl derer, die als Verstümmelte, Heimatlose, Gebrochene, Verwitwete und Verwaiste zurückblieben. Schon im Januar 1942 bezeichnete einer der führenden Köpfe des deutschen Widerstands den Ostkrieg als „ein gigantisches Verbrechen" 6 . Eindrücke wie diese mussten sich nicht nur den Beobachtern aus der Ferne aufdrängen. Das alles sei „schon mehr Mord als Krieg", schrieb ein deutscher Feldwebel im November 1941, der in einem Kriegsgefangenenlager Dienst tat 7 .

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Charles Baudelaire, Les Fleurs du mal. Introduction et notes de Blaise Allan, Paris 1995, S.98f.: „Ich bin die Wange und der Streich/Ich bin das Messer und die Wunde/Glieder und Rad zur selben Stunde/Opfer und Henkersknecht zugleich." Stefan George, Der Krieg, Berlin 1917, S.5. Bereits die Eröffnung des Krieges in Form eines Uberfalls auf die Sowjetunion war in mehrfacher Hinsicht völkerrechtswidrig. Er verstieß gegen das internationale Abkommen über den Beginn der Feindseligkeiten vom 18.10.1907, demzufolge diese nur mit einer förmlichen Kriegserklärung beginnen durften, gegen den Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23.8.1939 uncf gegen den Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28.9.1939. Druck: Lodemann (Hrsg.), Kriegsrecht, S.12ff.; ADAP, Serie D, Bd.VII, Dok.228; Bd. VIII, Dok. 157. Zudem verbot der Briand-Kellogg-Pakt, dem das Deutsche Reich am 27.8.1928 beigetreten war, den Krieg „als Werkzeug nationaler Politik". Barber/Harrison, Soviet H o m e Front, S. 42 f. Auch zum Folgenden. Von diesen sind etwa 11,4 Millionen Menschen als Angehörige der sowjetischen Streitkräfte infolge der Kampfhandlungen gestorben. N o c h mehr Probleme bereitet die Berechnung der zivilen Opfer. D a deren Höhe auch mit Hilfe demographischer Berechnungen ermittelt wurden, sind in der Gesamtzahl die direkten wie die indirekten Folgen des Krieges enthalten, ferner die Opfer infolge deutscher, aber auch sowjetischer Verbrechen. Vgl. Krivosheev (Hrsg.), Soviet Casualities, S. 83 ff.; Erickson, Soviet War Losses, S. 256; Sokolov, Cost of War; Korol, Price of Victory; Zubkova, Die sowjetische Gesellschaft, S.365; Overy, Rußlands Krieg, S.435ff. Moltke, Briefe an Freya 1939-1945, S.340 (Brief vom 6.1.1942). Mit Blick auf die Judenerschießungen, die das Einsatzkommando 8 in Kritschew im November 1941 durchführte. Jarausch/Arnold, Sterben, S.339 (Brief vom 14.11.1941).

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Schluss

Natürlich fallen Anteil und Verantwortung der Wehrmacht an den Verbrechen dieses Krieges sehr unterschiedlich aus. Es gab konkurrierende deutsche Organisationen, die gewissermaßen auf den Rechtsbruch spezialisiert waren, ganz davon abgesehen, dass es sich bei den 26,6 Millionen sowjetischen Toten beileibe nicht nur um Opfer deutscher Kriegs- oder NS-Verbrechen handelt. Die Wehrmacht hat einen Krieg in die Sowjetunion getragen, der dort viele Wirkungen hatte, auch weil er sich dort verselbständigte; erinnert sei an den Partisanenkrieg, der immer auch ein Bürgerkrieg im Innern der Sowjetunion war. Trotzdem, den Mythos von der „sauberen" Wehrmacht braucht niemand mehr zu entlarven 8 . Ihre Schuld ist so erdrückend, dass sich darüber jede Diskussion erübrigt. Thema dieser Untersuchung war daher eine andere Frage. Sie ist komplexer, ihre Beantwortung bereitet mehr Mühe und erfordert viel Zeit. In ihrem Mittelpunkt steht nicht eine abstrakte, anonyme Institution, sondern die Individuen, die ihr angehörten. Ihre Zahl wird auf 17 bis 18 Millionen Menschen geschätzt, diejenigen, die in der Sowjetunion im Einsatz waren, auf etwa 10 Millionen 9 . Welche Folgen hatte das für sie? U n d vor allem: Wieweit sind sie dadurch schuldig geworden? Angesichts solcher Dimensionen hat sich diese Arbeit auf einen kleinen Ausschnitt der Wehrmacht konzentriert. Unter drei Einschränkungen im Hinblick auf Organisation, O r t und Zeit - das heißt in diesem Fall: die deutschen Landstreitkräfte, den Kriegsschauplatz Sowjetunion sowie das erste Jahr des deutsch-sowjetischen Krieges, die Zeit von Juni 1941 bis Juni 1942 - wurden Pars pro Toto fünf deutsche Formationen ausgewählt: zwei Infanteriedivisionen (45. und 296.), eine Panzer- (4.) und eine Sicherungsdivision (221.) sowie die Kommandantur eines Rückwärtigen Armeegebiets (580). Diese fünf Verbände hatten eine einzige Aufgabe: gegen die Sowjetunion Krieg zu führen. D o c h taten sie das auf mehr als eine Weise. Denn diese fünf Formationen unterschieden sich nicht nur von ihren Ausgangsbedingungen - ihrer Größe und Organisation oder dem „Menschenmaterial", aus dem sie sich rekrutierten. Auch ihre Funktion und damit das, was sich in ihrem Fall unter Allerweltsbegriffen wie „Einsatz" oder „Krieg" verbirgt, konnte sehr variieren. Allein der Ort, an dem dieser Einsatz stattfand, ist ein Kapitel für sich. Verglichen mit den 164 Divisionen und 3,3 Millionen Soldaten des Ostheers (Stand Juni 1941) handelte es sich bei diesen fünf Verbänden und ihren etwa 6 0 0 0 0 Mann nur um einen kleinen Ausschnitt. Trotzdem lassen sie sich typologisch gewissermaßen als Archetypen dieser riesigen Streitmacht verstehen und in der Kombination unseres Samples auch als ein Modell, das der institutionellen, räumlichen und zeitlichen Komplexität des Geschehens Rechnung trägt. An diesem Modell sollte - um auf die Ausgangsfragen dieser Studie zurückzukommen - überprüft werden, wieweit es im Falle der Wehrmacht legitim ist, von einer Organisation auf ihre Angehörigen zu schließen. Wurden sie in eben diesem Maße schuldig wie „die" Wehrmacht, deren Teil sie waren? Selbst für unseren Ausschnitt lässt sich diese Frage niemals erschöpfend beantworten, sozusagen Mann für Mann.

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Vgl. etwa das Cover der 2008 erschienenen Studie von Römer, Kommissarbefehl, die nun „endgültig die Legende von der .sauberen Wehrmacht'" zerstöre. Vgl. mit den Nachweisen in der Einleitung. Auch zum Folgenden.

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Möglich ist dagegen, ihren Einsatz in der Sowjetunion, ihren militärischen Alltag, so präzise und differenziert darzustellen, dass dessen Strukturen sichtbar werden. Gerade dafür eignen sich militärische Organisationen von der Größe einer Division sehr gut. Sicher ist: Die fünf Verbände, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen, haben viele Verbrechen zu verantworten (Kapitel 5). Die Liste der Tatbestände ist lang: Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gegenüber der Zivilbevölkerung, systematische Unterversorgung der Kriegsgefangenen, Misshandlungen, Plünderung, Ausbeutung, Repressalien, flächendeckende Verwüstung und immer wieder Morde, Morde, Morde. Dabei entlastet es nicht gerade die Täter, wenn diese Verbrechen nur selten im Chaos der Schlacht verübt wurden, die geprägt war von Dynamik, Unberechenbarkeit und Interaktion. Vielmehr kamen die meisten Kriegsgefangenen, Zivilisten oder sowjetischen Funktionäre gerade nicht im Kampf ums Leben, und auch die übrigen Vergehen ereigneten sich meist erst dann, wenn die eigentlichen Kämpfe schon längst abgeflaut waren. Wie stellt sich das Bild im Einzelnen dar? Von den fünf Verbänden unseres Samples hatte die 221. Sicherungsdivision mit Abstand die meisten Verbrechen zu verantworten. Das gilt für fast alle verbrecherischen Handlungsfelder, um die es in dieser Untersuchung ging: den Völkermord, den massenhaften Tod der sowjetischen Kriegsgefangenen, die Liquidierung der sowjetischen Nomenklatura oder den Partisanenkrieg, der auf dem Rücken der einheimischen Bevölkerung ausgetragen wurde. Eine Ausnahme bildet lediglich die Devastation, die Taktik der „Verbrannten Erde"; dass sich die 221. im Winter 1941/42 daran beteiligte, war Zufall. Hier handelte es sich gewöhnlich um einen Verbrechenskomplex, der fast ausschließlich in die Verantwortung der Fronttruppe fiel. Nicht sehr viel besser sieht die Bilanz des Korück 580 aus. Allerdings sind in seinem Fall einige Einschränkungen angebracht: Aufgrund seiner anfänglichen Schwäche fungierte dieser frontnahe Besatzungsverband im Jahr 1941 eher als Komplize, etwa wenn er Himmlers SS- und Polizeieinheiten zuarbeitete. Erst mit seiner systematischen „Aufrüstung" seit Frühjahr 1942 wurde dieser Korück dann wirklich handlungsfähig. Allerdings verfügte er damals mit Generalleutnant Agricola bereits über einen neuen Kommandanten, der maßvoller und humaner agierte als seine Vorgänger. So gelang es ihm beispielsweise, die Verhältnisse in „seinen" Kriegsgefangenenlagern entscheidend zu verbessern. U m so stärker ist freilich der Gegensatz zu der verhängnisvollen Rolle, die dieser Korück nach wie vor im Partisanenkrieg spielte. Dieses düstere Ranking von Verbrechen und Schuld wird fortgesetzt durch die 4. Panzerdivision. Obwohl die Verbrechensdichte bei der kämpfenden Truppe generell deutlich geringer war als bei den Besatzungsverbänden - so jedenfalls der Befund, der sich aus den vorliegenden Quellen ergibt - , waren im Winter 1941/42 zwischen einer Sicherungsdivision und den „Vierern" kaum noch Unterschiede zu erkennen. Auf das Konto dieser Panzerdivision gingen Morde an Kriegsgefangenen, Kommissaren, Zivilisten und vermutlich auch Juden, um nur die schwersten Verbrechen zu nennen. Bei den beiden Infanteriedivisionen lässt sich ein solch extremer Verrohungsprozess nicht beobachten, sehr wohl aber eine Beteiligung an den Untaten dieses

