Von einer Freundschaft, die es nicht gab: Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974–1990 [1 ed.] 9783666367618, 9783525367612


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Von einer Freundschaft, die es nicht gab: Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974–1990 [1 ed.]
 9783666367618, 9783525367612

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Tytus Jaskułowski

Von einer Freundschaft, die es nicht gab Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974–1990

Analysen und Dokumente Band 57 Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)

Tytus Jaskułowski

Von einer Freundschaft, die es nicht gab Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974–1990 Mit 2 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke begrüßt am 27. Juni 1988 auf dem OstBerliner Flughafen den für die polnische Staatssicherheit zuständigen Innenminister Czesław Kiszczak. (Bildnachweis: BStU, MfS, ZAIG, Fo 2518, Bild 2)

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-1064 ISBN 978-3-666-36761-8

Inhalt Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsgegenstand.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 9 16 18 21

1. Kontakte und Konflikte der Geheimdienste Volkspolens und der SBZ/ DDR bis 1974. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.1 »Zusammenarbeit« von Geheimdiensten. Theoretische Überlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.1.1 Grundbegriffe des geheimdienstlichen Handelns. . . . . . . . . 25 1.1.2 Der Begriff der »geheimdienstlichen Zusammenarbeit«. . . . 29 1.1.3 Konflikte und Kampf gegeneinander am Rande der geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Historischer Überblick. . . . . 30 1.2 Das MfS und das polnische Innenministerium (MSW) in vergleichender Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.2.1 Entstehungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.2.2 Institutionelle Unterschiede in der Entwicklung und Arbeitsweise des MfS und des polnischen Innenministeriums. . . . . 40 1.2.3 Unterschiede der Ministerien als Chance und Belastung für die spätere Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.3 Die Kontakte der Sicherheitsdienste der DDR und der Volksrepublik Polen bis 1974. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.3.1 Die Kontakte der Sicherheitsbehörden in der SBZ 1945 bis 1949. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.3.2 Kooperation und Konflikte zwischen dem MfS und dem Innenministerium der VRP bis 1970. . . . . . . . . . . . . . 55 1.3.3 Kooperation und Konflikte 1949 bis 1974. . . . . . . . . . . . . . 68 2. Geheimdienstliche Diplomatie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Vertragliche Grundlagen der Beziehungen des MfS mit dem MSW. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Struktur und Aufbau der Grundsatzvereinbarung von 1974 zwischen dem MfS und dem polnischen Geheimdienst. . . . 2.1.2 Vereinbarungen zwischen den Geheimdiensten der DDR und der VRP auf der nichtministeriellen Ebene. . . . . . . . .

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Inhalt

2.2 Ein »ideologisches Ritual«? Die Kontakte zwischen den Führungsebenen des MfS und des MSW. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2.2.1 Protokollarische Treffen innerhalb der Sicherheitsbehörden als Instrument der geheimdienstlichen Arbeit. Strategie des polnischen und ostdeutschen Geheimdienstes. . . . . . . . . . 111 2.2.2 Ministertreffen. Vorbereitung – Verlauf – Effekte.. . . . . . . 114 2.3 Die Richtlinien des MfS zur Polenpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2.3.1 Der Minister für Staatssicherheit als Entscheidungsträger in der Polenpolitik der Stasi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2.3.2 Die polenbezogenen Grundsatzentscheidungen des Ministers für Staatssicherheit und deren Wahrnehmung auf der Führungs- und Bezirksebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (1) – Fremde Dienste. . . . 3.1 Kontakte zwischen den Abteilungen für Auslandsaufklärung und Spionageabwehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Grundsätze und quantitative Dimension der Kontakte.. . . 3.1.2 Der operative Vorgang als Grundelement der Kooperation. 3.1.3 Implementierung der Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der nachrichtendienstliche Informationsaustausch. . . . . . . . . . . 3.2.1 Die quantitative Dimension der Zusammenarbeit. . . . . . . 3.2.2 Die qualitative Dimension der Zusammenarbeit. . . . . . . . 3.3 Die Beziehungen der funkelektronischen Aufklärung und der Abteilungen für spezielle Technik.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Grundsätze der Kooperation.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die formellen Kontakte auf der Leitungsebene. . . . . . . . . 3.3.3 Die operative Zusammenarbeit – Beispiele. . . . . . . . . . . . 3.3.4 Misstrauen als Bestandteil der Kooperation. . . . . . . . . . . . 4. Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (2) – Innere und äußere Bedrohungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Verfolgung der Opposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Wahrnehmung des politischen Gegners durch die Sicherheitsbehörden Polens und der DDR. . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Grundsätze der Kooperation.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Aktive Oppositionsbekämpfung – Beispiele.. . . . . . . . . . . 4.1.4 Misstrauen und Konflikte als Bestandteil gemeinsamer Handlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Kampf gegen die Kirchen und Glaubensgemeinschaften. . . . 4.2.1 Ziele und quantitative Dimension der Zusammenarbeit. . . 4.2.2 Der Alltag der Religionsgemeinschaften als Mittelpunkt der Kooperation.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 161 161 165 166 195 196 201 206 206 210 213 220 233 233 233 234 238 256 261 261 265

Inhalt

4.2.3 Informationsaustausch als Element der Zusammenarbeit.. 4.2.4 Die separate operative Arbeit beider Geheimdienste am Rande der Kirchenbekämpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Überwachung der Bürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Grundsätze der Kontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Quantitative Dimension und Arten der Kontrolle. . . . . . . 4.3.3 Kontrollmaßnahmen und die polnische Krise 1980. . . . . . 4.4 Die Bewachung der Staatsgrenze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Die Rolle der Grenze im Komplex der geheimdienstlichen Kooperation und Auseinandersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Republikflucht als Hauptgrund der Kooperation. . . . . . . . 4.4.3 Vorgänge, Kooperation und Konflikte am Rande der Grenzüberwachung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Freund als Gegner. Spionagekampf zwischen dem MfS und dem MSW. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Gegenseitige Aufklärungs- und Abwehrmaßnahmen. . . . . . . . . 5.1.1 Die Operativgruppe Warschau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Die Aufklärung der ostdeutschen und polnischen Bürger.. 5.1.3 Technische Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Offensive Maßnahmen gegen polnische Einrichtungen ab 1980 und deren Abwehr.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die inoffiziellen Mitarbeiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Die Quantität der IM-Arbeit gegen Polen.. . . . . . . . . . . . 5.2.2 Die Kategorisierung der IM-Arbeit in Polen – das Pyramidensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Polnische DDR-bezogene IM-Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die Berichterstattung der Geheimdienste über Polen und die DDR.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Die Informationsanalyse des MfS und des polnischen Innenministeriums – ein Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Die Berichterstattung der Stasi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Die Berichterstattung des polnischen Innenministeriums..

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Schlusswort: Zwangsverordnete Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen-/Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenverzeichnis zu den Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Decknamenregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung Forschungsstand Seit 2013 ist in den Massenmedien immer öfter von den Grenzen gegenseitiger Spionagehandlungen innerhalb der NATO die Rede. Vor allem die angeblichen aggressiven Aktivitäten der amerikanischen Geheimdienste gegenüber bundesdeutschen Regierungseinrichtungen lösten bei führenden Politikern Empörung und Entsetzen aus.1 Zwar sind die politischen Reaktionen auf die aufgedeckten Fälle nachvollziehbar. Die meisten Kommentatoren haben jedoch vergessen zu sagen, dass es sich um ein Phänomen handelt, das mindestens seit 1945 ein Bestandteil des Weltsystems ist – sowohl im Rahmen der NATO als auch im Rahmen des Warschauer Paktes. Wenn man die Dimension der gegenwärtigen politisch-publizistischen Ausein­ andersetzung mit dem Thema kennt, überrascht die Tatsache, wie oft jene Kluft auch in der Fachliteratur vorkommt. Vor allem in jener, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht. Es geht um Werke über die politischen Beziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen (VRP) und über die Kontakte ihrer Sicherheitsbehörden sowie um das dort sehr oft verwendete Wort »Freundschaft«. In der Tat wird es unterschiedlich spezifiziert und dient sicherlich nur als Metapher. So implizieren die Begriffe »zwangsverordnete« oder »erfundene« Freundschaft2 gleichzeitig Grenzen.3 Um die vermeintliche Bedeutung dieser Freundschaft zu betonen, verwendeten einige Wissenschaftler in den Titeln ihrer Beiträge Zitate aus den Reden hoher Funktionäre des volkspolnischen Innenministeriums, in denen »neue Traditionen in der Zusammenarbeit mit dem MfS [Ministerium für Staatssicherheit]« angekündigt wurden.4 Man suggerierte 1  Vgl. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/handy-spaehaffaere-um-merkel-regierung -ueberprueft-alle-nsa-erklaerungen-a-929843.html (letzter Zugriff: 2.7.2020). 2  Jan Claas Behrends: Erfundene Freundschaft. Propaganda für die Sowjetunion in Polen und in der DDR (1944–1957). Köln 2005, S. 91. Ludwig Mehlhorn: Zwangsverordnete Freundschaft? Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und Polen. In: Basil Kerski, Andrzej Kotula, Kazimierz Wóycicki (Hg.): Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949–1990. Osnabrück 2003, S. 35–40; vgl. auch Basil Kerski: Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen. Versuch einer Bilanz. In: ebenda, S. 9–25. Kerski erwähnt hier den Begriff »politisch diktierte Freundschaft«. Ebenda, S. 25. 3  Włodzimierz Borodziej, Jerzy Kochanowski, Bernd Schäfer: Grenzen der Freundschaft. Zur Kooperation der Sicherheitsorgane der DDR und der Volksrepublik Polen zwischen 1956 und 1989. Dresden 2000. 4  Monika Tantzscher: »Wir fangen an, neue gute Traditionen in der Zusammenarbeit zu schaffen« – Über die geheimdienstlichen Beziehungen der DDR zu Polen im Spiegel der MfS-Akten. In: Basil Kerski, Andrzej Kotula, Kazimierz Wóycicki (Hg.): Zwangsverordnete

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Einführung

auch, dass das MfS in Osteuropa seine »geheimen Brüder« – die anderen Sicherheitsdienste der sozialistischen Staaten – hatte,5 die, zumindest offiziell, ähnliche oder sogar die gleichen Ziele wie die Stasi verfolgten. Doch sind in Bezug auf die Beziehungen von Geheimdiensten Wörter wie »Freundschaft«, »Zusammenarbeit« oder »Brüderlichkeit« überhaupt zutreffend? Denn auch die Forscher, deren Titel gerade zitiert wurden, definieren die politischen Beziehungen zwischen der DDR und der VRP zu Recht als mit die schlechtesten in der Geschichte des Warschauer Paktes. Ebenso eindeutig werden die Grundzüge der Politik des MfS gegenüber Polen beschrieben. Der östliche Nachbar der DDR wurde ab 1980 als »Operationsgebiet«6 betrachtet, also als feindliches Territorium, auf dem man mit allen Mitteln versuchte, möglichst viele Interna über die Staatspartei und die politische Opposition in Erfahrung zu bringen. Wenn aber die Bewertungen so eindeutig sind, warum beschloss der Verfasser dann, eine komplexe Studie über die Beziehungen des MfS mit dem polnischen Innenministerium zwischen 1974 und 1990 zu verfassen – eine Studie, die sich kritisch mit der äußerst kleinen Zahl der Publikationen zu den geheimdienstlichen Kontakten der DDR und Volkspolens auseinandersetzt? Entscheidend dafür waren drei Mythen, die am deutlichsten aus den erwähnten Publikationen hervorgehen. Der erste Mythos bezieht sich auf die angeblich großen operativen Aufklärungsmöglichkeiten des MfS in der VRP, insbesondere nach 1980. In der Publizistik, aber auch in vielen wissenschaftlichen Abhandlungen wurde das MfS als eine mächtige Institution dargestellt,7 die viele wichtige Bereiche des polnischen politischen Lebens nicht nur zu infiltrieren, sondern auch zu beeinflussen versuchte. Die Zahl der inoffiziellen Mitarbeiter in der VRP wird dafür als Beweis herangezogen. Nach unterschiedlichen polnischen und deutschen Berechnungen sollen MfS-Offiziere in Polen zwischen 5008 und 1 500 sogenannte personenFreundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949–1990. Osnabrück 2003, S. 89–119, hier 89. 5  Monika Tantzscher: Die Stasi und ihre geheimen Brüder. Die internationale geheimdienstliche Kooperation des MfS. In: Heiner Timmermann (Hg.): Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert – der Fall DDR. Berlin 1996, S. 595–621, hier 595. 6  Was auch indirekt einige Jahre später der BND bestätigte. Sein Präsident Hans-Georg Wieck informierte etwa am 29.12.1988 das Auswärtige Amt u. a., dass »zu den am 29.12.1988 in mehreren Tageszeitungen veröffentlichten Artikeln, dass das MfS der DDR in Polen operativ tätig sei, dem BND verschiedene Hinweise vorliegen, die diese Darstellung bestätigen. Sie gehen allerdings auf die früheren 1980er-Jahre zurück. Einem dieser Hinweise ist zu entnehmen, dass 1982 ein MfS-Offizier die VR Polen als ›feindliches Operationsgebiet‹ bezeichnet hat.« Siehe Schreiben Nr. 1607 vom 29.12.1988; Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 42, Archivaliensignatur 139742 Aktenzeichen 360.24 POL, o. Pag. 7  Karl Wilhelm Fricke (Hg.): Der lange Arm der Stasi. Aachen 2009, S. 13; Jens Gieseke: Die Stasi 1945–1990. München 2011, S. 13. 8  Tantzscher: »Wir fangen an ...«, S. 107. In den letzten Presseinterviews in Polen sprachen die BStU-Mitarbeiter »lediglich« von 200 IM des MfS in Polen. Siehe Pies króla królem psów.

Forschungsstand

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bezogene Informationsquellen9 geführt haben. Die inoffizielle Zusammenarbeit einer nicht genau definierten Zahl polnischer Bürger mit dem MfS, insbesondere derer, die im politischen Leben Polens nach 1989 aktiv waren, bestimmte auch die publizistische Debatte über die historische und juristische Aufarbeitung der Vergangenheit der VRP.10 Keiner stellte die Stärke des MfS infrage. Auch die Ressourcen der ostdeutschen Aufklärung in Polen wurden nie in Zweifel gezogen.11 Der Mythos über den Einfluss des MfS in Polen wurde vor allem in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre verbreitet. Einige Journalisten behaupteten, dass es kaum möglich sei, »alle polnischen Bürger aufzuzählen, die mit dem MfS zusammengearbeitet haben«.12 Andere meinten, dass »es unter den Stasi-Spitzeln an Polen nicht gefehlt«13 und es sich keinesfalls um »einzelne Personen« gehandelt habe. Ihre Anwerbung soll sogar das volkspolnische Innenministerium genehmigt haben. Diese meist politisch aktiven Journalisten fragten auch, »wann die für die Stasi tätigen Personen von polnischen Gerichten verurteilt werden«. Noch 2003 »entdeckte« einer der Publizisten in Polen »Tausende nicht verurteilte Spitzel« des MfS,14 allerdings ohne Einzelheiten zu nennen. Andere Berichte aus jener Zeit vertreten die Auffassung, dass der ostdeutsche Geheimdienst über Agenten in allen [sic!] volkspolnischen Milieus verfügte. Ihre Aufträge, insbesondere jene, die sich auf die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) sowie den Militär- und Sicherheitsbereich bezogen, waren laut einem Artikel aus dem Jahr 2007 dem volkspolnischen Innenministerium nicht bekannt.15 Das Bild des MfS, das durch solche Mutmaßungen entstand, prägte die öffentliche Meinung, zumal diese in den Massenmedien erheblich größere Resonanz erfuhren als die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Stasi in der VRP. Die Forscher, die in den 1990er-Jahren die ersten unsortierten, unvollständigen Aktenbestände des MfS auswerteten, schätzten, dass 25 Prozent der in der VRP tätigen Informanten des ostdeutschen Geheimdienstes polnische Bürger waren.16 Diese hohe Zahl wirft u. a. die Frage nach deren Richtigkeit auf. In: Nowe Państwo 16 (2007), http://www.panstwo.net/1131-pies-krola-krolem-psow (letzter Zugriff: 2.7.2020). 9  Amtliche Bezeichnung eines IM in Polen. Die Zahlen wurden zitiert nach: Henryk Piecuch: Imperium służb specjalnych. Warszawa 1997, S. 195. 10  Polscy współpracownicy Stasi. Władze PRL pozwalały werbować i inwigilować. In: Rzeczpospolita v. 6.12.1996. 11  Als Ausnahme ist die Arbeit von Ewa Matkowska zu erwähnen: Ewa Matkowska: System. Obywatel NRD pod nadzorem tajnych służb [System. DDR-Bürger unter Überwachung der Geheimdienste]. Kraków 2003. 12  Uszy Honeckera. Polacy w Stasi. In: Wprost v. 8.2.1998. 13  Polska teczka Stasi. In: Newsweek Polska v. 24.6.2007. 14  Polskie Uszy Honeckera. In: Wprost v. 20.1.2003. 15  Niemiecki ślad. In: Tygodnik Solidarność v. 16.2.2007. 16  Jerzy Kochanowski: Die Beziehungen zwischen ostdeutscher Stasi und polnischen Geheimdiensten. In: Wolfgang Müller, Michael Portmann (Hg.): Osteuropa vom Weltkrieg zur

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Einführung

Die Aufklärungsmöglichkeiten des MfS sind verständlicherweise mit dem zweiten Mythos verknüpft – dem von der Schwäche des polnischen Innenministeriums (MSW). Während sein ostdeutsches Pendant eine straffe, effektive und perfekt ausgerüstete Institution war,17 war das MSW hingegen, nimmt man die Thesen einiger polnischer Forscher ernst, ein schwaches Ministerium, in dem Bestechung, Desorganisation, Misswirtschaft und Inkompetenz herrschten. Mehr noch, freiwillig und unaufgefordert unterstützten die Mitarbeiter demnach sogar das MfS. Die polnischen Offiziere sollen beispielsweise »dem ostdeutschen Dienst gegen Vergütung Unterlagen übergeben [haben], was sie nie hätten tun dürfen«.18 In den meisten wissenschaftlichen Publikationen wurde der Vorwurf des unprofessionellen Verhaltens der Mitarbeiter des MSW zwar differenzierter, aber nicht weniger kritisch dargestellt. Vor allem rügte man das angebliche Fehlen der eigenen Aufklärungsarbeit des MSW in der DDR. Als unglaubwürdig stuften diese Forscher auch die Zeugnisse der ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter des Innenministeriums ein, die öffentlich gegen die Vorwürfe polemisierten.19 Im Jahr 2000 wurde in einer der wissenschaftlichen Publikationen sogar expressis verbis festgestellt, dass sich die polnische Vertretung des MSW in Ostberlin angeblich nicht mit Spionage gegen die DDR befasst habe,20 was allerdings nicht bewiesen werden könne, wie der Autor dieser These hinzufügte.21 Der dritte Mythos befasst sich mit der Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit und des polnischen Innenministeriums. Allen bis zum Jahr 2010 veröffentlichten Werken, nicht nur publizistischer, sondern auch wissenschaftlicher Art, ist zu entnehmen, dass beide Ministerien trotz institutioneller Diskrepanzen und aggressiver Stasi-Aufklärungsarbeit in Polen22 verhältnismäßig harmonisch kooperierten, indem sie vor allem Kirchenmitglieder und den Kirchen nahestehende Personen und Organisationen sowie die Opposition verfolgten. Die Grenze wurde gemeinsam bewacht, die eigenen Bürger kontrolliert, man lieferte sich gegenseitig technische Ausrüstung und nicht zuletzt wurden westliche Geheimdienste gemeinsam bekämpft. Und in der Tat werden sowohl in den publizisti-

Wende. Wien 2007, S. 341–348, hier 345. 17  Tytus Jaskułowski (Hg.): Między rewolucją a zjednoczeniem. NRD w prasie polskiej 1990. Wybór źródeł. Berlin 2007, S. 17. 18  Wojciech Sawicki: Raport Kiszczaka dla Moskwy, czyli czego nie powiedział minister Widacki. Kraków 2002, S. 131. 19  Włodzimierz Borodziej, Jerzy Kochanowski (Hg.): PRL w oczach STASI, Bd. II. War­ szawa 1996, S. 158. 20  Włodzimierz Borodziej: Ministerstwo Bezpieczeństwa Państwa NRD wobec PRL. Wstępny zarys problematyki. In: Polska-Niemcy-Europa. Księga Jubileuszowa z okazji siedemdziesiątej rocznicy urodzin Profesora Jerzego Holzera. Warszawa 2000, S. 99–121, hier 113. 21  Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft, S. 23. 22  W obronie Polski czy w obronie komunizmu? NRD a stan wojenny. In: Rzeczpospolita v. 23.6.1994.

Forschungsstand

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schen Abhandlungen23 als auch in der Fachliteratur24 einige Beispiele für solche Aktivitäten aufgeführt. Wenn man die Belege der letztgenannten Kontakte und Kooperationen nicht infrage stellt, inwiefern kann man dann diese drei Mythen anzweifeln? Insbesondere insofern, als sie eine These begründen, die kaum haltbar ist. Es gab keine Freundschaft zwischen den beiden Geheimdiensten. Erst über drei Jahrzehnte nach den friedlichen Revolutionen gelang es, dank neuer, früher nicht zugänglicher und meist wiederhergestellter Archivquellen, ein deutlich differenzierteres Bild der gegenseitigen Beziehungen des MfS und des MSW zu skizzieren. In der Tat unterhielten sie offizielle Kontakte, deren Intensität allerdings schwankte. Es wurden auch gemeinsame Aktionen durchgeführt. Aber vor diesem Hintergrund hätten alle Forscher, die einen der drei Mythen verbreiteten, sich viele wichtige Fragen stellen müssen.

23  Wojciech Sawicki: Stawka większa niż PRL. In: Gazeta Wrocławska v. 10.11.2000; ders.: Stawka większa niż PRL (2). Złośliwi Polacy. In: Gazeta Wrocławska v. 17.11.2000; ders.: Stawka większa niż PRL (3). Krach »Sycylii«. In: Gazeta Wrocławska v. 24.11.2000; ders.: Stawka większa niż PRL (4). Bratnia pomoc. In: Gazeta Wrocławska v. 1.12.2000; Jerzy Kochanowski: Groźba nad NRD. In: Karta 28 (1999), S. 132–135; ders.: Groźny Papież. In: Polityka v. 14.10.2000; ders.: Szarża przyjaźni. In: Polityka v. 12.1.2002; ders.: Czujne bratnie ucho. In: Polityka v. 20.4.2002. Vgl. auch Agenci Stasi we wrocławskim ratuszu. In: Gazeta Wyborcza Wrocław v. 9.8.2005. Robert Klementowski, Sebastian Ligarski (Hg.): Artyści a Służba Bezpieczeństwa. Aparat bezpieczeństwa wobec środowisk twórczych. Materiały pokonferencyjne. Wrocław 2008, S. 595; Hanna Labrenz-Weiß: Zwalczanie Solidarności przez Stasi. In: Bogusław Bakuła (Hg.): Radio Solidarność. Podziemne rozgłośnie oraz audycje radiowe i telewizyjne w Polsce 1982–1990. Poznań 2008, S. 249–259. 24  Jerzy Kochanowski: Socjologiczny zwiad po otwarciu granic PRL-NRD. In: Polski Przegląd Dyplomatyczny 2 (2001), S. 230–255; Jan Bańbor: Zwalczanie Solidarności i opozycji demokratycznej w latach osiemdziesiątych XX wieku przez komunistyczne służby specjalne na przykładzie współpracy SB i wschodnioniemieckiej Stasi. In: Wiesław-Jan Wysocki (Hg.): Kościół i społeczeństwo wobec stanu wojennego. Warszawa 2004, S. 425–447; Krzysztof Jagiełło: Stasi a Solidarność między sierpniem 1980 a lipcem 1983 r. Wrocław 2007; Hanna Labrenz-Weiß (unter Mitarb. v. Wojciech Sawicki): Solidarność Walcząca w Poznaniu w świetle dokumentów Stasi. In: Krzysztof Brzechczyn, Paweł Zwiernik (Hg.): Organizacja Solidarność Walcząca w Wielkopolsce w latach 1983–1990. Poznań 2009, S. 123–131; Monika Tantzscher: Was in Polen geschieht, ist für die DDR eine Lebensfrage! – Das MfS und die polnische Krise 1980/1981. In: Materialien der Enquete-Kommission. »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland«. Deutscher Bundestag (Hg.). Baden-Baden 1995, S. 2601–2760; dies.: Die verlängerte Mauer. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste der Warschauer-Pakt-Staaten bei der Verhinderung von Republikflucht. Berlin 1998; dies.: »Die Feinde des Sozialismus haben alle auf einem Sofa Platz«. Die geheimdienstlichen Beziehungen der DDR zur Volksrepublik Polen. In: Deutschland Archiv 34 (2001) 2, S. 218–234; Christian Domnitz (unter Mitarb. v. Monika Tantzscher): Kooperation und Kontrolle. Die Arbeit der Stasi-Operativgruppen im sozialistischen Ausland. Göttingen 2016. Anna Zechenter: Zwyczajne życie szpiega. In: Filip Musiał, Jarosław Szarek (Hg.): Czerwone szwadrony postępu. Kraków 2008, S. 89–95; dies.: Kalesony, czyli braterska Pomoc. In: Filip Musiał, Jarosław Szarek (Hg.): W służbie komuny. Kraków 2008, S. 65–70.

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Einführung

Erstens: Warum nahm man an, dass ausschließlich das MfS ein handlungs­ fähiger Geheimdienst war, nicht aber das MSW? Zweitens: Warum wird behauptet, dass beide Ministerien gemeinsame Interessen oder Ziele hatten? Verfolgt man die permanenten politischen Konflikte zwischen der DDR und der VRP auf staatlicher Ebene, so überrascht die Entschlossenheit, mit der in der Fach­ literatur häufig von einer Interessengemeinschaft der polnischen und ostdeutschen Sicherheitsbehörden gesprochen wird. So wollte die Staatsführung der DDR doch beispielsweise an der geplanten Militärintervention des Warschauer Paktes 1981 aktiv mitwirken. Außerdem entfaltete das MfS seine Aufklärungsaktivitäten gegen Polen aufgrund der angespannten politischen Lage in Volkspolen schon vor 1980.25 Lag deren Fokus – die Unterstützung der ultrakonservativen Kräfte innerhalb der Staatspartei, die gegen die Regierung von Verteidigungsminister General Wojciech Jaruzelski agierten – wirklich im Interesse der polnischen Parteispitze? Sollte der damalige und letzte Innenminister der VRP und engste Vertraute Jaruzelskis, General Czesław Kiszczak, der Stasi-Offensive absichtlich nicht entgegengewirkt haben? Die Infiltrierung seines Ressorts durch das MfS war aus seiner Sicht keinesfalls wünschenswert, da dies eine Gefahr für die Machtkonsolidierung beider Generäle darstellte. Es ist wenig plausibel, dass die Auslandsaufklärung des MSW, das Erste Department, einen Verbündeten aus der DDR brauchte, um im Westen Europas, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, Geld, wirtschaftliche Technologien oder politisch relevante Informationen zu beschaffen. Denn das Erste Department des MSW und die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS waren schließlich Konkurrenten im Kampf um die besten Informationsquellen, ökonomischen Ressourcen sowie die beste Stellung gegenüber der Sowjetunion und im Warschauer Pakt. Trugen die bilateralen und bis 1989 andauernden Grenzkonflikte zur Verbesserung der Beziehungen beider Geheimdienste bei? Oder führte der polnische Transformationsweg in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, wie die in der DDR als »Verrat am Sozialismus« wahrgenommenen Gespräche des Runden Tisches, dazu, eine noch offensivere MfS-Aufklärung in Polen zuzulassen? Nein. Aber für die richtige Vorbereitung dieser Transformation benötigten die Entscheidungsträger der VRP, auch vor 1980, tragfähige Informationen der eigenen Auslandsaufklärung über die Polenpolitik der SED-Führung und die innere Lage der DDR. Ebenso notwendig schien die Kontrolle und Beeinflussung der Tätigkeit des MfS in der VRP, nicht um die Souveränität zu bewahren, die sowieso nicht vorhanden war, sondern um die eigene Macht zu sichern. Inwiefern lässt sich dann behaupten, dass nur das MfS in Polen arbeiten konnte, das MSW in der DDR hingegen nicht? Schließlich stellt sich die Frage, warum die geheimdienstlichen Beziehungen beider Länder nicht von Verlogenheit, Misstrauen, Inszenierungen 25  Filip Gańczak: »Polen geben wir nicht preis«. Der Kampf der DDR-Führung gegen die Solidarność 1980/81. Paderborn 2020, S. 189.

Forschungsstand

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und Camouflage geprägt gewesen sein sollen. Diese Wörter sind nicht zufällig gewählt. Sie entstammen alle dem wichtigsten Beitrag über die »zwangsverordnete Freundschaft« in Bezug auf die politischen Beziehungen zwischen der DDR und der VRP.26 Warum wurden die Fragen, die in den letzten Abschnitten gestellt wurden, nicht einbezogen? Sicherlich ist in den nicht zugänglichen Archivbeständen ein Grund zu suchen. Bis heute gibt es, abgesehen von einigen nicht veröffentlichten Magisterarbeiten, in denen das Thema am Rande der Narration über andere Problemfelder auftaucht, keine Monografie, die zumindest oberflächlich die Polenpolitik des MfS analysiert und die gleichzeitig die Beziehungen des MfS mit dem MSW von 1974 bis 1989 einschließt. Insofern präsentiert sich die vorliegende Monografie als Antwort auf die bereits 2005 am Münchner Institut für Zeitgeschichte erhobene Klage, dass es »kaum wissenschaftliche Monografien über die DDR und ihr Zusammenwirken mit den Koalitionspartnern im östlichen Militärbündnis« gebe.27 Eine zusätzliche Erklärung für den eher bescheidenen Forschungsstand – oder, wenn man so will, kaum existierenden sowie für die manchmal umstrittenen Thesen in Bezug auf das geheimdienstliche Verhältnis zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR liefert die seit 2014 immer heftiger geführte Auseinandersetzung über die Zukunft der gesamten DDR-Forschung.28 Keiner der Teilnehmer jener Diskussionen stellt deren enorme quantitative Dimension infrage, ebenso wenig die Reihenfolge der Forschung. Zumindest aus Sicht der Opfer und der innenpolitischen Aufarbeitung der Vergangenheit musste in den ersten Jahrzehnten die Tätigkeit der kommunistischen Geheimdienste im Inneren als vorrangig eingestuft werden, ebenso ihr Kampf mit der Opposition, die getroffenen Maßnahmen wie die Zersetzung oder die Geschichte der Dissidenzbewegung selbst. Das hat dazu geführt, dass im Jahr 2016 zwischen 7 00029 und 16 00030 [sic!] DDR-bezogene Publikationen gezählt werden können, allerdings finden sich darunter nur 40 über sogenannte Internationale Verbindungen innerhalb des ganzen Warschauer Paktes. Polen ist in dieser Zahl nur durch sechs kleine Beiträge 26  Mehlhorn: Zwangsverordnete Freundschaft?, S. 35, 37 u. 40. 27  Henrik Bispinck u. a.: Die Zukunft der DDR-Geschichte. Potentiale und Probleme zeitgeschichtlicher Forschung. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53 (2005) 4, S. 547–570, hier 563. 28  Vgl. den zzt. umstrittensten Beitrag von Ilko-Sascha Kowalczuk vom 20.4.2016, veröffentlicht in der TAZ: Die Aufarbeitung ist gescheitert, http://www.taz.de/!5293270/ (letzter Zugriff: 2.7.2020). 29  Ulrich Mählert: Totgesagte leben länger. Oder: Konjunkturen der DDR-Forschung vor und nach 1989. Eine Einführung. In: Ulrich Mählert (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema. Berlin 2016, S. 9–23, hier 9. 30  Thomas Großmann: DDR-Geschichte in Forschung und Lehre. Bilanz und Perspektiven: Konferenzbericht: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3353 (letzter Zugriff: 2.7.2020).

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vertreten, herausgegeben allerdings in einer Zeit, in der eine vergleichende Aktenanalyse unmöglich war.31 Nach 2013 mehrten sich jedoch die Fragen, meistens, aber nicht immer aus den Kreisen der ausländischen Forschungslandschaft, warum die globalen Verflechtungen der DDR als Ganzes32 nicht genauer untersucht wurden oder warum die vergleichende Forschung nicht stärker hervorgehoben wurde.33 Dies bestätigen auch die Vorschläge der Experten, die sich seit 2015 mit der Zukunftsplanung des Amtes des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes beschäftigen.34 Die zunehmend besser zugänglichen Dokumente der kommunistischen Geheimdienste belegen die Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Perspektive. Langsam wurden, nicht nur in der Tagespresse, die gängigen Stereotype über die Zusammenarbeit der mächtigen Stasi mit dem schwachen polnischen Innenministerium infrage gestellt. In den polnischen Medien wurden im Jahr 2004 erstmals Informationen über den Spionagekampf der polnischen Militäraufklärung mit dem MfS veröffentlicht.35 Über das Misstrauen und die Stereotype bezüglich der Stasi haben seit 2010 zunehmend jene Wissenschaftler berichtet, die die Geschichte der polnischen Auslandsaufklärung erforschen.36

Untersuchungsgegenstand Die Grundlage der vorliegenden Monografie bildet eine umfassende fünfjährige Archivrecherche des Verfassers, die im Unterkapitel »Quellenlage« erörtert wird. Ausgangspunkt der Untersuchungen ist die aus der geheimdienstlichen Theorie abgeleitete Annahme, dass es zwischen Sicherheitsbehörden jeglicher Art keine Freundschaft gab, gibt und geben wird.37 Während diese Auffassung in eng31  Zit. nach: BStU: Bibliographie zum Staatssicherheitsdienst der DDR. Abrufbar unter: http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Bibliothek/Auswahl-Bibliographie/auswahl-bibliographie_ node.html (letzter Zugriff: 2.7.2020). 32  Stefanie Eisenhuth, Hanno Hochmuth, Konrad H. Jarausch: Alles andere als ausgeforscht. Aktuelle Erweiterungen der DDR-Forschung. In: Deutschland Archiv v. 11.1.2016, www.bpb. de/218370 (letzter Zugriff: 2.7.2020). 33  Thomas Linderberger: Ist die DDR ausgeforscht? Phasen, Trends und ein optimistischer Ausblick, http://www.bpb.de/apuz/185600/ist-die-ddr-ausgeforscht-phasen-trends-und-ein -optimistischer-ausblick?p=all (letzter Zugriff: 2.7.2020). 34  Der Stellungnahme von Prof. Dr. Joachim von Puttkamer zur Sitzung der Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits­ dienstes der ehemaligen DDR (BStU) am 16. April 2015. https://www.bundestag.de/blob/417540/ 38ebd0bd13ed2614b72ce1d4ebb602c6/puttkamer-data.pdf (letzter Zugriff: 2.7.2020). 35  Polskie krety KGB. In: Wprost v. 22.3.2004. 36  Władysław Bułhak: Tajemnica akt Stasi. Polski ślad. In: Rzeczpospolita v. 5.6.2010. 37  Was der Verfasser auch in anderen Publikationen nachzuweisen versuchte: Tytus Jaskułowski: Wywiad PRL wobec przesilenia politycznego w NRD i planów zjednoczenia Niemiec (Archiwum dyplomatyczne). In: Sprawy Międzynarodowe 4 (2010), S. 106–118; ders.:

Untersuchungsgegenstand

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lischsprachigen Fachpublikationen verbreitet ist, findet sie in polnischen und deutschen Veröffentlichungen kaum Erwähnung, obwohl fast jede publizistische oder populärwissenschaftliche Abhandlung zu diesem Thema, verfasst nicht nur von damaligen Hauptamtlichen,38 auf dieses Hauptgebot jedes ost- und westeuropäischen Geheimdienstes hinweist. In der vorliegenden Studie wird die These vertreten, dass das polnische Innenministerium kein passiver Akteur war und die Aussagen über die Schwäche des polnischen und die Stärke des ostdeutschen Geheimdienstes in der VRP falsch sind. Das MSW nutzte gegenüber dem MfS die gleichen Instrumente, Methoden und Mittel zur Abwehr, die die Stasi in der DDR gegenüber der polnischen Aufklärung anwendete. Zwar fand eine Zusammenarbeit statt, allerdings spielten die gemeinsamen Projekte qualitativ und quantitativ gesehen eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den eigenen, ähnlichen Aktivitäten. Außerdem dienten die bilateralen Projekte dazu, nicht die gemeinsamen, sondern die eigenen, konkreten Interessen des jeweiligen Dienstes zu schützen oder den Partner zu infiltrieren. Der gewählte Zeitrahmen wird nicht nur von einer der wichtigsten politischen Perioden in der Geschichte beider Länder diktiert. Im Jahr 1974 wurde das erste und einzige Grundsatzabkommen über die Beziehungen zwischen dem MfS und dem MSW geschlossen. Das Hauptziel dieser Untersuchung ist es, die chronologisch-sachorientierten Defizite der bisherigen Forschungen zu mindern und dank der Möglichkeit, eine vergleichende Recherche durchzuführen, faktisch eine Art Grundlagenforschung zu betreiben. Insofern musste die vorliegende Monografie zunächst die folgenden fundamentalen Fragen beantworten: Wie sah faktisch, d. h. quantitativ und qualitativ, die bilaterale geheimdienstliche Zusammenarbeit im Kontext der schwierigen bilateralen Geschichte zwischen Polen und Deutschland aus, die durch die Zeit des Zweiten Weltkrieges und die dadurch entstandenen Traumata und Stereotype beiderseits geprägt ist? War es überhaupt eine Zusammenarbeit und entsprach sie dem Bild von der Stärke der Stasi im Inneren, das einige Forscher immer öfter infrage stellen und als Mythos bezeichnen?39 Die komparatistische Perspektive trug dazu bei, jene Fragen zu Przyjaźń na podsłuchu. In: Polska Zbrojna 38 (2010), S. 63–66; ders.: Praca jest czasochłonna, monotonna i nie przynosi konkretnych rezultatów – Nasłuch wywiadowczy Stasi w PRL w latach 1980–1981 na tle współpracy MSW i MfS. In: Rocznik Polsko-Niemiecki 19 (2011), S. 110–127; ders.: Die Flucht aus der DDR über Polen im Jahr 1989. In: Gerbergasse 18. Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik 16 (2011) 61, S. 11–14; ders.: Die Stasi macht Ferien. Das MfS und die polnischen Jugendlager am Ende des Realsozialismus. In: Konstantin Hermann (Hg.): Die DDR und die Solidarność. Ausgewählte Aspekte einer Beziehung. Dresden 2013, S. 119–133; ders.: Polen im Blick. Die Bewertung der Lage in Polen durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR 1981–1983. In: ebenda, S. 89–93. 38  Peter F. Müller: Gegen Freund und Feind. Der BND: geheime Politik und schmutzige Geschäfte. Hamburg 2002. 39  Armin Wagner, Hildegard Zickmann (1925–2010): Die Dresdner Delikatessen-Spionin und der amerikanische Geheimdienst. In: Helmut Müller-Enbergs, Armin Wagner (Hg.): Spione

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beantworten. Gleichzeitig aber eröffneten sich durch die Suche nach Antworten weitere Perspektiven, die eine enorme Relevanz für die weitere Stasi-Forschung auch aus der innenpolitischen Sicht hätten. Kein Geheimdienst arbeitet im Vakuum. Wie er funktioniert, wie er die eigenen Instrumente anwenden kann, können nicht die Opfer bewerten, die die politische Polizei in erster Linie subjektiv betrachten und über kein oder nur unzureichendes institutionelles Wissen verfügen. Die besten Beobachter eines Geheimdienstes sind seine ebenbürtigen Konkurrenten, also andere Geheimdienste, und zwar jene, die einen doppelten Status haben, also sowohl den eines Gegners als auch gleichzeitig den eines Verbündeten. Dieser Status, vor allem in Bezug auf das hier untersuchte Forschungsthema, ermöglicht es, später eine Grundsatzfrage zu beantworten, nämlich die nach der realen Macht des MfS. Wurde jene Macht nur durch die bis heute umstrittene Zahl der inoffiziellen Mitarbeiter bestimmt oder wurde sie als Fähigkeit definiert, durch kompetente Berichterstattung den Vorgesetzten auch unangenehme Informationen zu liefern? Die diesbezügliche Analyse der sogenannten Zusammenarbeit der Stasi mit dem polnischen Geheimdienst kann einen Beitrag dazu leisten, die Ursachen des MfS-Niedergangs im Jahr 1989 besser zu verstehen, ebenso die Ursachen und späteren Probleme der polnischen politischen Transformation in jenem Jahr. Dieser Beitrag beleuchtet außerdem, wenn auch oberflächlich, die Frage, ob innerhalb des Warschauer Paktes auf der bilateralen Ebene wirklich eine geheimdienstliche Gemeinschaft funktionieren konnte.

Quellenlage Die Formulierung des Forschungsthemas sowie die Absicht des Verfassers, sich nicht nur mit den unbekannten Kapiteln der geheimdienstlichen Geschichte auseinanderzusetzen, sondern jene Geschichten auch in der vergleichenden Perspektive zu analysieren, führte zu formellen und methodischen Problemen bei der Erfassung der Quellen. Diese haben sowohl mit den bereits erwähnten Unterschieden in der Arbeitsweise beider Ministerien zu tun als auch mit den ebenfalls unterschiedlichen Philosophien der Aufarbeitung der geheimdienstlichen Vergangenheit Polens und Deutschlands nach 1990. Erstens waren die internationalen geheimdienstlichen Kontakte, egal, ob es sich um eine Kooperation oder eine feindliche Begegnung handelte, kein separates Element innerhalb des jeweiligen Dienstes. Zwar verfügten sowohl der Staatssicherheitsdienst als auch sein polnisches Pendant über spezialisierte Einheiten, die zumindest theoretisch jene Kooperation zu koordinieren verund Nachrichtenhändler. Geheimdienstkarrieren in Deutschland 1939–1989. Berlin 2016, S. 302–329, hier 303.

Quellenlage

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suchten, d. h. die Abteilung X des MfS und das Ministerkabinett im polnischen Innenministerium. Faktisch jedoch fungierten sie als Verbindungsbüros, die lediglich Anfragen oder Richtlinien weitergeben konnten. Denn nicht die für das Protokoll verantwortlichen Offiziere bestimmten die Grundsätze der ministeriellen Politik; sie vermittelten zwar Anfragen und Antworten, bereiteten Besprechungen vor, waren aber nicht für das Wesentliche zuständig. Nicht alle Begegnungen, insbesondere auf der operativen Ebene, waren ihnen bekannt, da nicht die Verbindungsoffiziere, sondern die zuständigen operativen Abteilungen bestimmten, was dem »Bruderorgan« mitgeteilt werden durfte und was nicht. Sie durften auch nicht wissen, wie die offiziellen Informationen, die man nach außen weitergab, verändert wurden. Deswegen war es nötig, eine umfangreiche Querrecherche durchzuführen, d. h. alle Dokumente in jeder Hauptabteilung zu suchen, die sich auf Polen bzw. die DDR beziehen, von der ministeriellen Leitungsebene beginnend bis zu den Akten von Polizeistreifen, die eine Aktivität von polnischen/ ostdeutschen Diplomaten oder Bürgern registrierten. Dies war insofern wichtig, als konkrete Akten oder Sammlungen, wie die der für die Volksrepublik Polen zuständigen Abteilung II/10 der Stasi-Spionageabwehr, abgesehen von einzelnen Ausnahmen im Nachlass des Ministerkabinetts/der Abteilung X, keine klar überschaubaren und problemorientierten Dokumentengruppen umfassten. Das hatte einerseits mit der laufenden operativen Arbeit zu tun. Die für Deutschland zuständige Abteilung des polnischen Innenministeriums etwa beschäftigte sich sowohl mit dem Kampf gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) als auch mit dem Kampf gegen das MfS. Auch die Operativgruppe Warschau (OGW) arbeitete gleichermaßen mit dem und gegen den polnischen Geheimdienst. Aus Sicht der wissenschaftlichen Recherche war es eine zusätzliche Herausforderung, dort vorhandene Erkenntnisse zu ordnen und zu selektieren. Zweitens beziehen sich die Akten des polnischen Geheimdienstes auf eine Institution, die nach wie vor existiert und per Gesetz bis Juni 2017 das Recht hatte zu entscheiden, welche Dokumente der Wissenschaft nur beschränkt (aufbewahrt in der sog. Gesperrten Ablage) zur Verfügung gestellt werden dürfen. Das war in Deutschland nicht der Fall. Andererseits existiert im polnischen Institut des Nationalen Gedenkens die in der Gauck-Behörde laut Stasi-Unterlagen-Gesetz vorgeschriebene Anonymisierung bestimmter Informationen nicht, was zu akademisch absurden, aber juristisch sehr folgenreichen Konsequenzen führen kann. Einige Personen/Vorgänge dürfen etwa in Deutschland nicht namentlich erwähnt werden, obwohl das in Polen, in Bezug auf ihre geheimdienstliche Aktivität in der BRD, mehrmals der Fall war. Insofern wurde vom Verfasser die eher konservative Methode gewählt, vor allem im Umgang mit Zeitzeugen, nämlich die strikte Entfernung aller sensiblen Daten, obwohl alle Unterlagen ohne Anonymisierung zur Einsicht vorlagen. Es muss deutlich gesagt werden, dass die Akten beider Ministerien nur dank der einzigartigen Möglichkeit, alle Archivbestände der jeweiligen Geheimdienste

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erforschen zu können – und zwar in einem Umfang, der für andere Wissenschaftler nicht gegeben war –, so intensiv miteinander verglichen werden konnten. Dem Verfasser standen die auf Polen bezogenen Dokumente fast aller Hauptabteilungen und Bezirksverwaltungen des MfS sowie ihrer Pendants auf polnischer Seite zur Verfügung. Besonders neu und interessant waren dabei die wiederhergestellten Schriften der MfS-Operativgruppe »Warschau« sowie die zugänglich gemachten Akten des Ersten Departments des polnischen MSW (Auslandsaufklärung).40 Sie lieferten nicht nur neue Erkenntnisse über den tatsächlichen Charakter der Aufklärungsarbeit beider Dienste übereinander, sondern sie ermöglichten es auch, die interne Berichterstattung der Stasi, produziert durch die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, mit den analytischen Thesen der polnischen Aufklärung über die Zukunft und die innenpolitische Lage des Nachbarstaates zu vergleichen. Die Aktenanalyse wird durch Interviews des Verfassers mit Zeitzeugen ergänzt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden allerdings nur als Kommentare oder Gegenstimmen zu den im Buch aufgestellten Thesen herangezogen. Ein Grund dafür liegt vor allem in der zweifelhaften Glaubwürdigkeit der Befragten, die mit ihrer beruflichen Stellung in der DDR bzw. der VRP verbunden ist. Die Gesprächspartner lassen sich in drei Gruppen aufteilen. Zur ersten gehören die hauptamtlichen Mitarbeiter des polnischen Innenministeriums, die entweder offizielle Beziehungen mit dem MfS unterhalten oder an gemeinsamen Operationen mitgewirkt bzw. diese beaufsichtigt haben.41 Die zweite Gruppe umfasst diejenigen VRP- und DDR-Bürger, die aufgrund ihres Berufs unter Beobachtung des MfS oder des MSW standen und so zwangsläufig mit den beiden Sicherheitsministerien zu tun hatten. Angehörige dieser Gruppe waren in einigen Fällen auch inoffizielle Mitarbeiter des jeweiligen Geheimdienstes. Die dritte Gruppe umfasst die Opfer der gemeinsamen bzw. gegeneinander geführten Operationen beider Ministerien. Unabhängig davon, zu welcher Gruppe die interviewte Person gezählt wird und welche Erkenntnisse über sie aus den Akten hervorgehen, werden in der vorliegenden Arbeit absichtlich keine Informationen veröffentlicht, die die Identität der Befragten offenbaren könnten. Es werden auch keine Initialen verwendet, da in vorherigen publizistischen Auseinandersetzungen über bereits veröffentlichte Werke, etwa einer Habilitationsschrift über die polnische Auslands­ aufklärung, einige Rezensenten die personenbezogenen Angaben ehemaliger Offiziere veröffentlichten.42 Da diese Rezensenten gleichzeitig den Sinn der Anonymisierung bezweifeln, erscheint es dem Verfasser notwendig zu erklären, warum die sensiblen Daten nicht publiziert werden. Erstens war die Zusicherung 40  IPN BU 0449/22. 41  Die in Polen tätigen Angehörigen der HV A sowie der HA II des MfS (Spionageabwehr) haben eine Gesprächsanfrage abgelehnt. 42  Piotr Gontarczyk: Wzorcowy bubel. In: Gazeta Polska v. 5.1.2011.

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der Anonymität die Bedingung für Interviews, insbesondere im Falle der Opfer. Zweitens sind die personenbezogenen Angaben der hauptamtlichen Mitarbeiter des Geheimdienstes, die auch nach 1989 im Innenministerium tätig waren, in Polen rechtlich geschützt. Dort, wo es nötig war, wurden also die Dokumententitel, nicht jedoch die Aktensignaturen entfernt. Der Verfasser erklärt hiermit, dass er die personenbezogenen Akten mit der notwendigen Sorgfalt behandelt und gegebenenfalls anonymisiert hat. Dies betrifft ebenso Informationen, die die Interessen verschiedener ausländischer Regierungen verletzen könnten.

Aufbau Die Studie besteht aus fünf Kapiteln. Im ersten wird zunächst der Begriff »Zusammenarbeit« im Sinne der geheimdienstlichen Theorien analysiert. Als Begründung der bereits erwähnten Annahme, dass zwischen den Geheimdiensten keine Freundschaft bzw. Kooperation möglich war bzw. unterstützt werden konnte, erfolgt dort eine kritische Auseinandersetzung mit dem gesamten diesbezüglichen theoretischen Werk über Intelligence Theory und der zeitgeschichtlichen Fachliteratur. Punktuell und am Rande der Erwägungen konnte auch eine Analyse der offengelegten Archivquellen durchgeführt werden. Neben der Definition des Zusammenarbeitsbegriffs, der beiden Diensten prinzipiell als ergänzendes Mittel diente, um die eigenen Interessen zu wahren, wurden ihre Modelle, Dimensionen sowie grundlegenden Beschränkungen geschildert, die im Grunde genommen den lexikalischen und faktischen Sinn jener Zusammenarbeit infrage gestellt haben. Eine notwendige Ergänzung war ein historischer Überblick der bekannten geheimdienstlichen Lösungen in Bezug auf die Kooperation, die faktisch nichts anderes als Kampf gegeneinander bedeutete, geführt mit den gleichen Mitteln wie die geheimdienstliche Auseinandersetzung zwischen West und Ost während des Kalten Krieges. Die weiteren Unterkapitel konzentrieren sich auf die institutionellen Diskre­ panzen in der Arbeitsweise des MfS und des MSW, die ohne Zweifel die bilateralen Beziehungen beider Ministerien belasteten, sowie auf die gegenseitigen Kontakte bis 1974. Die völlig verschiedenen Gründungsumstände Ostdeutschlands und Volkspolens, ihre geschichtspolitische und soziale Entwicklung, die geheimdienstlichen Herausforderungen im Inneren sowie die extrem verschiedene Logik des Funktionierens beider kommunistischer Staaten mussten zwangsläufig die Struktur und das Handeln beider Ressorts beeinflussen, und zwar so gravierend, dass sie selbst zu einem der wichtigsten Hindernisse für die Kontakte geworden sind, von einer wirksamen Zusammenarbeit ganz zu schweigen. Die komparatistische Perspektive hilft, die in den weiteren Unterkapiteln dargestellten Konflikte und Probleme im bilateralen Verhältnis zu verstehen, vor allem weil sie deutlich zeigt, dass es de facto zwischen 1974 und 1990 eine ständige Begegnung

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zwischen der extrem ideologisierten ostdeutschen politischen Polizei (MfS) und dem zynischen und beinahe ideologiefreien polnischen Geheimdienst (MSW) gab, die abgesehen von einzelnen operativen Gewinnen nichts Positives mit sich brachte und prinzipiell mit einem Konflikt enden musste. Der Versuch, jene vergleichende Perspektive in dieses Kapitel einzufügen, ist eine Antwort auf ein Postulat von Włodzimierz Borodziej, der in einem der ersten Aufsätze über das Verhältnis der beiden Ministerien bereits auf die möglichen Ungleichgewichte hingewiesen hatte.43 Um die letzten Thesen zu belegen, auch im historischen Kontext, werden in den unteren Abschnitten dieses Kapitels die allgemeinen Kontakte der volkspolnischen und ostdeutschen Geheimdienste bis 1974 zusammenfassend erörtert, obwohl dies die gewählte Chronologie durchbricht. Aber gerade bis 1974 entstanden die wichtigsten Probleme, Diskrepanzen und Konflikte, die, wie bereits gesagt, die gegenseitigen Beziehungen nach 1974 maßgeblich geprägt haben. Man könnte sagen, dass die Zeit bis 1974 alle Auseinandersetzungen und Probleme in sich komprimierte, die nach 1974 noch stärker im bilateralen Verhältnis zu beobachten waren, etwa die absichtliche Täuschung des Partners, Heuchelei, offensive Maßnahmen gegeneinander, das Primat der fiktiven – rein statistischen – Zusammenarbeit vor der relevanten sowie die äußerst geringe Anzahl gemeinsamer Vorgänge im Vergleich mit den eigenen, separaten Operationen. Das zweite Kapitel setzt sich mit der »geheimdienstlichen Diplomatie« ausein­ ander. Was bedeutet dieser Begriff? Die Sicherheitsministerien waren eines der Schlüsselelemente des politischen Systems der sozialistischen Staaten. Die auswärtigen Beziehungen, die die Entscheidungsträger dieser Ministerien unterhielten, spiegelten also die Konflikte und Probleme wider, die auf der diplomatischen oder parteilichen Ebene bestanden. Deshalb werden in diesem Kapitel vor allem die vertraglichen Beziehungen beider Geheimdienste erörtert, ebenso die offiziellen Kontakte zwischen den Verantwortlichen sowie die internen Richtlinien des MfS zur Polenpolitik, die für alle Stasi-Angehörigen bindend waren und keinen Zweifel daran lassen, dass es sich dabei um alles andere als Freundschaft handelte. Der Zynismus der formellen Kontakte wurde durch rechtliche Vereinbarungen ergänzt. Sie wurden dahingehend konzipiert, dass zumindest aus Sicht des MSW die sogenannte Zusammenarbeit möglichst beschränkt wurde. Insofern werden im Kapitel die Vorbereitung und der Verlauf der offiziellen geheimdienstlichen Staatsbesuche analysiert und die Politik, Ziele und Instrumente beider Parteien vorgestellt, die sich zu operativen oder rein politischen Problemen äußern mussten. Außerdem wird die besondere Dimension der Zusammenarbeit untersucht, nämlich die rechtlichen Vereinbarungen, die faktisch die geplante Kooperation, zumindest aus polnischer Sicht, unmöglich machen sollten. Auf der anderen Seite wird gezeigt, dass in den internen Dokumenten über die Polenpolitik der Stasi 43  Borodziej: Ministerstwo, S. 106.

Aufbau

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die VRP auch nicht als ein Verbündeter betrachtet wird, sondern eher als ein formeller und eher unsicherer Nachbar, dem man nicht besonders vertrauen darf. Die Kapitel 3 und 4 analysieren die verschiedenen Vereinbarungen zur angeblichen Zusammenarbeit vor dem Hintergrund des Hauptprinzips der Geheimdienste, also dem Schutz der eigenen Interessen und Ressourcen. Gemeinsame Operationen fanden sowohl außerhalb als auch innerhalb der beiden Länder statt. Diese beinhalteten nicht nur den Kampf mit den NATO-Geheimdiensten, sondern auch den Betrieb eines in totalitären Staaten üblichen Verfolgungsapparats zur Überwachung der Bürger, Kontrolle der Wirtschaft, Bekämpfung der Opposition usw. In diesen Kapiteln soll einerseits nachgewiesen werden, wie limitiert die Kooperation in der Praxis war. Andererseits wird gezeigt, wie schnell normale, gemeinsame Projekte zum Instrument des Kampfes gegeneinander werden konnten. Wo es nötig war, werden auch multilaterale Vergleiche mit anderen sozialistischen Geheimdiensten gezogen. Alle dort vorgestellten Dimensionen werden nach dem gleichen Prinzip behandelt. Zuerst wird die geheimdienstliche bzw. politisch-polizeiliche Relevanz eines für die Zusammenarbeit vorgesehenen Feldes vorgestellt, dann die Aktivitäten und diesbezüglichen Interessen des jeweiligen Dienstes. Dann folgt die Analyse der quantitativen Zahlen, um den minimalen Charakter der Kontakte zu betonen. Schließlich werden konkrete Leistungen beider Parteien geschildert, und zwar mit der Hervorhebung der dort aufgrund der unterschiedlichen Interessen, Arbeitsmethodik oder politischen Umstände entstandenen Konflikte. Erst dann wird gezeigt, wie das analysierte Feld, das formell für die Zusammenarbeit vorgesehen war, als Instrument des Kampfes gegeneinander benutzt werden konnte bzw. musste. Das letzte Kapitel konzentriert sich auf die offensiven Handlungen des MfS und des MSW gegeneinander. Dort werden die Struktur, das Personal und die Arbeit der eigenen Residenturen im jeweiligen Gastland erörtert sowie die angewendeten Methoden der Spionageabwehr des Gastgebers, die die Aufklärung des »befreundeten Dienstes« verhindern bzw. überwachen wollten. Den verhältnismäßig bekannten Stasi-Aktivitäten in der VRP, symbolisch vertreten durch die Präsenz der Operativgruppe Warschau des MfS, werden sowohl die völlig unbekannten Abwehrmaßnahmen des MSW als auch die eigenen offensiven Aktivitäten der polnischen Dienste in der DDR gegenübergestellt, etwa die gezielte Überwerbung von Stasi-Agenten. Außerdem wird das Hauptinstrument der MfS-Arbeit in Polen, d. h. die inoffiziellen Mitarbeiter, kritisch betrachtet, vor allem ihre angeblichen Verdienste und ihre Berichte über die Lage in Polen, die die SED-/MfS-Führung regelmäßig erhielt. Durch die Queranalyse des gesamten IM-Archivbestandes sowie die kritische Betrachtung der durch sie gelieferten Informationen wird nicht nur die Zahl der IM infrage gestellt. Deutlich negativer als in der Fachliteratur wird auch das intellektuelle Niveau der Analysen der MfS-Offiziere über die VRP bewertet, insbesondere im Vergleich mit der weitgehend unbekannten DDR-Berichterstattung der polnischen Aufklärung und

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Einführung

ihrer Informanten. Zwar befindet sich diese Analyse erst am Ende der Arbeit, sie steht jedoch im Mittelpunkt der Monografie. Die analytischen Berichte sind und waren die wichtigste Leistung jedes Geheimdienstes. Sie müssen Informationen enthalten, die dazu beitragen können, die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen, auch wenn der Inhalt der Informationen über das Nachbarland mit den ideologisch-politischen Einstellungen der Empfänger nicht vereinbar ist. Der komparatistische Ansatz wurde in diesem Kapitel benutzt, um die These zu belegen, dass auf diesem so kritischen Gebiet das MfS, etwa im Vergleich mit dem polnischen Geheimdienst, vollständig versagt hat, da es nicht in der Lage war, auch solche Informationen zu liefern, die seine parteipolitische Führung nicht lesen oder hören wollte, da ihr die Inhalte missfielen und nicht in ihr vorgefasstes Bild passten. Die vorliegende Arbeit bezieht sich fast ausschließlich auf die Archivrecherchen und die bereits erwähnte geringe Menge der relevanten Fachliteratur. Die relativ große Anzahl der zitierten Publikationen im Literaturverzeichnis kann deshalb täuschen. Dort werden vor allem Arbeiten aufgeführt, die sich vorzugsweise44 mit theoretischen Aspekten der geheimdienstlichen Arbeit befassen sowie solche, die die Arbeit der Ministerien analysieren, ohne jedoch deren Außenbeziehungen zu thematisieren. Im Literaturverzeichnis wurden alle zitierten polnischsprachigen Titel/Werke nach bestem Wissen und Gewissen ins Deutsche übersetzt, ebenso Bezeichnungen der benutzten Archivbestände aus dem Institut des Nationalen Gedenkens. Sowohl sie als auch alle anderen aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzten Passagen wurden vom Verfasser selbst übersetzt.

44  Siehe etwa das Kapitel über geheimdienstliche Zusammenarbeit in der Studie der Abteilung BF des BStU zum KSZE-Prozess: Douglas Selvage, Walter Süß: Staatssicherheit und KSZE-Prozess. MfS zwischen SED und KGB. Göttingen 2019, S. 149.

1. Kontakte und Konflikte der Geheimdienste Volkspolens und der SBZ/DDR bis 1974 1.1 »Zusammenarbeit« von Geheimdiensten. Theoretische Überlegungen 1.1.1 Grundbegriffe des geheimdienstlichen Handelns Die Definitionen, mit denen man Kontakte zwischen den Geheimdiensten beschreibt, spiegeln das essenzielle Problem jeder Sicherheitsbehörde wider. Die Fachliteratur zu theoretischen1 wie praktischen2 Aspekten der geheimdienst­lichen Arbeit beschreibt zwar einerseits konkrete Beispiele gemeinsamer Aktionen. Andererseits deutet sie darauf hin, dass die grundsätzliche Logik von Sicherheitsministerien oder Auslandsaufklärungen wahren Kooperationen zuwiderläuft. Die offiziell deklarierte Zusammenarbeit im Warschauer Pakt war in Wirklichkeit, das zeigen die immer besser zugänglichen Archivquellen,3 nur ein Mittel, um die eigenen Ressourcen zu ergänzen oder um auf illegalem Wege Informationen über den Partner zu beschaffen, um die eigenen Ziele zu verwirklichen. Bevor im Folgenden der Begriff »Zusammenarbeit« analysiert wird, muss zunächst definiert werden, was ein Geheimdienst eigentlich ist und wodurch sein Handeln bestimmt wird. Auf diese Weise sollen auch die prinzipiellen Unterschiede zwischen der Bedeutung des Begriffs »Zusammenarbeit« im geheimdienstlichen und im sozial- und sprachwissenschaftlichen Kontext verdeutlicht werden. Eine »geheimdienstliche Zusammenarbeit« ist unabhängig davon möglich, ob sich die Staaten, die die Dienste vertreten, in den offiziellen Beziehungen als befreundet, neutral, fremd oder feindlich betrachten.4 Diese »Zusammenarbeit« kann unterschiedliche Formen annehmen: Entsendung von Vertretern, Eröffnung inoffizieller oder offizieller Vertretungen und Verbindungsbüros, Informationsaustausch, Hilfeleistungen. Allerdings werden nur in Sonderfällen gemeinsame Operationen ausgeführt. Dabei steht der eigene Vorteil bei möglichst geringem Aufwand stets 1  Lars-Christian Jenssen, Olav Riste (Hg.): Intelligence in the Cold War. Organisation, Role and International Cooperation. Oslo 2001. 2  Jeffrey Richelson: The Ties that Bind. Boston 1985; James Blight, David Welch: Intelligence and the Cuban Missile Crisis. London 1998; Martin Alexander (ed.): Knowing your Friends. Intelligence inside the Alliances and Coalitions from 1914 to the Cold War. London 1998. 3  Christopher Andrew, Wasilij Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB. Moskaus Kampf gegen den Westen. Berlin 1999. 4  Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Matthias Uhl: Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert. München 2003, S. 160.

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im Vordergrund. Zudem impliziert eine formell deklarierte Zusammenarbeit keinesfalls, dass sich die Parteien als Partner betrachten und einander vertrauen, sondern es ist im Gegenteil nicht ausgeschlossen, dass sie gegeneinander offensive Maßnahmen ausführen, was als Spionage bezeichnet werden kann. Diese These belegen Archivquellen, Fachliteratur über die geheimdienstlichen Beziehungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges sowie danach5 und Erinnerungsliteratur. Zwar muss Letztere mit Vorsicht einbezogen werden, da sie oft zur Desinformation oder Verbreitung von für deren Autoren – vor allem ehemalige Geheimdienstler bzw. Auslandsaufklärer wie Henryk Bosak polnischerseits oder Werner Großmann ostdeutscherseits – günstigen Thesen genutzt wird.6 Doch auch hier finden sich Hinweise, dass die auswärtigen Beziehungen der Sicherheitsbehörden nicht von der verbal herrschenden Kooperation, sondern von Misstrauen und Kampf geprägt waren. In der enorm umfangreichen theoretischen Fachliteratur finden sich mehrere Definitionen eines Geheimdienstes und seiner Ziele und Methoden. Aufgrund dieser Vielfalt sind nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch in der Fachdiskussion einige begriffliche Unschärfen entstanden. Als Beispiel dient der Begriff »Intelligence«. Obwohl damit vor allem der Bereich der Aufklärung bezeichnet wird, ist er zu einem Synonym des gesamten zivilen wie militärischen Geheimdienstes geworden,7 was allerdings im Umkehrschluss die Begriffsvielfalt nicht beschränkt hat. Das belegen am besten die Versuche in der englischsprachigen Fachliteratur, korrekt die Ministerien zu benennen, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen, also das MfS und das MSW. So wird die erste Institution in einer Abhandlung als »Nachrichtendienst« sowie als »Geheimpolizei« bezeichnet.8 Andere Autoren, etwa Jefferson Adams, behaupten, sie sei »the vast security and intelligence apparatus of the GDR«,9 »offensive and defensive intelligence and security network«10 oder »East German Intelligence«. Die Hauptverwaltung Aufklärung hingegen, die ein Bestandteil des MfS war, wurde sogar als »external branch of East German Intelligence« bezeichnet. Christopher Dobson fügte hinzu: »It [das MfS – A. d. V.] is modelled on the KGB and acts as a surrogate for that organisation. It carried out the KGB functions of repression at home and espionage and subversion abroad.«11 Im Falle des polnischen Innenministeriums sind die 5  James-Igoe Walsh: The international politics of intelligence sharing. New York 2010, S. 14. 6  Reinhard Grimmer (Hg.): Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS, Bd. I. Berlin 2003, S. 240. Siehe auch Filip Hagenbeck: Zwyczajny szpieg. Wspomnienia. Warszawa 2019, S. 150. 7  Walter Laqueur: A world of secrets. The uses and limits of intelligence. New York 1985, S. 38. 8  Roewer; Schäfer; Uhl: Lexikon, S. 160 u. 295. 9  Jefferson Adams: Historical Dictionary of German Intelligence. Lanham-Maryland 2009, S. 302. 10  Richard Deacon: Spyclopaedia. An encyclopaedia of spies, secret services, operations, jargon and all subjects related to the world of espionage. London 1988, S. 26. 11  Christopher Dobson, Ronald Payne: The dictionary of espionage. London 1984, S. 193.

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Definitionen noch weniger präzise als für das MfS. Es wurden entweder lediglich die Abkürzungen ausgetauscht oder man beschränkte sich auf die Feststellung, dass es sich um die »secret intelligence« der Volksrepublik Polen handelte. Die zahlreichen Versuche, diese Sicherheitsbehörden treffend zu bezeichnen, beeinflussten die allgemeine Definition eines Geheimdienstes. Im Mittelpunkt der Definition müssen seine Kerntätigkeit und der Rahmen, innerhalb dessen er agiert, und der Staat, den er vertritt, stehen. Daher wird als Geheimdienst eine staatliche Institution bezeichnet, die im Geheimen zugunsten der Sicherheit dieses Staates arbeitet. Er setzt sich aus einer Auslandsaufklärung, Spionageabwehr sowie einem inländischen Sicherheitsdienst zusammen. Ein weiteres Grundmerkmal eines Geheimdienstes, insbesondere seiner Aufklärung, stellt sein elitärer Charakter dar.12 Ähnlich definieren Rechtswissenschaftler einen Geheimdienst. Zu den bereits erwähnten Attributen zählen sie zusätzlich als Voraussetzungen die institutionelle Verbindung mit der höchsten Staatsführung sowie die Pflicht, für diese politische Informationen zu beschaffen und deren Gegner im In- und Ausland zu beeinflussen bzw. zu schaden.13 Hervorzuheben ist, dass aus der Rechtswissenschaft die für diese Arbeit wichtigste Definition stammt, nämlich die einer »Spionage unter Freunden«. Eine solche liegt vor, wenn innerhalb eines Bündnisses die Aufklärung eines Mitgliedstaats Institutionen oder Personen eines anderen Mitgliedstaats ausspioniert und die so gewonnenen Erkenntnisse an Vorgesetzte bzw. andere Subjekte, etwa Unternehmen, weitergibt.14 Der Autor dieser Definition, Satish Sule, ergänzte sie um eine sehr wichtige Anmerkung: Die Hauptaufgabe eines Geheimdienstes, d. h. der Schutz des Staates bzw. der Personengruppe, die ihn, egal aus welchen Gründen, wirksam kontrolliert, hat immer Vorrang vor seinen auswärtigen Verpflichtungen. Das Ziel eines Geheimdienstes besteht nicht darin, »andere« Staaten, Personen bzw. Geheimdienste zu schützen. Ohne Zweifel gestalten sich die Aufgaben eines Geheimdienstes in einem demokratischen Rechtsstaat anders als in einer Autokratie. Im ersten Fall schützt er die in der Verfassung garantierten bürgerlichen Rechte und Freiheiten. Der Gesetzgeber bestimmt nicht nur seine Aufgaben, sondern definiert auch die Art und Weise der parlamentarischen Kontrolle. In einer Demokratie ist ein Geheimdienst keine Ordnungskraft, weshalb er nicht über polizeiliche oder staatsanwaltliche Befugnisse verfügt. In totalitären Ländern war (und ist) seine Stellung anders, da er in einem Ministerium organisiert war, in dem alle relevanten sicherheitspolitischen Aspekte der Machtausübung konzentriert waren, 12  Zbigniew Siemiątkowski: Wywiad a władza. Wywiad cywilny w systemie sprawowania władzy politycznej PRL. Warszawa 2010, S. 31. 13  Patrick Spitzer: Die Nachrichtendienste Deutschlands und die Geheimdienste Russlands – ein Vergleich. Berlin 2011, S. 11. 14  Satish Sule: Spionage. Völkerrechtliche, nationalrechtliche und europarechtliche Bewertung staatlicher Spionagehandlungen unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsspionage. Baden-Baden 2005, S. 44.

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d. h. polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen, Auslandsaufklärung, Spionageabwehr sowie Ordnungspolizei. Das Ziel dieser Einrichtungen bestand außerdem darin, die Gegner des herrschenden Systems zu verfolgen sowie die eigene Gesellschaft mit allen Mitteln zu überwachen und diese unter Druck zu setzen, auch unter Anwendung von Gewalt, falls dies zur Machtkonsolidierung der regierenden Monopolpartei nötig war.15 Da die meisten Verantwortlichen jener Ministerien zugleich führende Repräsentanten der regierenden Staatspartei waren, erfolgte die Kontrolle der Geheimdienste lediglich theoretisch. Unabhängig von der konkreten Führungsstruktur arbeiten alle Geheimdienste für ihr Eigenwohl und nicht für andere Dienste, außer in Notfällen wie im Kriegsfall oder wenn die Existenz des Geheimdienstes oder gar des Staates in Gefahr ist. Was bedeutet »Schutz des eigenen Staates« konkret? In der englischsprachigen Literatur wird damit die Beschaffung von Informationen über potenzielle, interne oder externe Gefahren bezeichnet: »Domestic Intelligence has a distinct, specialized mission. Its goal is to provide officials with better situational awareness of potential threats within the US. In this respect it is different from foreign intelligence, which grapples with threats outside the US.«16 Andere Wissenschaftler behaupten hingegen, dass für einen Geheimdienst, insbesondere die Auslandsaufklärung, nicht nur die Informationsbeschaffung, sondern auch die Fähigkeit, Gefahren in der Umwelt zu antizipieren und zu eliminieren, entscheidend ist, die sie als »secret state activity designed to understand or influence foreign entities«17 bezeichnen, ohne über die Zusammenarbeit zu schreiben. Ehemalige polnische Politiker und Leiter der Sicherheitsbehörden nach 1989 hingegen, etwa Zbigniew Siemiątkowski, beschränken sich darauf, Geheimdienste ausschließlich als Instrument eines Staates im Kampf um Macht, Herrschaft und Dominanz zu betrachten. Dabei betont er, dass grundsätzlich auch gegen Verbündete gekämpft wird, da nach Siemiątkowskis Ansicht im Zentrum der geheimdienstlichen Arbeit die Informationsgewinnung über die wahren Absichten der Verbündeten steht.18 Es verwundert daher nicht, dass sowohl der letzte volkspolnische Innenminister, General Kiszczak, als auch der erste nichtkommunistische Leiter des polnischen Geheimdienstes nach 1989, Krzysztof Kozłowski, rückblickend ähnlich urteilten: Es gab weder Ethik noch »demokratische Aufklärung« im Geheimdienst.19 Der ehemalige stellvertretende Innenminister 15  Dieter Krüger, Armin Wagner (Hg.): Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg. Berlin 2003, S. 8. 16  Roger George, James Bruce (Hg.): Analysing Intelligence. Origins, Obstacles and Innovations. Washington D. C. 2008, S. 281. 17  Gregory Treverton: Toward a Theory of Intelligence. Workshop Report. Santa Monica CA 2006, S. 7. 18  Siemiątkowski: Wywiad a władza, S. 28. 19  Witold Bereś, Jerzy Skoczylas: Generał Kiszczak mówi ... prawie wszystko [General Kiszczak spricht über ... fast alles]. Warszawa 1991, S. 22; Witold Bereś, Krzysztof Burnetko: Gli-

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der VRP, General Zbigniew Pudysz, fügte hinzu, dass »fremde Geheimdienste miteinander kooperieren und befreundete gegeneinander kämpfen, sogar wenn sie im gleichen Bündnis sind [...]. Wenn es zu einem Interessenkonflikt kommt, bedeutet dies auch brutale gegenseitige Vernichtung oder die Beseitigung des Gegners.«20 Noch deutlicher beschreiben Kiszczaks ehemalige Mitarbeiter ihre Arbeit: »Wörter wie ›Moral‹ oder ›Ethik‹ gehörten nicht zu unserem Wortschatz. Sie hatten für uns keine Bedeutung, da der Dienst Unmoral ausnutzte und mit der Moral kämpfte.«21 Wenn Geheimdienste grundsätzlich nicht an Verpflichtungen oder Moral gebunden sind, wieso sollten in deren auswärtigen Beziehungen dann andere Maßstäbe gelten? Die Abgrenzung zu den in der Psychologie oder Linguistik relevanten Definitionen des Begriffes »Zusammenarbeit« ist nicht nur wichtig, weil im geheimdienstlichen Kontext unethisches Verhalten dazugehört. Psycho­ logen definieren »Zusammenarbeit« in einem positiven Sinne als einen Teil der sogenannten sozialen Kompetenzen.22 Die polnische Linguistik begreift als Zusammenarbeit jede gemeinsame Tätigkeit von Personen oder Institutionen bzw. Staaten;23 die Definition in der englischsprachigen Linguistik ist etwas enger: »association of persons for common benefit«24. Keiner dieser Ansätze lässt sich jedoch auf Geheimdienste anwenden, da weder das Prinzip der gemeinsamen Ziele und Werte noch ein Identitätsbedürfnis besteht. Zudem bedeutet die Kooperation der Sicherheitsbehörden nicht zwangsläufig Teamarbeit, sondern wegen des notwendigen Quellenschutzes meist das Gegenteil. Man kooperiert, um selbst etwas zu gewinnen und nicht, um der anderen Seite aus karitativen Gründen zu helfen.25 1.1.2 Der Begriff der »geheimdienstlichen Zusammenarbeit« In der Theorie der Geheimdienste bzw. der Theorie der Aufklärung (Theory of Intelligence) wird der Begriff der geheimdienstlichen Zusammenarbeit grundsätzlich nur auf den Informationsaustausch bezogen: »Intelligence is shared when one state – the sender – gives intelligence in its possession to another state – the niarz z Tygodnika. Rozmowy z byłym ministrem spraw wewnętrznych Krzysztofem Kozłowskim. Warszawa 1991, S. 78. 20  Borodziej; Kochanowski: PRL w oczach STASI, Bd. II, S. 158. 21  Jacek Snopkiewicz (Hg.): Teczki, czyli widma Bezpieki. Warszawa 1992, S. 123. 22  Ewa Starostka: Kompetencje społeczne a zdolności interpersonalne, http://www.psycho logia.net.pl/artykul.php?level=254 (letzter Zugriff: 2.7.2020). 23  Marian Szymczak (Hg.): Słownik Języka Polskiego, Bd. III. Warszawa 1981, S. 768. 24  http://www.merriam-webster.com/dictionary/cooperation (letzter Zugriff: 2.7.2020). 25  Wolfgang Krieger: US-Patronage of German postwar intelligence. In: Johnson: Handbook, S. 91–102, hier 91.

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recipient.«26 Sie findet vor allem im Bereich der Spezialtechnik statt, etwa bei der Satellitennutzung, und beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Sie ist mit einem Handel vergleichbar, weil der Informationsgeber vom Empfänger ein für sich adäquates Äquivalent erhält, etwa Geld, andere Informationen usw. Gegen die Zusammenarbeit spricht, nicht nur nach Meinung von James-Igoe Walsh,27 das grundsätzliche Fehlen gemeinsamer Interessen sowie die Unmöglichkeit, als gleichberechtigte Partner zu agieren. Ebenso wichtig sind die Bedenken, ob der Informationsgeber wirklich mit aufrichtigen Absichten handelt.28 In vielen Fällen wiegen der potenzielle Informationsgewinn oder die Kosten für die Geräte, die man für eine Kooperation braucht, das Risiko einer Kooperation nicht auf: »The limiting factor was the need to protect one‘s own sources.«29 Die englisch­sprachigen Wissenschaftler identifizieren insofern als Prinzip der geheimdienstlichen Arbeit Folgendes: »Secrets are always kept – by both parties. The intelligence professional knows this. He therefore seeks privileged access, even penetration, and will strive to use officials of the partner intelligence service to share more (about their services and their putative political masters) than those masters would wish or approve of.«30 Eine andere Auffassung über die Zusammenarbeit vertritt Lars Christian Jenssen. Er unterteilt sie in vier Ebenen.31 Die höchste ist demnach die, die sich auf ein völkerrechtliches Abkommen bezieht, innerhalb dessen festgelegt wird, was die geplante Kooperation beinhalten darf und was nicht. Darunter steht die Zusammenarbeit in Form von Beratung bzw. Informationsaustausch, die mithilfe der als Diplomaten ausgewiesenen Verbindungsoffiziere realisiert wird. Als dritte Ebene bezeichnet Jenssen die operative Zusammenarbeit, d. h. gemeinsame Aufklärungsarbeit bzw. Spionageabwehr, oder das Erteilen einer Genehmigung für solche Operationen an fremde Dienste auf eigenem Staatsgebiet. Die vierte Ebene ist der kommerzielle Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden. 1.1.3 Konflikte und Kampf gegeneinander am Rande der geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Historischer Überblick Misstrauen sowie der Schutz der eigenen Interessen zulasten des Partners, mit dem man offiziell zusammenarbeitet, sind strukturelle Merkmale, die nicht nur in theo­ retischen Abhandlungen, sondern vor allem in der Geschichte der Geheimdienste 26  Walsh: The international politics of intelligence sharing, S. 6. 27  Bjöm Fägersten: Sharing Secrets. Explaining International Intelligence Cooperation. Lund 2010, S. 15. 28  Walsh: The international politics of intelligence sharing, S. 13. 29  Jenssen; Riste: Intelligence in the Cold War, S. 135. 30  Alexander: Knowing your Friends, S. 8. 31  Jenssen; Riste: Intelligence in the Cold War, S. 153.

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nachzuvollziehen sind. Wurde beispielsweise eine Zusammenarbeit, meist aus taktisch-politischen Gründen, bekanntgegeben, wurden die Verdienste der eigenen Regierung und nicht die des Partnerdienstes hervorgehoben. Als Beispiel dafür gilt die Art und Weise, wie in der britischen Literatur das Verdienst der polnischen Kryptologie bei der Entschlüsselung der deutschen Chiffren während des Zweiten Weltkrieges verschwiegen wurde.32 Ebenso wenig thematisiert werden die offensiven Handlungen gegeneinander, die allerdings dauerhaft stattfanden, auch wenn die Geheimdienste im Rahmen derselben Bündnisse agierten. Außerdem lässt sich geheimdienstliche Kooperation verfeindeter Staaten nicht nur vor, sondern auch während und nach dem Zweiten Weltkrieg nachweisen, auch wenn es sich damals nicht um Kontakte der Sicherheitsbehörden, sondern des Militärs handelte. Schon in der Zeit von 1918 bis 1939 halfen sich die für Aufklärung zuständigen militärischen Einheiten untereinander bei der Ausbildung und sie unterhielten Residenten33. Allerdings wurden solche Beziehungen auch unterhalten, um den Partner zu desinformieren, wie etwa im Falle der formellen militärischen Kontakte der Weimarer Republik mit Frankreich. Als weiteres Beispiel dient die russische Militäraufklärung, die am Rande der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit versuchte, eigene Agentennetze in der Weimarer Republik zu etablieren, während die sogenannte Gruppe T-3 der deutschen Militäraufklärung ihre Offiziere in die USA schickte; offiziell, um sie auszubilden, inoffiziell, um sich Informationen über die amerikanischen Streitkräfte zu beschaffen.34 Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hat die Grundzüge geheimdienstlicher Beziehungen kaum beeinflusst. Trotz der Pläne der Wehrmacht, den Krieg mit der Sowjetunion vorzubereiten, agierten in Frankreich bis März 1941 gemeinsame Operative Gruppen der Gestapo und des sowjetischen NKWD,35 was keinen Einfluss auf die gegenseitige Aufklärungsarbeit hatte. Gleichzeitig informierten sich die formell verbündeten britischen und sowjetischen Geheimdienste36 nicht gegenseitig über ihre wichtigsten Erkenntnisse bezüglich des Dritten Reichs. Dennoch brachten die Jahre 1939 bis 1945 in der Tat die ersten allgemeinen geheimdienstlichen Verträge mit sich. Der wichtigste von ihnen, bereits 1943

32  John Keegan: Intelligence in War. Knowledge of the Enemy from Napoleon to Al-Qaeda. London 2003, S. 180. 33  Eine offizielle Vertretung des britischen SIS wurde etwa im Rahmen der britischen Militärmission in Warschau während des polnisch-sowjetischen Krieges 1920 platziert. Siehe Piotr Kołakowski: Współpraca polskiego wywiadu wojskowego z Secret Intelligence Service w drugiej połowie lat trzydziestych XX w. In: Dzieje Najnowsze, Nr. 2 (2017), S. 229–248, hier 230. 34  Reinhard Doerries (Hg.): Diplomaten und Agenten. Nachrichtendienste in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Heidelberg 2001, S. 55. 35  Pierre de Villemarest: GRU Sowiecki superwywiad 1918–1988. Warszawa 1993, S. 156. 36  Dónal O’Sullivan: Dealing with the Devil: Anglo-Soviet intelligence cooperation in the Second World War. New York 2010, S. 60.

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von den USA und Großbritannien unterzeichnet, wurde 1946 ergänzt.37 Er sieht neben dem Informationsaustausch auch die Vereinheitlichung der Sicherheits­ vorkehrungen und des Chiffrierwesens sowie Hilfe bei der Ausbildung vor. Ausgehend von diesem Vertrag sollte die Welt in Zonen eingeteilt werden, für die der jeweilige Dienst zuständig sein sollte. Dieser Vertrag enthält außerdem Verbotsklauseln in Bezug auf den Austausch von Informationen über die bilateralen politischen Beziehungen der Vertragsparteien, sensible Daten aus dem Bereich der Spionageabwehr, rein kommerzielle Handelsinformationen oder von Drittstaaten erhaltene Angaben. Diese Vorschriften ermöglichten es in der Praxis, ohne viel Aufwand jede Information zu sperren. Man durfte laut Vertrag auch keine Aufklärungsoperationen gegeneinander durchführen und keine Bürger des Partnerlandes als Agenten anwerben. In der Literatur wird allerdings nicht nur darauf hingewiesen, dass letztere Verbote nicht eingehalten wurden, sondern auch darauf, dass die CIA in ihrer Arbeit die britischen Interessen nicht berücksichtigte. Die neueste Forschung über die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen den USA und Großbritannien macht dies deutlich: »The relations between ›friendly‹ [Anführungszeichen wie im Original – A. d. V.] intelligence services will blow hot and cold, depending on the times and the issues in play.«38 Auch die Zeit nach 1945 veränderte die geheimdienstlichen Kontakte nicht wesentlich. Die einflussreichsten Mitglieder der Anti-Hitler-Koalition – die USA und die Sowjetunion –, denen die unvermeidbaren neuen Konflikte zunehmend bewusst wurden, nutzten die neue weltpolitische Lage, um auf den von ihnen kontrollierten Gebieten neue Geheimdienste zu gründen oder alte zu reaktivieren. Dabei wurden diese neu- bzw. wiedergegründeten Einrichtungen den Großmächten unterworfen und als deren politisches Instrument genutzt, insbesondere in den beiden deutschen Staaten sowie in den von der Sowjetunion kontrollierten Ländern Ostmittel- und Südosteuropas. Diese Kontrolle nahm nach 1949, d. h. nach der Gründung der Bundesrepublik und der DDR, ab und verlief in geregelteren Bahnen. Karl Wilhelm Fricke beschrieb diesen Vorgang als Weg von der Subordination zur Kooperation,39 was allerdings nicht heißen soll, dass der KGB in der DDR nach 1949 bzw. in Polen nach 1956 aufgrund der politischen Veränderungen seine Einflussmöglichkeiten aufgab. Im Gegenteil: In allen osteuropäischen Ländern führte der KGB nach wie vor seine Aufklärungsarbeit

37  Stéphane Lefebvre: The Difficulties and Dilemmas of International Intelligence Cooperation. In: International Journal of Intelligence and Counter Intelligence 4 (2003), S. 527–542, hier 530. 38  Adam Svendsen: Intelligence Cooperation and the War on Terror. London 2010, S. 8. 39  Karl Wilhelm Fricke: Zur Geschichte der DDR-Staatssicherheit. In: Bernd Florath, Armin Mitter, Stefan Wolle (Hg.): Die Ohnmacht der Allmächtigen. Geheimdienste und politische Polizei in der modernen Gesellschaft. Berlin 1992, S. 123–137, hier 123.

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gegenüber den »Verbündeten« fort.40 Ähnliches fand zwischen den USA und anderen NATO-Mitgliedern statt: Die eigenen Interessen des jeweiligen Dienstes hatten immer Vorrang vor politischen Deklarationen. Bis 1949 wurde der Begriff »Zusammenarbeit« nicht angewendet, da er nicht nötig war. Die amerikanischen und sowjetischen Streitkräfte mit entsprechenden Aufklärungseinheiten stationierten diese in ihrem jeweiligen Einflussbereich innerhalb und außerhalb Europas. Die örtlichen Sicherheitsbehörden waren nicht mehr notwendig oder wurden selbst gegründet, meist mithilfe des vorhandenen Personalbestands der bis 1945 illegalen kommunistischen Parteien, Widerstandsbewegungen bzw. der alten Militärstrukturen.41 In den neuen westdeutschen Sicherheitsbehörden war die Nazivergangenheit der potenziellen Kandidaten keinesfalls ein Hindernis bei der Einstellung; das MfS und seine Vorläufer rekrutierten Altnazis hingegen im Regelfall nur als inoffizielle Mitarbeiter.42 Maßgeblich waren Kontakte und Know-how.43 Die deutsche Teilung sowie die Machtkonsolidierung des Herrschaftssystems in Osteuropa trugen dazu bei, dass die kommunistischen Sicherheitsbehörden seit 1949 selbstständiger wurden. Sie dienten zwar nicht souveränen Staaten, sondern, wie Fricke es formulierte, »Parteicliquen«.44 Noch wichtiger ist, dass den nominellen und faktischen Kontrollmethoden der amerikanischen bzw. sowjetischen Geheimdienste gegenüber ihren Pendants in der NATO bzw. im Warschauer Pakt nicht selten mit Gegenmaßnahmen der beaufsichtigten Sicherheits­ behörden begegnet wurde. Bald schon sahen sich die »Mutterdienste« mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre »Partner« immer mehr nach Selbstständigkeit strebten. Die Verantwortlichen des Bundesnachrichtendienstes bezeichneten es beispielsweise als ihr – zugegebenermaßen ziemlich naives – Hauptziel, die amerikanische Deutschland- und Europapolitik zu beeinflussen.45 Es wäre falsch, zu behaupten, dass sich ausschließlich im Westen die »befreundeten« Geheimdienste 40  Ben de Jong: The KGB in Eastern Europe during the Cold War: On Agents and Confidential Contacts. In: The Journal of Intelligence History 1 (2005), S. 85–103, hier 89. 41  Andrzej Kowalski: Rosyjski sztylet. Działalność wywiadu nielegalnego. Łomianki 2013, S. 369. 42  Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR. Göttingen 2005, S. 192; Wolfgang Krieger: German-American Intelligence Relations, 1945–1956: New Evidence on the Origins of the BND. In: Diplomacy & Statecraft 22 (2011), S. 28–43, hier 30; Artur Górski: Świat tajnych służb. Warszawa 2012, S. 88; Jost Dülffer u. a. (Hg.): Die Geschichte der Organisation Gehlen und des BND 1945–1968: Umrisse und Einblicke. Marburg 2014, S. 39. 43  Klaus Eichner, Gotthold Schramm (Hg.): Angriff und Abwehr. Deutsche Geheimdienste nach 1945. Berlin 2007, S. 61. 44  Karl Wilhelm Fricke: Der Wahrheit verpflichtet. Texte aus fünf Jahrzehnten zur Geschichte der DDR. Berlin 2000, S. 435. 45  Wolfgang Krieger: Geheimdienste in der Weltgeschichte. Von der Antike bis heute. Köln 2007, S. 281.

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untereinander ausspionierten. Als »einseitig« werden in der Wissenschaft auch die Kontakte zwischen dem MfS und dem KGB bezeichnet,46 da die Stasi-Führung nie vollständig über den tatsächlichen Umfang der sowjetischen Geheimoperationen in Deutschland als Ganzes informiert war.47 Das musste zu Konflikten führen, zumal 1971 der KGB allein in Ostberlin über 400 Mitarbeiter verfügte, abgesehen von den Verbindungsoffizieren und den in anderen DDR-Bezirken tätigen Mitarbeitern. Das MfS lieferte außerdem in den 1970er-Jahren 65 Prozent aller Berichte, die die osteuropäischen Geheimdienste insgesamt an den KGB lieferten.48 Nicht zuletzt zahlte die DDR die Aufenthaltskosten der sowjetischen Residenten, die 1,3 Milliarden Ostmark pro Jahr betrugen. Man kann also sagen, dass der KGB in Ostdeutschland die gegen das MfS tätigen Agentennetze auf Kosten der DDR aufbaute.49 Deswegen verwundert es nicht, dass die Botschaft der Sowjetunion in Ostberlin, was MfS-Akten belegen, ebenso intensiv von der Stasi-Spionageabwehr abgehört wurde wie einige NATO-Vertretungen.50 Der ostdeutsche Geheimdienst führte eigene Aufklärungsoperationen auch gegen andere sozialistische Staaten durch, mit denen die DDR diplomatische Beziehungen oder eine Interessengemeinschaft, nicht nur ideologischer Art, unterhielt, etwa gegen die Tschechoslowakei und Rumänien.51 Misstrauen prägte die geheimdienstlichen Beziehungen auch nach 1989, wobei die bekannt gewordenen Fälle wissenschaftlich am schwierigsten zu überprüfen sind. So wurde beispielsweise dem britischen Geheimdienst vorgeworfen, Konkurrenten englischer Unternehmen bei außereuropäischen Ausschreibungen zu behindern.52 Im Rahmen der Operation »Jetstream« wurde 1996 sogar angeblich in Frankreich die dort entwickelte Tarntechnologie für U-Boote gestohlen, da deren legale Übergabe verweigert wurde. Als Rache stahl Frankreich angeblich 46  Thomas Wegener-Friis, Kristie Macrakis, Helmut Müller-Enbergs (Hg.): East German Foreign Intelligence. Myth, reality and controversy. London 2010, S. 137. 47  Vgl. Günter Bohnsack: Die Legende stirbt. Berlin 1997, S. 35. 48  Andrew; Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB, S. 376. 49  Jürgen Borchert: Die Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit dem sowjetischen KGB in den 70er und 80er Jahren. Berlin 2006, S. 46; Heribert Schwan: Erich Mielke. Der Mann, der die Stasi war. München 1997, S. 134; Kowalski: Rosyjski sztylet, S. 373. 50  Siehe die MfS-Akten über die Infiltration der sowjetischen Botschaft in der DDR durch das MfS: BStU, MfS, HA II Nr. 28633, S. 276. Einige Autoren behaupten, dass das MfS eine Art »Lobbying« durchgeführt hatte, um mehr Souveränität in den Beziehungen mit dem KGB zu erreichen. Ben Fischer: »One of the Biggest Ears in the World«: East German SIGINT Operations. In: http://berndpulch.files.wordpress.com/2012/03/east-german-sigint-operations. pdf (letzter Zugriff: 11.8.2020). 51  Eugenie Trützschler von Falkenstein: Die Zusammenarbeit der Geheimdienste der ČSSR und der DDR 1969–1989. In: Gerbergasse 18. Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik 16 (2011) 61, S. 14–19, hier 16. Georg Herbstritt: Entzweite Freunde. Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989. Göttingen 2016, S. 253–269, 277–290 u. 409–421. 52  Udo Ulfkotte: Marktplatz der Diebe. Wie die Wirtschaftsspionage deutsche Unternehmen ausplündert und ruiniert. München 1999, S. 54.

