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German Pages 208 Year 2020
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 508
Wandlungen des Ehegattenerbrechts Von
Tim Philipp Holler
Duncker & Humblot · Berlin
TIM PHILIPP HOLLER
Wandlungen des Ehegattenerbrechts
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 508
Wandlungen des Ehegattenerbrechts
Von
Tim Philipp Holler
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
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© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-18025-7 (Print) ISBN 978-3-428-58025-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2019/2020 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum befinden sich auf dem Stand von Januar 2019. Danach erschienene Veröffentlichungen konnten bei der Überarbeitung zum Teil bis Januar 2020 berücksichtigt werden. Die Entstehung dieser Arbeit haben viele Gießener Lehrer, Kollegen und Freunde begleitet. Dabei gilt mein besonderer Dank zuvörderst meiner Doktormutter, Frau Prof. Dr. Marietta Auer, die nicht nur die Arbeit sehr gut betreute und mir optimale Arbeits- und Studienbedingungen ermöglichte, sondern mir auch immer wieder die wertvolle Gelegenheit gab, meine Thesen und Argumente im Gespräch mit ihr kritisch zu reflektieren. Gleichfalls danke ich Herrn Prof. Dr. Thorsten Keiser für hilfreiche Anregungen und die Erstellung des Zweitgutachtens. Mein herzlicher Dank gilt weiterhin den vielen Weggefährten, die mir im Studium und während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Gießener „Haus 76“ zu guten Freunden geworden sind. Ich danke ihnen allen für sehr schöne Jahre, die ich in bester Erinnerung behalte. Ohne die große Unterstützung meiner Eltern wäre die Realisierung dieser Arbeit nicht vorstellbar gewesen. Durch ihren jederzeit liebevollen und bedingungslosen Einsatz für meine gesamte Ausbildung haben sie entscheidend dazu beigetragen, dass ich Studium und Promotion erfolgreich abschließen konnte. Ihnen und meinem Bruder ist diese Arbeit daher als Zeichen meiner tiefsten Dankbarkeit von Herzen gewidmet. Gießen, im März 2020
Tim Philipp Holler
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Die erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . 11 II. Die Wandlungen des Ehegattenerbrechts als Nachvollzug gradueller Wertungsverschiebungen innerhalb des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Erstes Kapitel Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts
22
§ 1 Das Ehegattenerbrecht im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Die Wandlungen im Eherechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Die Entwicklungen im ius praetorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Die güterrechtliche Dimension: Die dos der Ehefrau . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Die erbrechtliche Dimension: Die bonorum possessio unde vir et uxor . . . 27 2. Die Entwicklungen in den Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Der Primat der güterrechtlichen Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Die Subsidiarität der erbrechtlichen Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 § 2 Das Ehegattenerbrecht im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Die Wandlungen im Eherechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Die Nachwirkungen des Güterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Die güterrechtlichen Mechanismen im Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Die hybride Rechtstechnik der portio statutaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Die Kodifikationen des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Die erbrechtliche Dimension: Familienpotential und Subjektivierung . . . . 49 b) Die güterrechtliche Dimension: Die Vorrangstellung des Ehemannes . . . . 53 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
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Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
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§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 I. Der Erbteil des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Die Beratungen der ersten Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei beerbter Ehe . . . . . . . . . . . 60 b) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei unbeerbter Ehe . . . . . . . . . 65 2. Die Beratungen der zweiten Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei beerbter Ehe . . . . . . . . . . . 67 b) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei unbeerbter Ehe . . . . . . . . . 69 II. Der Voraus des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Die Erarbeitung des § 1932 BGB: Der Voraus nur bei unbeerbter Ehe . . . . . . 72 2. Die Reform des § 1932 BGB: Der Voraus auch bei beerbter Ehe . . . . . . . . . . 76 III. Der Pflichtteil des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Die Anerkennung des Pflichtteils des Ehegatten nach § 2303 BGB . . . . . . . . 79 2. Die Wertbestimmung des Pflichtteils des Ehegatten nach § 2311 BGB . . . . . 81 § 4 Die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft im gesetzlichen Güterrecht . . . . . . . 84 1. Das Problem der Zugewinngemeinschaft: Der Ausgleichsanspruch im Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Die Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs im Erbfall . . . . . . . . . . . . 89 a) Der erste Entwurf der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Der zweite Entwurf der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Die Pauschalierung des Zugewinnausgleichsanspruchs im Erbfall . . . . . . . . . 95 a) Der Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Die Diskussion im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft im vertraglichen Güterrecht . . . . . . . 100 1. Die Gütergemeinschaft: Die vereinbarte Fortsetzung des Gesamtguts . . . . . . 100 2. Die Gütertrennung: Der bewegliche Erbteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Die Wahl-Zugewinngemeinschaft: Der vererbbare Ausgleichsanspruch . . . . . 105 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Inhaltsverzeichnis
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Drittes Kapitel Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
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§ 5 Die Expansion des Ehestatus im Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Die geöffnete Ehe im Erbrechtsdenken: Solidarität statt Familienpotential . . . . . 111 II. Erbrechtliche Solidarität im Spiegel der Rechtstechnik: Statusbasierung . . . . . . 114 1. Die Identifikation erbrechtsrelevanter Solidaritätsverhältnisse . . . . . . . . . . . . 115 a) Statusverhältnisse: Normative Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Realbeziehungen: Faktische Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Die Integration von Solidaritätsverhältnissen in die Erbrechtstechnik . . . . . . . 119 a) Erbteil, Voraus und Pflichtteil im Spiegel der Ebenen des Erbrechtsmodells 123 b) Stellungnahme: Die Leistungsfähigkeit der erbrechtlichen Statusbasierung 126 § 6 Die erbrechtliche Expansion des Ehestatus im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Die Entstehung des Ehegrundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Stimmen aus dem Parlamentarischen Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Der erste Privilegierungsgrund der Ehe: Ihr Familienpotential . . . . . . . . . . 140 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Der zweite Privilegierungsgrund der Ehe: Ihr Solidaritätscharakter . . . . . . 143 b) Stellungnahme: Die Kombination der Privilegierungsgründe . . . . . . . . . . . 145 II. Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Die Entstehung der Erbrechtsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Stimmen aus dem Parlamentarischen Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Der Primat des Familienschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Der Primat der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Stellungnahme: Der Familienbezug als Nexus von Ehe und Erbrecht . . . . 165 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Einführung „In vielen Gesetzgebungen ist der weitere Umfang der Familie festgehalten, und dieser wird als das wesentliche Band angesehen, während das andere einer jeden speziellen Familie dagegen geringer erscheint. […] Trotzdem ist jede neue Familie das Wesentlichere gegen den weiteren Zusammenhang der Blutsverwandtschaft, und Ehegatten und Kinder bilden den eigentlichen Kern, im Gegensatz dessen, was man im gewissen Sinne auch Familie nennt. Das Vermögensverhältnis der Individuen muß daher einen wesentlicheren Zusammenhang mit der Ehe als mit der weiteren Blutsverwandtschaft haben.“1
I. Die erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts Zu den dynamischsten und interessantesten Phänomenen der Privatrechtsdogmatik zählen die Wandlungen und zunehmenden Verstärkungen des Ehegattenerbrechts,2 die sich sowohl über den Verlauf seiner rechtsgeschichtlichen Entwicklung
1
Hegel, § 172 (Zusatz). Außerhalb des Privatrechts besteht zugunsten des überlebenden Ehegatten eine sozialrechtliche Sondernachfolge (§§ 56 Abs. 1 Nr. 1, 11 SGB I) in fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen; dazu s. Sieg, in: FS Hirsch, S. 187 (196 ff.); Schmeling, MDR 1976, 807 (808 ff.); Tegtmeyer, S. 4 ff., 79 ff.; ferner s. MünchKomm-Leipold Einleitung Erbrecht Rn. 175 ff. Darüber hinaus entfaltet der Ehestatus im Todesfall insbesondere renten(§ 33 Abs. 4 Nr. 1 bzw. 2 und § 46 SGB VI), beamtenversorgungs- (§§ 16 ff., 28 BeamtVG) und steuerrechtliche (§§ 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b, 16 Abs. 1 Nr. 1, 17 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1, 19 ErbStG) Wirkungen zugunsten des überlebenden Ehegatten. Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Rechtsnachfolge im öffentlichen Recht s. Jellinek, System, S. 343; ferner s. Dietlein, S. 27 ff., 36 ff., 105 ff., 224 ff., 431 ff., 580 ff.; Stadie, DVBl. 1990, 501 (502 ff.); Peine, DVBl. 1980, 941 (942 ff.); ders., JuS 1997, 984 (985 ff.); Zacharias, JA 2001, 720 (723 ff.); ferner s. MünchKomm-Leipold Einleitung Erbrecht Rn. 164 ff.; Schenke, GewArch 1976, 1 ff. Zur europarechtskonformen Neufassung des § 16 Abs. 2 ErbStG s. BFH, Urteil vom 10.05.2017 – II R 53/14 = DStRE 2017, 1226; dazu s. Heurung/Buhrandt/Löckener, ZErb 2018, 89 (90 ff.). 2
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Einführung
herausgebildet haben als auch rechtsvergleichend zu beobachten sind.3 Im rechtstechnischen Zentrum dieses Ausformungsprozesses steht die Frage, wie eine Rechtsordnung die Situation organisieren kann, in der eine Ehe durch den Tod eines Ehegatten aufgelöst wird, also welche erb- und güterrechtlichen Wirkungen4 die Ehe in diesem Zusammenhang entfalten und welche gesetzlichen Rechte überhaupt im Erbfall ipso iure5 an den Ehestatus gebunden sein sollen. De lege lata ist der Ehestatus die Voraussetzung für die Aktivierung des gesetzlichen Erbteils (§ 1931 BGB), des Voraus (§ 1932 BGB) und des Pflichtteils (§ 2303 BGB).6 Ein Blick auf die einschlägigen Monografien, Kommentare und Lehrbücher zeigt ebenso wie eine Rundsicht durch die entsprechenden Beiträge in Handwörterbüchern und Periodika, dass es sich bei der Ausformung dieser Positionen gerade auch wegen des Zusammenspiels von Erb- und Güterrecht um eines der rechtstechnisch schwierigsten Probleme handelt, zu dem bereits eine Fülle von kritischen Reflexions- und Reformversuchen hervorgebracht wurde.7 3 Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (82) („zum Hauptbegünstigten des Intestaterbrechts aufgeschwungen“); ders., JZ 2016, 321 (327) („hat doch der Wunsch nach Besserstellung des überlebenden Ehegatten rechtsordnungsübergreifend eine prägende Kraft entfaltet“); Dutta, S. 449 f.; H. Lange/Kuchinke, S. 248 ff.; Buchholz, MDR 1990, 375 ff.; Firsching, JZ 1972, 449 (453); Edenfeld, ZEV 2001, 457 (459); Henrich, DNotZ 2001, 441 (442 ff.); Pintens, ZEuP 2001, 628 (629 ff., 642); Röthel, JZ 2011, 222; dies., 68. DJT 2010, Bd. 1, A 50 f.; zur rechtsvergleichenden Entwicklung von Ehegattenerb- und Ehegüterrecht in England und Frankreich s. grundlegend Fröschle, S. 26 ff., 58 ff., 119 ff. 4 Außerhalb des Erb- und Güterrechts wird aufgrund des Ehestatus de lege lata ein den Anspruch auf ein Hinterbliebenengeld aktivierendes „besonderes persönliches Näheverhältnis“ zum Erblasser vermutet (§ 844 Abs. 3 S. 2 BGB); dazu s. Frank, FamRZ 2017, 1640 ff.; Witschen, JZ 2018, 490 ff. Ferner bewirkt der Ehestatus im Erbfall den Eintritt des überlebenden Ehegatten in ein vom Erblasser abgeschlossenes Mietverhältnis (§ 563 Abs. 1 BGB); dazu s. Butenberg, ZMR 2015, 189 ff.; Sternel, ZMR 2004, 713 ff.; Gather, NZM 2001, 57 ff. 5 Zum Schutz der Vermögensinteressen und Persönlichkeitsrechte des überlebenden Ehegatten vor und durch letztwillige Verfügungen des Erblassers s. umfassend und grundlegend Goebel, S. 51 ff., 339 ff., 387 ff., passim. 6 Zu den erbrechtlichen Folgen von Scheidung und Ehekrise und dem Ausschluss dieser gesetzlichen Rechte durch § 1933 BGB s. Beisenherz, S. 19 ff., 45 ff., 84 ff., passim. Zum Ausschluss durch § 1318 Abs. 5 BGB s. Muscheler, Familienrecht, Rn. 278 f.; ders., JZ 1997, 1142 (1148 f.); Tschernitschek, FamRZ 1999, 829 f.; zur passiven Vererblichkeit des nachehelichen Unterhaltsanspruchs des überlebenden Ehegatten nach § 1933 S. 3 i.V.m. §§ 1569 ff. BGB einschließlich des Versorgungsausgleichs s. Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1528 ff. 7 Mertens, S. 64 („Eines der schwierigsten erbrechtlichen Probleme“); MünchKommLeipold § 1931 Rn. 2: „Die Abgrenzung des Ehegatten- und des Verwandtenerbrechts gehört zu den wichtigsten, aber auch schwierigsten rechtspolitischen Entscheidungen im Bereich des gesetzlichen Erbrechts.“; Kipp/Coing, Erbrecht, S. 38 („eines der schwierigsten Probleme des Erbrechts“); dazu s. Buchholz, MDR 1990, 375 ff.; Kroppenberg, in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts Bd. 1, S. 409 (412): „Nicht minder vielgestaltig als die Verwandtenerbfolge ist die Position des überlebenden Ehegatten in den Erbfolgeordnungen Europas.“; Leipold, AcP 180 (1980), S. 160 (210): „Die schwierigste Frage ist nach wie vor das Güter- und Erbrecht der Ehegatten.“; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (41): „notorisch schwierig […] von einem der schwierigsten Regelungsprobleme des Erbrechts die Rede.“Aus der Fülle an Reflexions- und Reformversuchen seien nur genannt: Röthel, 68. DJT 2010 Bd. 1, A 52 ff.;
Einführung
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So steht der Gesetzgeber in erbrechtlicher Hinsicht vor der Frage, wie er qualitativ und in welchem Umfang er quantitativ den überlebenden Ehegatten am Vermögen des verstorbenen Ehegatten beteiligen soll.8 In concreto misst er dem Ehestatus zunehmend stärkeres Gewicht bei, je entfernter die mit ihm konkurrierenden Verwandten zum Erblasser stehen. Rechtstechnisch drückt sich dies darin aus, dass der Erbteil des Ehegatten von einem Viertel neben Verwandten der ersten Ordnung (§ 1931 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB) auf die Hälfte neben Verwandten der zweiten Ordnung und neben Großeltern (§ 1931 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB) anwächst, der Ehegatte bei Vorversterben von Großeltern darüber hinaus die deren Abkömmlingen nach § 1926 BGB zufallenden Anteile an sich zieht (§ 1931 Abs. 1 S. 2 BGB) und dieser neben allen entfernteren Verwandten die ganze Erbschaft erhält (§ 1931 Abs. 2 BGB).9 Dieser Vorrang des Ehegatten gegenüber entfernteren Verwandten findet sich auch bei der Ausgestaltung des mit dem dinglichen Erbteil verkoppelten und als schuldrechtliches Vermächtnis ausgestalteten Voraus (§ 1932 Abs. 2 BGB).10 So gebühren dem überlebenden Ehegatten neben den Verwandten der ersten Ordnung außer seinem Erbteil auch die Hochzeitsgeschenke und Coing, 49. DJT 1972 Bd. 1, A 41 ff.; ferner s. Rauscher, Reformfragen Bd. 1, S. 3 ff.; ders., Reformfragen Bd. 2, Teilbd. 1, S. 58 ff.; ders., Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 2, S. 17 ff. jeweils m. w. N. 8 Zur Unterscheidung zwischen Teilungs- und Nutzungsprinzip s. Buchholz, MDR 1990, 375 ff.; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1419 f.; Rauscher, Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 1, S. 85 ff.; Metternich, S. 162 m. w. N. 9 Zur Ausgestaltung dieser Erbquoten de lege lata s. MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 24 ff.; Staudinger-Werner § 1931 Rn. 20 ff.; Soergel-Stein § 1931 Rn. 15 ff.; Poitiers, JA 2019, 253 ff. Aus der Fülle an Reformüberlegungen, die erbrechtliche Position des Ehegatten weiter zu verstärken, seien nur genannt: Röthel, 68. DJT 2010, Bd. 1, A 53 f. („güterstandsunabhängiges, erhöhtes gesetzliches Erbrecht neben einem oder mehreren Kindern von 1/2“) m. w. N. Dazu s. K. W. Lange, 68. DJT 2010, Bd. 2 Teilbd. 1, L 24 ff.; zuvor bereits Coing, 49. DJT 1972, Bd. 1, A 42 f.: „Hebt man den gesetzlichen Erbanteil des Ehegatten neben Abkömmlingen, also Erben der ersten Parentel, auf die Hälfte des Nachlasses an, so müßte er gegenüber Erben der zweiten Ordnung und Großeltern auf drei Viertel bemessen werden.“; Bosch, FamRZ 1983, 227 (235); Bühler, DNotZ 1975, 5 (16); Buchholz, MDR 1990, 375 (378); ferner s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (81 ff.); Metternich, S. 162 ff. m. w. N. Kritisch zum Erbrecht der Großeltern neben dem Ehegatten s. Staudinger-Werner § 1931 Rn. 26: „Diese vom Gesetz getroffene Regelung erscheint merkwürdig und unbefriedigend, wenn allein das zufällige Vorhandensein bzw Nichtvorhandensein von Abkömmlingen des Großelternteils darüber entscheidet, ob der Anteil dem Ehegatten des Erblassers oder einem anderen Großelternteil zufällt. Dieser Unterschied entbehrt jeder Rechtfertigung […] Lösung wenig folgerichtig.“ Ferner s. Soergel-Stein § 1931 Rn. 1 („rechtspolitisch generell zweifelhafte, unnötig komplizierte, für den Erblasser unübersehbare und zu zufälligen Ergebnissen führende Regelung des Erbrechts neben Großeltern.“). 10 Zur Ausgestaltung des Voraus de lege lata s. MünchKomm-Leipold § 1932 Rn. 9 ff.; Staudinger-Werner § 1932 Rn. 7 ff.; Soergel-Stein § 1932 Rn. 7 ff.; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1464 ff. Zur Anschlussfähigkeit des Voraus für eine Ausdehnung der Position des Ehegatten s. bereits Vorlage No 7 von 1877, S. 58, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1158 („dürfte ein solcher Voraus ein fruchtbarer Gedanke sein.“); ferner s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (88): „[…] was das deutsche Recht betrifft, böte die Institution des ,Voraus‘, die entsprechend erweitert werden könne, einen passenden Rahmen.“
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die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände, die kein Zubehör eines Grundstücks darstellen, nur insoweit, als dieser sie zur Führung eines angemessenen Haushalts benötigt (§ 1932 Abs. 1 S. 2 BGB), wohingegen der überlebende Ehegatte ein solches Bedürfnis gegenüber den Verwandten der zweiten Ordnung oder Großeltern nicht nachzuweisen hat (§ 1932 Abs. 1 S. 1 BGB).11 Während sich der gesetzliche Erbteil und das Vorausvermächtnis des Ehegatten kumulativ zueinander verhalten,12 steht diesem Komplex der Pflichtteilsanspruch des Ehegatten alternativ gegenüber. Hier findet sich das Muster der Bevorzugung des Ehegatten insbesondere in der für die Wertermittlung des Nachlasses relevanten Norm des § 2311 BGB wieder, durch die die Höhe des Pflichtteils festgelegt wird und der Voraus des Ehegatten in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle einnimmt. Bei der Berechnung des Pflichtteils eines Abkömmlings und der Eltern des Erblassers bleibt der dem überlebenden Ehegatten gebührende Voraus außer Ansatz (§ 2311 Abs. 1 S. 2 BGB) – der Nachlasswert und damit auch die Höhe der Verwandtenpflichtteile werden also um den Wert der Vorausgegenstände gemindert. Umgekehrt bleibt der Voraus bei der Berechnung des Pflichtteils des Ehegatten nicht außer Ansatz, sodass dieser den Wert des Nachlasses und damit auch den Wert des Ehegattenpflichtteils erhöht.13 Beeinflusst wird diese erbrechtliche Verteilung des Nachlasses durch das Güterrecht.14 In dieser Hinsicht ist es vom Standpunkt des Gesetzgebers aus denkbar, 11 Zu dieser Bedürfnisklausel nach § 1932 Abs. 1 S. 2 BGB s. MünchKomm-Leipold § 1932 Rn. 15; Staudinger-Werner § 1932 Rn. 19 ff.; Soergel-Stein § 1932 Rn. 9; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1475. 12 Umstritten ist, ob der überlebende Ehegatte den gesetzlichen Erbteil ausschlagen und nur den Voraus annehmen kann. Dafür s. MünchKomm-Leipold § 1932 Rn. 4 ff.: „Der Gesetzeswortlaut steht nicht entgegen, da man ihn dahingehend auffassen kann, dass der Ehegatte lediglich zum gesetzlichen Erben berufen sein muss.“ Dagegen s. Lichtinger, S. 43 f.: „Zunächst wird man bei genauer Lektüre des § 1932 I BGB feststellen, dass diese Vorschrift von dem Fall spricht, dass der Ehepartner gesetzlicher Erbe ist. […] Die Berufung alleine reicht als Voraussetzung für den Voraus eben nicht aus; dafür muss aus der reinen Berufung erst eine feste und endgültige Erbenstellung werden.“ (Hervorhebung im Original). 13 Zur Wertberechnung des Pflichtteils des Ehegatten und der Verwandten unter Berücksichtigung des Voraus de lege lata s. MünchKomm-Lange § 2311 Rn. 58 f.; Staudinger-Werner § 1932 Rn. 28; Soergel-Dieckmann § 2311 Rn. 37 ff.; ferner s. Lichtinger, S. 80; Muscheler, Erbrecht Bd. 2, Rn. 4120 ff. Zu Reformen des Ehegattenpflichtteils de lege ferenda s. Dutta, S. 450 ff. (Ausweitung des Quotenpflichtteils); Rauscher, Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 2, S. 17 ff. 14 Zur Beeinflussung des Erb- und Pflichtteils des Ehegatten durch das Güterrecht de lege lata s. MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 30 ff.; Staudinger-Werner § 1931 Rn. 31 ff.; SoergelStein § 1931 Rn. 21 ff.; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1421 ff., 1476 ff.; Becker, JA 2019, 94 ff.; Röthel, 68. DJT 2010, Bd. 1, A 54. Die Hauptschwierigkeit einer güterrechtlichen Erbrechtsverstärkung wird zumeist darin gesehen, dass eine solche nach Güterständen differenzierende Rechtstechnik dem Ehegattenerbrecht die innere Geschlossenheit nehme; dazu s. Metternich, S. 161; Staudinger-Werner § 1931 Rn. 53. Daher erheben sich in der Reformdiskussion Stimmen, die überwiegend eine Trennung von Ehegüterrecht und Ehegattenerbrecht postulieren; dazu s. Rauscher, Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 1, S. 58 ff., 73 ff.; Firsching, JZ 1972, 449 (455); Müller-Freienfels, JZ 1957, 685 (686 f.); Steffen, DRiZ 1972, 263 (265);
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nach dem Tod eines Ehegatten in einem ersten Schritt das Vermögen des Erblassers güterrechtlich abzuwickeln, um festzulegen, welche Positionen überhaupt zum Nachlass des verstorbenen Ehegatten gehören, an dem dann der überlebende Ehegatte in einem zweiten Schritt erbrechtlich beteiligt wird.15 Diese strikte Abschichtung eines vorrangigen güterrechtlichen Ausgleichs von einer darauf aufbauenden erbrechtlichen Verteilung des Nachlasses zwischen den Verwandten des Erblassers und seinem Ehegatten hat man de lege lata aufgeweicht. Beibehalten wird diese Trennung von Güter- und Erbrecht im vertraglichen Güterstand der Gütergemeinschaft.16 In diesem Güterstand wird der verstorbene Ehegatte gem. § 1482 S. 2 BGB nach den allgemeinen Vorschriften des § 1931 Abs. 1 und 2 BGB beerbt. Dabei besteht der erbrechtlich zu verteilende Nachlass aus dessen Sonder(§ 1417 BGB) und Vorbehaltsgut (§ 1418 BGB) und aus dem Anteil des verstorbenen Ehegatten, den dieser nach der Auseinandersetzung gem. §§ 1471 ff. BGB am Gesamtgut (§ 1416 BGB) erhält. Dieser Anteil des verstorbenen Ehegatten gehört allerdings dann nicht zum Nachlass, wenn die Ehegatten nach § 1483 Abs. 1 BGB vereinbarten, dass die Gütergemeinschaft beim Tode eines Ehegatten zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt werden soll. Der Nachlass besteht in diesem Fall nur aus dem Sonder- und Vorbehaltsgut des verstorbenen Ehegatten (§ 1483 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB), an dem sich Erbteil, Voraus und Pflichtteil des überlebenden Ehegatten jeweils bemessen.17 Demgegenüber kommt es im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB zu einer pauschalen Erhöhung18 des geSträtz, FamRZ 1998, 1553 (1558); moderater hingegen Leipold, AcP 180 (1980), S. 160 (179): „[…] stärker als bisher darauf achten, daß das Ehegattenerbrecht zum Güterrecht paßt. […] Die im Güterrecht angelegte Grundentscheidung der Ehegatten über die vermögensrechtlichen Auswirkungen ihrer Ehe sollte also im Erbrecht konsequent fortgesetzt werden.“ 15 Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1421 ff. 16 Zum Ehegattenerbrecht im Fall der Gütergemeinschaft s. MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 56 f.; Staudinger-Werner § 1931 Rn. 51 f.; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1427, 1516 ff. 17 Zum Auseinandersetzungsmechanismus der Gütergemeinschaft im Erbfall s. Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1427, 1516 ff.; Leipold, Rn. 191 ff.; zur Berechnung des Erbteils eines einseitigen Abkömmlings bei fortgesetzter Gütergemeinschaft s. MünchKomm-Münch § 1483 Rn. 13 ff.; Staudinger-Thiele § 1483 Rn. 20 ff. 18 Umstritten ist, ob diese pauschale Erbrechtsverstärkung nach § 1371 Abs. 1 BGB im Internationalen Privatrecht erb- oder güterrechtlich zu qualifizieren ist; dazu s. MünchKommLeipold § 1931 Rn. 33 ff. Zur erbrechtlichen Qualifizierung s. EuGH, Urteil vom 01.03.2018 – Rs. C-558/16 (Mahnkopf) = FamRZ 2018, 632 (633): „[…] scheint der Hauptzweck der Bestimmung nicht in der Aufteilung des Vermögens oder in der Beendigung des ehelichen Güterstands, sondern vielmehr in der Bestimmung des dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den übrigen Erben zufallenden Erbteils zu liegen.“ Dazu s. Sonnentag, JZ 2019, 657 ff. Zur güterrechtlichen Qualifizierung s. BGH, Beschluss vom 13.05.2015 – IV ZB 30/14 = NJW 2015, 2185 (2186): „Zweck der Vorschrift ist es, den Güterstand als Sonderordnung des Vermögens der Eheleute während und auf Grund ihrer Ehe abzuwickeln, nicht aber den Längstlebenden kraft seiner nahen Verbundenheit mit dem Verstorbenen an dessen Vermögen zu beteiligen […].“ Zur Methodik der Qualifikation im europäischen Internationalen Privatrecht
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setzlichen Erbteils des überlebenden Ehegatten neben allen mit ihm konkurrierenden Verwandten um ein Viertel,19 ohne dass zuvor ein realer Zugewinnausgleich durchzuführen ist.20 Der gesetzliche Erbteil des Ehegatten bezieht sich in diesem Fall also auf einen güterrechtlich nicht bereinigten Nachlass,21 wohingegen im vertraglichen Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft eine reale Zugewinnausgleichsberechnung ohne pauschale Erbrechtsverstärkung durchgeführt wird (§ 1519 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 3 des Abkommens vom 4. Februar 2010) und der Nachlass im Anschluss an diese güterrechtliche Abwicklung erbrechtlich nach
s. Nehne, S. 170 ff.; ferner s. Dörner, StAZ 1988, 345 ff. Aus der Fülle der jüngeren Reflexionen zur Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB seien nur genannt: Süß, DNotZ 2018, 742 ff.; Dörner, ZEV 2018, 305 ff.; Weber, NJW 2018, 1356 ff.; Sakka, MittBayNot 2018, 4 ff.; zuvor bereits Fornasier, in: Dutta/Weber (Hrsg.), Art. 63 EuErbVO Rn. 30 ff.; kritisch dazu s. Dörner, FamRZ 2017, 1654; ferner s. Mankowski, ZEV 2014, 121 ff. 19 Umstritten ist die Berechnung der Erbteile der Großeltern, wenn der Ehegatte nach § 1931 Abs. 1 S. 2 BGB bereits 3/4 des Nachlasses erhält und durch eine sich hieran anschließende pauschale Erhöhung um 1/4 zum Alleinerben würde. Gegen eine Alleinerbschaft des Ehegatten in diesem Fall s. MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 43; Staudinger-Werner § 1931 Rn. 37; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1480; Soergel-Stein § 1931 Rn. 23. Für eine Alleinerbschaft des Ehegatten in diesem Fall s. Brox/Walker § 5 Rn. 11; Belling, Jura 1986, 579 (586). 20 Kritisiert wird, dass nach § 1371 Abs. 1 BGB bei gesetzlicher Erbfolge des Ehegatten kein realer Zugewinnausgleich durchgeführt wird, vgl. Leipold, NJW 2011, 1179 (1182): „Nach der hier vertretenen Ansicht ist diese gesetzliche Regelung jedoch verfassungswidrig, soweit sie dazu führt, dass der Zugewinnausgleich zu Gunsten des erstverstorbenen Ehegatten bzw. seiner Erben entfällt.“ In diese Richtung auch Röthel, 68. DJT 2010 Bd. 1, A 54: „Wenn mit der Zugewinngemeinschaft im deutschen Recht aus Verkehrs- und Praktikabilitätsgründen während des Güterstands ein dingliches Gefälle an der Errungenschaft zwischen den Ehegatten hingenommen wird, kommt der güterrechtlichen Teilhabe bei Beendigung des Güterstands umso größere Bedeutung zu. […] Der während des Güterstands am Zugewinn nicht dinglich beteiligte Ehegatte ist spätestens mit Beendigung des Güterstands entsprechend seiner realen Ausgleichsberechtigung am Zugewinn zu beteiligen.“ (Hervorhebung im Original); kritisch jedoch K. W. Lange, 68. DJT 2010, Bd. 2 Teilbd. 1, L 34 f.: „Wenn man den Zugewinnausgleich in jedem Fall durchführen will, hätte dies eine erhebliche Steigerung der Komplexität der Erbauseinandersetzung zur Folge […]. Der konsequente Zugewinnausgleich nach dem Erbfall führt praktisch zu einem Scheidungsfolgenverfahren unter Beteiligung der Abkömmlinge.“ Kritisiert wird weiterhin, dass die Erbrechtsverstärkung im Hinblick auf die Erbschaftsteuer durch § 5 ErbStG neutralisiert wird, weil nur der real verlangbare – und insoweit zu berechnende – Zugewinnausgleich kein steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen ist; dazu s. Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1494 f. 21 Zu dieser sog. „erbrechtlichen Lösung“ nach § 1371 Abs. 1 BGB s. umfassend Staudinger-Thiele § 1371 Rn. 4 ff., 72 ff.; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1478 ff.; ders., Erbrecht Bd. 2, Rn. 4129. Umstritten war, inwieweit die Erbrechtsverstärkung nach § 1371 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Berechnung der Pflichtteilsquoten von Abkömmlingen zu berücksichtigen ist, vgl. BGH, Urteil vom 21.03.1962 – IV ZR 251/61 = BGHZ 37, 58 (66) = NJW 1962, 1719 m. w. N. zum damaligen Schrifttum: „Die anderen Pflichtteilsberechtigten müssen die Einsetzung des Ehegatten zum Erben durch Verfügung von Todes wegen hinnehmen. Ein Ausgleich derart, daß ihre Pflichtteile sich nach dem nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil des Ehegatten bestimmen, ist im Gesetz für sie nicht vorgesehen.“ Dazu s. Lipp, Rn. 611 f.; Brox/ Walker § 32 Rn. 10; Bohnen, S. 21 ff.; zuvor bereits explizit BT-Drs. II/3409, S. 18.
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§ 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB verteilt wird.22 Dagegen setzt die Realisierung des Zugewinnausgleichs im gesetzlichen Güterstand voraus, dass der überlebende Ehegatte infolge Enterbung durch den Erblasser (§ 1371 Abs. 2 BGB) oder infolge seiner eigenen Ausschlagung (§ 1371 Abs. 3 BGB) gerade nicht Erbe geworden ist. Dies führt dazu, dass er neben dem nun eröffneten Zugewinnausgleich nur den Pflichtteil verlangen kann, der sich wiederum gem. § 1371 Abs. 2 Hs. 2 BGB nach dem nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil gem. § 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB bestimmt.23 Im Fall der Gütertrennung sieht § 1931 Abs. 4 BGB nur für das Zusammentreffen des Ehegatten mit Abkömmlingen des Erblassers, aber nicht bei einer Kollision mit entfernteren Verwandten eine Erhöhung seines gesetzlichen Erbteils vor und ebnet dadurch die erbrechtliche Abstufung des § 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB ein. Diese Erbrechtsverstärkung ist abhängig von der Anzahl der mit dem Ehegatten zusammentreffenden Abkömmlinge und verhindert, dass dieser einen kleineren Erbteil als ein oder zwei Kinder erhält. Diese Abhängigkeit des gesetzlichen Ehegattenerbteils von der Kinderanzahl wirkt sich darüber hinaus auf die Bestimmung der Pflichtteilsquote des Ehegatten aus (§ 2310 BGB) und kann zu einem im Vergleich zur Zugewinngemeinschaft höheren Pflichtteil des in Gütertrennung verheirateten Ehegatten führen.24 22
Zum Güterstand der deutsch-französischen Wahl-Zugewinngemeinschaft sei verwiesen auf das Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft v. 15.03.2012, BGBl. 2012 II, S. 178; ferner s. die Bekanntmachung über das Inkrafttreten des deutsch-französischen Abkommens über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft v. 22.04.2013, BGBl. 2013 II, S. 431; beide in Kraft getreten am 01.05.2013; vgl. auch BT-Drs. 17/5126 v. 21.03.2011. Zu den erbrechtlichen Wirkungen der Wahl-Zugewinngemeinschaft s. Süß, ZErb 2010, 281 (285); Dutta, FamRZ 2011, 1829 (1838); Jünemann, ZEV 2013, 353 (358 ff.); Staudinger-Thiele § 1519 Rn. 36; MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 60 ff. 23 Zu dieser sog. „güterrechtlichen Lösung“ nach § 1371 Abs. 2 und Abs. 3 BGB s. umfassend Staudinger-Thiele § 1371 Rn. 39 ff., 76 ff.; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1496 ff.; ders., Erbrecht Bd. 2, Rn. 4130 f. Umstritten war, ob dem überlebenden Ehegatten nach § 1371 Abs. 2 BGB ein Wahlrecht zusteht, entweder den errechneten Zugewinnausgleich und den vom nicht verstärkten Erbteil aus berechneten Pflichtteil zu verlangen oder keinen Zugewinnausgleich durchzuführen und stattdessen den Pflichtteil vom erhöhten Erbteil aus zu berechnen („[…] so kann er Ausgleich […] verlangen“), vgl. BGH, Urteil vom 25.06.1964 – III ZR 90/63 = BGHZ 42, 182 (187) = NJW 1964, 2404 m. w. N. zum damaligen Schrifttum: „Dem überlebenden Ehegatten, der nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer ist, steht immer nur der kleine Pflichtteil und der Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns, nicht aber das Recht zu, durch Nichtgebrauchmachen von der nach Absatz 2 gewährten Möglichkeit, den Zugewinnausgleich nach güterrechtlichen Grundsätzen zu verlangen, statt des güterrechtlichen Zugewinnausgleichs den sog. großen Pflichtteil zu wählen.“ Dazu s. Lipp, Rn. 613; kritisch jedoch Brox/Walker § 32 Rn. 11: „Die Einheitstheorie hat also zur Folge, dass der Erblasser durch Zuwendung eines noch so geringen Vermächtnisses dem überlebenden Ehegatten die Möglichkeit verschafft, entweder den großen Pflichtteil oder – nach Ausschlagung des Vermächtnisses – den kleinen Pflichtteil und den Ausgleich eines etwaigen Zugewinns zu verlangen.“ Ferner s. Bohnen, S. 46 ff.; Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1515. 24 Zur Erbrechtsverstärkung bei Gütertrennung s. MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 49 ff.; Staudinger-Werner § 1931 Rn. 43 ff.; Soergel-Stein § 1931 Rn. 29 ff.; Rauscher, FamRZ 1997, 1121 ff. Die Kritik an dieser Regelung basiert im Wesentlichen auf einem Vergleich mit der
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II. Die Wandlungen des Ehegattenerbrechts als Nachvollzug gradueller Wertungsverschiebungen innerhalb des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall Die vorliegende Studie erblickt hinter der rechtstechnischen Ausformung dieser erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts einen gesetzgebungsgeschichtlich gewachsenen und in materieller Hinsicht wertenden Ausgleich der konfligierenden Interessen des überlebenden Ehegatten mit denen der Verwandten des Erblassers, in dem zum Ausdruck kommt, inwieweit Ehe und Verwandtschaft im Erbfall als gegeneinander gerichtete oder aufeinander bezogene Wertungsgrößen verstanden, wie diese Wertungspole dabei als miteinander kollidierende Statusverhältnisse ausgestaltet und ob die Ehegatten de lege lata als zueinander gleichberechtigte Partner angesehen werden.25 Im Kern ist die normative Kalibrierung dieser Spannungsverhältnisse also durch den Standpunkt des Gesetzgebers zu den dogmatischen Fragen geprägt, ob der durch die Nachlassbeteiligung des Ehegatten denkbare Vermögensabfluss in die Schwiegerfamilie begrenzt werden soll, welche Verwandten des Erblassers neben dem überlebenden Ehegatten überhaupt am Nachlass beteiligt werden sollen und inwieweit der Ehegatte an diesem Nachlass bereits durch seine ehezeitige Mitarbeit berechtigt ist.26 Die These dieser Arbeit ist, dass das Austarieren dieses materiellen Kollisionsverhältnisses praktisch wirksam gewordene Wandlungen im Eherechtsdenken rechtstechnisch nachvollzieht, dass also umgekehrt eine erb- und güterrechtlich immer wieder neu ausgerichtete und wegen dabei entstandener Inkonsistenzen auch kritisierte27 RechtsErbrechtsverstärkung durch die Zugewinngemeinschaft, bei der der erhöhte Erbteil mit dem Ausbildungsanspruch nach § 1371 Abs. 4 BGB belastet ist und der Pflichtteil des Ehegatten im Fall der Gütertrennung je nach Anzahl von Kindern (die Hälfte von der nach § 1931 Abs. 4 BGB variablen Quote) größer ist als im Fall der Zugewinngemeinschaft (die Hälfte von der nicht erhöhten Quote nach § 1931 Abs. 1 und 2 BGB). Kritisiert wird, dass wegen des nur bei Gütertrennung nach § 1931 Abs. 4 BGB „beweglichen“ Erbteils dem überlebenden Ehegatten in diesem Güterstand ein Verzicht eines Abkömmlings zustatten kommen könne, da dieser dann nicht als Erbe mitzuzählen ist (§ 2310 S. 2 BGB); dazu s. Soergel-Dieckmann § 2310 Rn. 9 ff.; MünchKomm-Lange § 2310 Rn. 10 ff. Zum Einfluss von § 1931 Abs. 4 BGB auf das Pflichtteilsrecht des überlebenden Ehegatten in der Zugewinngemeinschaft und den damit einhergehenden Wertungsdiskrepanzen s. Görg, S. 1 ff., 10 ff., 52 ff.; ferner s. Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1515; Gernhuber/Coester-Waltjen § 37 Rn. 4 – 6 („schwer verständliche Disharmonien“). 25 So auch Metternich, S. 160 („Schwierigkeit, diese widerstreitenden Interessen zu gewichten“); K. W. Lange, 68. DJT 2010, Bd. 2 Teilbd. 1, L 28 („Interessenkonflikt“); MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 2 („in einem starken Spannungsverhältnis zueinander“) (Hervorhebung im Original). 26 In diese Richtung auch Röthel, 68. DJT 2010, Bd. 1, A 51 f.; K. W. Lange, 68. DJT 2010, Bd. 2 Teilbd. 1, L 25 f. 27 Aus der Fülle an kritischen Stimmen seien nur genannt: Gernhuber/Coester-Waltjen § 37 Rn. 4 – 6: „Unübersehbar sind hier schwer verständliche Disharmonien entstanden, die seit Jahren zwar registriert, jedoch nicht beseitigt werden; die Gegenwart hat gelernt, mit Widersprüchen zu leben.“; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (57) („gesetzgeberischer Missgriff
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technik ihrerseits der Indikator einer sich kontinuierlich fortschreibenden Ideengeschichte des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall ist.28 Im Rahmen dieser Studie ist also zu zeigen, dass sich hinter der rechtstechnischen Ausformung dessen, was dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den Verwandten des Erblassers zugewiesen wird, eine von graduellen Verschiebungen im Eherechtsdenken beeinflusste gesetzgeberische Wertentscheidung hinsichtlich der beiden miteinander konkurrierenden familienrechtlichen Statusverhältnisse – Ehe und Verwandtschaft – verbirgt.29 Das Ziel der nachstehenden Untersuchung ist es, die mit der Folge kaum auflösbarer Wertungswidersprüche“); zuvor bereits Firsching, JZ 1972, 449 (455) („gegenwärtige Misere des Ehegattenerbrechts“). 28 In diese Richtung auch Buchholz, MDR 1990, 375: „Das Ehegattenerbrecht nimmt teil an den kulturellen, sozialen und politischen Wandlungen, die sich auf die Ehe selbst und ihre rechtliche Ordnung beziehen.“; Schwab, S. 11: „Ohne Kenntnis der geistesgeschichtlich wirksamen Eherechtskonzeptionen sind die einzelnen Gesetzgebungsakte in ihrer rechtsgeschichtlichen Bedeutung daher nicht faßbar.“ Ferner s. Dörner, S. 13. Zu den weiteren Wandlungen in den verschiedenen gesellschaftlichen Grundlagen des Ehegatten- und Verwandtenerbrechts s. Leipold, AcP 180 (1980), S. 160 (173 ff.). 29 Zum familienrechtlichen Statusbegriff als Modell der personalen Binnenkoordination s. Röthel, StAZ 2006, 34 (41); Holler, ZJS 2019, 173 ff.; Muscheler, StAZ 2006, 189 (197) („ein von der Wissenschaft nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu bildender Begriff“); dazu s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (107) (Fn. 106); Kriewald, S. 29; Windel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 1 (10 f.); Muscheler, Familienrecht, Rn. 95 ff. Zur Begriffsgeschichte im römischen Recht s. Levy, ZRG (RA) 78 (1961), S. 142 (169); Nörr, ZRG (RA) 82 (1965), S. 67 (87); Hausmaninger/Selb, S. 73 ff.; Mayer-Maly, S. 12 ff.; Apathy/Klingenberg/ Pennitz, S. 38 f.; Sohm, S. 167 ff.; Husserl, AcP 127 (1927), S. 129 (207 f.); Auer, Diskurs, S. 15; Kobusch, S. 23 ff.; Hetterich, S. 20 ff., 76 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 270 ff.; ders., Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 112 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 169 f.; ders., Bd. 2, S. 284 ff., 287 ff. Zu den verschiedenen status bei Pufendorf, die als entia moralia des Menschen existieren, innerhalb derer sich dieser verwirklicht, sodass die individuelle natürliche Person in rechtlicher Hinsicht entsprechend ihrer verschiedenen status eine Vielzahl von personae morales darstelle, s. Hetterich, S. 82 ff.; zum älteren Ständewesen s. Gierke, S. 395 ff. Dazu s. ALR I 1 § 1: „Der Mensch wird, in so fern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt.“ und ALR I 1 § 7: „Die Mitglieder eines jeden Standes haben, als solche betrachtet, gewisse Rechte und Pflichten.“ Dazu s. T. Roth, Rechtsfähigkeit, S. 51 („Möglichkeit einer nach Ständen abgestuften Rechtsfähigkeit“). Mit Kant vollzieht sich im Rechtsdenken jedoch eine Wende in das diametral Entgegengesetzte: Nicht weil der Mensch einzelne von außen bestimmte Status innehat, ist er eine Person, sondern weil der Mensch eine Person ist, ist er rechtsfähig; dazu s. Hetterich, S. 86; Auer, Diskurs, S. 19 f., 16. Zur rechtsdogmatischen Relevanz des Statusbegriffs s. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 418 f. (Fn. 1); ders., System, S. 86 f. (passiver Status), 87, 94 ff. (negativer Status), 87, 114 f. (positiver Status); 87, 136 ff. (aktiver Status); zu jüngeren Reflexionen über Jellineks Statuslehre s. Brugger, in: Härle/Vogel (Hrsg.), S. 216 (219 f., 238 f.); Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 (86 ff.) („status activus processualis“). Zur Entfaltung des Begriffs des familienrechtlichen Status s. Savigny, System Bd. 1, § 54 lit. e, S. 350 („jedes Familienverhältnis eines Menschen […] sein Daseyn im Verhältniß zu bestimmten anderen Menschen“); § 59, S. 400 f.; ders., System Bd. 2, Beylage VI, S. 454; S. 458, 460. Monströse Aberrationen von dieser Begründungsumkehr des Personseins lebten indes während des Nationalsozialismus auf. Die entsprechend inspirierte Rechtswissenschaft betrachtete den Menschen als einen Volksgenossen; dazu s. Larenz, Rechtsperson, S. 24: „An die Stelle der jedem
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vollzogene Aufwertung der horizontalen Beziehung des Erblassers zu seinem Ehegatten auf Kosten der vertikalen Beziehung zu seinen Verwandten aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus zu entfalten und mit den ihnen zugrunde liegenden Wandlungen im Eherechtsdenken in Verbindung zu bringen. Der Anspruch dieser Arbeit ist mithin erfüllt, wenn es gelingt, anhand konkreter rechtstechnischer Änderungen im Erb- und Güterrecht die Verstärkung der rechtlichen Positionen des überlebenden Ehegatten herauszuarbeiten und diese Wandlungen auf ideengeschichtliche Strukturverschiebungen im Eherechtsdenken zurückzuführen.
III. Gang der Untersuchung Die nachstehenden Ausführungen sind in drei Kapitel gegliedert, die dazu dienen, die entwicklungsbestimmenden Wertungsmomente im Eherechtsdenken freizulegen und zu analysieren, wie diese bei der relativen Gewichtung des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft zur Geltung kamen und wie sich dieser materielle Interessenausgleich rechtstechnisch niederschlug. Im Anschluss daran sind die Entwicklungsperspektiven des Ehegattenerbrechts de lege ferenda im Lichte der jüngsten Öffnung des Ehebegriffs zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare kritisch zu skizzieren. Das Ziel des ersten Kapitels ist es, die rechtstechnische Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts auf dem Boden der wirksam gewordenen Wandlungen im Eherechtsdenken des römischen und deutschen Rechts darzustellen. Ein solcher „Blick zurück“30 auf den geschichtlichen EntwicklungsMenschen zukommenden Fähigkeit, ,Person‘, und d. h. möglicher Träger jedes denkbaren Rechts zu sein, muß also in der neuen Systematik die konkrete Rechtsfähigkeit des Volksgenossen treten, deren besonderer Umfang sich jeweils nach seiner Fähigkeit zu bestimmten Gliedstellungen richtet.“ (Hervorhebungen im Original). Im Ergebnis erhält der Mensch in diesem Gedankengebäude nur als Mitglied seines Volkes – als Reichsbürger – einen rechtlichen Status: „Die Reichsbürgerschaft bedeutet also die Stellung als Genosse der deutschen Volksordnung und die Trägerschaft der hieraus entspringenden Rechte und Pflichten.“ Dazu s. Michaelis, in: Eckhardt (Hrsg.), S. 301 (312, 317 ff., 320). 30 Dazu s. Bauer, S. 2; ferner s. Maetschke, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (I) Rn. 20: „Die derzeitige Gestalt des Ehegüterrechts im BGB ist daher nicht zu erklären, wenn man sie nicht zugleich auch als Ergebnis der Kodifikationsgeschichte sieht.“ (Hervorhebung im Original hier kursiv wiedergegeben). Zu einem ähnlichen Ansatz s. Schacherreiter, S. 1; Leonhard, in: FG Wetzell, S. 25 (200): „Eine Erläuterung unseres Gesetzbuches aus den älteren Texten im Hinblicke auf die allgemeine Entwickelungsgeschichte unseres Rechtes, hierin sieht der Verfasser die gegenwärtige Aufgabe der deutschen Processwissenschaft.“ (Hervorhebung im Original); in diese Richtung auch Rückert, Rg 5 (2004), S. 128: „Auch wir hängen an den Marionettenfäden historischer und philosophischer Grundhaltungen und Grundbegriffe. Auch wir kommen ohne sie nicht aus. Wissenschaft kann und soll das bewusst machen.“ Dazu s. Holler, ZJS 2018, 503 (507). Verwandt ist dieser hier aufgegriffene und im Folgenden zur Anwendung gebrachte Gedanke einer die Rechtssetzung aufklärenden Rechtsgeschichte mit Jherings evolutionärem Rechtsdenken, das das Recht als Teil einer menschlich verantworteten Kulturentwicklung deutet; dazu s. Behrends, in: Behrends/Henckel (Hrsg.), S. 9 (17) (Dog-
Einführung
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prozess legt die Basis offen, auf der das Ehegattenerbrecht de lege lata aufbaut, und verdeutlicht, unter welchen Voraussetzungen die heutige Ausformung seiner erbund güterrechtlichen Dimensionen entstanden ist.31 Auf dieser Grundlage untersucht das zweite Kapitel die Entstehung der gegenwärtigen rechtstechnischen Ausgestaltung dieser beiden Dimensionen des Ehegattenerbrechts. Im Zentrum dieser Ausführungen stehen die ursprünglich erarbeiteten und danach weiter reformierten Ausformungen des Erbteils, des Voraus und des Pflichtteils sowie die damit zusammenhängenden güterrechtlichen Ausgleichsmechanismen im Todesfall. Das Ziel dieses Kapitels ist es, die Wandlungen in der Rechtstechnik des Ehegattenerbrechts mit den ihnen zugrunde liegenden Strukturverschiebungen innerhalb des materiellen Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall in Beziehung zu setzen. Das Anliegen des abschließenden dritten Kapitels ist es, den in den ersten beiden Kapiteln zu identifizierenden Aufstieg des Ehegatten im Erbfall und das diesen stimulierende Eherechtsdenken mit der Ausdehnung des Ehebegriffs auf gleichgeschlechtliche Paare zu konfrontieren und aus dieser Gegenüberstellung heraus die Perspektiven des Ehegattenerbrechts de lege ferenda auszuloten.
matik als „das überzeugte Festhalten an bewährten Regelungsstrukturen und Werten“); ders., in: Patzig (Hrsg.), S. 80 (100); ders., in: Behrends (Hrsg.), S. 7 ff.; ders., in: Loos (Hrsg.), S. 229 (258 ff., 268 f.); Dreier, in: Behrends (Hrsg.), S. 222 (227 ff.); Stein, S. 67: „The progress of law is not merely the result of unconscious growth […] but legal development also depends on the conscious efforts of lawyers to solve the problems of social life.“ Dazu s. Fikentscher, S. 187 ff., 204 ff., 237 ff., 261 ff.; Fikentscher/Himmelmann, in: Luf/Ogris (Hrsg.), S. 95 (105 f.); zur theoretischen Reflexion des evolutionären Rechtsdenkens s. Henke, S. 31 ff., 152 ff.; Schelsky, in: Rehbinder/Schelsky (Hrsg.), S. 47 (84 ff.); Husa, Rechtstheorie 47 (2016), S. 397 (403); Grechenig/Gelter, RabelsZ 72 (2008), S. 513 ff. 31 Zur Bedeutung der Rechtsgeschichte im Rechtssetzungsprozess s. Schlossmann, S. 7: „Indem die Rechtsgeschichte uns die vielfältigen Wege zeigt, auf welchen die Völker die Probleme einer gerechten Lebensordnung zu lösen versuchen, läutert sie unser Rechtsgefühl, schärft sie unseren Blick für das, was not tut, weist sie uns das wirksame Heilmittel für pathologische Zustände in unserer sozialen Ordnung.“ Dazu s. Fischer, JherJb 54 (1909), S. 303 (323); Emmenegger, S. 176 ff.; Holler, ZJS 2018, 503 (510 f.); Landau, ZNR 1980, 117 (128); Leonhard, in: FG Wetzell, S. 25 (37).
Erstes Kapitel
Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts Das Ziel dieses Kapitels ist es herzuleiten, wie sich zur Austarierung der miteinander kollidierenden Statusverhältnisse von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall in rechtstechnischer Hinsicht eine erb- und eine güterrechtliche Dimension herausgebildet haben. Dabei soll zugleich die gesetzgebungsgeschichtliche Entfaltung dieser Rechtstechnik mit den ihnen zugrunde liegenden Wandlungen im Eherechtsdenken in Verbindung gebracht werden. Die nachstehenden Ausführungen beschränken sich in diesem Zusammenhang auf die römische (§ 1) und deutsche (§ 2) Rechtsentwicklung, da diese im Zentrum der gesetzgeberischen Ausformung des ursprünglichen Ehegattenerbrechts standen.1 Deutlich wird dies bereits an der den Redaktoren der ersten Kommission empfohlenen Arbeitsaufteilung, die die dazu eingesetzte Vorkommission in ihrem gesetzgebungsmethodischen Gutachten vom 15. April 1874 vorschlug.2 Darin befürwortete man beispielsweise, dass einer von insgesamt fünf Redaktoren einheitlich für das Güterrecht und das Erbrecht zuständig sein sollte:3 „Bei ihren insoweit nur vorläufigen Vorschlägen wurden die Unterzeichneten von der Erwägung geleitet, daß […] für das eheliche Güterrecht und das Erbrecht sich ein gemeinsamer Redaktor, jedoch unter Zuordnung mehrerer Spezialkommissare, empfiehlt, indem diese Rechtszweige theils vielfach in einander greifen, theils auf einer ganz eigenthümlichen Verbindung römischer und germanischer Grundsätze beruhen, theils endlich in vorzüglichem Maße gründliche Kenntniß und genaue Berücksichtigung der weitgreifenden örtlichen Rechtsverschiedenheiten erheischen.“4
Im Folgenden soll die bei der Entstehung des BGB augenscheinlich präsente Entwicklung dieser „ganz eigenthümlichen Verbindung römischer und germanischer Grundsätze“ aus dem Blickwinkel der rechtstechnischen Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts untersucht werden.
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Dazu s. Denkschrift, S. 245, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 850: „Nach gemeinem Rechte […]. Dagegen hat das deutsche Recht […].“ 2 Gutachten der Vorkommission, in: Jakobs/Schubert (Hrsg.), Einführung, S. 170 ff. 3 Vorschlag VII.3.c) im Gutachten der Vorkommission, in: Jakobs/Schubert (Hrsg.), Einführung, S. 183. 4 Gutachten der Vorkommission, in: Jakobs/Schubert (Hrsg.), Einführung, S. 178 f.
§ 1 Das Ehegattenerbrecht im römischen Recht
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§ 1 Das Ehegattenerbrecht im römischen Recht Hinsichtlich der Entwicklung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts innerhalb des römischen Rechts konzentrieren sich die Ausführungen auf den im Entstehungsprozess des BGB explizit in Bezug genommenen „der dürftigen Wittwe zustehenden Anspruch“ – die quarta uxoria – und auf die den Ehegatten als solchen „erst hinter sämmtlichen erbberechtigten Verwandten“ berufende Erbfolge – das prätorische Edikt unde vir et uxor.5 Dabei sollen zunächst die Wandlungen des Eherechtsdenkens im römischen Recht erläutert und damit das Fundament freigelegt werden, auf dem sich in rechtstechnischer Hinsicht die erbund güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts herausgebildet haben.
I. Die Wandlungen im Eherechtsdenken Wie das altrömische ius civile den Ehegatten und die Verwandten des Erblassers miteinander in Beziehung setzte, drückt sich bereits in dessen familienrechtlichen Zentralbegriffen der patria potestas des paterfamilias und der uxor in manu aus.6 Der Mensch war in den Rechtsverband der Familie eingebunden und der Hausgewalt des Familienvaters unterworfen.7 Die Intestaterbfolge war eine Hauserbfolge der gewaltunterworfenen Mitglieder der Hausgemeinschaft8 – der Kinder und der Ehefrau, die mit dem Eheschluss aus der Hausgewalt ihres Vaters heraustrat und in die Ehegewalt ihres Mannes überging, die anknüpfend an dessen symbolisch herrschende und schützende Hand als manus bezeichnet wurde.9 Der Übertritt der Ehefrau in die manus des Ehemannes lässt sich insoweit als familienrechtliche „Fiktion“10 beschreiben und bewirkte, dass sich die Beziehung zu ihren bisherigen agnatischen – also nur über die männliche Hausgewalt vermittelten – Verwandten
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Denkschrift, S. 245, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 850. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 50 f., 56 f., 58 ff., 76 ff.; zu den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den Anfängen des ius civile s. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, S. 185 ff., 203 ff., 236 ff.; ferner s. Meder, S. 46 ff. 7 Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, S. 195 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 50 ff., 60 ff. Wegen der Unterwerfung unter die patria potestas des Hausvaters konnte dieser nur beerbt werden, aber nicht seinerseits die ihm gewaltunterworfenen Familienmitglieder beerben. Denn die Hauskinder waren eigener Vermögensrechte unfähig, sodass ihr Erwerb dem Hausvater wegen dessen patria potestas zufiel und sie ihrerseits zu dessen Lebzeiten keine selbstständige und von seinem Willen unabhängige aktive Mitberechtigung am Familiengut hatten; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 52; ferner s. Honsell, S. 182; MayerMaly, S. 21 ff. 8 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 92; Honsell, S. 179; Mayer-Maly, S. 24. 9 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 76 ff.; Honsell, S. 180; Mayer-Maly, S. 24; Duncker, S. 375 ff. 10 Zu dem Begriff der Fiktion in diesem Kontext s. Fröschle, S. 31. 6
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
auflöste.11 Darüber hinaus hatte diese Auflösung zur Folge, dass die Ehefrau – was hinsichtlich der Kinder die patria potestas des Familienvaters bewirkte – nun in einer ihre Erbenstellung begründenden agnatischen Verwandtschaftsbeziehung zu ihrem Ehemann stand. Somit trat die Ehefrau nur dort, wo eine durch Gewaltunterwerfung begründete Verwandtschaft zu ihrem Ehemann konstruiert werden konnte, erbrechtlich in Erscheinung; sie erbte neben den Kindern des Erblassers wie eine Tochter und stand daher in der auf agnatischer Verwandtschaft gegründeten Erbhierarchie filiae loco.12 Demgegenüber kam zur Zeit der klassischen Epoche – der Epoche des ius praetorium – vermehrt das Modell der manus-freien Ehe auf, die dadurch gekennzeichnet war, dass das Gewaltverhältnis zum Ehemann als Voraussetzung der agnatischen Verwandtschaft mit ihm gerade nicht vorlag.13 In diesem Fall behielten die Ehegatten jeweils die Gewalt über ihr eigenes Vermögen und ein agnatisch begründetes Intestaterbrecht der Ehefrau nach ihrem Ehemann – filiae loco – bestand nicht; soweit die Ehefrau unter der Gewalt ihres Hausvaters stand, beerbte sie diesen.14 Die Gründe für diesen praktisch wirksam gewordenen Wandel im Ehemodell wurzelten in der innerfamiliären Situation, in welchem Umfang die Familie der Ehefrau dem Ehemann eine Mitgift geben konnte, ob die rechtlich relevante Verwandtschaft der Ehefrau zu ihrer Familie erlöschen sollte oder nicht und wie letztlich das güterrechtliche Verhältnis zu ihrem Ehemann ausgestaltet sein sollte.15 Festzuhalten ist, dass im Agnationsprinzip des ius civile der Ehe als solcher gerade keine erbrechtsaktivierende Qualität beigemessen wurde, sondern die Ehefrau im Erbfall entweder mit ihrer ursprünglichen Familie verwandt blieb – so in der manus-freien Ehe – oder in ihrer eigenen Familie als Verwandte fingiert werden musste – so in der manus-Ehe –, um jeweils als Erbin des paterfamilias beachtet zu werden.16 Insoweit basierte das altrömische ius civile auf einer Trennung der erbrechtlich relevanten Begründung einer agnatischen Verwandtschaft durch Unter11
Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 79. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 695, 91 ff., 95 ff., 330, 79 f.; Honsell, S. 189 f. 13 Meder, S. 51 ff. („Paradigmenwechsel im klassischen Ehe- und Familienrecht“). 14 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 329 f.; ferner Heyse, S. 25. Soweit die Ehefrau unter der Gewalt ihres Hausvaters stand, war ihr Vermögen ihm zugewiesen. 15 Zu diesen Erwägungen für die Wahl des Ehemodells s. Schmid, S. 36 f.; Heyse, S. 30 (Fn. 117); Gratwick, in: Craik (Hrsg.), S. 30 (44, 46 ff.); ferner s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 79, der die Einführung der manus-freien Ehe auf die Verheiratung einer Frau sui iuris zurückführt: „Diese war zwar eines eigenen Vermögens fähig, stand jedoch unter der Vormundschaft ihrer Agnaten, die ihre nächstberufenen Erben waren […]. Sie waren deshalb daran interessiert, daß die Frau nicht durch conventio in manum ihr Vermögen ihrem Ehemann einbrachte und dadurch der Einwirkung und Erbanwartschaft der Agnaten entzog.“ (Hervorhebung im Original). 16 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 80: „Auf die vermögensrechtliche Lage hat die Eheschließung als solche keine rechtliche Wirkung […]. Dagegen bewirkt der manus-Übertritt der Frau sui iuris, daß ihr Vermögen an den Mann oder seinen Gewalthaber fällt […].“ (Hervorhebungen im Original). 12
§ 1 Das Ehegattenerbrecht im römischen Recht
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werfung unter die manus des Ehemannes von dem erbrechtlich irrelevanten Tatbestand der sozial gelebten Ehe.17 In den Novellen löste man die Intestaterbfolge der Verwandten vom Agnationsprinzip und ging zum Cognationsprinzip über. Gegenüber dieser Änderung in der Konstruktion des Verwandtenerbrechts blieb der Ehegatte in den Novellen Justinians unerwähnt, sodass insoweit der bestehende und im ius praetorium ausgeformte Rechtszustand aufrechterhalten bleiben sollte.18
II. Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen Das Ziel der folgenden Ausführungen ist es, auf dem Boden dieser Wandlung von der manus- zur manus-freien Ehe die rechtstechnische Ausbildung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen im ius praetorium und in den Novellen Justinians zu untersuchen. 1. Die Entwicklungen im ius praetorium a) Die güterrechtliche Dimension: Die dos der Ehefrau Im Zentrum der rechtstechnischen Gestaltung des Güterrechts stand die dos der Ehefrau – ihre Mitgift. Sowohl in einer manus-Ehe als auch in einer manus-freien Ehe war der paterfamilias der Ehefrau zwar nicht rechtlich, aber sittlich verpflichtet, dem Ehemann eine dos zu gewähren, die dazu bestimmt war, die Lebensbedingungen des Ehemannes zu verbessern, der nun seinerseits wiederum nur sittlich verpflichtet war, seine Ehefrau an seinem Lebensstandard partizipieren zu lassen, sodass die dos auf diesem Wege auch der Ehefrau wieder zugutekommen sollte.19 Neben diese primäre Unterhaltsfunktion – die dos wirkte als Beitrag zu den vom Mann zu tragenden Ehelasten – trat angesichts des erbrechtlichen Ignorierens der zunehmend in einer manus-freien Ehe lebenden Frauen in gewisser Weise eine nacheheliche Versorgungsfunktion hinzu: „Rei publicae interest mulieres dotes salvas habere, propter quas nubere possunt.“20 Weil verwitwete oder geschiedene Frauen ohne 17 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 72 f. Die als „ein faktisches Verhältnis des sozialen Lebens“ wahrgenommene Ehe hatte nur einen „außerjuristischen Charakter“ und der Gedanke einer mit erbrechtlichen Wirkungen ausgestatteten Gemeinschaft unter den Ehegatten war nicht ausgeprägt und trotz einer hohen sittlichen Achtung der Ehe blieb eine rechtliche Anerkennung dieser Sitten aus; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 311, 323, 73. So war der Ehemann nur sittlich, aber nicht rechtlich gebunden, der Ehefrau Unterhalt zu gewähren; dazu s. dens., Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 329. 18 Zu den justinianischen Regelungen in den Novellen 118 und 127, 1 s. Zimmermann, RabelsZ 79 (2015), S. 768 (770 ff.); ferner s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (42); Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 510; Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 602 f. 19 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 332 ff.; ferner s. Söllner, S. 108 ff., S. 113. 20 Paul. D. 23.3.2: „Es liegt im Interesse des Staates, daß Frauen eine Mitgift sicher ist, so daß sie heiraten können.“ (Übersetzung nach Knütel et al. (Hrsg.), S. 164).
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
Mitgift keine neue Ehe eingehen konnten, wurde die Sicherung der Mitgift für die Ehefrau zur öffentlichen Angelegenheit (rei publicae).21 Eine Versorgung nach Auflösung der Ehe wurde gerade deshalb notwendig, da mit der Auflösung die Unterhaltsleistungen des Mannes für die Frau entfielen und dieser Nachteil nicht ohne Weiteres dadurch kompensiert wurde, dass die uxor in manu ihren Ehegatten filiae loco oder die Frau in einer manus-freien Ehe den paterfamilias ihrer Herkunftsfamilie beerbte.22 Die somit vorrangig güterrechtliche Versorgung verwirklichte sich bei Scheidung23 oder Tod des Ehemannes24 dadurch, dass die Dotalsachen an die Ehefrau25 herauszugeben waren. Verstarb hingegen zuerst die Ehefrau, so fiel die dos an ihren – noch lebenden – Besteller zurück und verblieb bei dessen Vorversterben dem Ehemann.26 In materieller Hinsicht sollte dadurch erreicht werden, dass dem Ehemann die dos beim Tode der Ehefrau nicht ipso iure zufällt. Um dies abzusichern, begründete man daher in klassischer Zeit durch Stipulationen klagbare Forderungsrechte des dos-Bestellers gegen den Ehemann.27 Im Ergebnis bestand die primäre Errungenschaft des ius praetorium also darin, den güterrechtlichen Schutz der Frau hinsichtlich der Herausgabe der ihr bei Auflösung der Ehe wieder zufallenden dos zweifach auszubauen – materiell durch die Einschränkungen der Verfügungsfreiheit des Mannes über das Dotalgut und prozessual durch die Gestaltung einer neuen Klage, der actio rei uxoriae.28 Im Kern zeigt 21 Söllner, S. 113, 114 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 332 ff.; Kaser/Knütel/ Lohsse, § 59 Rn. 8 f.; ferner s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (43). 22 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 81. 23 Im Fall der Scheidung einer manus-freien Ehe ging die dos auf die Frau selbst über oder sie erwarb diese, soweit sie unter väterlicher Gewalt stand, für ihren paterfamilias; dazu s. Söllner, S. 69 f. Wurde eine manus-Ehe geschieden, wurde die Herausgabe der dos als Selbstverständlichkeit betrachtet, war aber im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet; dazu s. Söllner, S. 63 ff. 24 Im Fall des Todes des Ehemannes waren dessen Erben der Ehefrau zur Herausgabe der dos verpflichtet; stand die Ehefrau unter der manus ihres verstorbenen Ehemannes, so erlangte sie das Eigentum an ihren Dotalgegenständen, sobald sie von fremder Gewalt frei geworden war; dazu s. Söllner, S. 46 ff. 25 Die Ehefrau selbst erlangte das Eigentum an den Dotalsachen und konnte dieses von den Erben herausverlangen, wenn sie in einer manus-Ehe mit dem Erblasser verheiratet war, denn dann ist sie mit dem Tode ihres Ehemannes gewaltfrei geworden. Lebte sie aber in einer manusfreien Ehe, so fiel sie auch nach dem Tode ihres Mannes unter die väterliche Gewalt, sodass ihr Eigentumsrecht an der dos bis zum Tode ihres Vaters von dessen potestas überlagert blieb; erst nach seinem Tode konnte sie aus ihrem Eigentumsrecht gegen die Erben im Wege der actio rei uxoriae (hierzu sogleich) klagen; dazu s. Söllner, S. 48. 26 Söllner, S. 54 ff., 59. Der überlebende Ehemann konnte jedoch für jedes aus der Ehe stammende Kind ein Fünftel abziehen, sodass er bei fünf oder mehr Kindern die gesamte dos behalten konnte; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 339; Söllner, S. 58. 27 Söllner, S. 62, 103 f., 153 („Lücke im Rechtsschutz“); zur Stipulation s. Kaser/Knütel/ Lohsse, § 7 Rn. 20 ff. 28 Bezeichnend für die Verfügungsbeschränkungen des Ehemannes über die dos war etwa die Untersagung in der Lex Iulia, ein Dotalgrundstück ohne Zustimmung der Ehefrau zu veräußern; vgl. Gai. D. 23.5.5; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 334; zur Ent-
§ 1 Das Ehegattenerbrecht im römischen Recht
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diese Rechtsentwicklung, dass die dos insbesondere in der manus-freien Ehe die Funktion einer „Garantie für die eheliche Treue und für den Bestand der Ehe“ übernahm.29 Zum einen stabilisierte eine solche gesicherte Herausgabepflicht nämlich die Kontinuität der Ehe, weil eine leichtfertige Scheidung, wenngleich diese im römischen Recht „als unantastbares, aus dem Wesen der Ehe folgendes Prinzip“ galt,30 mit weitreichenden Abflüssen des Dotalvermögens auf Seiten des Ehemannes zu koinzidieren drohte.31 Zum anderen zeigt sich hierin aber auch der Gedanke, dass die durch die dos herbeigeführte ehezeitige Vermögensakkumulation nicht den Ehemann auf Kosten der vorverstorbenen Ehefrau bereichern sollte.32 b) Die erbrechtliche Dimension: Die bonorum possessio unde vir et uxor Diese beiden Grundwertungen – das eheliche Bereicherungsverbot und die Tendenz zur rechtlichen Stabilisierung der manus-freien Ehe – finden sich in der Gestaltung der prätorischen Intestaterbfolge wieder, innerhalb welcher die Ehe als Berufungsgrund sowohl zugunsten des Mannes (vir) als auch der Frau (uxor) relevant wurde: „Sed successionem ab intestato“, so heißt es in einer Anmerkung bei Ulpian zu diesem prätorischen Edikt, „in plures partes divisit: fecit enim gradus varios, primum liberorum, secundum legitimorum, tertium cognatorum, deinde viri et uxoris.“33 Der Prätor unterteilte die Intestaterbfolge in vier Klassen von Antragsberechtigten für die Einweisung in die bonorum possessio, denen er selbst zwar keine Erbenstellung zusprach, ihnen aber in Gestalt einer solchen Einweisung für eine bestimmte Frist die Möglichkeit eröffnete, die Erbenstellung nach ius civile zu ersitzen und die altrömische Erbfolge somit faktisch in Teilen korrigierte.34 So waren zunächst die Kinder (liberorum), dann die nach ius civile zur Erbfolge Berufenen (legitimorum), danach die Blutsverwandten (cognatorum) bis zum 6. Grad, aus dem 7. Grad noch die Kinder von Enkeln der Geschwister und schließlich – nur vor dem Fiskus – der Ehemann und die Ehefrau (viri et uxoris) berechtigt, die Erteilung des Nachlassbesitzes zu beantragen.35 Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass der Prätor auf die agnatische Verwandtschaft zum Erblasser als bisher unentbehrliche Voraussetzung verzichtete und damit der Ehe an sich eine erbrechtliche Relevanz
stehung und Funktion der actio rei uxoriae s. Söllner, S. 135 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 337 f. 29 Söllner, S. 157 (Hervorhebung im Original). 30 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 326; ferner s. Söllner, S. 114 ff. 31 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 333; Kaser/Knütel/Lohsse, § 59 Rn. 8; Söllner, S. 111, 157. 32 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 329; Babusiaux, S. 146. 33 D. 38.6.1.1 Ulpianus 44 ad edictum; zitiert nach Babusiaux, S. 61. 34 Babusiaux, S. 68, S. 40 f. 35 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 697 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, § 66 Rn. 15; Mayer-Maly, S. 169; Babusiaux, S. 61 ff.