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Krieges. Dass bei einem Vergleich die 296. deutlich schlechter abschneidet als die 45. Infanteriedivision, ist vor allem in der Rolle begründet, die erstere beim Judenmord spielte. Dagegen scheint die 45. I D , fasst man alle Ergebnisse zusammen, noch am ehesten den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges entsprochen zu haben. Doch gilt das nur in Relation zu ihrem Umfeld. Denn auch diese Division hat Verbrechen zu verantworten, erinnert sei etwa an ihr Verhalten während der Kämpfe von Brest-Litowsk, bei der Besetzung von Pinsk oder im Winter 1941/42. Das heißt: Alle fünf Verbände, um die es in dieser Studie ging, wurden im ersten Jahr des deutsch-sowjetischen Krieges schuldig an Kriegs- und oft auch NS-Verbrechen. Allerdings: Das Ausmaß ihrer Beteiligung an diesen Verbrechen konnte sehr variieren; die Gewalteskalation war kein Dauerzustand. Und: Neben dem Verbrechen gab es auch die Normalität eines militärischen Alltags, der mit dem Begriff des „Vernichtungskriegs" kaum adäquat beschrieben ist. Individuelle Schuld oder Verantwortung sind bei all dem nur schlaglichtartig erkennbar geworden. Auch ist der genaue Anteil derer, die den Scharfmacher spielten, oder jener, die sich der Radikalisierung des Krieges verweigerten, nur schwer zu bestimmen. Das liegt schon an den Quellen, in denen das Individuum häufig hinter den Apparat zurücktritt. Sehr viel klarer abgezeichnet hat sich dagegen anderes: die Größenordung dieser Untaten, ihr Stellenwert im Alltag der Truppe, die Voraussetzungen des Rechtsbruchs, Sozialprofil und Mentalität der Tätergruppen und nicht zuletzt auch ganz spezielle „Handschriften", für die oft einzelne Multiplikatoren innerhalb des militärischen Apparats - das konnten Generale sein, aber auch Subalternoffiziere - die Verantwortung trugen. Allerdings wäre es nicht nur einseitig, es wäre schlichtweg falsch, die facettenreiche Geschichte der Wehrmacht auf die Geschichte ihrer Verbrechen zu reduzieren. Dies mag vielleicht dem Verständnis einer arbeitsteilig organisierten Wissenschaft entsprechen, wird aber dem Ereignis und der Organisation, um die es hier geht, kaum gerecht. Das gilt auch für den Aspekt des Rechtsbruchs. Löst man ihn aus seinem Kontext, so fehlt bereits der Maßstab, um seinen Stellenwert zu bestimmen, den er für die einzelne Einheit bzw. für die Wehrmacht insgesamt hatte. Für sie aber war das Verbrechen keine feste Größe, unser Ausschnitt ist dafür der beste Beweis. Vielmehr hing die Frage, wie weit dem Prinzip Vernichtungskrieg Rechnung getragen wurde, ab von externen Faktoren wie Institution, Raum, Zeit und Krieg. Beginnen wir mit der Institution (Kapitel 1 und 2). Bereits Organisation, Funktion, Ausrüstung und Einsatzgrundsätze einer militärischen Formation verraten im Grunde sehr viel über ihr Verhalten im Krieg. Wie in jeder modernen Armee so basierte auch die Organisation der Wehrmacht auf den Prinzipien von Spezialisierung und Arbeitsteilung. Einen Eindruck von ihrer Komplexität und Größe hat der organisationsgeschichtliche Uberblick vermittelt. Angesichts der unzähligen Varianten von Dienstgrad, Dienststellung, Aufgaben und institutionellem Umfeld fällt es schwer, selbst in einer einzigen Division so etwas wie den Durchschnittssoldaten zu definieren. Kommen verschiedene Divisionstypen oder gar Teilstreitkräfte ins Spiel, dann potenzieren sich diese Unterschiede. Auch der Umstand,

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dass die Wehrmachtsführung wirklich alle personellen und materiellen Ressourcen für die Vorbereitung des „Unternehmens Barbarossa" zusammenkratzen musste, war sicherlich kein Beitrag zur Vereinheitlichung dieses Millionen-Heers. Noch größer werden diese systemimmanenten Differenzen bei einer Berücksichtigung der „weichen" Charakteristika eines militärischen Kollektivs, also Aspekten wie Professionalität oder Leistungs- und Leidensfähigkeit, die wiederum mit der Mentalität und dem Sozialprestige dieser militärischen Milieus korrespondieren. Davon war ausführlich die Rede - von Kampfkraft und Selbstbewusstsein der 4. Panzerdivision, von den bescheidenen militärischen Möglichkeiten der beiden Besatzungsverbände, die dennoch ohne jede Rücksicht auf Alter, Ausrüstung und Ausbildung in den Kampf geworfen wurden, oder von den beiden Infanteriedivisionen, die quasi die unermüdlichen Arbeitspferde des Ostheers darstellten, wobei in diesem Fall der militärische „Abstieg" der „alten" 45. ID und die „Emanzipation" der „neuen" 296. ID auffällt. Deutlich wird bei diesem Vergleich auch, welche Faktoren eine Radikalisierung einer Formation besonders begünstigen konnten. Im Falle der 4. Panzerdivision etwa waren es ihr Herkommen - eine Region, in der der Nationalsozialismus überdurchschnittlich erfolgreich war - , ihr Kommandeur, der sich zunächst stark mit dieser Ideologie identifizierte, der Elitecharakter dieser Division und schließlich ihre Funktion im Krieg; von den motorisierten Divisionen wurde am meisten erwartet - auch dann, wenn ein Krieg nicht programmgemäß verlief. Trotz seiner organisatorischen und sozialen Vielfalt agierte das Ostheer letzten Endes nur auf zwei großen Feldern: in der Kriegführung und der Besatzungspolitik. Und demzufolge zerfiel dieses Heer in zwei Gruppen - in eine sehr große, die primär an der Front im Einsatz war, und in eine sehr kleine, bei der dies vor allem im Hinterland der Fall war. Dieses Hinterland ist keine „Erfindung" 10 , im Gegenteil: Die konsequente Trennung des Ostheers in diese beiden Gruppen und Einsatzräume lässt sich bis in seine „Baupläne" zurückverfolgen. War in den Kampfdivisionen der Wehrmacht so gut wie alles auf das Herbeiführen einer militärischen Entscheidung ausgerichtet - so unterschiedlich die Funktionen ihrer Angehörigen dort dann auch im Einzelnen sein mochten - , so war die Kampfkraft der Besatzungsverbände zunächst stark zurückgefahren. Erst aufgrund der Destabilisierung des Hinterlands mutierten diese militärischen „Dienstleister" allmählich in eine halbwegs schlagkräftige Anti-Partisanen-Truppe, die freilich stets auf die Unterstützung von außen angewiesen blieb - auf Hilfswillige, Verbündete und auch die „manpower" von SS und Polizei. Ursprünglich aber standen bei den Sicherungsdivisionen und Korücks andere Aufgaben im Vordergrund: neben der passiven Sicherung die Verwaltung und Umgestaltung der okkupierten Gebiete. Da die politische Führung der Wehrmacht nicht wirklich traute, hatte sie gerade die Besatzungsverbände in ihren Griff genommen und diese systematisch mit nicht-militärischen Einheiten verzahnt, mit der Polizei etwa oder der Wirtschaftsorganisation Ost. Die Wehrmachtsführung hatte - das war das Problem - daran in der Regel nichts auszusetzen, so dass es auch diese politischen Exekutiv- und Kontrollorgane waren, die diesen Teil der Wehrmacht so „funktionieren" ließen, wie sich das 10

So Heer, Hitler war's, S.238f.

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die politische Führung vorstellte. Bei den Kampfverbänden waren solche „Aufpasser" nicht vorhanden, zumindest nicht auf einer so niedrigen militärischen Hierarchieebene; sie fanden sich hier erst im Bereich der Armeeoberkommandos. Die „Truppe" aber, die Divisionen, Regimenter und Kompanien, blieb in ihrem Mikrokosmos lange Zeit erstaunlich autonom 1 1 , schon weil sie mindestens bis Ende 1943 so organisiert war wie früher. Gewiss lassen sich viele Bestimmungen und Befehle aufzählen, die unterschiedslos für alle Angehörigen des Ostheers galten. D o c h lohnt die Überlegung, ob für ihr Verhalten die Bedeutung dieser heterogenen institutionellen Voraussetzungen im Grunde nicht viel größer war. Denn erst mit ihnen entschied sich, wo ein Soldat in diesem Krieg eingesetzt wurde, welches institutionelle Umfeld er dort vorfand, und vor allem: was er dann dort konkret tat. Der Faktor Institution fand seine Entsprechung im Faktor Raum (Kapitel 4). Auch dieser war nicht allein eine militärische Größe. Da das „Unternehmen Barbarossa" von Anfang an auf Eroberung von „Lebensraum" zielte, war es von vornherein angelegt wie ein riesiger Verdauungsprozess: Während sich die kämpfende Truppe immer tiefer in das gegnerische Reich hineinfraß, blieb es den dahinter stationierten Einheiten vorbehalten, diese Beute zu „verdauen", oder genauer: sie in einen riesigen kolonialen Ergänzungsraum zu verwandeln, ausgerichtet nach den rassistischen Mustern der NS-Ideologie. Natürlich war das „Unternehmen Barbarossa" ein einziger Krieg, wie könnte es auch anders sein 12 ? Einsichtig ist freilich auch, dass sich die persönliche Verantwortung des durchschnittlichen Kriegs-Teilnehmers kaum über eine Art Durchschnittsquotienten erschließt. Ein General hatte viel mehr zu verantworten als ein Gefreiter, die persönliche Bilanz eines Richtkanoniers sah wiederum ganz anders aus als etwa die eines Offiziers, dem ein Kriegsgefangenenlager unterstand. Verantwortung „fürs Ganze" trugen nur sehr wenige, sie saßen in den höchsten Führungsspitzen. Dagegen können die „ordinary men", also mit Abstand die meisten, persönlich nur f ü r das haftbar gemacht werden, was sie selbst taten. Sie waren Teil eines Apparats, zu dessen herausstechenden Strukturmerkmalen das System der Arbeitsteiligkeit, eine immense Größe und schließlich auch das Prinzip einer abgestuften Verantwortung gehörten. Für die Verbrechen der Wehrmacht gilt dasselbe wie f ü r die übrigen Verbrechen des Nationalsozialismus - sie waren das Produkt großer, anonymer und arbeitsteilig organisierter Apparate 1 3 , und die Rolle, die der Einzelne darin spielte, hing ab von seiner hierarchischen Stellung, seiner Funktion und nicht zuletzt von seinem Einsatzort. Uber diesen Einsatzort entschied sich viel. Dass sich „vorne", an den H a u p t kampflinien, die kämpfende Truppe ganz auf ihren militärischen Auftrag konzent11

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Vgl. mit dem Urteil von Pohl (Herrschaft der Wehrmacht, S.338), der auf „eine relativ hohe Binnenautonomie" der Wehrmacht „mit einer durchaus breiten Meinungsvielfalt innerhalb des konservativen bis rechtsextremistischen Spektrums" verwiesen hat. Vgl. stattdessen Heer, Hitler war's, S.247: „Der Vernichtungskrieg im Osten war ein Krieg. Hartmann will uns glauben machen, es habe deren zwei gegeben — einen im Hinterland und einen an der Front." Vgl. hierzu den Überblick von Feldman/Seibel, Networks of Nazi persecution. Ferner: Seibel/ Raab, Verfolgungsnetzwerke.