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britische Industriegeheimnisse.53 Schließlich vertreten auch die Wissenschaftler, die sich mit der geheimdienstlichen Zusammenarbeit auf EU-Ebene beschäftigen, die These, dass es diese in Wirklichkeit nicht geben kann. Die Forscher werfen allen Geheimdiensten vor, einer Weltsicht aus dem 19. Jahrhundert anzuhängen. Alleingänge und das absichtliche Meiden von Kontakten seien nach wie vor ein Grundprinzip. Nur im äußersten Notfall sei man zum Informationsaustausch bereit. Auch aus diesem Grund würden Daten bewusst mit Verzögerung und manipuliert geliefert.54

1.2 Das MfS und das polnische Innenministerium (MSW) in vergleichender Perspektive Die Zahl der Publikationen über die Geschichte, die Funktionsweise und die Struktur beider Ministerien ist zweifelsfrei immens. Allerdings beschäftigen sie sich vor allem mit den innenpolitischen Dimensionen der Aktivitäten, ohne eine vergleichende Perspektive einzunehmen.55 Zudem lag der Fokus des MfS und des MSW nicht auf den auswärtigen Beziehungen, sondern auf der innenpolitischen Situation. Die Analyse der Kontakte beider Einrichtungen ist allerdings ohne den Vergleich ihrer Entstehungsgeschichte, Strukturen und Arbeitsmethoden kaum möglich.56 Nur so können Unterschiede in den Entwicklungen und zwischen den handlungsleitenden Prinzipien der beiden Ministerien aufgezeigt werden. Ebenso wichtig für die geheimdienstlichen Kontakte waren die Beziehungen auf staatlicher und parteilicher Ebene, die sich von 1949 bis 1989 ohne Unterbrechung angespannt und konfliktreich gestalteten. Sie stellten eine permanente Ausnahmesituation innerhalb des Warschauer Paktes dar, die zu Recht als »zwangsverordnete Freundschaft« bezeichnet wird.57 Nimmt man die völlig unterschiedlichen innenpolitischen Prinzipien der DDR und der VRP noch dazu, kann man für beide Ministerien ein doppelzüngiges, aber auch komfortables Lagebild zeichnen. Einerseits herrschte permanentes Misstrauen, das die 53  Charles Cogan: American-French Intelligence Relations and the French Nuclear Deterrent. In: The Journal of Intelligence History 1 (2003), S. 55–60, hier 55. 54  Jürgen Storbeck: Ansätze und Entwicklungsmöglichkeiten europäischer Intelligencestrukturen. In: Thomas Jäger, Anna Daun (Hg.): Geheimdienste in Europa. Transformation, Kooperation und Kontrolle. Wiesbaden 2009, S. 155–167, hier 156. 55  Wojciech Frazik, Bogusław Kopka, Grzegorz Majchrzak: Dzieje aparatu represji w PRL (1944–1989). Stan badań. Warszawa-Kraków 2004; BStU: Bibliographie zur Staatssicherheit der DDR. Berlin 2010. 56  Ein Versuch, alle osteuropäischen Sicherheitsministerien zu vergleichen, stellt der folgende Sammelband dar, in dem allerdings die jeweiligen Geheimdienste separat erörtert werden, ohne auf die Wechselbeziehungen einzugehen. Łukasz Kamiński, Krzysztof Persak, Jens Gieseke (Hg.): Handbuch der kommunistischen Geheimdienste in Osteuropa 1944–1991. Göttingen 2009. 57  Mehlhorn: Zwangsverordnete Freundschaft?, S. 35–40.

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innenpolitischen Unterschiede noch verstärkte und als Grundlage für offensive Aufklärungsmaßnahmen gegen den »Partner« diente. Andererseits eröffnete die offizielle Freundschaft viele Möglichkeiten, mit dem anderen Geheimdienst vorteilhafte Projekte durchzuführen, die als Ersuchen bzw. Angebot von Hilfe deklariert wurden. 1.2.1 Entstehungsgeschichte Beim Vergleich der Entstehungsgeschichten des MfS und des MSW kann die These aufgestellt werden, dass lediglich die ersten Jahre verhältnismäßig ähnlich abliefen. Die Sowjetunion etablierte in den von der Roten Armee kontrollierten Gebieten nicht nur das kommunistische Regierungssystem, sondern entwickelte dort vor allem neue, von ihr selbst kontrollierte und beeinflussbare Sicherheitsressorts. Solange die der UdSSR treuen Staatsparteien in der Volksrepublik Polen bzw. der SBZ nicht konsolidiert genug waren, um die Macht allein auszuüben, d. h. bis 1949, waren hauptsächlich der NKWD sowie die Rote Armee für die Sicherheit zuständig. Gleichzeitig aber wurden erste Vorbereitungen getroffen, um ortseigene Geheimdienste zu gründen. Zunächst stammten die Leitung und die meisten Mitarbeiter aus der Sowjetunion.58 Außerdem orientierten sich Strukturen, interne Richtlinien sowie die Verwaltung der neuen Behörden am Muster des NKWD. Die sowjetischen Mitarbeiter wurden nach 1956 abgezogen oder blieben in verschiedenen Funktionen als »Berater« im jeweiligen Land. Die Führungsposten der volkspolnischen und ostdeutschen Sicherheitsministerien wurden nach der Phase der absoluten Dominanz des NKWD, genauso wie in den Staatsparteien, mit alten Aktivisten der vor dem Zweiten Weltkrieg illegalen kommunistischen Organisationen besetzt.59 Einige von ihnen waren für den sowjetischen Geheimdienst als inoffizielle Mitarbeiter tätig. Die meisten hatten bereits vor 1939 Erfahrungen im bewaffneten Kampf gesammelt, etwa im Bürgerkrieg in Spanien.60 Sehr viele waren von der Säuberungswelle der 1930er-Jahre betroffen gewesen, entweder als Opfer oder als Täter. Die polnischen Innenminister und die deutschen Minister für Staatssicherheit, Stanisław Radkiewicz, Mieczysław Moczar, Wilhelm Zaisser oder Erich Mielke,61 sind typische 58  Sławomir Cenckiewicz: Długie ramię Moskwy. Wywiad wojskowy Polski Ludowej 1943–1991. Poznań 2011, S. 86. 59  Krzysztof Persak: Dymisja Antoniego Alstera. In: Od Piłsudskiego do Wałęsy. Studia z dziejów Polski w XX wieku. Profesorowi Andrzejowi Paczkowskiemu w 70. Rocznicę urodzin. Warszawa 2008, S. 241. 60  Marian Leighton: Strange Bedfellows: The Stasi and the Terrorists. In: International Journal of Intelligence and Counter Intelligence 4 (2014), S. 647–665, hier 649. 61  Zu Moczar s. Ryszard Terlecki: Miecz i tarcza komunizmu. Historia aparatu bezpieczeństwa w Polsce 1944–1990. Kraków 2009, S. 11; zu Zaisser s. Roger Faligot, Remi Kauffer: Służby

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Beispiele für Persönlichkeiten, die später Spitzenpositionen in den jeweiligen Geheimdiensten besetzen durften.62 Nicht nur die Einstellungsvoraussetzungen polnischer bzw. ostdeutscher Spitzenfunktionäre gestalteten sich ähnlich. Auch die Auswahl der hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS und des MSW wurde nach ähnlichen Kriterien getroffen, wobei die Durchlässigkeit größer wurde, je niedriger die Posten waren. So war die Aufnahme in Eliteeinheiten, wie zum Beispiel in die Auslandsaufklärung, ohne Parteimitgliedschaft bzw. entsprechende Erfahrung unmöglich. Vergleichbar ist in beiden Staaten auch die Herkunft der Neueingestellten: 93 Prozent der ersten polnischen und 100 Prozent der ersten ostdeutschen Geheimdienstgeneration gehörten der »Arbeiter- und Bauernklasse« an.63 In beiden Ländern konnte der sowjetische Geheimdienst die Auswahlverfahren für sämtliche Sicherheitsbehörden beaufsichtigen und beeinflussen. In einigen Fällen wurden sogar über 80 Prozent der Bewerber für die Vorgängerinstitution des MfS (K-5-Abteilungen) nicht zugelassen. Noch nach 1951, also nach der Gründung der DDR, arbeiteten weiterhin circa 2 200 sowjetische Berater beim MfS, die vor allem für Kaderpolitik zuständig waren. Diese Zahl sank nach 1953 auf 540 Personen, was als Folge des internen Machtkampfes in der Sowjetunion nach Stalins Tod zu betrachten ist,64 und bedeutete keinesfalls, dass das MfS mehr Souveränität erhielt, im Gegensatz zu der polnischen Entstalinisierung nach dem Jahr 1956. Weniger Parteitreue als vielmehr die Hoffnung auf sozialen Aufstieg lag in den meisten Fällen einer Bewerbung zugrunde.65 Am stärksten wurden die materiellen Vorteile im polnischen Geheimdienst betont, und zwar sowohl seitens der Bewerber als auch seitens der Werbungsoffiziere.66 Die Ursache dafür ist vor allem in den innenpolitischen Verhältnissen zu finden, die sich in der DDR und in Polen grundlegend unterschieden. Letzteres war ein Land mit einer jahre­ langen Widerstandstradition und mit einer starken eigenen Identität. Daher war es den neuen kommunistischen Machthabern wichtig, in der VRP zügig einen selbstständigen Geheimdienst zu gründen, auch auf Kosten ideologischer specjalne. Historia wywiadu i kontrwywiadu na świecie. Warszawa 2006, S. 487 und zu Mielke s. Derek Lewis, Ulrike Zitzlsperger: Historical Dictionary of Contemporary Germany. Lanham (Maryland) 2007, S. 368. 62  Carsten-Dennis Lange: Stasi & Co. Analyse eines Machtinstruments. Marburg 2009, S. 55. 63  Jens Gieseke: Die Hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Personalstruktur und Lebenswelt 1950–1989/90. Berlin 2000, S. 75; Bodo Wegmann: Zwischen Normannenstraße und Camp Nikolaus. Die Entstehung deutscher Nachrichtendienste nach 1945. Berlin 1999, S. 15. 64  Nikita Petrov: Die sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland. Berlin 2010, S. 24. 65  Gisela Karau: Stasiprotokolle. Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern des »Ministeriums für Staatssicherheit« der DDR. Frankfurt/M. 1992, S. 9. 66  Barbara Stanisławczyk, Dariusz Wilczak: Pajęczyna. Syndrom bezpieki. Poznań 2010, S. 62.

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Prinzipien. Zudem unterschied sich die Lage dahingehend, dass in der SBZ/DDR die Rote Armee in weit größerem Maße stationiert war, sodass bis 1953 die Zahl der polnischen hauptamtlichen Mitarbeiter auf 33 000 anstieg, in der SBZ/DDR hingegen lag sie bei »nur« 10 000.67 Die Entstehungsgeschichte sowie die Ziele der neuen ostdeutschen Sicherheitsbehörden (K-5-Abteilungen) sowie des im Januar 1945 gegründeten polnischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit (MBP), glichen grundsätzlich denen des NKWD: die Verfolgung der politischen Gegner sowie die Entwicklung eines Überwachungssystems für die eigene Gesellschaft. Die weiteren Faktoren und Umstände, die beide Dienste und später auch die bilateralen Beziehungen zwischen der Stasi und dem MSW prägten, unterschieden sich hingegen. Das Wichtigste dabei waren neben der geopolitischen Lage die gesellschaftspolitischen Bedingungen, mit denen sich die Ministerien konfrontiert sahen und an denen sie ihre Handlungen ausrichteten. Wie bereits erwähnt, war die DDR ein von der Sowjetunion künstlich erzeugter Staat ohne historisch gewachsene Identität. Nicht nur die Konsolidierung, sondern auch die wirksame kontinuierliche Ausübung der Macht war deshalb in der DDR ausschließlich unter latenter Gewaltandrohung möglich,68 was einen geheimpolizeilichen Apparat von entsprechender Rolle und Größe voraussetzt. Zusätzlich zum Geheimdienst war außerdem die Staatspartei in der DDR – die SED – vollständig von der Sowjetunion abhängig, weshalb beide Institutionen treu und so gut wie möglich die Vorstellungen und Richtlinien der Besatzungsmacht umsetzten. Dieses Kräfteverhältnis ermöglichte die Errichtung eines in der Geschichte bis dato nicht gekannten geheimdienstlichen Überwachungssystems und ebenso einmaligen Servilismus der SED- und MfS-Verantwortlichen gegenüber den Vertretern des NKWD bzw. des KGB sowie der KPdSU. Die innenpolitische Notwendigkeit, einen handlungsfähigen Geheimdienst zu entwickeln, um mit dessen Hilfe immer weitere Bereiche des öffentlichen Lebens zu kontrollieren, wurde von der außenpolitischen Lage verstärkt. Im geteilten Deutschland fand während des Kalten Krieges eine der wichtigsten geheimdienstlichen Ausein­andersetzungen statt. Bis zum Mauerbau 1961 in Berlin musste die DDR außerdem eine de facto offene Grenze mit der Bundesrepublik dulden, was für den spionagebedingten Geschäftsverkehr enorme Gefahren, aber auch Chancen barg. Noch gravierender war jedoch die Flucht aus der DDR, die solche Ausmaße annahm, dass die Überwachung der Grenze sowie der Gesellschaft für die SED einen überlebenswichtigen Faktor darstellte, genauso wie die Überzeugung, dass an allen Problemen der DDR und anderer sozialistischer Staaten ausschließlich die westlichen Geheimdienste schuld waren. Daraus resultierte eine 67  Jens Gieseke: Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945–1990. München 2001, S. 54. 68  Peter Siebenmorgen: Staatssicherheit der DDR. Der Westen im Fadenkreuz der Stasi. Bonn 1993, S. 1.

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weitere Aufgabe des MfS: Es musste nicht nur die eigenen Bürger kontrollieren, sondern ein wirksames Instrument im ideologischen Kampf mit dem sogenannten Imperialismus werden.69 Die Lage in Volkspolen war völlig anders. Erstens widersetzte sich seit 1945 eine bewaffnete, gut organisierte und von weiten Teilen der Bevölkerung befürwortete Gruppe von Gegnern der kommunistischen Herrschaft nicht nur der Roten Armee, sondern auch der von ihr unterstützten Staatspartei. Ein solches Ausmaß gesellschaftlichen Widerstands gegen die neuen Machthaber war unabhängig davon, wie sehr die Gesellschaft insgesamt nach der sechs Jahre währenden Nazibesatzung geschwächt war, nicht mit der Situation in der SBZ vergleichbar. Auch das unabhängige Parteiensystem konnte in Polen erst nach einigen Jahren brutal unterdrückt werden. Die bis 1949 andauernden Kämpfe zwischen den polnischen Regierungs- und/oder den sowjetischen Truppen sowie den ehemaligen Partisanen, der sogenannten Heimatarmee, den sogenannten Nationalen Streitkräften usw.70 ließen dem polnischen Ministerium für öffentliche Sicherheit keine Eingewöhnungszeit, sondern verlangten schnelle und selbstständige Aktionen. So konnte das MBP bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 eigenständig gegen den antikommunistischen Untergrund vorgehen,71 während in der SBZ jegliche Gewaltanwendung den sowjetischen Streitkräften vorbehalten war. Ebenso schnell wurde die Auslandsaufklärung gegründet,72 allerdings nicht aus ideologischen, sondern aus pragmatischen Gründen. Die als Folge des Zweiten Weltkrieges im Ausland verbliebene polnische Diaspora unterstützte aktiv die Widerstandsbewegung. Außerdem war die nicht mehr anerkannte Londoner Exilregierung nach wie vor fähig, eigene inoffizielle Mitarbeiter im MBP zu platzieren.73 Das alles war in der SBZ/DDR kaum vorstellbar. Zweitens verfügten die polnische Gesellschaft und Polen als Staat über eine seit Jahrhunderten ausgeprägte Identität sowie über die Tradition einer konspirativen Widerstandsbewegung. Der Terror trug zwar dazu bei, die Macht der Staatspartei bis 1949 zu konsolidieren, brach aber keinesfalls den Widerstand, zumal die wichtigsten Faktoren, die diesen verstärkten, etwa die katastrophale wirtschaftliche Lage, die tragende Rolle der katholischen Kirche oder das teilweise weiterbestehende Privateigentum in der Landwirtschaft, unverändert bestehen blieben. Dies bedeutete keinesfalls, dass die Sicherheitsbehörden den Klerus bzw. die politische Opposition nicht weiter verfolgten, aber den Vertretern war bewusst, 69  Łukasz Kamiński, Krzysztof Persak, Jens Gieseke (Hg.): Handbuch der kommunistischen Geheimdienste in Osteuropa 1944–1991. Göttingen 2009, S. 199. 70  Andrzej Paczkowski: Terror und Überwachung. Die Funktion des Sicherheitsdienstes in Polen von 1944 bis 1956. Berlin 1999, S. 11. 71  Kamiński; Persak; Gieseke (Hg.): Handbuch, S. 267. 72  Sławomir Cenckiewicz: Śladami bezpieki i partii. Łomianki 2009, S. 155. 73  Tomasz Balbus: Ludzie podziemia w Urzędzie Bezpieczeństwa. In: Biuletyn IPN 4 (2002), S. 58–66, hier 58.

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dass es beispielsweise kaum möglich war, gegen die Kirche zu gewinnen. Terror und Sicherheitsdienst allein konnten für die Staatspartei also nicht das einzige Mittel sein, um ihre Präsenz zu rechtfertigen. Nicht zuletzt war die Volksrepublik Polen weder ein Frontstaat noch zählte sie zu den Kriegsverlierern, sondern war zumindest nominell eines der wichtigsten Mitglieder der Antihitler-Koalition. Die Hauptaufgabe des volkspolnischen Geheimdienstes bestand also darin, zu überleben und möglichst viel zu kontrollieren. Niemand aber erhob Ansprüche, in der VRP ein dem MfS ähnliches Ministerium aufzubauen; nicht nur, weil dessen Ziele hier kaum durchsetzbar, sondern auch, weil sie finanziell nicht zu realisieren waren. Diese unterschiedlichen Modalitäten führten in Polen und in der DDR zu völlig verschiedenen Funktionsmodellen der geheimdienstlichen Arbeit, was sich insbesondere in dem Moment zeigte, in dem beide Ministerien endgültig eine gewisse Selbstständigkeit erlangten, nämlich mit der Gründung des MfS am 8. Februar 1950 und der per Gesetz vom 13. November 1956 verfügten endgültigen Eingliederung des in Polen aufgelösten MBP in das Innenministerium. 1.2.2 Institutionelle Unterschiede in der Entwicklung und Arbeitsweise des MfS und des polnischen Innenministeriums Die funktionellen Unterschiede der beiden Ministerien betrafen vor allem ihre institutionelle Entwicklung, d. h. das Personalwesen, die rechtliche Konsolidierung sowie die Stabilität der internen Organisationseinheiten. Da das MfS, das sich als Avantgarde der Arbeiterklasse verstand, laut Auftrag der SED alles und jeden überwachen sollte,74 ist es logisch, dass dieses Ministerium schnell personell und finanziell gestärkt wurde. Dieser Stärkung, die sich auch in neuen Kompetenzen und Befugnissen niederschlug, wurden kaum Grenzen gesetzt. Dies führte dazu, dass sich spätestens seit 1970 die quantitativen Merkmale des polnischen und des ostdeutschen Geheimdienstes deutlich unterschieden, und zwar zugunsten des MfS. Erstens war die Stasi seit ihrer Gründung eine Art Hybrid, war gleichermaßen für Militärisches wie für Ziviles zuständig.75 Zwar gab es in der DDR sowohl das separate Verteidigungs- als auch das Innenminis­terium. Trotzdem stand, aus geheimdienstlicher Perspektive, die Sonderrolle des MfS im Sicherheitssystem der DDR außer Frage, auch weil die Stasi über eigene Militäreinheiten verfügte. Außerdem waren die Geschäftsbereiche des ostdeutschen Innenministeriums, etwa die Feuerwehr oder die Ordnungspolizei, aus der Sicht des MfS nicht so 74  Jens Schöne: Erosion der Macht. Die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin. Berlin 2008, S. 14. 75  Vgl. Bodo Wegmann: Die Militäraufklärung der NVA. Die zentrale Organisation der militärischen Aufklärung der Streitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 2005, S. 532.

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wichtig wie die Überwachung der Bürger. Nur ein Mal, zwischen Juli 1953 und November 1955, wurde der ostdeutsche Geheimdienst dem Innenministerium untergeordnet, und zwar als Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS),76 was allerdings seine Autonomie nicht einschränkte. Dieser Verlust des Ministerialranges erfolgte außerdem nicht nur aufgrund des Volksaufstands 1953, den das MfS nicht verhindern konnte, sondern vor allem als Folge der politischen Veränderungen in der Sowjetunion, die man automatisch in der DDR kopierte.77 Das Wichtigste im Kontext der bilateralen Beziehungen ist aber die Tatsache, dass es in den Jahren 1955 bis 1989 zu keinerlei Veränderungen im MfS kam, die seine Position hätten schwächen können. Im Gegenteil: Es ist in dieser Zeit immer mächtiger geworden und konnte sowohl ganze Strukturen, wie etwa die Auslandsaufklärung, als auch teilweise oder vollständig Kompetenzen anderer Einrichtungen, etwa die der Grenztruppen, der Zollverwaltung oder der Volkspolizei, übernehmen.78 Die auf das MfS bezogenen Gesetze und Vorschriften waren unpräzise genug, um daraus entsprechende Vorteile zugunsten des MfS und zulasten der Bürger zu ziehen. Dies alles führte zur Entstehung eines überdimensionierten polizei-geheimdienstlichen Apparats, aufgeteilt in 15 Bezirksverwaltungen. Jede Abteilung innerhalb dieser Bezirksverwaltung (BV) entsprach den wichtigsten Hauptverwaltungen in der Zentrale des Ministeriums, verantwortlich für Auslandsaufklärung, Spionageabwehr, politisch-ideologische Diversion usw. Die Einheiten des MfS wurden nach den Grundsätzen der Stabilisierung und des Wachstums geführt. Erstere implizierte neben der Kaderkonsolidierung und der politischen Loyalität der hauptamtlichen Mitarbeiter auch deren besonderes Arbeitsethos. Das Wachstum bezog sich auf die Zahl der hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter sowie auf die finanziellen Mittel, die dem MfS zur Verfügung standen. Das Ministerium wurde während seines gesamten Bestehens von nur drei Personen geleitet; Mielke bekleidete das Amt von 1957 bis 1989. Auseinandersetzungen innerhalb der SED, bei denen der Minister für Staatssicherheit eine aktive Rolle spielte, fanden nur zwei Mal statt. Es handelte sich dabei um die beiden Vorgänger Mielkes: Zaisser und Ernst Wollweber. Beide mussten ihr Amt als Folge des bereits erwähnten Volksaufstandes 1953 bzw. des internen Kampfes innerhalb der Partei aufgeben, wobei Mielke, der inzwischen Karriere im MfS/SfS machte, den Ersten Sekretär des ZK der SED Walter Ulbricht unterstützte. Als dieser im Zuge einer von der Sowjetunion geduldeten Intrige von seinem Herausforderer Honecker Anfang der 1970er-Jahre abgelöst wurde, 76  Roger Engelmann, Frank Joestel (Bearb.): Grundsatzdokumente des MfS. Berlin 2004, S. 61. 77  Bodo Wegmann: Entstehung und Vorläufer des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Strukturanalytische Aspekte. Berlin 1997, S. 37. 78  Jörn Michael Goll: Kontrollierte Kontrolleure: Die Bedeutung der Zollverwaltung für die »politisch-operative« Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Göttingen 2011, S. 211.

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hielt Mielke Honecker so lange die Treue, bis dieser 1989, mit Zustimmung der KPdSU, auf ähnliche Weise durch Egon Krenz ersetzt wurde wie fast 20 Jahre zuvor Ulbricht durch Honecker.79 Wichtig ist, dass die Leitungsebene im MfS in dem für die vorliegende Arbeit relevanten Zeitraum vollständig konsolidiert wurde. Von 1974 bis 1989 leiteten ununterbrochen die gleichen Personen nicht nur das Ministerium selbst, sondern auch die für die auswärtigen Beziehungen zuständige protokollarische Einheit, wie etwa die Abteilung X, sowie andere Schlüsseleinheiten, wie zum Beispiel die Hauptverwaltung Aufklärung, die Markus Wolf von 1952 bis 1986 anführte. Die Verantwortlichen des MfS wurden, wie in der VRP, dem Generalsekretär bzw. dem Ersten Sekretär der kommunistischen Staatspartei der jeweiligen Länder unterstellt. Die operative Aufsicht unterlag außerdem einem für Sicherheitsfragen verantwortlichen ZK-Sekretär bzw. Politbüromitglied. Aufgrund der sozialistische Systeme kennzeichnenden Personalunion, innerhalb derer ein Funktionär mehrere Partei- und Regierungsämter bekleiden konnte, blieb eine solche Aufsichtsfunktion nur theoretisch. Die Zahl der Mitarbeiter des MfS und dessen Etat wuchsen kontinuierlich, woran die wirtschaftliche Krise der DDR in den 1980er-Jahren nur teilweise etwas änderte. Im Jahre 1954 wurde der Etat auf 428 Millionen DDR-Mark festgelegt, 1989 belief er sich auf 4,1 Milliarden DDR-Mark, mit dem die 91 000 hauptamtlichen Mitarbeiter bezahlt wurden. Statistisch gesehen entfiel ein Hauptamtlicher auf 180 DDR-Bürger80 – ein fragwürdiger Rekord, ebenso die Schnelligkeit, mit der die Mitarbeiterzahl anstieg. Als Mielke 1957 das MfS übernahm, hatte es »nur« 17 000 hauptamtliche Mitarbeiter, im Jahr 1971 waren es bereits 45 000. Der Mythos des Stasi-Mitarbeiters, der die Arbeiterklasse vorbildlich vor Gefahren schützte,81 durfte nie ins Wanken geraten. Das Außenbild des MfS sollte die Überzeugung der Bürger verstärken, dass die Stasi uneingeschränkte Handlungsspielräume hatte. Quantitativ gesehen waren diese in der Tat immens; in den 1980er-Jahren öffnete die für die Postkontrolle zuständige Abteilung des MfS täglich 90 000 Briefe.82 Im Jahr 1989 waren die technischen Dienste dieses Ministeriums in der Lage, allein in Berlin 20 000 Telefongespräche und ebenso viele in der Bundesrepublik abzuhören. Das Informantennetz der Stasi ergänzte deren technischen Ressourcen. Dessen Qualität wurde einerseits nach 1989 in der Literatur mehrfach bezweifelt. Man behauptete beispielsweise, dass 10 Prozent der Informanten die inoffizielle Zusammenarbeit abgelehnt hätten oder dass 90 Prozent der IM irrelevante 79  Jaskułowski: Pokojowa, S. 186. 80  Das MfS-Lexikon: Begriffe, Personen und Strukturen der Staatssicherheit der DDR. Hg. im Auftrag des BStU. 3., aktual. Aufl., Berlin 2016, S. 138. 81  Klaus Behling, Jan Eik: Vertuschte Verbrechen. Kriminalität in der Stasi. Leipzig 2007, S. 23. 82  Kamiński; Persak; Gieseke (Hg.): Handbuch, S. 221.

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Daten geliefert hätten.83 Andererseits muss man darauf hinweisen, dass auch eigentlich irrelevante oder gefälschte Informationen für die operativen Zwecke des MfS von Nutzen sein konnten. Mehr noch, eine große Zahl an IM galt als Garant dafür, ein intaktes Überwachungssystem betreiben zu können. Die anfänglichen 10 000 IM im Jahr 1950 wuchsen auf 174 000 am Ende der DDR an.84 Bei einer Einwohnerzahl von 17 Millionen konnte das MfS so Kenntnisse über die banalsten Alltagsprobleme erlangen und war imstande, wirksam operativ zu arbeiten – etwa mithilfe von Erpressung – und dauerhaft eine Atmosphäre der Angst zu kreieren. Die Tatsache, dass die junge Generation, schon in Ostdeutschland geboren, immer weniger mit dem »real existierenden« Sozialismus einverstanden war, änderte nichts an der Arbeitsweise der Stasi, sondern führte eher zu immer größerem Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung.85 Als unabdingbare Folge dessen wurden immer mehr IM angeworben, gemäß den jährlich wachsenden Anwerbungsplänen.86 Ohne Zweifel war das MfS aus logistischer und organisatorischer Sicht erheblich stärker und konsolidierter als das polnische MSW. Zwischen 1944 und 1989 gab es in der Volksrepublik Polen neun separate geheimdienstliche Organisationen, beginnend mit dem Sicherheitsressort, das bereits 1944 von der in Moskau tätigen prosowjetischen Regierung der noch nicht existierenden Volksrepublik gegründet wurde. Von 1945 bis 1954 agierte das bereits erwähnte Ministerium für öffentliche Sicherheit (MBP), bevor es in das Innenministerium und das Komitee für öffentliche Sicherheit aufgeteilt wurde.87 Dieses Komitee sollte sich ausschließlich mit operativer Arbeit beschäftigen, wirkte allerdings nur zwei Jahre, um dann ein Bestandteil des MSW zu werden. Neben dem zivilen Innenministerium existierten parallel die militärischen Geheimdienste: von 1943 bis 1957 die sogenannte Militärinformation, daran anschließend bis 1990 der Militärische Innere Dienst (WSW), der separate innere Dienst der dem MSW unterstellten militärischen Verbände, die Aufklärung der Grenztruppen und nicht zuletzt die Zweite Verwaltung des Generalstabes, also die »klassische« militärische Auslandsaufklärung. Nur ein Mal, im Jahr 1955 und auch nur für 14 Monate, waren alle militärischen Geheimdienste ihrem zivilen Pendant unterstellt.

83  Karau: Stasiprotokolle, S. 22. 84  Siegfried Suckut (Hg.): Das Wörterbuch der Staatssicherheit. Definitionen zur »politischoperativen Arbeit«. Berlin 1996, S. 24. 85  Elke Stadelmann-Wenz: Widerständiges Verhalten und Herrschaftspraxis in der DDR. Paderborn 2007, S. 171. 86  Klaus Wagner: Spionageprozesse. Spionagemethoden des MfS (HV A) und östlicher (u. a. KGB) sowie nahöstlicher Nachrichtendienste in den Jahren 1977–1990. Brühl bei Köln 2000, S. 250. 87  Krzysztof Szwagrzyk (Hg.): Aparat Bezpieczeństwa w Polsce. Kadra kierownicza, Bd. I: 1944–1956. Warszawa 2005, S. 24.

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In Bezug auf seine interne Struktur bestand das MSW nicht einmal aus der Hälfte der Abteilungen, aus denen seit 1970 das MfS bestand. Dennoch entsprachen die Kernelemente des polnischen MSW – die Departments – grundsätzlich den Hauptabteilungen des MfS. Allerdings gab es nur sechs solche Einheiten, zuständig für Auslandsaufklärung, Spionageabwehr, Oppositionsbekämpfung, Kirche, Industrie bzw. Landwirtschaft.88 Die politische Lage erforderte zudem die Gründung anderer Sondereinheiten, etwa zur Bekämpfung der SolidarnośćBewegung – das sogenannte Studienbüro. Außerdem entstanden die Abteilungen für Mitarbeiterschutz, um die immer zahlreicheren kriminellen Delikte – hauptsächlich wirtschaftlicher Art – zu bekämpfen, die die Offiziere selbst im Dienst begingen. Die Arbeit der einzelnen Departments koordinierten zusätzlich die sogenannten Dienste, etwa der Aufklärungs- und Abwehrdienst bzw. der Sicherheitsdienst (SB).89 Insgesamt hatte das MSW 37 Organisationseinheiten, inklusive der rein technischen Abteilungen wie etwa der Abteilung Beobachtung oder der Abteilung Archiv. Die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter verdeutlicht diese Asymmetrie noch: Der SB zählte in den 1980er-Jahren 24 000 Mitarbeiter. Weitere 20 000 arbeiteten in den anderen Verwaltungseinheiten. Allerdings konnten die polnischen zivilen Geheimdienste einfacher andere uniformierte MSW-Formationen beaufsichtigen, etwa die Miliz. Nicht nur die Struktur unterschied beide Ministerien, sondern vor allem die Häufigkeit, mit der es – meist nach gesellschaftlichen Protesten – zu Veränderungen in den geheimdienstlichen Führungspositionen kam. Auf der Ebene der Leiter der Departments, die für kritische Bereiche wie etwa die Auslandsaufklärung oder die Spionageabwehr verantwortlich waren, fanden diese alle vier bis sieben Jahre statt, auf der Ebene der Stellvertreter noch öfter.90 In der Geschichte der VRP leiteten insgesamt neun verschiedene Personen das MSW. Stets handelte es sich um aktive Politiker, die im Mittelpunkt der wichtigsten innenpolitischen und innerparteilichen Turbulenzen standen, sei es als Gewinner oder Verlierer.91 Grundsätzlich bedeutete jede Änderung an der Staats- und Parteispitze gleichzeitig einen Wechsel im MSW. Da das Innenministerium in der Bevölkerung spätestens seit den stalinistischen Säuberungen einen extrem schlechten Ruf hatte, begannen ab 1956 die neuen Parteispitzenfunktionäre ihre Amtszeit mit entsprechenden Säuberungen in den Geheimdiensten. Erstens traute niemand in der Partei der »alten« MSW-Leitung. 88  Filip Musiał: Podręcznik bezpieki. Teoria pracy operacyjnej Służby Bezpieczeństwa w świetle wydawnictw resortowych MSW PRL 1970–1989. Kraków 2007, S. 43. 89  Paweł Piotrowski: Specyfika pracy operacyjnej Wywiadu PRL. In: Biuletyn IPN 5–6 (2007), S. 88–94, hier 90. 90  Paweł Piotrowski (Hg.): Aparat Bezpieczeństwa w Polsce. Kadra kierownicza, Bd. III: 1975–1990. Warszawa 2008, S. 64. 91  Konrad Rokicki, Robert Spałek: Władza w PRL. Ludzie i mechanizmy. Warszawa 2011, S. 293.

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Der neue 1. Sekretär der PVAP erwartete verständlicherweise eigene Verbündete im Innenministerium. Zweitens war eine grundlegende Wirtschaftsreform des Landes kaum realistisch, sodass die neuen Machthaber Ersatzmaßnahmen wie etwa eine Reform des MSW durchführten, um ihren Veränderungswillen zu unterstreichen. Drittens trugen die Angriffe der Partei gegen das MSW, etwa in Form fingierter Propagandaprozesse gegen vormalige hauptamtliche Mitarbeiter, dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken. Das wichtigste Beispiel ist in dieser Hinsicht die Flucht des Oberst Józef Światło vom Dezember 1953, deren Grund bis heute unklar ist. Einige Forscher behaupten, dass sie im sowjetischen Auftrag erfolgte. Keine Zweifel bestehen allerdings darin, dass Światłos Radiosendungen im »Radio Free Europe«, in denen er grausame MBP-Interna enthüllte, die politische Wende in Polen im Jahr 1956 maßgeblich beschleunigt haben und dem inhaftierten Parteipolitiker Władysław Gomułka an die Macht verhalfen.92 In seine Amtszeit fällt nicht nur die Entstehung des MSW, sondern auch das Ende des stalinistischen Terrors, die Entlassung politischer Häftlinge, die drastische Reduzierung der hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter sowie Schauprozesse gegen meist durch Folteranwendung belastete Geheimdienstler.93 Erst seit 1981 kann man von einer Symbiose der zivilen sowie militärischen Teile des volkspolnischen Geheimdienstes mit der Parteipolitik sprechen. General Jaruzelski, der die Ämter des Partei- und Regierungschefs sowie des Verteidigungsministers in sich vereinte, ernannte in jenem Jahr einen seiner engsten Vertrauten, General Kiszczak, zum Innenminister. Daraufhin wurden, wie üblich, die wichtigsten MSW-Posten mit Berufsoffizieren besetzt, was jedoch keinesfalls den zivilen und den militärischen Geheimdienst miteinander aussöhnte.94 Im Gegenteil trugen nicht nur die politischen Turbulenzen, sondern auch der dienstliche Alltag des MSW dazu bei, dass immer weniger Gehorsam bei der Befehlsausführung zu verzeichnen war. Nach jeder Wende, d. h. nach 1956, 1968, 1970, 1976, 1980/81 und 1984, schwand nicht nur das Vertrauen zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitern des MSW. Immer öfter traten diese auch gegeneinander an.95 Zynismus und Skrupellosigkeit sind im Arbeitsalltag eines Geheimdienstes nichts Ungewöhnliches. Das Ausmaß in der VRP war im Vergleich mit dem MfS jedoch alles andere als typisch. In den 1970ern und 1980ern erschütterten das MSW Finanzskandale, die zu internen personellen Machtkämpfen genutzt

92  Andrzej Paczkowski: Trzy twarze Józefa Światły. Przyczynek do historii komunizmu w Polsc. Warszawa 2009, S. 226. 93  Jacek Topyło: Departament X MBP w latach 1949–1954. Geneza – struktura organizacyjna – metody pracy. Toruń 2006, S. 144. 94  Roman Bäcker (Hg.): Skryte oblicze systemu komunistycznego. U źródeł zła. Warszawa 1997, S. 182. 95  Henryk Dominiczak: Organy bezpieczeństwa PRL 1944–1990. Rozwój i działalność w świetle dokumentów MSW. Warszawa 1997, S. 338.

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wurden.96 Dienstliche Loyalität war nicht ausgeprägt und wurde ausschließlich unter dem Blickwinkel persönlicher Interessen betrachtet. Der Anteil der Parteimitglieder im MSW sank seit 1957 kontinuierlich: in den Bezirksverwaltungen von 92 auf 78 Prozent im Jahr 1986, in der »Zentrale« von 73 auf 65 Prozent in der gleichen Periode.97 Ideologie wurde im MSW zu einem Ritual ohne jegliche inhaltliche Bedeutung außerhalb von Propagandazwecken, außer wenn die Parteizugehörigkeit für eine aus finanziellen Gründen lukrative Auslandsreise die Voraussetzung darstellte. In den 1970er- und 1980er-Jahren machten viele MSW-Funktionäre vor allem in der Provinz große illegale Finanzgeschäfte. Zudem arbeiteten viele SB-Offiziere mit der demokratischen Opposition zusammen, was ihrer Hauptaufgabe, nämlich der Überwachung von Dissidenten, deutlich zuwiderlief.98 Solche Hilfestellungen von Geheimdienstmitarbeitern für Oppositionelle waren in der DDR undenkbar. Dennoch überwachte das polnische Innenministerium nach wie vor die eigene Bevölkerung, infiltrierte die Justiz, verfolgte Ausländer.99 Die MSW-Mitarbeiter waren auch als Offiziere im besonderen Einsatz in vielen staatlichen Einrichtungen tätig, um Entwicklungen vor Ort entsprechend den Vorstellungen des MSW zu steuern. Trotzdem war der Umfang dieser Aktivitäten nicht mit dem des MfS vergleichbar. Bei der Stasi gab es eine Reduzierung des Personals um 40 Prozent wie in Polen nach 1956 nicht.100 Diese Kaderschwäche des MSW konnte auch nicht im Zuge der politischen Turbulenzen 1980/81 behoben werden. Der bereits erwähnte und für Innenpolitik zuständige SB hatte im Jahr 1985 nur 25 000 Mitarbeiter bei einer Einwohnerzahl von 38 Millionen (DDR = 17 Millionen).101 Wenig Personal bedeutete selbstverständlich weniger Kapazitäten für die operative Arbeit, obwohl die polnische Dissidentenbewegung und die katholische Kirche deutlich stärker waren als Dissidenten und die beiden Kirchen in der DDR. Im Jahr 1982, also in der wichtigsten Phase des Kriegsrechts, kontrollierten die technischen Abteilungen des MSW lediglich 15 Prozent des gesamten Briefverkehrs in Polen.102 Zehn Jahre zuvor, während der Internationalen Messe in Posen – der wichtigsten Veranstaltung dieser Art in der VRP, die auch für viele geheimdienstliche Operationen des MfS von Bedeutung war –, stellten 96  Jerzy Morawski: Złota afera. Warszawa 2007, S. 30; Piotr Gontarczyk: Raport z działalności Komisji powołanej do wyjaśnienia charakteru operacji kryptonim »Żelazo«. In: Glaukopis 7 (2006), S. 233–271, hier 233. 97  Kamiński; Persak; Gieseke: Handbuch, S. 284. 98  Katarzyna Skrzydłowska-Kalukin: Gajka i Jacek Kuroniowie. Warszawa 2011, S. 92. 99  Musiał; Szarek: W służbie komuny, S. 108. 100  Paweł Piotrowski (Hg.): Aparat Bezpieczeństwa w Polsce. Kadra kierownicza, Bd. II: 1956–1975. Warszawa 2006, S. 8. 101  Ebenda, S. 18. 102  Kamiński; Persak; Gieseke (Hg.): Handbuch, S. 296.

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beispielsweise die Stasi-Mitarbeiter mit Empörung fest, dass es nicht möglich war, die ausgewählten Aussteller auszuspionieren, da der polnische Sicherheitsdienst nicht über die notwendige Anzahl von Abhörgeräten verfügte.103 Ebenso bescheiden sah das polnische IM-Netz aus. Die Zahl der 85 000 Informanten, die in der Zeit bis 1956 als solche registriert wurden, sank infolge der politischen Veränderungen im Zuge der Rückkehr Gomułkas auf 8 000 im Jahr 1960. Zwar stieg sie während späterer innenpolitischer Turbulenzen, d. h. in den Jahren 1980 und 1984, auf 30 000 bzw. 69 000 an,104 fiel zum Ende der VRP 1989 allerdings wieder auf 24 000. In der kleineren DDR verfügte die Stasi über fünfmal mehr Denunzianten. 1.2.3 Unterschiede der Ministerien als Chance und Belastung für die spätere Zusammenarbeit Die Volksrepublik Polen konnte nicht nur aufgrund des kleinen Innenministeriums kein Lieblingspartner der Stasi-Verantwortlichen werden. Eigentlich sorgten fast alle strukturellen Merkmale des polnischen Staates für Konfliktstoff: das weiterhin bestehende Privateigentum in der Landwirtschaft, eine Staatspartei, die dreimal weniger Mitglieder besaß als die oppositionelle Gewerkschaft Solidarność105, eine starke katholische Kirche, die nie aufhörte, Dissidenten zu unterstützen, gut organisierte, regimekritische Milieus der im Ausland lebenden Polen sowie, trotz der Zensur, im kommunistischen Block einzigartige Freiheiten in Bezug auf Literatur und Kunst. Jede politische Wende in Polen wurde zu Recht zugleich als Gefahr für das SED-/MfS-Regierungssystem wahrgenommen. Deshalb wuchs in der ostdeutschen Parteispitze die Bereitschaft, aktiv gegen die polnische Opposition vorzugehen, was insbesondere ab 1980 deutlich wurde. Dies belegen NVA-Verbände, die aktiv an einer eventuellen Militärintervention des Warschauer Paktes teilgenommen hätten, ebenso wie die formale Einstufung Polens durch das MfS als »Operationsgebiet«, also als Territorium eines Feindstaates – ein Status, der im Regelfall westlichen Staaten und insbesondere der Bundesrepublik/Westberlin vorbehalten war.106 Nicht nur das politische System Polens an sich beunruhigte die ostdeutsche Staatsführung. Noch mehr Gefahren barg der volkspolnische Alltag, den auch DDR-Bürger, etwa während dienstlicher oder privater Aufenthalte, erlebten. Die Grenzkontrollen waren nicht so streng, was die sogenannte Republikflucht von 103  Krzysztof Kazimierczak: Tajne spec. znaczenia. Poznań 2009, S. 101. 104  Filip Musiał, Jarosław Szarek (Hg.): Polska konfidencka. Kraków 2006, S. 50. 105  Tytus Jaskułowski: Die friedliche Revolution in der DDR und Polen 1989–1990. Systemumbrüche im Vergleich. In: Orbis Linguarum 33 (2008), S. 193–211, hier 200. 106  Burkhard Olschowsky: Einvernehmen und Konflikt. Das Verhältnis zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen 1980–1989. Osnabrück 2005, S. 75.

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DDR-Bürgern über die VRP ermöglichte. In Ostdeutschland verbotene Literatur bzw. Zeitschriften durften dort legal gekauft werden, sodass man konstatieren kann, dass die Meinungsfreiheit, trotz vieler Einschränkungen, in Polen durchaus größer war als in der DDR. Die daraus resultierenden Diskrepanzen, die üblicherweise auf der höchsten Regierungsebene erörtert werden mussten, verstärkten das gegenseitige Misstrauen der Verantwortlichen, auch da seit 1949 aus polnischer Sicht das bilaterale Verhältnis immer stärker belastet war. Die Kontakte der Parteiführung, insbesondere zwischen Ulbricht und Gomułka, waren von einer starken gegenseitigen Abneigung geprägt. In der Außenpolitik war die DDR für Polen so lange wichtig, wie die westliche Grenze von der Bundesrepublik nicht anerkannt war. Keinesfalls wollten die Verantwortlichen in der VRP den Wiederaufbau und die Wirtschaft der DDR unterstützen.107 Als die Grenze zumindest formell mit dem Grundlagenvertrag mit der BRD von 1970 anerkannt wurde, verlor die DDR als Partner für die polnische Staatspartei deutlich an Relevanz. Um Hilfe und Unterstützung buhlte die VRP vor allem im Westen, insbesondere in der Bundesrepublik, was weitere außenpolitische Konflikte mit der DDR mit sich brachte, die wiederum die Beziehungen des Warschauer Paktes mit der Bundesrepublik zu monopolisieren versuchte. Die DDR blieb für das MSW außerdem eine Gefahr wegen der bis 1989 in den polnischen Führungskreisen existierenden Angst, dass die DDR mit der Bundesrepublik und der Sowjetunion die Wiedervereinigung zulasten Polens vorbereiten würde. Wie gestalteten sich also in der Praxis die gegenseitigen Kontakte des MfS und des MSW vor dem Hintergrund dieser innen- und außenpolitischen Umstände der bilateralen Beziehungen zwischen der DDR und der VRP? Einerseits stellten die Unterschiede im Regierungs- und Gesellschaftssystem beider Länder aus geheimdienstlicher Perspektive eine Chance dar. In der VRP konnten die westlichen Aufklärungen einerseits gut Informanten finden, die auch etwas über die DDR berichteten, da angenommen wurde, dass in Polen das Überwachungssystem nicht so stark entwickelt war wie in der DDR. Daraus resultierend konnten das MSW und die Stasi viele gemeinsame Operationen durchführen, mit dem Ziel, die westlichen Geheimdienste entsprechend zu manipulieren, Doppelagenten einzusetzen usw. Das Gebiet der VRP barg also in diesem Sinne für das MfS einen Wert in sich. Für die polnischen Sicherheitsbehörden waren andererseits die ostdeutschen Erfahrungen der sogenannten Westarbeit von Bedeutung, sowohl in Bezug auf den Informationsaustausch als auch auf die Lieferung der neuesten operativen Technik. Außerdem waren diese Kontakte notwendig, da die alltäglichen Aufgaben beider Ministerien, etwa die Bekämpfung der Opposition und die Überwachung der Bürger, internationaler geworden waren und eine gewisse Koordination, nicht nur bei der Grenzkontrolle, erforderten. 107  Wojciech Materski, Waldemar Michowicz (Hg.): Historia dyplomacji polskiej, Tom VI: 1944/45–1989. Warszawa 2010, S. 513.

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1.3 Die Kontakte der Sicherheitsdienste der DDR und der Volksrepublik Polen bis 1974 Sowohl die Gründungsphase einer Institution als auch die ersten Jahre ihres Bestehens sind für diese eine besonders wichtige Zeit. Sie prägen deren Organisationskultur sowie spätere Entwicklung am stärksten. Diese Feststellung, obwohl durchaus banal, kann als Leitmotiv für die erste Phase der Beziehungen zwischen dem MSW und dem MfS gelten. Für einen völlig neu gegründeten Geheimdienst scheint es am wichtigsten, eine eigene interne Identität in Verbindung mit einer Corporate Identity aufzubauen. Die Mitarbeiter sammeln Erfahrungen, gewinnen an Routine, führen Operationen und Vorgänge aus, lernen aus eigenen Fehlern und schaffen, als Folge, ein institutionelles Gedächtnis. Dasselbe gilt für die unvermeidbaren Kontakte »ihres« Ministeriums mit der Außenwelt, d. h. mit den entsprechenden auswärtigen Geheimdiensten, mit denen man Beziehungen unterhalten will oder muss. In der Periode von 1945 bis 1974 lernten sich die polnische und die ostdeutsche Sicherheitsbehörde vor allem gegenseitig kennen, was zwangsläufig zur Entstehung gewisser Vorurteile, Stereotype, zu bewussten oder unbewussten Affronts, aber auch zu von beiden Seiten akzeptierten Verhaltensweisen und Verfahrensregeln führen musste. In diesen Nachkriegsjahrzehnten wurde durch die Art und Weise, wie beide Ministerien miteinander umgingen, die Grundlage für die nach 1974 entstandenen Probleme und Konflikte gelegt. Den Kern bildete Misstrauen, das durch die komplizierten Staats- und Partei­ beziehungen beider Länder verstärkt wurde. Woher stammte das bereits mehrfach angesprochene Misstrauen? Zum einen verhielten sich die ostdeutschen Geheimdienste in Bezug auf Polen, insbesondere in der Zeit der SBZ, äußerst naiv und/oder besaßen ein kriegsbedingtes Schuldgefühl. Obwohl Letztgenanntes mehr oder weniger verständlich war, musste deren Naivität jedoch mit dem geheimdienstlichen Alltag konfrontiert werden, in dem es keinen Platz für solche Gefühle gab. Zum anderen hatten das MSW und seine Vorgänger nie die Absicht, dauerhaft mit dem MfS zusammenzuarbeiten. Ganz im Gegenteil. Die polnischen Sicherheitsdienste strebten nach Souveränität. Eine Kooperation war nur dann erwünscht, wenn es keine andere Wahl gab. Die Stasi hingegen war stets an engeren Kontakten interessiert. Hervorzuheben ist auch die Tatsache, dass das MfS im Laufe der Zeit stärker und einflussreicher geworden ist, was der vom Kriegstrauma geprägten ersten Generation der polnischen MSWMitarbeiter missfiel. Spätestens seit 1955 konnte das MfS jedoch nicht mehr als ein lediglich lästiges Nebenamt innerhalb der Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone betrachtet werden. Die Beziehungen zwischen den ostdeutschen und volkspolnischen Sicherheitsbehörden lassen sich in drei Phasen einteilen: 1945 bis 1949, 1949 bis 1970 und 1970 bis 1974. Ihre Grenzen bestimmten: das Ende der SBZ und die Gründung

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der DDR sowie der polnische Arbeiteraufstand in Danzig Anfang Dezember 1970. Eben dieses Ereignis sollte für die weiteren Beziehungen von großer Relevanz sein. Bis dahin erachtete das MfS zwar viele Elemente des volkspolnischen innenpolitischen Lebens als inakzeptabel, diese konnten aber nur auf politischer Ebene und nur relativ beschränkt kritisiert werden. Die Unruhen in Danzig wurden im MfS daher als Wende wahrgenommen, da die Stasi-Leitung den Eindruck hatte, von den polnischen Sicherheitsdiensten absichtlich nicht informiert worden zu sein, was allerdings nicht stimmte. Da es gleichzeitig im bilateralen geheimdienstlichen Verhältnis immer öfter zu Konflikten kam, nutzten die Verantwortlichen des MfS, die den nach den Unruhen 1970 üblichen Kaderwechsel in Polen beobachteten, die Gelegenheit, auf das MSW Druck auszuüben, um das erste komplexe Kooperationsabkommen abzuschließen. Es sollte die bereits vorhandenen Probleme, nicht aber das Misstrauen beseitigen. Das angestrebte Abkommen wurde am 14. Mai 1974 unterzeichnet. Bedeutender ist jedoch die Tatsache, dass offensive Maßnahmen gegen die VRP bereits vier Jahre früher eingeleitet wurden. Die im nachfolgenden Kapitel verwendete chronologische Gliederung unterscheidet sich grundsätzlich von den in der Fachliteratur anzutreffenden Ansichten. Entweder wird in ihr die Auffassung vertreten, dass eine Chronologie aufgrund fehlender Archivbestände kaum zu rekonstruieren sei108 oder es wird behauptet, dass bilaterale Beziehungen erst während der MfS-Gründung109 oder noch später, d. h. im Jahr 1956110 bzw. erst in den 1960er-Jahren, aufgenommen wurden.111 Die Wissenschaftler, die das Verhältnis des MfS zum KGB erforscht haben, meinen hingegen, dass das Jahr 1953 als Beginn der Kontakte der Stasi mit Polen angenommen werden kann.112 Abgesehen davon ermöglichen es die zugänglichen Archivbestände, folgende These aufzustellen: Direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die damals existierenden Sicherheitsbehörden Polens und der 108  Diese Behauptung wurde oft im internen Schriftwechsel des polnischen Innenministeriums aus der zweiten Hälfte des Jahres 1989 geäußert. Bspw. war im Bericht des Leiters des polnischen Geheimdienstes vom 14.12.1989 davon die Rede, dass die meisten polenbezogenen Archivbestände des MfS bereits vernichtet worden seien. Vgl. IPN BU 1586/15322, S. 2. Dieselbe Meinung findet sich in den Dokumenten wieder, die 2009 von Cenckiewicz veröffentlicht wurden Cenckiewicz: Śladami, S. 597. Die Recherchen des Verfassers bestätigten Cenckiewicz' Vermutung, das MSW habe nicht nur während der Friedlichen Revolution über Informanten im MfS verfügt. Vgl. die Kryptogramme der polnischen Residentur in Ostberlin aus dem Jahr 1990: IPN BU 0449/22, Bd. 15, S. 40. Siehe auch Kochanowski: Die Beziehungen, S. 345. 109  Monika Tantzscher: »Zaczynamy tworzyć nowe, dobre tradycje we współpracy«. O kontaktach tajnych służb PRL i NRD na podstawie akt Ministerstwa Bezpieczeństwa Państwa NRD In: Kerski u. a. (Hg.): Przyjaźń nakazana? Stosunki między NRD a Polską w latach 1949–1990, S. 93–129, hier 95. 110  Tantzscher: Die Feinde des Sozialismus, S. 219. 111  Krzysztof Kaszyński, Jacek Podgórski: Szpiedzy, czyli tajemnice polskiego wywiadu. Warszawa 1994, S. 37. Bańbor behauptete sogar, es habe bis in die späten 1960er-Jahre nur sporadische Kontakte gegeben. Bańbor: Zwalczanie, S. 427. 112  Borchert: Die Zusammenarbeit, S. 49.

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SBZ sowie der späteren DDR sowohl Interesse daran, miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, wie auch daran, sich gegenseitig zu bekämpfen. 1.3.1 Die Kontakte der Sicherheitsbehörden in der SBZ 1945 bis 1949 Die Phase der ersten Kontakte wurde vor allem von einem kriegsbedingten politischen und institutionellen Ungleichgewicht beeinflusst. Für alle Kontakte, nicht nur politischer Art, mit den Besatzungszonen in Deutschland war die im Januar 1946 in Berlin eröffnete polnische Militärmission verantwortlich. Sie stellte eine Vertretung dar, die sowohl die diplomatischen als auch die geheimdienstlichen Funktionen auszuüben hatte.113 Die deutschen Verwaltungsorgane der SBZ durften in der VRP keine Vertretung eröffnen, u. a., da die Kommunistische Partei Deutschlands und die für die Sicherheit zuständigen K-5-Abteilungen ihre Arbeit erst unter der sowjetischen Aufsicht begonnen bzw. wieder aufgenommen hatten. Die sich daraus ergebende Situation war für das polnische Ministerium für öffentliche Sicherheit durchaus günstig, weil es mit oder ohne sowjetische Duldung gleichzeitig gegen die Westalliierten und gegen SBZ-Interessen agieren konnte. Ostdeutschland als Staatsgebiet besaß aus volkspolnischer Sicht keine Souveränität. Eventuelle Beschwerden der sich im Aufbau befindenden lokalen Behörden wurden aus einem einfachen Grund nicht ernst genommen: Als Kriegsverlierer durften sie keinesfalls Widerstand leisten. Ebenso wichtig ist die aus Archivdokumenten ersichtliche Tatsache, dass die KPD-Funktionäre sehr viel Verständnis für die Arbeit und Probleme der polnischen Behörden hatten, nicht nur für solche geheimdienstlicher Natur. Eine gewisse Rolle spielten dabei die privaten Kontakte vieler in der SBZ tätiger polnischer Offiziere und späterer Geheimdienstler zu den ostdeutschen Kommunisten, die etwa während der gemeinsamen Häftlingszeit in den Konzentrationslagern geknüpft worden waren. Formell gesehen durften die polnischen MBP-Vertreter vor allem mit den Mitarbeitern der Personalabteilung im Zentralkomitee der KPD (ab 1946: SED) bzw. mit den für die Sicherheit zuständigen ZK-Sachbearbeitern Kontakt aufnehmen. Laut der Gesprächsnotizen, die die Polen nach entsprechenden Begegnungen verfassten, wussten ihre deutschen Gesprächspartner, dass sie es faktisch mit der polnischen Auslandsaufklärung zu tun gehabt hatten. Dies wurde allerdings keines­falls als Hindernis wahrgenommen, politische Themen zu erörtern. Hierdurch entstand eines der ersten dauerhaften Merkmale der bilateralen Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der VRP: Nicht Diplomaten, sondern Geheimdienstoffiziere wurden als diejenigen betrachtet, die die von den Vertretern des Gastlandes erlangten Informationen am schnellsten und zuverlässigsten den eigenen Entscheidungsträgern übermitteln konnten. Die Geheimdienste 113  Leszek Gondek: Polskie Misje Wojskowe 1945–1949. Warszawa 1981, S. 9.

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waren jedoch nach wie vor nicht daran interessiert, die Diplomaten zu ersetzen, stattdessen wollten sie für sie relevante Aufgaben durchführen. In der SBZ-Zeit handelte es sich dabei in erster Linie um einen Informationsaustausch und um Hilfsgesuche und weniger um eine Kooperation in den rein operativen Vorgängen. Die ostdeutsche Seite bat um Unterstützung bei den Projekten, die sie wegen ihrer fehlenden Souveränität nicht alleine realisieren durfte. Als Beispiel gelten die Bestrebungen, konkrete Personen, wie etwa NSDAP-Parteiaktivisten, die sich in den westlichen Besatzungszonen aufhielten, aufzudecken. Das dafür notwendige, verständlicherweise mit dem Krieg in Verbindung stehende Belastungsmaterial befand sich auf polnischem Gebiet, weshalb man um Hilfe bat. Ebenso wichtig schien in Bezug auf die Entwicklung der neuen Verwaltung in der SBZ das Anliegen, die sich in der VRP aufhaltenden deutschen Kriegsgefangenen auszuwählen, die mit der KPD/SED als sogenannte Antifaschisten zusammenarbeiten konnten. Die K-5-Abteilungen wollten außerdem alle Unterlagen über die in Polen verhafteten Deutschen bekommen. Aus rein propagandapolitischer Sicht wurde darauf hingewiesen, die geplanten Vertreibungs- bzw. Umsiedlungsaktionen so umzusetzen, dass sie später als Erfolg der KPD/SED-Politik präsentiert werden konnten. Den Vorschlägen der deutschen Seite standen die polnischen Erwartungen gegenüber, die sich grundsätzlich darauf konzentrierten, alle Informationen über die polnischstämmigen Bürger in Deutschland, die aktiv gegen die VRP eingetreten waren, zu erhalten.114 Allerdings waren die meisten Probleme, die im Zentrum der bilateralen Kontakte standen, eher konsularischer und nicht geheimdienstlicher Natur. Die Offiziere mussten Kriminaldelikte und Fragen der fehlenden Grenzsicherung, des Schmuggels oder der kriegsbedingt knappen Versorgung der eigenen Bürger klären. Doch die Konsulartätigkeit stellte, trotz der vorhandenen alltäglichen Probleme, aus verständlichen Gründen nicht die Priorität beider Geheimdienste dar. In den vorhandenen internen Dokumenten der polnischen Militärmission wird sehr oft die Notwendigkeit formuliert, die Kontakte zwischen den Sicherheitsbehörden zumindest formal zu entwickeln. Vermerke der in Berlin tätigen MBP-Offiziere115 zeigen jedoch deutlich, dass nicht die Zusammenarbeit oder die von der KPD/ SED beantragte Hilfe, sondern das Schaffen eigener Informationsquellen in der SBZ, insbesondere innerhalb ihrer kommunistischen Partei, das Hauptziel dieser Kontakte sein sollte. Ohne Zweifel wussten die polnischen Geheimdienstler, dass ihre Beziehungen mit den K-5-Abteilungen von den sowjetischen Sicherheitsdiensten registriert wurden. Sicherlich war das auch bei den übrigen Begegnungen 114  Jerzy Kochanowski, Klaus Ziemer (Hg.): Polska-Niemcy Wschodnie 1945–1990. Wybór dokumentów, Bd. 1 [Polska wobec Radzieckiej Strefy Okupacyjnej Niemiec : maj 1945 – październik 1949/red., wstęp, wybór dokumentów Jerzy Kochanowski. Oprac. dokumentów Andrzej Krajewski, Małgorzata Mazurek]. Warszawa 2006, S. 188. 115  Ebenda, S. 190.

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der Fall, etwa bei den Treffen mit den Deutschen, die man während des Krieges kennengelernt hatte. Einige von ihnen boten der polnischen Mission ihre Hilfe an – als eine Art Wiedergutmachung für die NS-Zeit. Interessanterweise war dieses Angebot mit der Bitte verbunden, auch über die Lage in Polen zu sprechen. Auch wenn die Helfer für das NKWD tätig waren, lohnte es sich, solche Kontakte zu pflegen, da die Sowjets dadurch an gewisse, für Polen günstige Informationen gelangen konnten. Es muss außerdem hinzugefügt werden, dass die KPD/SED als Organisation bis 1949 ihre Mitglieder offiziell zur Arbeit in der polnischen Militärmission delegieren durfte, was auch inoffizielle Aufträge in den westlichen Besatzungszonen nicht ausschloss.116 Zwar beschäftigten sie sich nur damit, kleine, vom polnischen Sicherheitsdienst finanzierte Werkstätten bzw. Kleinunternehmen im Westen zu führen, jedoch wurde dadurch eine logistische Unterstützung, etwa in Form von Verbindungskanälen, für andere Operationen gewährleistet. Eine derartige Hilfe bedeutet jedoch keineswegs, dass zwischen dem MBP und den K-5-Abteilungen ein uneingeschränktes Vertrauen geherrscht hätte und dass die polnischen Sicherheitsdienste nicht gegen die SBZ gearbeitet hätten. Vor allem rekrutierte der polnische Militärnachrichtendienst ab 1946 auch SED-Mitglieder als Mitarbeiter, ohne die entsprechenden Parteiorgane informieren zu wollen. Einer dieser Mitarbeiter, der für Entführungen und die Verschleppung der Opfer nach Polen zuständig war, wurde 1947 in den westlichen Zonen verhaftet. Die Reaktion der polnischen Militärmission ist ein typisches Beispiel für den Zynismus in der geheimdienstlichen Arbeit. Offiziell wurde den Behörden der Besatzungsmächte mitgeteilt, dass die polnischen Behörden nichts mit dem Festgenommenen zu tun hätten. Die bei ihm gefundenen Dokumente, die das Gegenteil belegten, bezeichnete man als gefälscht. Außerdem wurde intern beschlossen, dem Betroffenen keinerlei Hilfe zu leisten.117 Darüber hinaus schmuggelte das MBP auch großangelegt Waren und Lebensmittel nach Polen zum Nachteil der SBZ, was zwangsläufig zu Spannungen in den offiziellen Beziehungen mit der Sowjetunion und den übrigen Besatzungsmächten führen musste.118 Schließlich stellt dieser illegale Handel einen Beweis nicht nur für fehlendes Vertrauen, sondern auch für eine Überheblichkeit gegenüber den Verantwortlichen der K-5-Abteilungen dar, da dieser gerne auch als Element geheimdienstlicher Operationen genutzt wurde. Man musste doch nicht von allem berichten, was man unternahm. Allerdings hätten schon kurze Mitteilungen politische Konsequenzen auf offizieller Ebene vermeiden können. Sie waren jedoch die Ausnahme, vor allem, da die Gewinne

116  Andrzej Paczkowski: Wywiad polski w roku 1949. Sprawozdanie z działalności. Warszawa 2009, S. 45. 117  Kochanowski; Ziemer: Polska-Niemcy Wschodnie, Bd. 1, S. 273. 118  Jerzy Kochanowski: Zanim powstała NRD. Polska wobec radzieckiej strefy okupacyjnej Niemiec 1945–1949. Wrocław 2008, S. 90.

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aus den Schmuggelgeschäften nicht nur für den Geheimdienst, sondern auch für die Spitze der polnischen kommunistischen Partei vorgesehen waren.119 Nicht die operativen Konflikte standen im Mittelpunkt des Interesses der polnischen Geheimdienstler in der SBZ. Sie waren vor allem dafür zuständig, die politische Lage Ostdeutschlands zu analysieren und entsprechende Berichte darüber zu verfassen. Von besonderem Interesse waren die Entwicklung des Parteiensystems, die SED-Gründung und die Stimmung in der Bevölkerung, die grundsätzlich gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze war,120 aber auch rein militärische Bereiche, wie etwa die Bewertung einer eventuell notwendigen Verteidigung der neuen polnischen Westgrenze nach 1945. Bereits ab Kriegsende wurde die SBZ in der analytisch schwachen Berichterstattung des MBP grundsätzlich als feindliches Terrain wahrgenommen. Die meisten kolportierten angeblich geheimen Informationen hätte man der Tagespresse entnehmen können.121 Sie unterschieden sich jedoch positiv dadurch, dass sie frei von ideologisch aufgeladener Propagandasprache und verhältnismäßig objektiv waren.122 Andererseits wurden gewisse Erscheinungen wie etwa Terror unterschlagen. Dieser wurde schließlich auch in der VRP angewendet, um die kommunistische Macht zu konsolidieren. Die Vorschläge der Militärmission, die informellen Kontakte zu den K-5Abteilungen zu pflegen und auszubauen, trafen in der Warschauer Zentrale des MBP nicht immer auf Zustimmung. Das Misstrauen der eigenen Mitarbeiter und der Bevölkerung gegenüber Gesamtdeutschland war zu stark.123 Die Prioritäten der Sicherheitsbehörden lagen auf der internen Machtkonsolidierung und nicht auf den auswärtigen Beziehungen. Erst die Gründung der DDR erforderte eine propagandapolitische Neuausrichtung und die Unterscheidung zwischen den »guten« Ost- und den »bösen« Westdeutschen. Bis dahin blieb die SBZ in der öffentlichen Wahrnehmung Polens vor allem eine Anlaufstelle für Kriegsreparationen, die man ohne bzw. mit lästigen Beschränkungen erhielt. In den internen Richtlinien des MBP bezüglich grenzüberschreitender Probleme wurde eine mögliche Zusammenarbeit mit den K-5-Einrichtungen als Hilfsmaßnahme mit keinem Wort erwähnt, beispielsweise in der Anweisung der volkspolnischen Spionageabwehr aus dem Jahr 1946 zur Installation einer eigenen Agentur im sogenannten »deutschen Untergrund« in Polen.124 Kontakte mit den ostdeutschen 119  Paczkowski: Wywiad polski, S. 21; Witold Bagieński, Piotr Gontarczyk (Hg.): Afera »Żelazo« w dokumentach MSW i PZPR. Warszawa 2013, S. 21. 120  Włodzimierz Borodziej: Od Poczdamu do szklarskiej Poręby. Polska w stosunkach międzynarodowych 1945–1947. Londyn 1990, S. 296. 121  Kochanowski; Ziemer (Hg.): Polska-Niemcy Wschodnie, Bd. 1, S. 121. 122  Vgl. Daniel Passent: Passa. Warszawa 2012, S. 53. 123  Piotr Madajczyk: Niemcy Polscy 1944–1989. Warszawa 2001, S. 31. 124  Patryk Pleskot: Tarcza partii i narodu, Kontrwywiad Polski Ludowej w latach 1945–1956. Zarys struktur i wybór źródeł. Warszawa 2010, S. 75.

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Behörden waren in dieser Hinsicht nicht vorgesehen, obwohl sie am Rande der Aussiedlungsaktionen nach 1949 durchaus möglich waren. Wie bereits gesagt, blieb nicht die Außen-, sondern die Innenpolitik im operativen Mittelpunkt der jeweiligen Sicherheitsdienste. Statt über grenzübergreifende Zusammenarbeit diskutierte die MBP-Führung etwa darüber, dass 1949 fast 30 Prozent des Personals regelmäßig die Kirche besuchten, die sie nominell bekämpfen sollten.125 1.3.2 Kooperation und Konflikte zwischen dem MfS und dem Innenministerium der VRP bis 1970 Politische Umstände Die Gründung der DDR veränderte zwangsläufig die Grundbedingungen der bilateralen Beziehungen, nicht nur auf der geheimdienstlichen, sondern auch auf der rein politischen Ebene. Die Zeit, in der die polnischen Geheimdienste in der SBZ alles unternehmen konnten, ohne die Gastgeber darüber unterrichten zu müssen, war seit 1950, also seit der offiziellen Gründung des MfS, vorbei. Die zwei Jahre andauernde Änderung des rechtlichen Status des MfS durch die Herabstufung zu einem Staatssekretariat für Staatssicherheit sowie die strukturellen Veränderungen der polnischen Sicherheitsdienste änderten nichts an dieser Tatsache und beschränkten die Kontakte auch nur bedingt. Beide Seiten unterhielten Beziehungen mit den im jeweiligen Moment für die Sicherheit zuständigen Institutionen.126 Der Rang der Institution hatte keinen Einfluss auf die Dynamik der Kontakte, im Gegensatz zu politischen Turbulenzen jeglicher Art. Obwohl sogar während der schwierigsten innerpolnischen Konfliktphasen, wie etwa dem sogenannten »Posener Juni 1956«, die operative Zusammenarbeit sowie die damit zusammenhängende laufende Korrespondenz und der Informationsaustausch nicht unterbrochen wurden,127 mussten solche Ereignisse die offiziellen Kontakte entsprechend beeinträchtigen. Erst nach dem Ende einer politischen Krise und der formellen Wiederaufnahme der Beziehungen, etwa nach dem Antrittsbesuch eines neuen polnischen Innenministers, erreichten die Kontakte, je nach Bedarf, das alte Niveau.128 Eine politische Wende konnte daher entweder einen Impuls zu verstärkter Zusammenarbeit darstellen oder aber die gemeinsamen Aktivitäten erheblich 125  Andrzej Paczkowski: Aparat bezpieczeństwa w latach 1944–1956. Taktyka, strategia metody, Bd. 2. Warszawa 1996, S. 207. 126  Rücksprache mit dem Gen. der Volksrepublik Polen am 15.9.1954; BStU, MfS, AS Nr. 110/55, B 120, S. 2. 127  Dienstnotiz, Juni 1956; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 12. 128  Maciej Górny, Mateusz Hartwich (Bearb.): Polska Niemcy Wschodnie 1945–1990. Wybór dokumentów, Bd. 3, 1956–1957. Warszawa 2008, S. 359.

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abbremsen. Ersteres war der Fall direkt nach der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR. Die sowjetischen Vertreter in der DDR ermittelten das Fehlen entsprechend guter Außenkontakte als einen der Gründe für das Versagen des MfS im Juni 1953. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit den übrigen sozialistischen Staaten sollte die Effektivität der SfS-Arbeit erhöhen.129 Abgesehen davon, wie fragwürdig diese Argumentation war, die doch ein Junktim zwischen den internationalen Kontakten und den innenpolitischen Erfolgen eines Geheimdienstes voraussetzte, stand fest, dass in der SfS-/MfS-Führung die Überzeugung weit verbreitet war, dass die Unruhen in den anderen sozialistischen Ländern, insbesondere in den Nachbarstaaten, aufgrund der Schnelligkeit, mit der sie sich verbreiten konnten, eine existenzielle Gefahr für die DDR darstellen würden. Das MfS wertete daher die Art und Weise, wie das MSW den ostdeutschen Geheimdienst über die Situation in Danzig und in anderen Städten während des Aufstandes vom Dezember 1970 informierte, als Verrat, ebenso wie auch die Unterzeichnung des Normalisierungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der VRP im Jahr 1970. Zwar sollte beides dazu führen, dass Mielke das Vertrauen in das MSW völlig verlor, gleichzeitig jedoch veranlasste es die Stasi-Verantwortlichen, die bilateralen Kontakte so auszugestalten, dass eine vom MfS erwartete Einheit der sozialistischen Geheimdienste gesichert wäre. – Eine Interessengemeinschaft, in der vor allem die Belange des MfS Vorrang hätten und die deshalb so wichtig war, weil die Stasi in Angelegenheiten von symbolischem Rang gegenüber dem MSW keinesfalls den Status eines Partners erlangen konnte. Als Beispiel kann die Frage nach der legalen Residentur gelten. Die polnische Aufklärungseinheit, die auch die Funktion eines Verbindungs­ büros des MBP/MSW in der DDR ausübte – die »A-Gruppe«130 –, war seit dem Kriegsende in der SBZ tätig. Im Laufe der Zeit änderte sich lediglich ihre offizielle Bezeichnung von »Berliner Gruppe« oder »Polnischer Gruppe« zu der bis zum Ende der DDR verbindlichen Bezeichnung »Einsatzgruppe Karpaten«.131 Die dauerhafte Teilung Deutschlands ab 1949 trug zu einer zahlenmäßigen Verstärkung der Gruppe bei. Außerdem blieb der polnische Geheimdienst nach wie vor in Westberlin durch die Militärmission präsent,132 von den illegalen Agenten ganz zu schweigen. Eine legale Vertretung der Stasi durfte hingegen erst infolge der Ereignisse von 1980 in Polen aufgebaut werden, was eine deutliche Aussage über das gegenseitige Vertrauen beider Ministerien ist. Bis 1980 konnten in der VRP lediglich mit der Genehmigung des MSW ad hoc berufene Operativgruppen des MfS tätig sein. Angeblich sollen HV-A-Mitarbeiter bereits ab den 1960er129  Das MfS-Lexikon, S. 189. 130  Siehe auch die Namen der o. g. Gruppe in den MfS-Unterlagen, z. B. BStU, MfS, Abt. X Nr. 232, S. 14. 131  Witold Bagieński: Wywiad cywilny Polski Ludowej w latach 1945–1961, Bd. I. Warszawa 2017, S. 504. 132  Mieczysław Tomala: Niemcy moją pasją. Warszawa 2010, S. 100.

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Jahren ohne jegliche Genehmigung in Polen gearbeitet haben. Entsprechende Behauptungen polnischer Geheimdienstler lassen sich allerdings nicht durch Akten belegen, die unterschiedlichen Interessen hingegen schon. Interne und politische Grundlagen der Zusammenarbeit Verständlicherweise spiegelte sich das bereits erwähnte Misstrauen in erster Linie in den schriftlichen Vereinbarungen wider, die die Kontakte regeln sollten. Aus völkerrechtlicher und rein formeller Sicht hatten sich Polen und die DDR ziemlich früh dazu verpflichtet, in Sicherheitsfragen eng zusammenzuarbeiten. Sowohl in den Grundsatzverträgen als auch im Großteil der nachfolgenden bi- und multilateralen Vereinbarungen auf politischer Ebene war davon die Rede. Beispielsweise besagte Artikel 2 des Warschauer Vertrages vom 14. Mai 1955, dass seine Parteien sich an allen internationalen Handlungen beteiligen, die die Gewährleistung der Sicherheit zum Ziel haben. Vorgesehen waren auch entsprechende gegenseitige Konsultationen. Ähnliche Passagen, die nicht nur Konsultationen betrafen und einfach auf die geheimdienstliche Ebene bezogen werden konnten, wurden auch in den polnischen Freundschaftsvertrag mit der DDR von 1967,133 in den Vertrag über den Rechtsverkehr von 1957 sowie in den Grenzkontrollvertrag von 1971 aufgenommen.134 Die internen Richtlinien beider Sicherheitsdienste zeigten jedoch eine völlig unterschiedliche Bewertung der internationalen Beziehungen. Für das MfS stellten sie eines der wichtigsten Elemente seiner Tätigkeit dar. Im MSW hingegen besaßen sie eher eine nachgeordnete Rolle. Im Erlass vom Dezember 1954, mit dem das MSW sowie das Komitee für Öffentliche Sicherheit gegründet wurden, wurden internationale Beziehungen mit keinem Wort erwähnt. Erst Anfang der 1970er-Jahre erscheint dieses Thema in den Arbeitsplänen der MSW-Hauptabteilungen – und zwar als letzter Punkt möglicher Mittel zur Verbesserung der operativen Arbeit. Gleichfalls an letzter Stelle wurden in den offiziellen Dokumenten die Kontakte mit dem MfS angesprochen, wenn sie überhaupt aufgeführt wurden.135 Ähnliche, durch die Propaganda bedingte Formulierungen mit einer entsprechend marginalen Platzierung der DDR häuften sich auch in den internen Richtlinien des polnischen Geheimdienstes,136 die allerdings kaum mit der formalen Stellung 133  Alle Verträge zit. nach: 20 Jahre DDR. 20 Jahre deutsche Politik. Berlin 1969, S. 191 u. 519. 134  Tantzscher: Die verlängerte Mauer, S. 56. 135  Mirosław Biełaszko (Bearb.): Plany Pracy departamentu IV MSW na lata 1972–1979. Warszawa 2007, S. 13. 136  Paweł Piotrowski: Formy działalności operacyjnej wywiadu cywilnego PRL. Instrukcja o pracy wywiadowczej Departamentu I MSW z 1972 r. In: Aparat represji w Polsce Ludowej 1 (2007), S. 316–342, hier 325.

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der internationalen Beziehungen beim MfS zu vergleichen waren. Zwar sagte weder das erste MfS-Gesetz vom Februar 1950 noch die erste SfS-Satzung vom Oktober 1953 etwas über die internationale Zusammenarbeit aus.137 Aber bereits das Statut vom Juli 1969 bestätigt, dass es eines der wichtigsten Ziele des MfS war, jegliche Aktivitäten des »Feindes« gegen die DDR, aber auch gegen die übrigen sozialistischen Länder zu verhindern. Paragraf 6 dieses Statuts stellt auch deutlich fest, dass das MfS »auf der Grundlage internationaler Verträge und Vereinbarungen im Kampf gegen den gemeinsamen imperialistischen Feind mit den Sicherheitsorganen sozialistischer Staaten zusammenwirkt«. Ein ähnlicher Paragraf ist in den polnischen MSW-Unterlagen kaum zu finden, ebenso wenig wie die in den internen Geschichtsbüchern des MfS verbreitete Feststellung, dass jene Kooperation eine der bedeutendsten Aufgaben des SfS sein sollte.138 Im Vergleich etwa mit den Kontakten zum KGB wirkte die vom MfS geplante Zusammenarbeit mit den polnischen Sicherheitsdiensten mehr als bescheiden und das nicht etwa, weil die Rolle der Sowjetunion eine gleichberechtigte Behandlung aller Parteien ausgeschlossen hätte. Diese Situation lag darin begründet, dass jene Zusammenarbeit nur einen Bruchteil der Gesamterwartungen darstellte, die die Stasi gegenüber allen anderen osteuropäischen Geheimdiensten formulierte und Polen an das Ende der entsprechenden Prioritätenliste gesetzt wurde.139 Am bedeutendsten ist jedoch, dass sich diese Grundsätze weder auf die vor ihrer Formulierung durchgeführten Unternehmungen bezogen noch auf die Projekte, die nach deren Vorbereitung durchgeführt wurden. Die Grundsätze waren vielmehr Wünsche, deren Realisierung vom guten Willen des jeweiligen Partnerdienstes abhängig war. Das MfS erwartete regelmäßige Konsultationen, einen Erfahrungsaustausch über die Arbeitsweise der gegnerischen Spionageabwehr, den Austausch von Informationen über vorhandene operative Möglichkeiten sowie über interessante »Objekte« in der BRD. Des Weiteren erwartete man Hilfe bei der Bildung von Legenden und entsprechenden »Dokumenten« sowie bei der Entwicklung operativer Techniken.140 Warum wurden die Grundsätze so allgemein formuliert? Sie sind diplomatisch genug, um keine Kontroversen hervorzurufen. Andererseits muss ihr Verfasser ziemlich naiv gewesen sein, da er Informationen erwartete, die kein anderer Sicherheitsdienst ohne entsprechende Gegenleistungen einem erst seit einigen 137  Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 61. 138  MfS, Juristische Hochschule Potsdam: Studienmaterial zur Geschichte des MfS, Teil III. Potsdam 1980, S. 20. 139  Bernhard Marquardt: Die Kooperation des MfS mit dem KGB und anderen Geheimdiensten. In: Materialien der Enquete-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit«. Deutscher Bundestag (Hg.), Bd. VIII/2. Baden-Baden 1999, S. 1966–2007, hier 1973. 140  Tytus Jaskułowski: Przyjaźń, której nie było. Ministerstwo Bezpieczeństwa Państwowego NRD wobec MSW 1974–1990. Warszawa 2014, S. 69.

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Jahren existierenden Geheimdienst übermittelt hätte. Wichtig ist auch die Tatsache, dass die wahren Verantwortlichen des MfS nicht in Ostberlin, sondern in Moskau residierten und daher die Frage der Kooperation mit dem MSW zunächst mit dem KGB beratschlagten und im März 1956 um Anweisungen baten.141 Die Antwort war eindeutig: Man sollte und musste zusammenarbeiten. Da die sowjetische Seite jedoch bereits von Vertretern der Stasi über das Desinteresse des MSW informiert worden war, war die Zurückhaltung der polnischen und ostdeutschen Sicherheitsdienste während der folgenden Kontakte unvermeidbar. Die MfS-Spitze musste begreifen, dass allein die Zugehörigkeit zu ein und demselben politischen Bündnis keinesfalls bedeutete, dass alle sozialistischen Staaten dieselben Interessen verfolgten. Zwar wurden den polnischen »Freunden«142 weitreichende Hilfen zumindest angeboten, immer öfter wurden sie jedoch zu Konkurrenten. Deshalb war die Bezeichnung »Freunde« ab 1970 dem KGB vorbehalten und wurde nicht mehr in Bezug auf das MSW verwendet. Die polnischen Sicherheitsdienste hingegen, egal ob als Freunde bezeichnet oder nicht, änderten kaum ihre Haltung gegenüber dem MfS. Sie war geprägt von Zynismus und Misstrauen. Außerdem waren die internen personellen und institu­tionellen Probleme der polnischen Sicherheitsdienste zu groß, um die Arbeit an ihrer Überwindung zugunsten externer Kooperationen zu vernachlässigen. Davon hauptsächlich betroffen waren die für Spionageabwehr auf der BRD-Linie zuständigen Einheiten,143 was zwangsläufig auch die Beziehungen mit dem MfS beeinflussen musste. Kontakte auf der ministeriellen Ebene Die erste Ebene, auf der sich die zukünftigen Probleme des gegenseitigen Verhältnisses abzeichnen mussten, waren die Kontakte zwischen den ranghöchsten Geheimdienstlern beider Staaten. Zwei Elemente können dabei besonders hervorgehoben werden: die Art und Weise, wie entsprechende Besuche vorbereitet wurden sowie deren Themen. Zwar wurde die Organisation der Treffen, etwa der Logistik, im Laufe der Zeit professioneller, aber die Wahl der Gesprächsthemen blieb weiterhin eine recht freie Mischung operativ-technischer und rein ideologischer Angelegenheiten. Letztere gewannen zunehmend an Gewicht und hatten insbesondere ab 1970 Vorrang gegenüber der Besprechung konkreter Gegenwartsprobleme. 141  George Bailey, Sergej Kondraschow, David Murphy: Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin. Berlin 2000, S. 351. 142  Ablauf des Besuches der polnischen Freunde; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 409, S. 171. 143  Einige polnische Forscher bezeichnen die Gesamtsituation der polnischen Spionageabwehr bis zum Jahr 1954 als »turbulente Stabilisierung«. Pleskot: Tarcza, S. 21.

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Die ersten Besuche waren von Chaos geprägt. Beide Geheimdienste legten zwar die Terminkalender ihrer Verantwortlichen in Abstimmung mit den jeweiligen Politbüros fest, dennoch kam es vor, dass der Gastgeber nicht über den Besuch informiert war. So im Fall des Besuches des Direktors und des stellvertretenden Direktors des sogenannten X. Departments des MBP in Berlin im Dezember 1953. Dieses Department war für die Verfolgung der »Gegner«, auch innerhalb der Parteispitze, zuständig. Trotz der Ankündigung dieses Besuches erfuhr Mielke erst nach der Ankunft der polnischen Delegation in der DDR davon. Ein »geplantes« Treffen mit ihm wurde ad hoc organisiert. Eine Übernachtung mussten sich die polnischen Funktionäre selbst suchen. Gesprächsmaterialien waren nicht vorbereitet worden und mussten parallel zu den Konsultationen angefertigt werden, obwohl nicht alle Polen die lingua franca der sozialistischen Geheimdienste, d. h. das Russische, beherrschten.144 Am interessantesten ist jedoch das Thema des »geplanten« Treffens. Das MBP ersuchte die Hilfe Mielkes bei der Auffindung einer Journalistin von »Radio Free Europe«, die vom MBP angeblich umgebracht werden sollte.145 Größerer Dilettantismus seitens der Bittsteller ist kaum vorstellbar, umso weniger, als eines der Delegationsmitglieder, Oberst Światło, die Gelegenheit nutzte, um in den Westen zu fliehen. Auch wenn einige ehemalige polnische Geheimdienstler behaupten, die Flucht Światłos sei Teil einer anderen Operation gewesen,146 ändert dies nichts daran, dass man nicht selten auch die DDR-Besuche der höchsten politischen Vertreter der VRP äußerst lax vorbereitete, wie etwa den Staatsbesuch Bolesław Bieruts.147 Die Stasi wies in ihren Analysen dieser Besuche bereits 1951 darauf hin, dass es ständig zu unerwünschten Vorkommnissen kam, die typisch für sozialistische Staaten waren: Das »spontan« zusammengekommene Publikum wurde nicht rechtzeitig darüber informiert, wen es in der DDR begrüßen sollte, oder es kam zu solch unvermeidbaren Vorfällen, wie etwa, dass die Menge an die Leiden der Vertriebenen erinnerte. Dies geschah, obwohl beide Sicherheitsdienste regelmäßig und nicht nur in Momenten politischer Turbulenzen Analysen der öffentlichen Wahrnehmung des Nachbarlandes durchführten.148 Gewichtiger war die Feststellung, dass der Besuch ohne ein Programm durchgeführt wurde oder solch grundlegende protokollarische Elemente wie die offizielle Begrüßung der Gäste fehlten und damit Dinge, für die die Gastgeber zuständig waren.149 Eine Folge 144  Paczkowski: Trzy twarze, S. 172. 145  Paweł Machcewicz: »Monachijska Menażeria«. Walka z Radiem Wolna Europa 1950– 1989. Warszawa 2007, S. 105; Ryszard Terlecki (Hg.): Aparat bezpieczeństwa wobec emigracji politycznej i polonii. Warszawa 2005, S. 32. 146  Henryk Piecuch: Józef podpułkownik Światło in flagranti. Warszawa 2003, S. 232. 147  Staats- und Parteichef in der VRP 1944–1956. 148  Vgl. auch die Meldungen über die Lage in Berlin im Juni 1953; IPN Wr 053/456. 149  MfS, BV Thüringen an HA VI, Schreiben vom 26.4.1951; BStU, MfS, AS Nr. 225/66, S. 119.

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war, dass die Abteilung X des MfS die Vorbereitung nicht nur der Besuche des Innenministeriums, sondern aller geheimdienstlichen Delegationen übernahm.150 Bis zur zweiten Hälfte der 1960er-Jahre musste außerdem die polnische Aufklärungsresidentur in Ostberlin Beschwerden des MfS über die vermeintlich mangelhafte Organisation der geplanten Treffen entgegennehmen: Die den polnischen Sicherheitsdiensten mitgeteilten Decknamen der Stasi-Funktionäre waren den polnischen Grenztruppen nicht bekannt. Kontaktnummern der Verbindungsoffiziere existierten nicht. Die Warschauer Zentrale wurde oftmals nicht über die geplanten Besuche der MfS-Mitarbeiter informiert.151 Alle Besuche waren relativ kurz und dauerten maximal zwei bis drei Tage. Die übliche Delegation war nicht größer als vier Personen.152 Bis 1961 verzichtete man darauf, während der Begegnungen zu viele ideologische Akzente zu setzen, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Parteiprotokollen. Man beschränkte sich zu Beginn auf einige gängige Formulierungen, wie etwa die Feststellung, der Hauptfeind beider Staaten sei die »Organisation Gehlen«, der Vorgänger des BND, um dann konkrete Themen zu besprechen. Sollte es unmittelbar vor dem Besuch zu einem politisch relevanten Ereignis kommen, wie das in der VRP oft der Fall war, begannen die Gespräche mit entsprechenden Lageeinschätzungen. Zwar verwies man dabei üblicherweise auf die »reaktionären Kräfte«, die diese Unruhen in Polen angestiftet haben sollen, gestand aber auch Niederlagen und Probleme innerhalb des eigenen Ressorts ein. Über die Fehler im MSW diskutierten auch die Vertreter des MfS gerne. Allerdings boten sie gleichzeitig Hilfe an und analysierten die Situation in der VRP durchaus mit diplomatischem Taktgefühl.153 Interessanterweise wurde nicht nur im Rahmen der offiziellen Begegnungen, sondern auch intern, zum Beispiel am Rande dienstlicher MfSBesprechungen, ebenso diplomatisch und ohne die spätere Arroganz über das MSW gesprochen.154 Diese Schonzeit war Mitte der 1960er-Jahre infolge parteipolitischer Auseinandersetzungen in den bilateralen Beziehungen vorbei. Immer öfter formulierte man auf Ministerialebene auch scharfe politische Vorwürfe gegenüber der VRP, auch weil man es in der Propaganda der sozialistischen Staaten vermied, die »Verbündeten« öffentlich zu kritisieren.155 Signalwirkung besaßen die 1967 150  Bspw. KD Weimar, Einsatzplan. Absicherung der Militärdelegation aus der VR Polen bei ihrem Besuch in Weimar am 31.3.1963; BStU, MfS, BV Erfurt, BdL Nr. 1112, S. 11. 151  Vgl. bspw. die Beschwerde, die am 25.10.1965 nach Warschau überstellt wurde. IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 111. 152  Beratungsprotokoll vom 15.–19. Februar 1965; BStU, MfS, Abt. X Nr. 105, S. 1. 153  Górny; Hartwich: Polska Niemcy Wschodnie 1945–1990, Bd. 3, S. 359. 154  Protokoll über die Dienstbesprechung vom 7.1.1957; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4848, S. 2. 155  Włodzimierz Borodziej: Moskiewska kuchnia polskiej polityki zagranicznej: Rok 1972. In: Włodzimierz Borodziej, Jerzy Kochanowski (Hg.): Kuchnia władzy. Księga pamiątkowa z okazji 70. Rocznicy urodzin Andrzeja Garlickiego. Warszawa 2005, S. 65.