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
zusprach:36 „Ut bonorum possessio peti possit unde vir et uxor, iustum esse matrimonium oportet.“37 Damit die bonorum possessio in der Klasse unde vir et uxor beansprucht werden konnte, musste eine nach ius civile rechtsgültige Ehe bestehen. Somit ist festzuhalten, dass nun der Ehestatus als solcher die Integration des Ehegatten in das prätorische Erbrechtsregime ermöglichte. Um ihre erbrechtliche Schlechterstellung zu beseitigen, wurde die Ehefrau im prätorischen Edikt also nicht auf die bestehende Rechtsmöglichkeit verwiesen, eine manus-Ehe einzugehen und so eine agnatische Verwandtschaft mit ihrem Ehemann zu begründen, sondern der Prätor ließ dem gewandelten Ehemodell eine gewandelte Erbrechtsgestaltung folgen. Betrachtet man die Integration des Ehegatten durch den Prätor aus einem rechtstechnischen Blickwinkel, so lässt sich ein Wechselspiel zwischen den römischen Rechtsschichten erkennen: Das prätorische Erbrechtsregime setzte die Erbfolge des ius civile unter den Druck, sich an die Wandlungen im Eherechtsdenken anzupassen. Die entstandenen Spannungen konnten aber ihrerseits dadurch entschärft werden, dass die Rechtsschicht des ius civile in das System des ius praetorium integriert wurde.38 Die nach ius civile in einer manus-Ehe lebende Frau wurde nämlich – sie stand filiae loco – auch im prätorischen Edikt in den ersten beiden Klassen entweder als Kind oder als nach ius civile Legitimierte berufen.39 Die Anpassung des Erbrechts erfolgte somit in einer Weise, die die bisher gemachten Rechtserfahrungen verarbeitete und eine abrupte Abschaffung hergebrachter Grundwertungen verhinderte.40 In diesem Sinne bewahrte und bestätigte das prätorische Edikt, indem es den gewaltfreien Ehegatten nur an letzter Stelle nach allen erbberechtigten Blutsverwandten aufnahm, das eherechtliche Bereicherungsverbot.41 Der innere Rechtfertigungsgrund, warum der Ehegatte erst an letzter Stelle in der Intestaterbfolge berufen wurde, stimmte insoweit auch mit dem Motiv für die Nichtigkeit von Schenkungen unter Ehegatten überein: „Die Abneigung dagegen, daß ein Vermögen durch Ehe auf eine andere Familie übergeht, lebt, wie im Schenkungsverbot unter Ehegatten […], so auch im Ehegattenerbrecht fort.“42 So heißt es bei Ulpian: „Moribus apud nos receptum est, ne inter virum et uxorem donationes valerent. hoc autem receptum est, ne mutuo amore invicem spoliarentur donationibus non temperantes, sed profusa erga se facilitate.“43 Die gewohnheitsrechtliche Anerkennung des Schenkungsverbots wurde
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Babusiaux, S. 67. D. 38.11.1pr.–1 Ulpianus 47 ad edictum; zitiert nach Babusiaux, S. 67. 38 Babusiaux, S. 324 ff.: „synchrone Ablagerung“ (S. 326). 39 Honsell, S. 190; Kaser/Knütel/Lohsse, § 66 Rn. 16. 40 Babusiaux, S. 26. 41 Grundlegend zum Bereicherungsgedanken bei der Schenkung unter Ehegatten, s. Misera, S. 6 ff., 263 ff., 270 ff., S. 286 ff. 42 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 671; Kaser/Knütel/Lohsse, § 66 Rn. 16; zweifelnd Honsell, S. 190. 43 Ulp. D. 24.1.1: „Gewohnheitsrechtlich ist bei uns anerkannt, daß Schenkungen unter Ehegatten unwirksam sind. Und dies wurde deshalb anerkannt, damit sie sich nicht aus Liebe zuein37
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also im Wesentlichen mit der übergreifenden Zielsetzung begründet, einen Vermögensübergang von der einen in die andere Familie zu vermeiden. Denn Ehegatten sollten sich nicht in wechselseitiger Liebe gegenseitig durch verschwenderische Großzügigkeit berauben (ne mutuo amore invicem spoliarentur); insbesondere sollten stark gefühlsbestimmte Vermögensverschiebungen verhindert werden – etwa solche, bei denen ein Ehegatte den anderen durch Geschenke zu bewegen versuchte, auf eine Scheidung zu verzichten.44 Die Ehe sollte also weder einen Vermögensübergang ermöglichen noch in ihrem Fortbestand käuflich sein.45 Dahinter stand wiederum die materielle Wertentscheidung, dass der Ehegatte als eine an sich familienfremde Person betrachtet wurde und dieser daher gegenüber den Verwandten des Erblassers zurückzustehen habe. Fasst man diese Entwicklung zusammen, so ist der Ehegatte als solcher erst durch die bonorum possessio in das prätorische Erbrechtsregime integriert worden – dies wegen seiner subsidiären Klasse aber bloß theoretisch, sodass das Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall schwerpunktmäßig zugunsten der Verwandten des Erblassers ausgelotet wurde, weil man insbesondere Vermögensübergänge von der einen in die andere Familie verhindern wollte. Man sah die Ehe also gerade nicht als eine eigenständige Wertungsgröße innerhalb des Erbrechts an und betrachtete insbesondere die manus-freie Ehefrau als Mitglied einer fremden Familie.46 Ihr verblieb daher als Witwe nur die Möglichkeit, ihre Versorgung primär güterrechtlich durch die Herausgabe der dos im Wege der actio rei uxoriae zu verwirklichen.47 Dabei blieben Notlagen nicht aus, derer sich Justinian jedoch annahm.48 ander gegenseitig ausrauben – indem sie bei Schenkungen nicht maßhalten, sondern untereinander von verschwenderischer Großzügigkeit sind.“ (Übersetzung nach Knütel et al. (Hrsg.), S. 225). 44 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 331. 45 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 331; Kaser/Knütel/Lohsse, § 59 Rn. 4 f.; MayerMaly, S. 26; Babusiaux, S. 146; kritisch gegenüber diesen Zwecken s. Honsell, S. 156 (Fn. 301). Zur Zeit der augusteischen Ehegesetze kam hinzu, dass Ehegatten, die in einer verbotenen oder kinderlos gebliebenen Ehe lebten, die erbrechtlichen Erwerbsbeschränkungen nicht durch Schenkungen umgehen können sollten; dazu s. Heyse, S. 117 ff., 129 ff. Zu den Sanktionen der später von Justinian aufgehobenen lex Iulia et Papia s. Babusiaux, S. 115. Zuweilen wird im Verbot von Ehegattenschenkungen eine Stabilisierung der Ehe gesehen: Wer von seinem Ehegatten ein Geschenk annehme, der lerne, das andere, was nicht geschenkt wird, für fremd anzusehen. In der Folge würden sich die Ehegatten all das entziehen, was sie sich nicht geschenkt hätten; dazu s. Misera, S. 291. 46 Vgl. Heyse, S. 28. 47 Zur Entwicklung der actio rei uxoriae s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 323, 337 f.; Moll, S. 8; Heyse, S. 100 ff. 48 Dass es Notlagen gab, die die Rufe nach einer Verbesserung der Position des überlebenden Ehegatten haben aufkommen lassen, lässt sich aus einer zeitweise in Kraft gewesenen, das Ehegattenerbrecht aufwertenden, inhaltlich aber nicht überlieferten Kaiserkonstitution entnehmen, die indes im Jahre 428 n. Chr. aufgehoben wurde, dazu s. Heyse, S. 30 f.; Moll, S. 7; Mayer-Maly, S. 169. Es musste sich also gegenüber dem subsidiären prätorischen Edikt unde vir et uxor zeitweise das Bedürfnis durchgesetzt haben, den Ehegatten innerhalb der Intestaterbfolge den näheren Verwandten vorzuziehen oder ihnen gleichzustellen. Aus dem Codex Theodosius V.1.8.9 erfährt man: „Nunc vero parentibus extantibus vel propinquis ab intestato
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
2. Die Entwicklungen in den Novellen a) Der Primat der güterrechtlichen Dimension Bezeichnend für die Novellen Justinians war der Vorrang güterrechtlicher vor erbrechtlichen Überarbeitungen.49 Das Güterrecht wurde dabei in einer Weise verändert, die eine klare Tendenz zur Verbesserung der Versorgung der Ehefrau nach beendeter Ehe aufwies und zur Erreichung dieses Ziels nach Anschlussmöglichkeiten im bestehenden System suchen musste.50 Dieses Anliegen, die überlebende Ehefrau zu versorgen, verwirklichte Justinian dadurch, dass die Substanz der dos während der Ehe besser erhalten,51 ihre Herausgabe prozessual effektiver gestaltet52 venire coniuges prohibemus.“ Hiermit verboten die Kaiser Valentian III. und Theodosius II., dass Ehegatten den Eltern oder weiteren Verwandten in der Intestaterbfolge vorgehen. Sie verwiesen die Ehegatten auf die nicht mehr durch die augusteischen Ehegesetze gehinderte Möglichkeit der testamentarischen Erbeinsetzung und stellten somit das die erbrechtliche Subsidiarität des Ehegatten durchziehende prätorische Regime wieder her; dazu s. Heyse, S. 31; Moll, S. 7. 49 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 111, 113; Kaser/Knütel/Lohsse, § 13 Rn. 2 ff. 50 Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 110, 185 ff. 51 Die sittliche Pflicht zur Dotierung erstarkte zu einer Rechtspflicht für den Vater, ausnahmsweise auch für die Mutter. Die Verfügungsbefugnis des Ehemannes über Dotalgrundstücke wurde weiter beschnitten; seine Berechtigung an der dos wurde insgesamt zu einem Eigentum abgeschwächt, dessen Inhalt über den eines Nießbrauchs kaum hinausreichte; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 186, 188, 185; Kaser/Knütel/Lohsse, § 59 Rn. 8. 52 Hinsichtlich der Herausgabe der dos haftete der Mann nach verschärften Sorgfaltspflichten und zur Sicherung des Herausgabeumfangs wurde sein Vermögen mit einer vor allen anderen Pfandrechten privilegierten gesetzlichen Generalhypothek belastet; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 191, 335 (Fn. 65), 192 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, § 59 Rn. 24 ff. Der Herausgabeanspruch der Ehefrau sollte verhindern, „daß die infelix mulier indotata in Not gerät und der Öffentlichkeit zur Last fällt.“ Dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 190 (Hervorhebung im Original). Unter dieser Maxime modifizierte Justinan die actio rei uxoriae des ius praetorium zu einem „hybride[n] Gebilde“ – der actio ex stipulatu; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 191. Aus dem Blickwinkel der Rechtstechnik fällt auf, dass diese entgegen dem eigentlichen Wesen einer Stipulationsklage nicht strenger Rechtsnatur war, sondern als bonae fidei iudicium mit einem billigen Ermessensspielraum ausgestattet gewesen ist. So sollte der iudex beurteilen, was hinsichtlich der Herausgabe der dos an die Ehefrau billiger und gerechter sei, als es dem Ehemann oder seinen Erben zu hinterlassen. Mit dem Griff zur Stipulationsklage hat Justinian diese kautelarjuristische Gestaltung, derer sich bisher die Besteller der dos gegenüber dem überlebenden Ehemann zur Begründung klagbarer Rückgaberechte bedienten, prozessual adaptiert; dazu s. Kaser/Knütel/Lohsse, § 7 Rn. 20 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 191 sowie Bd. 1, S. 337 f.; ferner s. auch Söllner, S. 141 ff., 154, 138. Bemerkenswert ist jedoch, dass jenes Motiv – Ausschluss der Bereicherung des einen Ehegatten durch das Vermögen des anderen – die Zuweisungsregelungen der dos nach dem Tode der Ehefrau in der Kaiserzeit immer weniger durchzog. Stattdessen zeichnete sich die Tendenz ab, den Kindern der verstorbenen Ehefrau das Eigentum und dem Ehemann einen Nießbrauch an den Dotalsachen zu geben; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 189 f. (mit Darstellung der Unterschiede im west- und oströmischen Reich), S. 109 (zur Aufwertung des Ehegatten: „Nutzeigentum“ an den Sachen des verstorbenen Ehegatten im Verhältnis zu dem „Rechtseigentum“ der Kinder).
§ 1 Das Ehegattenerbrecht im römischen Recht
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und das Verbot der Eheschenkungen restriktiver gehandhabt wurde53. Dabei war die Ausgestaltung dieses güterrechtlichen Primats wiederum der rechtstechnische Ausdruck einer Anlagerung von Rechtsschichten innerhalb der römischen Rechtsordnung und ihrer Anpassung an ein sich wandelndes Eherechtsdenken.54 So traten auch die Novellen als eine weitere Rechtsschicht zum ius civile und ius praetorium hinzu, lösten allmählich den bestehenden Rechtsfundus ab, ohne diesen formell außer Kraft zu setzen und waren ihrerseits auf die Entwicklung formell- und materiell-rechtlich anpassungsfähiger Gestaltungen angewiesen.55 Dabei knüpfte Justinian in rechtstechnischer Hinsicht primär an die im ius praetorium entdeckte Leistungsfähigkeit des Güterrechts an, um Notlagen einer „infelix mulier indotata“56 zu verhindern. 53 Die Schenkung unter Ehegatten avancierte von ihrer anfänglichen Nichtigkeit zu einem mit den Aufgaben der dos funktionalen Äquivalent, denn sie diente dazu, den Bestand der Ehe zu stabilisieren und nach Auflösung der Ehe die Witwe zu versorgen. Angesichts dieser Kongruenz wurden dos und Eheschenkung rechtlich parallel ausgestaltet: Wie der Vater der Frau zur Dotierung verpflichtet war, so wurde nun auch der Vater des Ehemannes zur Bestellung der Eheschenkung verpflichtet; dos und Eheschenkung wurden in ihrer Höhe angeglichen; die Sicherungen des Herausgabeanspruchs der Ehefrau auf die dos – Veräußerungsverbot und Generalhypothek – wurden auf die vom Mann verwaltete Eheschenkung erstreckt; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 194, 197, 199, 201. Zugleich verblasste die Bedeutung der typischen Provenienz der dos vonseiten der Ehefrau und der Eheschenkung vonseiten des Ehemannes, da das Eigentum an der dos oder an den Ehegeschenken bei Versterben des Ehegatten, von dessen Seite das Vermögen typischerweise herrührte, zunächst den Kindern zufiel und mit einem Nießbrauch für die überlebende Ehefrau belastet war. Ein Eigentum an den Ehegeschenken in Höhe eines Kopfteils neben den Kindern nach dem Tod des Ehemannes erhielt die Ehefrau durch Nov. 127.3; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 1, S. 200. In der vorjustinianischen Gesetzgebung fiel die Eheschenkung nur dann an die Kinder, wenn die Frau eine neue Ehe einging; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 196 f. Zur Lage hinsichtlich der Dotalsachen s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 188, 190; ferner s. Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 238 f. Relevant wurde die Bindung zugunsten der Kinder insbesondere im Fall der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten; sie mündete in die Idee einer Familienstiftung; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 180 ff. Diese Aufwertung güterrechtlicher Versorgungsinstrumente vollzog Justinian, indem er das Institut ehezeitiger Schenkungen als donatio propter nuptias verselbstständigte und es auf diesem Wege gegenüber dem herkömmlichen Nichtigkeitsverdikt immunisierte, weil es ihm gelang, durch die Betonung der Versorgungsfunktion der Eheschenkung das ihre Nichtigkeit bewirkende eheliche Bereicherungsverbot teleologisch zu reduzieren. Kurz: Eine ehebedingte Bereicherung war dort nicht verboten, wo die Versorgung der überlebenden Ehefrau bezweckt wurde; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 199 f. Besonders wurde dieser Wandel auch in der veränderten Terminologie deutlich: Schenkungen wegen der Ehe (propter nuptias) wurden als solche anerkannt; eine Eheschenkung musste nicht mehr, um wirksam zu sein, vor der Ehe (ante nuptias) stattfinden; dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 193 f. Zum Ganzen s. auch Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 238 f. 54 In diese Richtung auch Avenarius, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 7 (78) („Tauglichkeit für die Regelungsbedürfnisse in verschiedenen Gesellschaftszuständen sowie die Kompatibilität mit den jeweils ,aufnehmenden‘ Verhältnissen“). 55 Zu diesem Verständnis der römischen Rechtsordnung s. Babusiaux, S. 326, 44. 56 Dazu s. Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 190.
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
b) Die Subsidiarität der erbrechtlichen Dimension Erst mit dem Versagen der güterrechtlich etablierten Sicherungsmechanismen öffnete sich der Weg zum Erbrecht; die rechtstechnische Weiterentwicklung der erbrechtlichen Dimension der Rechte des überlebenden Ehegatten war also subsidiär. In diesem Lichte ist es zu sehen, dass es unter Justinian zu keinen Fortschritten im Intestaterbrecht des Ehegatten kam.57 Soweit er das Intestaterbrecht gestaltete, erneuerte er die Verwandtenerbfolge58 und beließ es hinsichtlich des Ehegatten beim zurückhaltenden prätorischen Edikt unde vir et uxor.59 Weil das cognatische Verwandtenerbrecht im Gegensatz zur prätorischen bonorum possessio keine Begrenzung auf einen bestimmten Verwandtschaftsgrad mehr kannte, war die erbrechtliche Stellung des Ehegatten sogar noch schlechter als zuvor, da er nur dann zum Zuge kam, wenn überhaupt keine Verwandten vorhanden waren.60 Bemerkenswert ist jedoch, wie sich unter Justinian ein Prozess wiederholte, der sich bereits im prätorischen Edikt unde vir et uxor vollzogen hatte. So, wie der Prätor sein Erbrechtsregime an das aufgekommene Modell der manus-freien Ehe anpasste, so korrigierte Justinian die als defizitär empfundenen Konsequenzen des versorgungsrechtlich bereits ausgebauten Güterrechts nun durch die Schöpfung der quarta uxoria – der Quart der armen Witwe: „Quoniam vero ad clementiam omnis a nobis lex aptata est, videmus autem quosdam cohaerentes mulieribus indotatis […] mulieres autem […] attamen eo quod non sit facta neque dos neque antenuptialis donatio nihil habere valentes, sed novissima viventes inopia, propterea sancimus providentiam fieri etiam harum et in successione morientis et huiusmodi uxorem cum filiis vocari.“61 Milde (ad clementiam) veranlasste Justinian zu dieser Fürsorge (providentiam). Die Witwe eines wohlhabenden Erblassers, die mit ihm bis zu dessen Tod rechts57
Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 466. Die Intestaterbfolge der Verwandten regelte Justinian grundlegend in der Nov. 118 und ergänzte sie durch die Nov. 127.1; sie richtete sich nicht mehr nach der agnatischen, sondern nach der cognatischen Verwandtschaft und bestand aus drei Klassen: den Abkömmlingen (Deszendenten), Vorfahren (Aszendenten) und Seitenverwandten (Kollaterale); dazu s. Zimmermann, RabelsZ 79 (2015), S. 768 (770 ff.); Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 463 ff., 497 ff.; für eine Aufteilung in vier Klassen s. Mayer-Maly, S. 169: Deszendenten (1), Aszendenten und vollbürtige Geschwister und deren Kinder (2), halbbürtige Geschwister und deren Kinder (3) und alle übrigen Seitenverwandten (4), der ferner darauf verweist, dass hiermit die Begrenzung der prätorischen Klasse unde cognati auf die Blutsverwandten bis zum 6. Grad und innerhalb des 7. Grades auf die Kinder von Enkeln der Geschwister entfiel; ähnlich auch Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 602 f. 59 Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (42); Heyse, S. 32; Windscheid/Kipp, § 570, S. 345. 60 Mayer-Maly, S. 169 f.; Heyse, S. 38; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (45); ders., RabelsZ 79 (2015), S. 768 (808 ff.). 61 Nov. 53.6; dazu s. Windscheid/Kipp, § 592, S. 412 f.; Moll, S. 7 f.; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (43 ff.). Ursprünglich hatten sowohl der überlebende Ehemann als auch die überlebende Ehefrau Anspruch auf diese Quart, was durch die Nov. 117.5 auf eine ausschließliche Berechtigung der Witwe beschränkt wurde; dazu s. Heyse, S. 36 ff.; Moll, S. 7 f. 58
§ 1 Das Ehegattenerbrecht im römischen Recht
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beständig verheiratet war, erhielt, soweit sie weder durch eine an sie zurückfallende dos noch durch Eheschenkungen gegen Notlagen gesichert war (neque dos neque antenuptialis donatio nihil habere), neben bis zu drei Kindern ein Viertel des Nachlasses, bei mehr Kindern einen Kopfteil maximal bis zum Wert von 100 Pfund Gold; dabei erhielt sie diese Quart neben ihren eigenen Kindern aus der Ehe mit dem Erblasser nur zum Nießbrauch.62 Diese „außergewöhnliche und unsystematische Konstruktion“63 zählte zu denjenigen Bestandteilen der justinianischen Erbrechtsnovellen, die in rechtstechnischer Hinsicht schwierig zu erfassen sind.64 Von einer dem römischen Recht „eigenthümliche[n] Succession der dürftigen Wittwe (portio conjugis inopis)“ spricht Heinrich Gottfried Gengler in seinem Studienbuch „Das Deutsche Privatrecht“.65 Nach Carl Georg von Wächters „Pandekten“ habe Justinian der Witwe gegenüber dem ordentlichen Erbrecht, welches jeder Ehegatte habe, ein „besseres Erbrecht“ gegeben und damit eine „sogenannte außerordentliche Intestaterbfolge“ etabliert.66 In der „Hermeneutisch-systematische[n] Erörterung der Lehre von der Intestaterbfolge“ von Christian Friedrich Glück wird sie hingegen nicht als „wahre Erbportion, sondern bloß als eine besondere Wohlthat des Gesetzes“ betrachtet.67 Aufschluss über die Rechtsstruktur der quarta uxoria68 gibt der von Justinian selbst gewählte Bezugspunkt ihrer Gestaltung: So wie er einer schuldlos verstoßenen Ehefrau ohne Mitgift ein Viertel des Vermögens des Ehemannes zuwies,69 so sollte 62
Dargestellt ist hiermit die Rechtslage nach der Nov. 117.5: „Quia vero legem dudum posuimus praecipientem, ut si quis uxorem aliquando sine dotalibus acceperit cum affectu nuptiali et hanc sine causa legibus agnita proiecerit, accipere eam quartam partem eius substantiae, et aliam post haec fecimus legem decernentem, si quis indotatam uxorem per affectum solum acceperit et usque ad mortem cum ea vivens praemoriatur, accipere similiter et eam quartam illius substantiae portionem. […].“ Dazu s. Windscheid/Kipp, § 574, S. 360 ff.; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (43 f.); Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 507 (Fn. 75); Heyse, S. 33 f. 63 Heyse, S. 34. 64 Glück, § 143, S. 448 ff.: Ist der überlebende Ehegatte als wahrer Erbe zu betrachten? Welchem Ehegatten steht die Quart zu? (§ 137, S. 429 ff.) Wann ist die überlebende Witwe als arm, wann der verstorbene Ehemann aber als reich anzusehen? (§ 138, S. 435 ff.) Wie viel bekommt die Witwe zu ihrem Erbteil aus der Verlassenschaft ihres Mannes? (§ 139, S. 438 ff.) Welches Recht erlangt die arme Witwe auf die ihr zufallende Portion? (§ 140, S. 440) Wie ist der Erbteil des überlebenden Ehegatten zu berechnen? (§ 141, S. 444 ff.) Welche besonderen Eigenschaften hat dieser Erbteil? (§ 142, S. 446 ff.); ferner s. Windscheid/Kipp, § 574, S. 359 ff.; § 593, S. 412 ff.; zum Ganzen s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (44 f.). 65 Gengler, § 188, S. 696 f. (Hervorhebung im Original). 66 Wächter, § 281, S. 702 f. 67 Glück, § 143, S. 448. 68 Nov. 53.6: „Et sicut scripsimus legem volentem, si sine dote existentem uxorem vir dimiserit, quartam partem eius substantiae accipere eam, sic etiam hic […] quartam partem substantiae habere mulierem […].“ Dazu s. Windscheid/Kipp, § 592, S. 412 f.; Moll, S. 7 f.; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (43 ff.). 69 Zu dieser Konstellation s. Nov. 22.18; dazu s. Heyse, S. 43 ff.; Windscheid/Kipp, § 574 (Fn. 10), S. 362.
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
auch die quarta uxoria – „similiter“70, also in gleicher Weise – ausgestaltet sein: nicht als eine auch die Passiva umfassende, dingliche Universalsukzession, sondern als ein mit Alimentationscharakter ausgestatteter und insoweit von dem Kriterium der Bedürftigkeit (inopia) abhängiger Zahlungsanspruch gegen die Erben.71 Der Zweck der quarta uxoria bestand also darin, einen Ausgleich – entsprechend der Versorgung der verstoßenen Ehefrau ohne Mitgift – für güterrechtlich ausgefallene Sicherungen bereitzuhalten.72 Vom eigenen Standpunkt Justinians aus bewirkte die quarta uxoria somit eine Korrektur der an sich zu erwartenden güterrechtlichen Stellung der Witwe, wobei die zu dieser Zielerreichung gewählte rechtstechnische Konstruktion als gesetzliches Vermächtnis qualifiziert werden kann.73 Zu resümieren ist, dass der rechtstechnischen Ausbildung von güter- und erbrechtlichen Mechanismen innerhalb der verschiedenen Rechtsschichten des römischen Rechts ein wertender Ausgleich des materiellen Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall zugrunde lag und dass dieses wertende Justieren den an sich eintretenden erbrechtlichen Ausfall der in einer manus-freien Ehe verheirateten Ehefrau mildern sollte. Gezeigt werden konnte, dass die Wandlungen in der Rechtstechnik auf der materiellen Wertung basierten, dass die überlebende Ehefrau im Erbfall primär ihre dos herausverlangen und verwenden, aber nicht den Verwandten des Erblassers weitergehende Vermögensmassen auf erbrechtlichem Wege entziehen können sollte. Während das prätorische Edikt unde vir et uxor wegen der subsidiären Erbberufung des Ehegatten nur eine geringe praktische Bedeutung hatte, übernahm die durch Justinian eingeführte quarta uxoria insoweit eine erbrechtliche Reservefunktion, als sie die güterrechtlich nicht gesicherte Witwe am Nachlass beteiligte. Gekennzeichnet war aber auch diese Beteiligung von einer Bevorzugung der Verwandten des Erblassers, die paradigmatisch in Wertobergrenzen für die Positionen der Witwe zum Ausdruck kam.
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Nov. 117.5: „Si autem amplius fuerint filii, tantum in utroque similiter casu accipere iubemus mulierem quantum uni competit filiorum […]“; dazu s. Heyse, S. 36. 71 Heyse, S. 35. 72 Heyse, S. 38. 73 Windscheid/Kipp, § 574 (Fn. 10), S. 362; § 593 (Fn. 2), S. 413; Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 507; Heyse, S. 36; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (44).
§ 2 Das Ehegattenerbrecht im deutschen Recht
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§ 2 Das Ehegattenerbrecht im deutschen Recht Gegenüber dem römischen Recht hat das deutsche Recht – so formulierte man es in der Denkschrift zum BGB – „den überlebenden Gatten von jeher günstiger gestellt, indem es ihm entweder als Nachwirkung des ehelichen Güterrechtes bestimmte Vortheile, insbes. die Nutznießung an den Erbtheilen der Abkömmlinge, einräumte oder geradezu ein Erbrecht neben den Verwandten des Verstorbenen gewährte.“74 Damit ist erneut die Frage aufgeworfen, welche Wandlungen sich im Eherechtsdenken vollzogen und wie sich diese in den vielgestaltigen Ausformungen des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall innerhalb der Entwicklung des deutschen Rechts bemerkbar gemacht haben.
I. Die Wandlungen im Eherechtsdenken Im Ausgangspunkt war das der deutschen Rechtsentwicklung zugrunde liegende Eherechtsdenken ähnlich wie die manus-Ehe des altrömischen ius civile von der Munt des Ehemannes – seiner umfassenden Bestimmungsgewalt über die Person der Ehefrau und deren Vermögen75 – und der Unterordnung der Ehefrau unter dessen Vorherrschaft geprägt.76 Diese Vorrangstellung des Ehemannes als Oberhaupt der Familie bestimmte die Entfaltung der güterrechtlichen Dimension des Ehegattenerbrechts.77 Eine sich im Güterrecht niederschlagende egalitäre Wandlung im Eherechtsdenken vollzog sich weder in den kirchlichen Lehren noch im Naturrecht.78 74
Denkschrift, S. 245, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 850. Ogris/Olechowski, in: HRG Bd. 3 (Artikel: Munt, Muntwalt), Sp. 1683 ff.; ferner s. Köbler, S. 385; Meder, S. 77 ff., 166 ff. 76 Stobbe, Handbuch Bd. 4, § 207, S. 3 ff.; Schröder, Güterrecht Bd. 1, S. 1 ff.; ferner s. Meder, S. 77 ff.; Schmid, S. 24 f., 19 f.; Duncker, S. 373 ff., 376 f. 77 Zur Vorrangstellung des Ehemannes in der Entwicklung des Güterrechts s. Schmidt, S. 19 ff., 24 ff., 32 ff.; Duncker, S. 1018 ff.; Meder, S. 166 ff. 78 Die kirchliche Lehre entwickelte sich im Ausgangspunkt als Ungleichheitslehre zuungunsten der Ehefrau, entfaltete aber zugleich formelle Gleichheitsforderungen im Kontext ehelicher Treuepflichten und wies insoweit auch eine die Gleichheit von Ehemann und Ehefrau betreffende Seite auf; dazu s. umfassend und grundlegend Brudermüller, Paarbeziehungen, S. 141 ff.; Duncker, S. 400 ff. Dieses ambivalente Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit spiegelte sich in den säkularen Entwicklungsschritten des Naturrechts wider. So entfaltete sich im 17. und 18. Jahrhundert eine die Gleichheit zum Ausgangspunkt nehmende naturrechtliche Strömung, innerhalb welcher aber dieses Gleichheitsdenken nicht konsequent zur Geltung kam, sondern mit unterschiedlichen Begründungsmustern letztlich in die Ungleichheit der Ehegatten zuungunsten der Ehefrau mündete; dazu s. umfassend und grundlegend Brudermüller, Paarbeziehungen, S. 148 ff.; Duncker, S. 420 ff. Demgegenüber ging die im 19. Jahrhundert überwiegende und auch schon zuvor verbreitete Ansicht von der Ungleichheit der Geschlechter als einem zentralen Merkmal der Ehe aus und gelangte auf dieser Basis zu einem Vorrang des Ehemannes gegenüber der Ehefrau; dazu s. umfassend und grundlegend Brudermüller, Paarbeziehungen, S. 155 ff.; Duncker, S. 420 ff. 75
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
Christliche Ehevorstellungen – freier Willenskonsens, Ehehindernisse, innige Lebensgemeinschaft, Unauflöslichkeit79 – gaben jedoch Impulse zur Versorgung von Witwen80 und boten eine Grundlage für die Aufwertung des Ehestatus im Erbfall: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch.“81 Die entscheidende Wandlung im Eherechtsdenken des deutschen Rechts gegenüber dem römischen Recht, das primär auf güterrechtliche Regelungen zur Herausgabe der dos einer manus-freien Ehefrau setzte, bestand somit darin, die Ehe als eine im Verhältnis zu den Herkunftsfamilien der Ehegatten vermögensrechtlich selbstständige und daher auch im Erbrecht eigenständige Wertungsgröße zu begreifen. Im aufgeklärten Naturrecht grenzte man jedoch die Ehe als Kategorie des Personenrechts vom sachenrechtlichen Eigentumsbegriff ab, dessen Vertreter somit weder über ihre Eigentums- und Erbrechtskonstruktionen den Weg zum überlebenden Ehegatten fanden noch umgekehrt über das Eherecht zur Etablierung des Ehegatten im Erbrecht gelangten. Besonders deutlich wird dies bei Immanuel Kant 79 Schwab, S. 14 ff., 27, 33 ff.; ders., in: Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 1 (1972), S. 357 (366): „[…] sowohl nach katholischer wie nach protestantischer Ehevorstellung bildet der Vertrag zwar den Entstehungstatbestand der Ehe […]; der Vertrag ist aber deshalb nicht die Grundlage des gesamten Eherechts. […] Demgegenüber unterstellt das aufgeklärte Naturrecht die Ehe insgesamt dem Vertragsrecht und gibt sie folgerichtig dem Willen der Vertragsschließenden preis.“ Ferner s. Schmidt, S. 18 – 38; Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 238 ff.; Buchholz, in: HRG Bd. 1 (Artikel: Ehe), Sp. 1192 ff., 1194 ff.; Ingendahl, S. 38 ff., 83 ff., 140 ff., 253 ff.; Ennen, S. 92 ff.; Schmid, S. 19 ff., 23 ff. 80 Dazu s. Apostelgeschichte 6, 1: „In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.“ Ferner s. 1. Timotheus 5, 3: „Ehre die Witwen, die rechte Witwen sind.“ Dazu s. Back, S. 23 ff., 89 ff., 194 ff. Bereits die unter Berufung auf Milde konstruierte quarta uxoria wird als christlich motivierte Gesetzgebung Justinians gewertet; dazu s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (43); ferner Avenarius, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 7 (72 f.): „In diesem Sinne ist es möglich, wenngleich nicht sicher, dass christliches Denken die Änderungen des gesetzlichen Erbrechts der Frauen sowie der Erbfolge über die weibliche Linie (C. 6,58,14, 531 n. Chr.) begünstigt hat.“ Zur Stellung der Witwen im römischen Reich s. Back, S. 56 ff.; ferner s. Meder, S. 72 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht Bd. 2, S. 169, 171, 173 ff., 198. 81 Genesis 2, 24; Matthäus 19, 5; Markus 10, 7. Zur Bedeutung dieses Bibelwortes für die Entwicklung des Ehegattenerbrechts s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (49): „Ideengeschichtlich beruhte der Aufstieg des Ehegatten also auf einer interessanten Kombination unterschiedlicher Traditionen: […] Hinzu kamen christlich geprägte Ideen wie diejenige von der prinzipiellen Unauflöslichkeit, ja geradezu sakramentalen Natur, der Ehe und von der besonderen und untrennbaren Verbindung der Ehegatten.“ Zur variierten Rezeption dieses Bibelwortes in den Motiven des Allgemeinen Landrechts s. Koch, Anmerkung 64 Ad 1 zu ALR II 1 § 570: „Was die Bibel sagt: das Weib wird Vater und Mutter verlassen […], paßt gewiß mehr auf unsere jetzigen Verhältnisse, als auf die damaligen.“ Dazu s. Bräumer, in: Maier/Pohl (Hrsg.), S. 81: „Das Verlassen von Vater und Mutter von seiten des Mannes klingt im Blick auf die patriarchalischen altisraelitischen Familienverhältnisse, wo das Verlassen der Eltern nur von der Frau gefordert wurde, provozierend. Eine Ehe ist aber nur da möglich, wo beide, Mann und Frau, aus ihrem alten Familienverband ausscheiden, um ganz frei füreinander zu sein.“
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und Samuel von Pufendorf. So deutete Kant die Ehe als „die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“,82 band sie aber als solche in keiner erkennbaren Weise in das Erbrecht ein. Ebenfalls konstruierte er die Beerbung ohne Bezug zur Ehe streng kontraktualistisch als „die Übertragung (translatio) der Habe und des Guts eines Sterbenden auf den Überlebenden durch Zusammenstimmung des Willens beider.“83 Auch Pufendorfs Kapitel über die Pflichten von Ehegatten und beim Eigentumserwerb bieten keine Anhaltspunkte für die Begründung eines Ehegattenerbrechts. Voraussetzung der Ehe war nach Pufendorf der Vertragsschluss,84 der seinerseits aber keine erbrechtlich relevanten Pflichten der Ehegatten erzeugte: „Pflicht des Mannes ist es, seine Frau zu lieben, ihr Unterhalt zu gewähren, sie anzuleiten und zu verteidigen. Pflicht der Frau ist es, den Gatten zu lieben, zu achten, mit ihm Kinder zu zeugen und ihm bei ihrer Aufzucht zur Seite zu stehen, sowie ihm durch Mitarbeit bei ihrem Teil der häuslichen Aufgaben zu helfen.“85 Auch ihm gelang es im Rahmen seiner individualistischen Begründung des Intestaterbrechts durch dessen Rückführung auf den vermuteten Willen des verstorbenen Eigentümers nicht, dem Ehegatten neben den Blutsverwandten einen Platz in der Intestaterbfolge zuzuweisen. Das Vermögen eines ab intestato verstorbenen Erblassers sollte auf diejenigen übergehen, die der Erblasser, „gemessen an der üblichen Einstellung der Menschen, als die ihm liebsten ansehen würde.“86 Das seien typischerweise diejenigen, „die von uns abstammen, und außerdem unsere anderen Blutsverwandten, je nach dem Grad der Verwandtschaft.“87 Daraus resultierte für Pufendorf, dass „die nächsten Erben eines jeden die Kinder sind, die die Natur den Eltern zum sorgfältigen Aufziehen und Ausbilden anvertraut hat und für die, wie man annehmen muß, alle Eltern möglichst gut sorgen wollen und denen sie in erster Linie das, was sie ersparen können, hinterlassen wollen.“88 Aus der Liebe der Ehegatten zueinander ließ sich auch für Christian Wolff kein „ius […] perfectum […] ad haereditatem conjugis defuncti“ herleiten.89 Erbrechtliche Pflichten des Erblassers gegenüber dem Ehegatten konnte Wolff allenfalls unter 82
Kant, S. 277. Kant, S. 293. 84 Pufendorf, Buch 2, Kap. 2, § 4, S. 148: „Zwischen Personen, die miteinander die Ehe eingehen, pflegt, wie es auch sein muß, ein Vertrag geschlossen zu werden.“ 85 Pufendorf, Buch 2, Kap. 2, § 10, S. 150. 86 Pufendorf, Buch 1, Kap. 12, § 10, S. 109; dazu s. Wardemann, S. 87; Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (123 f.). 87 Pufendorf, Buch 1, Kap. 12, § 10, S. 109; dazu s. Wardemann, S. 87; Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (123 f.). 88 Pufendorf, Buch 1, Kap. 12, § 11, S. 109; dazu s. Wardemann, S. 87; Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (123 f.). 89 Wolff, § 1075; zitiert nach Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (48); ferner s. Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (125). 83
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der Voraussetzung begründen, dass der überlebende Ehegatte ohne eigenes Vermögen ist und dies auch nur insoweit, als dieser nach dem Tod des anderen glücklich leben soll.90 Insoweit deutete sich bei ihm die für die Herleitung des Ehegattenerbrechts denknotwendige Verbindung von Ehe und Vermögen an. Die konkrete Ausgestaltung dieser Verbindung klammerte Johann Gottlieb Heineccius jedoch ausdrücklich aus dem Naturrecht aus und überantwortete sie dem positiven Gesetzgeber: „Hierbei muß allerdings durch Vereinbarungen oder Gesetze bestimmt werden, ob diese Gütergemeinschaft auch nach dem Tode eines der beiden Ehegatten Bestand haben und welcher Teil des gemeinsamen Vermögens dem überlebenden Ehegatten, welcher den Erben des Verstorbenen zufallen soll.“91 Wesentlich ist, dass im erbrechtlichen Naturrechtsdenken durch die Annahme eines entsprechenden hypothetischen Erblasserwillens zwar eine Intestaterbfolge der jeweils gradnächsten Blutsverwandten begründet werden konnte,92 dass aber – so Heineccius – „vieles hier den Gesetzgebern überlassen ist, so daß sie für die meisten strittigen Fälle feste Regeln aufstellen und […] ihre Gesetze dem Zweck und Vorteil des Staates anpassen können“ und ihm zufolge gerade diese positivrechtliche Gestaltungsfreiheit erkläre, warum „die Gesetzgeber auch die überlebende Witwe versorgt sehen wollten.“93 Auch aus der Perspektive des eherechtlichen Naturrechtsdenkens wurde im Tod eines Ehegatten kein primär erbrechtsrechtfertigendes Ereignis, sondern in erster Linie nur das natürliche Ende der Ehe erblickt.94 Fasst man diesen ideengeschichtlichen Streifzug zusammen, so bot das primär kontraktualistische Eherechtsdenken des individualistisch operierenden Naturrechts allein also keine hinreichende Grundlage für die Integration des Ehegatten in das Erbrecht. Demgegenüber ist die Familientheorie Hegels für die Deutung der Verstärkungen der erbrechtlichen Positionen des Ehegatten von großer Bedeutung, weil Hegel darin das Erbrecht auf das Vermögen der Familie zurückführte95 und es ihm im Anschluss 90 Wolff, § 1075; zitiert nach Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (48); ferner s. Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (125). 91 Heineccius, Buch 2, Kap. 2, § 43, S. 347; dazu s. Wardemann, S. 87. 92 Dazu s. Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (122 ff., 125). 93 Heineccius, Buch 1, Kap. 11, § 303, S. 226; dazu s. Wardemann, S. 87. 94 Erle, S. 281: „Das naturrechtliche Denken hat auf dem Gebiete der Eheauflösung wohl am spätesten Eingang gefunden. Weitgehend bewegen sich die Erörterungen auf theologischem Gebiet, der Auslegung von Bibelstellen. Überall wird der Tod eines der Ehegatten als die natürliche Form der Auflösung der Ehe bezeichnet.“ Ferner s. dens., S. 51, 80, 194, 202. 95 Hegel, § 170: „Die Familie hat nicht nur Eigentum, sondern für sie als allgemeine und fortdauernde Person tritt das Bedürfnis und die Bestimmung eines bleibenden und sicheren Besitzes, eines Vermögens ein. Das im abstrakten Eigentum willkürliche Moment des besonderen Bedürfnisses des bloß Einzelnen und die Eigensucht der Begierde verändert sich hier in die Sorge und den Erwerb für ein Gemeinsames, in ein Sittliches.“ (Hervorhebungen im Original); dazu s. Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (161): „Die Begründung des Intestaterbrechts mit dem gemeinsamen Familienvermögen vermeidet die Fehler der Vorgänger, indem sie Familieneigentum bei der Auflösung der Familie zu Individualeigentum werden läßt; Hegel verbindet dadurch geschickt seine Theorien der Familie und des Eigentums.“
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daran gelang, die erbrechtliche Berücksichtigung des Ehegatten mit dessen unmittelbarer Gemeinschaft mit der Familie zu verbinden.96 Ihm zufolge stellt sich der Erbfall als die natürliche Auflösung der Familiengemeinschaft dar, die mit dem Eintreten der Familienmitglieder in das an sich gemeinsame Familienvermögen verbunden sei – einem „Eintreten, das mit den entfernteren Graden der Verwandtschaft […] um so unbestimmter wird, als die Gesinnung der Einheit sich um so mehr verliert und als jede Ehe das Aufgeben der vorigen Familienverhältnisse und die Stiftung einer neuen selbständigen Familie wird.“97 Die Etablierung des Ehegatten im Erbrecht resultiere nun daraus, dass sich durch die Ehe eine neue Familie konstituiere, die ihrerseits „ein für sich Selbständiges gegen die Stämme oder Häuser ist, von denen sie ausgegangen ist.“98 Gegenüber der Verwandtschaft mit entfernteren Aszendenten sei die Binnenbeziehung des engeren Familienkreises zwischen Ehegatten und Kindern stärker, weil ihre Grundlage die „sittliche Liebe“ sei.99 Daher stehe das Eigentum eines Individuums „auch in wesentlichem Zusammenhang mit seinem Eheverhältnis und nur in entfernterem mit seinem Stamme oder Hause,“100 sodass der Ehegatte und die Kinder in vermögenrechtlicher Hinsicht den „eigentlichen Kern“101 der Familie bildeten.102 Im Kontext der Familientheorie Hegels wird die Zurücksetzung der entfernteren Verwandten des Erblassers durch den überlebenden Ehegatten auch dadurch erklärbar, dass es den Ehegatten möglich sei, ihre gegenseitige Liebe in der Gestalt eines gemeinsamen Kindes zu vereinen, in dem sie ihre subjektive Einheit selbst als eine objektive „für sich seiende Existenz“103 lieben 96 Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (162): „Sah das vorhergegangene Naturrecht die Ehe als Vertragsgesellschaft an, deren rechtliche Verpflichtungen grundsätzlich mit dem Tod enden, so folgt nunmehr aus der Familiengemeinschaft unmittelbar die Berücksichtigung des überlebenden Ehegatten.“ Ferner s. Hegel, § 158: „Die Familie hat […] die Liebe […] zu ihrer Bestimmung, […] um in ihr nicht als eine Person für sich, sondern als Mitglied zu sein.“ (Hervorhebungen im Original). 97 Hegel, § 178; dazu s. Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (160): „Es verwundert daher nicht, daß die Entstehung einer neuen Familientheorie, die über den individualistischen Standpunkt des bisherigen Naturrechts hinausgeht und die Familie als sozialen Organismus begreift, sich auch auf die Anschauungen über das Erbrecht auswirkt.“ 98 Hegel, § 172 (Hervorhebungen im Original). 99 Hegel, § 172. 100 Hegel, § 172. 101 Hegel, § 172 (Zusatz). 102 Klippel, ZRG (GA) 101 (1984), S. 117 (162): „Damit ist der Anfang gemacht für eine immer stärkere erbrechtliche Stellung des Ehegatten.“ Aus der Fülle an zeitgenössischen Reflexionen s. Ahrens, S. 251; ferner s. Trendelenburg, S. 312 ff.: „In der Erbfolge ab intestato stellt sich unwillkürlich die Ansicht der Rechtsgemeinschaft von dem Wesen der Familie und der Ehe dar […]. Die Voraussicht und Vorsicht des Gesetzes, welches den Erbgang ordnet, wird insbesondere zwei Hauptfälle ins Auge fassen, zunächst den Fall, wenn ein Ehegatte den andern überlebt, der Mann die Frau, oder die Frau den Mann, und dann den Fall, wo kein überlebender Ehegatte vorhanden ist.“ (Hervorhebung im Original). 103 Hegel, § 173: „In den Kindern wird die Einheit der Ehe […] als Einheit selbst eine für sich seiende Existenz und Gegenstand, den sie als ihre Liebe, als ihr substantielles Dasein, lieben. – Der natürlichen Seite nach wird die Voraussetzung unmittelbar vorhandener Personen
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
und von dem sie ihrerseits geliebt werden.104 Dabei erfasste und bewahrte Hegel in seiner Familientheorie das Zusammenspiel des Familienpotentials und der wirksam bleibenden Tendenz zur Subjektivierung des Ehebegriffs – also seiner schwerpunktmäßigen Deutung als Liebesgemeinschaft: „In den modernen Zeiten wird dagegen der subjektive Ausgangspunkt, das Verliebtsein, als der allein wichtige angesehen. Man stellt sich hier vor, jeder müsse warten, bis seine Stunde geschlagen hat, und man könne nur einem bestimmten Individuum seine Liebe schenken.“105 Gleichermaßen verwies Hegel auch auf den das Güterrecht kennzeichnenden Ausgangskonflikt zwischen der historisch tradierten Vorrangstellung des Mannes und der Gleichberechtigung der Frau.106 Ihm zufolge habe der Mann als Oberhaupt die Familie zu vertreten und das Vermögen zu verwalten.107 Weil es sich dabei jedoch um gemeinsames Vermögen aller Familienmitglieder handele, gehöre niemandem ein spezieller Vermögensbruchteil, sondern jeder habe „sein Recht an das Gemeinsame.“108 Nach dem Standpunkt dieser Studie lassen sich aus dieser ideengeschichtlichen Umschau drei entwicklungsbestimmende Wertungsmomente im materiellen Eherechtsdenken entnehmen, deren jeweils unterschiedlich starke Betonung die weiteren Wandlungen der erb- und güterrechtlichen Positionen des Ehegatten erläutern kann. Dies ist zunächst das Familienpotential der Ehe, also ihre abstrakte Eignung, der Ausgangspunkt einer neuen und gegenüber den Herkunftsfamilien selbstständigen Generationenfolge zu sein und das damit verbundene Zentrieren des Ehegatten und der Kinder im Kernbereich des Familienvermögensrechts. Aber auch das subjektive Moment der Ehe als innige und gegenseitige Verantwortungs- und Beistandsgemeinschaft begründet ihre die Verwandten des Erblassers zurückdrängende, eigenständige Bedeutung im Erbrecht. Im Anschluss an Hegel ist es möglich, die in der Ehe angelegte Vereinigung ihres Familienpotentials mit der Tendenz zur Subjekti– als Eltern – hier zum Resultate, ein Fortgang, der sich in den unendlichen Progreß der sich erzeugenden und voraussetzenden Geschlechter verläuft […].“ (Hervorhebungen im Original). 104 Dazu s. Hegel, § 173 (Zusatz): „Zwischen Mann und Frau ist das Verhältnis der Liebe noch nicht objektiv; denn wenn die Empfindung auch die substantielle Einheit ist, so hat diese noch keine Gegenständlichkeit. Eine solche erlangen die Eltern erst in ihren Kindern, in welchen sie das Ganze ihrer Vereinigung vor sich haben. Die Mutter liebt im Kinde den Gatten, dieser darin die Gattin; beide haben in ihm ihre Liebe vor sich. Während im Vermögen die Einheit nur in einer äußerlichen Sache ist, ist sie in den Kindern in einem Geistigen, in dem die Eltern geliebt werden und das sie lieben.“ 105 Hegel, § 162 (Zusatz) (Hervorhebung im Original); dazu s. Bockenheimer, S. 138 ff.; Dörner, S. 71 ff.; ferner s. Brudermüller, Paarbeziehungen, S. 17 ff., 84 ff., 88, 123; Auer, AcP 216 (2016), S. 239 (264 f.); dies., Erkenntnisziel, S. 59 („ideengeschichtliche Verschiebung der Ehe in die Richtung einer immer stärker von klassischen Ehezwecken befreiten, individualistisch verfassten Liebes- und Beistandsgemeinschaft“). 106 Zur ambivalenten Ideengeschichte der Gleichheit zwischen den Ehegatten s. umfassend und grundlegend Brudermüller, Paarbeziehungen, S. 148 ff., 141 ff.; Duncker, S. 420 ff., 400 ff. 107 Hegel, § 171. 108 Hegel, § 171.
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vierung im Eherechtsdenken freizulegen und damit eine strukturelle Ressource zu gewinnen, um rechtstechnische Wandlungen und Verstärkungen des Ehegattenerbrechts auf unterschiedlich intensive Akzentuierungen dieser Wertungsmomente im Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft zurückzuführen.109 Zu den entwicklungsbestimmenden Wertungsmomenten gehört darüber hinaus die Auslotung des Grads an Gleichberechtigung der Ehefrau und die damit verbundene Ablösung des Eherechtsdenkens von der historisch tradierten Vorrangstellung des Ehemannes.110
II. Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen Im Folgenden sind die rechtstechnischen Entfaltungen des Erb- und Güterrechts vor dem Hintergrund dieser drei unterschiedlich stark betonten Wertungsmomente – Familienpotential, Subjektivierung, Gleichberechtigung – in den Blick zu nehmen und zu untersuchen, wie diese im weiteren Entwicklungsprozess jeweils zusammenwirkten. Dabei rechtfertigt es die Zielsetzung dieses Kapitels – die Voraussetzungen freizulegen, unter denen das Ehegattenerbrecht de lege lata ausgeformt wurde –, hier die Untersuchungsdichte angesichts des „ausgesprochen unübersichtliche[n] Gelände[s]“111 der deutschen Partikularrechte zu begrenzen und nicht 109 Hegel, § 162 (Zusatz) (Hervorhebung im Original); dazu s. Bockenheimer, S. 138 ff.; Dörner, S. 71 ff. Eine umfassende Analyse der philosophischen Ideengeschichte des Ehebegriffs bei Hegel und seiner paradigmatischen Auseinandersetzung mit Kant über den Vertragscharakter der Ehe in den §§ 75, 161 (Zusatz) seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts findet sich bei Heinz, ARSP 79 (1993), S. 216 ff.; Bockenheimer, S. 185 ff.; ferner s. Brudermüller, Paarbeziehungen, S. 17 ff., 84 ff., 88, 123; Auer, AcP 216 (2016), S. 239 (264 f.). Bemerkt sei hier jedoch, dass Hegel selbst in einer Anmerkung zu § 162 seiner Grundlinien bekennt: „Leidenschaftliche Liebe und Ehe ist zweierlei“ und in einem Zusatz zu § 161 ebd. eine Vorstellung verwirft, „welche die Ehe nur in die Liebe setzt, denn die Liebe, welche Empfindung ist, läßt die Zufälligkeit in jeder Rücksicht zu, eine Gestalt, welche das Sittliche nicht haben darf. Die Ehe ist daher näher so zu bestimmen, daß sie die rechtlich sittliche Liebe ist, wodurch das Vergängliche, Launenhafte und bloß Subjektive derselben aus ihr verschwindet.“ Dazu s. Bockenheimer, S. 196 ff. 110 Dazu s. Hegel, § 171: „Dieses Recht und jene dem Haupte der Familie zustehende Disposition können aber in Kollision kommen, indem das in der Familie noch Unmittelbare der sittlichen Gesinnung (§ 158) der Besonderung und Zufälligkeit offen ist.“ Dazu s. Hegel, § 158: „Die Familie hat als die unmittelbare Substantialität des Geistes seine sich empfindende Einheit, die Liebe, zur ihrer Bestimmung, so daß die Gesinnung ist, das Selbstbewußtsein seiner Individualität in dieser Einheit als an und für sich seiender Wesentlichkeit zu haben, um in ihr nicht als eine Person für sich, sondern als Mitglied zu sein.“ (Hervorhebungen im Original). 111 Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (45); Gerber, JherJb 1 (1857), S. 239: „Es ist bekannt, daß kein Gegenstand des Privatrechts in den deutschen Rechtsquellen so häufig berücksichtigt worden ist, als das Güterrecht der Ehegatten. Fast jedes, auch das unbedeutendste Statut bringt ein paar Bestimmungen über das eheliche Erbrecht und die Abtheilung des überlebenden Gatten mit den Kindern, wenn es auch in andern wichtigen Partieen des Privatrechts noch so lückenhaft und ungenügend sein sollte.“ Ferner s. von Mayenburg, in: HKK-
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
die im Erarbeitungsprozess des BGB bereits aufgelisteten regional unterschiedlichen Rechtszustände112 erneut zusammenzutragen.113 Insoweit konzentrieren sich die folgenden Ausführungen einerseits auf die Prinzipien der güterrechtlichen Nachwirkungen der in den Partikularrechten unterschiedlich ausgestalteten portio statutaria und andererseits auf die im Entstehungsprozess des BGB schwerpunktmäßig betrachteten Kodifikationen.114
1. Die Nachwirkungen des Güterrechts Nach dem Muster der germanischen Munt des Ehemannes war dieser am eingebrachten und ehezeitig erworbenen Frauenvermögen allein güterrechtlich beteiligt.115 Betrachtet man diese Vermögenskonzentration in der Person des Ehemannes aus dem Blickwinkel des Erbfalls, dann sollte das Gut „rinnen wie das Blut.“116 Alle Mitglieder der Familie sollten in einer kontinuierlichen Gemeinschaft von Lebenden und Toten stehen.117 Die Familie sollte „unsterblich“118 sein, wurde ihrerseits als „Träger der Rechtsfähigkeit“119 und als „eine Kette der Generationen“120 verstanden, BGB §§ 1363 – 1557 (III) Rn. 59 („Gefühl der Verworrenheit und Unübersichtlichkeit des ehelichen Güterrechts“) (Hervorhebung im Original hier kursiv wiedergegeben). 112 Eine Zusammentragung des bis zum Inkrafttreten des BGB geltenden Rechtszustandes findet sich bei Schmitt, Begründung, S. 1 ff., 600 ff., in: Schubert (Hrsg.), Erbrecht, S. 117 ff., 716 ff.; Vorlage No 7 von 1877, S. 3 ff., 14 ff., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1103 ff., 1114 ff.; Planck, Anlagen, S. 1 ff., 13 ff., 20 ff., 58 ff., 68 ff., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 17 ff., 24 ff., 62 ff., 72 ff.; ferner s. Moll, S. 9 ff., 11 ff., 22 ff. 113 So auch Maetschke, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (I) Rn. 27 ff.; ferner s. Moll, S. 12 (Fn. 1): „Die Aufgabe einer Arbeit, welche die historische Entwicklung des Ehegattenerbrechts darstellen will, kann es nicht sein, jede kleine Abweichung, die für irgend eine Ortschaft gilt, zu verzeichnen […].“ Ferner s. dens., S. 21 (Fn. 5): „Die verschiedenen Güterrechte galten aber nicht immer zu gleicher Zeit, auch war die Entwicklung des Güterrechtes in den verschiedenen Teilen Deutschlands keine gleichmäßige, sodaß bei einer Darstellung der Entwicklung des Ehegattenerbrechtes im Zusammenhange mit dem Güterrechte eine zu große Zerreißung des Stoffes die Folge gewesen wäre.“ Ferner s. Jhering, Wissenschaft, S. 79: „Die Geschichte in Ehren, aber wer den wissenschaftlichen Nachdruck in der Jurisprudenz auf die Geschichte legen will, der erklärt damit selber seine eigene Unfähigkeit als Jurist.“; Gutmann, JZ 2013, 697 (698): „Würden wir alle Fragen unseres juristischen Tagesgeschäfts mit einer rechtsphilosophischen, -historischen oder -soziologischen Meta-Analyse überfrachten, müsste das Rechtssystem mit einem lauten Ächzen zum Stillstand kommen.“ So auch Ernst, in: Engel/Schön (Hrsg.), S. 3 (17). 114 Dazu s. Denkschrift, S. 245, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 850. 115 Schmid, S. 19 f.; ferner s. Stobbe, Handbuch Bd. 4, § 207, S. 3 ff.; Schröder, Güterrecht Bd. 1, S. 1 ff.; Meder, S. 77 ff. 116 Hattenhauer, § 10, S. 205; ders., Jura 1983, 9 (10); Ennen, S. 34: Die Erben seien geboren und würden nicht „gekoren.“ 117 Kannowski, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 119 (129). 118 Kannowski, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 119 (128, 136). 119 Hattenhauer, § 10, S. 204; ders., Jura 1983, 9 (10). 120 Hattenhauer, § 10, S. 205; ders., Jura 1983, 9 (10).
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die man als eine überzeitliche und ewige Einheit begriff und die gleichermaßen bereits Verstorbene, derzeit Lebende und die noch Ungeborenen umfassen sollte.121 In diesem altgermanischen Rechtsdenken gab es keine Vermögensnachfolge von Todes wegen an sich, da das Familienvermögen den überlebenden Mitgliedern ohne eine besondere Annahme anwachsen sollte.122 In rechtstechnischer Hinsicht war der Tod also ein Thema des Familienrechts, das „sich erst allmählich zu einem Erbrecht im eigentlichen Sinn entwickelt“ hat.123 Insoweit wurde die Familie zum rechtstechnischen Anknüpfungspunkt, um diejenige Lücke auszufüllen, die dadurch entstand, dass ein Erbrecht nicht von Anfang an greifbar war.124 a) Die güterrechtlichen Mechanismen im Erbfall Im Hinblick auf die Stellung des überlebenden Ehegatten hing die konkrete Ausgestaltung seiner Rechte davon ab, ob der Ehemann oder die Ehefrau vorverstarb und ob der verstorbene Ehegatte von mindestens einem in der Ehe geborenen Kind überlebt wurde oder nicht.125 Aus dem Blickwinkel der rechtstechnischen Gestaltung ist entscheidend, dass es sich bei diesen unterschiedlich ausgestalteten Modi der 121
Kannowski, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 119 (136): „Der Verstorbene wird als noch gegenwärtig empfunden, und es existiert eine Gemeinschaft von Lebenden und Toten. Diesen gehörte gemeinsam das Familienvermögen.“ 122 Hübner, § 102, S. 735; Kannowski, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 119 (136): „Einen Vermögenstransfer von Todes wegen in unserem Sinne gab es demnach nicht.“ 123 Hübner, § 102, S. 734. 124 Hübner, § 102, S. 734: „Die Entstehung und Ausbildung des Erbrechts stand in engem und notwendigem Zusammenhang mit der Entstehung und Ausbildung des Sondereigentums.“ Sobald also die Familie bzw. die Sippe aufhörte, ein einheitliches Gesamtrechtssubjekt für das Vermögen zu sein, wurde eine Verteilungsordnung für den Todesfall und damit ein Erbrecht im eigentlichen Sinne notwendig; dazu s. Hegel, § 172; ferner s. Schmid, S. 20 f. 125 Brauneder, in: HRG Bd. 1 (Artikel: Eheliches Güterrecht), Sp. 1216; ferner s. Schmid, S. 23; Moll, S. 21 f., 10 f.; Roth, § 94, S. 38, 58 ff. Nach dem Tode des Ehemannes fielen Morgengabe und das Wittum – entsprechend seines Zwecks – als ein lebenslanger Nießbrauch an die Ehefrau. Nach ihrem Tode fielen beide Gütermassen bei beerbter Ehe an die Kinder und bei unbeerbter Ehe an die Verwandten des Ehemannes zurück. Die Aussteuer und sonstiges einseitiges Vermögen der Ehefrau lösten sich aus der Vormundschaft des Ehemannes und wurden ihr freies Eigentum; dazu s. Hübner, § 95, S. 668 f.; Schröder, Güterrecht Bd. 1, S. 143 ff.; ferner s. Schmid, S. 23. Nach dem Tode der Ehefrau fiel die Morgengabe zurück an den Ehemann. Das Wittum fiel bei beerbter Ehe an die Kinder, bei unbeerbter Ehe an den Ehemann. Die Aussteuer erhielt der Ehemann bei beerbter Ehe auf Lebenszeit und sie fiel danach den Kindern zu, bei unbeerbter Ehe musste er die Aussteuer dem Besteller oder dessen Erben zurückerstatten; dazu s. Hübner, § 95, S. 669; Roth, § 94, S. 37 ff.; Schröder, Güterrecht Bd. 1, S. 167 ff.; ferner s. Moll, S. 9 ff., 11 ff.; Schmid, S. 23. Bei der Aussteuer handelte es sich im Wesentlichen um eine Erbabfindung für das Ausscheiden aus dem väterlichen Vermögen; das vom Ehemann an die Ehefrau geleistete Wittum glich der römischrechtlichen (von der Familie der Ehefrau an den Ehemann geleisteten) dos insoweit, als es den Zweck hatte, der Ehefrau nach dem Tode des Ehemannes als Witwenversorgung zu dienen; die Morgengabe umfasste die Geschenke des Ehemannes an die Ehefrau am Morgen nach der Brautnacht; dazu s. Hübner, § 94, S. 663 ff.; Schmid, S. 20 f.
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
Vermögenszuteilung nach dem Tode eines Ehegatten ganz überwiegend nicht um eine erbrechtliche Gesamtrechtsnachfolge zugunsten des überlebenden Ehegatten, sondern um eine güterrechtliche Auseinandersetzung handelte.126 Die weitere Entwicklung verlief in der Weise, dass sich diese Ausgleichsmechanismen in Gestalt der Verwaltungsgemeinschaft,127 des rezipierten römischen Dotalsystems,128 der beschränkten Gütergemeinschaftsrechte wie der Fahrnis-129 oder Errungenschaftsgemeinschaft130 und der allgemeinen Gütergemeinschaftsrechte131 ausdifferenzierten und sich den lokalen Bedürfnissen anpassten.132 Hierbei kann man die Rechte des überlebenden Ehegatten in drei Kategorien einordnen,133 in denen das Vermögen entweder nach seiner Beschaffenheit und Herkunft geteilt wurde134 oder in der Hand des überlebenden Ehegatten zusammen blieb135 oder der 126 Roth, § 94, S. 38 („es besteht kein eheliches Erbrecht“). Abweichende Regelungen fanden sich bei den Langobarden, wo der Ehemann als Muntwalt Alleinerbe seiner Ehefrau wurde und insoweit selbst die Kinder von der Erbfolge ausschloss; dazu s. Hübner, § 94, S. 669; Moll, S. 11; Schröder, Güterrecht Bd. 1, S. 167; Schmid, S. 24 f., 19 f. Bei den Westgoten hatte der überlebende Ehegatte ein Erbrecht nach römischen Grundsätzen; dazu s. Moll, S. 11 (Fn. 2): „lex Vis. IV 2, c. 11: ,maritus et uxor tunc sibi hereditario jure succedunt, quando nulla adfinitas usque ad septimum gradum de propinquis eorum vel parentibus inveniri poterit.‘“ Die Bestimmungen des römischen Rechts wurden indes nur in wenigen Gebieten angenommen; dazu s. Hübner, § 108, S. 776. 127 Schmid, S. 25 ff.; ferner s. Hübner, § 96, S. 689 ff.; Stobbe, Handbuch Bd. 4, § 233, S. 175 ff. 128 Hübner, § 96, S. 694 f.; Stobbe, Handbuch Bd. 4, §§ 235 f., S. 190 ff. 129 Hübner, § 96, S. 694; Stobbe, Handbuch Bd. 4, § 247, S. 283 ff. (partielle Gütergemeinschaft); ferner s. Schmid, S. 28 ff. 130 Hübner, § 96, S. 693; Stobbe, Handbuch Bd. 4, § 247, S. 283 ff. (partielle Gütergemeinschaft); ferner s. Schmid, S. 28 ff. 131 Schmid, S. 30 f.; ferner s. Hübner, § 96, S. 691 ff.; Stobbe, Handbuch Bd. 4, § 242, S. 242 ff. 132 Hübner, § 95, S. 669 ff., § 96, S. 686 f.; Moll, S. 11 ff.; Roth, § 94, S. 39, § 101, S. 58 ff., § 133, S. 183 ff.; Schröder, Güterrecht Bd. 2 Teilbd. 2, S. 172 ff.; Brauneder, in: HRG Bd. 1 (Artikel: Eheliches Güterrecht), Sp. 1217 ff.; Schmid, S. 23 ff. 133 Dazu s. Moll, S. 12 ff. Eine umfassende Darstellung der historischen Entwicklung des Ehegüterrechts findet sich bei Schröder, Güterrecht Bd. 1 und 2, passim. Ferner s. Roth, § 94, S. 37 (historische Entwicklung des gesetzlichen Güterrechts im Allgemeinen), § 101, S. 58 ff. (historische Entwicklung der allgemeinen Gütergemeinschaft) und § 133, S. 183 ff. (historische Entwicklung der Verwaltungsgemeinschaft). 134 Eine Teilung nach der Beschaffenheit des Vermögens kannten der Sachsenspiegel, das Magdeburger Stadtrecht und das ostfälische Recht. Danach erhielt der überlebende Ehegatte bzw. erhielten die Erben des verstorbenen Ehegatten nicht unbedingt das ursprünglich eingebrachte Eigentum zurück. Im Erbfall erhielt der überlebende Ehemann neben seinen Liegenschaften diejenigen Teile der Mobilien, die nicht an die Ehefrau fielen, wenn sie überlebt hätte. Die überlebende Ehefrau erhielt die Gegenstände, die zu ihrer persönlichen Ausrüstung oder zu Zwecken des Haushalts mit in die Ehe gegeben wurden unabhängig davon, ob diese tatsächlich von der Frauenseite stammten und zusätzlich die von ihr eingebrachten Liegenschaften; dazu s. Moll, S. 12 ff. m. w. N. Eine Teilung nach der Herkunft des Vermögens kannte demgegenüber der Schwabenspiegel; dazu s. Kannowski, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 119 (135): „Das
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überlebende Ehegatte das vom verstorbenen Ehegatten herrührende Vermögen ganz oder teilweise erhielt.136 Festhalten lässt sich, dass diese Entwicklung in materieller Hinsicht von der Vorrangstellung des Ehemannes und seiner damit einhergehenden Verfügungsmacht über das gesamte Ehevermögen geprägt war.137 Dementsprechend erfolgte auch in den verschiedenen Güterrechtsformen eine Unterordnung der Ehefrau in den Rechtsverhältnissen während der bestehenden Ehe.138 Jedoch verbesserte sich die Position der überlebenden Ehefrau nach der todesbedingten Auflösung der Ehe durch eine Partizipation am gemeinschaftlichen Vermögen.139 Schwabenspiegelerbrecht sieht im Allgemeinen vor, dass nach dem Tod eines Ehegatten das von ihm eingebrachte Vermögen an seine Verwandten zurückfällt. Dem überlebenden Ehegatten steht grundsätzlich kein Erbrecht zu.“ 135 Es lassen sich drei Rechtstechniken – Verfangenschaftsrecht, Besitzrecht und fortgesetzte Gütergemeinschaft – identifizieren, wie das Vermögen in der Hand des überlebenden Ehegatten zusammenblieb; dazu s. Moll, S. 15 ff. m. w. N. Das Verfangenschaftsrecht fand sich in Freiburg i.Br., in Augsburg, im schwäbisch-alemannischen und im fränkischen Recht und bewirkte, dass der überlebende Ehegatte in jeweils variierenden rechtstechnischen Spielarten das Vermögen der aufgelösten Ehe behielt – als Eigentümer, als Nießbrauchsinhaber oder im Wege einer interimistischen Rechtsgemeinschaft mit genossenschaftlichen Zügen; dazu s. Moll, S. 16 m. w. N. Das in Norddeutschland geltende Besitzrecht unterschied sich vom Verfangenschaftsrecht dadurch, dass beim Besitzrecht keine Trennung von verfangenen und nicht verfangenen Gütern stattfand, sondern für die Kinder und den überlebenden Ehegatten alles solange beisammen blieb, bis auch der überlebende Ehegatte verstarb oder wieder heiratete; dazu s. Moll, S. 17 m. w. N. Die fortgesetzte Gütergemeinschaft fand sich in Dortmund sowie im Lübischen Recht und bewirkte, dass das Gesamtgut dem überlebenden Ehegatten und den Kindern nun gemeinschaftlich gehörte und es für die gütergemeinschaftliche Auseinandersetzung nicht auf den Todeszeitpunkt des Erstverstorbenen, sondern auf die Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft ankam; dazu s. Moll, S. 17 f. m. w. N. 136 Bei diesem Vermögenserwerb lässt sich unterscheiden, ob der überlebende Ehegatte das ganze Vermögen oder nur eine Quote erhielt und ob sich diese Quote auf das ganze Vermögen oder nur auf das Vermögen des Verstorbenen bezog. In Bremen, Berlin und Brandenburg bezog sich die Quote auf das ganze Vermögen und betrug die Hälfte des Ehegutes, wobei die Höhe der Quote in Schlesien davon abhing, ob der Mann (Quote in Höhe der Hälfte) oder die Frau (Quote in Höhe eines Drittels) überlebte; dazu s. Moll, S. 18 f. m. w. N. Demgegenüber bezog sich die Quote in Siegen, in Westfalen, in Lübeck und im Landrecht des Fürstentums Breslau nur auf das Vermögen des Verstorbenen; dazu s. Moll, S. 19 f. m. w. N. In Lothringen und am Oberrhein erwarb der überlebende Ehegatte das ganze Vermögen und erhielt unter dem Gesichtspunkt der Rechtstechnik dann ein wirkliches „Alleinerbrecht“, wenn in der Ehe keine allgemeine Gütergemeinschaft bestand. Befand sich das Vermögen jedoch im gütergemeinschaftlichen Gesamteigentum der Eheleute, so stellte der Vermögenserwerb kein Erbrecht, sondern eine güterrechtliche Konsolidation der früheren gesamten Hand in der Person des überlebenden Ehegatten dar; dazu s. Moll, S. 21 m. w. N. 137 Schmid, S. 31 f., 24 f. 138 Zu den Rechtsverhältnissen während der Ehe s. Schmid, S. 26 (Verwaltungsgemeinschaft), S. 29 (beschränkte Gütergemeinschaftsrechte), S. 31 (allgemeine Gütergemeinschaft). 139 Zu den Rechtsverhältnissen nach Beendigung der Ehe s. Schmid, S. 26 f. (Verwaltungsgemeinschaft), S. 30 (beschränkte Gütergemeinschaftsrechte), S. 31 (allgemeine Gütergemeinschaft).
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
b) Die hybride Rechtstechnik der portio statutaria Auf dem Boden dieser Mechanismen formte sich eine rechtstechnisch zwischen Erb- und Güterrecht anzusiedelnde Berücksichtigung des Ehegatten aus: die portio statutaria – ein dem überlebenden Ehegatten in den Partikularrechten, den statuta, zugesprochenes und im Einzelnen sehr unterschiedlich ausgestaltetes Quotenrecht. Die portio statutaria konnte sich auf eine bestimmte Quote an dem ehezeitlich errungenen Gesamthandsvermögen, auf den gesamten Nachlass oder nur auf einen qualitativ begrenzten Teil des Nachlasses – Mobilien oder Immobilien – beziehen; sie bewirkte einen dinglichen Eigentumserwerb oder die Einräumung eines Nießbrauchs; sie hing teilweise davon ab, ob der Ehemann oder die Ehefrau überlebte, ob die Ehe beerbt oder unbeerbt war; sie konnte unabhängig von den sich aus dem jeweiligen Güterstand ergebenden Folgen bestehen oder den Ausgleich bei Ende der Gütergemeinschaft pauschalieren; auch stand der überlebende Ehegatte vor der Wahl, sich alternativ für die güterrechtliche Auseinandersetzung oder für die portio statutaria zu entscheiden, die dem Ehegatten im weiteren Verlauf nur sehr begrenzt entzogen werden konnte und insoweit Pflichtteilscharakter annahm.140 Ein Blick auf die zur portio statutaria hervorgebrachten Systematisierungsversuche veranschaulicht die rechtstechnische Komplexität dieser Konstruktion. So gliederte Johann Caspar Bluntschli diese aus dem Erbrecht aus und verstand sie als ein „Eherecht“141 – als ein eherechtliches Modell der Sorge für den überlebenden Ehegatten bei ehelicher Güterverbindung; für ihn war ein Ehegattenerbrecht dogmatisch nicht vorstellbar: „Erbe im eigentlichen Sinne des Wortes ist zwar der überlebende Ehegatte nicht, vielmehr wird er den ,Erben‘ des Verstorbenen von der Sprache entgegen gesetzt. Die Erben sind die Blutsverwandten, die zum Nachlasz berufen sind.“142 Konsequenterweise integrierte er den Ehegatten nicht in die Intestaterbfolge.143 Gleichwohl – so räumte er ein – „begründet die eheliche Familienverbindung mancherlei rechtmäszige Ansprüche auf theilweisen Erwerb oder auf Genusz der Verlassenschaft, die unter dem allgemeinen Ausdruck (erbliches) Eherecht zusammengefaszt werden können.“144 Aber für ihn blieben „Erben im engern 140 Zu diesen Erscheinungsformen der portio statutaria s. aus der älteren Literatur Hübner, § 108, S. 776 f.; Roth, § 112, S. 111 ff. (allgemeine Gütergemeinschaft), §§ 121 ff., S. 151 ff. (Errungenschaftsgemeinschaft), §§ 144 f., S. 231 ff. (gemeines Sachsenrecht), § 148, S. 249 ff.; Stobbe, Handbuch Bd. 5, § 294, S. 140 ff.; Gerber, JherJb 1 (1857), S. 239 (240); Moll, S. 22; aus der jüngeren Literatur s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (46 f.); Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 608 f. 141 Der Ausdruck „Eherecht“ sei dem Begriff „Statutarportion“ vorzuziehen; dazu s. Bluntschli, Anmerkung zu § 206, S. 609. 142 Bluntschli, § 206, S. 609 (Hervorhebung im Original). 143 Bluntschli, §§ 232 ff., S. 688 ff.; §§ 237 ff., S. 705 ff. 144 Bluntschli, § 206, S. 609 (Hervorhebung im Original). Er verweist in einer Anmerkung darauf, dass das deutsche Recht mit der Etablierung der portio statutaria „von dem sehr berechtigten Gedanken aus[ging], die Consequenz seiner Auffassung von der Ehe auch noch nach dem Tode des einen Gatten darzustellen und dessen präsumtiven Willen, in Ermangelung des
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Sinne […] die Kinder (Nachkommen), im weitern Sinn die Blutsverwandten, nicht aber dritte Personen.“145 Kurz: „Der überlebende Ehegatte und dessen Eherecht ist von den Erben (regelmäszig den Blutsverwandten) und der eigentlichen Erbfolge zu unterscheiden.“146 Umgekehrt setzte Paul von Roth in seinem „System des Deutschen Privatrechts“ Bluntschlis „erblichem Eherecht“ ein „eheliches Erbrecht“ entgegen – ein echtes Erbrecht des Ehegatten, das er aber hinsichtlich seiner Ursachen differenzierte: einerseits als ein „eheliches Gütererbrecht“, das er als „Consequenz der gesetzlichen Güterordnung“ verstand; andererseits erblickte er in der portio statutaria ein Erbrecht, „welches den Ehegatten unabhängig von der Güterordnung zukommt, in der sie gelebt haben.“147 In der Tendenz ähnlich verfasste Georg Beseler sein „System des gemeinen deutschen Privatrechts“, wo er im erbrechtlichen Abschnitt alles ausschied, „was als eine Folge der Gütergemeinschaft erscheint, und in Verbindung mit dieser Lehre bereits seine Darstellung gefunden hat.“148 Infolgedessen konnten für ihn „nur solche Arten der ehelichen Erbfolge übrig bleiben, welche man unter dem Namen der statutarischen Erbgebühr (portio statutaria) zu befassen pflegt, weil sie in ihrer besonderen Begründung nicht auf einer Regel des gemeinen Rechts, sondern auf einer particularrechtlichen Anordnung beruhen.“149 Trotz seiner erbrechtlichen Qualifikation wurde das bisweilen in der portio statutaria zum Ausdruck gekommene Ehegattenerbrecht in Roths und Beselers System wie auch im „Handbuch des Deutschen Privatrechts“ bei Otto Stobbe „seinen positiven Bestimmungen nach bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der verschiedenen ehelichen Güterrechtsysteme behandelt“ – aber gerade nicht im Kontext der Erbfolge.150 Daher Testaments, durch das Gesetz hinauszuführen: das Recht des Verwittweten und der Wille des Erblassers sollte gegen dessen Erben und gegen die Unnatur des römischen Rechts, welches bei der Intestaterbfolge den Gatten erst hinter dem letzten Vetter ruft, durch das Gesetz geschützt werden.“ 145 Bluntschli, § 232, S. 689 (Hervorhebungen im Original). 146 Bluntschli, § 207, S. 613. 147 Roth, § 148, S. 250: „Es ist passend, beide Institute auch durch technische Ausdrücke zu unterscheiden und das mit der ehelichen Güterordnung in Verbindung stehende Erbrecht als eheliches Gütererbrecht, das davon unabhängige Erbrecht als statutarische Portion zu bezeichnen.“ Diese Unterscheidung hatte zur Folge, dass Entstehung, Dauer und Untergang des ehelichen Gütererbrechts sich nach dem ehelichen Güterrecht richteten, wohingegen die portio statutaria durch die örtliche Intestaterbfolgeordnung festgelegt wurde; zu den dogmatischen Differenzierungen s. Roth, § 148, S. 251 f. Zur historischen Entwicklung des Ehegattenerbrechts im Zusammenhang mit dem Güterrecht s. ebd., § 94, S. 37 ff.; § 101, S. 58 ff.; § 133, S. 183 ff. Zum Ehegattenerbrecht bei allgemeiner Gütergemeinschaft s. ebd., § 112, S. 111 ff.; bei partikulärer Gütergemeinschaft s. ebd., §§ 121 ff., S. 152 ff.; bei Verwaltungsgemeinschaft s. ebd., §§ 144 ff., S. 231 ff. 148 Beseler, § 140, S. 644. 149 Beseler, § 140, S. 645. 150 Stobbe, Handbuch Bd. 5, § 294, S. 140; zum Erbrecht des Ehegatten im Zusammenhang mit dem Güterrecht s. dens., Handbuch Bd. 4, § 222, S. 99 ff. (Geschichte und Zeit der Volksrechte); § 233, S. 175 ff. (Verwaltungsgemeinschaft); §§ 240, 242; S. 229 ff., 242 ff.