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rieren musste, lag nicht allein am Charakter eines Krieges, der etwas anderes kaum zuließ. Es lag auch im Interesse der gesamten deutschen Führung, Hitlers und seiner Generäle, denen es dabei nicht nur um militärische Interessen ging. Während das O K H zumindest das Gros seiner Truppen aus den politischen Aufgaben dieses Weltanschauungskriegs möglichst herauszuhalten suchte (was ihm freilich nur schwer gelingen konnte), wusste wiederum Hitler sehr wohl, warum er Aufgaben dieser Art aus der Wehrmacht gewissermaßen „outgesourct" hatte. Mit zunehmender Entfernung zu den Bruchlinien dieser militärischen Auseinandersetzung begannen sich die politischen Ziele dieses Krieges immer deutlicher abzuzeichnen. Denn Distanz zur Front bedeutete auch, dass die neuen Herren Zeit gehabt hatten, sich einzurichten, und dass nun neben der Wehrmacht zunehmend nicht-militärische Organisationen auf den Plan traten, die primär ideologische, politische oder wirtschaftliche Ziele verfolgten. War ein Soldat in einem solch frontfernen Umfeld eingesetzt, dann wuchs zwangsläufig auch die Wahrscheinlichkeit seiner Beteiligung an jener brutalen „Umgestaltung" der besetzten Gebiete, bei der die deutsche Führung von vorneherein einkalkuliert hatte, dass dabei „zig Millionen" der vor Ort lebenden Menschen umkommen würden 14 . Doch hatten die strukturellen Unterschiede zwischen einem Einsatz an der Front oder im Hinterland auch rechtliche Voraussetzungen. An der Front trafen die deutschen Soldaten meist auf einen wehrhaften Gegner, hier bestand eine Art Symmetrie der Gewalt, für die das geltende Kriegsrecht weit bemessene und zudem nicht immer klar definierte Spielregeln abgesteckt hatte. Daran konnte sich ein Aggressor selbst dann halten, wenn er im Anschluss daran plante, den Gegner zu unterjochen, auszubeuten oder ganz auszulöschen. Davon abgesehen sprachen auch praktische Gründe dafür, dass es sich spätestens in der Todeszone der Front nicht immer empfahl, mit der Attitüde des Herrenmenschen aufzutreten. Man lebte hier in unmittelbarer Nachbarschaft zum Feind und konnte nie wissen, ob dieser nicht einmal Rechenschaft fordern würde für das, was hier passierte. Im Hinterland war das anders. Hier bewegten sich die deutschen Soldaten in einem zivilen, zunächst wehrlosen Umfeld, in dem sie eine Besatzungspolitik exekutieren sollten, die mit einer Fürsorgepflicht im traditionellen Sinne nur noch wenig zu tun hatte. Dabei waren es doch gerade die Wehrlosen: Verwundete, Kriegsgefangene oder Zivilisten, die seit alters her unter dem besonderen Schutz von Kriegsbrauch und Kriegsrecht standen. Natürlich waren diese Wehrlosen auch an den - freilich schmalen - Hauptkampflinien präsent, auch neigt die militärische Interaktion per se zur Radikalisierung. Schon deshalb konnten die Massenverbrechen des Hinterlands bis in die äußersten Ränder des deutschen Machtbereichs reichen, andere Verbrechenskomplexe wie die „Verbrannte Erde" oder teilweise auch die Ermordung der gefangenen Kommissare besaßen ihre Schwerpunkte auch im Frontbereich. Doch ändert das nichts an den strukturellen Unterschieden zwischen den Einsatzorten: Front und Hinterland. Schon aufgrund der militärisch-politischen und völkerrechtlichen 14

Aus der Aktennotiz der Staatssekretärsbesprechung über das Unternehmen Barbarossa vom 2 . 5 . 1 9 4 1 , in: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa", S.377. Ebenso Himmler bei seiner Ansprache auf der Wewelsburg im Juni 1941. Vgl. Longerich, Himmler, S. 540. Generell zu dieser Strategie vgl. Gerlach, Morde, S. 231 ff., 1127 ff.

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Rahmenbedingungen war die Möglichkeit, im Hinterland kriminell zu werden, ungleich größer. Dazu trug zwangsläufig auch die geringe Stärke der deutschen Besatzungsverbände bei. Ihre verhältnismäßig kleine Zahl steht in einem auffälligen Kontrast zur Dimension ihrer Verbrechen. Schon deshalb verfügten diese „Etappen-Soldaten", die doch von ihrem Prestige ganz unten im Ostheer rangierten, häufig über Schlüsselpositionen, erinnert sei an die Rolle der Lagerverwaltungen, an die der Ortskommandanturen beim Völkermord oder an die „Befriedungs"-Maßnahmen der Sicherungskräfte. So gesehen ist unser Ausschnitt immer auch ein Beispiel dafür, dass der Einsatz an der Front etwas anderes darstellte als der in den rückwärtigen Gebieten - auch unter dem Aspekt des Verbrechens. Doch gab es Ausnahmen, verwiesen sei auf die Radikalisierung der 4. Panzerdivision seit Herbst 1941, die freilich auch deshalb ins Auge sticht, weil es sich hier um eine exzeptionelle Entwicklung handelt - zeitlich und auch institutionell begrenzt, zumindest mit Blick auf die benachbarten .Froniabschnitte. Allerdings waren selbst in dieser Ausnahmesituation die strukturellen Unterschiede zwischen Gefechts- und Besatzungsgebiet noch wirksam. Besonders schlimm haben sich die ausgebrannten Einheiten der 4. Panzer- (und teilweise auch der 45. Infanteriedivision) immer dann aufgeführt, wenn sie einmal „hinten" zum Einsatz kamen, während sich wiederum die Besatzungsverbände bei ihren zeitlich befristeten Frontkommandos rasch an die dort üblichen Gepflogenheiten anpassten, erinnert sei an das Beispiel der 221. Sicherungsdivision. Auch diese Ausnahme unterstreicht nochmals die besondere Bedeutung des Einsatzraums, der nicht einfach willkürlich zugewiesen wurde. Situationen wie die im Winter 1941/42 waren selten. Die Regel war vielmehr, dass sich an der Front mit Abstand die meisten Verbände des Ostheers konzentrierten, während ein Einsatz im Hinterland nur wenigen schwachen Formationen vorbehalten blieb 15 . Nicht nur mit Hilfe des Raums lässt sich der Einsatz der Wehrmacht in der Sowjetunion präziser und differenzierter darstellen. Auch über den Faktor Zeit ist das möglich (Kapitel 3). Beim Blick in den Mikrokosmos des militärischen Geschehens offenbart sich, wie schnell sich dieser Krieg radikalisieren konnten. Im Juni/Juli 1941 während der erbitterten Durchbruchsschlachten war das der Fall oder ab Herbst 1941, als sich auf deutscher Seite die Zuspitzung der militärischen Lage und die Verbreitung des Reichenau-Befehls zeitlich überkreuzten. Doch han-

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Das waren entweder reine Sicherungsverbände, sehr wenige Infanteriedivisionen, die von ihrer Stärke, Ausrüstung und Erfahrung faktisch kaum etwas anderes darstellten als die Sicherungsdivision - zu ihr gehörte auch die berüchtigte 707. I D - und schließlich seit 1942 auch einige Ausbildungsverbände. Insgesamt handelte es sich bei diesen Formationen aber nur um einen sehr kleinen Teil des Ostheers. Einheiten der kämpfenden Truppe kamen aufs Ganze gesehen nur kurzfristig im Hinterland zum Einsatz - entweder, weil sie so „abgekämpft" waren, dass sie für einen Fronteinsatz nicht mehr taugten oder seit 1942 auch für die „Großunternehmen". F ü r die Zeit von Februar 1942 bis Juni 1944 sind insgesamt 68 solcher Großunternehmen bekannt geworden; an 33, etwa der Hälfte, hat sich die Wehrmacht beteiligt, aber nur an 13 sicher mit einzelnen Fronteinheiten. Vgl. die Ubersichten bei Röhr, Forschungsprobleme, S.202f.; Hesse, Partisanenkrieg, S.319ff.; Gerlach, Morde, S. 899f. Weitere Angaben in: Chant, Encyclopedia of Codenames of World War II; Uhlich, Deutsche Decknamen des Zweiten Weltkrieges. Ferner Lieb, Judenmorde, S.531.

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delte es sich dabei nicht um Einbahnstraßen 1 6 . Vielmehr wurde diese wellenförmig auf- und abflauende Eskalation der Gewalt auch immer wieder unterbrochen von Phasen, in denen zumindest das Geschehen an der Front vergleichsweise konventionell wirkte und sich kaum von dem unterschied, was an den übrigen Fronten des Zweiten Weltkriegs passierte. Auch lehrt unser Ausschnitt, dass viele Offiziere nach den Erfahrungen des Jahres 1941 vorsichtiger geworden waren; das besaß nicht allein militärische Ursachen. Nicht nur in den Verbänden unsers Samples war seit Frühjahr 1942 die Einsicht immer häufiger zu hören, dieser Krieg sei nur mit, aber nicht gegen „den Russen" zu gewinnen 1 7 . Allerdings zeigt unser Ausschnitt auch, dass es im Hinterland für einen politischen Kurswechsel bereits zu spät war. Die Radikalisierung der deutschen Besatzungspolitik im Herbst 1941 - erinnert sei an den Ubergang zum Genozid bei der Verfolgung der Juden, an die beginnende Ermordung der versprengten sowjetischen Kriegsgefangenen und schließlich an die flächendeckende Bekämpfung der Partisanen, die vor allem durch den dehnbaren Begriff des „Partisanenhelfers" jedes Maß verlor - hatte hier eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, die sich durch die deutsche Politik der begrenzten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zugeständnisse nicht mehr anhalten ließ. So gesehen wurde der Winter 1941/42 auch im Hinterland zum Wendepunkt. Dafür steht das Beispiel des Korück 580. Auf diese Voraussetzungen und Entwicklungen aber nahm die militärische Personalpolitik - um nochmals den Faktor Institution ins Spiel zu bringen (Kapitel 1 und 2) - keine Rücksicht. Während die jüngeren und leistungsfähigen Soldaten fast ausnahmslos an die Front kamen, stationierte die Wehrmachtsführung die älteren und militärisch weniger qualifizierten meist im Hinterland. Damit lag die praktische Umsetzung einer militärischen Besatzungspolitik nach den Mustern der NS-Ideologie ausgerechnet in den Händen jener Soldaten, deren Alter, politische Sozialisation und Lebenserfahrung vermuten ließen, dass sie sich mental dafür am wenigsten eigneten 18 . Aus diesem Widerspruch ergeben sich eine ganze Reihe aufschlussreicher Hinweise - auf das Funktionieren des militärischen Apparats, auf die Mentalität der militärischen „Täter" und schließlich auch auf die Genese der Wehrmacht-Verbre16

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Zwar meinte ein Kenner wie der Generaloberst Schmidt: „Je länger der Krieg dauert, um so weniger ist eine Vergröberung und Verwilderung der Sitten zu vermeiden. Im Interesse von Schlagkraft und Disziplin der Truppe muß sie aber unbedingt in Grenzen gehalten werden." D o c h deutete er bereits hier an, dass er durchaus bereit war, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. B A - M A , R H 21-2/301: Pz. A O Κ 2, Abt. IV b, „Seelische Gesundheitsführung der Truppe" vom 14.4.1942. Vgl. hierzu Hürter, Heerführer, S.449ff.; Pohl, Herrschaft, S. 170ff. Die These, dass der Partisanenkrieg „sehr bald zum feststehenden Bestandteil der Rekrutenausbildung" geworden sei, damit die jungen Soldaten „dem Tod in seiner triumphierenden Gestalt begegnen" durften, klingt gut, geht aber völlig an der damaligen Realität vorbei. Seit 1942 waren einige Ausbildungsaivisionen zeitweise im Hinterland stationiert, auch gab es Ersatz- und Ausbildungs-Bataillone, u.a. auch der Luftwaffe, die dort im Einsatz waren. D a s änderte aber nichts daran, dass hier nur ein Bruchteil der deutschen Rekruten sozialisiert wurde. Ansonsten aber blieb das Hinterland das bevorzugte Einsatzgebiet der älteren Soldaten. Davon abgesehen dürften der Entscheidung, im Hinterland Rekruten einzusetzen, primär militärische, aber kaum ideologisch-psychologische Motive zugrunde gelegen haben. Heer/Naumann, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Vernichtungskrieg, S. 25-36, hier S. 31.