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geführten Unterredungen zwischen Mielke und Moczar,156 dem damaligen polnischen Innenminister. Erstgenannter drückte die Unzufriedenheit der DDR über die Versuche der VRP aus, ihre Kontakte mit der BRD neu zu gestalten. Aus DDR-Sicht stellte jeder Versuch, eine von Ostdeutschland unabhängige Deutschlandpolitik zu führen, eine Gefahr dar. Nach Einschätzung Mielkes bedeutete sogar der mögliche Einzug der SPD in die Bonner Regierung eine Stärkung der Feinde des Sozialismus in Westdeutschland.157 Unter den vielen Instrumenten griff der Leiter des MfS auch zu Manipulation, um den Gesprächspartner zu beeinflussen. In den Gesprächsmaterialien verwendete er sehr oft Passagen aus den Reden Gomułkas. Der polnische 1. Parteisekretär, Initiator dieser Normalisierungsbestrebungen, stand im langjährigen Konflikt mit Ulbricht.158 Mielke nutzte die Redepassagen derart aus dem Kontext gerissen, dass sie als Zustimmung Gomułkas zur DDR-Politik interpretiert werden konnten.159 Noch wichtiger waren die von der HV A in der Bundesrepublik gesammelten und der MfS-Spitze übergebenen Sammlungen inoffizieller Aussagen polnischer Politiker und Journalisten.160 Die ostdeutschen Sicherheitsorgane ließen keine Zweifel: Die VRP wurde nur als Hindernis für die Außenpolitik der DDR wahrgenommen. Genauso wurde die DDR von den polnischen Sicherheitsdiensten dargestellt. Im Arbeitsplan jedes im Ausland tätigen hauptamtlichen Mitarbeiters des Ersten Departments des MSW fand sich die Richtlinie, alle Informationen über die deutsch-deutsche Annäherung zu sammeln, die als größte Bedrohung der Souveränität der VRP definiert wurde. Die Ideologisierung der Beziehungen auf höchster Ebene wurde durch die Ereignisse in Polen im Dezember 1970 verstärkt. Die gegenwärtige MSW-Forschung bestätigt, dass es das auf die Ereignisse folgende Organisationschaos im MSW und keine politische Absicht expressis verbis war, die dazu führte, dass das MfS nicht bzw. zu spät über die Lage in Polen informiert wurde.161 Die Reaktion Mielkes, der in Gesprächen mit dem polnischen MSW seine Entrüstung darüber nicht verbarg, vermeintlich durch das westdeutsche Radio von den Vorfällen in Danzig erfahren zu müssen, bildete das symbolische Ende des Vertrauens des MfS zum MSW.162 Ebenso symbolisch war, wie sich dadurch auch die Begegnungen zwischen den übrigen Ebenen wandelten und seit 1970 zu einer 156  BStU, MfS, Abt. X Nr. 1989, S. 1. 157  Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft, S. 12. 158  Vgl. Robert Skobelski: Polityka PRL wobec państw socjalistycznych w latach 1956–1970. Współpraca-napięcia-konflikty. Poznań 2010, S. 339. 159  Interne Hinweise über Äußerungen führender polnischer politischer Kreise zum Verhältnis VR Polen – Westdeutschland (für Gespräch des Gen. Minister mit führenden Vertretern der polnischen Sicherheitsorgane am 3.6.1970); BStU, MfS, ZAIG Nr. 5434, S. 2. 160  Information über einige Aspekte der Außenpolitik der Volksrepublik Polen; BStU, MfS, HV A Nr. 158, S. 45. 161  Terlecki: Miecz i tarcza, S. 200. 162  Tantzscher: Wir fangen an, S. 96.

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Art Stasi-Propaganda-Veranstaltung wurden, auf der den polnischen Partnern die SED-typische Weltanschauung präsentiert wurde. Die Treffen der Minister erinnerten zunehmend an Sitzungen des Zentralkomitees der kommunistischen Parteien, während deren 70-seitige Referate vorgelesen wurden.163 Konkrete Sachverhalte wurden nur angesprochen, um die vermeintlich ideologisch richtige Haltung des MfS sowie die Vorwürfe gegenüber den polnischen Behörden zu belegen. Am stärksten wurde die als Naivität bezeichnete Idee Polens kritisiert, eigene diplomatische Beziehungen mit der BRD aufzunehmen. In den Unterlagen Mielkes für das Gespräch mit den Vertretern des MSW im August 1971 wird die Frage des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus als deutlich wichtiger betrachtet als die Angelegenheit »unserer tschekistischen Arbeit«.164 Was beinhaltete eine typische Rede eines MfS-Spitzenfunktionärs? Vor allem Allgemeinplätze wie etwa die Feststellung, dass die Berliner Mauer zum Schutze des Sozialismus gebaut worden sei und dass der »Feind« sich nie mit ihrer Errichtung abfinden werde.165 Darauf folgten Vorwürfe oder sogar Drohungen. Wie bereits gesagt, wurden diese in den 1960er-Jahren noch verhältnismäßig verschleiert formuliert. Beispielsweise warf man dem polnischen Geheimdienst vor, dass die »nationale Autonomie« – eine deutliche Anspielung auf die Politik Gomułkas – lediglich die Zersplitterung der sozialistischen Gemeinschaft zum Ziel habe und, verständlicherweise, aus westdeutscher Inspiration erwachsen sei. Als Beweis führte man eine Vielzahl umstrittener Informationen an, etwa darüber, wann die BRD in der Lage sein würde, eine Atombombe herzustellen.166 Ab 1970 wurde die Sprache der MfS-Funktionäre aggressiver. Nicht nur Westdeutschland, sondern die VRP selbst wurde beschuldigt, den Sozialismus zu zerstören, indem sie auf die Brandt'sche Ostpolitik einging und 1970 das Normalisierungsabkommen unterzeichnete. Die Wahrnehmung Westdeutschlands in der VRP bewertete die Stasi als »illusionär«. Dieser Feststellung folgte Mielkes lange Auflistung polnischer Politiker und Institutionen, die diese Wahrnehmung angeblich verbreiteten. Schließlich beendete er seine Ausführungen mit der Frage, ob das MSW sich des Ernstes der Lage bewusst sei, ob es seine Bürger in der BRD entsprechend überwache und ob eine entsprechende Kooperation mit der Stasi infrage käme.167 Die positiven bzw. neutralen Antworten der polnischen Funktionäre auf die o. g. Fragen waren nichts anderes als Ausdruck ihres Zynismus bzw. der bereits mit den Vorgesetzten abgestimmten Taktik. In der Tat waren beide Seiten nicht 163  Z. B. Hinweise zur Einschätzung der Lage und zur Feindtätigkeit gegen die DDR und die anderen sozialistischen Länder (Polen-Reise, Februar 1965); BStU, MfS, ZAIG Nr. 5432, S. 1. 164  Konzeption (Thesen) für Gespräche des Genossen Minister mit führenden Vertretern der polnischen SO (August 1971); BStU, MfS, ZAIG Nr. 5435, S. 1. 165  März 1967, Hinweise zur politisch-operativen Lage (für Verhandlungen mit Sicherheitsorganen der VR Polen); BStU, MfS, ZAIG Nr. 5433, S. 2. 166  Hinweise zur Einschätzung der Lage: BStU, MfS, ZAIG Nr. 5432, S. 12. 167  Jaskułowski: Przyjaźń, S. 64.

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damit zufrieden, was sie zu hören bekommen hatten. Das MSW hatte feststellen müssen, dass das MfS die Kontakte polnischer Politiker und Wirtschaftsvertreter mit der BRD überwachte, die oft im Auftrag der polnischen Sicherheitsdienste aufgenommen worden waren, ohne die Stasi darüber zu informieren, da diese meist eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Westdeutschland betrafen. Außerdem musste der Sinn solcher Treffen infrage gestellt werden, wenn Mielke in seinem 50-seitigen Referat nur drei Mal eine konkrete Zusammenarbeit ansprach. Umso mehr, da die während der Gespräche seitens des MfS übermittelten operativen Informationen sogar einem Laien lächerlich erscheinen mussten. So etwa Mielkes Behauptung aus den 1960er-Jahren, dass der BND für seine Arbeit Personen nutze, die regelmäßig nach Polen reisten. Eine Tatsache, die dem polnischen Geheimdienst bereits seit 15 Jahren bekannt war. Weniger grotesk und dafür problematischer für das MSW waren die internen Befehle Mielkes, die er infolge der Dezember-Unruhen 1970 in Polen erließ.168 Der Leiter der Stasi verlangte die verstärkte Überwachung der Staatsgrenze, ein Reiseverbot für die eigenen Bürger und einen erhöhten IM-Einsatz in Bezug auf Polen. Alle Bürger der VRP, die sich in der DDR aufhielten, sollten heimlich überwacht und registriert werden, ebenso wie die eigenen Bürger, die trotz der Beschränkungen aus dienstlichen Gründen nach Polen fahren mussten.169 Gerade aus diesem Grund konzentrierten sich die allgemeinen bilateralen Kontakte bis 1974 auf die mit dem Bürgertransfer verbundenen Fragen, wie etwa die Grenzkontrollen, die Einführung des visafreien Verkehrs sowie die Überwachung der in der DDR tätigen polnischen Zeitarbeiter. Sahen die Fachgespräche, die nicht auf der Ministerialebene geführt wurden, anders aus als die Begegnungen Mielkes mit seinen polnischen Pendants? Teilweise schon, obwohl auch sie von den für die osteuropäischen Geheimdienste typischen Eigenarten geprägt waren. So bestand insbesondere die Tendenz, alles zentral überwachen zu wollen, über alles auf möglichst hoher Ebene zu entscheiden und dabei keine Prioritäten zwischen allgemeinen Angelegenheiten und Details festzulegen. Die Ideologie als solche stand dabei jedoch nicht unbedingt im Mittelpunkt. Die Vertreter der Spionageabwehr waren beispielsweise auf der Ebene der ausführenden Organe noch im Jahre 1955 in der Lage, grundlegende Interessen zu bestimmen, ohne sich in Details und parteipolitischer Rhetorik zu verlieren. Nur ein Jahr später jedoch konnte selbst eine Einreisegenehmigung für MfS-Mitarbeiter zur Messe in Posen170 nicht ohne ein Treffen der Minister erteilt

168  Leiter der BV für Staatssicherheit Erfurt, Schreiben vom 20.12.1970; BStU, MfS, BV Erfurt, BdL Nr. 1310, S. 10. 169  Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Politisch-operative Maßnahmen zur Durchsetzung der Weisung des Leiters der BV auf den Linien XVIII, XIX und XX im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in der VRP; BStU, MfS, BV Chemnitz, Abt. XX Nr. 3909, S. 6. 170  Górny; Hartwich: Polska Niemcy Wschodnie 1945–1990, Bd. 3, S. 360.

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werden. Die Stasi forderte kontinuierlich eine Fortsetzung derartiger Treffen.171 Dies hatte zur Folge, dass die zuständigen Minister sich mit Angelegenheiten beschäftigen mussten, die ebenso gut die Leiter der jeweiligen Fachabteilungen hätten klären können, wie etwa die Zusage, einen abhörsicheren Telefonanschluss in der polnischen Botschaft in Ostberlin zu installieren. Dies musste bereits in den 1960er-Jahren zwangsläufig in eine Lähmung des bürokratischen Apparates münden. Infolgedessen wurden endlich Prioritäten und interne Zuständigkeiten definiert und beide Sicherheitsminister entschieden von nun an nur noch über Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung. Sie erteilten Vollmachten, entsandten und empfingen die ranghöchsten Delegationen und entschieden über die Inhaftierung von Bürgern des Nachbarlandes. Alle übrigen Angelegenheiten fielen in den Zuständigkeitsbereich der Abteilung X des MfS sowie der »polnischen Gruppe« in der DDR.172 Zwischengeheimdienstliche Vereinbarungen über die Zusammenarbeit Die erste Vereinbarung schlossen die beiden Ressorts am 22. Juni 1955. Ihre Bestimmungen waren vage formuliert; beide Parteien verpflichteten sich lediglich dazu, gemeinsam die »feindlichen Zentren« im Westen zu bekämpfen. Dennoch sollten sich die jeweiligen Abteilungen bzw. Departments in Zukunft auf diese Vereinbarung beziehen, wenn konkrete, sachorientierte Kooperationen beantragt wurden.173 Da die Tendenz stieg, alle Aspekte der Zusammenarbeit so weit wie möglich durch die Ministeriumsleitung zu kontrollieren, mussten neue, umfangreichere Vereinbarungen geschlossen werden. Diese stellten nach wie vor keine völkerrechtlichen Verträge dar. Die Präzision ihrer Feststellungen hingegen wuchs deutlich. Die ebenso gestiegene Anzahl der Paragrafen dagegen zeugte nicht unbedingt von den Kooperationsabsichten der beiden Ministerien, sondern spiegelte vielmehr ihren Zynismus wider. Die Rede ist hier einerseits von den Vereinbarungen, die während der Ministergespräche am 25. April 1958174 über die Zusammenarbeit der Auslandsaufklärung und der Abwehr getroffen wurden und die die Vereinbarung vom Juni 1955 ersetzten sowie von dem Protokoll, das am 19. Februar 1965 erstellt wurde.175 171  Auszug aus dem Gesprächsprotokoll zwischen den Delegationen des MfS und dem MSW [15.–19.2.1965]; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 108. 172  Beratungsprotokoll vom 15.–19. Februar 1965; BStU, MfS, Abt. X Nr. 105, S. 1. 173  Vgl. die interne Korrespondenz aus dem Jahr 1956: IPN BU 01062/43, Bd. 7, S. 30. Das Protokoll über die Vereinbarung vom 22.6.1955 in deutscher und polnischer Sprache ist vorhanden in: IPN BU 1583/161, Bl. 1–17. 174  Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit zwischen dem MfS und dem MSW auf dem Gebiet der Aufklärung und der Abwehr (25.4.1958); BStU, MfS, Abt. X Nr. 1775. 175  Beratungsprotokoll vom 15.–19. Februar 1965; BStU, MfS, Abt. X Nr. 105.

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In den wichtigsten Fragen schienen das MfS und das MSW überraschenderweise sehr kompromissbereit zu sein. So wurde im Bereich der Aufklärung ein umfassender Informationsaustausch vorgesehen und die Forderung aufgestellt, dass kein Ministerium die bereits erledigte Arbeit des jeweils anderen wiederholen solle. Die polnische Seite unterließ ab 1965 beispielsweise jegliche Spionage­ tätigkeiten im Bereich des Bundeskanzleramts. Im Gegenzug sollte das MfS dem MSW alle Informationen über feindliche Schritte der westdeutschen Regierung gegen die VRP übergeben. Zwar sollten Informationen über die erwähnten Institutionen ohne Beschränkungen ausgetauscht werden, allerdings nur, wenn einer der jeweiligen Sicherheitsdienste eine entsprechende Anfrage stellte. Beide Aufklärungsdienste beabsichtigten auch, gemeinsam das westdeutsche Auswärtige Amt und dessen Auslandsvertretungen zu infiltrieren, insbesondere in den Staaten, in denen nur Polen über eine diplomatische Vertretung verfügte. Gegenseitige Hilfsleistungen waren auch bei der Überwachung der westdeutschen Parteien sowie der deutschen Minderheit im Ausland vorgesehen. Insbesondere war man hierbei an Material interessiert, das zum Nachweis einer NS-Vergangenheit führender Persönlichkeiten dienen könnte. Des Weiteren wollte man gemeinsam versuchen, die Arbeitsmethoden der amerikanischen und westdeutschen Sicherheitsbehörden in Erfahrung zu bringen und einander umfangreiche Informationen über »Radio Free Europe«, die katholische Kirche und andere Religionsgemeinschaften, wie etwa die Zeugen Jehovas, sowie über den Bund der Vertriebenen übermitteln. Bei Operationen gegen alle o. g. Einrichtungen war die Möglichkeit vorgesehen, nach Bedarf auch den Partnerdienst mit gewissen Aufgaben/Dienstleistungen zu beauftragen. Eventuelle gemeinsame Operationen im Bereich der Auslandsaufklärung mussten jedoch von besonderem operativen und politischen Interesse sein, um bewilligt zu werden.176 Die allgemeinen Bestimmungen wurden durch Abstimmungen über rein alltägliche Routinehandlungen ergänzt. Beide Ministerien sollten sich automatisch über Studenten informieren, die im Ausland studieren wollten, über akademische Vereine und Organisationen, die vermeintlich zur Anwerbung westlicher Agenten benutzt wurden177 sowie über sogenannte Republikflüchtlinge und alle Transitreisenden. Des Weiteren wurde uneingeschränkte Unterstützung beim Zugang zu den Archivbeständen des Dritten Reiches garantiert, und schließlich verständigte man sich darüber, sich beim Einkauf von Geräten und gegebenenfalls bei der Beschaffung von Ersatzteilen – vor allen den in Westdeutschland erhältlichen – zu helfen. Wie äußerten sich in den Protokollen Zynismus und Kalkül zwischen den Diensten? Zunächst ermöglichte es die Vereinbarung von 1955 dem MSW, DDR176  Jaskułowski: Przyjaźń, S. 66. 177  Vgl. ebenso MfS an MSW, Schreiben vom 31.7.1967. Information über die feindliche Tätigkeit gegen ausländische Studierende; IPN BU 01062/43, Bd. 3, S. 54.

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Staatsbürger als inoffizielle Mitarbeiter anzuwerben.178 Dem MfS dagegen blieb dies gegenüber den Bürgern der VRP verwehrt. Entsprechende Änderungen, die 1958 vorgenommen wurden, gestalteten sich aus Sicht der Stasi nicht viel günstiger und beschränkten sich zudem auf die Auslandsaufklärung. Das MSW musste sich zwar nun mit dem MfS über den Einsatz von DDR-Bürgern für die eigenen operativen Zwecke »verständigen«, von einer Anwerbung polnischer Bürger war aber weiterhin keine Rede. Darüber hinaus waren die polnischen IM-Netze in Westberlin und Westdeutschland aus diesen Vereinbarungen zur Informationspflicht herausgenommen und schließlich war die Übernahme eines IM nur dann möglich, wenn dieser alleine tätig sein würde und in kein Netzwerk eingebunden werden würde.179 Des Weiteren wollten beide Ministerien so viele Informationen wie möglich vom Partnerdienst bekommen, ohne selbst im Gegenzug Informatio­ nen zu übermitteln oder aber definieren zu müssen, wann es zur Übermittlung dieser kommen würde. In den Protokollen finden sich sehr oft Anmerkungen, dass zu gegebenem Thema vorhandene Materialien dem Partner »schnellstmöglich« übermittelt werden oder dass der Informationsaustausch »periodisch« stattfinden soll – ohne eine weitere Spezifizierung des Zeitraumes. Wurden die Unterlagen, Berichte, Informationen usw. tatsächlich überstellt, geschah dies unter dem Vorbehalt, dass deren Veröffentlichung nur mit Zustimmung des übermittelnden Ministeriums möglich war. In Bezug auf die für das MSW bedeutendsten Opera­ tionen, wie etwa gegen »Radio Free Europe«,180 war das MfS der Ansicht, dem MSW nur im »Rahmen der Möglichkeiten« helfen zu können. Konkrete Aufträge sollten ebenfalls »periodisch« angenommen werden, wobei der Auftraggeber die vollen Kosten trug und keine Informationen über die Vorgehensweise sowie über die eingesetzten Mitarbeiter erhielt. Schließlich musste der Auftraggeber zusichern, dass diese Verschwiegenheit auch bei der Verwertung der Ergebnisse gewährleistet war. Da dies aber der Nutzung zu Propagandazwecken widersprach, an der das MSW gerade hinsichtlich »Radio Free Europe« sehr interessiert war, konnte es die Bedingungen des MfS nicht nur aus finanziellen Gründen kaum akzeptieren. Voraussetzung für eine operative Zusammenarbeit war, dass diese nur in begründeten Fällen aufgenommen werden konnte und auch nur, wenn beide Sicherheitsdienste über ein ähnliches Ausgangsmaterial verfügten. Unpräzise Vorschriften waren in der Tat ein Problem im bilateralen Verhältnis der beiden Sicherheitsdienste. Allerdings scheint deren Umsetzung ebenso wichtig 178  Borodziej: Ministerstwo Bezpieczeństwa, S. 112. 179  Vgl. Punkt 15 der Vereinbarung von 1958. 180  Indizien dafür, warum das der Fall war, liefern die Dokumente über die Zusammenarbeit des MfS mit dem KGB. Der sowjetische Geheimdienst hatte beim »Radio Free Europe« eigene langjährige Agenten, etwa Oleg Tumanow, die geschützt werden mussten. Die Informationen der Stasi über den Sender wurden also zuerst an den KGB geschickt und erst mit der sowjetischen und nicht polnischen Zustimmung bereitete man eine gemeinsame Operation vor, etwa nach der Rückkehr Tumanows in die UdSSR. BStU, MfS, ZMA Nr. 914, S. 39.

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für die Analyse des geheimdienstlichen Alltags zwischen der DDR und der VRP zu sein. Dieser liefert den Beweis dafür, dass das gegenseitige Misstrauen eine Tatsache und nicht nur eine subjektive Interpretation der bilateralen Vereinbarungen ist. Bereits die ersten internen Richtlinien des MSW vom 28. März 1955 zeigen, wie die lokalen Abteilungen darin beschränkt wurden, selbstständig eine Zusammenarbeit mit den »Bruderorganen« zu initiieren und darüber hinaus beaufsichtigt wurden. Derartige Begegnungen durften ausschließlich nach vorheriger Genehmigung durch die Warschauer Zentrale stattfinden. Entsprechende Anträge mussten schriftlich unter Angabe einer sachlichen Begründung eingereicht werden. Außerdem mussten als Anlage alle Dokumente angefügt werden, die der »anderen Seite« übergeben werden sollten sowie eine Zusammenfassung dessen, was mündlich vorgetragen werden würde. Sollte einer Begegnung zugestimmt werden, musste sie von einem Funktionär geleitet werden, der mindestens als Abteilungsleiter tätig war. Letztendlich sollte der Zentrale innerhalb von 72 Stunden nach dem Treffen Bericht erstattet werden.181 Die alltäglichen Kontakte der Geheimdienste auf Grundlage der erwähnten Richtlinien gestalteten sich wie folgt: Je politisch brisanter das bilaterale Thema war, desto misstrauischer agierte das MSW gegenüber dem MfS. Dabei erwies sich auch die bereits beschriebene unterschiedliche Arbeitskultur als problematisch für das gegenseitige Verständnis. Hinzu kam die Skepsis des MSW gegenüber der zumindest bis in die 1960er-Jahre vorhandenen ehrlichen Bereitschaft der ostdeutschen Behörden, die polnischen »Tschekisten« zu unterstützen. Schließlich konnte eine solche Offenheit auch als Zeichen mangelnder Ausbildung interpretiert werden. 1.3.3 Kooperation und Konflikte 1949 bis 1974 Spionageabwehr und Aufklärung Der wichtigste Bereich, in dem sich die Interessen der beiden Ministerien trafen, war aus verständlichen Gründen die Arbeit gegen Westdeutschland. Der Bevölkerungstransfer nach Westdeutschland sowie die bis 1961 verhältnismäßig durchlässige Grenze zwischen Ost und West machten eine sichere Identitätsprüfung vieler Personen unmöglich und erlaubten es den Geheimdiensten, Agentennetzwerke aufzubauen. Bereits 1946 legte man hierfür drei Vorgehensweisen fest: Entweder man schleuste einen Agenten ein, der eine rein fiktive und aufgrund der Kriegswirren nicht überprüfbare Identität besaß, oder einen, der die Identität einer anderen Person, etwa eines Gefallenen, erhalten hatte oder aber man entsandte einen Agenten, der in der SBZ ausgebildet und danach gezielt in der VRP ange181  Pleskot: Tarcza, S. 254.

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siedelt worden war. Dessen anschließende dramatische »Vertreibung« aus Polen nach Westdeutschland ließ ihn in der Rolle des Opfers glaubwürdiger erscheinen und half bei der Ansiedlung und dem Aufbau einer (politischen) Karriere. Die K-5-Einheiten waren, wie bereits erwähnt, auch daran interessiert, unter den in der VRP internierten deutschen Kriegsgefangenen potenzielle Agenten bzw. Mitarbeiter für andere Einrichtungen zu finden. Zwar schien bei diesem Vorgehen eine durchaus enge Interessengemeinschaft zwischen der VRP und der DDR zu existieren, gleichzeitig bildete diese Zusammenarbeit aber auch den Ursprung zukünftiger Konflikte.182 Der polnische Geheimdienst wollte den Partner aufgrund der eigenen, vorrangig behandelten Aktivitäten nicht restlos unterstützen.183 Die daraus resultierende Zurückhaltung hatte starke zeitliche Verzögerungen zur Folge. Zwar sprach man bereits 1946 das erste Mal über solche inszenierten Vertreibungen, allerdings wurden erst im Mai 1956 konkrete Maßnahmen genehmigt.184 So verständigte man sich darüber, wie die üblichen Ausreise- bzw. Aufnahmeverfahren für Flüchtlinge und Rückkehrer aussahen und welche Archivbestände vom Krieg unversehrt geblieben oder zerstört worden waren. Hier waren vor allem Taufregister, Geburtsurkunden sowie entsprechende Blankoformulare aus der Vorkriegszeit von Interesse, da diese bei der Identitätsüberprüfung relevant waren. In der VRP durften ostdeutsche »Operativgruppen« agieren, um geeignete Kandidaten für sich auszuwählen, wobei das polnische Innenministerium 1956 gefragt wurde – durchaus zynisch oder ausgesprochen naiv –, ob es polnische IM innerhalb des sogenannten deutschen »Aussiedlermilieus« gäbe.185 Die Frage wurde zwar positiv beantwortet und man gab Zahl, Personalbewertung sowie den Kontakt zu diesen an, allerdings waren dies nicht die einzigen polnischen »Unterstützungsmaßnahmen«. Alle Gespräche der Zielpersonen mit dem ostdeutschen Geheimdienst durften nur in Anwesenheit eines polnischen Dolmetschers186 stattfinden, der gleichzeitig Mitarbeiter des polnischen Geheimdienstes war. Alle direkten Kontakte der MfS-Mitarbeiter mit der regionalen Abteilung des MBP/MSW, in deren Gebiet die Zielperson wohnte, waren verboten und jegliche Unterlagen über sie, die der DDR übergeben werden sollten, wurden zunächst in der Warschauer Zentrale geprüft. Sollte einer dieser Aussiedler jemals die Aufmerksamkeit der polnischen Sicherheitsdienste erregt haben, wurden die Unterlagen einbehalten und der Operativgruppe nicht übergeben.187 Abgesehen davon, dass die MfS-Mitarbeiter so nur mit den Personen sprechen konnten, die das MSW 182  Siehe Stanisław Jankowiak: Wysiedlenie i repatriacja ludności niemieckiej w polityce władz polskich w latach 1945–1970. Warszawa 2005, S. 229. 183  Sie wurden von Oberst Henryk Sokolak beaufsichtigt. IPN BU 002559/16, S. 26. 184  Schreiben vom 18.5.1956; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 52. 185  MfS an MBP, Schreiben vom 18.5.1956; ebenda, S. 8. 186  Richtlinien über die Hilfe für die ostdeutschen Operativgruppen; ebenda, S. 11. 187  Entsprechende Anweisungen des Direktors des Zweiten Departments (Spionageabwehr) vom 13.10.1956; ebenda, S. 55.

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vorab genehmigt hatte, behielt sich die polnische Seite zudem vor, eine weitere Genehmigung erteilen zu müssen, bevor jemand ausgesiedelt werden konnte.188 Auch bezüglich der Dauer dieser Kooperation gab es unterschiedliche Ansichten. Das MfS ging von zwei Jahren aus und wollte nach der Auswahl eine entsprechende Schulung durchführen. Die polnische Seite beendete diese Aktion jedoch nach sechs Monaten. Die meisten Kandidaten, die das polnische Innenministerium als für die Aussiedlung »tauglich« einstufte, schätzte es gleichzeitig zum Beispiel auf der Grundlage der politischen Ansichten als »unsicher« ein.189 Durch Übergabe dieser Kandidaten an das MfS entledigte man sich potenzieller Probleme. Insgesamt wurden lediglich etwa 20 Personen transferiert. – Erstaunlich wenige verglichen mit den Agentenzahlen der Stasi in der BRD190 sowie den über 600 Personen, die die polnische Aufklärung bis Anfang der 1960er-Jahre ohne Unterstützung des MfS nach Westdeutschland schleuste bzw. in der BRD als Kontakte nutzte.191 Allerdings garantierte die Quantität nicht unbedingt die Qualität der Einsätze in Westdeutschland, worauf in internen polnischen Evaluationen ziemlich oft aufmerksam gemacht wurde, wenn die Arbeit in den 1960ern als »beinahe ergebnislos und primitiv« bezeichnet wurde.192 Die auch in anderen Bereichen aufgestellten Pläne sahen vor, dass man in einem Jahr gemeinsam mindestens zehn bis elf Personen pro sogenannter Linie, also pro Abteilung, bearbeitete.193 Allerdings wurde die Überprüfung einer Geburtsurkunde ebenso in die Statistik eingerechnet wie die Durchführung eines vollständigen operativen Vorgangs, was zu Anfragen seitens der befreundeten Organe führte, die Berichte über die Planerfüllung doch zu verbessern. Auch das MfS sah Probleme mit der Professionalität der polnischen Sicherheitsdienste. Ab Oktober 1956 wies Mielke das polnische Pendant darauf hin, dass die gefälschten Dokumente für die in Westdeutschland tätigen Personen nicht sehr gründlich angefertigt wurden.194 Interessant ist in dieser Hinsicht, dass das MfS selbst um Unterstützung des MBP/MSW bei der Erstellung gefälschter Papiere gebeten hatte. Eine derartige Hilfe hätte jedoch das Fehlen der eigenen techni188  Siehe Dienstnotiz betr. operative Möglichkeiten für MfS zur Anknüpfung von Kontakten und einer Werbung der Personen, die im Rahmen der Übersiedlungsaktion aus Polen versetzt werden sollen, Juni 1956; ebenda, S. 57. 189  Direktor des Zweiten Departments an alle Leiter der Woiwodschaftsämter für öffentliche Sicherheit, August 1956; ebenda, S. 141. 190  Georg Herbstritt: Bundesbürger im Dienst der DDR-Spionage. Eine analytische Studie. Göttingen 2007, S. 70–85. 191  Dienstnotiz über Gesprächsthemen für eine Begegnung mit der Residentur und den Gastgebern [28.6.1966]; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 125. 192  Tadeusz Kopyś: Początki wywiadu zachodnioniemieckiego oraz jego aktywność w Polsce w latach pięćdziesiątych i sześćdziesiątych XX w. In: Aparat represji w Polsce Ludowej 1944–1989 1 (2011), S. 153–175, hier 173. 193  Siehe den Plan für das Jahr 1956; IPN BU 01355/219/CD 1, S. 105. 194  Schreiben vom 10.10.1956; BStU, MfS, Abt. X Nr. 709, S. 1–6.

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schen Fähigkeiten offenbart, was die polnischen Sicherheitsdienste vermeiden wollten. Dies führte auch zu einer erheblichen Verzögerung bei der Zulassung von Recherchen in den ehemaligen NS-Archivbeständen, die sich unter polnischer Kontrolle befanden. Das Material war für beide Geheimdienste von enorm großer Bedeutung, um die vielen in Westdeutschland politisch oder wirtschaftlich aktiven ehemaligen NSDAP- bzw. SS-Mitglieder wirksam unter Druck setzen zu können oder staatsanwaltlich zu verfolgen.195 Auch im Interesse des sowjetischen Geheimdienstes blieben die polnischen Archive für das MfS in den 1950er-Jahren gesperrt. Entsprechende Anfragen wurden daher entweder abgelehnt oder man beschränkte sich auf die Angabe des Dienstgrades der Zielperson und/oder der alten Adresse. Ein Besuch der Archive war erst ab 1960 möglich, allerdings weigerte sich die polnische Seite weiterhin, Originalunterlagen herauszugeben. Darüber hinaus wurden den Stasi-Mitarbeitern nur die allgemein bekannten Archive in den Großstädten zugänglich gemacht. Dennoch war das Ausmaß der kopierten Unterlagen immens. So erhielt die deutsche Seite monatlich circa 12 000 fotokopierte Seiten, vor allem aus SS- und SA-Personalakten.196 Einen weiteren Bereich der Zusammenarbeit zwischen dem MfS und dem MSW bildeten die operativen Maßnahmen gegen die übrigen in Westdeutschland tätigen Geheimdienste. Zumindest bis zur zweiten Hälfte der 1960er-Jahre war die Stasi gegenüber dem polnischen Sicherheitsdienst durchaus loyal, was die Planung und Durchführung entsprechender technischer Vorgänge betraf. Jede Aktivität mit Bezug zu Polen, etwa eine heimliche Hausdurchsuchung oder die Beobachtung eines Polnischstämmigen, wurde erst nach entsprechender Rücksprache mit dem MSW durchgeführt.197 Ebenso verhielt sich die DDR-Aufklärung, wenn sie ad hoc auf polnische inoffizielle Mitarbeiter zurückgreifen wollte. Hierbei legte sie die die jeweilige Operation betreffende interne Korrespondenz oder das vorhandene Material dem MSW offen.198 Sollte eine Operation auf dem Staatsgebiet des jeweiligen Partners durchgeführt werden, musste dieser zuvor informiert und um Genehmigung gebeten werden. Gemeinsam führte man Doppelagenten, die gegen den BND in Polen, Ost- und Westdeutschland eingesetzt wurden.199 Schließlich sollten ein Mal pro Quartal Informationen über die Handlungen der gegnerischen Sicherheitsdienste ausgetauscht werden, die sich gegen die VRP und die DDR richteten.200 195  Siehe z. B. OV »Wartha«. Es handelte sich dabei um SS-Verbrechen in der Nähe von Lublin zwischen 1942 und 1944. IPN BU 0236/183/36. 196  Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 183. 197  Schreiben vom 5. August 1955 (Operation »Sosna« u. »Zibert«); IPN BU 01355/219/CD 1. 198  Es wurde sogar die interne Korrespondenz der DDR-Aufklärung ins Polnische übersetzt und an das MSW weitergegeben. IPN BU 01062/43, Bd. 2, S. 43. 199  Vorgang »Emma«; IPN Ka 02/610, Bd. 1–3. 200  Notiz zum Gesprächsprotokoll mit den MfS-Vertretern vom 10.12.1959; IPN BU 01062/ 43, Bd. 8, S. 114.

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Hauptschauplatz des gemeinsamen Vorgehens war die jährlich stattfindende Posener Messe. Diejenigen ausländischen Unternehmen oder einzelne ihrer Mitarbeiter, die man der Spionage verdächtigte, wurden auf dem Gebiet Westdeutschlands durch das MfS und dann in Posen durch das MSW überwacht.201 Konkret bedeutete dies, dass man sich beim Kontakthalten zu den eigenen Agenten wie auch bei der Überwachung der Agenten des BND abwechselte. So war das MfS etwa immer dann zuständig, sobald der Betreffende aus Polen in die DDR ein- oder durch sie hindurchreiste. Diese Form der arbeitsteiligen Zusammen­ arbeit wurde insbesondere dann angewendet, wenn es sich bei der Zielperson um einen Matrosen handelte.202 Die Kontrolle bestand dabei entweder in der reinen Überwachung der Person oder der Vorbereitung bis hin zur Durchführung der Anwerbung.203 Dafür schleuste man oft zunächst IM, etwa Prostituierte, in ihr unmittelbares Umfeld ein. Außerdem versuchte man, gezielt Fehlinformationen zu streuen, indem der polnische Sicherheitsdienst Agenten vorbereitete, die anschließend von westlichen Geheimdiensten angeworben werden sollten.204 In diesem Zusammenhang mussten tote Briefkästen, Deckadressen und Wohnungen in ganz Berlin organisiert werden.205 Diese durchaus enge Kooperation der beiden Geheimdienste lief jedoch alles andere als reibungslos. Seit Mitte der 1950er-Jahre bis zur Unterzeichnung der Grundsatzvereinbarung von 1974 beschwerte sich das MfS regelmäßig über die extrem langen Lieferzeiten beantragter Informationen sowie relevanter Hinweise zur Durchführung operativer Vorhaben an strategischen Punkten, wie etwa dem Hamburger Hafen.206 Zwischen dem Warschauer Innenministerium und der polnischen »Gruppe A« in Ostberlin kursierten Schreiben, in denen man sich gegenseitig ermahnte oder sogar beschuldigte, dass die Residentur in Berlin keinerlei Informationen [sic!] über die Kontakte des Innenministeriums mit dem MfS erhielt. Nach der Wende 1989 sahen die ehemaligen Ministeriumsangestellten den Fehler im Kommunikationssystem, welches vorsah, dass alle Schreiben vom Kabinett des polnischen Innenministers genehmigt wurden.207 Diese 201  Notiz vom 15.6.1958 über gemeinsame Operativvorgänge; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 89. 202  Dienstnotiz vom 16.6.1958; IPN BU 01062/43, Bd. 6, S. 13. 203  Anmerkungen zur Notiz polnischer Genossen vom 16.7.1956; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 159. 204  Ein Beispiel ist die Operation »A.S.-1«. Ein Doppelagent, der sowohl für das MfS als auch für westliche Geheimdienste tätig war, wurde 1955 beauftragt, in Polen Personen ausfindig zu machen, die dabei helfen könnten, weitere Agenten in die VRP zu schmuggeln. Einer der Ausgewählten war ein inoffizieller Mitarbeiter des MBP. Siehe auch Vorgangsunterlagen: IPN BU 01222/2696/J (MF10281/2), S. 7. 205  Entsprechende Bitten von polnischer Seite: BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14248, S. 8. 206  Außenstelle der polnischen Aufklärung in Ostberlin. Meldung an die Zentrale vom 23.1.1957; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 31. 207  Kaszyński; Podgórski: Szpiedzy, S. 46.

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Erklärung scheint allerdings nicht zuzutreffen. Schließlich war die »Gruppe A« dafür zuständig, der Warschauer Zentrale Kooperationsvorschläge mit dem MfS zu unterbreiten, und nur sehr selten wurden entsprechende Vorlagen vom Ministerkabinett inhaltlich geändert oder umformuliert.208 Außerdem waren die Kuriere sehr wohl in der Lage, Anfragen schnell zu übermitteln, wenn dies im Interesse der polnischen Seite war, wie etwa bei der Identitätsermittlung der Geliebten einer Zielperson. Überdies sah sich das MSW als Opfer des MfS und reagierte zurückhaltend, da es der Auffassung war, die Stasi habe die Probleme im Informationsaustausch mitverursacht.209 Beispielsweise sollte das MSW ab Februar 1957 im Auftrag der Stasi die Familie eines Offiziers beobachten, der das MfS verraten hatte. Das Anliegen war für die ostdeutschen Behörden durchaus kritisch. Das Innenministerium beantragte noch im selben Monat die Übergabe der Materialien, die für die Überwachung notwendig waren. Überstellt wurden sie allerdings erst im September,210 sodass der Sinn des Auftrags fraglich war. Auch in der Gründungsphase der Organisation Gehlen, also des BND-Vorgängers, unternahm das polnische Innenministerium zunächst keine Handlungen gegen diese, ohne zuvor das MfS zu konsultieren. Im Laufe der Zeit zweifelte die Ostberliner Residentur jedoch zunehmend daran, dass sie von ihren »Gastgebern« tatsächlich umfangreich darüber informiert wurde, welche Möglichkeiten das MfS besaß, Doppelagenten beim BND einzuschleusen. Eine Folge war, dass man auf Vorschlag der »A-Gruppe« begann, die Doppelagenten selbst auszubilden und in den westlichen Sicherheitsdienst zu bringen. Gleichzeitig sah man zwei Erklärungsmöglichkeiten für die Zurückhaltung der Staatssicherheit: Entweder besaß das MfS nicht genügend Kapazitäten oder es versuchte, das Innenministerium absichtlich zu täuschen.211 Seit 1958 warnte auch die »A-Gruppe« die Warschauer Zentrale, dass das MfS die geheime Identität der polnischen inoffiziellen Mitarbeiter nicht genügend schütze.212 Woraufhin das Innenministerium die Stasi nicht mehr über die wahre Identität und die Aufgaben der polnischen »Diplomaten« 208  Diesbezügliche Unterlagen: IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 63 u. 68. 209  Das Kollegium des damaligen Komitees für Öffentliche Sicherheit, d. h. der Minister und seine Stellvertreter, beschäftigten sich bspw. im Dezember 1954 mit der Anfrage des Leiters der Auslandsaufklärung. Es handelte sich um einen polnischen Staatsbürger, der vom MfS als IM angeworben und in operativen Vorgängen ausgenutzt worden war. Anschließend hatte man ihn einfach den polnischen Behörden übergeben, ohne sie über die frühere Anwerbung zu informieren. Die polnische Aufklärung betrachtete den Staatsbürger also als »verdächtige Person«, verhaftete ihn und informierte das Kollegium, die »DDR und die Sowjetunion [habe sie] in eine prekäre Lage versetzt«. Der Betroffene wurde zwar aus der Haft entlassen, blieb aber unter ständiger Beobachtung: Andrzej Paczkowski: Aparat bezpieczeństwa w Polsce w latach 1954–1956, Bd. 5. Warszawa 2011, S. 226. 210  Schriftwechsel über den Fall: IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 66. 211  Die Residentur in Ostberlin an Warschau. Telegramm vom 6.3.1958; ebenda, S. 88. 212  Notiz über die Zusammenarbeit mit dem MfS vom Oktober 1956; IPN BU 01355/219/ CD 1, S. 131.

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informierte, die nach Einschätzung des MfS verdächtige Kontakte zum Westen unterhielten. Einer von ihnen war einer der wichtigsten Flüchtlinge aus dem MSW, Oberst Michał Goleniewski, der sich im Januar 1961 in die USA absetzte.213 Die Kontakte zwischen dem MfS und dem polnischen Innenministerium in Bezug auf die übrigen Sicherheitsdienste, neben dem westdeutschen, konnten ebenfalls nur bedingt als Zusammenarbeit bezeichnet werden. Ohne Zweifel war die Qualität der ausgetauschten Informationen in diesem Bereich mehr als durchschnittlich. Man tauschte etwa Informationen über die geheimdienstlichen Ausbildungseinrichtungen der einzelnen NATO-Staaten, die Charakteristika der prominenten Mitarbeiter deren Auslandsresidenturen, deren Schwachpunkte, die womöglich genutzt werden konnten, sowie deren Kontaktadressen aus. Man analy­ sierte die Reiserouten der westlichen Geheimdienstoffiziere, um zu gewährleisten, dass alle von diesen getroffenen Personen polnische oder ostdeutsche Agenten sein würden. Jede dieser Aktionen dauerte nie kürzer als zwei Jahre und wurde detailliert geplant.214 Allerdings ließ die Auswertung der vom MfS erhaltenen Daten das MSW abermals am Sinn der Zusammenarbeit zweifeln. Diesmal handelte es sich dabei nicht um den Eindruck, die Stasi wisse mehr, als sie dem MSW mitteile,215 sondern um die Quantität der übermittelten Informationen. In einem extremen Fall erhielt das MfS 22 Sachberichte, das polnische Innenministerium dagegen nur einen. Es verwundert also nicht, dass die u. a. für die Abwehr des französischen Geheimdienstes zuständige Abteilung Mitte der 1960er-Jahre ihren Vorgesetzten informierte, dass sie keine Projekte gemeinsam mit dem MfS durchführe und auch »keine Notwendigkeit« sehe, diese Situation zu ändern.216 Die Logik dieser Antwort war verständlich und entsprach der generellen Politik des polnischen Innenministeriums. Die Kooperation war unbefriedigend. Die Zahl der gemeinsamen Vorgänge, egal ob auf Zielpersonen oder Objekte gerichtet, bewegte sich um die fünf pro Jahr und »pro Linie« und sank kontinuierlich seit den 1950er-Jahren. Bereits damals hatte das MSW darauf verzichtet, gemeinsame Operationen gegen außereuropäische Sicherheitsdienste durchzuführen.217 Das MfS war zwar grundlegend dazu bereit, ging aber nicht unbedingt ehrlich dabei vor, vermutlich auch mit dem Einverständnis der sowjetischen Sicherheitsdienste. 213  Piotr Gontarczyk: Nowe kłopoty z historią. Warszawa 2008, S. 158. 214  Anlage Nr. 1 vom 18.10.1956 zum Plan der koordinierten Aufklärung fremder Dienststellen in Westberlin; IPN BU 01062/43, Bd. 8, S. 20. 215  Bericht über das Gespräch mit der französischen Abteilung der HA II, 6.3.1957; IPN BU 01062/43, Bd. 9, S. 19. 216  Schreiben vom 22.9.1964; IPN BU 01062/43, Bd. 7, S. 36. Interessanterweise schrieb der Leiter der HA II am 20.2.1963 an Mielke neben der Feststellung, dass es gegenwärtig keine Vorgänge mit Polen gebe, Folgendes: »Bei den gemeinsamen Vorgängen, die in den früheren Jahren bearbeitet wurden, waren wir in der Regel die Gebenden. Unser Aufwand an Kraft und Zeit war meist größer als der Nutzeffekt und deshalb wurde auch in der letzten Zeit von uns in dieser Richtung etwas verhaltener gearbeitet.« BStU, MfS, HA II Nr. 30188, S. 8. 217  Dienstnotiz vom 26.9.1957; IPN BU 01062/43, Bd. 7, S. 31.

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Oft kam es vor, dass das MfS das polnische Innenministerium nicht über Mitarbeiter fremder Sicherheitsdienste informierte, von denen die Stasi wusste, dass diese zum Beispiel in Ostberlin gegen die polnische Botschaft arbeiteten.218 Sollte sich darüber hinaus im Laufe der Bearbeitung einer polnischen Anfrage bezüglich einer solchen Person herausstellen, dass das eigene Wissen aus Informationsquellen in anderen Geheimdiensten stammte, informierte man das MSW weder darüber noch übermittelte man die angefragten Informationen.219 Dieses Verhalten musste zwangsläufig dazu führen, dass das polnische Innenministerium das Netzwerk der eigenen Informanten in ganz Deutschland ausbaute, ohne das MfS darüber in Kenntnis zu setzen. Verstärkt geschah dies nach der Ankündigung der neuen Ostpolitik und der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Polen und der BRD gemäß dem Vertrag vom Dezember 1970.220 In diesem Kontext müssen die extremen Konfliktfälle zwischen den beiden Geheimdiensten interpretiert werden. Wie etwa, als das polnische Innenministerium die Stasi bei ihrem Versuch blockierte, Westdeutsche aus Polen zu entführen, oder als der polnische Geheimdienst – nach Ansicht der MfS-Leitung durchaus bewusst – die Informanten des MfS im westdeutschen Auswärtigen Amt auffliegen ließ, die dort Zugang zu den Unterlagen der vor 1970 stattgefundenen westdeutsch-polnischen Verhandlungen hatten.221 Das Innenministerium verlor durch dieses Verhalten nichts. Ohne diese Konflikte wären die Beziehungen zum MfS auch nicht einfacher gewesen. Stattdessen signalisierten sie der Stasi, dass auf dem Gebiet der VRP das MSW das Sagen hatte. Die schlechten Beziehungen 218  Willi Damm an Rudi Mittig, Hausmitteilung vom 28.5.1969; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14248, S. 1. 219  HA V an HA II, Hausmitteilung vom 9.12.1955; BStU, MfS, AS 20/56, Nr. 260, S. 7. 220  Die der westdeutschen Öffentlichkeit seit 1973 bekannte Geschichte von Gerda Schröter zeigt am plakativsten die bilateralen geheimdienstlichen Kontroversen bei der Führung von IM der Partnerdienste ab 1970. Gerda Schröter war IM der HV A und Mitarbeiterin des AA. Ab November war sie in der bundesdeutschen Botschaft in Warschau tätig. Die im Jahr 2016 freigegebenen Unterlagen der volkspolnischen Spionageabwehr belegen, dass sie, wie alle anderen westeuropäischen Diplomaten, sofort nach der Ankunft in Warschau dauerhaft operativ beobachtet wurde (Deckname »Kleine« [Mała]). Die intensive Observation Schröters erbrachte, dass sie äußerst untypische Kontakte mit ostdeutschen Bürgern in der VRP unterhielt. Eine entsprechende Anfrage des MSW an das MfS mit der Bitte um Prüfung der Identität der erwähnten DDR-Bürger erfolgte einige Monate später und blieb zunächst unbeantwortet. Da die polnische Spionageabwehr die IM-Arbeit Schröters de facto enttarnt hatte, bestätigte die HV A später ihren IM-Status und bat die polnische Seite um eine Analyse der zum Schutz Schröters vorgenommenen Sicherheitsvorkehrungen. Das MSW erhielt darüber hinaus Originale ihrer IM-Berichte und kontrollierte letzte Begegnungen Schröters mit den Hauptamtlichen der HV A am Flughafen in Warschau vor ihrem Abflug nach Frankfurt/Main, wo sie festgenommen wurde. Weitere Informationen, die zur Aufklärung der Geschichte Schröters beitragen, sind nicht mehr zu beschaffen, da bereits 1983 viele Akten des MSW über sie amtlich vernichtet wurden. Siehe IPN BU 00/3189/111, S. 6 ff. 221  Werner Großmann: Bonn im Blick. Die DDR-Aufklärung aus der Sicht ihres letzten Chefs. Berlin 2001, S. 62; Siemiątkowski: Wywiad a władza, S. 182.

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zwischen Gomułka und Ulbricht waren kein Geheimnis, ebenso wenig Gomułkas Idee, die Kontakte mit Westdeutschland neu zu gestalten. Das Aufdecken der MfS-Informanten im Auswärtigen Amt konnte also dazu beitragen, die jeweiligen Vertragsverhandlungen zu beschleunigen und die Kommunikationskanäle stärker zu sichern. Der Verlust eines Agenten wog zwar schwer, aber das MfS besaß, wie der Fall des Brandt'schen Referenten Günter Guillaume zeigte, viele weitere Informanten – nicht nur im Bundeskanzleramt. Darauf fußte auch der Anspruch des MfS gegenüber dem MSW, das Monopol auf die Überwachung des Bundeskanzleramtes zu haben – nicht aus Rücksicht auf das Wohl des polnischen Innenministeriums, sondern um die Position des Gegenübers in den bilateralen Gesprächen zu schwächen. Neben der formell manifestierten Hilfsbereitschaft gegenüber Polen verzichtete das MfS auch nicht darauf, im Ausland und auch bei den anderen Verbündeten, wie etwa der Tschechoslowakei, Informationen über die Stärke der polnischen Aufklärung einzuholen.222 Am besten zeigt sich diese unterschiedliche Qualität der Beziehungen an der Kooperation der wissenschaftlich-technischen Einheiten. Die Ideologie spielte hier keine Rolle. Alle Angelegenheiten, die den Kern der jeweiligen Beratungen nicht direkt betrafen, wurden mit beiderseitigem Einverständnis einfach nicht besprochen. In den erhaltenen Beratungsprotokollen findet man weder die sonst übliche Parteisprache noch übertriebene Dankesreden bzw. Feststellungen über eine hervorragende Arbeitsatmosphäre. Nur ein Mal wurden parteipolitische Themen angesprochen, und das interessanterweise von der polnischen Seite. Ende Oktober 1970 erklärte die gesamte Delegation des MSW, zum Erstaunen der deutschen Techniker einschließlich des Dolmetschers, dass sie vorbehaltlos die polnische Partei- und Staatspolitik unterstütze.223 Die überraschte Reaktion der ostdeutschen Gastgeber änderte nichts an der Gesamtsituation und es blieb bei diesem einmaligen Ereignis. Kontakte der technischen und rückwärtigen Dienste Die Kontakte der technischen Abteilungen wurden nach den jeweiligen Arbeits­ gebieten gegliedert, d. h. nach dem Chiffrierwesen, der Aufnahmetechnik (Bild und Ton) sowie den bereits eingeführten neuen Datenverarbeitungstechnologien. Man traf sich ziemlich selten und auch die Zahl der gemeinsamen Projekte war relativ klein. Zwischen 1949 und 1974 wurden circa 30 verschiedene Geräte gemeinsam entwickelt, geprüft bzw. modernisiert. Darunter waren sowohl rein experimentelle Gerätschaften als auch Gegenstände, die im Alltag der beiden 222  Tantzscher: »Wir fangen an ...«, S. 94. 223  MfS, OTS, Bericht über das Leitertreffen in der Zeit 19.–24.10.1970; BStU, MfS, OTS Nr. 1881, S. 35.

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Ministerien genutzt wurden. Sollten einige von diesen unter Mitarbeit der sowjetischen Seite hergestellt werden, konnten die jeweiligen deutsch-polnischen Beratungen nur mit Genehmigung des KGB stattfinden. Ebenso musste die Leitung des MfS ihre Zustimmung erteilen, wenn die der polnischen Seite vorgestellten technischen Neuigkeiten mithilfe von etwa in Westdeutschland gestohlenen bzw. operativ gewonnenen Komponenten hergestellt werden sollten. Die Grundlage der bilateralen Beratungen war eine durchaus pragmatische: Beide Seiten wollten vor allem Geld und Ressourcen sparen. Die Geräte solch bekannter Hersteller wie Sony waren teuer. Deswegen versuchten das MSW und das MfS, zusammen billigere Kopien von etwa Akkus mit langer Arbeitszeit oder spezieller Munition zu entwickeln, die in Flugzeugen benutzt werden konnten.224 Aus polnischer Sicht waren neue Sprachverschlüsselungstechniken und Infrarotbeobachtungsgeräte von Interesse,225 ebenso Möglichkeiten, die eigene Büroarbeit zu automatisieren, etwa die Archivrecherche. Die ostdeutsche Seite hingegen wollte die polnischen Methoden der Informationsverschlüsselung unter Feldbedingungen kennenlernen. Sehr oft tauschte man technische Wartungsprotokolle aus, insbesondere wenn es sich um Prototypen von Geräten handelte, die in der Kommunikation zwischen den Ressorts eingesetzt werden sollten. Der jeweilige Dienst testete die Geräte des anderen und erstellte abschließend einen Bericht mit Anmerkungen bzw. Verbesserungsvorschlägen.226 Wenn aber eine Seite um die technischen Details eines der Kernstücke des entsprechenden Geräts bat, etwa um das eines Zufallszahlengenerators, das entscheidend für den Verschlüsselungsprozess ist, wurde die Bitte mit dem Hinweis beantwortet, dass die »Anfrage geprüft würde«.227 Dies kam einer klaren Absage gleich und war ein diplomatischer Hinweis auf die Grenzen der Kooperation. Immerhin wurde es dem MfS ermöglicht, die polnischen Chiffriergeräte »Wiedehopf« (Dudek) sowie die Datenübertragungssysteme »Sumpfdotterblume« (Kaczeniec) und »Schneeglöckchen« (Przebiśnieg) zu nutzen. Im bilateralen Informationsverkehr wurde ein eigenes Verschlüsselungssystem angewendet. Schließlich lieferte das Innenministerium nicht nur Geräte, sondern war auch für die Personalschulung und die Wartung der Geräte zuständig.228 224  Willi Damm an Józef Chomętowski, Schreiben vom 28.9.1971; IPN BU 01062/43, Bd. 25, S. 88. 225  Thematischer Plan der Gespräche mit der MfS-Delegation, Mai 1965; IPN BU 01368/26, S. 2. 226  Eine Ausnahme war für die sog. Regierungsverbindungen vorgesehen, d. h. diejenigen zwischen den Ministerpräsidenten sowie Parteichefs. Laut der Vereinbarung von 1972 sollten beide Länder ausschließlich russische Geräte sowie die russische Sprache als Korrespondenzsprache während dieser Verbindungen nutzen. Vgl. den Vertragstext vom 19.1.1972: BStU, MfS, Abt. X Nr. 1753. 227  Protokoll vom Treffen der MfS-Vertreter (Abteilung XI/Zentrales Chiffrierorgan des MfS) mit Vertretern der Abteilung A im Innenministerium, 10.–16.10.1966; IPN BU 01368/26, S. 5. 228  Siehe Personalbefehle des polnischen Komitees für Öffentliche Sicherheit aus dem Jahr 1956; IPN BU 0990/44, S. 166.

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Es ergaben sich zwar Probleme zwischen den beiden technischen Ressorts, allerdings können diese keinesfalls mit den Konflikten auf der operativen Ebene verglichen werden, da es eher Meinungsverschiedenheiten oder Differenzen waren. Die polnische Seite konnte trotz des gut ausgebildeten Personals aus finanziellen Gründen kein gleichberechtigter Partner des Operativ-Technischen Sektors des MfS sein, der sich die ersten in Westdeutschland zugänglichen Rechner im Wert von einer Million DM leisten konnte. In den polnischen Gesprächsnotizen zeigt sich seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre an vielen Stellen die kaum kaschierte Eifersucht der Kryptologen auf das professionellere Equipment der ostdeutschen Kollegen.229 Das, was das Innenministerium anzubieten hatte, beeindruckte jedoch auch das MfS. Allein im Jahr 1969 bestellte es 50 »Wiedehopf«-Chiffriergeräte und zahlte dafür in Valutamark. Die Bestellungen konnten jedoch die internen logistischen Schwächen des MSW nicht aufheben. Seit 1970 war das Innenministerium nicht mehr in der Lage, die ostdeutschen Aufträge fristgerecht abzuwickeln und erklärte dies mit der vorrangigen Bearbeitung interner Aufträge. Gleichzeitig verweigerte es die Auslieferung bereits produzierter und vom MSW genutzter Geräte, was auf ostdeutscher Seite Empörung ausgelöst haben soll.230 Es wundert also nicht, dass vom MfS die von polnischer Seite ad hoc gestellten Anfragen – etwa ob die Öffnungsmethoden westlicher Sonderschlösser bekannt seien – abgelehnt wurden. Neben der mangelnden Zuverlässigkeit trugen auch die Schulungen zur Vertiefung der Irritationen und Vorurteile bei. Die Idee der bilateralen Zusammenarbeit wurde dabei jedoch nicht kritisiert. Seit Mitte der 1950er-Jahre nutzte das Innenministerium zur Ausbildung der eigenen Kader ostdeutsche Materialien über den BND231 und die amerikanischen Streitkräfte. Darüber hinaus wurde den polnischen Offizieren Zugang zur internen Mediathek des MfS gewährleistet, um Materialien für die eigene Propaganda gegen den westdeutschen Geheimdienst zu sammeln.232 Die Qualität der erhaltenen Materialien wurde vom MSW allerdings extrem kritisch bewertet. So wies man auf sachliche Fehler und Unstimmigkeiten hin, die in den Berichten über amerikanische Sondereinheiten gefunden wurden.233 Dennoch erklärte sich das MSW zu Gegenleistungen bereit. Das MfS durfte beispielsweise die in Polen wegen Spionage verurteilten westdeutschen Staatsbürger verhören. Außerdem konnte es mit den polnischen Matrosen sprechen, die auf Schiffen von Drittstaaten angeheuert hatten und dadurch regelmäßig die amerikanischen Militärhäfen im Nahen Osten ansteu229  Gesprächsnotiz der für das Chiffrierwesen zuständigen Einheiten, Berlin, 28.6.1967; IPN BU 01368/26, S. 10. 230  Dienstnotiz vom 1.10.1969; ebenda, S. 25. 231  Leiter der Abteilung X des Departments II an den Leiter der Abteilung III des Departments II, Schreiben vom 5.5.1955; IPN BU 01062/43 Bd. 5, S. 51. 232  Vereinbarung vom 4.7.1966; ebenda, S. 118. 233  MSW an MfS, Schreiben vom 24.3.1972; IPN BU 01062/43, Bd. 10, S. 211.

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erten. Schließlich führte man in Polen gemeinsam in Anwesenheit der festgenommenen Agenten sogenannte Lokaltermine durch, um die Schleusermethoden der anderen Geheimdienste näher kennenzulernen. Was aber missfiel dem MfS am Schulungswesen? Als inakzeptabel bewertete man vor allem das berufliche und soziale Niveau der polnischen Kursteilnehmer. Diese waren üblicherweise Fähnriche der Auslandsaufklärung, die bereits über eine fiktive Identität in der DDR verfügten und während eines 10-wöchigen Aufenthalts in verschiedenen Institutionen in der DDR ihre Sprachkenntnisse und ihre Fähigkeiten verbessern sollten, sich im deutschsprachigen Berufsleben und zukünftigen soziokulturellen Umfeld zurechtzufinden. Dieses »Austauschprogramm« wurde bereits 1967 aufgenommen. Seine Teilnehmer zeichneten sich jedoch durch einen relativ geringen Arbeitseifer aus. Die vom MfS geplanten speziellen Schulungen, beispielsweise im Fachjargon des BND, wurden von den durchaus bitteren Vorwürfen der Stasi an den Leiter des polnischen Sicherheitsdienstes in den Hintergrund gedrängt, doch die Sex- und Alkoholexzesse seiner Mitarbeiter zu erklären. Oft wurden die polnischen Teilnehmer durch ihr unprofessionelles Verhalten überführt, etwa als sie einfache DDR-Bürger öffentlich als »Nazischweine« oder »Faschisten«234 bezeichneten. Bekämpfung der Kirchen Betrachtete man lediglich die Ordnungswidrigkeiten der polnischen Schulungs­ teilnehmer, würde sich ohne Zweifel ein falsches Bild der gegenseitigen Kontakte ergeben. Ebenso verzerrt wäre es, konzentrierte man sich nur auf die Handelsbeziehungen der beiden Sicherheitsministerien. Diese bestanden bereits vor 1974 und waren durchaus gut entwickelt. Das Innenministerium kaufte vom MfS vor allem Textilien und Wein. Die Stasi hingegen importierte aus Polen Gemüse- und Obstkonserven, marinierte Pilze und Fleisch.235 Wichtiger als die wirtschaftliche Kooperation der Institutionen war jedoch die Überzeugung des MfS, dass das MSW – trotz des durchaus für seine Mitarbeiter typischen verantwortungslosen Alkoholgenusses – im Bereich der Kirchenverfolgung stärker war als das MfS. Diese Ansicht beeinflusste den Charakter der Zusammenarbeit positiv zugunsten des Innenministeriums. Die gemeinsame Bearbeitung bzw. Bekämpfung der verschiedenen Religionsgemeinschaften – nicht nur der katholischen und evangelischen Kirche – brachte völlig andere Probleme mit sich als im Bereich der Gegenspionage, wo die Sorge um politische Interessen bzw. die 234  Damm an Sokolak, Schreiben vom 15. Mai 1968; BStU, MfS, Abt. X Nr. 24, Teil II, S. 163. 235  HA PS. Programm für die Gestaltung der Zusammenarbeit mit den Genossen der polnischen SO im Jahre 1974; BStU, MfS, HA PS Nr. 9882, S. 30.

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eigene geheimdienstliche Souveränität sehr schnell zu einer Krise im bilateralen Verhältnis führen konnte. Bei der Kontrolle der Kirchen war das nicht der Fall. Die Religionsgemeinschaften waren international um einiges schwächer vernetzt und generell nicht so aktiv gegen den politischen Kern der beiden Staaten ausgerichtet, wie das bei der Auslandsaufklärung eines fremden Sicherheitsdienstes der Fall sein musste. Dadurch, dass diese sich auf dem Gebiet des eigenen Landes befanden, konnten sie leichter überwacht und Repressionen ausgesetzt werden. Schließlich war die Bedeutung der katholischen Kirche in Polen deutlich größer als die der evangelischen Kirche in der DDR, und so fungierte das Innenministerium, ohne Einwände des MfS, als erfahrenere Institution in Bezug auf entsprechende operative Fachkenntnisse. Drei Bereiche bestimmten die Kontakte bezüglich der Kirchen: die Art, wie das MfS die Religion als Ganzes durch das Prisma der eigenen Ideologie wahrnahm, die operative Kontrolle der Kirchen sowie die in Polen bzw. in der DDR beantragte technische Hilfe, um diese durchführen oder verbessern zu können. In der Forschungsliteratur dominiert die Überzeugung, dass sich das MfS in Angelegenheiten der Kirche durch Ignoranz ausgezeichnet habe.236 Diese Ansicht lässt sich jedoch durch die jüngsten Archivrecherchen infrage stellen. Zweifellos stellte jede Religion nach Ansicht des MfS einen ideologischen »Klassenfeind« dar, der auf eine Stufe mit anderen »Bedrohungen«, wie dem Imperialismus, gestellt wurde. Die vermeintliche Gefahr, die von der Existenz der Kirche ausging, wurde auch in den Berichten des MfS an das MSW thematisiert. Man warnte die polnischen Genossen beispielsweise vor einer vermeintlichen Verschwörung der westdeutschen SPD und der katholischen Kirche, um Bundeskanzler Konrad Adenauer zu stürzen und eine aggressivere Politik gestalten zu können. Jede Form gesellschaftlichen Engagements mit religiösem Hintergrund, wie etwa die »Aktion Sühnezeichen«, nahm die Stasi als prinzipiell gefährlich und als den Versuch einer »imperialen Unterwanderung des Sozialismus« wahr. Nur waren die Kirchen in der VRP viel aktiver als in der ostdeutschen Gesellschaft. Die erwähnte Ignoranz muss also eher durch die Feststellung ersetzt werden, dass dem MfS entsprechendes Fachwissen fehlte. In der Tat waren die ersten Versuche des MfS, sich mit den Glaubensgemeinschaften zu beschäftigen, mehr als grotesk. Beispielsweise interpretierte man den Postverteiler des westdeutschen Episkopats als »verdächtiges organisiertes System«,237 was lediglich auf die paranoide stalinistische Weltwahrnehmung zurückzuführen ist. Immerhin führten die geringen operativen Möglichkeiten des MfS dazu, dass man bereits Ende der 1950er-Jahre das polnische Innenministerium darum bat, auch auf dem Gebiet der DDR kirchliche Veranstaltungen, wie die Kirchentage, zu überwachen. Wenn sich die bilateralen Beziehungen 236  Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft, S. 40. 237  Borodziej: Ministerstwo Bezpieczeństwa, S. 104.

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auf politischer Ebene verschlechterten, äußerte sich das durch entsprechende Beschränkungen im Bereich der Spionageabwehr, nicht aber in den »kirchlichen Projekten«. Das MfS äußerte sich zwar ab 1969 zunehmend kritisch über die Stärke des Klerus in der VRP, dennoch blieben solche Äußerungen während der Beratungen selten und, wie das auch im Operativ-Technischen Sektor (OTS) der Fall war, beeinflussten die gemeinsame operative Arbeit nicht.238 In den konkreten gegen die Kirche gerichteten Vorgängen wurde im Gegensatz zum Kampf gegen die anderen Geheimdienste sehr oft die Tendenz sichtbar, den Gegner, d. h. den Klerus als gesellschaftliche Gruppe, nicht nur zu manipulieren, sondern auch ideell zu formen. Auf Vorschlag des MSW erlaubte man beispielsweise den polnischen Theologiestudenten, in der DDR zu studieren, da man annahm, die DDR sei der bessere Ort, um die protestantischen Kleriker im sozialistischen Geiste zu erziehen und entsprechend zu beeinflussen.239 Außerdem versuchte man, nur die Gläubigen zu fördern, die das damalige politische System unterstützten.240 Bei Glaubensgemeinschaften, die das nicht taten, eröffneten die Ministerien gemeinsame Operationen, insbesondere bei Gruppen, die versuchten, ihre Tätigkeit grenzüberschreitend zu organisieren. Dies betraf vor allem die Zeugen Jehovas. Die Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft besaßen im polnischen Innenministerium den Ruf, während der Verhöre besonders standhaft zu bleiben241 und standen insbesondere ab 1955 unter dem Generalverdacht der Spionage. Man versuchte daher – zunächst alleine und ohne externe Hilfe –, ihre Geschlossenheit aufzubrechen, indem man die Notwendigkeit propagierte, die Gemeinden zu legalisieren. Alleine konnten die Operationen jedoch nicht durchgeführt werden, die notwendig gewesen wären, um die eigenen inoffiziellen Mitarbeiter in die Gemeinden der Zeugen Jehovas einzuschleusen und ihre Karrieren entsprechend zu fördern. Das MSW inszenierte daher die Verfolgung ausgewählter Agenten und ließ sie anschließend nach Westdeutschland oder Westberlin »flüchten«, wo sie durch das MfS überwacht wurden. Diese derart zu Märtyrern inszenierten Agenten sollten innerhalb der Gemeindestrukturen aufsteigen und dadurch zwei geheimdienstlich relevante Aufgaben erfüllen: die Einheit der Gemeinde zerrütten und die Wege verraten, auf denen diese Geld und andere Hilfsmittel nach Polen brachten.242 Eine notwendige Ergänzung dieser Operationen war der Austausch allgemeiner Analysen wie auch spezieller Informationen, die für die Durchführung bestimmter 238  Konzeption für eine Konsultation mit den polnischen Sicherheitsorganen, [21.11.1969]; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1191, S. 125. 239  Notizen (Abschrift), Warschau [19.2.1960]; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 410, S. 39. 240  Konzeption für eine Absprache zwischen den Sicherheitsorganen der VRP und der DDR auf der Linie XX/4, [27.4.1966]; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 411, S. 180. 241  Franciszek Szlachcic: Gorzki smak władzy [Der bittere Geschmack der Macht]. War­ szawa 1990, S. 63. 242  Bericht vom 29.6.1960; BStU, MfS, Abt. X Nr. 368, S. 60.

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Vorgänge unerlässlich waren. Die polnische Seite schickte regelmäßig Angaben über das Verhalten und die Aussagen der Delegationsmitglieder, die aus der DDR zu Zusammenkünften internationaler Kirchenorganisationen gekommen waren. Das MfS wiederum lieferte Hinweise über die polnischen Kontakte der westdeutschen katholischen Gemeinden und Institutionen. Ebenso regelmäßig tauschte man sich über die Reisetermine der kirchlichen Funktionsträger aus und erhob gegebenenfalls eine Transit- oder Einreisesperre. Die Betroffenen waren oft Mitglieder der »Aktion Sühnezeichen«.243 Besonders begehrt waren Materialien, mit denen Priester belastet werden konnten, die in Westdeutschland tätig waren. Vereinzelt kam es zu lächerlich wirkenden Reaktionen, wenn – höchstwahrscheinlich unerfahrene – Offiziere der Stasi solche Informationen aus Polen erhielten: Der hauptamtliche Mitarbeiter wandte sich beispielsweise an seinen Vorgesetzten, ob das Ministerium diese überhaupt entgegennehmen dürfe.244 In den Analysen des MSW dagegen konzentrierte man sich auf die Übermittlung der politischen Einschätzungen der sozialistischen Staaten, an die man im Vatikan gelangte,245 auf die relevanten Ereignisse in der katholischen Kirche, wie die Bewertung des Zweiten Vatikanischen Konzils,246 oder auf die Situation innerhalb der polnischen Kirche. Das MSW beschrieb zum Beispiel die komplizierten Beziehungen zwischen dem polnischen Primas Kardinal Stefan Wyszyński und dem Krakauer Bischof und späteren Papst Karol Wojtyła. Diese Berichte müssen ohne Zweifel von Personen verfasst worden sein, die genauestens über den Ablauf der einzelnen Treffen informiert waren. Zu detailliert sind die Angaben über Abstimmungsergebnisse der Synoden, registrierte Fraktionen, vertretene Standpunkte usw. Die Stasi hingegen konzentrierte sich darauf, die an sie gerichteten Ad-hoc-Anfragen zu beantworten, etwa bezüglich der Rolle der westdeutschen katholischen Kirche im Versöhnungsprozess zwischen der BRD und der VRP oder der Bonner Regierung beim Verfassen des bekannten Briefes der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder von 1965 sowie bei deren Antwort.247 Obwohl die bilateralen Kontakte der für die Kirchen zuständigen Diensteinheiten durchaus korrekt verliefen, bedeutete dies nicht automatisch, dass es keine Probleme gab. Zwar versuchte das MfS, die Überwachung der religiö­ sen Gemeinschaften zusammen mit dem polnischen Innenministerium und 243  Włodzimierz Kalicki: Ostatni jeniec wielkiej wojny. Polacy i Niemcy po 1945 r. Warszawa 2002, S. 330; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 2303, S. 85. 244  Korrespondenz darüber: BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 409, S. 170. 245  Vgl. Information der Sicherheitsorgane der VR Polen vom 29.3.1973; IPN BU 01211/108, Bd. 1, S. 184. 246  Abt. X, Das zweite Vatikanische Konzil, Information der Sicherheitsorgane der VRP, [13.10.1966]; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 411, S. 221. 247  Leiter Abt. X an HA XX, Schreiben vom 11.1.1966; ebenda, S. 142; BStU, MfS, Abt. X Nr. 2070, S. 19.

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dem KGB zu besprechen248 – und dadurch das MSW gewissermaßen dazu zu zwingen, regelmäßig Berichte zu schicken und Besuche der Mitglieder der »Aktion Sühnezeichen« sowie der Bischöfe zu überwachen –, dennoch führte man schon 1965 die Regel ein, keine weiteren Gespräche mit der polnischen Seite zu führen, sollten frühere Versuche, deren Interesse für eine Angelegenheit zu wecken, erfolglos geblieben sein.249 Wenngleich es ab Anfang der 1970er-Jahre für beide Sicherheitsressorts relevante Veränderungen gab, wie etwa im Bereich der Seelsorge für polnische Zeitarbeiter in der DDR oder durch den visafreien Reiseverkehr, verschlechterten sich die Kontakte spürbar. Dies hatte zur Folge, dass immer mehr ostdeutsche Anfragen beim MSW nicht beantwortet250 bzw. nicht ausgeführt wurden.251 Dies veranlasste die Stasi-Leitung letztlich dazu, einen umfassenden Kooperationsvertrag zwischen beiden Ministerien vorzubereiten. Er sollte insbesondere der Bewältigung der Schwierigkeiten mit den Kirchen dienen, die infolge der zuvor genannten Veränderungen eingetreten waren. Die größten Erfolge erzielte man bei der Überwachung der Zeugen Jehovas. Diese waren für die polnische Seite jedoch kaum von Interesse, ebenso wenig wie die Bekämpfung der Seelsorger in der DDR, da die Zahl der polnischen Geistlichen unter ihnen relativ klein war.252 Darüber hinaus genossen sie eine Autorität, die es ihnen im Gegensatz zu den Agenten ermöglichte, positiv auf den Alkoholmissbrauch der Zeitarbeiter einzuwirken. Eine Zwangsausweisung der Priester konnte dagegen erhebliche Proteste auslösen, die sich wiederum katastrophal auf die Karriere der in der DDR eingesetzten MSW-Funktionäre wie auch auf die mit den polnischen Betrieben eingegangenen Vereinbarungen ausgewirkt hätten. Aus polnischer Sicht war es also besser, nichts gegen die Geistlichen der polnischen Zeitarbeiter

248  Konzeption für eine Konsultation mit den Genossen der Sicherheitsorgane der Sowjetunion und der VR Polen auf der Linie XX/4 vom 26.8.1970; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 411, S. 8. 249  Leiter HA V an Leiter Abt. V, BV Dresden, Schreiben vom 24.12.1965; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 410, S. 12. 250  Es konnte nicht anders sein, da noch Anfang 1974 das MfS dem MSW einen enormen Dilettantismus in Bezug auf die Kirchenbekämpfung nachweisen konnte. Etwa hatte die HA XX die Abteilung X am 21.1.1974 darum gebeten, »den polnischen Sicherheitsorganen mitzuteilen, dass bisher nicht festgestellt werden konnte«, an welcher Beratung einer der wichtigsten polnischen christlichen Aktivisten und spätere Ministerpräsident, Tadeusz Mazowiecki, in der zweiten Novemberhälfte 1973 in der DDR teilnahm. Mazowiecki sollte sich da mit Günter Särchen treffen, der als Gründer der Aktion Sühnezeichen galt und mindestens seit Januar 1966 vom MfS operativ bearbeitet wurde. Nun aber, laut Stasi, »konnte auch der Charakter der Verbindung des Särchen zu Mazowiecki bisher nicht erarbeitet werden«. BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 125, S. 36. 251  HA XX, Berlin, 13. August 1971, Problemstellung bei der Koordinierung der Arbeit zwischen der HA XX und der entsprechenden Diensteinheit der SO der VRP; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 316, S. 165. 252  Laut Angaben des MSW gab es in der DDR 1973 nur 3 Priester und 1974 zwischen 11 und 14. Siehe Information des III. Departments des MSW vom 22.2.1974 über die Aktivitäten des Klerus in der DDR; IPN BU 0639/148, S. 133.

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zu unternehmen. Das MfS konnte dieser Art des Opportunismus allerdings nur wenig Verständnis entgegenbringen.253 Ein anderes Problem war die Qualität der analytischen Berichterstattung des MfS. Man schickte Polen entweder dem MSW allgemein bekannte Tatsachen – etwa dass die Redaktion der Krakauer katholischen Wochenzeitung »Tygodnik Powszechny« Kontakte zu den christlichen Kreisen der DDR unterhielt254 – oder propagandistische und ebenso altbekannte Berichte, etwa über die vom westdeutschen Episkopat ausgehende Gefahr.255 Ebenso banal, wenn nicht gar zynisch waren die Antworten des Innenministeriums, mit denen es sich beim MfS revanchierte. Einige Texte sprachen beispielsweise mit unverhohlener Ironie davon, dass die katholische Kirche enormes politisches Gewicht habe, mit dem man noch über mehrere Jahre zu rechnen habe und dass die zuständigen Sicherheitsdienste (gemeint war die Stasi) in diesem Bereich noch tiefer gehende Studien anfertigen müssten, um diese Kirche zu verstehen.256 Schließlich stufte man einige der Berichte des MSW, wie etwa die politischen Informationen aus dem Vatikan oder die Stenogramme der päpstlichen Gespräche mit den westlichen Außenministern oder Staatsoberhäuptern,257 als unglaubwürdig 258 bzw. manipuliert ein.259 Informationsaustausch Der am Endes des letzten Unterkapitels erhobene Verdacht, es würden falsche Informationen verbreitet, wird zwar nach 2005 nicht von allen polnischen Forschern geteilt,260 bleibt aber dennoch ein weiteres Indiz dafür, dass es im bilateralen Verhältnis der beiden Sicherheitsdienste an genuinem Vertrauen mangelte. Es verwundert also nicht, dass sich dieses Problem auch in einem der grundlegendsten Bereiche der allgemeinen Zusammenarbeit äußerte, nämlich dem Informationsaustausch.

253  Siehe Stimmungsberichte über die Situation in den in der DDR tätigen polnischen Belegschaften, [25.4.1973]; IPN BU Ka 022/43, S. 11. 254  Roman Graczyk: Cena przetrwania? SB wobec Tygodnika Powszechnego. Warszawa 2011, S. 307. 255  HA XX/4, Beantwortung der Anfrage der polnischen Sicherheitsorgane zum Briefwechsel zwischen dem polnischen und deutschen Episkopat, Berlin, 19.1.1966; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 411, S. 148. 256  Abt. X, Das zweite Vatikanische Konzil, Information der Sicherheitsorgane der VRP, [13.10.1966]; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 411, S. 271. 257  Vgl. BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 127, S. 170. 258  Władysław Bułhak: Wywiad PRL a Watykan 1962–1978. Warszawa 2019, S. 317. 259  Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft, S. 49. 260  Siemiątkowski: Wywiad a władza, S. 114.

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Wie in den anderen Bereichen stellte das Jahr 1970 auch hier eine Zäsur dar. Ab 1970 stieg die Zahl der ausgetauschten Dokumente, gleichzeitig aber veränderte sich auch ihr Charakter. Die operativen Berichte mit den wertvollen Hinweisen auf Quellen wurden zunehmend seltener, stattdessen erhöhte sich die Zahl der verstärkt propagandistisch gefärbten analytischen Berichte. Fakt ist, dass die osteuropäischen Geheimdienste die Auswertung einer Information niemals höher bewerteten als deren Beschaffung.261 Aus diesem Grund tauschten die jeweiligen Minister die wertvollsten Informationen bzw. Quellen stets persönlich aus262 und nutzten dies als Instrument in ihrem Wettstreit. Bis 1970 wurden jährlich etwa 70 bis 100 Berichte ausgetauscht.263 Es gab keine Regel, wie oft sie dem Partner zugesendet werden sollten. Die aus den zentralen Vereinbarungen bekannte Formulierung, dass dies »periodisch« vonstattengehen sollte, bewirkte lediglich, dass sich die Sicherheitsdienste alle zwei Wochen ihre Unterlagen zuschickten, behob aber nicht das Ungleichgewicht zwischen zugestellten und erhaltenen Informationen. Zutreffend scheint die These, dass der Partner jeweils die Unterlagen erhielt, die in dem Moment veröffentlichungsreif waren. Ab 1970 erhöhte sich die Zahl der Sendungen auf 150 pro Jahr.264 Man kategorisierte und teilte diese auf nach ideologischen, technischen, ökonomischen und operativ-technischen Informationen sowie Auskünften über die gegnerischen Sicherheitsdienste.265 Als »ideologische Informationen« wurden die rein politischen Berichte klassifiziert, die am häufigsten vorkamen. Nur in Ausnahmefällen, etwa bezüglich der Ostpolitik der BRD und den in diesem Kontext geschlossenen Verträgen zwischen dieser und der Sowjetunion, der VRP und der DDR, wurden die Quellen der Informationen zu erkennen gegeben, auch, um die Umstände und den Kontext verständlicher zu machen.266 Es kam vor, dass das MSW nur vier Tage nachdem das MfS an eine hoch sensible Information gelangt war, einen entsprechenden Bericht erhielt.267 Ein erstaunliches Tempo im Vergleich zu den sonst üblichen Lieferzeiten, die normalerweise in Wochen zu bemessen waren. So lange dauerte es auch schon mal, wenn Materialien und Veröffentlichungen überstellt werden sollten, die nicht zwangsläufig von der Auslandsaufklärung 261  Jaskułowski: Wywiad PRL, S. 106. 262  Z. B. überreichte Moczar Mielke im Juli 1967 Originale militärischer Aufklärungs­ dokumente der NATO. IPN BU 01062/43, Bd. 3, S. 272. 263  Vgl. BStU, MfS, AS 314/83, Informationsaustausch VR Polen. Übersicht. 264  Vgl. BStU, MfS, AS 293/83, Informationen an die VR Polen 1971–1973. 265  Informationen an die VRP, 1-31-03-1969; BStU, MfS, AS Nr. 323/83, S. 4. 266  Es handelte sich dabei um Berichte über die Ostpolitik oder über die diesbezügliche Haltung der CDU, die in der päpstlichen Nuntiatur in Bonn erstellt wurden: Abt. X, Information der Sicherheitsorgane der VR Polen, 13.7.1970; IPN BU 01211/108, Bd. 1, S. 56. 267  Ein Beispiel: Am 18.7.1970 wurde eine deutsch-polnische Handelsvereinbarung geschlossen. Bereits 4 Tage später erhielt das Innenministerium darüber vom MfS einen Bericht, der auf der Grundlage der in der westdeutschen Handelsvertretung in Warschau zugänglichen Akten verfasst worden war. IPN BU 01062/43, Bd. 13, S. 165.

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beschafft werden mussten. Das polnische Innenministerium bekam beispielsweise die öffentlich zugänglichen Verzeichnisse der in der BRD akkreditierten Diplomaten übermittelt. Im Mittelpunkt des Interesses der Aufklärungsdienste der DDR und der VRP standen bis 1971 vor allem die westdeutsche Innen- und Außenpolitik, die Entwicklung der europäischen Integration sowie alle Materialien der »westlichen« Außenministerien, die sich auf Polen, die DDR oder ein anderes sozialistisches Land bezogen. Außerhalb Europas galten nur die USA als relevantes Land, über das vor allem das polnische Innenministerium berichtete. Ebenso blickte man auf die Länder, die aus politischen Gründen das Interesse der Weltöffentlichkeit weckten. Hierbei handelte es sich insbesondere um die chinesisch-amerikanischen Beziehungen sowie den Konflikt in Nahost und die Lage Israels. Eine Tatsache blieb jedoch auch nach der bereits erwähnten Zäsur in der Berichterstattung unverändert: Das analytische Niveau entsprach nicht einmal dem durchschnittlicher Pressekommentare, was auch durch viele diesbezüglich sehr kritische Beiträge in verschiedenen Memoiren bestätigt wird.268 Dabei richtete sich die Kritik sowohl gegen das Innenministerium als auch gegen das MfS, obwohl das Ausgangsmaterial, das beide Seiten einander zustellten, durchaus das Verfassen besserer Berichte ermöglicht hätte. Man verfügte beispielsweise über die politischen Lageeinschätzungen des NATO-Oberbefehlshabers in Europa, General Lyman Lemnitzer, geheime Sitzungsprotokolle des NATO-Rates, Reden Willy Brandts, die er als Außenminister vor dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages gehalten hatte, oder auch über Informationen bezüglich des Drucks der USA auf die BRD, die Hallstein-Doktrin aufzugeben.269 Frei von einer ideologischen Färbung waren die operativ-technischen Informationen, die die zweitwichtigste Gruppe innerhalb der versendeten Berichte darstellten. Allerdings waren dies auch die am seltensten ausgetauschten Dokumente, und nach wie vor überstellte das polnische Innenministerium mehr als es zurückerhielt.270 Grundsätzlich war in dieser Gruppe jede Information wichtig, durch die die operative Arbeit verbessert oder sicherer gemacht werden konnte. Das konnten Hinweise sein, wie Reisekostenabrechnungen für Journalisten zu erstellen seien, die aus einem sozialistischen Land zu einem Kongress der katholischen Presse reisten, Bewertungen von Gesprächen, die zwischen den westlichen Gewerkschaftern und Vertretern der VRP geführt wurden,271 Berichte über Spionageprozesse in der BRD wie auch Mitarbeiterverzeichnisse der westdeutschen Behörden, Schulungsmaterialien des BND oder Verhaltensanalysen 268  Mieczysław Rakowski: Dzienniki polityczne, 1981–1983. Warszawa 2004, S. 263. 269  Informationen an das MfS vom 18.12.1967; IPN BU 01062/43, Bd. 4, S. 16. 270  Das war nicht nur zwischen dem MfS und dem MSW der Fall. Die ungarischen Sicherheitsdienste lieferten bspw. doppelt so viele Informationen an das MfS als sie selbst erhielten. Siehe Informationsregister Ungarische Volksrepublik; BStU, MfS, AS 316/83. 271  MfS an MSW, Schreiben vom 5.7.1967; IPN BU 01062/43, Bd. 3, S. 53.

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des italienischen Beobachtungsdienstes.272 Das MfS hingegen konzentrierte sich auf gezielte Hinweise. Es berichtete über Verbindungen arabischer Terrorgruppen nach Polen oder schickte Listen polnischer Staatsbürger, die sich in westdeutschen Vertretungen um ein Visum bemühten. Die Zäsur der 1970er-Jahre bedeutete nicht nur eine verstärkte ideologische Färbung der der polnischen Seite vom MfS vorgelegten Berichte. Es wurden zunehmend auch irrelevante Informationen eingeflochten, um eine Feststellung ihrer Quellen unmöglich zu machen. Darüber hinaus zeigt eine Analyse der überstellten Nachrichten, dass die beiden Geheimdienste ihre Verpflichtung, eine Doppelung der Arbeit zu verhindern, nicht einhielten. Dies wundert nicht angesichts der politischen Veränderungen, die ab 1970 in der VRP einsetzten. Die vom neuen 1. Parteisekretär Edward Gierek angestrebte Westöffnung setzte voraus, dass sich das Erste Department des MSW nicht nur auf die ostdeutsche Berichterstattung stützen konnte. Gleiches galt für die deutsche Seite, sodass beide Ressorts nach eigenen Quellen suchten. Mehr noch, in Polen wurden entsprechende staatliche Institutionen entwickelt, um die vom MSW gesammelten Informationen auszuwerten (wie etwa das Polnische Institut für Internationale Angelegenheiten), was vom MfS sehr kritisch betrachtet wurde.273 Immerhin versuchte der polnische Geheimdienst noch bis 1971, dem ostdeutschen Partner zwar kurze, aber fundierte Einschätzungen der weltpolitischen Lage zu liefern. Die Hauptthemen bildeten die Politik Israels gegenüber den arabischen Staaten, die Haltung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegenüber der DDR und die Bewertung der deutsch-sowjetischen Verträge. Nach wie vor spielten auch die westdeutsche und die französische Politik eine Rolle. Man schickte Ostberlin etwa konkrete Angaben über Rüstungsverträge, Analysen der Staatsbesuche Brandts in Paris und Informationen über die Außenpolitik der BRD, die auf Grundlage von Dokumenten des polnischen Außenministeriums und der Verteidigungsministerien der BRD und Frankreichs angefertigt wurden. Dabei wurden auch Analysen solch renommierter Think-Tanks wie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik berücksichtigt. Ergänzt wurden diese Berichte durch operativ-technische Informationen, die für die ostdeutsche Spionageabwehr von enormer Bedeutung waren. Das polnische Innenministerium übergab beispielsweise seine Bewertung der Beobachtungsaktivitäten von Drittstaaten gegenüber ostdeutschen diplomatischen Vertretungen oder Analysen der Tätigkeit der CIA in Westdeutschland. Darunter fanden sich auch geheime, an

272  Informationen von der VR Polen, Einzelinformationen operativ-technisch 1.4.– 30.6.1969; BStU, MfS, AS 323/83, S. 70. 273  Vgl. die Information vom 4.3.1970 über den Standpunkt führender Kreise des Instituts für internationale Politik in Warschau zu Fragen der Politik gegenüber Westdeutschland und zur Haltung der DDR; BStU, MfS, ZAIG Nr. 1795, S. 1.

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den französischen Staatspräsidenten gerichtete Militärberichte oder Informationen über Abhöranlagen des französischen Sicherheitsdienstes.274 Im Gegenzug erhielt das MSW derart wenig, dass der Sinn einer weiteren Überstellung der eigenen kostbaren Informationen fraglich war. Zwar waren die ostdeutschen Berichte über den »Imperialismus der Ford-Stiftung«, die dänische Außenpolitik oder die politischen Interessen Frankreichs im Mittelmeerraum nicht grundsätzlich uninteressant. Allerdings stellten Informationen etwa über die Politik afrikanischer Staaten gegenüber der DDR nicht unbedingt das dar, was der polnische Aufklärungsdienst erwartete. Ab 1971 nahm daher in Reaktion auf das Material des MfS auch die Qualität der polnischen Informationen ab. Trotzdem übermittelte das MSW weiterhin die relevanteren Informationen. Diese Tatsache änderten auch nicht die wenigen sehr hilfreichen Hinweise des MfS, etwa auf die damals bevorstehenden Beratungen des britischen und amerikanischen Geheimdienstes bezüglich Deutschlands, auf die CIA-Mitarbeiter in der USABotschaft in Warschau, auf die Pläne der NATO in Bezug auf die BRD oder Angaben über die Struktur der bundesdeutschen Spionageabwehr. Aber sogar in diesen Fällen waren die polnischen Geheimdienste nicht die einzigen Empfänger, da das MfS seine Materialien grundsätzlich an alle befreundeten Sicherheitsdienste weitergab.275 Im Übrigen waren diese aus verschiedenen Quellen zusammengestellt worden, unter anderem auch aus denen, die das MSW selbst übermittelt hatte. Unterhalb der Korrespondenz der Aufklärungsdienste rangierte jene, die den alltäglichen Fragestellungen gewidmet war. Ohne Zweifel war diese sachorientierter als etwa die außenpolitischen Vorlagen, weil man sich auf konkrete Vorgänge konzentrierte und ideologische Formulierungen auf das Notwendigste reduziert waren. Insbesondere kleinere Angelegenheiten wurden vom MfS mit maximalem Engagement bearbeitet. Die zuständige Diensteinheit, die etwa die Ermittlungen im polnischen Auftrag leitete, erhielt zwar lediglich den Hinweis, dass der Auftrag von einem »Bruderdienst« stamme,276 trotzdem wurden die internen Ergebnisse ohne Änderungen ins Antwortschreiben übernommen. Selbst der amtliche MfS-Briefkopf wurde nicht immer geändert, sondern direkt Mielke zur Unterschrift vorgelegt und der polnischen Residentur in Ostberlin übergeben. Bis 1971 trat nie die Situation ein, dass man den Absender fragte, warum er diese oder jene Information benötige und sich nach innen rückversicherte, welche Ermittlungsergebnisse der polnischen Seite mitgeteilt werden dürften. Sehr oft kam es vor, dass das polnische Innenministerium als Antwort einfach die internen Berichte der Stasi erhielt. Nach 1971 änderte sich dies grundlegend, und in Reaktion auf die Rückfragen des MfS findet sich bereits in den Anfragen des MSW der standardisierte Passus, die Person, nach der gefragt würde, stehe 274  Vgl. BStU, MfS, AS 314/83 sowie AS 367/83, S. 4. 275  Vgl. eine Studie über die westdeutsche Spionageabwehr, [Mai 1958]; IPN Wr 09/149, S. 7. 276  SfS, Abt. VIII, Ref. II, Ermittlungsbericht; BStU, MfS, AS 20/56, Nr. 249, S. 5.

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»im operativen Interesse«.277 Oder man gab an, wegen Spionageverdachts gegen sie zu ermitteln, um nicht den wahren Grund der Anfrage zu nennen. Das MfS verwies in diesem Zusammenhang gerne auf den entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuches, der das Verschweigen der tatsächlichen Intention ermöglichte. Die Anfragen betrafen vor allem Staatsbürger, die angeblich in den Fokus des BND geraten waren. Man überprüfte wichtige technische Details, die für die Enttarnung fremder Agenten nötig waren (etwa Hinweise auf tote Briefkästen,278 Anschriften oder Telefonnummern), verglich die Angaben, die man über die NS-Vergangenheit der sich in Polen oder in der DDR aufhaltenden Personen besaß,279 überprüfte die Identität von Ausländern und bestimmte schließlich den Aufenthaltsort der eigenen Flüchtlinge. Die Regelmäßigkeit, mit der diese Anfragen beiderseits gestellt wurden, führte auf der untersten Ebene zur Herausbildung einiger standardisierter Prüfungsverfahren. Automatisch wurden etwa alle Personen übermittelt, die Visaanträge stellten und in den diplomatischen Vertretungen oder Handelsvertretungen in Polen bzw. der DDR tätig werden sollten.280 Es wurden außerdem automatisch Warnungen ausgesprochen, wenn neue Tendenzen in der Vorgehensweise der feindlichen Aufklärungsdienste beobachtet wurden, etwa wenn Bemühungen festgestellt wurden, Personen aus bestimmten sozialen Gruppen/Institutionen stärker zu kontrollieren oder anzuwerben.281 Für das MfS waren dabei vor allem neue Schleusungsmethoden von Interesse.282 Aufschlussreich ist, dass die Zahl dieser gegenseitig in Auftrag gegebenen Anfragen der Zahl der Berichte entspricht, die sich die Aufklärungsdienste jährlich zukommen ließen. Sie lag bei etwa 100 bis 150 Schreiben und blieb auch nach 1971 konstant.283 Welche Probleme belasteten diesen Aspekt der bilateralen Beziehungen? Man beschwerte sich vor allem über die Länge der Bearbeitungszeit, die ab 1955 kontinuierlich zunahm. Die für die polnische Seite wichtigsten Informationen, wie etwa Angaben über die in der VRP tätigen inoffiziellen Mitarbeiter des USamerikanischen Geheimdienstes, erhielt das Innenministerium erst ein halbes Jahr nachdem das MfS sie erlangt hatte.284 Im Gegenzug prüfte das MSW ebenso lange die NS-Vergangenheit der angefragten ostdeutschen Zielpersonen. Ähnliche Anfragen, die sich auf polnische Staatsbürger bezogen, die der Spionage 277  MfS an die Berliner Gruppe, Schreiben vom 16.8.1967; IPN BU 01062/43, Bd. 3, S. 46. 278  Werner Juretzko: Die Nacht begann am Morgen. Aufstieg und Fall eines westlichen Agenten. München 2009, S. 169. 279  MBP an das SfS, Schreiben vom 9.9.1954; BStU, MfS, AS 110/55, B 124, S. 2. 280  MSW an das MfS, Schreiben vom 26.5.1967; IPN BU 01062/43, Bd. 2, S. 102. 281  Abt. X an den stellv. Minister für Staatssicherheit, Fritz Schröder, Schreiben vom 10.8.1967; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14246, S. 3. 282  MfS an das MSW, Schreiben vom 24.1.1968; IPN BU 01062/43, Bd. 9, S. 39. 283  Vgl. Bestand: IPN BU 01062/43, Bd. 13 und weitere. 284  SfS an das Komitee für Öffentliche Sicherheitsangelegenheiten, Schreiben vom 13.9.1955; BStU, MfS, AS 20/56, Nr. 270, S. 5.