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
fragte sich Andreas Heusler in seinen „Institutionen des Deutschen Privatrechts“, „ob es sich dabei wirklich um Erbrecht handelt, das durchweg unter die erbrechtlichen Regeln könnte gestellt werden, oder nicht vielmehr um eine besondere eherechtliche Rechtsform, die ihren Ursprung anderswo als im Erbrechte haben müsste und blos wegen ihrer äusserlichen Aehnlichkeit mit Erbgang auch so wäre genannt worden.“151 Insgesamt steht hinter diesen bunten Bildern unter dem Gesichtspunkt der Rechtstechnik letztlich wenig Klares. Entscheidend ist jedoch die Einschätzung von Beseler, dass in Gestalt der hybriden Spielarten der portio statutaria „eine Rechtsentwickelung statt gefunden [hat], welche sich nicht genau an die während der Ehe bestehenden Güterrechtsverhältnisse anschließt; denn das Princip des deutschen Rechts, daß dem überlebenden Ehegatten gewisse Vortheile aus der durch den Tod aufgelösten Verbindung gesichert werden müssen, ist zum Theil auch da in Geltung geblieben, wo im Uebrigen das Dotalsystem aufgenommen worden [ist].“152 In ähnlicher Weise bemerkte auch Carl Friedrich von Gerber die „häufig zu beobachtende Eigenthümlichkeit des statutarischen Rechts, daß es seine Festsetzungen nicht zu allgemeiner und umfassender Beherrschung eines Verhältnisses erhebt, sondern in einer gewissen […] natürlichen Sinnlichkeit sich der thatsächlichen Entwicklung der Dinge unterordnet.“153 Was also hat diesen Aufstieg des Ehegatten im Erbfall, der sich zunächst güterrechtlich vollzog und in Gestalt der portio statutaria rechtstechnisch in einen erbrechtlichen Partizipationsmodus hineinwuchs, praktisch wirksam werden lassen? Mit seiner Rückführung der faktisch eingetretenen Begünstigung des Ehegatten auf ein „Princip des deutschen Rechts“ erkannte Beseler, dass sich gegenüber dem römisch-dotalrechtlichen Eherechtsdenken etwas in materieller Hinsicht geändert haben musste. Nach dem Standpunkt dieser Studie kann diese Entwicklung auf eine sich sukzessiv ändernde Betonung der zuvor erläuterten Wertungsmomente im Eherechtsdenken zurückgeführt werden: Nicht mehr der Hausverband, sondern der Ehegatte sollte in das Zentrum des Familienvermögensrechts rücken und die ehezeitige Vorrangstellung des Ehemannes sollte im Todesfall an Bedeutung verlieren. Dahinter steht nach der hier vertretenen Meinung ein Eherechtsdenken, demzufolge die Ehe selbst – wegen ihres Familienpotentials und ihres subjektiven Charakters als zunehmend gleichberechtigte Solidaritätsgemeinschaft – schrittweise als eine vermögensrechtlich eigenständige Wertungsgröße gegenüber den entfernteren Verwandten des Erblassers verstanden wird.
(allgemeine Gütergemeinschaft); § 247, S. 283 ff. (partielle Gütergemeinschaft). Ferner s. Beseler, § 125, S. 573 (spätere Entwicklung); § 127, S. 580 ff. (eheliche Gütervereinigung); §§ 128 ff., S. 586 ff., 595 ff., 599 ff. (eheliche Gütergemeinschaft). 151 Heusler, § 154, S. 421. 152 Beseler, § 125, S. 573. 153 Gerber, JherJb 1 (1857), S. 239 (240).
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2. Die Kodifikationen des Ehegattenerbrechts Eine Möglichkeit, diesem Aufstieg des Ehegatten im Erbrecht zu einer rechtstechnisch ausgeprägteren Geltung zu verhelfen, sahen paradigmatisch der Gesetzgeber des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 und der des sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1865 – beides explizit in Bezug genommene Kodifikationen für die Ausgestaltung des Ehegattenerbrechts im BGB154 – darin, den Ehegatten ausdrücklich in die Intestaterbfolge aufzunehmen. a) Die erbrechtliche Dimension: Familienpotential und Subjektivierung In erbrechtlicher Hinsicht verteilte das Allgemeine Landrecht den Nachlass zwischen den Verwandten und dem überlebenden Ehegatten, gab diesem also gem. ALR II 1 §§ 621, 623 „ein wahres civilrechtliches Erbrecht nach dem Vorverstorbenen.“155 So wurde der überlebende Ehegatte neben den Deszendenten „Erbe zum vierten Theile“ (ALR II 1 § 623); bei mehr als drei Abkömmlingen erbte der überlebende Ehegatte jedoch „nur Kindes Theil“ (ALR II 1 § 624). Traf er mit Verwandten in aufsteigender Linie, Geschwistern oder Geschwisterkindern ersten Grades zusammen, „so ist der überlebende Ehegatte Erbe zu einem Drittel“ (ALR II 1 § 625), traf er nur mit Verwandten zusammen, „welche von dem Erblasser nicht weiter, als im sechsten Grade, voller oder halber Geburt, entfernt sind“ (ALR II 1 § 622), so „erbt der überlebende Ehegatte die Hälfte“ (ALR II 1 § 626) und neben weiteren Verwandten „den ganzen Nachlaß“ (ALR II 1 § 627).156 Zusätzlich gebührte dem überlebenden Ehegatten neben allen Aszendenten ein Voraus, der „alles Bett- und Tischzeug, welches die Eheleute im gewöhnlichen Gebrauche gehabt haben“ (ALR II 1 § 628) und die Möbel und den Hausrat umfasste, „in so fern dieselben nicht als Zubehör eines Grundstücks, oder einer Gerechtigkeit anzusehen sind“ (ALR II 1 § 629).157 Darüber hinaus erhielt der Ehegatte ein Pflichtteilsrecht in Höhe der „Hälfte der durch das Gesetz dem überlebenden Ehegatten bestimmten Erbportion“ (ALR II 1 § 631).158 Aufhorchen lässt nun, dass als Grund, „warum hier die Successio conjugum civilis so sehr zum Vortheil des überlebenden Ehegatten geändert ist,“ explizit „die Natur 154
Denkschrift, S. 245, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 850: „Dagegen hat das deutsche Recht den überlebenden Gatten von jeher günstiger gestellt, indem es ihm entweder als Nachwirkung des ehelichen Güterrechtes bestimmte Vortheile, insbes. die Nutznießung an den Erbtheilen der Abkömmlinge, einräumte oder geradezu ein Erbrecht neben den Verwandten des Verstorbenen gewährte. Im Sinne der letzteren Auffassung hat auch die Mehrzahl der neueren Gesetze, insbes. das ALR (II 1 §§ 621 – 627) und das sächs. GB. (§§ 2049 – 2056), ein Erbrecht des überlebenden Gatten anerkannt, durch welches das Erbrecht der Verwandten beschränkt, unter Umständen selbst ausgeschlossen wird.“ 155 Koch, Anmerkung 84 zu ALR II 1 § 621 und Anmerkung 85 zu ALR II 1 § 623. 156 Mertens, S. 3 ff.; ferner s. Moll, S. 24. 157 Moll, S. 24; Wesener, FamRZ 1959, 84 (85). 158 Moll, S. 26.
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
des genauen, innigen und festen Bündnisses“ angegeben wurde, „welches nach unseren Gesetzen zwischen Eheleuten nicht nur in Hinsicht auf ihre Person und Neigung, sondern auch auf ihre äußeren Schicksale und Interessen vorwalten soll.“159 Das Allgemeine Landrecht grenzte sich in diesem Kontext unter Verweis auf eine durch das Christentum aufgewertete Stellung der Ehefrau scharf vom römischen Recht ab und wollte von seinem eigenen Standpunkt aus eine auf dieser Wandlung im Eherechtsdenken basierende Neuausrichtung der im Erbfall kollidierenden Statusverhältnisse von Ehe und Verwandtschaft realisieren: „Das Verhältniß der Eheleute bei uns ist ganz anders, als es bei den Römern war. In den ersten Zeiten der Entstehung des Juris Romani war die Frau nicht viel mehr, als die erste und oberste Sklavin des Mannes. […] In der Folge verbesserte sich zwar die Lage des weiblichen Geschlechts, auch bei den Römern, in etwas; besonders seit der Einführung des Christenthums. Aber nie war doch dies Band in jenen älteren Zeiten so genau, so innig, so gleich und so heilig und unverletzlich, als unsere heutigen Sitten, unsere ganze Denkart, und selbst unsere Gesetze es gemacht haben. Was die Bibel sagt: das Weib wird Vater und Mutter verlassen […], paßt gewiß mehr auf unsere jetzigen Verhältnisse, als auf die damaligen. Die Frau ist jetzt mehr als jemals Theilnehmerin an allen Schicksalen des Mannes, Mitgenossin aller Vorrechte und Lasten seines Standes und Berufs, Gehülfin nicht nur für Küche und Hauswirthschaft, sondern auch für die meisten seiner Berufsgeschäfte. Es ist also ganz widersinnig und gegen die Natur der Sache, wenn unsere Gesetzgebung den überlebenden Ehegatten bei der Materie von der Succession noch immer als einen Fremden behandelt, der, wenn er sich nicht durch Verträge prospicirt hat, den ganzen Nachlaß des zuerst Gestorbenen seinen oft sehr entfernten Verwandten und lachenden Erben überlassen muß, und nur kaum, wenn er Gefahr zu verhungern läuft, durch ein nothdürftiges Almosen aus dem Nachlasse dagegen geschützt wird. Die Natur der Sache, das von vorgefaßten Meinungen noch nicht verdorbene Billigkeitsgefühl, und selbst das Interesse des Staats, fordern die Gesetzgebung auf, über die Succession der Eheleute andere, der Beschaffenheit dieser genauesten aller Verbindungen angemessenere Grundsätze einzuführen.“160
Diese gesetzgeberischen Beweggründe lassen erkennen, dass die Verstärkung des Ehegattenerbrechts im Allgemeinen Landrecht im Wesentlichen darauf basierte, dass man die Ehe als eigenständige Wertungsgröße gegenüber den entfernteren Verwandten des Erblassers ansah. Hergeleitet wurde diese Grundwertung über das zuvor erwähnte Bibelwort, dass ein Mann Vater und Mutter verlassen und mit seiner Frau ein Fleisch sein wird, was nun explizit auch auf die Frau bezogen wurde und damit Ehemann und Ehefrau im Erbrecht gleichstellt.161 Diese Aufwertung der Ehe und die Steigerung des Grades an Gleichberechtigung von Mann und Frau im Erbfall 159
Koch, Anmerkung 84 zu ALR II 1 § 621. Koch, Anmerkung 64 Ad 1 zu ALR II 1 § 570. 161 Nach Genesis 2, 24; Matthäus 19, 5; Markus 10, 7 verlässt der Mann seinen Vater und seine Mutter. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass die Frau dies nicht auch täte; dazu s. Bräumer, in: Maier/Pohl (Hrsg.), S. 81: „Das Verlassen von Vater und Mutter von seiten des Mannes klingt im Blick auf die patriarchalischen altisraelitischen Familienverhältnisse, wo das Verlassen der Eltern nur von der Frau gefordert wurde, provozierend. Eine Ehe ist aber nur da möglich, wo beide, Mann und Frau, aus ihrem alten Familienverband ausscheiden, um ganz frei füreinander zu sein. Es ist Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zur Ehe freizugeben.“ 160
§ 2 Das Ehegattenerbrecht im deutschen Recht
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lässt sich mit den zuvor herausgearbeiteten entwicklungsbestimmenden Wertungsmomenten im materiellen Eherechtsdenken erklären. So findet sich gerade das Wertungsmoment der Subjektivierung in den Beweggründen zum Allgemeinen Landrecht insoweit wieder, als dort der Charakter der Ehe als genaues, inniges und festes Bündnis betont und die Verstärkung des Ehegatten auch auf diese „Natur“ der Ehe gestützt wird.162 Aber auch das aus dem Eherechtsdenken Hegels entwickelte Wertungsmoment des Familienpotentials erklingt in der zitierten Kritik an der geringen erbrechtlichen Beteiligung der Ehefrau im römischen Recht insoweit, als auf das Ausscheiden aus der Herkunftsfamilie Bezug genommen wird und der Altfamilie die Selbstständigkeit der Ehe und der durch sie möglichen Neufamilie gegenübergestellt wird. Die Verbindung mit der Familientheorie Hegels ist nach hier vertretener Meinung darin zu sehen, dass es auch nach Hegel zur Unsittlichkeit der römischen Erbfolge gehörte, dass die manus-freie Ehefrau in vermögensrechtlicher Hinsicht stärker mit ihrer Herkunftsfamilie als mit ihrer eigenen Familie verbunden war, die sie jedoch „durch die Heirat an ihrem Teile gestiftet“ habe.163 In der Gesamtschau liegt der Rechtstechnik des Allgemeinen Landrechts damit in materieller Hinsicht ein Interessenausgleich zugrunde, in dem neben dem Wertungsmoment der Gleichberechtigung auch dasjenige des Familienpotentials und insbesondere die Tendenz zur Subjektivierung im Eherechtsdenken zur Geltung gekommen sind. Während das Allgemeine Landrecht das Ehegattenerbrecht innerhalb seiner Systematik aber noch im Bereich des Eherechts normierte,164 regelte das an das Erbfolgemandat von 1829 anknüpfende Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1865 die Erbfolge des Ehegatten demgegenüber innerhalb des vom Eherecht systematisch verselbstständigten „Erbschaftsrechts.“165 Neben Abkömmlingen des Erblassers erbte der überlebende Ehegatte unabhängig von deren Anzahl 162
So auch Maetschke, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (II) Rn. 23. Hegel, § 180: „[Zur Unsittlichkeit der römischen Gesetze gehörte] – ebenso daß die Frau (insofern sie nicht in die Ehe als in ein Sklavenverhältnis, in manum conveniret, in mancipio esset, sondern als Matrone trat) nicht sosehr der Familie, die sie durch die Heirat an ihrem Teile gestiftet und die nunmehr wirklich die ihrige ist, als vielmehr der, aus der sie abstammte, angehörig blieb und daher vom Erben des Vermögens der wirklich Ihrigen ebenso ausgeschlossen, als die Gattin und Mutter von diesen nicht beerbt wurde. – Daß das Unsittliche solcher und anderer Rechte bei weiterhin erwachendem Gefühle der Vernünftigkeit im Wege der Rechtspflege […] eludiert wurde, ist […] als die traurige Notwendigkeit für den Richter bemerkt worden, das Vernünftige pfiffigerweise gegen schlechte Gesetze, wenigstens in einigen Folgen, einzuschwärzen. Die fürchterliche Instabilität der wichtigsten Institutionen und ein tumultuarisches Gesetzgeben gegen die Ausbrüche der daraus entspringenden Übel hängt damit zusammen.“ (Hervorhebungen im Original). 164 Zweyter Theil. Erster Titel: Von der Ehe. Siebenter Abschnitt: Von der Trennung der Ehe durch den Tod. 165 Fünfter Theil. Zweite Abtheilung: Von der gesetzlichen Erbfolge. Dritter Abschnitt: Erbfolge des Ehegatten. Zur Entstehung des sächsischen BGB s. Ahcin, S. 4 ff., 46 ff., 77 ff., 185 ff., passim; zur Entwicklung des Ehegattenerbrechts s. Siebenhaar, Anmerkungen zu §§ 2049 ff., S. 217 ff.; ferner s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (49) (Fn. 51); Moll, S. 28 ff. 163
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
ein „Viertheil“ (§ 2049 sächs. BGB), neben an Kindes statt angenommenen Abkömmlingen ein „Drittheil“ (§ 2050 sächs. BGB), neben den Eltern, Voreltern, Geschwistern oder neben Abkömmlingen der Geschwister des Erblassers „erhält er die Hälfte der Erbschaft“ (§ 2052 sächs. BGB) und neben sonstigen Verwandten „erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft“ (§ 2053 sächs. BGB). Demgegenüber bestimmte § 2051 sächs. BGB, dass die überlebende Ehefrau ein Drittel der Erbschaft erhält, wenn sie nur mit Kindern zusammentrifft, die auf Ansuchen ihres Ehemannes während der Ehe ehelich gesprochen worden sind; der überlebende Ehemann sollte ebenfalls ein Drittel erhalten, wenn die Ehefrau nur Kinder aus einem Ehebruch hinterlässt, dessen sie sich während der Ehe mit ihm schuldig gemacht hat. Ebenso wie im Allgemeinen Landrecht stand dem Ehegatten auch im sächsischen BGB ein Pflichtteil zu, der jedoch umfassender ausgestaltet war: Wenn der überlebende Ehegatte mit Abkömmlingen zusammentraf, bestand sein Pflichtteil in Höhe der ihm nach §§ 2049, 2050, 2051 sächs. BGB zustehenden Erbteile (§ 2578 sächs. BGB). Traf der überlebende Ehegatte hingegen mit Verwandten der zweiten oder dritten Klasse des verstorbenen Ehegatten zusammen, so gebührten ihm zwei Drittel seines gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil (§ 2579 sächs. BGB). Hinterließ der verstorbene Ehegatte nur Verwandte der vierten Klasse, so erhielt der überlebende Ehegatte die Hälfte der Erbschaft als Pflichtteil (§ 2580 sächs. BGB). Mit dieser Rechtsgestaltung trieb das dem Erbfolgemandat folgende sächsische BGB den Aufstieg des Ehegatten weiter voran: „Auf der Basis, welche in dem Erbfolgemandat gelegt worden ist, hat das B.G.-B. fortgebaut, indem es das vorhandene Recht in seinem Geiste unserem Rechtsbewußtsein, unsern Bedürfnissen und dem dem ehelichen Bunde unterliegenden sittlichen Elemente entsprechend fortgebildet hat.“166
Ausdrückliches Motiv für diese Gestaltung war es, „das auf alle Lebensverhältnisse einwirkende enge Band der Ehe vorzüglich zu berücksichtigen“, weil man glaubte, „dadurch einem öfters gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen.“167 Diese vom Gesetzgeber des sächsischen BGB gebrauchten Vokabeln – „enge[s] Band“ und „eheliche[r] Bund[ ]“ – zeigen, dass der im Vergleich zum Allgemeinen Landrecht erbrechtstechnisch noch ausgeprägtere Aufstieg des Ehegatten nicht primär mit dem das ihre Eigenständigkeit begründenden Familienpotential gerechtfertigt wurde, sondern dieser Prozess im Wesentlichen für sich das ebenfalls im Ehebegriff enthaltene subjektive Wertungsmoment der festen und gegenseitigen Verantwortungsgemeinschaft reklamierte. Im Vergleich mit dem Allgemeinen Landrecht wird deutlich, dass die rechtstechnische Verstärkung des Ehegattenerbrechts im sächsi-
166
Siebenhaar, Anmerkung zu § 2049, S. 217; ferner s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 337 ff. 167 Siebenhaar, Anmerkung zu § 2049, S. 216; ferner s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 337 ff.
§ 2 Das Ehegattenerbrecht im deutschen Recht
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schen BGB also auf einer stärkeren Betonung des entwicklungsbestimmenden Wertungsmoments der Subjektivierung im materiellen Eherechtsdenken basierte. b) Die güterrechtliche Dimension: Die Vorrangstellung des Ehemannes Diese Aufwertung der Stellung der Ehefrau und ihre Gleichberechtigung mit dem Ehemann im Erbrecht fand in der Entwicklung des Güterrechts keine umfassende Entsprechung.168 Vielmehr blieb dieses in seiner regional zersplitterten Vielgestaltigkeit weiterhin patriarchalisch ausgeformt.169 Im Stil dieser Vorrangstellung des Ehemannes sahen sowohl das Allgemeine Landrecht als auch das sächsische BGB, die jeweils lokale und regionale Güterrechte in Geltung ließen (ALR II 1 §§ 345, 396; §§ 14, 29 sächs. BGB), die Verwaltungsgemeinschaft als subsidiären gesetzlichen Güterstand vor.170 So bestimmte ALR II 1 § 205, dass durch die Vollziehung der Ehe das Vermögen der Ehefrau insoweit in die Verwaltung des Ehemannes überging, als diese Verwaltung nicht der Ehefrau ausdrücklich durch Gesetze oder Verträge vorbehalten wurde. Strukturanalog regelte § 1655 sächs. BGB, dass der Ehemann an dem Vermögen, welches die Ehefrau zur Zeit der Eheschließung besaß oder während der Ehe erwarb, das Recht des Nießbrauchs und der Verwaltung hatte. Weil die Verwaltungsgemeinschaft ihrer dinglichen Vermögensstruktur nach im Allgemeinen Landrecht und im sächsischen BGB jeweils als Gütertrennung ausgestaltet war, bedurfte es im Erbfall keiner eigenständigen güterrechtlichen Ausgleichsregeln.171 Wesent168
Schmid, S. 33; zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Erbrecht s. Mertens, S. 80. 169 Schmid, S. 21 f., 24 f., 26, 29, 31, 32 ff.; Duncker, S. 373 ff., 518 ff., 529 ff., 1018 ff. 170 Zur Geltung des Regionalprinzips s. Schmid, S. 33 ff.; ferner s. Duncker, S. 518 ff., 529 ff., 1021 f. Auch in anderen Güterständen bewahrte sich die Vorrangstellung des Ehemannes; dazu s. Schmid, S. 25 ff., 28 ff., 30 f., 38; ferner s. Maetschke, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (II) Rn. 15 ff. 171 Zur Ausgestaltung der Verwaltungsgemeinschaft im Allgemeinen Landrecht und im sächsischen BGB s. Schmid, S. 33 ff.; ferner s. Duncker, S. 518 ff., 529 ff., 1021 f. Demgegenüber musste für die Gütergemeinschaft, soweit diese nach ALR II 1 § 345 „durch Provinzialgesetze oder Statuten“ eingeführt worden ist, ein spezieller Abwicklungsmechanismus entworfen werden, den das Allgemeine Landrecht in zwei Phasen ausgestaltete. Im Ausgangspunkt wurde die Gütergemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten beendet (ALR II 1 § 634); die nicht vergemeinschafteten Güter waren auszusondern (ALR II 1 § 635) und als „eigenthümliches“ Gut eines Ehegatten dem gemeinen Recht unterstellt (ALR II 1 § 636). Die Hälfte des gemeinschaftlichen Vermögens fiel – in einer ersten Stufe – in das Eigentum des überlebenden Ehegatten (ALR II 1 § 637); die andere Hälfte galt als Nachlass des verstorbenen Ehegatten (ALR II 1 § 638). Hinsichtlich dieses Nachlasses wurde – in einer zweiten Stufe – die Kollision mit Verwandten des Erblassers speziell geregelt: Traf der überlebende Ehegatte mit Deszendenten zusammen, so war danach zu unterscheiden, ob diese bereits aus dem gemeinschaftlichen Vermögen abgefunden sind. War dies nicht der Fall, so „muß der überlebende Ehegatte mit seiner Hälfte sich begnügen“ (ALR II 1 § 639). Waren sie andernfalls bereits abgefunden worden, so teilte nach ALR II 1 § 642 „der überlebende Ehegatte die den Nachlaß des Verstorbenen ausmachende Hälfte mit dessen nahen Blutsverwandten, nach eben den
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
lich ist, dass das Allgemeine Landrecht und das sächsische BGB bezüglich der güterrechtlichen Vorrangstellung des Ehemannes durch das Wertungsmoment bestimmt waren, die historisch tradierte Vorrangstellung des Ehemannes und die Gleichberechtigung der Ehefrau gegeneinander abzuwägen. Im Allgemeinen Landrecht vollzog sich eine solche wertende Zusammenführung des traditionell patriarchalischen Ehemodells mit den Positionen der Ehefrau als einem an sich gleichberechtigten Familienmitglied in der rechtstechnischen Gestalt einer freien Dispositionsbefugnis der Ehefrau über das von ihr vorbehaltene Vermögen: Was vorbehaltenes Vermögen sein sollte, musste durch Verträge dazu ausdrücklich bestimmt werden (ALR II 1 § 208) mit der Wirkung, dass der Ehefrau in Ansehung des vorbehaltenen Vermögens die Verwaltung, der Nießbrauch und die freie Disposition gebührte (ALR II 1 § 221) und die von der Ehefrau über das vorbehaltene Vermögen getroffenen Verfügungen somit gerade ohne die Einwilligung des Ehemannes gültig waren (ALR II 1 § 222).172 Getragen war diese güterrechtliche Regelung im Kern aber von dem Grundgedanken des ALR II 1 § 184: „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft; und sein Entschluß giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag.“ Hinter dieser Vorschrift stand das Modell eines im Vergleich zur ursprünglich germanischen Muntgewalt milderen Herrschaftsrechts des Ehemannes, das dessen bevorzugte Stellung zwar einschränkte, aber seine Position als Haupt der Familie nicht grundsätzlich in Frage stellte.173 Im sächsischen BGB wurde das Güterrecht in der Weise ausgestaltet, dass der Ehefrau – und nicht dem Ehemann – das Eigentum an demjenigen zustand, was diese durch Dienste jenseits des Hauswesens oder des Gewerbes des Ehemannes erwarb. Der Ehemann erwarb daran kein Eigentum; jedoch stand ihm daran das Verwaltungsrecht und ein Nießbrauch zu (§ 1668 sächs. BGB).174 Diese güterrechtliche Vorschrift basierte ihrerseits auf der Grundwertung des § 1631 sächs. BGB: „Der Ehemann ist berechtigt, von seiner Ehefrau Gehorsam, ingleichen Dienstleistungen zur Förderung seines Hauswesens und seines Gewerbes zu verlangen.“ Diese Bestimmung verdeutlicht, dass die Auslotung der sich im Güterrecht gegenüberstehenden Wertungspole – Vorrangstellung des Ehemanns versus Gleichberechtigung der Ehefrau – zugunsten einer historisch tradierten Vorrangstellung des Ehemannes Verhältnissen, wie es bey der Erbfolge nach dem gemeinen Rechte vorgeschrieben ist (§. 625. 626).“ Entsprechendes galt für die Erwerbsgemeinschaft nach ALR II 1 §§ 662 ff. Der Abwicklungsmechanismus der Gütergemeinschaft des sächs. BGB vollzog sich ähnlich wie im Allgemeinen Landrecht; dazu s. Schmid, S. 34 f. Soweit vertraglich eine Gütergemeinschaft vereinbart war (§ 1695 sächs. BGB), fiel mit dem Tode eines Ehegatten die Hälfte des gemeinschaftlichen Vermögens an den überlebenden Ehegatten (§ 1702 sächs. BGB). Neben dieser güterrechtlich erhaltenen Vermögenshälfte erbte der überlebende Ehegatte in Konkurrenz mit den Verwandten die dem verstorbenen Ehegatten an sich nach § 1702 sächs. BGB zustehende andere Vermögenshälfte nach den §§ 2049 ff. sächs. BGB. 172 Schmid, S. 34 („erste Ansätze eines aufklärerischen Individualismus“). 173 Schmid, S. 33 ff.; Duncker, S. 518 ff., 1021. 174 Schmid, S. 34 f.
Zusammenfassung
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ausgefallen ist.175 Im Ergebnis wurde zwar auch im sächsischen BGB die Vorrangstellung des Ehemannes eingeschränkt, jedoch blieb das Güterrecht insgesamt patriarchalisch geprägt.176
Zusammenfassung Gegenstand des ersten Kapitels war ein ideengeschichtlich informierter Überblick über die bei der Entstehung des BGB präsente Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts im römischen und deutschen Recht, der zeigte, dass die historisch gewachsene Ausformung dieser Dimensionen als rechtstechnischer Nachvollzug gradueller Wertungsverschiebungen im Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall gedeutet werden kann. Ausgangspunkt der jeweiligen rechtstechnischen Ausgestaltungen des Ehegattenerbrechts war in beiden Rechtsschichten ein von der Vorherrschaft des Ehemannes beeinflusstes Eherechtsdenken. Prägend für die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts im römischen Recht waren der Umschwung in der Wahl des Ehemodells von der manus- zur manus-freien Ehe und die damit zusammenhängenden erbrechtlichen Konsequenzen des Agnationsprinzips. Unterstand die Ehefrau nicht der manus ihres Ehemannes, konnte sie diesen mangels agnatisch begründeter Verwandtschaft mit ihm nicht filiae loco beerben. Im Lichte des gewandelten Ehemodells waren das prätorische Edikt unde vir et uxor und die justinianische quarta uxoria Reaktionen auf das entfallene Erbrecht von insbesondere in manusfreier Ehe verheirateten Frauen. Die Ausbildung dieser erbrechtlichen Dimension blieb jedoch gegenüber den ausgebauten güterrechtlichen Sicherungsmechanismen subsidiär. Denn primär sollte die überlebende Ehefrau durch ihre dos versorgt werden. Auch im deutschen Recht bildeten sich im Ausgangspunkt güterrechtliche Abwicklungssysteme heraus, die sich im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung regional vielfältig diversifizierten, in Gestalt der portio statutaria zu hybriden, zwischen Erbund Güterrecht anzusiedelnden Rechtskonstruktionen heranwuchsen und paradigmatisch im Allgemeinen Landrecht und im sächsischen BGB in einem wirklichen Erbrecht des Ehegatten aufgingen. Dabei markierten die verschiedenen Erscheinungsformen der portio statutaria in rechtstechnischer Hinsicht insoweit einen Scheideweg zwischen Erb- und Güterrecht, als die Ehefrau während der Ehe der Vorherrschaft und ursprünglichen Muntgewalt ihres Ehemannes güterrechtlich unterworfen blieb, sich eine Verbesserung ihrer Situation daher erst bei Beendigung der Ehe einstellen konnte und sich diese Verbesserung rechtstechnisch zunehmend in 175 Zu einzelnen Bindungen des Ehemannes s. von Mayenburg, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (III) Rn. 184. 176 Schmid, S. 38.
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1. Kap.: Die Entfaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen
erbrechtlicher Gestalt vollzog. Der Aufstieg des überlebenden Ehegatten – und insbesondere der Ehefrau – vollzog sich also in rechtstechnischer Hinsicht durch eine Verlagerung vom Güter- zum Erbrecht. Während die güterrechtlichen Mechanismen dabei weiter von der Vorrangstellung des Ehemannes bestimmt blieben, wurden mit Blick auf die erbrechtlichen Regelungen Mann und Frau zunehmend gleichbehandelt. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass die Entfaltung der erbrechtlichen Dimension insbesondere auch durch das Zusammenspiel der Wertungsmomente beeinflusst wurde, die Ehe einerseits wegen ihres Familienpotentials als eine gegenüber den Herkunftsfamilien der Ehegatten selbstständige Wertungsgröße zu begreifen und andererseits die Eigenständigkeit der Ehe auch durch die Betonung ihres subjektiven Charakters als innige Liebes- und Verantwortungsgemeinschaft herauszustellen.
Zweites Kapitel
Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata Das Ziel dieses Kapitels ist es, die rechtstechnische Ausgestaltung der erb- (§ 3) und güterrechtlichen (§ 4) Dimensionen des gegenwärtigen Ehegattenerbrechts aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus zu erläutern und dabei zu veranschaulichen, dass die bis zur heutigen Gesetzestechnik durchlaufenen Wandlungen in der Ausformung dieser Dimensionen in materieller Hinsicht graduelle Verschiebungen im Eherechtsdenken nachvollziehen, die ebenfalls auf einer differenzierten Akzentuierung der im ersten Kapitel herausgearbeiteten Wertungsmomente – Familienpotential, Subjektivierung und Gleichberechtigung – beruhen. Der Schwerpunkt der nachstehenden Ausarbeitung liegt also auf einer gesetzgebungsgeschichtlichen Analyse des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall innerhalb der ursprünglich erarbeiteten und danach weiter reformierten Ausgestaltungen des Erbteils, Voraus und Pflichtteils des Ehegatten sowie der damit zusammenhängenden güterrechtlichen Ausgleichsmechanismen im Todesfall. Im Folgenden ist dabei im Auge zu behalten, dass Erb- und Güterrecht nicht als zwei voneinander isolierte Ebenen zu betrachten sind, sondern dass beide Dimensionen erst in ihrem Zusammenwirken das Ehegattenerbrecht de lege lata konstituieren.1 Dass Erb- und Güterrecht inhaltlich zusammenhängen, hatte bereits die im ersten Kapitel erwähnte Vorkommission von Anfang an im Blick, da sie eine einheitliche Bearbeitung von Erb- und Güterrecht durch insgesamt einen Redaktor vorschlug.2 Auch der weitere Erarbeitungsprozess des Ehegattenerbrechts verlief 1
Vorlage No 7 von 1877, S. 3, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1103: „Das Deutsche Recht räumt dem überlebenden Gatten ausgedehntere vermögensrechtliche Vortheile ein. Es geschieht dies theils durch die Bestimmungen des ehelichen Güterrechts, theils durch erbrechtliche Vorschriften. Beides muß in’s Auge gefaßt werden, um die Auffassung richtig zu würdigen.“ 2 Vorschlag VII.3.c) des Gutachtens der Vorkommission, in: Jakobs/Schubert (Hrsg.), Einführung, S. 183. Entgegen diesem Vorschlag wurde das Güterrecht im Entstehungsprozess des BGB jedoch vom Erbrecht weggezogen und dem für das Familienrecht zuständigen Redaktor, Gottlieb Planck, ohne ausdrückliche Begründung zugewiesen; dazu s. Protokoll der 5. Sitzung vom 24.09.1874, in: Jakobs/Schubert (Hrsg.), Einführung, S. 218; ferner s. Schmid, S. 44. Zum einen lässt sich diese Abweichung mit dem Ziel der ersten Kommission erklären, zwischen den Redaktoren eine möglichst gleichmäßige Arbeitsbelastung zu erreichen, denn die Rechtszersplitterung war im Erb- und Güterrecht besonders ausgeprägt, sodass die Belastung für diesen einen Redaktor am stärksten gewesen wäre. Zum anderen war das Güterrecht nach den bestehenden Kodifikationen stets Teil des Familienrechts und sollte nicht aus diesem Bereich ausgeklammert werden; zu diesen Erwägungen s. Schmid, S. 44 f.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
nicht ohne die Einsicht, dass hierbei Fragen zu behandeln sind, „welche gleichmäßig das Erbrecht und das Eherecht berühren.“3 So erbat sich Gottfried von Schmitt, der Redaktor des Erbrechts, in der Konferenz am 24. April 1875 während der Beratungen über das Erbrecht des überlebenden Ehegatten bei Beendigung einer Gütergemeinschaft von Gottlieb Planck, dem Redaktor des Familienrechts, „Aufklärungen über dessen Intentionen bezüglich des ehelichen Güterrechts, im Interesse der Bearbeitung des Erbrechts und des Pflichttheilsrechts der Ehegatten.“4 Die Intentionen von Planck wurden maßgeblich durch das güterrechtliche Gutachten Richard Schröders5 und die Beratungen des 12. Deutschen Juristentages6 geprägt. Auf der Basis jener Arbeiten sprach sich Planck in der 10. Sitzung der ersten Kommission am 20. Oktober 1875 für eine Vereinheitlichung des Güterrechts aus, befürwortete die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand und empfahl eine gesetzliche Ausformung der ehevertraglich wählbaren Errungenschafts- und allgemeinen Gütergemeinschaft.7 Wesentlich ist, dass die Begründung seiner güterrechtlichen Intentionen erkennen lässt, dass sich Planck bei der Erarbeitung des Ehegattenerbrechts im BGB dem rechtstechnischen Trend einer Verlagerung vom Güter- zum Erbrecht bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der güterrechtlichen Vorrangstellung des Ehemannes anschloss: „Praktisch ungleich wichtiger als die Frage, ob der Frau ein Recht auf die Hälfte der Errungenschaft zusteht, ist die Frage, welche Ansprüche die Frau nach dem Tode des Mannes überhaupt haben soll. Hier liegt der Punkt, in de[m] die Bestimmungen des römischen Rechts am meisten Anstoß erregt haben und die Neigung zur allgemeinen Gütergemeinschaft hat wohl nicht zu geringem Theile ihren Grund darin, daß bei ihr schon aus dem Prinzipe des Systems selbst eine angemessene und würdige Stellung des überlebenden Ehegatten folgte. Dieselbe läßt sich aber auch auf anderm, nämlich erbrechtlichem Wege erreichen. Das System der Verwaltungs- und Errungenschaftsgemeinschaft stehen hier auf demselben Boden und demselben Bedürfnisse gegenüber; denn daß auch bei der letzteren der Antheil an der Errungenschaftsmasse nicht genügt, wird schwerlich bestritten werden.“8
Planck sprach somit explizit aus, dass das materielle Ziel – die Verbesserung der Rechte des überlebenden Ehegatten und insbesondere der überlebenden Ehefrau – nicht zwangsläufig güterrechtlich realisiert werden muss, sondern in rechtstechnischer Hinsicht auch mit genuin erbrechtlichen Mitteln geschehen kann. Es ist also von zentraler Bedeutung, dass der gesetzgeberischen Ausgestaltung der nachfolgend 3
Vorlage No 7 von 1877, S. 3, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1103. Jakobs/Schubert (Hrsg.), Familienrecht, S. 804. 5 Dazu s. Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 847 ff., 869 ff., 879 ff.; ferner s. Schmid, S. 47 f. 6 Euler, 12. DJT 1874, Bd. 1, S. 41 ff. („Welches der in Deutschland herrschenden ehelichen Güterrechtssysteme eignet sich zur Verallgemeinerung in Deutschland?“); ferner s. Schmid, S. 54 ff. 7 Jakobs/Schubert (Hrsg.), Familienrecht, S. 366, 375. 8 Jakobs/Schubert (Hrsg.), Familienrecht, S. 371. 4
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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jeweils separat beleuchteten erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts das gleiche materielle Wertungsproblem zugrunde liegt, das Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall auszutarieren.
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts Gegenstand dieses Abschnitts ist die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts. Das Anliegen der nachstehenden Ausführungen besteht darin, die wertende Auslotung der miteinander kollidierenden familienrechtlichen Statusverhältnisse von Ehe und Verwandtschaft herauszuarbeiten und in diesem Zusammenhang die im Entstehungsprozess der rechtstechnischen Ausgestaltung von Erbteil, Voraus und Pflichtteil zur Sprache gekommenen gesetzgeberischen Beweggründe freizulegen und auf Verschiebungen im Eherechtsdenken zurückzuführen. Wesentlich ist, dass im Erbrecht – anders als im ursprünglichen Güterrecht des BGB – die Vorstellung der Gleichberechtigung von Ehemann und Ehefrau so ausgeprägt war, dass in keinem Stadium der Erarbeitung oder Reform des BGB erwogen wurde, bei der Ausgestaltung des Ehegattenerbrechts danach zu differenzieren, ob zunächst der Ehemann oder die Ehefrau verstarb und beerbt wurde.9 Im Zentrum der folgenden Untersuchung steht daher die Frage, welchen Einfluss die Wertungsmomente des Familienpotentials und der Subjektivierung im Eherechtsdenken auf den Ausgleich der Interessen des Ehegatten mit denen der Verwandten des Erblassers hatten.
I. Der Erbteil des Ehegatten Ursprünglich schlugen Planck und Schmitt gemeinsam vor, dass der überlebende Ehegatte die Verwandten jenseits der zweiten Parentel vollständig von der Erbfolge ausschließen, er neben den Verwandten der zweiten Parentel zur Hälfte und neben den Verwandten der ersten Parentel auf einen Kindesteil und dabei maximal zu einem Viertel zur Erbschaft berufen sein sollte.10 Darüber hinaus lehnte Schmitt ab, was Planck jedoch befürwortete – dass der überlebende Ehegatte nämlich ein Nießbrauchsrecht an denjenigen Teilen des Nachlasses erhalten sollte, die den aus seiner Ehe mit dem Erblasser stammenden Nachkommen kraft Gesetzes oder auf Grund letztwilliger Verfügungen zufielen.11 Das Zusammentreffen des Ehegatten mit den Abkömmlingen des Erblassers stellte also den „neuralgischen Punkt“12 für die Ausgestaltung des Ehegattenerbteils dar. Innerhalb des Entstehungsprozesses des § 1931 BGB ist somit danach zu differenzieren, ob der überlebende Ehegatte in einer 9
Dazu s. Mertens, S. 80. Vorlage No 7 von 1877, S. 1, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1101. 11 Vorlage No 7 von 1877, S. 1 f., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1101 f. 12 Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1418.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
beerbten Ehe mit Deszendenten oder in einer unbeerbten Ehe mit Aszendenten des Erblassers zusammentraf. 1. Die Beratungen der ersten Kommission a) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei beerbter Ehe Im Folgenden ist zu zeigen, dass die dem weiteren Gesetzgebungsprozess zugrunde liegende Argumentation Plancks für13 und die Begründung Schmitts gegen14 einen zusätzlichen Nießbrauch des überlebenden Ehegatten an den Erbteilen der Abkömmlinge – jenseits der bei einer nießbrauchsbedingten Kapitalbindung anzustellenden haftungsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Erwägungen – jeweils eine wertende Stellungnahme zum Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall verkörpert. So begann Planck seine Begründung unter Verweis auf die „innige und vollständige Lebensgemeinschaft, welche durch die Ehe unter den Gatten begründet wird“, die „ihrem innersten Wesen nach auch bei dem Tode eines Gatten noch fortwirken“ müsse und stellte damit das subjektive Wertungsmoment in seinem Eherechtsdenken besonders heraus.15 Entsprechend dieser ehelichen Lebensgemeinschaft werde das äußere und wirtschaftliche Leben der Ehegatten bestimmt. Auf dem Boden dieser Eheauffassung war es für Planck konsequent, dass der Tod eines Ehegatten die auf die Ehe gegründete Existenz des überlebenden Ehegatten nicht vernichten können soll, was für ihn unter rechtstechnischen Gesichtspunkten auf einen Nießbrauch hinauslief.16 Ihm waren die mit einem solchen Nießbrauch verbundenen Nachteile – dauerhafte Kapitalbindung, komplexe Haftungsfragen und potentielle Reibungen unter den Beteiligten – bewusst, er maß ihnen aber im Interesse der Aufrechterhaltung der Lebensstellung des überlebenden Ehegatten keine entscheidende Bedeutung zu.17 Während Planck diesen eherechtlichen Gesichtspunkt in den Vordergrund rückte, orientierte sich Schmitt an erbrechtlichen Überlegungen „in dem Sinne, daß das eheliche Verhältniß nur als Voraussetzung wirkt“18 und die Ehe allein eine „objektive
13 Dazu s. Vorlage No 7 von 1877, S. 16 ff., 23 ff., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1116 ff., 1123 ff. 14 Dazu s. Vorlage No 7 von 1877, S. 41 ff., 53 ff., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1141 ff., 1153 ff. 15 Vorlage No 7 von 1877, S. 16, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1116. 16 Vorlage No 7 von 1877, S. 19, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1119: „Die Form, in welcher das Recht des überlebenden Gatten den Erben gegenüber zu realisiren ist, wird im Wesentlichen keine andere sein können, als die des Nießbrauchs an einem fremden Vermögen.“ Dazu s. Mertens, S. 66. 17 Vorlage No 7 von 1877, S. 23 ff., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1123 ff.; ferner s. Mertens, S. 66. 18 Vorlage No 7 von 1877, S. 42, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1142.
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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Grundlage des Gattenerbrechts“19 darstellen sollte, die ihrerseits „wie die Verwandteneigenschaft ein selbstständiges Anrecht auf den Nachlaß des vorverstorbenen Ehetheils“20 gebe. Schmitt schlussfolgerte aus seiner Auseinandersetzung mit Planck, dass es im Ergebnis auf eine Entscheidung darüber ankommen werde, ob dem Wesen der Ehe die Ansicht mehr entspreche, welche darin – wie er – ein rein persönliches Verhältnis erblickt oder diejenige, welche – wie Planck – vermögensrechtliche Wirkungen unmittelbar an sie in Gestalt eines Nießbrauches anknüpft.21 Auf der Grundlage einer von Planck und Schmitt zusammengetragenen Synopse der einst verbreiteten Ausformungen des Ehegattenerbrechts22 entschied sich die am 29. September und 1. Oktober 1877 tagende erste Kommission gegen den von Planck vorgeschlagenen Nießbrauch des Ehegatten an den Erbteilen der Abkömmlinge.23 Zum einen ist dieser Standpunkt der ersten Kommission der Ausdruck ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Rechtsneuerungen und ihres Anliegens zur Rechtsvereinheitlichung – also ihres Ziels, sich an bereits geltende Konstruktionen anzuschließen.24 Denn als man die bisherigen Ausgestaltungen des Erbteils eines im Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft verheirateten Ehegatten verglich, fand man nur sehr vereinzelt die Zuweisung eines solchen Nießbrauchs an den überlebenden Ehegatten und wollte im Hinblick auf diesen bestehenden Rechtszustand keine Innovationen durchsetzen.25 Auch Planck wusste um diesen historisch gewachsenen status quo, wollte sich diesem aber nicht anschließen, um zugunsten des überlebenden Ehegatten dessen äußere Lebensstellung aufrechtzuerhalten.26 Als 19 Vorlage No 7 von 1877, S. 46, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1146 (Hervorhebung im Original). 20 Vorlage No 7 von 1877, S. 41, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1141. 21 Vorlage No 7 von 1877, S. 43, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1143. 22 Vorlage No 7 von 1877, S. 3 – 16, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1103 – 1116. 23 Jakobs/Schubert (Hrsg.), Erbrecht, S. 41; Schubert (Hrsg.), Erbrecht, S. 716 ff. Dazu s. Mertens, S. 70 ff. 24 Zur grundsätzlichen Skepsis gegenüber Rechtsneuerungen bei Planck s. Frensdorff, S. 371: „Die Absicht war nicht, neues Recht von oben herab zu machen, sondern das im Volk gewachsene Recht zu finden und in feste Form zu bringen. Aus dieser Masse, die zum Teil gemeinsames, zum anderen Teil verschiedenes Recht war, galt es auszuwählen, was dem Gesamtbewußtsein des deutschen Volkes am meisten entsprach. […] Das bestehende Recht […] zu kodifizieren blieb die Hauptaufgabe.“ Ferner s. Schmid, S. 75 f. Gleichfalls betrachtete es auch Schmitt als seine Aufgabe, das geltende Erbrecht unter Beachtung der bestehenden Gesetzbücher in einer Kodifikation zusammenzufassen, die den wissenschaftlichen Anforderungen ihrer Zeit genügte; dazu s. Mertens, S. 11, 74. 25 Zur Auseinandersetzung mit dem bisherigen Rechtszustand s. Motive, S. 368 f., in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 195. 26 Vorlage No 7 von 1877, S. 23, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1123: „Den erstgedachten Weg [! Erbteil ohne zusätzlichen Nießbrauch] schlagen, wie die vorangestellte Uebersicht ergiebt, die sämmtlichen neueren auf dem Boden der Verwaltungsgemeinschaft stehenden Gesetze ein. Trotz des hieraus zu entnehmenden schwer wiegenden Arguments für
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
Argument gegen einen Nießbrauch im Sinne Plancks führte die erste Kommission den rechtssetzungstechnischen Komplexitätsgrad an, der mit einer Nießbrauchsregelung verbunden und nur schwer einer befriedigenden Lösung zuführbar sei.27 Darüber hinaus würde neben der Ausformung eines solchen Haftungssystems mit der Einführung eines Nießbrauchs an den Erbteilen der Abkömmlinge die aufgelöste Ehe zugunsten des überlebenden Ehegatten stärkere Wirkungen entfalten als die bestehende Ehe, weil der im ersten Entwurf vorgesehene, auf die Minderjährigkeit der Kinder beschränkte elterliche Nießbrauch28 dadurch „unter einem anderen Namen auf die Lebenszeit der Eltern ausgedehnt würde.“29 Hieran wird besonders deutlich, dass die Ablehnung eines solchen Nießbrauchs zum anderen eine wertende Gewichtung der ehelichen und verwandtschaftlichen Nähebeziehung zum Erblasser war. Im Lichte dieses Spannungsverhältnisses ist die Erwägung der ersten Kommission geradezu kennzeichnend, dass die durch einen Nießbrauch an den Erbteilen der Abkömmlinge eintretende Belastung dadurch zu kompensieren sei, dass den überlebenden Ehegatten eine Ausstattungspflicht zugunsten der Abkömmlinge treffen müsste.30 Bereits Planck sah eine solche Ausstattungspflicht vor, behielt sich aber einzelne Modifikationen vor und konnte daher seinerseits keine ausgereifte Rechtsgestaltung des Nießbrauchs und der Ausstattungspflicht vorschlagen.31 Die seiner Erbrechtstechnik zugrunde liegende Bevordiesen Weg glaubt sich der Redaktor des Familienrechts gegen denselben erklären zu müssen. Gegen denselben spricht, daß es, ohne das natürliche Erbfolgerecht der Nachkommen zu schwer zu beeinträchtigen, nicht möglich ist, den Erbtheil des überlebenden Gatten so hoch zu bemessen, daß dadurch seine berechtigten Ansprüche auf Fortdauer der durch die Ehe begründeten äußeren Lebensstellung befriedigt werden können.“ 27 Motive, S. 369, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 195: „Hätte der Entw. diesen Weg im Widerspruche mit der Auffassung, daß eine Bindung des Vermögens durch lebenslänglichen, nicht im Wege eines Rechtsgeschäftes herbeigeführten Nießbrauch auch von dem Standpunkte der Nationalökonomie aus als verwerflich anzusehen ist, beschritten, so würde ferner die Regelung des Verhältnisses der Nachlaßgläubiger und der Gläubiger des Ueberlebenden kaum zu überwindende Schwierigkeiten bereitet haben.“ Zu Schmitts Erörterungen s. Vorlage No 7 von 1877, S. 41 ff., 53 ff., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1141 ff., 1153 ff. 28 Dazu s. § 1502 Nr. 2 E I: „Die elterliche Gewalt begründet für den Elterntheil, dem sie zusteht (Inhaber der elterlichen Gewalt): [Nr. 2] Das Recht der Nutznießung an dem Vermögen des Kindes (elterliche Nutznießung).“ Ferner s. § 1557 E I: „Die elterliche Gewalt über das Kind wird, ausser durch den Tod, durch die Volljährigkeit des Kindes beendigt.“ Dazu s. Motive, S. 724 ff., 830, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 384 ff., 440. 29 Motive, S. 368, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 195; zu Schmitts Erörterungen s. Vorlage No 7 von 1877, S. 41 ff., 53 ff., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1141 ff., 1153 ff. 30 Motive, S. 369, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 195: „Im Falle der Aufnahme eines Erbnießbrauches müßte jedenfalls dem Ueberlebenden eine Ausstattungspflicht auferlegt werden. Diese Pflicht angemessen zu regeln, würde sehr schwierig sein.“ 31 Dazu s. Plancks unter Nr. 5 abgedruckten Vorschlag in der Vorlage No 7 von 1877, S. 1 f., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1101 f. „Der überlebende Ehegatte erhält den Nießbrauch an denjenigen Theilen des Nachlasses, welcher den aus seiner Ehe mit dem Erblasser stammenden Nachkommen, kraft des Gesetzes oder auf Grund letztwilliger Verfügung zufällt. Auf dieses Rechtsverhältniß finden die Grundsätze über das durch Vermächtniß eines
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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zugung des Ehegatten gegenüber den Abkömmlingen entspringe – so Schmitt – zwar einer „edlen und lebenswarmen Auffassung“32, vernachlässige aber in der rechtstechnischen Gestalt eines Erbnießbrauchs die Interessen der Abkömmlinge. Ihm erschien die Kumulation einer eigenen Erbquote und eines Nießbrauchs an den Erbquoten der Abkömmlinge als zu weitgehend: „Wenn der überlebende Gatte gegenüber Verwandten der zweiten Parentel auf die Hälfte des Nachlasses (vielleicht auf einen noch geringeren Bruchtheil) beschränkt wird, so kann er, ohne Mißverhältniß, gegen die Abkömmlinge des Erblassers nicht in einem Umfange berechtigt werden, welcher ihn hier überhaupt oder unter Umständen effektiv besser stellen würde (1/4 + Nießbrauch).“33
Diesem Gedanken von Schmitt schloss sich die erste Kommission an und lehnte die mit einem Nießbrauch verbundene intensive Vermögensbindung ab.34 Sie maß dem subjektiven Wertungsmoment der Ehe als innige Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft also im Fall der beerbten Ehe eine geringere Bedeutung bei: „Wenn für die Zuweisung eines Nießbrauches geltend gemacht wird, die Nachwirkung der Ehe als der innigen und vollständigen Lebensgemeinschaft müsse den Zweck erfüllen, dem Ueberlebenden im Wesentlichen dieselbe Stellung zu belassen, welche er während der Ehe gehabt habe, so kann dies in solcher Allgemeinheit nicht anerkannt werden […].“35
Vielmehr betonte sie die Interessen der Abkömmlinge: „Selbst dann, wenn der Gatte seine wirthschaftliche Existenz auf das Gesammtvermögen gegründet hat, bleibt, so lange die Kinder minderjährig sind, kraft der elterlichen Nutznießung das Verhältniß im Wesentlichen unverändert. Werden aber die Kinder volljährig, so Nießbrauchs begründete Rechtsverhältniß unter den nachfolgenden Modifikationen entsprechende Anwendung. a) Dem Nießbrauch des überlebenden Ehegatten ist auch der Pflichttheil unterworfen. b) Der Nießbrauch des überlebenden Ehegatten findet nicht statt, so lange das betreffende Vermögen seiner elterlichen Nutznießung unterworfen ist. Vorbehalten bleibt die Frage, ob der Nießbrauch bei Verwirkung der elterlichen Gewalt gänzlich wegfallen soll. c) Der überlebende Ehegatte ist volljährigen Nachkommen, welche sich selbstständig besetzen, und weiblichen Nachkommen, auch wenn sie sich mit seiner Genehmigung verheirathen, aus dem seinem Nießbrauche unterworfenen Vermögen derselben eine Ausstattung zu geben verpflichtet. Die Ausstattung besteht in dem von dem Nießbrauche zu befreienden Pflichttheil des betreffenden Nachkommens. Die Ausstattung ist verhältnißmäßig zu vermindern, wenn und soweit durch die Auskehrung der Pflichttheile an sämmtliche Nachkommen der standesmäßige Unterhalt des überlebenden Gatten gefährdet werden würde. d) Der Nießbrauch des überlebenden Gatten hört auf, wenn sich derselbe wieder verheirathet. e) Einzelne weitere Modifikationen der allgemeinen Grundsätze über den Nießbrauch, insbesondere in Betreff der Verpflichtung des Nießbrauchers zur Sicherheitsleistung, der Entziehung des Nießbrauches wegen Nichterfüllung der dem Nießbraucher obliegenden Pflichten und der Umwandlung desselben in eine Rente bleiben vorbehalten.“ (Hervorhebung im Original nicht wiedergegeben). 32 Vorlage No 7 von 1877, S. 43, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1143. 33 Vorlage No 7 von 1877, S. 57, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1157. 34 Dazu s. Motive, S. 368, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 195. 35 Motive, S. 368, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 195.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata tritt eine allmähliche Abwickelung ein. Dies kann nur für angemessen erachtet werden. Der Natur der Verhältnisse entspricht es, daß der Ueberlebende den Kindern eine freie wirthschaftliche Entwickelung ermöglicht.“36
Diese Erwägungen zeigen im Hinblick auf das Wertungsmoment des Familienpotentials, dass die die Aszendenten zurückdrängende Eigenständigkeit der Ehe nicht gegen die Mitglieder der eigenen, neuen Familie – die Kinder – in Ansatz gebracht werden sollte. Planck sah nach seinem Unterliegen in den Kommissionssitzungen ein, dass sich sein ausdrückliches Anliegen, „dem überlebenden Gatten bei Auflösung der Ehe durch den Tod des anderen Gatten eine dem während der Ehe bestandenen persönlichen und güterrechtlichen Verhältnisse entsprechende Stellung [zu] sichern“37, nicht mit einem Nießbrauch durchsetzen ließ: „Da die Entscheidung dahin getroffen ist, daß dem hervorgehobenen Bedürfnisse durch erbrechtliche Bestimmungen zu genügen sei, so muß wegen der Begründung auf das Erbrecht verwiesen werden.“38 Dementsprechend beantragte er, den mit Schmitt abgestimmten Vorschlag, dass der Ehegatte neben Erbberechtigten der ersten Klasse auf einen Kindesteil, aber nicht mehr als ein Viertel der Erbschaft berufen ist,39 abzuändern. Die Mehrheit entschied sich für seinen Änderungsantrag, den Erbteil des Ehegatten neben den Abkömmlingen nun nicht mehr unter ein Viertel sinken zu lassen.40 Nach dem Standpunkt Schmitts empfahl sich die fixe Quote von einem Viertel „um so mehr, als Ehe und Blutsverwandtschaft qualitativ verschiedene Verhältnisse sind, welche einen Einfluß der Kinderzahl auf den Umfang des Gattenerbrechts nicht rechtfertigen.“41 Denn zum einen würde sich bei größerer Kinderzahl der Ehegattenerbteil immer weiter verringern, wodurch die „Fruchtbarkeit der Ehe“42 gefährdet werden könne; auch Schmitt benannte diese Möglichkeit, dass eine solche Beschränkung des Ehegattenerbrechts auf einen Kindesteil der „Produktivität der Ehe“ entgegenwirken könne.43 Zum anderen könne es auch bei wenigen und insbesondere einseitigen Kindern zu Unbilligkeiten kommen: „Es wäre zB. kaum angemessen, daß, wenn nur ein Kind vorhanden ist, der Ehemann die Hälfte erbt und diese Hälfte zum größeren Theile auf seine einseitigen Kinder vererbt. Deshalb verdient der feste Bruchtheil von 1/4 […] den Vorzug.“44 Unabhängig davon betonte Schmitt, dass die Kinder im Zusammentreffen mit dem Ehegatten mehr erhalten müssten als ent36
Motive, S. 368, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 195. Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 1, S. 644. 38 Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 1, S. 645. 39 Vorschlag No 7 von 1877, S. 1, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1101. 40 Jakobs/Schubert (Hrsg.), Erbrecht, S. 41: Neben Erbberechtigten der ersten Klasse ist der überlebende Ehegatte auf den vierten Theil der Erbschaft berufen. 41 Schubert (Hrsg.), Erbrecht, S. 740; dazu s. Mertens, S. 72 f. 42 Motive, S. 371, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 197. 43 Schubert (Hrsg.), Erbrecht, S. 739; dazu s. Mertens, S. 72. 44 Motive, S. 371, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 197. 37
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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ferntere Aszendenten, wenn diese mit dem überlebenden Ehegatten konkurrieren. Es sei nicht gerechtfertigt, wenn das einzige Kind des Erblassers in Konkurrenz zum überlebenden Ehegatten nicht mehr erhielte „als der in der zweiten Parentel etwa allein vorhandene Neffe des Erblassers.“45 Die nach dieser Maßgabe zu bestimmende Erbquote des Ehegatten sei „von mittlerem Durchschnitte zu nehmen […], der Kinderzahl 3 bis 4.“46 Im Ergebnis kann also festgehalten werden, dass innerhalb des gewichtenden Prozesses, die Position des Ehegatten in Konkurrenz mit den Deszendenten des Erblassers auszugestalten, das Wertungsmoment des Familienpotentials der Ehe in der Weise zur Geltung kam, dass die Stellung der Deszendenten der neu gestifteten Familie höher gewichtet wurde als die Bedeutung der sie stiftenden Ehe. b) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei unbeerbter Ehe Während für den Fall der beerbten Ehe die Nießbrauchslösung verabschiedet und stattdessen ein fixes Viertel für den Ehegatten beschlossen wurde, galt es im Hinblick auf die Situation bei der unbeerbten Ehe, einen Verwandtschaftsgrad zu identifizieren, ab dem der Ehegatte die Verwandten von der Erbfolge ausschließen sollte. Im Ausgangspunkt schlugen Planck und Schmitt gemeinsam vor, dass der Ehegatte, wenn Erbberechtigte der ersten Klasse nicht vorhanden sind, neben den Erbberechtigten der zweiten Klasse auf die Hälfte der Erbschaft und wenn auch diese nicht vorhanden sind, auf die ganze Erbschaft berufen sein sollte.47 Explizit hielt Schmitt fest, dass diese „Messung der Stärke des ehelichen gegenüber dem Verwandtschaftsbande […] keine absolute sein [könne].“48 Ebenso ging auch Planck davon aus, dass eine Erbquote in Höhe der Hälfte des Nachlasses neben Verwandten der elterlichen Parentel einerseits berücksichtige, dass der überlebende Ehegatte dem Erblasser näher als dessen Aszendenten gestanden habe und andererseits aber auch deren Interesse beachte, die Vermögenssubstanz in der ursprünglichen Familie zu erhalten.49 Dabei sollten jedoch die Großeltern des Erblassers nach ihrer gemeinsamen Vorlage vollständig durch den überlebenden Ehegatten verdrängt werden. Ihnen war bewusst, dass sich ein solcher Ausschluss der Großeltern von der Erbfolge nicht an die bisherigen Gesetze anschließen würde. Planck zufolge spreche jedoch für einen solchen Ausschluss der Großeltern, „daß nach den von der Kommission über die gesetzliche Erbfolge gefaßten Beschlüssen die Parentelordnung schon in der großelterlichen Parentel nicht mehr rein zur Anwendung kommen, sondern die Großeltern die übrigen Verwandten dieser Parentel
45 46 47 48 49
Vorlage No 7 von 1877, S. 54, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1154. Vorlage No 7 von 1877, S. 54, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1154. Vorlage No 7 von 1877, S. 1, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1101. Vorlage No 7 von 1877, S. 52, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1152. Vorlage No 7 von 1877, S. 22, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1122.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
ausschließen sollen.“50 Er sah in dieser innerhalb der großelterlichen Parentel vorgesehenen Bevorzugung der Großeltern keinen ausschlaggebenden Grund, sie in gleicher Weise gegenüber dem Ehegatten zu bevorzugen.51 Zudem sei es nicht nachvollziehbar, bei der Festlegung des erbberechtigten Verwandtenkreises von der Entscheidung abzuweichen, die bereits in der Beschränkung des Pflichtteilsrechts auf die Eltern zum Ausdruck komme.52 Dieser Grundwertung fügte Schmitt weitere Überlegungen hinzu, mit denen er die Auslotung zulasten der Verwandten ab der zweiten Parentel zu rechtfertigen versuchte. So spreche für den Ausschluss der Großeltern des Erblassers durch dessen Ehegatten, „daß das Vermögen bei den Großeltern nur ein durchlaufender Posten auf verhältnißmäßig kurze Zeit ist“ und „daß die natürliche Richtung der Erbübergänge nach der jüngeren Generation neigt (Ehegatte).“53 Ferner war er der Auffassung, dass man dem Ehegatten in Konkurrenz mit den Großeltern, um deren größere Verwandtschaftsdistanz zum Erblasser abzubilden, konsequenterweise eine größere Quote als bei der Konkurrenz mit den Verwandten der zweiten Parentel gewähren müsste – „also etwa 3/4 der ganzen Erbschaft, und daß dann den Großeltern, namentlich wenn sie alle vier vorhanden sind, nur wenig, je 1/16 , zukäme.“54 In der Sitzung vom 1. Oktober 1877 war jedoch die Mehrheit der ersten Kommission dafür, dass die Berufung des Ehegatten auf die ganze Erbschaft erst stattfinden soll, wenn keiner der Großeltern mehr am Leben ist.55 Damit erteilte die erste Kommission den Vorschlägen Plancks und Schmitts eine Absage. Dabei bestand die Rechtfertigung dafür, dass die Großeltern nicht vom überlebenden Ehegatten verdrängt werden sollten, darin, sich an die bestehende und überlieferte Rechtslage anschließen zu wollen: „Die Großeltern ganz auszuschließen, würde dem überwiegend geltenden Rechte widersprechen und in nicht seltenen Fällen zu Härten führen.“56 Diese in einem frühen Arbeitsstadium getroffenen Entscheidungen hat die erste Kommission bei ihren Hauptberatungen im Jahre 1887 beibehalten und legte abschließend in § 1971 Abs. 1 E I die folgende Bestimmung des Ehegattenerbteils fest:
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Vorlage No 7 von 1877, S. 22, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1122. Vorlage No 7 von 1877, S. 22, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1122. 52 Vorlage No 7 von 1877, S. 22, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1122. 53 Vorlage No 7 von 1877, S. 52, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1152. 54 Vorlage No 7 von 1877, S. 52, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1152. 55 Jakobs/Schubert (Hrsg.), Erbrecht, S. 40. 56 Motive, S. 372, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 197. Es bestehe auch „kein Anlaß, von der Trennung in der dritten Linie abzusehen, da schon der § 1968 eine Trennung in dieser Linie mit sich bringt. Die Ausdehnung auf die übrigen Verwandten der dritten Linie würde zu weit führen.“ 51
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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Hat der Erblasser einen Ehegatten hinterlassen, so ist der letztere als gesetzlicher Erbe berufen: wenn Verwandte der ersten Linie zur gesetzlichen Erbfolge gelangen, zu einem Viertel der Erbschaft; wenn Verwandte der zweiten Linie oder ein oder mehrere Großelterntheile zur gesetzlichen Erbfolge gelangen, zur Hälfte der Erbschaft; in Ermangelung solcher gesetzlichen Erben zur ganzen Erbschaft.57
2. Die Beratungen der zweiten Kommission Der zweiten Kommission lagen zu dieser Bestimmung verschiedene Änderungsanträge vor, in denen sich die Auseinandersetzung über das Verhältnis von Erbteil und Nießbrauch des Ehegatten, über die Größe des Ehegattenerbteils neben Abkömmlingen des Erblassers und neben dessen Großeltern wiederholte. a) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei beerbter Ehe Betrachtet man zunächst die Anträge, die sich lediglich für einen lebenslangen Nießbrauch des Ehegatten aussprachen, so fällt auf, dass dessen erneute Befürwortung „nicht etwa aus einer Abneigung gegenüber dem gesetzlichen Erbrechte des Ehegatten entsprungen“ war.58 Vielmehr seien die einer Erbquote zugrunde liegenden Gründe „durchaus stichhaltig.“59 Jedoch müsse man den Nachteil einer dinglichen Erbquote beachten, dass das Vermögen im Falle einer Wiederheirat des überlebenden Ehegatten in eine fremde Familie fließen könne.60 Man könne demgegenüber mit einem lebenslangen Nießbrauch den Zweck erreichen, den überlebenden Ehegatten in die Lage zu versetzen, „seine bisherige Lebensweise fortzusetzen und daß gleichzeitig das Vermögen der Familie des verstorbenen Ehegatten erhalten bleibe“, weil dadurch ein Vermögensabfluss in eine andere Familie ausgeschlossen werden könne.61 Diese Anträge lehnte die zweite Kommission zum einen unter Verweis auf die „meisten deutschen Gesetzgebungen“ ab und betonte, „daß der Ehegatte dem Erblasser in der Regel ebenso nahe stehe, als die Kinder und daß es deshalb nicht richtig sei, den überlebenden Ehegatten nur auf Nießbrauchsrechte zu verweisen.“62 Zum anderen veranschaulichte sie die Nachteile, die ein zur vermeintlichen Nachlasserhaltung gedachter Ehegattennießbrauch mit sich brächte. So sei es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus nicht richtig, „wenn die Kinder des Erblassers erst in 57 58 59 60 61 62
Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. L und LI. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 393. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 393. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 393. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 393. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 393 f.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
späten Jahren das ihnen gebührende Kapital erhielten; ihrer Arbeitskraft und Unternehmungslust würden sonst gerade in den besten Jahren zu enge Schranken der Bethätigung gezogen.“63 Das Ziel, dem überlebenden Ehegatten den bisherigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, sollte also nach dem Standpunkt der zweiten Kommission nicht auf Kosten der Selbstständigkeit der Kinder verfolgt werden. Daran wird im Hinblick auf das Wertungsmoment des Familienpotentials wiederum deutlich, dass die Deszendenten des Erblassers als Mitglieder seiner eigenen Familie umfänglicher bedacht werden sollten als der diese Familie mitbegründende Ehegatte; im Fall der beerbten Ehe wirkte das Wertungsmoment des Familienpotentials der Ehe also zugunsten der Kinder des Erblassers. Nachdem es die zweite Kommission abgelehnt hatte, den grundsätzlichen Standpunkt des ersten Entwurfs aufzugeben, der sich bereits gegen einen Nießbrauch des Ehegatten an den Erbteilen der Abkömmlinge entschieden hatte, war erneut die Diskussion über die Höhe des Ehegattenerbteils eröffnet. In diesem Kontext wollten mehrere Kommissionsmitglieder die Stellung des überlebenden Ehegatten stärken und ihm neben Abkömmlingen einen Kindesteil, aber nicht weniger als ein Viertel gewähren:64 „Nach der Auffassung des Volkes stehe der Ehegatte dem Erblasser ebenso nahe wie die Kinder. Es sei daher gerecht, ihm bei der Theilung des Nachlasses ein Kindestheil zuzuweisen; doch müsse der Ehegatte mindestens 1/4 des Nachlasses erhalten. Ueber letzteren Punkt bestehe kein Streit, der Entw. will aber den Ehegatten auch dann auf 1/4 beschränken, wenn er nur mit 1 oder 2 Kindern konkurrire. […] Die Strömung der Zeit gehe durchaus dahin, den überlebenden Ehegatten möglichst günstig zu stellen. Der Gesetzgeber werde gut thun, ihr auch bei dieser Frage zu folgen.“65
Diesen Erwägungen stand die Mehrheit der zweiten Kommission jedoch ablehnend gegenüber und verwies zunächst darauf, dass der erste Entwurf den überlebenden Ehegatten schon weit über das geltende Recht hinaus begünstige und daher „auf diesem Gebiete eine sprungweise Entwickelung thunlichst zu vermeiden“ sei.66 Denn es „könne nicht anerkannt werden, daß die Volksanschauung oder die Verhältnisse des Lebens eine über den Entw. hinausgehende Begünstigung des Ehegatten erforderten.“67 Flankiert wurde die Erörterung über die Größe der Erbquote des überlebenden Ehegatten mit einem Verweis auf komplexe Fragen zur Wiederheirat des überlebenden Ehegatten und zur Situation der Stiefkinder. Dabei betonte man zunächst, dass die Möglichkeit einer Wiederheirat des überlebenden Ehegatten nicht gegen die Erweiterung des Intestaterbrechtes des Ehegatten angeführt werden sollte.68 Zu63 64 65 66 67 68
Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 394. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 394; ferner s. Mertens, S. 77. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395.
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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grunde lag diesem Standpunkt eine starke Betonung des subjektiven Wertungsmoments der Ehe als inniger Lebensgemeinschaft: „Das nahe Verhältniß der Ehegatten, welches den inneren Grund für das Intestaterbrecht abgebe, werde nicht berührt durch eine etwaige Wiederverheirathung des überlebenden Theiles.“69 In diesem Zusammenhang erhob sich die Frage nach dem Verhältnis des wiederverheirateten Ehegatten zu gemeinsamen und einseitigen Abkömmlingen des Erblassers. Ausgangspunkt der Diskussion war, dass der Gesetzgeber dafür zu sorgen habe, den Abkömmlingen den Erbteil ihrer Eltern möglichst zu erhalten.70 Vertreten wurde, dass man gegenüber den gemeinschaftlichen Kindern dem überlebenden Ehegatten einen größeren Erbteil zubilligen könne, da bei dessen Tode das Vermögen teilweise wieder an diese Kinder falle, während Stiefkinder unbilligerweise denjenigen Teil am Nachlass vollständig verlören, der dem überlebenden Ehegatten zugutekomme.71 Die zweite Kommission wandte sich jedoch mehrheitlich gegen die Idee eines quantitativ abgestuften Erbteils des überlebenden Ehegatten je nachdem, ob dieser mit einseitigen oder gemeinsamen Kindern des Erblassers zusammentraf. Dieser Standpunkt wurde damit begründet, dass die Stiefkinder zwar nicht ihre Stiefeltern beerbten, sie aber stattdessen ihren bereits früher verstorbenen Elternteil beerbt hätten und sie auch insofern günstiger gestellt wären, „als den Stiefeltern an ihrem Erbtheile keine Nutznießung zustehe“, sodass der Gesetzgeber keine Ausnahmebestimmungen zu ihren Gunsten treffen müsse.72 b) Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft bei unbeerbter Ehe War damit der Erbteil des Ehegatten neben den Deszendenten des Erblassers auf ein Viertel fixiert, so galt es schließlich, dessen Erbteil neben den Aszendenten des verstorbenen Ehegatten zu regeln. Während die Bestimmung des Ehegattenerbrechts neben den Verwandten der elterlichen Parentel durch den ersten Entwurf in den Beratungen der zweiten Kommission keinen Widerspruch erregte, stritt man erneut über die Kollision des Ehegatten mit den Großeltern des Erblassers.73 Mehrheitlich setzte sich durch, dass Seitenverwandte der großelterlichen Parentel völlig ausgeschlossen werden sollten, weil der Ehegatte dem Erblasser typischerweise näher stehe als etwa ein Onkel.74 Daher habe man die Seitenverwandten auszuschließen, 69
Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395. 71 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395: „Kämen neben einander einseitige und gemeinschaftliche Kinder in Betracht, so müsse zu Gunsten des Ehegatten ein entsprechender Abzug von dem Stammantheile der gemeinschaftlichen Kinder erfolgen, so daß beispielsweise, wenn neben dem Ehegatten ein einseitiges und ein gemeinschaftliches Kind konkurrire, das einseitige Kind 3/8, das gemeinschaftliche Kind 2/8 und der Ehegatte 3/8 des Nachlasses erhalten würden.“ 72 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 395. 73 Mertens, S. 78 f. 74 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396. 70
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
wenn keine Großeltern vorhanden seien.75 Es sei aber nicht „angängig“, die Großeltern gegenüber dem Ehegatten völlig von der Intestaterbfolge auszuschließen.76 Dafür verwies man im Wesentlichen auf die lange Rechtstradition des Erbrechts der Großeltern neben dem überlebenden Ehegatten.77 Die Ausformung des Erbteils des Ehegatten bei unbeerbter Ehe durch die zweite Kommission dokumentiert dabei auch, dass diese nicht dazu bereit war, die prinzipiellen Entscheidungen der ersten Kommission zu ändern, sondern dass diese an der dort austarierten Kollision von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall festhielt.78 Nur in einem vergleichsweise geringen Punkt – der Berechnungsart des Ehegattenerbteils – stärkte sie die Position des überlebenden Ehegatten.79 Im Ausgangspunkt sollte die Erbquote des Ehegatten neben den Großeltern in der Weise berechnet werden, dass man zunächst die Erbteile der Großeltern und Seitenverwandten so ermittelt, als konkurrierte der Ehegatte nicht, und dass dann die Hälfte der Großelternerbteile und die ganzen Erbteile der Seitenverwandten an den Ehegatten fielen.80 Demgegenüber wurde jedoch vorgeschlagen, dass der Ehegatte beim Zusammentreffen von Großeltern mit Abkömmlingen von Großeltern auch den Anteil erhalten soll, der den Abkömmlingen von der anderen Hälfte zufallen würde.81 Für die Berechnung hatte dies die Konsequenz, dass der Ehegatte die Hälfte vorweg erhielt und die andere Hälfte zunächst so zu verteilen war, als konkurrierten Großeltern und Abkömmlinge verstorbener Großeltern allein als Erben.82 Die danach für Abkömmlinge von Großeltern ausgeworfenen Erbteile sollten dann dem Ehegatten zufallen, sodass dieser außer seiner Hälfte noch die in der soeben erwähnten Weise berechneten Erbteile der Abkömmlinge erhält.83 Das Ziel der zweiten Kommission war es, auf diese Weise eine Lösung zu erarbeiten, die den bisherigen Grundsätzen des Intestaterbrechts entsprechen und nicht zu einer direkten Verkürzung der Großelternerbteile führen sollte.84 Zwar sei nun eine indirekte Verkürzung möglich, wenn der Ehegatte den Erbteil an sich ziehe, den ein Abkömmling vorverstorbener Großeltern erhielte. Aber dass „jene Abkömmlinge durch den Ehegatten ausgeschlossen würden, entspreche auch der Billigkeit, da der Ehegatte dem Erblasser näher stünde, als die bezeichneten Verwandten.“85 75
Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396. 77 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396: „Den Großeltern sei durchgehends im geltenden Rechte ein Intestaterbrecht, auch im Falle der Konkurrenz eines Ehegatten, eingeräumt.“ 78 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396; ferner s. Mertens, S. 79. 79 Dazu s. auch Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (52) (Fn. 73). 80 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396. 81 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396 f. 82 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 397. 83 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 397. 84 Mertens, S. 78 f. 85 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 397. 76
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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Im Ergebnis vertrat die zweite Kommission mehrheitlich den Standpunkt, mit dem so ausgestalteten Erbrecht der Großeltern neben dem Ehegatten eine interessengerechte Auslotung des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall erreicht zu haben.86 Grundlage dieses erbrechtlichen Austarierens von Ehe und Verwandtschaft war, dass die Großeltern neben dem Ehegatten nur dann zur Erbfolge berufen sein sollten, wenn die Eltern und sämtliche Seitenverwandte des Erblassers vorverstorben waren. Denn dann sei das verwandtschaftliche Band selbst bei einer Ehe des Erblassers verhältnismäßig eng gewesen.87 Besonders deutlich werde dies in den Fällen, in denen die Enkel nach dem Tode der Eltern im Hause der Großeltern aufgewachsen und erzogen worden seien.88 Zudem habe die Ehe, wenn ein Ehegatte vor seinen Großeltern versterbe, typischerweise nur kurze Zeit bestanden, „so daß das Verhältniß der Ehegatten vielfach noch nicht ein so enges gewesen sei, wie dies nach längerer Dauer der Ehe der Fall sei.“89 In materieller Hinsicht basierte die Einbeziehung der Großeltern des Erblassers in den neben dem Ehegatten erbberechtigten Verwandtenkreis also auch auf einer Einschätzung von Stärke und Schwäche der subjektiven Verbundenheit der Ehegatten. Ohne weitere inhaltliche Änderung dieses § 1808 E II war damit nach redaktionellen Anpassungen im Reichstag die Ausgestaltung des Ehegattenerbrechts im gesetzlichen Güterstand durch § 1931 BGB festgelegt: (1) Der überlebende Ehegatte des Erblassers ist neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertheile, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen. Treffen mit Großeltern Abkömmlinge von Großeltern zusammen, so erhält der Ehegatte auch von der anderen Hälfte den Antheil, welcher nach § 1803 [G. § 1926] den Abkömmlingen zufallen würde. (2) Sind weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft.90
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass sich in der rechtstechnischen Entwicklung des bis heute in seiner ursprünglichen Fassung geltenden Ehegattenerbteils nach § 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB eine materielle Gewichtung der miteinander kollidierenden familienrechtlichen Statusverhältnisse Ehe und Verwandtschaft im Erbfall widerspiegelt. Gezeigt werden konnte, dass in dieser Austarierung die Wertungsmomente des Familienpotentials und der Subjektivierung im Eherechtsdenken unterschiedlich stark zur Geltung kamen. So sollte der Erbteil des Ehegatten 86
Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396 („eine Regel aufzustellen, welche unter normalen Verhältnissen zu einem billigen und vernünftigen Ergebnisse führe“). 87 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396. 88 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396. 89 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 396. Diese gesetzgeberische Gerechtigkeitsvorstellung behauptete sich auch gegenüber volkswirtschaftlichen Erwägungen: „Dem wirthschaftlichen Gesichtspunkte, daß man thunlichst vermeiden müsse, Vermögen in die Hände einer älteren Generation zu bringen, weil es in dieser weniger nutzbar gemacht zu werden pflege, könne dem gegenüber keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.“ 90 Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. L und LI.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
bei einer beerbten Ehe nicht so groß sein, dass die Kinder der vermögensrechtlichen Grundlage für den Aufbau ihrer eigenen Selbstständigkeit beraubt werden könnten; das Wertungsmoment des Familienpotentials wirkte in dieser Kollision also schwerpunktmäßig zugunsten der Deszendenten. Im Fall einer unbeerbten Ehe sollte der Erbteil des Ehegatten umso größer sein, je entfernter die mit ihm konkurrierenden Verwandten zum Erblasser stehen und bei einem Zusammentreffen des Ehegatten mit Verwandten jenseits der Großeltern des Erblassers sollte dessen Erbteil den ganzen Nachlass umfassen. Diese Rechtstechnik liest sich nicht nur als Ausdruck einer gesetzgeberischen Anpassung an den bestehenden Rechtszustand, sondern sie verkörpert gerade im Fall des Erbrechts neben den Großeltern auch eine wertende Stellungnahme zu dem subjektiven Wertungsmoment des Charakters der Ehe als innige Lebensgemeinschaft. Die Ehe sei nämlich in dem Fall, dass die Großeltern des Ehegatten den Erblasser überleben und als Erben berufen sind, typischerweise nicht von langer Dauer gewesen mit der Folge, dass auch der Beistandscharakter der Ehegatten noch nicht so stark ausgeprägt gewesen sei, dass es gerechtfertigt wäre, die Großeltern von der Erbfolge gänzlich auszuschließen.