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chen. Man könnte daraus schließen, dass die weit überwiegende Mehrheit des Ostheers die NS-Ideologie doch so weit verinnerlicht hatte oder wenigstens doch akzeptierte, dass selbst diejenigen einen rassenideologischen Vernichtungskrieg führten, die dazu eigentlich am wenigsten prädestiniert schienen. Doch ist auch eine ganz andere Deutung möglich: Es waren nicht die persönlichen Voraussetzungen, die darüber entschieden, ob Soldaten zu Mördern wurden. Die Entscheidung hierüber fällte ein seelenloser militärischer Apparat, das Gehorsamsprinzip und die Zufälligkeit des Jahrgangs oder des Einberufungsbescheids. Das soll nicht heißen, die Basis hätte nur aus Zwang gehandelt; sie konnte das durchaus auch aus Uberzeugung - mal mehr, mal weniger, der genaue Anteil ist kaum zu bestimmen, schon weil es sich dabei sehr wahrscheinlich nicht um eine feste Größe handelte. Doch spielten Meinungen oder persönliche Motive in diesem Zusammenhang bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Was wirklich zählte, waren die Befehle des militärischen Apparats. Wenige Stichwortgeber hatten sie formuliert, viele Offiziere gaben sie weiter. Auffallend oft bildeten erst diese Befehle das Zündkraut, welches die Gewalt zur Explosion brachte. Es passt in diesen Zusammenhang, wenn zumindest in den vorhandenen Zeugnissen Hinweise auf spontane Gewaltexzesse der Wehrmacht in der Sowjetunion viel seltener zu finden sind 19 . Bekanntermaßen können die Mechanismen eines hierarchischen Apparats jene nicht wirklich entlasten, die im Auftrag dieses Apparats gegen Recht und M o ral handeln. Auch das Ostheer konnte nur deshalb funktionieren, weil der Führung eine disziplinierte, gehorsame und motivierte Basis zu Verfügung, die viel zu oft bereit war, dem Willen dieser Führung unter allen Umständen Rechnung zu tragen. Nicht allein der militärische Apparat und das politische System forderten unbedingten Gehorsam. Nicht weniger unerbittlich war der Mahlstrom dieses nicht enden wollenden Krieges (Kapitel 3), den das Deutsche Reich mutwillig vom Zaun gebrochen hatte. Je niedriger man in der militärischen Hierarchie stand, desto stärker waren seine Zwänge zu spüren. Allerdings hatte dieser mehr als nur ein Gesicht, wie eine verbrauchte Metapher glauben machen will. Die Auseinandersetzung zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der stalinistischen Sowjetunion war so gewaltig, besaß so viele Facetten, beanspruchte so viel Zeit und so viele Schauplätze, dass generalisierende Aussagen nur für das Geschehen im Ganzen möglich sind. Natürlich waren alle Kriegsteilnehmer diesen strategischen Determinanten unterworfen. Doch begannen sich ihre Folgen schon auf der darunter liegenden, operativen Ebene, so aufzufächern, dass sich Erleben und Handeln dieser Kriegsteilnehmer entsprechend diversifizierten. O b sich der Krieg nach Osten, nach Westen oder überhaupt nicht bewegte, blieb demgegenüber sekundär, wichtiger war die Funktion der jeweiligen Formation, zu der der einzelne Soldat gehörte. Hier existierten viele Möglichkeiten, wie allein die „Divisionsgeschichten" unseres Samples

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Ein solches Ereignis ist etwa das Massaker von Bialystok. Während einige Soldaten sich an den Verbrechen des Polizei-Bataillons beteiligten, blieben die meisten Soldaten passiv. Die Hauptschuld aber trägt die Führung der 221. Sicherungsdivision, die diese Ereignisse einerseits zu vertuschen suchte, andererseits aber die Mörder noch auszeichnete.

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veranschaulichen, selbst wenn in ihnen die Signaturen der „Großen Strategie" stets präsent blieben. So vielschichtig diese militärischen Rahmenbedingungen waren, so vielschichtig mussten die Reaktionen derer ausfallen, die ihnen ausgesetzt waren. Gewiss trugen nicht nur die Verwerfungen „des" Krieges oder einige, weit entfernte Führungszentralen, die Verantwortung für das, was in dieser Auseinandersetzung dann konkret passierte. Das war - in einem sehr direkten, unmittelbaren Sinne - immer auch das Werk von Millionen von Menschen. Trotzdem erlebten gerade die „ordinary men" dieses Produkt individuellen Verhaltens immer als etwas Uberindividuelles, dem sie sich in ihrer subjektiven Wahrnehmung mehr oder weniger hilflos ausgeliefert fühlten, schon weil Krieg, Armee und Diktatur ihre Reaktionsmöglichkeiten extrem einschränkten. Dass dies für beide Seiten, die deutsche wie die sowjetische, galt, machte die Sache nicht einfacher. Vielmehr musste der Umstand, dass sich hier zwei totalitäre verbrecherische Regime förmlich ineinander verbissen, die Handlungsspielräume derer, die diesen Kampf zu führen hatten, noch weiter einengen. Eine Alternative bot sich kaum; jeder, der aus dieser Frontstellung auszubrechen suchte, lief Gefahr, zwischen die Mühlsteine zweier monströser Diktaturen zu geraten. Auch unser Sample bietet viele Beispiele dafür, dass oft schon das militärische Geschehen reichte, um das Handeln dieser Soldaten in ganz bestimmte Bahnen zu lenken: Warum wurde ausgerechnet die 296. ID zum Zeugen des Judenmords? Weil sie als Reservedivision fungierte. Warum begann die 4. Panzerdivision gerade seit Spätherbst 1941 den Freibrief zur Gewalt zu nützen, den ihr die Führung ja schon längst ausgestellt hatte? Weil sie genau zu diesem Zeitpunkt die hohen militärischen Erwartungen ihrer Führung nicht mehr erfüllen konnte, so dass sie ihre Verzweiflung und Frustration nun zunehmend an der wehrlosen sowjetischen Zivilbevölkerung abreagierte. Und warum gelang es den Besatzungsverbänden 1942 nicht mehr, ihre Herrschaft grundlegend zu reformieren? Weil sich ihre Auseinandersetzung mit den Partisanen bereits so verselbständigt hatte, dass diese ihre eigenen Gesetze entwickelte, welche die vor Ort eingesetzten Soldaten nur schwer ignorieren konnten. Obwohl man diese Beispiele leicht fortsetzen könnte, wäre es grundfalsch, Handeln und Verbrechen der deutschen Kriegsteilnehmer ausschließlich mit der Situation des Krieges zu erklären. Den Ausschlag gaben die Intentionen und Vorgaben ihrer Führung. Nicht weniger falsch aber wäre es, den dominierenden Kontext des Krieges einfach auszublenden. Denn er erwies sich als der große Katalysator, ohne diesen existentiellen Ausnahmezustand wäre eine Entgrenzung der Gewalt in diesem Ausmaß wohl nie möglich gewesen. Ideologie, Propaganda? Ja, natürlich! Aber erst der Umstand, dass hier zwei totalitär regierte Nationen mit einer geradezu religiösen Inbrunst gegeneinander kämpften, sorgte dafür, dass der Zivilisationsbruch dem „gemeinen Mann" - hüben wie drüben - als etwas völlig „Normales" erscheinen konnte. Wohlgemerkt, das konnte, aber musste nicht so sein - schon allein deshalb, weil dieser Krieg aufgrund seiner Größe viele Gesichter besaß.

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Der Angriff auf die Sowjetunion sei zur „Schicksalssendung der deutschen Wehrmacht" geworden, schrieb der General Walter Warlimont später20. Dies ist etwas altmodisch formuliert, trotzdem trifft es den Kern der Sache. Auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz hat die Wehrmacht alles verloren - den Krieg, nicht nur den gegen die Sowjetunion, zahllose Angehörige, wahrscheinlich an die 2,7 Millionen Mann 21 , und nicht zuletzt ihre Ehre. Denn spätestens bei diesem Projekt, einem der zentralen Anliegen nationalsozialistischer Politik, fungierte die Wehrmacht nicht nur als militärisches Machtinstrument. Ihren Ruf hatte sie damit unwiederbringlich zerstört. Ehre verloren, alles verloren, hieß es früher in der preußischen Armee. Wenn dieses Motto noch gilt, so kann die Wehrmacht schon allein deshalb nicht als institutioneller Anknüpfungspunkt für militärische Traditionen dienen22. Jene, die im Dienst der Wehrmacht standen, wird man von dieser kollektiven Verantwortung nicht freisprechen können. Darüber hinaus aber lässt sich ein Urteil über die Angehörigen dieser Armee nicht auf so wenige Worte und einfache Einsichten reduzieren. Das allein damit zu rechtfertigen, dass sich unter dem mikroskopischen Blick der Historiographie zwangsläufig alles zu differenzieren und diversifizieren beginnt, wäre billig. Auch begründet sich dieser Eindruck nicht allein in der Größe des Geschehens und der Vielfalt, der Widersprüchlichkeit oder den Entwicklungsmöglichkeiten der menschlichen Existenz. Beim Blick in den Mikrokosmos des Geschehens hat sich gezeigt, dass sich Schuld und Verantwortung für die Schandtaten der Wehrmacht sehr unterschiedlich verteilten, was interessanterweise eher funktionale als persönliche Voraussetzungen besaß. Folgenreicher als Meinungen oder Charaktere waren die Weisungen der Zentralinstanzen, das Korsett des militärischen Apparats und die Eigendynamik des Krieges. Selbstverständlich lässt sich ein Geschehen wie dieses nicht auf wenige Strukturen reduzieren, es gab Faktoren, die diese Strukturen beeinflussen, verändern oder auch ganz außer Kraft setzen konnten - erinnert sei an das Prinzip der Auftragstaktik oder die Freiräume, die sich durch den Krieg auftun konnten, die Entfernungen, die zwischen der Truppe und ihren Zentralinstanzen lagen, oder an Hitlers Absicht, diesen Kriegsschauplatz quasi in einen rechtsfreien Raum zu verwandeln, was wiederum viele Folgen haben konnte. Noch folgenreicher aber war ein anderer Punkt: Bei der Wehrmacht handelte es sich um eine Armee des „Ubergangs". Sie war damals einem tief greifenden Transformationsprozess ausgesetzt, der sich auf mehr als einem Feld manifestierte: ideologisch-politisch, sozial, organisatorisch und auch militärisch-technologisch. Dass sie sich zur selben Zeit auch noch einer unvorstellbar harten fachlichen Bewährungsprobe stellen musste, machte die Sache für sie nicht einfacher. Trotzdem hielten selbst führende Nationalsozialisten noch im Jahr 1945, also nach der Zäsur des 20. Juli 1944, die „Gleich-

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Warlimont, Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 3 9 - 4 5 , S. 133. Also etwa die Hälfte aer deutschen militärischen Verluste des Zweiten Weltkriegs. Vgl. Overmans, Verluste, S.210, 265. Ferner: D R Z W , Bd. 5/1, Bd. 5 / 2 (Beiträge Kroener). Vgl. mit den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr. Als traditionsbildend akzeptiert die Bundeswehrführung nur noch drei historische Ereignisse; die preußischen Heeres-Reformen 1807-1813, den 20.Juli 1944 sowie die eigene Geschichte der Bundeswehr.