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verdächtigt wurden, konnten in den 1950er-Jahren noch innerhalb nur einer Woche beantwortet werden.285 Wenn es endlich zur Überstellung der beantragten Angaben kam, stellte sich oft heraus, dass viele von diesen nicht unbedingt der Wahrheit entsprachen. Das war vor allem bei »Informationen« über bekannte westdeutsche Persönlichkeiten der Fall. Im Extremfall war die geprüfte Zielperson des MfS in der Wehrmacht gewesen, hatte an der Ostfront gedient und war sogar verwundet worden. Das polnische Innenministerium behauptete aber, sie habe nie einen Militärdienst geleistet.286 Neben der sachlichen Richtigkeit fehlte es in den Antworten auch an Präzision. Eine Vielzahl der vom MfS übermittelten Informationen konnten als reine Propaganda oder als Gerüchte beurteilt werden, deren Prüfung selbst beim besten Willen des Senders Monate in Anspruch nehmen würde. Dazu einige Beispiele. Auch wenn der Hinweis auf die Farbe der Personaldokumente, die eine verdächtige Person bei sich trug, sehr allgemein war, konnte er den Ermittlern zumindest als Ausgangspunkt für ihre Nachforschungen dienen. Gleiches galt allerdings nicht für die Information, dass sich in der Nähe von Stettin ein Bunker mit Munition befände. Diesen konnten die Pioniertruppen des MSW jahrelang suchen, da eine Bitte um Präzisierung seiner Lage unbeantwortet blieb. Konkrete Informationen wurden nur übermittelt, wenn dies dazu diente, eigene Wissenslücken zu verbergen und das Gegenüber auszuspielen. Obwohl in der gewöhnlichen Korrespondenz deutlich weniger gehaltlose Angaben übermittelt wurden als in der Korrespondenz der Aufklärungsdienste, erschienen diese ab 1971 auch hier öfter. Zudem wuchs parallel zu den Absurditäten auch das Misstrauen des MfS, nicht nur gegenüber dem MSW, sondern auch gegenüber dem polnischen Staat. Zwar äußerte sich dieses Misstrauen bereits auf groteske Art in der Korrespondenz der 1960er-Jahre, wenn etwa die Stasi behauptete, Polen würde absichtlich Kartoffelkäfer in den für die DDR bestimmten Lebensmitteltransporten platzieren und dadurch entsprechende Ermittlungen des Innenministeriums bewirkte.287 Nach 1971 war das Verhalten des MfS jedoch schon weit von jeglicher Groteske entfernt. Jede Handelsbeziehung zwischen polnischen und westdeutschen Unternehmen, die aufgenommen wurde, ohne die DDR darüber zu informieren, führte dazu, dass das MfS eine Anfrage an das Innenministerium schickte, ob Letzteres sich sicher sei, dass die Handelskooperation ohne Spionageabsichten seitens der Deutschen initiiert worden sei.288 Die wirtschaftliche Kooperation mit der DDR gestaltete sich in dieser 285  Vgl. bspw. Berliner Gruppe an das MfS, Schreiben vom 29.11.1955; BStU, MfS, AS 20/56, Nr. 252, S. 2. 286  Falldokumentation [Personalien vom Verfasser entfernt]; BStU, MfS, AS 20/56, Nr. 256, S. 2. 287  Innenministerium, Kabinett des Ministers, Schreiben an den Direktor des II. Departments vom 17.6.1966; IPN BU 0296/193, Bd. 2, S. 84. 288  MfS an das MSW, Information vom 5.11.1970; IPN BU 01062/43, Bd. 15, S. 89.

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Hinsicht keineswegs vertrauensvoller. Die an die ostdeutschen VEB verschickten Werbeprospekte polnischer Betriebe wurden vom MfS an das MSW zurückgeschickt mit der Frage, ob sie nicht gefälscht seien. Erst nach der Bestätigung ihrer Echtheit konnten sie entgegengenommen werden.289 Sicherlich war die mehr als sorgfältige Überwachung der Handelsbeziehungen Polens nicht nur auf eine Art Paranoia zurückzuführen und ebenso wenig allein durch die polnische Westöffnung nach 1970 zu erklären. Tatsächlich berührten die grenzübergreifenden Handelsbeziehungen zusätzlich einen der wichtigsten Bereiche der Stasi-Tätigkeit: die Grenzüberwachung. Für das Innenministerium waren dies rein technische Angelegenheiten, für das MfS hingegen eine Problematik von höchster Priorität, da nur eine gut bewachte Grenze das Bestehen der DDR gewährleistete, weil sie die Massenflucht von DDR-Bürgern verhinderte.290 Diese endgültige Sperrung des einfachsten Fluchtweges über Berlin musste dazu führen, dass immer mehr ostdeutsche Bürger versuchten, über Polen in die Bundesrepublik zu flüchten. Unterstützt wurde dies dadurch, dass ab dem 1. Januar 1972 zwischen der VRP und der DDR ein vereinfachtes Grenzregime für den Touristenverkehr eingeführt worden war. Diese vermeintliche Reisefreiheit, die den ostdeutschen Bürgern damit geboten wurde, war kaum vergleichbar mit den lockereren polnischen Passvorschriften,291 hatte aber den unbeabsichtigten Nebeneffekt, eine interessante Fluchtalternative zu bieten und entwickelte sich folglich zu einem neuen Kooperations- sowie Konfliktthema der beiden Geheimdienste. Konflikte und geheimdienstliche Aktivitäten gegeneinander Grundsätzlich behandelte man zwar die geheimdienstliche Tätigkeit des anderen auf dem eigenen Staatsgebiet als Kapitalverbrechen, dennoch kam es in diesem Bereich nicht zu offenen Konflikten zwischen den Ressorts. Die Wahrscheinlichkeit, dass das MfS oder das MSW auf seine Informationsquellen im jeweiligen Land verzichten würde, war genauso gering wie die Erwartung, dass sich die offiziellen Beziehungen auf der Partei- und Staatsebene verbessern könnten. Bis Mitte der 1960er-Jahre war das gegenseitige Misstrauen im Bereich der Agententätigkeit stark mit einer spezifischen Form der Heuchelei verbunden. Wie bereits erläutert sahen beide Sicherheitsdienste kein Problem darin, in der offensiven Aufklärungstätigkeit gegen beispielsweise die BRD dem anderen inoffizielle Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen oder darum zu bitten, eigenen

289  MSW an das MfS, Schreiben vom 2.7.1970; IPN BU 01062/43, Bd. 10, S. 45. 290  Jaskułowski: Władza, S. 169. 291  Kochanowski: Socjologiczny zwiad, S. 234.

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in Westberlin enttarnten IM zu helfen.292 Noch in den 1950er-Jahren legte man sogar die eigenen Quellen in fremden diplomatischen Vertretungen offen und das MfS war dazu bereit, die Anwerbung für den polnischen Sicherheitsdienst vorzubereiten.293 Sollte eine entsprechende Bitte seitens des Partners eingehen, sah man sogar davon ab, die entsprechende Person für sich selbst anzuwerben oder man wies den anderen mit einem selten angetroffenen Taktgefühl darauf hin, dass die angeworbene Person unter Umständen gleichzeitig auch vom Partner­ dienst genutzt wurde.294 Die politischen Umstände für die Agententätigkeit änderten sich im Jahr 1956. Ulbrichts stetig wachsende Ablehnung gegenüber der neuen polnischen Politik Gomułkas musste sich auch in der geheimdienstlichen Tätigkeit der Stasi widerspiegeln. Man platzierte verstärkt inoffizielle Mitarbeiter auf zunehmend höheren Posten in den ostdeutschen diplomatischen Vertretungen in der VRP295 und schreckte auch nicht davor zurück, Polen anzuwerben, die bereits als Doppelagenten für das polnische Innenministerium und einen westlichen Geheimdienst tätig waren, um über sie an Informationen über die Aktivitäten des polnischen Geheimdienstes zu kommen. Im extremsten Fall wurde so ein Agent auf Bitten des MSW hin festgenommen.296 Wenn im Laufe eines Verhörs ein in der DDR festgenommener Pole zugab, für das polnische Innenministerium zu arbeiten, wurde dies dem polnischen Geheimdienst nicht immer mitgeteilt.297 Entsprechende Archivrecherchen verdeutlichen die Diskrepanz zwischen internen Protokollen und den Informationen, die an das MSW überstellt wurden.298 292  Es ging dabei um die IM, die nach dem Übertritt von Oberst Goleniewski in den Westen in Westberlin geblieben waren und denen keine Arbeit für das MSW nachgewiesen werden konnte. BStU, MfS, Abt. X Nr. 1924, S. 6. 293  Anmerkungen zur Notiz polnischer Genossen vom 16.7.1956; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 44. 294  Berliner Gruppe an das SfS, Schreiben vom 14.11.1955; BStU, MfS, AS 20/56, Nr. 276, S. 2. Vgl. auch die Listen der der DDR übergebenen Agenten und die diesbezügliche Korrespondenz aus den 1950er-Jahren; IPN Wr 053/633. 295  Vgl. Tätigkeit von IM »Kurt«; BStU, MfS, AIM 15531/89 C. 296  In dem Fall handelte es sich um eine Person, die verdächtigt worden war, dazu beigetragen zu haben, einen in der polnischen Militärmission in Westberlin tätigen Diplomaten zu verhaften. BStU, MfS, AS 224/56, S. 158. In der Literatur werden auch Situationen erwähnt, in denen die Operationen der polnischen Sicherheitsdienste blockiert wurden, da das MfS ohne die Zustimmung des MSW eine Zielperson an der innerdeutschen Grenze festgenommen hatte. Grzegorz Motyka (Hg.): Służby bezpieczeństwa Polski i Czechosłowacji wobec Ukraińców (1945–1989). Z warsztatów badawczych. Warszawa 2005, S. 13. 297  Ebenso verhielt sich das polnische Innenministerium. Etwa in dem Fall, wo vermutet wurde, dass ein polnischer Bürger, der in der DDR beruflich tätig war, ein Stasi-IM geworden sei, oder wenn dies der Betroffene – durch eigene Indiskretion – selbst zugegeben hatte, wurde darüber das MfS nicht informiert. Die Zentrale der polnischen Spionageabwehr in Warschau hingegen schon. Siehe Schreiben vom 3.9.1970; IPN BU 01062/48, Bd. 7, Teil II, S. 325. 298  Siehe die Verhörprotokolle: BStU, MfS, AU 224/56, Bd. II.

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Nicht nur der Geheimdienst lieferte Informationen über die polnische Seite. Während der bereits erwähnten Schulungen für MSW-Mitarbeiter erstellten die Sprachlehrer regelmäßig Berichte über ihre Schüler,299 auch diejenigen, die in der VRP lehrten. Wenn das MSW darum bat, die Vermieter und Zimmerbzw. Wohnungsangebote zu überprüfen, auf die die polnischen Diplomaten in Ostberlin zurückgreifen würden, erhielt es vom MfS die Antwort, dass die zukünftigen Vermieter vertrauenswürdig seien.300 Uninformiert blieb der polnische Sicherheitsdienst allerdings darüber, dass diesen Vermietern aufgetragen wurde, zu kontrollieren, wie oft und von wem die Mieter besucht wurden und worüber die Diplomaten zu Hause sprachen. Ohne Zweifel war sich das Innenministerium der Zweideutigkeit seiner Politik bewusst, ebenso wie der des MfS. Während jedes offiziellen Besuches in der DDR wurden die polnischen Delegationsmitglieder instruiert, darauf zu achten, worüber sie in privaten Gesprächen mit den Gastgebern sprechen und dass es nicht ausgeschlossen war, dass diese von der Stasi überwacht werden würden.301 Die jeweiligen ostdeutschen Betreuer dieser Delegationen hätten sogar, laut polnischer Erinnerungsliteratur, keinen Hehl daraus gemacht, dass sie für die Stasi tätig waren.302 Die ostdeutsche Überwachung nahm ab Anfang der 1970er-Jahre zu. Jeder polnische Besucher kam, egal ob sein Aufenthalt wissenschaftlicher oder politischer Natur war, mindestens ein Mal mit einem DDR-Bürger in Berührung, der für die Stasi tätig war. Je verdächtiger die vom Reisenden vertretene Institution der Stasi erschien, desto speziellere Fragen wurden der Person gestellt. Vor allem wissenschaftliche Institutionen wurden stark kontrolliert, da sie relativ frei Kontakt zu ähnlichen Einrichtungen im Westen aufnehmen und pflegen konnten. Die inoffiziellen Mitarbeiter erstellten Profile der Personen, in denen sie versuchten, den wissenschaftlichen Werdegang, die politischen Einstellungen, die (womöglich verschwiegene) Herkunft sowie alle Gerüchte über die Person festzuhalten.303 Einerseits hätten viele Informationen, die die Polen den ostdeutschen Zuhörern gaben, nicht verraten werden sollen. Andererseits waren dies meist Gerüchte, die – beachtet man die Lebensläufe der Befragten – nur erfunden oder in Fehl­ informationen begründet sein konnten. Es kam oft vor, dass nicht nur der Gast299  Z. B. Abt. XX/7, Quelle »Klett«, Treff bericht vom 28.10.1970; BStU, MfS, Abt. X Nr. 24, Teil II, S. 175. 300  SfS, Abt. VIII, Ref. II, Ermittlungsbericht; BStU, MfS, AS 20/56, Nr. 250, S. 5. 301  Über Befragungen polnischer Bürger durch Vertreter ostdeutscher Einrichtungen, wo etwa Fragen bezogen auf Arbeitsatmosphäre in der VRP-Botschaft bzw. dort tätigen Diplomaten gestellt wurden, informierte z. B. 1969 die polnische Spionageabwehr offiziell das Außenministerium der VRP. Siehe IPN BU 01062/48, Bd. 6., S. 140. 302  Jan Józef Lipski: Dzienniki 1954–1957. Warszawa 2010, S. 86 u. 139. 303  HA XVIII, Bericht über den Aufenthalt von [Name entfernt] vom 12. bis 14. November 1972 in Berlin; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 20372, S. 1.

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geber, sondern auch der polnische Gast ein inoffizieller Mitarbeiter war, sodass die von ihm angedeuteten Ansichten der VRP- über die DDR-Regierung nur als absurd bezeichnet werden konnten, wie etwa die Aussage, die polnische Regierung sei der Ansicht, die DDR zerstöre 1973 die Einheit des sozialistischen Lagers.304 So etwas hätte man unter Umständen der VRP vorwerfen können, nicht aber dem Honecker-Regime. Auf jeden Fall trugen solche »Informationen« dazu bei, dass die Stasi Polen weiterhin kritisch gegenüberstand. Gleichzeitig war sie dadurch an wissenschaftlichen Institutionen als selbstständigen Informationsquellen über die VRP interessiert. Ohne das polnische Innenministerium darüber zu informieren, beschattete das MfS die polnischen Kunst- und Kulturschaffenden, die versuchten, engere Kontakte mit Westberlin/der BRD zu knüpfen.305 Zusätzlich wurde das Misstrauen gegenüber der VRP dadurch gestärkt, dass man diese Kontaktaufnahme als Versuch interpretierte, eine gemeinsam koordinierte und gegen den Westen gerichtete Kulturpolitik zu boykottieren.306 Nicht nur das MfS, sondern auch das polnische Innenministerium bewertete die politische Lage der DDR kritisch. Sowohl vor als auch nach der Gründung der DDR 1949 nutzten die als Diplomaten getarnten MSW-Offiziere jede Gelegenheit, etwa private Gespräche mit den Einheimischen beim Warten am Grenzübergang, um Einzelheiten über die Arbeit der Grenztruppen, die Einstellung gegenüber Polen oder von Problemen in der DDR zu erfahren. Diese Informationen waren von besonderer Bedeutung, da sie weitestgehend frei von den offiziell kolportierten Bildern waren und daher für das Verfassen eigener Prognosen und Einschätzungen der Lage im Nachbarland genutzt werden konnten.307 Die polnischen Informanten, die in den Milieus eingesetzt wurden und aus beruflichen Gründen einen ständigen Kontakt zur DDR hatten, wie etwa die Eisenbahner, sollten die Kontakte zwischen der Bevölkerung der beiden Staaten sowie die Art der Kontakte nach Ostdeutschland kontrollieren.308 Die inoffiziellen Mitarbeiter in der Botschaft der VRP in Ostberlin besaßen eigene Kontakte zu den regimekritischen Kreisen in der DDR. Zog ein solcher IM-Diplomat die Aufmerksamkeit des MfS auf sich, wurde ab den 1970er-Jahren seine vorsorgliche Ausreise veranlasst, selbst wenn anzunehmen war, dass die Stasi keinerlei Beweise für seine illegale Tätigkeit

304  Ebenda, S. 10. 305  Beispiel: Zu politisch-operativen Problemen VR Polen [1970]; BStU, MfS, HA XX/ AKG Nr. 6034, S. 21. 306  Mieczysław Tomala (Bearb.): Polityka i dyplomacja polska wobec Niemiec, Bd. 1, 1945–1970. Warszawa 2005, S. 184. 307  Górny; Hartwich: Polska Niemcy Wschodnie 1945–1990, Bd. 3, S. 87. 308  Vgl. Informationen über den IM mit Decknamen »Kupplung« (Sprzęgło); IPN BU 01222/ 2696/J (MF 10281/2), S. 24. Abgesehen davon, dass das Ziel des erwähnten Vorgangs war, Agentennetzwerke der NATO auszuspionieren, spionierten sich die polnischen und ostdeutschen Informanten gegenseitig aus.

Kontakte der Sicherheitsdienste von DDR und Polen bis 1974

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besaß.309 Gleichzeitig erreichten die Warschauer Zentrale des MSW seit den 1960er-Jahren immer mehr Bitten der eigenen Bezirksverwaltungen, man möge die sich in der VRP aufhaltenden DDR-Bürger besser überwachen.310 Diese wurden als Bürger eines sozialistischen Landes an der Grenze nicht so gründlich kontrolliert wie die Einreisenden aus der BRD und wurden angeblich in zunehmendem Maße straffällig.311 Die Folge war, dass man, wie auf ostdeutscher Seite auch, entsprechende Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen verstärkte und den Einsatz von IM erhöhte.312 Interessant ist, dass ab 1972 die lokalen MSWEinheiten, die mit der operativen Sicherung der in die DDR entsandten Arbeiter beauftragt waren, diese nicht nur an einer Flucht in den Westen oder politischen Manifestationen hindern, sondern auch eine illegale Anwerbung durch das MfS abwehren sollten.313 An einer legalen Anwerbung polnischer Staatsbürger, d. h. mit offiziellem Einverständnis des MSW, war das MfS üblicherweise nicht interessiert. Auch die neue Grundsatzvereinbarung von 1974 konnte diese Situation nicht ändern.314

309  Notiz des polnischen Offiziers, Deckname »Tell«, vom 29.10.1970; IPN BU 0586/2610, S. 1. 310  Dies kann erklären, warum 1968 in der internen Aufgabenverteilung der polnischen Spionageabwehr das erste Mal expressis verbis die Kontrolle der »Brüderländer« erwähnt wurde. Siehe Patryk Pleskot: Dyplomata czyli szpieg? Działalność służb kontrwywiadowczych PRL wobec zachodnich placówek dyplomatycznych w Warszawie (1956–1989). Warszawa 2013, S. 85. 311  Notiz des II. Departments vom 25.6.1966; IPN BU 01062/43, Bd. 5, S. 135. 312  Teresa Torańska: Śmierć spóźnia się o minutę. In: Trzy rozmowy Teresy Torańskiej. Warszawa 2010, S. 197. 313  Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Rzeszów, Eröffnung des Operativen Vorgangs Deckname »Schüler« (Uczniowie) vom 2.10.1972; IPN Rz 053/87, S. 8. 314  Auch die neue Grundsatzvereinbarung von 1974 änderte diese Situation nicht, zumal die polnische Spionageabwehr ab 1970 Fakten feststellte, die die offensive MfS-Arbeit gegenüber dem MSW belegen konnten. Im Juni 1972 erfolgte eine kurze Festnahme der DDR-Diplomaten, die das Gelände der im Text der vorliegenden Arbeit bereits genannten Schule der polnischen Auslandsaufklärung in Alt Keykuth beobachtet haben. Mit dem Vorfall beschäftigte sich sowohl die polnische Auslandsaufklärung als auch die Spionageabwehr. Siehe Meldung v. 18.6.1972; IPN BU 00/3172/35, Bd. 19, S. 20.

2. Geheimdienstliche Diplomatie 2.1 Vertragliche Grundlagen der Beziehungen des MfS mit dem MSW Das Fehlen einer Grundsatzvereinbarung zwischen dem polnischen und dem ostdeutschen Sicherheitsministerium war nach Meinung der Vertreter des MfS einer der wichtigsten Gründe für die Belastung der bilateralen Zusammenarbeit mit dem MSW. Der Vertrag vom 16. Mai 1974 sollte dies ändern und zur Schaffung eines Verständigungssystems auf der Ebene der Hauptabteilungen/Departments beitragen. Laut Plan der DDR sollten dadurch nicht nur die aktuellen Konflikte gelöst, sondern die Art der Zusammenarbeit neu formiert werden. Ebenso wichtig war die Beseitigung zu breiter Interpretationsfelder, die unklare und schwammige Vorschriften für die entsprechenden Dienstbereiche hätten ermöglichen können. Die Vereinbarungen sollten außerdem flexibel genug sein, um neue Kooperationselemente schnell und rechtsverbindlich einfügen zu können, vor allem hinsichtlich der dynamischen weltpolitischen Änderungen. Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, dass der Vertrag von 1974 und weitere Vereinbarungen die grundlegenden Arbeitsmethoden der Geheimdienste hätten beeinflussen oder ändern können. Wie bereits vor der Festsetzung des Vertrags stand die Wahrung der eigenen Interessen auch danach im Vordergrund. Der politische Wandel innerhalb des MSW hinsichtlich der neuen rechtlichen internationalen Grundlagen sowie der laufenden Zusammenarbeit boten für die polnische Seite 1974 trotzdem genug Gründe, entgegen allen Erwartungen einen Vertrag mit dem MfS einzugehen. Dies lag allerdings nicht an einem plötzlichen Vertrauenszuwachs zur DDR,1 sondern resultierte aus einem nach wie vor bestehenden Misstrauen. Das polnische Innenministerium war keine Institution, für die Rechtsstaatlichkeit eine Bedeutung hatte. Ganz im Gegenteil: Bereits seit Jahrzehnten funktionierte das MSW 2 ohne gesetzliche Grundlagen.3 Der Abschluss einer Grundsatzvereinbarung mit dem MfS kostete nichts, ebenso wenig wie die Zusage, von der Stasi erwünschte Passagen und Formulierungen in der endgültigen Vertragsfassung

1  Vgl. Wanda Jarząbek: Polska Rzeczpospolita Ludowa wobec polityki wschodniej Republiki Federalnej Niemiec w latach 1966–1976. Warszawa 2011, S. 336. 2  Was allerdings nicht nur ein volkspolnisches Phänomen war. Siehe Nicole Glocke, Peter Jochen Winters: Im geheimen Krieg der Spionage. Hans-Georg Wieck (BND) und Markus Wolf (MfS). Zwei biografische Porträts. Halle (Saale) 2014, S. 83. 3  Tadeusz Ruzikowski (Hg.): Instrukcje pracy operacyjnej aparatu bezpieczeństwa 1945– 1989. Warszawa 2004, S. 158.

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zu berücksichtigen.4 Der Vertrag von 1974 besagte zudem, dass zumindest in der ersten Phase seiner Implementierung das MfS als Gegenleistung dem polnischen Innenministerium interessante Leistungen anbieten würde. Jedoch konnten die rechtlichen Vorschriften nicht die über Jahrzehnte hinweg gepflegten gegenseitigen Vorurteile oder die Distanz zwischen beiden Seiten abbauen. 2.1.1 Struktur und Aufbau der Grundsatzvereinbarung von 1974 zwischen dem MfS und dem polnischen Geheimdienst Die »Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der Volksrepublik Polen und dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik« vom 16. Mai 1974 bildete, wie bereits erwähnt, die Basis für die bilateralen Kontakte beider Geheimdienste bis 1990.5 Dieses Dokument sollte mithilfe seiner 16 Paragrafen sowohl alle Prinzipien der Kooperation beider Ministerien klären als auch deren Richtungen und Felder bestimmen. Interessanterweise bezog sich der Vertrag dabei weder auf die bis 1974 abgeschlossenen bilateralen Vereinbarungen bzw. Protokolle beider Ministerien noch auf andere wichtige zwischenstaatliche Verträge. Als Ausnahmen galten nur der Verweis in der Präambel auf den Warschauer Pakt und der Vertrag über den Rechtsverkehr. Die Vereinbarung von 1974 erfüllte vermeintlich die Erwartungen des MfS. Da allerdings das Ausmaß der auftretenden zwischendienstlichen Probleme bekannt war, schien der Vertrag nur ein weiteres Musterbeispiel der Hypokrisie beider Ministerien zu sein. In der Präambel erinnerten die zuständigen Minister (laut Original) an die Bewertung der bisherigen Zusammenarbeit. Sie sollte sich auf die Prinzipien des Marxismus-Leninismus sowie auf die Beschlüsse der Zentralkomitees beider Staatsparteien stützen, im »Geiste des gegenseitigen Einvernehmens« erfolgen und sich im »Interesse der Gewährleistung der Sicherheit beider Bruderstaaten und der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft« entwickeln und festigen. Trotz der Banalität der angeführten Sätze, die in jeder Standardrede eines kommunistischen Parteifunktionärs zu finden waren, blieb die Tatsache bestehen, dass das erste Mal in einer bilateralen geheimdienstlichen Vereinbarung der multilaterale Charakter stark hervorgehoben wurde.

4  Das war auch, wie die neuesten polnischen Forschungen zeigen, auf der parteipolitischen Ebene der Fall. Für Parteisekretär Gierek waren schriftliche Konzessionen nur deswegen relevant, um seine nach Westen gerichtete Politik fortsetzen zu dürfen. Siehe Jerzy Eisler: Siedmiu wspaniałych. Portrety pierwszych sekretarzy KC PZPR. Warszawa 2014, S. 279. 5  Zit. nach: Originalunterlagen: IPN BU 1585/15279, S. 1–19. Noch bis 2009 waren nur ein Entwurf bzw. Kopien dieser Vereinbarung bekannt. Tantzscher: »Wir fangen an ...«, S. 98; dies.: Was in Polen geschieht, S. 2653.

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Mit der Erwähnung der Prinzipien einigten sich beide Seiten auf eine »Verstärkung, Vertiefung und Erweiterung« der vermeintlichen »Zusammenarbeit zum Schutz der sozialistischen Errungenschaften«. Die Gewährleistung der eigenen Sicherheit wurde erst später genannt. Immerhin waren alle o. g. Elemente Grund genug, die neue Grundsatzvereinbarung abzuschließen, in der von Zusammenarbeit und von gegenseitiger Unterstützung die Rede war. Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass die beiden letzten Begriffe nicht nur die typischen völkerrechtlichen Grundsätze in solchen Dokumenten darstellten. Die Analyse der konkreten Bestimmungen des Vertrages von 1974 zeigt ganz deutlich, dass die formellen und sprachlichen Unterschiede zwischen den beiden Parteien dazu genutzt wurden, um eine Entwicklung der bilateralen Beziehungen zu boykottieren. Die Grundsatzvereinbarung war also im Grunde genommen keine Vereinbarung über Zusammenarbeit, sondern eine Vereinbarung über mögliche gegenseitige Dienstleistungen zwischen dem MfS und dem MSW. Ähnlich wie vor 1974 blieben die wichtigsten Ziele der bilateralen Kontakte unverändert. Auch die daraus abgeleiteten Probleme waren die gleichen. Das wichtigste, bereits im ersten Artikel erwähnte Element der Zusammenarbeit sollte nicht die operative Kooperation als solche, sondern ein »Informationsaustausch von politischen, militärischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technologischen Aufklärungsinformationen über den Gegner sowie von Mustern seiner neuesten Technik« sein. Als Ergänzung galten die Angaben über »Arbeitsformen und Methoden der Aufklärungs- und Abwehrdienste des Gegners«. Damit war nicht nur der personifizierte Staat selbst gemeint, sondern auch nichtstaatliche Akteure wie zionistische Zentralen, Emigrantenkreise, »klerikale Verbindungen« [sic!] und Sekten. Laut Vereinbarung sollten Informationen über ihre Struktur, Kader, Pläne, Agenturen und Aktionen ausgetauscht werden. Zusätzlich verpflichteten sich beide Seiten zur Kommunikation über Erfahrungen mit dem direkten Kampf gegen (staatliche und nichtstaatliche) Nachrichten- und Spionagedienste sowie über jede andere als feindlich eingestufte Tätigkeit, die durch die Geheimdienste der »imperialistischen« Länder initialisiert wurde. Ergänzt wurde der Katalog durch eine Passage zum obligatorischen Austausch von Schulungsmaterialien sowie eigener und fremder Spionagetechnik. Einerseits konnte von einer Vereinbarung auf ministerieller Ebene kaum mehr erwartet werden. Sie entsprach in der Tat dem Durchschnitt bilateraler Verträge. Andererseits bedeutete sie die Wiederholung bzw. Fortsetzung der bis 1974 aufgetretenen Probleme. Über die Regelmäßigkeit des Informationsaustausches wurde kein Wort verloren. Das Versprechen, einander wissenschaftlich-technische Informationen zur Verfügung zu stellen, scheint schon allein deshalb unglaubwürdig, weil sowohl die VRP als auch die DDR diese selbst brauchten. Abseits der Norm bestand ebenfalls ein Mangel an rein analytischen Berichten, die von einigen Hauptabteilungen des MfS bereits 1972 vom polnischen Innenministerium

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gefordert wurden.6 Die theoretisch vernünftige Verpflichtung, die aus operativer Sicht relevanten Informationen einander zugänglich zu machen, kollidierte mit der Praxis vor 1974, wonach diese selten geliefert wurden. Schlussendlich wurden in der Grundsatzvereinbarung auch nicht jene Restriktionen außer Kraft gesetzt, die in den früheren Protokollen angewendet wurden, um die Hoheitsrechte des Informationsempfängers zu beschränken. Nach wie vor bestimmte somit der »Informationsgeber« die Geheimhaltungsstufe. Ohne dessen Zustimmung durfte die jeweilige Nachricht auch nicht an die anderen Partnerdienste weitergegeben werden. Die erste bilaterale Verordnung zum Schutz von Staatsgeheimnissen, deren erste geheim gehaltene Fassung im Januar 1975 verabschiedet wurde,7 sah außerdem vor, dass die Änderungen der ursprünglich bestimmten Geheimhaltungsstufe in schriftlicher Form erfolgen sollten. Genauso wie vor 1974 konnte nur diese kleine Lösung die Nutzung der ausgetauschten Informationen wirksam blockieren, insofern vertragliche Bestimmungen nicht ignoriert wurden und keine Retorsion durch den Verhandlungspartner zu erwarten war.8 Das Verbot, erhaltene Informationen an Dritte auszuhändigen, betraf die aufgrund der bilateralen Kontakte der technisch-operativen Abteilung gewonnenen Erkenntnisse.9 Das MfS hat diesen Beschluss als erstes gebrochen. Egal, welche Verpflichtungen in der Grundsatzvereinbarung vorgeschrieben wurden, sie konnten nichts an der Tatsache ändern, dass der Informationsaustausch ein souveräner Akt des jeweiligen Dienstes war. Man tauschte nur jene Informatio­ nen aus, die man preisgeben wollte. Diese Souveränität war auch in den weiteren Artikeln herauszulesen. In ihnen wurden Bereiche definiert, die entweder auf eine »operative Zusammenarbeit« beider Parteien abzielten oder der »gegenseitigen Unterstützung« dienten. Tatsächlich befanden sich in den Artikeln, die letzteren Punkt betrafen, Festlegungen über eine Koordination gemeinsamer Tätigkeiten sowie über die Möglichkeit einer gemeinsamen Durchführung im Interesse der »effektiveren Nutzung von Kräften und operativen Mitteln«. Allerdings wurde dies durch ebenso übliche Vorbehalte bzw. Anweisungen beschränkt, nach denen eben solche Tätigkeiten je nach Möglichkeit und Zweckmäßigkeit entweder gemeinsam 6  Siehe Erwartungen der HA VI von 1972 zur Zusammenarbeit mit dem MSW: BStU, MfS, HA VI Nr. 14850, S. 46. 7  Zit. nach: Vertrauliche Verschlußsache B 2-170/74; BStU, MfS, Abt. X Nr. 524, S. 25. 8  Interessant waren in dieser Hinsicht die internen Richtlinien der ostdeutschen Spionage­ abwehr, also der Hauptabteilung II des MfS. Sie sahen neben den üblichen Lösungen in Bezug auf die Geheimhaltung eine präzise Rangordnung vor, nach welcher andere Einrichtungen die gewonnenen Informationen bekommen durften. Zuerst gingen sie an die eigene Aufklärung, d. h. die HV A, dann an die anderen Hauptabteilungen innerhalb des MfS. Die Geheimdienste der sozialistischen Staaten standen am Ende dieser Liste. Vor ihnen, als Vorletzter, stand der KGB-Verbindungsoffizier in der DDR. Vgl. Ordnung über Auswertung von Informationen, die von Quellen unmittelbar aus dem Lager des Feindes beschafft werden, [1.9.1980]; BStU, MfS, HA II Nr. 4298, S. 340. 9  BStU, MfS, OTS Nr. 1782, S. 73.

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oder doch selbstständig durchgeführt werden sollten. Wichtig war dabei, dass es keine vertragliche Pflicht gab, Unterstützung zu leisten oder zusammenzuarbeiten, wie das zum Beispiel bei den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden der Fall war. Hilfe musste sogar beantragt und genehmigt werden, da sie im Vergleich zur operativen Zusammenarbeit als minderwertig galt, obwohl die damit verbundenen Bereiche wesentlich bedeutender für die Aktivitäten des MfS und MSW waren. Sie bezog sich nämlich auf die Durchleuchtung »wichtiger gegnerischer Objekte« und ihrer Geheimdienste. Gemeint waren damit insbesondere die Einrichtungen der USA, der BRD, der NATO und des Vatikans. Was die nichtstaatlichen Akteure anging, zählten zu den Feinden auch die »Maoisten« und die bereits im Vertrag erwähnten Sekten, »klerikalen Verbindungen« sowie »Zentren der ideologischen Diversion«. Die Ziele des »Eindringens« blieben nach wie vor die Entlarvung und Vereitelung der aggressiven Absichten des Feindes, die Sammlung von Aufklärungsinformationen, die rechtzeitige Aufdeckung des aus Sicht der Stasi unvermeidbaren militärischen NATO-Angriffs auf sozialistische Staaten sowie die damit verbundene Frage nach der Anwendung neuer Waffentechnologien. Dabei galt: Je wichtiger die Aufklärung des Problems war, desto freiwilliger und eingeschränkter war die geleistete Unterstützung durch den Partner. Des Weiteren warf die Auflistung der »Feinde« beider Ministerien einige Fragen auf. Beispielsweise wurden die übrigen westlichen Besatzungsmächte nicht erwähnt. Dieser Umstand resultierte zum einen aus den negativen Erfahrungen im Zuge der bilateralen Kooperation bis 1974, zum anderen entwickelte der polnische Dienst eigene fortgeschrittene Operationen auf dieser Linie und benötigte dabei keine Unterstützung. Man könnte also sagen, dass die Grundsatzvereinbarung nicht ernsthaft die bessere Koordinierung der operativen Arbeit zum Ziel hatte, sondern lediglich Bereiche bestimmte, in denen das jeweilige Ministerium theo­ retisch dominierte. Neben reinen Aufklärungsaktivitäten war in den Bereichen des Alltags, in denen weniger Kontroversen zu erwarten waren, ebenfalls eine »Gewährleistung von Hilfe« vorgesehen. Es handelte sich dabei um den Schutz von Objekten der Volkswirtschaft sowie von Agenten und Mitarbeitern der Spionageabwehr auf dem Gebiet des jeweils anderen Staates. Konkreter bedeutete dies die Überwachung der Zeitarbeiter, die Grenzkontrolle, Ermittlungshilfe in reinen Kriminalfällen, die Beobachtung von Zielpersonen, die Aufsicht über den touristischen Verkehr, Terrorismusbekämpfung, Geheimhaltung sowie die Entwicklung von »Mustern operativer Technik«. Zwar scheinen die Maßgaben hier ziemlich eindeutig zu sein, jedoch waren kritische Bereiche wie die Grenzkontrolle, wo direkte Kooperation eine Bedingung sine qua non für den Erfolg der Arbeit war, in der Grundsatzvereinbarung nur optional vorgesehen. Dies führt zu der Frage, ob es für beide Seiten überhaupt Bereiche gab, die zur »operativen Kooperation« verpflichteten. Die Antwort lautet, dass diese zwar vorhanden waren, ihre Bedeutung für die operative Arbeit der Geheimdienste jedoch minimal war. Dazu zählten der direkte

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Personenschutz von Regierungsmitgliedern, die Geheimhaltung, gemeinsame Chiffren, materielle Absicherung sowie Ermittlungstätigkeiten verbunden mit dem bereits erwähnten Vertrag über Rechtshilfe. Schlüsselwörter wie »Hilfeleistung« oder »Zusammenarbeit« galten in den ersten Kapiteln der Grundsatzvereinbarung von 1974 als indirekte Beschränkungen, die je nach Bedarf vielseitig interpretiert werden konnten. In den weiteren Kapiteln hingegen, in denen die konkreten Mittel der operativen bilateralen Arbeit skizziert wurden, waren die angewandten Sperrklauseln bereits präziser formuliert und nicht mehr mittels rechtlicher Phraseologie getarnt. Je natürlicher und existenzieller bestimmte Mittel für die Effektivität der Arbeit waren, desto umfangreicher waren die auferlegten Beschränkungen. Das Dogma der eigenen Souveränität war dabei wie üblich entscheidend. Unter anderem sollten Informationen aus den dienstinternen Archiven und Karteien nur »entsprechend der Möglichkeit und der operativen Notwendigkeit« ausgehändigt werden. Das bis 1974 diesbezüglich wichtigste Problem, nämlich der Zugang zu den ehemaligen NS-Beständen, wurde dabei überhaupt nicht erwähnt. Die Frage der inoffi­ ziellen Mitarbeiter hingegen schon. Dabei kam es nicht zu einer Liberalisierung der Meinung des MfS. Gemäß Artikel 6 durften inoffizielle Mitarbeiter nur in speziellen Fällen10 dem Partnerdienst übergeben werden. Dieser Prozess musste vom Sicherheitsminister des Staates akzeptiert werden, dessen Bürger ein IM war. Dies war eine der restriktivsten Lösungen in der geheimdienstlichen bilateralen Praxis der sozialistischen Länder.11 Die jeweilige andere Seite musste zudem zustimmen, sollten deren Bürger für die operativen Zwecke des Partnerdienstes eingesetzt werden, insofern sie nicht in ihrer Heimat wohnten. Kleine Verbesserungen erzielte das MfS in Bezug auf die offizielle Präsenz in Polen, obwohl dies in der Vereinbarung nicht expressis verbis erwähnt wurde.12 Es wurde lediglich beschlossen, dass in Abstimmung mit der anderen Seite auf dem Territorium des jeweils anderen Staates nur zur Sicherung der Abwehr der sich dort befindenden Bürger sowie zur Durchführung entsprechender konkreter Maßnahmen die »erforderliche Anzahl eigener operativer Mitarbeiter« auf eigene Kosten stationiert werden durfte. Unabhängig davon, dass durch diese Formulierungen keine Niederlassung des MfS in Polen eröffnet werden konnte, ließ sich der 10  Die polnische Fassung ist noch deutlicher in ihrer Bezeichnung der Ausnahmefälle (wyjątkowe przypadki). 11  Z. B. sah die Vereinbarung zwischen dem bulgarischen Innenministerium und dem MfS vor, solch eine Übergabe ohne Zustimmung des Ministers durchzuführen. Die einzige Beschränkung besagte lediglich, dass die Übergabe den Interessen beider Geheimdienste entsprechen muss. Außerdem war eine Übergabe ausgeschlossen, sollte der IM bereits mit anderen Agenten zusammenarbeiten. Zustimmen mussten beide Minister nur, wenn die Nutzung durch die jeweiligen Bürger für operative Zwecke beantragt wurde. BStU, MfS, HA II Nr. 42755, S. 29. 12  In der Tat war daraufhin ab 1980 die HA II für die Operativgruppe Warschau zuständig, die sich allerdings mit der reinen Aufklärung gegen Polen beschäftigte. Tanztscher: Die Feinde des Sozialismus, S. 222.

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Text der entsprechenden Artikel 8 und 9 unterschiedlich interpretieren. Mit dem Vertrag wurden weder Mitarbeiterzahlen noch die jeweiligen Aufgabenbereiche auf dem Gebiet des Nachbarstaates bestimmt. Die einzige Restriktion bezog sich auf die obligatorisch notwendige Zustimmung des betreffenden Landes zur Stationierung eigener Truppen und zur Durchführung von Operationen auf dem Gebiet des anderen. In diesem Fall musste die Genehmigung jedoch nur mündlich erfolgen.13 Wegen der bis 1974 immer wieder auftretenden Koordinationsprobleme hinsichtlich der öffentlichen Beziehungen und deren Entwicklung wurden diese in separaten Artikeln erörtert. Darunter befand sich eine Angelegenheit, die theoretisch in einem Dokument dieses Ranges nicht hätte verschriftlicht werden sollen. Es handelte sich hierbei um den Austausch und um die Behandlung von Kurpatienten. Laut Artikel 10 geschah dies »im Interesse der Festigung und Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Mitarbeitern beider Seiten«. Die nach 1974 erfolgenden Anwerbungsversuche von polnischen Kurpatienten aus dem MSW, vorbereitet vom MfS,14 zeigen allerdings, dass nicht nur gesundheitliche Gründe im Mittelpunkt solcher Kuraufenthalte standen, sondern vor allem die Absicht, die eigenen operativen Möglichkeiten zu verbessern. Dabei hatten die Beschlüsse zu den Kuraufenthalten innerhalb der Grundsatzvereinbarung nicht nur einen höheren Stellenwert als der Versuch, die bilateralen Beziehungen auf der ministeriellen Ebene zu optimieren. Sie waren zudem nicht sonderlich ausführlich ausgearbeitet worden. Vorgesehen war nur die Erstellung von gemeinsamen perspektivischen Arbeitsplänen. Die damit verbundenen Besprechungen sollten ein Mal pro Jahr stattfinden. Der politische Rang der jeweiligen Delegationsleiter wurde dabei nicht bestimmt. Lediglich die zuständigen Minister mussten jene Themen besprechen, die von »grundlegender Bedeutung« für beide Ressorts waren. Die laufende Zusammenarbeit, die Lösung von Problemen sowie die Gewährleistung des fortbestehenden Kontakts zwischen beiden Seiten erfolgten nach wie vor durch die für die internationale Zusammenarbeit zuständigen Einheiten, d. h. durch die Abteilung X und das Ministerkabinett. Konnte das Auftreten neuer Probleme nicht vermieden werden, oblag deren Lösung der jeweils zuständigen Hauptabteilung. Gleichzeitig bestand die Möglichkeit, im Falle der Entstehung neuer gemeinsamer Arbeitsbereiche dem o. g. Vertrag durch die Vertreter beider Seiten unterschriebene Zusatzprotokolle hinzuzufügen. Obwohl die Vereinbarung eindeutig die Form und Art der Dokumente festlegte, die sich mit dem gegenseitigen Umgang befassten, zeigte der Alltag, dass es 13  Jene Behauptung wurde in der folgenden Abhandlung präsentiert: Abteilung X, Erarbeitung von Vorschlägen zur Problematik der Tätigkeit der Operativgruppen des MfS bei den Bruderorganen, [28.11.1988]; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 279, S. 39. 14  Siehe entsprechende Fallstudie: BStU, MfS, BV Gera, Abt. XVIII Nr. 003238.

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deutlich mehr Arten gab als ursprünglich vorgesehen waren. Die Gründe dafür sind wenig verwunderlich. Sogar in einer derart bürokratischen Institution wie dem MfS sagten einige Vertreter der an der Zusammenarbeit mit Polen interes­ sierten Hauptabteilungen, wie der für die Wirtschaft zuständigen HA XVIII, dass ihnen die Vereinbarung von 1974 zwar bekannt war, sie sie allerdings nie gesehen hatten.15 Der Grund dafür lag in der strengen Geheimhaltung des Dokuments. Einerseits war dies ein natürlicher Umgang mit Dokumenten innerhalb der geschäftlichen Sphären des Sicherheitsdienstes. Andererseits führte dies zur Doppelung von bereits getroffenen Entscheidungen bzw. der Unterzeichnung nicht vorgesehener Schriften auf ministerieller Ebene. Da selbst an der Kooperation beteiligte Mitarbeiter nicht wussten, worauf sie sich beziehen sollten, war dieser Umstand unvermeidlich. Ab 1974 kam es dadurch außerhalb der Grundsatzvereinbarung zum Abschluss mehrerer Verträge auf der Ebene der Hauptabteilungen/Departments bzw. zur Annahme der jeweiligen Ergänzungen wie Anhänge, Anlagen oder Zusatzprotokolle. Einige von ihnen waren in ihren Formulierungen sogar noch allgemeiner als der Text von 1974 und verzichteten gänzlich auf eine Konkretisierung. Andere hingegen gingen in ihrer Absicht weit über die Bestimmungen auf Ministerebene hinaus,16 unabhängig davon, ob es sich um einen Entwurf oder um die bereits unterzeichnete Vorlage handelte.17 Dabei gab es keine thematische Einschränkung. Zudem war der geheimdienstliche Alltag so flexibel, dass er nicht immer in die allgemeinen Vorschriften der Vereinbarung von 1974 passte. Von daher war es üblich, dass beispielsweise die bereits erwähnte HA XVIII die Entwürfe und Kooperationspläne der HA II (Spionageabwehr) bewertete, da beide Einheiten, trotz der formell völlig unterschiedlichen Interessensbereiche, ähnliche Vorgänge bearbeiteten.18 Zudem kam es bei einigen Abteilungen zu Zuständigkeitsproblemen, da die Befugnisse nicht eindeutig einem übergeordneten Department oder einer Abteilung zugeschrieben werden 15  HA XVIII, [o. D.], Übersicht über die bisherige Zusammenarbeit mit den polnischen Sicherheitsorganen; BStU, MfS HA XVIII Nr. 14650, S. 1. 16  Erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre wurde dies streng verboten. Der Stellvertreter Mielkes, Gerhard Neiber, hatte im Schreiben vom 14.5.1986 über die Kontakte mit den Geheimdiensten der sozialistischen Staaten darauf hingewiesen, dass es nicht erlaubt war, Verträge abzuschließen oder gemeinsame Vorgänge zu genehmigen, die über die bereits abgeschlossenen bilateralen Grundsatzvereinbarungen oder über die während der Beratungen getroffenen Vereinbarungen hinausgingen. Das Schreiben klärte jedoch nicht, woher die operativen Mitarbeiter wissen sollten, was auf der Ministerebene vereinbart wurde, wie sie die für sie nicht zugänglichen geheimen Verträge bekommen bzw. wie die umstrittenen Verträge interpretiert werden sollten. Grundsätzlich entschied in jedem dieser Fälle Mielke persönlich. BStU, MfS, HA VII Nr. 4910, S. 21. 17  Beispiele für die jeweiligen internen polnischen Beratungen und die diesbezügliche Korrespondenz: IPN BU 1586/15322 u. IPN BU 1585/2001. 18  HA XVIII, Stellungnahme zum Entwurf des Perspektivplanes der Zusammenarbeit zwischen den Organen der Abwehr des MfS und des MdI der VRP, Berlin 5.6.1975; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16246, S. 67.

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konnten. Ein Beispiel dafür war das Transportwesen. Gemäß dem für die Stasi grundsätzlichen Linienprinzip war anzunehmen, dass eine eventuelle bilaterale Zusammenarbeit vor allem durch inhaltlich identische Einheiten durchzuführen war.19 Gerade innerhalb des erwähnten Feldes war dies kaum umzusetzen. Das polnische Innenministerium und das MfS verfügten über völlig andere Strukturen, weswegen die Entwürfe der gemeinsamen Dokumente der HA XVIII in blanco, also ohne Angabe der MSW-Partnereinheiten, verfasst wurden.20 Die Zuständigkeiten der HA XVIII bezogen sich auf mindestens drei separate Departments im polnischen Innenministerium, welche alle Parteien einer diesbezüglichen Vereinbarung waren.21 Da im bilateralen Interesse der Auslandsaufklärung einige durchaus gewöhnliche Probleme, wie etwa die Überwachung der Zeitarbeiter22 oder der Spionageabwehr, innerhalb der für die Wirtschaftskontrolle, Oppositions- und Kirchenbekämpfung zuständigen Abteilungen entstanden, hat man einfach darauf verzichtet, lokale Verträge abzuschließen. Stattdessen wurde 1975 in der o. g. Angelegenheit eine ministerielle Sondervereinbarung ausgearbeitet. Nicht nur die bereits erwähnten Passagen der beiderseitigen Vereinbarung, sondern vor allem die diesbezügliche interne Korrespondenz bestätigen die These, dass beide Parteien vordergründig die eigenen Interessen zu wahren versuchten und keine echte Zusammenarbeit zum Ziel hatten. Zu diesem Zweck wurden die im Völkerrecht geltenden Standards je nach Bedarf angenommen oder nicht, wozu sowohl operative als auch technische Details zählten. Das MfS wollte demnach alle Verträge nach sowjetischen Mustern maximal vereinheitlichen.23 Ebenso sehr strebten beide Verhandlungspartner nach einer vertraglichen Absicherung hinsichtlich internationaler Interessen, wie etwa dem Schutz gemeinsamer Wirtschaftsprojekte im Rahmen des RGW. Die Tendenz zur omnipräsenten Kontrolle und zum Einsatz teils inadäquater Vorgehensweisen, wie es vor dem Abschluss des Vertrages üblich war, wurde dabei beibehalten. So erwartete bereits 1975 die ostdeutsche Spionageabwehr einen verstärkten Erfahrungsaustausch mit dem MSW u. a. über den »Kampf um den Erhalt der Staatsdisziplin«24. Das polnische Innenministerium hingegen betrachtete das Vertragswerk weniger ideologisch und erwartete vor allem eine maximale Verzögerung hinsichtlich der Klärung gemeinsamer Angelegenheiten, wobei diese Verzögerung sich vorrangig auf finanzielle Vorgänge und auf gegenseitige Zahlungen bezog. Dabei begegnete das 19  Florath; Mitter; Wolle (Hg.): Die Ohnmacht, S. 190. 20  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16246, S. 8. 21  Es handelte sich dabei um die Hauptabteilungen XVIII und XIX des MfS. Sie galten gemeinsam als Partner der polnischen Departments III und IV bzw. V und VI. 22  Siehe Gesprächsprotokoll vom 26.6.1975; IPN BU 0296/194/5, S. 37. 23  HA XX, Stellungnahme zum Entwurf der Arbeitsvereinbarung der HA XX mit dem III. Department des Ministeriums des Innern der VR Polen; BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5901, S. 3. 24  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16246, S. 68.

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MfS dem MSW erst Mitte der 1980er-Jahre mit dem Vorschlag, solche Fragen endgültig zu klären.25 In der Regel äußerte das MSW stets dann Bedenken, wenn die deutsche Seite einen Entwurf zur entsprechenden Vereinbarung vorlegte. Der Stasi wurde vorgeworfen, die Spezifik und die Aufgaben des polnischen Innenministeriums nicht zu berücksichtigen. Dabei wurde intern auf die finanziellen Verluste hingewiesen, die das MSW hätte hinnehmen müssen. Zudem fühlte sich das MSW durch die vermeintlich »pedantische Einhaltung von Terminen« [sic!]26 beschränkt und sah einige seiner Departments durch konspirative Tätigkeiten des MfS bedroht. Ein weiteres Problem stellte die unterschiedliche Interpretation der Texte dar. Zwar galten völkerrechtlich sowohl die polnische als auch die deutsche Fassung des jeweiligen Vertrages als gleichwertig, jedoch ließ die polnische Sprache aufgrund ihrer Syntax gegenüber der deutschen Version nach wie vor deutlich mehr Interpretationsfreiraum zu.27 2.1.2 Vereinbarungen zwischen den Geheimdiensten der DDR und der VRP auf der nichtministeriellen Ebene Identisch mit dem Vertrag von 1974 waren die Perspektivpläne zur Zusammenarbeit der zivilen Hauptabteilungen des MfS und seinem polnischen Pendant. Sie wurden 1975 zum ersten Mal abgeschlossen und alle vier Jahre verlängert.28 Ihr Ziel war es, einen generellen Überblick zur operativen Lage zu liefern, aus dem konkrete Aufgaben für die zuständigen Einheiten abgeleitet wurden. Die Perspektivpläne stellten die Grundlage für Anhänge und Anlagen dar, in denen die gemeinsamen Vorgänge aufgelistet wurden. Nach wie vor fehlte dabei die vom MfS angestrebte Präzision. Trotzdem sollte erwähnt werden, dass diese Dokumente mit ihren Ergänzungen deutlich konkreter waren als vergleichbare Dokumente aus den 1960er-Jahren, sofern es sich für beide Seiten auszahlte. Die Perspektivpläne29 hatten keine Präambel. Am Anfang wurden nur der Ort, der Anlass, wie etwa ein Staatsbesuch oder eine Tagung, das Datum sowie deren rechtliche Basis angegeben, also die Grundsatzvereinbarung von 1974. Die Beschreibung der operativen Lage konzentrierte sich auf die wichtigsten 25  Damm an Chomętowski, Schreiben vom 20.9.1983; IPN BU 1586/15322, S. 148. 26  Finanzdirektor im Innenministerium an Chomętowski, Schreiben vom 18.1.1984; ebenda, S. 59. 27  Es ging dabei um das Abkommen der Untersuchungseinheiten von 1975, zu dem das MfS die meisten kritischen Anmerkungen hatte. Siehe Vorschlag für die redaktionelle Bearbeitung des polnischen Entwurfs der Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Untersuchungsorgane der Sicherheitsorgane der VR Polen und der DDR vom Oktober 1975; BStU, MfS, HA IX Nr. 10254, S. 57. 28  Beispiel: IPN BU 0655/7, S. 16. Sieche auch Tantzscher: Die Stasi und ihre geheimen Brüder, S. 602. 29  Beispiel eines Perspektivplans: BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16246, S. 38.

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relevanten Fakten, wie etwa die Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation, die Verstärkung des Personentransfers oder die aktuellen offensiven Vorhaben der NATO-Staaten. Dies diente als Grundlage weiterer gemeinsamer vorbeugender Schritte. Im Falle der Nachrichten- und der Spionageabwehrdienste betrafen diese die feindlichen legalen oder illegalen diplomatischen Einrichtungen, die Zentralen der Geheimdienste der NATO und der von Drittstaaten, aber auch die gezielte Personenkontrolle. Wichtiger als die Protokolle und Pläne selbst waren aus operativer Sicht deren Anhänge. In ihnen wurden die gemeinsamen Vorgänge aufgelistet. Sie wurden nicht vom jeweiligen Minister, sondern von den Hauptabteilungsleitern verfasst, wie jede diesbezügliche bilaterale Arbeitsberatung. Die Genehmigung erfolgte, nachdem geprüft worden war, ob in den entsprechenden Angelegenheiten die Zusammenarbeit mit dem Partnerdienst überhaupt notwendig war (oder nicht).30 Die Vorgänge, die in den Anhängen erwähnt wurden, wurden nach Kategorien eingeteilt, in denen von fremden und eigenen Agenten oder vom Eindringen in die feindliche Institution die Rede war. Dabei wurden nur die offiziellen Vorgangsdecknamen genannt sowie die Art, ihr Ziel und die damit verbundenen vom jeweiligen Ministerium konkret auszuführenden Aufgaben. Sehr oft wurden dabei auch Wünsche zur Beschleunigung oder zur Verbesserung bestimmter Vorgänge angemerkt.31 Bei der Genehmigung bilateraler Vorgänge handelte es sich üblicherweise um die gemeinsame Unterwanderung ausländischer Unternehmen und ihrer Mitarbeiter, die für die Geheimdienste der NATO-Staaten mithilfe ihrer Geschäftsbeziehungen zu Polen und/oder der DDR Aufträge ausführten. Weitere Bereiche betrafen die Absicherung von Märkten, auf denen geworben werden konnte, die Kontrolle der eigenen im Ausland tätigen Bürger, vor allem jener in kapitalistischen Ländern, und natürlich den Austausch von Informationen. Als neue Gegner wurden neben den feindlichen Geheimdiensten internationale Finanzinstitutionen definiert, wie etwa die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds. Im Laufe der Zeit wurden die Anhänge immer größer. Aus den ein- bis zweiseitigen Dokumenten, in denen die Decknamen der Vorgänge zu finden waren, wurde eine Mappe mit bis zu fünf mehrseitigen Annexen, in denen vor allem die Listen der feindlichen Organisationen, Institutionen und Personen sowohl in der DDR als auch in der VRP zu finden waren. Außerdem wurden die Methoden zur Kontrolle von Journalisten oder ausländischen Stipendiaten bestimmt und dort standen auch die Termine jener in- und ausländischen Konferenzen aller Art, die gemeinsam überwacht werden sollten. Spezielle Anhänge 30  Beispiel: Stellungnahme zum Vorschlag der Sicherheitsorgane der VRP zu einer Arbeitsberatung vom 22.–25.2.1977; ebenda, S. 4. 31  Anhang zur Vereinbarung über die Zusammenarbeit und Kooperation zwischen dem Department II des MSW und der Hauptabteilung II des MfS; IPN BU 0655/8, S. 5.

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widmeten sich der dauerhaften Beobachtung bestimmter Zielpersonen, bekannter Schmugglerkanäle und illegaler Literatur. Interessanterweise wurden im Auftrag des MSW in der DDR nicht nur die klassischen Zielpersonen erfasst, wie etwa Funktionäre der Solidarność, sondern auch Parteimitglieder, die in der jeweiligen Zeit als Bedrohung der damaligen Staatsführung, konkret der Generäle Jaruzelski und Kiszczak, betrachtet werden konnten.32 Das MfS wandte sich seinerseits vor allem den eigenen Dissidenten zu, die gegen Polen agierten. Es händigte Informationen über Bundesbürger aus, die als Parteimitglieder oder als gesellschaftliche Multiplikatoren in der BRD tätig waren und auf irgendeine Art mit Polen in Verbindung standen. Sie sollten während ihres Aufenthaltes in der VRP beschattet werden. Interessant ist dabei, dass erst im letzten Perspektivplan zwischen der HA XX und dem dritten Department, der von den für die Oppositionsbekämpfung zuständigen Einheiten abgeschlossen wurde, ein Verbot der operativen Nutzung der Kontakte zwischen der SED und der PVAP für die Jahre 1986 bis 1990 vorgesehen war.33 Im Vergleich zu dem umfangreichen Katalog an Vereinbarungen, der mit dem Vertrag von 1974 die Art und den Bereich der Zusammenarbeit bestimmen sollte, war das Ende der vertraglichen Beziehungen eher bescheiden. Ironischerweise waren an deren Abwicklung nicht die Sicherheitsministerien beteiligt, welche die Entstehung und Verabschiedung des Vertrages mitbestimmten, sondern die Außenminister Polens und Ostdeutschlands. Formell wurde die bilaterale Zusammenarbeit mittels zweier diplomatischer Noten der DDR vom 3. und 5. April 1990, die an das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der Republik Polen gerichtet wurden,34 für beendet erklärt. Dies geschah infolge des fortgeschrittenen Wiedervereinigungsprozesses. Bezogen auf Artikel 61 und 62 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge wurde die polnische Regierung darüber informiert, dass hiermit einseitig die Grundsatzvereinbarung von 1974 gekündigt würde. Damit wurden der letzte Plan zur gemeinsamen Korrespondenzkontrolle sowie die multilaterale Vereinbarung über das sogenannte SOUD-System aufgehoben.35 Der juristische Nachfolger des bereits aufgelösten MfS, das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS), wurde außerdem beauftragt, alle finanziellen Forderungen Polens auszugleichen, die aufgrund der bereits erwähnten Kündigung entstanden. Diese diplomatischen Noten entsprachen jedoch nur der aktuellen Rechtslage und hatten nicht das Einstellen der Tätigkeiten ehemaliger

32  Beispiel eines Anhangs mit der Auflistung von Zielpersonen: BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5901, S. 30. 33  Vgl. BStU, MfS, Abt. X Nr. 377, S. 42. 34  IPN BU 1585/14207. 35  Bodo Wegmann, Monika Tantzscher: SOUD: Das geheimdienstliche Datennetz des östlichen Bündnissystems. Berlin 1996, S. 5.

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DDR-Offiziere auf dem Gebiet Polens zur Folge.36 Insbesondere bedeutete dies nicht das Ende der festgeschriebenen detailliert geplanten Zusammenarbeit. Als im Mai 1989 das polnische Innenministerium beispielsweise das für die Kontrolle der Korrespondenz zuständige »Büro W« auflöste, kam das Problem auf, dass die Verpflichtungen gegenüber dem MfS übertragen werden mussten. Als Lösung wurden diese einfach von anderen Abteilungen des Ministeriums übernommen.37 Mit der Auflösung des MfS und der Gründung des AfNS wurde das MSW darüber informiert, dass alle Vereinbarungen »unter Berücksichtigung der derzeitigen Situation« nach wie vor realisiert werden würden. Der Rechtsnachfolger des MfS willigte ein, die vollständigen Verpflichtungen bezüglich des Nachrichtendienstes und der Spionageabwehr zu übernehmen.38 Dies konnte allerdings weder die DDR noch ihre Geheimdienste retten. Der bereits erwähnte Satz über die »Berücksichtigung der derzeitigen Situation« scheint dabei die wohl gelungenste Zusammenfassung davon zu sein, welche Bedeutung die zwischen dem MfS und dem MSW abgeschlossenen Vertragswerke für deren beiderseitige Beziehung hatten, nämlich keine. Sie waren eine Sammlung von allgemeingültigen und frei interpretierbaren Formeln, die keinen Beitrag zur Vertiefung der Kontakte leisteten, weil sie es einfach nicht konnten. Der ehemalige polnische Innenminister Kiszczak hatte Recht, als er sagte, dass die Verträge nicht mehr als der Bestandteil eines »ideologischen Rituals« waren.39 Doch stellt sich dabei die Frage: Hätte es ohne die Verträge auch keine bilateralen Beziehungen gegeben? Sicherlich nicht. Sie hätten sogar gänzlich ohne juristische Vereinbarungen durchgeführt werden können, was die eigentliche Absicht der polnischen Seite war.40 Die Verhandlungen über eine Umgestaltung der vertraglichen Grundlagen der bilateralen Kontakte wurden erst 1987, also mehr als 13 Jahre nach der Verab36  Die Operativgruppe Warschau beendete ihre Tätigkeit offiziell im Januar 1990. Allerdings informierte ihr Leiter das Innenministerium, dass er trotz dieser Entscheidung in Polen bleiben würde, um »einige Sachverhalte zu klären«. Das MSW hingegen begann erst im April 1990, die eigene Vertretung in Ostberlin aufzulösen. Wie im Falle des MfS sind die wichtigsten Mitarbeiter der Residentur in Deutschland geblieben. Siehe Operativgruppe Warschau an Minister­k abinett, Schreiben vom 24.1.1990; IPN BU 1585/15360, S. 21; Direktor des Departments I an den Direktor des Ministerkabinetts, Schreiben vom 2.4.1990; IPN BU 1585/15323, S. 58. 37  MSW an MfS, Schreiben o. D.; BStU, MfS, Abt. X Nr. 662, S. 3. 38  Chiffrogramm aus Ostberlin an Kiszczak vom 9. Januar 1990; IPN BU 1585/15323, S. 82. 39  Bereś; Skoczylas: Generał Kiszczak, S. 94. 40  Kiszczak selbst lehnte in den 1980er-Jahren in den offiziellen Gesprächen mit Mielke die Vorschläge des MfS, eine neue Grundsatzvereinbarung abzuschließen, strikt ab. Nach seiner Einschätzung wurde »alles bereits gut geklärt«. Siehe Notiz aus den Vieraugengesprächen vom 18.3.1982; BStU, MfS, ZAIG Nr. 5399, S. 66. Mielke hingegen hatte vor allem direkt vor der Einführung des Kriegsrechts in Polen die MSW-Seite darauf hingewiesen, dass er bereits mehrere Vereinbarungen mit den polnischen Ministern abgeschlossen hatte, die wohl niemand von ihnen ernst genommen hätte. Siehe Bericht zu dem Gespräch vom 18.11.1981; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 280, Bd. 1, S. 142.

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schiedung der Grundsatzvereinbarung, auf ministerieller Ebene aufgenommen. Zu dieser Zeit waren die politischen Ziele beider Länder schon extrem weit voneinander entfernt. Außerdem plante man, nur Artikel der Vereinbarungen zwischen den Hauptabteilungen zu ändern, die bereits älter als zehn Jahre waren.41 Die bilateralen Verträge galten nur als exekutives Instrument42 und boten nach wie vor keinen Platz für gegenseitiges Vertrauen. Fakt ist, dass die bilateralen Verträge auf einer schwachen rechtlichen Basis aufgebaut wurden, obwohl das MfS alles daran setzte, dies zu vermeiden. Diese Schwäche wirkte sich unvermeidlich sowohl auf den Charakter der Beziehungen beider Ressorts, das Misstrauen des MfS gegenüber dem MSW, als auch auf die praktische Implementierung des konkreten Vertrags aus. Wie bei jedem professionellen Geheimdienst wurde bis zum Schluss der vertraglichen Beziehungen ein gewisser Grad an Täuschung aufrechterhalten. Im Hinblick auf die veränderte Personalsituation, die Ernennung einer neuen Parteiführung und den Rücktritt Mielkes fuhr die Stasi zum ersten und zum letzten Mal in der Geschichte Ende 1989 einen Kurs der politischen Öffentlichkeitsarbeit. Verantwortlich dafür war die in ihrer Struktur unveränderte und weiterhin bestehende Abteilung X. Der Leiter des AfNS wurde am 20. November 1989 gebeten, einige Fragen der namhaften sowjetischen Zeitschrift »Argumenty i Fakty« bezüglich der geheimdienstlichen Zusammenarbeit zu beantworten. Die Fragen bezogen sich auf die Zusammenarbeit zwischen dem MfS, den »imperialistischen« Geheimdiensten und den Ressorts, die sich um die Sicherheit von »Problemländern« bemühten, also Polen und Ungarn.43 Seine Antwort bestätigte, dass sich die Zusammenarbeit auf die internationalen rechtlichen Vereinbarungen stützte und einen Teil der vertraglichen Beziehungen mit diesen Ländern darstellte. Auf dieser Grundlage kamen innerhalb der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der VRP bis heute unverändert Fragen auf. Bereits in den Informationsmaterialien des MfS von November 1989 ist jedoch von einer Zusammenarbeit längst keine Rede mehr.44

41  Notiz über eine Besprechung des Genossen Minister mit dem Direktor des Unter­ suchungsbüros des MdI der VR Polen am 12.8.1987 im MfS; BStU, MfS, HA IX Nr. 10255, S. 59. 42  Der erste nichtkommunistische Innenminister in Polen, Krzysztof Kozłowski, behauptete, dass ab 1989 alle geheimdienstlichen Kooperationsverträge gekündigt wurden, um dann weiter ohne juristische Grundlagen zusammenzuarbeiten. Für die Bundesrepublik Deutschland sollte dies angeblich auch der Fall sein. Bereś; Burnetko: Gliniarz, S. 78. 43  Anfrage zit. aus: BStU, MfS, Abt. X Nr. 899, S. 1. 44  BStU, MfS, BV Erfurt, Abt. KuSch Nr. 2375, S. 116.

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2.2 Ein »ideologisches Ritual«? Die Kontakte zwischen den Führungsebenen des MfS und des MSW 2.2.1 Protokollarische Treffen innerhalb der Sicherheitsbehörden als Instrument der geheimdienstlichen Arbeit. Strategie des polnischen und ostdeutschen Geheimdienstes Die im Titel dieses Kapitels benutzte Formulierung entstammt den 1991 veröffentlichten und bis heute umstrittenen Erinnerungen des ehemaligen polnischen Innenministers Kiszczak. Mit dieser drückte er seine Einschätzung der Vereinbarungen zwischen den Sicherheitsorganen der sozialistischen Staaten und deren Leitungsgremien aus. Ohne auf die wohlwollende Beschreibung Mielkes als »sympathisch wirkenden, überzeugten Kommunisten«45 zu verzichten, gab der Innenminister jedoch zu, dass »niemand dem anderen so sehr vertraute, als dass man ihn im Detail über die Situation im eigenen Land informierte«46. In den Erinnerungen ehemaliger hoher Stasi-Funktionäre finden sich weniger diplomatische Aussagen. Zwar lassen sich gewisse Sympathien für die polnischen Gesprächspartner finden,47 es dominieren jedoch insbesondere nach 1980 Beschreibungen ihrer unbegründeten Arroganz, Selbstsicherheit und Kritik an Vorgesetzten sowie die Feststellung, die höchsten Vertreter des MSW seien nicht in der Lage, Problemsituationen [in Polen – A. d. V.] richtig einzuschätzen.48 Historiker, die sich vor 2010 dem unvollständigen Aktenbestand des MfS gewidmet hatten, verwiesen außerdem auf die Subjektivität und extreme ideologische Prägung der deutschen Einschätzungen des MSW und der VRP.49 Es stellt sich daher die Frage, welchen Zweck die Kontakte zwischen den Hauptverantwortlichen der beiden Sicherheitsdienste erfüllten. Stellten sie ein rein ideologisches Schauspiel, ein Ritual oder eine weitere Möglichkeit dar, Informationen über die andere Seite einzuholen? In erster Linie muss man die Kontakte als Mittel zur Wahrung der eigenen Interessen im Ausland betrachten. Während der Führungstreffen war man darum bemüht, ein möglichst positives Bild des eigenen Landes und der operativen Arbeit zu vermitteln und so viel wie möglich über den Partner in Erfahrung zu bringen, ohne dabei selbst viel preiszugeben. In diesem Sinne stellten die Kontakte nicht 45  Noch 2009 äußerte sich Kiszczak mit ähnlicher Sympathie über Mielke. Vgl. Kamila Wronowska, Michał Majewski: Kiszczak. Agentów do dziś oglądam w telewizji. In: Dziennik Gazeta Prawna v. 30.11.2009. 46  Bereś; Skoczylas: Generał Kiszczak, S. 93. 47  Klaus-Dieter Baumgarten: Erinnerungen. Autobiographie des Chefs der Grenztruppen der DDR. Berlin 2009, S. 182. 48  Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg. Erinnerungen. München 1997, S. 334 f. 49  Borodziej: Ministerstwo Bezpieczeństwa, S. 105.

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so sehr den Bereich einer »Diplomatie der Geheimdienste« dar, sondern bildeten eher eine Ergänzung der üblichen geheimdienstlichen Tätigkeit. Die ideologischen Grundannahmen der beiden Seiten bestimmten zweifellos den Umgangston wie auch die Vorbereitungen der besagten Treffen, ebenso die Tatsache, dass inhaltliche Fragen nachgeordnet wurden und stattdessen die Politik die Agenda der Treffen dominierte. Ähnlich wie im Falle der rechtlichen Verträge stellten die offiziellen Begegnungen zwischen den Sicherheitsorganen nichts anderes als eine Konfrontation zweier Arbeitsmoralen dar: der ostdeutschen, die die sozialistische Ideologie als Dogma behandelte, und der polnischen, die in taktischem Kalkül begründet war. Natürlich handelte auch das MfS berechnend, es wäre aber falsch, anzunehmen, die Stasi-Leitung akzeptierte Opportunismus in Bezug auf die ideologischen Grundsätze ihrer Arbeit. Eine Abkehr von den sozialistischen Prinzipien war undenkbar. Die Leitung des MSW dagegen war bereit, die bisherigen Überzeugungen anstandslos zu opfern und aus Sicht der DDR geradezu ketzerische Zugeständnisse hinzunehmen, solange dies dem Erhalt der eigenen Macht diente. Die Folge war, dass sich jedes Treffen zwischen Vertretern des MfS und des MSW, wie auch im Bereich der klassischen Diplo­ matie, zu einem Spiel entwickelte. Das MfS verfolgte das Ziel, möglichst viel darüber zu erfahren, was sich in der VRP ereignete und nutzte darüber hinaus jede Begegnung, um den Partner darüber zu belehren, wie er zu funktionieren habe und der (faktisch oder nur in der Vorstellung der Stasi existierende) Feind zu bekämpfen sei. Das MSW wiederum war sich dessen bewusst, dass die DDR im Grunde nur bis Mitte der 1970er-Jahre verhältnismäßig neutral gegenüber der Volksrepublik eingestellt gewesen war. Die Wirtschaftskrise der Ära Gierek, die Entwicklung einer demokratischen Opposition sowie die politische Krise von 1980 waren für das MfS nicht nur inakzeptabel, sondern stellten auch eine Bedrohung der eigenen Staatsräson dar. Polen blieb zwar nominell ein Bündnispartner, entwickelte sich aber faktisch zu einem Gegner. Die Folge waren offensive Handlungen des MfS gegenüber der VRP und ein wachsender politischer Druck, den die SED auf etwa die UdSSR ausübte, indem sie ab 1980 eine entschiedene Intervention und den Kampf mit der sogenannten Konterrevolution forderte.50 Die Beziehungen zwischen den beiden kommunistischen Parteien waren zu schwach, um die harte Haltung der SED gegenüber der VRP abzumildern. Die parteipolitischen Beziehungen zur DDR mussten daher durch Kontakte der für die Sicherheit zuständigen Abteilungen gestärkt werden, da vor allem der Geheimdienst als Bewahrer des sozialistischen Charakters der VRP erachtet wurde. Folglich sollte das MSW der Stasi gegenüber stets als Bewahrer von Stabilität und Ruhe auftreten und damit

50  Olschowsky: Einvernehmen und Konflikt, S. 39.

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das Honecker-Regime beruhigen.51 Natürlich nutzte man auch auf polnischer Seite die Treffen dazu, Informationen über die tatsächliche Lage in der DDR zu erlangen. Allerdings musste man dafür schon zwischen den Zeilen lesen, da die Materialien, die die ostdeutschen Funktionäre überreichten, nur als Propaganda­ material zu bewerten waren. Eine Ausnahme bildeten die Angaben zu den operativen Vorgängen. Überdies verhielten sich die Vertreter des MSW im Vergleich zu den Funktionären der Staatssicherheit während der Gespräche viel berechnender. Sie lieferten nicht nur die von der Stasi erwünschten Antworten, sondern nutzten dafür auch noch die ostdeutsche Parteirhetorik. Darüber hinaus reagierten sie gelassen auf die zum Teil unfreundlichen, wenn nicht arroganten Vorwürfe der ostdeutschen Funktionäre und wussten den Egoismus der Stasi-Leitung auszunutzen.52 Als Zeichen der Bereitschaft zum aktiven Kampf gegen die »Konterrevolution« nahmen und boten sie Hilfe an und – unabhängig davon, wie paradox dies klingen mag – berichteten ehrlich über die Situation in der VRP. Beispielsweise nutzten sie nie die Phrase, mit der das MfS stets die Lage im eigenen Land beschrieb. – Nach Ansicht der Stasi hatte man in der DDR alles unter Kontrolle und lebte in einer Oase der Stabilität und des Wohlstandes. Die Einschätzungen des MSW sahen anders aus. Man erkannte die Probleme an, mit denen man sich in der VRP konfrontiert sah, machte aber die Partei für diese verantwortlich. Darüber hinaus sollten die beiden »Riesen«, also das polnische Innenministerium und das Ministerium der Nationalen Verteidigung, die Einzigen sein, die in der Lage waren, die »Konterrevolution« zu verhindern und ausführbare Konzepte zu entwickeln, wie die Krise zu überwinden sei. Berichte über die Einführung des Kriegsrechts 1981 und die 1989 erfolgte kontrollierte Machtabgabe wurden dem ostdeutschen Partner überstellt, ohne dass man auf die Zustimmung des MfS hoffte. Dennoch war man so ehrlich zuzugeben, dass die VRP ein Staat war, der sich in der Krise befand und dass auf lange Sicht nur unkonventionelle und vom ostdeutschen Partner strikt abgelehnte Mittel eine Sicherung der eigenen Macht ermöglichen würden. Selbstverständlich erhielt die Stasi nicht bereits Mitte der 1970er-Jahre Informationen über Pläne Jaruzelskis, seine Macht mit der Opposition zu teilen – diese reiften frühestens ab 1985 –, aber die Logik hinter dem Handeln des polnischen Geheimdienstes war bereits erkennbar. Eine Logik der Anpassungsfähigkeit, die

51  Diese Taktik deckte sich zumindest ab 1980 mit der generellen Verhaltensstrategie des polnischen Außenministeriums gegenüber allen sozialistischen Staaten. Materski; Michowicz: Historia dyplomacji, S. 836. 52  Bspw. wurde Mielke mit den höchsten polnischen Verdienstkreuzen ausgezeichnet. Tomasz Mianowicz: Erich Mielke – Kawaler Krzyża Komandorskiego z Gwiazdą Orderu Zasługi PRL. In: Arcana 17 (1997), S. 91–99, hier 91; Schwan: Erich Mielke, S. 88.

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der Führungsebene des MfS fehlte, die noch am Sozialismus festhielt, als selbst die Sowjetunion 1985 begonnen hatte, sich davon abzuwenden.53 2.2.2 Ministertreffen. Vorbereitung – Verlauf – Effekte Bevor im Einzelnen konkrete Ministertreffen erörtert werden, bedarf es der Präzisierung, welche Beziehungen gemeint sind, wenn von »Kontakten auf der Führungsebene« die Rede ist. Untersucht wurden die Begegnungen zwischen den höchsten Entscheidungsträgern der beiden Ressorts: zwischen den Ministern, den Direktoren der Departments, den Abteilungsleitern, den Kommandanten der wichtigsten Bezirks- und Woiwodschaftsverwaltungen und deren Vertretern. Es handelt sich um Begegnungen, die mit Einwilligung der Vorgesetzten stattfanden und von den Einheiten des MfS bzw. MSW organisiert und begleitet wurden, die für die Auslandskontakte zuständig waren. Analysiert wurden nicht nur die Inhalte der Gespräche, sondern auch die Vorbereitungsarbeit, die verwendete Sprache und alle auf die Völkercourtoisie bezogenen Aspekte des Protokolls sowie der begleitende offizielle Schriftwechsel. Chronologisch lassen sich drei Phasen der Begegnungen unterscheiden. Die erste erstreckt sich von der Unterzeichnung des Grundsatzvertrages von 1974 bis zur Verhängung des Kriegsrechts 1981. Die zweite umfasst die Zeit des Kriegsrechts bis zur Aufhebung des Kriegszustands im Juli 1983. Die letzte Phase der Begegnungen endete schließlich mit der Auflösung des MfS im Jahr 1990. Inhaltlich kreisten die Gespräche um die Lage in den beiden Ländern, die Stimmung innerhalb der Bevölkerung und der Streitkräfte, die Arbeit der kommunistischen Partei, die Situation der Kirchen und der Opposition sowie um die Wirtschaftslage. Zum Schluss erörterte man operative Angelegenheiten. Spitzentreffen der Geheimdienstleiter zwischen 1974 und 1981 Die erste Phase der Beziehungen, das heißt die Zeit zwischen 1974 und 1981, war geprägt von der Enttäuschung des MfS über die Lage in der VRP und einem zunehmenden Misstrauen gegenüber dem polnischen Partner. Auf der anderen Seite versuchte das MSW mittels der offiziellen Begegnungen, so lange wie möglich ein positives Bild von sich sowie von der Situation im Land zu vermitteln. Dadurch stellte es sich als die einzige Institution dar, der die Probleme der VRP bewusst waren und die fähig war, diese zu lösen, selbst wenn die eigene

53  Jaskułowski: Władza i opozycja, S. 216.

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Parteiführung dies nicht zur Kenntnis nahm.54 An dieser Grundeinstellung der MSW-Vertreter sollte sich während der gesamten Regierungszeit der beiden ersten polnischen Parteisekretäre, Gierek (1970–1980) und Stanisław Kania (1980–1981), nichts ändern, einer Zeit, in der viele Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Innenministern und Parteivorsitzenden existierten.55 Zwar distanzierten sich Erstere nicht ausdrücklich von der Politik der Partei, dennoch gab deren Haltung den ostdeutschen Behörden allen Grund anzunehmen, das MSW sei der einzige Garant des sozialistischen Charakters der VRP. Der Staat bzw. die Partei konnte demnach schwach sein, sein Kern aber, die Sicherheitsbehörden, würden eine dauerhafte Stütze des Machtsystems bleiben. Dies stellte in vielerlei Hinsicht eine Fehleinschätzung dar, entsprach jedoch den Ansichten der SED- und der MfS-Leitung. Im Grunde genommen stellten die Treffen der Ministeriumsleitungen ein Abbild der Parteitreffen dar. Ähnlich wie bereits vor 1974 konzentrierten sich die Delegationsleiter auf den Vortrag eines 50-seitigen Referates, welches bereits zwei Monate vor den geplanten Konsultationen in Auftrag gegeben wurde.56 In der Regel begann es mit einer allgemeinen Darstellung der »politisch-operativen Lage«, die in der DDR über Jahrzehnte scheinbar unverändert blieb. Bis 1989 übernahm man schlicht einzelne Sätze oder sogar ganze Absätze aus älteren Vorträgen für die folgenden Referate. Die DDR, so die Hauptaussage, funktioniere gemäß den Richtlinien der Parteitage und das MfS konzentriere sich auf die Umsetzung der Parteibeschlüsse, wobei es aktiv von seinen Bezirksabteilungen unterstützt werde. Die SED strebe nach der Schaffung einer neuen sozialistischen Gesellschaft, und da das Erreichen dieses Ziels durch das MfS gesichert werde, sei ein Erfolg nach dem anderen zu verzeichnen.57 In den Referaten führten die Stasi-Funktionäre verschiedenste wirtschaftliche Daten auf, die den vermeintlichen Wohlstand der DDR-Bürger belegen sollten. Stolz berichtete man dem polnischen Partner von der Übererfüllung der Pläne im Bereich des Produktionswachstums, des Bruttoinlandsprodukts, des Arbeiterwettbewerbs, der Energieeinsparung. Selbst der Fleisch- und Butterverbrauch seien gesteigert worden [sic!].58 Zweifellos stellten diese Angaben eine gehässige Anspielung auf die Wirtschaftsprobleme 54  Es handelte sich hierbei um die Thesen, die laut den Akten des MfS z. B. vom stellvertretenden Direktor des Untersuchungsbüros im Innenministerium im November 1980 vorgestellt wurden. BStU, MfS, HA IX Nr. 10254, S. 10. Ähnliche Behauptungen sind auch in den Memoiren der ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter des MSW zu finden. Siehe Stanisławczyk; Wilczak: Pajęczyna, S. 112. 55  Siemiątkowski: Wywiad a władza, S. 186. 56  Vgl. Mielkes Direktiven bezüglich des geplanten DDR-Besuches von Innenminister Stanisław Kowalczyk im Jahr 1978; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14917, S. 1. 57  Hinweise für Gespräch mit dem Minister des Innern der VR Polen (31.5.1974); BStU, MfS, ZAIG Nr. 5438, S. 1. 58  Vorschlag für Vortrag (VRP); BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14920, S. 63 u. BStU, MfS, HA II Nr. 30819, S. 130.

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der VRP dar und gerne setzten die Stasi-Funktionäre noch einen drauf, indem sie darauf hinwiesen, dass die Statistiken zeigen würden, dass man in der DDR die wichtigsten Ziele des Parteiprogramms umgesetzt habe. Allerdings stand dieses Bild im deutlichen Widerspruch zu den eigenen, an die SED-Leitung überstellten internen Berichten über die Wirtschaftssituation der DDR,59 ebenso wie zu den abgefangenen diesbezüglich in der Bundesrepublik verfassten Analysen, von den internen Bemerkungen des polnischen Außenministeriums ganz zu schweigen.60 Bei der Vorstellung der sicherheitspolitischen Situation übertraf das MfS sogar noch die rhetorische Schönrednerei der Wirtschaftsstatistiken. »Die Lage in der DDR ist stabil« – mit diesem Satz sollte bis Ende der 1980er-Jahre jeder StasiFunktionär seinen Vortrag eröffnen, unabhängig davon, über welchen Bereich er sich äußerte. Diese Stabilität sollte in Verbindung mit den Präventionsmaßnahmen des MfS und der Klärung der wichtigsten Frage – »Wer ist wer?« – den erfolgreichen Kampf gegen »feindliche Elemente« garantieren. Konkret sah man vier Schritte vor: die Aufklärung, die Vorbeugung, die Zersetzung und schließlich die Liquidierung. Ein weiteres wesentliches Thema war der »äußere Feind«, dessen Personifizierung die Bundesrepublik darstellte. Seit Ende der 1970er-Jahre kamen Japan und China sowie der sehr weit definierte KSZE-Prozess hinzu. Das polnische Innenministerium dagegen betrachtete in erster Linie die Vereinigten Staaten als Feind. Unterschiede gab es vor allem in der Wahrnehmung der einzelnen »Feinde«. Die BRD blieb – unabhängig von den Bemühungen der SPD, die deutsch-deutschen Beziehungen zu verbessern, und ebenso unabhängig von der jeweiligen Regierung, den Wahlergebnissen oder Kabinettsmitgliedern – der Staat, in dem Rechte, »Revanchisten« und die »Interessen der Großkapitalisten« unterstützt wurden. Ebenso negativ wurde das Auswärtige Amt und seine Leitung beschrieben. Das MfS attackierte vor allem Hans-Dietrich Genscher und die nie näher definierten »Diplomaten der BRD«. Diese würden die Hoffnungen der polnischen Intellektuellen nähren, mit Abschluss der Ostverträge könne sich die polnische Politik in eine neue Richtung entwickeln.61 Unterdessen seien die wahren Ziele der BRD aber, die VRP auszunutzen, sie mittels der »Vertrie­ benen«, d. h. des Bundes der Vertriebenen, entscheidend zu schwächen und durch eine liberale Wirtschaftspolitik vom Westen abhängig zu machen. Laut Mielke sei jedoch der Kampf mit dem Feind trotz der sich aus den völkerrechtlichen Verträgen ergebenden Verpflichtungen möglich. Seine Aussage stellt dabei ein unbewusstes Eingeständnis dar, dass auch das MfS mit bestimmten rechtlichen 59  Vgl. Die DDR im Blick der Stasi 1976. Die geheimen Berichte an die SED-Führung, hg. von Siegfried Suckut. Göttingen 2009, S. 32. 60  Piotr Długołęcki (Hg.): Polskie Dokumenty Dyplomatyczne 1976 r. Warszawa 2008, S. 365. 61  Hinweise für Gespräch mit dem Minister des Innern der VR Polen (31.5.1974); ebenda, S. 31.

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Vorschriften frei umzugehen wusste. Es müssten nur, so Mielke, die Bürger zu wahren Kommunisten erzogen werden und eine politische und wirtschaftliche Einheit aller sozialistischen Staaten erreicht werden.62 Dabei warf man der VRP indirekt vor, diese Einheit zu zerstören, indem man Deutschstämmige in die BRD ausreisen ließ. Dass die DDR dies im Gegenzug für Kredite ebenfalls tat, blieb unerwähnt. Die NATO habe, so Mielke weiter, die Volksrepublik als Schwachstelle des Warschauer Paktes erkannt und würde nun gezielt eine unabhängige polnische Politik fördern. Ähnlich anschuldigend sind auch die Aussagen der MfS-Funktionäre zu verstehen, dass die Intensität der zivilgesellschaftlichen Kontakte vor allem der BRD entgegenkomme, da diese dadurch eine eigene Agentur in Polen aufbauen und Dissidenten unterstützen würde. General Kiszczak behauptet in seinen Memoiren, dass sich die beiden Minister wenn überhaupt, dann nur am Rande mit der bilateralen Zusammenarbeit beschäftigten. Eine Analyse der Materialien bestätigt Kiszczaks Aussage insofern, als über sie nicht im Detail gesprochen wurde. Im Extremfall widmete man dem Thema nur zwei Sätze, um ein Treffen der Abteilungsleiter zu vereinbaren, auf dem diese die Details besprechen würden. Das MfS beurteilte die Kontakte als ungenügend. Bereits 1977, also keine drei Jahre nach der Unterzeichnung des Grundsatzvertrages, verwies Mielke irritiert darauf, dass man doch bereits 1974 die Notwendigkeit eines besseren Informationsaustauschs und der Koordination der geheimdienstlichen Tätigkeit erkannt habe und dennoch eine nur schwache Zusammenarbeit bestehe.63 Die Treffen Ende der 1970er-Jahre wurden daher auch von seinen Forderungen nach einer Verbesserung der Kontakte und seinen Belehrungen der polnischen Seite gegenüber dominiert. Das MSW solle seine Aufklärungstätigkeit optimieren, stärker mit den IM zusammenarbeiten, Ausländer genauer kontrollieren und die Partei detailliert über mögliche Gefahren in Kenntnis setzen. Auch der vereinzelt geäußerte Dank für NATO-Dokumente über die DDR, die der polnische Geheimdienst an das MfS weitergeleitet hatte, konnte diese negative Bewertung der Kontakte nicht abschwächen.64 Dies verwundert nicht, wurden doch in den für Mielke vorbereiteten Gesprächsmaterialien vor allem negative Sachverhalte hervorgehoben, etwa dass Mitarbeiter polnischer Institutionen in besonders sensiblen Bereichen gegen ostdeutsches Recht verstoßen hatten.65

62  Vgl. das Stenogramm des Gesprächs vom 13.11.1975; BStU, MfS, HA IX Nr. 5606, Teil II, S. 378. 63  Hinweise für ein Gespräch mit leitenden Vertretern des Bruderorgans der VRP (23.2.1977); ebenda. 64  Auszüge aus der Notiz über die Gespräche zwischen Genossen Minister Mielke u. dem Minister des Innern der VR Polen [23.2.1977]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13578, S. 1. 65  Konzeption für die Beratungen mit führenden Vertretern des Innenministeriums der VRP [12.–14.6.1978]; ebenda.