II. Der Voraus des Ehegatten Während der Erbteil des Ehegatten nach § 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB bis heute unverändert ist, wandelte sich jedoch die rechtstechnische Ausgestaltung des Voraus des Ehegatten nach § 1932 BGB. Ursprünglich stand dem Ehegatten der Voraus nicht neben Abkömmlingen zu. Dies ist im Zuge des Gleichberechtigungsgesetzes dahingehend geändert worden, dass der Ehegatte auch im Fall der beerbten Ehe neben Abkömmlingen des Erblassers den Voraus erhält, soweit er diesen zur Führung eines angemessenen Haushalts benötigt (§ 1932 Abs. 1 S. 2 a.E. BGB). Im Folgenden ist zu zeigen, dass sich hinter dieser rechtstechnischen Wandlung eine im Entwicklungsprozess des Voraus neu gewichtete Auslotung der miteinander um den Nachlass konkurrierenden familienrechtlichen Statusverhältnisse von Ehe und Verwandtschaft verbirgt, die ebenfalls in ihrer Struktur durch die Wertungsmomente des Familienpotentials und der Subjektivierung bestimmt ist. 1. Die Erarbeitung des § 1932 BGB: Der Voraus nur bei unbeerbter Ehe Im Ausgangspunkt unterbreiteten Schmitt und Planck unter Nummer sechs ihrer gemeinsamen Vorlage den Vorschlag, dass der Ehegatte, wenn er neben Erbfolgeberechtigten der zweiten Klasse als Erbe berufen wird, das „zum Nachlasse gehörige Haushaltsinventar, welches die Ehegatten im gewöhnlichen Gebrauche gehabt haben, sofern es nicht Zubehör eines Grundstücks oder einer Gerechtigkeit ist, und
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die Hochzeitsgeschenke zum Voraus“ erhalten sollte.91 Dabei war die Etablierung des Voraus wiederum mit dem gesetzlichen Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft abgestimmt: „In den auf dem Boden der Verwaltungsgemeinschaft stehenden Rechten kommt ein Voraus in doppelter Art vor. Derselbe bezieht sich entweder nur auf einzelne Gegenstände von verhältnißmäßig geringerer Bedeutung, z. B. das Bett des Verstorbenen, oder er umfaßt das ganze Haushaltsinventar.“92 Explizit bezog sich Planck auf die Ausgestaltung des Voraus im Allgemeinen Landrecht (ALR II 1 §§ 628 bis 630).93 Dabei warf er die Frage auf, ob der überlebende Ehegatte je nach Größe des Haushaltsinventars den Verwandten gegenüber zu sehr bevorzugt würde.94 Maßgeblich war für Planck dabei der hypothetische Erblasserwille:95 „Als der natürliche, durch das eheliche Verhältniß begründete Wunsch jedes Ehegatten erscheint es daher, die Gegenstände dieser Art bei der Trennung der Ehe durch den Tod zu behalten bezw. dem andern Gatten zu belassen.“96 Auch Schmitt betonte, dass es der Regelungszweck des Voraus sei, „das Auseinanderreißen der Einrichtung, welche bis dahin dem persönlichen und vielfach gemeinschaftlichen Gebrauche beider Gatten gedient hat“, zu vermeiden.97
91
Vorschlag Nr. 6 der Vorlage No 7 von 1877, S. 2, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1102: „Der überlebende Ehegatte erhält, wenn er neben Erbfolgeberechtigten der zweiten Klasse als Erbe berufen wird, das zum Nachlasse gehörige Haushaltsinventar, welches die Ehegatten im gewöhnlichen Gebrauche gehabt haben, sofern es nicht Zubehör eines Grundstücks oder einer Gerechtigkeit ist, und die Hochzeitsgeschenke zum Voraus. Auf diesen Voraus finden, unter Vorbehalt einzelner Modifikationen, die Grundsätze von Vermächtnissen entsprechende Anwendung. Jedoch findet eine Abminderung des Voraus wegen Verletzung des Pflichttheils der Eltern nicht statt. Wenn der überlebende Gatte den Voraus annimmt, fallen alle Ansprüche und Gegenansprüche zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Erben weg, welche sich auf Gegenstände des eingebrachten Vermögens der Frau, die zu dem Haushaltsinventar gehörten, beziehen.“ 92 Vorlage No 7 von 1877, S. 35, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1135. 93 Vorlage No 7 von 1877, S. 35, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1135. Ferner bezog sich Planck auf die §§ 119 ff. der Sondershausener Sukzessionsordnung vom 8. Dezember 1892. Zur Entstehung des § 1932 BGB s. Wesener, FamRZ 1959, 84 (85 f.); ferner s. Lichtinger, S. 11 ff. Zur Entwicklung der erbrechtlichen Stellung des Ehegatten in Österreich s. Wesener, S. 98 ff., 116 ff.; Floßmann/Kalb/Neuwirth, S. 389 ff. 94 Vorlage No 7 von 1877, S. 35, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1135: „Von dem Revisor des preußischen Landrechts wurde diese Frage bejaht und deshalb, obwohl Anträge auf Aenderung des Landrechts in der hier fraglichen Beziehung, soviel die Motive ergeben, nicht vorgelegen [haben], vorgeschlagen, die §§. 628 bis 630 II. 1 A. L. R. aufzuheben und durch die Bestimmung zu ersetzen, daß der überlebende Gatte in allen Fällen, in welchen er mit Verwandten des Verstorbenen in der aufsteigenden oder Seitenlinie an der Erbschaft Theil nehme, das Recht haben solle, die sämmtlichen im Nachlasse befindlichen Betten, Bett- und Tischzeuge, Wäsche, Möbel und Hausgeräth, welche nicht als Zubehör eines Grundstücks oder einer Gerechtigkeit anzusehen sind, für den gerichtlich ausgemittelten Taxwerth zu kaufen (Pensum XVI. II. 1 §. 160, Motive S. 270).“ 95 Vorlage No 7 von 1877, S. 35, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1135. 96 Vorlage No 7 von 1877, S. 36, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1136. 97 Vorlage No 7 von 1877, S. 58, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1158.
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Dabei differenzierte Planck jedoch danach, ob der Fall einer beerbten oder unbeerbten Ehe gegeben ist. Ihm zufolge sei davon auszugehen, dass der Ehegatte die unter den Voraus fallenden Gegenstände lieber dem überlebenden Ehegatten als den Eltern oder Seitenverwandten zukommen lassen wolle.98 Dieser Absicht müsse, „da sie in einer dem ehelichen Verhältnisse entsprechenden Gesinnung wurzelt, durch das Gesetz selbst auf Kosten des Pflichttheilsrechts der Eltern, Rechnung getragen werden.“99 Dem schloss sich auch Schmitt an, der erkannte, dass die halbe Erbschaft und ein Voraus für den überlebenden Ehegatten die Positionen der Aszendenten sehr verkürzen kann. Jedoch gewichtete auch er die Interessen des überlebenden Ehegatten im Fall einer unbeerbten Ehe höher.100 Unterschiedlich beurteilt wurde von Planck und Schmitt jedoch die Frage, ob der Voraus dem Ehegatten auch neben Abkömmlingen gewährt werden soll. Planck lehnte dies mit dem Argument ab, dass in diesem Fall der beerbten Ehe der ganze Nachlass den Nachkommen entzogen werden könnte: „So innig das durch die Ehe begründete Verhältniß ist, kann und soll es seinem innersten Wesen nach doch nie dahin führen, die eigenen Nachkommen zu vergessen. Eine Zurücksetzung derselben hinter de[n] überlebenden Gatten in solchem Maße, wie sie in der Zuwendung des ganzen Haushaltsinventars an de[n] letzteren liegen kann, darf daher nicht als in der Absicht eines Gatten liegend vermuthet werden und muß, wenn sie ausdrücklich erklärt ist, der rechtlichen Wirkung insoweit entbehren, als dadurch der Pflichttheil der Nachkommen verletzt ist. Das Gewicht dieser Erwägungen tritt, wenn man sich die Möglichkeit einer zweiten Ehe vergegenwärtigt, so klar hervor, daß eine weitere Darlegung unnöthig sein wird.“101
Demgegenüber hatte für Schmitt der Voraus „seine Berechtigung nicht nur bei unbeerbter, sondern auch bei beerbter Ehe, wenn der beantragte Erbnießbrauch Annahme nicht finden sollte.“102 Ausdrücklich heißt es in seiner Vorlagebegründung: „Für die beerbte Ehe ein Gleiches zu statuiren, ist der Redaktor des Erbrechts sehr geneigt.“103 In ihren Beratungen hatte sich die erste Kommission jedoch dagegen entschieden, dem überlebenden Ehegatten auch für den Fall der beerbten Ehe das Haushaltsinventar als Voraus zu gewähren, was den gesamten weiteren Erarbeitungsprozess wie ein roter Faden durchzog.104 Für sie erschien die Belastung des Nachlasses durch die fixe Erbquote in Höhe eines Viertels und eines Voraus zugunsten des Ehegatten gegenüber den Abkömmlingen als zu groß. Darüber hinaus betonte sie in Bezug auf das Haushaltsinventar einen wesentlichen Unterschied 98
Vorlage No 7 von 1877, S. 36, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1136. Vorlage No 7 von 1877, S. 36, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1136. 100 Vorlage No 7 von 1877, S. 58, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1158: „Gleichwohl scheint der Gedanke des ,Voraus‘ ein zu berechtigter, als daß diese Erwägung unbedingt maßgebend sein müßte.“ 101 Vorlage No 7 von 1877, S. 37 f., in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1137 f. 102 Vorlage No 7 von 1877, S. 58, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1158. 103 Vorlage No 7 von 1877, S. 58, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1158. 104 Mertens, S. 73. 99
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zwischen Aszendenten und Deszendenten. So hätten nämlich die Kinder im Gegensatz zu den übrigen Verwandten schon zu ihren Lebzeiten die Gegenstände des Voraus mit benutzt, was es rechtfertige, dass der Ehegatte ihnen diese nicht entziehen können solle.105 Solange die Abkömmlinge minderjährig seien, bliebe der Ehegatte typischerweise im Besitz dieser Gegenstände und wenn sie erwachsen seien, habe sich gezeigt, dass man ihm die Gegenstände des Voraus zumeist unentgeltlich oder stark vergünstigt überlasse.106 Im Hinblick auf das Wertungsmoment des Familienpotentials war die nach beerbter und unbeerbter Ehe differenzierende Anerkennung des Voraus also durch das Anliegen geprägt, den Deszendenten den vom Voraus umfassten Vermögenswert nicht zu entziehen und ihnen gegenüber die Position des Ehegatten – auch und gerade aus dem Blickwinkel einer möglichen Wiederheirat – nicht zu sehr zu stärken. Systematisch wurde der auf diesen Überlegungen basierende Voraus des Ehegatten in § 1971 Abs. 3 E I verortet: Ist der überlebende Ehegatte neben einem Verwandten der zweiten Linie oder neben einem Großelterntheile zur gesetzlichen Erbfolge berufen, so gebühren ihm außerdem das Haushaltsinventar, welches die Ehegatten im gewöhnlichen Gebrauche gehabt haben, mit Ausnahme der Gegenstände, welche Zubehör eines Grundstückes sind, sowie die Hochzeitsgeschenke (Voraus). Auf den Voraus finden die für Vermächtnisse geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung.107
Die Protokolle dokumentieren eine Erörterung der Frage, wie der dem Ehegatten zu gewährende Voraus inhaltlich konkretisiert werden kann, die darin mündete, die bisherige Bestimmung umzuformulieren und nun in § 1809 E II von „zum ehelichen Haushalte gehörenden“108 Gegenständen zu sprechen, der letztlich in § 1932 BGB aufgegangen ist: Ist der überlebende Ehegatte neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern gesetzlicher Erbe, so gebühren ihm außer dem Erbtheile die zum ehelichen Haushalte gehörenden Gegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstückes sind, und die Hochzeitsgeschenke als Voraus. Auf den Voraus finden die für Vermächtnisse geltenden Vorschriften Anwendung.109
In der Denkschrift findet man dazu die gleichen Überlegungen wie in den Motiven, dass es zu weit ginge, dem Ehegatten bei beerbter Ehe neben dem Viertel der Erbschaft auch noch den Voraus zu gewähren.110 Diese Erwägungen zeigen insgesamt, dass die Kollision des Ehegatten mit den Deszendenten des Erblassers – wie beim Erbteil, so auch hinsichtlich des Voraus – primär durch das Wertungsmoment des Familienpotentials der Ehe in der Weise ausgelotet wurde, dass die Stellung der Abkömmlinge im Verhältnis zum überlebenden Ehegatten verstärkt sein sollte. 105 106 107 108 109 110
Motive, S. 373, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 197 f. Motive, S. 373, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 197 f. Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. LI. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 397. Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. LI. Denkschrift, S. 246, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 850.
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2. Die Reform des § 1932 BGB: Der Voraus auch bei beerbter Ehe Gesetzlich eingeführt wurde der Voraus des Ehegatten auch im Fall der beerbten Ehe durch das Gleichberechtigungsgesetz.111 Nach dem ersten Entwurf der Bundesregierung sollte der überlebende Ehegatte gem. § 1932 Abs. 1 BGB den Voraus neben Verwandten der ersten Ordnung erhalten, soweit er die jeweiligen Gegenstände für seinen eigenen Bedarf benötigt: Ist der überlebende Ehegatte neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern gesetzlicher Erbe, so gebühren ihm außer dem Erbteil die zum ehelichen Haushalte gehörenden Gegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstücks sind, und die Hochzeitsgeschenke als Voraus. Ist der überlebende Ehegatte neben Verwandten der ersten Ordnung gesetzlicher Erbe, so gebühren ihm diese Gegenstände, soweit er sie für seinen eigenen Bedarf benötigt.112
Diese rechtstechnische Änderung erweist sich ihrerseits bei einem Blick auf die sie tragenden Motive als Ausdruck einer Neubestimmung des erbrechtlichen Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft. So führe die bisherige Versagung des Voraus neben Abkömmlingen des Erblassers nach Ansicht der Bundesregierung oft zu großen Härten und es widerspreche der Rechtssitte und der Familienanschauung, wenn der überlebende Ehegatte die mit dem Erblasser gemeinsam genutzten Haushaltsgegenstände an die Kinder herausgeben müsste und selbst nicht mehr über genügend Hausgut verfüge, um den eigenen Haushalt fortzuführen.113 Im 111 Dazu s. bereits Munk, 33. DJT 1924, S. 344, die untersuchte, „ob nicht der überlebende Ehegatte auch gegenüber den Erben erster Ordnung das Recht auf den Voraus haben soll (§ 1932 BGB).“ Auch in der 1938 herausgegebenen zweiten Denkschrift des Erbrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht sprach man sich für die Zulassung des Voraus neben Abkömmlingen aus, ohne dass dieser Entschluss zur Rechtserneuerung Gesetz geworden wäre; dazu s. H. Lange, in: Frank (Hrsg.), S. 140 ff. 112 BT-Drs. I/3802, S. 28 f. 113 BT-Drs. I/3802, S. 84. Mit dieser Erweiterung des Voraus wollte sich der Gesetzgeber an § 785 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs anschließen. Dabei hatte der österreichische Gesetzgeber seinerseits den Voraus nach dem Vorbild des § 1932 BGB im Jahre 1914 in seiner ersten Teilnovelle des ABGB von 1811 übernommen, um dem überlebenden Ehegatten die bisherige Haushaltsführung weiter zu ermöglichen und gewährte ihm diesen in Abweichung von der deutschen Originalfassung auch neben den Kindern des Erblassers (§ 758 ABGB a. F.); dazu s. Wesener, FamRZ 1959, 84 (86); Floßmann/Kalb/Neuwirth, S. 395; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (54); Lichtinger, S. 93 ff.; Dölemeyer, Ius Commune VI (1977), S. 274 (299). Umgekehrt wurde die heutige Fassung des § 1932 BGB im Lichte dieser erweiterten österreichischen Bestimmung im Kontext des Gleichberechtigungsgesetzes reformiert, vgl. BT-Drs. II/3409, S. 23: „Diese Regelung [! Neufassung von § 1932 BGB], die unabhängig davon gilt, in welchem Güterstand die Ehegatten gelebt haben, hat ihr Vorbild in § 758 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach dem überlebenden Ehegatten außer dem Erbanteil als Vorausvermächtnis die zum ehelichen Haushalt gehörenden beweglichen Sachen gebühren, neben Kindern des Erblassers jedoch nur das für seinen eigenen Bedarf Nötige; diese Regelung hat sich in Österreich bewährt.“ Dazu s. Wesener, FamRZ 1959, 84 (86 f.); Lange, NJW 1957, 1381 (1385). Während das deutsche Ehegattenerbrecht bei dieser Ausformung des Voraus stehen blieb, war der österreichische Gesetzgeber aktiver. So wurde im Verlauf der weiteren Entwicklung der gesetzliche Erbteil des
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zweiten Regierungsentwurf wurde darüber hinaus auf die einschränkende Angemessenheits- bzw. Bedürfnisklausel in § 1932 Abs. 1 BGB verzichtet: Ist der überlebende Ehegatte neben Verwandten gesetzlicher Erbe, so gebühren ihm außer dem Erbteil die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstücks sind, und die Hochzeitsgeschenke als Voraus.114
Dies wurde damit begründet, dass eine solche Regelung „zu unerquicklichen Streitigkeiten“115 zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Abkömmlingen führen könne.116 Zugrunde lag diesen Änderungsvorschlägen also insgesamt eine intensivere Betonung des subjektiven Wertungsmoments der Ehe und ihres Charakters als innige Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft. Hieran kritisierte der Bundesrat in seinen Änderungsvorschlägen, dass eine solche weite, den Ehegatten begünstigende Regelung im Fall der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten unbillig sei und knüpfte gewissermaßen an die ursprüngliche Überlegung Plancks an, dass in diesem Fall der gesamte zum Voraus gehörende Hausrat, der bei kleineren Vermögen nicht selten den Großteil des gesamten Familienvermögens darstellt, beim Tode des überlebenden Teils auf den zweiten Ehegatten und nach dessen Tode nur auf seine Kinder übergeht.117 Es wurde hierbei explizit die Konsequenz benannt, dass die Kinder aus erster Ehe dadurch gewichtige Einbußen erleiden können und nicht die Möglichkeit haben, wieder in den Besitz der Gegenstände zu kommen, die ursprünglich ihren leiblichen Eltern gehört haben.118 Während die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates weiterhin an der sachlichen Angemessenheit ihres zweiten Ehegatten erhöht, der Voraus ausgeweitet, ein Pflichtteilsrecht eingeführt und damit eine Neureglung des bisherigen Unterhaltsanspruchs verbunden; zu den verschiedenen Reformen des österreichischen Familien- und Erbrechts s. Floßmann/Kalb/Neuwirth, S. 395 f.; Ostheim, FamRZ 1980, 311 ff.; Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (54); Steiner, ZEV 2016, 131 ff.; Maurer-Stroh/Roglmeier, ZErb 2017, 10 ff. Heute ist die Gütertrennung der gesetzliche Güterstand in Österreich, sodass es bei der Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten keine güterrechtlichen Ausgleichsmechanismen gibt, sondern allein die erbrechtlichen Bestimmungen maßgebend sind, die an das beim Erblasser vorhandene Vermögen anknüpfen; dazu s. Ferrari/Koch-Hipp, in: Süß/Ring (Hrsg.), Rn. 16, 20. Auf dieser Basis ist der überlebende Ehegatte neben Kindern des Verstorbenen und deren Nachkommen zu einem Drittel, neben Eltern des Verstorbenen zu zwei Dritteln und in den übrigen Fällen zur Gänze gesetzlicher Erbe und erhält, wenn ein Elternteil vorverstorben ist, auch den auf diesen entfallenden Anteil, muss sich aber auf seinen Erbteil anrechnen lassen, was er durch Ehepakt oder Erbvertrag aus dem Vermögen des Verstorbenen erhält (§ 744 ABGB). Kumulativ zum Erbteil gebühren dem Ehegatten als Voraus die zum ehelichen Haushalt gehörenden beweglichen Sachen, soweit sie zu dessen Fortführung entsprechend den bisherigen Lebensverhältnissen erforderlich sind und das Recht, in der Ehewohnung weiter zu wohnen (§ 745 ABGB). 114 BT-Drs. II/224, S. 20. 115 BT-Drs. II/224, S. 67. 116 Dazu s. Wesener, FamRZ 1959, 84 (86). 117 BT-Drs. II/224 (Anlage 2), S. 93. 118 BT-Drs. II/224 (Anlage 2), S. 93.
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Entwurfs festhielt, lehnte der Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht dies im Lichte des durch das Gleichberechtigungsgesetz auf die Hälfte neben Abkömmlingen angehobenen Ehegattenerbteils ab (§§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB), weil dies die Interessen der Abkömmlinge zu sehr benachteilige und hielt an der ursprünglich vorgesehenen Angemessenheitsklausel fest: „Der Ausschuß hat deshalb in § 1932 Abs. 1 Satz 2 vorgesehen, dem überlebenden Ehegatten neben Verwandten der ersten Ordnung die in § 1932 Abs. 1 Satz 1 aufgeführten Gegenstände nur insoweit zuzubilligen, als er sie zur Führung eines angemessenen Haushalts benötigt.“119
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch der Ausgestaltungsprozess des Voraus nach § 1932 BGB eine relative Gewichtung der kollidierenden Interessen des überlebenden Ehegatten und der Verwandten des Erblassers darstellt. Durch die Gegenüberstellung der ursprünglichen Erarbeitung und späteren Reform des § 1932 BGB verdeutlicht sich die zentrale der lex lata zugrunde liegende Wandlung im Eherechtsdenken: Die Horizontalisierungstendenz des Erbrechts äußert sich nicht mehr nur in dem Zurückdrängen entfernterer Aszendenten durch den Ehegatten, sondern auch gegenüber Deszendenten wird dem Ehegatten mit Blick auf den Voraus – gestützt auf das mit dem Erblasser gemeinsame Innehaben der Haushaltsgegenstände und Hochzeitsgeschenke – eine höhere Bedeutung zugemessen. Zugrunde liegt dieser Verschiebung zugunsten des Ehegatten eine ausgeprägtere Betonung des subjektiven Wertungsmoments der gegenseitigen Innigkeit und Verbundenheit der Ehegatten, die sich auch gegenüber den Abkömmlingen des Erblassers behaupten soll. Diese subjektivistische Verschiebung im Eherechtsdenken wertet den Ehestatus im Kollisionsfall mit dem Verwandtenstatus auf und ist – will man auf die Worte Hegels zurückgreifen – ein kennzeichnendes Indiz für die „modernen Zeiten“, in denen „der subjektive Ausgangspunkt, das Verliebtsein, als der allein wichtige angesehen“ wird.120 Diese strukturelle Verschiebung im Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft spiegelt sich in rechtstechnischer Hinsicht darin wider, dass der Ehegatte durch seinen Anspruch auf den Voraus nun auch im Fall der beerbten Ehe einen gewichtigen Teil des Nachlasses auf sich vereinigt und dadurch den Wert seines Voraus nicht mehr nur den Aszendenten, sondern auch den Deszendenten entziehen kann. Das explizite Ziel dieser Erstreckung des Voraus war es, die Selbstständigkeit des überlebenden Ehegatten aufrechtzuerhalten, das insoweit der die Ehegattenerbquote tragenden Grundwertung diametral gegenübersteht, primär die Selbstständigkeit der Kinder durch eine möglichst ungeschmälerte Nachlasspartizipation zu sichern. In den „eigentlichen Kern“121 der Erbfolge rückte damit der Ehegatte; die Interessen der Abkömmlinge wurden nicht mehr so stark wie bei der ursprünglichen Erarbeitung des Voraus in Rechnung gestellt.
119 120 121
BT-Drs. II/3409, S. 23; dazu s. Lichtinger, S. 13 ff. Hegel, § 162 (Zusatz). Hegel, § 172 (Zusatz).
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III. Der Pflichtteil des Ehegatten Im Folgenden ist zu zeigen, dass sich diese zwei Tendenzen, die Positionen der neben dem Ehegatten zum Zuge kommenden Aszendenten zu verkürzen und im Anschluss daran die Stellung des überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den Deszendenten des Erblassers zu verstärken, auch in der Ausgestaltung des pflichtteilsberechtigten Personenkreises und in der Reform des § 2311 BGB nachweisen lassen. 1. Die Anerkennung des Pflichtteils des Ehegatten nach § 2303 BGB Der von Schmitt und Planck unter Nummer sieben ihrer gemeinsamen Vorlage gemachte Vorschlag lässt erkennen, dass dem Ehegatten überhaupt ein Pflichtteilsrecht in Höhe der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils zustehen soll.122 Von ihrem Standpunkt aus war es folgerichtig, dem Ehegatten ein Pflichtteilsrecht einzuräumen, soweit man ihm ein Erbrecht gewährte.123 Dabei verwies Planck darauf, dass die allgemeinen Gründe für und gegen die Annahme einer Pflichtteilsberechtigung bereits bei den Beratungen der Kommission im Jahre 1875 eingehend erwogen worden seien: „Im Wesentlichen dieselben Erwägungen, welche damals für die Annahme einer Pflichttheilsberechtigung der Nachkommen und Eltern für entscheidend erachtet wurden, sprechen auch dafür, mit dem Erbrechte des überlebenden Gatten eine Pflichttheilsberechtigung in demselben Umfange und nach denselben Grundsätzen zu verbinden, wie solche für die Eltern und Nachkommen angenommen ist.“124
Zur Begründung dieses Standpunkts deutete Schmitt damals das Pflichtteilsrecht als eine durch Heirat und Kindererzeugung eingetretene Selbstbindung des Erblassers, begriff dieses somit als individuelle Pflicht des Erblassers, der sich durch seine Zustimmung zu Ehe und Verwandtschaft seiner Testierfreiheit dahingehend begeben habe, dass er diese nächsten Personen nicht völlig vom eigenen Nachlass ausschließen könne.125 Für Schmitt kam dementsprechend nur ein Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge und des Ehegatten in Betracht.126 122 Vorschlag Nr. 7 der Vorlage No 7 von 1877, S. 2, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1102: „Dem überlebenden Ehegatten steht ein Pflichttheilsrecht auf den Werth der Hälfte des ihm aus dem Gesetze gebührenden Erbtheils (Nr. 1 – 4) zu. Der Nießbrauch (Nr. 5) und der Voraus (Nr. 6) findet nur statt, soweit er nicht durch Verfügung von Todeswegen ausgeschlossen ist.“ 123 Als sich Schmitt in der Konferenz der ersten Kommission am 24. April 1875 im Interesse der Bearbeitung des Erb- und Pflichtteilsrechts der Ehegatten von Planck über die geplante Güterrechtsgestaltung aufklären lassen wollte, war es für ihn bereits zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich, „daß konsequent auch dem Ehegatten, wenn ihm ein Erbrecht zugestanden werde, ein Pflichttheilsrecht beigelegt werden müsse […].“ Dazu s. Jakobs/Schubert (Hrsg.), Familienrecht, S. 807. 124 Vorlage No 7 von 1877, S. 38, in: Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 1138. 125 Zu dieser Analyse von Schmitts Erbrechtsdenken s. Mertens, S. 84.
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Seine Begrenzung des Pflichtteilsrechts auf diese beiden Personengruppen musste sich jedoch dem Ziel der ersten Kommission fügen, primär das bisherige Recht zu vereinheitlichen, das den Abkömmlingen und dem überlebenden Ehegatten,127 aber auch den Eltern des Erblassers aus Traditions- und Sittlichkeitsgründen ein Pflichtteilsrecht zugestand.128 Vor diesem Hintergrund entschied sich die erste Kommission dafür, eine Pflichtteilsberechtigung des Ehegatten anzuerkennen und auch den Eltern des Erblassers „in Rücksicht auf das geltende Recht und in Anerkennung der Pietätsanforderungen“129 ein Pflichtteilsrecht zuzubilligen. Dabei wurde die Pflichtteilsberechtigung des Ehegatten in den Motiven wiederum als Konsequenz seiner Erbberechtigung gesehen: „Wird einmal dem Gatten ein gesetzliches Erbrecht eingeräumt, so erscheint es nur angemessen, ihm auch den Pflichttheilsanspruch nicht zu versagen.“130 Rechtstechnisch ausformuliert hat die erste Kommission diese Wertentscheidungen in § 1975 Abs. 1 E I: Der Erblasser hat jedem seiner Abkömmlinge und Elterntheile, welcher als gesetzlicher Erbe zur Erbfolge berufen ist oder, in Ermangelung einer Verfügung des Erblassers von Todeswegen, zur Erbfolge berufen sein würde, ingleichen seinem Ehegatten so viel zu hinterlassen, daß der Werth des Hinterlassenen die Hälfte des Werthes des gesetzlichen Erbtheiles erreicht (Pflichttheil).131
In den Protokollen findet sich der von der zweiten Kommission abgelehnte Vorschlag, den Ehegatten auf den Nießbrauch des Pflichtteils zu beschränken. Dieser Antrag beruhte auf der Überlegung, dass es aus wirtschaftlichen Gründen – insbesondere bei großen Nachlässen – angebracht sein könnte, diese Vermögenseinheiten ungeteilt zu erhalten und es den Interessen des überlebenden Ehegatten regelmäßig genüge, wenn er durch einen lebenslangen Nießbrauch versorgt
126
Dazu s. Mertens, S. 101. Motive, S. 384, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 203 f.: „Dem Ehegatten steht nach gemeinem Rechte ein Pflichttheilsanspruch nicht zu oder richtiger, auch der armen Wittwe wird kein Anspruch auf Erbeinsetzung gewährt, sie erhält die Quart sowohl bei der testamentarischen wie bei der gesetzlichen Erbfolge […]. Das öst. GB. § 796 giebt dem Gatten nur unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf Gewährung des mangelnden anständigen Unterhaltes. Den Pflichttheilsanspruch versagen dem Gatten das bayer. LR. III 3 § 14 und einige Rechte geringeren Geltungsgebietes […]; diese haben indessen nicht unerhebliche Nachwirkungen des ehelichen Güterrechtes, welche nicht entziehbar sind. Die sog. statutarische Portion des märk. Provinzialrechtes und einiger anderer Rechte ist nicht entziehbar […]. Die Mehrzahl der neueren Rechte […] giebt auch dem Gatten einen Pflichttheilsanspruch.“ 128 Motive, S. 383, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 203: „Ascendenten schlechthin sind pflichttheilsberechtigt nach dem gemeinen Rechte und der überwiegenden Mehrzahl der geltenden Rechte […]. Den Eltern allein geben Pflichttheilsrecht die meisten thüring. Erbgesetze, das frakf. Recht, das lüb. Gesetz von 1862 Art. 22, das in Schleswig geltende Recht, soweit das jüt. Low in Betracht kommt […].“ Dazu s. Mertens, S. 101. 129 Motive, S. 383, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 203. 130 Motive, S. 384, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 204. 131 Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. LII. 127
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sei.132 Dieser Vorschlag wurde jedoch mit dem Argument abgelehnt, dass es dem Erblasser möglich sein soll, dem Ehegatten den Nießbrauch eines größeren Vermögensteils testamentarisch anzubieten und ihn im Ablehnungsfall auf den Pflichtteil zu beschränken, sodass der überlebende Ehegatte eine Wahlmöglichkeit habe.133 Damit ging der Pflichtteil des Ehegatten gem. § 2169 E II nach redaktionellen Anpassungen im Reichstag in § 2303 BGB auf: (1) Ist ein Abkömmling des Erblassers durch Verfügung von Todeswegen von der Erbfolge ausgeschlossen, so kann er von dem Erben den Pflichttheil verlangen. Der Pflichttheil besteht in der Hälfte des Werthes des gesetzlichen Erbtheiles. (2) Das gleiche Recht steht den Eltern und dem Ehegatten des Erblassers zu, wenn sie durch Verfügung von Todeswegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind.134
Dazu findet man in der Denkschrift die abschließende Erwägung, dass „die Innigkeit des ehelichen Verhältnisses“ die Etablierung des Ehegattenpflichtteils rechtfertige.135 Dies lässt erkennen, dass der subjektive Charakter der Ehe als gegenseitige Liebes- und Beistandsgemeinschaft im Pflichtteilsrecht besonders betont wurde und dies wiederum bei der Austarierung des materiellen Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft zur Geltung kam. So kam dieses subjektivistische Eherechtsdenken in rechtstechnischer Hinsicht darin zum Ausdruck, dass man den Kreis der Pflichtteilsberechtigten – auch wenn er neben den Abkömmlingen um die Eltern des Erblassers aus Pietätsgründen erweitert wurde – im Ergebnis enger zog als den Kreis der neben dem Ehegatten erbberechtigten Verwandten des Erblassers. 2. Die Wertbestimmung des Pflichtteils des Ehegatten nach § 2311 BGB Die Betonung des subjektiven Wertungsmoments der Ehe als innige Lebensgemeinschaft führte zu Wandlungen in der Auslotung des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft, die sich auch in der rechtstechnischen Entwicklung des § 2311 BGB bemerkbar machten – einer zentralen Norm zur Bestimmung des Pflichtteilswertes. Geprägt war die Normgenese des § 2311 BGB durch die Grundwertung, dass dem Ehegatten im Verhältnis zu den Eltern des Erblassers ein höherer Stellenwert zugewiesen werden soll. Denn die erste Kommission stellte zu der Bestimmung des § 1987 E I deklaratorisch fest, dass bei der Ermittlung des Wertes des Ehegattenpflichtteils der Voraus des Ehegatten als Wertfaktor miteinzurechnen und dieser hinsichtlich der Berechnung des Wertes der Elternpflichtteile auszusondern sei: 132 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 766. Gedacht wurde an die Fälle, wenn der Nachlass aus einem Landgut oder einer Fabrik besteht. 133 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 766. 134 Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. LII. 135 Denkschrift, S. 285, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 874.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata Ist der Pflichttheil des Ehegatten des Erblassers zu bestimmen, so wird der im § 1971 bezeichnete Voraus als zum Nachlasse gehörend mitberechnet. Dagegen ist dieser Voraus, wenn er in Gemäßheit des § 1971 dem überlebenden Ehegatten zufällt, bei der Bestimmung des Pflichttheiles des Vaters oder der Mutter des Erblassers als nicht zum Nachlasse gehörend anzusehen.136
Die Motive dokumentieren, dass es das Ziel dieser Regelung war, dem Ehegatten unabhängig vom Willen des Erblassers einen wertmäßigen Anteil am Voraus zu sichern.137 Diesen Gedanken empfand die zweite Kommission als so selbstverständlich, dass sie den Satz 1 des § 1987 E I ohne Widerspruch strich, dieser folglich nicht mehr in der Denkschrift aufgenommen wurde und als § 2177 E II nach redaktionellen Anpassungen in Gestalt des § 2311 BGB Geltung erlangte:138 (1) Der Pflichttheil bestimmt sich nach dem Bestande und dem Werthe des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles.139 Bei der Bestimmung [Berechnung] des Pflichttheiles der Eltern des Erblassers bleibt der dem überlebenden Ehegatten gebührende Voraus außer Ansatz. (2) Der Werth ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln. Eine vom Erblasser getroffene Werthsbestimmung ist nicht maßgebend.140
Wesentlich ist, dass der Voraus, der dem Ehegatten bereits bei einem erbrechtlichen Konkurrieren mit den Aszendenten des Erblassers ungeschmälert zukommt, nun nicht den Nachlasswert – und infolgedessen auch die Pflichtteilsansprüche der Eltern – erhöhen soll.141 Dabei waren sich die Mitglieder der ersten Kommission darüber im Klaren, dass der Pflichtteil der Eltern durch eine solche Wertbestimmungsanordnung ausgehöhlt werden kann, soweit der Voraus den Nachlass größtenteils erschöpft.142 Jedoch gewichteten sie den Ehestatus höher als die Interessen der Eltern des Erblassers: „Die Vorschrift erscheint insofern gerechtfertigt, als dem Rechte des Gatten auf den Voraus, wenn die Einführung des Institutes einen zweckentsprechenden Erfolg haben soll, der Vorrang vor dem Pflichttheilsrechte der Eltern gewährt werden muß.“143 Dabei ist von großer Bedeutung, dass der Voraus des Ehegatten hinsichtlich des Pflichtteilswerts von Abkömmlingen e contrario nicht außer Ansatz blieb und damit die Interessen des überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den Abkömmlingen des Erblassers geringer veranschlagt wurden. Der Wert der Pflichtteile von Abkömm-
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Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. LIV. Motive Bd. 5, S. 390, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 207. 138 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 779; dazu s. Lichtinger, S. 84. 139 Satz 1 wurde umformuliert: Der Berechnung des Pflichttheiles wird der Bestand und der Werth des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles zu Grunde gelegt. Dazu s. Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. LIV. 140 Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. LIII und LIV. 141 Lichtinger, S. 80 f. 142 Motive, S. 409, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 217. 143 Motive, S. 409, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 217. 137
§ 3 Die erbrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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lingen war also ursprünglich nicht um den Wert des Voraus zu schmälern. Dies war konsequent, weil bereits ihr Erbteil nicht durch den Voraus belastet war. Eine Verschiebung dieses ursprünglich ausgeloteten Kollisionsverhältnisses zulasten der Abkömmlinge erfolgte jedoch durch das Gleichberechtigungsgesetz, das dem Ehegatten den Voraus auch neben Abkömmlingen zugestand. Im Anschluss daran sah der Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht konsequenterweise vor, dass der Voraus des überlebenden Ehegatten auch bei der Berechnung des Pflichtteils eines Abkömmlings außer Ansatz bleiben müsse: „Da der Ehegatte nach § 1932 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs den Voraus auch neben Abkömmlingen erhalten soll und die Interessenlage insoweit die gleiche ist, muß diese Regelung auch bei der Berechnung des Pflichtteils eines Abkömmlings gelten. Der Entwurf hat demgemäß in § 2311 Abs. 1 Satz 2 vorgesehen, daß der Voraus des überlebenden Ehegatten bei der Berechnung des Pflichtteils eines Abkömmlings und der Berechnung des Pflichtteils der Eltern des Erblassers außer Ansatz bleibt.“144
Damit nehmen die Wandlungen in der rechtstechnischen Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts an den subjektivistischen Verschiebungen im Eherechtsdenken teil, die bereits die Ausdehnung des Voraus gegenüber den Deszendenten des Erblassers motiviert haben. Zu resümieren bleibt, dass auch der Ausgestaltungsprozess des Ehegattenpflichtteils eine rechtstechnische Folie einer wertenden Gewichtung der miteinander konfligierenden Interessen des überlebenden Ehegatten und der Verwandten des Erblassers ist. Dabei konnte die Gegenüberstellung der ursprünglichen Abfassung und der späteren Reform des § 2311 BGB verdeutlichen, dass sich in der Entstehungsgeschichte dieser Norm eine subjektivistische Strukturverschiebung innerhalb des Eherechtsdenkens vollzog. Gezeigt werden konnte, dass die Betonung der Innigkeit der Ehe als Verantwortungsgemeinschaft zum Vorrang des Ehestatus vor dem Verwandtenstatus führte und dies im Pflichtteilsrecht nicht nur mit einer Verengung des pflichtteilsberechtigten Verwandtenkreises einherging, sondern insbesondere auch bewirkte, dass der Voraus des Ehegatten bei der Ermittlung des Wertes der Pflichtteile der Eltern und der Abkömmlinge des Erblassers außer Ansatz bleibt. Das materielle Wertungsmoment der Subjektivierung im Eherechtsdenken äußerte sich also hinsichtlich der Bestimmung der Pflichtteilsberechtigten im Ausschluss entfernterer Aszendenten durch den Ehegatten und machte sich auch im Verhältnis zu den Deszendenten dadurch bemerkbar, dass der Voraus des Ehegatten vor Wertabflüssen durch Verwandtenpflichtteile geschützt werden soll, der Ehegatte aber seinerseits pflichtteilsrechtlich an einem Nachlass partizipieren soll, der nicht um den Wert des Voraus gemindert wird.
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BT-Drs. II/3409, S. 24.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
§ 4 Die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts Gegenstand dieses Abschnitts ist die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts. Das Ziel der folgenden Ausführungen liegt darin herauszuarbeiten, wie sich die Austarierung des materiellen Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im gesetzlichen und vertraglichen Güterrecht vollzog und wie dabei das Wertungsmoment der Gleichberechtigung von Ehemann und Ehefrau – im Zusammenwirken mit den Wertungsmomenten des Familienpotentials und der Subjektivierung – zur Geltung kam.
I. Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft im gesetzlichen Güterrecht Die zentrale Errungenschaft des ursprünglich erarbeiteten Güterrechts bestand in der Vereinheitlichung des regional zersplitterten Rechtszustandes und der Einführung des gesetzlichen Güterstandes der Verwaltung und Nutznießung des Ehemannes,145 in dem das Güterrechtssystem des Allgemeinen Landrechts im Wesentlichen fortgeführt wurde.146 Wie zu Beginn dieses Kapitels gezeigt wurde, inspirierten das güterrechtliche Gutachten Richard Schröders147 und die Empfehlungen des 11. und 12. Deutschen Juristentages148 die Entstehung der Verwaltungsge-
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Dazu s. von Mayenburg, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (III) Rn. 349 ff. und Rn. 6, 113 ff., 254 ff. 146 Wie im Allgemeinen Landrecht, so erstreckte sich die Verwaltung und Nutznießung des Mannes nur auf das eingebrachte Gut, während die Ehefrau die Verfügungsbefugnis am Vorbehaltsgut selbst behielt (§§ 1363 Abs. 1, 1365 BGB a. F.). Zum Eingebrachten zählten, vorbehaltlich ehevertraglicher Änderungen (§ 1368 BGB a. F.), das von der Frau während der Ehe erworbene Vermögen (§ 1363 Abs. 2 BGB a. F.) sowie Erbschaften und Geschenke, soweit der Zuwendende nicht ausdrücklich eine andere Bestimmung traf (§ 1369 BGB a. F.), nicht aber die zum persönlichen Gebrauch bestimmten Sachen der Frau (§ 1360 BGB a. F.), die im Wege des Schadensersatzes oder durch ein Rechtsgeschäft, das sich auf das Vorbehaltsgut bezog, erworbenen Gegenstände (§ 1370 BGB a. F.) und vor allem nicht, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erwarb (§ 1367 BGB a. F.); dazu s. umfassend und grundlegend Dörner, S. 103; ferner s. von Mayenburg, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (III) Rn. 166 ff. 147 Dazu s. Schubert (Hrsg.), Familienrecht Bd. 3, S. 847 ff., 869 ff., 879 ff.; ferner s. Schmid, S. 47 f. 148 In seinem Gutachten für den 11. Deutschen Juristentag zum Thema „Ist es wünschenswerth und ausführbar, das eheliche Güterrecht für ganz Deutschland durch ein einheitliches Gesetz auf der Grundlage der ,Güterverbindung‘ zu codificiren?“ sprach sich Oberappellationsgerichtsrat von Beaulieu-Marconnay für ein einheitliches eheliches Güterrecht auf der Grundlage der Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichem Güterstand aus; dazu s. dens., 11. DJT 1873, Bd. 1, S. 46 ff.; ferner s. Schmid, S. 50 ff. An dieses Gutachten knüpfte Justizrat Euler in seinem Gutachten für den 12. Deutschen Juristentag 1874 zur Frage „Welches der in Deutschland herrschenden ehelichen Güterrechtssysteme eignet sich zur Verallgemeinerung in
§ 4 Die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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meinschaft, die von verschiedenen Frauenrechtsbewegungen149 begleitet wurde. Mit Blick auf die Frage nach den güterrechtlichen Wirkungen der Verwaltungsgemeinschaft im Erbfall dokumentiert die Denkschrift, dass diese gerade „keine die Ehe überdauernden Nachwirkungen“ entfaltete und dieser Umstand es gerechtfertigt habe, das Erbrecht des überlebenden Ehegatten zu verstärken.150 Demgegenüber sieht der gegenwärtige gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft für die Auflösung der Ehe durch den Tod eine güterrechtliche Erbrechtsverstärkung nach § 1371 Abs. 1 BGB vor. Die Zugewinngemeinschaft modifiziert also heute das Erbrecht und hat insoweit das Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall umgestaltet. Dieser Wandlung in der güterrechtlichen Rechtstechnik liegt im Kontrast zur historisch tradierten Stellung des Ehemannes als Familienoberhaupt eine fundamentale Neuausrichtung im Eherechtsdenken zugrunde: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.151 Die Einführung der Zugewinngemeinschaft als gesetzlichen Güterstand lässt sich also auf eine Verschiebung weg von der Vorrangstellung des Ehemannes hin zur Gleichberechtigung der Ehefrau zurückführen, die sich auch und gerade verfassungsrechtlich niedergeschlagen hat – und dies nicht erst in Art. 3 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 117 Abs. 1 GG, sondern bereits in Art. 119 Abs. 1 S. 2 WRV, wonach die Ehe auf der Gleichberechtigung der Geschlechter beruhte.152 Diese im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG ohne unmittelbare Rechtswirkung ausgestattete Programmnorm beeinflusste seinerzeit die Diskussionen über den Reformbedarf der Verwaltungsgemeinschaft auf dem 33. und 36. Deutschen Juristentag.153 Betrachtet man jene am Weimarer Gleichberechtigungssatz orientierten Überlegungen unter der Fragestellung, wie ein die Gleichberechtigung von Ehemann und Ehefrau verwirklichendes Güterrecht ausgestaltet werden kann, so gewinnt man einen aufschlussreichen Einblick in die rechtstechnischen und materiellen Konfliktlagen, mit denen man sich auch im Erarbeitungsprozess des heutigen § 1371 BGB auseinandersetzte.154 Deutschland?“ an und plädierte ebenfalls für die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand; dazu s. dens., 12. DJT 1874, Bd. 1, S. 41 ff.; ferner s. Schmid, S. 54 ff. 149 Zu den verschiedenen Etappen in der Frauenrechtsbewegung im Kontext der Entstehung des Güterrechts im BGB s. Schmid, S. 107 ff., 131 ff., 135 f., 136 ff.; ferner s. Meder, S. 44 f., 54 f., 144 ff., 189 ff. 150 Denkschrift, S. 245, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 5, S. 850. 151 Dazu s. grundlegend Schumann, in: HKK-BGB §§ 1353 – 1362 Rn. 11 ff. 152 Zur Ideengeschichte der Gleichberechtigung von Ehemann und Ehefrau s. Brudermüller, Paarbeziehungen, S. 139 ff. 153 Staudinger-Voppel Einl. zum FamR. Rn. 102 ff. 154 Zur Inbezugnahme dieser Juristentage im Erarbeitungsprozess des Gleichberechtigungsgesetzes s. BT-Drs. I/3802, S. 53: „[…] Einen solchen Güterstand [! Zugewinngemeinschaft] haben die Juristentage in Heidelberg (1924), Lübeck (1931) und Frankfurt (1950) vorgeschlagen. […] Der Entwurf schließt sich diesen Vorschlägen an. Er nennt diesen Güterstand jedoch nicht Zugewinnstgemeinschaft oder Zugewinnstbeteiligung, weil dadurch der
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
1. Das Problem der Zugewinngemeinschaft: Der Ausgleichsanspruch im Erbfall Im Zentrum des 33. Deutschen Juristentags stand die These, dass die Verwaltungsgemeinschaft nicht der politischen und wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Frau und ihrer Stellung als gleichberechtigter Gefährtin des Mannes entspreche.155 Vertreten wurde, dass sich als ein dem Gleichberechtigungssatz gerecht werdendes gesetzliches Güterrecht eine Gütertrennung in Verbindung mit einer Teilung des Zugewinnüberschusses empfehle: „Ist der Zugewinst eines Gatten höher als der des anderen, so ist die Hälfte des Überschusses dem anderen Gatten zu leisten (Zugewinstschuld, Zugewinstforderung).“156 Im Hinblick auf den Zugewinnausgleich im Todesfall solle jeder Ehegatte durch eine letztwillige Verfügung bestimmen können, dass dem Überlebenden dasjenige, was er über den Pflichtteil hinaus aus dem Vermögen des Erblassers erhält, auf die Zugewinnausgleichsforderung anzurechnen sei.157 Ergebe sich, dass der überlebende Ehegatte Zugewinnschuldner sei, so sei ihm diese Schuld zu stunden und um den Betrag zu kürzen, den er zum angemessenen Unterhalt, zur Aussteuer und Ausstattung von minderjährigen Kindern aufwenden müsse.158 Demgegenüber wurde erwogen, ob unabhängig vom Güterstand das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht des überlebenden Ehegatten erweitert und dem überlebenden Ehegatten auch gegenüber den Erben erster Ordnung der Voraus zugewiesen werden sollte.159 Diese Gedanken waren die Grundlage für eine das Modell der Zugewinngemeinschaft im Kern ablehnende Haltung, die in rechtstechnischer Hinsicht damit begründet wurde, dass die für eine Zugewinnbeteiligung notwendigen Regelungen in das klare und einfache System der Gütertrennung komplexe Berechnungsschwierigkeiten nach langer Ehedauer hineintrügen und güterrechtsfremde Sicherungen für die Beteiligungsanwartschaften der Ehegatten erforderten.160 Auch in materieller Hinsicht sei eine Verstärkung von Erbteil, Voraus und Pflichtteil vorzugswürdig, weil dies „den ehefremden Gedanken [eines] mechanischen Leistungsausgleichs für die Gemeinschaftsleistungen hinter den Gedanken fortwirkender Fürsorge für die ZuEindruck hervorgerufen werden könnte, als wäre ein Ehegatte dinglich an dem Vermögen des anderen beteiligt. Der Entwurf bezeichnet den Güterstand vielmehr als ,Gütertrennung mit Ausgleich des Zugewinnes‘. Dieser Güterstand entspricht einmal insofern dem Grundsatz der Gleichberechtigung, als jeder Ehegatte während der Ehe sein Vermögen selbständig verwaltet und nutzt. Er wird diesem Grundsatz aber auch insoweit gerecht, als er den Ehegatten, der keinen oder den geringeren Zugewinn erzielt hat, in der Regel also die Frau, an dem Erwerb, den der andere Ehegatte während der Dauer der Ehe erzielt hat, teilnehmen läßt.“ (Hervorhebung im Original); ferner s. BT-Drs. II/3409, S. 5. 155 Munk, 33. DJT 1924, S. 339. 156 Kipp, 33. DJT 1924, S. 328. 157 Kipp, 33. DJT 1924, S. 328. 158 Kipp, 33. DJT 1924, S. 328. 159 Munk, 33. DJT 1924, S. 344. 160 Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 338.
§ 4 Die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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kunft des Überlebenden zurücktreten läßt.“161 Das „entseelende do ut des“162 des Zugewinnausgleichs trüge die Idee „eines gegenseitigen Vertrags mit Austauschleistungen“163 in die Ehe und führe – je nachdem, ob der ausgleichsberechtigte oder -verpflichtete Ehegatte zuerst verstirbt – zu unsachgerechten Ergebnissen.164 Versterbe etwa zuerst die typischerweise ausgleichsberechtigte Ehefrau, müsste der überlebende Ehemann ihren Erben die Hälfte seines Zugewinnüberschusses herausgeben. Dies sei allenfalls sachgerecht, wenn gemeinsame Abkömmlinge als Erben der Frau berufen wären.165 Aber auch in diesem Fall widerspreche der auf die Abkömmlinge übergegangene Ausgleichsanspruch dem Gedanken einer fortwirkenden Fürsorge für den überlebenden Ehegatten. Denn es sei ein Wertungswiderspruch, den Zugewinnüberschuss hälftig teilen zu müssen und weiterhin den Großteil der ehebedingten Fürsorgepflichten für die Abkömmlinge – Unterhalt, Aussteuer, Ausstattung – auf sich zu nehmen.166 Versterbe umgekehrt zuerst der typischerweise ausgleichspflichtige Ehemann, könne die überlebende Ehefrau neben ihren gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechten am gesamten Nachlass zusätzlich einen Zugewinnausgleich durchführen und damit das erbrechtlich austarierte Verhältnis von Ehe und Verwandtschaft aus dem Lot bringen. In diesem Fall führe der Ausgleichsgedanke zu einer gewichtigen Verschmälerung der Erbrechte der Kinder – dies insbesondere dann, wenn sich das Vermögen des Verstorbenen hauptsächlich aus ehezeitigem Erwerb zusammensetze.167 Man erwiderte auf diese Einwände gegen einen berechneten Zugewinnausgleich im Todesfall zum einen mit dem Verweis auf die erwogenen Zahlungserleichterungen, die dem überlebenden ausgleichsverpflichteten Ehegatten zur Seite gestellt werden könnten.168 Zum anderen betonte man, dass sich bei einer Erbrechtsverstärkung erbund güterrechtliche Gesichtspunkte nicht vermischen sollten, da es einen Unterschied mache, ob die überlebende Frau kraft Güterrechts gewisse Vermögensgegenstände aus dem Nachlass für sich verlangen oder ob sie diesen Anspruch nur als gleichberechtigte Miterbin geltend machen könne.169 Konkret drohten nämlich bei einer rein erbrechtlichen Ausgestaltung – anders als bei einer güterrechtlichen – Abzüge durch die Erbschaftsteuer.170 Auf dem 36. Deutschen Juristentag betonte man neben ver161
Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 338. Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 368. 163 Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 359. 164 Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 360 („die nachwirkende Gattenfürsorge durchkreuzende[ ] Einflüsse des Ausgleichsgedankens“). 165 Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 360. 166 Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 360. 167 Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 360. 168 Munk, 33. DJT 1924, S. 372 f. 169 Munk, 33. DJT 1924, S. 373. 170 Munk, 33. DJT 1924, S. 373. Zur heutigen Kritik, dass die Erbrechtsverstärkung im Hinblick auf die Erbschaftsteuer durch § 5 ErbStG neutralisiert wird, weil nur der real ver162
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fassungsrechtlichen Überlegungen, dass der Gedanke, die gegenseitige Beteiligung der Ehegatten an dem ehelichen Erwerb sei eine Abgeltung für die im Interesse der Ehegemeinschaft geleistete Arbeit, durch eine güterrechtliche Regelung besser zum Ausdruck komme als bei einer Erhöhung des gesetzlichen Erbteils des Ehegatten.171 Auch wenn diese Juristentage zu ihrer Zeit keine grundlegende Reform des Eheund Erbrechts bewirkten,172 boten die dortigen Diskussionen eine strukturelle Ressource, auf die im Erarbeitungsprozess des Gleichberechtigungsgesetzes Bezug genommen wurde. So war die – im Lichte eines gleichberechtigten Eherechtsdenkens stehende – Ausgestaltung des heutigen § 1371 BGB durch das Changieren zwischen den Möglichkeiten geprägt, den Zugewinnausgleich auch im Erbfall real zu berechnen und auf dieser Basis den güterrechtlich bereinigten Nachlass zu verteilen oder direkt das Erbrecht zu verstärken und keinen realen Zugewinnausgleich durchzuführen. langbare Zugewinnausgleich kein steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen ist, s. Muscheler, Erbrecht Bd. 1, Rn. 1494 f. 171 Rebstein-Metzger, 36. DJT 1931, Bd. 1, S. 569. 172 Zu ideologisch motivierten Änderungen im Eherecht kam es während des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, die größtenteils eine Neuordnung der Familie nach völkischen Gesichtspunkten intendierten und jüdische Bürger unter Sondergesetze stellten. Zu diesen Änderungen zählte, dass Eheschließungen zwischen Deutschen und Juden verboten und Eheaufhebungen und -scheidungen erleichtert wurden, wenn sie sich gegen jüdische Bürger richteten (§§ 1 ff. Blutschutzgesetz). Man gliederte das Eheschließungs- und Ehescheidungsrecht aus dem BGB aus und regelte es im Ehegesetz von 1938, das vermehrt objektive Scheidungsgründe wie geistig gestörtes Verhalten (§ 50 EheG 1938), eine ansteckende oder ekelerregende Krankheit (§ 52 EheG 1938) oder eine vorzeitige Unfruchtbarkeit (§ 53 EheG 1938) einräumte; dazu s. Staudinger-Voppel Einl. zum FamR. Rn. 106 ff. Das Erbrecht hat durch das Testamentsgesetz vom 31. Juli 1938 eine nachhaltige Änderung erfahren, indem es die umfassende Formstrenge der Vorschriften über die Errichtung des eigenhändigen Testaments abbaute; dazu s. Staudinger-Otte Einl. zum ErbR. Rn. 32. Sämtliches Recht nationalsozialistischen Inhalts wurde nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 durch das Gesetz Nr. 1 des Kontrollrates vom 20. September 1945 aufgehoben; dazu s. Staudinger-Voppel Einl. zum FamR. Rn. 109. In dieser Übergangsphase versuchte man neben der Bereinigung des Rechts auch den Umständen der Kriegszeit mit dem Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23. Juni 1950 (BGBl. I, S. 226) und mit dem Gesetz über die Anerkennung von Nottrauungen vom 2. Dezember 1950 (BGBl. I, S. 778) Rechnung zu tragen; dazu s. StaudingerVoppel Einl. zum FamR. Rn. 110. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 war nach Art. 1 Abs. 3 GG die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) unmittelbar geltendes Recht. Jedoch blieb das dem Art. 3 Abs. 2 GG entgegenstehende Ehegüterrecht des BGB bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung in Kraft – allerdings nicht länger als bis zum 31. März 1953 (Art. 117 Abs. 1 GG). Der Gesetzgeber versäumte indes eine fristgemäße Reform des Familienrechts, die der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichberechtigung entsprochen hätte. Die Folge war, dass am 1. April 1953 das bisherige Ehegüterrecht außer Kraft trat, soweit es Art. 3 Abs. 2 GG widersprach, ohne dass eine verfassungskonforme Neuregelung vorlag. Für die Interimszeit vom 1. April 1953 bis zum Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes am 1. Juli 1958 setzte sich in der Rechtsprechung die Gütertrennung als gesetzlicher Güterstand für die vor und nach dem 1. April 1953 geschlossenen Ehen durch; vgl. BGH, Urteil vom 14.07.1953 – V ZR 97/52 = BGHZ 10, 266 (269) = NJW 1953, 1342; dazu s. Staudinger-Voppel Einl. zum FamR. Rn. 111.
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2. Die Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs im Erbfall In ihren beiden Entwürfen zu einem die Gleichberechtigung von Mann und Frau verwirklichenden Güterrecht ging die Bundesregierung von der Prämisse aus, den Zugewinnausgleich im Erbfall zu berechnen und den sodann güterrechtlich bereinigten Nachlass nach den bestehenden erbrechtlichen Vorschriften aufzuteilen.173 Dabei lag der Bundesregierung eine im Auftrag des Bundesjustizministeriums in drei Bänden veröffentlichte Denkschrift über die zur Anpassung des geltenden Familienrechts an den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau erforderlichen Gesetzesänderungen zugrunde.174 Diese Denkschrift beinhaltet neben einer Darstellung der historischen und rechtsvergleichenden Entwicklung verschiedener gesetzlicher Güterstände auch Vorschläge zur Reform des deutschen gesetzlichen Güterrechts und verarbeitet in diesem Zusammenhang die auf dem 33., 36. und auch auf dem 38. Deutschen Juristentag in Frankfurt a. M. diskutierten Referate.175 Ausgangspunkt ist dabei der Beschluss des 38. Deutschen Juristentages von 1950, an dem einstigen Beschluss des 33. Deutschen Juristentages von 1924 festzuhalten, „daß sich als künftiges eheliches Güterrecht die Gütertrennung in Verbindung mit einer Beteiligung beider Ehegatten an der Errungenschaft empfiehlt“ und in Anknüpfung daran eine „Gütertrennung in Verbindung mit der sog. Zugewinstgemeinschaft“ zu befürworten und zu empfehlen, dass bei Auflösung der Ehe der Zugewinnüberschuss beiden Ehegatten zur Hälfte gebühren soll.176 In rechtstechnischer Hinsicht sollte nach dem Standpunkt dieser Denkschrift der Zugewinnausgleichsanspruch also im Moment des Erbfalls entstehen und – je nachdem, ob der verstorbene Ehegatte ausgleichsberechtigt oder -verpflichtet war – als zu berechnender Aktiv- oder Passivposten in den Nachlass fließen.177 173
BT-Drs. I/3802, S. 50 ff.; BT-Drs. II/224, S. 27; BT-Drs. II/3409, S. 4 f. BT-Drs. I/3802, S. 40. 175 Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 5 f., 7 ff., 12 ff., 15 ff. Die Referate und Entschließungen des 38. Deutschen Juristentages sind ebenfalls nicht wesentlich über die Ergebnisse des 33. Deutschen Juristentages hinausgekommen; zu weiteren Verstärkungen s. Ulmer, 38. DJT 1950, B 44 f.: „Die Bestimmungen des Erbrechts über den Voraus genügen nicht, da der überlebende Ehegatte den Voraus nicht verlangen kann, wenn Abkömmlinge vorhanden sind, und da der Anspruch testamentarisch ausgeschlossen werden kann. Es muß daher dem überlebenden Ehegatten ein Recht auf Übernahme der für ihn erforderlichen Hausratsgegenstände kraft Güterrechts zuerkannt werden. Die Entschädigung dafür kann gegebenenfalls mit dem Zugewinstanspruch verrechnet werden. Dadurch verliert auch das Bedenken, daß der Zugewinstanspruch Geldanspruch ist, an Gewicht.“ 176 Beschlüsse der bürgerlich-rechtlichen Abteilung, in: 38. DJT 1950, B 101 f. 177 Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22: „Wird die Ehe durch den Tod eines Ehegatten aufgelöst, so stehen sich bei der Ausgleichung der überlebende Ehegatte und die Erben des verstorbenen Ehegatten gegenüber. Die Erben rücken auf Grund gesetzlicher oder testamentarischer Erbfolge in die Rechtsstellung des verstorbenen Ehegatten ein. Grundsätzlich muß auch die Ausgleichsforderung vererblich sein. Es müssen z. B. die Erben des Ausgleichsschuldners für dessen Verbindlichkeit haften.“ 174
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Dabei ist es in materieller Hinsicht von großer Bedeutung, dass die Denkschrift von diesem Grundsatz der Vererblichkeit der Zugewinnausgleichsforderung eine Ausnahme in Abhängigkeit von der Verwandtschaftsnähe der Erben zum verstorbenen Ehegatten vorsah. Diese Ausnahme basierte auf der Grundwertung, dass es nicht der Sinn der Zugewinngemeinschaft sei, entferntere Personen über eine geerbte Zugewinnausgleichsforderung an dem ehezeitig erworbenen Gewinn partizipieren zu lassen, sondern diesen Gewinn in erster Linie denen zuzuweisen, die in der konkreten Familiengemeinschaft gelebt haben.178 Zu dieser Gemeinschaft sollten jedoch außer dem überlebenden Ehegatten nur die Kinder und sonst keine anderen Verwandten zählen.179 Explizit wurde es abgelehnt, die Eltern des verstorbenen Ehegatten den Kindern gleichzustellen, weil diese regelmäßig nicht in gleicher Weise in die Schicksalsgemeinschaft der Familie eingegliedert gewesen seien und weil ihre verwandtschaftliche Beziehung zu dem verstorbenen Ehegatten bei Nichtvorhandensein von Abkömmlingen schon durch ihre Erbberechtigung berücksichtigt sei.180 Festzuhalten ist, dass diesen güterrechtlichen Konstruktionsvorschlägen eine wertende Gewichtung der miteinander um den Nachlass konkurrierenden familienrechtlichen Statusverhältnisse der Ehe und Verwandtschaft zugrunde lag, die im Ausgangspunkt durch das Wertungsmoment der Gleichberechtigung von Mann und Frau am ehelichen Zugewinnüberschuss bestimmt wurde. Dass die Zugewinnausgleichsforderung im Todesfall entstehen und als Aktivposten nur an die Deszendenten vererbbar sein soll, wertete deren Stellung im Verhältnis zum überlebenden Ehegatten auf und ist insoweit Ausdruck einer starken Betonung des Wertungsmoments des Familienpotentials, als dadurch nur die Kinder mit ihm in das Zentrum des Familienvermögensrechts gerückt wurden. a) Der erste Entwurf der Bundesregierung Während die Abkömmlinge den Zugewinnausgleichsanspruch des verstorbenen ausgleichsberechtigten Ehegatten nach dem Entwurf dieser Denkschrift hätten erben können, wurde diese Möglichkeit durch § 1386 Abs. 4 RegE I jedoch ausgeschlossen: Endet der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten, so entsteht eine Ausgleichsforderung nur, wenn der überlebende Ehegatte den geringeren Zugewinn erzielt hat.181
Diese güterrechtliche Gestaltung ist der rechtstechnische Ausdruck einer Begünstigung des überlebenden Ehegatten. Denn dieser soll im Fall seiner Ausgleichsberechtigung seinen Anspruch aus dem Nachlass des verstorbenen Ehegatten 178 179 180 181
Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22. Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22. Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22. BT-Drs. I/3802, S. 10.
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befriedigen können, aber umgekehrt im Fall seiner eigenen realen Ausgleichsverpflichtung gerade nicht zur güterrechtlichen Bereinigung des Nachlasses verpflichtet sein. Wesentlich ist, dass im ersten Entwurf der Bundesregierung zu dieser Regelung, den Abkömmlingen des verstorbenen Ehegatten den realen Ausgleichsanspruch nicht zu gewähren, das Wertungsmoment der Subjektivierung im Eherechtsdenken zur Geltung kam. So hielt es die Bundesregierung nicht für sachgerecht, einseitigen Abkömmlingen den realen Zugewinnausgleichsanspruch des verstorbenen Ehegatten zuzubilligen, weil diese nicht der ehelichen Gemeinschaft entstammten. Es widerspreche „dem Wesen der Ehe […], wenn ein Ehegatte bei dem Tode des anderen gezwungen wäre, das von ihm in der Ehe erworbene Vermögen mit den einseitigen Nachkommen des verstorbenen Ehegatten, den erstehelichen Kindern oder einem unehelichen Kinde der Frau, zu teilen.“182 Dies gelte auch in Bezug auf gemeinsame Abkömmlinge. Denn diese sollten nicht am ehezeitigen Erwerb des verstorbenen Ehegatten partizipieren, weil sie diesen später beerbten und daher kein Bedürfnis bestehe, die Abkömmlinge schon beim Tode des erstversterbenden Ehegatten am Zugewinn des überlebenden zu beteiligen und es vielmehr der Natur der Sache entspreche, dass das Vermögen eines Ehegatten grundsätzlich erst bei seinem Tode auf seine Abkömmlinge übergehe.183 Getragen wurde diese Zurücksetzung der Abkömmlinge von einer starken Betonung der Ehe als gegenseitiger Verantwortungsgemeinschaft: „Der Erwerb eines Ehegatten dient in erster Linie dazu, ihn für seine alten Tage zu sichern, in denen er nichts mehr verdienen kann. Würde der überlebende Ehegatte aber gezwungen, seinen Erwerb beim Tode des erstversterbenden Ehegatten mit dessen Nachkommen zu teilen, so würde er oft nicht genügend behalten, um für den Lebensabend gesichert zu sein.“184
Die explizite Grundwertung der Bundesregierung bestand darin, dass der überlebende und an sich ausgleichsverpflichtete Ehegatte berechtigt sein sollte, „sein Vermögen für seinen Unterhalt zu verwenden, auch wenn dies zur Folge hat, daß dadurch die Ausgleichsforderung der Nachkommen nicht mehr verwirklicht werden kann.“185 Diese im Lichte der ehelichen Gleichberechtigung stehende güterrechtliche Bevorzugung des überlebenden Ehegatten ist also der rechtstechnische Nachvollzug einer starken Betonung des subjektiven Wertungsmoments der Ehe als Verantwortungs- und Beistandsgemeinschaft. Mit § 1389 RegE I sah der Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit vor, auf den real zu berechnenden Zugewinnausgleichsanspruch erbrechtliche Zuwendungen anzurechnen:
182 183 184 185
BT-Drs. I/3802, S. 60. BT-Drs. I/3802, S. 60. BT-Drs. I/3802, S. 60. BT-Drs. I/3802, S. 60.