Schluss

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Schaltung" der Wehrmacht für ein unerledigtes Problem 23 . Um wie viel stärker aber musste sich dieses Problem während der Jahre 1941/42 manifestieren24. Mit einem feinen Gespür für diese Entwicklung hat denn auch ein gut informierter Zeitgenosse wie Ulrich von Hasseil vom „gespaltenen Geist in der verwirrten Wehrmacht" gesprochen, der eben der „echte Führer" fehle25. Während ihr der „echte Führer" fehlte (gemeint war sicherlich nicht Hitler, sondern eine dominierende militärische und moralische Autorität), weil Hitler alle Schlüsselpositionen in O K W und O K H schon längst mit den Leuten besetzt hatte, die allein er favorisierte, blieb die Truppe selbst „gespalten"26. Ohne die Berücksichtigung dieses Bruchs, der damals durch die Wehrmacht ging, ist weder ihre Situation zu verstehen, noch die Tatsache, warum deren Bild so facettenreich, mitunter auch widersprüchlich, wirken kann. Sicher ist, dass dieser Bruch eine sehr große Bedeutung hatte, schon weil er sich als Strukturmerkmal nicht allein auf die Wehrmacht beschränkte. Die Dichotomie vom Maßnahmenund Normenstaat gilt als das entscheidende Charakteristikum des „Dritten Reichs" 27 . Auch in der Wehrmacht war der traditionelle Normenstaat, die alte „Kultur des Krieges" (John Keegan) noch immer präsent 28 . So gesehen lässt sich auch der Aufstand vom 20. Juli 1944 als ein später Reflex einer alten Kriegerkaste begreifen, die das Feld nicht völlig kampflos räumen wollte. Ihn auf einen Machtkampf der Eliten angesichts der drohenden totalen Niederlage zu reduzieren, hieße die Intentionen seiner Protagonisten gründlich missverstehen; sie handelten auch, wie etwa der Generaloberst Ludwig Beck klar hervorhob, weil im Rücken der Wehrmacht „Verbrechen begangen wurden, die den Ehrenschild des deutschen

23 24

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26

27

28

Vgl. Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 15, S.481 (Eintrag vom 12.3.1945). Vgl. mit dem Urteil von Joachim Fest, der vom „Doppelcharakter" des deutsch-sowjetischen Krieges sprach; ähnlich die Einschätzung von Albert Dallin, Bernd Wegner oder Bernhard Chiari. Fest, Hitler, S.886; Dallin, Deutsche Herrschaft, S.83, 308; Wegner, Krieg, S.925; Chiari, Zwischen Hoffnung und Hunger. „Das Ganze ein Beweis für den gespaltenen Geist in der verwirrten Wehrmacht, die keinen echten Führer hat." Hasseils Bemerkung zielte auf einen Kriegsgerichtsrat, der einen Offizier wegen regimekritischer Äußerungen verurteilen sollte und nicht wusste, wie. Der Regimentskommandeur rettete dann die Situation mit der Bemerkung, er bekäme einen Tritt in den Hintern, wenn er seinen Kameraden zu einer hohen Strafe verurteile. Hasseil, Tagebücher, S.307 (Eintrag vom 24.3.1942). Besonders eindrucksvoll in dieser Hinsicht ein Brief Hellmuth Stieffs vom 10.1.1942: „Wen Gott strafen will, den schlägt er mit Blindheit! Wir alle haben so viele Schuld auf uns geladen denn wir sind ja mitverantwortlich, dass ich in diesem einbrechenden Strafgericht nur eine gerechte Sühne für alle die Schandtaten sehe, die wir Deutschen in den letzten Jahren begangen bzw. geduldet haben. Im Grunde genommen befriedigt es mich zu sehen, dass es solch eine ausgleichende Gerechtigkeit auf der Welt gibt! Und wenn ich ihr selbst zum Opfer fallen sollte. Ich bin dieses Schreckens ohne Ende müde." In: Stieff, Briefe, S. 150. Vgl. Fraenkel, Der Doppelstaat. Wenig Beachtung hat bislang die Tatsache gefunden, dass Hitler auch nach dem 22.6.1941 mit zum Teil sehr deutlichen Weisungen auf die Kriegsgerichtsbarkeit des Ostheers Einfluss zu nehmen suchte. Auch dies ist wohl kaum ein Beweis, dass der Kriegsgerichtsbarkeitserlass stets im Sinne des „Führers" umgesetzt wurde. Vgl. Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse", Dok. 130, 153, 211 sowie Weisung des O K W vom 16.12.1942, in: Müller, Okkupation, Dok. 53. Vgl. etwa Jarausch/Arnold, Sterben, S.329 (Brief vom 25.10.1941): „Glücklicherweise haben die alten Offiziere noch die Menschlichkeit alter Art, so daß man an ihnen einen Rückhalt hat und manches - wie die zweimalige Verpflegung [der sowjetischen Kriegsgefangenen] gegen den Willen der .Beamten' - durchsetzen kann."

802

Schluss

Volkes beflecken und seinen in der Welt erworbenen guten Ruf besudeln" 29 . Doch gilt hier erst recht: Zu wenige, zu spät, zu schwach! Die Strukturen erwiesen sich, auch in diesem Fall, als stärker. Wie aber mit diesem Erbe umgehen, das wie ein kolossaler Findling sperrig, nutzlos und verachtet in unserer Gegenwart liegt? Noch einmal: Es geht nicht um eine Institution, es geht um ihre 17 bis 18 Millionen Angehörigen, darin Inbegriffen etwa insgesamt 5,3 Millionen Gefallene und Vermisste 30 , noch mehr Blessierte und auch um jene, die zeitlebens nicht mit der Erfahrung dieses Krieges fertig geworden sind. Wie weit sich das mit ihrer Schuld gegenrechnen lässt, ihrer kollektiven und/oder ihrer individuellen Schuld, ist eine schwierige Frage. Vier Aspekte sollte man in diesem Fall nicht übersehen: Die individuelle Schuld war in der Wehrmacht sehr unterschiedlich verteilt. Dann - zweitens - war die Entscheidungsfreiheit der Täter oft sehr eingeschränkt; es waren längst nicht immer ihre Intentionen, die Soldaten zu Verbrechern werden ließen; Befehle, Situationen oder auch der bloße Zufall spielten eine ebenso große Rolle. Ein dritter Punkt: Bei der Wehrmacht handelte es sich um die einzige Täterorganisation des NS-Regimes wenn man sie denn als eine solche begreift - , die selbst einen sehr hohen Anteil an Opfern zu beklagen hat. Viele Soldaten mussten für das, was sie getan haben, bitter bezahlen, viele haben das Ende dieses Krieges nicht erlebt. Es war und bleibt freilich das besondere Problem dieser Art von Vergeltung, damit sind wir beim vierten Punkt, dass es sich dabei meist nicht um das Urteil juristischer Gremien handelte, sondern - auch hier - um das Diktum eines seelenlosen Zufalls. Diesen Fehler braucht man nicht zu wiederholen. Pauschalurteile über diese Soldaten werden der historischen Wirklichkeit nicht gerecht. N u r bei ihrer kollektiven Verantwortung, die parallel zum Dienstgrad wächst, lässt sich noch eine gewisse Systematik erkennen. Für ihre persönliche Schuld, im Sinne einer unmittelbaren, direkten Haftung für einzelne Ereignisse und Taten, existiert keine so einfache Formel. Dafür ist das Sample, das im Mittelpunkt dieser Untersuchung stand, ein repräsentatives Beispiel. Es kann für noch etwas als Beispiel dienen - dafür, wie fremd uns diese Zeit und ihre Bedingungen geworden sind. Trotzdem besteht zu Selbstgefälligkeit kein Anlass. Die vielen großen und kleinen Katastrophen, in die die Geschichte der Wehrmacht mündete, waren eben nicht allein das Produkt historischer Konstellationen oder Traditionen. Hier waren immer auch anthropologische Mechanismen am Werk, wie wir sie nicht nur aus diesem einen Krieg kennen. Keine Frage: Dass sie sich im Falle des „Unternehmens Barbarossa" so extrem manifestieren konnten, lag schon allein daran, dass hier eine Führung kommandierte, die ihren Soldaten moralischen und juristischen Dispens erteilt hatte. Einer solch extremen Versu-

29

30

„Aufruf an die Wehrmacht" vom 11.8.1944, Druck: Spiegelbild einer Verschwörung, Bd. 1, S. 199-203, hier S. 201 : „Wir müssen handeln, weil - und das wirkt am schwersten [!] - in Eurem Rücken Verbrechen begangen wurden, die den Ehrenschild des deutschen Volkes beflecken und seinen in der Welt erworbenen guten Ruf besudeln." Zur Autorenschaft Becks vgl. Müller, Beck (2008), S. 493. Vgl. Overmans, Verluste, S.265.