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Interessant ist, die Reaktionen der polnischen Seite zu betrachten. Bis etwa Mitte der 1970er-Jahre waren die stellvertretenden Minister in der Lage, die operativ-politische Situation der VRP in zwei Sätzen zusammenzufassen: Man informierte Mielke über die Vorbereitungen zu einem Parteitag und dass die »polnischen Tschekisten« mit entsprechenden Aufgaben betraut worden waren.66 Des Weiteren sprach man über Angelegenheiten, die in keinem Zusammenhang mit der operativen Tätigkeit standen und berichtete beispielsweise über die Erfolge der polnischen Verwaltungsreform von 1975.67 Da jedoch Mielke diese knappen Aussprachen nutzte, um im Anschluss selbst stundenlange Monologe zu halten,68 passten sich die polnischen Funktionäre dieser Angewohnheit schrittweise an, bis sie selbst langatmige, inhaltslose Referate in geschliffener sozialistischer Rhetorik vortrugen69 – womit sich diese Auftritte der MSW-Leitung problemlos in das innenpolitische Konzept der »Erfolgspropaganda« (propaganda sukcesu) einfügten: Die breit angelegten Propagandakampagnen vor den Parteikongressen der PVAP waren ein unbestreitbarer Erfolg, die Stimmung innerhalb der Partei selbstverständlich ausgezeichnet, die Situation im Land sehr stabil, und bedeutende politische Ereignisse, wie die Verwaltungsreform von 1975, ermöglichten es dem Staat, neue fähige Beamte auszubilden. Als man ab 1977 begann, über die Tätigkeit der ersten landesweiten unabhängigen Organisation – dem Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) – zu berichten, gab man von Anfang an offen zu, dass ihr nicht nur die Intelligenz, sondern auch Parteimitglieder angehörten.70 Ebenso offen informierte das MSW über die Unruhen, die durch die Preispolitik der Partei ausgelöst worden waren, und über die zunehmende Korruption, als deren Auslöser der Westen und die katholische Kirche identifiziert wurden. Man gestand eine Mitschuld an der starken Entwicklung der Opposition ein, beschuldigte aber gleichzeitig die PVAP, diese habe den Versicherungen der Kirchenoberen naiv geglaubt, dass sich der Klerus nicht in der Politik engagieren würde.71 Damit vollzog das MSW ein taktisch geschicktes Manöver, da es einerseits Selbstkritik übte und sich zu bessern versprach und andererseits suggerierte, die Schuld an der gegenwärtigen Situation läge ohnehin nicht bei ihm. Dies eröffnete auch symbolisch die zweite Phase der protokollarischen Kontakte auf der Leitungsebene beider Geheimdienste. 66  Zusammenfassung der Gespräche vom 13.11.1975: BStU, MfS, HA IX Nr. 10254, S. 90. 67  Notiz der Gespräche des Innenministers Kowalczyk in Berlin vom 18.11.1976; BStU, MfS, Abt. X Nr. 1910, S. 10. 68  Laut Wolf dauerte die längste interne Rede Mielkes angeblich 7,5 Stunden. Siehe Glocke; Winters: Im geheimen Krieg, S. 413. 69  Beratung mit der Delegation des MdI der VRP [12.6.–14.6.1978]; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16247, S. 91. 70  Auszüge aus der Notiz über die Gespräche zwischen Genossen Minister Mielke u. dem Minister des Innern der VR Polen [23.2.1977]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13578, S. 2. 71  Zit. nach: BStU, MfS, HA XVII, Nr. 14920, S. 58.

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Geheimdienstliche Diplomatie zwischen der DDR und der VRP in der Zeit der polnischen Krise 1980 bis 1983 In den Jahren 1980 bis 1983, also in der Zeit der bedeutendsten innenpolitischen Turbulenzen in der Geschichte Volkspolens, war das Ziel jeder offiziellen Begegnung, vor allem ostdeutscherseits, Informationen über Polen zu sammeln. Sie sollten meistens während der Konsultationen der einzelnen Ministeriumsabteilungen gewonnen werden. Und in der Tat gelangten die ostdeutschen Gesprächspartner an viele Informationen und Erkenntnisse, die die spätere politische Entwicklung relativ deutlich prognostizierten. Und das war auch das Ziel der polnischen Seite, nämlich zu zeigen, dass die Sicherheitsbehörden Volkspolens trotz aller Probleme die Lage im Land in den Griff bekamen. Dazu ein paar Beispiele. Einige hauptamtliche Mitarbeiter des MSW kritisierten beispielsweise die Leitung des MSW und der PVAP bereits 1980 deutlich, also bevor die Generäle Jaruzelski und Kiszczak diese Ämter übernahmen. Bezeichnend ist, dass diese Kritiker zu den engsten Mitarbeitern der beiden Machthaber wurden.72 Diejenigen, die davon abweichende Ansichten geäußert hatten und etwa im April 1980 behaupteten, es sei »der Westen« und nicht die VRP, der sich in einer Krise befände, dass man die Opposition unter Kontrolle habe und es so wenige Dissidenten gebe, dass sie auf »einem Sofa Platz fänden«73, wurden entlassen. Sie waren für die polnische Seite aus taktischer Sicht dennoch nützlich. Erstens lieferten sie durch ihr Verhalten selbst den Grund, sie wegen Unfähigkeit ihrer Ämter zu entheben und gaben damit Kiszczak die Möglichkeit, die eigenen Reihen zu säubern. Wie viele Memoiren von ehemaligen Stasi-Funktionären belegen, verfügte die Mehrheit von ihnen über sehr gute Beziehungen zur Stasi. Ihre Entlassung erschwerte es dem ostdeutschen Geheimdienst folglich erheblich, nach 1981 Kontakt zu den wichtigsten Personen des Innenministeriums aufzunehmen und verringerte seinen Einfluss.74 Schließlich wurden diese Fehleinschätzungen zweifellos vom MfS dem KGB übermittelt und stellten daher ein Argument mehr für ein radikales Handeln der Generäle Jaruzelski und Kiszczak dar, die darüber hinaus in den Kreisen des sowjetischen Militärs einen guten Ruf genossen.75 Selbstverständlich glaubten nicht alle Funktionäre des MfS, was sie in Polen gehört hatten. Der Leiter der HV A etwa, Wolf, bewertete die ihm ab August 1980 übermittelten Einschätzungen der politischen Situation Polens skeptisch.76 Allerdings muss auch mit seinen Behauptungen kritisch umgegangen werden, zumal er im Innenministerium auf verschiedene Meinungen traf, wie sich die 72  Vgl. BStU, MfS, HA II Nr. 30043, Bd. 1, S. 172. 73  Tantzscher: Die Feinde des Sozialismus, S. 225. 74  Wolf: Spionagechef, S. 336. 75  Lech Kowalski: Generał ze skazą. Biografia Wojskowa generała armii Wojciecha Jaruzelskiego. Warszawa 2001, S. 410. 76  Wolf: Spionagechef, S. 334.

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polnische Regierung gegenüber den Streikenden auf der Danziger Werft verhalten sollte und wie die Ereignisse zu bewerten seien. Die Generäle Bogusław Stachura (bis 1983 stellv. Innenminister), Mirosław Milewski und Jan Słowikowski (bis 1981 Leiter der Auslandsaufklärung) äußerten Wolf gegenüber, dass man die Opposition unmöglich legalisieren könne und schlossen noch Ende August 1980 nicht aus, dass es zu einer Eskalation der Proteste kommen würde und man sie notfalls gewaltvoll niederschlagen müsse.77 Im Laufe des Jahres äußerte die mittlere Führungsebene des MSW ihre Kritik an der Partei gegenüber dem MfS immer freimütiger und gab zunehmend deutlich zu verstehen, dass sie bereit war, Gewalt anzuwenden – eine Haltung, die ganz der Honeckers entsprach.78 Bereits am 10. Oktober 1980, während eines Treffens mit Repräsentanten aller in Warschau vertretenen sozialistischen Geheimdienste, äußerte der Leiter der Abteilung IV des MSW (zuständig für Kirchenorganisationen) die Ansicht, die Partei sei nicht in der Lage, ihre Macht auszuüben.79 – Eine zwar indirekte, aber umso deutlicher zutage tretende Kritik an der PVAP, da die sonst üblichen Hinweise auf diktierte Predigten und Erfolge bei der Bekämpfung des Klerus auf ein Minimum reduziert waren. Stattdessen dominierte eine sachliche Analyse der Einstellung des Episkopats, das unkontrollierte Revolten verhindern und zur Mäßigung aufrufen sollte, aber im Stillen die Forderungen der Solidarność teilte. Waren solcherlei zweideutige Aussagen auf so großen Treffen wie dieser Konferenz möglich, so äußerten sich die Vertreter der MSW während bilateraler Gespräche in einer Weise über die PVAP und die Rolle des Innenministeriums, die keine Zweifel aufkommen ließ. Ab November 1980 ließ die Leitung der Aufklärungsabteilung dem MfS gegenüber durchblicken, man habe dem Zentralkomitee seit Langem Informationen über eine mögliche politische Krise zugesendet, diese seien aber als »Schwarzseherei« abgetan worden. Die PVAP würde Bedrohungen regelmäßig unterschätzen und das MSW sei nicht länger bereit, dies mit anzusehen. Mehr noch, besäße man selbst die entsprechenden Mittel, den Konflikt zu überwinden, würde man reagieren.80 Ab 1981 wurde die Kritik an der eigenen Partei noch schärfer formuliert, indem man dem in der Partei herrschenden Chaos und deren Konzeptionslosigkeit die Disziplin und klaren Ziele der Solidarność gegenüberstellte.81 Die Tätigkeit der eigenen IM bewertete man ebenfalls kritisch und gab beispielsweise zu, die Strukturen der Medien so gut wie überhaupt nicht durchsetzt zu haben. Ähnlich direkt sprach man von der ökonomischen Krise 77  Borodziej; Kochanowski: Polska w oczach, Bd. II, S. 38. 78  Michael Kubina, Manfred Wilke (Hg.): Hart und kompromisslos durchgreifen. Die SED contra Polen 1980/81. Berlin 1995, S. 115. 79  Notiz vom 17.10.1980; BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5614, Bd. 2, S. 285. 80  Dieser Satz fiel während des Treffens der Leitung der HA IX des MfS und der Ermittlungsabteilung des Innenministeriums vom 26.11.1980. BStU, MfS, HA IX Nr. 10254. 81  Notiz vom Gespräch am 21.5.1981; BStU, MfS, HA II 30043, Bd. 1, S. 172.

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der Volksrepublik, von Versorgungsproblemen und der Staatsverschuldung. Aber selbst dann übermittelten die Delegationen des MfS lediglich »Grüße von den Genossen aus der DDR« und beschränkten sich auf Anmerkungen, der polnische Geheimdienst müsse stärker an der geheimdienstlichen Erkennung arbeiten. Kiszczak und Jaruzelski verstanden, wie zentral diese Frage für die Stasi war. Ab Oktober 1981 behauptete die polnische Seite deshalb, im Bereich der Identitätsfeststellung deutliche Fortschritte gemacht zu haben und dadurch offensiv gegen die Konterrevolution vorgehen zu können.82 Neben Benachrichtigungen über einen Wechsel in der Führungsriege der PVAP bat man um materielle und logistische Unterstützung, ohne zu leugnen, dass man diese nutzen würde, um Gewalt anzuwenden. Zwar verschwendete man auf der mittleren Ebene keine Zeit auf ein ausgearbeitetes Protokoll, jedoch hatte die polnische Seite einen solchen Grad der »politischen Korrektheit« erreicht, dass sie plötzlich selbst nicht vergaß, die Mitarbeiter des MfS als »Tschekisten« zu betiteln, vor allem, wenn es um die Zusage materieller Hilfen ging. Dies konnte die Beziehungen kaum verbessern und beendete auch die Vorwürfe gegenüber dem MSW nicht. Aber das MfS hatte stets seine Bereitschaft zu helfen signalisiert und tat dies auch, als bekannt war, dass die polnische Regierung bereit war, den Kriegszustand auszurufen. Während der Gespräche mit den Stellvertretern Kiszczaks im November 1981 forderte die ostdeutsche Seite im Gegenzug häufigere Konsultationen zwischen den Ministern, erwartete einen offensiveren Kampf gegen die Opposition und verlangte, über die anstehende Ausrufung des Kriegszustandes gründlich informiert zu werden.83 Die Zufriedenheit des MfS darüber, dass sich das polnische Militär und das Innenministerium am 13. Dezember 1981 dazu entschieden hatten, gewaltsam gegen die Opposition vorzugehen, war nicht zu übersehen. Das Vertrauen in die polnische Seite wuchs dennoch nicht. Daher war das MSW auch während der zweiten Phase der bilateralen Kontakte darauf bedacht, das Bild des eigenen Geheimdienstes in der DDR zu verbessern. Es sollte nicht nur berichtet werden, dass man die Opposition bekämpfe, sondern auch, dass in diesem Bereich entscheidende Erfolge verbucht wurden. Das Ergebnis war, dass das MSW etliche propagandistische Formulierungen des MfS übernahm, die es bisher in seiner Informationspolitik vermieden hatte, und seinem ostdeutschen Partner eine Reihe fiktiver Erfolge präsentierte. Da aber das MfS über seine Operativgruppe Warschau imstande war, die vermeintlich gegen die Solidarność erzielten Erfolge zu überprüfen, kann man davon ausgehen, dass es kaum an Vertrauen in die Aufrichtigkeit des polnischen Partners gewonnen hatte. Man achtete daher darauf, deutlich ideologisch gefärbte Angelegenheiten nur auf der höchsten Ebene zu 82  HA IX/2, Information vom 17.10.1981; BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 323, S. 234. 83  Hinweise für Gespräch mit Gen. Zajączkowski, Brigadengeneral, Stellv. des Innen­ ministers der VR Polen und Hauptkommandant der Bürgermiliz am 5.11.1981; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13579, S. 2.

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besprechen, sodass die unteren Ebenen der deutschen Seite über Probleme des MSW berichten konnten, ohne in Extreme verfallen zu müssen. Allein die Tatsache, dass die übrigen osteuropäischen Geheimdienste besonders genau über die Verhängung des Kriegsrechts informiert wurden, zeigt, wie sehr man darum bemüht war, als aktiver Gegner der Konterrevolution wahrgenommen zu werden. Auf einem Sondergipfel der Residenturen aller sozialistischen Innenministerien in Warschau informierte man die anwesenden Vertreter, das MSW habe angesichts der Absicht der Solidarność, die Macht im Land zu übernehmen, nun »unter den Bedingungen des Kriegsrechts« die notwendigen Maßnahmen ergriffen.84 Zwar sei es für abschließende Auswertungen der Operation zu früh, aber bereits der erste Tag könne als Erfolg gewertet werden. Alle beteiligten Einheiten hätten eng zusammengearbeitet und sich tadellos verhalten. Der Feind sei komplett überrascht worden, sodass man bereits am ersten Tag die Hälfte aller geplanten Festnahmen durchgeführt habe und dabei auf wenig Widerstand gestoßen sei. Darüber hinaus seien die Verhaftungen ehemaliger Entscheidungsträger, etwa des damaligen Parteiführers Gierek, von der Bevölkerung begrüßt worden. Schließlich habe sich die Geistlichkeit einsichtig verhalten und innerhalb des Militärs sei es zu keinerlei Disziplinarvergehen gekommen. Wie in der jüngsten Fachliteratur aufgezeigt wurde, ist diese Darstellung weit entfernt von der tatsächlichen Situation, die mit dem 13. Dezember 1981 eintrat.85 Daher trafen sich ab Januar 1982 vor allem die Leitungen der Spionageabwehr zu regelmäßigen Konsultationen über die innenpolitische Lage der Volksrepublik.86 Während dieser wurden in erster Linie operative Angelegenheiten besprochen. Man tauschte Informationen über die intensivierten Kontakte zwischen den Geheimdiensten der NATO-Staaten und Vertretern der demokratischen Opposition in Polen aus und entwickelte Strategien, diese zu verhindern. Daneben erörterte man die innenpolitische Lage, ohne dabei die Beschönigungen der Minister zu wiederholen. Die polnische Seite gab Probleme innerhalb der Partei­ organisationen zu und relativierte die vermeintlichen Errungenschaften im Kampf gegen die Solidarność, konnte jedoch auch auf kleine Erfolge verweisen, wie die Desintegration des landwirtschaftlichen Teils der Gewerkschaft und umfangreiche Kenntnisse über die konspirative Tätigkeit ihrer Leitung, die man aus den aktuell­sten Sitzungsprotokollen und Aufzeichnungen ihrer Treffen gewonnen hatte. Im Zusammenhang mit den zentralen Fragen aber, wie der Fahndung nach den bedeutendsten Solidarność-Führern, darunter Zbigniew Bujak, konnte man der ostdeutschen Seite jedoch keine Fortschritte berichten. 84  Operativgruppe Warschau. Notiz vom 13.12.1981; BStU, MfS, HA II Nr. 38062, S. 1. 85  Tadeusz Ruzikowski: Stan wojenny w Warszawie i województwie stołecznym 1981–1983. Warszawa 2009, S. 59; Tomasz Kozłowski, Grzegorz Majchrzak (Bearb.): Kryptonim 333. Internowanie Lecha Wałęsy w raportach funkcjonariuszy Biura Ochrony Rządu. Chorzów 2012, S. 8. 86  Vgl. Bericht vom Aufenthalt der Delegation des Innenministeriums in der DDR [12.– 13.1.1982]; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 293, S. 237.

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Während das MSW auf dieser mittleren Ebene auf Verständnis des ostdeutschen Partners traf, war dies für die Leitungsebene undenkbar. Für Mielke und die SED-Führung, also für Personen, die sich mental ihr gesamtes Leben lang in einer Welt des spanischen Bürgerkrieges befanden,87 musste nach dem 13. Dezember 1981 ein besonderes ideologisches Schauspiel geboten werden, vor allem da die polnischen Streitkräfte auf die Unterstützung aus der DDR angewiesen waren und den ostdeutschen Spitzenfunktionären gegenüber – natürlich nur verbal – eingestanden werden sollte, dass sie Recht gehabt hätten. In Polen seien tatsächlich politische Fehler begangen worden, die zur Krise geführt hätten. Die neuen Machthaber würden nun aber diese Gefahr neutralisieren und zu einem starken Sozialismus zurückkehren. Der Besuch Mielkes im März 1982 spielte eine enorm große Rolle bei der Verfolgung der bereits erwähnten Ziele. Der Leiter des Staatssicherheitsministe­ riums traf sich in Warschau nicht nur mit den Generälen Jaruzelski und Kiszczak, sondern nahm auch den Verdienstorden der Volksrepublik Polen entgegen.88 Zweifellos wusste die polnische Seite die auch von Biografen nach 1989 erwähnte Arroganz und den Egoismus Mielkes zu nutzen.89 Weder bei früheren Besuchen noch in Zukunft sollte dem Leiter des MfS derlei viel Lob zukommen. Jaruzelski beispielsweise drückte seine Freude darüber aus, die Auszeichnung einem »verdienten Kommunisten« überreichen zu können, der die DDR geschaffen habe, erfolgreich gegen die Feinde des Friedens kämpfe und von Beginn an dem Sicherheitsministerium vorstehe. Noch deutlicher als Jaruzelski drückte sich Kiszczak aus, der ebenfalls alle Schuld an der innenpolitischen Situation auf die ehemalige Parteiführung schob.90 Seinen Vorgängern warf er vor, ungeeignete Methoden angewendet zu haben. Kiszczak traf mit diesen Einschätzungen exakt die Ansichten Mielkes, an den er anschließend die Bitte richtete, den Kampf gegen die Opposition zu unterstützen. Er bat um Hilfe bei der Beschaffung von Material, welches die Gewerkschaftsanhänger belasten würde, um Ausrüstung und um spontane Unterstützung bei Verhandlungen um die Freilassung polnischer Agenten, die im Westen festgenommen worden waren. Die Ausarbeitung dieser Hilfe wurde jedoch zurückgestellt, um die Lieferung von einigen Zehntausend Paar Schuhen, Socken und Unterwäsche zu besprechen.91 Diese benötigte die polnische Armee im Dezember 1981 dringend, da sie nicht nur gegen die Opposition, sondern auch mit der Kälte und der polnischen Mangelwirtschaft zu kämpfen hatte. 87  Ilko Sascha Kowalczuk: Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR. München 2013, S. 80. 88  Alle Zitate nach: Mianowicz: Erich Mielke, S. 91–99; BStU, MfS, ZAIG Nr. 5459. 89  Krüger; Wagner: Konspiration, S. 258. 90  Zechenter: Kalesony, S. 65. Eine ähnliche Haltung vertrat Kiszczak auch in den Gesprächen mit Mielke im Mai 1983. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 280, Bd. 1, S. 153. 91  BStU, MfS, ZAIG Nr. 5399, S. 71.

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In Kiszczaks Darstellungen ist die Situation der Wirtschaft umso schlechter, je erfolgreicher das MSW präsentiert wird. Den steigenden Zahlen der Festnahmen, beschlagnahmten Publikationen und Waffen, zerschlagenen paramilitärischen Verbänden, entlassenen Journalisten sowie Angaben über geringe Verluste in den eigenen Reihen standen erschreckende Wirtschaftsstatistiken gegenüber. Ökonomisch bewege sich die Volksrepublik auf einem Niveau von vor 1947. Die Produktion sei um 19 Prozent gefallen, die Staatsverschuldung belaufe sich inzwischen auf 25 Milliarden Dollar und das Handelsembargo der Vereinigten Staaten habe zu einer kritischen Situation in der Lebensmittelversorgung geführt. In einem Vieraugengespräch stellte aber dann Kiszczak Mielke ein Szenario vor, welches einige Jahre später realisiert werden sollte. Der Leiter des MSW unterstrich, dass man auf lange Sicht nicht durch Waffengewalt werde regieren können. Daher benötige man zwei bis drei Jahre, um eine Stabilisierung der Wirtschaft zu erlangen. Diese und grundlegende personelle Veränderungen würden einen bis zum Ende der 1980er-Jahre wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen lassen und eine Demokratisierung des Landes sowie den Sozialismus sichern. Letztendlich erwies sich dies als unmöglich, Ende der 1980er-Jahre waren jedoch Jaruzelski und Kiszczak dazu bereit, den Plan einer kontrollierten Demokratisierung umzusetzen.92 Verständlicherweise vertrat Mielke während dieses Gespräches die übliche Haltung der DDR. Er konzentrierte sich auf die Notwendigkeit, den Kriegszustand aufrechtzuerhalten, bis man die Solidarność zerschlagen hätte und darauf, dass das Innenministerium den Schlüssel zum Erfolg darstelle. Gleichzeitig vermied der Leiter des MfS konkrete Zusagen über Wirtschaftshilfen und machte diese von der Entscheidung des RGW abhängig. Die üblichen Fragen, Vorwürfe und Ratschläge wurden wiederholt: Es würden zu wenige Menschen inhaftiert, Urteile seien zu milde, Strafprozesse zögen sich zu lange hin und das Justizwesen würde vom Innenministerium zu lasch kontrolliert. Mielke wollte wissen, wie man eine Konsolidierung der Opposition verhindern wolle und wann regionale Abteilungen des Sicherheitsdienstes eingerichtet werden würden. Bizarr erscheint angesichts des komplizierten Charakters der bilateralen Beziehungen seine Auffassung, viele ehrliche Menschen würden sich für den Geheimdienst entscheiden, wenn dort eine Atmosphäre des Vertrauens herrschen würde.93 Auf die geheimdienstliche Zusammenarbeit kam Mielke erst auf Seite 25 seiner jeweiligen Rede zu sprechen. Die Kooperation sei stabil, müsse jedoch noch ausgebaut werden. Die nötigen Details würden die Abteilungsleiter ausarbeiten und das MfS die vom MSW erbetene Unterstützung gewähren. Mielke hatte jedoch nicht die Absicht, diese Hilfe an den polnischen Interessen auszurichten. Direkt im Anschluss an seinen Besuch in Warschau schickte Mielke am 23. März 1982 ein Schreiben an seine Stellvertreter mit der Anweisung, Vorschläge zu 92  Antoni Dudek: Historia polityczna Polski 1989–2005. Kraków 2007, S. 15. 93  BStU, MfS, ZAIG Nr. 5399, S. 20.

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unterbreiten, wie das MSW unterstützt werden könne. Diese Hilfe solle jedoch mit »unseren Interessen« übereinstimmen.94 Die Interessen des MfS konnten aber mit jenen des polnischen Geheimdienstes nicht zusammenfallen, vor allem da die Stasi einen Systemwechsel in Polen anstrebte und das Land als Operationsgebiet der eigenen Einheiten wahrnahm. Bis zur Aufhebung des Kriegsrechts wahrte man daher auf offizieller Ebene den Schein einer Interessengemeinschaft. Während der Gespräche der obersten Führungsebene oder auf internationalen Foren bestärkte jedoch die Propaganda, insbesondere aber das Verhalten der polnischen Seite die Vertreter des MfS in ihrer Auffassung, in der Volksrepublik selbst aktiv werden zu müssen. Die Polen thematisierten während der regelmäßigen Briefings der geheimdienstlichen Residenturen Angelegenheiten, die keiner gemeinsamen Besprechung bedurften, wie beispielsweise das vom polnischen Parlament verabschiedete Gesetz über die Gewerkschaften.95 Die Art und Weise, wie das MSW die Sachverhalte präsentierte, erinnerte dabei an die Zeiten vor 1980. Nur so lässt sich auch der Vortrag des Leiters des Planungsbüros [Biuro Studiów] vom November 1982 verstehen. Seine Abteilung war 1982 für die Bekämpfung der Opposition geschaffen worden und verkündete, sie besäße genügend Material, um mit der Solidarność taktische Spielchen führen zu können.96 Diese bestand trotz ihrer Schwächung weiterhin und war in der Lage, Erfolge zu verbuchen. Dennoch stellte der Abteilungsleiter Wałęsa abermals als »Primitivling« dar und behauptete, die gesamte Opposition sei zerschlagen und handlungsunfähig. Die Delegationen des MfS versuchte man in langen Referaten davon zu überzeugen, dass die Probleme der VRP bereits in den Zentralisierungsprozessen von 1948 begründet lägen.97 Eine Ansicht, die die Gäste angesichts der Tatsache, dass die DDR ein zentralistischer Staat war, kaum teilen konnten und die regelmäßig zu Wutausbrüchen Mielkes führte. Gleichzeitig wurden auch die USA und die PVAP verantwortlich gemacht, aber dies und der Verweis auf zunehmende Verhaftungszahlen konnten die Genossen vom MfS nicht beruhigen, zumal das MSW zugab, von der Gesamtheit aller registrierten unabhängigen Organisationen lediglich die Hälfte aufgelöst zu haben. Die stellvertretenden Minister drückten ihre Anerkennung für die Arbeit der polnischen Genossen unter diesen schwierigen Bedingungen aus.98 Aber sie beharrten auf ihrer Sicht der Dinge: Der Feind war die Bundesrepublik, in der DDR gab es keine Opposition und der Großteil der Gesellschaft unterstütze den Kurs der SED. 94  Zit. nach: BStU, MfS, ZAIG Nr. 5399. 95  Operativgruppe Warschau. Information vom 11.10.1982; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13583, S. 74. 96  Notiz von der Unterredung: BStU, MfS, HA II Nr. 38319, Teil I, S. 86. 97  Thesen für das Gespräch mit der Delegation des MfS am 28.3.1983; IPN BU 0296/110, Bd. 5, S. 200. 98  Zit. nach: BStU, MfS, HA IX Nr. 10282, S. 36.

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Auf der Ebene der Abteilungsleiter und Unterabteilungen war der Informationsaustausch deutlich ausgeglichener, obwohl auch hier die dichotomische Aufteilung in eine versagende PVAP und ein rettendes MSW bestimmend war und übertriebene Einschätzungen geäußert wurden. Die Solidarność wurde etwa als terroristische Vereinigung eingestuft, die Hilfe aus dem Ausland erhielt und die Absicht hatte, Mitglieder der PVAP zu ermorden.99 Immerhin verstieg man sich nicht so leicht zu der Aussage, über die Tätigkeit der Opposition umfassend informiert zu sein. Man gab zu, dass über ein Drittel der Richter der Solidarność angehören würden, politische Prozesse dadurch verzögert wurden und man auf Militärgerichte zurückgreifen musste. Außerdem gestand man ein, dass die Kirche bedeutendes Gewicht auf der politischen Bühne besaß und die Geistlichen sich, wenn auch im beschränkten Maße, in der Opposition engagierten. Damit versuchte man auch, für das MfS inakzeptable Ereignisse zu erklären, wie beispielsweise die Pilgerreise von Papst Johannes Paul II. nach Polen im Jahr 1983. Die Abteilungsleiter des MSW sahen den Besuch als Möglichkeit, die Stärke des Staates zu präsentieren und dadurch die Position der Solidarność zu schwächen.100 Die Absurdität dieser Ansichten wurde noch ergänzt durch die sich seit 1980 regelmäßig wiederholenden Feststellungen, man würde die Partei frühzeitig über alle Gefahren informieren und besäße hervorragende Informationsquellen innerhalb der Opposition. Es verwundert also nicht, dass die Offiziere der Stasi mit Ironie in ihren Berichten feststellten, dass das MSW »weiterhin der Meinung sei, mittels seiner Agenten die Konterrevolution steuern zu können«.101 Unstrittig bleibt aber, dass der polnische Geheimdienst in der Lage war, entsprechende Schlussfolgerungen aus der politischen Situation zu ziehen. Dadurch wurde die Wende 1989 möglich und gleichzeitig fand sich der Geheimdienst auf der Seite der Sieger wieder. Im Gegensatz dazu leugneten die elitärsten Einheiten des polnischen Innen­ ministeriums, d. h. die Auslandsaufklärung, die tatsächliche Situation im Lande nicht und benannten als »Feind« nicht nur die CIA, sondern auch potenzielle Rivalen Jaruzelskis und Kiszczaks. Wie es sich für einen erfahrenen Geheimdienstmitarbeiter gehört, stellte der Leiter der HV A nur Fragen, auf die er die Antworten bereits kannte: über die Stärke der im Untergrund agierenden Solidarność, die Aktivitäten der Kirche oder die Pläne, eine Amnestie für die politischen Gefangenen zu erlassen.102 Die Antworten der polnischen Gegenseite waren die kritischste Beschreibung Polens unter dem Kriegsrecht, die der deutschen Seite auf offizieller Ebene übermittelt werden sollte. Die Mitarbeiter des Ersten Departments bewer99  Aussagen der Delegaten des MSW in Berlin am 10.5.1982; ebenda, S. 122. 100  Bericht über eine Beratung mit dem Bruderorgan der VR Polen [29.3.1983]; BStU, MfS, HA XX Nr. 16925, S. 1. 101  Notiz des Gesprächs mit der Leitung des V. Departments des MSW in Berlin vom 24.5.1983; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14167, S. 23. 102  16.2.1983, Gen. Generaloberst Wolf. Fragen an stellv. Innenminister Pożoga; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13592, S. 8; Tantzscher: Was in Polen geschieht, S. 2623.

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teten die Situation innerhalb der PVAP vor allem in den ländlichen Regionen als sehr kritisch. Die Partei verfüge über keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung und den Betrieben und die Berichte über ihr vermeintliches Wiedererstarken seien reine Propaganda. Darüber hinaus verbreitere sich auch die Kluft zwischen Bevölkerung und Sicherheitsapparat.103 Unabhängig von den Anstrengungen des MSW funktionierten die Strukturen der Solidarność auch weiterhin im Untergrund. Als Schuldige wurden interessanterweise das Zentralkomitee der Partei und der ehemalige Innenminister Milewski benannt.104 Wie bereits 1980 entsprachen die der HV A präsentierten Informationen über die Streiks der Wirklichkeit, ebenso die Feststellung, dass man die mit Ausrufung des Kriegsrechts verursachte Verwirrung innerhalb der Solidarność nicht zu nutzen wusste. Wie bereits erwähnt, kamen diese Darstellungen für Wolf nicht überraschend. Ab 1982 hatte das MfS verstärkt die Kontakte zu den regionalen Abteilungen des polnischen Geheimdienstes genutzt und von diesen Stellen Einschätzungen der Lage innerhalb der Woiwodschaften bezogen. Sie ähnelten weitestgehend den Beurteilungen der Führungsriege der Auslandsaufklärung und mussten dennoch mit kritischem Abstand behandelt werden. Ein Teil der Kommandanten der regionalen Abteilungen der Bürgermiliz gab an, dass auf ihrem Gebiet keine Vorfälle registriert worden seien. In einigen Fällen konnte dies auf den provin­ ziellen Charakter der Gegend zurückgeführt werden.105 In anderen aber bedeutete es, dass der Kommandant sich über die Situation in seiner Woiwodschaft nicht im Klaren war oder kein Interesse daran hatte, sein Wissen mit dem ostdeutschen Geheimdienst zu teilen. Wiederum andere Kommandanten wiederholten lediglich die propagandistischen Formulierungen der Warschauer Zentrale oder verweigerten den Kontakt mit der deutschen Behörde. Interessanterweise trat dies vor allem in Gebieten auf, die nicht nur das MfS, sondern auch das MSW als entscheidend für die innenpolitische Situation bewertete. So etwa in Danzig, wo die Gewerkschaft Solidarność entstanden war und das MfS im Generalkonsulat der DDR eine Außenstelle seiner Operativgruppe Warschau eingerichtet hatte. In dieser Hochburg der Opposition weigerten sich die lokalen Funktionäre des MSW, Gespräche mit Vertretern des MfS zu führen oder schlossen es von vornherein aus, über operative Vorgänge zu sprechen. Gezwungenermaßen beschränkte man sich auf die Feststellung, man sei jederzeit in der Lage, in der Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen.106 Kaum verwunderlich, dass die Operativgruppe ab Mitte des Jahres 1982 in ihren Berichten auf den geringen Nutzen solcher Konsultationen hinwies.107 103  Vgl. Protokoll des Gesprächs von M. Wolf mit dem Direktor des I. Departments, Oberst Fabian Dmowski, im April 1982; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 280, Bd. 2, S. 304. 104  Information vom 14.3.1983; BStU, MfS, HA II Nr. 38894, S. 34. 105  Gesprächsbericht vom 3.2.1983; BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 295. 106  Notiz aus solchem »Gespräch«: BStU, MfS, HA II Nr. 38642, S. 7. 107  Operativgruppe Warschau. Bericht vom 16.6.1982; BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 203.

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Das dennoch anhaltende Interesse des MfS scheint die polnische Regierung ausgenutzt zu haben, um während der zustande gekommenen Lokaltreffen zu ermitteln, welche Möglichkeiten der operativen Tätigkeit gegen den ostdeutschen Geheimdienst bestanden und wie die Tätigkeit der Stasi in der Volksrepublik einzuschränken sei. Das MfS nutzte diese offiziellen Treffen seinerseits, um an inoffizielle Informationen zu gelangen. Vor allem auf der Ebene der Woiwodschaften übergaben die Mitarbeiter der Stasi ihren Gesprächspartnern sehr viele Lebensmittel108 und konnten dadurch die in Warschau erhaltenen Informationen verifizieren und vervollständigen, obwohl die regionalen Abteilungen des Sicherheitsdienstes versicherten, von der sogenannten Zentrale keinerlei Informationen erhalten zu haben. Dabei handelte es sich nicht nur um allgemein bekannte oder leicht zu erlangende Informationen, wie etwa den Hinweis der lokalen Behörde in Kattowitz, dass es dort im Januar 1982 nur eines Funkens bedürfe, um neuerliche Proteste auszulösen.109 Stattdessen erstaunt, wie indiskret einige der Sicherheitsbeamten der regionalen Abteilungen des MSW sich verhielten. Beispielsweise informierten sie die ostdeutsche Seite darüber, wer innerhalb der diplomatischen Vertretungen Polens in der DDR Mitarbeiter des Geheimdienstes war und wie es zur Ernennung von einigen der lokalen Parteisekretäre gekommen war. Gleichzeitig nutzten sie die Gelegenheit, die Stasi-Funktionäre etwa um Hilfe bei ihren Urlaubsanträgen für die DDR zu bitten,110 was diese unweigerlich als ersten Schritt hin zu einer Anwerbung oder als eine Provokation seitens des MSW verstehen mussten. Dem polnischen Geheimdienst war nämlich bekannt, dass das MfS die DDR-Aufenthalte der polnischen Funktionäre oft dazu nutzte, um diese als IM anzuwerben und entschied daher an zentraler Stelle über die Urlaubsanträge. Dafür, dass es sich um eine gezielte Provokation handelte, spricht auch, dass die lokalen Treffen und damit auch die Bitten um Unterstützung offiziell protokolliert wurden und Warschau dadurch informiert war. Des Weiteren musste die große Zahl der direkten Anfragen regionaler Abteilungen des MSW an die jeweiligen Außenstellen der Operativgruppe Warschau misstrauisch machen. Das Angebot, über »internationale Angelegenheiten« zu sprechen, deckte sich nämlich selten mit dem Tätigkeitsbereich der jeweiligen regionalen Abteilung der Bürgermiliz.111 Außerdem äußerten die gesprächigen polnischen Funktionäre dem MfS gegenüber niemals etwas Schlechtes über ihre Vorgesetzten oder die Arbeit des Militärs, auch wenn sie oft die Tätigkeit der Partei und der Zivilverwaltung kritisierten.112 Darüber hinaus sollte nicht 108  BStU, MfS, HA II Nr. 38319, Teil I, S. 99. 109  Bericht vom Treffen mit Vertretern des Geheimdienstes in Kattowitz vom 29.1.1982; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 6454, S. 11. 110  Siehe die Information über eine solche Bitte: BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 297. 111  Siehe Notiz vom 4.10.1982; BStU, MfS, HA II Nr. 38319, Teil I, S. 56. 112  Hervorzuheben ist, dass es sich nicht um inoffizielle Gespräche handelte. BStU, MfS, HA XVIII Nr. 6454, S. 13.

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vergessen werden, dass das MSW seit dem 13. Dezember 1981 die Botschaften verstärkt überwachte und damit auch die Auslandsvertretungen der sozialistischen Geheimdienste. Bis zur Aufhebung des Kriegsrechts beschränkte sich das MfS auf offizieller Ebene daher auf die Pflege der formellen Kontakte und versuchte, Schwierigkeiten zu vermeiden. Es blieb bei den üblichen Floskeln, Treffen, der notwendigen Korrespondenz113 und kleinen Geschenken114. Mit einer grundlegenden Verbesserung der Kontakte konnte jedoch nicht gerechnet werden, zumal die strategische politische Entwicklung Polens und der DDR so unterschiedlich war, dass sie zu einer extremen Veränderung der politischen Beziehungen führen musste, auch auf der geheimdienstlichen Ebene. Das geheimdienstliche Protokoll in der Zeit der Perestrojka 1985 bis 1989 Die Beziehungen zwischen dem MSW und dem MfS sollten sich erst in ihrer letzten Phase verändern – zu einem Zeitpunkt, an dem sich auch die politische Situation änderte, die einen entscheidenden Einfluss auf die Beziehungen besaß. Außer der Aufhebung des Kriegsrechts endete 1985 – also mit dem Amtsantritt Gorbatschows – die Bereitschaft der beiden Geheimdienste, ihre bisherige Politik fortzusetzen. Während der ersten zwei Jahre nach dem Ende des Kriegsrechts übermittelte das MSW zunächst noch Berichte über die schwierige, sich jedoch bessernde wirtschaftspolitische Lage des Landes und auch das MfS wiederholte seine Hilfsversprechen und Aufforderungen, den Kampf mit der Opposition zu verstärken. Zunehmend jedoch wuchs das Misstrauen bezüglich der wahren Absichten der PVAP und des MSW, und 1985 trat eine Situation ein, wie sie bereits Anfang der 1970er-Jahre existiert hatte. Der Amtsantritt Michail Gorbatschows und sein reformpolitischer Kurs wurden in der VRP als Chance wahrgenommen, von der DDR jedoch grundsätzlich abgelehnt. Dieser Meinungsunterschied übertrug sich auf die politischen Beziehungen, die sich konsequent auf allen Ebenen verschlechterten. Die polnische Seite versuchte während der Treffen mit Vertretern des MfS wiederholt, ihre Haltung als Voraussetzung für eine Sicherung des Einflusses der Geheimdienste im Falle eines politischen Systemwechsels darzustellen. Das MfS brachte diesen Behauptungen jedoch kein Verständnis entgegen und behandelte die Vertreter der VRP bald offen als »Verräter des Sozialismus«. Gleichzeitig war das MfS auf diese offiziellen Kontakte angewiesen, um die geheimdienstlich erlangten Daten mit den Informationen aus dem MSW abgleichen zu können. Da die ostdeutsche Führung die Politik der Volksrepublik wie auch die der UdSSR zunehmend scharf und arrogant kritisierte, die polni113  Edward Poradko an Manfred Dietze, Schreiben vom 1.1.1984; BStU, MfS, AS 332/84, S. 227. Siehe auch IPN BU 01062/43, Bd. 71, S. 70. 114  Entsprechende Verzeichnisse: BStU, MfS, Abt. N Nr. 31, S. 123.

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schen Generäle Jaruzelski und Kiszczak die Politik der Glasnost und Perestroika aber akzeptierten, kam das Verhalten der DDR-Funktionäre einem politischen Selbstmord gleich. Die Begegnungen der Minister wurden auf ein Minimum beschränkt und dafür mehr Planungstreffen der Abteilungsleiter anberaumt. Zudem griff man verstärkt auf die Mittlertätigkeit von Verbindungsoffizieren zurück und reduzierte das diplomatische Protokoll. Der polnische Geheimdienst überwachte immer öfter die jeweiligen Beratungen, um Informationen für die eigene operative Arbeit zu gewinnen. Ungeachtet der angerissenen Probleme war die dritte Phase der Kontakte die intensivste im Hinblick auf die Häufigkeit der Treffen. Die ranghohen Mitarbeiter der Sicherheitsministerien trafen sich mindestens ein Mal im Monat, ebenso häufig kam einer der stellvertretenden Innenminister mit den Verbindungs­ offizieren des MfS zusammen, um mit diesen neben operativen Angelegenheiten auch rein politische Themen zu besprechen.115 Bezieht man die Beratungen mit ein, während der die einzelnen Abteilungen lediglich operative Angelegenheiten regelten, ist mindestens ein Termin pro Woche zu verzeichnen. Während der 1980er-Jahre begannen Geschenke eine besondere Rolle innerhalb der bilateralen Beziehungen zwischen MSW und MfS zu spielen. Zumeist waren es die in der Diplomatie üblicherweise überreichten Gegenstände. Manchmal wurde das Geschenk auch an die Interessen des Gastgebers angepasst, so etwa, als Kiszczak ein Jagdgewehr überreicht wurde.116 Man konnte jedoch kaum Dankbarkeit erwarten, wenn einem gut bezahlten General, der stellvertretender Ressort­ leiter war, ein halber Liter Wodka, 250 Gramm Kaffee, zwei Tafeln Schokolade und ein Grillset überreicht wurden.117 Selbst wenn oder gerade weil ein Großteil der polnischen Gesellschaft für diese Artikel hohe Summen auf dem Schwarzmarkt zahlen musste, konnte dies nur als eine Beleidigung aufgefasst werden. Nicht nur diese Art absurder Geschenke beeinträchtigte die bilateralen Beziehungen, zumal das MSW ab Mitte der 1980er-Jahre keinerlei Anlass sah, sich um eine Verbesserung zu bemühen. Dennoch waren die Vertreter des MSW in der Lage, gegenüber Mielke Haltung zu bewahren und auf seine ab 1983 zunehmenden Anschuldigungen und arroganten Versicherungen, niemanden belehren zu wollen, diplomatisch zu reagieren. Man dankte, durchaus zynisch, für die »warmen Worte«118 und ging anschließend offen auf die tatsächlich existierenden Probleme ein. Bis einschließlich 1985 stellten Minister wie Vertreter des Militärs ein kohärentes Bild der politisch-operativen Situation dar, unabhängig von einer bei den Offizieren feststellbaren Tendenz zur Propaganda. Den ostdeutschen 115  Vgl. die Monatsberichte der OG Warschau; BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 312. 116  Verzeichnis der Geschenke in: BStU, MfS, Abt. X Nr. 515, S. 9. 117  Siehe Übersicht zu Geschenken; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1257, S. 133. 118  Materialien zum Treffen zwischen Mielke und Oberst Zbigniew Pudysz [damals stellv. Leiter des Untersuchungsbüros des MSW] am 7.12.1983; BStU, MfS, HA IX Nr. 10255, S. 228.

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Gesprächspartnern sollte verdeutlicht werden, dass man unermüdlich an der Lösung der Krise arbeite und die zentralen Einheiten des Geheimdienstes und vor allem der militärischen Aufklärung trotz dieser der Partei und der Staatsführung gegenüber loyal blieben. Im Gegensatz zu früheren Gesprächen wurde die Politik General Jaruzelskis in dieser Zeit nicht infrage gestellt. Es sei nur dank ihm möglich gewesen, den Kriegszustand einzuführen und die Streitkräfte zu stärken. Außerdem wurden der Misserfolg der Solidarność, die von den Grundwehrdienstleistenden keine Unterstützung erfahren hatte, das Anwachsen der Agentenzahl auf das Doppelte und die ständige Bereitschaft der Armee, den Feind zu bekämpfen, als positive Punkte ins Feld geführt.119 Gleichzeitig verschwieg man auch die eigenen Probleme nicht, wie etwa Fahnenflucht. Die Offiziere der polnischen Volksarmee sahen in der am 13. Dezember 1981 erreichten Stabilisierung keineswegs die Überwindung der Wirtschaftskrise, einen Sieg über den Einfluss der Kirche oder die Stärkung der PVAP.120 Ab Ende des Jahres 1985 mussten sie sogar von Erfolgen der Opposition berichten, der es gelungen war, die Reihen der Armee zu unterwandern.121 Den Vertretern des MfS wurde deutlich signalisiert, dass das Militär alle zukünftigen Entscheidungen General Jaruzelskis unterstützen würde und ein eventueller Versuch des MfS, konservative Kräfte innerhalb der polnischen Partei gegen Jaruzelski und Kiszczak zu nutzen, einen Angriff gegen beide Sicherheitsdienste bedeuten würde. Einen ähnlichen Standpunkt vertraten auch die Mitarbeiter des MSW. Im Gegensatz zum Verteidigungsministerium hatte dieses allerdings in den Jahren 1983 bis 1985 mit deutlichen Personalproblemen auf der mittleren Führungsebene zu kämpfen. Insbesondere nach dem von Sicherheitsbeamten verübten Mord am Priester Jerzy Popiełuszko kam es zu Entlassungen und Schauprozessen gegen die Täter. Darüber hinaus wurde der damalige Innenminister Milewski, als vermeintlicher Drahtzieher des Mordes, aus dem Politbüro ausgeschlossen.122 In ihren Berichten an das MfS machten die Abteilungsleiter des Innenministeriums dennoch wieder den »äußeren Feind« für den Mord verantwortlich. Den durchaus unbeliebten eigenen Minister verteidigte man und beschuldigte stattdessen die CIA, vom Westen bezahlte Kriminelle oder den polnischstämmigen außenpolitischen Berater des US-Präsidenten Carter, Zbigniew Brzeziński.123 119  Schreiben an Mielke vom 7.11.1983 – Bericht vom Aufenthalt in Polen; BStU, MfS, HA I Nr. 13988, S. 148. 120  Vgl. das Gespräch des Leiters der HA I und des Chefs des polnischen Militärbezirks Pommern vom 16.5.1984; ebenda, S. 140. 121  Notiz über das Treffen der Leiter der HA I und des polnischen Militärischen Inneren Dienstes vom 26.6.1985; BStU, MfS, HA I Nr. 14149, S. 369. 122  Bagieński; Gontarczyk: Afera »Żelazo«, S. 27. 123  Ähnliche Feststellungen finden sich in entsprechendem Schriftwechsel zwischen Kiszczak und Mielke. Der polnische Innenminister machte dort die westlichen Geheimdienste für den Mord verantwortlich. Siehe das Telegramm vom 7.11.1984; BStU, MfS, AS 66/88, S. 2.

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In den offiziellen Gesprächen dagegen fehlten solche ideologisch gefärbten Begründungen. Stattdessen präsentierte das MSW unverfälschte Daten zur wirtschaftlichen Lage der VRP. Im Vergleich zu Mielkes Angaben über die DDR fielen diese sehr viel schlechter aus: Selbst wenn ab 1985 eine Verbesserung der Situation zu verzeichnen war, etwa ein Produktionswachstum, war dies stets verbunden mit einer Rezession, etwa dem Rückgang der Produktivität.124 Die Vorstellung der Situation des Innenministeriums war auch selbstkritisch. Es würde an Arbeitswilligen fehlen, die Löhne seien gekürzt worden und der Sicherheitsdienst habe jegliches Ansehen innerhalb der Gesellschaft verloren. Trotz dieser Widrigkeiten sei es dem MSW gelungen, offensiver gegen die Opposition vorzugehen und dadurch beispielsweise die Kontrolle über alle illegalen Druckereien zu erlangen.125 Erst vor diesem Hintergrund kamen die Mitarbeiter des Innenministeriums auf den Tod Popiełuszkos und dessen Folgen zu sprechen. Die Täter betrachtete man zwar als »Tschekisten«, allerdings auch als Karrieristen und das, was sie getan hatten, als pure Dummheit. Die Leitung des MSW konnte in diesem Zusammenhang keine Gehorsamsverweigerungen und Rechtsverstöße tolerieren, wenn sie an einer stabilen Situation und der Fortsetzung der Reformen interessiert war. Man erwähnte daher die finanzielle Stütze und neuen Identitäten, die das Ministerium den Familien der angeklagten Funktionäre zugesagt hatte. Man betonte außerdem, dass Popiełuszko erklärter Gegner der Regierung gewesen war und man an einem gewissen Punkt »keine operativen Lösungswege mehr gefunden«126 habe. Gegenüber den Stasi-Funktionären stellte man folglich jedes noch so tragische Vorkommnis im Kontext der Sicherung der eigenen inneren Stabilität des Ministeriums dar und beschuldigte stets andere, in diesem Fall Milewski, Drahtzieher zu sein.127 Ähnlich wie in den vorangegangenen Jahren wurde derjenige beschuldigt, der Jaruzelskis Position innerhalb der Partei gefährlich wurde. Wie aber reagierte die ostdeutsche Seite auf diese Erläuterungen? In ihren Aussprachen nahmen ideologische Prinzipien weiterhin eine Schlüsselrolle ein: Es wurde die Stärkung der sozialistischen Gemeinschaft und des Kampfes für den Frieden gefordert, der durch die Politik der USA und die zunehmend offensiven Geheimdienste der NATO-Staaten bedroht würde. Die Situation in der DDR wurde wie seit Jahren unverändert dargelegt. Die Protokollanten des MSW 124  Vgl. die Notiz vom Treffen des Leiters der HA XVIII mit der Delegation des MSW am 29.10.1985; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16251, S. 101. 125  So die Leiter der polnischen Spionageabwehr gegenüber der Delegation des MfS. Die Gespräche fanden im Februar 1985 statt. BStU, MfS, HA II Nr. 38319, Teil II, S. 338. 126  Ebenda, S. 346. 127  Auf Bezirksebene wurde offiziell bestätigt, dass Milewski seines Amtes enthoben wurde. Allerdings negierten die Verantwortlichen – im Gegensatz zur Warschauer Zentrale – die Existenz einer Verbindung zwischen dem Tod Popiełuszkos und Milewskis Politik. BStU, MfS, HA IX Nr. 5127, S. 31.

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beschränkten sich darauf, festzuhalten, dass während des Treffens beispielsweise General Günther Kratsch, Leiter der ostdeutschen Spionageabwehr, eine Ansprache gehalten hatte und fassten seine Ausführungen in zwei Sätzen zusammen.128 Da aber ein Streichen entsprechender Passagen aus den polnischen Reden zu keiner tatsächlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Notlage in der VRP geführt hätte, begann die Ministeriumsleitung ab 1986, strukturelle Reformkonzepte zu entwerfen. Diese sahen vor, politische Macht an Teile der Opposition abzugeben, die im Gegenzug dafür die Verantwortung für wirtschaftliche Reformen übernehmen sollte, die ohne die Akzeptanz der Bevölkerung nicht umzusetzen waren. Details waren in dem Jahr natürlich noch nicht ausgearbeitet, aber die wichtigste Voraussetzung war erfüllt. Polen hatte das Einverständnis der UdSSR zu entsprechenden Reformen. 1986 soll Jaruzelski Gorbatschow gegenüber die Bitte geäußert haben, die Sowjetunion möge maximales Vertrauen in die von Polen gewählte Taktik setzen.129 Diese symbolträchtige Aussage Jaruzelskis und die positive Reaktion des Generalsekretärs der KPdSU sollten auch das Verhalten des MSW gegenüber dem MfS bestimmen. Man war sich darüber im Klaren, dass mit einer Unterstützung seitens der Stasi, geschweige denn der SED, nicht zu rechnen war und blieb daher bei den aus den Jahren 1981 bis 1983 bekannten Abläufen und Aussagen. Mit einigen entscheidenden Unterschieden: Zunächst sollte die übliche Darstellung der katastrophalen wirtschaftlichen Lage als Anlass genommen werden, dem ostdeutschen Partner zu verdeutlichen, dass nur radikale politische Reformen die Lage verbessern könnten. Des Weiteren sollte er daran erinnert werden, dass der polnische Geheimdienst die Opposition derart geschwächt hatte, dass sie nun problemlos von der polnischen Regierung für deren Pläne ausgenutzt werden konnte. Schließlich sollte hervorgehoben werden, dass die angenommene Reformpolitik von den sowjetischen Genossen unterstützt werde und auch für die DDR die einzige Überlebensmöglichkeit darstelle. Angesichts der kategorischen Ablehnung aufseiten des MfS versuchte man vor allem, eine negative Einflussnahme der DDR zu verhindern, und die regelmäßig bis 1989 fortgesetzten Treffen verwandelten sich in ein »notwendiges Übel«. Verständlicherweise blieb die offizielle Haltung des MfS gegenüber dem MSW unverändert. Man wollte nicht anerkennen, dass eine Stabilisierung der Situation, als wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche Reformen, in Polen nur mittels eines Amnestiegesetzes erreicht werden konnte. Es wiederholten sich stets dieselben Phrasen, die nur durch Ereignisse aus dem parteipolitischen Geschehen der DDR aktualisiert wurden. Nach wie vor gab es keine organisierte Opposition in 128  Notiz über den Besuch bei der HA II des MfS der DDR, [November 1987]; IPN BU 01304/530. 129  Antoni Dudek: Reglamentowana rewolucja. Rozkład dyktatury komunistycznej w Polsce 1988–1990. Kraków 2005, S. 22.

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Ostdeutschland und vor Wahlen herrschte traute Einigkeit zwischen SED und Bevölkerung. Der Feind unterstütze zwar die sogenannte Friedensbewegung, diese wäre jedoch nicht imstande, innerhalb der Bevölkerung an Bedeutung zu gewinnen. Einfluss besäßen, laut MfS, höchstens 15 pazifistische Gruppierungen.130 Weiterhin präsentierte man der polnischen Seite falsche Daten und behauptete regelmäßig, 99 Prozent der Bevölkerung würden die SED wählen und auch die Wahlbeteiligung erreiche diesen Wert.131 Neu waren die aus dem Kontext gerissenen Zitate, die das MfS der westlichen Berichterstattung entnahm, um seine vermeintlichen Erfolge gegen die Opposition zu unterstreichen. Dabei griff man nicht nur auf Aussagen der Kommentatoren von »Radio Free Europe« zurück, sondern auch auf englischsprachige Leitmedien, wie etwa die »International Herald Tribune«.132 In den letzten Jahren sprach man während dieser offiziellen Begegnungen kaum noch über die operative Zusammenarbeit und beschränkte sich auf diplomatische Formulierungen. Insbesondere das MSW nutzte sie nur, um mögliche verbale Angriffe Mielkes zu verhindern. Vor allem in Unterredungen zwischen diesem und rangniederen Leitern der Abteilungen, mit denen sich die Zusammenarbeit am schwierigsten gestaltete, verhielten sich die polnischen Gesprächspartner besonders höflich und sagten das, was man hören wollte. Die polnische Seite behauptete, sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit zu sein, die sich effektiv und ergebnisorientiert gestalten würde. Aus rein taktischen Überlegungen nahm man jeden deutschen Verbesserungsvorschlag zu den entsprechenden Kooperationsverträgen an und versuchte, die Politik des Ministeriums bestmöglich zu erläutern. In Bezug auf das Amnestiegesetz verwies man beispielsweise darauf, dass seine Einführung nicht mit einer Anwendung gleichzusetzen sei. Das Fehlen einer Freiheitsstrafe würde dabei von den Dissidenten als Ehrverletzung aufgefasst werden und bei Außenstehenden den Eindruck vermitteln, der Freigelassene sei als IM gewonnen worden.133 Ab 1987 stellte das polnische Innenministerium während bilateraler, aber auch multilateraler Gespräche unter Anwesenheit sowjetischer Delegationen zunehmend offen konkret geplante Reformschritte vor. Während einer in Warschau stattfindenden Beratung der Leiter aller Spionageabwehrabteilungen im November 1987 informierte Brigadegeneral Józef Sasin die Anwesenden, dass die politischen Reformen in Polen beschleunigt und neue »Dialogplattformen« 130  Diese These wurde vom Leiter der HA XX am 14.5.1986 aufgestellt. BStU, MfS, HA XX Nr. 17314, S. 14. 131  Angaben zit. nach: Referatsvorlage vom 8.9.1986, gehalten durch den Leiter der HA XVIII in Anwesenheit des Direktors des Departments V des Innenministeriums; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16252, S. 19. 132  Vgl. bspw. BStU, MfS, HA XX Nr. 17314, S. 26. 133  Notiz über das Gespräch von Oberst Jerzy Karpacz mit Mielke am 12.8.1987; BStU, MfS, HA IX Nr. 10255, S. 62.

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geschaffen werden würden.134 Bereits einige Monate zuvor hatte man ohne sonderlichen Erfolg versucht, Mielke und der MfS-Leitung die Details dieser Reformbeschleunigung zu erläutern. Die Lage im Land sollte normal sein, der Feind überwunden und jeglicher gesellschaftlichen Unterstützung entbehrend. Dasselbe Bild zeichneten auch die Vertreter der militärischen Aufklärung.135 Grund für diesen Wandel sollte die neue Wirtschaftspolitik der Regierung sein. Die Partei kontrolliere die Wirtschaft zwar weiterhin, diese gründe nun jedoch wieder auf einer traditionell polnischen Agrarpolitik. Das heißt, man war von der Kollektiv- zur Privatwirtschaft zurückgekehrt und hatte die zentrale Planung auf- und den Betrieben ihre Selbstständigkeit wiedergegeben. Die Ministerien sollten nun nicht mehr leiten, sondern die allgemeinen Arbeitsbedingungen organisieren.136 Die gesamte Zeit über betonte man den positiven, da beschwichtigenden Einfluss der Kirchenleitung auf die Bevölkerung und die Auflösung oder zumindest bedeutende Schwächung der Solidarność, was man auch durch Videoaufnahmen zu belegen versuchte. Als einen Erfolg deutete man sogar so offensichtliche Niederlagen der Regierung, wie sie die katastrophalen Ergebnisse der Volksabstimmung von 1987 und die Papstbesuche darstellten. Das Referendum habe lediglich die Notwendigkeit der Reformen bestätigt, die Papstbesuche wiederum Polens Ansehen im Ausland verbessert. Auf diese Reformabsichten der polnischen Regierung, die offensichtlich die Grundfesten des ostdeutschen Staatssystems infrage stellten, konnte das MfS nur sehr verhalten reagieren. Die bisher üblichen Treffen zwischen Mielke und den jeweiligen Abteilungsleitern des MSW, die in die DDR reisten, wurden begrenzt. Die polnischen Delegationen kannten die Versicherungen der Stasi, selbst weiterhin gegen den Imperialismus zu kämpfen, inzwischen zu gut. Ebenso die taktlosen Vorwürfe Mielkes, der nicht nur vermeintliche institutionelle Defizite des MSW, darunter die Trennung zwischen Staatsanwaltschaft und Geheimdienst, anprangerte, sondern auch die Art der Oppositionsbekämpfung angriff und meinte, das Amnestiegesetz würde die Mitarbeiter des MSW demoralisieren. Darüber hinaus kritisierte Mielke die politischen Reformen in Polen, Ungarn und der Sowjetunion und zitierte hierfür ausgiebig aus den Reden des ehemaligen KGB-Leiters und Generalsekretärs der KPdSU Juri Andropow. Abschließend rief er dazu auf, dem Feind gegenüber wachsam zu bleiben und die Perestroika nicht falsch zu verstehen.137 Während der letzten zwei Jahre vor dem Umbruch 1990 sollte er diese Kritik zuspitzen, vor allem, da in der VRP die Opposition von der Regierung als ein politischer Verhandlungspartner anerkannt worden war. 134  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 15984, S. 65. 135  Zit. nach: BStU, MfS, Abt. X Nr. 524, S. 11. 136  Diese Thesen wurden der HA XVIII von der Leitung des VI. Departments des MSW im Dezember 1987 präsentiert. BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16252, S. 3. 137  Notiz über den Besuch am 12.8.1987; BStU, MfS, HA IX Nr. 10255, S. 57.

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Die Taktik der polnischen Seite blieb unverändert. Unermüdlich versuchte man, die Gründe für die eingetretenen politischen Reformen zu erklären. Gleichzeitig erinnerten die seit 1988 präsentierten Lageberichte zunehmend an die im »zweiten Umlauf«, also im Untergrund publizierten Analysen oppositioneller Theoretiker und stellten eine verdeckte Kritik der sich seit Jahren nicht wandelnden Verhältnisse in der DDR dar. Nur derart sind die kurz vor der Streikwelle im Frühling 1988 in Ostberlin vorgestellten Informationen des MSW zu verstehen. Neben den üblichen Begründungen für die Krise wurden die für die Regierung problematischen Phänomene thematisiert, wie Landflucht und wachsende Städte, die Perspektivlosigkeit, der sich die junge Generation gegenübersah, die Passivität der Bevölkerung und die Tatsache, dass zunehmend weniger Studenten naturwissenschaftliche und technische Studiengänge abschlossen.138 Der polnische Geheimdienst verwendete plötzlich Formulierungen, um über diese Probleme zu sprechen, die zuvor der Solidarność-Führer Wałęsa während der bedeutsamen Fernsehdebatte mit dem Vorsitzenden der kommunistischen Gewerkschaften, Alfred Miodowicz, benutzt hatte. Worüber die Polen dank der Auslandsaufklärung auch Bescheid wussten, war der Fakt, dass die DDR mit denselben Problemen zu kämpfen hatte. Das MSW erklärte weiterhin die Wirtschaftssituation als verantwortlich für die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung und folgenden Streiks, beschuldigte aber auch einige Parteimitglieder, diese hervorgerufen zu haben.139 Ende Juni 1988 wollten Kiszczak und Mielke persönlich über aktuelle Probleme sowie über Wege aus der Krise sprechen.140 Schließlich lag ihre letzte Begegnung fünf Jahre zurück und hatte vor allem die Beruhigung der DDR-Führung zum Ziel gehabt. Dieses Treffen damals hatte also einen anderen Charakter. Die ostdeutsche Seite sollte lediglich über die bevorstehenden politischen Reformen informiert werden. Kurz vor Kiszczaks Besuch in der DDR hatte Jaruzelski jedoch während des ZK-Plenums am 13. Juni 1988 erstmals vom »Runden Tisch« gesprochen.141 Insofern bestand die Notwendigkeit, auch dem »befreundeten« ostdeutschen Geheimdienst offiziell darüber zu berichten. Auf den ersten Blick glich dieses Treffen den übrigen sozialistischen Staatsbesuchen der 1980er-Jahre: dieselben protokollarischen Vorbereitungen, Grüße an die »Arbeits- und Kampfgenossen«, langatmige Ausführungen über den Fortschritt des Sozialismus und Imperialisten, die ihn zu zerstören trachteten und Versicherungen der kameradschaftlichen Zusammenarbeit. Mielke präsentierte mit 138  Notiz vom 29.3.1988; BStU, MfS, HA XX Nr. 8519, S. 1. 139  HV A, Abt. IX, 2.5.1988, Vermerk zu den Ausführungen leitender Genossen des polnischen Bruderorgans zur politisch-operativen Lageentwicklung; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13626, S. 1. 140  Hinweise für das Gespräch mit dem Minister des Innern der VRP, Gen. Waffengeneral Kiszczak in Berlin 27.–29.6.1988; BStU, MfS, ZAIG Nr. 5461, S. 3; Notiz über das Gespräch zwischen den Gen. Mielke und Kiszczak; BStU, MfS, HA II Nr. 38802, S. 13. 141  Andrzej Garlicki: Karuzela, czyli rzecz o Okrągłym Stole. Warszawa 2004, S. 103.

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Abb. 1: DDR-Partei- und Staatschef Erich Honecker im Gespräch mit dem polnischen Innenminister Czesław Kiszczak, links neben Honecker Erich Mielke; Ost-Berlin im Juni 1988

seinem Referat die wohl umfassendste Zusammenstellung propagandistischer Slogans und Begrifflichkeiten. Den einzigen Unterschied zu seinen früheren Ansprachen bildeten die Hinweise auf die wachsende Zahl derjenigen Personen, die die existierende Gesellschaftsordnung ablehnten, und auf die Unzufriedenheit der Regierung über die schwache Entwicklung der Wirtschaft. Allerdings sollte dies, laut Mielke, die Sicherheit des Staates in keinem Moment gefährden. Wesentlicher als Mielkes Lagebericht waren seine Äußerungen über die Politik der UdSSR. Diese könne einzig als Verrat gewertet werden und mit Begriffen wie »Perestroika« und »neues Denken« sollte vorsichtig umgegangen werden. Keinesfalls sollten sie die Öffnung auf eine bourgeoise Ideologie hin bzw. für das Bestehen einer Opposition bedeuten, da dies die Kampfmittel des Imperialismus gegen den Sozialismus seien. Es verwundert nicht, dass nach einer solchen Gesprächseröffnung der inhaltliche Teil, bis auf ein paar wohldosierte Danksagungen für die Zusammenarbeit, aus Vorwürfen an das MSW bestand. Die Kritikpunkte waren bekannt: Das polnische Strafrecht sei zu mild, den Bürgern würden zu viele Freiheiten gelassen und unvorstellbar war auch, dass Funkamateure ohne entsprechende Sondergenehmigungen Geräte kaufen durften.142 Kiszczak ignorierte die Rhetorik seines Gastgebers, dankte höflich für dessen Anmerkungen und präsentierte seine Zusammenfassung der bis dahin von 142  BStU, MfS, ZAIG Nr. 5400, S. 22.

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polnischer Seite dem ostdeutschen Partner präsentierten Lageeinschätzungen. Staatsverschuldung, Wirtschaftskrise und eine fehlende Modernisierung hätten langfristige Reformen notwendig gemacht. Diese sollten helfen, von der zentralen Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft überzugehen und die Subventionierung unrentabler Industriezweige einzustellen. Dies würde zwar den Lebensstandard senken und womöglich zu neuerlichen Protesten führen, deren Eskalation habe das MSW jedoch dank seiner Kontrolle der Opposition nicht zu befürchten. Weiter berichtete Kiszczak von Jaruzelskis Bereitschaft, mit Teilen der dialogbereiten Opposition und der Kirche zu sprechen. Verständlicherweise reagierte Mielke empört und attackierte die polnischen Konzeptionen harsch. Dabei beschränkte er sich nicht auf Anspielungen auf Stalins »kluge« Auswertung der in Westeuropa abgefangenen Informationen, sondern kritisierte den KGB dafür, dass die Reformen in der Sowjetunion die Arbeit seines Ministeriums untergraben würden. Da sowohl Polen als auch die UdSSR am Reformkurs festhielten, schlug Mielke zunehmend aggressivere Töne an. Während eines Treffens aller Geheimdienstleiter des Warschauer Paktes keine vier Monate nach Kiszczaks Besuch drohte Mielke der polnischen und sowjetischen Delegation offen und erklärte Polen zum schwächsten Glied der sozialistischen Gemeinschaft, dem geholfen werden müsse, wenn es selbst nicht dazu in der Lage sei.143 Das Treffen zwischen Mielke und Kiszczak bildete den symbolischen Schlusspunkt einer Ära. Nach 1988 war die fehlende Verständigung zwischen den beiden Ministerien nicht mehr zu negieren. Beide Ministerien vertraten bis zur Wende 1989 komplett unterschiedliche Konzepte. Das MSW stellte die Wirtschaft ins Zentrum.144 Ihre Schwäche führte man selbst als Begründung bei kontroversen Entscheidungen an, wie etwa bei der Schließung der Danziger Werft, in der sich die Solidarność gegründet hatte. Weiter präsentierte man den ostdeutschen Partnern die Mitglieder der neuen polnischen Regierung unter Mieczysław Rakowski, darunter auch Privatunternehmer, als langjährige Parteimitglieder, die nun die unrentablen Betriebe schließen und die Wirtschaft von Grund auf sanieren würden.145 Dem Geheimdienst würde dabei lediglich die Aufgabe zufallen, Korruption zu bekämpfen und der Regierung wichtige Informationen zu übermitteln. Ein Novum war, dass die Offiziere des polnischen Geheimdienstes ab 1988 dazu übergingen, diese wirtschaftlichen Reformen den einfachen DDRBürgern gegenüber zu erläutern. Während ihrer Besuche in den ostdeutschen VEB behaupteten sie in Gesprächen mit den dortigen Arbeitern etwa, dass selbst die parteitreuen Arbeiter erkannt hätten, dass durch Streiks etwas zu erreichen sei.146 143  Siemiątkowski: Wywiad a władza, S. 354. 144  HA XVIII, Schreiben an ZAIG vom 22.11.1988; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13829, S. 16–20. 145  Notiz über die bilateralen Gespräche der HA XVIII und des Departments V des MSW am 7.11.1988; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16252, S. 149. 146  Notiz über den Aufenthalt General J. Sasins in der DDR vom 2.12.1988; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 6555, S. 18.

Kontakte zwischen den Führungsebenen des MfS und des MSW

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Abb. 2: Erich Mielke und Czesław Kisczak legen im Juni 1988 beim Besuch des polnischen Innenministers in Ost-Berlin am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow einen Kranz nieder.

Auch die Vertreter der Auslandsaufklärung wiederholten gegenüber den Mitarbeitern der HV A die Einschätzungen der MSW-Leitung.147 Die ostdeutsche Aufklärung wiederholte wiederum Mielkes Ansichten und benannte nicht Wirtschaftsprobleme als ausschlaggebend, sondern den negativen Einfluss des imperialistischen Feindes.148 Sein Wirken führe zu derart »unverständlichen« Entscheidungen wie der Zusage, an den Gesprächen des »Runden Tisches« teilzunehmen.149 147  Bericht über den Aufenthalt der Delegation des Departments I des MSW in Berlin vom 19.6.1989; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13830, S. 19. 148  Thesen zu den Gesprächen der MfS-Leitung mit der PVAP-Delegation vom 6.12.1988; BStU, MfS, ZAIG Nr. 5642, S. 3. 149  Antoni Dudek: Zmierzch Dyktatury. Polska lat 1986–1989 w świetle dokumentów, Bd. II. Warszawa 2010, S. 54.

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Die letzte, Ende 1989 stattfindende Unterredung Kiszczaks mit Offizieren der Auslandsvertretung des MfS in Warschau wurde von der Selbstsicherheit des MSW-Leiters dominiert.150 Er konnte sich sicher sein, dass er weiterhin das Ministerium leiten würde, das sich seit Jahresbeginn darauf vorbereitete, unter den Bedingungen der Transformation zu funktionieren. Dagegen hatte das Gespräch Mielkes, welches er 1989 mit Vertretern des KGB über die Situation in Polen geführt hatte,151 nicht viel daran ändern können, dass die sowjetische Geheimdienstleitung seit Längerem die Möglichkeiten einer Absetzung der SEDSpitze sondierte. Darüber hinaus waren die Beziehungen zwischen Jaruzelski und Gorbatschow deutlich besser als das miserable Verhältnis zwischen Gorbatschow und Honecker. Letztlich sollte das polnische Innenministerium die politische Wende beinahe unverändert überdauern, nicht aber das ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit und dessen Nachfolgeinstitution. Die vordergründig herzlichen Glückwünsche, die Kiszczak 1990 dem neuen Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel, übermittelte, vermögen daher kaum zu erstaunen. Diestel solle, so Kiszczak, seine Berufung auf dieses anspruchsvolle Amt als Anerkennung seiner Dienste für die Demokratieentwicklung in der DDR werten. Weiter fügte Kiszczak hinzu, dass sich die traditionell guten Beziehungen zwischen ihren Geheimdiensten entwickeln und festigen würden.152 Diestel antwortete im Mai 1990, dass er diese Überzeugung teile und wünschte seinem Gegenüber Gesundheit und viel Kraft für die Arbeit. Man würde zu weit gehen, aus diesen Wünschen besondere Boshaftigkeit herauszulesen, allerdings sahen sich die polnischen Geheimdienstmitarbeiter in der DDR Ende der 1980er-Jahre mit einer Vielzahl an Unannehmlichkeiten konfrontiert. Unter anderem wurde ihnen regelmäßig der Zutritt zu den Gebäuden des MfS versagt, sie erhielten keine sozialen Leistungen und auch keinen Zugang zu den internen Veröffentlichungen der Stasi – im Gegensatz zur Regelung auf polnischer Seite.153 Das polnische Innenministerium hatte folglich genügend Anlässe, auf die jahrelange herablassende Haltung des MfS zu reagieren. Während sich die Kontakte auf der offiziellen Ebene lange aufgrund des eingangs erwähnten »ideologischen Rituals« kontrollieren ließen, erwies sich die Aufklärungstätigkeit des MfS gegen die VRP als folgenschwer und beeinflusste auch die Kontakte auf den niedrigeren Ebenen negativ.

150  Borodziej: Ministerstwo Bezpieczeństwa, S. 121. 151  Hinweise für das Gespräch mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Komitees für Staatssicherheit der UdSSR und Leiter der 1. Hauptverwaltung Aufklärung Genossen Generalmajor Leonid Wladimirowitsch Scherbarschin, 7. April 1989; BStU, MfS, Sekretariat Mittig Nr. 85, S. 123. 152  Kiszczaks Glückwünsche an Diestel; IPN BU 1585/15360, S. 74. 153  Vgl. das Schreiben des polnischen Residenten an das Ministerkabinett vom 17.2.1988; IPN BU 0449/22/13/CD 1, S. 344.

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2.3 Die Richtlinien des MfS zur Polenpolitik 2.3.1 Der Minister für Staatssicherheit als Entscheidungsträger in der Polenpolitik der Stasi Nicht nur in Bezug auf Polen war die Formulierung der Richtlinien für die Arbeit des MfS ein Privileg Mielkes. Als Minister besaß er die alleinige Verantwortung für die Arbeit in seinem Ressort. Damit hatte er das Recht, für die Stasi allgemeinverbindliche Rechtsvorschriften, Befehle und Bestimmungen zu erlassen und zu sämtlichen Fragen der Staatssicherheit Stellung zu beziehen.154 Die rechtlichen Grundlagen für die Zusammenarbeit waren zwar neu konzipiert worden, entsprachen jedoch in vielerlei Hinsicht nicht den Erwartungen der ostdeutschen Seite. Angesichts der Tatsache, dass sich die zwischen 1980 und 1981 erhaltenen Informationen aus den offiziellen Kanälen des MSW stark von den aus der UdSSR an die SED weitergeleiteten Informationen unterschieden,155 lag eine Neudefinition zum Umgang mit dem MSW zwangsläufig nahe. Spätestens im Zuge der Solidarność-Bewegung avancierte Polen somit zum Feind. Eine flüchtige Analyse der Dokumente zum Umgang des MfS mit dem MSW zeigt, dass sich hinter den ideologischen Phrasen und der politischen Korrektheit im Grunde die ganze Zeit schon eine gewisse Schizophrenie verbarg. Nach 1980 begann das MfS offen darzustellen, dass sich hinter der VRP kein sonderlich zuverlässiger Partner verbarg, wie es beispielsweise Bulgarien oder die Tschechoslowakei waren. Das MfS ging damit nun mehr und mehr dazu über, das eigene negative Verhältnis gegenüber dem östlichen Nachbarn immer weniger zu kaschieren oder sogar ganz aufzudecken. Die Ereignisse in Polen dienten nicht nur als Anstoß zur verstärkten Offensivarbeit, sondern galten zudem als Beweis für den Wahrheitsgehalt der politisch-ideologischen Anschauungen der SED. Ein anderer wichtiger Beleg dafür sind die Richtlinien zur Polenpolitik, die bereits vor der politischen Wende 1980 eingeführt wurden. Die VRP hatte darin keinesfalls eine besonders privilegierte Stellung. Ihr wurde das gleiche Misstrauen wie der Tschechoslowakei zuteil. Die grundlegenden Unterschiede beider Staaten, unter anderem bezüglich der geheimdienstlichen Kooperation, waren dabei irrelevant. Bereits 1979 beabsichtigte die Stasi, so viele Informationen wie möglich über die Dissidenten beider Länder zu gewinnen und griff zu diesem Zweck auch auf illegale Methoden zurück. Dabei waren sämtliche Informationen über deren Struktur, Arbeitsmethoden und Pläne, deren Aktivitäten und Führungsebene sowie über deren Finanzierung von großem Wert. Zudem wurden die Wirk154  Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 186. 155  Douglas Mac Eachin: Amerykański wywiad i konfrontacja w Polsce 1980–1981. Poznań 2011, S. 167.

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samkeit der durchgeführten Aktionen, die Verbreitung antisowjetischer und nationalistischer Parolen sowie die von den Dissidenten bevorzugten Methoden des sogenannten passiven Widerstandes gegen die Aufklärungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden kontrolliert.156 Auf der operativen Ebene bedeutete dies zudem die Analyse staatsfeindlicher Aktivitäten, also der Produktion und des Vertriebs illegaler Zeitschriften, der Vorbereitung von Massendemonstrationen, der Zusammenarbeit mit den Kirchen, der Bereitschaft zur Gewaltanwendung sowie der Verbindungen der Oppositionellen mit den »imperialistischen Führungszentren«. Diesbezügliche Angaben konnten zwar ohne Zweifel offiziell im jeweiligen Innenministerium beschafft werden, waren allerdings ohne die Hilfe unabhängiger Informationsquellen schwer zu vervollständigen oder zu prüfen. Somit blieben die internen Grundlagen bzw. der Bedarf zur Fortsetzung der offensiven Arbeit gegen Polen eindeutig bestehen. 2.3.2 Die polenbezogenen Grundsatzentscheidungen des Ministers für Staatssicherheit und deren Wahrnehmung auf der Führungs- und Bezirksebene Die Handlungsanleitungen des MfS bezüglich Polen können in drei Gruppen unterschieden werden. Die wichtigsten waren die rein politischen Vorgaben, die von der Führungsebene der SED kamen bzw. von dort übernommen wurden, etwa darüber, 1981 alles Mögliche zu unternehmen, um den vermeintlich schwachen polnischen Ersten Parteisekretär Kania abzulösen.157 Darauf folgten die grundlegenden Befehle Mielkes, mittels deren die Ausrichtung der operativen Arbeit definiert wurde. Die dritte Ebene erweitert die von Mielke erlassenen Befehle und umfasst konkrete Anweisungen, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der regionalen Einheiten. Auf allen drei Ebenen wurde zwischen einem informationsliefernden und einem anweisungsgebenden Teil unterschieden. Die erste Befehls- und Richtliniengruppe war nicht nur durch ihre politische Ausdruckskraft von Bedeutung. Hier wurden von Mielke die Thesen zur Formulierung von Aufgaben durch die Staatsführung und zur Parteiorganisation innerhalb des MfS selbst präsentiert. Die berechtigten Parteifunktionäre durften die staatliche Polenpolitik gleichzeitig gestalten und ausführen, wobei nicht nur Mielke selbst, sondern vor allem Honecker sowie die interne MfSParteiorganisation meinungsbildend waren. Hinzu kamen Mielkes Stellvertreter, deren Stellung nicht mit der des Stasi-Leiters vergleichbar war. Sie standen in der Verantwortung, die politischen Entscheidungen innerhalb der ihnen unterstellten 156  Z. B. ZAIG, Berlin [Dezember] 1979, Informationsbedarf zu Plänen, Absichten und Aktivitäten antisozialistischer Kräfte in sozialistischen Staaten, besonders in der VR Polen und in der ČSSR; BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5614, Bd. 1, S. 5. 157  Olschowsky: Einvernehmen und Konflikt, S. 70.

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Einheiten ihren Mitarbeitern zu präsentieren. Damit hatten sie die Möglichkeit, die getroffenen politischen Entscheidungen persönlich zu begründen, und zwar nicht nur innerhalb der Zentrale, sondern vor allem in den Bezirksverwaltungen. Da Mielkes Reden dabei oft nur mündlich und nicht schriftlich weitergegeben wurden, ließen sich diese nicht gänzlich mit der ursprünglichen Rhetorik in Einklang bringen, die sich stark gegen jegliche antisozialistische Strömung wendete. Aus diesem Grund wurden diese meist in abgeschwächter Form vorgetragen. Das hatte den Effekt, dass die PVAP seitens der SED nicht ganz so schwer attackiert wurde wie im Zuge der Dienstkonferenzen. Noch milder waren die Aussagen bei einem Treffen der bereits erwähnten MfS-Parteiorganisation im September 1980. Dort wurde lediglich die im Grunde neutrale Kritik geübt, dass die PVAP im Falle einer Krisensituation nicht imstande wäre, sich zu mobilisieren. Wie kann diese Diskrepanz erklärt werden? Zunächst einmal war es der SED verboten, die Richtigkeit der Arbeit anderer Parteien innerhalb der sozialistischen Staaten anzuzweifeln. Dies oblag nur den Spitzenfunktionären bzw. der KPdSU. Zum anderen spiegelte das grundlegende Schema der bereits angeführten Referate trotz allem die Intention Mielkes wider. Bis 1985 wurde dieser Grad an angemessener Politik gehalten. Vorsichtige Kritik war erst zu entnehmen, als die jeweiligen sowjetischen Stellen ab 1980 begannen, durch u. a. öffentliche Mahnungen immer öfter einen Impuls dazu zu geben. Die PVAP wurde demnach faktisch nicht angegriffen. Mit der Verschonung der PAVP bemühte sich das MfS, anderen Institutionen die Schuld an der Lage Polens zuzuschieben. Polen wurde als Opfer einer organisierten Attacke gegen die Sozialisten gesehen, wodurch die Krise und damit die Entstehung der Solidarność begründet wurden. Wirtschaftliche Gründe wurden dabei seltener erwähnt. Dieses Schwarz-Weiß-Bild der VRP wurde üblicherweise mit zynischen Sätzen ergänzt, wonach die DDR der VRP politische und wirtschaftliche Hilfe leisten würde. Gerade in den ersten Phasen des Kriegszustandes wurde gerne auf die vermeintliche Hilfeleistung der DDR hingewiesen, obwohl sie nicht implementiert wurde. Nicht ohne Grund verhielt sich Mielke in bilateralen Gesprächen, in denen er Fragen zu finanziellen Hilfeleistungen beantworten sollte, sehr zurückhaltend. Diese Hilfe beschränkte sich nämlich auf die von Mielke gestellte Anfrage an die Bezirksverwaltungen im Dezember 1981. Darin erkundigte er sich lediglich nach der Möglichkeit, die VRP durch die Sammlung von Milch, Kinderkleidung oder Schulbedarf zu unterstützen, vor allem in den Grenzregionen.158 Solche Gesten trugen jedoch weniger zur Verbesserung der Lage in Polen als zur eigenen Aufklärungsarbeit bei. Allem voran waren Informationen zur inneren Lage der VRP von großer Bedeutung. Nach wie vor blieb es die Hauptaufgabe aller Stasi-

158  Mielke, Schreiben an alle Diensteinheiten vom 17.12.1981; BStU, MfS, Sekretariat Mielke Nr. 561, S. 140.

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Mitarbeiter, Erkenntnisse zur innenpolitischen Lage Polens zu sammeln sowie die betreffenden feindlichen Pläne in Erfahrung zu bringen.159 Das offizielle Polenbild des MfS Woraus setzte sich das Polenbild des MfS konkret zusammen, das den Mitarbeitern der Stasi präsentiert wurde? Neben den eigenen Informationen nutzten sie für die jeweilige Berichterstattung die Materialien der SED, die jedoch nur die Leiter der zuständigen Einheiten bekamen. Es handelte sich dabei um zusammengefasste Aufzeichnungen von den Treffen Honeckers mit den regionalen Parteisekretären oder von internen Dienstkonferenzen der MfS-Leitung.160 In der ersten Phase der politischen Krise in Polen bemühte sich die SED, wenn auch eher künstlich, ein politisch korrektes Bild von der PVAP aufrechtzuerhalten. Präsentiert wurden zum Beispiel die Sitzungen des Zentralkomitees und personelle Veränderungen in der Parteiführung. Demnach hatte die PVAP die politische Situation im Griff. Immerhin wurde auch hinzugefügt, dass sich die in den Medien verbreiteten Berichte über Parteizugeständnisse an die Solidarność nicht bestätigt hatten.161 Solche Thesen standen mit den alltäglichen polnischen Realitäten des Augusts 1980 in keinerlei Verbindung. Sie blieben jedoch ebenso unverändert wie die Erklärungen zur Stärke der Solidarność. Wie auf anderen Gebieten sah Mielke auch in der Entstehung der Solidarność einen Angriff des »Imperialismus« auf die UdSSR sowie eine Bestätigung der Richtigkeit der DDR-Politik.162 Gleich blieben auch die vom Gegner verwendeten Mittel: die Entspannungspolitik, die politisch-ideologische Diversion, die Diskreditierung des Sozialismus, materielle Unterstützung, die Konterrevolution und der KSZE-Prozess. Jeder Protest in Polen, egal ob er apolitisch oder nur wegen der zu hohen Lebensmittelpreise entstanden war, wurde als Aktivität der politisch-ideologischen Diversion wahrgenommen. Als Feind wurde dabei nicht nur der Imperialismus gesehen, sondern auch die USA, die katholische Kirche sowie die CDU/CSU. Seit 1980 konnte der Feind auch die PVAP selbst sein. Von diesem Zeitpunkt an war die PVAP in der Rezeption Mielkes nicht mehr nur eine schwache Organisation, die nicht zu ernsthaften konterrevolutionären Schlägen in der Lage war.163 Sie war ebenso ein Akteur, dessen Leitung nicht fähig war, Zusagen gegenüber der KSZE einzu159  Neiber an den Leiter der BV Schwerin, [16.12.1980]; BStU, MfS, BV Schwerin/Leiter Nr. 15 d, S. 63. 160  BStU, MfS, BV Gera, Abt. II Nr. 5780, S. 4. 161  BStU, MfS, BV Schwerin/KD Perleberg Nr. 10443, S. 3. 162  Dienstkonferenz des Genossen Minister vom 2.10.1981 zu den Ereignissen in der VR Polen; BStU, MfS, HA PS Nr. 9889, S. 2. 163  Siehe Kommentar zum Augustabkommen: BStU, MfS, BV Schwerin/Leiter Nr. 15 d, S. 31.

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halten und damit einen Ausweg aus der Krise zu schaffen. Der VRP blieb nichts anderes übrig, als im Prozess des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abbaus zu versinken, womit die VRP den Forderungen der Solidarność in die Hände spielte, die sich die Zerschlagung der Wirtschaft erhoffte. Seit September 1980 änderte sich die Rezeption der PVAP durch das MfS. Es gibt zwar keine Beweise, dass dies eine Folge der bilateralen geheimdienstlichen Kontakte war. Die PVAP wurde jedoch immer schlechter bewertet, was für die damaligen Machtanwärter, Jaruzelski und Kiszczak, nicht ohne Bedeutung war. Ebenso belastend war die Unterzeichnung des Abkommens vom 31. August 1980 zwischen der Regierung und der Solidarność. Seit September 1980 entwickelte sich die polnische Staatspartei, nach interner Ansicht der Stasi, zu einer schwachen und zersplitterten Regierung. Sie sei nicht in der Lage, die Konterrevolution zu bekämpfen sowie entsprechende Verpflichtungen gegenüber ihren Bruderstaaten zu erfüllen. Trotzdem sollte Polen sich neben den Aktivitäten der feindlichen Kräfte und trotz des Versagens der eigenen Partei ökonomisch und sozial weiter­ entwickeln. Zusammen mit den Forderungen der Opposition wurde die allgemeine Lage dadurch erschwert.164 Die o. g. Sätze Mielkes sollten nicht zur objektiven Berichterstattung, sondern zur »Disziplinerhöhung« und zur verstärkten Einsatzbereitschaft bei der Gewinnung von Informationen über Polen dienen. Jede dienstinterne Beratung in den Jahren von 1980 bis 1982 war damit verbunden, die allgemeinen polenbezogenen Verhaltensrichtlinien zu wiederholen. Obwohl sie nur auf dem Gebiet der DDR anzuwenden waren, spiegelten sie die Praxis der inneren und äußeren Stasi-Politik wider. Jeder kleinste Versuch, das Verhalten der polnischen Arbeiter in Form von Streiks oder Demonstrationen zu kopieren und sich in unabhängigen Gewerkschaften zu vereinen, sollte »im Keim erstickt« werden. Seit September 1980 wurden operative Maßnahmen eingeleitet, die der besseren Beobachtung der »potenziellen Gefahrenquellen« dienen sollten.165 Während der Touristen- und Personenverkehr also eingeschränkt wurde, wurde die Zahl der sogenannten Propagandareisen erhöht. Es handelte sich dabei zwar zunächst um übliche Dienstreisen, die auf der Basis der zwischenparteilichen Beziehungen erfolgten. Allerdings sollten die entsandten Parteimitglieder offensiv auf den polnischen Partner einwirken. Ihr Ziel war es, die polnischen Führungskräfte zur Umsetzung einer klassenbewussten Politik zu belehren. Innerhalb jeder Delegation sollte dabei eine festgelegte Anzahl an IM gewährleistet sein. Zudem unterlag jede mit Polen zusammenarbeitende Institution, deren Kontakte nach Auffassung des MfS leicht von konterrevolutionären Kräften ausgenutzt werden konnten, strengen Kontrollen. 164  Vgl. BV Schwerin, Leiter, an alle Diensteinheiten [5.2.1981]; BStU, MfS, BV Schwerin/ KD Perleberg Nr. 10443, S. 15. 165  Łukasz Kamiński (Hg.): Przed i po 13 grudnia. Państwa bloku wschodniego wobec kryzysu w PRL 1980–1982, Bd. I. Warszawa 2006, S. 4.

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Ohne Zweifel ging Mielke in seinen Reden und in den Besprechungen bezüglich Polen auf. Während die polnischen Zuhörer gegen seine Reden immun waren, mussten seine Mitarbeiter die 60- bis 70-seitigen Referate lesen bzw. hören. Sie waren mit noch mehr Anweisungen und Richtlinien bestückt als üblich und enthielten die klassische, von seinen Mitarbeitern zu beantwortende Frage: »Wer ist wer?« Die Wirkung der Reden sah Mielke in der Befehlsausübung seiner Angestellten innerhalb des MfS. Jene Reden beinhalteten zudem die gängigen Parolen zu den Zielen der SED, zum Feind und zu den grundsätzlichen operativen Maximen. Darüber hinaus bemühte er sich, die Funktionäre zusätzlich zu motivieren. Eine klassische Parole war der Ausspruch: »Seid wachsam, Genossen«.166 Diese Motivation vervollständigte aber lediglich eine Reihe von Anklagen gegen die VRP. Sie bezogen sich auf die bereits erwähnte Unzuverlässigkeit der PAVP, den Mangel an angemessener Reaktion auf die Warnungen des MfS, bis hin zu einer unzureichenden internationalistischen Haltung der polnischen Gesellschaft. Der Befehl »Besinnung« Mit der Einführung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 wurde der Kern der »Wachsamkeit« des MfS deutlich spürbar. Das gewaltvolle Vorgehen gegen die Solidarność war in der DDR durchaus erwünscht, trotzdem betrachtete Mielke die Lage in Polen nicht zwingend als ideologisch akzeptabel. Sämtliche Unruhen in der VRP wurden in der SED als existenzielle Gefahr für die DDR wahrgenommen. Das MfS ging dazu über, die entschlossene Haltung der polnischen Führung mit eigenen operativen Schritten abzustimmen. Dabei handelte es sich jedoch weniger um bilaterale Hilfeleistung. Zusammengefasst unter dem Decknamen »Besinnung« gab Mielke am 14. Dezember 1981 eine Reihe von Befehlen bzw. Anweisungen heraus.167 Solange die VRP nicht 100-prozentig den angestrebten politischen Kurs fuhr, fühlte Mielke sich verpflichtet, offensive Schritte gegen Polen einzuleiten. Damit zeigte er ein deutlich wachsendes Misstrauen in die Intentionen Jaruzelskis. Der Befehl enthielt die üblichen Äußerungen zur verstärkten Wachsamkeit und zur konsequenten Bekämpfung jeglicher negativer Einstellung sowie zum konsequenten Streben nach Ordnung. Darüber hinaus sorgte der Befehl unter dem Decknamen »Besinnung« für eine Gleichstellung Polens mit der BRD und anderen westlichen Ländern. Der Befehl vom 14. Dezember 1981 erklärte das 166  Vgl. die entsprechende Rede: BStU, MfS, BV Chemnitz/AKG Nr. 941, S. 103. 167  Befehl Nr. 18/81 des Ministers für Staatssicherheit: Politisch-operative Aufgaben für das MfS, die sich aus der Ausrufung des Ausnahmezustandes in der VR Polen ergeben (Aktion »Besinnung«); zit. nach: BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 5406, S. 1–10; mit weiteren Anlagen in: BStU, MfS, HA II/Stab Nr. 3191, S. 1–104.