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata (1) Jeder Ehegatte kann durch Verfügung von Todes wegen bestimmen, daß der Wert dessen, was der überlebende Ehegatte über den Pflichtteil hinaus aus dem Nachlaß erhält, auf die Ausgleichsforderung angerechnet werden soll. (2) Hat ein Ehegatte dem anderen durch Verfügung von Todes wegen mehr zugewendet, als dem gesetzlichen Erbteil entspricht, so ist im Zweifel anzunehmen, daß das, was der andere Ehegatte über den gesetzlichen Erbteil hinaus erhält, nach dem Willen des Erblassers auf die Ausgleichsforderung angerechnet werden soll.186
Die Bundesregierung wollte es mit dieser Regelung dem verstorbenen und ausgleichspflichtigen Ehegatten ermöglichen, den Zugewinnausgleich, auf den der überlebende Ehegatte einen Anspruch hat, in rechtstechnischer Hinsicht durch eine erbrechtliche Zuwendung begleichen zu können.187 In materieller Hinsicht lag dieser Anrechnungsmöglichkeit die gesetzgeberische Annahme zugrunde, dass ein Ehegatte typischerweise den anderen Ehegatten erbrechtlich an seinem Nachlass beteiligen wolle, dieser aber dann nicht noch zusätzlich zu dieser erbrechtlichen Zuwendung den vollen Zugewinnausgleichsanspruch durchsetzen können soll.188 Das Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft sollte also in der Weise zum Ausgleich gebracht werden, dass der überlebende Ehegatte neben einer verstärkten erbrechtlichen Zuwendung nicht noch zusätzlich den vollen Zugewinnausgleich erhalten sollte. An der vorgesehenen Anrechnungsmöglichkeit einer erbrechtlichen Zuwendung auf die güterrechtliche Zugewinnausgleichsforderung wurde in rechtstechnischer Hinsicht durch den Bundesrat kritisiert, dass sich dadurch Erb- und Güterrecht mischen würden.189 Dieser Kritik trat indes die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu diesen Änderungsvorschlägen mit der materiellen Überlegung entgegen, dass es typischerweise der Fall sei, dass der Erblasser seinem Ehegatten mehr zuwenden wolle, als diesem nach den erbrechtlichen Bestimmungen zukäme, es aber dann seinem Willen entspreche, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte außer dem ihm Zugewandten nicht noch den vollen Ausgleichsanspruch erhalten soll.190 Insgesamt stand hinter dieser güterrechtlichen Rechtstechnik also die materielle Auslotungsentscheidung, dass der Ehegatte im Verhältnis zu den Verwandten in jedem Fall den Wert seines Pflichtteils und den Wert seiner realen Ausgleichsforderung erhalten soll (§ 1389 Abs. 1 RegE I). Dabei begrenzte der Gesetzgeber durch die Auslegungsregel des § 1389 Abs. 2 RegE I die in § 1386 Abs. 4 RegE I vorgesehene und nur einseitig durch das Güterrecht verstärkte Position des Ehegatten, tarierte also dessen Positionen mit den Interessen der Verwandten des Erblassers wertend aus. 186
BT-Drs. I/3802, S. 10. BT-Drs. I/3802, S. 61. 188 BT-Drs. I/3802, S. 61. 189 BT-Drs. I/3802 (Anlage A), S. 3: „Was der überlebende Ehegatte kraft Güterrechts und kraft Erbrechts erhält, fällt ihm aus verschiedenen, von einander unabhängigen Rechtsgründen zu.“ 190 BT-Drs. I/3802 (Anlage B), S. 17. 187
§ 4 Die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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b) Der zweite Entwurf der Bundesregierung In ihrem zweiten Entwurf hielt die Bundesregierung an der nur zugunsten des überlebenden Ehegatten durchzuführenden Zugewinnausgleichsforderung im Erbfall fest, verortete diese Bestimmung nun in § 1385 Abs. 4 RegE II und erweiterte zugleich die Anrechnungsbestimmungen von erbrechtlichen Zuwendungen auf die Ausgleichsforderung durch die zusätzliche Einführung des § 1388 RegE II: Auf die Ausgleichsforderung eines Ehegatten wird angerechnet, was ihm nach § 1932 als Voraus gebührt.191
Hintergrund dieser Bestimmung ist die durch den ersten Regierungsentwurf eingeführte Zubilligung des Voraus an den Ehegatten auch neben den Deszendenten und der vom zweiten Regierungsentwurf vorgesehene Verzicht auf die einschränkende Angemessenheitsklausel des Voraus.192 Der Ehegatte sollte den Voraus also von den Abkömmlingen verlangen können, ohne dass er auf diese Gegenstände zur angemessenen Lebensführung angewiesen sein müsste.193 Diese vorgeschlagene erbrechtliche Verstärkung der Position des Ehegatten sei der Bundesregierung zufolge für die Abkömmlinge tragbar, weil der Voraus auf die güterrechtliche Ausgleichsforderung angerechnet werde.194 Wesentlich ist, dass die Stellung des Ehegatten im Rahmen dieser Anrechnungsbestimmung auch im zweiten Regierungsentwurf mit den Interessen der Abkömmlinge abgewogen und diese Kollision in materieller Hinsicht ebenfalls so austariert wurde, dass der überlebende Ehegatte im Verhältnis zu den Verwandten des Erblassers jedenfalls den vollen Zugewinnausgleich und den Wert seines Pflichtteils erhalten soll.195 Hinter dieser Rechtsgestaltung stand weiterhin das gesetzgeberische Grundanliegen, es in rechtstechnischer Hinsicht zu ermöglichen, dass auf den an sich durchzuführenden Zugewinnausgleich im Erbfall dasjenige angerechnet wird, was dem überlebenden Ehegatten über den Wert seines Pflichtteils hinaus letztwillig zugewendet wird.196 Die Bundesregierung vertrat also durchgehend den Standpunkt, dass der verstorbene Ehegatte typischerweise den überlebenden Ehegatten durch eine erhöhte erbrechtliche Zuwendung absichern wolle, aber nicht beabsichtige, dass dieser zusätzlich zu einer verstärkten erbrechtlichen Zuwendung auch noch über den güterrechtlichen Mechanismus des realen Zugewinnausgleichs auf Kosten der 191
BT-Drs. II/224, S. 7. BT-Drs. I/3802, S. 20 f., 84; BT-Drs. II/224, S. 20, 67: „Der Entwurf I hatte in diesem Falle vorgesehen, daß der überlebende Ehegatte die zum Voraus gehörenden Gegenstände insoweit erhalten solle, als er sie für seinen Bedarf benötige. Diese Regelung kann aber zu unerquicklichen Streitigkeiten zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Abkömmlingen führen. Der Entwurf II sieht deshalb von dieser Einschränkung ab.“ 193 Dazu s. BT-Drs. II/224, S. 67. 194 BT-Drs. II/224, S. 67, 47. 195 BT-Drs. II/224, S. 48. 196 BT-Drs. II/224, S. 48. 192
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
Verwandten gesichert werden soll. Diese materielle Interessenabwägung lasse sich rechtstechnisch durch eine Anrechnungsbestimmung realisieren.197 Im Hinblick auf diesen rechtstechnischen Standpunkt wiederholte der Bundesrat jedoch seine schon am ersten Regierungsentwurf geäußerte Kritik, dass es nicht gerechtfertigt sei, eine güterrechtliche Ausgleichsforderung durch die Anrechnung einer erbrechtlichen Zuwendung zu schmälern.198 Auch nach erneuter Prüfung dieser Kritik verblieb die Bundesregierung bei ihrem Standpunkt, dass der Erblasser typischerweise den Willen habe, „daß die Frau außer dem ihr Zugewandten nicht noch den vollen Ausgleichsanspruch erhalten soll.“199 Insoweit lag der diskutierten Anrechnungsbestimmung eine typisierte Betrachtung der Ehe zugrunde, dass sich regelmäßig in der Person des Ehemannes ein Zugewinnüberschuss bilde und der Ehemann – weil er typischerweise zuerst versterbe – im Erbfall ausgleichspflichtig sei; dieser Pflicht wolle der erstverstorbene Ehemann durch eine verstärkte erbrechtliche Zuwendung nachkommen, um die überlebende Ehefrau dinglich am Nachlass zu beteiligen.200 Die Bundesregierung sprach in diesem Zusammenhang davon, dass die erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts in Bezug auf das inhaltliche Anliegen, den überlebenden Ehegatten abzusichern, dieselbe „Wurzel“201 hätten. Daran zeigt sich, dass die materielle Auslotung des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall in rechtstechnischer Hinsicht gleichermaßen durch das Erb- wie auch durch das Güterrecht erfolgen sollte. Explizit erwog die Bundesregierung daher auch die auf dem 33. Deutschen Juristentag diskutierte Konstruktionsmöglichkeit, die Durchführung des Zugewinnausgleichs im Erbfall durch eine pauschale Erhöhung des gesetzlichen Erbteils ipso iure zu substituieren.202 Der tragende Grund, warum sich der zweite Regierungsentwurf jedoch gegen eine güterrechtliche Erbrechtsverstärkung entschied, lag in den als unbillig empfundenen Härten, die sich ergäben, wenn die typischerweise ausgleichsberechtigte Ehefrau vor ihrem Ehemann versterben sollte: 197
BT-Drs. II/224, S. 48. BT-Drs. II/224 (Anlage 2), S. 87; zuvor s. BT-Drs. I/3802 (Anlage A), S. 3. 199 BT-Drs. II/224 (Anlage 3), S. 96; zuvor s. BT-Drs. I/3802 (Anlage B), S. 17. 200 Dazu s. explizit BT-Drs. II/3409, S. 16: „Sterbe zum Beispiel der Mann, der in der Ehe den größeren Zugewinn erzielt habe, vor der Frau, so sei es gerechtfertigt, das Erbrecht der Frau zu erhöhen. Sterbe aber die Frau, die den geringeren Zugewinn erzielt habe, vor dem Mann, so habe es keinen Sinn, den gesetzlichen Erbteil des Mannes zu vergrößern. Dies geschehe auf Kosten der Kinder der Frau und sei insbesondere dann ungerecht, wenn die Kinder nicht aus dieser Ehe stammten, den Ehemann ihrer Mutter also später nicht beerbten.“ Zuvor bereits Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 360 ff.; ferner s. Hoischen, S. 50 („Ehe-Typen der Alleinverdienerehe und der Zuverdienerehe“); kritisch zu einer solchen Typisierung durch § 1371 Abs. 1 BGB s. Rauscher, FamRZ 1997, 1121 (1123); ders., Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 1, S. 65 ff. 201 BT-Drs. II/224, S. 48. 202 BT-Drs. II/224, S. 48. 198
§ 4 Die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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„Die Erben der Frau stehen dann schlechter als nach geltendem Recht. Der Mann behält sein Vermögen, das durch die Mitarbeit der Frau vergrößert ist, und erhält zusätzlich, auf Kosten der Erben der Frau, ein erweitertes Erbrecht. Dies führt vor allem dann zu untragbaren Ergebnissen, wenn die Frau Kinder aus einer früheren Ehe hat.“203
Den Erbteil des Ehegatten ipso iure zu verstärken und keinen realen Zugewinnausgleich durchzuführen, verstand man also im Hinblick auf die Austarierung des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft als eine zu intensive Beeinträchtigung der Verwandten des Erblassers, wenn atypischer Weise die ausgleichsberechtigte Ehefrau zuerst versterben sollte. 3. Die Pauschalierung des Zugewinnausgleichsanspruchs im Erbfall Gleichwohl hat sich die Pauschalierung des Zugewinnausgleichs durchgesetzt.204 Vorbereitet wurde diese Entscheidung durch den Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht, der sich mit den rechtstechnischen Nachteilen der realen Berechnung eines Zugewinnausgleichs im Erbfall205 und insbesondere mit dem materiellen Vorwurf auseinandersetzen musste, den an sich ausgleichsverpflichteten Ehegatten durch ein pauschal verstärktes Erbrecht zu Lasten der Verwandten des verstorbenen Ehegatten über Gebühr zu privilegieren.206 Im Ergebnis schlug der Ausschuss die bis heute geltende Bestimmung des § 1371 BGB vor: (1) Wird der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten beendet, so wird der Ausgleich des Zugewinns dadurch verwirklicht, dass sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um ein Viertel der Erbschaft erhöht; hierbei ist unerheblich, ob die Ehegatten im einzelnen Falle einen Zugewinn erzielt haben. (2) Wird der überlebende Ehegatte nicht Erbe und steht ihm auch kein Vermächtnis zu, so kann er Ausgleich des Zugewinns nach den Vorschriften der §§ 1373 bis 1383, 1390 verlangen; der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten oder eines anderen Pflichtteilsberechtigten bestimmt sich in diesem Falle nach dem nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil des Ehegatten. (3) Schlägt der überlebende Ehegatte die Erbschaft aus, so kann er neben dem Ausgleich des Zugewinns den Pflichtteil auch dann verlangen, wenn dieser ihm nach den erbrechtlichen Bestimmungen nicht zustünde; dies gilt nicht, wenn er durch Vertrag mit seinem Ehegatten auf sein gesetzliches Erbrecht oder sein Pflichtteilsrecht verzichtet hat.207
203
BT-Drs. II/224, S. 38. BT-Drs. II/3409, S. 3: „Nach mehrmonatigen Erörterungen und Überlegungen beschloß schließlich der Ausschuß in der 46. Sitzung vom 5. Mai 1956, die erbrechtliche Lösung für den Fall der Auflösung der Ehe durch Tod vorzusehen.“ 205 BT-Drs. II/3409, S. 15; dazu s. auch Wahl, in: FS Lehmann, S. 419 f. 206 Dazu s. BT-Drs. II/3409, S. 16. 207 Dazu s. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11780 ff. 204
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
a) Der Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht Dabei hatte der Ausschuss das Problem vor Augen, dass die Konstruktion eines Geldanspruchs des überlebenden Ehegatten gegen den Nachlass schwierige Beweisführungen und Wertbestimmungen erforderlich machen würde, um den konkreten Zugewinn berechnen zu können.208 Kurz: Die Berechnung des Zugewinnausgleichs im Erbfall führe „zu einem Vermögensvergleich nach Art einer kaufmännischen Bilanz und zwar über viele Jahre hinweg […].“209 Weil die Ermittlung von Bestand und Wert des Anfangsvermögens nach langjähriger Ehe also sehr komplex und gerade in einem Trauerfall auch belastend sein könne, habe sich der Ausschuss dazu entschlossen, „den gordischen Knoten im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod durchzuhauen, indem er durch Erhöhung des Ehegattenerbrechts um ein Viertel den Zugewinnausgleich abzulösen vorschlägt.“210 Die Pauschalierung des Zugewinnausgleichs wurde also in rechtstechnischer Hinsicht gegenüber der realen Berechnung durch ihre Praktikabilität gerechtfertigt. Beispielsweise hätte die Ausgleichsforderung als Nachlassverbindlichkeit von dem Ehegatten, dessen Erbteil sie auffüllte, selbst mitgetragen werden müssen, was komplexe Berechnungsanweisungen erforderlich gemacht hätte – dies selbst dann, wenn die Ausgleichsforderung wie ein Vorausvermächtnis ausschließlich den anderen Miterben zur Last fiele.211 Neben diesem Vereinfachungseffekt wurde die Pauschalierung auch damit begründet, dass man mit einer dinglichen Vermögenspartizipation des Ehegatten dessen Versorgungsbelangen besser gerecht werden könne als durch die Gewährung einer Geldforderung.212 Denn eine dingliche Beteiligung sei im Vergleich zu einem schuldrechtlichen Anspruch gegenüber Geldwertschwankungen immun und liege 208
Wahl, in: FS Lehmann, S. 419 (421). Wahl, in: FS Lehmann, S. 419 (421). 210 Wahl, in: FS Lehmann, S. 419 (425). 211 Zu diesem letztlich vermiedenen Konstruktionsproblem s. BT-Drs. II/3409, S. 22: „Die Ausgleichsforderung könnte dem Ehegatten nicht einfach neben seinem Erbteil, von dem die Ausgleichsforderung nicht abgezogen würde, bis zur Höhe des Wertes des halben Nachlasses hinzugerechnet werden. Man müßte vielmehr, um dem Willen des Erblassers und den Belangen der übrigen Miterben einigermaßen Rechnung zu tragen, die Ausgleichsforderung auf den Pflichtteil des überlebenden Ehegatten aufstocken und dem Ehegatten nur in der Höhe zubilligen, in der die Summe von Pflichtteil und Ausgleichsforderung den Wert des hinterlassenen Erbteils überstiege. Hiervon müßte dann, damit der Ehegatte nicht (durch die Berechnung des Pflichtteils nach dem erhöhten gesetzlichen Erbteil) einen doppelten Ausgleich erhielte, der Betrag abgezogen werden, um den der nach dem erhöhten gesetzlichen Erbteil berechnete Pflichtteil den Pflichtteil überstiege, der nach dem nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil berechnet würde […] Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten und anderer Pflichtteilsberechtigter, etwa enterbter Kinder, würde nach dem Nachlaß berechnet, von dem die Ausgleichsforderung nicht abgezogen wäre; den Erben stünde aber nur ein um die Ausgleichsforderung gekürzter Nachlaß zu.“ 212 BT-Drs. II/3409, S. 19: „Im allgemeinen wird dem Ehegatten aber die dingliche Beteiligung am Nachlaß zur Hälfte mehr wert sein als eine Geldforderung in Höhe von 56,25 v.H.“ – zumal ihm kumulativ zu seiner Erbquote von 1/2 der Voraus nach § 1932 BGB zusteht. 209
§ 4 Die güterrechtliche Dimension des Ehegattenerbrechts
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zugleich auch im Interesse der erbenden Verwandten des verstorbenen Ehegatten.213 Wenn dem überlebenden Ehegatten nämlich anstelle eines dinglichen Erbteils nur eine schuldrechtliche Geldforderung zustünde, würde er diese ohne Rücksicht auf die Einheit des Nachlasses regelmäßig durchsetzen wollen, während er als dinglicher Miterbe typischerweise an dessen Zusammenhalt und seiner ordnungsgemäßen Verwaltung und Verwertung interessiert sei.214 Im Hinblick auf den wertenden Ausgleich der Interessen des Ehegatten und der Verwandten des Erblassers ist festzustellen, dass der Entwurf des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht wie auch die Entwürfe der Bundesregierung, den Zugewinnausgleich zu berechnen, auf derselben Grundwertung basieren, dass der überlebende Ehegatte im Verhältnis zu den Verwandten des Erblassers den Wert der Zugewinnausgleichsforderung und den Wert seines Pflichtteils verlangen können oder ihm stattdessen ein erhöhter Erbteil zustehen soll,215 dass also eine Regelung, die dem Ehegatten eine Ausgleichsforderung und einen erhöhten Erbteil kumulativ gewährte, seinem typischen Willen widerspreche.216 Dementsprechend besteht der Tenor des § 1371 BGB darin, den gesetzlichen Erbteil des Ehegatten mit dem güterrechtlichen Zugewinnausgleich in ein Verhältnis der Alternativität zu setzen. Diese Bestimmung wird also zu einem Scharnier zwischen einerseits einem Erbteil ohne Ausgleichsforderung und andererseits einer Ausgleichsforderung ohne Erbteil.217 Die Pauschalierung des Zugewinnausgleichs verkörpert daher wie die zuvor von der Bundesregierung vorgeschlagenen Anrechnungsbestimmungen – nun in einer anderen rechtstechnischen Gestalt – die gesetzgeberische Annahme, dass es regelmäßig dem Willen des Erblassers entspreche, dass sein überlebender Ehegatte entweder „die Erbschaft ohne die Ausgleichsforderung“ oder „die Ausgleichsforderung ohne die Erbschaft“ erhalten soll.218 Wesentlich ist, dass sich der Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht mit der bis heute in § 1371 BGB kombinierten erb- (§ 1371 Abs. 1 BGB) und güterrechtlichen (§ 1371 Abs. 2 und 3 BGB) Lösung gegen den Einwand verteidigte, dass eine pauschale Erbrechtsverstärkung nicht für den Fall passe, „daß der Ehegatte, der den geringeren Zugewinn erzielt habe, zuerst sterbe“ und infolgedessen nicht einzusehen sei, „warum der überlebende Ehegatte, der in der Ehe den größeren Zu213
Wahl, in: FS Lehmann, S. 419 (421 ff.). BT-Drs. II/3409, S. 16; dazu s. Wahl, in: FS Lehmann, S. 419 (423). 215 Dazu s. BT-Drs. II/224, S. 48. 216 Eine solche Bestimmung könnte von dem Erblasser bei entsprechender Beratung auch durchkreuzt werden, wenn er nämlich den überlebenden Ehegatten unter der Bedingung des Geltendmachens der Ausgleichsforderung nach § 2075 BGB enterbte; dazu s. BT-Drs. II/3409, S. 21. 217 BT-Drs. II/3409, S. 18, 20: „Die Erbenstellung ist für den überlebenden Ehegatten mit dem Wegfall des Rechts verbunden, Ausgleich des Zugewinns nach den Vorschriften zu verlangen, die für die übrigen Fälle der Beendigung des Güterstandes gelten. Der Ehegatte kann diesen Ausgleich nur verlangen, wenn er nicht Erbe ist.“ 218 BT-Drs. II/3409, S. 21. 214
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2. Kap.: Die Entstehung des Ehegattenerbrechts de lege lata
gewinn erzielt habe, an dem Nachlaß des verstorbenen Ehegatten in größerem Maße beteiligt werden solle als bisher.“219 Dieser Vorwurf verliert dadurch an Gewicht, dass nach § 1371 BGB beide Ehegatten – der ausgleichsberechtigte ebenso wie der ausgleichsverpflichtete – die Rechtsfolge des § 1371 Abs. 2 BGB gleichberechtigt und unabhängig davon eintreten lassen können, ob der Ehemann oder die Ehefrau im Erbfall ausgleichsverpflichtet war. Denn einerseits kann der überlebende ausgleichsberechtigte Ehegatte durch die Möglichkeit der Ausschlagung nach § 1371 Abs. 3 BGB „zwischen der Erbschaft ohne Ausgleichsforderung und der Ausgleichsforderung ohne Erbteil, aber mit Pflichtteil, frei wählen […].“220 Andererseits kann dieser ausgleichsberechtigte Ehegatte auch für den Fall seines Vorversterbens die Möglichkeit ergreifen, die kraft Gesetzes eintretende Erbrechtsverstärkung zugunsten des überlebenden und an sich ihm gegenüber ausgleichsverpflichteten Ehegatten nach § 1372 Abs. 2 BGB auszuschließen: „Der Ehegatte, der den geringeren Zugewinn erzielt, kann auf diese Weise verhindern, daß der andere Ehegatte auf Kosten der Kinder in größerem Umfang an seinem Vermögen beteiligt wird, als es dem bisherigen Recht entspricht.“221
Somit lässt sich zusammenfassen, dass das Zusammenspiel der erb- (Abs. 1) und güterrechtlichen Lösung (Abs. 2 und Abs. 3) insgesamt einen den Gleichberechtigungsgrundsatz umsetzenden, wertenden und sich erb- und güterrechtlich vollziehenden Ausgleich der kollidierenden Interessen des Ehegatten und der Verwandten des Erblassers verkörpert. Dabei liegt dieser Rechtstechnik über ihren gesetzgebungsgeschichtlichen Entwicklungsprozess hinweg ein Zusammenwirken aller drei Wertungsmomente zugrunde. b) Die Diskussion im Bundestag Auf diesem Entwurf des § 1371 BGB basierten die Beratungen des 2. Deutschen Bundestages in seiner 206. Sitzung am 3. Mai 1957.222 Geprägt war jene Aussprache durch die Erörterung von zwei Änderungsanträgen.223 Zur Diskussion stand zunächst der Änderungsantrag, in § 1371 BGB hinter den ersten Absatz den folgenden zweiten Absatz einzufügen: Auf dieses zusätzliche Viertel wird angerechnet, was dem überlebenden von dem verstorbenen Ehegatten durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, daß es auf den Zugewinnausgleich angerechnet werden soll. Im Zweifel ist anzunehmen, daß Zuwendungen angerechnet werden sollen, wenn ihr Wert den Wert von Gelegenheitsgeschenken übersteigt, die nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten üblich sind.224 219 220 221 222 223 224
BT-Drs. II/3409, S. 16. BT-Drs. II/3409, S. 20. BT-Drs. II/3409, S. 19. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11824 ff. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11780 ff. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11864.
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Begründet wurde dieser Antrag damit, dass im Fall von ehezeitig vorweggenommenen Zuwendungen der empfangende Ehegatte dadurch bereits am Zugewinn beteiligt werde und es nicht einzusehen sei, wenn diese lebzeitige Zuwendung nicht ebenfalls vom pauschalierten Viertel des § 1371 Abs. 1 BGB abgezogen würde.225 Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt,226 weil eine solche Anrechnungsbestimmung von Zuwendungen, die das übliche Maß übersteigen, eine „Quelle für sehr zahlreiche Prozesse“ sei – „Prozesse, die zwischen den überlebenden Ehegatten und den Kindern stattfinden, also äußerst unerfreuliche Prozesse […], bei denen wahrscheinlich die Beweislage gerade für die Kinder außerordentlich schwierig sein wird.“227 Stattdessen wurde der zweite Änderungsantrag angenommen, dem § 1371 BGB den folgenden vierten Absatz hinzuzufügen: Sind erbberechtigte Abkömmlinge des verstorbenen Ehegatten, welche nicht aus der durch den Tod dieses Ehegatten aufgelösten Ehe stammen, vorhanden, so ist der überlebende Ehegatte verpflichtet, diesen Abkömmlingen, wenn und soweit sie dessen bedürfen, die Mittel zu einer angemessenen Ausbildung aus dem nach Absatz 1 zusätzlich gewährten Viertel zu gewähren.228
Begründet wurde dieser Antrag mit einem Verweis auf die Situation erstehelicher Kinder, deren Erbteil sich durch die Anerkennung eines erhöhten Erbteils des Stiefelternteils verringere, ohne dass ihnen ein gesetzliches Erbrecht nach diesem überlebenden Stiefelternteil zustehe.229 Diese Situation lasse sich abmildern, wenn den Kindern durch die finanzielle Sicherung einer Ausbildung günstige Startbedingungen für den weiteren Lebensweg gegeben werden.230 Damit hat § 1371 BGB in seinen nunmehr insgesamt vier Absätzen seine bis heute unveränderte Fassung erhalten und wurde in § 1931 Abs. 3 BGB hinsichtlich des gesetzlichen Erbteils und in § 2303 Abs. 2 S. 2 BGB hinsichtlich des Pflichtteils klarstellend eingefügt.231 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die rechtstechnische Ausgestaltung des gesetzlichen Güterrechts durch die heute von Art. 3 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich vorgegebene Gleichberechtigung von Mann und Frau geprägt ist und zur Wahl des Modells der Zugewinngemeinschaft führte. Dabei konnte anhand der verschiedenen Etappen in der Entstehung des güterrechtlichen Ausgleichsmechanismus im Erbfall gezeigt werden, dass dieser rechtstechnischen Entwicklung in materieller Hinsicht eine Auslotung des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft zugrunde lag und die Wertungsmomente des Familienpotentials und der Subjektivierung neben 225 226 227 228 229 230 231
Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11782. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11783. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11781. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11864 f. Protokoll der 206. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, S. 11783 f. Wahl, in: FS Lehmann, S. 419 (435). BT-Drs. II/3409, S. 23 f.
100
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dem Gleichberechtigungsauftrag im Eherecht unterschiedlich stark zur Geltung kamen. In concreto wurde diese Gewichtung der miteinander konkurrierenden Statusverhältnisse von der Grundwertung durchzogen, dass dem überlebenden Ehegatten alternativ der Wert seines Pflichtteils und seine Ausgleichsforderung oder eine pauschal verstärkte Erbquote zukommen soll.
II. Die Kollision von Ehe und Verwandtschaft im vertraglichen Güterrecht Das Ziel der folgenden Ausführungen ist es zu zeigen, dass auch die Wandlungen in der rechtstechnischen Ausgestaltung der vertraglichen Güterstände materielle Strukturverschiebungen innerhalb des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall nachvollziehen, die durch unterschiedlich starke Gewichtungen der einzelnen Wertungsmomente des Familienpotentials, der Subjektivierung und Gleichberechtigung stimuliert wurden. 1. Die Gütergemeinschaft: Die vereinbarte Fortsetzung des Gesamtguts Der Ausgleichsmechanismus der heutigen Gütergemeinschaft im Erbfall nach §§ 1482, 1483 Abs. 1 S. 3 BGB unterscheidet sich in einigen Punkten von den Bestimmungen des im ursprünglichen BGB erarbeiteten vertraglichen Güterrechts, das zwischen der allgemeinen Gütergemeinschaft (§§ 1436 ff. BGB a. F.), der Errungenschaftsgemeinschaft (§§ 1518 ff. BGB a. F.) und der Fahrnisgemeinschaft (§§ 1548 ff. BGB a. F.) differenzierte.232 Mit Ausnahme der allgemeinen Gütergemeinschaft, die in ihren überwiegenden Bestandteilen in den heutigen §§ 1415 ff. BGB aufgegangen ist, wurden die Errungenschafts- und Fahrnisgemeinschaft im Zuge des Gleichberechtigungsgesetzes aufgegeben, weil diese Güterstände kaum noch vereinbart worden seien, daher kein wesentliches praktisches Bedürfnis mehr an ihnen bestehe und eine dem Gleichberechtigungsgesetz entsprechend ausgestaltete neue Gütergemeinschaft insbesondere für eine ehevertragliche Orientierung an dem Modell der Errungenschaftsgemeinschaft genügend Gestaltungsspielraum lasse.233 Zu diesen nach Art. 3 Abs. 2 GG erforderlichen 232
Zur Entstehung dieser ursprünglichen güterrechtlichen Vorschriften des BGB s. umfassend und grundlegend Schmid, S. 39 ff., 43 ff., 85 ff., 119 ff.; ferner s. Moll, S. 41 ff. 233 Dazu s. BT-Drs. II/3409, S. 25: „Den Gedanken der Errungenschaftsgemeinschaft verwirklicht die als gesetzlicher Güterstand vorgesehene Zugewinngemeinschaft. Sollten die Ehegatten dennoch den Wunsch haben, schon während der Ehe hinsichtlich des Errungenen eine sachenrechtliche (dingliche) Gemeinschaft zu bilden, so haben sie die Möglichkeit, durch Ehevertrag die Gütergemeinschaft der Vorlage zu vereinbaren und in dem Ehevertrag die eingebrachten Gegenstände zum Vorbehaltsgut zu erklären (§ 1418 Abs. 2 Nr. 1 der Vorlage).“ Zum Ausgleichsmechanismus der Errungenschaftsgemeinschaft im Erbfall s. Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 29: „Nach dem Tod eines Ehegatten findet hinsichtlich des Gesamtgutes der Errungenschaftsgemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den
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Änderungen der allgemeinen Gütergemeinschaft zählte insbesondere, dass die zuvor dem Ehemann kraft Gesetzes zustehende Verwaltung des Gesamtguts aufgegeben und die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Verwaltung durch beide Ehegatten nach §§ 1450 ff. BGB geschaffen wurde.234 Eine weitere zentrale Änderung in der Rechtstechnik bestand darin, dass die Gütergemeinschaft nicht mehr ipso iure von den gemeinsamen Abkömmlingen mit dem überlebenden Ehegatten fortgesetzt wird, sondern dass im Erbfall der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut (§ 1416 BGB) zusammen mit seinem Sonder- (§ 1417 BGB) und Vorbehaltsgut (§ 1418 BGB) grundsätzlich dessen Nachlass bildet (§ 1482 S. 1 BGB). Dieser Nachlass wird nach den allgemeinen Vorschriften des § 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB vererbt und die Ehegatten können nur noch ehevertraglich eine Fortsetzung der Gütergemeinschaft mit den gemeinsamen Abkömmlingen nach § 1483 Abs. 1 S. 1 BGB vereinbaren mit der Folge, dass dann der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut nicht zu dessen Nachlass gehört (§ 1483 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 BGB). Demgegenüber sah die ursprünglich erarbeitete Gütergemeinschaft die automatische Fortsetzung des Gesamtguts durch die gemeinsamen Abkömmlinge mit dem überlebenden Ehegatten vor, was mit der ehevertraglich beabsichtigten intensiven Vereinigung des Vermögens beider Ehegatten zu einem einzigen Vermögen, die bis zum Tod des überlebende Ehegatten andauern sollte, gerechtfertigt wurde.235 Man empfand es als unbillig, wenn der überlebenden Ehegatte dazu gezwungen gewesen wäre, den gemeinsamen Abkömmlingen ihren Erbanteil schon nach dem Tod des Erstverstorbenen herauszugeben.236 Die Alternative, den überlebenden Ehegatten zum Alleinerben einzusetzen, sei allerdings mit den Interessen der Verwandten des Erblassers unvereinbar.237 Denn eine derartige Regelung untergrübe das IntestatErben des verstorbenen Ehegatten die Auseinandersetzung statt. […] Im Gegensatz zur Zugewinnstgemeinschaft ist die Beteiligung an der Errungenschaft nicht auf die Abkömmlinge zu beschränken. Es handelt sich bei der Auseinandersetzung der Errungenschaftsgemeinschaft um die Teilung des vorhandenen Gesamtgutes, dessen eine Hälfte zum Nachlaß gehört, so daß die Erben des verstorbenen Ehegatten mit dem Erbfall in die Rechtsstellung des Erblassers eingerückt sind mit der Maßgabe, daß die Gemeinschaft vom Zeitpunkt des Todes an eine Auseinandersetzungsgemeinschaft ist.“ Die dabei eintretenden Schwierigkeiten der Wertermittlung waren der Grund, warum die Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzlicher Güterstand abgelehnt wurde; dazu s. BT-Drs. I/3802, S. 49; BT-Drs. II/224, S. 34 ff.; BT-Drs. II/3409, S. 5: „Da aber Grundbedingung für einen gesetzlichen Güterstand ist, daß er klar und praktisch zu handhaben ist, konnte weder die allgemeine Gütergemeinschaft noch die Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzlicher Güterstand gewählt werden.“ 234 BT-Drs. II/3409, S. 25 ff. 235 Motive, S. 426, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 229. 236 Motive, S. 426 f., in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 229 f. 237 Motive, S. 420 f., in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 226: „Andererseits ist es bedenklich, gegenüber den einseitigen Abkömmlingen des verstorbenen Gatten die äußerste Konsequenz des der GG. [! Gütergemeinschaft] zu Grunde liegenden Gedankens zu ziehen, nach welchem das Gesammtgut die Funktion hat, als Vermögen sowohl des einen als des anderen Gatten zu dienen, und aus dem Gesichtspunkte, daß der Gütergemeinschaftsvertrag zugleich die Natur
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erbrecht der Verwandten und entzöge der Familie des verstorbenen Ehegatten dessen Vermögen gänzlich.238 Explizit wurde daher eine durch das Güterrecht eintretende Alleinerbschaft des Ehegatten abgelehnt, weil für diesen bereits durch die allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften „in ausgiebiger Weise gesorgt“ sei.239 Wesentlich ist, hieran zu erkennen, dass auch dem vertraglichen Güterrecht ein wertender Interessenausgleich hinsichtlich des materiellen Kollisionsverhältnisses des Ehe- und Verwandtenstatus im Erbfall zugrunde lag. Deutlich wird dieser Gewichtungsprozess auch in den Beratungen der zweiten Kommission, in denen man sich mit denselben Argumenten gegen den Antrag entschied, dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den gemeinschaftlichen Abkömmlingen das Alleineigentum am Gesamtgut zuzuweisen.240 So sei bei der Ausgestaltung des Güterrechts zu beachten, „daß das dem Ueberlebenden zustehende Erbrecht ein sehr weitgehendes sei“ und die Verwandten, mit denen der Ehegatte konkurriere, „stünden dem Verstorbenen so nahe, daß ihr Ausschluß eine große Härte wäre und auch im Zweifel als vom Vorverstorbenen gewollt nicht angenommen werden könnte.“241 Man erwog – was sich später durch das Gleichberechtigungsgesetz realisieren sollte – in diesem Zusammenhang auch, das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Fortsetzung der Gütergemeinschaft und der Möglichkeit ihres ehevertraglichen Ausschlusses umzukehren, weil es die Konsequenz einer ipso iure fortgesetzten Gütergemeinschaft sei, dass die gemeinsamen Kinder in diesem Fall erst sehr spät eine Vermögensgrundlage erhielten, um zu ihrer wirtschaftlichen Selbstständigkeit zu gelangen.242 Unter Verweis auf die überwiegende bisherige Güterrechtslage lehnte man dies im Prozess der ursprünglichen Erarbeitung jedoch ab.243 Die gemeineines Erbeinsetzungsvertrages habe, den Ueberlebenden […] als alleinigen Erben des Verstorbenen zu berufen. Die bestehenden Rechte legen der GG. eine so weitgehende, die allgemeinen erbrechtlichen Grundsätze durchbrechende Wirkung nicht bei […]. Die Annahme, daß die Gatten den einseitigen Abkömmlingen das gesetzliche Erbrecht haben entziehen wollen, würde mit den im Volke lebenden Anschauungen in Widerspruch treten.“ 238 Motive, S. 422, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 227. 239 Motive, S. 422, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 227. 240 Dazu s. Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 837: „Wer mit einem Anderen GG. eingehe und damit sein eigenes Vermögen hingebe, denke nicht an die Verwandten des anderen Theiles, sondern thue es, damit er und sein Lebensgenosse auch die vermögensrechtlichen Schicksale mit einander theilten und ständigen Genuß des gemeinsamen Vermögens hätten. Niemand, welcher GG. eingehe, wolle, daß er – vielleicht am nächsten Tage schon – die Hälfte des Gesammtgutes, also Vermögen, das möglicherweise vor Eingehung der GG. nur oder größtentheils ihm allein gehört habe – an ihm fremde Personen, an die Verwandten seines Gatten, herausgeben müsse. Die Absicht bei Eingehung der GG. sei vielmehr die, daß der Genuß des gemeinsamen Vermögens auch über den Tod des einen der Gatten hinausdauere, also die Regel ,längst bis längst gut‘ gelte. Das Beisammenbleiben des Gesammtgutes sei auch nothwendig, damit der überlebende Ehegatte die bisherige Wirthschaft fortzusetzen, und die bisherige soziale Stellung zu behalten vermöge.“ 241 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 838. 242 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 839. 243 Protokolle, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 839 f.
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schaftlichen Abkömmlinge traten danach in die Position des verstorbenen Ehegatten ein und erhielten, wie es die Denkschrift zusammenfasst, im Wesentlichen die Stellung, die der Ehefrau bis zur Auflösung der Ehe zukam, wohingegen der überlebende Ehegatte im Kern die rechtliche Stellung einnahm, die der Ehemann in der Gütergemeinschaft inne hatte.244 Diese zwischen Mann und Frau differenzierende Rechtsstellung ließ sich unter der Geltung von Art. 3 Abs. 2 GG nicht aufrechterhalten und bedurfte der Anpassung an den Gleichberechtigungsgrundsatz.245 Im Zentrum der Güterrechtsreform stand neben dieser verfassungsrechtlich geforderten Änderung auch der Paradigmenwechsel im Regel-Ausnahme-Verhältnis von fortgesetzter und beendeter Gütergemeinschaft. Begründet wurde diese Änderung mit einem Hinweis darauf, dass die bisher kraft Gesetzes stattfindende Fortsetzung ganz überwiegend ehevertraglich ausgeschlossen worden sei und der Gesetzgeber aus dieser realen Praxis normative Schlüsse ziehen müsse.246 Auch sei das Familienverständnis der patriarchalischen Hausgemeinschaft zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, auf dem die ipso iure fortgesetzte Gütergemeinschaft basiere, nicht mehr als gesetzlicher Regelfall aufrecht zu erhalten.247 Zugleich solle die Möglichkeit einer Fortsetzung der Gütergemeinschaft den Ehegatten aber als ehevertragliche Option offenstehen. Denn wenn ein Ehegatte den anderen in besonders weitem Umfang versorgen wolle, bestehe ein Bedürfnis danach, dass die vertragliche Fortsetzung der Gütergemeinschaft gesetzlich geregelt bleibe.248 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass hinter den Wandlungen in der Rechtstechnik der Gütergemeinschaft eine materielle Wertungsverschiebung im Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft in der Weise zum Ausdruck kommt, dass sich die Position der gemeinsamen Abkömmlinge verbessert hat. Dass die Gütergemeinschaft nämlich nicht mehr ipso iure fortgesetzt wird, eröffnet den Abkömmlingen eine wertmäßig größere Nachlassbeteiligung und bedeutet für den überlebenden Ehegatten eine frühere Auseinandersetzung des bisherigen Gesamtguts, führt also bei ihm zu einem schnelleren Verlust der bisherigen güterrechtlichen Vermögensgesamtheit. Begründet wurde diese Reform der Güterrechtstechnik mit der Ablehnung einer als patriarchalisch empfundenen Familienstruktur. Am Werk ist bei dieser rechtstechnischen Wandlung also primär das Wertungsmoment des Familienpotentials, das die Stellung der Kinder des Erblassers im Verhältnis zu dessen Ehegatten aufwertet. 244
Denkschrift, S. 196, in: Mugdan (Hrsg.) Bd. 4, S. 1160. Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 27 f.; so auch BT-Drs. II/3409, S. 32. 246 Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 28; BT-Drs. I/3802, S. 66; BT-Drs. II/224, S. 55; BT-Drs. II/3409, S. 31: „Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, daß Ehegatten, die die allgemeine Gütergemeinschaft vereinbaren, die Fortführung der Gütergemeinschaft nach dem Tode eines Ehegatten meist ausschließen. Aus dieser Entwicklung muß der Gesetzgeber die Folgerungen ziehen.“ 247 BT-Drs. I/3802, S. 66; BT-Drs. II/224, S. 55; BT-Drs. II/3409, S. 31 f. 248 BT-Drs. I/3802, S. 66; BT-Drs. II/224, S. 55; BT-Drs. II/3409, S. 32. 245
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2. Die Gütertrennung: Der bewegliche Erbteil Im Unterschied zu den gütergemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen der §§ 1482 S. 1, 1483 Abs. 1 S. 3 BGB wird im Fall der Gütertrennung nicht der Umfang des erbrechtlich zu verteilenden Nachlasses durch das Güterrecht festgelegt, sondern die erbrechtliche Verteilungsquote aus § 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB selbst wird güterstandsabhängig durch § 1931 Abs. 4 BGB verstärkt. Danach erbt der überlebende Ehegatte im Fall der Gütertrennung neben einem Kind oder zwei Kindern zu gleichen Teilen – also zur Hälfte oder zu einem Drittel – und im Übrigen in Höhe der von § 1931 Abs. 1 BGB vorgesehenen Quoten. Die im Zuge des Nichtehelichengesetzes beschlossene Einführung dieses nach § 1931 Abs. 4 BGB „beweglichen“ Erbteils wurde mit einer als unbillig empfundenen Benachteiligung des Ehegatten im Verhältnis zu den Deszendenten des Erblassers begründet,249 während die im ursprünglichen BGB geregelte Gütertrennung keinen Einfluss auf die Höhe der Erbquote des Ehegatten hatte.250 Dabei bestand die Grundwertung des Reformgesetzgebers darin, dass ein Kind des Erblassers nicht in größerem Umfang an der Erbschaft beteiligt werden soll als dessen Ehegatte, der regelmäßig zur Aufrechterhaltung seiner weiteren Lebenssicherung auf den Nachlass angewiesen sei. In concreto wurde es als unbillig empfunden, „wenn nach den vorgesehenen neuen Vorschriften ein nichteheliches Kind des Erblassers, von dessen Vorhandensein die überlebende Ehefrau vielleicht nichts gewußt hat, in größerem Umfang an dem Nachlaß wirtschaftlich beteiligt wäre als die Frau, die oft nach dem Tode des Mannes ihre Lebenssicherung hauptsächlich aus dem Nachlaß finden muß.“251 Im Ergebnis liegt der Verstärkung des Ehegattenerbrechts damit ein sich selbst als noch nicht endgültig verstehender252 Interessenausgleich der kollidierenden Statusverhältnisse der Ehe und Verwandtschaft im Erbfall zugrunde, in dem schwer-
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BT-Drs. V/4179, S. 5: „Im Falle der Gütertrennung (§ 1414) aber können sich besondere Ungerechtigkeiten aus der bisher geltenden Regelung ergeben, da der überlebende Ehegatte neben Abkömmlingen des Erblassers stets nur zu einem Vierteile der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen ist (§ 1931 Abs. 1 Satz 1), nämlich dann, wenn nur ein oder zwei Kinder des Erblassers vorhanden sind und daher die Kinder mehr erben als der Ehegatte.“ 250 Die Gütertrennung enthielt ursprünglich Regelungen zum ehelichen Aufwand (§§ 1427 ff. BGB a. F.), die durch das Gleichberechtigungsgesetz aufgegeben wurden; dazu s. BT-Drs. II/3409, S. 25. 251 BT-Drs. V/4179, S. 5. 252 BT-Drs. V/4179, S. 6: „Der Rechtsausschuß ist sich dessen bewußt, daß die Regelung des gesetzlichen Erbrechts des überlebenden Ehegatten auch nach dieser Verbesserung Mängel aufweist. Er ist aber angesichts der Schwierigkeit der auftretenden Probleme der Auffassung, daß eine endgültige Neuregelung nur im Rahmen der beabsichtigten Reform der Vorschriften über das gesetzliche Erbrecht genügend vorbereitet werden kann. Die vom Ausschuß beschlossene vorläufige Regelung eines Teilproblems soll dieser Reform nicht vorgreifen.“ Kritisch zu § 1931 Abs. 4 BGB s. Rauscher, FamRZ 1997, 1121 ff.
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punktmäßig das Wertungsmoment der Subjektivierung im Eherechtsdenken zur Geltung gekommen ist.253 3. Die Wahl-Zugewinngemeinschaft: Der vererbbare Ausgleichsanspruch Die jüngste Änderung erfuhr das vertragliche Güterrecht durch die Einführung des Güterstandes der Wahl-Zugewinngemeinschaft nach § 1519 BGB, der inhaltlich auf das Abkommen vom 4. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft verweist.254 Kennzeichnend für die Wahl-Zugewinngemeinschaft ist, dass diese keine dem § 1371 Abs. 1 BGB vergleichbare Pauschalierung des Zugewinnausgleichs im Todesfall kennt, sodass der Zugewinn stets nach den Berechnungsanordnungen des deutsch-französischen Abkommens zu ermitteln ist.255 Der wesentliche Unterschied zur gesetzlichen Zugewinngemeinschaft besteht somit darin, dass der reale Zugewinnausgleich und die Erbquote nach § 1931 Abs. 1 und Abs. 2 BGB in der Wahl-Zugewinngemeinschaft sich nicht alternativ gegenüberstehen, sondern kumulativ miteinander verbunden sind.256 In rechtstechnischer Hinsicht ist der Nachlass somit vorab güterrechtlich zu bereinigen und auf dieser Basis erbrechtlich zu verteilen, wobei sich wiederum zwei Konstellationen unterscheiden lassen. Überlebt der ausgleichsberechtigte Ehegatte, haben die Abkömmlinge eine höhere Erb- und Pflichtteilquote, weil der gesetzliche Erbteil des Ehegatten nicht über § 1931 Abs. 3 i.V.m. § 1371 Abs. 1 BGB verstärkt wird.257 Jedoch verringert sich der Nachlass um den Wert der ihm zustehenden Ausgleichsforderung, was die Positionen der Abkömmlinge mindert und sich insoweit zu Gunsten des überlebenden Ehegatten auswirken kann.258 Überlebt jedoch 253 Begründet wird die Erbrechtsverstärkung darüber hinaus auch mit dem Anliegen, die unentgeltliche Mitarbeit eines Ehegatten abzufinden; dazu s. BT-Drs. V/4179, S. 5 f.: „Für Fälle der genannten Art bei bestehender Gütertrennung erscheint daher eine Ausgleichung notwendig, wobei allerdings eine Berechnung des Wertes der Mitarbeit als undurchführbar ausscheiden muß. Der Ausschuß befürwortet daher die pauschale Regelung, daß der überlebende Ehegatte neben ein oder zwei Kindern des Erblassers, falls beim Erbfall Gütertrennung bestand, mit diesen zu gleichen Teilen erbt.“ Kritisch dazu s. Rauscher, FamRZ 1997, 1121 (1122 f.). 254 Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft v. 15.03.2012, BGBl. 2012 II, S. 178; ferner s. die Bekanntmachung über das Inkrafttreten des deutsch-französischen Abkommens über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft v. 22.04.2013, BGBl. 2013 II, S. 431; beides in Kraft getreten am 01.05.2013; vgl. auch BT-Drs. 17/5126 v. 21.03.2011. 255 Dazu s. MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 60 ff.; Süß, ZErb 2010, 281 (284 f.); Dutta, FamRZ 2011, 1829 (1838); Jünemann, ZEV 2013, 353 (358 ff.). 256 Staudinger-Thiele § 1519 Rn. 36 („Kombination von erbrechtlicher und güterrechtlicher Beteiligung“). 257 Dutta, FamRZ 2011, 1829 (1838). 258 Dazu s. Süß, ZErb 2010, 281 (285).
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der ausgleichsverpflichtete Ehegatte, so stellt sich die Frage, ob dieser – im Gegensatz zu § 1371 BGB – seinerseits zum Schuldner der realen Ausgleichsforderung des verstorbenen Ehegatten wird, also den Zugewinnausgleich in den Nachlass hinein begleichen muss.259 Unter Bezugnahme auf den Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 des Abkommens ist dies zu bejahen, weil diese Bestimmung davon spricht, dass die Zugewinnausgleichsforderung nach Beendigung des Güterstandes vererblich ist, wenn der Güterstand beendet wird und eine Beendigung nach Art. 7 Nr. 1 des Abkommens auch durch den Tod eines Ehegatten eintritt.260 Wesentlich ist, dass dieser güterrechtlichen Rechtstechnik, die die Alternativität von realem Zugewinnausgleich und verstärkter Ehegattenerbquote aufgibt, eine neue Justierung im materiellen Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft zugrunde liegt, die die gleichberechtigte Teilhabe am ehelichen Zugewinn stärker durchsetzt, als dies bisher bei § 1371 BGB der Fall ist.261 Denn der Kerngedanke des Zugewinnausgleichs, dass der überlebende Ehegatte am realen Zugewinnüberschuss gleichberechtigt zu beteiligen ist, weil dieser typischerweise als auf den gleichen Beiträgen beider Ehegatten beruhend angesehen wird,262 ist im Fall der Wahl-Zugewinngemeinschaft insoweit ausgeprägter, als diese Beteiligung sowohl in ihrer positiven (Anspruch des real ausgleichsberechtigten Ehegatten gegen die Erben) als auch in ihrer negativen Richtung (Anspruch der Erben des ausgleichsberechtigten gegen den überlebenden – ausgleichsverpflichteten – Ehegatten) im Todesfall zu realisieren ist.263 Der materiellen Tragweite dieser Rechtstechnik wird man sich in besonders deutlicher Weise bewusst, wenn man sie mit den Erwägungen vergleicht, die in der vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Denkschrift zum Gleichberechtigungsgesetz zum Ausdruck gekommen sind. Auch diese sah im Ausgangspunkt vor, dass der Zugewinnausgleichsanspruch im Moment des Erbfalls als Aktiv- oder Passivposten in den Nachlass des verstorbenen Ehegatten einfließt – je nachdem, ob dieser ausgleichsberechtigt oder -verpflichtet war.264 Der Unterschied zur WahlZugewinngemeinschaft besteht jedoch darin, dass die Denkschrift des Bundesjustizministeriums von diesem Grundsatz der Vererblichkeit der Zugewinnaus259
Dazu s. MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 61. Vgl. Süß, ZErb 2010, 281 (285); Dutta, FamRZ 2011, 1829 (1838); Jünemann, ZEV 2013, 353 (359); Staudinger-Thiele § 1519 Rn. 36; Dusil, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (IV) Rn. 48; kritischer dagegen MünchKomm-Leipold § 1931 Rn. 61 ff. 261 Dutta, FamRZ 2011, 1829 (1838). 262 Dutta, FamRZ 2011, 1829 (1833). 263 Süß, ZErb 2010, 282 (285). 264 Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22: „Wird die Ehe durch den Tod eines Ehegatten aufgelöst, so stehen sich bei der Ausgleichung der überlebende Ehegatte und die Erben des verstorbenen Ehegatten gegenüber. Die Erben rücken auf Grund gesetzlicher oder testamentarischer Erbfolge in die Rechtsstellung des verstorbenen Ehegatten ein. Grundsätzlich muß auch die Ausgleichsforderung vererblich sein. Es müssen z. B. die Erben des Ausgleichsschuldners für dessen Verbindlichkeit haften.“ 260
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gleichsforderung eine Ausnahme in Abhängigkeit von der Verwandtschaftsnähe der Erben zum verstorbenen Ehegatten vorsah. Diese Ausnahme basierte auf der Grundwertung, dass es nicht der Sinn der Zugewinngemeinschaft sei, entferntere Personen über eine geerbte Zugewinnausgleichsforderung an dem ehezeitig erworbenen Gewinn partizipieren zu lassen, sondern diesen Gewinn in erster Linie denjenigen Personen zuzuweisen, die in der konkreten Familiengemeinschaft gelebt haben.265 Zu dieser Gemeinschaft sollten nämlich außer den Ehegatten nur die Kinder, nicht aber andere Verwandte zählen.266 Daher lehnte es die Denkschrift auch ausdrücklich ab, die Eltern der Ehegatten den Kindern gleichzustellen, weil diese nicht in der gleichen Weise wie die letzteren in die Schicksalsgemeinschaft der Familie eingegliedert gewesen seien.267 Der materielle Wertungsschwerpunkt der Denkschrift bestand also darin, dass der überlebende Ehegatte allenfalls den Kindern, aber nicht entfernteren Verwandten oder Fremden gegenüber zur güterrechtlichen Ausgleichung verpflichtet sein soll.268 Wenn demgegenüber die Wahl-Zugewinngemeinschaft dazu führt, dass als Erben des ausgleichsberechtigten Ehegatten auch entferntere Verwandte oder fremde Personen in Betracht kommen und diese mit der Zugewinnausgleichsforderung einen auf gegenseitigen und persönlichen Beiträgen der Ehegatten beruhenden Ausgleichsanspruch erben können, nimmt die eigenständige Bedeutung der Ehe gegenüber den entfernteren erb- und pflichtteilsberechtigten Verwandten aus der Herkunftsfamilie des verstorbenen Ehegatten ab. Im Ergebnis steht – will man auf die Worte Hegels zurückgreifen – das „Vermögensverhältnis der Individuen“ bei konsequenter Durchführung des realen Gleichberechtigungsgedankens dann nicht mehr in einem „wesentlicheren Zusammenhang mit der Ehe als mit der weiteren Blutsverwandtschaft.“269 Indem die Wahl-Zugewinngemeinschaft nämlich die allgemeine Vererblichkeit des Zugewinnausgleichsanspruchs in seiner positiven und negativen Richtung rechtstechnisch ermöglicht, wertet sie im Namen einer realen Teilhabegerechtigkeit den Verwandtenstatus gegenüber dem Ehestatus ipso iure auf.270 Letztlich konnte damit auch im Hinblick auf die Wahl-Zugewinngemeinschaft gezeigt werden, dass hinter der Rechtstechnik dieses vertraglichen Güterstandes eine Verschiebung innerhalb des materiellen Kollisionsverhältnisses zum Ausdruck kommt, die sich ihrerseits auf eine konsequente Betonung der gleichberechtigten Teilhabe der Ehegatten am Zugewinn zurückführen lässt, also insoweit das Wertungsmoment der Gleichberechtigung besonders herausstellt.
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Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22. Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22. 267 Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22. 268 Denkschrift des Bundesjustizministeriums, S. 22. 269 Hegel, § 172 (Zusatz). 270 Zu der ehevertraglichen Möglichkeit von Modifikationen s. Süß, ZErb 2010, 281 (285); Jünemann, ZEV 2013, 353 (359). 266
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Zusammenfassung Gegenstand des zweiten Kapitels war eine entstehungsgeschichtliche Analyse der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts de lege lata, die anhand konkreter rechtstechnischer Wandlungen im Erb- und Güterrecht strukturelle Verschiebungen innerhalb der im ersten Kapitel freigelegten materiellen Wertungsmomente und deren Nachvollzug bei der Auslotung des Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft im Erbfall nachweisen konnte. Dabei gelang es zu zeigen, dass der Ehegatte nicht nur entferntere Aszendenten des Erblassers verdrängte, sondern auch – und dies insbesondere wegen des subjektiven Charakters der Ehe als solidarische Liebes- und Verantwortungsgemeinschaft – im Verhältnis zu den Deszendenten des Erblassers zunehmend bessergestellt wurde. In concreto ließ sich veranschaulichen, dass die Wandlungen in der rechtstechnischen Ausgestaltung des Voraus (§ 1932 BGB) und des Pflichtteilsrechts (§§ 2303, 2311 BGB) durch eine solche subjektivistische Verschiebung der Ehe in die Richtung einer verbindlich verfassten Beistandsgemeinschaft stimuliert worden sind, wohingegen die ursprüngliche Fixierung des Erbteils des Ehegatten neben Abkömmlingen des Erblassers (§ 1931 Abs. 1 BGB) auf einer stärkeren Berücksichtigung der Interessen der Kinder basierte und deren Zentrierung im Familienvermögensrecht insoweit auf eine stärkere Betonung des Wertungsmoments des Familienpotentials zurückgeführt werden kann. Zu unterschiedlich intensiven Verstärkungen des Erb- und Pflichtteils des Ehegatten – auch und gerade im Verhältnis zu Deszendenten – kommt es de lege lata jedoch durch das Güterrecht, in dessen Zentrum das Verfassungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG steht, die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu verwirklichen. Diese Strukturverschiebung weg von der historisch tradierten Vorrangstellung des Ehemannes schlug sich im Zusammenwirken mit den unterschiedlich intensiv akzentuierten Wertungsmomenten des Familienpotentials und der Subjektivierung in rechtstechnischer Hinsicht in der Ausgestaltung des gesetzlichen Güterstandes als Zugewinngemeinschaft nieder. Dieser Güterrechtsausformung lag eine Auslotung des materiellen Kollisionsverhältnisses von Ehe und Verwandtschaft zugrunde, die von der Grundwertung geprägt war, dass dem Ehegatten alternativ ein verstärkter Erbteil ohne Ausgleichsforderung oder die reale Ausgleichsforderung und der Wert des Pflichtteils zukommen soll. Gezeigt werden konnte, dass nicht nur die Entstehung des heutigen Ausgleichsmechanismus nach § 1371 BGB von einer wertenden Gewichtung des miteinander kollidierenden Ehe- und Verwandtenstatus im Erbfall begleitet wurde, sondern dass eine solche Auslotung auch den vertraglichen Güterständen der Gütergemeinschaft (§§ 1482 f. BGB), der Gütertrennung (§§ 1414, 1931 Abs. 4 BGB) und der Wahl-Zugewinngemeinschaft (§ 1519 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 3 des Abkommens vom 4. Februar 2010) zugrunde lag und auch innerhalb dieser Austarierungsprozesse die Wertungsmomente des Familienpotentials, der Subjektivierung und Gleichberechtigung in unterschiedlich starker Intensität Geltung erlangten.
Zusammenfassung
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Dabei bestand die Grundwertung im Fall der Gütergemeinschaft darin, dass zugunsten der gemeinsamen Kinder keine automatische Fortsetzung des Gesamtguts mit dem überlebenden Ehegatten stattfinden soll. Im Fall der Gütertrennung wurde das Kollisionsverhältnis von Ehe und Verwandtschaft dahingehend gewichtet, dass der überlebende Ehegatte nicht weniger bekommen soll als ein oder zwei Kinder. Im Gegensatz zur gesetzlichen Zugewinngemeinschaft findet bei der Wahl-Zugewinngemeinschaft auch im Todesfall ein realer Zugewinnausgleich statt, sodass der überlebende Ehegatte auch Schuldner einer insoweit vererblichen Ausgleichsforderung sein kann und auf der Basis dieser güterrechtlich bereinigten Vermögenslage seinen nicht pauschal verstärkten Erb- beziehungsweise Pflichtteil erhält.
Drittes Kapitel
Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda Das Ziel dieses abschließenden Kapitels ist es, die jüngst vollzogene Expansion des Ehestatus, der nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB nun auch zwei Personen gleichen Geschlechts offensteht,1 kritisch aus dem Blickwinkel des Erbrechts zu untersuchen. Dabei ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass diese Expansion der rechtstechnische Ausdruck einer in materieller Hinsicht starken Subjektivierung im Eherechtsdenken und substantiellen Entkopplung der Ehe von ihrem natürlichen Familienpotential ist mit dem Ziel, die Partner einer gleichgeschlechtlichen Paarbeziehung an den erb- und güterrechtlichen Wirkungen des ursprünglichen Ehestatus gleichberechtigt teilhaben zu lassen.2 Das Anliegen der folgenden Ausführungen besteht nun nicht darin, den bisherigen Abhandlungen über die rechtstechnische Neugestaltung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts weitere formale Reformvorschläge hinzuzufügen.3 Bei den nachstehenden Überlegungen de lege ferenda handelt es sich vielmehr um eine kritische Stellungnahme zu den juristischen Rahmenbedingungen einer solchen rechtstechnischen Expansion des Ehestatus im Erbrecht (§ 5) und ihren materiell-verfassungsrechtlichen Grenzen (§ 6), deren Überzeugungskraft wiederum davon abhängt, ob man mit den paradigmatischen Grundannahmen dieser Arbeit, die hiermit ausdrücklich zur Diskussion gestellt werden, übereinstimmt. 1 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts v. 20.07.2017, BGBl. I, S. 2787, in Kraft getreten am 01.10.2017; vgl. auch BT-Drs. 18/6665 v. 11.11.2015 und 18/12989 v. 28.06.2017; dazu s. Staudinger-Voppel § 1353 Rn. 16a. 2 Dazu s. Auer, Erkenntnisziel, S. 59 f.; dies., AcP 216 (2016), S. 239 (274): „[…] Betonung des Ehegattenerbrechts auf Kosten des Verwandtenerbrechts, hinter der letztlich ebenfalls die aktuelle Tendenz zur Individualisierung und Pluralisierung familiärer Lebensformen bei gleichzeitiger Entkopplung von ihrer Reproduktionsfunktion stehen dürfte.“ Zur verstärkten Subjektivierung im Eherechtsdenken s. bereits Röthel, 68. DJT 2010, Bd. 1, A 51 („vielfach höhere subjektive Qualität der bis zum Tod fortgesetzten Ehe […] verstärkte[ ] Emotionalisierung und Romantisierung der Ehe im Verlauf des letzten Jahrhunderts“). 3 Aus der Fülle an rechtstechnischen Reflexionsversuchen und Reformvorschlägen de lege ferenda seien hier nur die folgenden genannt: Röthel, 68. DJT 2010 Bd. 1, A 52 ff., Coing, 49. DJT 1972 Bd. 1, A 41 ff.; ferner s. Rauscher, Reformfragen Bd. 1, S. 3 ff.; ders., Reformfragen Bd. 2, Teilbd. 1, S. 58 ff.; ders., Reformfragen Bd. 2, Teilbd. 2, S. 17 ff. jeweils m. w. N.; ferner s. Bärmann, AcP 157 (1957), S. 145 (181 ff.); Müller-Freienfels, JZ 1957, 685 ff.; Steffen, DRiZ 1972, 263 ff.; Jung, FamRZ 1976, 134 (136 f.); Firsching, JZ 1972, 449 (455); Lange, NJW 1957, 1381 ff.; Stöcker, FamRZ 1970, 444 ff.; Bosch, FamRZ 1983, 227 ff.; Strätz, FamRZ 1998, 1553 (1556 ff.); Dutta, in: FS Martiny, S. 67 (82 ff.); Horn, NZFam 2016, 539 ff.
§ 5 Die Expansion des Ehestatus im Erbrecht
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§ 5 Die Expansion des Ehestatus im Erbrecht Gegenstand dieses Abschnitts ist die rechtstechnische Expansion des Ehestatus nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB im Erbrecht. Das Anliegen der nachstehenden Ausführungen besteht darin, das dem Aufstieg des Ehegatten im Erbrecht zugrunde liegende Wertungsmoment des Familienpotentials mit der Öffnung des Ehebegriffs zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare zu konfrontieren und aus dieser Gegenüberstellung heraus die rechtstechnischen Perspektiven des Ehegattenerbrechts de lege ferenda zu skizzieren.
I. Die geöffnete Ehe im Erbrechtsdenken: Solidarität statt Familienpotential Dabei ist in einem ersten Schritt zu untersuchen, wie ein Erbrecht des gleichgeschlechtlichen Ehepartners in Anbetracht seiner bisherigen ideengeschichtlichen Entfaltung überhaupt hergeleitet werden kann. Gerechtfertigt werden konnte die Zurücksetzung der entfernteren Verwandten zugunsten des überlebenden Ehegatten jedenfalls auch mit dem Wertungsmoment des Familienpotentials, dass die sich aus der Ehe entfaltende, eigene Familie „ein für sich Selbständiges gegen die Stämme oder Häuser ist, von denen sie ausgegangen ist.“4 Begründbar war der Eigenwert der Ehe im Erbrecht also neben der Betonung ihres subjektiven Charakters als gegenseitige und gleichberechtigte Verantwortungsgemeinschaft mit ihrem Potential, Ausgangspunkt einer neuen Generation zu sein, sodass die Erbfolge „daher einen wesentlicheren Zusammenhang mit der Ehe als mit der weiteren Blutsverwandtschaft haben [muss].“5 Man wird keine Probleme haben, ein Erbrecht des gleichgeschlechtlichen Ehegatten auf das Wertungsmoment des Familienpotentials zu stützen, wenn man bereit ist, die Partner einer gleichgeschlechtlichen Paarbeziehung etwa auf die Möglichkeit einer Adoption zu verweisen und die in diesen Partnerschaften faktisch leistbare Erziehung von Kindern ausreichen lässt.6 Demgegenüber 4
Hegel, § 172 (Hervorhebungen im Original). Hegel, § 172 (Zusatz). 6 In diese Richtung bereits BVerfG, Beschluss vom 07.05.2013 – 2 BvR 909, 1981/06, 288/ 07 = BVerfGE 133, 377 (414 f., 422): „[…] Voraussetzung für die Begründung von Elternschaft zu sein […] und taugliche Grundlage einer Familie […] Auszublenden, dass auch in Lebenspartnerschaften Kinder aufwachsen, liefe auf eine mittelbare Diskriminierung gerade wegen der sexuellen Orientierung der Partner hinaus.“ Zu den Möglichkeiten einer Familiengründung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften s. beispielsweise https://www.familyship.org/ (zuletzt abgerufen am 24.03.2020). Kritisch Ipsen, NVwZ 2017, 1096 (1098 f.): „Vielfach ist vorgebracht worden, dass Paare gleichen Geschlechts Kinder adoptieren und deshalb ebenso wie verschiedengeschlechtliche Partner eine Familie gründen könnten. […] Zur Adoption freigegebene Kinder müssen jedoch bereits in einer – anderen – Familie geboren sein. Hierin besteht der nach wie vor nicht zu leugnende Unterschied zwischen Ehen, die von Partnern verschiedenen und solchen, die von Partnern gleichen Geschlechts geschlossen 5
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
kann man aber auch darauf hinweisen, dass nach dem derzeitigen Stand aus einer gleichgeschlechtlichen Beziehung keine gemeinsamen Kinder hervorgehen können und sich die verschiedengeschlechtliche Ehe wegen ihres natürlichen Familienpotentials insoweit von ihrer gleichgeschlechtlichen Alternative unterscheidet.7 Schließt man sich der letzteren Sichtweise an, so erhebt sich die Frage, wie das Erbrecht des gleichgeschlechtlichen Ehepartners, in dem Erbteil, Voraus und Pflichtteil des Lebenspartners nach § 10 LPartG nun strukturanalog aufgegangen sind,8 im Verhältnis zu den Verwandten des Erblassers begründet werden kann. Denkmöglich wird die Integration des gleichgeschlechtlichen Ehepartners in die Erbfolge neben den Verwandten des Erblassers, sobald man dem Erbrecht die primäre Funktion zugewiesen hat, lebzeitige Nähebeziehungen des Erblassers, in denen die Beteiligten durch wechselseitige Beiträge füreinander einstehen, zu stärken und man die Ehe primär als eine solche erbrechtlich relevante Nähe- und Verantwortungsgemeinschaft versteht.9 Das Erbrecht muss also denknotwendig die Aufgabe übernehmen, schwerpunktmäßig die lebzeitigen Einstands- und Verantwortungsgemeinschaften des Erblassers über dessen Tod hinaus nachwirken zu lassen, das durch diesen Anreiz der Nachwirkung wiederum auf deren wechselseitig altruistische Ausgestaltung zu Lebzeiten stabilisierend vorwirken kann.10 Bei dieser funktionalen Betrachtung wird die Etablierung des Ehegatten im Erbrecht nämlich gerade nicht auf das mit der Ehe verbundene „Aufgeben der vorigen Familienverhältnisse“ und auf die durch die Ehe mögliche „Stiftung einer neuen selbständigen Familie“ begründend zurückgeführt.11 Es wird nicht gefragt, warum, sondern wozu es ein Erbrecht des Ehegatten geben kann und der Zweck des Ehegattenerbrechts wird in diesem Kontext darin erblickt, die in lebzeitigen Näheverhältnissen zum Erblasser
werden; nur Ersteren ist das Fortpflanzungspotenzial zu eigen.“ Zu den weiteren Möglichkeiten der Familiengründung durch Leihmutterschaft und Fremdeizellspende s. Hillgruber, JZ 2020, 12 ff.; ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (180). 7 In dieser anfänglichen Unmöglichkeit eines gemeinsamen Kindes liegt auch ein wesentlicher Unterschied zur kinderlos gebliebenen verschiedengeschlechtlichen Ehe, bei der sich die prinzipiell mögliche Gründung einer eigenen Familie – vom Erbfall aus zurückblickend – erst nachträglich nicht verwirklicht hat; so bereits auch BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010 – 1 BvR 611/07 = BVerfGE 126, 400 (427) = NJW 2010, 2783 ff.: „In ihrer Eignung als Ausgangspunkt der Generationenfolge unterscheidet sich die Ehe grundsätzlich von der Lebenspartnerschaft. Da die Lebenspartnerschaft auf gleichgeschlechtliche Paare begrenzt ist, können aus einer solchen Beziehung grundsätzlich keine gemeinsamen Kinder hervorgehen. Demgegenüber ist die Ehe als Verbindung verschiedengeschlechtlicher Partner möglicher Ursprung einer eigenen Generationenfolge.“ Ferner s. Ipsen, NVwZ 2017, 1096 ff. 8 Für das Erbrecht des Lebenspartners nach § 10 LPartG gelten die hier angestellten kritischen Überlegungen zum erbrechtlichen Volumen (§§ 1931, 1932, 2303 BGB) des gleichgeschlechtlichen Ehepartners nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB entsprechend. 9 Dutta, S. 385 ff. 10 Dutta, S. 385, 393, 398 ff. (Nachwirkung), 406 ff. (Vorwirkung); ders., AcP 216 (2016), S. 609 (612). 11 Hegel, § 178.
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verwirklichte Solidarität zu würdigen und anzuerkennen.12 Die Ausgestaltung des Erbrechts wird dadurch zu einer Folie der unterschiedlich gewichteten vertikalen Nähebeziehungen des Erblassers zu seinen Verwandten gegenüber der horizontalen Verantwortungsgemeinschaft mit seinem Ehegatten.13 Im Ergebnis verzichtet man bei dieser Integration einer gleichgeschlechtlichen Ehe in ein solch funktionales Erbrechtskonzept also auf das Wertungsmoment des natürlichen Familienpotentials der Ehe und konstruiert diese primär als eine solidarische Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft. Ausgehend von diesem rein subjektiven Wertungsstandpunkt im Eherechtsdenken lassen sich konsequenterweise keine Denkblockaden hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Verantwortungsgemeinschaften als Eheformen mehr aufrechterhalten, sodass auf dieser Basis einer entsprechenden Expansion des Ehestatus und seiner Eingliederung in ein Solidaritätsleistungen anerkennendes Erbrecht nichts im Wege steht.14 Im Gegenteil: Aus dem Blickwinkel eines solchen funktionalen Erbrechts12 Dazu s. Dutta, S. 3 ff. („Erfordernis eines funktionalen Erbrechtsverständnisses“), S. 385 ff. („Solidarität durch Erbrecht“); ders., AcP 216 (2016), S. 609 (610 ff.). 13 Dutta, S. 449. 14 Nimmt man diese Subjektivierung im Eherechtsdenken ernst, dann ist es von einem kontraktualistischen Standpunkt aus konsequent, Öffnungs- und Gleichstellungstendenzen nicht nur zugunsten gleichgeschlechtlicher, sondern auch zugunsten mehrpoliger, zeitlich und sachlich befristeter Paarbeziehungsformen als mögliche Arten einer Ehe in Rechnung zu stellen; dazu s. Holler, ZJS 2019, 173 (178). Zur kontraktualistischen Konzeption der Ehe aus privatrechtstheoretischer Sicht s. Auer, AcP 216 (2016), 239 (259 ff., 264); dies., Erkenntnisziel, S. 59 f. („Vertragsprinzip als Grundlage des Eheschlusses“); dazu s. paradigmatisch Kant, S. 277: „[Ehe ist] die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften.“ Neben dem Wesensmerkmal ihrer Verschiedengeschlechtlichkeit beinhaltet Kants Eheverständnis die Eigenschaft der Monogamie, vgl. S. 278: „[D]enn in einer Polygamie gewinnt die Person, die sich weggiebt, nur einen Theil desjenigen, dem sie ganz anheim fällt, und macht sich also zur bloßen Sache.“ Aus diesem Grund ergibt sich für Kant auch, dass „der Concubinat keines zu Recht beständigen Contracts fähig sei, so wenig als die Verdingung einer Person zum einmaligen Genuß (pactum fornicationis).“ (Hervorhebung im Original). Gerade die vorausgesetzten Grenzen in Kants Ehebegriff – Verschiedengeschlechtlichkeit, Monogamie und Dauerhaftigkeit – zeigen, dass er seinerseits die Ehe nicht konsequent individualistisch formulieren kann und man ihn insoweit für eine „radikal subjektivrechtliche[ ] Lesart von Ehe und Familie“ nicht vereinnahmen sollte; dazu vgl. Auer, AcP 216 (2016), S. 239 (263 f.); dies., in: Grünberger/Jansen (Hrsg.), S. 98 (104). Zur Einbeziehung neuer Lebensformen in den Ehebegriff s. Dethloff, in: FS Schwenzer, S. 409 (425): „Die Definition von Ehe und Familie muss heute grundsätzlich von Toleranz gegenüber unterschiedlichen gelebten Paar- und Familienformen geprägt sein und diesen rechtlichen Schutz zuerkennen. […] Es [! das Familienrecht] darf die sich wandelnden Familienformen, und dazu gehören auch polygame Lebensformen, nicht ignorieren, wenn es seine Schutzfunktion erfüllen soll.“; A. Roth, FamRZ 2017, 1017 (1022) („Verdrängung des institutionellen Ehedenkens“); Ramm, JZ 1975, 505 (512) („individualistische Umstrukturierung der Ehe“). Kritisch zu einer solchen „Konzeption der Familie nur oder hauptsächlich aus den Persönlichkeitsrechten ihrer Mitglieder“ s. Schwab, FamRZ 1995, 513 (516 ff.) („verengt den Blick“); zur „Autonomie im Familienrecht der Gegenwart“ s. Röthel, JZ 2017, 116 ff. In diese Richtung auch Pawlowski, in: Barnstedt et al. (Hrsg.), S. 16 (32); Windel, in: Barnstedt et al. (Hrsg.), S. 45 (51) („punktuelle Angleichung“); differenzierend s. Brudermüller, Paarbezie-
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
denkens besteht die Aufgabe einer modernen Erbrechtswissenschaft darin, horizontale Solidaritätsbeziehungen zu identifizieren und diese auf ihre erbrechtstechnische Anschlussfähigkeit hin zu evaluieren.15 Nähert man sich dabei dem Begriff der erbrechtlichen Solidarität über die dazu bisher hervorgebrachten Reflexionsversuche, so kann man im Anschluss an Anne Röthel zwischen einer rein faktischen und einer als Rechtspflicht verfassten – normativen – Solidarität unterscheiden.16 Ihr zufolge ist diesen beiden Solidaritätskonzepten eine „gemeinschaftsstiftende Verbundenheit verschiedener Personen“ gemein, die sich auf unterschiedliche Arten manifestiere.17 Faktische Solidarität meine dabei ein tatsächlich gelebtes Füreinander-Einstehen und ein praktisch verwirklichtes Zusammenhalten unabhängig von rechtlichen Einstandspflichten.18 Dagegen sei normative Solidarität gerade als das Resultat derart gesollter Einstandspflichten und Ausdruck rechtlich begründeter Vorgaben zu verstehen.19
II. Erbrechtliche Solidarität im Spiegel der Rechtstechnik: Statusbasierung Auf dem Boden dieser Weichenstellung ist in einem zweiten Schritt der Frage nachzugehen, wie sich eine Anknüpfung von erbrechtlichen Elementen an diese beiden Solidaritätsformen rechtstechnisch realisieren kann. Aufschluss geben kann dabei ein Blick in die rechtsvergleichende Breite.20 hungen, S. 40 ff., 58 ff. (gleichgeschlechtliche Beziehung); S. 50 ff., 76 f., 199, 218 ff. (Polygamie); S. 45 ff., 68 ff., 225 ff. (plurale und alternative Paarbeziehungsformen). 15 Dutta, S. 456 f. („,Neue‘ Statusverhältnisse“), S. 458 ff. („Rein faktische Nähebeziehungen“); Holler, ZJS 2019, 173 (175 ff., 178). 16 Zu dieser der folgenden Untersuchung zugrunde gelegten Unterscheidung s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (86); zur Solidarität als Funktion des Erbrechts s. Dutta, S. 385 ff.; ferner s. Bayertz, in: Orsi et al. (Hrsg.), S. 9 ff.; Pankoke, in: Orsi et al. (Hrsg.), S. 81 ff. Zu den verschiedenen Reflexionen über das Verhältnis von Solidarität und Familienund Erbrecht s. Jung, in: FS Rechtswissenschaft Gießen, S. 181 (188 ff.); Brudermüller, Ehegattenunterhalt, S. 94 ff.; Schweitzer, in: Gabriel/Herlth/Strohmeier (Hrsg.), S. 29 ff.; Lüscher, in: Gabriel/Herlth/Strohmeier (Hrsg.), S. 59 ff.; Huinink, in: Gabriel/Herlth/Strohmeier (Hrsg.), S. 79 ff.; Schulze/Künzler, in: Gabriel/Herlth/Strohmeier (Hrsg.), S. 91 ff.; Hurrelmann/Schnabel, in: Gabriel/Herlth/Strohmeier (Hrsg.), S. 107 ff.; Gros, in: Gabriel/ Herlth/Strohmeier (Hrsg.), S. 135 ff. Zur Solidarität als Thema des Verfassungs- und Europarechts s. Volkmann, S. 1 ff., 52 ff., 217 ff., 407 ff.; Gussone, S. 52 ff., 110 ff., 169 ff.; Grimm, S. 38 ff., 50 f., 57; („Recht als Pflichtenordnung“); Hieronymi, S. 6 ff., passim.; Müller, in: Sedmak (Hrsg.), S. 77 ff.; Wydra, in: Sedmak (Hrsg.), S. 105 ff.; Wallacher/Müller, in: Sedmak (Hrsg.), S. 121 ff. 17 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (86) (Hervorhebung im Original); ferner s. Wildt, in: Orsi et al. (Hrsg.), S. 37 ff.; Metz, in: Orsi et al. (Hrsg.), S. 17 ff.; Hieronymi, S. 6 ff. 18 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (86). 19 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (86 f.). 20 E. A. Kramer, RabelsZ 33 (1969), S. 1 (8): „Daß keine vernünftige Gesetzgebung einschlägige Lösungen in Rechtsordnungen anderer Staaten unbeachtet lassen kann, ist eine
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1. Die Identifikation erbrechtsrelevanter Solidaritätsverhältnisse Aus einer vergleichenden Perspektive fällt die rechtsordnungsübergreifende Unterscheidung ins Auge, dass Rechtspositionen im Erbfall entweder an Paarbeziehungen geknüpft werden, die als familienrechtliche Statusverhältnisse mit wechselseitiger Verbindlichkeit im Sinne normativer Solidarität von der Rechtsordnung ausgestaltet sind oder an Realbeziehungen, die im Sinne faktischer, also real praktizierter Solidarität gerade keine solche rechtliche Verantwortlichkeit beinhalten. Das Abgrenzungskriterium zwischen diesen beiden Solidaritätsformen besteht somit darin, ob die Paarbeziehung in rechtstechnischer Hinsicht als familienrechtliches Statusverhältnis ausgestaltet ist.21 a) Statusverhältnisse: Normative Solidarität Bei der Identifikation von erbrechtsaktivierenden horizontalen Statusverhältnissen stellt man fest, dass der Ehestatus in seiner Binnenstruktur bereits in mehreren Rechtsordnungen auf gleichgeschlechtliche Paarbeziehungsformen ausgedehnt wurde, wobei diesem Schritt überwiegend die Ausformung eines separaten Statusverhältnisses jenseits der zuvor nur verschiedengeschlechtlich konzipierten Ehe vorausging.22 Bei diesen vormaligen noch nicht als Ehe ausgeformten Statusverhältnissen – den eingetragenen bzw. registrierten Partnerschaften – lässt sich im Anschluss an Anatol Dutta danach differenzieren, ob man diese als Ersatz oder als Alternative zur Ehe angelegt und im Vergleich zum Ehegattenerbrecht strukturanalog oder eigenständig ausgeformt hat.23
Binsenweisheit, der sich die Gesetzgebungspraxis seit altersher nicht verschließen konnte.“ Ferner s. Posch, in: Schäffer (Hrsg.), S. 165 (171) (Diskussionsbeitrag): „[Wir] müssen den Gesetzgebungsprozeß bei der rechtsvergleichenden Fragestellung im Auge behalten, wenn die Rechtsvergleichung nach wie vor ihre Bedeutung und ihren praktischen Wert überhaupt besitzen soll.“ Ferner s. Zweigert, in: FS Bötticher, S. 443 (449) („dem Gemeinverständnis allmählich nähern, daß rechtswissenschaftliche Arbeit ohne vertikale und horizontale Rechtsvergleichung unwissenschaftlich ist.“); dazu s. Holler, ZJS 2018, 503 (508 ff.). 21 Zum heutigen Verständnis des familienrechtlichen Statusbegriffs als Modell der personalen Binnenkoordination s. Röthel, StAZ 2006, 34 (41); Muscheler, StAZ 2006, 189 (197) („ein von der Wissenschaft nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu bildender Begriff“); dazu s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (107) (Fn. 106); Kriewald, S. 29; Windel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 1 (10 f.); Muscheler, Familienrecht, Rn. 95 ff. Zur ideengeschichtlichen Entfaltung des familienrechtlichen Statusbegriffs s. Savigny, System Bd. 1, § 54 lit. e, S. 350 („jedes Familienverhältnis eines Menschen […] sein Daseyn im Verhältniß zu bestimmten anderen Menschen“); § 59, S. 400 f.; ders., System Bd. 2, Beylage VI, S. 454, 458, 460; ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 ff. 22 Dazu s. umfassend Coester-Waltjen, S. 10 ff., 29 ff., 68 ff., 73 ff., 97 ff., 104 ff.; dies., ZEuP 2018, 320 (323); Boele-Woelki, RabelsZ 82 (2018), S. 1 (23 f.); Dethloff, NJW 2018, 23 (25 f.); Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (620 ff.). 23 Zu dieser der folgenden Untersuchung zugrunde gelegten Analyse rechtsvergleichender Entwicklungen s. umfassend Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (620 ff.).