Schluss

803

chung und Prüfung mussten sich die Armeen der westlichen Industrienationen nach 1945 nicht stellen. Das ist gut so. Denn mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Brutalisierung des Kriegsgeschehens nicht zu Ende gegangen - im Gegenteil: Die Maßstäbe, die auch in der Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion gesetzt wurden, sind immer noch gültig. Vieles, was in den Konflikten der Gegenwart längst zur Gewohnheit geworden ist, wurde im Ostkrieg erstmals (wieder!) im großen Maßstab praktiziert: die Strategie des Vernichtungskriegs, die systematische Terrorisierung eines besetzten Landes und seine hemmungslose Ausbeutung, der Partisanenkrieg, die Misshandlung der Kriegsgefangenen oder die Rekrutierung des ehemaligen Gegners. Ganz spezielle Kriegstechniken wie beispielsweise der Minenkrieg gehören ebenso dazu wie ein grundlegender Wandel im Selbstverständnis der Kriegführenden, die immer weniger bereit waren, zwischen dem militärischen und dem zivilen, dem wehrhaften und dem wehrlosen Gegner zu unterscheiden. All das war nicht wirklich neu, das meiste hatte es vorher schon oft gegeben. Doch war es ein Kennzeichen des 18. und 19. Jahrhunderts gewesen, dass die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten zunehmend - aller Brüche und Rückschläge zum Trotz - domestiziert und auch kultiviert worden waren; die Haager Friedenskonferenzen in den Jahren 1899 und 1907 lassen sich in dieser Hinsicht als Schlusspunkt verstehen. Den Gegenentwurf dazu bildete gewissermaßen der deutsch-sowjetische Krieg. Hier handelte es sich nicht um einen abgelegenen Kolonialkrieg, einen Bürgerkrieg oder um revolutionäre Nachwehen infolge eines „Großen Krieges", hier handelte es sich um die zentrale Auseinandersetzung zwischen zwei der stärksten und radikalsten Großmächte des 20.Jahrhunderts. Das „Unternehmen Barbarossa", initiiert von der deutschen Seite, hat den Beweis geführt, dass auch im 20. Jahrhundert ein Konflikt dieser Dimension und dieser Bedeutung wieder in seine atavistischen Ursprünge zurückfallen kann. Die Wirkung dieses beispiellosen Präzedenzfalls ist bis heute ungebrochen. Aber nicht allein das bereitet Unbehagen. Dass im Falle unseres Samples ausgerechnet jene Soldaten die meisten und übelsten Verbrechen zu verantworten haben, die für derartige Barbareien am wenigsten prädestiniert schienen, lässt sich als ein weiteres Beispiel dafür lesen, wie leicht der Einzelne in einem solchen Fall zu instrumentalisieren ist. Erfahrungen wie diese hatten zur Folge, dass sich gerade die deutsche Gesellschaft allem Militärischen zutiefst entfremdet hat. Desavouiert war nicht allein die Wehrmacht, desavouiert schienen auch die Ideen und Kräfte, welche sie erst formiert, zusammengehalten und ihre ungeheure Kraftentfaltung möglich gemacht haben. Natürlich war für diesen Entfremdungsprozess nicht allein die Geschichte der Wehrmacht verantwortlich. Doch hat gerade sie, als Armee, in der das Prinzip von Ehre und Verantwortung eine so zentrale Rolle spielte, am nachhaltigsten den Beweis geführt, wie brüchig das klassische militärische Ethos geworden war. Gleichzeitig zeigte sich, dass das Prinzip der klassischen militärischen Entscheidungsfindung zunehmend an sein Ende gelangte. N a c h 1945 schien jede Form der militärischen Auseinandersetzung zwischen den Großmächten unmöglich und auch deshalb das militärische Erbe Preußen-Deutschlands funktionslos geworden - gesellschaftlich und im Grunde auch politisch.

804

Schluss

Doch ist der Krieg nicht tot, kommt die Gewalt nicht zur Ruhe. Sie sucht sich nur neue Formen und Schauplätze. Schon deshalb bleibt das Beispiel der Wehrmacht als eines der extremsten Beispiele für die Möglichkeiten und Gefahren des Militärischen in der Moderne auf Dauer unverzichtbar.

Dank Danksagungen sind Rituale. Trotzdem sind sie wahr. Das gilt auch für dieses Buch, das nur deshalb entstehen konnte, weil das Institut für Zeitgeschichte Raum und Zeit für dieses lange wie langwierige Projekt bot. Mein größter Dank gilt Hans Woller, Hermann Grami, Lothar Gruchmann und Sibylle Benker, die mir das Beste gaben, was man mir in meiner Situation geben konnte - ein Umfeld, das lehrt, kritisiert, ermutigt, fordert, unterstützt und das mir immer dann Rückhalt bot, wenn es darauf ankam. Meine andere Basis war unser Projekt „Wehrmacht in der NS-Diktatur". Wir waren ein gutes Team und auch ein erfolgreiches, und denen, die dabei waren, bin ich für vieles sehr dankbar, allen voran Johannes Hürter, Peter Lieb und Dieter Pohl. Erst ermöglicht haben unser Projekt der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Horst Möller, der Stellvertretende Direktor, Prof. Dr. Udo Wengst, die Verwaltungsleiterin, Ingrid Morgen, und das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. In meinen Dank sei die Hoffnung eingeschlossen, dass ich ihre Geduld nicht überstrapaziert habe. Allein die Sache wollte es. Zu unserem Team gehörten auch viele Hilfskräfte und Praktikanten, die ich hier nicht alle nennen, denen ich aber allen an dieser Stelle nochmals sehr herzlich danken kann. Stellvertretend seien erwähnt Saskia Hofmann und Sandra Seider, Stefan Becker, Chris Helmecke, Sven Keller, Magnus Pähl und Steffen Rohr. Dass viele zusammen mit uns forschen und sich zum Teil auch mit militärgeschichtlichen Themen qualifizieren konnten, war für unser Projekt ein gutes Zeichen. Noch besser ist freilich, dass zwei unserer Besten, Judith Schneider und Andreas Götz, dabei zusammengefunden haben. Wer könnte forschen oder schreiben, ohne den Rat und die Unterstützung derer, die dasselbe tun? Ich bin vielen Kolleginnen und Kollegen zu großem Dank verpflichtet, angefangen mit Reinhard Otto, einem Lehrer und Freund, und Sönke Neitzel, Jay W. Baird, Alexander Brakel, Andreas Eichmüller, Jörn Hasenclever, Ulrike Jureit, Stefan Karner, Manfred Kittel, Nicole Kramer, Harald Knoll, Petra Mörtl, Edith Raim, Christoph Rass, Felix Römer, Thomas Schlemmer, Alaric Searle, Ben Shepherd, Sergej Slutsch, Helmut Strauß, Andreas Toppe, Krisztián Ungváry und Jürgen Zarusky. Die Fußnoten dieses Buchs können am besten illustrieren, auf welchem Fundament es eigentlich steht. Mein Quellen- und Literaturverzeichnis ist deshalb auch als großer Dank an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der dort genannten Archive und Bibliotheken zu verstehen, nicht zuletzt auch an die Kolleginnen und Kollegen aus unseren beiden „Service-Abteilungen". Dass darüber hinaus einige Privatleute dieses Fundament zum Teil noch erheblich erweiterten, war alles andere als selbstverständlich, erst recht nicht nach der ersten Wehrmachtsausstellung. Mich erfüllt es mit großem Dank, noch mehr aber mit Hochachtung, dass jene, für die der Zweite Weltkrieg mehr ist als nur ein „Studienobjekt", bereit waren, mich und meine Leser an ihrer Geschichte teilhaben zu lassen. Sie alle sind im Quellenverzeichnis und in den entsprechenden Anmer-

806

Dank

kungen genannt; stellvertretend gilt mein ganz besonderer Dank Fritz Farnbacher und Ludwig Hauswedell, G ö t z Eberbach, Christian Richter und Max Wührer. Bei Katja Klee möchte ich mich für ein erstklassiges Lektorat bedanken, bei Gabriele Jaroschka dafür, dass sie - kompetent, geduldig und auch entschieden mit mir noch einen aufgeregten Autor auf die Schiene der Drucklegung brachte. Jene, die mir am wichtigsten sind, haben mich in den letzten Jahr in vielen Funktionen erlebt, als Mann, Vater, Bruder oder Freund, aber doch stets okkupiert von der Wehrmacht. Dabei ist doch diese Geschichte schon längst vorbei. Ihr hattet viel Geduld mit mir und Ihr habt mir nicht allein dadurch geholfen. Christiane, Sophie, Theresa und Martina, Sabine, Joey, Klaus, Julia, Ulrich, Gisela, Gerhart sollte an diesem Buch etwas Gutes sein, so ist das Euer Werk. In diesen Dank einschließen möchte ich auch meine Schwiegereltern, Albrecht und Irmela Baumann, und meine Eltern, Wolf und Ingeborg Hartmann, schon weil es „Eure" Zeit ist, über die ich schreibe. U m so wichtiger ist mir Euer Urteil. Das meiner Mutter, die früher jede Zeile von mir gelesen hat, kann ich leider nur noch erahnen. Damit sind wir am Ende. U n d wieder am Anfang. Denn Karl Christ ist dies Buch gewidmet. Er hätte gewusst, warum.

Anhang Divisionsgliederungen 4. Panzerdivision Aufstellung: Mobilmachung: Standort: Wehrkreis:

10.11.1938 an Stelle der nach Wien verlegten 2. Panzerdivision 22.8.1939 Würzburg (Divisionskommando) XIII (Nürnberg)

4. Schützen-Brigade / 4. Panzergrenadier-Brigade als Stab für die Schützeneinheiten der 4. Panzer-Division » 1.11.1939 seit5.7.1942 als Brigade z.b.V. 4 seit 7.11.1942 Heerestruppe beim PzAOK 2 StO Bamberg Schützen-Regiment * 1.4.1938 FStO Meiningen

12 / Panzergrenadier-Regiment seit 10.7.1942

12

Infanterie-Regiment 33 (mot.)/ Schützen-Regiment 33 / Panzergrenadier-Regiment * 15.10.1935, seit 1937 motorisiert seit 1.4.1940 seit 5.7.1942 am 18.10.1939 der 4. Panzer-Division unterstellt FStO Stab Dessau, II. Bernburg, III. Zerbst

33

Kradschützen-Bataillon 34 * 7.1.1941 aus dem III. Bataillon/Infanterie-Regiment 5 (mot.) am 5.3.1942 mit der Panzer-Aufklärungs-Abteilung 7 verschmolzen geht am 30.4.1943 zur Panzer-Aufklärungs-Abteilung 4 5. Panzer-Brigade als Stab für die Panzereinheiten der 4. Panzer-Division * 10.11.1938, 1941 kurzfristig der 3. Panzerdivision unterstellt, am 21.2.1942 aufgelöst FStO Bamberg Panzer-Regiment 3Í •· 10.11.1938 1942 II./Panzer-Regiment 35 umgewandelt in III./Panzer-Regiment 15 und an 5. PanzerDivision am 14.11.1943 wieder auf zwei Abteilungen gebracht FStO Bamberg Panzer-Regiment 36 * 10.11.1938, am 11.11.1940 aus der 4. Panzer-Division ausgeschieden und zur 14. Panzer-Division FStO Schweinfurt Artillerie-Regiment 103/Panzer- Artillerie-Regiment 103 * 7.11.1938 seit Juni 1944 am 7.1.1941 III. Abteilung aus II./Artillerie-Regiment 93 (FstO Würzburg) 1942 Beob.-Batterie (Pz.) 324 unterstellt und umbenannt in Beob.-Batterie (Pz.) 103 FStO Meiningen, II. Bamberg

808

Anhang

Panzerabwehr-Abteilung 49/Panzerjäger-Abteilung * 1.8.1939 seit 16.3.1940 FStO Schweinfurt