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Land somit zum Feind. Gleichzeitig bestand weiterhin die formelle Bündnis­ versicherung, nämlich die, dass das Vertrauen des MfS gegenüber den polnischen Sicherheitsorganen fortbestünde.168 Ist die Behauptung, dass Polen 1981 praktisch ein Bestandteil des Operationsgebiets wurde, also wirklich berechtigt? Immerhin weist die Sprache des »Besinnungs«-Befehls die gleichen typischen Merkmale auf, die Mielke bereits in ähnlichen Schriften verwendet hat. Er enthält die Anweisung zur ständigen Lageeinschätzung in Polen sowie zur schnellen Reaktion auf Veränderungen der innenpolitischen Lage. Mielke erwartete, dass alle möglichen Mittel angewandt werden, um innerhalb der imperialistischen Geheimdienste aufzuklären, welche Kräfte maßgebend für die Konterrevolution seien. Ähnliches hätte auch in den Dokumenten zu Polen im Jahre 1968 geschrieben stehen können. Sowohl 1970 als auch elf Jahre später wurde die Stasi beauftragt, die polnische Grenze genauer zu überwachen, den Transitverkehr zu beschränken, die in der DDR tätigen polnischen Staatsbürger zu kontrollieren, die Unterstützungsaktionen für die polnischen Streikenden zu verfolgen und Reisesperren für die als »unsicher« registrierten Personen einzuleiten.169 Worin lagen also die Unterschiede? Ab dem 14. Dezember 1981 wurde das erste Mal in der Geschichte der bilateralen Kontakte innerhalb der Dokumente eine Art Klassifizierung der polnischen Mitarbeiter des Innenministeriums eingeführt. Demnach hatten vor allem »klassenbewusste Genossen« das Recht auf Hilfe und Unterstützung. Die »nicht klassenbewussten« Mitarbeiter blieben unerwähnt, wodurch die Stasi sich die Möglichkeit offenhielt, diese anzuwerben oder gegen sie zu ermitteln. Zur Festigung dieser durchaus gewagten These müssen noch zwei weitere Argumente hinzugezogen werden. Zum einen wurde bereits 1980 die funkelektronische Aufklärung, die sogenannte ELOKA, als offensive Maßnahme gegenüber Polen zugelassen. Sie war zuvor nur für Operationsgebiete vorgesehen. Während des Abhörens hatten die dafür zuständigen Einheiten der HA III zudem nicht selbstständig zwischen klassenbewussten oder nicht klassenbewussten Genossen zu unterscheiden.170 Zum anderen wurde ab April 1981 in den Unterlagen der für die Operativgruppe Warschau zuständigen HA II immer deutlicher, dass die IM-Arbeit mit den polnischen Quellen verstärkt werden sollte. Dabei kamen auch Kandidaten aus dem polnischen Innenministerium infrage, obwohl dies ohne die Zustimmung Mielkes kaum möglich gewesen wäre. Die Agenten hatten die Aufgabe, Parteidokumente zu gewinnen, Interna über die PVAP und das MSW zu übermitteln sowie potenzielle Feinde und glaubwürdige

168  BStU, MfS, HA II Nr. 38372, S. 85. 169  BStU, MfS, BV Chemnitz/AKG Nr. 944, S. 39. 170  Jaskułowski: Praca, S. 110.

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PVAP-Mitglieder auszumachen.171 Außerdem sollten die Erwartungen der PVAP an die Bruderstaaten ermittelt werden.172 Wollte das MfS also die inoffiziell vom MSW gewonnenen Erkenntnisse wirklich später an das MSW weiterleiten? Nein. Es brauchte solche Interna, um sie sowohl dem KGB auszuhändigen als auch um die vermeintlich »progressiven« Genossen zu unterstützen, die seit 1980 gegen Jaruzelski und Kiszczak agierten. Die Stasi betrieb nun somit in Polen die gleiche Arbeit, die sie bereits seit Jahren in der BRD betrieb. Sie beruhte weder auf Freundschaft noch auf Kooperation. Sie war zudem Beweis dafür, dass die PVAP aus Sicht der SED-Führung als »unsicher« galt und durch die Arbeit der IM gesäubert werden sollte. Noch deutlicher wird die Tragweite der Operation »Besinnung« anhand der Masse an Informationen, die gewonnen werden sollte. Neben Informationen zur internen Stimmungslage in der Partei und im MSW wollte das MfS Einzelheiten über militärische Operationsgruppen ermitteln. Diese beaufsichtigten seit 1981 viele Bereiche des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens in Polen und dienten unmittelbar vor dem 13. Dezember zur Vorbereitung des Kriegsrechts. Das MfS sollte Informationen über Militärs gewinnen, deren Haltung der Meinung der SED entsprach und die ein positives Verhältnis zu anderen sozialistischen Parteien bzw. dem katholischen Milieu pflegten. Es wäre dennoch falsch, anzunehmen, dass Informationen zur Konterrevolution Vorrang gehabt hätten. Tatsächlich hatten die Berichte zur operativen Lage einen höheren Stellenwert.173 Das Archivmaterial enthält auch Anweisungen zur Festlegung der Mitarbeiter, denen es erlaubt war, Informationen im polnischen Innenministerium einzuholen. An erster Stelle standen die inoffiziellen Mitarbeiter, danach folgten die Funktionäre anderer staatlicher Einrichtungen, wie der Volkspolizei, und erst am Ende kamen die hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter sowie deren Vorgesetzten.174 Trotz allem war die Aktion »Besinnung« für die Stasi-Führung nicht genug, um die Wachsamkeit der eigenen Mitarbeiter hochzuhalten und ein wirksames Überwachungssystem zu pflegen. Bereits am 20. Dezember 1981, eine Woche nach Bekanntmachung der Operation, informierte die HA II im Auftrag Mielkes darüber, dass sie eine verstärkte Aktivität der westlichen Geheimdienste in der DDR beobachtet habe. Das entsprechende Schreiben endete mit dem Aufruf zur gesteigerten Wachsamkeit, zur verstärkten geheimdienstlichen Arbeit und zur konsequenten Bekämpfung illegaler Aktivitäten.175 171  Siehe solche Richtlinien auf der BV-Ebene des MfS (26.10.1981): BStU, MfS, BV Cottbus/BdL Nr. 2777, S. 2. 172  BV Halle Leitung an alle KDs (29.10.1981); BStU, MfS, BV Halle, Abt. XIX Nr. 451, S. 42. 173  BStU, MfS, BV Ffo, Abt. II Nr. 1346, S. 43. 174  Siehe Richtlinie vom 24.10.1981; BStU, MfS, BV Cottbus/BdL Nr. 2777, S. 12. 175  HA XVIII, Leiter an den AKG-Leiter, [22.12.1981]; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 19814, Bd. 1, S. 25.

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Die Logik der ostdeutschen Partei und der Staatsführung war deutlich. Ihr zufolge hatten nicht nur die unzuverlässigen polnischen Genossen, sondern vor allem auch der externe Feind zur Krise in der VRP beigetragen. Deswegen wurden über beide »Gruppen« gleichermaßen Informationen benötigt sowie konkrete Beweise, dass die ideologischen Behauptungen Mielkes der Wahrheit entsprachen. Eine besondere Rolle spielte dabei die HV A. Ihre Aufgabe war es, die verbrecherischen Absichten des Feindes zu belegen, unabhängig davon, welche Mittel dabei benutzt wurden. Alles zusammen führte im Ergebnis dazu, dass die Reden bzw. Richtlinien Mielkes eine breite Collage von Anweisungen bildeten. Neben dem Kampf gegen die CIA beabsichtigte er, sämtliche Versuche der ostdeutschen Bürger, mit der Solidarność zu sympathisieren, zu bekämpfen.176 Alle bereits erwähnten Elemente waren gleich wichtig und kein einzelnes davon durfte vernachlässigt werden. Aus diesem Grund sollte jede beim MfS registrierte Zielperson ab 1980 auf ihre Haltung gegenüber Polen hin geprüft werden. Außerdem wurden sämtliche öffentliche Veranstaltungen mit Studenten überwacht, auf denen mit einer Sympathiebekundung gegenüber Polen zu rechnen war. Die Lage in der VRP führte schlussendlich sogar dazu, dass alle in Polen immatrikulierten DDR-Studenten das Land 1981 verlassen und nach Ostdeutschland zurückkehren mussten. Wie in den Ausführungen bereits deutlich wird, gab es innerhalb des MfS keinen Raum für ein neutrales Polenbild. Trotzdem blieben die Beratungen, ob auf technischer oder auf lokaler Ebene, in ihrer politischen Rhetorik zusätzlich extern beeinflusst. So kam es bis September 1980 immer wieder vor, dass die Bezirksverwaltungen im Zuge ihrer Treffen auf das staatliche Fernsehen zurückgriffen, um sich über die Ereignisse in Polen zu informieren.177 Dieser Fakt erscheint insofern interessant, als das MfS sich immer als kompetenter Geheimdienst dargestellt hat, der im Detail über die Geschehnisse in Polen informiert ist. Die letzte, wenn auch durchaus ironische Bemerkung, soll jedoch nicht zu der Annahme führen, dass die Bezirksverwaltungen ihre Kenntnisse über Polen vorrangig den staatlichen Fernsehkanälen entnahmen. Eine übliche Beratung zur VRP wurde von den ranghöchsten Funktionären aus Berlin bzw. den Mitarbeitern der Operativgruppe Warschau geführt, die eine Art Gastvortrag hielten. Darin kamen sie nicht nur auf die Situation in Polen zu sprechen. Sie nahmen ebenso Bezug auf die neuen operativen Herausforderungen, die die Bezirksverwaltungen hinsichtlich Polens annehmen sollten. Die Redner fassten etwa chronologisch die wichtigsten Ergebnisse des jeweiligen Zeitabschnitts zusammen, von der Verhängung des Kriegszustands bis hin zur Periode danach. Dabei gingen sie auf 176  BV Halle, Politisch-operative Aufgabenstellung im Zusammenhang mit der Lage in der VR Polen [13.11.1980]; BStU, MfS, BV Halle, Abt. XIX Nr. 451, S. 31. 177  BV Karl-Marx-Stadt, Protokoll zur Dienstversammlung des Leiters der BV vom 9.9.1980; BStU, MfS, BV Chemnitz/AKG Nr. 937, S. 4.

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die wichtigsten internationalen Hintergründe ein. Sie zweifelten an der Fähigkeit der PVAP, sich zu erneuern und mahnten die fehlende Konzeption ihrer Arbeit sowie die angebliche Dominanz liberaler Kräfte in ihren Führungsreihen an. Unter anderem wurde beispielsweise einer der Spitzenfunktionäre genannt, der stellvertretende Ministerpräsident Rakowski. Er galt ohne Zweifel als einer der meist verspotteten polnischen Parteipolitiker in der internen Berichterstattung des MfS.178 Negativer bewertet wurden nur noch die polnischen Oppositionellen und Bundesaußenminister Genscher. Während das MSW und seine innere Lage in den Gastvorträgen weder mit Begeisterung noch mit besonderer Diffamierung präsentiert wurden, legte das MfS eine gewisse Arroganz an den Tag. Sobald positiv über das MSW berichtet wurde, zögerte das MfS selten, eigene Leistungen hervorzuheben, wie etwa die von der Stasi initiierte positive Zusammenarbeit. Jede von Mielke entgegengenommene Auszeichnung verdiente ungeteilte Aufmerksamkeit. Trotzdem wurden in den Akten nicht mehr als zwei Sätze darüber geschrieben. Mehr Beachtung fand die Aufforderung seitens der Berliner Zentrale zur stärkeren Infiltrierung der polnischen Bürger und der diplomatischen Vertretungen in der DDR.179 Ganz anders wurde über die Streitkräfte gesprochen. Sie hatten nach Einschätzung der Referenten eigentlich keine Möglichkeiten, nachzuweisen, über welche wahren Einsatzmöglichkeiten sie verfügten. Somit existierten nach wie vor etliche Unstimmigkeiten zwischen der Armee und dem MSW. Nur die letztgenannte Institution hatte mit der Opposition zu kämpfen.180 Insofern wurde die allgemeine Lage in Polen als äußerst kompliziert zusammengefasst, wodurch die Stabilität des sozialistischen Lagers belastet würde.181 Für die Stasi hingegen galt dies erneut als Grund dafür, auf der lokalen Ebene nach mehr Wachsamkeit verlangen zu müssen. Die Implementierung des Befehls »Besinnung« sowie aller anderen diesbezüglichen Richtlinien lag nicht nur im Zuständigkeitsbereich der lokalen Einheiten, wie den Bezirksverwaltungen, sondern galt auch als Aufgabe der Hauptabteilungen in der Zentrale. Dabei wurde die Ausführung bereits in der Planungsphase durch konkrete Probleme beeinflusst. Zum einen stellte die Lage in Polen alle bisherigen Rangordnungsverfahren infrage. Aus formeller Sicht war die HA II für den Informationsgewinn in der und über die VRP zuständig, schon allein weil sie 178  Z. B. Operativ-Information zur aktuellen Lage in der VR Polen [8.3.1982]; BStU, MfS, BV Gera, Abt. II Nr. 5780, S. 150. 179  BV Dresden, Niederschrift über die Arbeitsberatung in der HA II AG 4 am 2./3.11.1982 zur weiteren Aufgabenstellung im Rahmen der Aktion »Besinnung«; BStU, MfS, BV Dresden, Abt. II Nr. 10954, S. 74. 180  Niederschrift zur Beratung am 10.2.82 in der BV Erfurt; BStU, MfS, BV Gera, Abt. II Nr. 5780, S. 7. 181  Abt. II [26.1.1981]. Einige Probleme und Aufgaben bei der Organisierung der wirksamen operativ-politischen Arbeit auf der Linie II; BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 683, S. 158.

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federführend die Operativgruppe Warschau leitete. Zum anderen mussten seit 1980 auch andere Einheiten entsprechende Informationen sammeln, wie etwa die HV A, egal auf welcher Dienstebene diese zu beschaffen waren.182 Dies wäre in einem Geheimdienst nichts Ungewöhnliches gewesen. Da selbst die HV A, also die Auslandsaufklärung, beispielsweise eine privilegierte Stellung und eine separate Registratur im MfS hatte, musste sie jedoch plötzlich eine polenbezogene Rangordnung hinnehmen, in welcher sie nicht die wichtigste Einheit darstellte. Aus Mielkes Sicht konnte die HV A jedoch die wichtigsten Informationen zu vermeintlichen imperialistischen Plänen gegen Polen beschaffen. Ebenso nützliche Informationen wurden in den Grenzbezirken gesammelt, die wegen des hohen Personenverkehrs ausreichend Angaben zur allgemeinen Lage beschaffen konnten. Die gewonnenen Informationen gingen allerdings nicht zuerst an die Analytiker der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) oder an die Aufklärung, sondern an die HA II. Erst dann durften die jeweiligen Erkenntnisse zunächst von der HV A gesehen werden. Daraufhin wurden sie an die anderen Abteilungen der Zentrale weitergegeben und gelangten erst zum Schluss zu den Bezirksverwaltungen. Da es innerhalb der geheimdienstlichen Praxis eigentlich der Leitung vorbehalten ist, zuerst über die wichtigsten Erkenntnisse und Ereignisse informiert zu werden, führt diese Herabstufung der HV A zu Bedenken. Gleichzeitig könnte dies jedoch eine Erklärung dafür sein, warum die analytische Berichterstattung des MfS über Polen ab 1980 qualitativ hätte hochwertiger sein müssen, als es der Fall war. Zwar sahen die internen Richtlinien von 1980 die Möglichkeit vor, eine Sonderkoordination zwischen der HA II und anderen Einheiten einzuführen,183 darunter sogar zwischen der HA II und dem polnischen Bruderorgan. Praktisch war eine solche Koordination jedoch fiktiv. Nicht nur weil sämtliche Beteiligte über separate Arbeitsgebiete verfügten, sondern auch weil sie unterschiedliche Richtlinien zur Informationsbeschaffung einhielten. Trotzdem hatten sich die Bezirksverwaltungen für die eventuelle Diversion der gegnerischen Dienste zu interessieren, hauptsächlich in Verbindung mit rein kriminellen Handlungen, wie etwa Schmuggel. Genauso wichtig waren die auf dem jeweiligen Gebiet tätigen Journalisten, die bekannten Mitarbeiter der ausländischen Residentur, die diplomatischen Vertretungen Polens und andere polnische Staatsbürger.184 Dabei war es egal, ob die Zielpersonen eine neutrale oder eine konterrevolutionäre 182  Leiter HA II an Diensteinheiten [6.11.1980]; BStU, MfS, BV Berlin, Abt. IX Nr. 96, S. 90. 183  Abt. II [19.2.1981], Einschätzung des Standes der Realisierung der Weisungen des Gen. Minister im Zusammenhang mit der Situation in der VR Polen zur Festigung weiterführender Maßnahmen; BStU, MfS, BV Gera, Abt. II Nr. 5780, S. 34. 184  KD Perleberg, Informationsbedarf zur Gewährleistung des Informationsflusses zur Lage und Situation in der VR Polen und alle im Zusammenhang stehenden feindlichen und negativen Aktivitäten und anderen Handlungen[10.3.1981]; BStU, MfS, BV Schwerin/KD Perleberg Nr. 10443, S. 19.

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Haltung vertraten. Eine gesonderte Bedeutung hatten zudem antisowjetische Haltungen jeglicher Art, die mit den Ereignissen in der VRP in Verbindung gebracht werden konnten. Dies bildete die Grundlage für die Überwachung der polnischen Kulturinstitute in der DDR.185 Wie ließen sich die Maßnahmen der Bezirksverwaltungen mit den Aktivitäten der Mitarbeiter von HV-A-Chef Markus Wolf verbinden? Schließlich sollten doch die lokalen Stasi-Mitarbeiter erst Informationen über die KSZE sammeln und dann solche über den Schmuggel oder zu verbotener Literatur. Welcher Aufgabenbereich blieb für die Aufklärung? Die zuständigen Einheiten sollten u. a. Informationen zur Bewertung der polnischen politischen Lage durch die NATO abliefern, auf Veränderungen in der westlichen Polenpolitik aufmerksam machen, den Zustand der Streitkräfte unter Jaruzelski analysieren, die wirtschaftliche und innenpolitische Situation der VRP besprechen, die Stärke der Solidarność bewerten sowie über die interne Stimmung im Innenministerium berichten. Wichtig war jedoch die Tatsache, dass zur Realisierung dieser Aufgaben weder die HV A noch die HA II in Warschau nur freundschaftliche Beziehungen mit dem Innenministerium pflegen durften. Beide Einheiten mussten auch Maßnahmen gegen die VRP treffen, so wie es in anderen Bereichen der MfS-Aufklärung der Fall war. Andere Aufgaben hingegen hatten weniger Vorrang, wie die rein operativen Schritte gegen Polen, obwohl diese eigentlich für das MfS hilfreich gewesen wären. Dazu zählte einerseits die Aufklärung der Lage im polnischen Innenministerium. Andererseits sollten Beweise dafür gesammelt werden, dass die westlichen Geheimdienste und die westdeutschen Regierungs- und Nichtregierungseinrichtungen, wie Kirchen oder Gewerkschaften, die Solidarność unterstützen würden. Bereits seit November 1980 sollte die HV A verstärkt Informationen186 innerhalb der Partei beschaffen, außerdem die Verbindungen der ostdeutschen mit den polnischen Dissidenten beobachten. Das beweist, dass die Stasi vor allem eigene innenpolitische Interessen im Blick hatte. Nicht nur die HV A oder die Spionageabwehr erhielten entsprechende Richtlinien zur Polenpolitik. Einige von ihnen waren auch für die anderen Hauptabteilungen bestimmt. So musste die für Wirtschaft zuständige HA XVIII die ökonomischen Beziehungen beider Länder analysieren, sowohl analytisch als auch operativ, indem sie die Planmäßigkeit der zugesagten Steinkohlelieferungen mithilfe von IM beaufsichtigte. Ebenso relevant waren die neu entwickelten wirtschaftspolitischen Konzepte der PVAP und die Rolle der Gewerkschaften oder Modelle, mit denen die polnische Regierung versuchte, die westlichen ökonomischen Sanktionen zu umgehen. Die Fragen waren dabei rein geheimdienstlicher 185  BV Berlin, Abt. II, Politisch-operative Schlussfolgerungen zu Ereignissen in der VR Polen [30.9.1982]; BStU, MfS, BV Berlin, Abt. VIII Nr. 689, S. 36. 186  Informationsbedarf der HV A zu feindlichen Aktivitäten gegen die VRP, [17.11.1980]; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 20373, S. 9.

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Natur und hatten nichts mit der Hilfe für Polen zu tun, allein weil die Kohle­ lieferungen aus polnischer Sicht erhebliche Verluste bedeuteten. Abgesehen davon wurde die HA XVIII bereits im Januar 1982187 beauftragt, innerhalb der höchsten Führungskreise der PVAP aufzuklären, wie erfolgreich der interne Kampf gegen den Revisionismus ist, wie die Partei mit anderen Institutionen zusammenarbeitet, wie sie die Beziehungen mit der Sowjetunion bewertet und gestalten will sowie wie die tägliche Lebensmittelversorgung eingeschätzt wird.188 Dabei galt die letzte Aufgabe aufgrund der hohen Anzahl an polnischen Zeitarbeitern in der DDR als einfachste. Die Lebensmittelversorgung war schließlich schon immer ein Hauptthema ihrer Gespräche, weshalb die IM viele Informationen über den polnischen Markt lieferten. Im Grunde genommen waren solche Aktivitäten jedoch nichts Neues, zumal die Werktätigen aus der VRP seit ungefähr einem Jahrzehnt im operativen Interesse standen. Genauso musste die Aktivität der für die Grenzsicherung verantwortlichen HA VI betrachtet werden. Sie bekam die gleichen Instruktionen wie die HV A und die HA II zusammen. Westliche Geheimdienste sollten an der Grenze ebenso bekämpft werden wie der illegale Handel oder der Schmuggel verbotener Literatur oder die »KSZE-Diversion«. Der Unterschied zwischen der HA II und der HA VI bestand lediglich in unterschiedlichen Briefköpfen vor und nach 1981.189 Vor der Entstehung der Solidarność war die HV A hingegen nur für die Aufklärung in der BRD und nicht im polnischen Innenministerium zuständig. Hatte die Aufhebung des »Besinnungs«-Befehls im Jahre 1982 überhaupt Auswirkungen auf die allgemeine Polenpolitik des MfS? Nein, denn sie hat weder die offensiven MfS-Aktivitäten noch die parteipolitischen Richtlinien beeinflusst.190 Zwar nahm die Zahl der zwischenparteilichen Kontakte insbesondere nach Ende des Kriegsrechts wieder zu, jedoch hatte die Stasi kein Interesse am Wiedergewinn des Vertrauens. Ihr Ziel war es, die von der SED unterstützten Kräfte in der PVAP zu mobilisieren, die anderen Parteikreise zu belehren und, wie auch 187  HA XVIII, Komplexer Informationsbedarf zur ständigen Lageeinschätzung in der VRP [27.1.1982]; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 19814, Bd. 1, S. 27. 188  Informationsbedarf der AKG zur Erarbeitung von Einschätzungen der Lage in der VRP; BStU, MfS, BV Cottbus/AKG Nr. 2114, S. 157. 189  Maßnahmeplan zur weiteren Durchsetzung des Befehls 18/81 des Genossen Minister, [27.12.1982]; BStU, MfS, HA VI Nr. 5470, S. 1. 190  Die Aufhebung des Befehls 18/81 im Februar 1982 erwähnt Renate Hürtgen: Zwischen Disziplinierung und Partizipation. Vertrauensleute des FDGB im DDR-Betrieb. Köln 2005, S. 271 f. Doch auch später diente der »Besinnungs«-Befehl noch explizit als Grundlage für MfSAktivitäten gegen Polen. Vgl. z. B. den in Anm. 189 zitierten Maßnahmeplan vom 27.12.1982 oder den am 17.1.1983 vom Leiter der Abt. VI der BV Dresden, Krowke, erlassenen »Maßnahmeplan zur Durchsetzung des Befehls 18/81 des Ministers vom 14.12.1981« über die Durchsetzung der politisch-operativen Aufgaben sowie der Weisung des Leiters der Bezirksverwaltung und des Maßnahmeplans des Leiters der HA VI vom 27.12.1982 unter der Bezeichnung »Besinnung«; BStU, MfS, HA VI Nr. 12047.

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immer, die IM-Arbeit des MfS zu fördern. Die Direktiven über diesbezügliche Dienstreisen hatten weiterhin einen warnenden Charakter. Sie diktierten, während des Aufenthaltes in der VRP wachsam zu bleiben, keine revisionistischen Inhalte entgegenzunehmen sowie jede Möglichkeit zu nutzen, um operative Informationen über Polen zu gewinnen.191 Ebenso unverändert war die allgemeine Rhetorik der MfS-Führung, die zur internen Lageeinschätzung in Polen angewendet wurde. Das Bild der VRP blieb von 1982 bis 1989 unverändert negativ, unter besonderer Berücksichtigung der Partei und der Solidarność. Die politische Situation war stets kompliziert und das Risiko, dass die Konterrevolution wieder an Bedeutung gewinnt, blieb zumindest bis Ende 1984 groß, genauso wie jenes eines potenziellen Ausbruchs neuer unberechenbarer Unruhen in der Gesellschaft.192 Die positiven Auswirkungen der Jaruzelski-Regierung wurden zwar hervorgehoben, bedeuteten aber keineswegs, dass die wichtigsten Probleme beseitigt wurden.193 Die wirtschaftliche Situation in Polen galt als sehr schlecht. Verantwortlich war wie immer die Partei, während die Opposition passiv darauf wartete, dass günstige Umstände ihr Handeln ermöglichten. Zwar versuchte die Kirche angeblich, die inneren Unruhen im Lande zu stabilisieren und sich gegenüber dem Staat neutral zu halten. Jedoch unterstützte sie ebenso ununterbrochen die Solidarność. Zeitgleich beabsichtigten die Gewerkschaften, mit der Partei zu kämpfen, was selbstverständlich als unbewusstes Instrument der westlichen Geheimdienste zu betrachten war.194 Die einzigen von der Stasi positiv bewerteten Nachrichten standen stets im Zusammenhang mit Jaruzelski. Das MfS schätzte seine Fähigkeit, seine Macht durch die Gewinnung der Fraktionskämpfe in der PVAP zu konsolidieren. Trotzdem galt er im Sinne der SED-Politik nicht als 100-prozentig »progressiv«. Warum? Weil er nicht in der Lage war, eine marxistisch-leninistische Politik in der Partei durchzusetzen. Über die Tatsache, dass dies mindestens seit 1986 nicht (mehr) in seinem Interesse lag, wurde nicht gesprochen. Im Gegensatz dazu wurde jegliche Amnestie als Mittel, die Opposition zu schwächen, verurteilt. Ähnlich negativ wurde die Kirchenpolitik des Innenministeriums bewertet. Damit war vor allem die Genehmigung zur Durchführung von Papstbesuchen gemeint. Die DDR betrachtete dies als Fehler, der zur weiteren Schwächung des Sozialismus in Polen beitrug, was in der Tat der Fall war.195 Zudem musste schließlich nicht das MSW, sondern Jaruzelski die Papstbesuche genehmigen. 191  BV Cottbus, Schreiben vom 17.03.1983; BStU, MfS, BV Cottbus/AKG Nr. 2114, S. 21. 192  HA II, Einschätzung der aktuellen Lage in der VR Polen und der sich daraus für die politisch-operative Arbeit ergebenden Schlußfolgerungen, [16.4.1984]; BStU, MfS, HA II Nr. 38731, S. 278. 193  BV Dresden, Niederschrift über eine Arbeitsberatung in der HA II/10, [4.5.1984]; BStU, MfS, BV Dresden, Abt. II Nr. 10954, S. 53. 194  Niederschrift über die Arbeitsberatung in der HA II/10 am 15.3.1988; ebenda, S. 4. 195  Dienstkonferenz [7.3.1983]; BStU, MfS, HA I Nr. 14741, S. 18.

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Die Lage in der VRP war bis 1989 schlimm genug, um seitens der MfS-Verantwortlichen immer wieder neue offensive Maßnahmen gegen den östlichen Nachbarn einzuleiten. Da das eigentliche Versagen vor allem der PVAP zugeschrieben wurde, musste sie entsprechend stärker infiltriert werden. Die Beratungen des MfS nach 1983 endeten regelmäßig mit der Anweisung, vor allem in den Grenzgebieten die Arbeit der IM zu fördern. Sie sollten verstärkt eingesetzt werden, sowohl in der Partei als auch im Innenministerium und in Regierungsbehörden. In der ersten Hälfte des Jahres 1984 verlangten die Funktionsträger der HA II von den jeweiligen Abteilungen der Bezirksverwaltungen, neue Anwerbungen von Spitzenquellen in Polen vorzubereiten.196 Noch wichtiger schien die Feststellung zu sein, dass man die angebliche Freundschaft beider Dienste endgültig infrage stellte. Die Verantwortlichen der HA II belehrten ihre Kollegen aus den Bezirksverwaltungen, dass den offiziellen Informationen über die VRP aus dem Innenministerium keinesfalls getraut werden dürfe. Dies war aus rein geheimdienstlicher Sicht völlig berechtigt. Dass einige Lageberichte der ZAIG eine komplette, kritiklos abgeschriebene Fassung der Tagesinformationen waren, die dem MfS offiziell übergeben worden waren, wurde üblicherweise nicht angesprochen. Die Zeit nach 1982 änderte dabei nichts.197 Die gewonnenen Erkenntnisse sollten dazu beitragen, das DDR-Gebiet vor dem inneren und äußeren Feind zu beschützen. Zu diesem Zweck war nicht nur eine starke Grenzüberwachung vorgesehen, sondern auch die Kontrolle des Funkverkehrs. Beides diente der Informationsgewinnung zu geplanten Streiks, zu Kontakten der Oppositionellen und auch dazu, ob es zu Begegnungen zwischen den polnischen und den ostdeutschen Dissidenten gekommen war. Erst an letzter Stelle in den seit 1980 üblichen Maßnahmenlisten stand die rein polizeiliche Arbeit, um die Devisenverbrechen zu bekämpfen. Wichtiger für das MfS war die Beantwortung der Standardfrage »Wer ist wer?«,198 die technisch gesehen durch das Erstellen von Verhaltensanalysen der polnischen Grenzbeamten erfolgen sollte. Deren Kontakte sollten auf »kluge tschekistische Weise« genutzt werden, was auch als Anweisung zur gesteigerten IMArbeit an der Grenze gedeutet werden kann. Diese Direktive war von besonderer Bedeutung. Schließlich kam es des Öfteren vor, dass die HA II ad hoc um eine gezielte und nicht mit dem MSW abgestimmte Überprüfung eines Diplomaten bat, der sich in der Nähe eines Grenzübergangs aufhielt.199 196  Im zitierten Schreiben wurde sogar die Notwendigkeit, solche Topquellen in den Streitkräften und im Innenministerium zu haben, mit Ausrufezeichen gekennzeichnet, was jedoch zur Annahme führen könnte, dass die bisherige IM-Arbeit in Polen auf der lokalen Ebene alles andere als zufriedenstellend war. BStU, MfS, HA II Nr. 38731, S. 329. 197  Abteilung II, [5.2.1985], Informationsbedarf der Abteilung II/Arbeitsrichtung VR Polen; BStU, MfS, BV Berlin, Abt. II Nr. 707, S. 3. 198  Maßnahmeplan zur weiteren Durchsetzung des Befehls 18/81 des Genossen Minister; BStU, MfS, HA VI Nr. 4473, S. 159. 199  HA II, Leiter, Schreiben vom 19.12.1981; BStU, MfS, Sekretariat Mielke Nr. 571, S. 136.

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Eine besondere Dimension der normativen Polenpolitik des MfS hatten jene Richtlinien, die mit der Überwachung der ostdeutschen Gesellschaft zu tun hatten. Diese Überwachung war in der Tat nichts Ungewöhnliches und stellte eine der Hauptaufgaben der Stasi dar. Immerhin wurde befohlen, ab 1980 mindestens ein Mal pro Woche und in Notfällen auch täglich Stimmungsberichte an die MfS-Leitung zu schicken, welche die Wahrnehmung der Ereignisse in Polen wiedergaben.200 Diese Art der Berichterstattung schnitt zwar sämtliche Bereiche an, wie etwa Gerüchte und Spekulationen sowie Tendenzen oder Ängste der DDR-Bürger. Trotzdem bildeten nicht die Werktätigen die wichtigste Gruppe, die inoffiziell aufgeklärt werden musste. Vorrang und besondere Aufmerksamkeit wurde solchen Kreisen gewidmet, deren Pendants in Polen zu den Unruhestiftern gehörten. Dazu zählten die ostdeutsche Intelligenz der künstlerischen und kirchlichen Milieus sowie die Studenten und Jugendlichen, die vom MfS grundsätzlich als unzuverlässig eingestuft wurden. Außerdem mussten alle anderen Gruppen in Betracht gezogen werden, denen insbesondere in den Jahren 1968, 1970 und 1976 sowie davor Kontakte zu Polen bzw. Tschechen und Slowaken nachgewiesen werden konnten. Grundsätzlich galt dies auch für alle inoffiziellen Gruppierungen in der DDR, wie die Friedensbewegung, Umweltgruppen usw. Hier spielten auch die grenzüberschreitenden Kontakte der Dissidenten eine Rolle.201 Warum war die Überwachung der Bürger in Polen so wichtig? Sicherlich spielte die Angst der DDR, dass sich die polnischen Ereignisse in Ostdeutschland wiederholen konnten, eine Rolle. Deshalb war die regelmäßige Analyse der jeweiligen politischen Stimmung für das MfS enorm relevant. Ebenfalls von Bedeutung war die Tatsache, dass die interne Aufklärung eine Art praktische Übung für die Einführung des »Besinnungs«-Befehls sein konnte. Beispielsweise wurde in der DDR vor der Verhängung des Kriegsrechts eine sehr ähnliche Maßnahme durchgeführt, nämlich die Operation »Dialog«. Es handelte sich dabei um die geheimdienstliche Absicherung und Überwachung des Arbeitsbesuches von Bundeskanzler Helmut Schmidt in der DDR. Das MfS wollte vor allem Kontakte zwischen dem Kanzler und der DDR-Bevölkerung unterbinden, weshalb entsprechende Maßnahmen erlassen und neue Berichterstattungsarten eingeführt wurden. Die Prozeduren beider Aktionen wurden einige Tage später, d. h. nach dem 13. Dezember 1981, vereinheitlicht.202 In beiden Fällen mussten bestimmte Gruppen, wie etwa Dissidenten, gesondert überprüft werden.203 So wie die eigenen Bürger sollten jene Ausländer behandelt werden, die wegen der Krise in Polen in die DDR gereist sind. Dazu zählten vor allem Journalisten. 200  ZAIG, Leiter, Schreiben vom 21.12.1981; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 20373, S. 2. 201  BV Karl-Marx-Stadt, Maßnahmeplan zur Durchsetzung der Weisung des Genossen Minister vom 9.10.1980; BStU, MfS, BV Chemnitz/AGL Nr. 133, S. 4. 202  Siehe Befehl vom 15.12.1981; BStU, MfS, HA VIII Nr. 251, S. 170. 203  BV Dresden, Abt. VIII, Informationsbericht zu den Aktionen »Dialog« und »Besinnung«, [18.12.1981]; BStU, MfS, BV Dresden, Abt. VIII Nr. 7538, S. 28.

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Seit 1980 war den internen Richtlinien eine sichtbare Tendenz zu entnehmen, wonach diese Berufsgruppe so intensiv wie möglich ausspioniert werden sollte. Als Erklärung galt stasi-intern die These, dass die DDR an Bedeutung gewann, seit ihre Politik der friedlichen Koexistenz den Aufenthalt von Ausländern ermöglichte. Verständlicherweise unternahmen die Imperialisten dagegen so viel wie möglich, folglich wurde auch der erwähnte Auslandsaufenthalt zu kriminellen Zwecken missbraucht. Also musste das MfS dieses Milieu entsprechend sorgfältig überprüfen.204 Sämtliche Informationen wurden aufgenommen, von der Einreise in die DDR bis hin zur journalistischen Tätigkeit selbst und zur Registrierung aller Kontakte mit polnischen Bürgern. Neben den reinen Abwehrmaßnahmen sollte die gründliche Untersuchung auch dazu dienen, eine eventuelle Eignung der Personen als IM auszumachen. Interessanterweise sollte sich damit ausschließlich die HA II beschäftigen. Die HV A hingegen durfte nur die vorhandenen Informationen über die betreffenden Personen an die Spionageabwehr weitergeben, was aus Gründen der internen Arbeitslogik der Auslandsaufklärung kaum realisierbar zu sein schien. Das Ende des Kriegszustands in Polen im Juli 1983 sowie die scheinbare Konsolidierung der Macht Jaruzelskis führten dazu, dass die entsprechenden operativen Maßnahmen des MfS eingegrenzt wurden. Dies führte jedoch nicht zu einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Ganz im Gegenteil. Die kontrollierte Demokratisierung in Polen lieferte der MfS-Leitung genug Argumente, um 1988 aufgrund der bereits gesammelten Erfahrungen eine ähnliche Aktion wie im Jahr 1981 anzuordnen. Ein wiederholter Versuch, Polen großflächig überwachen zu lassen, kam allerdings nicht infrage. Dieses Mal sollte allem voran verhindert werden, dass der Einfluss der polnischen Reformbestrebungen auf die Bürger der DDR abfärbte, besonders in den Grenzregionen. Auch die Darstellung der internen Arbeitsbedingungen war anders. 1981 war insbesondere der Informations­ gewinn von Bedeutung gewesen, unabhängig davon, ob dies zulasten Polens ging oder nicht. Im Gegensatz dazu wurde 1988 expressis verbis festgesetzt, dass alle getroffenen Maßnahmen die offiziellen bilateralen Beziehungen nicht belasten durften und die Interessen der VRP, etwa im Transitverkehr, nicht beeinflussen sollten. Vor allem Ersteres konnte die IM-Arbeit praktisch lahmlegen. Es handelte sich dabei jedoch weder um eine Frage der Einstellung noch um eine zufällige Verbesserung der bilateralen Verhältnisse. Es sollte lediglich vermieden werden, dass die aus polnischer Sicht rechtswidrigen Tätigkeiten der ostdeutschen Bürger gegen die DDR benutzt werden konnten.205 Schließlich wurden die allgemeinen Bestandteile des Polen-Bildes und die davon abgeleiteten Aufgaben für das MfS 204  Befehl Nr. 3/81 vom 21.2.1981; BStU, MfS, HA II Nr. 4298, S. 186. 205  HA VI, Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der politischoperativen Lage und Entwicklung in der VR Polen, [15.7.1988]; BStU, MfS, HA VI Nr. 9534, S. 34.

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seit 1988 nicht geändert. Darunter zählten die wöchentliche Berichterstattung zur aktuellen Stimmungslage oder der Kampf gegen die Opposition sowie die Verfolgung der Spionageverdächtigen. Die bisherigen Ziele blieben bestehen wie die Behauptung, dass die antisozialistischen Kräfte 1988 zur Destabilisierung Polens geführt hätten und durchgängig die PVAP infiltrierten.206 Die geplanten Reformen und insbesondere die Gespräche am Runden Tisch wurden in den internen Beratungen als Sieg der Konterrevolution wahrgenommen und galten als Beleg für das endgültige Versagen der Partei, die weder soziale noch ökonomische Probleme lösen konnte.207 Deswegen wurden in den bereits verfassten Richtlinien, die für das Jahr 1989 vorgesehen waren, entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Alle Fragen der internationalen geheimdienstlichen Zusammenarbeit sollten nicht mehr von der Abteilung X bearbeitet werden, sondern direkt von der HA II.208 Die MfS-Führung erwartete von den zuständigen Operativgruppen eine wirksame »Umsetzung« der SED-Politik in Polen.209 Die Befehle oder internen Reden Mielkes hatten nie zum Ziel, die polnischen Reformen zu verstehen, sondern dienten nur dazu, sie zu bekämpfen. Die politische Transformation in Polen passte keinesfalls zu seiner Weltanschauung. Aus diesem Grund waren alle von ihm verfassten Dokumente voller Widersprüche. Die aus rein geheimdienstlicher Sicht logische Aufgabe, in der VRP offensive IM-Arbeit durchzuführen, ließ latent durchschimmern, dass Mielke die gewonnenen Erkenntnisse eigentlich nicht brauchte. Seine Thesen zu Polen waren seit Jahren unverändert klar, wodurch die interne Berichterstattung beeinflusst wurde. Wäre er in der Lage gewesen, die Behauptung hinzunehmen, dass nicht der irreale Imperialismus, sondern die durchaus reale polnische Gesellschaft ihr Land demokratisieren wollte? Wahrscheinlich nicht. War es deshalb nötig, die Befehle für die Arbeit des MfS in ideologischer Sprache zu ertränken? Auch nicht. Jeder Geheimdienst hätte Interesse am politischen Wandel seines Nachbarstaates gehabt.210 Es bleibt fraglich, ob die Stasi nicht auch ohne den »Besinnungs«Befehl gründlichere Grenzkontrollen für polnische Reisende eingeführt oder die polnischen Diplomaten intensiver abgehört hätte. Ebenso wenig überzeugend bleibt das Argument, dass eine Erhöhung der Disziplin in den Reihen des MfS nötig gewesen wäre. Alle bis 1976 erlassenen Richtlinien hätten ebenfalls als gute Grundlage für die Entwicklung der operativen Tätigkeit gegen Polen herhalten

206  BV Magdeburg, Information im Zusammenhang mit der Entwicklung der Situation in der Volksrepublik Polen, [6.5.1988]; BStU, MfS, BV Magdeburg/AKG Nr. 309, S. 240. 207  Ausführungen des Leiters der HA Kader und Schulung auf der Beratung mit den Leitern der Kaderorgane am 24. Mai 1989; BStU, MfS, HA KuSch Nr. 347, S. 22. 208  BStU, MfS, Abt. X Nr. 1416, S. 116. 209  Befehl Nr. 57/89 vom 21.07.1989; BStU, MfS, BV Rostock, Leiter der BV Nr. 865, S. 2. 210  Dieses Interesse hatte auch 1989 der polnische Geheimdienst in der DDR, und zwar ohne gesonderten Tagesbefehl von Kiszczak. Jaskułowski: Wywiad PRL, S. 106.

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können.211 Tatsächlich hatte Mielke die auf Polen bezogenen Anweisungen ab 1980 bekanntgeben lassen, um auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen. Jedoch sorgten die Befehle erst recht für ein Begriffschaos. Ohne Probleme hätte darauf verwiesen werden können, dass jede Einheit des MfS alle Informationen mit allen möglichen Mitteln einholen soll. Dass dies nicht geschah, lag zum einen an der bürokratischen Tendenz des MfS, die Dokumente stets in ausschweifender Form zu verfassen. Zum anderen entsprach dies dem psychischen Komfort ihrer Herausgeber, allen voran Mielke. Denn Ziel des »Besinnungs«-Befehls war es nicht, die Arbeit der Stasi zu optimieren oder besser zu gestalten, sondern dieser sollte zur Bestätigung der eigenen politischen Ideologie dienen. Nach wie vor nutzten die Verantwortlichen die Befehle nicht, um mehr Ordnung in der operativen Arbeit zu schaffen. Sie wollten immer alles wissen, was auch aus der Orwell'schen Perspektive des MfS kaum realisierbar war, von den operativen Erfolgen oder der objektiven Berichterstattung ganz zu schweigen.

211  Engelmann; Joestel: Grundsatzdokumente, S. 185.

3. Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (1) – Fremde Dienste 3.1 Kontakte zwischen den Abteilungen für Auslandsaufklärung und Spionageabwehr 3.1.1 Grundsätze und quantitative Dimension der Kontakte Die wichtigste Grundlage für die konkrete Zusammenarbeit in den in Kapitel 2 erwähnten Bereichen bildeten nicht nur die Grundsatzvereinbarung oder Anhänge zu den Verträgen zwischen den jeweiligen Hauptabteilungen. Auch interne Verordnungen, etwa zur Arbeit der Operativgruppen, sahen neben der Ausspähung des Gastgebers die Möglichkeit vor, mit diesem zusammenzuarbeiten. Die Gruppen des MfS hatten zum Beispiel eine grundsätzliche Genehmigung erhalten, im Einvernehmen mit dem zuständigen Ministerium des Gastlandes gemeinsame Aktionen mit dessen Diensten gegen »die feindlichen Zentren« nichtsozialistischer Staaten durchzuführen.1 Die Praxis der Implementierung sah jedoch unterschiedlich aus. Die aus Sicht dieser Studie wichtigste Vereinbarung zwischen der HV A und der HA II über die Arbeit der Operativgruppe Warschau vom September 1980 sah eindeutig vor, dass operative Vorgänge gegen Polen Vorrang hatten.2 Nachrangig war dagegen die Planung gemeinsamer Operatio­nen mit dem MSW gegen fremde Dienste. Interessant ist, dass der Anhang zur Grundsatzvereinbarung etwas völlig anderes sagt: Die gemeinsamen Operationen werden an erster Stelle genannt. Auch in den bilateralen Vereinbarungen war das der Fall.3 Allerdings wurde, formal gesehen, dem gemeinsamen Kampf gegen die Geheimdienste der NATO-Staaten in den internen Unterlagen der Operativgruppe Warschau erst im November 1988 in den Arbeitsrichtlinien Priorität eingeräumt.4 Tatsache ist auch, dass in den von beiden Ressorts angenommenen Perspektivplänen bereits 1975 die Rede von verstärkten Aktivitäten dieser Geheimdienste war und deshalb gemeinsame Vorgänge gegen deren Residenturen, die als diplomatische und konsularische Vertretungen getarnt waren, geführt werden sollten. Priorität hatten die operativen Vorgänge gegen die CIA und den BND. Wegen der zunehmenden 1  [O. D.], Übersicht zum Einsatz und zur Tätigkeit von Operativgruppen des MfS bei befreundeten ausländischen Sicherheitsorganen; BStU, MfS, HA II Nr. 23535, S. 64. 2  Berlin, 10.9.1980, Vereinbarung zwischen der HV A und der HA II über die Tätigkeit der Operativgruppe des MfS in der VR Polen auf der Grundlage der bestätigten Vorlage des Genossen Ministers vom 8.9.1980; BStU, MfS, HA II Nr. 38896, S. 7. 3  BStU, MfS, HA I Nr. 13988, S. 190. 4  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 279, S. 43.

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Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (1)

Bedeutung dieser kam in den 1980er-Jahren auch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hinzu, die als feindliche und quasi geheimdienstliche Organisation wahrgenommen wurde.5 Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass nur die Leiter der zuständigen Departments bzw. der Hauptabteilungen die Genehmigung für eine Operation erteilen durften. Für die Kooperation im Rahmen der Auslandsaufklärung sowie der Spionageabwehr galt der höchste Geheimhaltungsgrad im ohnehin grundsätzlich geheimen Tagesgeschäft beider Ministerien. In den regelmäßigen Berichten der Operativgruppe Warschau an die Zentrale konnten, in Bezug auf andere Kooperationsthemen, alle detaillierten Angaben übermittelt werden, einschließlich der echten Vor- und Nachnamen und der Decknamen der Quellen.6 Im Bereich der Auslandsaufklärung und der Spionageabwehr wäre dies unmöglich gewesen, auch weil die zuständigen Einheiten ohne Vermittlung der Auslandsvertretungen direkt miteinander kommunizierten. Letztere beschränkten sich in ihren Berichten, vor allem in der Spionageabwehr, auf eine kurze Mitteilung über ein Treffen oder eine Korrespondenz, manchmal nur mit einem Verweis auf den Decknamen des entsprechenden Vorgangs.7 Über die Beratungen der Auslandsaufklärung gab es überhaupt keine Aufzeichnungen. Sie wurden nur in der allgemeinen Übersicht über die bilateralen Kontakte erwähnt, verständlicherweise ohne Einzelheiten und lediglich mit der Anmerkung versehen, dass ihre Intensität von dem laufenden operativen Bedarf abhänge.8 Das den Akten nach letzte bekannte Treffen dieser Art fand Ende November 1989 in Warschau statt. Das – wie es sich nun nannte – AfNS war mit drei Abteilungsleitern sowie dem stellvertretenden Leiter der Spionageabwehr vertreten.9 Neun gemeinsame Projekte10 wurden erörtert. Alle Treffen wurden ohne Beteiligung der für internationale Beziehungen zuständigen Einheiten organisiert. In den Akten fällt die recht geringe Anzahl gemeinsamer Vorgänge auf. Je häufiger sich die hauptamtlichen Mitarbeiter der zuständigen Linien trafen – und in der intensivsten Phase war das mindestens ein Mal im Monat –, desto weniger Vorgänge wurden gemeinsam durchgeführt; es waren etwa zwei bis drei im Jahr.11 Das MSW beantragte in dem gleichen Zeitraum außerdem Unterstützung in circa fünf bis sieben Fällen, in denen die jeweiligen Zielpersonen oder deren Korrespondenz abwehrmäßig nur durch das MfS überprüft, kontrolliert bzw. beobachtet 5  Siehe die entsprechende Auflistung auf der Linie der Auslandsaufklärung; BStU, MfS, Abt. X Nr. 664, S. 4. 6  Beschreibung eines solchen Falls: BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 333. 7  Monatsbericht der OG Warschau für April 1983; ebenda, S. 314. 8  BStU, MfS, AS 225/85, S. 3. 9  Information über den Aufenthalt: BStU, MfS, Abt. X Nr. 665, S. 144; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 215, S. 3. 10  BStU, MfS, HA II Nr. 38928, S. 147. 11  OGW, Monatsbericht für April 1983; BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 313.

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werden konnten.12 Seitens des MfS gab es neun ähnliche Anfragen, allerdings nicht pro Jahr, sondern pro Monat,13 wobei auch Ad-hoc-Bitten berücksichtigt werden mussten. Es ging dabei um spezielle Projekte, etwa die besondere Beobachtung von Polen-Aufenthalten einflussreicher bundesdeutscher Politiker.14 Auf der anderen Seite bestanden jedoch nicht alle Polen besuchenden Delegationen aus der Bundesrepublik ausschließlich aus Spionen, was sich auf die Relevanz der Bitte um Kontrolle der Delegationen für die Abwehr, nicht aber für die Aufklärung auswirken musste. In die allgemeine Statistik zur Zusammenarbeit der beiden Ministerien gingen beispielsweise auch nicht die Aufenthalte der Mitarbeiter der HA I in der VRP ein. Sie wachten über die Truppen der NVA während gemeinsamer Übungen des Warschauer Paktes in Polen oder wenn diese sich auf einer Transitreise in die UdSSR in Polen aufhielten. Das war circa fünf Mal im Jahr der Fall.15 Wegen des gleichzeitigen Aufenthaltes legaler Beobachter der NATO konnte, aber musste es dabei nicht zu gemeinsamen Abwehrkombinationen kommen. Generell gesehen nahmen Quantität und Dynamik der bilateralen Operationen mit der Einführung des Kriegsrechts in Polen zu. In den 1980er-Jahren, bezogen auf den Zweijahreszeitraum, in dem ein Verzeichnis mit konkreten Projekten verbindlich war, führte man zehn bis 13 Vorgänge gemeinsam durch, was keinesfalls bedeutete, dass jeder exakt 24 Monate in Anspruch nehmen musste.16 Bearbeitete ein Ministerium ein Projekt über einen etwas längeren Zeitraum, obwohl das Bruderorgan dies nicht beabsichtigte, so setzte man das jeweilige Vorhaben fort.17 Auch die Zahl der Anfragen nahm nach 1981 zu; sie erhöhte sich auf circa 130 bis 200 im Jahr pro Dienst.18 Obwohl die relative zahlenmäßige Zunahme der Anfragen mit der Militarisierung des polnischen Lebens im Zuge der Geltung des Kriegsrechts zu erklären ist, muss sie nach wie vor skeptisch bewertet werden. Nicht immer handelte es sich, wie bereits gesagt, um für die reine Abwehr oder Aufklärung relevante Projekte. Das MfS schätzte, zumindest offiziell, diese Kooperation mit dem MSW sehr. Und dabei handelte es sich nicht um Mielkes parteipolitische Propagandareden, sondern um eine interne Bewertung der internationalen Kontakte, etwa der Zusammenarbeit der HA II mit den Diensten im gesamten Warschauer Pakt. Die polnische Spionageabwehr erhielt im MfS intern angeblich die besten 12  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 279, S. 44. 13  Siehe die entsprechende Statistik für die 1980er-Jahre: BStU, MfS, HA II Nr. 28365, S. 176. 14  OGW, Außenstelle Wrocław, Monatsbericht für Juli 1983; BStU, MfS, HA II Nr. 38642, S. 62. 15  BStU, MfS, HA I Nr. 13519, S. 62. 16  Zitiert nach Anhängen, in denen konkrete Vorgänge erwähnt wurden: IPN BU 0655/7; IPN BU 0655/8. 17  Gesprächsprotokoll vom 10.11.1989; BStU, MfS, HA II Nr. 35886, S. 48. 18  Zitiert nach einem Bericht des stellv. Leiters der HA II von 1987; BStU, MfS, ZAIG Nr. 15535, S. 2.

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Noten,19 und zwar auch auf der westdeutschen Linie, also dort, wo der Dienst der DDR die Nummer Eins hätte sein sollen. Diese Bewertung erscheint auf jeden Fall übertrieben, was auch die interne Statistik des MfS belegt, obwohl diese gleichzeitig die zweifelsfrei bedeutende Rolle des polnischen Innenministeriums im Tagesgeschäft des MfS belegt. Noch 1988 richteten sich 40 Prozent der Hilfeersuchen des MfS an seine Bruderorgane speziell an das MSW. Und auch die Hälfte aller operativen Informationen, die die sozialistischen Geheimdienste dem MfS übermittelt hatten, stammte angeblich aus der VRP. Die Kontakte zwischen dem MfS und dem MSW lassen sich quantitativ nur mit den Kontakten zwischen dem MfS und dem KGB vergleichen.20 Trotz dieser Statistik muss betont werden, dass die bilateralen Projekte einen minimalen Teil des operativen Geschäftes ausmachten. Und nicht die internationale Zusammenarbeit mit anderen sozialistischen Diensten, sondern die eigenen Projekte müssen in dieser Hinsicht als Maßstab herangezogen werden. Die HA II hatte allein in der DDR etwa 3 500 inoffizielle und 1 400 hauptamtliche Mitarbeiter, die pro Jahr über 250 Vorgänge bearbeiteten.21 Hinzu kommen die Vorgänge der Abteilungen II der Bezirksverwaltungen. 13 Vorgänge bedeuten also einen minimalen Anteil des Arbeitspensums. Man kann in diesem Zusammenhang erwähnen, dass polnische Forscher, die sich mit den Beziehungen von KGB und MSW beschäftigen, zu der Auffassung kommen, dass beide Dienste pro Jahr zehn Projekte bearbeiteten; allerdings wird dabei nicht zwischen Abwehrvorgängen und anderen Ermittlungen unterschieden.22 Veröffentlichte interne Angaben, beispielsweise über einzelne Einheiten der polnischen Auslandsaufklärung in Westeuropa, sprechen von durchschnittlich mindestens 23 Vorgängen, ohne Berücksichtigung der Arbeit von IM und von Kontaktpersonen.23 Wenn also die bilateralen Kontakte des MSW mit dem MfS als quantitativ so bedeutend eingeschätzt werden, muss man an dem erwähnten Forschungsergebnis zweifeln, zumal, wenn man auch die Arbeit der lokalen polnischen Einheiten kennt. Die Büros der Auslandsaufklärung in den Woiwodschaften – Pendants der Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen des MfS – übermittelten der Warschauer Zentrale jährlich über 2 000 operativ relevante Informationen.24 Die grenzüberschreitende geheimdienstliche Kooperation war also auf ein Minimum beschränkt.25 19  Pleskot: Dyplomata, S. 297. 20  Siegfried Suckut (Hg.): Anatomie der Staatssicherheit. Die Hauptabteilung II. Spionage­ abwehr. Berlin 1998, S. 67. 21  Grimmer: Die Sicherheit, Bd. 1, S. 435. 22  Robert Osek, Mirosław Grabowiecki: Próba dokonania bilansu współpracy KGB – SB w latach 1970–1990. Część 1. In: Przegląd Bezpieczeństwa Wewnętrznego 3 (2010), S. 149–173, hier 161. 23  Służby PRL w służbie USA. In: Gazeta Polska v. 29.6.2011. 24  Jerzy Niecio: Rodzimy folwark wywiadowczy. In: Debata 1 (2011), http://www.jerzyne cio.eu/Rodzimy_folwark_wywiadowczy.html (letzter Zugriff: 2.7.2020). 25  Zu einem vergleichbaren Befund gelangt auch eine materialreiche Studie über die Kooperation der HV A mit der bulgarischen Aufklärung. Siehe Christopher Nehring: Die

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3.1.2 Der operative Vorgang als Grundelement der Kooperation Was bedeutet die typische amtsinterne Bezeichnung »Vorgang« konkret? Im Grunde genommen bezog sie sich auf Personen. Es handelte sich um einen Inoder Ausländer, der verdächtigt wurde, für ausländische Geheimdienste tätig zu sein bzw. gewesen zu sein. Die von den beiden Diensten MSW und MfS geplante Zusammenarbeit sollte dann grundsätzlich dazu dienen, Belege für eine illegale Tätigkeit zu finden oder den Verdacht zu entkräften. Die Zielperson stand im Visier entweder wegen einer bestimmten Handlung, die prinzipiell als verdächtig galt, etwa eines Treffens mit einem westlichen Diplomaten, der als Offizier eines fremden Dienstes bekannt war, oder wegen einer a priori ebenso verdächtigen Handlung (z. B. generell: Dienstreisen) oder Tätigkeit; bei letzterer ging es um Tätigkeiten bzw. Berufe »mit erhöhtem Risiko« wie etwa Wissenschaftler, Kartograf, Geodät,26 oder in Polen bzw. der DDR akkreditierter Journalist, Diplomat, also um alle, die für Geheimdienste relevante Informationen liefern konnten, wichtige Funktionen ausübten bzw. in solche gelangen konnten, ganz gleich, ob absichtlich oder unabsichtlich. Die Personenüberprüfungen machten 80 Prozent der gemeinsamen Projekte aus. Weitere 15 Prozent waren für den sogenannten Erfahrungsaustausch über die Arbeit der bekannten feindlichen Residenturen vorgesehen. Es handelte sich dabei darum, die wichtigsten neuen Erkenntnisse mitzuteilen, die für die Tätigkeit der Aufklärung/der Abwehr von enormer Bedeutung sein würden, so etwa, welche neuen Sicherheitssysteme die Botschaften der NATO-Staaten eingeführt hatten, ob neue Formen von Anwerbungsversuchen zu beobachten waren usw. Nur die letzten 5 Prozent, also ein bis drei Projekte in zwei Jahren, hatten rein offensiven Charakter. Dazu zählen die Vorhaben, eigene hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter in der Nähe einer fremden Residentur zu platzieren, einen sogenannten Anbieter zu steuern/auszubilden, also eine Person, die einer fremden Botschaft ihre Spionagebereitschaft selbst kundtut, bzw. die bestehenden und neu entdeckten Netzwerke der Quellen fremder Geheimdienste in Polen bzw. in der DDR zu überwachen und zu manipulieren.27 Die Zahl der Operationen ist zwar klein, aber mit den anderen bilateralen Beziehungen des MfS vergleichbar, etwa denen zu Ungarn.28 Gegen wen arbeitete man am häufigsten zusammen? Statistisch gesehen entsprachen die Vorgänge den vorgegebenen Richtlinien. 90 Prozent der Fälle betrafen entweder die CIA oder den BND. Der Rest war für andere NATO-Staaten vorZusammenarbeit der DDR-Auslandsaufklärung mit der Aufklärung der Volksrepublik Bulgarien. Regionalfilialen des KGB? Heidelberg: Diss. phil., 2016; online unter http://archiv.ub.uniheidelberg.de/volltextserver/21918/ (letzter Zugriff: 2.7.2020). 26  IPN BU 01062/43, Bd. 47, S. 53. 27  IPN BU 0655/8, S. 12. 28  BStU, MfS, HA II Nr. 29633, S. 71.

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gesehen bzw. für Sonderanfragen, die kaum mit direkter operativer Arbeit zu tun hatten. Die polnische Auslandsaufklärung richtete an die HV A häufig die Frage, welche Haltung von der DDR-Regierung in Bezug auf die Beteiligung Polens an bestimmten internationalen strategischen Forschungsprojekten zu erwarten sei. Es ging dabei etwa um die Raumforschung,29 die die westlichen Staaten zwar multilateral, aber ohne die USA betreiben wollten. In den Routineberatungen der Leiter der Aufklärung erörterte man, insbesondere in den 1980er-Jahren, außerdem die allgemeine politische Lage in der Welt und in Europa, die bilateralen Beziehungen zur Bundesrepublik bzw. zum Vatikan sowie die Vorbereitung von aus operativer Sicht politisch relevanten Einzelbesuchen im Ausland, etwa denen Wałęsas. Praktische Aspekte der Kooperation im Bereich Aufklärung standen in der Regel am Ende der üblichen Begegnungen der Leiter, und das bis 1989.30 Gesprächspartner des Verfassers vermuteten, dass Wolf auch Gastvorträge in der polnischen Spionageschule in Alt Keykuth hielt. Außer den Aussagen angeblicher Zeugen gibt es jedoch dafür keine Belege. 3.1.3 Implementierung der Zusammenarbeit Die wichtigste und seltenste Kooperationsaufgabe beider Ministerien bestand darin, gemeinsam einen inoffiziellen bzw. hauptamtlichen Mitarbeiter in den Strukturen eines fremden Dienstes zu platzieren. Der beste Ort, für diese Aufgabe war die Bundesrepublik bzw. Westberlin, da es vor allem dort zur intensivsten Konfrontation der geheimdienstlichen Interessen kam. Bei den entsprechenden Vorgängen war es immer eine Schlüsselaufgabe, alle operativen Bedingungen vorab aufzuklären, weil nur so die Gefahr der Enttarnung beispielsweise eines Anbieters minimiert werden konnte. Der Austausch von Informationen war aus diesem Grund sehr nützlich, auch um gewisse geheimdienstliche Stereotype abbauen zu können. Von der Tendenz, dass die polnischsprachigen Gesprächspartner von den westlichen Aufklärern nicht so misstrauisch betrachtet wurden, war schon die Rede. Deshalb war es eine Chance und zugleich eine Herausforderung für das MfS, polnischstämmige Personen als IM zu gewinnen. Andererseits profitierte das MSW von seiner Reputation als kleiner Dienst. Da die westliche Abwehr in der Bundesrepublik sich grundsätzlich auf das MfS und den KGB konzentrierte, konnte das MSW einige für die Bundesrepublik sehr peinliche Kombinationen durchführen.31 Für das MfS bestand auch ein prinzipieller Unterschied zwischen 29  BStU, MfS, Sekretariat Mittig Nr. 88, S. 23. 30  BStU, MfS, Abt. X Nr. 664, S. 39. 31  Einige wurden auch in der Öffentlichkeit bekannt: Rosalia Romaniec: Der Mann, den es zweimal gab. In: Welt am Sonntag v. 10.3.2013, http://www.welt.de/print/wams/article114295676/ Der-Mann-den-es-zweimal-gab.html (letzter Zugriff: 2.7.2020).

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der Tätigkeit der in Polen und der in der DDR tätigen diplomatischen Vertretungen nichtsozialistischer Länder; er betraf die Anzahl der Einheimischen, die in den jeweiligen Botschaften arbeiten durften. Die Anzahl der nicht zum diplomatischen Dienst gehörenden polnischen Angestellten konnte in der VRP mitunter größer sein als die Anzahl der in einer konkreten Vertretung akkreditierten Diplomaten. In der DDR durften dort maximal zwei DDR-Bürger arbeiten.32 Immerhin war dem MSW klar – was es auch dem MfS mitteilte –, dass Einheimische von den ausländischen Diplomaten grundsätzlich als Informanten der Spionageabwehr angesehen wurden.33 Was war Gegenstand eines offiziellen Hilfeersuchens, mit dem man sich an das Bruderorgan wandte? Zunächst informierte man darüber, dass man gerade einen Mitarbeiter suchte bzw. schulte, der im gegnerischen Dienst tätig war oder für einen solchen tätig werden sollte. Man formulierte dies möglichst allgemein,34 aber nicht so allgemein, um nicht erkennen zu lassen, welche Art Hilfe und welche Informationen man benötigte. Deshalb teilte man generell auch mit, welche Arbeitsmethode vorgesehen war, um auf diese Weise herausfinden zu können, welche Erfahrungen der Partnerdienst mit eventuellen Reaktionen des Gegners auf diese Methode gerade gemacht hatte. Was bedeutete das? Man wollte wissen, wie westliche Polizeibehörden auf die Flucht eines Berufsoffiziers aus den Ostblockstaaten reagierten, sollte dieser sich bei ihnen melden. Man wollte in Erfahrung bringen, welche Regeln es dafür gab, wie souverän sie agieren durften und ob sie konkrete Befehle auszuführen hatten. Wichtig war auch, ob es Fälle gab, in denen die angeblich miteinander befreundeten Dienste der NATO-Staaten in der Bundesrepublik solche Flüchtlinge illegal für sich beanspruchten, ohne die Dienste der anderen Besatzungsmächte darüber zu informieren.35 Ziel der konkreten bilateralen Beratungen war es also, alle nur denkbaren Optionen einer »Fahnenflucht« durchzuspielen, um solche auszuschließen, die aus Sicht eines westlichen Zieldienstes zu großen Verdacht erregten. Es konnte vorkommen, dass man mit einer bestimmten Operation beabsichtigte, dem Gegner keine gefälschten Informationen über den eigenen Mitarbeiter zu liefern, sondern nur die von ihm benutzten Kommunikationsmethoden, etwa Verschlüsselungs­ systeme, kennenzulernen. Wie es schon vor 1974 der Fall gewesen war, bat das MfS darum, bei der Ausbildung des Agenten und seiner Legende sowie in der gesamten Vorbereitung maximale Sorgfalt walten zu lassen. Aus diesem Grund

32  BStU, MfS, HA II Nr. 35886, S. 12. 33  BStU, MfS, HA II Nr. 30166, S. 85. 34  Gemeint ist z. B. die Operation »Insel«. BStU, MfS, HA II Nr. 29633, S. 31. 35  Solche Fälle gab es angeblich häufig in Westberlin, was auch viel über die »geheimdienstliche Zusammenarbeit« der westlichen Besatzungsmächte, aber auch der zwischen dem KGB und dem MfS sagt. Siehe Werner Stiller: Der Agent. Mein Leben in drei Geheimdiensten. Berlin 2010, S. 126; Klaus Behling: Die Alliierten Militärmissionen in Deutschland. Stuttgart 2004, S. 73.

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unterbreitete es jeweils mehrere Vorschläge, welche Art von Fahnenflucht die größten Erfolgschancen haben könnte.36 In der Tat waren, um eine Enttarnung zu vermeiden, beide Dienste auch aus heutiger Sicht imstande, eine unglaubliche Arbeit zu leisten. So wurden mehrere Hundert Fotos bekannter westlicher Aufklärungsoffiziere, die auf dem geplanten Operationsgebiet tätig waren, analysiert. Wurde eine Operation zum Beispiel in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre geplant, war die oben beschriebene Prüfung notwendig, um die Identität aller Geheimdienstler, die seit 1970 auf dem jeweiligen Gebiet gearbeitet hatten, zu verifizieren. Außerdem analysierte man Hunderte von Alltagsdetails, die in einer Notfallsituation zum Erfolg bzw. zur Niederlage beitragen konnten. Beispielsweise wurde geklärt, ob und wie eine telefonische Verbindungsaufnahme mit dem Agenten vernünftig sein würde, wo Treffen stattfinden sollten, welche Motive der geflüchtete Offizier als Grund für seine Entscheidung nennen sollte – nur politische oder auch solche finanzieller Art.37 Sollte jemand via Polen flüchten, wie das bei der Verfolgung der für das MfS wichtigsten Verratsfälle, etwa dem von Werner Stiller, vorgesehen war, musste der »künstliche« Verräter über echte und seit Jahren von ihm gepflegte Kontakte in der VRP verfügen. Des Weiteren mussten Alter, dienstliche Funktion, Sprachkenntnisse – keine oder überdurchschnittliche – zu der zu realisierenden Aufgabe passen, genauso wie Veränderungen in der innenpolitischen Situation. Die Tatsache, dass sich die Arbeit der beiden »Bruderorgane« vom Grundsatz her auf ihr jeweils eigenes autonomes Handeln konzentrieren sollte, belegen relevante Beispiele. Schon 1976 konnte das MfS mithilfe seiner Funkaufklärung erste Informationen erschließen, etwa, dass eine der bundesdeutschen Außenstellen des BND sich fast ausschließlich mit der VRP beschäftigte. Aber erst ein Jahr später entschloss man sich in Ostberlin, darüber nachdenken zu wollen, ob die gewonnenen Erkenntnisse der polnischen Seite überhaupt übergeben werden durften.38 Das MSW erhielt dann in der Tat einen Bericht. Und bis 1989 bearbeitete man gemeinsam die bereits erwähnte Außenstelle,39 allerdings nicht so, wie sich das MfS das vorstellte. In den internen Vermerken ist ständig von fehlender Aktivität des MSW und wenig produktiven Beratungen die Rede.40 Es kann also nicht verwundern, dass in anderen Vorgängen, in denen es beispielsweise in Warschau zu einem direkten Kontakt zwischen einem IM der DDR und einem Offizier eines fremden Dienstes kommen sollte, nicht die polnischen Mitarbeiter des MSW, sondern die Funktionäre des MfS über die wichtigsten Erkenntnisse informiert wurden; sie entschieden, wie sich der Agent verhalten sollte, und auch 36  37  38  39  40 

Siehe Protokoll der Beratung; BStU, MfS, HA II Nr. 29633, S. 49. IPN BU 0449/10, Bd. 30, S. 71. Information v. 13.1.1977; BStU, MfS, HA II Nr. 30307, S. 426. Deckname: »Most/Brücke«. Zuarbeit zur Quartalbilanz III/86; BStU, MfS, HA II Nr. 38372, S. 169.

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nur sie durften entscheiden, welche Schritte weiter unternommen werden sollten. Das MfS konnte jedoch nicht alles verbergen, denn das MSW, das theoretisch an dieser Operation beteiligt war, hielt seine eigene Spionageabwehr nicht heraus. Seine Gastgeberrolle ermöglichte es ihm, relativ schnell zu erkennen, in welchem Personenkreis der IM des MfS aktiv war.41 Das Misstrauen zwischen den Diensten der DDR und der VRP war nicht nur etwas, was die Beziehungen der Dienste untereinander belastete, unter Umständen war es – wie paradox das auch klingen mag – ein Grund, zur Verbesserung der Zusammenarbeit beizutragen. Doch dies war von dienstinternen Absichten und Plänen abhängig. Das MSW bat etwa das MfS um Unterstützung bei der Überprüfung von Zielpersonen in seinen operativen Spielen, insbesondere wenn es sich um Bürger aus Drittstaaten handelte. Kam der Verdacht auf, dass eine Zielperson zum Beispiel ihre Reisen nach Westberlin nutzte, um dort faktisch als Doppelagent tätig zu sein, wurde der DDR-Geheimdienst gebeten, zu beobachten, wie diese einen fiktiven operativen Auftrag des MSW realisierte.42 In einem konkreten Fall musste eine solche Zielperson beispielsweise eine Sendung schmuggeln und weiterleiten. Die Überprüfung durch das MfS war deshalb wichtig, weil der Person vorgeworfen wurde, gleichzeitig für zwei westliche Geheimdienste zu arbeiten. Die Zielperson, die den Wunsch hatte, mit dem MSW zusammenzuarbeiten, war aus operativer Sicht durchaus interessant. Gleichzeitig stellte die Abwehr fest, dass diese – ein in der VRP lebender Ausländer – ziemlich viele Kontakte zu Offizieren in der VRP stationierter sowjetischer Truppen unterhielt und auf Reisen sogar Maßnahmen der Selbstkontrolle traf.43 Der Fall wäre ein in der bilateralen Kooperation »üblicher« Vorgang geblieben und die Aufgabe des MfS wäre einfach gewesen, wenn der zuständige polnische Offizier kein Verräter gewesen wäre. Die Konsequenz seines Seitenwechsels lag auf der Hand: Das MfS vermutete zu Recht, dass der Pole westlichen Diensten wichtige Informatio­nen über die Beobachtungssysteme der DDR übermitteln konnte, und äußerte dies auf der Ministerebene. Es warf dem MSW Mangel an Professionalität vor. Die weitere Kooperation in der Sache wurde abgelehnt. Auf dringende Bitten des MSW kam es schließlich doch dazu, weil das MSW, was verständlich ist, den Hintergrund des Verrats zu ermitteln suchte. Mitarbeiter der polnischen Spionageabwehr behaupteten dem Verfasser gegenüber allerdings, dass man der DDR-Seite nicht alles gesagt habe. Außer dieser mündlichen Aussage gibt es jedoch keine Belege dafür. Eine operative Zusammenarbeit gab es, wie schon festgestellt, im bilateralen Verhältnis der Dienste des MSW und des MfS relativ selten. Den Alltag bestimmten der routinierte Informationsaustausch, der die laufende Beobachtung 41  BStU, MfS, HA II Nr. 24050, S. 11. 42  Vorgangsunterlagen, Deckname »Bankier«: BStU, MfS, HA II Nr. 35886, S. 41; BStU, MfS, Abt. X Nr. 30, S. 289. 43  BStU, MfS, HA II Nr. 35963, S. 67.

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der in Polen bzw. in der DDR ansässigen Residenturen fremder Staaten betraf, und die üblichen Abwehrmaßnahmen gegen diese Dienste im In- und Ausland. Die Verbesserung der offiziellen Kontakte zwischen dem MSW und dem MfS ab 1974 trug dazu bei, dass das MSW bis 1980 grundsätzlich mehr nützliche Informationen an das MfS übergab als umgekehrt, vor allem auf der höchsten Ebene des Ministeriums und nicht nur auf der technischen Ebene. Dem MfS wurde beispielsweise eine umfassende Abhandlung zur Verfügung gestellt, die sich mit der Spionagetätigkeit aller in der VRP zugelassenen diplomatischen Vertretungen beschäftigte. Auf der Grundlage von im Zeitraum von zehn Jahren gesammelten Daten hatte man eine umfassende Datenbank erstellt, der nicht nur Informationen über verdächtige Aktivitäten vieler Diplomaten, etwa Maßnahmen der Selbstkontrolle usw., zu entnehmen waren, sondern auch Angaben dazu, ob diese Diplomaten auch Führungsoffiziere waren, für wie viele eigene IM sie Verantwortung trugen, welcher Herkunft diese waren bzw. welche Gegenmaßnahmen seitens des MSW getroffen worden waren. Gemäß dem Prinzip der Gegenseitigkeit tauschte man die allgemeinen Berichte über die Aktivitäten der Geheimdienste der NATO-Staaten in beiden Ländern aus, verbunden mit der Bitte, darüber zu berichten, ob etwa in Polen zu beobachtende Tendenzen und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen auch in der DDR nachzuvollziehen waren. Es ging dabei nicht nur darum, die Aktivitäten auf dem eigenem Terrain zu analysieren.44 Genauso wichtig war die Beurteilung der Tätigkeit der westlichen Aufklärungsdienste, die sich gegen die in UN-Missionen dienenden Soldaten der polnischen Armee richtete, oder es ging um das übliche allgemeine Klischee, etwa welche Berufs- und Personengruppen für den jeweiligen westlichen Dienst vorrangig als Tarnungs- bzw. Anwerbungsfelder galten. Es verwundert selbstverständlich nicht, dass Journalisten und Oppositionelle die wichtigsten Gruppen bildeten.45 Die Dokumentation zu den genannten Problemfeldern war im allgemeinen Sinne ideologiefrei. Neben der üblichen Feststellung, dass die CIA eine feindliche Organisation sei, konzentrierten sich die Verfasser grundsätzlich auf das Wesentliche. Erörtert wurden die Art und Weise, wie die ausgewählten ausländischen Journalisten abwehrmäßig vor ihrem Auslandsaufenthalt geschult wurden, insbesondere wie sie Anwerbungsversuche erkennen und abweisen konnten, welche Geheimverbindungen zu nutzen waren bzw. welche Legenden sie vorrangig verwenden sollten, um Kontakt zu namhaften Dissidenten herzustellen. Von ebensolcher Bedeutung waren Analysen zum Informationsbedarf der westlichen 44  Aktivitäten der Abwehr auf dem Gebiet der Bekämpfung feindlicher Handlungen der Geheimdienste sowie des inneren Gegners. Material des MSW für das MfS vom 16.5.1983; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 64, S. 59. 45  Tadeusz Wolsza, Sebastian Ligarski (Hg.): Dziennikarze władzy, władza dziennikarzom. Aparat represji wobec środowiska dziennikarskiego 1945–1990. Warszawa 2010, S. 7.

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Dienste in Bezug auf die sozialistischen Staaten, die Bewertung neuer Methoden zur Infiltrierung der Streitkräfte46 oder Case Studies, in denen konkrete Fälle der für Geheimdienste tätigen westlichen Diplomaten erörtert wurden, die man als Spione zu kompromittieren suchte, um sie dann aus Polen ausweisen zu lassen.47 Informationen dieser Art beschränkten sich aber auf maximal zwei Fälle im Zeitraum von zwei Jahren. Sie bestätigen die These des Verfassers, dass je aktiver ein fremder Geheimdienst war, dem Bruderorgan desto weniger über die Aktionen gegen diesen Dienst berichtet wurde. Das betrifft vor allem den BND. Wie aus den Akten hervorgeht, wurden in den 1980er-Jahren 60 Prozent aller staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren wegen Spionage gegen diesen Dienst geführt.48 Die Abwesenheit von Ideologie in den Dokumentationen wurde durch die üblichen geheimdienstlichen Stereotype kompensiert, um dem Bruderorgan ein politisch korrektes Weltbild zu vermitteln. Jeder Journalist war also grundsätzlich ein Spion.49 Ebenso der Dissident, der absichtlich Kontakt zu westlichen Reportern suchte,50 nicht nur, um von seinem politischen Engagement zu erzählen, sondern auch, um Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags zu erbitten, etwa bei der Besorgung von Hygieneartikeln. Es erscheint verständlich, dass für beide Ministerien die Journalisten bzw. Diplomaten am wichtigsten waren, die sich auf Polen und/oder die DDR spezialisiert hatten. Sie standen, ungeachtet der beschriebenen Einschränkungen, im Zentrum aller bilateralen Routineprojekte. So kontrollierten beide Ministerien zum Beispiel gemeinsam besonders genau die Reisen der durch ihren Diplomatenstatus geschützten Offiziere fremder Geheimdienste, die sich im deutsch-polnischen Grenzgebiet aufhielten. Man wollte feststellen, ob die jeweilige Zielperson auch auf der anderen Seite der Oder eine ähnliche geheimdienst­ liche Aufklärungsreise unternommen hatte.51 Es wäre falsch, anzunehmen, dass diese Art Reisen, insbesondere in den 1980er-Jahren, vor allem von Militärs der Besatzungsmächte unternommen wurden. Weit gefehlt. Die absolute Mehrheit der Reisenden stammte aus kleinen NATO-Staaten bzw. aus neutralen Staaten. Vermutlich gingen sie – fälschlicherweise – davon aus, dass man sie weniger 46  Information der Sicherheitsorgane der VRP über die nachrichtendienstliche Gefährdung der VRP sowie einige neue Methoden der Tätigkeit der Geheimdienste der NATO-Staaten, 30.1.1989; BStU, MfS, HA I Nr. 14626, S. 96. 47  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 737, S. 88. 48  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 64, S. 73. 49  Ganz gleich, ob die Indizien zweifelhaft waren, was das MSW dem MfS ab und zu selbst eingestehen musste. Peter Pragal: Ihr habt es aber schön hier! Als West-Korrespondent in der DDR. München 2008, S. 61. 50  Vgl. Wszystko pod kontrolą. In: Biuletyn IPN 11 (2004), S. 18–37, hier 28; Dietrich Schwarzkopf: Die Ideologiepolizei. Die rundfunkbezogenen Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR in der DDR sowie in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 2008, S. 345. 51  BStU, MfS, HA II/13 Nr. 1512, S. 15.

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akribisch beobachtete.52 Nicht korrekt ist auch die Annahme, dass die Erkenntnisse der polnischen Spionageabwehr über die in Warschau tätigen Diplomaten fremder Staaten nur für die Abwehr des MfS interessant und zugänglich gewesen seien. Ganz im Gegenteil. Die polnische Aufklärung erhielt diese Angaben und übermittelte sie der HV A, auch nach der politischen Wende 1989. Die HV A wiederum lieferte eigene Erkenntnisse dieser Art an das MSW, und auch das noch nach der Wende 1989.53 Verlief die alltägliche Kooperation ausschließlich reibungslos und war sie von gegenseitigem Vertrauen geprägt? Keinesfalls. Als Beispiel sei an die bereits vorgestellten Fälle erinnert, die der Öffentlichkeit aus parteipolitischen Gründen präsentiert werden mussten. Lieblingshelden des Innenministeriums waren in dieser Hinsicht amerikanische Diplomaten, die, wegen Spionage festgenommen, zur Persona non grata erklärt und ausgewiesen wurden. Die Operativgruppe Warschau des MfS erhielt jeweils eine halbinterne Information über die Festnahme, die etwa dem Anhang zu den Tagesinformationen des MSW zu entnehmen war. Man verglich sie penibel mit den Statements, die beispielsweise der Regierungssprecher vor westdeutschen Journalisten abgab bzw. mit dem, was diese später über die Festnahme berichteten. Die Tagesinformationen des MSW für die Dienste der DDR waren, wie auch deren Anhang, deutlich präziser. Sie enthielten die operativen Details. Dies trug aber nicht zum Abbau des Misstrauens des MfS gegenüber dem MSW bei, umso mehr, als Berichte über Spionagefälle, die die DDR-Botschaft in Warschau vom MSW erhielt, von geheimen Mitarbeitern des MfS in der Residentur übermittelt und auf die gleiche Weise geprüft wurden.54 Das Misstrauen stiftete Konflikte. Am deutlichsten erkennbar waren sie in dem meist routiniert ablaufenden Verfahren, mit dem man Visaanträge ausländischer Diplomaten in der DDR und in Polen gegenseitig prüfte. Die beiden Ministerien verständigten sich dann darauf, ihre Beobachtung fortzusetzen und diese auch miteinander abzustimmen. Dies gelang jedoch nicht immer, da die DDR-Seite mehr Zeit brauchte, um die Angaben der polnischen Seite zur Zielperson intern zu prüfen. Fehlte es dann an der Überwachung, so kam es schnell zu Irritationen, vor allem auf der polnischen Seite. Da man dem MfS ein von Misstrauen geprägtes Verhalten offiziell nicht vorwerfen durfte, beschränkte man sich auf durchaus bissige Bemerkungen, die interne Bürokratie im MfS spiele eine zu große Rolle, und schlug vielsagend vor, die notwendigen Informationen per Telefon auszutauschen.55 Tatsache ist, dass die Frage des Informationsaustausches mit dem MSW im MfS intern erörtert wurde. Und die durchaus unbürokratische

52  53  54  55 

BStU, MfS, HA II Nr. 34722, S. 10. BStU, MfS, HA II Nr. 34738, S. 64. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 64, S. 174. BStU, MfS, HA II Nr. 29633, S. 61.

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Arbeitsweise des Zweiten Departments des MSW wurde als nachahmenswert eingeschätzt,56 zumindest in Bezug auf die HA II. Im Alltag umfasste die Kooperation nicht nur den Austausch von Informationen, sondern gelegentlich auch rein technische Hilfe. Diese bestand etwa in der Nutzung der vom MfS vorbereiteten fiktiven Deckadressen und ihrer Betreiber. Der Grund für die Führung einer solchen Deckadresse wurde weder offiziell angegeben noch ermittelt.57 Die HV A versuchte grundsätzlich, Informationen dazu zu erlangen, auch wenn sie vom Ersten Department gebeten wurde, Adressen, Telefonnummern sowie Orte zu prüfen, die nach dessen Auffassung von fremden Aufklärungsdiensten, etwa in Westberlin, benutzt wurden.58 Vom Grundsatz her waren beide Ministerien in solchen Fällen ehrlich zueinander, da ihre internen Vorgänge ohne korrekte Informationen kaum realisiert werden konnten. Trotzdem bedeutete ehrlich zu sein keinesfalls, dass man dem Partner die ganze Wahrheit mitteilte.59 Wie auch auf den anderen Arbeitsfeldern gestaltete sich die Kooperation umso unkomplizierter, je profitabler sie für beide Dienste sein konnte. So führte man Verzeichnisse der in beiden Ländern unerwünschten Ausländer, die der Spionage für NATO-Staaten verdächtigt wurden, und aktualisierte diese laufend. Wenn zum Beispiel nach Einschätzung des MSW einer Zielperson der Auftrag erteilt worden war, via die DDR nach Polen zu reisen, um dort eine konkrete Aufgabe zu erfüllen, wurde für sie nicht nur ein Einreiseverbot, gültig für beide Staaten, ausgesprochen, sondern das MfS verpflichtete sich überdies, seinen Partner automatisch darüber zu informieren, wenn diese Person noch einmal ein Visum beantragen sollte. Das galt selbstverständlich auch vice versa. Da es aber in den jeweiligen Mitteilungen nie notwendig war, nachzuweisen, dass es einen begründeten Verdacht gab, galt das Einreiseverbot in beiden Ressorts vor allem als recht einfaches innenpolitisches Repressionsinstrument, aber quasi auch als Warnung an die Zielperson, wenn sie tatsächlich etwas mit einem westlichen Geheimdienst zu tun haben sollte. Die westlichen Dienste leisteten auch dem MfS, größtenteils unbeabsichtigt, Hilfe bei der Gewinnung von Erkenntnissen über polnische Aktivitäten in Westdeutschland bzw. Westberlin. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre erhielt das MSW aus dem MfS detaillierte Auflistungen der Beobachtungsmaßnahmen, die westliche Geheimdienste gegen die polnische Militärmission in Westberlin 56  BStU, MfS, ZAIG Nr. 15535, S. 4. 57  BStU, MfS, Sekretariat Mittig Nr. 88, S. 15. 58  BStU, MfS, Abt. X Nr. 356, S. 10. 59  Bspw. bat die HV A die anderen Hauptabteilungen 1983 zu prüfen, ob sie über Mate­ rialien zu den Flüchtlingslagern in der BRD verfügten, die man eventuell dem Innenministerium übergeben könnte. Einige HA lehnten das Ansinnen ab mit der Begründung, vorhandenes Wissen dürfe nicht an andere weitergegeben werden. Sie schlugen vor, sich an andere Einheiten des MfS zu wenden. BStU, MfS, HA IX Nr. 11372, S. 52.

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durchführten. Der polnischen Seite wurden nicht nur die genauen Zeiten, sondern auch die Kennzeichen der benutzten Pkw bekanntgegeben. Nicht nur das war meistens interessant, sondern auch das damit verknüpfte Angebot des MfS: Die Stasi erklärte sich bereit, zusammen mit dem polnischen Innenministerium alle erwähnten westlichen Observationstruppen operativ zu bearbeiten. Das Angebot wirkte zwar höflich, aber es anzunehmen hätte bedeutet, dem deutschen Partner fast jede mit der legalen polnischen Residentur im Zusammenhang stehende geheimdienstliche Tätigkeit offenbaren zu müssen,60 was nicht unbedingt im Interesse des MSW lag. Tatsache ist, dass das MfS vor dem Hintergrund seiner Stärke in der Abwehr aus verständlichen Gründen von der polnischen Aufklärungspräsenz in Deutschland wissen musste. Das, was es erfuhr, und vor allem die Art und Weise, wie es das erfuhr, trug allerdings dazu bei, weiteres Konfliktpotenzial anzuhäufen. Die ersten Indizien, dass der polnische Dienst seine Aufklärungstätigkeit ohne Absprache mit den Gastgebern in der DDR vorantrieb, hingen mit dem üblichen Vorgehen des MfS zusammen, alle Diplomaten der NATO-Staaten in Berlin, auch jenseits der Mauer, von der HA II bespitzeln zu lassen. Zwangsläufig mussten also auch deren Treffen mit polnischen Diplomaten registriert werden, und zweifellos hatte ein Teil dieser Begegnungen, laut MfS, das Ziel, den polnischen diplomatischen Vertretungen Schaden zuzufügen. Solche Fälle wurden ziemlich schnell an das MSW weitergeleitet.61 Wenn dem aggressiven Vorgehen eines westlichen Geheimdienstes durch Gegenmaßnahmen des MSW nicht Einhalt geboten werden konnte, wich man auf Presseartikel aus, die den betreffenden Dienst diskreditieren sollten. Ein Beispiel dafür ist ein 1981 veröffentlichter Beitrag in der DDR-Wochenzeitung »Horizont« über angebliche Verbindungen des BND zu polnischen Emigrantenkreisen, in dem neben den Klarnamen hauptamtlicher Mitarbeiter des BND auch deren Adressen aufgeführt werden. Wie ehemalige Mitarbeiter des MfS behaupten, trug der Artikel dazu bei, dass die Aktivitäten des BND nachließen.62 Eindeutig interessanter für das MfS, auch weil es bessere Aktenfunde gab, waren jedoch Treffen, bei denen hauptsächlich polnische, mit dem MfS nicht besprochene Offensivmaßnahmen nachzuweisen waren. Die Observation durch das MfS zeitigte für die HA II interessante Erkenntnisse. Die Tatsache, dass viele polnische Diplomaten Maßnahmen der Selbstkontrolle trafen, war nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich war etwas anderes. Einige Mitarbeiter der polnischen Militärmission hielten sich zum Beispiel nicht an den ungeschriebenen Verhaltenskodex des diplomatischen Corps, was nicht unbemerkt bleiben konnte. 60  Information für das MSW vom 11.6.1988; IPN BU 01228/305/2, S. 82. 61  Falldokumentation: BStU, MfS, HA II Nr. 28363, S. 114. 62  Klaus Eichner, Gotthold Schramm: Konterspionage. Die DDR-Aufklärung in den Geheimdienstzentren. Berlin 2010, S. 37.

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Es genügte also, dass sich ein Diplomat eines NATO-Staates mit einem polnischen Diplomaten traf, der sich jedoch nur kürzere Zeit in Berlin aufhielt oder einen deutlich niedrigeren Rang einnahm, um eine operative Kontrolle einzuleiten.63 Von dem Zeitpunkt an, ab dem es Anzeichen gab, die den Verdacht des MfS erregten, bis zur Entscheidung, das MSW offiziell zu befragen, konnte mehr als ein Jahr vergehen. Richtete man dann eine Anfrage an den polnischen Dienst, wurde ohnehin nicht alles offengelegt. Die DDR-Seite übermittelte die personenbezogenen Angaben des polnischen Diplomaten, Angaben über dessen westlichen Gesprächspartner, den Termin des nächsten geplanten Treffens der beiden sowie die Vermutung, für welchen Geheimdienst der westliche Diplomat angeblich tätig war. Frühestens nach einem Monat kam eine »vielversprechende« Antwort aus dem MSW. In einem kurzen Telegramm hieß es, der westliche Diplomat sei der polnischen Seite nicht bekannt, habe sich noch nie in der VRP aufgehalten und sei nicht Gegenstand des operativen Interesses des MSW. Es ist merkwürdig, dass der polnische Diplomat überhaupt nicht erwähnt wurde, es sei denn, dem MfS wäre bereits früher offiziell mitgeteilt worden, dass es sich um einen hauptamtlichen Mitarbeiter handelte. In diesem Fall ging nach sechs Wochen eine ebenso knappe Information an das MfS, die von diesem observierte Begegnung habe mit Genehmigung des MSW stattgefunden.64 Es kann nicht verwundern, dass das MfS seinen polnischen Partner nicht immer darüber informierte, was es über die Aktivitäten des MSW in der Bundesrepublik oder in Westberlin tatsächlich wusste, zweifellos auch deshalb nicht, weil die Erkenntnisse für seine eigene Arbeit durchaus sehr profitabel sein konnten. So verfolgte das MfS auf der Grundlage eigener Quellen die bundesdeutschen Ermittlungen, die seit dem Ende der 1970er-Jahre von den Ämtern für Verfassungsschutz geführt wurden. Es handelte sich dabei um westdeutsche Staatsbürger, die in der Rüstungsindustrie gearbeitet hatten und gleichzeitig auch polnische IM gewesen waren.65 Auch die Information, dass einer der polnischen Kuriere, die das Geld für die polnischen Agenten des Ersten Departments transportierten, auch für einen westlichen Dienst tätig war, behielt das MfS für sich. In einem konkreten Fall hatte die Quelle des MSW angeblich eine hohe Position in der staatlichen Verwaltung inne und erhielt für seine Dienste eine relativ hohe Vergütung – circa 3 000 DM pro Monat. Was also tat das MfS? Es verglich seine Erkenntnisse mit dem Wissen des westdeutschen Amtes für Verfassungsschutz in der Region, in der die Kontrolle der Dienste der Bundesrepublik stattfinden musste, sowie mit Erkenntnissen, die die HA III, also die funkelektronische Aufklärung, hatte

63  Ein Beispiel dafür war der operative Vorgang »Solist/Solista« von 1982. Zielperson war der polnische Diplomat. BStU, MfS, HA II Nr. 4594, S. 8. 64  Falldokumentation: BStU, MfS, HA II Nr. 38743, S. 7. 65  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 293, S. 14.