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Soweit eine Rechtsordnung ein Paarbeziehungsregime als Ersatz für die Ehe vorsieht, basiere dies Dutta zufolge zumeist auf der gesellschaftspolitisch verweigerten Anerkennung dieser Paarbeziehung als Ehe, wobei man an diesen die Ehe substituierenden Status dann überwiegend eine strukturanaloge Kopie der erbrechtlichen Elemente des Ehegattenerbrechts knüpfe.24 Dieses Muster findet sich etwa im Schweizer Recht, das vorsieht, dass gleichgeschlechtliche Paare eine registrierte Partnerschaft eingehen können und das den überlebenden Partner dem überlebenden Ehegatten in erbrechtlicher Hinsicht weitgehend gleichstellt.25 So beläuft sich die dem Ehegatten und explizit auch dem eingetragenen Partner zustehende Erbquote auf die Hälfte des Nachlasses, wenn er mit Angehörigen der ersten Parentel konkurriert26 und wächst auf 3/4 des Nachlasses an, wenn er mit Personen der zweiten Parentel zusammentrifft,27 wohingegen er sich im Verhältnis zu Angehörigen ab der dritten Parentel gänzlich durchsetzt.28 Der jeweilige Erbteil ist für den Ehegatten und eingetragenen Partner im hälftigen Umfang pflichtteilsgeschützt,29 während der Pflichtteil der Nachkommen des Erblassers in Höhe von 3/4 des gesetzlichen Erbteils besteht.30 24
Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (623 f.). Dazu s. Coester-Waltjen, S. 107 f., 109; dies., ZEuP 2018, 320 (323). 26 Art. 462 Ziff. 1 ZGB. 27 Art. 462 Ziff. 2 ZGB. 28 Art. 462 Ziff. 3 ZGB. 29 Art. 471 Ziff. 3 ZGB. 30 Art. 471 Ziff. 1 ZGB. Zum Schweizer Recht s. umfassend Wolf/Dorjee-Good, in: Süß (Hrsg.), Rn. 65, 94 ff. Neben den Abkömmlingen und dem Ehegatten ist auch der Erbteil der Eltern des Erblassers im hälftigen Umfang pflichtteilsgeschützt (Art. 471 Ziff. 2 ZGB). Daneben erlaubt Art. 473 ZGB eine besondere Berücksichtigung des überlebenden Ehegatten. So kann der Erblasser dem überlebenden Ehegatten durch Verfügung von Todes wegen gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutznießung an dem ganzen ihnen zufallenden Teil der Erbschaft zuwenden. Diese Nutznießung tritt an die Stelle des dem Ehegatten neben diesen Nachkommen zustehenden gesetzlichen Erbrechts. Neben dieser Nutznießung beträgt der verfügbare Teil ein Viertel des Nachlasses; ferner s. Wolf/Brefin, in: Süß/Ring (Hrsg.), Länderbericht Schweiz, Rn. 68. Diese Erbquoten stehen dem Ehegatten und eingetragenen Partner an dem zuvor güterrechtlich abzuwickelnden Nachlass zu (Art. 462 ZGB): „Die güterrechtliche Auseinandersetzung ist die Grundlage der erbrechtlichen und hat dieser daher stets vorauszugehen.“ Dazu s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (59); Wolf/Brefin, in: Süß/Ring (Hrsg.), Länderbericht Schweiz, Rn. 25, 105 ff.; Wolf/Dorjee-Good, in: Süß (Hrsg.), Rn. 134 ff. Die Ehegatten unterstehen nach Art. 181 ZGB dem gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung, der sich unabhängig vom Grund, der zu seiner Auflösung geführt hat, in der Weise auseinandersetzt, dass nach Art. 205 ZGB Vermögenswerte zurückgenommen und Schulden geregelt, nach Art. 206 ZGB die Anteile der Ehegatten am Mehrwert ermittelt und nach Art. 207 ff. ZGB der Vorschlag jedes Ehegatten berechnet wird; dazu s. Wolf/Brefin, in: Süß/Ring (Hrsg.), Länderbericht Schweiz, Rn. 105 ff. Damit der überlebende Ehegatte seinen bisherigen Lebensstand beibehalten kann, ermöglicht es ihm die Bestimmung des Art. 219 ZGB, dass ihm zusätzlich der Hausrat und das eheliche Heim zur Nutznießung oder ein entsprechendes Wohnrecht auf Antrag zugewiesen werden können. Nach Art. 612a ZGB kann der überlebende Ehegatte, soweit sich die Ehewohnung oder Haushaltsgegenstände in der Erbmasse befinden, verlangen, dass ihm das Eigentum daran auf Anrechnung zugeteilt wird; zum 25
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Formt ein Gesetzgeber jedoch ein familienrechtliches Statusverhältnis als Alternative zur Ehe für diejenigen Paare aus, die rechtlich eine Ehe schließen könnten, so lässt sich weiter mit Dutta danach differenzieren, ob diese neuen Statusverhältnisse unter dem Gesichtspunkt des Erbrechts ehegleich oder eigenständig ausgestaltet sind.31 Trägt man einige der in erbrechtlicher Hinsicht ehegleich ausgestalteten Alternativmodelle zusammen,32 dann wird der Grund für diese strukturanaloge Kopie des Ehegattenerbrechts für eingetragene Partnerschaften darin gesehen, dass diese Statusverhältnisse ursprünglich für gleichgeschlechtliche Partnerschaften ein funktionales Äquivalent zur Ehe darstellen sollten, diese aber nach der Öffnung der Ehe beibehalten und nun ihrerseits für verschiedengeschlechtliche Paare geöffnet wurden, um diese nicht zu diskriminieren.33 Lässt eine Rechtsordnung – wie beispielsweise die deutsche34 – dieses nach der Öffnung der Ehe ausgediente Ersatzregime jedoch nicht mehr zu, dann kann der Gesetzgeber in echter Konkurrenz zur Ehe ein eigenständiges Alternativregime ausgestalten. Rechtsvergleichende Paradigmen solch alternativer Paarbeziehungsformen sind die cohabitation légale in Belgien35 und der pacte civil de solidarité (PACS) in Frankreich,36 die dem überlebenden Partner jeweils nur ein Nutzungsrecht an der Wohnung zuweisen, das ihm der Erblasser jedoch einseitig entziehen kann, sodass den überlebenden Partnern in erbrechtlicher Hinsicht weniger zugebilligt wird als den überlebenden Ehegatten.
Vergleich dieser Bestimmung mit dem Voraus nach deutschem (§ 1932 BGB) und österreichischem (§ 745 ABGB) Vorbild s. Lichtinger, 153 ff., 93 ff. Auch Art. 612a ZGB gilt für den eingetragenen Partner sinngemäß, wohingegen sich Art. 219 ZGB ausschließlich auf den Ehegatten bezieht und auch im Güterrecht verschiedene Unterschiede zwischen Ehegatten und eingetragenen Partnern bestehen; dazu s. Wolf/Dorjee-Good, in: Süß (Hrsg.), Rn. 65 ff., 94 ff., 151 ff. 31 Dazu s. grundlegend Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (626 ff.). 32 Dazu s. grundlegend Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (626 f.) m. w. N. 33 Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (629). Allerdings bieten nach Öffnung der Ehe einige Rechtsordnungen, die die eingetragene Partnerschaft auf gleichgeschlechtliche Paare beschränken, diese weiterhin als Alternative nur für gleichgeschlechtliche Paare an. So haben etwa in England und Wales gleichgeschlechtliche Paare eine größere Auswahl an familienrechtlichen Statusverhältnissen als verschiedengeschlechtliche Paare; dazu s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (625); Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (72 ff.); Odersky, in: Süß/Ring (Hrsg.), Rn. 104; ders., in: Süß (Hrsg.), Rn. 31 ff. 34 Nach Art. 3 Abs. 3 des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts können in Deutschland Lebenspartnerschaften ab Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht mehr begründet werden. 35 Dazu s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (629, 631); ferner s. Hustedt, in: Süß (Hrsg.), Rn. 48. 36 Dazu s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (629, 631); ferner s. Hoischen, S. 187 ff.; Döbereiner, in: Süß/Ring (Hrsg.), Rn. 247.
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b) Realbeziehungen: Faktische Solidarität Bei den Rechtsordnungen, die den überlebenden Partner einer faktischen Paarbeziehung einem überlebenden Ehegatten hinsichtlich des Erb-37 und Pflichtteils38 gleichstellen, fällt wiederum mit Dutta auf, dass diese nicht ohne rechtstechnische Anleihen am Ehestatus auskommen, um die tatbestandlichen Anforderungen an eine faktische Paarbeziehung festzulegen.39 Dahinter stehe die Überlegung, dass man die Vorschriften zur Eheschließung, insbesondere zu Ehehindernissen, nicht durch das Eingehen einer erbrechtlich gleichgestellten faktischen Paarbeziehung umgehen können soll.40 Demgegenüber ist bei Rechtsordnungen, die die erbrechtlichen Beziehungen der Partner eigenständig regeln, mit Dutta festzustellen, dass diese Bestimmungen tendenziell hinter den an das Eheregime gekoppelten erbrechtlichen Elementen zurückbleiben.41 So sehen das irische und schottische Recht vor, dass der überlebende Partner im Fall der gesetzlichen Erbfolge eine Beteiligung am Nachlass nur gerichtlich beantragen kann.42 Im ukrainischen Erbrecht ist der überlebende Partner Erbe der vierten Ordnung und kommt erst dann zum Zug, wenn Kinder, Ehegatte und Eltern nicht vorhanden sind.43 Nach italienischem Recht wird der überlebende Partner lediglich durch ein befristetes Wohnrecht abgesichert.44 In Österreich ist für den Fall, dass kein gesetzlicher Erbe vorhanden ist, ein außerordentliches Erbrecht des faktischen Lebensgefährten vorgesehen.45 Die Aktivierung dieses gesetzlichen Erbteils setzt voraus, dass der nichteheliche Lebensgefährte mit dem Verstorbenen zumindest in den letzten drei Jahren vor dem Erbfall in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat, wobei ein gemeinsamer Haushalt nicht erforderlich ist, wenn der Führung eines solchen erhebliche Gründe, etwa gesundheitlicher oder beruflicher Art, entgegenstanden, ansonsten aber eine für Lebensgefährten typische besondere Verbundenheit bestand.46 Auch mit Blick auf das Pflichtteilsrecht steht der überlebende Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft schlechter. So erhalte dieser Dutta zufolge vereinzelt eine gewisse Mindestteilhabe am Nachlass, die ihm vom Erblasser 37
Zum Erbteil s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (646) m. w. N. Zum Pflichtteil s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (646) m. w. N. 39 Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (646, 638). 40 Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (646 f.). 41 Dazu s. grundlegend Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (647 f., 650 ff.). 42 Sec. 194 irisch. Civil Partnership and Certain Rights and Obligations of Cohabitants Act; Sec. 29 Familiy Law (Scotland) Act 2006; zitiert nach Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (650). 43 Art. 1264 ukrain. Kodeks cywilny; zitiert nach Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (650); ferner s. Süß, in: ders. (Hrsg.), Rn. 9. 44 Art. 1 Abs. 42 ital. Legge delle unioni civili tra persone dello stesso sesso e disciplina delle convivenze; zitiert nach Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (651). 45 § 748 ABGB. 46 Zu dieser Neuerung im österreichischen Recht s. Steiner, ZEV 2016, 131 ff.; MaurerStroh/Roglmeier, ZErb 2017, 10 ff. 38
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nicht einseitig durch eine letztwillige Verfügung entzogen werden kann, die in ihrem Umfang aber hinter dem Pflichtteil eines Ehegatten zurückbleibt.47 Eine besondere Entwicklung zeichnet sich in Brasilien ab, die man als einen besonders deutlichen Ausdruck der Emanzipation des Ehegattenerbrechts vom Ehestatus zugunsten des überlebenden Partners einer faktischen Lebensgemeinschaft deuten kann.48 Ausgangspunkt dieses Prozesses war, dass der überlebende Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Unterschied zum Ehegatten nicht nur mit Abkömmlingen und Vorfahren, sondern auch mit Seitenverwandten des Erblassers konkurrierte und nur an dem Teil des Nachlasses partizipierte, der während der Lebensgemeinschaft entgeltlich erworben wurde.49 Diese Ungleichbehandlung wurde für verfassungswidrig erklärt, weil die bisherige Rechtsgestaltung die nichteheliche Lebensgemeinschaft innerhalb des gesetzlichen Erbrechts gegenüber der Ehe diskriminiere.50 2. Die Integration von Solidaritätsverhältnissen in die Erbrechtstechnik Im Anschluss an diese rechtsvergleichende Umschau stellt sich die Frage, welchen Ertrag das Aufdecken solch rechtsordnungsübergreifender Tendenzen zur Expansion des erbrechtsaktivierenden Ehestatus, zur Vervielfältigung der familienrechtlichen Statusverhältnisse und zur gänzlichen Emanzipation erbrechtlicher Elemente von Statusbeziehungen für die künftige Entwicklung des deutschen Ehegattenerbrechts hervorbringen kann.51 Bisher ist ein solcher Blick ins Ausland in mehreren familien- und erbrechtsvergleichenden Arbeiten52 „zum weithin selbst47 Dazu s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (651 f.) m. w. N. Demgegenüber ist festzuhalten, dass auch mehreren Rechtsordnungen beim Pflichtteil nicht mehr die „nackte Statusbeziehung“ zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem ausreicht. Dazu s. Dutta, S. 433: „Vielmehr werden immer wieder zusätzliche Voraussetzungen für eine zwingende Nachlassbeteiligung aufgestellt und damit der Pflichtteil in seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen ausdifferenziert.“ 48 Dazu s. Holler, ZJS 2019, 173 (176 ff.). 49 Dazu s. Schmidt, FamRZ 2017, 1117 ff.; Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (650); Holler, ZJS 2019, 173 (176). 50 Dazu s. Schmidt, FamRZ 2017, 1117 (1118) m. w. N. Ferner s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (650); Holler, ZJS 2019, 173 (176). 51 Zu diesen Entwicklungstendenzen s. auch Dethloff, NJW 2018, 23 (24 ff.). 52 Aus der Fülle an rechtsvergleichenden Forschungsarbeiten zur erbrechtlichen Integration des Ehegatten seien insoweit genannt: Rauscher, Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 1, S. 1 – 57; ders., Bd. 2 Teilbd. 2, S. 1 – 87; Dutta, S. 385 ff.; ders., AcP 216 (2016), S. 609 (612 f., 617 ff.); Hoischen, S. 45 ff., 159 ff., 261 ff.; Hering, S. 5 ff., 11 ff., 61 ff.; dazu s. Fleischhauer, MittRhNotK 2000, 225 ff. Zum expliziten Ziel einer rechtsvergleichenden Arbeit, „die Stellung des überlebenden Ehegatten in der BRD auf die Notwendigkeit einer Neuordnung hin zu untersuchen“ s. Schermutzki, S. 261 ff. (Vorschläge de lege ferenda); Schwefer, S. 40 ff.; Beier, S. 383 ff. („Europäisierung des internationalen Güter- und Erbrechts“); dazu s. Schmidt, FamRZ 2017, 1117 ff.; ferner s. Lichtinger, S. 220 ff. (Vorschlag für den deutschen Gesetzgeber zum Voraus); Bonfils, S. 105 ff.; Bachmann, S. 3 ff., 13 ff., 33 ff., 140 ff.; Saggel,
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verständlichen Argument avanciert, um Reformbedarf und Entwicklungsrichtungen zu bezeichnen“ und zur Schablone geworden für „ein Bild von einem internationalen Entwicklungsstandard, hinter dem das deutsche Familienrecht zurückbleibt“ und der Anschluss an internationale Standards verloren zu gehen droht.53 Im Stil einer solchen Arbeitsweise würde ein rechtsvergleichender Fingerzeig also dazu dienen, eine Collage ausländischer Regelungsmodelle als Reservoir von Ideen zu lesen, diese als Inspiration für den Gesetzgeber fruchtbar zu machen und auf dieser Basis die Richtung der weiteren Rechtsentwicklung auszuloten.54 Im Ergebnis würde der S. 101 ff. Insoweit dürfte die Erforschung des Ehegattenerbrechts aus dem seiner kulturellen Prägung zugeschriebenen „Schattendasein“ heraus getreten sein; dazu s. Zimmermann, in: Zimmermann (Hrsg.), S. 1 (3); ders., JZ 2016, 321 (322); ders., RabelsZ 80 (2016), S. 39 (49); kritischer dagegen s. E. A. Kramer, RabelsZ 72 (2008), S. 773 (788), dem zufolge im kulturell geprägten Familien- und Erbrecht das „Herzblut der Bevölkerung“ schlage; in diese Richtung auch Hosemann, RNotZ 2010, 520 (521) („durch soziale und kulturelle Faktoren stärker geprägte […] Frage der Stellung des überlebenden Ehegatten“). 53 Röthel, in: FS Coester-Waltjen, S. 183 (185); dies., AcP 214 (2014), S. 609 (634 ff.) („Ausland als Argument“); bezeichnend insoweit Dethloff, ZEuP 2007, 992 (1005): „Nur eine Forschung, die die Bedeutung von Familien- und Erbrecht im Schnittpunkt zwischen nationaler Rechtskultur, Vergemeinschaftung und Internationalität erfasst, kann den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden.“; dies., AcP 204 (2004), S. 544 (568); ferner s. Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. 1, S. 113 („Rechtsvergleichung zu einer schlagkräftigen Waffe […] für rechtliche Reformen“) und S. 137 ff. („unentbehrliches Reservoir für jede echte Rechtsreform“); Drobnig/Dopffel, RabelsZ 46 (1982), S. 253 (264) („gern bei rechtspolitisch umstrittenen Vorhaben benutzt“). Kritischer dagegen Gernhuber/Coester-Waltjen, § 2 Rn. 1: „Insofern eignet sich die familienrechtliche Rechtsvergleichung nicht ohne weiteres dazu, für die eigene Rechtsordnung neue Lösungen zu finden.“ 54 Dutta, FamRZ 2011, 1829 (1838) („stets eine Quelle der Inspiration für die eigene Rechtsordnung“); Großfeld, Macht und Ohnmacht, S. 37 ff. (39): „Die Nutzung der Rechtsvergleichung durch den Gesetzgeber hat eine lange Tradition.“ Ferner s. dens., AcP 184 (1984), S. 289 (296 f.). Zur Rechtsvergleichung als Grundlage der Gesetzgebung im 19. Jahrhundert s. Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 2, S. 56 f., 62; ders., Ius Commune VII (1978), S. 160 (168 ff.); Reich, Ius Commune II (1969), S. 239 ff. Zur Abgrenzung der rechtssetzungsbezogenen von der rechtsanwendungsbezogenen Rechtsvergleichung s. Stoll, in: FS Bydlinski, S. 429 (434) („wertvolle Anregungen für den Gesetzgeber“); zu letzterer s. Gamper/Verschraegen (Rechtsvergleichung als juristische Auslegungsmethode). Zu ihrer Funktion als legistische Rechtsvergleichung s. Weiß, RabelsZ 5 (1931), S. 80 (81) („den Blick der Gesetzesverfasser erweitert“); Zweigert/Kötz, S. 14 ff. („Rechtsvergleichung als Hilfsmittel für den Gesetzgeber“); Kischel, § 2 Rn. 22 („Anregungen für mögliche Reformen“); Basedow, JZ 2016, 269 (270) („vergleichende Untersuchungen […] als Grundlage für die eigene Rechtssetzung“); Dölle, in: FS Deutscher Juristentag, S. 19 (22) („[…], daß der Gesetzgeber bei ihrer Verwendung bestimmte Nutzwirkungen im Auge hat.“); Zweigert, RabelsZ 15 (1949/50), S. 9 („der moderne Gesetzgeber in seinen besten Leistungen zum rechtsvergleichenden Eklektiker geworden“); E. A. Kramer, RabelsZ 33 (1969), S. 1 (8) („Kompilation mannigfacher ausländischer Rechtsgedanken“); Großfeld, Kernfragen, S. 1 ff. („probates Mittel, um von anderen Rechtskulturen zu lernen und das eigene Recht zu verbessern“); Rösler, JuS 1999, 1084 (1087) („Instrument einer steten kritischen Überprüfung und Optimierung des Bestehenden“); differenzierend zu einer Rechtsverbesserung durch Rechtsvereinheitlichung s. Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 45 (1981), S. 73 ff. Zu den von den Denkmustern Kants, Hegels und Feuerbachs beeinflussten Reflexionen der legistischen Rechtsvergleichung bei Thibaut, Zachariae, Gans und Mittermeier s. Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. 1, S. 90 ff., 97 ff., 101 ff., 107 ff., 110 ff.
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Rechtsvergleichung damit die Funktion der Bereitstellung eines rechtssetzungsrelevanten55 Erfahrungsmaterials zugewiesen, „aus dem sich praktische Folgerungen für die eigene Gesetzgebungsarbeit ziehen lassen“ sollen.56 Nach dem Standpunkt dieser Arbeit ist es jedoch von grundlegender Bedeutung zu erkennen, dass das Aufzeigen rechtsvergleichender Trends zwar „Wahrscheinlichkeitsberechnungen“57 über die Entwicklungsrichtungen de lege ferenda erlaubt. Die Rechtsvergleichung als solche ist aber kein Argument für oder gegen den Anschluss an einen internationalen Entwicklungstrend.58 Im Gegenteil: Die Rechtsvergleichung regt, wenn man von der „herrschenden Richtung“ abweichen möchte, erst zu einer besonders sorgfältigen – wertenden – Selbstprüfung an.59 Zugrunde liegt dieser Studie also die Einsicht, dass daraus, dass in anderen Rechtsordnungen ein Rege55 Zur Verortung der Rechtsvergleichung in der Rechtssetzungslehre s. Emmenegger, S. 172 ff. Zur Entwicklung der Rechtssetzungslehre und ihrem Wissenschaftscharakter s. dies., S. 6 f., 17 ff., 44 ff., 230 ff.; ferner s. Kantorowicz, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 4 (1907/1908), S. 65 (82); Meßerschmidt, ZJS 2008, 111 ff., 224 ff., der jeweils von einer „Legisprudenz“ spricht; Bender, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), S. 79 ff.; J. Schröder, in: Behrends/Henckel (Hrsg.), S. 37 ff.; ferner s. Heyen, in: Schreckenberger/König/Zeh (Hrsg.), S. 11 ff.; Schneider, § 1 Rn. 2 ff. Zur Selbstständigkeit der Rechtssetzungslehre innerhalb der juristischen Methodenlehre s. Baden, S. 87 ff., 137 ff., 197 ff.; ders., in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), S. 95 ff.; Noll, 64 ff. („Gesetzgebung als multidisziplinäre Disziplin“); dazu s. Krems, S. 29 ff. Zur Rechtssetzungslehre als einem unselbstständigen Bestandteil einer allgemeinen juristischen Regelungstheorie s. hingegen Rödig, in: Rödig (Hrsg.), S. 5 (46 ff.); Rödig/Baden/Kindermann, S. 19; dazu s. Baden, in: Klug et al. (Hrsg.), S. 110 ff. Zu den Tendenzen einer experimentellen Gesetzgebung s. Horn, S. 34 ff., 140 ff., 195 ff.; dazu s. Emmenegger, S. 179 ff. (experimentelle Methode der Wirkungsabschätzung); ferner s. Ringe, AcP 213 (2013), S. 98 (124 ff.) („Grenzen der Menügesetzgebung“). Zu jüngeren Reflexionen über die „Wege zu besserer Gesetzgebung“ s. Blum, 65. DJT 2004 Bd. 1, I 9 ff. Zu realwissenschaftlichen Bezügen der Rechtssetzung s. Eidenmüller, JZ 1999, 53 ff. 56 Zitelmann, DJZ 1900, 329 (330, re. Sp.); dazu s. Emmenegger, S. 173. In diese Richtung auch Drobnig/Dopffel, RabelsZ 46 (1982), S. 253 (299); Markesinis, S. 112, 118; Zitelmann, DJZ 1900, 329 (332, li. Sp.); ferner Dölle, in: FS Deutscher Juristentag, S. 19 (23) („[…], daß die Auseinandersetzung mit den fremden Rechten immer mehr als eine notwendige Vorarbeit des Gesetzgebers Anerkennung gefunden hat.“); van Calker, in: FS Laband, S. 97 (118) („dem Gesetzgeber ein Führer auf dem Weg zum richtigen Recht“) (Hervorhebungen im Original). Zur Verwertung legislativer Erfahrungen anderer Gesetzgeber s. Loewe, in: Schäffer (Hrsg.), S. 123 ff.; Drobnig, in: Schäffer (Hrsg.), S. 141 ff.; Modeen, in: Schäffer (Hrsg.), S. 145 ff.; Péteri, in: Schäffer (Hrsg.), S. 151 ff.; Kindermann, in: Schäffer (Hrsg.), S. 157 ff.; Posch, in: Schäffer (Hrsg.), S. 165 ff.; dazu s. Richli, S. 7, 129; Vogenauer, RabelsZ 76 (2012), S. 1122 (1131) („vergleichende Gesetzgebungswissenschaft“); Müller/Uhlmann, Rn. 138, 144; ferner s. Ent, in: Öhlinger (Hrsg.), S. 50 (58 f.); Kindermann, in: Öhlinger (Hrsg.), S. 211 f.; Hugger, S. 144 f.; Karpen, S. 38, 47, 81, 87, 95; ders., JuS 2016, S. 577 (584); ders., in: Kluth/Krings (Hrsg.), § 7 Rn. 27 ff., 114 (Gesetzgebung im Rechtsvergleich); Rosewall-Freivogel/Duerig, in: Eichenberger et al. (Hrsg.), S. 391 ff.; dazu s. Hill, S. 71. 57 Kohlrausch, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), S. 125 (130). 58 Kohlrausch, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), S. 125 (130): Die Leistungsfähigkeit der legistischen Rechtsvergleichung sei „mit Vorsicht einzuschätzen.“ 59 Kohlrausch, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), S. 125 (132).
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lungsmechanismus gilt, nicht unmittelbar gefolgert werden kann, dass dieser auch im deutschen Recht gelten soll, weil dessen normative Integration unter dem autopoietischen Vorbehalt unserer sich selbst fortschreibenden Rechtsordnung steht.60 Auf dem Boden dieser Einsicht wirkt die Rechtsvergleichung primär als eine das eigene Erbrechtsmodell hinterfragende, kritische, heuristische Ressource, ohne von sich aus einen qualitativen Bewertungsmaßstab für die Rechtssetzung de lege ferenda anzubieten.61 Im Ergebnis kann eine rechtsvergleichende Umschau damit „Vorschriften des ausländischen Rechtes zeigen, die dem Rechtsgefühl mehr entsprechen, als die betreffenden unseres geltenden Rechts, sie kann uns in diesem Sinn mögliches Recht aufweisen. Die Frage der Richtigkeit des möglichen Rechts kommt dabei nicht weiter zur Erörterung.“62 Das rechtsvergleichende „Denken in Alternativen“63 dient also weder dazu, die materielle Richtigkeit der Expansion des Ehestatus durch rechtsordnungsübergreifende Parallelen zu bestätigen noch dazu, die internationalen Trends zur Vervielfältigung familienrechtlicher Statusverhältnisse und zur gänzlichen Emanzipation erbrechtlicher Elemente vom Ehestatus auf ihre Transplantierbarkeit hin zu befragen,64 sondern dazu, sich im Bewusstsein dieser Eindrücke mit 60
Zu dem hier zugrunde gelegten Verständnis des Rechts als autopoietischem System s. Luhmann, S. 62; ferner s. Riesenhuber, AcP 218 (2018), S. 693 (722) („Freilich steht der Beitrag der Rechtsvergleichung jeweils unter dem Vorbehalt der Entscheidung des Gesetzgebers […].“); Holler/Bender, JSE 2017, 1 (13); zur Rechtsgeltung s. Auer, RW 2017, 45 (64); ferner s. van Calker, in: FS Laband, S. 97 (106): „Die Autorität, die bei der Begründung der Reformvorschläge am meisten angerufen wird, ist das Rechtsgefühl […]. Damit wird also das ,Rechtsgefühl‘ als oberster Maßstab der Beurteilung und Bewertung anerkannt. Beibehaltung oder Änderung des geltenden Rechts, Aufnahme oder Ablehnung einer dem ausländischen Recht angehörenden Bestimmung wird unter Bezugnahme auf diesen Maßstab vorgeschlagen.“ (Hervorhebung im Original); zu dem Begriff des Rechtsgefühls s. auch Jhering, Wissenschaft, S. 88: „Der Richter […] soll das Gesetz, bevor er es anwendet, der Kritik seines Rechtsgefühls unterwerfen […].“; ders., Rechtsgefühl, S. 31 ff. 61 Dazu s. Holler, ZJS 2018, 503 (509); Zitelmann, DJZ 1900, 329 (330, re. Sp.) („kritikweckend“); Zweigert, in: FS Schmitthoff, S. 403 (415) („kritisch-vergleichende Wertung“); Kötz, RabelsZ 54 (1990), S. 203 (215) („skeptisches Verhältnis“); Gerland, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), S. 113 („Rechtsvergleichung […] erscheint so stets als eine kritische Wissenschaft.“) (Hervorhebung im Original); Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. 2, S. 371 ff. („Orientierungs- und Kontrollfunktion der Rechtsvergleichung“). 62 So explizit van Calker, in: FS Laband, S. 97 (106 f.) (Hervorhebungen im Original); ferner s. Radbruch, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 2 (1905/ 1906), S. 422 (423); Salomon, Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 4 (1907/1908), S. 567 (574); dazu s. Holler, ZJS 2018, 503 (509). 63 Basedow, JZ 2016, 269 (279). 64 Zum Komplex der unter dem Begriff der Legal Transplants zusammengefassten wissenschaftlichen Erforschung von Bedingungen und Konsequenzen der Implementierung fremder Rechtsbestandteile, die eine Vielzahl kontroverser Reflexionen über die grundsätzliche Möglichkeit und die verschiedenen Kategorien von Legal Transplants hervorgebracht hat, s. Rehm, RabelsZ 72 (2008), S. 1 ff.; Knieper, RabelsZ 72 (2008), S. 88 ff.; Chanturia, RabelsZ 72 (2008), S. 114 ff. Zu verschiedenen Implementierungserfahrungen s. Weckerling, RabelsZ 72 (2008), S. 43 (47); Julius, RabelsZ 72 (2008), S. 55 (74 ff., 84 ff.). Zum Ausgangspunkt der
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den Ebenen des deutschen Erbrechtsmodells kritisch und sensibel auseinanderzusetzen und die Leistungsfähigkeit seiner Strukturen zu untersuchen.65 a) Erbteil, Voraus und Pflichtteil im Spiegel der Ebenen des Erbrechtsmodells Im Lichte dieser Überlegungen ist es das Ziel der folgenden Ausführungen, in einem ersten Schritt die durch den Ehestatus aktivierten erbrechtlichen Elemente des Erbteils, Voraus und Pflichtteils innerhalb der drei Ebenen des deutschen Erbrechtsmodells rechtstechnisch zu verorten und dabei zu zeigen, dass dieses System auf dem Dualismus eines faktischen und normativen Solidaritätskonzeptes basiert. Im Anschluss an Dutta unterscheidet das deutsche Erbrechtsmodell zwischen den Ebenen des Testaterbrechts, der Intestaterbfolge und des Pflichtteilsrechts, die jeweils in unterschiedlicher Intensität die Weitergabe des Vermögens eines Erblassers an dessen überlebenden Ehegatten steuern.66 Im Zentrum des Testaterbrechts stehe der Erblasser als autonome Person, der seinerseits das seinem Ehegatten zugedachte erbrechtliche Volumen beispielsweise durch gewillkürte Erbeinsetzung (§§ 1937, 1941 BGB) oder Enterbung (§ 1938 BGB), Begünstigung durch Vermächtnisse (§ 1939 BGB), Auflagen (§ 1940 BGB) oder Bedingungen (§§ 2074 f. BGB) selbst festlegen könne.67 Aber weil nicht jeder Erblasser von seiner Testierfreiheit (wirksam) Gebrauch macht, muss der Gesetzgeber im Intestaterbrecht (§§ 1924 ff., 1931 ff. BGB) eine subsidiäre Nachlasszuordnung bestimmen. Dabei komme dem Intestaterbrecht nun insoweit ein Vorbildcharakter zu, als es dem einzelnen Erblasser einen Maßstab anbietet, seine eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen mit denen des
Kontroverse s. Watson, S. 21 ff. („Introduction to legal transplants“); Kahn-Freund, Mod. L. Rev. 1974, S. 1 ff. Zur Kritik s. Legrand, Maastricht J. Europ. & Comp. Law 1997, S. 111 ff.; Teubner, Mod. L. Rev. 1998, S. 11 ff., der unter dem Topos „Legal Irritants“ bezweifelt, dass sich fremde Rechtsfiguren bedeutungsgleich in ein anderes Normumfeld einfügen lassen. Dazu s. Fleischer, in: Engel/Schön (Hrsg.), S. 50 (73 ff.) („Domestizierung von Rechtstransplantaten“ und „Transformierung von außerrechtlichen Argumenten“); Sahm, in: Rückert/Seinecke (Hrsg.), Rn. 1139 ff., 1146 ff.; Lenski, Rechtstheorie 45 (2014), S. 451 (452), die in der Rechtsvergleichung einen semantischen Vorgang sieht, der den kulturellen Hintergrund mit Mitteln der Semiotik analysiert; ferner s. Graziadei, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.), S. 441 (459 ff.); Kischel, § 2 Rn. 34 ff., 38 ff.; Schacherreiter, S. 14 ff., 18 ff., 29 ff., 52 f., 63 ff., 263 ff., 399 ff. Zum Phänomen des Rechtstransfers und der ihm innewohnenden theoretischmethodischen Komplexität der Interaktion normativer Ordnungen s. Mues, S. 9 ff., 25 ff., 93 ff.; Mayntz, in: Grimm/Maihofer (Hrsg.), S. 130 ff. 65 Kischel, § 2 Rn. 20 f. („Vertieftes Verständnis der eigenen Rechtsordnung“); Zweigert/ Kötz, S. 14 („unaufhörliche Kritik an der eigenen Rechtsordnung“); so bereits auch Zitelmann, DJZ 1900, 329 (330, re. Sp.) („kritikweckend […] wird den Zweifel erregen, ob die im eigenen Recht geltende Lösung die bestmögliche ist“); Zweigert, in: FS Schmitthoff, S. 403 (415); Kötz, RabelsZ 54 (1990), S. 203 (215); Gerland, in: Birkmeyer et al. (Hrsg.), S. 113; Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. 2, S. 371 ff. 66 Dutta, S. 9 ff., passim. 67 Dutta, S. 9 ff.
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Erbrechtsgesetzgebers zu vergleichen und zu überprüfen.68 In diesem Zusammenhang ließen sich gewisse „Beharrungskräfte“69 des dispositiven Intestaterbrechts feststellen, die es dem einzelnen Erblasser erschweren könnten, seinen Intestaterben deren gesetzlich vorgesehene Partizipation wieder zu nehmen.70 Im Anschluss daran könne der Erbrechtsgesetzgeber seinen Gerechtigkeitsvorstellungen aber auch zwingenden Charakter beimessen. Dies geschehe auf der Regelungsebene des Pflichtteilsrechts (§§ 2303 ff. BGB), das durch seine Verbindlichkeit das Testaterbrecht begrenze und auf den Testator einwirken könne, seine Testierfreiheit wiederum in einer vom Erbrechtsgesetzgeber präferierten Weise zu gebrauchen.71 Der Unterschied zwischen dem Testaterbrecht einerseits und andererseits der Intestaterbfolge und dem Pflichtteilsrecht besteht nun darin, dass der Gesetzgeber im Testaterbrecht verschiedene Anforderungen zur Geschäftsfähigkeit (§ 2229 BGB), Form (§§ 2231 ff., 2267, 2276 BGB) und Höchstpersönlichkeit (§§ 2064 f., 2274 BGB) aufgestellt hat,72 um – im Anschluss an Röthel – einen unverfälschten und eindeutigen Berufungsgrund kraft letztwilliger Verfügung zu konstituieren.73 Demgegenüber beruhen – gleichfalls mit Röthel – sowohl das Pflichtteilsrecht (§ 2303 BGB) als auch die auf der Ebene der Intestaterbfolge anzusiedelnden Elemente des Erbteils (§ 1931 BGB) und Voraus (§ 1932 BGB) auf familienrechtlich bereits ausgeformten Statusverhältnissen.74 Besonders deutlich wird dies, wenn man den Blick auf die Pflichtteilsentziehungsgründe richtet. Die Pflichtteilsentziehung sanktioniert nicht primär sozialwidriges Verhalten, sondern soll nur dann möglich sein, „wenn durch ein Fehlverhalten gerade das familienrechtliche Statusverhältnis, das den inneren Grund für das Pflichtteilsrecht bildet, angegriffen wird.“75 Wie das Pflichtteilsrecht, so beruht auch der gesetzliche Erbteil des Ehegatten und der ihm gebührende Voraus auf seinem familienrechtlichen Status, denn es kommt bei den Tatbeständen der §§ 1931, 1932 BGB nicht auf das soziale, faktische Verhältnis zwischen Erblasser und Ehegatte an; maßgeblich ist, dass der Ehestatus formal besteht und noch nicht in einer rechtlich erheblichen Weise (§§ 1933, 1318 Abs. 5 BGB) aufgelöst wurde.76 Im Ergebnis ist daher mit Röthel zu konstatieren, dass der Anfall von Erbteil, Voraus und Pflichtteil an den überlebenden
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Dutta, S. 12 ff. Dutta, S. 16 (Hervorhebung im Original). 70 Leipold, AcP 180 (1980), S. 160 (194 f.); dazu s. Dutta, S. 17. 71 Dutta, S. 19 f. 72 Dazu s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (95 f.). 73 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (94 f., 96 f.). 74 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (89 ff., 97 ff.). 75 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (92). 76 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (98). Zum Ausschluss dieser gesetzlichen Rechte durch § 1933 BGB s. Beisenherz, S. 19 ff., 45 ff., 84 ff., passim. Zum Erbrechtsausschluss durch § 1318 Abs. 5 BGB s. Muscheler, Familienrecht, Rn. 278 f.; ders., JZ 1997, 1142 (1148 f.); Tschernitschek, FamRZ 1999, 829 f. 69
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Ehegatten also die rechtstechnische Rückverweisung auf das Familienrecht und das dort vorgeformte Statusverhältnis der Ehe beinhaltet.77 Wesentlich ist, dass der den Erbteil, Voraus und Pflichtteil erst auslösende Ehestatus seiner rechtlichen Struktur nach Ausdruck von Pflichten zu Beistand, Fürsorge und Unterhalt (§§ 1353, 1360 ff., 1569 ff. BGB) ist und damit – wiederum im Anschluss an Röthel – das Konzept der normativen Solidarität verwirklicht.78 Das statusbasierte erbrechtliche Volumen des überlebenden Ehegatten lässt diese lebzeitigen Solidaritätspflichten im Erbfall nachwirken und verhindert dadurch eine abrupte Veränderung seiner wirtschaftlichen Bedingungen, indem es darauf zielt, seine Versorgung auch neben öffentlich-rechtlichen Positionen zu gewährleisten und ihm die Fortführung des bisherigen Haushalts zu ermöglichen.79 Demgegenüber versetzt das Testaterbrecht den Erblasser in die Lage, seinen Nachlass gezielt zuzuweisen, um lebzeitig erfahrene und ihm gegenüber freiwillig erbrachte subjektive Verbundenheit unabhängig davon anerkennen zu können, ob ein familienrechtliches Statusverhältnis zum Bedachten vorliegt oder Solidaritätsleistungen geschuldet waren oder nicht.80 Diese Möglichkeit der individuellen Testierung setze gezielte „Wohlverhaltensanreize“, wird der Begünstigte doch damit zu rechnen haben, dass der Erblasser seinen Willen revidieren und Dritte an seiner Stelle bedenken kann.81 Das Testaterbrecht ist also – mit Röthel – Ausdruck des Konzeptes einer faktischen Solidarität, weil es dem Erblasser dazu verhilft, real gelebte Verbundenheit belohnen zu können.82 Im Ergebnis ist den drei Ebenen des heutigen Erbrechtsmodells nach der hier vertretenen Meinung zu entnehmen, dass dort, wo eine lebzeitige Pflicht zu Beistand in Gestalt eines Statusverhältnisses ausgeformt ist (normative Solidarität), erbrechtliche Elemente in rechtstechnischer Hinsicht ipso iure aktiviert werden. Umgekehrt soll dort, wo keine Beistandspflichten in einem familienrechtlichen Statusverhältnis normiert sind, aber dennoch eine Personenbeziehung freiwillig unterhalten wird (faktische Solidarität), der Erblasser selbst aktiv werden und letztwillige Anordnungen treffen können. Vor dem Hintergrund dieses dualistischen Konzeptes ist es konsequent, dass de lege lata eine analoge Anwendung der durch ein Statusverhältnis aktivierten §§ 1931, 1932, 2303 BGB zugunsten des überlebenden Partners einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft – dem Paradigma der Realbeziehung – ausscheidet.83 77
Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (119). Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (115). 79 Dutta, S. 393, 398 ff.; ders., AcP 216 (2016), S. 609 (612). 80 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (93). 81 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (93); ferner s. Beckert, in: Röthel (Hrsg.), S. 1 (16 f.). 82 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (93 ff.). 83 Dazu s. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.05.1979 – 7 W 8/79 = NJW 1979, 2050 (2051): „Ein solches eheähnliches Verhältnis ist im Hinblick auf die besondere rechtliche 78
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
b) Stellungnahme: Die Leistungsfähigkeit der erbrechtlichen Statusbasierung In einem zweiten Schritt stellt sich angesichts der rechtsvergleichenden Tendenz zur Emanzipation erbrechtlicher Elemente vom Ehestatus die Frage nach der Überzeugungskraft der Statusbasierung von Erbteil, Voraus und Pflichtteil de lege ferenda.84 Dabei ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass es in der Reformdiskussion der letzten Jahre verschiedene Hinweise für eine Aufwertung der Realbeziehung – insbesondere der nichtehelichen Lebensgemeinschaft – im Erbrecht gab.85 Im Wesentlichen wird hierbei für eine normative Kraft des Faktischen, also für Ausgestaltung, die gerade die Ehe durch den Gesetzgeber erfahren hat, ein völliges ,aliud‘. Nach dem Familien-, insbesondere dem Eherecht kann die rechtliche Bewertung eines solchen ehelosen Zusammenlebens zwischen Mann und Frau nicht erfolgen, da die betreffenden gesetzlichen Bestimmungen, vor allem die §§ 1371 und 1931 BGB, eine Ehe zwingend voraussetzen. Eine etwaige analoge Anwendung würde einen Verstoß gegen Art. 6 I GG beinhalten, wonach eben nur Ehe und Familie unter besonderen staatlichen Schutz gestellt sind […].“ (Hervorhebung im Original); ferner s. OLG Frankfurt, NJW 1982, 1885; dazu s. Strätz, FamRZ 1980, 301 (306); Diederichsen, NJW 1983, 1017 (1024 f.). 84 Dazu s. umfassend und grundlegend Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (106). 85 So hat sich paradigmatisch unter der Federführung von Ingeborg Schwenzer das Credo – „Vom Status zur Realbeziehung“ – herausgebildet, s. Schwenzer, S. 26: „Die These, unter der diese Arbeit steht, und die sie zu belegen sucht, ist, daß rechtliche Regelungen zunehmend weniger am Status orientiert sind, und daß stattdessen die Realbeziehung für die rechtliche Beurteilung in den Vordergrund rückt.“ Es wurde zwar teilweise von einer Aufnahme der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in das Erbrecht abgeraten, vgl. Bosch, FamRZ 1983, 227 (238). Demgegenüber erhoben sich aber verschiedene Stimmen für eine partielle strukturanaloge Erstreckung des erbrechtlichen Volumens auf den überlebenden Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, vgl. Leipold, AcP 180 (1980), S. 160 (180 f.), für den es diskutabel ist, „in Härtefällen eine Beteiligung am Nachlaß kraft richterlichen Ermessens zu gestatten, vor allem in Konkurrenz zu entfernten Verwandten oder wenn sonst der Fiskus erben würde.“ Ferner s. Dutta, S. 439 f., 458 f. („family provision“ als flexibler Pflichtteil); Schwenzer, S. 211 f.; kritischer dagegen Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (112); ferner s. Strätz, FamRZ 1998, 1553 (1564): „Im übrigen, wo eben keine direkte Konkurrenz von Ehe und sonstiger Lebensgemeinschaft auftritt, ist ein gesetzliches Erbrecht ne. Lebenspartner zu befürworten, wenn der Nachweis einer echten Lebensgemeinschaft […] geführt werden kann.“; ders., DNotZ 2001, 452 ff.; differenzierend Goetz, FamRZ 1985, 987 (990 f.): „Angemessen für das deutsche Erbrecht erscheint die Schaffung eines Legalvermächtnisses, das nur im Fall der gesetzlichen Erbfolge eingreifen sollte. Wegen der jederzeitigen Auflösbarkeit der hier erfaßten Lebensgemeinschaften ist es sachgerecht, die Sorge für den Partner im Fall der Testierung dem Erblasser zu überlassen. Eine Einbeziehung auch der Testaterbfälle käme der Schaffung eines Pflichtteilsrechts gleich, das nach deutschem Recht nur den engeren Familienangehörigen zusteht. Eine Gleichstellung in diesem Umfang kann jedenfalls aus heutiger Sicht nicht empfohlen werden.“ (Hervorhebung im Original); ähnlich Rauscher, Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 2, S. 102: „Andererseits kann die willentliche personale Bindung des Erblassers, die sich ausdrücklich die Freiheit von Rechtsfolgen vorbehält, kein Pflichtteilsrecht begründen. Im Gegensatz zu dem vorgeschlagenen gesetzlichen Erbrecht bestimmter nichtehelicher Partner wurde hier ein Pflichtteilsrecht abgelehnt, weil es eine von beiden Partnern nicht gewollte Beschränkung ihrer bewußt gewählten Freiheit bedingen müßte.“; ders., Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 1, S. 292: „[…] daß eine Solidaritätsbindung gegen den Willen des anderen Partners, sei sie lebzeitig oder von Todes wegen, äußerst zurückhaltend erwogen werden sollte.“ Ferner s. Schwenzer, S. 209 ff.; dies., JZ 1988, 781 (786 ff.); vgl. ferner den Beschluss Nr. 11
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die rechtliche Anerkennung einer gerade nicht rechtsverbindlichen Personenbeziehung und für ein punktuelles Anknüpfen von Rechtsfolgen an ein solches NichtStatusverhältnis plädiert.86 So sei ein modernes Familienrecht durch das Prinzip individueller Verantwortung geprägt, das darin zum Ausdruck komme, dass Rechtsfolgen statusunabhängig an real gelebte Beziehungen anzuknüpfen seien und das Familienrecht daher zunehmend an Komplexität gewinnen werde.87 Nach der hier vertretenen Meinung ist jedoch zu beachten, dass gerade die Statusbasierung von Rechtsfolgen einen entscheidenden Vorteil aufweist: „Wo rechtlicher Schutz nur an die konkrete Gestaltung einer Beziehung, die Erbringung persönlicher Leistungen und finanzieller Beiträge im Einzelfall angeknüpft und an ihnen individuell Maß genommen wird, muss der Binnenraum der Beziehung ausgeleuchtet, die Privat- und Intimsphäre vor dem Richtertisch preisgegeben werden. Nicht zuletzt davor bewahren Statusverhältnisse.“88 Diese Konsequenzen, die bei der Aktivierung eines erbrechtlichen Volumens durch eine Realbeziehung drohten, veranschaulichen, dass einer solchen Realbeziehung eine zentrale Eigenschaft fehlt, die den Charakter statusorientierten Rechts auszeichnet – nämlich die Entlastung davon, das Innenleben der ein Statusverhältnis begründenden Personen ausforschen zu müssen.89 Diese im Ergebnis befriedende Funktion des familienrechtlichen Status – „eine wohltuende Enthaltsamkeit der Rechtsordnung gegenüber den Inhalten der persönlichen Bindung“90 – garantiert gleichermaßen Privatheit wie Intimität und belegt damit – im wesentlichen Einklang mit Röthel – eindrücklich die Leistungsfähigkeit einer statusbasierten Erbrechtsaktivierung.91 Darüber hinaus bringt die erbrechtliche Fixierung an vorgeformte Statusverhältnisse einen weiteren entscheidenden Vorteil mit sich. Betrachtet man nämlich mit des 57. Deutschen Juristentages: „a) Die Einführung eines gesetzlichen Erbrechts der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft wird abgelehnt (angenommen: 121:5:4). b) Es empfiehlt sich eine dem Voraus (§ 1932 I BGB) entsprechende Regelung bezüglich der Hausratsgegenstände zugunsten des überlebenden Partners […] (angenommen: 84:30:16).“ = NJW 1988, 2998; zur Zurückdrängung des Statusprinzips im Familienrecht s. Muscheler, Familienrecht, Rn. 82 ff., 193 ff.; ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (175 ff.). 86 Schwenzer, S. 276: „Anerkennung der Realbeziehung heißt […] Rechtsfolgen nicht mehr primär an den Status anzuknüpfen, sondern entsprechend der real gelebten Beziehung zu differenzieren.“ Kritisch dazu s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (110); ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (176). 87 Schwenzer, S. 276; dies., RabelsZ 71 (2007), S. 705 (712); ähnlich auch Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (41) (Fn. 11): „Vom Standpunkt des mutmaßlichen Erblasserwillens aus betrachtet greift ein derart status-basierter Ansatz teilweise zu weit und teilweise nicht weit genug. Nicht erfasst sind nichteheliche Lebensgemeinschaften […]; erfasst sind demgegenüber viele Fälle, in denen die Ehe nur noch der Form nach besteht.“ Ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (176). 88 Muscheler, Familienrecht, Rn. 197. 89 Zur Bewertung der Statusemanzipation s. bereits Holler, ZJS 2019, 173 (177 f.). 90 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (112). 91 Dazu s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (112 f.); ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (177 f.).
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Röthel die rechtstechnische Seite der statusbasierten Aktivierung von Erbteil, Voraus und Pflichtteil, so müsste auch die Realbeziehung als erbrechtsaktivierendes Anknüpfungsmoment in einer Weise ausgeformt werden, in der sie der dogmatischen Eigentümlichkeit des Erbganges – Universalsukzession (§ 1922 Abs. 1 BGB), Schuldenhaftung (§ 1967 Abs. 1 BGB), Anfall- und Ausschlagungsprinzip (§§ 1942 ff. BGB) – Rechnung tragen kann.92 In concreto: Der Erbe muss eindeutig, sicher und zügig bestimmbar sein, um Schwebelagen zu vermeiden und zu bewältigen.93 Gerade hierbei erweisen sich die rechtstechnischen Eigenschaften eines Statusverhältnisses – Stabilität, Transparenz, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit94 – als vorteilhaft, weil sie personale Beziehungen rechtlich vorprägen.95 Wollte man dies auf die Realbeziehung übertragen, bedürfte es einer gesetzlichen Definition, die eine erbrechtlich relevante Realbeziehung von einer irrelevanten Realbeziehung abgrenzt.96 An entsprechenden Typisierungsversuchen fehlt es zwar nicht,97 doch bringen diese zum einen die Schwierigkeit mit sich, dass sie im Einzelfall entweder zu weit oder zu eng sind und damit keine rechtssichere Grundlage bereitstellen
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Dazu s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (113); ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (177 f.). 93 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (113). 94 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (108). 95 Zu den dogmatischen Strukturprinzipien familienrechtlicher Statusverhältnisse s. Gernhuber/Coester-Waltjen, § 1 Rn. 40: „Statik und Transparenz sind den Familienverhältnissen eigentümlich.“; Coester-Waltjen/Coester, in: FS Canaris, S. 659 (676) („Statussicherheit“); Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (107): „Dauerhaftigkeit und Sichtbarkeit sind typische Anzeichen von Statusbeziehungen […].“ Ferner s. Kriewald, S. 31 ff. (Statusklarheit, Statusfestigkeit, Statuswahrheit); zu den weiteren Statusrechtsstrukturen der Intentionalität, Unität, Singularität, Totalität, Stabilität, Formalität, Generalität, Verität, Indisponibilität und Kapazität s. Muscheler, Familienrecht, Rn. 183 ff. Zur rechtlichen Ausgestaltung statusbegründender und -lösender Erklärungen s. Kriewald, S. 42 ff., 65 ff., 81 ff., 239 ff.; Muscheler, Familienrecht, Rn. 88, 100 ff., 113 ff. Zur Abgrenzung des familienrechtlichen Status vom Personenstand s. Kriewald, S. 25 ff., 42 ff.; Muscheler, Familienrecht, Rn. 82 ff., 90 ff., 107 ff., 193 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 1 Rn. 40 ff.; Röthel, in: Lipp/ Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (106 f.); dies., StAZ 2006, 34 (40). 96 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (111). 97 Sowohl das BVerfG als auch der BGH definieren die nichteheliche bzw. eheähnliche Lebensgemeinschaft als „Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zuläßt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.“, s. BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 – 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234 (264) = NJW 1993, 643 (645); BGH, Urteil vom 05.07.2006 – XII ZR 11/04 = BGHZ 168, 245 (252) = NJW 2006, 2687 (2688); kritisch dazu s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (111): „Diese Definition verlangt der Rechtsanwendung Feststellungen über die inneren, ideellen Grundlagen der Lebensgemeinschaft ab, die eigentlich kaum ernsthaft getroffen werden können, zumal der erbrechtliche Kontext stets eine nachträgliche Beurteilung verlangt.“ (Hervorhebung im Original). Zur Problematik, den Tatbestand einer faktischen Paarbeziehung zu erfassen s. Dutta, AcP 216 (2016), S. 609 (638 ff.).
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können.98 Zum anderen geriete die mit einem solchen Definitionsbedürfnis beginnende Verrechtlichung auch mit dem inneren Wesen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, gerade nicht vollständig durch das Recht erfassbar sein zu wollen, in Widerspruch.99 Zudem kann die praktisch wirksame Pluralisierung faktischer Paarbeziehungsarten nicht vollends durch eine gesetzliche Erbfolge abgebildet werden, wenn sie – im Anschluss an Röthel – als Wiedergabe typischer Lebensformen und des mutmaßlichen Willens eines durchschnittlichen Erblassers wirken will.100 Vielmehr werden bei einer zunehmenden Vervielfältigung der Lebensformen die Grenzen einer statusbasierten Orientierung des Intestaterbrechts und Pflichtteilsrechts erkennbar: Je differenzierter die Welt moderner und alternativer Paarbeziehungsweisen wird, „umso aussichtsloser muss es erscheinen, über die gesetzliche Erbfolge eine im gesellschaftlichen Bewusstsein mutmaßlich akzeptierte und hinreichend verankerte gesetzliche Erbfolge als Lösung für ,durchschnittliche‘ Verhältnisse auszuformen.“101 Ferner besteht in materieller Hinsicht der zentrale Unterschied zwischen Realbeziehung und Statusverhältnis darin, dass – wiederum im Anschluss an Röthel – mit dem letzteren rechtlich sanktionierte Solidaritätsverpflichtungen begründet werden, während in einer Realbeziehung gegenseitige Solidarität nur faktisch gelebt wird, „solange es gefällt, aber nicht eingefordert werden kann.“102 So sei zu berücksichtigen, dass Erbteil, Voraus und Pflichtteil die Funktion zugewiesen ist, die mit dem Ehestatus verbundenen, von der Rechtsordnung ausgestalteten und von den Ehegatten intendierten lebzeitigen Solidaritätspflichten im Sinne der §§ 1353, 1360 ff., 1569 ff. BGB nachwirken zu lassen, aber nicht tatsächlich erbrachte Solidaritätsleistungen zu honorieren.103 Auf dem Boden dieser funktionalen Betrachtung ist es insbesondere aus zwei Gründen verfehlt, an eine rein faktische Nähebeziehung ein strukturanaloges erbrechtliches Volumen zu knüpfen.
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Dutta, S. 458; ferner s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (112). Dutta, S. 459: „[…] die Beteiligten wollen überhaupt außerhalb eines rechtlichen Regimes – sei es vertraglich oder gesetzlich – stehen.“ Ferner s. Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (112): „Auch ist daran zu erinnern, dass mit der Verrechtlichung der Realbeziehung sowohl die Achtung vor dem erklärten Willen der Parteien gegen eine Statusbeziehung als auch der bewusste Verzicht auf eine rechtliche Definition der Innenbeziehung aufgegeben würde. […] Jede Verrechtlichung faktischer Solidarität nimmt der Realbeziehung damit auch einen rechtlich relevanten Teil ihrer Eigentümlichkeit.“ Ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (177). 100 Röthel, JZ 2011, 222 (223). 101 Röthel, JZ 2011, 222 (223); in diese Richtung auch Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (87): „Schließlich ist angesichts der Vielfalt familiärer Lebensformen in der modernen Welt nicht deutlich, ob und inwieweit eine derart komplexe gesetzliche Regelung das ,typischerweise‘ Gewollte angemessen reflektieren kann.“ 102 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (115). 103 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (115): „Gerade bei Paarbeziehungen ist es also das ,Ja‘ zu einer Rechtspflicht, das das gesetzliche Erbrecht trägt.“ Grundlegend zur erbrechtlichen Nachwirkung s. Dutta, S. 398 ff.; ders., AcP 216 (2016), S. 609 (612). 99
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Zum einen ist zu beachten, dass das in Aussicht gestellte Nachwirken statusbasierter Solidaritätspflichten auf die lebzeitige Eheführung auch vorwirken und Anreize dazu setzen kann, die Ehe durch lebzeitige Beiträge aufrechtzuerhalten und zu pflegen.104 Das Wissen der Ehegatten um das erbrechtliche Nachwirken ihrer lebzeitigen Solidaritätspflichten kann und soll dazu motivieren, schon die gegenwärtige Beziehung zu vertiefen und die Bereitschaft der Ehegatten zu reziprok altruistischen Beiträgen während der Ehe erhöhen.105 Wo aber – wie bei einer Realbeziehung – keine statusbasierten Solidaritätspflichten im Sinne der §§ 1353, 1360 ff., 1569 ff. BGB bestehen, fehlt es an der Möglichkeit, lebzeitige Solidaritätspflichten nach- und vorwirken zu lassen.106 Weil sich die Partner einer Realbeziehung diesen rechtlich sanktionierten Beistands- und Unterhaltspflichten nicht unterwerfen möchten, kann es durch eine erbrechtliche Nachwirkung in Gestalt von Erbteil, Voraus oder Pflichtteil gerade nicht zu einer anspornenden – vorwirkenden – Stärkung dieser abgelehnten lebzeitigen Solidaritätspflichten kommen.107 Wiese man dem überlebenden Partner dennoch einen strukturanalogen Erbteil, Voraus und Pflichtteil zu, so bestünde zum anderen die Möglichkeit, dass beide Partner diese insoweit oktroyierten erbrechtlichen Elemente als mittelbaren Import rechtlicher Solidaritätspflichten in ihre auf grundsätzliche Rechtspflichtenfreiheit angelegte Beziehung werten und infolgedessen gänzlich davon abgehalten werden könnten, solche einzugehen.108 Man gäbe dadurch die Achtung vor dem Willen der Partner gegen eine Statusbeziehung auf und würde sie außerdem aus den rechtlichen Konsequenzen ihrer eigenverantwortlichen Entscheidung entlassen.109 Insoweit hat das Erbrecht eines freiheitlichen Staates den Trend zu personaler und rechtlich unverbindlicher Individualisierung der Lebensverhältnisse als Entscheidung seiner Bürger zu respektieren, ohne aber dazu verpflichtet zu sein, diesen zu fördern.110 Im Gegenteil: Es darf eine legitime Funktion des Erbrechts sein, über die statusbasierte Zuweisung erbrechtlicher Elemente Anreize für die Eingehung einer Ehe und die Begründung rechtlicher Solidaritätspflichten zu setzen.111 Der Gesetzgeber darf mit den Mitteln des Erbrechts einen „Anreiz zur Ehe, der im Erwerb von Rechtspositionen liegt,“112 geben und insoweit der faktischen Kraft des Normativen vertrauen. Dabei ist zu beachten, dass der überlebende Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, auch wenn er weder einen Erbteil, Voraus noch einen Pflichtteil erhält, nicht schutzlos steht, da man ihn, soweit er zur Zeit des Todes des Erblassers zu 104 Grundlegend zur erbrechtlichen Vorwirkung s. Dutta, S. 393, 406 ff.; ders., AcP 216 (2016), S. 609 (612). 105 Dutta, S. 393, 406 ff.; ders., AcP 216 (2016), S. 609 (612). 106 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (115). 107 Dutta, S. 459. 108 Dutta, S. 459. 109 Röthel in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (112). 110 Di Fabio, NJW 2003, 993 (998). 111 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (119). 112 Leipold, AcP 180 (1980), S. 160 (180).
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dessen Hausstand gehörte und von ihm Unterhalt bezog, unter die nach § 1969 BGB berechtigten Familienangehörigen subsumieren kann.113 Dies hat zur Folge, dass der überlebende Partner für die ersten dreißig Tage nach dem Eintritt des Erbfalls wie in bisheriger Weise Unterhalt beziehen kann und die Wohnung wie auch die Haushaltsgegenstände benutzen darf. Nach der hier vertretenen Ansicht besteht, weil Realbeziehungen gerade keine Orte rechtsverbindlicher Solidaritätspflichten sind, ein gesellschaftliches Interesse an der Bereitstellung eines gesetzlichen Modells zur „personalen Binnenkoordination“114 mit stabilen und beständigen Solidaritätsbeziehungen und rechtlichen Verpflichtungen zu Unterhalt, Beistand und Fürsorge.115 Im Lichte dieser Grundwertung und in Anbetracht der Pluralisierung der Lebensformen steht der dieses Anliegen erfüllende Ehestatus vor der Entwicklung zu einem „Recht staatlich vorgeformter und abgesicherter, jedoch stets in Wandlung begriffener und offener Rollen“116 – also einer „Sozialsicherung durch Festlegung dynamischer Erwartungschancen.“117 Nach dem Standpunkt dieser Arbeit wird die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda daher in rechtstechnischer Hinsicht nicht von einer Aufgabe der Statusorientierung des Erbrechts und einer Hinwendung zur Realbeziehung, sondern – was sich an der gleichgeschlechtlichen Eheform nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zeigt – von der Frage bestimmt sein, wie weit der Ehestatus in materieller Hinsicht 113 OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.1982 – 21 U 120/82 = NJW 1983, 1566 (1567): „Zu den Familienangehörigen gehören dementsprechend nicht nur die eigentlichen Familienmitglieder – Ehegatte, Verwandte und Verschwägerte –, sondern auch sonstige dem Erblasser nahestehende Personen, wie z. B. Freunde und Pflegekinder […]. Entscheidend ist, daß diese wegen ihrer persönlichen Beziehungen zum Erblasser und ihre[r] tatsächlichen Aufnahme in die Familiengemeinschaft als zu ihr gehörig angesehen werden […]. Deshalb wird, soweit die Literatur diese Frage überhaupt anspricht, die Lebensgefährtin, welche mit dem Erblasser in einem eheähnlichen Verhältnis gelebt hat, zu dem Kreis der nach § 1969 BGB berechtigten Personen gerechnet.“ So auch MünchKomm-Küpper § 1969 Rn. 2; Soergel-Stein § 1969 Rn. 2; Palandt-Weidlich § 1969 Rn. 1; Lipp, Rn. 128; Leipold, Rn. 198; K. W. Lange, § 25 Rn. 117; vgl. ferner den Beschluss Nr. 10c) des 57. Deutschen Juristentages: „Bei todesfallbedingter Auflösung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist an eine Unterhaltsregelung entsprechend § 1696 BGB zu denken, gegebenenfalls unter Verlängerung der Monatsfrist (angenommen: 86:34:12).“ = NJW 1988, 2998. 114 Röthel, StAZ 2006, 34 (41). 115 So auch Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (115); ferner s. Dutta, S. 390 f.; ders., AcP 216 (2016), S. 609 (614) („Das Eheregime als optimales Paarbeziehungsregime“). 116 Rehbinder, in: FS Hirsch, S. 141 (169). 117 Rehbinder, in: FS Hirsch, S. 141 (169); dazu s. Holler, ZJS 2019, 173 (177 f.). Zu den Konsequenzen einer solchen Verrechtlichung personaler Binnenstrukturen und der damit verbundenen Ausdehnung des Staatseinflusses s. Forsthoff, DÖV 1955, 648 (649): „[…] Erlahmen des Dranges nach Selbständigkeit im Sinne der Unabhängigkeit vom Staat. Wer einmal die Wohltat staatlicher Subventionen genossen hat, verzichtet ungern auf die Anlehnung an den Staat.“ Ferner s. Werner, in: FS Leibholz, S. 153 (161 f.) („Konjunktur des Rechts“ […] „juridifizierte[ ] Welt des Sozialstaates“); dazu s. Rehbinder, in: FS Hirsch, S. 141 (169). Zu den Strukturverschiebungen im gegenwärtigen Familienrecht s. Muscheler, Familienrecht, Rn. 76 ff., 86 ff.; ferner s. Leisering, in: Gabriel/Herlth/Strohmeier (Hrsg.), S. 251 ff. („Wohlfahrtsstaatliche Dynamik als Wertproblem“).
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zukünftig noch expandieren darf und welche Paarbeziehungsformen dann als „verschiedene Typen von Ehe“118 an dessen erbrechtlichen Wirkungen teilhaben werden.119 Weil das Erbrecht somit über seine Statusorientierung an der Dynamik der Entwicklungen im Eherecht teilnimmt, die sich dort vollziehenden Umbrüche aber auch rechtsordnungsübergreifend bisher nicht zur Ruhe gekommen sind, wird auch die Rechtstechnik des Ehegattenerbrechts weiter in Bewegung bleiben.120 Vor dem Hintergrund dieser essentiellen Bedeutung des Ehestatus im Erbrecht zählt es also zu den „Daueraufgabe[n]“121 der Erbrechtswissenschaft, dessen Strukturverschiebungen und ihre Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Erbrechts kritisch im Auge zu behalten.122
118 Muscheler, Familienrecht, Rn. 200: „Nicht ,From status to contract‘, sondern ,Status in contract‘ lautet die Devise […].“ Mit der Chiffre „from Status to Contract“ fasste Henry Sumner Maine in seinem Werk „Ancient Law“ das fünfte Kapitel „Primitive Society and Ancient Law“ zusammen und beschrieb damit den Übergang von archaischen Rechtsformen zum klassischen (römischen) Recht, s. Maine, S. 114; dazu s. Rehbinder, in: FS Hirsch, S. 141 (143 ff., 158 f., 169) („Freiheit der Rollenwahl“). Variiert wird Maines Chiffre zudem bei Schwenzer, S. 274 ff. („from status to contract and relation“) (Hervorhebung im Original); dazu s. Windel, in: Lipp/ Röthel/Windel (Hrsg.), S. 1 (39 ff.); Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (109 ff.); Muscheler, Familienrecht, Rn. 82 ff., 193 ff. 119 Dazu s. Holler, ZJS 2019, 173 (178); Röthel, StAZ 2006, 34 (40, 34); ferner s. Auer, Erkenntnisziel, S. 59 („höchstwahrscheinlich noch gar nicht abgeschlossene[ ] Öffnung des Ehebegriffs“). Zur Emanzipation adoptionsrechtlicher Wirkungen vom Status der Ehe s. BVerfG, Beschluss vom 26.03.2019 – 1 BvR 673/17 = JZ 2019, 611 (616 f.): „Statistische Angaben deuten darauf hin, dass die tatsächliche Bedeutung der nichtehelichen Familie als weitere Familienform neben der ehelichen Familie erheblich zugenommen hat. […] dass dies eine typisierende Einordnung als instabile Familienform nicht mehr zulasse […].“ Kritisch hierzu Reimer, JZ 2019, 620 ff. 120 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (120): „Die Stabilität, die das Erbrecht über seine Statusorientierung erzielt, ist keine Einladung zu Versteinerung.“ Ferner s. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 ff. 121 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (119). 122 Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), S. 39 (87); Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel (Hrsg.), S. 85 (119).
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§ 6 Die erbrechtliche Expansion des Ehestatus im Verfassungsrecht Gegenstand dieses Abschnitts sind die materiell-verfassungsrechtlichen Grenzen der jüngsten Expansion des Ehestatus im Erbrecht. Das Ziel der folgenden Ausarbeitung liegt darin, die rechtstechnische Öffnung des Ehestatus zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare unter der Fragestellung zu untersuchen, ob es der verfassungsrechtliche Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG in materieller Hinsicht blockiert, das Merkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit in der Neufassung des § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB als konstitutives Definitionskriterium des Ehestatus aufzugeben und welche Bedeutung die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG vor diesem Hintergrund für die weitere Entwicklung des Ehegattenerbrechts haben kann.
I. Der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG Da das Grundgesetz selbst keine Definition des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs beinhaltet, steht dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein erheblicher Spielraum zur Ausgestaltung der Ehe zu: „Die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Schutzes bedarf insoweit einer rechtlichen Regelung, die ausgestaltet und abgrenzt, welche Lebensgemeinschaft als Ehe den Schutz der Verfassung genießt. Der Gesetzgeber hat dabei einen erheblichen Gestaltungsspielraum, Form und Inhalt der Ehe zu bestimmen […].“123 Zugleich müsse der Gesetzgeber bei der Ausformung der Ehe jedoch die wesentlichen Strukturmerkmale des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs beachten.124 In seiner Dimension als Institutsgarantie sichere Art. 6 Abs. 1 GG nämlich Ehe und Familie in ihrer wesentlichen Struktur,125 „so daß insoweit seine juristische Wirkungskraft in 123 BVerfG, Urteil vom 17.07.2002 – 1 BvF 1, 2/01 = BVerfGE 105, 313 (345) = NJW 2002, 2543 ff. mit Verweis auf die vorherige Rechtsprechung: BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68 = BVerfGE 31, 58 (70) = NJW 1971, 1509 ff.; BVerfG, Beschluss vom 03.10.1989 – 1 BvL 78, 79/86 = BVerfGE 81, 1 (6 f.) = NJW 1990, 175 ff. 124 BVerfGE 105, 313 (345). 125 BVerfG, Beschluss vom 17.01.1957 – 1 BvL 4/54 = BVerfGE 6, 55 (72) = NJW 1957, 417 ff.: „Unbestritten umschließt das verfassungsrechtliche Bekenntnis zu Ehe und Familie zugleich die Gewährleistung beider Lebensordnungen, enthält also eine sogenannte Institutsoder Einrichtungsgarantie.“, vgl. ferner Kloepfer, in: Merten/Papier (Hrsg.), § 43 Rn. 39, 70; von Campenhausen, VVDStRL 45 (1986), S. 7 (25 ff.); F. Kramer, S. 164 f., 173 ff.; de Wall, Der Staat 38 (1999), S. 377 (388). Teilweise wird eine Wirkung von Grundrechten als Institutsgarantie unter Bezug auf die objektive Dimension von Grundrechten und unter Verweis auf Art. 19 Abs. 2 GG („Wesensgehalt“) kritisiert, vgl. Steiger, VVDStRL 45 (1986), S. 55 (65) („rechtlich formelle Ummantelung der Freiheiten“); Waechter, Die Verwaltung 29 (1996), S. 47 (ebd., 72); dagegen jedoch Wollenschläger, S. 24 (Fn. 56): „Der Kritik ist entgegenzuhalten, dass die Institutsgarantie den Schutz individueller Freiheit über die eigenständige Absicherung von Bestand und Kerngehalt verstärkt. […] Diese greift unabhängig von einer subjektiven
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der Rechtswirklichkeit nur darin besteht, einen Normenkern des Ehe- und Familienrechts verfassungsrechtlich zu gewährleisten.“126 Explizit hat das Bundesverfassungsgericht diese wesentlichen Strukturprinzipien gegenüber einem einfachgesetzlichen Wandel immunisiert: „Die Ehe kann nicht ohne Verfassungsänderung abgeschafft oder in ihren wesentlichen Strukturprinzipien verändert werden […].“127 Entscheidend ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Verschiedengeschlechtlichkeit der Paarkonfiguration zu diesen wesentlichen Strukturmerkmalen der Ehe zählt: „Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates […], in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander stehen […] und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können […].“128
Weil die Verschiedengeschlechtlichkeit dem Bundesverfassungsgericht zufolge ein konstitutives Merkmal des Ehebegriffs ist, ist dieses Definitionskriterium konsequenterweise der Verfügungsgewalt des einfachen Gesetzgebers entzogen, sodass dieser – und dem stimmt diese Studie zu129 – daran gehindert ist, „einfachrechtlich
Betroffenheit. […] Auch erscheint der Schutz von Bestand und Kernbereich über die Institutsgarantie wegen ihres etablierten Gehalts effektiver als die Rekonstruktion eines vergleichbaren Schutzes über andere (objektive) Grundrechtsdimensionen und Art. 19 Abs. 2 GG. Schließlich vermag die Institutsgarantie nur schwer auf individuelle Interessen von Grundrechtsträgern rückführbare, aber für schutzwürdig erachtete Kernelemente wie die Verschiedengeschlechtlichkeit oder die Einehe abzusichern […].“ 126 BVerfGE 6, 55 (72). 127 BVerfGE 105, 313 (348). 128 BVerfGE 105, 313 (345) mit Verweis auf die vorherige Rechtsprechung: BVerfG, Urteil vom 29.07.1959 – 1 BvR 205, 332, 333, 367/58, 1 BvL 27, 100/58 = BVerfGE 10, 59 (66) = NJW 1959, 1483 ff.; BVerfG, Beschluss vom 07.10.1970 – 1 BvR 409/67 = BVerfGE 29, 166 (176) = BeckRS 1970, 104617; BVerfG, Beschluss vom 30.11.1982 – 1 BvR 818/81 = BVerfGE 62, 323 (330) = NJW 1983, 511 ff.; ferner BVerfG, Beschluss vom 21.05.1974 – 1 BvL 22/71 und 21/72 = BVerfGE 37, 217 (249 ff.) = NJW 1974, 1609 ff.; BVerfG, Urteil vom 06.02.2001 – 1 BvR 12/92 = BVerfGE 103, 89 (101) = NJW 2001, 957 ff.; ferner BVerfG, Urteil vom 12.03.1975 – 1 BvL 15, 19/71 u. a = BVerfGE 39, 169 (183) = NJW 1975, 919 ff.; BVerfG, Beschluss vom 31.05.1978 – 1 BvR 683/77 = BVerfGE 48, 327 (338) = NJW 1978, 2289 ff.; BVerfG, Beschluss vom 10.01.1984 – 1 BvL 5/83 = BVerfGE 66, 84 (94) = NJW 1984, 1523 ff. 129 So auch von Coelln, NJ 2018, 1 ff.; Haydn-Quindeau, NVwZ 2018, 206 f.; dies., NJOZ 2018, 201 ff.; Schmidt, NJW 2017, 2225 ff.; Ipsen, NVwZ 2017, 1069 ff.; Froese, DVBl. 2017, 1152 ff.; Holler/Bender, JSE 2017, 1 ff.; Erbarth, NZFam 2016, 536 ff.; Görisch, Der Staat 54 (2015), S. 591 (592 ff., 611 ff.); Gade/Thiele, DÖV 2013, 142 (150 f.); Gärditz, JZ 2011, 930 (934); Gellermann, S. 230; Kloepfer, in: Merten/Papier (Hrsg.) § 43 Rn. 39, 70; F. Kramer, S. 162 ff., 273 f., 277 f.; Krings, in: FS Friauf, S. 269 ff.; Mager, S. 452 f.; Braun, JZ 2002, 23 (25 ff.); Robbers, JZ 2001, 779 (783); Scholz/Uhle, NJW 2001, 393 (396 f.); Pauly, NJW 1997,
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unter die Ehe auch die Partnerschaft zweier gleichgeschlechtlicher Personen zu fassen.“130 Das Ziel der folgenden Ausführungen besteht nun darin, dieses Definitionsmerkmal im Hinblick auf seine innere Rechtfertigung zu untersuchen: Warum ist die Verschiedengeschlechtlichkeit der Paarkonfiguration eine konstitutive Eigenschaft des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs? 1. Die Entstehung des Ehegrundrechts a) Stimmen aus dem Parlamentarischen Rat Soweit ersichtlich, war es ein auf kirchlichen Eingaben131 beruhender Antrag der CDU in der 24. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 23. November 1948, der die Ehe und ihren verfassungsrechtlichen Schutz auf die Tagesordnung des Parlamentarischen Rates rief: „Nun enthält der Antrag der CDU noch Bestimmungen über die Ehe und die Familie. Darüber müssen wir im Grundgesetz etwas sagen, zumal auch die Menschenrechte der Vereinten Nationen Ehe und Familie behandeln. Es handelt sich um Art. 14 des Entwurfs der VN.“132 Grundlage der Diskussion war der Antrag, die „Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die aus ihr wachsende Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie fließenden Rechte und Pflichten“ unter den „besonderen Schutz der Verfassung“ zu stellen.133 Die Beratung über diesen Antrag war von der Frage bestimmt, wie aus dieser Bestimmung ein einklagbares Recht hergeleitet werden kann. In diesem Zusammenhang verwies man darauf, dass auch die Weimarer Reichsverfassung Ehe und Familie unter ihren Schutz gestellt hatte, sodass nach der damaligen Verfassungslehre solche Gesetze, die die Grundsätze der Verfassung über die Ehe und Familie abändern wollten, ihrerseits eine verfassungsän-
1955 ff.; von Campenhausen, VVDStRL 45 (1986), S. 7 (25 ff.); Friauf, NJW 1986, 2595 (2601 f.); Steiger, VVDStRL 45 (1986), S. 55 (79). 130 So bereits explizit BVerfGE 105, 313 (358) (Sondervotum Papier). 131 Dazu s. Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 634 (Anmerkung 27): „Im übrigen ist die Evangelische Kirche in Deutschland keineswegs nur an der Regelung ihrer eigenen staatsrechtlichen Stellung in der geplanten Verfassung interessiert, sondern sie hat auch auf anderen Gebieten wesentliche Anliegen. So wird insbesondere eine verfassungsmäßige Sicherung der Elternrechte auf dem Gebiet der Erziehung und Schule, ferner ein Schutz des Lebens, und zwar insbesondere auch des keimenden Lebens […] für notwendig gehalten.“; ebd., S. 903 (Anmerkung 75): „Das katholische Volk hat ferner den dringenden Wunsch, Ehe und Familie als die dem Menschen nächstliegenden Lebensgemeinschaften und Träger natürlicher Rechte und Pflichten unter den besonderen Schutz des Staates gestellt zu sehen. Die Würde der Ehe und der Familie muß durch grundrechtliche Gewährleistung gegen öffentliche Angriffe geschützt werden.“ Ferner s. Böcking, S. 47 ff. 132 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 642 (Vorsitzender von Mangoldt). Zu dem abgedruckten Entwurf des Artikels 14 der Menschenrechte der Vereinten Nationen s. Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 223. 133 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 642, 634 (Anmerkung 28).