49

Aufklärungs-Abteilung 7 (mot.)/ Panzer-Aufklärungs-Abteilung 7 1.2.1921 als 7. bayer. Kraftfahr-Abteilung seit 1.2.1940 am 5.5.1942 aufgelöst und mit Kradschützen-Bataillon 34 verschmolzen FStO München Heeres-Flakartillerie-Abteilung 290 (mot.) * 1.11.1942 im WK VI seit 1943 bei der 4. Panzerdivision Pionier-Bataillon/Panzer-Pionier-Bataillon -- 1.11.1939 seit 15.4.1940 StO Würzburg Νachrichten-Abteilung * 1.3.1939 FStO Würzburg

79

79/Panzer-Nachrichten-Abteilung seit Januar 1945

79

Schützen-Ersatz-Regiment 81/Panzergrenadier-Ersatz-Regiment -•-26.8.1939 ab 1.8.1942 FStO Meiningen, ab 29.6.1943 Rudolstadt Infanterie-Ersatz-Bataillon 103/ Infanterie-Ersatz-Bataillon •26.8.1939 seit 1.12.1940 FStO Zittau

81

440

Divisions-Nachschubführer 84 (mot.) 1.8.1939 in Schweinfurt seit 15.10.1942 Kommandeur der Panzer-Divisions-Nachschubtruppen 84

45. Infanteriedivision Aufstellung: Mobilmachung: Vernichtung: Wiederaufstellung: Standort: Wehrkreis:

1.4.1938 (aus der ehemaligen 4. und Teilen der 3. Division des österreichischen Bundesheeres) 22.8.1939 Juni 1944 18.7.1944 als 45. Grenadierdivision, seit 21.10.1944 Volksgrenadierdivision Linz (Divisionskommando) XVII (Wien)

Infanterie-Regiment 130/ Grenadier-Regiment 130 * 1.8.1938 (ehem. Alpenjäger-Rgt. Nr. 8) seit 15.10.1942, am 14.12.1943 aufgelöst FStO Budweis (seit Frühjahr 1939) II. erst bei Mobilmachung Infanterie-Regiment 133/ Grenadier-Regiment 133 * 1.8.1938 (ehem. Infanterie-Rgt. Nr. 14) seit 15.10.1942 FStO Linz, III. Wels Infanterie-Regiment 135/ Grenadier-Regiment 135 * 1.8.1938 (ehem. Infanterie-Rgt. Nr. 17) seit 15.10.1942 FStO Ried, II. Braunau, III. Gmunden

809

Divisionsgliederungen Artillerie-Regiment 98 * 1.8.1938 (ehem. leichtes Artillerie-Rgt. Nr. 4) III. Abt. erst nach Mobilmachung aus Artillerie-Regiment 99 FStO Steyr, II. Ems Aufklarungs-Abteilung 45/Radfahr-Abt eilung 4 5/Divisions-Füsilter- Bataillon (A.A.) 45 * 26.8.1939 seit 11.5.1942 seit 2.10.1943 FStO Stockerau Panzer-Abwehr-Abteilung 45/ Panzer-Jäger-Abteilung 45 * 1.8.1938 (ehem. Infanterie-Kanonen-Abt. Nr. 4) seit 1.4.1940 1943 vorübergehend Divisions-Bataillon 45 FStO Freistadt/ O D Pionier-Bataillon 81 * 1.8.1938 (ehem. Pionier-Btl. Nr. 4 „Birago") FStO Linz Nachrichten-Abteilung 65 1.8.1938 (ehem. Telegraphen-Btl. Nr. 4) FStO Linz Infanterie-Ersatz-Regiment 45/Reserve-Grenadier-Regiment * 28.8.1939 FStO Linz, seit 10.1.1940 Krumau/Moldau Feldersatz-Bataillon ••-26.8.1939 WK XVII

45

45/'Feldersatz-Bataillon 98 seit 27.10.1943

Infanterie-Dwisions-Nachschubführer4 truppen 45 "'26.8.1939 WK XVII

5/Kommandeur der

Infanterie-Divisions-Nachschub-

seit 1.11.1942

296. Infanteriedivision Aufstellung: Vernichtung: Aufstellungsraum: Wehrkreis:

5.2.1940 als Division 8. Welle Juni 1944, am 3.8.1944 formell aufgelöst Truppenübungsplatz Grafenwöhr, Raum Passau/Deggendorf XIII (Nürnberg)

Infanterie-Regiment 519/ Grenadier-Regiment 519 ' 1.2.1940 in Passau seit 15.10.1942 I. Btl. im Sommer 1943 aufgelöst Infanterie-Regiment 520/ Grenadier-Regiment 520 * 14.2.1940 im Raum Passau seit 15.10.1942 I. Btl. am 5.9.1942 aufgelöst Infanterie-Regiment 521/ Grenadier-Regiment 521 * 10.2.1940 im Raum Passau seit 15.10.1942 I. Btl. 1943 umgebildet zum Div.-Btl. 296, dann Füsilier-Bataillon 296 Divisions-Bataillon Sommer 1943

296/Füsilier-Bataillon 296 seit 26.7.1943 aus dem I. Btl. Gren.-Rgt. 521

810

Anhang

Artillerie-Regiment 296 * 5.2.1940 im Raum Passau als Art.-Rgt. „Reichsgründung" Panzerabwehr-Abteilung 296/ Panzerjäger-Abteilung 1.2.1940 (Panzerabwehr-Abt. 296) seit 1.4.1940

296

Pionier-Bataillon 296 ·' 6.2.1940 im Raum Passau Νachrichten-Abteilung 296 18.2.1940 im Raum Passau Feldersatz-Bataillon 296 10.4.1941, 1943 aufgelöst, Mai 1944 wiedererrichtet Infanterie-Divisions-Nachschubführer schubtruppen 296 * 20.2.1940 seit 15.10.1942

296/Kommandeur

der

Infanterie-Divisions-Nach-

221. Sicherungsdivision Aufstellung: 26.8.1939 als Division 3. Welle Beurlaubung: August 1940 Wiederaufstellung als Sicherungsdivision: 15.3.1941 Auflösung: 28.7.1944 Standort: Breslau (Divisionskommando) Wehrkreis: VIII (Breslau) Infanterie-Regiment 350/ Grenadier-Regiment 350 * 26.8.1939 in Breslau seit 15.10.1942 von August 1940 bis März 1941 beurlaubt 1942 bei der 2. Panzerarmee, 1944 bei der 3. Panzerarmee detachiert WK VIII Artillerie-Regiment 221 I. Abteilung -·' 26.8.1939 in Breslau, WK VIII, wiedereinberufen am 15.3.1941 Stab Landesschützen-Regiment 45/ Sicherungs-Regiment 45 '· 17.9.1940 in Glauchau WK IV seit 15.10.1942 gebildet aus den Sicherungs-Bataillonen 302, 352 und 230 Landesschützen-Bataillon 230 * 7.8.1940 im WK I zu 6 Kompanien Landesschützen-Bataillon 257 * 1.4.1940 durch Umbenennung des Landesschützen-Bataillons VII/II (* 26.8.1939 in Neustrelitz, WK II) Landesschützen-Bataillon 302 * 1.4.1940 im Westen durch Umbenennung des Landeschützen-Bataillons (* 26.8.1939 in Frankfurt/Oder, WK III) Landesschützen-Bataillon 352 * 1.4.1940 durch Umbenennung des Landesschützen-Bataillons II/IV (Altenburg)

II/III

811

Divisionsgliederungen

Wach-Bataillon

701/ Sicherungs-Bataillon

* 1.9.1940

seit 1.6.1942

Reiter-Hundertschaft

701/ Sicherungs-Bataillon

791

seit 28.6.1942

221

* Winter 1942/43

Divisions-Nachrichten-Abteilung

824

* 1.12.1941

Polizei-Bataillon

309

•• 19.9.1940 in Köln von Mai 1941 bis Mai 1942 bei der 221. Sicherungsdivision

Gruppe Geheime Feldpolizei 707 -•'26.4.1941 im WK IV bis Dezember 1941 bei der 221. Sicherungsdivision

Infanterie-Ersatz-Bataillon

350/ Grenadier-Ersatz-Bataillon

350

* 26.8.1939 seit 7.11.1942 im Oktober 1942 Teilung in ein Ersatz- und ein Reserve-Bataillon

Feldkommandantur

569

* 11.9.1939 im WK XIII, 1944 aufgelöst

Feldkommandantur

599

* 13.9.1939 im WK V

Feldkommandantur

606

* 25.11.1939 im WK V, aufgelöst am 20.12.1941 in Ortskommandanturen 981 und 982

Feldkommandantur 610 ·' 27.11.1939 im WK XI, am 27.12.1944 aufgelöst Ortskommandantur

// 823

•· 7.8.1940 im WK I

Ortskommandantur

1/ 824

* 7.8.1940 im WK I

Ortskommandantur

// 825

* 6.8.1940 im W K II, 1944 aufgelöst

Ortskommandantur

1/ 826

* 8.8.1940 in Köslin, WK II, am 21.9.1944 aufgelöst

Ortskommandantur

1/ 827

"•6.8.1940 im WK III

Ortskommandantur

1/ 828

* 8.8.1940 in Berlin, W K III, 1944 vernichtet und aufgelöst

Durchgangslager

(Dulag) 1301

* 20.7.1940 als Front-Stalag 130 im W K IV am 27.8.1944 aufgelöst 1

Zu weiteren, zum Teil kurzfristigen Unterstellungen von Kriegsgefangenenlagern vgl. die Angaben in Kap. 5.3.