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gewinnen können. Und das MSW? Eine angemessene Warnung auszusprechen war für dieses lediglich eine Option.66 Die unglaubliche Langsamkeit und Inkompetenz, die nur mit den Interessen des eigenen bzw. des bevorzugten Dienstes, d. h. des KGB/GRU, zu erklären waren, spiegelten sich auch in den aus polnischer Sicht kritischen und bis heute kontrovers beurteilten Fällen aus den 1980er-Jahren wider, die die Geschichte der VRP entscheidend beeinflussten. Gemeint ist die geheimdienstliche Tätigkeit von Oberst Ryszard Kukliński. Der polnische Generalstabsoffizier übermittelte der CIA nicht nur die wichtigsten Pläne des polnischen Kriegsrechts,67 sondern auch strategisch relevante geheime Fakten und Pläne des Warschauer Paktes, etwa die Platzierung der sowjetischen Nuklearkriegsführungszentren usw. Nach seiner Enttarnung und drei Tage nach seiner Flucht aus Polen, d. h. am 10. November 1981, wandte sich der polnische Militärdienst mit der Frage an das MfS, ob der Pkw mit Kukliński direkt nach Westberlin oder in die Botschaft der USA in Berlin (Ost) gefahren sei. Man wollte auch wissen, welche Personen die Grenzkontrolle neben den genannten in dem Pkw entdeckt habe, ob bzw. welche Gegenstände festgestellt worden waren, etwa Kartons o. Ä., oder ob das Auto leer gewesen sei. Dem Schreiben waren auch Fotos von Kukliński und seiner Familie beigefügt. Besonders interessant ist jedoch die kuriose Frage, die die polnische Seite am Ende ihrer Anfrage stellte, nämlich die, ob im Rahmen des geltenden Überwachungssystems an der innerdeutschen Grenze Möglichkeiten bestanden, eine Person aus der DDR nach Westberlin zu schleusen.68 Das Wort »kurios« wird hier absichtlich verwendet. Sowohl das Innen- als auch das Verteidigungsministerium der VRP mussten doch wissen, dass es solche Möglichkeiten gab. Warum? Weil beide Ministerien sie doch selbst nutzten, und zwar zur schlecht verhohlenen Empörung des MfS, das solche Fälle noch vor Kuklińskis »Verrat«69 festgestellt hatte. Grundsätzlich schleusten vor allem Mitarbeiter der polnischen Militärmission in Westberlin Waren und Personen auf diese Weise über die Grenze. Das o. g. Schreiben enthielt außerdem konkrete Angaben, so etwa die Vor- und Nachnamen der Offiziere der CIA sowie das Kennzeichen und den Typ des Fluchtwagens,70 sodass in der DDR im Rahmen des intakten Grenzkon­ trollsystems mit den entsprechenden Nachforschungen begonnen werden konnte.

66  Ebenda, S. 234. 67  James Gannon: Stealing Secrets, Telling Lies: How Spies and Codebreakers Helped Shape the Twentieth Century. Dulles 2001, S. 275. 68  BStU, MfS, HA I Nr. 14149, S. 152. 69  BStU, MfS, ZKG Nr. 13048, S. 58. 70  Es ist interessant, Angaben aus den Unterlagen des MfS, etwa über die für Kukliński zuständigen CIA-Mitarbeiter, mit der veröffentlichten Literatur zu vergleichen. Benjamin Weiser: A secret life. The Polish officer, his covert mission, and the price he paid to save his country. New York 2004, S. 288.

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Wurden diese aber überhaupt durchgeführt? Das lässt sich bezweifeln. Erst am 8. Juni 1982, also fast sieben Monate nach der Anfrage, teilte das MfS mit, dass es über keinerlei Informationen in der o. g. Angelegenheit verfüge [sic!].71 Formal gesehen wurden die Offiziere der CIA an der deutsch-polnischen und innerdeutschen Grenze nicht kontrolliert; sie mussten nicht einmal ihre Pässe vorlegen, von einem Transitvisum ganz zu schweigen. Anderthalb Monate früher hieß es in der internen Korrespondenz im MfS, die von Polen erwähnten USDiplomaten seien der HA II nicht bekannt. Man habe auch nicht feststellen können, dass der Zielwagen die US-Botschaft erreicht habe.72 Nur warum hatte man das dem MSW nicht mitgeteilt? Wenn dies eine absichtliche Desinformation gewesen sein sollte, muss man darauf hinweisen, dass die polnische Seite ihrem deutschen Partner regelmäßig ebenso untypische Fluchtvarianten vorstellte, die auch als Desinformation wahrgenommen werden konnten. So suggerierte man beispielsweise im Mai 1982 in einer Beratung zwischen der HA I und dem polnischen Militärischen Inneren Dienst, Kukliński sei auf einer Yacht aus Polen geflüchtet.73 Auch der Umgang mit anderen wichtigen Fällen, obwohl der Öffentlichkeit weniger bekannt, war von einer unerklärlichen Zurückhaltung geprägt. So ist hier die Flucht des Mitarbeiters des Innenministeriums Eligiusz Naszkowski anzuführen. Einerseits ging es um eine übliche Anfrage. Das MSW übermittelte dem MfS Angaben über den potenziellen Personenkreis, der für Naszkowski bei seinen Aufenthalten in Westberlin relevant gewesen war. Man informierte das MfS auch über mutmaßliche Versuche fremder Geheimdienste, Naszkowski anzuwerben.74 Was jedoch gänzlich verschwiegen wurde, war die Tatsache, dass er als IM des MSW tätig gewesen war. Erst ein halbes Jahr später durfte das MfS offiziell von der Flucht Naszkowskis erfahren. Neben den bereits genannten Problemen kam es im Zuge der Zusammenarbeit von MfS und MSW zu heftigen Kontroversen in der Frage des unmittelbaren Zuganges zu verhafteten Zielpersonen. Beide Dienste verwehrten nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit dem Vertreter des Dienstes aus dem Nachbarstaat den Besuch eines Verhafteten. War etwa in Polen ein DDR-Bürger festgenommen und wegen Spionage für Drittstaaten angeklagt worden, durfte das MfS ihn nicht besuchen. Auch die konsularische Betreuung des Verhafteten war ausgeschlossen.75 Das MfS erhielt aber umfassende Informationen. Das MSW nannte die 71  BStU, MfS, ZKG Nr. 13048, S. 58. 72  BStU, MfS, HA I Nr. 14149, S. 148. 73  BStU, MfS, HA II Nr. 38896, S. 26. Einige polnische Autoren behaupten auch, Kukliński sei mit dem Flugzeug geflohen. Przemysław Słowiński: Bohaterowie i zdrajcy. Chorzów 2012, S. 130; Franciszek Puchała: Szpieg CIA w polskim Sztabie Generalnym. O Ryszardzie Kuklińskim bliżej prawdy. Warszawa 2014, S. 261. 74  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 910, S. 202. 75  Noch 1989 benutzten DDR-Diplomaten in Gesprächen mit ihren polnischen Kollegen die Tatsache, dass an den Spionageprozessen gegen DDR-Bürger in Polen Vertreter der DDR

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Namen der westlichen Aufklärer, die die Anwerbung durchgeführt hatten, alle diesbezüglichen Umstände, die Decknamen, die dem nun Angeklagten erteilten Aufträge, die Honorarquoten, Informationen über die Kommunikationsgeräte sowie Details zum Kontaktsystem. Grundsätzlich waren die Festgenommenen Personen, die aus beruflichen Gründen viel reisen mussten, etwa Matrosen, oder Personen, die sich bereit erklärt hatten, als IM tätig zu sein, um wegen eigener Verbrechen in Westeuropa nicht verfolgt zu werden. Dem MfS wurden auch aus polnischer Sicht typische Indizien mitgeteilt, die mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu seiner Anwerbung hatten führen können. Als solche wurden zum Beispiel deutsch-polnische Familien eingestuft, in denen eines ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik wehrpflichtig war,76 oder Personen, die an risikoreichen Orten Schwarzarbeit nachgegangen waren. Standardbeispiel dafür war ein Zimmer­ mädchen, das ohne Vertrag in einer diplomatischen Vertretung tätig war, und zwar aufgrund »intimer Beziehungen« zum Botschafter. Da deutsch-polnische Familien vom MSW als Risikofaktor bezeichnet wurden, war klar, dass die IM des MfS, die angeworben wurden, um gegen die VRP zu agieren, dem polnischen Dienst bekannt sein mussten. Weniger kontrovers ging es bei einem anderen Thema zu. Allerdings ist eine gewisse Arroganz, mit der das MSW dem MfS Informationen über Westberlin übermittelte, über eine Stadt also, die das MfS recht intensiv kontrollierte, nicht zu übersehen. Die Polen informierten ihre Kollegen in der DDR regelmäßig über Personalrotationen in den Berliner Außenstellen der westlichen Aufklärungsdienste, die gegen Polen arbeiteten.77 Nicht nur Vor- und Nachnamen der Mitarbeiter wurden bekanntgegeben, sondern auch der jeweilige Zuständigkeitsbereich, familiäre Verbindungen, Privatadressen, die Telefonnummern, die Pkw-Kennzeichen, ab und an auch um Fotos ergänzt. Das waren Angaben, die für jeden Geheimdienst von größtem Wert sind und die das MSW am meisten hätte schützen müssen. Neben so brisanten Informationen übermittelte man der DDR auch operative Informationen, die viel über die polnischen Erkenntnisse zu nicht unbedingt offiziellen Aktivitäten der DDR und verständlicherweise auch der HV A außerhalb Europas preisgaben. Es ging beispielsweise um Informationen zu illegalen Waffenlieferungen an eine der bewaffneten Parteien im Angola-Konflikt, wo die DDR mit Militärberatern präsent war. Das MSW wusste, welches Schiff wann, wo, unter welcher Flagge, mit welcher Besatzung und welchen Waffen an Bord die Kämpfer der UNITA versorgen sollte. Auch wie die Waffen an den Bestimmungsort transportiert werden sollten, wusste man.78 nicht teilnehmen durften, als Argument, entsprechende Bitten der polnischen Seite, also die Teilnahme polnischer Diplomaten an Prozessen gegen wegen Spionage in der DDR angeklagte polnische Bürger, abzulehnen. Siehe IPN BU MSW II 15361/69. 76  Operativgruppe Warschau an MSW, Schreiben vom Juli 1987; IPN BU 01211/156, S. 47. 77  MSW an MfS, Schreiben vom 17.3.1983; BStU, MfS, HA II Nr. 34722, S. 5. 78  Telegramm an HV A vom 12.6.1989; BStU, MfS, Abt. X Nr. 356, S. 33.

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Kooperation und Misstrauen – Das Terrorismusbeispiel Waffengeschäfte eröffnen symbolisch den geheimsten und wissenschaftlich am schwersten zu verifizierenden Themenkomplex im bilateralen Verhältnis beider Ministerien, nämlich den Terrorismus, ganz gleich, ob es sich um seine nahöstlichen oder seine rein europäischen Aspekte handelte. Beide Staaten hatten einer großen Anzahl arabisch-palästinensischer Studenten eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt; dies wurde zweifellos von den in Westeuropa enttarnten Kämpfern ausgenutzt. Polen und die DDR wurden für sie zum Zufluchtsort. Deshalb wurden die Beziehungen der arabischen Studenten zu militanten Gruppierungen von beiden Diensten ziemlich genau beobachtet. Über die Erkenntnisse informierte man einander. Auch die Aktivitäten der Besatzungsmächte auf dem Feld des Kampfes gegen den Terrorismus verglich man – welche Methoden sie anwandten und wie sie gegen sozialistische Staaten vorgingen, die ihrerseits beschuldigt wurden, den Terrorismus zu unterstützen.79 Konkret heißt das, dass man Listen von Personen austauschte, aus denen die Namen der von den Diensten der NATO-Staaten als Terroristen eingestuften Ausländer hervorgingen.80 Was die Analyse des Kampfes gegen den Terrorismus in Westeuropa und Israel angeht, so bewertete man nicht nur die jeweilige allgemeine rechtliche Situation, sondern auch, wie die Regierungen auf konkrete Attentate reagierten.81 Beide Seiten interessierten sich auch dafür, auf welche Weise die anderen sozialistischen Staaten verschiedene Gruppen von Widerstandskämpfern unterstützten, beispielsweise durch Schulungen. Dabei standen die Staaten im Vordergrund, zu denen die VRP und die DDR keine oder nur sehr eingeschränkte diplomatische Beziehungen pflegten, allen voran Albanien.82 In den bilateralen Kontakten zum Thema Terrorismus herrschte kein Gleichgewicht. Entweder unterstützte man sich in konkreten Vorgängen gegenseitig so offen, wie das bei anderen Themen nicht geschah und was aus Sicherheitsgründen sogar Verdacht hervorrufen musste, oder man verschwieg sie bzw. desinformierte den Partner in einem Maße, wie das nur bei offensiven Aktionen gegen Dienste der NATO-Staaten üblich war. Den Grund dafür könnte eine dritte These liefern: Terrorismus als Begriff spiegelte immer politische Dilemmata der Staatsführungen in der DDR und der VRP wider. Militante Gruppen als Instrument der politischideologischen Diversion zu benutzen, war ebenso reizvoll wie gefährlich. Die nahöstlichen Widerstandskämpfer konnten schließlich recht schnell die Seiten wechseln und dann gegen die sozialistischen Verbündeten agieren. Der Schutz des

79  80  81  82 

BStU, MfS, Abt. X Nr. 378, S. 4. IPN BU 01062/43, Bd. 48, S. 47. BStU, MfS, AS 384/83, S. 56. BStU, MfS, AS 483/83, S. 59.

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eigenen Staates war also ein relevantes Thema,83 auch weil in den 1980er-Jahren dokumentierte Versuche, die politischen Beziehungen Polens zu den NATOStaaten bzw. zu Israel zu verbessern, mit einer eindeutigen Erklärung verbunden werden mussten, ob und, wenn ja, wie man solche Gruppen in Zukunft zu unterstützen beabsichtigte. In den allgemeinen Routineberatungen über den Terrorismus informierten die Ministerien einander darüber, wie sie die Struktur der bedeutendsten militanten bzw. terroristischen europäischen und außereuropäischen Gruppierungen beurteilten, wie diese finanziert wurden und welche Ziele sie gerade zu erreichen versuchten.84 Die wichtigsten Finanziers wurden genannt, und auch ihre politischen Ziele wurden recht genau analysiert und definiert.85 Präsentiert wurden auch Angaben zu den Verantwortlichen in den jeweiligen Gruppen. Man informierte über ihre letztbekannten Zufluchtsorte, gab – soweit möglich – Hinweise auf bevorstehende Attentate, insbesondere wenn sie mit der Israel-Politik der sozialistischen Staaten zusammenhingen. Vom Grundsatz her sollten die Anschläge den Versuch, die staatlichen Beziehungen zu Israel zu verbessern bzw. solche überhaupt erst aufzunehmen, erschweren oder ganz einfach ausschließen. Wenn man sich in dieser Einschätzung auch einig war, so hatte dies doch keinen Einfluss auf die Prinzipien der Politik beider Dienste auf dem Feld des Terrorismus. Ein Teil der palästinensischen Gruppierungen wurde in der VRP und in der DDR ohnehin grundsätzlich als Bestandteil der Befreiungsbewegung 86 anerkannt. Solange bestimmte militante Gruppierungen sich Polen/der DDR gegenüber neutral bzw. positiv verhielten, durften sich ihre Mitglieder in dem jeweiligen Staat aufhalten, dort studieren, sich medizinisch behandeln lassen usw. Sollte sich, vorzugsweise aus taktisch-politischen Gründen, ihre Haltung ändern, mussten sie sofort mit brutalen Gegenmaßnahmen seitens des MSW/des MfS rechnen. Eine von der Auslandsaufklärung nicht genehmigte hauptamtliche Tätigkeit solcher Gruppen in der VRP/der DDR wurde auf keinen Fall zugelassen. Dies hätte also im Extremfall bedeuten können, dass jeder vom Ersten Department genehmigte Anschlag durchaus als legitim gegolten hätte. Ebenso zynisch erscheint ein Standardsatz, der genauso oft geäußert wurde wie die Behauptung, dass die Situation in der DDR/der VRP stabil sei. Er besagte, dass die Terroristen von den Diensten nicht unterstützt würden, weder politisch noch finanziell. Man helfe lediglich »Widerstandskämpfern«. Weniger zynisch klingt in diesem Zusammenhang eine von Mitarbeitern des MSW gegenüber Vertretern des MfS offen vorgetragene These, dass man nur auf diese Weise Anschläge in der VRP 83  Tatsache ist auch, dass das MSW die gewaltbereiten oppositionellen Gruppierungen, die der Solidarność nahestanden, als terroristisch einstufte. BStU, MfS, HA XXII Nr. 5567/1, S. 281. 84  BStU, MfS, HA XXII Nr. 16650, S. 34. 85  BStU, MfS, HA XXII Nr. 57/4, S. 26. 86  Leighton: Strange Bedfellows, S. 651.

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vermeiden könne.87 Man machte auch kein Geheimnis daraus, dass die USARegierung das polnische Außenministerium mehrmals offiziell aufgefordert hatte, die im sozialistischen Volkspolen existierenden Privatunternehmen zu liquidieren, die als Tarnung für die Finanzierung militanter Gruppierungen benutzt wurden. Beide Dienste verglichen die amerikanischen Protestnoten, die sie erhalten hatten, miteinander und auch ihre Antworten darauf. Das polnische Außenministerium bestritt grundsätzlich alle Vorwürfe.88 Weniger offen, aber immerhin geheimdienstlich offiziell teilte das MSW dem MfS mit, dass die vom State Department genannten Tarnfirmen weiterarbeiten könnten. Die Mitglieder der bewaffneten Gruppierungen aus dem Nahen Osten durften, was die letzten Forschungen eindeutig belegen, ungestört in Polen bleiben89 und sich Waffen besorgen. Das Erste Department folgte auch einer Bitte der HV A, Mitgliedern der RAF, nach denen in der Bundesrepublik gefahndet wurde, in Polen Zuflucht zu gewähren.90 In welchem Zusammenhang war Raum für Misstrauen zwischen den Diensten auf dem Feld des Terrorismus? Zum Ersten kontrollierte das MfS, ohne das MSW zu informieren, mit operativen Mitteln das Leck, das dazu geführt hatte, dass die bundesdeutsche Botschaft in Warschau und vermutlich auch der BND vom Aufenthalt von RAF-Mitgliedern in Polen erfuhren. Zum Zweiten informierten weder das MfS noch das MSW den Partner vollständig darüber, wie stark sie die gewaltbereiten ausländischen Gruppierungen jeweils unterstützten. Die Art und Weise der Unterstützung der DDR für die RAF91 blieb in den bilateralen Beratungen ebenso unerwähnt wie Kontakte der polnischen Auslandsaufklärung zu Vertretern nahöstlicher Widerstandsgruppen in den 1970er-Jahren. Da beide Ressorts nebeneinander das gleiche Thema operativ bearbeiteten, musste es irgendwann zum Konflikt kommen. Dies machte zwangsläufig ein Krisengespräch erforderlich. Selten war das eine persönliche Begegnung. Man bevorzugte den Schriftweg, und das ohnehin nur, wenn es unumgänglich war. Der Schriftwechsel ist inzwischen als ein Meisterwerk des gegenseitigen Belügens zu betrachten. Als Beispiel soll ein in Polen sehr bekanntes Ereignis dargestellt werden. Am 1. August 1980, also in einer für die VRP politisch sehr schwierigen Zeit, kam 87  In der Öffentlichkeit behaupteten ehemalige polnische Geheimdienstler, die ihren Dienst nach 1989 angetreten hatten, das MSW habe ohne besonderes Engagement, aber durch gute Aufklärungsarbeit den Terrorismus unterstützt. Igor Miecik: Cień Szakala. In: Fokus-Historia 2 (2010), http://historia.focus.pl/swiat/cien-szakala-702 (letzter Zugriff: 2.7.2020). Eine derartige These kann wie immer nur als ein Element der PR-Arbeit der Letztgenannten betrachtet werden. 88  BStU, MfS, HA XXII Nr. 57/4, S. 326. 89  Przemysław Gasztold-Sień: Szakal w Warszawie. In: pamięć.pl-miesięcznik IPN 2 (2012), https://www.polska1918-89.pl/pdf/szakal-w-warszawie-,2105.pdf (letzter Zugriff: 11.8.2020). 90  Ausführlicher: Witold Gadowski, Przemysław Wojciechowski: Tragarze śmierci. Polskie związki ze światowym terroryzmem. Warszawa 2010, S. 354. 91  Frank Wilhelm: RAF im Osten. Terroristen unter dem Schutz der Stasi. 2., erw. Aufl., Neubrandenburg 2019.

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es in Warschau zu einer Schießerei. Tatort war ein vor allem von Ausländern frequentiertes Hotel, dessen Name dem ganzen Vorgang rein zufällig einen noch zynischeren Anstrich verleiht: Hotel Victoria. Das Opfer, gleichzeitig Ziel des Angriffes, wurde schwer verletzt. Der Täter floh. Der Verletzte war ein gewisser Abu Daud, einer der meistgesuchten Leader der Gruppe »Schwarzer September«, verantwortlich für mehrere Anschläge mit Todesopfern. Er saß gerade im Hotelfoyer und trank Kaffee. Seit 1979 hatte das MfS auf offiziellem Wege immer wieder zu erfahren versucht, ob das polnische Innenministerium davon wusste, dass sich polnische Staatsbürger mindestens seit 1978 regelmäßig mit ihm in Westberlin trafen.92 Die ebenso offizielle Antwort darauf lautete, dass man über keinerlei diesbezügliche Informationen verfüge. Angeblich wohnten die vom MfS namentlich erwähnten Gesprächspartner Dauds nicht in Polen bzw. besaßen keinen polnischen Pass; lediglich zwei von ihnen seien nach Westberlin gefahren – zu touristischen Zwecken. Neben dem Wort »touristisch« fand sich ein interessantes ergänzendes Wort. Als Reisezweck war auch »Geschäfte« angegeben.93 Von den eigenen operativen Vorgängen, mit denen das MSW Dauds polnische Kontakte aufklärte,94 war nicht die Rede. Alles war streng geheim, genauso geheim wie die blitzschnelle geheimdienstliche Ermittlung nach der Schießerei in Warschau, die im MSW intern als terroristisches Attentat eingestuft wurde. Was geschah nach der Schießerei in Warschau im bilateralen Verhältnis? Vier Tage danach richtete Mielke eine merkwürdige Anfrage an Kiszczak. Mielke behauptete, er habe aus den Nachrichten eines Westberliner Senders von einer angeblichen Schießerei in Warschau erfahren [sic!], fügte präzise Angaben zum Opfer bei und bat um Rückmeldung.95 Kiszczak wusste, wer Abu Daud war und warum er sich in der polnischen Hauptstadt aufhielt. In der Antwort an Mielke zwei Tage später beschrieb er das Attentat nur ganz oberflächlich und benutzte konsequent die gefälschten Personalangaben des Opfers. Er fügte auch hinzu, dass die Miliz erst nach der Tat habe feststellen können, wer der schwer verletzte Ausländer eigentlich war.96 Es habe sich um eine Person gehandelt, die nach Polen gekommen sei, um die Vertretung der Palestine Liberation Organization (PLO) in Warschau aufzusuchen, und das in einer Angelegenheit, die nichts mit Polen zu tun gehabt habe. Und genauso informierte Letztere, also die PLO, einen Geheimdienst über den Fall, allerdings nicht das MSW, sondern das MfS, und zwar mit der Bitte, unverzüglich die weitere medizinische Behandlung des Opfers zu übernehmen.

92  93  94  95  96 

BStU, MfS, Abt. X Nr. 1953, S. 4. Falldokumentation: BStU, MfS, Abt. X Nr. 204. Vgl. IPN Bi 05/24, Deckname: »Ekstremist«. BStU, MfS, Abt. X Nr. 204, S. 44. Ebenda, S. 46.

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Die unerwartete Offenbarung der PLO hatte ebenso unerwartet Einfluss auf die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ministerien. Am 12. August 1980 schickte das MSW dem MfS die Anfrage, ob es eine solche Bitte der Palästinenser überhaupt gebe. Die Polen gaben auch zu, dass sie in der Tat eine Delegation der PLO zu Gast hätten, deren eines Mitglied verletzt worden sei. Zwei Tage später wurde Abu Daud tatsächlich mit einem polnischen Regierungsflugzeug in die DDR geflogen.97 Der gesamte Schriftwechsel ist in einem ausgesucht höflichen Ton gehalten, wie er nur im diplomatischen Verkehr zwischen beiden Staaten üblich war. Weil sich das MSW dem MfS gegenüber nach dem Anschlag nicht aufrichtig zeigte, reagierte dieses auf gleiche Weise. Die polnische Aufklärung, die noch zwei Jahre zuvor angeblich nichts von Dauds Kontakten wusste, war plötzlich imstande, zwölf Kontaktadressen des Verletzten in der DDR zu nennen. Am 21. August 1980 wandte sich das Erste Department an das MfS mit der Bitte, diese zu überprüfen. Wie immer erwähnte der polnische Geheimdienst das Opfer nur unter einem gefälschten Nachnamen.98 Gleichzeitig wurden dem MfS Fotos des Täters und dessen Personalangaben übergeben. Wie lautete dessen Antwort? Es behauptete, man habe zwar die Adressen überprüft, aber dadurch keine operativ relevanten Fakten gewinnen können. Außerdem zeige das übermittelte Foto eine ähnliche Person, man sei sich allerdings nicht sicher, ob es sich tatsächlich um den Gesuchten handele. Das war selbstverständlich noch nicht alles. Das MSW wollte den Verletzten nach seiner Genesung im Krankenhaus befragen bzw. befragen lassen. Darauf reagierte das MfS erst am 5. Oktober 1980. Es teilte seinem polnischen Partner mit, der Verletzte habe das Gebiet der DDR bereits verlassen. Sein Aufenthaltsort sei auch nicht bekannt. Ganz andere Angaben über Dauds Aufenthaltsort leitete das MfS am 1. Dezember 1980 an den bulgarischen Geheimdienst weiter. Im Verteiler war das MSW nicht aufgeführt.99 Das Lügen, gepaart mit Zynismus, war ein im Informationsaustausch über den Terrorismus ganz übliches Instrument zur Desinformation des Partners. Ebenso nützlich war aber auch die Wahrheit. Man beantwortete die Anfragen des Partners, indem man vollkommen richtige Fakten bekanntgab. Sie hatten 97  Der erste nichtkommunistische polnische Innenminister Krzysztof Kozłowski behauptet in seinen Erinnerungen, die Stasi-Vertreter seien selbst nach Polen gefahren, um den Verletzten abzuholen. Die Aktenrecherche schließt dies eindeutig aus. Krzysztof Kozłowski: Historia z konsekwencjami. Warszawa 2009, S. 288. Ebenso interessant ist ein Vergleich der diesbezüglichen Passagen in den Erinnerungen Kiszczaks mit dem, was der General fast 2 Jahrzehnte später über das Attentat sagt: Przemysław Semczuk: Strzały w Victorii. In: Newsweek Polska v. 15.8.2011; Bereś; Skoczylas: Generał Kiszczak, S. 76. 98  BStU, MfS, Abt. X Nr. 204, S. 60. 99  Behauptungen ehemaliger Mitarbeiter des MSW, die während des Gespräches mit dem Verfasser besagten, dass der polnische Geheimdienst von dem bevorstehenden Attentat Kenntnis hatte und es wegen seiner eigenen operativen Interessen nicht vereiteln wollte, lassen sich nicht überprüfen.

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mit den jeweiligen Vorgängen oder Personen jedoch nichts zu tun. Dazu seien einige Beispiele angeführt. Bei der Kontrolle von des Terrorismus verdächtigen Personen aus dem Nahen Osten in der DDR beschlagnahmte das MfS Waffen aus polnischer Produktion. Dem MSW wurden deren Seriennummern genannt und um Überprüfung gebeten. Darüber hinaus teilte das MfS seinem Partner auch mit, welche Kontakte, auch solche intimer Art, die Kontrollierten mit polnischen Staatsbürgerinnen, etwa in Berlin, unterhielten. Wie reagierte der polnische Geheimdienst? Er informierte das MfS lediglich, dass die erwähnten Waffen im Verzeichnis der in der VRP vermissten Waffen nicht aufgeführt seien.100 Das entsprach sogar der Wahrheit, aber dies herauszufinden, war gar nicht Ziel der Anfrage des MfS gewesen. Es hatte eine für das MSW durchaus unangenehme Ermittlung in Polen einleiten wollen. Deshalb erfuhr das MfS die zwar korrekten, aber völlig irrelevanten Fakten. Der polnische Dienst hat es auch unterlassen zu erwähnen, dass eine der genannten Bürgerinnen der VRP eine Informationsquelle des MSW war.101 Eine bessere Zusammenfassung des Misstrauens gibt es wohl kaum. Misstrauen und Schwierigkeiten in den anderen Bereichen der Zusammenarbeit In Fragen des Terrorismus herrschte aus verständlichen Gründen übergroßes Misstrauen in den Beziehungen zwischen den beiden Diensten. Der Grad des Misstrauens war jedoch grundsätzlich betriebsbedingt und nicht politisch begründet. Er hing davon ab, wie relevant das jeweilige Anliegen für die Durchsetzung eigener Interessen war. Je unwichtiger eine Bitte des Partners zu sein schien oder je weniger Verbindungen mit dem eigenen Dienst einer Zielperson nachzuweisen waren, desto schneller und unkomplizierter wurde sie erfüllt. So observierte das MSW auf Bitten des MfS in der DDR akkreditierte Diplomaten, wenn sie nach Polen reisten, zumal wenn das MfS darüber informiert hatte, für welchen fremden, aber nicht immer feindlichen Geheimdienst sie arbeiteten. In Polen prüfte man ihre Kontakte, die Reiserouten und Tätigkeiten oder alle anderen Fakten, die als Grundlage für eine Erpressung benutzt werden konnten.102 Genauso kontrollierte das MfS in der DDR arbeitende polnische Staatsbürger, die angeblich für fremde Dienste tätig waren. Das MfS analysierte ihren potenziellen Zugang zu – nach dem Verständnis der DDR – geheimen Unterlagen, aber auch ihre politische Einstellung und ihre Kontakte zu Ausländern. Abgesehen davon zeigen die konkreten Vorgänge, dass auch dann, wenn ein besonders großes Misstrauen 100  Der Fall von 1974: IPN BU 01062/43, Bd. 31, S. 5. 101  IPN BU 001043/2262/D. 102  BStU, MfS, HA II Nr. 902, S. 56.

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nicht nachweisbar war, andere, bereits bekannte Probleme die Zusammenarbeit erheblich erschweren konnten. Das erste Problem bestand darin, dass man von der Sinnhaftigkeit des Anliegens des Partners nicht überzeugt war. Verständlicherweise brachte das MfS immer sehr viele Anliegen vor, und der Dienst, der an deren Zweckmäßigkeit zweifelte, war das MSW. Als Beispiel soll eine gemeinsame Operation aus dem Jahr 1984 angeführt werden. Zielperson war ein westdeutscher Bürger, den das MfS verdächtigte, für den BND zu arbeiten. Das MSW ließ ihn observieren, kontrollierte seine Post und stellte auch fest, dass er sich über die Maßen für den grenzüberschreitenden Güterverkehr interessierte. Deshalb wurden in seinem Umfeld IM eingesetzt. Man wollte herausfinden, welche Routen er in der Nähe militärischer Einrichtungen wählte. Zwar kamen dann bei den Polen zunehmend Zweifel auf, ob es sich wirklich um einen BND-Mitarbeiter handelte,103 dies hinderte sie jedoch nicht daran, bei dessen Festnahme behilflich zu sein. Ebenso handwerklich korrekt, aber ohne vom Sinn der Aufgabe besonders überzeugt zu sein, prüfte man in der VRP Informationen, die das MfS im Rahmen seiner spionagerelevanten Ermittlungen hatte gewinnen können. Wenn ein in der DDR festgenommener Einwohner Westberlins eingestand, dass er nach Polen fahren müsse, um tote Briefkästen aufzustellen und zu betreuen bzw. um neue Plätze für diese zu suchen, wurde die polnische Seite gebeten, diese zu beobachten bzw. sie zu verifizieren.104 Kam es dann schließlich zum Prozess, vor allem in einer Sache, in der das MSW seine Skepsis deutlich geäußert hatte, erhielt dieses eine Einladung, Beobachter zu entsenden. Diese durften dann als Zuschauer an der Verhandlung teilnehmen.105 Wo also lagen die Schwierigkeiten? Bei der Bekämpfung, sprich der Unterstützung des Terrorismus, war man in der Lage, sehr schnell an Informationen heranzukommen. Sie dann aber auch mithilfe des Partners zu bestätigen, war bereits ein durchaus politisches Thema. In Routinefällen wurde es jedoch zunehmend schwieriger, Erkenntnisse zu gewinnen. Man wollte zwar helfen, war aber nicht davon überzeugt, dass das sinnvoll war. Um Politik ging es dabei eigentlich nicht. Aber da das MfS immer eine überaus große Menge von Informationen haben bzw. überprüfen wollte, führte das dazu, dass die polnische Seite immer zurückhaltender auf Anfragen aus der DDR reagierte. Sehr oft entwickelten sich aus dieser Gemengelage groteske Situationen und zynische Reaktionen des MSW. Gewiss gingen auch einige Mitarbeiter des MfS davon aus, dass bestimmte, in der DDR übliche geheimdienstliche Arbeitsmethoden auch in Polen angewandt wurden bzw. werden mussten. Das war jedoch ein Irrtum. Ein Beispiel: Die 103  Ebenda, S. 163. 104  HA IX, Vorschläge zu Prüfungshandlungen VR Polen, 13.9.1982; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 292, S. 9. 105  Vorgang: »Falke«; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 902, S. 316.

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HA II durchsuchte die Wohnung eines DDR-Bürgers. Aus welchem Grund? Verdacht der Spionage für den BND. Es wurden Beweise gefunden, dass die Zielperson mit einem polnischen Bürger brieflich in Verbindung stand. Welche Informationen erbat das MfS also vom MSW? Alle Personalangaben, Adressen sowie Informationen über die berufliche Stellung aller [sic!] Familienmitglieder des polnischen Briefpartners. Mehr noch, man wollte wissen, ob sie in den internen Datenbanken des MSW erfasst waren, welche Kontakte jeder Einzelne mit Bürgern kapitalistischer Staaten, insbesondere der Bundesrepublik, unterhielt bzw. unterhalten hatte; man wollte wissen, ob diese Familienmitglieder ins Ausland reisen durften, wenn ja, erwartete man eine genaue Auflistung aller Auslandsreisen und -aufenthalte.106 Erhielt das MfS alles, worum es gebeten hatte? Ja, allerdings erst sechs Monate später. Das MfS bewies übrigens auch, dass es nicht immer so schnell zu reagieren imstande war, wie es das von seinen Partnern erwartete. Als Beispiel sei hier eine Information darüber angeführt, dass in der DDR ein Treffen eines westlichen Aufklärers mit einem polnischen Pkw-Fahrer registriert worden war. Das MfS hatte jedoch nur die Automarke sowie die ersten drei Buchstaben des Kennzeichens feststellen können. Dies wurde dem MSW mitgeteilt. Da, was dem MfS nach vier Monaten übermittelt wurde, der polnische Dienst nicht alle 700 Pkw überprüfen konnte, die den Hinweisen entsprachen, wurde das MfS gebeten, weitere Details bekanntzugeben, etwa die Farbe des Pkw. Berlin reagierte blitzschnell, allerdings anders, als man in Warschau erwartet hatte. Die Farbe kannte das MfS nicht, es wusste jedoch, dass das Auto dreckig gewesen war.107 Wichtiger als eine Unterstützung dieser Art war die Methode, dem Partner niemals zu berichten, um welchen westlichen Geheimdienst es sich jeweils handelte, d. h., für welchen Dienst der Verdächtige angeblich tätig war.108 Ausnahmen gab es, aber wie immer standen sie im Zusammenhang mit rein propagandistisch bedingten Ereignissen, so anlässlich einer der weltberühmten Pferdeauktionen in Janów Podlaski in den 1980er-Jahren. Neben zahlreichen Ausländern nahmen, nach Einschätzung des MfS, auch viele Agenten des BND daran teil, da auch viele Vertreter der Staats- und Parteiführung anwesend waren. Im Umfeld der Auktion wurden im Auftrag der HV A circa 40 Zielpersonen vom polnischen Dienst operativ bearbeitet bzw. überwacht.109 Alle bereits beschriebenen Probleme in der Kooperation beider Dienste und das offensichtliche gegenseitige Misstrauen waren nicht nur typisch für die rein aufklärungs- bzw. abwehrrelevanten Vorgänge. Die Kontakte der HV A und der HA II zu ihren polnischen Pendants beschränkten sich schließlich 106  107  108  109 

BStU, MfS, Abt. X Nr. 1784, S. 301. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 292, S. 320. BStU, MfS, Abt. X Nr. 28, S. 324. Bitte der HV A vom 7.6.1989; BStU, MfS, Abt. X Nr. 356, S. 35.

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nicht auf geheimdienstlich klar definierte Projekte. Von Bedeutung waren auch Angelegenheiten, die zwar nicht im Mittelpunkt des operativen Interesses standen, für beide Dienste aber immerhin von Nutzen sein konnten. Auch in solchen Angelegenheiten zeigt sich, wie unterschiedlich die Arbeitsphilosophie der Ministerien war. Beispielsweise erhielt das Erste Department die Information, dass polnische Diplomaten in Ostberlin die Passkontrolleure der DDR an der Grenze zu Westberlin bei ihrer Ausreise aus Ostberlin danach gefragt hatten, ob es möglich sei, auf die Registrierung ihrer Ausreise zu verzichten.110 Das aber durfte nicht sein; allerdings sammelte das MfS solche Angaben auch nicht, um dann die befreundeten Organe darüber zu unterrichten,111 sondern um selbst gegen solche Diplomaten zu ermitteln. Der Hochmut der Fragesteller, die keine hauptamtlichen Geheimdienstler waren, bewog vermutlich in diesem Fall das MfS, dem MSW darüber Mitteilung zu machen. Andere Personengruppen, etwa westdeutsche Beamte oder Aktivisten von NGOs, also Personen, für die sich die jeweilige Aufklärung vielleicht interessieren könnte, wurden ebenso registriert und binnen weniger Tage gingen die entsprechenden Vermerke an das MSW.112 Blitzschnell hingegen kündigte man Reisen von Politikern oder Funktionären an. Als solche galten etwa Mitglieder des Deutschen Bundestages oder Soldaten der Besatzungsmächte, die inkognito nach Polen reisen wollten. Unaufgefordert erhielt das polnische Innenministerium Angaben über die Aktivitäten des Außenministeriums der DDR. Wenn zum Beispiel ein ausländischer Diplomat, der bereits in Polen weilte, in der DDR offizielle Gespräche führte, durfte das MSW die entsprechenden Gesprächsnotizen erhalten, allerdings nur, wenn deren Offenlegung die Interessen der DDR nicht berührte. Grundsätzlich wurden Unterlagen aus rein konsularischen Verhandlungen offengelegt.113 In Kenntnis gesetzt wurde der polnische Geheimdienst auch, wenn ein in der DDR tätiger Diplomat – kein Geheimdienstler – in seinem Heimatland einen politischen Posten übernahm, der in irgendeiner Weise Bezug zu Polen hatte. Das für alle nach Polen bzw. in die DDR kommenden Diplomaten vorgesehene generelle geheimdienstliche Überprüfungsverfahren war eines der interessantesten Elemente der bilateralen Kontakte. Es spiegelte im Grunde genommen das Essenzielle in der geheimdienstlichen Arbeit wider. Alle neu Ankommenden wurden, wie bereits gesagt, entweder als Spione oder als IM betrachtet, ganz gleich, ob eine spätere Beobachtung das Gegenteil erbrachte. Etwa einen Monat vor der offiziellen Amtseinführung eines ausländischen Diplomaten wurde die Abteilung X bzw. das Ministerkabinett schriftlich gebeten zu prüfen, ob operativ relevante Angaben über diesen zugänglich seien. Das Schreiben wurde an die Leiter 110  111  112  113 

IPN BU 1585/3987, S. 131. BStU, MfS, HA VI Nr. 13904, S. 134. IPN BU 1585/3987, S. 40. BStU, MfS, HA II Nr. 34722, S. 73.

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der Aufklärung und der Abwehr weitergeleitet, die eine Überprüfung anordnen durften. Erst drei Monate später konnte man mit einer Antwort rechnen.114 Das Ministerium, das die Anfrage stellte, bat gleichzeitig um Auskunft, ob der Diplomat ein Spion war, und sollte dies der Fall sein, um das ihn belastende Material.115 Zielpersonen waren nicht nur Vertreter des höheren diplomatischen Dienstes, sondern auch Sekretärinnen116 bzw. Auslandskorrespondenten, die enge Kontakte zu den jeweiligen Botschaften unterhielten. Der Geheimdienst wurde nicht nur auf Anfrage aktiv, sondern auch von sich aus, vor allem wenn er operativ feststellte, dass ein Diplomat/Journalist, der viele Verbindungen zu bekannten westlichen Aufklärern pflegte, in das Partnerland versetzt werden sollte.117 Das Bruder­organ wurde auch informiert, wenn man feststellte (oder die Wahrscheinlichkeit zumindest sehr hoch war), dass ein hoher, in einem Drittstaat tätiger Diplomat der VRP/der DDR als IM für einen westlichen Geheimdienst tätig war. Mit den Details befassten sich dann die Spitzenfunktionäre beider Aufklärungsdienste. Nur sie durften entscheiden, ob die Zielperson abberufen werden konnte oder wie sich das jeweilige Außenministerium zu verhalten hatte, ob es sie etwa im Hause versetzen oder in ein anderes Land schicken musste usw.118 Wie sah die Beschreibung einer Zielperson unter dem Gesichtspunkt der Abwehr aus, d. h. die Beschreibung eines Diplomaten, der nach Polen bzw. in die DDR entsandt wurde? Grundsätzlich enthielt sie alle Informationen, über die man verfügte, denn für die zuständige Aufklärung/Spionageabwehr konnte alles119 interessant sein, was für die Überwachung bzw. eine eventuelle spätere Anwerbung von Nutzen war. Man begann mit der Information, ob die Zielperson bereits operativ bearbeitet wurde und, wenn ja, wie intensiv das geschah. Als Nächstes wurden die personenbezogenen Daten detailliert aufgelistet, auch die Daten der gesamten Familie, ebenso Angaben über Wehrdienst bzw. Tätigkeit im diplomatischen Dienst. Wenn die Person als Aufklärer galt, wurde auch aufgeführt, welcher Einheit innerhalb einer fremden Aufklärung sie angeblich angehörte.120 Nach den allgemeinen Fakten listete man die konkreten geheimdienstlich relevanten Erkenntnisse auf, etwa die von der Zielperson benutzten Telefonnum114  BStU, MfS, Allg. P Nr. 16271/84, S. 31. 115  Siehe Anfrage von 1977; IPN BU 1585/1998, S. 295. 116  IPN BU 1585/1997, S. 93. 117  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 902, S. 327. 118  Als Beispiel wird hier der Vorgang Deckname »Rat« angeführt: Ein polnischer Diplomat wurde verdächtigt, ein westlicher IM zu sein. Seitens des MfS war für die Bearbeitung der stellvertretende HV-A-Leiter persönlich verantwortlich. BStU, MfS, HA II Nr. 38894, S. 103. 119  Pleskot: Dyplomata, S. 326. 120  IPN BU 1595/137, S. 41. Da die meisten der in den Akten erwähnten Zielpersonen bis heute in auswärtigen Diensten verschiedener Staaten tätig sind, wird auf die Nennung von Details verzichtet.

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mern, häufige Kontakte zu anderen Diplomaten kapitalistischer Staaten,121 die üblicherweise benutzten Verkehrsmittel sowie deren Interessenschwerpunkte. Besonders wichtig waren – aus verständlichen Gründen – Hinweise, ob die Zielperson Maßnahmen der Selbstkontrolle traf, Beobachtungstruppen erkennen und sich ihnen gegebenenfalls entziehen konnte. Separat war angegeben, wann und warum sie in Drittstaaten zur Persona non grata erklärt worden war.122 War das alles? Nein. Ebenso relevant wie die geheimdienstlichen Feststellungen waren auch Erkenntnisse über das soziale Umfeld der Zielperson. Ohne sie würden etwa spätere Erpressungsversuche nicht möglich sein. Deswegen wollte man erfahren, wie die Zielperson mit anderen Botschaftsangehörigen umging, welche Verhältnisse in der Familie herrschten, welche sexuellen Präferenzen, Affären, Süchte, aus dem Rahmen fallende Hobbys diese hatte. Ebenso interessant waren deren politischen Einstellungen, religiöse Zugehörigkeit,123 aber auch bekannt gewordene Konflikte mit Vorgesetzten, die nicht nur zur Entlassung der Zielperson, sondern auch des Vorgesetzten geführt hatten. Es gab in der Tat nichts, was in den Augen des Geheimdienstes wirklich unwichtig gewesen wäre. Ob eine Person die Mülltonne selbst leerte war genauso wichtig wie deren Arroganz, Arbeitsstil, Ambitionen, Geiz, die Ansprüche auf Beförderung, auf Bezüge oder die Art der Kindererziehung. Sollte die Zielperson als Irrer, Frauenheld, Intrigant, Megaloman, Nörgler bzw. Paranoiker124 bezeichnet werden, war mehr als sicher, dass sie dann besonders genau überwacht wurde.125 Dies galt auch für Personen, die verdächtig oft versuchten, neue Bekanntschaften zu knüpfen, die ziemlich gestresst aus der DDR zurückkehrten126 bzw. ihren Diplomatenpass zum Schmuggeln einsetzten. Kooperation in der Fortbildung Einen besonderen Teil der Kooperation in der Aufklärung und der Abwehr bildete die Aus- und Fortbildung. Da sie die Möglichkeit bot, die Offiziere kennenzulernen, nutzten beide Ministerien sie nicht immer nur zu Schulungszwecken, wie das auch vor 1974 der Fall war. Formal gesehen wurde der regelmäßige Austausch von Fähnrichen Anfang 1975 wieder aufgenommen und nach der politischen Wende in Polen, also nach Juni 1989, fortgesetzt. Die mit fiktiven Identitäten ausgestatteten Mitarbeiter des MSW, die niemals älter als 30 Jahre waren, hielten sich nach wie vor in der DDR auf, um ein Studenten- bzw. Berufspraktikum zu 121  122  123  124  125  126 

IPN BU 01062/43, Bd. 49, S. 189. BStU, MfS, HA II Nr. 34722, S. 77. IPN BU 01062/43, Bd. 56, S. 57. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 292, S. 148. BStU, MfS, HA II Nr. 34722, S. 16. BStU, MfS, HA II Nr. 30307, S. 293.

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absolvieren. Wie vor dem Abschluss der Grundsatzvereinbarung arbeiteten sie in Gaststätten, Hotels oder Zeitungsredaktionen. Sie übten dort verschiedene Funktionen aus, und zwar unverändert mit dem Ziel, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und die deutsche Kultur kennenzulernen. Auch ein anderes Element dieser Schulungen blieb erhalten: Alle Deutschlehrer der polnischen Kursteilnehmer waren IM. Sie mussten nicht nur die Sprache lehren, sondern auch alle nur denkbaren Informationen über ihre Schüler sammeln und den Führungsoffizieren übergeben. Ihre Berichte waren genauso detailliert abgefasst wie jene von der HA II vorbereiteten und dem MSW übermittelten über neue westliche Diplomaten. Auch hier legte man besonderen Wert darauf, in Erfahrung zu bringen, welche Eigenschaften der Schüler später operativ relevant werden könnten, etwa für deren Anwerbung oder Erpressung.127 Andererseits kam es in den 1980erJahren zu angeblich zufälligen Affären zwischen polnischen Praktikanten und Mitarbeiterinnen der Spionageabwehr der DDR. Die Liebesnester befanden sich in relativ streng kontrollierten Studentenwohnheimen. Die Affären endeten mit harten Disziplinarstrafen für die Liebhaberinnen. Initiiert wurden solche Beziehungen angeblich von den Polen. Allerdings ist festzustellen, dass die Anzahl alkoholbedingter Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen die guten Sitten, die MSW-Mitarbeiter in der DDR begingen, im Vergleich zu der Zahl in der Zeit vor 1974 erheblich niedriger war. Die Praktikanten aus Polen achteten außerdem sehr darauf, wiederum im Gegensatz zu der Zeit vor 1974, ihre politische Einstellung nicht öffentlich und nicht nach Alkoholgenuss zu äußern; jedenfalls ist das IMBerichten zu entnehmen.128 Wie bereits erwähnt, fanden die aus Sicht des MSW wichtigsten Schulungen ohne Unterstützung des MfS statt. Neben der o. g. Ausbildung führten die Ministerien klassische Sprachkurse durch und tauschten in der Regel auch Lehrmaterial aus. Dabei handelte es sich vor allem um umfassende Studien über eigene Staatsbürger, die wegen Spionage festgenommen und verurteilt worden waren.129 In den Studien werden die Umstände, die zur Kontaktaufnahme und Anwerbung geführt hatten, die Ermittlungsmethoden der Abwehr, die detaillierten Schritte, die zur Festnahme beigetragen hatten, sowie Beweismaterial und der Verlauf der Gerichtsverhandlungen analysiert. Sehr häufig wurden gemeinsam geführte Vorgänge zum Thema solcher Materialien,130 die reichlich mit Bildern und Skizzen versehen waren. Diese Arbeitsweise und diese Darstellung waren von großer Bedeutung, da den zukünftigen Aufklärern die Arbeitsmethoden der anderen Dienste, etwa die 127  BStU, MfS, Abt. X Nr. 24, Teil II, S. 372. 128  Ebenda, S. 382. 129  BStU, MfS, HA II Nr. 29298, S. 6. 130  Als Beispiel ist der Vorgang »Silesia« zu nennen, der mit der Festnahme von Jacek Jurzak und Norbert Adamaschek abgeschlossen wurde. Beide Männer wurden mit anderen Kundschaftern gegen den polnischen Aufklärer Zacharski ausgetauscht. BStU, MfS, HA II Nr. 24050, S. 1; BStU, MfS, HA II Nr. 28856, S. 4.

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Nutzung toter Briefkästen, deren Tarnung, spezielle Verbindungssysteme oder auffällige Verhaltensweisen der Führungsoffiziere nur in dieser Form präsentiert werden konnten. Weniger sachlich und stärker ideologisch ausgerichtet war jedoch die Beschreibung der Inhaftierten bzw. Verurteilten. Man wiederholte hier dieselben Klischees der politischen Propaganda, die bereits beim Thema der Überprüfung von Diplomaten hervorgehoben wurden. Den Betroffenen lastete man alle nur denkbaren Verbrechen und Verurteilungen an, auch solche, die in Wirklichkeit nie vorgekommen waren. Grundsätzlich waren alle Spione auch Kriminelle, Intensivtäter, was als Begründung dafür herhalten musste, dass es noch intensiver gegen die fremden Geheimdienste zu kämpfen galt.131 Neben der Flexibilität in der Bewertung des umstrittenen Spionagefalles war der Austausch von Schulungsmaterialien auf der polnischen Seite von einem erkennbaren Konflikt zwischen dem zivilen und dem militärischen Geheimdienst geprägt. Die Stasi war Zeuge, wie der eine den anderen hemmungslos beleidigte, und zwar auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen. Im politischen Bereich wäre dies unmöglich gewesen, nicht aber im technischen. Als typisches Beispiel sei hier die Besetzung der polnischen Botschaft in Bern im September 1982 durch Personen, die sich oppositionelle Widerstandskämpfer nannten, dargestellt. Das MSW beschrieb für das MfS den Verlauf der ganzen Aktion und benutzte, wie dann auch das MfS, neben der üblichen propagandistischen Feststellung, dass die CIA der Drahtzieher gewesen sei, diesen Bericht, um die eigenen Verdienste hervorzuheben und das Versagen des militärischen bzw. zivilen Dienstes, also des jeweiligen inländischen Konkurrenten, zu belegen. Der stellvertretende Leiter des Ersten Departments lobte seine Mitarbeiter über die Maßen, sie seien in Bern so tapfer gewesen, von dem Angriff seien sie nicht nur nicht überrascht worden, sondern hätten lange mit den Terroristen gekämpft, seien dementsprechend gut bewaffnet gewesen und hätten alle geheimen Unterlagen vernichten können. Und wer hatte versagt? Natürlich der Militärattaché.132 Die interne polnische Bosheit war nicht das wichtigste Problem im Bereich von Kader und Schulung. Wichtiger waren die Schlussfolgerungen, die beide Dienste für ihre Arbeit ziehen wollten, nachdem sie die Möglichkeiten des Partnerdienstes kennengelernt hatten. Die Berichte der polnischen Funktionäre nach den jeweiligen Beratungen, etwa der für die Beobachtung zuständigen Einheiten, waren im Grunde genommen voll des Lobes für das MfS, aber auch voll des Neides. 131  IPN BU 00487/30, S. 1–22. 132  Berichte über das Attentat in Bern an das MfS: BStU, MfS, HA XXII Nr. 235/2, S. 25–27. Siehe auch die Erinnerungen polnischer Aufklärer: Marian Zacharski: Rosyjska ruletka. Poznań 2010, S. 492. Die Thesen des MSW teilte man jedoch in der HA I nicht. Man überlegte z. B., warum es für die angeblich Schuldigen, etwa den Militärattaché, keine dienstlichen Konsequenzen gab bzw. warum es nicht zu einer staatsanwaltlichen Ermittlung kam. Solche Überlegungen endeten mit dem Fazit, dass es sich damals um interne Machtkämpfe innerhalb des polnischen Geheimdienstes gehandelt habe. BStU, MfS, HA XX Nr. 13518, S. 86.

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Neidisch schaute man im MSW nicht nur auf die für seinen deutschen Partner konzipierten rechtlichen Lösungen, man lobte auch dessen Strukturen, so etwa die separate Truppe, deren Auftrag in der Überwachung der diplomatischen Vertretungen bestand, die enge Zusammenarbeit des Auftraggebers, etwa der HV A, mit den Überwachungsteams, die MfS-eigene Schule, in der Beobachter eine dreijährige Ausbildung durchliefen. Ähnliche Lösungen hatte man auch im MSW gefordert, sowohl struktureller als auch technischer Art. Sie sollten die Abkehr von der Methode der personenbezogenen Beobachtung einleiten zugunsten eines entwickelten Videosystems, mit dem beispielsweise mehrere Stadtteile besser überwacht werden konnten. Andererseits beklagten polnische Geheimdienstler noch 15 Jahre nach der Unterzeichnung der Grundsatzverein­ barung, dass die von MfS und MSW gemeinsam durchgeführte Überwachung von Zielpersonen schlecht koordiniert worden sei. Man habe sich eine Verbesserung der Zusammenarbeit gewünscht, auch in Westeuropa.133 Die Beobachtungsteams verfolgten jedoch andere Interessen als die Aufklärungsteams, wie ein Beispiel mit der polnischen Militärmission in Westberlin deutlich zeigt. Wie dankte man für die Hilfe bei Schulungen oder beim Austausch von Unterrichtsmaterial? In der Regel lud man einander zu Ferienaufenthalten ein. Im Bereich der Abwehr und der Aufklärung war das allerdings nicht Bestandteil der bilateralen Beziehungen. Die Einladung an die Kollegen des Partnerministeriums, außer auf der Ebene der Führungsspitze, erging jedoch vorzugsweise nach dem Abschluss einer gelungenen Operation.134 Belegt ist, dass nicht die operativen Mitarbeiter, sondern vor allem die jeweils Verantwortlichen solche Einladungen annahmen. Kooperation als Angriff. Operationen gegeneinander am Rande der Zusammenarbeit Weder die operative Zusammenarbeit noch Kuraufenthalte können die Tatsache verschleiern, dass beide Dienste bei der Kooperation in der Abwehr und in der Aufklärung gegeneinander handelten. Zwar waren die jeweiligen Maßnahmen nicht aggressiv, aber was deren Zweckmäßigkeit anging, kommen doch Bedenken auf. Einerseits waren einige in dem Ersten und Zweiten Department des MSW tätigen Gesprächspartner der Mitarbeiter des MfS als Quellen des MfS registriert. Andererseits lieferten sie Informationen, die aus Sicht der polnischen Politik gegenüber dem MfS kaum Mehrwert besaßen. Wenn die Quellen inoffiziell die Tätigkeit der Aufklärungsdienste der NATO-Staaten in der VRP bewerteten, 133  Bericht über den Aufenthalt einer Delegation des Büros »B« in Berlin 16.–19.9.1986; IPN BU 1585/14207, S. 7. 134  Kowalczyk an Mielke, Schreiben vom 13.5.1978; IPN BU 1585/2001, S. 295.

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so hieß es etwa, dass sie sich für die Opposition oder die Kirche interessierten. Waren derart banale Thesen der Operativgruppe Warschau wirklich unbekannt? Rechtfertigten sie, die Gesprächspartner als Quellen zu nennen? Eher nicht. Einige Informationen waren aber bedeutsam und hätten dem MfS vom Grundsatz her nicht übergeben werden dürfen. Es waren Informationen darüber, in welchen Konvois westlicher humanitärer Hilfsorganisationen Mitarbeiter westlicher Dienste als Lkw-Fahrer getarnt waren oder wie man die Botschaften außereuropäischer Staaten in Warschau überwachte.135 Die operative Arbeit der HV A außerhalb der VRP zeigt insgesamt, dass die polnische Seite dem MfS exakt das über die fremden Dienste mitteilte, was auch die anderen sozialistischen Ministerien für Sicherheit vom MSW erfahren durften. Das MfS wusste das, da es die Unterlagen aus der Tschechoslowakei erhielt, welche die Kontakte des tschechoslowakischen zum polnischen Innenministerium bewerteten,136 und zwar in Bezug auf die Spionageabwehr mit dem Schwerpunkt NATO. Die polnischen Gesprächspartner, vorzugsweise Militärs, waren auch bereit, Fragen zu stellen. Sie versuchten jedoch, diese im Rahmen offizieller Begegnungen beantworten zu lassen. Auch diese Fragen hätten die Mitarbeiter des MfS nicht unbedingt beantworten müssen, weil der polnische Dienst die Tätigkeit des MfS ebenso aufklärte wie dessen Angaben über die Aufklärung der Botschaft in Warschau. Die Polen wollten wissen, wie viele IM jede geheimdienstliche Einheit führte, wie viele Führungsoffiziere zur Verfügung standen, welche Tarnung sie anwendeten und was sie monatlich verdienten.137 Stoff genug, um später eigene IM in der DDR entsprechend zu schulen und über die Arbeitsweise des MfS zu informieren. Es bleibt aber eine Tatsache, dass derlei Begegnungen oder Fragen nicht den Schwerpunkt der offensiven Arbeit gegeneinander bildeten, auch deshalb nicht, weil Aufklärung und Abwehr beider Staaten viel zu professionell arbeiteten. Man suchte die Quellen im politischen, staatlichen oder wirtschaftlichen Bereich, also dort, wo die für die Politik beider Staaten wirklich relevanten Informationen zu gewinnen waren. Die politische Situation in Polen musste sich zwangsläufig auf die bilateralen Kontakte der Abwehr und der Aufklärung auswirken, insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Kontakte herzustellen und zu pflegen – das wurde nun deutlich schwieriger. Seit dieser Zeit ignorierte das MfS auch immer häufiger Vorschläge138 aus Polen, multilaterale Beratungen vorzubereiten, und zwar mit dem Ziel, fremde westliche Dienste, etwa den BND, zu bekämpfen. 135  Notiz zu einem Gespräch mit der Quelle »Freund 2«; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 64, S. 158. 136  BStU, MfS, HA II Nr. 38770, S. 3. 137  BStU, MfS, HA I Nr. 13988, S. 144. 138  Die ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter der HV A vertreten bspw. die Auffassung, dass sogar im September 1989 die polnische Seite die ostdeutsche Aufklärung darum gebeten hatte, beim Schutz des eigenen Kundschafternetzes zu helfen. Siehe Bernd Fischer: Das Ende der HV A. Die Abwicklung der DDR-Auslandsaufklärung. Berlin 2014, S. 18.

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Immer häufiger erhielt das Erste Department auch von der jeweiligen Aufklärung anderer sozialistischer Staaten Hinweise, dass sich die Beziehungen seines Innenministeriums zum MfS spürbar verschlechtert hätten.139 Es lässt sich nicht herausfinden, ob dies nur eine Folge der politischen Haltung Mielkes war oder auch der wichtigsten personellen Veränderung im MfS in den 1980er-Jahren – des Rücktritts von Wolf, der die Politik Gorbatschows unterstützen wollte. Aus der Perspektive der VRP fand die Kooperation am 28. Dezember 1989 ihr formelles Ende. An diesem Tag befahl der Direktor des Ersten Departments, »bis auf Weiteres bzw. solange sich die Lage nicht klärt« [Ü.d.V.], jeden Kontakt zur HV A des MfS einzustellen.140 Eine Woche zuvor war dem MSW aus Berlin mitgeteilt worden, dass im AfNS ein Aufklärungs- und Abwehrdienst gegründet worden sei, der unter Berücksichtigung der politischen Lage die alten Verpflichtungen realisieren werde.141 Die polnische Entscheidung war durchaus logisch. Die wichtigsten Instru­ mente, deren Nutzung nicht nur für die Zusammenarbeit, sondern für die Kontakte überhaupt vorausgesetzt werden mussten, etwa abhörsichere Verbindungssysteme, waren nicht mehr intakt. Sie wurden vom AfNS zwar weiter betrieben, allerdings ohne jede Haftung. Das geschah mithilfe der Operativgruppe, die die Spuren ihrer Aktivitäten zu beseitigen suchte und keine Zeit mehr hatte, als Postdienstleister zu fungieren. Aber es bleibt eine Tatsache, dass die Kontakte nicht endgültig abgebrochen wurden. Um die westlichen Dienste weiter infiltrieren und die jeweiligen Projekte abschließen zu können, versprach das MSW, in der Zeit der Revolution in der DDR, also auch im Jahre 1990, die Tätigkeit der Operativgruppe Warschau nicht zu behindern. Sicherlich lag es nicht im Interesse des MSW, dass die Akten dieser Gruppe an Dritte übergeben wurden. Auch darüber gab es 1990 letzte bilaterale Gespräche. Die geplanten, aber nun kaum mehr realisierbaren Projekte setzten u. a. voraus, Informationen über die Verbindungssysteme des BND austauschen zu können. Sie konnten auch deshalb nicht mehr realisiert werden, weil die polnische Aufklärung die Implosion des AfNS, unkontrollierbare Personalrotationen und das Ende der gewohnten Effektivität des DDR-Dienstes signalisierte142 – Grund genug, die Kontakte nicht mehr zu pflegen, auch weil das MSW erste vorsichtige Kontaktversuche westlicher Dienste akzeptiert hatte. Außerdem zweifelte man am Wahrheitsgehalt der Äußerungen von Mitarbeitern der HV A über eine angebliche Aktenvernichtung und nahm an, dass Schriftgut des MfS in der Sowjetunion gelandet war. Interessant ist, dass auch die von ehemaligen Auslandsaufklärern der DDR nach 1989 verfasste 139  Offizier mit dem Decknamen »Kossak«. Meldung an die Warschauer Zentrale vom 29.11.1988; IPN BU 01228/3012/CD 1, S. 45. 140  Internes Schreiben vom 28.12.1989; IPN BU MSW II/15327, S. 87. 141  IPN BU 1585/15325, S. 86. 142  Department I, Information über die gegenwärtige Lage im Af NS [14.12.1989]; Department I, Information über die DDR-Geheimdienste [9.1.1990]; IPN BU 1585/3877.

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Erinnerungsliteratur vor Vorwürfen nur so strotzt, auch die Informationen aus dem polnischen Innenministerium seien alles andere als glaubwürdig gewesen.143 Kann man dies jedoch wirklich als eine angemessene Beurteilung der Kontakte zwischen beiden Ressorts betrachten? Nicht unbedingt. Abgesehen davon, ob überhaupt und wie – in voller Absicht – unzuverlässig das MfS bzw. das MSW gegeneinander handelten, erhielten beide Ministerien dank der Kontakte zwischen ihren Aufklärungs- und Abwehrdiensten die Möglichkeit, ihre operativen Kenntnisse über den Gegner zu bestätigen und zu vertiefen. Das war ein Wert an sich, auch wenn der Partner nie wusste, ob die Erkenntnisse der Wahrheit entsprachen. Besonders hervorzuheben ist auch, dass es vor allem Aufgabe und Auftrag der HV A und des Ersten Departments war, den politischen Entscheidungsprozess ihrer Partei- und Staatsführung zu unterstützen und nicht, die anderen Dienste zusammen zu bekämpfen. Das jedenfalls schien, zumindest aus Sicht des MfS, in den bilateralen Beziehungen nicht so wichtig zu sein wie zum Beispiel die Kontakte zwischen den technischen Sektoren der Dienste.

3.2 Der nachrichtendienstliche Informationsaustausch Anlässlich seines Besuches in Polen im Jahre 1982 war für Mielke eine Analyse der Zusammenarbeit mit dem polnischen Innenministerium vorbereitet worden, die sich auf die Auslandsaufklärung und die Spionageabwehr bezog.144 Es handelte sich um den Informationsaustausch auf dem Gebiet der politischen Berichterstattung. Die Analyse lässt sich mit einem Wort zusammenfassen, das für alle Reden des Ministers typisch war: Die Verfasser der Analyse stellen fest, dass die Kontakte »stabil« seien. Ihr einziger Vorwurf besagt, dass das MSW zu wenige Informationen liefere, und, wenn überhaupt, es diese mit den laufenden operativen Anfragen verbinde. Die Vorlage war jedoch nicht interessant, weil dort nach wie vor von »Stabilität« die Rede war. Merkwürdig ist hingegen, warum der Minister nicht mit den grundsätzlichen Fragen konfrontiert wurde, die, in Bezug auf die wichtigste Aufgabe der Aufklärung, hätten gestellt werden müssen. Ein Geheimdienst, auch in totalitären Staaten, sollte die Machthaber darüber informieren, was an für die jeweilige Politik Relevantem im In- und Ausland geschehen ist oder gerade geschieht. Warum durfte Mielke also aus der erwähnten Analyse nicht erfahren, welche für die Politik der DDR wesentlichen offiziellen Berichte des polnischen Geheimdienstes vorgelegt worden waren, wie viele es waren, welchen Charakter sie hatten, wie wertvoll sie waren, wie sie im Vergleich zu denen anderer sozialistischer Dienste aussahen, und welche politischen Tendenzen in diesen Berichten zu erkennen waren? 143  Eichner; Schramm: Konterspionage, S. 44. 144  BStU, MfS, ZAIG Nr. 5459, S. 33.

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Die Antwort auf diese Fragen hätte sicherlich anders lauten müssen als jene, die Mielke nur zu gern entgegennahm. Deshalb wurden sie nicht gestellt und mussten folglich auch nicht beantwortetet werden. Stattdessen gab es die üblichen Floskeln über »Stabilität«. Bereits diese mussten als zumindest übertrieben verstanden werden. Die Bewertung »stabil« in der Berichterstattung übereinander hätte sicherlich eine Flut von für Think-Tanks bzw. Journalisten und Diplomaten interessanten, für Geheimdienste aber irrelevanten Nachrichten bedeuten können. Irrelevant waren sie insofern, als sie in operativen Vorgängen kaum verwendbar waren. »Stabil« bedeutete auch nicht, dass der Umfang des Informationsaustausches ein kohärentes Niveau erreichte oder dass er inhaltlich den bestehenden klaren Proportionen zwischen Politik, Wirtschaft oder Militär entsprach. 3.2.1 Die quantitative Dimension der Zusammenarbeit Was lässt sich über die konkrete Anzahl der ausgetauschten Berichte sagen? Pro Jahr tauschte man im Durchschnitt circa 100 bis 150 Berichte aus.145 Das Maximum lag bei 200, das Minimum bei 78.146 Ähnliche Zahlen sind für die Kooperation des MfS mit den kleineren sozialistischen Ländern, etwa mit Ungarn, bekannt. Ende der 1980er-Jahre schickte man einander circa 150 Berichte und nahm etwa 170 entgegen.147 Wie immer ist daraus keine qualitative Bewertung abzuleiten. Diese Dynamik ist außerdem nur auf Osteuropa beschränkt und bezieht sich beispielsweise nicht auf die Kooperation mit sozialistischen Staaten in Asien.148 Nicht alle hatten mit dem MfS und dem MSW Kooperationsverträge abgeschlossen. Des Weiteren war auch die Sinnhaftigkeit einer solchen Zusammenarbeit fraglich. Einige asiatische Dienste tauschten etwa mit dem MSW in einem Zeitraum von vier Jahren 40 Informationen aus, davon beschäftigte sich nur eine mit Geheimdiensten und 15 mit der Ideologie des Maoismus.149 Von besonderer Relevanz war dieses Thema in Polen gewiss nicht. 145  Zum Vergleich: Zwischen dem polnischen Innenministerium und dem KGB sollen jährlich ca. 180 bis 340 Berichte aller Art ausgetauscht worden sein. Siehe Osek; Grabowiecki: Próba dokonania bilansu współpracy KGB – SB. Część pierwsza, S. 162. 146  BStU, MfS, AS 318/83, Informationen an die VR Polen 1974–1977. 147  Tantzscher: Die Stasi und ihre geheimen Brüder, S. 603. 148  Die 2011 veröffentlichten Übersichten über alle in der HV A eingehenden und von ihr übermittelten Informationen zwischen 1969 und 1989 zeigen, dass in den 1980er-Jahren etwa 1 500 Berichte an das MSW gingen. Im gleichen Zeitraum erhielt allein der KGB fast 50 000 Berichte. Aber die Zahl aller in der HV A eingehenden und in der SIRA-Datenbank verzeichneten Meldungen in den 1970er- und 1980er-Jahren betrug über 500 000. Siehe Helmut Müller-Enbergs: Hauptverwaltung Aufklärung. Aufgaben – Strukturen – Quellen. Berlin 2011, S. 145. 149  Einen Sonderfall stellte Nordkorea dar. Mit dem polnischen MSW wurden nur 6 Berichte ausgetauscht. 4 von ihnen waren Beurteilungen westlicher Diplomaten. BStU, MfS, Abt. X

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Mit der Grundsatzvereinbarung konnten die aus den Jahren vor 1974 bekannten Probleme nicht beseitigt werden. Man maß den reinen Zahlen eine Bedeutung bei und täuschte die Überzeugung vor, dass die »dynamische« Zusammenarbeit fortgesetzt werden müsse. Mit der politischen Wende in der VRP 1980 verstärkte sich diese Dynamik und verharrte dann bis 1989 auf diesem Niveau.150 Deswegen kann statistisch die Anzahl von 100 ausgetauschten jährlichen Berichten durchaus als Zeichen von Verantwortungsbewusstsein gewertet werden. Angaben darüber, in welchen zeitlichen Abständen Materialien übergeben wurden, gibt es nicht. Über eine längere Frist betrachtet kann von regelmäßigen Abständen nicht die Rede sein. Zeiten, in denen der Kurier drei Mal wöchentlich Unterlagen beförderte, waren genauso häufig wie solche, in denen er nur alle vier Wochen tätig werden musste. Was sich nicht änderte, war, dass die wertvollsten Berichte und Informationen einzeln übergeben wurden, immer mit dem jeweiligen Ressortsleiter als Absender und Empfänger versehen.151 Dabei handelte es sich um Kopien von Originaldokumenten des Gegners, so etwa um die jeweils geltenden Richtlinien des US National Intelligence Council über den Informationsbedarf der CIA oder um akute Warnungen vor Terroranschlägen. Nur die für die Sicherheit des Staates zuständigen Minister informierten einander auch über nichtöffentliche Ernennungen neuer Verantwortlicher bei westlichen Geheimdiensten, die ihnen bekannt wurden. Weniger sensible Berichte bildeten sogenannte Bündel, die zehn und mehr separate Texte umfassten. Je umfassender ein Bericht war, desto kleiner die Zahl der Einzeltexte und auch das jeweilige Bündel. Dabei versuchte die polnische Seite, für jedes Bündel einen bestimmten Schwerpunkt zu setzen, etwa den Schwerpunkt Wirtschaft.152 Eine gewisse Regelmäßigkeit in diesem Verfahren ist jedoch nicht zu erkennen. Viele Bündel bildeten eine Collage, in der Informationen aus aller Welt in bunter Folge angeordnet waren. Dazu ein Beispiel. In einem ausgewählten polnischen Bündel sind Berichte von US-Behörden über deren Bewertung der sowjetisch-kubanischen militärischen Zusammenarbeit, über Ergebnisse von Sitzungen des Europäischen Rates, die chinesisch-niederländischen Wirtschaftsbeziehungen, die jugoslawische Nahostpolitik und den Besuch eines sozialistischen Politikers aus Spanien in der UdSSR zusammengefasst. Es handelt sich insgesamt um ganze sechs Seiten. Auch die HV A verfuhr ähnlich. Ihre Bündel umfassen gleichzeitig Erkenntnisse über die Wahl von Wojtyła zum Papst, Landtagswahlen in der Bundesrepublik, die Lage in Angola und über den geheimen Marxistenkongress in der albanischen Hauptstadt Tirana. Nicht Berichte über Landtagswahlen, sondern geheimdienstlich wertvolle Informationen waren am begehrtesten und wurden am seltensten übergeben. Nr. 29, S. 432. 150  Vgl. BStU, MfS, HV A/MD/2-5, SIRA TDB 11-14; IPN BU 02447/89. 151  IPN BU 01062/43, Bd. 46, S. 45. 152  IPN BU 1585/2001, S. 452.

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Man konnte sie entweder selbst nutzen oder an befreundete Dienste weiterleiten. Deshalb wurden vor allem solche Berichte ausgetauscht, die für globale Akteure, etwa den KGB/die GRU, von grundsätzlicher Bedeutung waren und die kaum von anderen Diensten als den sowjetischen zu verwenden waren. Bestimmte Angelegenheiten waren jedoch von generellem Interesse, so etwa die Pläne der militärischen Führungszentren in Deutschland für die geheimdienstliche Ausbildung, Berichte über den Verlauf von NATO-Stabsübungen, die Ziele des angeblich geplanten nuklearen Erstschlages des Westens oder Berichte über die IM-Netze des BND im Nahen Osten. Von noch größerer Relevanz in der Ausbildung für die operative Tätigkeit waren jedoch die westdeutschen Richtlinien, wie amtliche Schreiben formuliert werden müssen, um Fälschungsversuche schnell erkennen zu können, Verzeichnisse der in Westeuropa gestohlenen Pässe, Muster amtlicher personenbezogener Formulare, Kontrollregeln für osteuropäische Flüchtlinge in westdeutschen Durchgangslagern oder die Interessensbereiche des Auswärtigen Amtes. Das alles sind Themen von für jeden Geheimdienst außerordentlicher Bedeutung.153 Und genau diese kamen nur gelegentlich in den Bündeln vor. Umstritten bleibt die Frage, ob das MfS dem MSW tatsächlich die angeblich neuesten Tipps über die Gesetzgebung in der Bundesrepublik schicken musste, wenn sie doch bei aufmerksamer Lektüre der Tagespresse zu entnehmen waren, die in der VRP viel leichter zugänglich war als in der DDR. Es ging dabei nicht nur um Gesetze, sondern auch um öffentlich zugängliche Periodika des Bf V.154 Wie lassen sich die rein politischen Berichte beider Ministerien kategorisieren? Grundsätzlich kann man zwei Kategorien unterscheiden: Berichte, die für die Gestaltung der Außenpolitik des Partnerlandes relevante, und solche, die irrelevante Informationen enthalten. Fakten, die Berichten der ersten Kategorie zu entnehmen waren, konnten mitunter von enormer Bedeutung, aber zugleich auch selten sein. Dazu zählen die Richtlinien zum Handelsembargo, das der Westen nach der Einführung des Kriegsrechts gegen Polen verhängt hatte. Detaillierte Angaben lieferte das MfS über den volkspolnischen Staatsfeind Nummer Eins, nämlich den Bund der Vertriebenen. Ebenso nützlich für die außenpolitische Planung scheinen auch interne Unterlagen des Auswärtigen Amtes gewesen zu sein, die sich mit den deutsch-deutschen Beziehungen oder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschäftigen.155 Außerdem erhielt das MSW vom MfS regierungsinterne Einschätzungen zu den Gesprächen zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem 1. Parteisekretär Gierek und zu den Sitzungen des Politischen Komitees der Staaten des Warschauer Paktes. Von Nutzen waren auch Hinweise vorab, wann die CDU etwa beabsichtigte, die Versuche der SPD, die Ostpolitik 153  Vgl. IPN BU 0449/10, Bd. 30, S. 244. 154  BStU, MfS, AS 423/83. Geheime Berichte des Bf V wurden zwar auch übergeben, allerdings nur ausgewählte Seiten. 155  IPN BU 0449/22, Bd. 31, S. 150.

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oder die Beziehungen zu Polen voranzutreiben, zu blockieren. Besondere taktische Vorteile ergaben sich für die VRP auch aus der Kenntnis von Vorlagen des MfS, die diese von internationalen Finanzinstitutionen hatte erlangen können. Besonders in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, bis mindestens 1989, war das MSW daher sehr gut über die Politik der EWG gegenüber Polen informiert, auch über die Vorbereitung der Assoziationsverhandlungen und der späteren Handelsverträge.156 Die Berichte der zweiten Kategorie sind zwar interessant, hätten jedoch nicht von einem Geheimdienst verfasst werden müssen. Keine der darin enthaltenen Informationen hatte man unter Verletzung irgendwelcher Vorschriften gewonnen. Beispielsweise schickte die HV A dem Ersten Department die in westlichen Buchhandlungen leicht zugänglichen Periodika der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie der amerikanischen RAND Corporation. Die in der Regel nach Parlamentswahlen verfassten Vitae, etwa von Bundeskanzler Helmut Kohl bzw. Außenminister Genscher, hätte jeder polnische Diplomat in Bonn auch selbst schreiben können. Ebenso »informativ« waren Analysen zur Situation in einzelnen Staaten Westeuropas, zu deren Parteiensystemen oder zur chinesischen Japanpolitik. Neben dem durchaus bescheidenen analytischen Niveau fällt auch hier wieder die übliche ideologische Prägung auf. Einerseits war klar, dass das MfS in Afrika aktiv war und entsprechend viele Informationen aus diesem Bereich liefern konnte und vor allem wollte. Klar war auch das Ziel des MfS: nachzuweisen, dass es den deutsch-polnischen geheimdienstlichen Informationsaustausch stabil zu halten beabsichtigte. Andererseits muss man aber folgende Frage stellen: Lag der HV A wirklich daran, das MSW in Einzelheiten darüber zu informieren, wie die Sitzung des ZK der namibischen SWAPO-Partei oder der Besuch des jugoslawischen Außenministers in Vietnam verlaufen war? Eher nicht, auch wenn solche Informationen an sich zum Beispiel für die Forschung von Interesse sind. Beispiele dafür sind die Berichte des MfS über die Beziehungen der NATO zu Portugal, über Gespräche des US-Präsidenten Jimmy Carter im Nahen Osten oder über Prognosen der SPD zum Ausgang der Parlamentswahlen in Frankreich. Die einzige Erklärung für die Geheimhaltung solcher Informationen war neben der internen Arbeitsphilosophie des MfS auch der Umstand, dass sie innenpolitisch für den Kampf gegen die Opposition genutzt werden konnten. So schickte die HV A dem MSW beispielsweise eine Information, wann Amnesty International eine Protestaktion in der VRP plante, um die Freilassung politisch Inhaftierter zu beschleunigen.157 Da die Aktion darin bestand, Protestbriefe an das Zentralkomitee der PVAP zu richten, war das Innenministerium aber eigentlich selbst imstande, die Identität der Absender zu prüfen. 156  BStU, MfS, HV A Nr. 813, Teil I, S. 68. 157  Siehe BStU, MfS, AS 385/83.

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Es wäre falsch, zu behaupten, dass nur das MfS derartige nicht unbedingt wichtige Informationen für den Partner bereithielt. Auch der polnische Dienst verhielt sich so, konzentrierte sich aber erkennbar darauf, operativ wichtige Erkenntnisse zu übergeben. In den politischen Berichten spielten vor allem Angelegenheiten, die den Vatikan betrafen, eine besondere Rolle. Das hing damit zusammen, dass es dem MSW relativ leicht fiel, innerhalb der starken polnischen katholischen Kirche IM-Arbeit zu betreiben. Auch hier sind wohl Bedenken nicht abwegig, ob alle Erkenntnisse der Wahrheit entsprachen. Aber immerhin passten die gelieferten Daten im Wesentlichen zu der von der DDR vertretenen Politik und damit auch zur politischen Linie des MfS, sie konnten auch recht gut in der Westarbeit der HV A genutzt werden. Für Wolf waren die in Polen verfassten Berichte über Afrika zwar nicht besonders relevant, aber er bekam andererseits immerhin ein umfassendes polnisches Dossier über den neuen Papst bzw. dessen Politik und konnte dieses mit anderen Erkenntnissen vergleichen. Das MSW ließ dem MfS auch Analysen zu jedem Besuch ostdeutscher Geistlicher im Vatikan zukommen. Einige Personenanalysen hätten zweifellos dazu beitragen können, den Betroffenen mit Erfolg zu erpressen.158 Aus rein außenpolitischer Perspektive waren die Wolf übermittelten Wortprotokolle, die Gespräche des Papstes betreffen, meist interessant, aber auch umstritten: mit US-Außenminister Henry Kissinger, Brandt, den Gesandten von US-Präsident Richard Nixon und mit den Präsidenten Frankreichs und Finnlands. Selbiges gilt auch für interne Unterlagen der päpstlichen Nuntiatur in Bonn, die sich mit der Innenpolitik der BRD befassten. Auch wenn man annahm, dass sie entweder gefälscht, manipuliert oder absichtlich dem Geheimdienst der VRP bzw. der DDR übergeben wurden, muss darauf hingewiesen werden, dass solche Dokumente ohnehin zu den jeweils aktuellen außenpolitischen Ereignissen und Entwicklungen in Beziehung gesetzt und mit anderen Quellen verglichen werden mussten. Insofern waren sie von größerer Relevanz als die Afrika-Berichte. Hervorzuheben ist auch, dass das Erste Department alle seine Erkenntnisse über die Westpolitik der DDR an die HV A schickte. Umgekehrt war das nicht immer der Fall. Die polnischen Berichte waren allerdings auch nicht immer sachorientiert. So erhielt das MfS etwa der Tagespresse entnommene Analysen der deutsch-amerikanischen, japanisch-arabischen oder chinesisch-rumänischen Beziehungen oder auch die jährlichen Berichte des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Wien, die es auch selbst hätte erwerben können. Wenn jedoch eine Top-Information geliefert wurde, dann bedankte man sich mit einer ebenso interessanten und wertvollen Studie. So bewertete das MfS die westeuropäischen Prognosen zur Preisentwicklung bei Energieträgern oder zum Energieverbrauch in der DDR, die es vom MSW erhalten hatte.159 Sie konnten der DDR letztlich finanzielle Vorteile bringen, da sie nun eventuelle Preisänderungen 158  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 127, S. 1. 159  IPN BU 01062/43, Bd. 72, S. 103; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14796, S. 5.

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vorherzusehen bzw. auf solche Änderungen schnell zu reagieren vermochte und dann die günstige Situation nutzen konnte, billiges sowjetisches Öl auf dem westeuropäischen Markt heimlich und preisgünstig weiterzuverkaufen. Warum schickte das MSW dem MfS mehr wertvolles Material als es im Gegenzug erhielt? Eine Erklärung dafür könnte sein, dass dies eine Art Preis war, den es zahlte, um sich damit für die logistische Unterstützung der DDR für die polnischen Streitkräfte nach der Einführung des Kriegsrechts zu revanchieren. Ohne Zweifel brachten viele Deutschland betreffende Berichte des MSW dem MfS nichts Neues: Es waren etwa Informationen über die Standorte der Bundeswehr­einheiten, Bewertungen der Tätigkeit der HV A in der Bundesrepublik vom Bf V oder Analysen zum Rechtsextremismus in der BRD.160 Das MSW schickte auch Informationen über das Sicherheitspersonal der westdeutschen Botschaften oder Erkenntnisse der Aufklärungseinheiten der NATO-Staaten über das militärische Potenzial des Warschauer Paktes. Ohne Zweifel war das alles wichtiger als Erkenntnisse über die SWAPO-Partei oder die chinesischvietnamesischen Beziehungen, zumal man damit rechnen konnte, die internen Richtlinien der Aufklärungsdienste der NATO-Staaten zur Durchführung der Überprüfung von Flüchtlingen aus sozialistischen Staaten zu bekommen. Das Innenministerium stellte auch dienstinterne Telefonverzeichnisse westeuro­ päischer Polizeibehörden zur Verfügung, Ausarbeitungen darüber, wie etwa die österreichische Spionageabwehr die Botschaften der sozialistischen Staaten zu infiltrieren versuchte, oder Angaben zum Personalbestand der Niederlassungen der CIA auf der iberischen Halbinsel. Ab und zu übermittelte man Daten über Frankreichs Nuklearpotenzial, interne Richtlinien der Dienste zur Kontrolle von Diplomatenpost, Erkenntnisse über geplante Anschläge gegen Franz Josef Strauß oder über die Sicherheitsdienste Zaires. Die HV A erhielt die Angaben über die afrikanischen Länder, die für ihre Arbeit relevant waren. Nur gelegentlich sind solche Berichte aus technischer Sicht »untypisch«. Das Erste Department legte Wolf interne Dokumente des Auswärtigen Amtes mitunter nur in polnischer Übersetzung vor – wegen angeblicher Gefährdung der Quellen,161 was jedoch keine plausible Erklärung zu sein scheint. Dies wirft die Frage nach der Qualität des Informationsaustausches auf. 3.2.2 Die qualitative Dimension der Zusammenarbeit Was lässt sich über die Qualität des Inhalts und der Prognostik der ausgetauschten Berichte sagen? Ganz gleich, ob in den Analysen über sehr wichtige oder über unwichtige Probleme informiert wurde – sie waren entweder von großer Bedeu160  IPN BU 01062/43, Bd. 68, S. 81. 161  IPN BU 01062/43, Bd. 51, S. 25.

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tung oder sie stellten im Grunde genommen den Sinn geheimdienstlicher Tätigkeit überhaupt infrage. Das war sowohl in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre als auch 1989 der Fall. In den 1980er-Jahren ist zweifellos eine gewisse Verbesserung der Qualität der formulierten Thesen bei der Aufbereitung der Informationen nicht zu übersehen. Je weniger Kommentare des jeweiligen Dienstes und je mehr Fakten und Feststellungen aus originalen Quellendokumenten ein Bericht enthielt, desto höher war seine Relevanz und desto größer auch sein Nutzen für den Partnerdienst. War der Vorwurf wirklich berechtigt, dass die legalen diplomatischen Vertretungen viele Informationen selbst hätten vorbereiten können? Ja, er war berechtigt. Dazu ein Beispiel. Das MfS hatte sich 1975 bereit erklärt, der polnischen Seite eine Bewertung der Beziehungen zwischen den USA und der DDR zu übergeben. Angeblich war sie im State Department verfasst worden. Übergeben wurde sie dem MSW auf der Ministerebene.162 Wenn man weiß, wie amerikanische diplo­ matische Dokumente vorbereitet werden,163 könnte man erwarten, dass in der Dokumentation des MfS nicht nur die Struktur, sondern auch die wichtigsten Elemente dieser Beziehungen unmittelbar zusammengefasst und analysiert würden. Was wäre wichtig? Eine Definition der Ziele der Politik der DDR und der USA zum Beispiel, die Darstellung der im bilateralen Verhältnis verfügbaren Instrumente, eine Bewertung ihrer Wirksamkeit und Verweise auf die grundlegenden globalen Bedingungen und Herausforderungen in der Weltpolitik, auf die Rolle der DDR im Warschauer Vertrag, die globalen Interessen der USA, ihre Beziehungen zur Sowjetunion, auf politische Schlüsselereignisse usw. Laut MfS konnten angeblich alle Informationen im Bericht als glaubwürdig gelten. Doch worüber berichteten die Aufklärer des MfS dem MSW? – Über die unwichtigsten Ereignisse, die man sich nur vorstellen kann. Der Bericht war eine an Kommentaren arme Auflistung aller propagandistisch bedingten Angriffe der von der SED geführten Medien auf die USA, ergänzt um »positive« Elemente in den bilateralen Beziehungen. Als solche wurden der Besuch des Botschafters der USA auf der Leipziger Messe wahrgenommen sowie seine kurze Begegnung mit Honecker. Wichtigstes Thema zwischen beiden war, dass sich Honecker sehr freundlich an sein Gespräch mit Präsident Gerald Ford erinnerte. Abgesehen davon, dass solche Begegnungen im Alltag der DDR in mehreren propagandistischen Presseartikeln, etwa im »Neuen Deutschland«, oft genug erörtert wurden, als dass sie der Aufmerksamkeit der polnischen Botschaft hätten entgehen können, überrascht das Fehlen jeglicher elementaren Analyse. Von den wichtigsten politischen Problemen ist überhaupt nicht die Rede. Der Text wirkt wie eine Art Werbung, über welch gute protokollarische Kontakte Honecker 162  IPN BU 01062/43, Bd. 48, S. 91. 163  Siehe die veröffentlichten Bestände des National Security Archives über die DDR: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB354/index.htm (letzter Zugriff: 2.7.2020).

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verfügte. War Leipzig und seine Messe Thema des Berichtes oder waren es die Beziehungen zwischen den USA und der DDR? Warum sprach man nicht über die Ölkrise 1975, warum wurden Bundeskanzler Schmidts deutschlandpolitische Initiativen nicht erwähnt, über die doch mit den USA gesprochen wurde? Ganz zu schweigen davon, dass europapolitische Prozesse wie KSZE bzw. SALT das Verhältnis der DDR zu den USA beeinflussen mussten. Berichte dieser Art mussten und müssen auch hier grundsätzlich als irrelevant betrachtet werden. Sie erklären mittelbar auch die Schwäche des MfS in der Berichterstattung über Polen in den 1980er-Jahren. In welchem Zusammenhang waren die Berichte des MfS von höherer Qualität? Es klingt paradox, aber sie sind nur dann von höherer Qualität, wenn sie sich nicht mit der DDR beschäftigen und wenn es um die Beantwortung ganz konkreter Fragen geht, nicht um eine Analyse. Wurde eine bestimmte Aktivität einer westeuropäischen Regierung erörtert, bewies das MfS durchaus seine Fähigkeit, präzise zu definieren, welche Ziele diese Regierung verfolgte, mit welchen Instrumenten sie diese zu erreichen suchte und welche politischen Umstände den Hintergrund für diese Aktivität bildeten. Ab und zu legte man auch offen, woher die Erkenntnisse stammten.164 Das MfS hatte offensichtlich auch kein Problem damit, darauf hinzuweisen, dass manche Informationen sich nur auf Spekulationen bezogen, etwa über angebliche Rücktrittsabsichten eines ranghohen Politikers der NATO.165 Man wies auch auf potenzielle politische Initiativen des Vatikans hin, auf Themen und Auffassungen einzelner NATO-Staaten, die deren gemeinsame Politik in den KSZE-Runden bestimmen würden, bzw. auf bestimmte Pläne nahöstlicher Leader, wenn diese politische Gespräche in Europa planten. Bedeutsam waren auch Hinweise, wann es in bestimmten asiatischen Ländern zu einem Putsch kommen könnte. Solche Hinweise kamen jedoch nur aus Polen; sie waren ohne Zweifel von größerer Relevanz als Informationen aus Leipzig über Honeckers Small Talks und wurden deshalb dem Leiter der HV A166 unmittelbar vorgelegt. Das war auch der Fall, wenn das MSW seinem Bruderorgan die Vitae neu bestimmter Chefs fremder Geheimdienste zur Kenntnis gab. Die Grunddaten, etwa Alter oder Ausbildung, wurden nur am Rande erwähnt. Mehr Platz fanden hingegen Informationen dazu, welche politischen Kontakte sie zu ihrer Regierung oder in deren Umfeld pflegten, auf wie viele Verbündete sie zählen konnten bzw. welche Ziele sie dank ihrer neuen Funktion zu erreichen versuchen würden. Letztlich analysierte man ihre möglichen Schwächen, geeignete Angriffspunkte, zeichnete ihr psychologisches Portrait und informierte über ihr Monatsgehalt. Die westlichen »Expertenmeinungen«, die dem MfS seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre aus Polen übermittelt wurden, ließen keinen Zweifel daran, 164  Information vom 28.4.1978; BStU, MfS, HA XX Nr. 12373, S. 398. 165  BStU, MfS, AS 384/83, S. 24. 166  Ebenda, S. 8.