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dernde Qualität aufweisen mussten.134 Ein Blick auf die zeitgenössische Kommentierung des Art. 119 Abs. 1 S. 1 WRV, nach dem die Ehe als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung stand, lässt erkennen, dass die verfassungsrechtliche Anerkennung und Gewährleistung der Ehe als bewusste Entscheidung der Verfassungsgeber für eine bürgerliche Rechtsordnung sowie als Ablehnung eines kommunistischen Gesellschaftssystems gedeutet wurde,135 auf die sich Hermann von Mangoldt als Vorsitzender des Ausschusses für Grundsatzfragen in der 29. Sitzung vom 4. Dezember 1948 bezog: „Ehe und Familie sind die Grundlage der menschlichen Gesellschaft. In Weimar war die Auslegung so, daß das nicht nur eine Deklaration ist, sondern daß er wirklich jene Bedeutung hat. Hier ist bei Anschütz im Abs. 1 Satz 1 gesagt: Wenn Abs. 1 Satz 1 die in der abendländischen Welt seit Jahrtausenden bestehende Institution der monogamischen Ehe in bewußter und gewollter Ablehnung gewisser kommunistischer Lehren unter den besonderen Schutz der Verfassung stellt, so bedeutet das, daß dieses Fundament unseres Familienlebens nicht ohne Verfassungsänderung abgeschafft oder in seinen überlieferten Grundzügen verändert werden kann.“136
Im weiteren Verlauf widmeten sich die Abgeordneten des Ausschusses für Grundsatzfragen der Formulierung dieser Verfassungsbestimmung. Dabei wurden die Formulierungen „aus ihr entfaltende Familie“ und „zur Familie fließenden Rechte und Pflichten“ kritisiert.137 Man changierte nun bei der Abfassung des Ehegrundrechts zwischen der Ehe und der „mit ihr entstehende[n] Familie“138 oder der „mit ihr gegebene[n] Familie“139 oder der „aus ihr erwachsende[n] Familie.“140 Letztlich lag dem Hauptausschuss in seiner 21. Sitzung vom 7. Dezember 1948 zur ersten Lesung folgende Fassung des entsprechenden Art. 7a Abs. 1 vor: 134
Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 643 (Vorsitzender von Mangoldt). Anschütz, S. 559; dazu s. Böcking, S. 39 f. 136 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 826 (Vorsitzender von Mangoldt); ferner s. Anschütz, S. 559. 137 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 828 (Abgeordneter Bergsträsser): „Diese Worte scheinen mir überflüssig zu sein und passen auch da sehr schlecht hinein. Wir müssen hier mehr Acht als bisher auf die Formulierung geben.“ 138 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 828 (Vorsitzender von Mangoldt); darauf erwidernd: „Das ist falsch. Es gibt Ehen, die keine Kinder haben. Sagen wir: ,die mit ihr gegebene Familie‘.“ (Abgeordneter Heuss). 139 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 828 (Abgeordneter Heuss); darauf erwidernd der Vorsitzende von Mangoldt: „Mit der Ehe ist die Familie noch nicht gegeben. […] ,Die mit ihr gegebene Familie‘, dann wäre eine Familie schon mit der bloßen Ehe gegeben. Es kann die Ehe diese Gemeinschaft der Familie sein, aber es kann die Familie auch Ehe plus Kinder sein.“ Dazu s. ebd. den Abgeordneten Greve: „,Mit ihr gegeben‘ ist deshalb besser, weil eine Familie gegeben sein kann, ohne daß die Familie aus der Ehe wächst. Ich denke an das Zusammenleben der Eltern mit Adoptivkindern. Auch das muß man als Familie bezeichnen, ohne daß die Familie aus der Ehe gewachsen ist. Ich glaube, daß es richtiger ist, zu sagen, ,die mit ihr gegebene Familie‘, weil das umfassender ist.“ 140 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 828 (Abgeordneter Bergsträsser). 135
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Die Ehe als die rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und die mit ihr gegebene Familie sowie die aus der Ehe und der Zugehörigkeit zur Familie erwachsenden Rechte und Pflichten stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung.141
Dabei ist festzuhalten, dass die Beratungen im Ausschuss für Grundsatzfragen und die Diskussionen im Hauptausschuss durch ein gemeinsames Scharnier verbunden sind. Dies ist die Einsicht, dass sich in Anbetracht der vielschichtigen Verhandlungen und Regelungen zum kulturellen Bereich das Grundgesetz nicht als Provisorium, sondern als Aufbau einer Vollverfassung herausstellte,142 was im Hauptausschuss von dem Abgeordneten Pfeiffer hinsichtlich des Ehegrundrechts deutlich ausgesprochen wurde: „Mit unseren Anträgen treten die Beratungen des Parlamentarischen Rates in den Bereich entscheidender weltanschaulicher Fragen. Das Echo aus weiten Kreisen unseres Volkes und aus allen Teilen Deutschlands beweist uns, daß eine befriedigende Regelung der in unseren Anträgen aufgerollten Fragen vom Parlamentarischen Rat nicht nur erwartet, sondern kategorisch gefordert wird. […] Unsere Vertreter im Grundsatzausschuß haben schon angedeutet, daß es sich hier für uns um so fundamentale, um so ernste Fragen handelt, daß die Entscheidungen des Parlamentarischen Rates auf diesem Gebiet für unsere Entscheidung gegenüber der Gesamtverfassung von sehr großer Bedeutung sein werden.“143
Die inhaltliche Auseinandersetzung der ersten Lesung im Hauptausschuss bezog sich schwerpunktmäßig auf die Stellung des unehelichen Kindes, sodass die im Ausschuss für Grundsatzfragen vorgeschlagene Fassung des Art. 7a Abs. 1 ohne eine größere Aussprache zum Ehebegriff mit 11 zu 10 Stimmen angenommen wurde.144 In seiner 32. Sitzung vom 11. Januar 1949 setzte sich der Ausschuss für Grundsatzfragen mit einem Formulierungsvorschlag des Deutschen Sprachvereins auseinander, mit dem der Vorsitzende von Mangoldt sympathisierte: „Der Sprachverein formuliert: ,Die Ehe ist die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Sie bildet die Grundlage der Familie‘. Unsere Fassung: ,… und die mit ihr gegebene Familie‘ ist in der Formulierung nicht schön. Man könnte höchstens noch sagen, wie wir getan haben: ,… stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung‘. Im Vorschlag des Sprachvereins heißt es: ,… stehen unter dem Schutz der Verfassung‘. Inhaltlich ist es genau dasselbe, aber in der Formulierung besser.“145 141
Parlamentarischer Rat Bd. 14/1, S. 597. Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 807 (Abgeordneter Süsterhenn): „Es hat sich aber bei den ganzen Verhandlungen, wie sie bis zum heutigen Tage gediehen sind, herausgestellt, daß das, was hier im Entwurf vorliegt, eigentlich doch schon de facto eine Vollverfassung im wirklichen Sinne des Wortes ist […].“ 143 Parlamentarischer Rat Bd. 14/1, S. 598 (Abgeordneter Pfeiffer). 144 Parlamentarischer Rat Bd. 14/1, S. 611; der dagegen gerichtete Abänderungsantrag des Abgeordneten Bergsträßer – „Ehe, Familie und Kind genießen den Schutz der Verfassung“ – wurde abgelehnt. 145 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 935 (Vorsitzender von Mangoldt) (Hervorhebung im Original). 142
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Im Lichte dieser Vorschläge des Sprachvereins einigte man sich darauf, diese Formulierung für Art. 7a Abs. 1 zu übernehmen, der somit folgendermaßen lautete: Die Ehe ist die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Sie bildet die Grundlage der Familie. Ehe und Familie und die damit verbundenen Rechte und Pflichten stehen unter dem Schutze der Verfassung.146
Diese Fassung war die Grundlage der zweiten Lesung des Hauptausschusses in seiner 43. Sitzung vom 18. Januar 1949, in der von Mangoldt zu Beginn feststellte, dass der Grundsatzausschuss an Art. 7a nur rein redaktionelle Änderungen vorgenommen habe, weil die sprachliche Fassung nicht geglückt sei.147 Daneben lag dem Hauptausschuss auch eine vom Allgemeinen Redaktionsausschuss redigierte Fassung vom 13. Dezember 1948 vor, die letztlich zur heutigen Fassung des Art. 6 Abs. 1 GG werden sollte: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.148
In einer Anmerkung des Redaktionsausschusses zu diesem Formulierungsvorschlag wird mitgeteilt, dass diese gekürzte Fassung keine Inhaltsänderung gegenüber der in der ersten Lesung im Hauptausschuss bestätigten Fassung des Ehegrundrechts bedeuten soll. Denn wenn Ehe und Familie unter dem Schutz der staatlichen Ordnung stünden, so seien damit zugleich die aus ihnen fließenden Rechte unter deren Schutz gestellt und es bedürfe auch keines Hinweises auf die rechtmäßige Form der fortdauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.149 Im Verlauf der zweiten Lesung widmete sich der Hauptausschuss wiederum primär der Stellung des unehelichen Kindes, wobei es diesmal unter der Federführung des Abgeordneten Renner zu einer Aussprache über die Rechtfertigung des Schutzes der Ehe kam: „Ich stelle die Frage: Was ist schützenswert? Meine Antwort: Das Kind ist schützenswert. Ihre Auffassung, die eine Jahrzehnte, beinahe Jahrhunderte alte ist, resultiert aus Ihrer klassenmäßigen Auffassung der Dinge. Sie setzen der Auffassung, die ich hier zum Ausdruck gebracht habe, Ihre alte – ich gebrauche das Wort bewußt – reaktionäre Auffassung entgegen, die in der uns jetzt vorliegenden Formulierung noch krasser zum Ausdruck kommt als in dem Entwurf des Redaktionsausschusses. Während der Redaktionsausschuß noch sagt: ,Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung‘, konstruieren Sie den Satz: ,Die Ehe ist die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.‘ Dann kommen Sie erst zu der Schlußfolgerung: ,Sie bildet die Grundlage der Familie.‘ Was Sie schützen wollen – das muß einmal ganz klar ausgesprochen werden –, ist also die Ehe. […] – Nicht die Familie, die Ehe wollen Sie schützen. […] – Nein, nicht beides, Sie wollen in der Hauptsache die Ehe schützen. Sie sagen klar: Die Ehe ist die Grundlage für die Familie.“150
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Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 957 f. Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1330 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 880. Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 880. Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1338 (Abgeordneter Renner).
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Die Abgeordnete Selbert verdichtete in einem vergleichbaren Duktus die Frage nach der Rechtsstellung des nichtehelichen Kindes: „Sehen Sie das Problem nicht unter dem Gesichtspunkt der Heilighaltung der Ehe. Die Grundsätze der Familie und der Ehe sind vom Leben selbst durchbrochen. Das Leben schafft sich seine eigenen Gesetze. Gehen wir an diesen Lebensgesetzen nicht fremd vorüber!“151 Diesem Beitrag folgte eine kritische Beurteilung durch den Abgeordneten Greve, ob von dem Eheartikel in der Fassung, die vom Ausschuss für Grundsatzfragen vorgeschlagen wurde, eine unmittelbare Rechtswirkung ausgehen kann. Er war der Auffassung, dass die Bestimmung, dass die Ehe die rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau sei, keine unmittelbare Rechtsgeltung entfalten könne, weil für diejenigen, die die Ehe nicht als rechtmäßige Form der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau anerkennen, eine solche Formulierung nichts bedeute, auch wenn es in der Verfassung stehe.152 Auch der zweite Satz, dass die Ehe die Grundlage der Familie bilde, sei deklaratorisch und könne kein unmittelbar geltendes Recht sein, sodass er die Streichung dieser Sätze beantragte und für den Fall, dass dieser Antrag abgelehnt würde, den Eventualantrag stellte, dem Art. 7a die Fassung zu geben, die der Allgemeine Redaktionsausschuss vorgeschlagen hat.153 So kam es: Die Streichung von Art. 7a Abs. 1 wurde mit 11 zu 10 Stimmen abgelehnt und die Änderung dieser Bestimmung im Sinne des Vorschlags des Redaktionsausschusses wurde mit 12 zu 9 Stimmen angenommen.154 Der Hauptausschuss stellte in seiner zweiten Lesung ausdrücklich fest, dass der beschlossene Grundrechtsabschnitt damit neben den klassischen Grundrechten nun „einige Vorschriften“ enthält, „die auf eine verfassungsrechtliche Garantie gewisser RechtsInstitute (Ehe und Familie, Erziehungsrecht der Eltern, Freiheit der Wissenschaft, Eigentum, Erbrecht) abzielen.“155 Zu dieser Formulierung des Ehegrundrechts wurden vom Fünfer-Ausschuss für die dritte Lesung vom 10. Februar 1949 des Hauptausschusses keine Änderungsvorschläge empfohlen,156 sodass diese Formulierung dort angenommen,157 in dessen vierter Lesung vom 5. Mai 1949 im heutigen Art. 6 Abs. 1 GG verortet158 und in dieser Form am 23. Mai 1949 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde.159
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Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1342 (Abgeordnete Selbert); ebd., S. 1341: „Es hieße, am Leben unserer Zeit vorbeigehen, wenn wir nicht klar sehen, daß sich heute außerhalb der Ehe bereits neue Lebensformen bilden, die keineswegs als unmoralisch und nicht zu billigen anzusehen sind.“ 152 Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1345 (Abgeordneter Greve). 153 Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1345 f. (Abgeordneter Greve). 154 Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1346. 155 Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 203. 156 Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 298, 307, 316, 319, 342. 157 Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 399; Bd. 14/2, S. 1490; dazu s. Böcking, S. 54 f. 158 Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 533; Bd. 14/2, S. 1784; dazu s. Böcking, S. 54 f. 159 Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 613; BGBl. I, S. 1 ff.; dazu s. Böcking, S. 54 f.
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b) Der erste Privilegierungsgrund der Ehe: Ihr Familienpotential Diese abschließende Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 GG beinhaltet zwar nicht mehr den einer Legaldefinition gleichenden Zusatz zur Ehe „als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“160 und ist insoweit – mit den Worten des Abgeordneten Renner – weniger „krass“161 formuliert als der Vorschlag des Ausschusses für Grundsatzfragen. Aber Renner selbst gestand ein, dass auch in der letztlich angenommenen Fassung immer noch das tradierte Ehebild von Mann und Frau zum Ausdruck kommt.162 Damit bestätigte er die Anmerkung des Redaktionsausschusses zu dieser Formulierung, dass es keines definierenden Hinweises bedürfe, „wenn die Ehe als solche unter den besonderen Schutz des Staates gestellt wird.“163 Diese Anmerkung verdeutlicht, dass auch dem gekürzten Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG das Ehemerkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit weiterhin zugrunde liegt. Dafür spricht jedenfalls, dass bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat eine Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern „außerhalb jeder Denkmöglichkeit“164 lag.165 Zugleich ist aber auch zu berücksichtigen, dass in diesen Diskussionen die angesichts des hohen Frauenüberschusses in der Nachkriegszeit möglichen nichtehelichen Familienformen nicht außer Acht gelassen wurden: „Es hieße, am Leben unserer Zeit vorbeigehen, wenn wir nicht klar sehen, daß sich heute außerhalb der Ehe bereits neue Lebensformen bilden, die keineswegs als unmoralisch und nicht zu billigen anzusehen sind.“166 Betrachtet man den Normsetzungsprozess im Zusammenhang mit dieser gesellschaftlichen Realität, dass die Ehe nicht die einzig mögliche Form der Familiengründung war und ist, so rechtfertigt dies die Annahme, dass die Ehe zwar auch und gerade, aber nicht ausschließlich wegen ihres natürlichen Familienpotentials in den „Bevorzugungstitel“167 des Art. 6 Abs. 1 GG aufgenommen worden ist.168 Dafür spricht insbesondere auch der entstehungsgeschichtliche Befund, dass sich der bevölkerungspolitische Bezug der Ehe nach Art. 119 Abs. 1 WRV nicht im Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG wiederfindet.169 160
Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 642, 634 (Anmerkung 28). Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1338. 162 Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1338 („klassenmäßige Auffassung der Dinge“; „reaktionäre Auffassung“). 163 Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 880. 164 Ipsen, NVwZ 2017, 1096 (1097). 165 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zur Zeit der Beratungen des Parlamentarischen Rates die Homosexualität nach § 175 StGB a. F. unter Strafe stand; dazu s. Böcking, S. 54; ferner s. Ipsen, NVwZ 2017, 1096 (1097); BVerfG, Urteil vom 02.10.1973 – 1 BvL 7/72 = NJW 1973, 2195 ff. 166 Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1341 (Abgeordnete Selbert); dazu s. Auer, AcP 216 (2016), S. 239 (267 f.); Holler/Bender, JSE 2017, 1 (7 f.). 167 Steiner, in: FS Schwab, S. 433 (439 f.). 168 Böcking, S. 59. 169 Böcking, S. 58 f.; Brosius-Gersdorf, S. 182 ff.; dies., in: Dreier (Hrsg.), Art. 6 Rn. 43. 161
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Gleichwohl spiegelt die Endfassung des Art. 6 GG den in seinem Erarbeitungsprozess bis zuletzt präsenten natürlichen Familienbezug der Ehe wider. Denn nach Wortlaut, Normstruktur und Normgenese des Art. 6 GG stehen Ehe, Familie, Elternverantwortung, der Schutz der Mutter und die Stellung des nichtehelichen Kindes in dessen insgesamt fünf Absätzen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind als Sinneinheit in einem Artikel aufeinander bezogen, miteinander verbunden und normieren somit in ihrem Zusammenwirken das Leitbild einer als gelungen empfundenen Lebensordnung:170 „Die Ehe bildet die Grundlage der Familie, die Familie wächst grundsätzlich aus der Ehe.“171 Dieses im Gesamtgefüge des Art. 6 GG normativ erkennbare natürliche Familienpotential der Ehe ist nach dem Standpunkt dieser Studie der innere Rechtfertigungsgrund ihres in der bundesverfassungsgerichtlichen Ehedefinition zugrunde gelegten Strukturmerkmals der Verschiedengeschlechtlichkeit.172 Die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau zu definieren ist die Konsequenz des in Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des Art. 6 GG zum Ausdruck gebrachten natürlichen Familienpotentials der Ehe. Dieses Definitionsmerkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit macht das in der Ehe enthaltene natürliche Familienpotential rechtlich operabel. 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Dementsprechend war die Ehe in der älteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die „alleinige Grundlage einer vollständigen Familiengemeinschaft und als solche Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung von Kindern.“173 Umgekehrt setze die „gesunde kör170
Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 6 Rn. 17; ders., in: FS Benda, S. 209 (215 f.) („normiert einen von Rechts wegen anzustrebenden Zustand, ist deshalb Plan, Weisung und Ordnungsnorm zugleich. […] soll Wertüberzeugungen beeinflussen.“); dazu s. Holler/Bender, JSE 2017, 1 (8). 171 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 6 Rn. 17; dazu s. Burgi, Der Staat 39 (2000), S. 487 (508): „Das Grundgesetz mag wirtschaftspolitisch neutral sein, familienpolitisch bekennt es jedenfalls Farbe.“ Zum „Mythos vom neutralen Staat“ s. Ladeur/I. Augsberg, JZ 2007, 12 ff.; ferner s. Di Fabio, NJW 2003, 993 (998); a. A. Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), Art. 6 Rn. 43: „Eine reproduktive Funktion, wie sie die Familie aufweist, kommt der Ehe nicht zu.“ 172 So auch Ipsen, NVwZ 2017, 1096 (1098 f.); Krings, NVwZ 2011, 26 (27); von Coelln, NJ 2018, 1 (4); Pauly, NJW 1997, 1955; dazu s. Wollenschläger, S. 90 ff.; Holler/Bender, JSE 2017, 1 (8); a. A. jüngst Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 6 Rn. 38: Ein Verfassungswandel habe „dazu geführt, dass nunmehr die zuvor weithin angenommene Voraussetzung der Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner kein konstituierendes Merkmal des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs mehr bildet.“ So auch Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), Art. 6 Rn. 50: „Dass die Ehe unter Mitwirkung des Staates geschlossen wird, dass sie als Einehe gestaltet ist, dass sie auf Lebenszeit angelegt ist und dass sie von zwei Personen verschiedenen Geschlechts eingegangen wird, ist durch die Institutsgarantie nicht geboten.“ 173 BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 = BVerfGE 76, 1 (51) = NJW 1988, 626 ff.
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
perliche und seelische Entwicklung des Kindes grundsätzlich das Geborgensein in der nur in der Ehe verwirklichten vollständigen Familiengemeinschaft mit Vater und Mutter“ voraus.174 Dieses natürliche Familienpotential verband sich im Sondervotum der Richterin Haas zur Lebenspartnerschaftsentscheidung mit dem Strukturmerkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit und wurde dadurch für sie zum inneren Rechtfertigungsgrund des besonderen Schutzes der Ehe. Ihr zufolge hält das Grundgesetz mit Art. 6 Abs. 1 GG den rechtlichen Rahmen einer Lebensordnung bereit, in der Mann und Frau ihre Lebensgemeinschaft zur Familie weiterentwickeln können:175 „Wegen dieser in der Ehe potenziell angelegten Elternschaft, die der Gemeinschaft von Eltern und Kind Stabilität verheißt, hat der Verfassungsgeber Ehe und Familie dem Schutz der Verfassung unterstellt.“176
Dies wiederholten später der Richter Landau und die Richterin Kessal-Wulf in ihrem Sondervotum zum Ehegattensplitting: „Dieser besondere Schutz wird der Ehe zuteil, weil sie Vorstufe zur Familie sein kann, die wiederum Voraussetzung der Generationenfolge und damit der Zukunftsgerichtetheit von Gesellschaft und Staat ist.“177
Der Richterin Haas zufolge ist demgegenüber eine rechtsverbindlich verfasste, gleichgeschlechtliche Partnerschaft „nicht auf ein eigenes Kind hin angelegt, führt nicht zu Elternverantwortlichkeit und erbringt dadurch keinen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft.“178 Auch die damalige Senatsmehrheit stellte in ihrem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit der Lebenspartnerschaft das natürliche Familienpotential der Ehe als deren genuines Spezifikum heraus, was e contrario den Charakter der Lebenspartnerschaft als aliud zur Ehe unterstrich und die Verfassungsmäßigkeit des LPartG bedingte: „Der Unterschied, dass aus einer auf Dauer verbundenen Zweierbeziehung von Mann und Frau gemeinsame Kinder erwachsen können, aus einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft dagegen nicht, rechtfertigt es, verschiedengeschlechtliche Paare auf die Ehe zu verweisen, wenn sie ihrer Lebensgemeinschaft eine dauerhafte Rechtsverbindlichkeit geben wollen.“179
Zudem erachtete das Bundesverfassungsgericht bereits vor seiner Entscheidung über die Lebenspartnerschaft den Verweis darauf, dass die Zahl kinderloser Ehen zunehme, während eine wachsende Zahl von Kindern außerhalb einer Ehe geboren würde, für verfassungsrechtlich unerheblich: 174 BVerfG, Beschluss vom 29.01.1969 – 1 BvR 26/66 = BVerfGE 25, 167 (196) = NJW 1969, 597 ff. 175 BVerfGE 105, 313 (360) (Sondervotum Haas). 176 BVerfGE 105, 313 (360) (Sondervotum Haas). 177 BVerfGE 133, 377 (426 f.) (Sondervotum Landau und Kessal-Wulf) = NJW 2013, 2257 ff. 178 BVerfGE 105, 313 (362) (Sondervotum Haas). 179 BVerfGE 105, 313 (352).
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„Mit diesen Erwägungen wird die Annahme nicht widerlegt, daß die Ehe vor allem deshalb verfassungsrechtlich geschützt wird, weil sie eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll.“180
a) Der zweite Privilegierungsgrund der Ehe: Ihr Solidaritätscharakter Gleichwohl hat dieses natürliche Familienpotential der Ehe in der jüngeren Entscheidungsserie des Bundesverfassungsgerichts zur eingetragenen Lebenspartnerschaft als Grund für die Privilegierung der Ehe an Differenzierungskraft verloren.181 Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung beruht auf einer grundlegenden Neubestimmung des inneren Schutzgrundes der Ehe: „Die Rechtfertigung der Privilegierung der Ehe, und zwar auch der kinderlosen Ehe, liegt, insbesondere wenn man sie getrennt vom Schutz der Familie betrachtet, in der auf Dauer übernommenen, auch rechtlich verbindlichen Verantwortung für den Partner. […] Soweit eine Privilegierung der Ehe darauf beruht, dass aus ihr Kinder hervorgehen, ist die verfassungsrechtlich zulässige und geforderte Förderung von Eltern im Übrigen in erster Linie Gegenstand des Grundrechtsschutzes der Familie und als solche nicht auf verheiratete Eltern beschränkt […].“182
Unter dem Gesichtspunkt einer solchen Entkopplung der Ehe von ihrem natürlichen Familienpotential seien verschieden- und gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen als gegenseitige Einstands- und Verantwortungsgemeinschaften – also jeweils als Solidaritätsverbindung – vergleichbar, was das Bundesverfassungsgericht im weiteren Verlauf seiner Rechtsprechung mit gesellschaftlichen Veränderungen plausibilisierte: „Zum einen gibt es nicht in jeder Ehe Kinder. Auch ist nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Zum anderen werden zunehmend auch in Lebenspartnerschaften Kinder großgezogen […].“183
Dieser zweite Aspekt lässt aufhorchen, spricht das Bundesverfassungsgericht doch nun – und dies zudem im Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung – auch der Lebenspartnerschaft eine vergleichbare Eignung zu, „Voraussetzung für die 180
BVerfG, Beschluss vom 04.10.1993 – 1 BvR 640/93 = NJW 1993, 3058; ferner s. Krings, NVwZ 2011, 26 (27): „Der Befund, dass sich die Vorstellungen der Verfassung in der Lebenswirklichkeit nur defizitär verwirklichen, muss keinesfalls zur Resignation der Rechtsprechung vor dem viel beschworenen gesellschaftlichen Wandel und damit zur Abschaffung des besonderen Eheschutzes führen.“ 181 Dazu s. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2009 – 1 BvR 1164/07 = BVerfGE 124, 199 = NJW 2010, 1439 ff.; BVerfG, Beschluss vom 21.07.2010 – 1 BvR 611/07 = BVerfGE 126, 400 = NJW 2010, 2783 ff.; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2012 – 1 BvL 16/11 = NJW 2012, 2719 ff.; BVerfG, Beschluss vom 19.06.2012 – 2 BvR 1397/09 = BVerfGE 131, 239 = FamRZ 2012, 1472 ff.; BVerfG, Beschluss vom 07.05.2013 – 2 BvR 909, 1981/06, 288/07 = BVerfGE 133, 377 = NJW 2013, 2257 ff.; BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 = NJW 2013, 847 ff. 182 BVerfGE 124, 199 (225 f.). 183 BVerfGE 131, 239 (263).
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
Begründung von Elternschaft zu sein […] und taugliche Grundlage einer Familie“,184 wodurch es das natürliche Familienpotential der Ehe als bisheriges Unterscheidungskriterium zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft einebnet. Weil auch die „,behüteten‘ Verhältnisse in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft […] das Aufwachsen von Kindern fördern“ könnten,185 würde die Absicht des Gesetzgebers, „einen Anreiz zur Eingehung von Ehen zu bilden, um damit die Zahl der in den ,behüteten‘ Verhältnissen einer Ehe aufwachsenden Kinder zu erhöhen,“186 gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen diskriminieren: „Auszublenden, dass auch in Lebenspartnerschaften Kinder aufwachsen, liefe auf eine mittelbare Diskriminierung gerade wegen der sexuellen Orientierung der Partner hinaus.“187 Das natürliche Familienpotential der Ehe verblasst dabei umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht nun auch gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen in den verfassungsrechtlichen Elternbegriff des Art. 6 Abs. 2 GG einbezieht.188 Im Ergebnis legt das Bundesverfassungsgericht mit seiner gegenüber Diskriminierungsfragen sensiblen 184
BVerfGE 133, 377 (414 f.). BVerfGE 131, 239 (264). 186 BVerfGE 131, 239 (264). 187 BVerfGE 133, 377 (422). 188 BVerfG, NJW 2013, 847 (849 ff.): „Die verfassungsrechtliche Anerkennung der Elternschaft zweier gleichgeschlechtlicher Personen hat das BVerfG nicht mit der Feststellung ausschließen wollen, der Umstand, dass ein Kind nur von einem Elternpaar abstammen könne, lasse darauf schließen, dass der Verfassungsgeber nur einem Elternpaar das Elternrecht für ein Kind habe zuweisen wollen […]. Auch abweichende historische Vorstellungen davon, was unter ,Eltern‘ i. S. d. Art. 6 II 1 GG zu verstehen ist, stehen seiner Anwendung auf eingetragene Lebenspartner heute nicht entgegen. Zwar ist angesichts der damaligen Strafbarkeit und der gesellschaftlichen Verpöntheit von Homosexualität im Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes davon auszugehen, dass bei Abfassung von Art. 6 II GG ausschließlich an verschiedengeschlechtliche Eltern gedacht war. In der Norm liegt deshalb aber nicht eine bewusste Entgegensetzung zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Eltern; vielmehr lag diese schlicht außerhalb des damaligen Vorstellungshorizonts. […] Die Erstreckung des Schutzes des Familiengrundrechts auf gleichgeschlechtliche Paare mit Kind ist nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass Art. 6 I GG nur die auf einer Ehe gründende Familie schützen würde. Für den Schutz durch das Familiengrundrecht kommt es nicht darauf an, ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht; der Familienschutz schließt auch die nichteheliche Familie ein […]. Wo ein gleichgeschlechtliches Paar dauerhaft mit einem Kind in einer faktischen Eltern-KindBeziehung zusammenlebt, lässt sich das Bestehen einer Familie tatsächlich nicht in Abrede stellen […].“ Kritisch dazu s. Gröpl/Georg, AöR 139 (2014), S. 125 (143): „Diese Annahme, der Vorstellungshorizont der Verfassungsgeber sei überschritten gewesen, ist nicht nur spekulativ, sondern weist zudem eine anmaßende Tendenz auf. Im Übrigen würde damit jegliches Auslegungsergebnis zugelassen, solange es den gesetzgeberischen Vorstellungen nicht ,bewusst entgegengesetzt‘ ist. Unseres Erachtens besteht hier ein Widerspruch: Dem, was nicht im Vorstellungshorizont liegt, kann man sich überhaupt nicht ,bewusst entgegensetzen‘. Wie sollte sich ein Verfassungsgeber einer Ansicht ,bewusst entgegensetzen‘, die außerhalb seines Vorstellungshorizonts und damit erst recht außerhalb seines Bewusstseins liegt? Eine solche Argumentation läuft auf eine petitio principii hinaus – oder aber auf die These, dass die Verfassung klüger als der Verfassungsgeber sei […], dass sich dabei in Wahrheit der Verfassungsinterpret – das Bundesverfassungsgericht – für klüger oder fortschrittlicher, humanistischer, gerechter als der Verfassungsgeber hält.“ (Hervorhebung im Original). 185
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Rechtsprechung zur eingetragenen Lebenspartnerschaft somit den Boden für einen grundlegenden Wandel im verfassungsrechtlichen Ehebegriff,189 da bei einer Zurückstellung des natürlichen Familienpotentials konsequenterweise auch das Merkmal der Geschlechtsverschiedenheit unter Rechtfertigungsdruck gerät.190 b) Stellungnahme: Die Kombination der Privilegierungsgründe An dieser Rechtsprechungsentwicklung ist zu kritisieren, dass sich das Bundesverfassungsgericht damit von seinem eigenen Standpunkt entfernt, den es vormals zur Grundlage für die Verfassungsmäßigkeit der Lebenspartnerschaft machte. Denn diese Entscheidung basierte darauf, dass eine solche gleichgeschlechtliche Paarkonfiguration ein materielles aliud zur Ehe ist, weil nur dieser ein natürliches Familienpotential zu eigen ist und deshalb Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Dimension als Institutsgarantie nicht verletzt sei: „Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist wegen dieses Unterschieds auch keine Ehe mit falschem Etikett […], sondern ein aliud zur Ehe. Nicht ihre Bezeichnung begründet ihre Andersartigkeit, sondern der Umstand, dass sich in der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht Mann und Frau, sondern zwei gleichgeschlechtliche Partner binden können.“191
Weil das Bundesverfassungsgericht aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Solidaritätscharakters der Ehe, sondern auch hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Familien- und Elternbegriffs eine funktionale Äquivalenz von Lebenspartnerschaft und Ehe behauptet hat, entfällt die im Ausgangspunkt zur bundesverfassungsgerichtlichen Grundlage gemachte materielle Andersartigkeit dieser beiden Paarbeziehungsformen.192 Kurz: In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird das in Entstehungsgeschichte, Normstruktur und Verfassungstext erkennbare natürliche Familienpotential der Ehe als Wertentscheidung des historischen Verfassungsgebers sukzessive unterminiert.193 Zu kritisieren ist, dass die gegenwärtige 189 Krings, NVwZ 2011, 26 (27): „[…] bereitet nun den Weg für die völlige Gleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, ignoriert die exzeptionelle Schutzanordnung des Art. 6 I GG und lässt die Norm, soweit sie sich auf die Ehe bezieht, leerlaufen.“ 190 Wollenschläger, S. 103 f.: „Ist Ehe auch deshalb besonders geschützt, weil sie auf eine Familiengründung hin angelegt ist, und ist Familie i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG auch die gleichgeschlechtliche Partnerschaft mit Kindern, verliert die Verschiedengeschlechtlichkeit als Ausgrenzungskriterium für gleichgeschlechtliche Partnerschaften an Bedeutung.“ Zur sich anbahnenden Aufgabe der Verschiedengeschlechtlichkeit als Ehestrukturmerkmal s. ferner Blome, NVwZ 2017, 1658 (1661 f.); Wapler, RW 2014, 57 (82). 191 BVerfGE 105, 313 (351). 192 Holler/Bender, JSE 2017, 1 (10 f.). 193 Das Bundesverfassungsgericht hätte in einer solchen Verschiebung durch den Privatrechtsgesetzgeber durchaus eine Verletzung der Institutsgarantie sehen können, vgl. BVerfGE 76, 1 (49): „Zwar ist die Institutsgarantie des Art. 6 GG nicht nur dann betroffen, wenn die den Kern des Ehe- und Familienrechts bildenden Vorschriften namentlich des bürgerlichen Rechts wesentlich umgestaltet oder aufgehoben werden. Sie kann vielmehr auch dann verletzt sein,
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vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Integration gesellschaftlicher Phänomene194 und europäischer Rechtsentwicklungen195 in die Verfassungsinterpretation wenn bestimmende Merkmale des Bildes von Ehe und Familie, das der Verfassung zugrunde liegt, mittelbar beeinträchtigt werden.“ 194 So explizit BVerfGE 124, 199 (229 f.): „Das in der gesellschaftlichen Realität nicht mehr typusprägende Bild der ,Versorgerehe‘, in der der eine Ehepartner den anderen unterhält, kann demzufolge nicht mehr als Maßstab der Zuweisung von Hinterbliebenenleistungen dienen. […] Damit liegt der Kinderanteil bei eingetragenen Lebenspartnerschaften zwar weit unter dem von Ehepaaren, ist jedoch keineswegs vernachlässigbar.“ Kritisch zu diesem sozialwissenschaftlichen Argument s. Soergel-Lipp Vor § 1353 Rn. 43: „Inhaltlich besonders bedauerlich ist darüber hinaus, dass das BVerfG die Leistung von Ehegatten, die sich der Kindererziehung widmen und dafür Lücken in ihrer Erwerbsbiographie in Kauf nehmen, mit dem wenig überzeugenden Hinweis, dass es nicht in jeder Ehe Kinder gebe, und dass die ,Versorgerehe‘ nicht mehr der heutigen ,gesellschaftlichen Realität‘ entspreche, beiseite schiebt. Demgegenüber bleibt zu sehen, dass in der ,gesellschaftlichen Realität‘ der weitaus größte Anteil an Kinder[er]ziehung und Familienarbeit tatsächlich in Ehen geleistet wird.“ So auch Krings, NVwZ 2011, 26 (27). Zum empirischen Zusammenhang von Ehe und Familie s. Wollenschläger, S. 86 ff., 103 f. 195 So explizit BVerfGE 124, 199 (220): „Ein strenger Kontrollmaßstab bei einer auf die sexuelle Orientierung bezogenen Ungleichbehandlung, der sich dem bei anderen Diskriminierungsverboten geltenden Maßstab annähert, entspricht auch der Rechtsentwicklung im Europarecht. Sowohl Art. 13 EGV wie Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beziehen die sexuelle Ausrichtung in den Kreis der Diskriminierungsverbote ein. Auch in der Rechtsprechung des [EGMR] werden für Unterscheidungen, die sich auf die sexuelle Orientierung gründen, genauso ,ernstliche Gründe‘ als Rechtfertigung gefordert, wie für solche, die sich auf das Geschlecht gründen […].“ Darüber hinaus s. BVerfG, NJW 2013, 847 (851): „Die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Elternpaare in den Familienschutz entspricht der Rechtsprechung des EGMR.“ Ferner s. Michael, NJW 2010, 3537 (3539 f.): „Das BVerfG lotet also keineswegs aus, die Konsequenzen dieser ,Rechtsentwicklung im Europarecht‘ auf das unions- bzw. konventionsrechtlich gebotene Maß zu beschränken. So geht es nicht darauf ein, dass die Grundrechte-Charta zum Zeitpunkt des Urteils im Sommer 2009 noch gar nicht in Kraft getreten war, dass der EuGH auf die Grenzen des Kompetenzbereichs des Unionsrechts (damals Gemeinschaftsrechts) ausdrücklich hinweist und dass der EGMR den weiten, kulturell geprägten Spielraum der Mitgliedstaaten betont, zumal deren Umgang mit gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften sehr unterschiedlich ist. Das BVerfG greift vielmehr europäische Tendenzen auf und führt sie für das nationale Verfassungsrecht mit umso größerer Durchschlagskraft und Reichweite fort.“ Aus der Fülle an Reflexionen über dieses viel diskutierte Verhältnis von nationalem Verfassungsrecht und europäischen Grundrechten seien nur genannt: Holterhus/Mittwoch/El-Ghazi, JuS 2018, 313 ff.; Classen, EuR 2017, 347 ff.; ders., EuR 2008, 627 ff.; Thiele, EuR 2017, 367 ff.; Jarras, ZEuP 2017, 310 ff.; Nussberger, RabelsZ 80 (2016), S. 817 ff.; Möllers, ZEuP 2015, 461 ff.; Ingold, AöR 140 (2015), S. 1 ff.; Wischmeyer, AöR 140 (2015), S. 415 ff.; Schwerdtfeger, EuR 2015, 290 ff.; Masing, JZ 2015, 477 ff.; F. Kirchhof, NVwZ 2014, 1537 ff.; ders., NJW 2011, 3681 ff.; Kohler/Puffer-Mariette, ZEuP 2014, 696 ff.; zur Problemstruktur der primärrechtskonformen Auslegung s. Auer, in: Neuner (Hrsg.), S. 27 (40 f.). Dabei ist nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG maßgebend, dass die Europäische Union „einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz“ gewährleisten und das Grundgesetz in Bezug auf das Familienrecht im europäischen Mehrebenensystem „relativ autonom“ bleiben muss, dazu s. Holler/Bender, JSE 2017, 1 (12 ff.); kritisch auch Papier, NJW 2002, 2129 (2130) (kein Schutz der Ehe nach Art. 9 GR-Charta, sondern durch Art. 33 GR-Charta nur Schutz der Familie). Zur gegenwärtigen europarechtlichen Harmonisierungstendenz im familienrechtlichen Verfahrens- und Kollisionsrecht s. die VO 650/
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dieses bei der Entstehung des Art. 6 GG im Parlamentarischen Rat kontinuierlich präsente und in dessen redaktioneller Endfassung zum Ausdruck gekommene konstitutive Familienpotential der Ehe seiner essentiellen Bedeutung beraubt.196 In seiner Überzeugungskraft steht und fällt dieser Vorwurf, dass die Regelungsabsicht des ursprünglichen Verfassungsgebers in der jüngeren Rechtsprechungsentwicklung nicht ausreichend zur Geltung kommt, mit der Leistungsfähigkeit des dieser Studie zugrunde liegenden Primats einer subjektiv-historischen Auslegung des Grundgesetzes vor objektiv-teleologischen Erwägungen. Warum also genießen die Vorstellungen des Parlamentarischen Rates einen vorrangigen Stellenwert und sind bei der Definition des Ehebegriffs besonders zu berücksichtigen? Diese privatrechtsdogmatische Arbeit bietet von vornherein nicht den Rahmen, diesen „Klassiker und Kernstreit“197 der juristischen Methodenlehre in seiner Breite zu entfalten, das Panorama seiner verschiedenen Spielarten um eine zusätzliche Abhandlung zu erweitern und damit „ein fast unentwirrbares Dickicht von Problemen und Antwortversuchen“198 noch weiter zu verdichten.199 Vielmehr knüpft diese Studie an die Einsicht an, dass man sich je nachdem, ob man das Grundgesetz primär als stabilisierendes Dokument der Bewahrung oder eher als dynamisches Instrument 2012 (Erbrecht); dazu s. Lechner, in: Dutta/Herrler (Hrsg.), S. 5 ff.; ferner die VO 2016/1103 (eheliches Güterrecht) und die VO 2016/1104 (güterrechtliche Wirkungen eingetragener Partnerschaften); dazu s. Serdynska, in: Dutta/Weber (Hrsg.), S. 7 ff. Zur Diskussion über eine materielle Familien- und Erbrechtsvereinheitlichung s. Dethloff, AcP 204 (2004), S. 544 ff.; dies., ZEuP 2007, 992 ff.; Jayme, ZfRV 1983, 162 ff.; Pintens, ZEuP 2001, 628 ff.; von Caemmerer, in: FS Hallstein, S. 63 (66); Tilmann, in: FS Oppenhoff, S. 494 (503); Kuchinke, in: FS Söllner, S. 589 ff.; Leipold, in: FS Söllner, S. 647 ff.; Neumayer, in: FS Ferid, S. 659 ff.; Hosemann, RNotZ 2010, 520 ff.; demgegenüber s. BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvR 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09 = BVerfGE 123, 267 (359, 416) = NJW 2009, 2267 (2274, 2289 f.): „Als besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates gelten seit jeher […] kulturell besonders bedeutsame Entscheidungen etwa im Familienrecht […]. Soweit in Art. 81 III Unterabs. 1 AEUV abweichend von Art. 81 II AEUV Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren festgelegt werden, ist darin […] nicht aber die Möglichkeit einer inhaltlichen Ausdehnung der Kompetenzen des Rates für familienrechtliche Maßnahmen [zu sehen], die nicht im Katalog gem. Art. 81 II AEUV ihre Entsprechung finden. Sollte dies allerdings anders gesehen werden, müsste […] sichergestellt werden, dass die Kompetenz nach Art. 81 III Unterabs. 1 AEUV nicht ohne konstitutive Befassung der deutschen Gesetzgebungsorgane in Anspruch genommen wird.“ 196 Siehe nur Hillgruber, JZ 2010, 41 (42 f.) („eklatante verfassungsgerichtliche Missachtung“, „taktisch-wechselhaft“, „objektiv-willkürlich“, „ungenießbarer Brei von Rechtsquellen“); a. A. Classen, JZ 2010, 411 f. 197 Würdinger, JuS 2016, 1. 198 Reimer, Methodenlehre, Rn. 246. 199 Aus der Fülle der juristischen Methodenliteratur seien nur genannt: Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff.; Bydlinski, S. 428 ff.; Looschelders/Roth, S. 28 ff.; Reimer, Methodenlehre, Rn. 246 ff.; Engisch, S. 155 ff.; Sauer, in: Krüper (Hrsg.), § 9 Rn. 28 ff.; ferner s. Heun, AöR 116 (1991), S. 185 ff.; Walter, AöR 125 (2000), S. 517 ff.; jüngst dazu s. Wollenschläger, S. 57 ff.
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der Gestaltung versteht,200 typischerweise entweder einer subjektiv-historischen oder einer objektiv-teleologischen Interpretationsausrichtung anschließt.201 Dabei zeigt eine Gegenüberstellung dieser Auslegungsmethoden, dass sich die jeweils für oder gegen die eine Seite angeführten Gründe unter anderem Vorzeichen als ebenfalls genauso taugliche Argumente für oder gegen diese andere Seite gebrauchen lassen. So stehen etwa den Vorzügen der Stabilität und Rechtssicherheit, die mit der subjektiv-historischen Auslegung und dem eher rechtssetzungszentrierten Verständnis der Verfassung als einem zu bewahrenden Speicher gemachter Erfahrungen verbunden werden können, die Nachteile einer als Versteinerung polemisierten Rigidität gegenüber, denen jedoch wiederum genau die mit dem gegenteiligen rechtsanwendungsbezogenen, dynamisch-gestalterischen Verfassungsverständnis verbundenen Vorteile der Flexibilität entsprechen.202 Spiegelsymmetrisch dazu verhält es sich mit den in einer objektiv-teleologischen Auslegung enthaltenen Nachteilen der Rechtsunsicherheit und Willküranfälligkeit, die ihrerseits das genaue Gegenteil der bereits zuvor genannten Vorzüge der subjektiv-historischen Auslegung sind.203 Im Lichte dieser diametral entgegengesetzten Grundwertungen bedarf diese Arbeit nun einer transparenten und kritischen Reflexion ihres rechtsmethodischen Standpunktes.204 Diese Studie geht davon aus, dass es zu den Kernfunktionen des Staates gehört, Frieden zu schaffen und zu sichern.205 Dieser Grundannahme schließt 200
Zu dieser paradigmatischen Differenz s. Wischmeyer, S. 348 ff. Freilich ist ein solcher Nexus zwischen Geltungsgrundannahmen über das Grundgesetz und seiner Interpretationsmethode nicht absolut. Gleichwohl lässt sich ein untergründiger Zusammenhang nicht leugnen; dazu s. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 134 f. (Fn. 361): „Gilt die Verfassung aufgrund des Willens des historischen Verfassunggebers, so muß dessen Regelungsabsicht in den Vordergrund treten. Gilt die Verfassung aufgrund des Willens der aktuell Rechtsunterworfenen, des gegenwärtigen pouvoir constituant oder des Verfassungsgesetzgebers […], so ist vorrangig je deren Willen zu berücksichtigen […]. Gilt die Verfassung aufgrund inhaltlicher Kriterien […], so bleibt tendenziell mehr Raum für teleologische Erwägungen. Gilt sie schließlich nur aufgrund eines durchlaufenen Verfahrens, einer eingehaltenen Form oder eines reinen Sollens […], so dürften sich für ihren Inhalt und damit für die Interpretationsmethoden keine Kriterien ergeben.“ (Hervorhebung im Original); kritisch zum Begriff der Rechtsgeltung Auer, RW 8 (2017), S. 45 (50 ff.) („Asymmetrie der Geltungsdebatte“). Zum Zusammenhang von Verfassungsverständnis und Verfassungsmethodik s. auch Böckenförde, Verfassungsrecht, S. 53 ff., 82: „Die Konsequenz daraus ist, daß eine Methodendiskussion zur Verfassungsinterpretation immer zugleich auch eine Diskussion über Verfassungsbegriff und Verfassungstheorie ist und davon nicht abgelöst werden kann. Vor-entscheidungen im einen Bereich wirken notwendig in den anderen Bereich hinein.“ Ferner s. Volkmann, Der Staat 54 (2015), S. 35 (37); ders., JZ 2018, 265 ff.; Holler/Bender, JSE 2017, 1 (9 f.); Kulick, JZ 2016, 67 ff. 202 So bereits für das Privatrecht rechtstheoretisch aufgearbeitet bei Auer, Generalklauseln, S. 46 ff., 58 f. 203 Dazu s. Auer, Generalklauseln, S. 46 ff., 58 f. (formeller Grundwiderspruch des Privatrechtsdenkens). 204 So explizit Reimer, in: FS Schapp, S. 431 (443): „Methodenlehre hat damit sowohl für Tatwie für Rechtsfragen die Aufgabe der Erkenntniskritik“; ders., Methodenlehre, Rn. 250, 29. 205 So auch Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 86 f., 135. 201
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sich die Überlegung an, das Recht – und damit auch das Verfassungsrecht – als das staatliche Instrument der Friedensgewährleistung zu begreifen und die in ihm enthaltenen Wertentscheidungen des Rechtssetzers zur Geltung zu bringen.206 Denn der Rechtssetzer und insbesondere der Verfassungsgeber ist in einer typischerweise historisch einmaligen Situation207 nicht in gleichem Maße interessegeleitet wie Verfassungsinterpret und Verfassungsunterworfener in einer konkreten Konfliktlage.208 Die Befriedungsfunktion des Rechts spricht somit dafür, die in einer solchen Konfliktentzogenheit getroffenen Entscheidungen des Rechtssetzers nicht durch eigene Wertvorstellungen des in einen konkreten Streit eingebundenen Rechtsanwenders zu ersetzen.209 Insoweit stabilisiert eine auf die Identifikation der Regelungsabsichten des Normgebers zielende subjektiv-historische Auslegung den Rechtsfrieden.210 Zudem entbindet sie den Interpreten von der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Aktualisierung der Interpretation und dient insoweit der Entlastung des Rechtsanwenders.211 Diese Entlastungswirkung entfaltet sich auch zugunsten des 206
Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 135, 126. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 86: „Das gilt zumal für das Grundgesetz, das nach Drittem Reich und Zweitem Weltkrieg in einem besonders klaren Bewußtsein von (Ab-)Grund und Grenze des Staates entstanden ist.“ 208 Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 86: „Schon diese Tatsache der Konfliktentzogenheit des Normgebers – Variation des Gedankens nemo iudex in causa sua – begründet seine Autorität.“ (Hervorhebung im Original). 209 Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 135: „Bedenkt man, daß die klassische Zentralaufgabe des Staates gerade die Schaffung und Sicherung des Friedens ist, spricht sehr viel dafür, das friedenssichernde Instrumentarium des Staates – das Recht – nicht wieder durch diskursanfällige Interpretationsmethoden zu paralysieren. Die Bindung an Entscheidungen des Verfassunggebers kann Ziel- und Mittel-Streitigkeiten ersparen und Desintegration vermeiden.“ 210 Zur Stabilisierungsfunktion des Grundgesetzes s. Reimer, Methodenlehre, Rn. 30. Im Hinblick auf die Identifikation der Regelungsabsichten des historischen Gesetzgebers haben jüngere sozialphilosophische Ansätze insoweit eine Orientierungshilfe geleistet, als sie das faktisch wirksame Gesellschaftsphänomen der einfachen Gesetzgebung als kollektiv intentionale Handlung deuten und auf dieser Basis kollektive Entscheidungsverfahren als Willensbildungsprozess erklären konnten. So betrachtet die analytisch geprägte Handlungstheorie die soziale Dimension individueller Handlungen unter dem Leitbegriff „Kollektive Intentionalität“ und widmet sich insbesondere der Gruppenbezogenheit von Handlungen, die sich wegen geteilter Ziele und eines gemeinsamen Handlungsplans nicht vollständig auf individuelle Handlungen und Intentionen reduzieren lassen, vgl. D. Gerber, S. 250 ff.; Schmid/ Schweikard, in: dies. (Hrsg.), S. 11 ff. Übertragen auf die Frage nach der Identifikation der Regelungsabsichten eines Normsetzungsorgans wird vertreten, dass ein auf Gesetzgebungsmaterialien gestütztes Argument „als Ausdruck der gesetzgeberischen Willensbildung Beachtung [verlangt], wenn es dem Parlament im Ganzen zuzurechnen ist (Repräsentativität), einen notwendigen Verfahrensschritt abbildet (Schlüsselstellung), allgemein zugänglich war (Transparenz) und keine im Verfahren bloß temporär vertretene Auffassung oder eine isolierte Minderheitsposition markiert (Konsistenz).“ Dazu s. Wischmeyer, JZ 2015, 957 (966) (Hervorhebungen im Original). Zur Nichtfeststellbarkeit einer Regelungsabsicht s. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 140: „Wenn eine Regelungsabsicht erkennbar oder rekonstruierbar ist, bindet sie die Verfassungsinterpretation; wenn nicht, bleiben die weiteren Auslegungsmethoden.“ Ferner s. Wischmeyer, S. 236 ff., 246. 211 Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 135. 207
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Rechtssetzers, der – wenn seine Regelungsabsichten nicht zu beachten wären – sich dazu veranlasst sehen könnte, die Rechtsanwendungsinstanzen zu beobachten und seine Normtexte in Gestalt einzelfallbedingter Nachjustierungen zu verdichten.212 Dem gegen die subjektiv-historische Auslegung gerichteten Einwand der Versteinerung lässt sich entgegen halten, dass die Suche nach den ursprünglichen Regelungsabsichten zu der Erkenntnis führen kann, dass es der Inhalt der Entscheidung des Verfassungsgebers ist, dem Verfassungsinterpreten offene und dynamisch auszufüllende Wertungsspielräume anzuvertrauen.213 Weil die subjektiv-historische Verfassungsinterpretation die einst getroffenen Entscheidungen freilegt, wird es durch sie ermöglicht, die Zeitgemäßheit jener Entscheidungen zur Diskussion zu stellen und auf dieser Basis nach Mehrheiten für eine Änderung im öffentlichen Diskurs zu werben – ein die demokratische Willensbildung fördernder Effekt.214 Man würde diesen demokratischen Prozess jedoch aushöhlen, wenn das in einen konkreten Streit eingebundene Bundesverfassungsgericht die in distanzierter Konfliktentzogenheit getroffenen Entscheidungen des Verfassungsgebers an Art. 79 GG vorbei revidieren könnte.215 Die subjektiv-histo212
Reimer, Methodenlehre, Rn. 256. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 87; ders., Methodenlehre, Rn. 480 (Wertungsermächtigungen als „legitime Vertrauenserklärung des Rechtsetzers an den Rechtsanwender“) (Hervorhebung im Original hier kursiv wiedergegeben). 214 Insoweit bringt eine subjektiv-historisch ausgerichtete Auslegungsmethode den autopoietischen Charakter der Rechtsordnung wirksam zur Geltung, weil sie sich „vorbehaltlos dem Selbstverständnis des positiven Rechts als einem sich selbst erzeugenden und sich selbst regulierenden System“ öffnet; dazu s. Jestaedt, S. 335; ferner s. Luhmann, S. 62: „Das Rechtssystem etabliert sich […] als ein autopoietisches System. Es konstituiert und reproduziert emergente Einheiten (inclusive: sich selber), die es ohne operative Geschlossenheit nicht geben würde. Und es leistet auf diese Weise eine eigenständige Reduktion von Komplexität, ein selektives Operieren angesichts einer Fülle von Möglichkeiten, die – sei es ignoriert, sei es abgewiesen – jedenfalls unberücksichtigt bleiben, ohne daß dies der Autopoiesis Abbruch tut.“ (Hervorhebungen im Original). 215 So auch Hain, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 79 Rn. 13: „Der zulässige Wandel der Konkretisierungen spielt sich aber in einem Bereich ab, der von den zu konkretisierenden Normen nicht bereits definitiv entschieden ist; es wird also nicht ein vorhandener normativer Gehalt der Verfassung geändert, sondern im Rahmen der Bindung an infinite Verfassungsnormen eine bisher vorgenommene Konkretisierung durch eine neue Konkretisierung ausgetauscht (oder ergänzt).“ (Hervorhebungen im Original); vom Verfassungswandel als „sich ändernde Auslegungsvarianten“ spricht Augsberg, in: Kluth/Krings (Hrsg.), S. 729 (736); klarstellend auch Voßkuhle, Der Staat 43 (2004), S. 450 (457): „Entgegen der missverständlichen Rede vom Verfassungswandel als inhaltlicher Änderung der Verfassung ändert sich beim Verfassungswandel nicht der normative Gehalt der Verfassung, sondern die Konkretisierung einer bis zu einem gewissen Grad offenen Verfassungsnorm wird durch eine andere Konkretisierung des Verfassungsinterpreten ersetzt oder ergänzt. Erst wenn die neue Konkretisierung nicht mehr mit dem – freilich äußerst schwierig zu bestimmenden – normativen Gehalt der jeweiligen Bestimmung des Grundgesetzes vereinbar ist, muss zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Vorgaben des Art. 79 GG eine Verfassungs(text-)änderung vorgenommen werden. Weitere dogmatische Aussagen sind mit dem Begriff des Verfassungswandels indes nicht verbunden.“ Gleichfalls auch Böckenförde, Staatslehre, S. 153: „[…], daß Verfassungsinter213
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rische Verfassungsinterpretation kann also unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung dazu dienen, eine Verfassungsänderung in den vorgesehenen Formen, Mehrheitserfordernissen und Grenzen des Art. 79 GG von der richterlichen Verfassungsinterpretation abzugrenzen. Vor dem Hintergrund dieser offen gelegten Wertungsmaßstäbe ist der Verfassungsinterpret nach der hier vertretenen Meinung primär auf die vom Normsetzer vorgesehenen Entscheidungen festgelegt, ohne dass dieser Vorrang der subjektivhistorischen Auslegung aber jeden Rückgriff auf objektiv-teleologische Erwägungen sperrte.216 Denn der reduzierte und hier keineswegs geleugnete, nur auf grundlegende Richtungsentscheidungen zielende Regelungsanspruch des Grundgesetzes217 erforpretation es mit der Ermittlung, Entfaltung und gegebenenfalls Vervollständigung von etwas (normativ) Vorgegebenem, nicht etwas bloß Aufgegebenem, zu tun hat. […] Gleichwohl bleibt sie etwas anderes als die Veränderung oder gar Neuentwicklung des Vorgegebenen. Wird diese Abgrenzung für überholt oder nicht durchführbar erklärt, hebt das auch die Unterscheidbarkeit von Verfassungsinterpretation und Verfassungsänderung auf: Die Kompetenz zur Verfassungsinterpretation, die in der Bundesrepublik letztlich und authentisch beim Bundesverfassungsgericht liegt, wird in fließendem Übergang eine solche zur Verfassungsänderung. Das aber bedeutet, daß nicht nur Art. 79 GG unterlaufen, sondern auch das gewaltengliedernde Verfassungsgefüge, wie das Grundgesetz es vorsieht, nachhaltig verändert wird. Dies kann nicht rechtens sein.“ (Hervorhebung im Original); ferner s. Heun, AöR 116 (1991), S. 185 ff.; Walter, AöR 125 (2000), S. 517 ff.; Volkmann, JZ 2018, 265 ff. Dass eine ausdrückliche formale Änderung im Wortlaut des Grundgesetzes nach Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nötig ist, dient also nicht nur der Klarstellung und Erkennbarkeit von getroffenen Entscheidungen, sondern immunisiert durch seine ausbremsende Wirkung das Verfassungsrecht auch gegenüber inhaltlichen Wandlungen. Dass der Ehebegriff unbestritten gesellschaftlichen Wandlungen unterworfen ist, bedeutet nicht, dass es verfassungsrechtlich unmöglich wäre, eine rechtsverbindliche Wertentscheidung über diesen zu treffen. Unbestritten kann ein gesellschaftlicher Wandel im Eherechtsdenken wiederum unter den Voraussetzungen des Art. 79 GG rechtsverbindlich werden. So zeugt gerade die gescheiterte Änderung des Art. 6 Abs. 1 GG von der prinzipiellen Möglichkeit, verfassungsrechtlich getroffene Entscheidungen ändern zu können, vgl. BTDrs. 12/6323, S. 4; BT-Drs. 12/6686, S. 5, 10. Der Sinn der Form und des Mehrheitserfordernisses des Art. 79 GG besteht also darin zu verhindern, dass praktisch wirksame und interpretatorisch rezipierbare Wandlungen unter Umgehung eines demokratischen Verfahrens der Verfassung aufgezwungen werden. Zu dieser Bedeutung der Form s. paradigmatisch Jhering, Geist Bd. 2 Abt. 2, S. 471 f.: „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. […] Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen – und wo ein Volk sich wahrhaft auf den Dienst der Freiheit verstand, da hat es instinctiv auch den Werth der Form herausgefühlt […].“ (Hervorhebungen im Original). 216 Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 140; ders., Methodenlehre, Rn. 251, 253 („relativer Vorrang der subjektiv-historischen Auslegung […] kein Vorbehalt der subjektiv-historischen Auslegung“) (Hervorhebungen im Original); ferner s. Neuner, S. 114, wonach der gesetzgeberischen Regelungsabsicht innerhalb des möglichen Wortsinns „uneingeschränkte Präferenz vor objektiv-teleologischen Kriterien“ gebühre; Koch/Rüßmann, S. 182, denen zufolge Wortsinn und Zwecke des Gesetzgebers „Vorrang vor der objektiv-teleologischen Auslegung“ genießen. 217 Dazu s. Böckenförde, Verfassungsrecht, S. 86, 89 („verbindliche Grenzfestlegung der politischen Entscheidungsgewalt […] verbindliche Richtungsbestimmung für die politische Handlungs- und Entscheidungsgewalt durch Festlegung bestimmter Handlungsziele und Gestaltungsprinzipien, die in die gesetzliche Rechtsordnung und das Verwaltungshandeln ein-
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dert es gerade zur Sicherung seiner Normativität, dass objektiv-teleologische Aspekte mitnichten kategorisch ausgeschlossen werden.218 Jedoch verbürgt ein Primat der subjektiv-historischen Auslegung eine höhere Objektivität als eine anfängliche Freigabe „objektiver“ Auslegungskriterien,219 weil das erste Wort dem konfliktentzogenen Normsetzer verbleibt und der Rechtsanwender nicht schon zu Beginn dessen Informationsgehalt in Frage stellt.220 Der nachhaltigen Befriedungswirkung eines solchen ersten Wortes war sich der Parlamentarische Rat auch und gerade im kulturell sensiblen Bereich von Ehe und Familie äußerst bewusst. In Erinnerung gerufen sei insoweit nur die zuvor zitierte Bemerkung des Abgeordneten Pfeiffer: „Mit unseren Anträgen treten die Beratungen des Parlamentarischen Rates in den Bereich entscheidender weltanschaulicher Fragen. Das Echo aus weiten Kreisen unseres Volkes und aus allen Teilen Deutschlands beweist uns, daß eine befriedigende Regelung der in unseren Anträgen aufgerollten Fragen vom Parlamentarischen Rat nicht nur erwartet, sondern kategorisch gefordert wird. […] Unsere Vertreter im Grundsatzausschuß haben schon angedeutet, daß es sich hier für uns um so fundamentale, um so ernste Fragen handelt, daß die Entscheidungen des Parlamentarischen Rates auf diesem Gebiet für unsere Entscheidung gegenüber der Gesamtverfassung von sehr großer Bedeutung sein werden.“221
Teilt man die rechtsmethodische Grundüberzeugung dieser Studie, so ist dem in Entstehungsgeschichte, Normstruktur und Verfassungstext erkennbaren Familienpotential der Ehe aus Gründen der Gewaltenteilung und des Rechtsfriedens eine konstitutive Bedeutung beizumessen, der das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung aber immer weniger gerecht wird. Zugleich lässt sich die Privilegierung der Ehe durch Art. 6 Abs. 1 GG gerade wegen ihres entstehungsgeschichtlichen Unterschieds zu den bevölkerungspolitischen Motiven des Art. 119 Abs. 1 WRV jedoch nicht ausschließlich auf ihr natürliches Familienpotential zurückführen. Auch das im Parlamentarischen Rat zur Sprache gekommene Ausbilden nichtehelicher Familien- und Lebensformen in der Nachkriegszeit spricht dafür, dass die Ehe nicht allein wegen ihres natürlichen Familienpotentials unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt wurde. Insoweit überzeugt es, dass das Bundesverfassungsgericht den Grund für den Schutz der Ehe auch in ihrem zugehen und es zu prägen haben (ohne freilich dafür schon ein hinreichendes Normprogramm zu enthalten).“ (Hervorhebung im Original). 218 Dazu Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 84, 140: „Wesentliche Aufgabe der Verfassung ist ja nicht Flexibilisierung, sondern Stabilisierung. Sie erfordert Rigidität und nur zu deren Sicherung Elastizität. […] Die Entscheidung für einen Primat der subjektiven Auslegung ist keine Entscheidung für deren Sperrwirkung.“ 219 Dazu s. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 136. 220 Zu der Verbundenheit von Form und Inhalt s. Robbers, in: FS Benda, S. 209 (215): „In ihr [ ! der Verfassung] erhält die gemeinsame Existenz Form wie Inhalt.“ Ferner s. Jhering, Geist Bd. 2 Abt. 2, S. 472 f.: „[…] unter Form verstehen wir den Inhalt von Seiten seiner Sichtbarkeit. Eben darum aber setzt die Form stets den Inhalt, wie der Inhalt eine Form voraus; es gibt weder einen Inhalt ohne Form, noch eine Form ohne Inhalt. […] – ein Wille ohne Form wäre gleich dem Lichtenbergschen Messer ohne Klinge, dem der Stiel fehlt.“ (Hervorhebung im Original). 221 Parlamentarischer Rat Bd. 14/1, S. 598 (Abgeordneter Pfeiffer).
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Charakter als gegenseitige Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft gesehen und objektiv-teleologische Erwägungen in die Verfassungsinterpretation miteinbezog. Diese subjektive Seite der Ehe hat es aber in seiner Entscheidungsserie zur Lebenspartnerschaft und ihrer Angleichung an die Ehe überbetont und das konstitutiv bleibende natürliche Familienpotential der Ehe in rechtsmethodisch zu kritisierender Weise unterschlagen, sodass das im Ehebegriff enthaltene Wertungsgefüge in eine subjektivistische Schieflage gerät.222 Denn im Lichte der Entstehung des Ehegrundrechts und des bis heute unveränderten Wortlauts von Art. 6 Abs. 1 GG, in den gerade keine „andere[n] auf Dauer angelegte[n] Lebensgemeinschaften“223 aufgenommen worden sind, ist nicht ersichtlich, dass die Ehe primär als Solidaritätsverbindung besonders geschützt werden soll.224 Man wird dem Gesamtcharakter der Ehe nicht gerecht, wenn man ihren besonderen Schutz einseitig entweder auf ihre Funktion als Verantwortungsgemeinschaft225 oder ihr natürliches Familienpotential226 zurückführt. Jede extreme Verschiebung zugunsten des einen oder anderen Privilegierungsgrundes führte nämlich zu einer Aufspaltung des Ehebegriffs, die paradigmatisch in der jüngst vollzogenen Öffnung der Ehe kulminiert, wonach es
222 Zu diesem „Argument der schiefen Ebene“ respektive „Dammbruch-“ oder „SlipperySlope-Argument“ s. Holler/Bender, JSE 2017, 1 (5); ferner s. Guckes, S. 5. 223 Eine Erweiterung des Schutzes nach Art. 6 Abs. 1 GG durch die Gemeinsame Verfassungskommission auf „andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften“ blieb erfolglos; dazu s. BT-Drs. 12/6323, S. 4 („Dieser Schutz umfaßt auch andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften.“); ferner s. BT-Drs. 12/6686, S. 5 („Der Staat achtet und schützt alle Lebensformen. Lebensgemeinschaften mit Kindern oder Hilfsbedürftigen stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“). 224 Ipsen, NVwZ 2017, 1096 (1099); Badura, in: Röthel (Hrsg.), S. 151 (159): „Es wäre eine gravierende Verkürzung des Grundrechts, wenn ihm der Funktionssinn zugesprochen würde, die Ehe insbesondere als Ausprägung persönlicher, individueller Freiheit verfassungsrechtlich zu schützen.“ 225 In diese Richtung BVerfGE 124, 199 (225); ferner s. Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), Art. 6 Rn. 43, 78: „Die Ehe genießt als Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft, durch die sie den Staat entlastet, besonderen Schutz. Eine reproduktive Funktion, wie sie die Familie aufweist, kommt der Ehe nicht zu. […] Nach hier vertretener Auffassung nehmen an der Institutsgarantie neben der Existenz der Ehe nur diejenigen Strukturprinzipien der Ehe teil, die zur Gewährleistung ihrer Funktion als wechselseitiger Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft notwendig sind oder sich aus anderen Verfassungsbestimmungen ergeben.“ 226 In diese Richtung Ipsen, NVwZ 2017, 1096 (1099): „Dies ist der tiefere Grund, warum der Verfassungsgeber auch die Ehe – nicht nur die Familie – unter den besonderen Schutz des Staates gestellt hat. Das Zusammenleben zweier Partner – sei es auch auf Dauer angelegt – allein vermag eine Schutzpflicht des Staates nicht auszulösen. Es will nicht einleuchten, warum neben dem Grundrechtsschutz, der jedem Bürger zuteilwird, nur die Zuneigung zweier Partner gleichen Geschlechts und die Absicht, eine Lebensgemeinschaft zu führen, eine besondere Schutzpflicht des Staates sollte begründen können.“ (Hervorhebungen im Original); ferner s. Di Fabio, NJW 2003, 993 („Verfassungsentscheidung für die vitale Gesellschaft“); zum besonderen Schutz der Familie s. G. Kirchhof, AöR 129 (2004), S. 542 (579) („Verfassungserwartung einer Bereitschaft zum Kind“).
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nun formal zwei Arten einer Ehe gibt – eine mit (§ 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) und eine ohne natürliches Familienpotential (§ 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).227 Vielmehr verleihen beide Privilegierungsgründe nur gemeinsam der Ehe ihre verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit.228 Insoweit ist die Aufnahme der Ehe in den Schutztitel des Art. 6 Abs. 1 GG also dadurch gerechtfertigt, dass sich in der Ehe die Stabilität einer gegenseitigen Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft mit dem natürlichen Potential, sich auf dieser Basis zur Familie entwickeln und dieser eine zuverlässige Grundlage bieten zu können, vereinigt.229 Erst die Kombination dieser beiden Facetten rechtfertigt ihren besonderen Schutz im Unterschied zu gleichgeschlechtlichen Paaren ohne natürliches Familienpotential und zu verschiedengeschlechtlichen Paaren zwar mit diesem Familienpotential, aber ohne rechtsverbindliche Stabilität.230 Daher liegt nach dem Standpunkt dieser Studie eine Ehe im Sinne des Grundgesetzes materiell auch nur dort vor, wo Verantwortungsgemeinschaft und natürliches Familienpotential zusammenfinden. Weil das natürliche Familienpotential der Ehe zwar nicht nur, aber auch und gerade der innere Grund für ihren besonderen Schutz ist, zählt das Merkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit zu den konstitutiven Strukturen des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs, der es in materieller Hinsicht blockiert, auf dieses Merkmal in der Neufassung des § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB als konstitutives Definitionskriterium des einfachrechtlichen Ehebegriffs zu verzichten.231 227 So auch Böcking, S. 237: „Diese durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommene, rein funktionale Auslegung führt dazu, dass die Funktionen der Ehe aufgespalten werden. Dabei bleibt auf der Strecke, dass die Ehe gerade deswegen geschützt wird, weil sie mehrere Funktionen in sich vereinigt.“ Dazu s. auch Windel, in: Barnstedt et al. (Hrsg.), S. 45 (51): „[…] dass man das Gesamtinstitut Ehe in einzelne Funktionsbereiche mit unterschiedlich starkem verfassungsrechtlichem Schutz aufgliedert.“ Ferner s. Muscheler, Familienrecht, Rn. 200: „Warum sollte es undenkbar sein, dass das Gesetz verschiedene Typen von Ehe zur Verfügung stellt, zwischen denen man wählen kann […]?“ Ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (179 f.). 228 In diese Richtung bereits Böcking, S. 237 („Funktionskombination“); ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (179 f.). 229 Böcking, S. 236 f. 230 Böcking, S. 236 f. Diese heute gesellschaftlich akzeptierten nichtehelichen Lebensformen sind Ausdruck der freien Persönlichkeitsentfaltung und als solche durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Der nichtehelichen Partnerschaft fehlt aber im Unterschied zur nichtehelichen Kindschaft ein verfassungsrechtlicher Gleichstellungstitel nach dem Vorbild des Art. 6 Abs. 5 GG, obwohl sich die Beratungen im Parlamentarischen Rat ausdrücklich mit der Möglichkeit nichtehelicher Beziehungsformen auseinandergesetzt haben; dazu s. Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1341 (Abgeordnete Selbert). Dieser Befund spricht dafür, die im Ehegrundrecht enthaltenen Wertentscheidungen nicht von vornherein durch eine besonders strenge Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zugunsten gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu neutralisieren; dazu s. Holler/Bender, JSE 2017, 1 (4, 7, 14); a. A. Michael, NJW 2010, 3537 (3538). 231 So explizit BVerfGE 105, 313 (357 f.) (Sondervotum Papier): „Ist die Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau auf eine einfachrechtliche Regelung angewiesen, so eröffnet dies keinesfalls für den einfachen Gesetzgeber die uneingeschränkte Befugnis, die Ehe nach den jeweils in der Gesellschaft wirklich oder vermeintlich herrschenden Auffassungen auszugestalten […]. Vielmehr sind die einfachgesetzlichen Regelungen – ungeachtet eines anzuerkennenden Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers – an Art. 6 Abs. 1 GG als
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Nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch das Bundesverfassungsgericht verkennen diese der Ehe immanente und ihre Privilegierung legitimierende Funktionsverschmelzung, weil letzteres in seiner jüngeren Angleichungsrechtsprechung zur Lebenspartnerschaft das natürliche Familienpotential als essentiellen Schutzgrund der Ehe vernachlässigte und ersterer diese Entwicklung durch eine entsprechende Expansion des Ehestatus fortgesetzt hat. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die gleichgeschlechtliche Eheform nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB mit dem verfassungsrechtlichen Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar ist und es somit bezüglich der Basierung des Erbrechts auf dem Ehestatus in materieller Hinsicht nicht ausreicht, diesen allein als Ausdruck normativer Solidarität zu verstehen.
II. Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG Hielte man die Expansion des Ehestatus gleichwohl für verfassungsrechtlich zulässig,232 so kann die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Paare in den geöffneten Ehebegriff des § 1353 BGB jedoch die Grundlage dafür bieten, dass sich die zuvor in Einzelpunkten materiell vollzogene Angleichung der Lebenspartnerschaft an die Ehe nun künftig unter dem umgekehrten Vorzeichen ihres natürlichen Familienpotentials als Prozess einer materiellen Abgrenzung der umfassenden verschiedengeschlechtlichen und familienpotentiellen Ehe (§ 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) von der gleichgeschlechtlichen und nicht familienpotentiellen Eheform (§ 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB) sukzessive wiederholen kann.233 Besonders deutlich wird die Möglichkeit vorrangiger, selbst die Grundprinzipien enthaltender Leitnorm zu messen […]. Danach muss jede einfachgesetzliche Regelung die wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Prinzipien beachten […], so dass der Gesetzgeber in der Konsequenz gehindert wäre, einfachrechtlich unter die Ehe auch die Partnerschaft zweier gleichgeschlechtlicher Personen zu fassen.“ (Hervorhebung im Original); ferner s. BVerfGE 105, 313 (361) (Sondervotum Haas): „Sinn der Institutsgarantie ist vielmehr, den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Ehe an fundamentale Strukturprinzipien, zu denen auch nach Meinung der Senatsmehrheit die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner rechnet, zu binden.“ 232 So Gärditz, FF 2018, 8 (10); Hecker, NVwZ 2018, 621; ders., NJOZ 2018, 641 ff.; Pschorr/ Drechsler, JA 2018, 122 (131); Meyer, FamRZ 2017, 1281 ff.; Wasmuth, NJ 2017, 353 ff.; Bäumerich, DVBl. 2017, 1457 (1461 ff.); Blome, NVwZ 2017, 1658 (1660 ff.); Beck/Tometten, DÖV 2016, 581 (584 ff.); Dethloff, FamRZ 2016, 351 (352 ff.); Brosius-Gersdorf, NJW 2015, 3557 ff.; dies., in: Dreier (Hrsg.), Art. 6 Rn. 81; dies., FamFR 2013, 169 (171 f.); Wapler, RW 2014, 57 ff.; Germann, VVDStRL 73 (2014), 257 (286 ff.); Classen, DVBl. 2013, 1086 (1090); Sanders, NJW 2013, 2236 (2239); Rixen, JZ 2013, 864 (872 f.); Bömelburg, NJW 2012, 2753 (2758); Michael, NJW 2010, 3537 (3542); Möller, DÖV 2005, 64 (65 ff.); Ott, NJW 1998, 117 f. 233 Eine solche unter dem Gesichtspunkt des natürlichen Familienpotentials der Ehe wirkungsbezogene Abgrenzung der Ehe von der Lebenspartnerschaft ist nach dem Bundesverfassungsgericht im Ausgangspunkt möglich gewesen; dazu s. BVerfGE 105, 313 (348): „Dem Gesetzgeber ist es wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht verwehrt, diese gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen (vgl. BVerfGE 6, 55 [76]).“ Demgegenüber wurde in der Folge eine einseitige Privilegierung der Ehe im Vergleich zur Lebenspartnerschaft als nicht gerechtfertigt angesehen; dazu s. BVerfGE 124, 199 (226): „Es ist
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einer solchen rechtswirkungsbezogenen Aufspaltung der Ehe am Beispiel der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. 1. Die Entstehung der Erbrechtsgarantie a) Stimmen aus dem Parlamentarischen Rat Im Gegensatz zum Ehegrundrecht konnte sich der Ausschuss für Grundsatzfragen in seiner 6. Sitzung vom 5. Oktober 1948 bei der Beratung über die Erbrechtsgarantie auf Art. 17 des Herrenchiemseer Entwurfs stützen: „Der Herrenchiemseer Entwurf sagt: ,Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet‘, und die Länderverfassungen haben gewöhnlich einen besonderen Artikel für Eigentum und einen besonderen für Erbrecht.“234 Dennoch war eine Aufnahme des Erbrechts in den Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes zu Beginn keine Selbstverständlichkeit: „Es ist doch eine reine Deklaration. Auf der einen Seite wird es als Institution anerkannt, aber praktisch bleibt durch die Steuern nichts übrig. […] Man will die Institution des Erbrechtes verfassungsrechtlich anerkennen; aber damit ist noch nicht viel gewonnen.“235
Demgegenüber erhoben sich Stimmen, die die Erbrechtsgarantie langfristig verankert sehen wollten.236 Probleme bereitete jedoch das Anliegen, die Erbrechtsgarantie als unmittelbar geltendes Recht auszugestalten. Bei ihren Beratungen zur Ausgestaltung der Erbrechtsgarantie haben sich die Abgeordneten durch rechtsgeschichtliche und rechtsvergleichende Seitenblicke inspirieren lassen. So nahm man die Weimarer Reichsverfassung in den Blick und stellte fest, dass die Erbrechtsgarantie in Art. 154 WRVan die Gewährleistung des Eigentums „angehängt“ wurde, aber in ihrer damaligen Formulierung nicht in das Grundgesetz übernommen werden sollte.237 In
verfassungsrechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind (vgl. BVerfGE 105, 313 [348]).“ Ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (180). 234 Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 148 (Vorsitzender von Mangoldt). In den Länderverfassungen gab es folgende Artikel zum Erbrecht: Bayern, Art. 130 Abs. 1; WürttembergBaden, Art. 9; Württemberg-Hohenzollern, Art. 16; Baden, Art. 17; Hessen, Art. 45 Abs. 4. 235 Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 148 (Abgeordneter Zinn). 236 Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 148 (Abgeordneter Pfeiffer): „Ich halte es für wichtig, daß wir das Erbrecht hier erwähnen. Es ist vielleicht heute für das Individuum nicht so bedeutend, kann aber in einigen Jahren – ich denke da an Verwandte im Auslande – wieder etwas bedeuten. Warum sollte man das nur wegen des augenblicklichen materiellen Standes des Besitzes nicht grundsätzlich anerkennen? Die Formulierungsschwierigkeiten werden unsere Juristen doch mühelos überwinden können.“ 237 Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 148 (Vorsitzender von Mangoldt): „In der Weimarer Verfassung war die Gewährleistung des Erbrechts angehängt an die Gewährleistung des Eigentums: Art. 154, wo allerdings die Formulierung nicht sehr glücklich ist: ,Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes gewährleistet.‘ […] Wir würden wohl nicht sagen: nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes, das wäre zu allgemein. Aber es ist sehr schwierig, das zu formulieren.“
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diesem Zusammenhang gewann der Vorsitzende von Mangoldt die Einsicht, dass das Erbrecht „an sich an eine andere Stelle“238 gehöre: „Das Erbrecht dient der Erhaltung und dem Schutz der Familie. […] Es gehört in die Lebensordnungen. Bei der Erhaltung der Familie spielt es die wesentliche Rolle. […] Im gleichen Sinne kann man das Erbrecht nicht zu den klassischen Grundrechten rechnen.“239
Geteilt wurde dieser Standpunkt vom Abgeordneten Zinn: „Als Institution, so war es wohl gedacht, sollte das Erbrecht dadurch anerkannt werden. […] Es paßt also schon gar nicht mehr in die klassischen Grundrechte hinein […].“240
Dieser Einsicht ließ man eine von mehreren Abgeordneten zusammengetragene rechtsvergleichende Standortbestimmung der grundgesetzlichen Erbrechtsgarantie folgen: „In der amerikanischen und französischen Verfassung kommt es, glaube ich, nicht vor.“241 „In der belgischen Verfassung von 1831, die ja sehr freiheitlich ist, steht es nicht drin.“242 „In der französischen Verfassung von 1789 steht auch nur das Eigentum.“243 „In der Verfassung von Frankreich von 1848 findet sich das Erbrecht auch nicht in den klassischen Grundrechten. […] Das ist interessant: […] § 164 [der Reichsverfassung von 1849] sagt: Das Eigentum ist unverletzlich, und dann kommt Enteignung, geistiges Eigentum und etwas, was ins Erbrecht hineinspielt, aber in engster Verbindung mit dem Eigentum steht: Jeder Grundeigentümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden oder von Todes wegen ganz oder teilweise veräußern. Da ist es also im Eigentumsrecht verkörpert.“244
In der 8. Sitzung vom 7. Oktober 1948 diskutierte man über eine Ausformulierung der Erbrechtsgarantie, in der sich von Mangoldt auf die erörterte rechtsvergleichende Zusammenschau von Erbrecht und Eigentum bezog.245 In der ersten Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 18. Oktober 1948 wurde sodann folgende Bestimmung als Artikel 17 Abs. 1 formuliert: Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.246
Infolge einer Bearbeitung durch den Allgemeinen Redaktionsausschuss vom 16. November 1948 lautete diese Bestimmung nun:
238 239 240 241 242 243 244 245 246
Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 148 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 148 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 149 (Abgeordneter Zinn). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 149 (Abgeordneter Heuss). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 149 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 149 (Abgeordneter Bergsträsser). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 149 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 209 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 337; Bd. 7, S. 5.
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch das Gesetz bestimmt.247
Dieser textliche Änderungsvorschlag war in der 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 30. November 1948 Gegenstand der Diskussion: „Welcher Unterschied besteht zwischen unserer Fassung und der Fassung des Redaktionsausschusses? Bei uns heißt es: ,Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet.‘ Die Fassung des Redaktionsausschusses lautet: ,Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.‘“248
Der Vorsitzende von Mangoldt erklärte diese Neuformulierung vor dem Hintergrund der von Richard Thoma verfassten kritischen Würdigung des vom Grundsatzausschuss beschlossenen und veröffentlichten Grundrechtskatalogs vom 24. Oktober 1948.249 Darin kritisierte Thoma die Formulierung „zugleich mit“, vermutete dahinter eine „juristische Finesse“ und unterbreitete zwei Neuformulierungen.250 Sein Mindestvorschlag lautete: Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet, Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.251
Sein Alternativvorschlag war umfassender: Unbeschadet der staatlichen Besteuerungs- und Sozialisierungsgewalt gewährleistet die Verfassung die Privatvermögensrechte, das Institut des Familienerbrechtes und die Testierfreiheit. Inhalt und Schranken dieser Rechte ergeben sich aus den Gesetzen.252
In den Beratungen des Ausschusses für Grundsatzfragen führte von Mangoldt die Verwendung des Privatvermögensbegriffs durch Thoma auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Eigentumsschutzartikel der Weimarer Reichsverfassung zurück und betonte dabei erneut den von ihm bereits zuvor erörterten Familienbezug der Erbrechtsgarantie: „Der Art. 153 sagte: Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet, sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Wir waren auf das Erbrecht nur gekommen, weil wir uns sagten, eigentlich gehört das Erbrecht als ein Institut zu dem Schutz der Familie; es ist eigentlich ein Institut, welches zusammen mit der Familie gewährleistet werden müsse. Da wir aber über die Familie nichts sagen und auf der anderen Seite das Erbrecht in gewissem Sinne mit dem Eigentum zusammenhängt, sind wir zu dieser Formulierung gekommen: ,zugleich mit dem Erbrecht‘.“253
247 248 249 250 251 252 253
Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 582; Bd. 7, S. 40. Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 724 (Abgeordneter Bergsträsser). Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 725 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 371 (Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 372 (Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog). Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 372 (Thoma, Kritik am Grundrechtskatalog). Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 725 (Vorsitzender von Mangoldt).
§ 6 Die erbrechtliche Expansion des Ehestatus im Verfassungsrecht
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Auf dem Boden dieser Überlegungen wurde – nun in Artikel 14 – die ursprüngliche Fassung in der zweiten Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 1. Dezember 1948 beschlossen: Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.254
Diese Formulierung wurde in der 18. Sitzung des Hauptausschusses in erster Lesung am 4. Dezember 1948 ohne Änderung und Aussprache über den Gehalt der Erbrechtsgarantie angenommen.255 Auch in der 32. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 11. Januar 1949 wurde trotz der redigierten Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13. Dezember 1948 an der bisherigen Formulierung festgehalten,256 sodass der Vorsitzende von Mangoldt zu Beginn der 44. Sitzung des Hauptausschusses vom 19. Januar 1949 feststellte, dass es nur einige sprachliche Veränderungen gegeben habe, ohne dass diese zu inhaltlichen Änderungen geführt hätten.257 Im Verlauf dieser zweiten Lesung wurde jedoch der vom Abgeordneten Greve angeregte Änderungsvorschlag einstimmig angenommen: „Ich möchte bitten, den ersten Satz in Absatz 1 des Artikel 14 in der Fassung anzunehmen, wie sie der Redaktionsausschuß vorgeschlagen hat. Wenn jetzt gesagt wird: ,Das Eigentum wird zugleich mit dem Erbrecht gewährleistet‘, so ist das nicht nur sprachlich nicht schön, sondern es bringt das Erbrecht auch in gewisser Beziehung als einen Appendix zum Eigentum. Als Grundrechte der Verfassung stehen Eigentum und Erbrecht gleichberechtigt nebeneinander, so daß es meines Erachtens richtig ist, zu sagen: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet, wie es schon in der Weimarer Verfassung war, in der Vertragsfreiheit, Eigentum und Erbrecht sogar in verschiedenen Artikeln behandelt worden sind.“258
Damit lautete die vom Hauptausschuss in zweiter Lesung beschlossene erbrechtsbezogene Fassung des Art. 14 Abs. 1 GG folgendermaßen: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.259
Diese das Erbrecht betreffende Formulierung wurde ohne Änderungsvorschläge vom Fünfer-Ausschuss für die dritte Lesung des Hauptausschusses vorgeschlagen260 und dort am 10. Februar 1949261 wie auch in dessen vierter Lesung am 5. Mai 1949262
254 255 256 257 258 259 260 261 262
Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 787. Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 95; Bd. 14/1, S. 535. Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 943. Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1403 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1404 f. (Abgeordneter Greve). Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 213; Bd. 14/2, S. 1406. Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 344. Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 401; Bd. 14/2, S. 1495 ff. Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 535 f.; Bd. 14/2, S. 1789 f.
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
jeweils ohne Änderung angenommen und in dieser Fassung im Bundesgesetzblatt am 23. Mai 1949 verkündet.263 b) Der Primat des Familienschutzes Die Entstehungsgeschichte der Erbrechtsgarantie zeigt, dass diese, was ihre abschließende redaktionelle Verortung im Eigentumsgrundrecht prima facie nicht erkennen lässt, nicht in erster Linie der Fortwirkung der lebzeitigen individuellen Eigentumsfreiheit dient. Die normative Selbstständigkeit des Erbrechts gegenüber dem von Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG geschützten Eigentum ist allenfalls in zwei systematischen Unterschieden zur Eigentumsgarantie angedeutet. So ist einerseits in der Sozialklausel des Art. 14 Abs. 2 GG nur das Eigentum, nicht aber das Erbrecht erwähnt und andererseits kann nach Art. 18 S. 1 GG nur das Eigentum und nicht das Erbrecht verwirkt werden. Diese systematischen Unterschiede lassen aber von sich aus nicht die eigentlich intendierte Funktion der Erbrechtsgarantie – den Schutz der Familie – erkennen. Erst die Herausarbeitung der Diskussionen im Parlamentarischen Rat legt die primäre Familiengerichtetheit der verfassungsrechtlichen Erbrechtsgarantie frei, die sich wie ein roter Faden durch die historisch-vergleichend informierten Beratungen im Ausschuss für Grundsatzfragen zog.264 Gerade in seiner Auseinandersetzung mit der Grundrechtskritik von Thoma, der das Erbrecht explizit in das Institut der Familienerbfolge einerseits und in die Testierfreiheit anderseits aufteilen wollte, wiederholte und rechtfertigte von Mangoldt die bisherige Formulierung der Erbrechtsgarantie im unmittelbaren Anschluss an die Eigentumsfreiheit. So sei man auf das Erbrecht nur gekommen, weil man nämlich der Auffassung war, dieses sei ein Institut zum Schutz der Familie und weil man bisher nichts über die Familie gesagt habe, empfehle es sich, das Erbrecht zusammen mit der Eigentumsfreiheit – mit der es in gewisser Weise auch verbunden sei – in einem Artikel zu verorten.265 Diese Passage veranschaulicht einerseits, dass dem Familienbezug des Erbrechts nach dem von sämtlichen Abgeordneten zusammengetragenen Rechtsvergleich ein besonderes Gewicht zukommen soll. Andererseits wird deutlich, dass sich die Erbrechtsgarantie des Grundgesetzes, wie insbesondere ihre Vorläuferbestimmung des Art. 154 WRV zeigt, nicht von ihren Wurzeln in der Eigentumsfreiheit lösen kann. So war diese vormalige Bestimmung in der Weimarer Verfassungslehre „politisch bedeutsam als Bekenntnis der Verfassung zu der Idee des Erbrechts und damit zu einer wesentlichen Grundlage der überlieferten Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsauffassung.“266 Auch ihre dortige systematische Verortung im Anschluss an die Vertragsfreiheit und das Privateigentum unterstrich den in ihr wirksamen 263 264 265 266
Parlamentarischer Rat Bd. 7, S. 616; BGBl. I, S. 1 ff. Parlamentarischer Rat Bd. 5/1, S. 148 (Vorsitzender von Mangoldt). Parlamentarischer Rat Bd. 5/2, S. 725 (Vorsitzender von Mangoldt). Anschütz, S. 721.
§ 6 Die erbrechtliche Expansion des Ehestatus im Verfassungsrecht
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individualistischen Wertungspol: „Das Erbrecht hat hierdurch gleich der Vertragsfreiheit (Art. 152) und dem Privateigentum (Art. 153) seine verfassungsmäßige Sicherung erhalten und stellt demnach wie diese und andere Artikel […] eine institutionelle Garantie dar […].“267 Diese durch ihren räumlichen Bezug zur Vertragsfreiheit und zum Privateigentum erkennbare individualistische, die Privatautonomie unterstreichende Dimension des Erbrechts spiegelt sich auch im Grundgesetz durch seine mit der Eigentumsfreiheit zusammenhängende Verortung in einem einheitlichen Grundrechtsartikel wider. Insoweit steht die grundgesetzliche Erbrechtsgarantie rein äußerlich der Eigentumsfreiheit sogar noch näher als in der Weimarer Reichsverfassung. Wesentlich ist, dass man in den Beratungen des Parlamentarischen Rates das Erbrecht im Gegensatz zur Weimarer Verfassungslehre aber weniger mit dem Freiheitsgehalt des Eigentums und der Privatautonomie in Verbindung brachte, sondern dessen inhaltlichen Schwerpunkt – bei gleichzeitiger Verbundenheit mit jenem eigentumsrechtlichen Autonomiegehalt – in dessen Familienbezug sah. Diese familienrechtliche Ausrichtung prägte durchgehend die Debatte über die Funktion der Erbrechtsgarantie im Ausschuss für Grundsatzfragen. Der Hauptausschuss hat sich demgegenüber nicht mehr inhaltlich, sondern nur formal zur textlichen Gestaltung der Erbrechtsgarantie dahingehend ausgesprochen, dass dieser die materielle Eigenständigkeit des Erbrechts neben der Eigentumsfreiheit gesichert sehen wollte268 – ein Detail, an dem das Bundesverfassungsgericht später erkennen sollte, „dass die Erbrechtsgarantie eine eigenständige, über die Gewährleistung der Testierfreiheit des Erblassers hinausgehende Bedeutung hat.“269 Somit lässt sich insgesamt zusammenfassen, dass die Erbrechtsgarantie in sich die einander gegenüberstehenden Wertungspole der Privatautonomie und der Familiengemeinschaft vereinigt, indem sie die Privatautonomie des Menschen über seinen Tod hinaus verlängert und diesen dabei zugleich in seinen familiären Bindungen sieht. Weil der Familienbezug der Erbrechtsgarantie jedoch kontinuierlich in den Beratungen des Ausschusses für Grundsatzfragen zur Sprache kam, ihren Duktus wiederholt bestimmte und diese Diskussionen die Grundlage für die weiteren Beratungen über das Grundgesetz waren, kommt dem Familienbezug der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nach der hier vertretenen Meinung die primäre Bedeutung zu.
267
Anschütz, S. 721. Dazu s. Parlamentarischer Rat Bd. 14/2, S. 1404 f. (Abgeordneter Greve); ferner s. Israel, S. 140. 269 BVerfG, Beschluss vom 19.04.2005 – 1 BvR 1644/00, 188/03 = BVerfGE 112, 332 (349) = ZEV 2005, 301 ff. 268
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3. Kap.: Die Entwicklung des Ehegattenerbrechts de lege ferenda
2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a) Der Primat der Testierfreiheit Dieser primäre Familienbezug der Erbrechtsgarantie wurde zunächst nicht durch das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet. Im Zentrum seiner älteren Rechtsprechung stand vielmehr die Testierfreiheit, die es zur eigentlichen Essenz der Erbrechtsgarantie erhob.270 Diese umfasse „die Befugnis des Erblassers, zu Lebzeiten einen von der gesetzlich vorgesehenen Erbfolge abweichenden Übergang seines Vermögens nach seinem Tode an einen oder mehrere Rechtsnachfolger anzuordnen, insbesondere einen gesetzlichen Erben von der Nachlaßbeteiligung auszuschließen und wertmäßig auf den gesetzlichen Pflichtteil zu beschränken.“271 Die Testierfreiheit sei „als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus eng mit der Garantie des Eigentums verknüpft und genießt wie diese als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen von Verfassungs wegen besonders ausgeprägten Schutz.“272 Daher habe die Erbrechtsgarantie insgesamt die Funktion, „das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mit dem Tode des Eigentümers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen Fortbestand im Wege der Rechtsnachfolge zu sichern.“273 Insoweit ergänze die Erbrechtsgarantie die Eigentumsgarantie und konstituiere mit dieser zusammen die „Grundlage für die im Grundgesetz vorgegebene private Vermögensordnung.“274 Explizit ausgeklammert wurde in der Rechtsprechung jedoch die Frage nach dem Familienbezug der Erbrechtsgarantie.275 Betont wurde stattdessen, dass dem Gesetzgeber bei der 270 BVerfG, Beschluss vom 16.10.1984 – 1 BvR 513/78 = BVerfGE 67, 329 (341) = NJW 1985, 1455 ff.: „Bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie ist die Testierfreiheit.“ 271 BVerfG, Beschluss vom 03.11.1981 – 1 BvL 11/77 und 85/78, 1 BvR 47/81 = BVerfGE 58, 377 (398) = NJW 1982, 565 ff. 272 BVerfGE 67, 329 (341); ferner s. BVerfG, Beschluss vom 09.01.1991 – 1 BvR 929/89 = BVerfGE 83, 201 (208) = NJW 1991, 1807 ff.: „Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen […].“ Nach dem Bundesverfassungsgericht erlaube es sich zudem, aus der Testierfreiheit als Ausdruck eines zentralen individuellen Selbstbestimmungsrechts im wirtschaftlichen Bereich Aussagen zu dem materiellen Gehalt der Erbrechtsgarantie abzuleiten; dazu s. BVerfG, Beschluss vom 19.01.1999 – 1 BvR 2161/94 = BVerfGE 99, 341 (351) = DNotI-Report 1999, 60 ff.: „Es werden nur selbstbestimmte und selbstverantwortete letztwillige Erklärungen von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit geschützt. Selbstbestimmung setzt Selbstbestimmungsfähigkeit voraus. Nur wenn der Einzelne in der Lage ist, selbstbestimmt zu handeln und im wirtschaftlichen Bereich eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, können seine letztwilligen Verfügungen grundrechtlichen Schutz beanspruchen.“ 273 BVerfGE 112, 332 (348). 274 BVerfGE 112, 332 (348). 275 BVerfGE 67, 329 (341): „Verfassungsgerichtlich nicht geklärt ist, inwieweit Prinzipien des Verwandtenerbrechts in der Erbrechtsgarantie enthalten sind. […] Die vorliegende Verfassungsbeschwerde nötigt nicht dazu, die Reichweite der familienerbrechtlichen Gewährleistungen des Grundgesetzes abschließend zu erörtern. Dazu könnte eher bei gesetzlicher
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Ausgestaltung der gesetzlichen Erbfolge ein weiter Spielraum zur Verfügung stehe, sich unverrückbare Vorgaben nur begrenzt aufstellen ließen, aber „ein Verwandtenerbrecht unter angemessener Beteiligung des Ehegatten, wie es der deutschen Rechtstradition entspricht, eine sachgerechte Regelung der gesetzlichen Erbfolge dar[stelle].“276 Der Durchbruch zur Einsicht in den von Anfang an bestehenden Familienbezug der Erbrechtsgarantie gelang dem Bundesverfassungsgericht erst später: „Mit der gesonderten Erwähnung des Erbrechts neben dem Eigentumsschutz in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bringt das Grundgesetz zum Ausdruck, dass die Erbrechtsgarantie eine eigenständige, über die Gewährleistung der Testierfreiheit des Erblassers hinausgehende Bedeutung hat.“277
Unter expliziter Inbezugnahme der Beratungen des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates über die Funktion der Erbrechtsgarantie stellte das Bundesverfassungsgericht fest,278 dass die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt ist und die Testierfreiheit des Erblassers damit von Verfassungs wegen den durch die Abstammung begründeten familienrechtlichen Bindungen unterliegt.279 Zur Bedeutung des Art. 14 Abs. 1 GG hinsichtlich der Integration des Ehegatten in das Erbrecht sprach sich das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht aus. Im weiteren Verlauf seiner Rechtsprechung bemerkte es lediglich, dass die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit der Kinder eines Erblassers mit dessen Testierfreiheit konfligieren könne und im Kollisionsfall die Testierfreiheit keinen „unzumutbaren Druck“ auf die Kinder des Erblassers bei der Eingehung einer Ehe erzeugen dürfe.280 Erst in seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der eingetragenen Lebenspartnerschaft setzte sich das Bundesverfassungsgericht mit dem verfasErbfolge Anlaß bestehen.“ Ferner s. BVerfG, Beschluss vom 14.12.1994 – 1 BvR 720/90 = BVerfGE 91, 346 (359) = DNotZ 1995, 692 ff.: „Inwieweit der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Erbfolge von Verfassungs wegen auf das Familien- und Verwandtenerbrecht zwingend verwiesen ist, bedarf hier ebensowenig einer Entscheidung wie die Frage, ob sich ein (gegebenenfalls noch weitergehender) verfassungsrechtlicher Schutz des Familienund Verwandtenerbrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG ergibt. Insbesondere bedarf es auch keiner Prüfung, ob es von Verfassungs wegen geboten ist, den nächsten Familienangehörigen eine angemessene (wirtschaftliche) Mindestbeteiligung am Nachlaß selbst dann einzuräumen, wenn der Erblasser eine abweichende Verfügung von Todes wegen getroffen hat.“ 276 BVerfGE 91, 346 (359 f.). 277 BVerfGE 112, 332 (349). 278 BVerfGE 112, 332 (352): „Auch bei den Beratungen im Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates ging man bei der Frage, ob das Erbrecht in den Grundrechtskatalog aufgenommen werden soll, davon aus, dass das Erbrecht unter anderem der Erhaltung der Familie diene […].“ 279 BVerfGE 112, 332 (349 ff., 353). 280 BVerfG, Beschluss vom 22.03.2004 – 1 BvR 2248/01 = FamRZ 2004, 765 (767).
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sungsrechtlichen Verhältnis von Ehe und Erbrecht auseinander. So gestalte sich durch § 10 LPartG für die erbberechtigten Verwandten des Erblassers „die Situation nicht anders, als sie wäre, wenn der Erblasser eine Ehefrau oder einen Ehemann hinterließe und nicht einen Lebenspartner,“ worin keine unsachgerechte Behandlung der übrigen Erbberechtigten gesehen werden könne.281 Dabei betonte das Bundesverfassungsgericht, dass sich die eingetragenen Lebenspartner zu gegenseitiger Fürsorge, Unterstützung und Unterhaltsgewährung verpflichten und dass es dies „ebenso wie bei Ehegatten“ rechtfertige, „dem Lebenspartner mit dem Pflichtteilsrecht auch über den Tod hinaus eine ökonomische Basis aus dem Vermögen des verstorbenen Lebenspartners zu sichern.“282 Zugrunde lag der erbrechtlichen Integration des Ehegatten in dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts also eine Rückführung der Ehe auf ihren Charakter als normatives Solidaritätsverhältnis. Unter dem Gesichtspunkt einer solchen auf Dauer eingegangenen, rechtlich verbindlichen Verantwortungsgemeinschaft mit gegenseitigen Unterhalts- und Beistandspflichten wurden damit Ehe und Lebenspartnerschaft erbrechtlich gleichgestellt.283 Aufmerken lässt jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Erbschaftsteuerfreibetrag des Lebenspartners das natürliche Familienpotential der Ehe als unausweichliches Unterscheidungsmerkmal im Verhältnis zur Lebenspartnerschaft explizit herausstellte: „In ihrer Eignung als Ausgangspunkt der Generationenfolge unterscheidet sich die Ehe grundsätzlich von der Lebenspartnerschaft. Da die Lebenspartnerschaft auf gleichgeschlechtliche Paare begrenzt ist, können aus einer solchen Beziehung grundsätzlich keine gemeinsamen Kinder hervorgehen. Demgegenüber ist die Ehe als Verbindung verschiedengeschlechtlicher Partner möglicher Ursprung einer eigenen Generationenfolge. Auch ist sie ungeachtet der den Ehepartnern allein überlassenen freien Entschließung für eine Elternschaft der durch vielfältige gesetzliche Ausgestaltung privilegierte Rechtsraum zur Familiengründung.“284
Diese Passage wirft die Frage auf, ob das natürliche Familienpotential im Hinblick auf das Erbrecht des Ehegatten eine hinreichende Differenzierungskraft zwischen der Ehe nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB und ihrer gleichgeschlechtlichen Alternative nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB entfalten kann. In seiner bisherigen 281
BVerfGE 105, 313 (356). BVerfGE 105, 313 (355). 283 BVerfGE 105, 313 (356); BVerfGE 126, 400 (426): „Denn in diesem Punkt unterscheiden sich eingetragene Lebenspartnerschaft und Ehe nicht. Beide sind auf Dauer angelegt, rechtlich verfestigt und begründen eine gegenseitige Einstandspflicht.“ Ferner s. Windel, in: Barnstedt et al. (Hrsg.), S. 45 (62); Leipold, ZEV 2001, 218 (219). 284 BVerfGE 126, 400 (427); dazu s. Wollenschläger, S. 103, demzufolge zu berücksichtigen ist, „dass das Bundesverfassungsgericht, obgleich es zunächst noch die ,bessere abstrakte Eignung der Ehe, Ausgangspunkt der Generationenfolge zu sein‘, betonte, zuletzt eine hierauf gestützte Privilegierung der Ehe gegenüber Eingetragenen Lebenspartnerschaften – selbst unter Berücksichtigung der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers – für verfassungswidrig erklärt hat.“ 282
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Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht dieses Merkmal des natürlichen Familienpotentials der Ehe allerdings nicht mit dem Familienbezug der Erbrechtsgarantie in Verbindung gebracht. b) Stellungnahme: Der Familienbezug als Nexus von Ehe und Erbrecht Zu kritisieren ist, dass es das Bundesverfassungsgericht dahinstehen ließ, „ob die bessere abstrakte Eignung der Ehe, Ausgangspunkt der Generationenfolge zu sein,“ ein materielles Unterscheidungskriterium zwischen den heutigen Arten einer Ehe darstellen kann.285 Wenn man nämlich die Öffnung des Ehebegriffs mit Art. 6 Abs. 1 GG für vereinbar hielte, kann dieser abstrakte Gesichtspunkt des natürlichen Familienpotentials den Ausgangspunkt dafür bieten, nun aus der Perspektive des Art. 14 Abs. 1 GG „Grenzen für eine substantielle Gleichstellung“286 der familienpotentiellen Ehe mit ihrer nicht familienpotentiellen Alternative herauszuarbeiten. Es kommt also darauf an, ob gerade dieses natürliche Familienpotential eine erbrechtliche Privilegierung der Ehe rechtfertigen kann.287 Nach dem Standpunkt dieser Untersuchung bietet die Erbrechtsgarantie, weil sie nach ihrer hier entfalteten Entstehungsgeschichte durch ihren primären Familienbezug gekennzeichnet ist, die Möglichkeit einer erbrechtsbezogenen Aufspaltung der geöffneten Ehe. Die Auslotung der verfassungsrechtlichen Grenzen der Expansion des Ehestatus im Erbrecht wird also davon bestimmt sein, welchen Stellenwert man diesen Regelungsabsichten des historischen Verfassungsgebers hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Privatrechtsgestaltung einräumt. Sieht man sich primär diesen historischen Vorstellungen verpflichtet, dann ist es möglich, den auch durch ihr natürliches Familienpotential gerechtfertigten Schutz der Ehe mit dem von der Erbrechtsgarantie bezweckten Familienschutz zu verbinden. Wenn die Ehe auch wegen ihrer natürlichen Entwicklungsmöglichkeit zur Familie hin geschützt ist und das Erbrecht auch dem Schutz der Familie dient, dann kann die Ehe der primären Schutzrichtung der Erbrechtsgarantie unterfallen, soweit sie als verschiedengeschlechtliche Paarkonfiguration die potentielle Grundlage einer Familie sein kann. Auf dem Boden dieses familienbezogenen Nexus von Ehe und Erbrecht lässt sich das Ehegattenerbrecht und die mit ihm verbundene Verschmälerung des Verwandtenerbrechts verfassungsrechtlich rechtfertigen, da die Ehe als natürlicher Ausgangspunkt von neuer Familienverwandtschaft und damit als Basis einer neuen Generation wirken kann. Hingegen wird man bei einer stärkeren Betonung des in der Erbrechtsgarantie ebenfalls enthaltenen und durch das Bundes285
BVerfGE 126, 400 (427). BVerfGE 105, 313 (359) (Sondervotum Papier). 287 In diese Richtung bereits Soergel-Lipp Vor § 1353 Rn. 43: „Nach dem eigenen Vortrag des Gerichts wäre es aber auf diese ,bessere abstrakte Eignung der Ehe, Ausgangspunkt der Generationenerbfolge zu sein‘ gerade angekommen. Denn dieser (,abstrakte‘) Gesichtspunkt wäre möglicherweise geeignet gewesen, nach dem Förderungsgebot des GG Artikel 6 Absatz 1 die erbschaftsrechtliche Besserstellung von Ehegatten (als solcher) zu begründen.“ 286
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verfassungsgericht betonten Freiheits- und Autonomiegehalts und seiner Ankopplung an den subjektiven Charakter der Ehe als solidarischer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft zu dem gegenteiligen Ergebnis gelangen können, dass die Brücke zwischen Erbrecht und Ehe nicht notwendig über ihren beiderseitigen natürlichen Familienbezug führen muss. Gleichwohl ist es möglich zu zeigen, dass die Erbrechtsgarantie so verstanden werden kann, dass sie auch an das natürliche Familienpotential der Ehe anknüpft und das strukturanaloge Erbrecht eines gleichgeschlechtlichen Ehepartners kritisierbar ist. Dogmatisch konkretisieren lässt sich diese Kritik insbesondere im Hinblick auf den erbrechtlich pauschalierten Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB. Seinem historischen Grundgedanken zufolge sollte der reale Ausgleichsanspruch den für den haushaltsführenden und kindererziehenden Ehegatten ausgebliebenen Zugewinn kompensieren.288 Selbst wenn es in einem gleichgeschlechtlichen Ehemodell eine entsprechende Rollenverteilung gäbe,289 könnte man gleichwohl die typische Richtigkeitsvermutung der erbrechtlichen Pauschalierung des Zugewinnausgleichs unter zwei faktischen und typischerweise nur im Fall der verschiedengeschlechtlichen Ehe gegebenen Bedingungen bezweifeln – „nämlich unter der, dass statistisch Frauen den geringeren Zugewinn erzielen (Hausfrauen- bzw. Zuverdienerehe oder Kinderpause), und der, dass sie ihre Männer i. d. R. überleben (Heirat in jüngerem Lebensalter, längere Lebenserwartung).“290 Soweit man die Bestimmung des § 1371 Abs. 1 BGB als durch diese Faktoren bedingt ansähe,291 ließen sich die Bedenken so formulieren, dass – weil diese Voraussetzungen bei einer gleichgeschlechtlichen Eheform typischerweise fehlen – es in diesem Fall prinzipiell vom Zufall abhinge, ob die erbrechtliche Pauschalierung des Zugewinnausgleichs regelmäßig zugunsten des wirklich ausgleichsberechtigten Ehepartners eintrete.292 Als 288
Kaiser, JZ 2001, 617 (623). Zu einer solchen Rollenverteilung, in der „der eine Teil eher auf den Beruf und der andere eher auf den häuslichen Bereich einschließlich der Kinderbetreuung ausgerichtet ist.“ s. BVerfGE 124, 199 (229). 290 Windel, in: Barnstedt et al. (Hrsg.), S. 45 (62 f.); ferner s. Leipold, Rn. 167. 291 Die Gesetzgebungsmaterialien deuten auf eine solche Ehetypisierung hin; dazu s. explizit BT-Drs. II/3409, S. 16: „Sterbe zum Beispiel der Mann, der in der Ehe den größeren Zugewinn erzielt habe, vor der Frau, so sei es gerechtfertigt, das Erbrecht der Frau zu erhöhen. Sterbe aber die Frau, die den geringeren Zugewinn erzielt habe, vor dem Mann, so habe es keinen Sinn, den gesetzlichen Erbteil des Mannes zu vergrößern. Dies geschehe auf Kosten der Kinder der Frau und sei insbesondere dann ungerecht, wenn die Kinder nicht aus dieser Ehe stammten, den Ehemann ihrer Mutter also später nicht beerbten.“ Zuvor bereits Wieruszowski, 33. DJT 1924, S. 360 ff.; ferner s. Hoischen, S. 50 („Ehe-Typen der Alleinverdienerehe und der Zuverdienerehe“); kritisch zu einer solchen Typisierung durch § 1371 Abs. 1 BGB s. Rauscher, FamRZ 1997, 1121 (1123); ders., Reformfragen Bd. 2 Teilbd. 1, S. 65 ff.; ferner s. Britz, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), S. 291 (294 f.) („Infragestellung überkommener Rollenverteilung“). 292 In diese Richtung auch MünchKomm7-Wacke LPartG § 6 Rn. 4: „Bei kinderlosen homosexuellen Gemeinschaften wird im Regelfall jeder Partner seiner eigenen Erwerbstätigkeit nachgehen; der Typ der ,Haushaltsführungspartnerschaft‘ wird sich auf Ausnahmefälle beschränken. Anstatt den Partnern die (jedenfalls auf die überwiegende dual career-partnership 289
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besonders problematisch wird dabei empfunden, dass mit dieser nur in Zufällen „richtigen“ Erbrechtsverstärkung zugleich eine Erbrechtsverkürzung zulasten der Verwandten des Erblassers verbunden ist.293 Man wird deshalb überlegen können, ob der Mechanismus der Wahl-Zugewinngemeinschaft für die gleichgeschlechtliche Eheform im Erbfall besser geeignet ist, weil dieser Güterstand gerade keine solche Pauschalierung kennt und ob man diesen Mechanismus dann unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten für jede Eheform vorsehen sollte. Im Anschluss daran ließe sich aber auch das Grundkonzept der Zugewinngemeinschaft generell kritisieren, die auf das Modell der Allein- oder Zuverdienerehe zugeschnitten ist,294 das jedoch im Lichte rechtspolitischer Agenden zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglicherweise durch das Leitbild einer „Zwei-Ernicht passende) Zugewinngemeinschaft aufzuzwingen, hätte der Gesetzgeber deshalb besser angeordnet, dass sich die Vermögensverhältnisse durch die Registrierung nicht ändern.“ (Hervorhebung im Original). Zugrunde liegt dieser Kritik gewissermaßen eine güterrechtliche Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB; dazu s. BGH, NJW 2015, 2185 (2186): „Zweck der Vorschrift ist es, den Güterstand als Sonderordnung des Vermögens der Eheleute während und auf Grund ihrer Ehe abzuwickeln, nicht aber den Längstlebenden kraft seiner nahen Verbundenheit mit dem Verstorbenen an dessen Vermögen zu beteiligen […].“ 293 Dazu s. bereits Kaiser, JZ 2001, 617 (623); ferner s. K. W. Lange, 68. DJT 2010, Bd. II/1, L 30 f.: „Sollte zudem einer der Lebenspartner ein Kind aus einer früheren heterosexuellen Beziehung haben, fällt dessen damit einhergehende erbrechtliche Schlechterstellung besonders deutlich aus.“ Dies gilt um so mehr, als der Zugewinnausgleichsanspruch nach § 1371 Abs. 1 BGB gerade nicht auf die Abkömmlinge übergeht; kritisch dazu s. bereits Leipold, NJW 2011, 1179 (1181): „Indem das Gesetz den Anspruch auf Zugewinnausgleich bei Vorversterben des berechtigten Ehegatten ersatzlos verschwinden lässt, ohne dass es dafür einen aus der Sicht des Verfassungsrechts akzeptablen Grund gibt, verstößt es gegen die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie.“ Anders jedoch BVerfGE 105, 313 (355 f.): „Art. 14 Abs. 1 GG ist auch nicht dadurch verletzt, dass durch das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht des Lebenspartners das Erbe sonstiger Erbberechtigter geschmälert wird. […] Für die erbberechtigten Verwandten des Erblassers gestaltet sich damit die Situation nicht anders, als sie wäre, wenn der Erblasser eine Ehefrau oder einen Ehemann hinterließe und nicht einen Lebenspartner. In dieser Ausgestaltung liegt keine unsachgerechte Behandlung der übrigen Erbberechtigten.“ Dabei ist zu beachten, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach der ursprünglichen Fassung des § 6 LPartG Vermögenstrennung eintrat, wenn die Lebenspartner nicht ihrerseits die der Zugewinngemeinschaft nachempfundene Ausgleichsgemeinschaft privatautonom vereinbart hatten; dazu s. MünchKomm7-Wacke § 6 LPartG Rn. 2: „Die Ausgleichsgemeinschaft kam nicht von Rechts wegen zustande; vielmehr mussten die Beteiligten vor der Begründung ihrer Partnerschaft spätestens im Trauungstermin durch Erklärung vor dem zuständigen Beamten für sie optiert haben […]. Die Ausgleichsgemeinschaft war deshalb kein gesetzlicher, sondern nur der gesetzlich vertypte Wahlgüterstand mit vorgegebenem Inhalt […].“ 294 Röthel, 68. DJT 2010 Bd. 1, A 54 („hinter der Pauschale durchschimmernde[s] Bild des Allein- oder Mehrverdiener-Ehemannes“); Dethloff, 67. DJT 2008 Bd. 1, A 9 („dem damaligen gesetzlichen Leitbild entsprechende[ ] und faktisch vorherrschende[ ] Hausfrauenehe“); Brudermüller, in: Lipp/Schumann/Veit (Hrsg.), S. 3 (18 ff.) („ein anachronistisches Modell?“); Röthel, in: Lipp/Schumann/Veit (Hrsg.), S. 57 (63) („Sonderstellung in der europäischen Güterrechtslandschaft“) (Hervorhebung im Original); ferner s. Maetschke, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (I) Rn. 10.
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werbstätigen-Familie“ abgelöst werden könnte.295 Man müsste sich dann die Frage stellen, ob dadurch auch die bisherige und jedenfalls für die verschiedengeschlechtliche Ehe typische Richtigkeitsgewähr der Pauschalierung künftig erschüttert werden könnte, da bei einem solchen neuen Leitbild aufzuteilende Zugewinnüberschüsse insgesamt seltener entstehen dürften. Bejaht man dies, wird man der Erbrechtsverstärkung nach § 1371 Abs. 1 BGB – will man an ihr festhalten – bei gleichbleibendem Gesetzeswortlaut anstelle ihrer eigentlich den Güterstand abwickelnden – güterrechtlichen – Bedeutung möglicherweise einen verschärft subjektiven, also einen die bis zum Tode bestehende Solidarität eines Ehepaares anerkennenden – erbrechtlichen296 – Gehalt zuzuweisen haben.297 Dabei würde man die Emanzipation des gesetzlichen Eherechts von vorgegebenen Rollenprägungen im Erbrecht nachvollziehen.298 In eine andere Richtung kann jedoch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbrechtsgarantie weisen, die anerkennt, dass der Gesetzgeber wegen der Vielgestaltigkeit und Unterschiedlichkeit des Familienlebens generalisierende und typisierende Erbrechtsgestaltungen treffen kann.299 Bislang ist eine zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft unterscheidende Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers in den vergangenen Entscheidungen zur Angleichung der Lebenspartnerschaft an die Ehe in Bezug auf einzelne Rechtswirkungen ausgeschlossen worden.300 Die Bedeutung der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG für die 295
Dazu s. Schumann, in: dies. (Hrsg.), S. 1 (21 ff.). Zu einer solchen erbrechtlichen Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB s. EuGH, FamRZ 2018, 632 (633): „[…] scheint der Hauptzweck der Bestimmung nicht in der Aufteilung des Vermögens oder in der Beendigung des ehelichen Güterstands, sondern vielmehr in der Bestimmung des dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den übrigen Erben zufallenden Erbteils zu liegen.“ Ferner s. Leipold, Rn. 167; Fornasier, in: Dutta/Weber (Hrsg.), Art. 63 EuErbVO Rn. 30 ff.; kritisch dazu s. Dörner, FamRZ 2017, 1654. 297 Zur praktischen Realität materieller Veränderungen des Güterrechts bei gleichbleibendem Gesetzeswortlaut s. Dusil, in: HKK-BGB §§ 1363 – 1557 (IV) Rn. 46. In diese Richtung auch Auer, Erkenntnisziel, S. 60: „[…] Aporie des modernen Individualismus […], die ihm [! dem Ehebegriff] dieselbe innere Wandelbarkeit aufzwingt wie allen anderen normativen Institutionen der Moderne.“ 298 Zur Anpassung des Erbrechts an das Eherecht im Hinblick auf die vormalige Lebenspartnerschaft s. Röthel, 68. DJT 2010 Bd. 1, A 54 f.: „Diese Zurücknahme bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Eherechts ist für das Erbrecht nachzuvollziehen […].“ 299 Dazu s. BVerfGE 112, 332 (356); ferner s. BVerfGE 91, 346 (359): „Da eine generalisierende Regelung getroffen werden muß, kann auch nicht die Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Erbfalls verlangt werden. Im Interesse der Rechtssicherheit und Praktikabilität kann der Gesetzgeber vielmehr auf Verhältnisse und Bindungen des Erblassers abstellen, die im Einzelfall objektiv feststehen und die bei objektiver Betrachtung aus der Sicht eines verständigen Erblassers entscheidende Bedeutung für die Erbfolge haben. Nach diesen Grundsätzen stellt ein Verwandtenerbrecht unter angemessener Beteiligung des Ehegatten, wie es der deutschen Rechtstradition entspricht, eine sachgerechte Regelung der gesetzlichen Erbfolge dar.“ 300 So explizit BVerfGE 133, 377 (420): „Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zur eingetragenen Lebenspartnerschaft lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mit der grund296
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Entwicklungsperspektiven des Ehegattenerbrechts de lege ferenda kann nun darin bestehen, dem juristischen Diskurs die Möglichkeit ins Bewusstsein zu rufen, den expandierten Ehestatus in Bezug auf seine erbrechtliche Wirkung aufspalten und die verschiedengeschlechtliche Ehe von ihrer gleichgeschlechtlichen Alternative hinsichtlich der typischen Sachrichtigkeit des güterrechtlichen Anliegens der Zugewinnpauschalierung im Erbfall abgrenzen zu können.301 In diesem Fall wäre die Öffnung des Ehebegriffs zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare weniger das Ende der zuletzt vor allem nur noch formalen Unterscheidung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft gewesen. Darin läge dann vielmehr der Beginn einer materiellen Abgrenzung der verschiedengeschlechtlichen Ehe von ihrer gleichgeschlechtlichen Alternative.302 Nimmt man diesen Gedanken ernst, wird zu diskutieren sein, ob ein solches erbrechtlich differenzierendes Eheformenangebot mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Es käme also darauf an, ob die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB und das mit dieser Eheart verbundene natürliche Familienpotential hinreichend gewichtige Unterscheidungsmerkmale im Verhältnis zur gleichgeschlechtlichen Eheform sein können. Nach der hier vertretenen Meinung wird man sich bei dieser Diskussion vor Augen zu führen haben, dass es dem Bundesverfassungsgericht zufolge mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar war, Ehegatten nicht das Institut der Lebenspartnerschaft zu öffnen, weil „aus einer auf Dauer verbundenen Zweierbeziehung von Mann und Frau gemeinsame Kinder erwachsen können, aus einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft dagegen nicht […].“303 Wenn man nun umgekehrt die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verfassungsrechtlich nicht beanstanden wollte, sollte man diesem materiellen Unterschied sätzlichen Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers im Steuerrecht begründen. Es kann deshalb offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber befugt sein kann, von der Erstreckung einer bestehenden Regelung auf eine nach deren Erlass neu entstandene Gruppe von vergleichbaren Normadressaten aufgrund einer typisierenden Betrachtungsweise abzusehen.“ Ferner s. Britz, StAZ 2016, 8 (12 f.); zu den Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen s. dies., NJW 2014, 346 (349 ff.). 301 Hielte man stattdessen ein Abstandsgebot für verfassungsrechtlich begründbar, so würde man in dieser erbrechtlichen Gleichstellung auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG erblicken können; dazu s. Leipold, ZEV 2001, 218 (222): „Sofern also aus Art. 6 Abs. 1 GG ein Gebot des Schutzabstands herzuleiten ist, wonach andere Lebensgemeinschaften nicht in gleichem Maße den staatlichen Schutz erhalten dürfen wie die Ehe, ist dieses Gebot durch die erbrechtlichen Regeln eindeutig verletzt.“ (Hervorhebung im Original). 302 Auch weitere, bisher nur an die verschiedengeschlechtliche Ehe geknüpfte Statuswirkungen wird man künftig auf ihre Kompatibilität mit der gleichgeschlechtlichen Eheform hin kritisch untersuchen können, vgl. etwa Löhnig, NZFam 2017, 643 ff. („Ehe für alle – Abstammung für alle?“); Binder/Kiehnle, NZFam 2017, 742 ff. („,Ehe für alle‘ – und Frauen als Väter“); Knoop, NJW-Spezial 2017, 580 (581): „[…] noch jede Menge zu tun: Sei es die Anpassung der Rechtsvorschriften, die ausdrücklich von Mann und Frau sprechen (zB beim Ehenamen: § 1355 II BGB) […].“ Zum Abstammungs- und Kindschaftsrecht s. Engelhardt, NZFam 2017, 1042 ff. („Die ,Ehe für alle‘ und ihre Kinder“); ferner s. Schwab, FamRZ 2017, 1284 ff.; ders., FamRZ 2016, 1 ff.; Röthel, FamRZ 2015, 1241 f. 303 BVerfGE 105, 313 (352); ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (180).
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konsequenterweise auch weiterhin Rechnung tragen.304 Dies ist möglich, indem man den expandierten Ehestatus hinsichtlich der mit ihm verbundenen Rechtswirkungen unter der Fragestellung aufspaltet, inwieweit eine jeweilige Statusfolge jedenfalls auch auf dem natürlichen Familienpotential beruht.305 Insoweit versteht sich die vorliegende Arbeit als Anstoßgeber, um im künftigen Diskurs Farbe bezüglich des normativen Stellenwerts der Geschlechtlichkeit einer Paarkonfiguration und des damit gegebenen oder ausgeschlossenen natürlichen Familienpotentials einer Ehe zu bekennen.306
Zusammenfassung Gegenstand des dritten Kapitels war eine kritische Stellungnahme zu der jüngsten Expansion des Ehestatus zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB im Erbrecht und ihren verfassungsrechtlichen Grenzen, die darauf hinweist, dass das gegenwärtige betont subjektive Eherechtsdenken bei gleichzeitigem Verzicht auf das Wertungsmoment des natürlichen Familienpotentials der Ehe Legitimationsprobleme eines zunehmend verstärkten Ehegattenerbrechts aufwerfen kann. Im Ausgangspunkt ist die Integration des Ehegatten in das Erbrecht und die damit verbundene Zurücksetzung der Verwandten des Erblassers dadurch nachvollziehbar geworden, dass die Ehe ihrerseits der Ausgangspunkt einer eigenen Generation und somit gegenüber entfernteren Verwandten eine auch vermögensrechtlich selbstständige Wertungsgröße sein kann. Sobald dieses natürliche Familienpotential kein konstitutives Merkmal des Ehestatus mehr ist, entfällt dieser Rechtfertigungsgrund für die Zurücksetzung der Verwandten des Erblassers. Im Anschluss an diese Einsicht konnte gezeigt werden, dass dem Erbrecht – soll ein gleichgeschlechtliches Ehemodell gleichwohl in das Erbrecht integrierbar sein – die Funktion zugewiesen werden muss, die Ehe allein als Solidaritätsverhältnis nachwirken zu lassen. Ein solches funktionales Erbrechtsdenken öffnet die Tür zur Identifikation horizontaler Solidaritätsbeziehungen, die auf ihre Integrationsfähigkeit in die Ebenen des gesetzlichen Erbrechtsmodells hin zu befragen sind. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass sich unter rechtstechnischen Gesichtspunkten dafür eine Ausgestaltung als Statusverhältnis empfiehlt. Ausgehend von einer unmittelbaren Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Entscheidungen des historischen Verfassungsgebers ergab sich jedoch, dass der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG die Tür zu einer materiellen Expansion des Ehe304
Dazu s. Holler, ZJS 2019, 173 (180). In diese Richtung bereits BVerfGE 105, 313 (359) (Sondervotum Papier) („Grenzen für eine substantielle Gleichstellung“); ferner s. Holler, ZJS 2019, 173 (180). 306 Dazu s. Holler, ZJS 2019, 173 (180); ferner s. Auer, AcP 216 (2016), S. 239 (269 f.) (Fn. 110). 305
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status zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare verschließt und insoweit zu einer rechtsmethodisch belastbaren Kritik an den jüngsten Umbrüchen im Familienrecht befähigt, umgekehrt aber auch seinerseits als Inhibitor privatrechtlicher Modernisierung adressiert werden kann. Unabhängig davon konnte gezeigt werden, dass es die in Art. 14 Abs. 1 GG enthaltene und vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Typisierungsbefugnis des Erbrechtsgesetzgebers ermöglichen kann, die verschiedengeschlechtliche Ehe von ihrem gleichgeschlechtlichen Alternativmodell materiell abzugrenzen. In concreto kann dies den erbrechtlich pauschalierten Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB betreffen, der sich in Bezug auf den ihm zugrunde liegenden Ehetyp – erstverstorbener ausgleichspflichtiger Ehemann, überlebende ausgleichsberechtigte Ehefrau – nicht mit den realen Bedingungen des gleichgeschlechtlichen Ehemodells nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB deckt und man daher die typische Richtigkeitsgewähr der insoweit eintretenden Erbrechtsverstärkung kritisch hinterfragen kann.
Schlussbetrachtung Das Ziel dieser Studie war es, die Wandlungen in der rechtstechnischen Ausformung der erb- und güterrechtlichen Dimensionen des Ehegattenerbrechts, denen das materielle Wertungsproblem zugrunde liegt, im Erbfall die Interessen des überlebenden Ehegatten und die der Verwandten des Erblassers gegeneinander abzuwägen, als einen sich sukzessive realisierenden Nachvollzug von fortschreitenden Wandlungen im Eherechtsdenken zu deuten. Im Lichte dieses Grundgedankens ist es gelungen, die aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus entfalteten Wandlungen und Verstärkungen der gesetzlichen Rechte des überlebenden Ehegatten de lege lata mit dem Zusammenwirken dreier entwicklungsbestimmender und unterschiedlich stark betonter Wertungsmomente zu erläutern. Erstens: Die Verstärkung der Rechte des überlebenden Ehegatten und die damit verbundene Zurücksetzung der Verwandten des Erblassers wurde durch das Wertungsmoment des natürlichen Familienpotentials der Ehe erklärbar, der eigenständige Ausgangspunkt einer neuen Generation zu sein. In rechtstechnischer Hinsicht äußerte sich dies darin, dass der überlebende Ehegatte die entfernteren Aszendenten des Erblassers von der Erbfolge ausschloss und dieser mit den Deszendenten des Erblassers in das Zentrum der Erbfolge rückte. Zweitens: Im Verlauf der weiteren Wandlungen des Ehegattenerbrechts drängte der Ehegatte auch die Deszendenten des Erblassers zunehmend zurück. Beeinflusst wurde dieser Wandlungsprozess durch eine – ebenfalls von Anfang an im Eherechtsdenken enthaltene und auch während des ursprünglichen Erarbeitungsprozesses des BGB aktualisierte, aber darin noch nicht so stark wie heute ausgeprägte – subjektivistische Verschiebung des Eherechtsdenkens weg von dem natürlichen Familienpotential der Ehe hin zu einer primär individualistisch konstruierten, solidarischen Liebes- und Verantwortungsbeziehung. Drittens: In materieller Hinsicht basiert die in diesem subjektiven Sinne verstandene Ehe auf der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Rechtstechnisch wurde diese heute durch Art. 3 Abs. 2 GG vorgegebene Wertungsverschiebung weg von der tradierten Vorrangstellung des Ehemannes durch die Reform des gesamten Güterrechts im Allgemeinen und durch die Einführung der Zugewinngemeinschaft als gesetzlichen Güterstand im Besonderen nachvollzogen. Im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Ehegattenerbrechts zeigt die jüngste Expansion des Ehebegriffs zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare, dass das gegenwärtige Eherechtsdenken insbesondere durch die zunehmende Tendenz zur Subjektivierung in Bewegung bleibt. Dem dadurch entstehenden Legitimationsdruck – zu rechtfertigen, warum das Verwandtenerbrecht in einer Weise gekürzt wird, als könnte auch die gleichgeschlechtliche Form einer Ehe
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nach § 1353 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB der natürliche Ausgangspunkt einer neuen Generation sein – kann man nicht entkommen; man kann dem ipso iure eintretenden Erbteil, Voraus und Pflichtteil des Ehegatten nur die primäre Funktion zuweisen, die auch zwischen gleichgeschlechtlichen Ehepartnern ebenso verbindlichen Solidaritätspflichten über den Tod hinaus nachwirken zu lassen und dadurch die betonte Innigkeit dieser Beziehung auch mit den Mitteln des Erbrechts zu stabilisieren. Ausgehend von dem rechtsmethodischen Primat einer subjektiv-historischen Verfassungsinterpretation blockieren jedoch der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG und die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG eine derart radikale Subjektivierung, weil diese Grundrechte in materieller Hinsicht die normative Unzulänglichkeit einer subjektivierten Wertverschiebung als alleinige Triebkraft für die Wandlungen des Ehegattenerbrechts unausweichlich ins Bewusstsein rufen.
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Personen- und Sachwortverzeichnis Abstammung 37, 51, 144, 163, 169 Abwicklungssystem 16, 53 ff., 64 Actio rei uxoriae 26 f., 29 f. Adoption, Adoptivkind 111, 132, 136 Agnaten, Agnationsprinzip 23 ff., 27 f., 32, 55 Alimentation 34 Anfallprinzip 124, 128 Anfangsvermögen siehe Zugewinngemeinschaft Angleichungsrechtsprechung 153, 155, 168 Anrechnung 77, 92 ff., 97, 99, 116 Aktivposten 90 Altruismus 112, 130 Aszendenten 32, 39, 49, 60, 64 f., 69, 74 f., 78 f., 82 f., 108, 172 Aufspaltung 153 f., 156, 169 f. Ausbildung 18, 25, 34, 43, 55, 99 Ausgleichsforderung siehe Zugewinngemeinschaft Auslegung 38, 92, 136, 144, 148, 150 f., 154 – objektiv-teleologische 147 f., 151 ff. – primärrechtskonforme 146 – rechtsvergleichende 120 – subjektiv-historische 147 ff., 173 Ausschlagungsprinzip 14, 17, 98, 128 Ausschuss für Grundsatzfragen 135 ff., 139 f., 156 ff., 163 Ausstattung 62 f., 86 f. Aussteuer 43, 86 f.
Befriedungsfunktion, -wirkung 62, 91, 127, 137, 148 f., 152 Beistandscharakter 40, 72, 81, 91, 108, 125, 130, 153, 164 siehe auch Einstandsgemeinschaft Bereicherungsverbot 27 f., 31 siehe auch Schenkungsverbot Beseler, Georg 47 f. Beteiligung siehe Zugewinngemeinschaft Bevorzugung 14, 34, 54, 66, 73, 91, 140 Beweisführung 96 Beweislage 99 Bluntschli, Johann Caspar 46 f. Blutsverwandtschaft 11, 27 f., 32, 37 f., 46 f., 53, 64, 107, 111 Bonorum possessio 27 ff., 32
Bedürftigkeit, Bedürfnisklausel 14, 34, 77, 99, 153 Beendigung 30, 46, 56 – der Gütergemeinschaft 15, 53, 58, 100 ff. – der Wahl-Zugewinngemeinschaft 16 f., 105 ff. – der Zugewinngemeinschaft 15 f., 95 ff., 106, 168
Ehe – beerbte 43, 46, 60, 63, 65, 67 ff., 72, 74 ff., 78 – Produktivität, Reproduktionsfunktion 64, 110, 141, 153 – unbeerbte 43, 46, 60, 65, 69 f., 72, 74 f. Eheauflösung 38, 124 Ehebegriff
Christentum 36, 50 Cognationsprinzip 25, 27, 32 Demokratische Willensbildung 149 f. Deszendenten 32, 49, 53, 60, 65, 68 f., 72, 75, 78 f., 83, 90, 93, 104, 108, 172 Differenzierungskraft 143, 164 Diskriminierung 111, 117, 119, 144, 146 Dos 25 ff., 29 ff., 36, 43, 55 Dotalgrundstück 26, 30 Dotalgut 26 Dotalsachen 26, 30 f. Dotalsystem 44, 48 Dotalvermögen 27
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Personen- und Sachwortverzeichnis
– einfachrechtlicher 20 f., 40 f., 52, 111, 113, 132, 154 f., 165, 168 f., 172 – verfassungsrechtlicher 133 ff., 137, 141, 145, 147, 151, 153 ff., 170, 173 Ehegattenpflichtteil siehe Pflichtteil Ehegattensplitting 142 Ehehindernisse 36, 118 Eheschenkung 31, 33 Ehewohnung 77, 116 Ehezeit 18, 27, 31, 42, 46, 48, 87, 90 f., 99, 107 Eigentumsfreiheit – im Naturrecht 36 f. – im Verfassungsrecht 160 f. Einstandsgemeinschaft 112 f., 143, 153 f., 166 siehe auch Beistandscharakter Einstandspflichten 114, 164 Elternverantwortlichkeit 141 f. Emanzipation 119, 122, 126, 132, 168 Endvermögen siehe Zugewinngemeinschaft Entkopplung 110, 143 Erbauseinandersetzung 16 Erbfolgemandat 51 f. Erbportion 33, 49 Erbquote 13, 63, 65, 67 f., 70, 74, 78, 96, 100, 104 ff., 116 Erbrechtsgarantie 133, 155 ff., 165 f.,168, 173 Erbschaftsteuer 16, 87, 164 Errungenschaftsgemeinschaft 44, 46, 58, 100 f. Erwartungschancen 131 Expansion 110 f., 113, 119, 122, 133, 155, 165, 170, 172 Fahrnisgemeinschaft 100 Familienpotential 40 f., 48 f., 51 f., 56 f., 59, 64 f., 68, 71 f., 75, 84, 90, 99 f., 103, 108, 111 ff., 140 ff., 152 ff., 164 ff., 169 f., 172 Familienschutz 144, 146, 160, 165 Filiae loco 24, 26, 28, 55 Frauenrechtsbewegung 85 Frieden, Friedenssicherung 127, 148 f., 152 Gengler, Heinrich Gottfried 33 Gesamtgut 15, 45, 100 ff., 109 – Auseinandersetzung 15, 101, 103
– Fortsetzung 100 ff., 109 Gesamthandsvermögen 46 Geschenke 13, 29, 31, 43, 73, 75 ff., 77 f., 84, 98 Geschlechtsverschiedenheit 145 Gesetzgeber – einfacher 13 f., 18 f., 22, 49 f., 52, 58 f., 68 f., 71 f., 76, 87, 91 ff., 97, 103 f., 117, 119 ff., 126, 133 f., 144, 149, 151, 154 f., 162 ff., 167 ff. – positiver 38 – verfassungsändernder 134 ff., 150 ff. – verfassungsgebender 148 f. Gesetzgebungsgeschichte 18, 22, 57, 98 Gewaltenteilung 151 f. Gleichberechtigung 40 f., 50 f., 53 f., 57, 59, 84 ff., 88 ff., 98 ff., 103, 107 f., 172 Gleichberechtigungsgesetz 72, 76, 78, 83, 85, 88, 100, 102, 104, 106 Gleichgeschlechtlichkeit 20 f., 110 ff., 131, 133, 140, 142 ff., 154 f., 164, 166 f., 169 ff. Glück, Christian Friedrich 33 Gütergemeinschaft 15, 38, 44 ff., 53 f., 58, 100 ff., 108 f. – Beendigung siehe dort – Gesamtgut siehe dort – Sondergut 15, 101 – Vorbehaltsgut 15, 101 Güterrecht – europäisches 146 f. – gesetzliches 84 ff., 89 ff., 95 ff. – heutiges 12, 14 f., 20 f., 57, 108 – im Preußischen Allgemeinen Landrecht 53 f. – im Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch 54 f. – mittelalterliches 35, 42 ff., 46 ff. – römisches 25 ff., 30 f. – vertragliches 100 ff., 104 ff. Gütertrennung 17 f., 53, 77, 86, 88 f., 104 f., 108 f. Großeltern 13 f., 16, 65 ff., 69 ff., 75 f. Grundrechte 133 ff., 143 f., 146, 153 f., 156 ff., 173 Grundrechtskatalog 158, 163 Grundrechtskritik 160
Personen- und Sachwortverzeichnis Hauserbfolge 23 Haushalt, Haushaltsinventar 14, 44, 72 ff., 116, 118, 125, 128, 131, 166 Hauptausschuss 136 ff., 159, 161 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 11, 38 ff., 43, 51, 78, 107, 111 f., 120 Heineccius, Johann Gottlieb 38 Heusler, Andreas 48 Hochzeitsgeschenke 13, 73, 75 ff. Horizontalisierungstendenz 20, 78, 113 ff., 170 Hybride Rechtstechnik – actio rei uxoriae 30 – portio statutaria 46, 48, 55 Individualisierung 37 ff., 54, 110, 113, 127, 130, 161, 168, 172 Innenleben 127 Institutsgarantie 133 f., 141, 145, 153, 155 Intestaterbrecht 12, 24, 32, 37 f., 68 ff., 123 f., 129 Intimsphäre, Intimität 127 Ius civile 23 f., 27 f., 31, 35 Ius praetorium 24 ff., 28, 30 f. Jhering, Rudolf v. 20, 42, 122, 151 f. Judikative 121 Justinian 25, 29 ff., 36, 55 Kant, Immanuel 19, 36 f., 41, 113, 120 Kapitalbindung 60 Kindesteil 59, 64, 68 Kollision, Kollisionsverhältnis 17 ff., 29, 34 f., 41, 53, 55, 57, 59 f., 65, 67, 69 ff., 75 f., 78, 81, 83 ff., 92 ff., 98 ff., 102 ff., 106 ff., 163 Konflikt, konfligieren 18, 40, 85, 149, 163 Konfliktentzogenheit 149 f., 152 Lebensform 110, 113, 129, 131, 139 f., 152 ff. Lebensgemeinschaft – eheliche 36, 60, 63, 69, 72, 81, 133 ff., 153 f. – gleichgeschlechtliche 115 ff., 146, 153 f. – nichteheliche, faktische 118 f., 125 ff., 154
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Lebenspartnerschaft 111 f., 117, 142 ff., 153, 155, 163 f., 168 f. Legal Transplant 122 f. siehe auch Transplantierbarkeit Legislative siehe Gewaltenteilung Liebe 28 f., 37, 39 ff., 56, 81, 108, 172 Liebesgemeinschaft siehe Einstandsgemeinschaft sowie Beistandscharakter Mangoldt, Hermann v. 135 ff., 156 ff. Manus-Ehe 24 ff., 28, 35 Manus-freie Ehe 24 ff., 29, 32, 34, 51, 55 Mitarbeit 18, 37, 95, 105 Mitgift 24 ff., 33 Morgengabe 43 Munt 35, 42, 44, 54 f. Nachlass – Verbindlichkeit 96 – Wert 14, 82 Nähebeziehung 62, 112 ff., 129 Naturrecht 35 f., 38 f. Neffe 65 Nexus 148, 165 Nicht-Statusverhältnis 127 Nießbrauch 30 f., 33, 43, 45 f., 53 f., 59 ff., 67 f., 74, 79 ff. Novellen 25, 30 f., 33 Nutznießung 35, 63, 69, 84, 116 Objektiv-teleologische Auslegung siehe Auslegung Öffnung der Ehe 20, 111, 113, 117, 132 f., 153, 165, 169 Onkel 69 Paarbeziehung 110 f., 113 ff., 128 f., 131 f., 143 ff. Paarkonfiguration 134 f., 145, 165, 170 Pacte civil de solidarité 117 Parentel, Parentelordnung 13, 59, 63, 65 f., 69, 116 Parlamentarischer Rat 135 ff., 152, 154, 156 ff. Partikularrechte 41 f., 46 Passivposten, passive Vererblichkeit 12, 34, 89, 106 Patria potestas 23 ff.
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Patriarchalisch 36, 50, 53 ff., 103 Pauschalierung 15 f., 46, 95 ff., 99, 105, 166 f., 171 Pflichtteil – des Ehegatten 14, 79 ff. – der Verwandten 14, 16, 79 ff. Pflichtteilsentziehung 124 Planck, Gottlieb 58 ff., 64 f., 72 ff., 79 ff. Pluralisierung 110, 129, 131 Portio statutaria 42, 46 ff., 55 f. Praktikabilität 16, 96, 168 Primärrechtskonforme Auslegung siehe Auslegung Privatautonomie 161, 167 Privatsphäre 127 Privatvermögensrechte 158 Pufendorf, Samuel v. 19, 37 Qualifizierung, internationalprivatrechtliche 15 f., 168 Quarta uxoria 23, 32 ff., 55 Quotenrecht siehe Portio statutaria Realbeziehung 115, 118, 125 ff. Rechtsdenken – Ehe 18 ff., 28, 31, 35 f., 38, 40 f., 48, 50 f., 53, 55, 57, 59 f., 71, 78, 81, 83, 85, 88, 91, 105, 110, 113, 151, 170, 172 – evolutionäres 20 f. Rechtsfähigkeit 19 f., 42 Rechtsfrieden 149, 152 Rechtsklarheit 128 Rechtsprechung – des BGH 15 ff., 88, 128, 167 – des BVerfG 111 f., 128, 132 ff., 140 ff., 153 ff., 161 ff. – des EGMR 146 – des EuGH 15, 146, 168 Rechtssicherheit 128, 148, 168 Rechtsvergleichende Auslegung siehe Auslegung Rechtsvergleichung 12, 89, 114 f., 117, 119 ff., 126, 156 f., 160 Redaktionsausschuss 138 ff., 157 ff. Rollenprägung 168 Roth, Paul v. 47
Savigny, Friedrich Carl v. 19, 115 Scheidung 12, 16, 26 f., 29, 88 Schenkungsverbot 28 siehe auch Bereicherungsverbot Schmitt, Gottfried v. 42, 58 ff., 72 ff., 79 Schuldenhaftung 128 Schwebelagen 128 Schwiegerfamilie 18 Selbstständigkeit – der Kinder des Erblassers 63 f., 68, 72, 78, 102 – des überlebenden Ehegatten 36, 39 f., 51, 56, 61, 78, 84, 111 f., 170 Sitte, Sittlichkeit 25, 30, 38 f., 41, 50 ff., 76, 80 Solidaritätsformen – faktische 114 f., 118 ff., 123 ff., 129, 144 – normative 114 f., 122 f., 125 f., 155 , 164 Solidaritätsleistung 113, 125, 129 Solidaritätspflichten 125, 129 ff., 173 Solidaritätsverbindung 143, 153 Sondergut siehe Gütergemeinschaft Sondernachfolge 11 Sozialsicherung 131 Sozialisierungsgewalt 158 Sprachverein 137 Stabilität 128, 132, 142, 148, 154 Startbedingungen 99 Status, familienrechtlicher – Basierung von Rechtswirkungen 114 ff., 123 ff., 126 ff. – Begriff 19 f., 115 – Orientierung 127, 129, 131 f. – Verhältnis 18 f., 22, 50, 59, 71 f., 90, 100, 104, 114 f., 117, 119, 122, 124 f., 127 ff., 170 Stiefeltern 69, 99 Stipulation 26, 30 Stobbe, Otto 47 Subjektiv-historische Auslegung siehe Auslegung Subjektivierung 40 f., 49, 51, 53, 57, 59, 71 f., 83 f., 91, 99 f., 105, 108 f., 110, 113, 172 f. Sui iuris 24 Testament 30, 47, 80 f., 88 f., 106 Testierfreiheit 79, 123 f., 158, 160 ff.
Personen- und Sachwortverzeichnis Tod 12, 15, 31 f., 38 f., 43, 45, 48, 53, 64, 73, 85, 89 f., 95, 99 ff., 106, 109, 112, 161, 164, 173 Todesfall 11, 21, 43, 48, 57, 86 f., 90, 105 f., 109, 131 Transparenz 128, 148 f. Transplantierbarkeit 122 siehe auch Legal Transplants Trauerfall 96 Typisierung 94, 128, 132, 164, 166, 168 ff., 171 Überschuss siehe Zugewinngemeinschaft Universalsukzession 34, 128 Unterhalt 12, 25 f., 37, 63, 77, 80, 86 f., 91, 114, 125, 130 f., 146, 164 Uxor in manu 23, 26 ff. Verantwortungsgemeinschaft 52, 56, 63, 77, 83, 91, 108, 111 ff., 143, 153 f., 164, 166 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 167 Verfassungsgeber 136, 142, 144 f., 147, 149 f., 153, 165, 170 Verfassungsinterpretation 146, 148 ff., 153, 173 Verfassungsunterworfener 149 Verfassungswandel 141, 150 Vermächtnis 13 f., 17, 34, 73, 75 f., 95 f., 123, 126 Verschiedengeschlechtlichkeit 113, 133 ff., 140 ff., 145, 154 f., 169 Versorgungsausgleich 12 Vertikalisierung 20, 113, 115 Verwaltungsgemeinschaft 44 f., 47, 53, 58, 61, 73, 84 ff.
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Verwandtenerbfolge 12, 19, 25, 32, 110, 162 f., 165, 168, 172 Verwandtenpflichtteil siehe Pflichtteil Verwandtschaftsnähe 90, 107 Voraus 12 ff., 21, 59, 72 ff., 81 ff., 86, 89, 93, 96, 108, 112, 117, 123 ff., 127 ff., 173 Vorbehaltsgut siehe Gütergemeinschaft Vorkommission 22, 57 Vorrangstellung, Vorherrschaft des Ehemanns 35, 40 f., 45, 48, 53 ff., 58, 85, 108, 172 Vorversterben 13, 26 f., 98, 167 Wächter, Carl Georg v. 33 Wahlrecht bei Zugewinngemeinschaft 17 Wahl-Zugewinngemeinschaft 16 f., 105 ff., 167 Weimarer Reichsverfassung 85, 135, 156, 158, 161 Wertbestimmung 81 f., 96 Willküranfälligkeit 148 Wittum 43 Witwe, Witwer 25, 29, 31 ff., 36, 38 f. Wohlverhaltensanreize 125 Wolff, Christian 37 f. Zugewinngemeinschaft 15 ff., 85 f., 90, 99 f., 107 ff., 167, 172 – Ausgleichsforderung 16 f., 86, 89 ff., 96 ff., 100, 105 ff. – Beendigung siehe dort – Beteiligung 85 f., 88 f., 96 – Überschuss 86 f., 89 f., 94, 106, 168 Zuwendung 17, 74, 92, 94, 99