812 Durchgangslager

Anhang

(Dulag) 131

* 20.7.1940 als Front-Stalag 131 im WK IV am 15.9.1944 aufgelöst

Durchgangslager

(Dulag) 185

* 22.8.1940 als Front-Stalag 185 im W K IX im Winter 1944/45 aufgelöst

Divisions-Nachschubführer 350

(Sich. Div.) 350/ Kommandeur

der

Divisions-Nachschubtruppen

"-4.4.1941

seit 21.10.1942

Ferner waren der 221. Sicherungsdivision zeitweise unterstellt: Landesschützen-Regiment 27/ Sicherungs-Regiment 27 1942

* 23.3.1942 in Stettin seit 1.6.1942 gebildet aus den Landesschützen-Bataillonen 325, 706 und 862

Landesschützen-Regiment

44/ Sicherungs-Regiment

44

* 3.6.1940 im W K IV seit 5.6.1942 gebildet aus den Landesschützen-Bataillonen 573 und 701

Polizei-Bataillon

91

* 1939 in Offenbach/Main bis Januar 1943 bei der 221. Sicherungsdivision

Gruppe Geheime Feldpolizei 718 * 21.5.1941 im W K IV bis Juni 1942 bei der 221. Sicherungsdivision

Gruppe Geheime Feldpolizei 729 * 21.6.1941 im W K IV ab 19.6.1942 bei der 221. Sicherungsdivision 1943

Landesschützen-Regiment

34/Sicherungs-Regiment

34

* 3.6.1940 im W K III seit 3.6.1942 gebildet aus den Landesschützen-Bataillonen 546 und 468 und dem Festungs-Bataillon 659

Landesschützen-Regiment

930/ Grenadier-Regiment

* 1.3.1942 in Dänemark

Landesschützen-Regiment

930

seit 15.10.1942

183/ Sicherungs-Regiment

* 1.4.1940 im W K XVIII

183

seit 1.6.1942

Ost-Bataillon 604 „Pnpjet" * 30.9.1942 1943 aufgelöst

Polizei-Bataillon

91/1. Bataillon, (SS-)Polizei-Regiment

8

* 1939 in Kassel seit Juli 1942 von Januar 1943 bis Juli 1943 der 221. Sicherungsdivision unterstellt 1944

Landesschützen-Regiment

75/ Sicherungs-Regiment

75

gebildet aus den Landesschützen-Bataillonen 939 und 598 sowie litauisches Bau-Bataillon 5 * 10.4.1940 in München

Divisionsgliederungen Landesschiitzen-Bataillon "'24.6.1941 im W K V

813

446

K o r ü c k 580: (Stand Juli 1941) Aufstellung: Mobilmachung: Wehrkreis: Ersatz:

1.8.1939 als Übungseinheit im Wehrkreis VI 1.9.1939 mobil im Armeepaket „L", Wehrkreis VI VI (Münster) 18 Bielefeld, WK VI

Ortskommandantur I/ 646 * 26.8.1939 im W K VIII als Heerestruppe, 1943 aufgelöst Ortskommandantur // 906 * 6.9.1940 in Hamburg Ortskommandantur 1/ 929 * 2.11.1940 im WK X I I aus zwei Ortskommandanturen III. Klasse Wach-Bataillon 552 * 26.8.1939 im W K V im Winter 1942/43 erweitert durch 4.-10. Ostkompanie, gebildet aus der Kosaken-Abteilung 580, 1943 umgebildet zum Nachschub-Bataillon 557 Wach-Bataillon 582 * 26.8.1939 im W K VI im Winter 1942/43 erweitert durch 4. und 5. Ostkompanie am 1.6.1943 umgebildet zum Nachschub-Bataillon 586 Feldgendarmerie-Abteilung 581 (mot.) * 2.8.1939 durch WK X I mit Hilfe der Ordnungspolizei am 1.11.1941 Aufstellung einer Kosaken-Abteilung am 5.8.1942 Verkehrs-Regelung-Bataillon 757 als 4. Kompanie eingegliedert am 9.10.1942 erweitert durch 4.-6. Ost-Kompanie am 2.4.1943 erweitert durch die Ost-Reiter-Abteilung 580 Radfahr-Abteilung

Bastian

Nachschub-Bataillon 582 * 26.8.1939 in Bad Oeynhausen, WK VI am 10.2.1942 wurden aus 1. und 2. Kompanie Kriegsgefangenenkompanien Nachschub-Bataillon 583 * 26.8.1939 im WK VI am 31.5.1943 auf 2 deutsche und 4 Kriegsgefangenen-Kompanien verstärkt Bau-Bataillon 133/Kriegsgefangenen-Bau-Bataillon 133 * 26.8.1939 im WK VIII durch den Reichsarbeitsdienst am 11.11.1941 Umbenennung Landesschiitzen-Bataillon

974

* 1.1.1941 durch Umbenennung des Wach-Bataillons 661 Armee-Gefangenen-Sammelstelle Feldpostamt 2

42

757

Zu weiteren, zum Teil kurzfristigen Unterstellungen von Kriegsgefangenenlagern vgl. die Angaben in Kap. 5.3.

814

Anhang Gliederung Januar 1942:

Ortskommandantur // 271 * 1.8.1941 beim Wehrmachtsbefehlshaber Prag Ortskommandantur // 297 * Juli 1941 im WK XVII Ortskommandantur 1/ 307 * Mai 1941 im WK XV 1943 aufgelöst Ortskommandantur

1/ 507

Ortskommandantur II/ 585 * 26.8.1939 im WK VI am 8.12.1943 aufgelöst Ortskommandantur 1/ 646 * 26.8.1939 im WK VIII als Heerestruppe, 1943 aufgelöst Ortskommandantur I/ 906 6.9.1940 in Hamburg Feldkommandantur 200 ·· Sommer 1941 im WK II Armee-Gefangenen-Sammelstelle

3

Armee-Gefangenen-Sammelstelle

4

Armee-Gefangenen-Sammelstelle

19

Armee-Gefangenen-Sammelstelle

21

Kriegsgefangenenlager

Guchow

Durchgangslager (Dulag) 314 -•-8.4.1941 im WK IV am 20.9.1944 aufgelöst Wach-Bataillon 552 •-26.8.1939 im WK V im Winter 1942/43 erweitert durch 4.-10. Ostkompanie, gebildet aus der Kosaken-Abteilung 580 im Sommer 1943 umgebildet zum Nachschub-Bataillon 557 Wach-Bataillon 581 * 26.8.1939 im WK VI im Winter 1942/43 erweitert durch 4.-10. Ostkompanie, gebildet aus der Kosaken-Abteilung 580 1943 umgebildet zum Nachschub-Bataillon 581 Feldgendarmerie-Abteilung 581 * 2.8.1939 durch WK XI mit Hilfe der Ordnungspolizei am 1.11.1941 Aufstellung einer Kosaken-Abteilung

Divisionsgliederungen am 5.8.1942 Verkehrs-Regelung-Bataillon 757 als 4. Kompanie eingegliedert am 9.10.1942 erweitert durch 4.-6. Ostkompanie am 2.4.1943 erweitert durch die Ost-Reiter-Abteilung 580 Feldpostamt 757

Gliederung Sommer 1943: Feldkommandantur 194 * 15.5.1941 in Leipzig, WK IV Feldkommandantur 239 * 21.7.1941 im WK IX I. Bataillon, Sicherungs-Regiment

37

* 10.6.1942 aus den Sicherungs-Bataillonen 414 und 415 und der Reiter-Abteilung 213 Sicherungs-Bataillon 456 * im Sommer 1943 aus dem Nachschub-Bataillon 557 mit 1.-3. Sicherungs- und 4.-7. (Ost-)Sicherungskompanie Artillerie-Regiments-Stab z. b. V. 618 * 26.8.1939 in Fulda, WK IX Feldzeugstab z. b. V. 43 * 15.6.1940 in Posen durch Feldzeugstab-Kommando XXI Nachschub-Bataillon 557 * Sommer 1943 aus dem Wach-Bataillon 552 mit zunächst neun Kompanien später neugebildet mit zwei deutschen und vier Kriegsgefangenenkompanien Feldgendarmerie-Abteilung 581 * 2.8.1939 durch WK XI mit Hilfe der Ordnungspolizei am 1.11.1941 Aufstellung einer Kosaken-Abteilung am 5.8.1942 Verkehrs-Regelung-Bataillon 757 als 4. Kompanie eingegliedert am 9.10.1942 erweitert durch 4.-6. Ostkompanie am 2.4.1943 erweitert durch die Ost-Reiter-Abteilung 580 Feldgendarmerie-Kompanie

23

Heeresstreifendienst z. b. V. 12 •28.2.1943 im WK III Kriegsgefangenen-Bezirks-Kommandant E * 18.12.1940 in Frankreich aus dem Kriegsgefangenenbezirks-Kommandant III am 1.2.1944 aufgelöst Stammlager (Stalag) 308 * 8.4.1941 im W K V I I I Durchgangslager (Dulag) 314 •'8.4.1941 im WK IV am 20.9.1944 aufgelöst

815

816

Anhang

Kriegführung, militärische Besatzungspolitik und Holocaust Einsatzräume von fünf Wehrmachtsverbänden sowie des SS- und Polizeiapparats in der besetzten Sowjetunion Juni - Dezember 1941 Im Mittelpunkt dieser Tabelle steht die Frage nach der Kooperation zwischen Wehrmacht einerseits und SS- und Polizeiapparat andererseits. Hierfür wurden Marschwege und Einsatzräume der fünf Divisionen, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen, auf der Basis der militärischen Akten rekonstruiert, Marschwege und Tatorte der Einsatzgruppen aufgrund der sog. Ereignismeldungen, die der P o lizei-Bataillone und der Brigaden der Waffen-SS anhand der Literatur. Zwar ergibt sich daraus ein recht genaues Bild über die Einsatzräume von Wehrmacht, SS und Polizei, doch wirft eine solche R e k o n s t r u k t i o n auch einige Probleme auf: So bestehen zwischen den einzelnen Einsatzorten der militärischen wie der nicht-militärischen Einheiten zum Teil größere Lücken; sie sind räumlicher aber auch zeitlicher Natur. A u c h ist es nicht einfach, die zeitlich zum Teil nicht deckungsgleichen Angaben über die Einsatzorte der militärischen und der nicht-militärischen Einheiten aufeinander abzustimmen. Schließlich können die Distanzen schwanken, wenn sich die Einheiten auf dem Marsch befanden, was im Bewegungskrieg natürlich ständig der Fall war (in der Tabelle wird dieser Sachverhalt mit dem B e griff „bis z u " bezeichnet). Als Standortangabe diente bei den großen Wehrmachtsverbänden in der Regel der Standort des Divisionshauptquartiers. Lagen detaillierte Angaben für einzelne Teileinheiten der Division vor, insbesondere bei einer K o operation mit Einheiten von SS und Polizei, dann wurden diese berücksichtigt. D i e Verbrechen, für die die betreffenden Wehrmachtseinheiten ausschließlich die Verantwortung tragen, sind in Kap. 5.4 beschrieben. Als Quellen und Literatur dienten neben den einschlägigen militärischen Akten vor allem: IfZ-Archiv, M A 91/1-4: D e r C h e f der Sicherheitspolizei und des S D : Ereignismeldungen U d S S R N r . 1-66; 6 7 - 1 1 7 ; 1 1 8 - 1 6 7 ; 1 6 8 - 1 9 5 ; Headland, Messages o f Murder; Tessin/Kannapin (Hrsg.), Waffen-SS und Ordnungspolizei im Kriegseinsatz 1 9 3 9 - 1 9 4 5 ; Klemp, „ N i c h t ermittelt"; Curilla,

Ordnungspolizei;

Baade/Behrendt/Blachstein (Hrsg.), Unsere E h r e heißt Treue; Mallmann (u.a.), Deutscher O s t e n , S. 143ff.; Gerlach, M o r d e , S . 5 5 5 f f . , 563ff.; Yerger, Riding East, S. 132 ff. D i e Ereignismeldungen enthalten zwar meist genaue Angaben über die Zahl der Opfer, aber nur selten exakte D a t e n über den Zeitpunkt eines Einsatzes. In solchen Fällen wurde versucht, den betreffenden Zeitraum mit Hilfe des D a t u m s der Ereignismeldung und weiterer Quellen einzugrenzen. Hilfreich waren dabei vor allem Krausnick/Wilhelm, Truppe; Klein (Hrsg.), Einsatzgruppen; Spector (Hrsg.), T h e Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, 3 Bde. F ü r die Unterstützung bei der Erstellung dieser Tabelle sei Stefan B e c k e r herzlich gedankt.

817

Kriegführung, militärische Besatzungspolitik und Holocaust

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Kriegführung, militärische Besatzungspolitik und Holocaust

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