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dass eine Weiterentwicklung der sozialistischen Länder unter Beibehaltung ihres politisch-ökonomischen Systems langfristig kaum möglich sein werde. Bereits 1978 sprach das MSW mit Bezug auf die Auffassung des State Departments davon, dass die Sowjetunion ihre Hilfe für ihre Vasallen maximal einschränken wolle, da sie einfach zu teuer sei. Ihren politischen Einfluss wolle sie zweifelsfrei weiter ausüben, jedoch nicht zulasten ihrer eigenen Wirtschaft. Mehr noch, die osteuropäischen Gesellschaften, ebenso ihre Eliten, seien mit der aus dem Zweiten Weltkrieg resultierenden Abhängigkeit von der Sowjetunion immer unzufriedener und deshalb sei jede Verbesserung der Beziehungen zu den USA zu begrüßen. Eine Einheit der sozialistischen Staaten werde es, so die CIA, schon 1979 nicht mehr geben. Deswegen versuche die US-Regierung, die Erlangung der Unabhängigkeit der einzelnen osteuropäischen Staaten von der Sowjetunion zu unterstützen, vor allem, weil deren Gesellschaften dies wollten. Sogar die Bürger der DDR seien stärker prowestlich orientiert, als die SED-Propaganda behaupte.167 Diese Einschätzung war für das Honecker-Regime vernichtend und kann als Erklärung für dessen zunehmenden ideologischen Dogmatismus gelten und auch als Beweis dafür, dass es sich immer stärker von der eigenen Gesellschaft entfremdete. Letzteres lässt sich auch über die demokratische Opposition in der DDR sagen, die die bundesdeutsche Orientierung der Ostdeutschen 1989 überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Neben allgemeinen Thesen erörterten die polnischen geheimdienstlichen Berichte auch die Politik der NATO und deren Instrumente, die das Ziel verfolgten, Osteuropa, d. h. die Satellitenstaaten der UdSSR, unabhängiger zu machen. Die amerikanische Politik stieß damit, nach polnischer Lesart, auf den Widerstand Frankreichs. Frankreich war grundsätzlich nicht dafür, eine Politik der Konfrontation gegen die Sowjetunion zu betreiben, weil diese die Erfolge im KSZE-Prozess maßgeblich gefährden konnte.168 Die meisten NATO-Mitglieder waren sich seit den späten 1970er-Jahren jedoch darin einig, dass das sozialistische System vom Grundsatz her politisch und wirtschaftlich kaum zu retten war. Die interessantesten Szenarien, wie eine Implementierung dieser Politik aussehen könnte, wurden in der Bundesrepublik entworfen. Sie gelangten via MSW an das MfS. Bereits 1979, also ein Jahr vor der Entstehung der Solidarność, äußerten westdeutsche Regierungsanalytiker vor ihren Kollegen aus anderen NATO-Staaten die Auffassung, dass bald eine Welle sozialer Unzufriedenheit in Osteuropa ausbrechen werde. Die Ursache sei nicht nur in der katastrophalen Wirtschaftslage zu finden, sondern auch in erkennbaren Diskrepanzen in der sozia­ len Verhaltensstruktur Osteuropas. Je stärker die Bürger im politischen System eines typischen sozialistischen Staates überwacht würden, desto passiver würden 167  Information über die amerikanische Bewertung der bilateralen Beziehungen der sozialistischen Staaten mit den USA und der Sowjetunion [11.10.1978]; ebenda, S. 159. 168  BStU, MfS, AS 422/83, S. 7.

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sie sich verhalten. Dies müsse zwangsläufig zu offenen Konflikten führen. Sie würden jedoch keinesfalls Änderungen in den Führungen der kommunistischen Staatsparteien oder in deren Programm bewirken, sondern nur mehr Repression bzw. eine noch stärkere Abgrenzung gegen den Westen zur Folge haben. Ziel der Staatsparteien sei es, der eigenen Bevölkerung keine Chance zu geben, sich über alternative politische Modelle zu informieren. Zwar ging es in diesen Analysen des bundesdeutschen Geheimdienstes vor allem um die DDR,169 das Szenario zunehmender Repressionen traf aber auch für die Situation in Polen ab 1980 zu, genauso wie weitere Überlegungen. Es handelte sich dabei um die Annahme, dass die Einschränkungen bei der Umsetzung der KSZE-Verpflichtungen in den sozialistischen Staaten soziale Unzufriedenheit hervorrufen würden oder dass die Wirtschaftskrise unvermeidlich zum politischen Ende der regierenden Machthaber führen werde. Gemeint war vor allem Honecker, und zwar zu Recht, obwohl sein Rücktritt letztlich erst 1989 erfolgte. Waren alle Behauptungen der westlichen Experten korrekt? Nein. Es gab genug Fehleinschätzungen, die dann Selbstzufriedenheit in der Spitze der SED/des MfS auslösten. Als solche sind vor allem Prognosen aus der ersten Hälfte der 1980erJahre anzusehen, in denen behauptet wurde, dass es der Wirtschaft der DDR immer besser gehe. Nur im Hintergrund mehrten sich die Informationen darüber, dass die gesellschaftliche Unzufriedenheit in Ostdeutschland zunehme, die SED keine Ahnung habe, wie die Krise zu bewältigen sei, und das Einzige, was man unternehmen wolle, darin bestehe (wörtlich), »die DDR-Fassade zu streichen«. Nach Einschätzung des MSW war außerdem in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre nur die CIA davon überzeugt, dass in der DDR politische Veränderungen bzw. erhebliche ökonomische Konflikte mit der Sowjetunion zu beobachten seien.170 Letzteres traf in der Tat zu. Aber es ist zu betonen, dass ungeachtet der generell zutreffenden Prognose einige Thesen aus den USA keine sonderlich großen Kenntnisse über die innere Situation in der DDR bewiesen. Die These, dass sich in der DDR keine Opposition entwickelt habe, war falsch.171 Zutreffend waren hingegen Behauptungen, dass die DDR-Bevölkerung prowestlich sei und die repressive Grenz- und Ausreisepolitik deshalb zwangsläufig zu einer politischen Wende führen müsse. Ebenso interessant ist die These, dass die angebliche innere Stabilisierung der DDR (also das, worüber das MfS dem MSW so stolz berichtet

169  Die Berichterstattung der Bundesrepublik Deutschland in der NATO über die Lage der osteuropäischen Staaten und Information über die Energiesicherheit in der DDR; ebenda, S. 153. 170  Information über die innere Lage in der DDR in den Bewertungen der CIA; ebenda, S. 108. 171  Ein extremes Beispiel für eine falsche Einschätzung waren auch interne Bewertungen der Situation in der DDR, die angeblich Ende Juni 1989 im Außenministerium einer westlichen Besatzungsmacht formuliert wurden: Zu einer Destabilisierung werde es in absehbarer Zeit in Ostdeutschland nicht kommen. BStU, MfS, Abt. X Nr. 565, S. 109.

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hatte) dazu beitragen werde, politische Veränderungen zu beschleunigen, dass sie sich als eine Art »Wendekatalysator« erweisen werde. Ohne Zweifel gehörten die polnischen Berichte nicht zur Pflichtlektüre der höchsten Funktionäre der Stasi und der SED. Deren Pflicht war es, die übliche Repressionspolitik weiterhin durchzusetzen. Die Ergebnisse der analytischen Tätigkeit des MSW waren im Grunde genommen für die Verantwortlichen im MfS irrelevant, zumal sich die ideologischen Stärken der SED mit diesen nicht belegen ließen. Auf jeden Fall war das MSW, wie die Vorbereitung der politischen Wende in Polen 1989 zeigt, in der Lage, Schlussfolgerungen aus westlichen Erkenntnissen zu ziehen, ganz gleich, ob seine Dienste sie tatsächlich selbst gewonnen hatten oder sie von westlichen Diensten gezielt vermittelt worden waren. Nach wie vor bleibt die Frage, ob die Führung des polnischen Geheimdienstes wirklich daran glaubte, dass die dem MfS übergebenen Informationen dort etwas bewirken würden. Vermutlich nicht, obwohl alle Berichte damit übereinstimmen, was Kiszczak und andere Offiziere Mielke seit 1985 zu erklären versuchten. Erstens war das analytische Niveau der polnischen internen Berichte an die Spitzen von Partei und Staat durchaus höher als die Qualität der Berichte, die in die DDR geschickt wurden. Zweitens war im polnischen Innenministerium ja bekannt, wie immun sich Mielke und andere verantwortliche Funktionäre gegen nichtideologische Argumente zeigten. Im MfS landeten die kritischen polnischen Berichte über die DDR höchstens auf dem Schreibtisch des HV-A-Leiters bzw. seines Stellvertreters, die das düstere Bild ihres Staates zwangsläufig auch anderen Quellen entnehmen mussten und konnten. Die polnischen Berichte hatten also eine Alibifunktion. Wenn der Führung des MfS Informationen über die polnische Opposition zugingen, leitete sie diese nicht nur an das MSW weiter, sondern beschwerte sich auch in der Sowjetunion, wie sehr der polnische Geheimdienst versagte. Die Art und Weise, wie sanft die Wende 1989 für das polnische Innenministerium verlief, ist der beste Beleg dafür, dass dieser nicht versagte.

3.3 Die Beziehungen der funkelektronischen Aufklärung und der Abteilungen für spezielle Technik 3.3.1 Grundsätze der Kooperation Die bilaterale Kooperation der Einheiten, die nur als Dienstleister für die Aufklärung bzw. die Spionageabwehr zu fungieren hatten, spielte sich auf drei Ebenen ab. Auf der ersten Ebene befasste man sich mit eigenständigen gemeinsamen Projekten, und zwar unabhängig von den laufenden Vorgängen der HV A bzw. der HA II und deren polnischen Pendants. Das gilt grundsätzlich für die Tätigkeit der funkelektronischen Aufklärung und der Abwehr. Laut internen Richtlinien sollte man in gemeinsamen Operationen aufklären, welche Verbindungskanäle

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die Geheimdienste der NATO-Staaten nutzen, wie sie verschlüsselt sind und, ganz entscheidend, welche Informationen sich daraus gewinnen lassen. Anders gesagt, die vorrangige Aufgabe der beiden Funkaufklärungsdienste bestand darin, fremde Verschlüsselungssysteme aufzubrechen. Vorgänge dieser Art waren zwar am wichtigsten, aber auch am seltensten, auch weil das eventuell erlangte Wissen enorme Vorteile für den jeweiligen Dienst bringen konnte. Auf der zweiten Ebene ging es um den Schutz der eigenen bilateral angelegten Verbindungssysteme, nicht nur mithilfe spezieller kryptologischer Verschlüsselungsmethoden, sondern auch durch eine rein gerätetechnische Sicherung mit Sonderfunkgeräten, abhörsicheren Leitungen usw. Auf dieser Ebene war die Kooperation nicht nur am besten entwickelt, hier arbeitete man auch geheimdienstlich grenzübergreifend. Der Schutz vor Abhörversuchen war aus verständlichen Gründen nicht nur für die Aufklärung, sondern auch für alle anderen Abteilungen des MSW/des MfS relevant. Auf der dritten Ebene vollzog sich die laufende Kooperation im Alltag. Hier wurden alle Routineprojekte beider Ressorts verankert, die bilateral ausgerichtet waren und die Unterstützung der technischen Abteilungen beider Seiten benötigten. Nicht nur der teilweise grenzübergreifende Charakter der technischen Kooperation trug dazu bei, dass sie sich von der üblichen Kooperation der anderen Einheiten deutlich unterschieden. Die konkreten, extrem sachbezogenen und präzisen Probleme, die solche technischen Abteilungen gemeinsam zu bewältigen hatten, führten dazu, dass in den bilateralen Beziehungen die Tendenz stark ausgeprägt war, sich ausschließlich mit dem Wesentlichen zu beschäftigen, und zwar so kompakt wie möglich. Strikter als sonst üblich war hier der Schutz der eigenen Geheimnisse zu beachten, die nicht nur operativ bedeutsam, sondern auch enorm viel wert waren, auch finanziell gesehen. Auch die Instrumente, mit denen die Echtheit der Leistung eines Bruderorgans überprüft werden konnte, waren andere. Politische Berichte konnte man verfälschen oder manipulieren. Die Interpretationen ihrer Thesen konnten außerordentlich vielfältig sein. In den technischen Abteilungen durfte das nicht vorkommen. Entweder funktionierte eine technische Lösung gut oder sie funktionierte überhaupt nicht. Nicht ohne Bedeutung ist auch ein vielleicht irrelevantes, aus der Perspektive des Verfassers aber sehr interessantes Detail. Die ersten Büromaschinen, etwa Computer mit Textprozessoren, Drucker, Faxgeräte oder elektronische Schreibmaschinen, benutzten seit den 1980er-Jahren nur die technischen Einheiten beider Ministerien, d. h. auf der polnischen Seite das Büro für Funkaufklärung, das Chiffrebüro, das Department für operative Technik bzw. für externe Beobachtung172 und auf der deutschen Seite die HA III sowie der Operativ-Technische Sektor des MfS (OTS). Setzt man das in Beziehung zu der kohärenten, klaren und ideologiefreien Sprache 172  Jan Bury: Finding Needles in a Haystack: The Eastern Bloc’s Counterintelligence Capabilities. In: International Journal of Intelligence and Counter Intelligence 4 (2012), S. 727–770, hier 728.

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der Dokumente über die Kooperation – die grundsätzlich Naturwissen­schaftler oder Techniker betrieben: Physiker, Informatiker, Mathematiker, Ingenieure aller Fächer –, so muss man sagen, dass die Hinterlassenschaft der technischen Einheiten eine der reichsten, aber auch am besten geordneten und lesbaren Archivquellen darstellt.173 Der Unterschied zu den handschriftlichen, mitunter gar nicht lesbaren oder einfach schlampig geführten Akten der anderen Abteilungen, insbesondere auf der polnischen Seite, ist überaus deutlich. Für die Aufnahme bilateraler Kontakte auf der technischen Ebene sprachen kaum andere Gründe als jene, die man für sonstige geheimdienstliche Bereiche anführen könnte. Das MfS verfügte über personelle und materielle Ressourcen, die circa zehnmal größer waren als jene, die dem MSW zur Verfügung standen.174 Was die polnische Seite anzubieten hatte, war die hohe technische Begabung ihrer Mitarbeiter, die mit knappen Mitteln ähnliche Aufgaben zu erfüllen hatten wie das MfS. Zwar hatten »die Techniker« ihre eigene Vertretung in der polnischen Residentur in Ostberlin, der »Hauptstadt der DDR«. Sie war allerdings bei der Führung des MSW nicht wohlgelitten – wegen der enormen Kosten175 ihrer Geräteausstattung. Die Führung akzeptierte in dieser Hinsicht nur eine Sparpolitik.176 Die Kooperation mit dem MfS konnte diese prekäre Lage mildern. Ebenso wichtig war Polen als Terrain, auf dem interessante Vorgänge durchgeführt werden konnten, wie sie beispielsweise in der DDR unmöglich gewesen wären. Deshalb belasteten die rein politischen Probleme im Bilateralen die technische Zusammenarbeit nicht sonderlich, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil diese auch im MfS als vorbildlich wahrgenommen wurde: In der Rangfolge der Beziehungen des MfS rangierte sie an zweiter Stelle, nach den Beziehungen zum KGB.177 Eine ähnliche Bewertung der geheimdienstlichen Kooperation zwischen der DDR und der VRP wurde bereits aus den Unterlagen der HA II zitiert. Der Alltag dieser Kooperation gestaltete sich keineswegs vorbildlich. War das auch im technischen Bereich der Fall? Wie immer muss eine adäquate Antwort auf eine solche Frage vieldeutig sein. Tatsache ist, dass die technische Kooperation einen der am stärksten regulierten Aspekte der multilateralen Kontakte innerhalb des Warschauer Paktes darstellte. Für Funkaufklärung war der sogenannte Apparat der Koordination zuständig. In seinem Rahmen wurde die Arbeitssprache ausgewählt, wurden die Regeln der einheitlichen Kontrolle des Äthers sowie die gegenseitige Unterstützung bei der Ortung feindlicher Funkstellen bzw.

173  Siehe BStU, MfS, OTS Nr. 623. 174  Allein in den technischen Abteilungen der HV A arbeiteten über 500 Offiziere. Horst Müller (Hg.): Die Industriespionage der DDR. Berlin 2008, S. 14. 175  Interne Korrespondenz des MSW dazu: IPN BU 1585/14207, S. 10. 176  Kamiński; Persak; Gieseke: Handbuch, S. 297. 177  Zitat aus dem polnischen Bericht über die Zusammenarbeit der Chiffredienste aus dem Jahr 1982: IPN BU 01368/27, S. 42.

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illegaler Residenturen festgelegt.178 Mehr noch, auch die konkreten Formen und Methoden der regelmäßigen multilateralen Konsultationen wurden bestimmt, ebenso die Grundsätze der Koordination der eigenen Forschungsprojekte, zu der die Dienste verpflichtet waren. Auf der bilateralen Ebene sind die Vorschriften allerdings als fiktiv anzusehen. Man unterließ es nicht nur, einander über neue Informationen in Kenntnis zu setzen, man ignorierte auch eine Vereinbarung, nach der alle anderen Dienste des Warschauer Vertrages vollständig über den gesamten Konstruktionsprozess eines Gerätes zu informieren waren, sollte dieses von allen verwendet werden. Nicht zufällig wurde die polnische Seite über den in diesem Kapitel bereits erwähnten Vorgang »Brücke« (der von der HA III in Gang gesetzt worden war) erst informiert, als das den Interessen des MfS entgegenkam und nicht nur gemäß einer Vereinbarung, an die sich der Partner auch nicht hielt. Der »Apparat« wurde vom MSW nur dann genutzt, wenn es ein DDR-Gerät auf einem anderen Weg nicht beschaffen konnte oder durfte. Viele Informationen darüber, dass die realen Kontakte der technischen Abteilungen nicht immer als besonders dynamisch einzuschätzen waren, liefert wie üblich die Statistik. Allein die HA III generierte pro Jahr circa 55 000 Ausgangs­ informationen aller Art. Nur 1 999 davon wurden dem polnischen Innenministerium übermittelt, nur wenige mehr – 2 229 – dem KGB.179 Das ist einerseits nicht viel, auch wenn sich schwer sagen lässt, was eigentlich »Information« bedeutet. Es konnte die dekodierte Meldung eines fremden Dienstes sein, aber auch nur der Hinweis, dass von Polen aus ein kodiertes Signal in die Bundesrepublik gesandt worden war. Andererseits war für die Aufklärung wie für die technische Abteilung jeder Hinweis von großer Bedeutung. Man tauschte sowohl die internen Bulletins der wissenschaftlichen Unterabteilungen der HV A und des Ersten Departments aus180 als auch konkrete Tipps zur operativen Einsatztechnik. Dabei konnte es um neue Modelle von Türschlössern gehen, die in Westeuropa angeboten wurden, oder um ebenso neue Werkzeuge, mit denen sich solche Schlösser öffnen ließen bzw. um neue Kopiergeräte zur schnellen Herstellung von Schlüsselkopien. Interessant ist, dass in der Korrespondenz nie eine Sprache verwendet wurde, die auf Diebstahl schließen ließ. Niemals wurde das Wort »Dietrich« benutzt. Man sprach über konkrete Geräte, etwa über Sperrhaken181 bzw. über Werkzeuge, mit denen man Türen öffnen konnte. Quantitativ gesehen war die technische Zusammenarbeit, wie die Kontakte in Aufklärung und Abwehr auch, ziemlich begrenzt. In den 178  BStU, MfS, HA III Nr. 80, S. 11. 179  Andreas Schmidt: Hauptabteilung III. Funkaufklärung und Abwehr (BStU, MfSHandbuch). Berlin 2010, S. 101. 180  BStU, MfS, Abt. X Nr. 351, S. 3. 181  Ähnlich war das auch bei anderen Problemen. Man sprach nicht darüber, dass mittels Analyse der elektromagnetischen Strahlung von Rechnern oder Chiffriergeräten Informationen abgefangen werden konnten. Stattdessen sprach man von »Informationsflüchtigkeit« (ulot informacji). IPN BU 0551/7, S. 1.

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Wochenberichten der 4. Abteilung des Ersten Departments, die für den Austausch wissenschaftlich-technischer Informationen mit den Bruderorganen zuständig war, kam das MfS sehr selten bzw. überhaupt nicht vor oder es signalisierte lediglich seinen Informationsbedarf, vorzugsweise zu EDV-Geräten.182 3.3.2 Die formellen Kontakte auf der Leitungsebene Wie in den anderen geheimdienstlichen Arbeitsbereichen blieb auch im Bereich Technik die routinemäßige Arbeitsberatung das wichtigste Kooperationsinstrument. Auf der Leitungsebene befasste man sich vor allem mit den Funktionen und dem Schutz des gemeinsamen geheimen Kommunikationssystems auf der Regierungsebene, damit, wie es funktionierte oder was verbessert werden musste. Die Leiter waren auch für die Information des Partners im Falle einer Änderung von Grunddaten zuständig, wie zum Beispiel bei einem Verzicht auf die Nutzung bestimmter Frequenzen. In den Beratungen wurden auch neue Arbeitskonzepte vorgestellt. Als Beispiel sei die Idee genannt, neue Versionen der Standardcodes, die man im Warschauer Pakt oder in den verschiedenen Außenhandelszen­ tralen nutzte, einzuführen, etwa Sputnik-2 bzw. Delfin-5.183 Analysiert wurde auch, wie die internen Regierungsnetze weiterentwickelt werden sollten, welche Hochfrequenztelefone als sicher eingestuft werden konnten, wie modern die Absicherung der UKW-Funkgeräte war, wie die Informationssicherheit in der Feldkommunikation zu gewährleisten war, etwa im Grenzgebiet, bzw. wie man am besten die gemeinsam benutzten Geräte warten und konservieren könnte. Was also unterschied diese Beratungen von jenen, bei denen sich beispielsweise Mitarbeiter der Abwehr trafen? Zum Ersten ihre Häufigkeit. Die Techniker trafen sich selten, nur etwa ein Mal im Jahr184, was die Abteilungsleiter angeht, und im Notfall ein Mal im Quartal.185 Zum Zweiten war es fast unmöglich, dabei nichtsachbezogene Themen anzusprechen, etwa die Politik – nur gelegentlich lauschte man den altbekannten propagandistischen Phrasen. Zum Dritten beschränkte man sich in den Protokollen auf ein Minimum an Informationen über den Standard der Unterkunft und der Verpflegung, über das Begleitprogramm usw., was 182  IPN BU 02447/89/CD 1, S. 17. Dazu einige Beispiele. Pro Woche konnte die polnische Aufklärung nur an eine polnische Forschungseinrichtung bis zu 11 streng geheime Unterlagen schicken. Und pro Woche bekamen andere befreundete Dienste ca. 10 und mehr Elemente sehr teurer Dokumentationen, deren legaler Kauf auf dem Markt mehrere Hunderttausend USDollar gekostet hätte. Und das MfS? Es schickte pro Monat ca. 5 Informationen. Damit nahm das MfS einen Platz am Ende der Liste der Kooperationspartner der polnischen Aufklärung ein, und vice versa. 183  BStU, MfS, Abt. X Nr. 353, S. 6. 184  Kooperationspläne aus den 1970er- und 1980er-Jahren: BStU, MfS, HA PS Nr. 9982, S. 6; BStU, MfS, Abt. X Nr. 663, S. 6. 185  Beispiele: BStU, MfS, Abt. X Nr. 664, S. 10.

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in den anderen Abteilungen kaum vorstellbar gewesen wäre. Mehr noch, einige Delegationen verzichteten absichtlich auf protokollarische Besuche bei Vorgesetzten auf der Ministerebene des Gastdienstes, wenn sie feststellten, dass nicht alle Sachthemen erörtert worden waren.186 Was beispielsweise war wichtiger als ein Besuch bei Mielke? Der Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der Fotooptik, der Präzisionsmechanik, der Sonderchemie, der mechanischen Schließtechnik, der Präparierung von Dokumenten oder der Phonoskopie. Ebenso relevant waren Schlussfolgerungen aus den Beratungen, die sich im Laufe der Zeit bewährten, im Gegensatz zu den Reden Mielkes, denen zuzuhören einige Techniker aus Polen sich verständlicherweise nicht zumuten wollten. Im gesamten Zeitraum der 1980er-Jahre äußerten Vertreter beider Dienste immer wieder, der IT-Branche keine überdimensionale Aufmerksamkeit schenken zu wollen. Sie könne neue Bedrohungen heraufbeschwören, etwa die Möglichkeit, auf der Grundlage der von Rechnern emittierten elektromagnetischen Felder relativ einfach die auf diesen gespeicherten Daten zu erschließen. Es verging fast kein Jahr ohne die Diskussion entsprechender Gegenmaßnahmen, etwa der Anwendung spezieller Kabinen, die solche Felder unterdrücken (sie trugen den seltsamen Namen »Aurora«), oder anderer Mittel.187 Trotzdem wiederholte man auch immer wieder, dass der Entwicklung der Informationstechnik zwangsläufig etwas entgegengesetzt werden müsse. Man war sich klar darüber, dass die Nutzung der Rechentechnik zukünftig nicht die einzige Methode der Geheimdienste sein dürfe, denn das habe zur Folge, dass man in der Abwehr wieder zu archaischen, traditionellen Methoden in der Informationsübermittlung zurückkehren müsse, etwa über Kurzwelle oder tote Briefkästen, und zwar aus einem einfachen Grund: Diese würden immer wieder schwerer zu entdecken sein als die bestverschlüsselte IT-Kommunikation. Erlaubt der hier präsentierte umfangreiche, bilateral behandelte Themenkatalog die These, dass auch im Bereich der Funkaufklärung bzw. der speziellen Technik permanent Misstrauen herrschte? Ja. Und das mitunter sogar in höherem Maße als in den anderen Hauptabteilungen. Erstens waren die konkreten Voraussetzungen, die aus DDR-Sicht in den Begegnungen zu berücksichtigen waren, außerordentlich restriktiv. Und es ging dabei nicht nur um allgemein bekannte rein bürokratische Verfahren wie etwa die Tatsache, dass die Abteilungsleiter das Beratungsprogramm genehmigen mussten, vom Jahresplan für die Kooperation, den auf der DDR-Seite Mielke persönlich bestätigen musste, ganz zu schweigen. Das war noch nicht alles. Die HA III hatte vor jeder Beratung intern zu klären, welche konkreten technischen Lösungen sie dem polnischen Partner vorstellen durfte und welche nicht, welche Rechte sie hatte, was nur die Minister besprechen 186  Bericht über den Aufenthalt einer Delegation der Abteilung Kriminalistik des MSW in der DDR [1985]; IPN BU 1586/15322, S. 7. 187  Vorgehenskonzeption für das Arbeitstreffen mit dem MdI der VRP am 19.7.1988; BStU, MfS, HA III Nr. 541, S. 171.

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würden und nicht die HA III oder wie bestimmte Fragen der polnischen Seite beantwortet werden sollten. So war es untersagt, über die allgemeinen Systeme des eigenen elektronischen Kampfes mit dem Gegner (ELOKA) zu sprechen, und zwar auch deshalb, weil einige gegen Polen eingesetzt wurden. Diese die Kooperation erheblich beeinflussenden Verhaltensregeln galten bis 1989.188 Dazu einige Beispiele. In den 1980er-Jahren sprach der KGB in den bilateralen Beratungen mit dem MfS in der Sektion Elektronik jährlich etwa 40 neue Themen an. Das MfS stellte 31 neue Themen vor. Außerdem realisierte man fünf Projekte gemeinsam. Was aber waren denn damals eigentlich »Themen«? Das konnte etwa ein interessantes Gerät sein, an das man in Westeuropa herangekommen war, ein neuer Radiosender, oder es waren Probleme, die bei der Arbeit mit einem bestimmten Transistor entstanden. In demselben Zeitraum bot das Innenministerium der Tschechoslowakei dem Geheimdienst der DDR 15 ähnliche Themen an und erhielt von diesem weitere 20. Und man verfolgte 11 gemeinsame Projekte. Und das polnische MSW? Es nannte 12 Themen, das MfS 22. Bilaterale Projekte gab es jedoch nicht.189 Es gab sie zwar in den Bereichen Sonderchemie und Verschlüsselung von Dokumenten, allerdings blieb ihre Anzahl eine der niedrigsten im Vergleich zum bilateralen Durchschnitt in den Staaten des Warschauer Paktes. Auch das MfS selbst bezeichnete in internen Unterlagen die Kooperation mit dem MSW als sehr nützlich, aber nur für den Informations- und Erfahrungsaustausch. Das war etwas anderes als die Durchführung gemeinsamer Projekte. Man muss jedoch betonen, dass für das MfS nicht nur in der bilateralen, sondern auch in der multilateralen Kooperation der restriktive Schutz der eigenen Interessen eine bedeutsame Rolle spielte. Gemäß ihren internen Richtlinien waren Informationen der HA III über die eigenen neu konzipierten Projekte mit dem Vorbehalt versehen, dass daraus keine Verpflichtung abgeleitet werden durfte, sie einem befreundeten Dienst zugänglich zu machen. Ebenso zurückhaltend mussten Fragen nach dem Vertrieb von Innovationen beantwortet werden.190 Wenn in bilateralen Gesprächen oder auch in Schulungen taktische Probleme der Funkabwehr erörtert wurden, durfte die DDR-Seite nur über die Verwendung jener Geräte sprechen, von denen man wusste, dass sie dem MSW bekannt waren. Über die Projekte der reinen Funkaufklärung der HV A und die dabei benutzte Apparatur hingegen durfte nicht gesprochen werden.191

188  HA III, Leiter, Schreiben vom 10.2.1989; BStU, MfS, HA III Nr. 15307, S. 80. 189  BStU, MfS, Sekretariat Schwanitz Nr. 327, S. 81. 190  Gesprächsthesen für eine Beratung in Warschau [Juli 1983]; BStU, MfS, HA III Nr. 266, S. 273. 191  Hinweise zum Gespräch mit Gen. Oberst Zabawski; BStU, MfS, HA III Nr. 8, S. 143.

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3.3.3 Die operative Zusammenarbeit – Beispiele Nicht nur auf der formalen Ebene, sondern vor allem im geheimdienstlichen Alltag hatte man die Interessen seines Ministeriums zu wahren und zu schützen. Dies prägte die wichtigste und, wie bereits erwähnt, seltenste Art der Kontakte: die gemeinsamen operativen Vorgänge. Nicht nur wegen des Interessenschutzes gab es sie außerordentlich selten. Allerdings kam es auch vor, dass man sie gerade wegen eines bilateralen Konfliktes in Angriff nahm. Als Beispiel sollen die Ereignisse aus dem Jahr 1981 erwähnt werden. In einer für die VRP politisch sehr schwierigen Zeit, in der erste Vorbereitungen für die Einführung des Kriegsrechts getroffen wurden, erteilte das polnische Ministerium für Fernmeldewesen der US-Botschaft auf Antrag die Genehmigung, eigene Anlagen für Satellitenverbindungen zu errichten. Die Leitung des MfS war empört. Sie behauptete mit Fug und Recht, dass die CIA mit diesen Anlagen eine neue, nahezu abhörsichere Möglichkeit erhielt, mit ihren IM zu kommunizieren. Die Vorwürfe des MfS wurden sogar auf der Ministerebene vorgebracht, und zwar in Mielkes üblicher arroganter Sprache. Die Antwort der polnischen Seite war alles andere als typisch und entsprach nicht der sonst vertretenen politischen Haltung, dem MfS zu sagen, was es zu hören begehrte. In der Tat räumten die Vertreter des MSW ein, einen Fehler begangen zu haben. Dem MfS wurde versichert, dass man Ermittlungen einleiten werde und die Verantwortlichen bestraft würden. Die Genehmigung, so die Verantwortlichen der Funkabwehr, sei erteilt worden, ohne das MSW vorher zu informieren. Nach Einschätzung der polnischen Seite hatten dabei auch feindliche Kräfte im polnischen Außenministerium mitgemischt, die jedoch operativ bearbeitet werden sollten.192 Man bekannte auch, dass man weder über Mittel noch Kräfte verfüge, die Satellitenverbindungen zu kontrollieren. Hatte das MSW dem MfS alles gesagt? Entsprach das, was gesagt worden war, der Wahrheit? Keineswegs, wie neueste Forschungen belegen.193 Die amerikanische Seite hatte verständlicherweise nicht die Absicht, die genehmigten Frequenzen zu nutzen – die Wahrscheinlichkeit, dass sie beobachtet und von der Abwehr kontrolliert würden, war zu groß. Die Genehmigung des Ministeriums für Fernmeldewesen, also der Behörde, in der angeblich feindliche Kräfte am Werk gewesen waren, war zufälligerweise so unpräzise formuliert, dass sie aus technischer Sicht bedeutungslos blieb. Ihr Ziel war es nicht, die Verbindungskanäle der US-Botschaft zu verbessern, sondern polnische funkelektronische Abwehrmaßnahmen nicht zu gefährden.194 Immerhin war die offizielle Situation 192  BStU, MfS, HA III Nr. 10826, S. 8. 193  Jan Bury: Operation Lotos: An Unsuccessful Attempt on U. S. Government Communications. In: Cryptologia 1 (2010), S. 60–87, hier 60. 194  Polnische Geheimdienstler, die nach 1989 eingestellt wurden und früher in der demokratischen Opposition aktiv waren, behaupteten nach 2000 sogar, das Innenministerium habe alle Kommunikationsverbindungen der US-Botschaft in Warschau kontrollieren können. Diese

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Grund genug, der DDR-Seite die gemeinsame Überwachung der amerikanischen Satellitenverbindungen in Warschau vorzuschlagen. Der entsprechende Vorgang lief im MfS unter dem Decknamen »Wolke«195 und im MSW unter »Lotos« sowie »Kalina« und wurde bis zur Wende geführt. Seine konkreten Phasen wurden mit römischen Zahlen gekennzeichnet, etwa »Wolke II« oder »Wolke III«. Bemerkenswert ist, dass »Wolke« ohne diese Kennzeichnung auch für die Operationen der HA III gegen staatliche polnische Institutionen benutzt wurde, die das MfS 1980 abhörte.196 Tatsache bleibt, dass einige polnische IM, die im Bereich der Satellitentechnik tätig waren (und nicht das MfS) dem MSW geraten hatten, die US-Botschaft im Hinblick auf diese Technik zu beobachten. Die Beschwerde des MfS kam also zum richtigen Zeitpunkt und kann als eine Art Gegenschlag in den bilateralen Beziehungen interpretiert werden. Wenn das MfS mit einem bestimmten Schritt der polnischen Seite nicht einverstanden war, konnte es die feindlichen Aktivitäten an Ort und Stelle allein verfolgen. Abgesehen davon, was offiziell gesagt wurde und welche Gründe man auch vorbrachte, hatten beide Parteien Interesse daran, eine Kooperation in Gang zu setzen, und es ist klar, dass aus rein operativer Sicht die US-Botschaft in Warschau ein sehr interessantes Objekt darstellte. Die wichtigsten Funkstationen der USA und der NATO waren in der Bundesrepublik zu finden. Sie gewährleisteten die Verbindung zu den CIA-Niederlassungen in Osteuropa. Ein Verschlüsselungs- bzw. Kommunikationssystem zu knacken, war also für die eigene Aufklärungsarbeit enorm wichtig. Dies hatte maßgeblichen Einfluss auf die Erteilung der Zusage des MfS, mit dem MSW zusammenzuarbeiten.197 Was bot das polnische Ministerium an? Vor allem Orte, an denen Abhörgeräte installiert werden konnten. Das waren sowohl Wohnungen in Botschaftsnähe als auch Funkortungsstationen außerhalb der Stadt, die mit Geräten aus der DDR nachgerüstet werden konnten. Rund um die Uhr analysierten acht für circa acht bis zehn Wochen nach Polen abkommandierte Mitarbeiter des MfS alle empfangenen und gesendeten Informationsströme der Botschaft, unabhängig davon, ob diese verschlüsselt waren oder nicht.198 Sie bewerteten auch die dabei benutzten Chiffren und andere Sicherheitstechniken, um sie dann mit ihren eigenen Erkenntnissen zu vergleichen.

These lässt sich jedoch, wie alle anderen quasi publizistischen Behauptungen, nicht bestätigen. Siehe auch Miecik: Cień Szakala, http://historia.focus.pl/swiat/cien-szakala-702 (letzter Zugriff: 2.7.2020). 195  Adams: Historical Dictionary, S. 427. 196  Jaskułowski: Przyjaźń na podsłuchu, S. 63–68, hier 64. 197  Durchführung eines Aufklärungseinsatzes im Nahfeldbereich der US-Botschaft in Warschau, HA III, Berlin 31.1.1984; BStU, MfS, HA III Nr. 10733, S. 14. 198  Aktennotiz über das Arbeitstreffen in Vorbereitung der Aktion Wolke II/1984; BStU, MfS, HA III Nr. 13867, S. 76; BStU, MfS, HA III Nr. 15070, S. 3.

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Die Vorbereitung des gesamten Vorgangs war eine Herausforderung. Man musste beispielsweise diskret elf Kisten mit Geräten in die Nähe der Botschaft liefern, sie in die konspirative Wohnung transportieren und die Geräte dann montieren. Alles war elf Tonnen schwer.199 Und nicht zu vergessen: Vor der Botschaft warteten in der Regel mehrere Hundert Personen, auch nachts, um Visaanträge zu stellen. Die Botschaft selbst war abwehrmäßig geschützt. Man setzte dort voraus, dass das Innenministerium sie abzuhören versuchte. Immerhin hinderte diese konspirative Situation die Mitarbeiter des MfS nicht daran, sich wie parteiüblich geradezu absurd und grotesk aufzuführen, was stark an kitschige Spionageromane erinnert. Beispielsweise überreichte die per Bahn inkognito anreisende MfS-Truppe den sie auf dem Bahnhof erwartenden polnischen Geheimdienstlern Nelken, genauer gesagt, zwölf pro Person.200 Nicht nur diese Groteske war im Vorgang »Wolke« relevant. Relevant war die Tatsache, dass die Mitarbeiter nicht nach Polen gekommen waren, um mit dem Innenministerium zusammenzuarbeiten, sondern um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Es ging darum, so viel wie möglich über die Verbindungssysteme in den Vertretungen der USA bzw. über die Arbeitsmethoden der CIA in Erfahrung zu bringen, am besten ohne ihre Erkenntnisse dann mit den Gastgebern teilen zu müssen. Was bedeutete der letzte Satz konkret? Die dem MSW übergebenen Arbeitsberichte über das angebliche gemeinsame Vorgehen waren unvollständig. Ergänzungen waren zwar vorgesehen, wurden aber von der Abteilung X, also aus Polen via Ostberlin, an das MSW geleitet, was die Kooperation grundsätzlich erschwerte und verzögerte, auch weil alles von Mielke signiert werden musste. Das, was der polnischen Seite mitgeteilt wurde, war mehr als banal und konnte keinesfalls als Rechtfertigung für die gemeinsame Durchführung des Vorgangs gelten. So teilte Mielke seinem polnischen Pendant Kiszczak mit, dass die HA III erst nach dem Abschluss der dritten Arbeitsperiode hatte feststellen können, dass die US-Botschaft die Grundbedingungen der polnischen Satellitenkonzession einfach ignorierte.201 Dem MSW war dies bei der Erteilung seiner Genehmigung ohnehin klar gewesen. Ebenso merkwürdig war die Mitteilung, dass das MfS die gesammelten Informationen nicht zu dechiffrieren vermochte oder dass man im Botschaftsgebäude ein internes Netz für Kabel-TV entdeckt hatte. Die HA III war aber nicht nach Warschau geschickt worden, um herauszufinden, welche Fernsehsender die US-Diplomaten am liebsten sahen. Ihr Ziel war es, die Parameter der Satellitenverbindungen der Botschaft zu ermitteln, was wegen der Schutzbedürftigkeit ihrer eigenen Projekte nicht so schnell bewerkstelligt werden konnte wie in Westberlin. Ebenso wichtig waren Informationen über den Bauplan der Warschauer Botschaft selbst, der dem der US-Vertretungen in Westberlin sehr 199  BStU, MfS, HA III Nr. 14575, S. 4. 200  BStU, MfS, HA III Nr. 10733, S. 81–83. 201  BStU, MfS, HA III Nr. 80, S. 67.

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ähnlich war. Dank dieser Informationen würde man künftig die US-Vertretungen in ganz Berlin besser überwachen können.202 Das MfS interessierte sich nicht nur für die Anlage der Räume und Korridore, sondern auch für die Anordnung der Büromöbel. Von Bedeutung war auch, intern herauszufinden, wo die Grenze seiner Möglichkeiten zur technischen Aufklärung lag. Es ging darum, diese Grenze zu verschieben, insbesondere in Bezug auf die geheimen Verbindungssysteme, die die CIA für ihre Kontakte mit ihren IM nutzte. Um das zu erreichen, bediente man sich des eigenen Systems namens »Pyramide«. Wie gestaltete sich unter den beschriebenen Umständen die Arbeit der HA III in Warschau? Das polnische Innenministerium stellte einen Betreuer. Offiziell war er Verbindungsoffizier, tatsächlich aber Aufklärer, dessen Aufgabe darin bestand, möglichst viel über die neuesten Geräte des MfS herauszufinden. Das war logisch, weil man in Polen wusste, dass die eigentlichen Arbeitsergebnisse zunächst in die Berliner Zentrale geschickt und erst nach der Bearbeitung dort dem MSW vorgelegt wurden.203 Zuerst durfte also das MfS erfahren, wie die CIA die polnischen Funknetze ausspähte. Da das MfS 1980 genauso vorging, waren die Erkenntnisse von enormer Bedeutung, auch wenn das MSW darüber informiert werden musste, wie angreifbar die polnischen Netze eigentlich waren.204 Festzustellen, wie und in welchem Maße die CIA den polnischen Äther infiltrierte, war nicht Hauptaufgabe der HA III in Warschau. Man analysierte vor allem den auf Polen bezogenen US-Funkverkehr, ortete alle mobilen und festen Sendestationen der Botschaft. Dies geschah in vollem Einvernehmen mit dem polnischen Innenministerium. Darüber hinaus und ohne Absprache wollte man sich aber Zugang zu den Computersystemen in der US-Vertretung verschaffen, auch um den Gegner zu desinformieren. Man versuchte, an den Zugangsorten präparierte Informationen zu senden, um die eigenen Eingriffe und deren Ausmaß zu tarnen. Dies war jedoch nicht so entscheidend für das bilaterale Verhältnis zwischen dem MfS und dem MSW. Entscheidend war der Kommentar zu dem Bericht über die erste Arbeitsperiode in Warschau, die im Dezember 1983 zu Ende ging. Mielkes Stellvertreter schickte diesen dem Leiter der HA III. Sein Inhalt schloss jeden Zweifel aus, worum es den Diensten der DDR ging: Die Kontakte zum MSW hatten rein gar nichts mit »Freundschaft« zu tun. Der Kommentar lautete: »Die Geheimhaltung ist auch gegen Freunde zu sichern, damit unsere Interessen nicht berührt werden. Aus diesem Grund ist der polnischen Seite keine Technik anzubieten.«205 202  Leiter der HA III an Mielke, Schreiben vom Juni 1984; BStU, MfS, HA III Nr. 266, S. 257. 203  BStU, MfS, HA III Nr. 15070, S. 7. 204  Information über den Verlauf der Operation: Vorgang: Wolke II, [24.11.1983]; BStU, MfS, HA III Nr. 10826, S. 106. 205  Stellvertreter des Ministers an Leiter der HA III, Schreiben vom 15.12.1983; ebenda, S. 125.

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Wie konnte das MSW darauf reagieren? Auf ganz unterschiedliche Weise. Man bemühte sich, für die HA III möglichst schwierige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die konspirative Wohnung in Botschaftsnähe war nur 16 m2 groß – für 11 Tonnen Equipment sehr klein. Sie musste vollständig abgedunkelt werden, was natürlich den Verdacht des extern geschulten Sicherheitspersonals der Botschaft erregen konnte. Außerdem war sie nur 300 Meter von der US-Vertretung entfernt, was zwangsläufig zu einer Enttarnung führen konnte. Wegen des Betriebes der alten, schweren Geräte stieg die durchschnittliche Temperatur in der Wohnung im Winter auf über 30 Grad Celsius. Da sie auch nicht gut isoliert war, bildete sie eine Art Hotspot, der mit einfachsten Infrarotgeräten sofort entdeckt werden konnte. Allerdings brauchten die Mitarbeiter der US-Abwehr206 die Temperatur der umliegenden Wohnhäuser nicht zu messen, denn die außerordentlich häufigen Stromausfälle in diesen Gebäuden konnten ihrer Aufmerksamkeit, insbesondere im Winter, kaum entgehen. Die Geräte des MfS verbrauchten viel Strom, dafür war die interne Hausleitung nicht ausgelegt. Stromausfälle waren unvermeidbar. Und wer war für die Reparatur der Leitungen zuständig? Die HA III, die deshalb jedes Mal die Beobachtung unterbrechen bzw. einschränken musste. Außerdem legten einige Stasi-Mitarbeiter ein außerordentlich naives Verhalten an den Tag, was die Grundregeln der Konspiration anging und von der Leitung des MfS später in internen Bewertungen auch eingestanden werden musste. Der Verfasser wird hier die Thesen ehemaliger polnischer Geheimdienstler nicht kommentieren, die im Gespräch mit ihm behaupteten, alle Bewohner der jeweiligen Häuser hätten entweder als IM oder zumindest als Kontaktpersonen des MSW fungiert. Das kann, muss aber nicht der Fall gewesen sein. Wichtiger sind zwei allein von der Stasi registrierte Fakten. Einige Offiziere des MfS machten während der Arbeit außerordentlich viel Lärm, was die Aufmerksamkeit Dritter wecken musste.207 Das hätte man vermeiden können. Das Innenministerium hatte mit dem Lärm nichts zu tun. Völlig anders waren die Fälle gelagert, in denen sich Mitarbeiter der HA III in Warschau mit Prostituierten trafen. Dies zog Disziplinarverfahren für die Betroffenen nach sich, verbunden mit einem Reiseverbot für das Ausland.208 Dadurch wollte man das Risiko einer Enttarnung der Operation »Wolke« minimieren. Ebenso verständlich sind sicherheitsrelevante Bedenken des MfS in Warschau. Man war beispielsweise dagegen, die Abhörgeräte in neben der Botschaft geparkten Pkw zu montieren oder künstliche Ereignisse zu arrangieren, etwa Baustellen, um dort Abhörsysteme in Baufahrzeugen anzubringen. Warum aber akzeptierte man die aus operativer Sicht nicht unbedingt günstige Wohnung? Vermutlich, um die eigenen Ziele zu tarnen. Sollte eine solche Wohnung entdeckt werden, würde offiziell vor allem das MSW beschuldigt, die Botschaft auszuspä206  Pleskot: Dyplomata, S. 154. 207  BStU, MfS, HA III Nr. 10733, S. 185. 208  Ebenda, S. 160.

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hen, und nicht das MfS. Immerhin wurden andere Regeln der Geheimhaltung, insbesondere beim Abschluss des Projektes, von der Stasi deutlich verschärft. Man transportierte die Geräte mit einer gesonderten Wagenkolonne von Polen in die DDR. Alle Wagen hatten polnische Kennzeichen. Zeit und Ort der Änderung dieser Kennzeichen auf dem Gebiet der DDR waren genau festgelegt; es wurde außerdem aufgelistet, wie viele Kilogramm Gurken und andere Lebensmittel und wie viele Bierflaschen die polnischen Begleiter der Kolonne unterwegs gegessen bzw. getrunken hatten. Das symbolische Ende der Operation »Wolke« markieren zwei Schreiben, ein internes und ein externes, beide im MfS verfasst und ohne Zusammenhang mit dem tatsächlichen Abschluss des Vorgangs. Das erste stammt bereits aus dem Jahr 1984. Im Juni jenes Jahres stellten die zuständigen Techniker des MfS fest, dass sie alle Informationen gewonnen hatten, die sie hatten gewinnen wollen, und dementsprechend eine Fortsetzung des Vorgangs keinen Sinn haben werde.209 Die Arbeit wurde jedoch fortgesetzt, allerdings als Konsequenz einer politischen Entscheidung, die gewiss auch das zweite Schreiben beeinflusste. Ein derartiges Schreiben wurde regelmäßig etwa einen Monat nach Abschluss einer Arbeitsperiode von der HA III in Polen vorbereitet und dem KGB übermittelt. Man informierte den sowjetischen Geheimdienst darüber, zu welchen Ergebnissen die Abhörmaßnahmen geführt hatten, wie man die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen einschätzte und wann geheimdienstliche Konsultationen beider Dienste stattfinden könnten, in denen der Vorgang »Wolke« zu besprechen sein werde, insbesondere die gewonnenen Erkenntnisse.210 Das MSW wurde zwar über den Schriftwechsel nicht informiert, es wurde jedoch vom KGB direkt angesprochen, über das Thema zu beraten.211 – Bilateral, versteht sich. Wäre es nicht einfacher gewesen, multilaterale Konsultationen anzusetzen? Durchaus. Aber dann hätte man sich einer guten Möglichkeit beraubt, die Arbeit beider Ministerien verhältnismäßig objektiv zu analysieren und zu vergleichen. Auf jeden Fall kam hier auch das Misstrauen des KGB gegenüber dem MfS ins Spiel.212 Abgesehen davon pflegte das polnische Innenministerium immer eine Festveranstaltung vorzubereiten, bei welcher der Leiter der HA III dem stellvertretenden polnischen Innenminister persönlich die Ergebnisse der Operation »Wolke« vortragen durfte. Im Dezember 209  BStU, MfS, HA III Nr. 10800, S. 343. 210  BStU, MfS, HA III Nr. 80, S. 65. 211  Bury: Operation Lotos, S. 74. 212  Ehemalige Mitarbeiter der polnischen Spionageabwehr haben im Gespräch mit dem Verfasser nicht nur darauf hingewiesen, dass die Wohnung für die Operation in technischer Hinsicht ungeeignet war bzw. dass die Botschaft ständig auch von anderen Orten aus abgehört wurde, und zwar ohne Wissen der HA III. Nach ihrer Einschätzung konnte das MfS eine solche Operation ohne Genehmigung des KGB nicht allein initiieren. Immerhin hatten die sowjetischen Dienste genug Möglichkeiten, die US-Botschaft in Warschau abzuhören, zumal sie weder eine Genehmigung noch Hilfe benötigten.

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1983 wurde offiziell beschlossen, die Operation fortzusetzen, aber ohne dass man einen festen Abschlusstermin bestimmt hätte. Wie bereits dargestellt, hatte das MfS nur sechs Monate später seine Aufgaben erledigt. Auch die polnischen Reaktionen zeigten, dass der Vorgang zeitlich grundsätzlich begrenzt werden sollte. Man war ziemlich schnell bereit, die Vorschläge der DDR-Seite aufzugreifen, die sich auf das Grundsätzliche in der Operation bezogen. Beispielsweise verzichtete man darauf, in unmittelbarer Nähe der Botschaft funkoperativ tätig zu werden, weil eine solche Tätigkeit von der Funkabwehr anderer diplomatischer Vertretungen analysiert werden konnte.213 Während der Operation hatte das MfS auch darauf hingewiesen, dass einige neugegründete polnische Privatunternehmen Aufträge westlicher Geheimdienste ausführten. Es handelte sich vor allem um Firmen, die in Polen drahtlose Telefonnetze verkauften, als Alternative zur unterentwickelten »klassischen« Telefonie. Das geschah mit dem Ziel der Tarnung für die Funkaufklärung der westlichen Dienste in Polen.214 Der polnischen Funkaufklärung war dies jedoch recht gut bekannt. Und in der Tat befanden sich die für das MSW wichtigsten Abhörpunkte in deutlicher Entfernung vom Warschauer Diplomatenviertel. Es bleibt aber eine Tatsache, dass die bilateralen Kontakte am geeignetsten waren, die je eigenen Ressourcen geheim zu halten. Insofern waren multilaterale Kontakte nur dann akzeptabel, wenn sie die eigenen Interessen nicht berührten und die Möglichkeiten der anderen Dienste offenlegten. Wer war damit gemeint? In erster Linie der KGB. Ende der 1980er-Jahre wurde zum Beispiel eine trilaterale Kooperation initiiert. Der Grund dafür war, dass die sowjetischen Streitkräfte in der DDR und in der VRP ziemlich häufig von westlichen Diensten aufgeklärt wurden. Mit Spezialflugzeugen kontrollierte man deshalb gemeinsam das unmittelbare Umfeld (etwa Wälder) sowjetischer Militärobjekte. Man suchte nach automatischen Funk- und Aufklärungsgeräten, mit denen militärisch relevante Dateien gesammelt und dann via Satellit weitergeleitet wurden. Aus technischer Sicht war die Operation für das MSW und das MfS sehr interessant, keine der eigenen geheimen Angelegenheiten kam dabei ans Licht. – Deshalb verlief sie konfliktfrei. In den bilateralen Beratungen äußerte das MSW oft, dass nicht die westlichen Geheimdienste, sondern die polnische Opposition der schwierigste Gegner sei, auch bei der Funkaufklärung. Damit war vor allem die »Solidarność Walcząca«, also der radikalste Flügel der Gewerkschaften, gemeint.215 Es kann daher nicht verwundern, dass in den bilateralen Kontakten die bittersten Niederlagen des polnischen Innenministeriums, die sich mit den Aktionen dieser Gruppe verbanden, nicht erwähnt werden durften. Deren Mitgliedern war es beispielsweise 213  Siehe Gesprächsprotokoll vom Dezember 1983; BStU, MfS, HA III Nr. 266, S. 240. 214  BStU, MfS, HA III Nr. 10800, S. 18. 215  Bericht nach einer Beratung der HA VIII mit dem polnischen Büro »B« im MSW im Jahre 1988; BStU, MfS, HA VIII Nr. 8040, S. 109.

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gelungen, die interne kodierte Sprache, die sogenannte »Fosa« [Festungsgraben], des MSW zu knacken, in der konkrete und aktuelle Informationen, etwa während einer Fahndungsaktion, per Funk übermittelt wurden.216 Was wurde hingegen besonders betont? Etwa der Dank dafür, dass das MSW die Erfahrungen des MfS mit der Videoüberwachung in polnischen Städten nutzen durfte. 3.3.4 Misstrauen als Bestandteil der Kooperation Trugen die Kontakte der technischen Einheiten dazu bei, das gegenseitige Vertrauen in der bilateralen Kooperation zu vergrößern? Einerseits lautet die Antwort: Nein. Ab 1974 analysierte die HA III ohne das polnische Innenministerium zu informieren217 alle Signale, die die Aufklärungsdienste der NATO aus Polen erhielten bzw. nach Polen sandten. Auftraggeber dieser ab 1981 forcierten Analyse war die HA II. Deswegen lässt sich beispielsweise feststellen, dass von Anfang Dezember 1981 bis Ende Februar 1982 außerordentlich viele Funksendungen angeblich westlicher Agenten abgefangen wurden. Nach Einschätzung des MfS hatten damals in der VRP 16 Personen verschlüsselte Informationen an den BND und je zwei Personen solche Informationen an den britischen SIS und die CIA gesendet.218 Auch durch Archivrecherchen lassen sich diese Angaben nicht verifizieren, ebenso wenig die damit zusammenhängende Vermutung des MfS, die CIA habe drei Stunden vor Einführung des Kriegsrechts 1981 per Funk eine entsprechende Warnung aus einer der polnischen Botschaften in Westeuropa erhalten. Solche Informationen vermochten aber das bilaterale Verhältnis insofern nicht zu beeinflussen, als sie gar nicht weitergegeben wurden. Wichtiger war etwas anderes. Im technischen Bereich wurden die sonst üblichen hohlen, geradezu zynischen Reden, die Kooperation laufe einwandfrei, nicht gehalten. Der protokollarische Teil der Beratungen nahm, wie bereits erwähnt wurde, einen eher geringen Raum ein. Die Probleme wurden offener erörtert als in den anderen Bereichen der bilateralen Kooperation. Wäre zum Beispiel eine Situation wie in der Linie Spionageabwehr denkbar gewesen, in der man, als der Referent einen bereits dem MfS übergebenen Text vorlas, sagte, dass dieser Redner einfach unvorbereitet war? Nein. Aber im technischen Bereich gab es das. Weshalb? Weil die Folgen unprofessionellen Verhaltens für den Partnerdienst sofort spürbar gewesen wären. Nicht nur von der allgemeinen Vorbereitung auf bilaterale Beratungen ist hier die Rede, sondern auch davon, dass die Polen vom MfS angesprochene 216  Piotr Serwadczak: Kulisy kontrwywiadu »Solidarności Walczącej«. In: Biuletyn IPN 5–6 (2007), S. 44–57, hier 44. 217  IPN BU 1595/137, S. 18. 218  Feindliche Funkhandlungen im Zusammenhang mit der Lage in der VR Polen; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 64, S. 81.

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Themen sehr oft nicht aufgreifen wollten.219 Für alle Beteiligten waren auch solche technischen Alltagsprobleme von Bedeutung, die auch von Laien als reine Katastrophe betrachtet werden mussten, etwa die Frage, wie zuverlässig die Kommunikationsverbindungen zwischen den Regierungen waren. Wie lange musste man beispielsweise 1987, übrigens zum Erstaunen des MfS, auf eine freie bilaterale Leitung für ein einfaches Telex warten? Ganze 30 Minuten.220 Und dabei handelte es sich schließlich nicht um das unterentwickelte öffentliche polnische Telefonnetz, sondern um die wichtigsten Verbindungskanäle zwischen zwei Regierungen, die im Notfall einwandfrei und blitzschnell funktionieren mussten. Ebenso merkwürdig waren die wiederholten Bitten des MfS, insbesondere im Grenzgebiet im eigenen Funkverkehr möglichst separate Frequenzen nutzen zu können, weil die polnischen Geräte und deren Wellen angeblich den Funkverkehr der DDR lahmlegten. Bei der auch aus Sicht der allgemeinen Spionageabwehr extremsten Bitte des MfS ging es darum, während gemeinsamer Militärübungen die Verbindungen zwischen den jeweiligen Stäben endlich zu verschlüsseln, was bis zu diesem Zeitpunkt nicht immer praktiziert wurde. Neben rein betriebsbedingten Problemen mehrten sich im technischen Bereich auch Pannen allgemeiner Art. Besonders eklatant waren die Verspätungen bei der Lieferung von Ersatzteilen bzw. bei vereinbarten Präsentationen, die sich die polnische Seite leistete. Man kann darüber diskutieren, ob solche Verspätungen eine Folge der allgemeinen Verschlechterung der bilateralen Beziehungen waren, insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre.221 Wenn das MfS sein polnisches Pendant jedoch nach 1989 darauf hinweisen musste, dass auch nach der politischen Wende die in die DDR entsandten polnischen Techniker Fremdsprachen beherrschen müssten oder dass zumindest ein Dolmetscher zur Verfügung stehen müsse, sagt dies sehr viel über den Grad der Professionalität des MSW. Die Basis für die Professionalität eines Geheimdienstes bilden nicht nur gute Fachkenntnisse, sondern vor allem die Fähigkeit, die eigenen Geheimnisse schützen zu können. Die betreffenden internen Richtlinien des MfS wurden bereits erwähnt, ebenso die keineswegs redliche Praxis des gemeinsamen Handelns. Das ist jedoch nicht alles. Die wesentlichsten Einschränkungen waren in den Alltagskontakten festzustellen. Diese machten den Hauptteil der Beziehungen zwischen dem MfS und dem MSW aus und mussten deshalb auch entsprechend abgesichert werden. Dabei ging es nicht nur darum, die eigenen Erfolge für sich zu behalten, ebenso bedeutsam war, dass eine externe Bewertung der je eigenen Arbeit wegen der Geheimniskrämerei nicht infrage kam. Und solch eine Bewertung wäre beispielsweise für das MSW nicht immer angenehm gewesen. 219  BStU, MfS, HA III Nr. 541, S. 285. 220  BStU, MfS, Abt. X Nr. 743, Teil I, S. 107. 221  Im Jahr 1989 spielten dabei die politischen Umgestaltungen ohnehin eine Rolle. BStU, MfS, Abt. X Nr. 664, S. 112.

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Wie wurden die bereits erwähnten Prinzipien der Geheimhaltung implementiert? Ein Beispiel: Die polnische Spionageabwehr nahm eine verdächtige Person fest, bei der ein Rechner gefunden wurde, mit dem Nachrichten verschlüsselt werden konnten. Dem MfS wurde das mitgeteilt. Die Bitte der DDR-Seite, das Gerät in Augenschein nehmen zu dürfen, wurde jedoch abgelehnt. Warum? Die offizielle Begründung lautete: Der Rechner hat ein Sicherungssystem, das alle Daten löscht, wenn ein falsches Passwort eingegeben wird.222 Man nahm also an, dass Mitarbeiter des MfS nach Polen kommen würden, um das Gerät zu zerstören. Wenn das wirklich der Grund war, konnte das MSW eigentlich nicht überrascht sein, dass das MfS sich ihm gegenüber ebenso zurückhaltend verhielt. Es schickte ganz ähnliche Mitteilungen, etwa dass seine HA III an Geräte gekommen sei, welche die westlichen Besatzungsmächte zur Sprachverschlüsselung benutzten. Der Zugang aber wurde dem Partner in Polen verwehrt. Man kann sich also fragen, ob die beiden Ministerien überhaupt über die Geräte verfügten, über die sie einander informiert hatten. Wenn ja, warum taten sie das? Aus Hochmut oder aus Gründen des Geheimnisschutzes? Aus heutiger polnischer Sicht gibt es Belege, dass man nicht bereit war, alles zu zeigen, weil die eigenen Ressourcen im Vergleich zu denen des MfS einfach miserabel waren. Das MSW war zum Beispiel nicht imstande, mehr als 300 öffentliche Telefonzellen in Warschau gleichzeitig zu kontrollieren. Die HA III des MfS überwachte allein zwischen Westberlin und der Bundesrepublik dreimal so viele Leitungen gleichzeitig.223 Interessant ist auch eine Information an das MfS aus dem Jahr 1983. Der polnische Dienst sah damals angeblich keine Probleme, die Mobilfunknetze der ersten Generation abzuhören, also Netze, die mit der Frequenz 450 und 900 MHz arbeiteten.224 Aber nicht das MSW, sondern das MfS war in der Lage, entsprechende Abhörgeräte einzusetzen und außerdem ein eigenes verschlüsseltes Mobilfunknetz zu betreiben. Und die polnischen Techniker? Sie gaben erst vier Jahre später, also 1987, zu, dass sie die erforderlichen technologischen Kapazitäten für die Einführung der genannten Lösungen vermutlich erst im Jahr 2000 erreichen würden.225 Nicht geheime technische Lösungen standen also im Mittelpunkt der Beratungen, sondern die aus Sicht des MfS kaum zu akzeptierenden operativen Verhältnisse, die die Mitarbeiter der HA III in Polen feststellen mussten. Zur Messe in Posen gab es beispielsweise eine Warteliste. Wer die Abhörgeräte nutzen wollte, also auch jeder Funktionär des MfS, musste sich eintragen und warten, bis Geräte frei wurden. Von Flexibilität im operativen Handeln kann also nicht die Rede sein.226 Größtes Entsetzen mussten beim MfS auch andere Bitten der 222  223  224  225  226 

Falldokumentation: BStU, MfS, HA III Nr. 13867, S. 79. Schmidt: Hauptabteilung III, S. 74. Die Signaturen werden hier absichtlich nicht genannt. IPN BU 1586/15322, S. 28. Kazimierczak: Tajne, S. 101.

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polnischen Genossen hervorrufen. In den 1980er-Jahren wurden die Termine vieler Beratungen verschoben, insbesondere wenn sie in der DDR stattfinden sollten. Der Grund? Das MSW war nicht imstande, internationale Fahrkarten zu buchen und zu bezahlen. Das Ministerkabinett wandte sich also mit der Frage an die Abteilung X des MfS, ob die polnischen Teilnehmer an der Grenze abgeholt und nach Berlin gebracht werden könnten.227 Änderten solche Bitten etwas an dem Prinzip der gegenseitigen Geheimhaltung? Kaum. Bereits 1984 bat das MfS um Mitteilung, wie die polnische Funkaufklärung die Mobilfunknetze der neuen Generation abzuhören beabsichtigte, also Netze, die mit der Frequenz GSM 1 GHz arbeiteten. Das MSW schickte daraufhin ein Telegramm mit nur einem Satz: Der polnische Geheimdienst habe nicht die Kompetenz, eine solche Frage zu beantworten.228 Nicht nur die untypischen Bitten des MSW waren ein Signal für die HA III, dass der polnische Dienst offenbar nicht immer gut funktionierte. In den meisten offiziellen Gesprächen gab die polnische Seite auch klar zu verstehen, dass es etwa ständig Probleme damit gebe, die neuesten Geräte anzuschaffen, oder dass wichtige Forschungsprojekte um mehrere Jahre verschoben werden müssten. Schon 1975 offenbarte die Abteilung N im MfS, dass nach ihrer Einschätzung die in der VRP entwickelten, hergestellten und benutzten Geräte zur Tonverschlüsselung (Typ: Delta 1–3) den neuesten technologischen Anforderungen nicht entsprächen. Mehr noch, in dem polnischen Forschungsprojekt, das zum Ziel hatte, einen Fernschreiber für die bilaterale Nutzung zu entwickeln, sollte ein aus Sicht des MfS veraltetes Gerät als Baugrundlage verwendet werden. Das Gerät hatte das MfS direkt vom KGB erhalten, ehe es dem MSW bekannt wurde. Das verzögerte natürlich den Entwicklungsprozess.229 Für ihre Wartungsarbeiten in Polen musste die HA III auch ausschließlich geheime Ersatzteile verwenden, die sie aus der DDR mitbrachte. Sicherlich spielte dabei die Gefahr eine gewisse Rolle, dass einige polnische Ersatzteile auch als Wanzen hätten benutzt werden können. Aber der eigentliche Grund dafür war, dass es viele einfache Kabel oder Isoliermaterialien in Polen nicht zu kaufen gab, weil ständig Warenmangel herrschte. Ebenso kuriose Alltagsprobleme begleiteten die Arbeitskontakte, deren Ziel es war, ab 1979 die Zuverlässigkeit der polnischen Chiffrierungsgeräte »Dudek-3« oder der Funkgeräte »Pliszka« gemeinsam zu prüfen. Beide Ministerien testeten sie und tauschten die technischen Dokumentationen aus, die auch Verbesserungsvorschläge enthielten.230 Techniker des MfS besuchten, was verständlich ist, auch die volkseigenen Betriebe, die diese Geräte herstellten. Im Zusammenhang damit musste der Leiter des polnischen Chiffrebüros im MSW den Direktor des 227  228  229  230 

IPN BU 01068/29, S. 49. BStU, MfS, Abt. X Nr. 350, S. 143. BStU, MfS, Abt. N Nr. 31, Teil I, S. 86. IPN BU 01368/26, S. 200.

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Betriebes bitten, den ostdeutschen Genossen die Genehmigung zu erteilen, in der Werkskantine zu Mittag zu essen. Im MfS wurde das anders geregelt. Man schickte einfach einen Befehl, der unverzüglich ausgeführt werden musste. Das Essen war jedoch nur ein Problem. Problematischer war etwas anderes: Intern stellte man fest, dass in den polnischen Geräten immer öfter Teile, vor allem die Transistoren, wegen schlechter Qualität ausgetauscht werden mussten; am besten waren die Ersatzteile aus der DDR. Deshalb versuchte man, in die polnischen Geräte so viele Teile aus der DDR wie möglich einzubauen. Die polnischen Teile wurden vor allem verwendet, wenn das MfS adäquate Bauteile nicht selbst herstellen konnte.231 Neben der schlechten Qualität der Transistoren beklagte man die der Leiterplatten, der Kondensatoren sowie der Farbe, mit der die Geräte gestrichen waren. Trotz mehrfacher Konsultationen war auch die Kompatibilität der Geräte aus der DDR und aus Polen nicht immer gewährleistet, was sich als generelles Problem aller in der VRP hergestellten Produkte erwies. Immerhin war das MSW relativ ehrlich und gab grundsätzlich zu, dass es Qualitätsprobleme gab. Das MfS reagierte zurückhaltend, wenn aus dem MSW aus logistischer Sicht unverständliche Anfragen oder Bitten eintrafen. Man plante etwa, polnische Techniker für eine Schulung zur fachgerechten Bedienung von Perforationsmaschinen aus der DDR anzumelden. Nach Einschätzung des MfS war für die Schulung maximal eine Woche zu veranschlagen, das MSW sprach von acht Wochen. Sie fand schließlich in Polen statt und dauerte zwei Tage. Häufig kam es auch zu Unstimmigkeiten darüber, wie viele Ersatzteile das MSW dem MfS schicken sollte. In einem Extremfall bestellte das MfS 1 000 Stück, erhielt aber nur 300.232 Nicht nur Ersatzteile wurden zu spät geliefert. Die schon erwähnten Geräte »Dudek-3« waren für das MfS so interessant, dass es bereits Ende der 1970er-Jahre beabsichtigte, 150 Stück des alten (Dudek) und 100 Stück des neuen (Dudek-3) Typs zu erwerben, und zwar mit Ersatzteilen, die den Bedarf für einen Wartungszeitraum von zehn Jahren decken würden. Nach der Testphase waren die ersten Probegeräte »Dudek-3« jedoch erst 1982 einsatzfähig und ab 1985 für den täglichen Betrieb vorgesehen. Weshalb? Die Industrie konnte die Bestellungen einfach nicht realisieren. Gab es für all die Probleme tatsächlich eine sachliche Begründung oder hatte man sie nur für das MfS erfunden? Ohne Zweifel verfügten die zivilen und militärischen Geheimdienste der VRP über starke Forschungseinrichtungen, etwa mit der Militärisch-Technischen Akademie oder dem Institut für operative Technik. Andererseits nahm die Anzahl polnischer Fragen nach neuesten technischen Lösungen aus der DDR, insbesondere in den 1980er-Jahren, nicht ab. Die neuesten Verschlüsselungssysteme, die man beispielsweise ab 1987233 im 231  Ebenda, S. 238. 232  Ebenda, S. 278. 233  Deckname: »Limba«.

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MSW entwickelte, würden, so die damalige Einschätzung, erst 1992 einsatzbereit sein. Fünf Jahre bedeuten für eine neue technologische Entwicklung geradezu eine Epoche. Letztlich führte die Unzuverlässigkeit des polnischen Partners im Tagesgeschäft dazu, dass das MfS immer weniger bereit war, auf polnische Anliegen einzugehen. Insbesondere war das MSW am Erwerb der auf IBM-Rechnern basierenden Chiffriersysteme interessiert. Solcherlei Bitten lehnte das MfS aus zwei Gründen ab. Erstens wies man darauf hin, dass die Geheimhaltung dieser Geräte dann nicht mehr gewährleistet sei, was das MfS natürlich zu vermeiden suchte. Zweitens wollte das MfS keine Garantie für die Zuverlässigkeit der Geräte abgeben, abgesehen davon, dass es die meisten Bauelemente ohnehin mehr oder weniger offiziell im Westen besorgen musste. Noch im Jahr 1989 war es nicht bereit, derartige Geräte zur Verfügung zu stellen. Das Einzige, was in diesem Fall bekannt wurde, war der voraussichtliche Preis: 100 000 DDR-Mark pro Anlage.234 Auch die polnische Seite reagierte immer distanzierter. So war es schon in den 1970er-Jahren verboten, den DDR-Technikern die polnische automatische Chiffrieranlage MARKA vorzustellen, die in den diplomatischen Vertretungen Polens in Westeuropa benutzt wurde.235 Die gleiche Politik war nach internen Einschätzungen polnischer Techniker in den 1970er-Jahren auch beim MfS zu beobachten. Jedenfalls ist das die Quintessenz eines entsprechenden Reiseberichtes und nicht die Feststellung, sie seien vom Gastgeber MfS herzlich empfangen worden. Das konnte auch gar nicht anders sein. Beide Ministerien verfolgten im Grunde genommen die gleiche Politik. In der Forschung wurden die Schlüsselprojekte jeglicher Art allein durchgeführt, ohne Beratung mit dem anderen Dienst. Wies etwa ein Ministerium in einer Beratung nur allgemein darauf hin, dass es in der Kryptografie mikroelektronische Lösungen anzuwenden beabsichtigte, so wurde das Gespräch in dem Augenblick beendet, in dem nach Einzelheiten gefragt wurde, denn diese waren ein Staatsgeheimnis, über das »die Freunde« nicht informiert werden durften.236 Gab es Ausnahmen? Ja, bei Eigeninteresse. Das erwähnte System MARKA durfte der Leiter der HA III nur ein einziges Mal in Augenschein nehmen, und das nur aus protokollarischen Gründen.237 Die polnische Seite veranstaltete auch eine Art kommerzieller Präsentation. Man stellte Geräte vor, die man verkaufen wollte. Allerdings gab es auch da interne Vorbehalte zu beachten. So wurde das Gerät »Lambda«, das zur Verschlüsselung des Datenverkehrs benutzt wurde, der »geheimdienstlichen Öffentlichkeit« nicht präsentiert, obwohl es serienmäßig hergestellt wurde und die Genehmigung, es dem MfS vorzuführen, vorlag.238 234  235  236  237  238 

BStU, MfS, Abt. X Nr. 353, S. 9. IPN BU 01368/26, S. 154. IPN BU 01368/27, S. 88. IPN BU 01368/26, S. 140. IPN BU 01368/27, S. 167.

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Warum also wurde das MfS überhaupt darüber informiert, dass es so ein System gab? Nach Auskunft des stellvertretenden Leiters des polnischen »Büro A« geschah dies, um künftig eine Marktchance zu haben.239 Hätte das MfS aber tatsächlich ein Gerät gekauft, ohne es vorher gesehen zu haben? Das ist zweifelhaft. Gerade deshalb entwickelte man im technischen Bereich eine besondere Art der Kooperation; man befasste sich mit den Geräten, die man zu erwerben beabsichtigte. Wenn ein Ministerium über bessere Möglichkeiten verfügte, ein bestimmtes Gerät in Westeuropa zu bestellen, wurde es vom Partnerdienst gebeten, Rechner, Kabel, Ersatzteile usw. zu besorgen. Entweder musste dieser die Bestellung zunächst vorlegen oder er schickte seinem Partner die von ihm benötigte Ware, die er bereits früher erworben und auf Lager hatte. Standardbeispiel für dieses Verfahren war Computersoftware, die das MSW gekauft und polnischen Forschungsinstituten bereits übergeben hatte.240 Beide Ministerien hatten in diesem Bereich sehr viel anzubieten. Das MfS konnte in der Bundesrepublik sehr viele von Polen benötigte Geräte beschaffen. Deshalb besorgte es westdeutsche Bestellkataloge, in denen das MSW seinen Bedarf markierte.241 Bezahlt wurde, ganz gleich, ob es sich um Ersatzteile für Videokameras handelte oder um 100 000 Granaten mit Tränengas, in DDR-Mark. Das MfS wiederum musste die Rechnungen in DM begleichen, was derlei Transaktio­ nen äußerst ungünstig machte.242 Andererseits waren sie aber sicherer. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre kam es außerdem in Polen zur ersten kleinen IT-Revolution. Einige damals zugelassene private Kleinunternehmen befassten sich mit dem Import neuer Computersysteme aus Westeuropa, einschließlich der ersten IBM-PC. Geräte, wie üblich in Taiwan hergestellt, waren in Polen zu einem deutlich geringeren Preis erhältlich als in Westeuropa.243 Hinzu kamen andere Vorteile. Die Unternehmen arbeiteten legal und ihre Preiskataloge waren öffentlich zugänglich. Hätte das MSW, das für die Abwicklung und den Vertrieb zuständig war, den Preis erhöht, so wäre das leicht zu entdecken gewesen. Das MfS fungierte also niemals selbst als Besteller. Es zahlte in polnischer Währung. Als Gegenleistung orderte es bei volkseigenen Betrieben in der DDR Komponenten für die Technik des MSW. Ehe es eine Bestellung bearbeitete244, prüfte das MfS, ob sie seinen Interessen nicht zuwiderlief. Es kam auch vor, dass das MfS und das MSW Ersatzteile ganz offiziell gemeinsam kauften. Dadurch wurden sie billiger.245 239  IPN BU 01368/28, S. 14. 240  IPN BU 1585/2007, S. 44. 241  BStU, MfS, Abt. X Nr. 353, S. 7. 242  Siehe Rechnungen aus den 1970er-Jahren: IPN BU 1585/2005, S. 9. Eine Ausnahme bildeten die Kostenerstattungen für Geräte/Ersatzteile, die die Auslandsaufklärung erworben hatte. IPN BU 02447/89/CD 1, S. 45. 243  BStU, MfS, OTS Nr. 623. 244  IPN BU 1585/15323, S. 5. 245  IPN BU 01368/28, S. 77.

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Was wurde konkret in der DDR oder der VRP bzw. in Westeuropa besorgt? Vor allem Ersatzteile,246 professionelle Computerdrucker, mit denen chiffrierte Dokumente vervielfältigt und reproduziert werden konnten, EDV-Zubehör, Signal­verstärker, Dauermagnete bzw. Kugellager. Ebenso oft ging es um perforiertes Papier (über 10 000 Blatt), Kopierpapier, aber auch beispielsweise 40 000 Büroklammern. Die letztgenannte konkrete Bestellung wurde Ende 1981 aufgegeben und hing mit wirtschaftlichen Engpässen während der Zeit des Kriegsrechts zusammen. Ganz anders zu sehen ist die Bitte, die das polnische Innenministerium Ende November 1989 an das AfNS richtete. Es bat den Partner, der gerade um sein Überleben kämpfte, um die Lieferung von Ersatzteilen für einen Backofen, in dem man in Polen zahnärztliche Instrumente zu desinfizieren pflegte.247 Abgesehen von solchen kuriosen Fällen waren beide Ministerien grundsätzlich bereit, den jeweiligen Technikern die Teilnahme an den in den 1980er-Jahren besonders häufig stattfindenden Computermessen in Polen zu ermöglichen. Wenn das MSW seine Geräte, bei denen einige Teile aus der DDR stammten, an Drittstaaten verkaufte, fragte es zunächst das MfS, ob es mit dem Verkauf, etwa an Vietnam, einverstanden sei.248 Bedenken gab es nicht, weil die polnische Seite auch keine Einwände gegen Geschäfte der DDR dieser Art erhob. Genehmigungen wurden ebenso problemlos erteilt, wenn der KGB technische Vorschläge aus Polen akzeptiert bzw. auch übernommen hatte.249 Wie umfangreich waren solche Transaktionen? Statistisch gesehen kaufte das MfS Geräte im Wert von 7 Millionen Złoty,250 wobei 100 Złoty offiziell 6,70 DDR-Mark entsprachen.251 Bis 1980 war die bilaterale Handelsbilanz nur für das MSW positiv; es konnte sogar einen Gewinn erzielen.252 Das Kriegsrecht und die wirtschaftliche Situation Polens in der Zeit bis 1989 änderte diese Bilanz. Nicht nur, dass kein Gewinn mehr erzielt werden konnte, bis zur politischen Wende lieferte das MfS dem MSW Waren und Geräte, die aus dem internen Solidaritätsfonds bezahlt wurden. Dabei handelte es sich vor allem um Sachmittel, die für die funkelektronische Bekämpfung der Opposition benötigt wurden, etwa Antennenzubehör, Kabel verschiedenster Art, Steckdosen usw.253 Die sehr hohen Anschaffungskosten konnten auch beim MfS gespart werden, auch weil das MSW einige Geräte samt Ersatzteilen kostenlos an die DDR lieferte. Für etwa 30 Anlagen zum Lochen von Papier, auf dem Chiffreschlüssel gedruckt wurden, hätte das MfS 1978 etwa 300 000 DM bezahlen müssen, weitere 246  247  248  249  250  251  252  253 

BStU, MfS, Abt. X Nr. 352, S. 56. BStU, MfS, Abt. X Nr. 665, S. 154. BStU, MfS, Abt. X Nr. 353, S. 50. IPN BU 01368/28, S. 248. BStU, MfS, Abt. Finanzen Nr. 4603, S. 21. Auf dem Schwarzmarkt in Polen kostete bspw. 1 US $ im Jahr 1984 ca. 500 Złoty. IPN BU 1585/2007, S. 57. BStU, MfS, Abt. Finanzen Nr. 711, S. 128.

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Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (1)

100 000 DM für Ersatzteile und Wartung.254 Das war der Preis, zu dem man in den 1970er-Jahren die offiziellen bilateralen Beziehungen zu pflegen suchte. Es bleibt also eine Tatsache, dass die polnische Seite bei Bedarf kostenlos Geräte an den Partner lieferte, allerdings handelte es sich dabei um Waren, die in der VRP nicht benötigt wurden.255 Im Übrigen stellte die polnische Seite auch Anlagen zur Ortung illegaler Radiosender zur Verfügung.256 Die Grundlage für die Entscheidung im MSW, ein Gerät vom MfS zu kaufen bzw. zu leihen oder ein solches Gerät selbst zu entwickeln und herzustellen, war wirtschaftlicher Art. Wenn die Kalkulation unter Berücksichtigung der Entwicklungskosten und des künftigen Preises ergab, dass die voraussichtliche Betriebszeit des Gerätes etwa die Hälfte des für die Entwicklung eines eigenen Modells vorzusehenden Zeitraums ausmachen würde, kaufte man das Gerät. Zu bedenken war auch, ob es die Selbstständigkeit des eigenen Dienstes gewährleisten würde. So wollte man beispielsweise Maschinen kaufen, die Geheimtinte produzieren konnten. Schließlich ging es dabei um ein wichtiges Instrument der IMTätigkeit.257 Auf der anderen Seite spezialisierte sich das MfS auf die Herstellung von geheimdienstlichem Bürobedarf, den es gern verkaufen wollte. So präsentierte man dem MSW etwa Spezialpapier (Typ Hydrasol), das sich schnell in Wasser auflöste, oder Filzstifte mit nahezu fälschungssicherer Tusche, die besonders für die Stempel der Grenztruppen geeignet waren.258 Polnische Delegationen, die an den Präsentationen in der DDR teilnehmen durften, hatten nicht die Absicht, dort etwas zu kaufen. Ihre Aufgabe war es, herauszufinden, welche Technologien das MfS nutzte. Diese plante man dann zu kopieren, am besten mithilfe von Geräten bzw. Materialien, die allein in der Bundesrepublik erworben werden konnten. Besonders gefragt waren vor allem westdeutsche Spezialwerkzeuge, die zum Beispiel eine sichere Montage von Elektroden ermöglichten. Nicht nur die erkennbare Zurückhaltung des MSW, was seine Kaufabsichten bei diesen Präsentationen betraf, schädigte seinen Ruf erheblich. Auch die generelle Tendenz, Rechnungen aus Berlin so spät wie möglich zu bezahlen, trug dazu bei. So war es gängige Praxis bis 1989, als das MSW seine letzten Verbindlichkeiten beglich, selbstverständlich in bar zu zahlen. In dem konkreten Fall handelte es sich um eine sehr hohe Summe, etwa 600 000 DM, übergeben in der zweiten Novemberhälfte 1989.259 Das zeigt, wie undurchsichtig das polnische 254  IPN BU 01368/26, S. 187. 255  Ebenda, S. 123. 256  BStU, MfS, HA III Nr. 8, S. 92. 257  IPN BU 1585/2000, S. 270. 258  Jacek Woyno: Współpraca Biura »W« MSW z innymi jednostkami organizacyjnymi. In: Aparat represji w Polsce Ludowej 1944–1989 1 (2011), S. 233–245, hier 237. 259  Im Juni 1990 wurde dem Af NS noch eine weitere Tranche übergeben: 1,2 Mio. DDRMark. BStU, MfS, Abt. Finanzen Nr. 2424, S. 7. Siehe auch die polnischen Finanzberichte 1970 bis 1985: IPN BU 1619/339 u. IPN BU 1619/996.

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geheimdienstliche Finanzsystem war und welch große Summen im Kurierverkehr transferiert werden mussten.260 Aus polnischer Sicht war das alles regelkonform. Gemäß den internen Vorschriften galt solch ein Geldtransfer als sicher, da er in den Banksystemen keine Spuren hinterließ.261 Bei der Übergabe der 600 000 DM benötigte die polnische Seite lediglich eine handschriftliche Bestätigung, dass das Geld seinen Empfänger, das MfS, erreicht hatte. Die Summe umfasste auch die noch nicht beglichenen Rechnungen für die Übernachtung polnischer Delegationen in der DDR, die schon einige Jahre vorher fällig gewesen waren. Einige dienstliche DDR-Aufenthalte polnischer Geheimdienstler hatte das MfS vorläufig finanzieren müssen. Es ist aber festzuhalten, dass auch das MfS seine Rechnungen nicht immer fristgemäß bezahlen konnte. Entschuldigungen für solche Versäumnisse gab es jeweils von beiden Seiten. Es kam auch vor, dass das MfS seinem Partner fiktive Rechnungen ausstellte, sogar in Höhe von 20 000 DM.262 Dennoch könnte man aber mit vollem Recht die These aufstellen, dass das polnische Innenministerium als einer der größten Schuldner in der Geschichte des MfS zu gelten hat.263 Vor allem in den 1970er-Jahren war es eine für das MSW typische Methode, über das Protokollarische die Atmosphäre in den bilateralen Kontakten zu verbessern. Im technischen Bereich bezog sich dies zwar nur auf die Leiter der jeweiligen Einheiten, für Mielke war das jedoch Grund genug, solche Praktiken ausdrücklich zu verurteilen. Offizielle Besuche gab es selten, aber wenn es sie gab, konnten sie sogar fünf Tage dauern. Die Delegation des MfS bestand in der Regel aus einem Hauptabteilungsleiter, dessen Stellvertreter, einem Unterabteilungsleiter und dem Dolmetscher. Das Begrüßungskomitee am Warschauer Flughafen aber konnte aus dreimal so vielen Personen bestehen. Was war für den Aufenthalt geplant? Lediglich 2,5 Stunden täglich waren für die offiziellen Fachgespräche vorgesehen. Und was fand in der übrigen Zeit statt? Sektempfang unmittelbar nach der Einreise und vor der Abreise, offizielles Frühstück, Mittag- und Abendessen, Besuche in Fähnrichschulen, Besuche in volkseigenen technischen Betrieben, natürlich auch mit Empfang, ein Opernabend und ein Treffen mit dem stellvertretenden Innenminister.264 Zweifellos waren einige dieser Programmpunkte für das MfS enorm wichtig, etwa ein Besuch der Chiffrestellen, die der polnische Geheimdienst im Außenministerium betrieb, bzw. der lokalen Außenstellen des »Büro A«, das für die Postkontrolle zuständig war. Auf diese Weise konnten die Besucher etwa die ihnen bis dahin nicht bekannten Geräte sehen, auch wenn die Gastgeber sie eigentlich nicht hatten zeigen wollen. Andererseits brachten solche 260  261  S. 1. 262  263  264 

IPN BU MSW II 15361/202. Gemäß Verordnung des Innenministers Nr. 055/72 vom Juni 1972; IPN BU 1585/3989, BStU, MfS, HA III Nr. 80, S. 77. Vgl. die Schuldnerverzeichnisse von 1989; BStU, MfS, Abt. X Nr. 884, S. 2. IPN BU 01368/26, S. 139.

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Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (1)

Besuche keinen besonderen Ertrag, denn sinnvoll waren nicht die protokollarischen Besuche, sondern nur die Arbeitsbesuche im technischen Bereich. Die Berichte über diese Besuche enthielten daher auch nicht so viel Fachliches wie jene über die fachbezogenen Beratungen. Man kann dort beispielsweise lesen, wie begeistert die Delegation aus der DDR von Polen war. War das aus Sicht der Funkaufklärung relevant? Eher nicht. Auf die eigentlich wichtigen Fragen finden sich in den Berichten keine Antworten, etwa auf die Frage, wie die Gastgeber denn erklärten, warum die neueste Generation der erwähnten Geräte »Dudek« dem MfS nicht vorgestellt werden durfte. Auch wird nicht darüber berichtet, dass die polnischen Gastgeber nach dem Leitsatz verfuhren, über die wichtigsten neuen kryptografischen Projekte nur allgemein zu informieren oder die Antwort einfach zu verweigern, sollten die Mitarbeiter des MfS auf der Leitungsebene kritische Fragen stellen, etwa zur Verschlüsselung wichtiger Dokumente. Erst 1988 diskutierte man darüber. Eine gute Atmosphäre zu schaffen, konnte selbstverständlich nicht Hauptanliegen der polnischen Gastgeber sein, abgesehen davon, wie irrational einige Kommentare über die Polenbegeisterung der Delegationen aus der DDR ausfielen. Von 1975 an versuchten die offiziellen polnischen Delegationen in der DDR, so viel wie möglich über die Stärken und Schwächen der HA III in Erfahrung zu bringen. Man versuchte, die benutzten Geräte zu vergleichen – ihre Wartungsmethoden, ihre Zuverlässigkeit – oder die Materialreserven herauszufinden. Die Ressourcen des MfS wurden einerseits rational, andererseits aber auch mit einem gewissen Neid beurteilt. Man hob vor allem die bessere Ausstattung, aber auch die bessere Arbeitsorganisation hervor sowie den Realismus, mit dem die Stasi-Mitarbeiter an ihre eigenen Arbeitsthemen herangingen.265 Sehr oft dienten die nach einem DDR-Aufenthalt verfassten Berichte als Grundlage für eine scharfe interne Kritik am eigenen Ministerium. Insbesondere wünschte man sich Motivationssysteme in Form einer finanziellen Förderung für hauptamtliche Mitarbeiter. Angeblich herrschte im MSW eine Arbeitssituation, in der die Offiziere geradezu demotiviert wurden. Dies wurde der Leitung des MSW bereits 1978 schriftlich vorgetragen.266 Wie sah das Protokoll im technischen Bereich des MfS aus? Einerseits ähnelt es noch in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre dem des MSW: Kranzniederlegung, Wettkegeln, Schießwettbewerbe; all dies hat aber wenigstens etwas mehr Bezug zur Tätigkeit eines Geheimdienstes als ein Opernbesuch. Es kam auch vor, dass das MSW erst am Ende der Liste der einzuladenden Partnerdienste aufgeführt wurde, die das MfS offensichtlich für relevant hielt. Das galt vor allem für Schulungen und für die operative Zusammenarbeit. Diese war etwa mit dem Innenministerium der Tschechoslowakei deutlich enger als mit dem Polens. Beispielsweise hatte der Informationsaustausch mit dem tschechoslowakischen Dienst einen 265  Ebenda, S. 46. 266  Ebenda, S. 53.

Beziehungen funkelektronische Aufklärung – Abteilungen für spezielle Technik

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größeren Umfang als der mit dem polnischen. Für noch wichtiger hielt man Projekte, in denen man gemeinsam Satellitensignale abfing und dekodierte, die an westliche Agenten gerichtet waren.267 Im Rahmen der Operation »Wolke« war das nicht der Fall. Auch deswegen war das übliche bilaterale Praktikum in der HA III für die tschechoslowakischen Geheimdienste vorgesehen und nicht für das MSW. Das konnte auch nicht anders sein, da die Geheimdienste der Tschechoslowakei und der DDR ab 1980 gemeinsam funkelektronische Vorgänge gegen die VRP betrieben. Neben pragmatischen Argumenten, das Protokoll in der DDR einzuschränken, spielte auch die jeweils aktuelle Politik eine Rolle. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der DDR und der VRP ab 1985 musste sich auch im technischen Bereich niederschlagen. Wurden bilaterale Schulungen überhaupt noch angeboten, so bezogen sie sich bis zur politischen Wende grundsätzlich auf theoretische Themen, etwa auf die funkelektronische Taktik im UKW-Sendegebiet.268 Aus Polen kamen vier Teilnehmer. Sie bildeten die kleinste Gruppe aus dem gesamten Warschauer Pakt. Die auf dem Lehrplan stehenden praktischen Themen, etwa das Abhören drahtloser Telefongeräte, bedeuteten für die polnischen Gäste aber nichts Neues. Interessant ist, dass man für die polnischen Teilnehmer keinerlei Kulturprogramm vorsah. Es war im Grunde genommen auch nicht nötig, ebenso wie die kleinen Souvenirs, Kugelschreiber etwa oder ein Stadtplan von Berlin im Wert von 65,00 DDR-Mark, nicht nötig waren. Am Rande sei erwähnt, dass bei einer ähnlichen Schulung für den KGB ein Ausflug nach Dresden auf dem Programm stand und alle Mahlzeiten in Restaurants und nicht in Kantinen eingenommen wurden. Der Tagessatz für die Teilnehmer betrug auch nicht 65,00 sondern 1 000 DDR-Mark.269 Diese Summen zeigen symbolisch recht gut, welcher Geheimdienst für die Politik der HA III immer wichtiger wurde. Den polnischen Dienst betrachtete man zwar als nützlichen, aber nicht zuverlässigen Partner und Lieferanten, der ständig der Hilfe und Unterstützung bedurfte. Gleichberechtigter Partner war er wirklich nie. Das galt auch vice versa: Der polnische Dienst hatte zu seinem Partner in der DDR ein ganz ähnliches Verhältnis. Das, was im bilateralen Verhältnis geschah, wurde akzeptiert. Mehr wollte man nicht. Aus internen Vermerken des MSW in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre geht klar hervor, dass eine weitere Zusammenarbeit mit der DDR-Seite nicht gewünscht wurde.270 Besondere Verluste waren deswegen nicht zu erwarten. Das, was man sagen durfte, war immer wichtig, um die eigenen Projekte entsprechend analysieren oder vergleichen zu können. Was man nicht sagen durfte, war auch klar, und in der Tat setzten beide Ministerien Zurückhaltung im bilateralen Verhältnis bewusst voraus. 267  268  269  270 

Details: BStU, MfS, HA III Nr. 13731. BStU, MfS, HA I Nr. 15307, S. 317. Ebenda, S. 188. IPN BU 01368/29, S. 18.

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Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (1)

Man arbeitete nur dort zusammen, wo man zusammenarbeiten musste.271 Beide Dienste verstanden dies. Auch deshalb war die technische Kooperation so gut wie nie Bestandteil hochpolitischer ministerieller Kontroversen. Immerhin waren die technischen Abteilungen nur Dienstleister für andere Einheiten. Außerdem schuf die eigene intakte Auslandsaufklärung und nicht die internationale Kooperation die Grundlagen für Zuverlässigkeit und Erfolg der technischen Abteilungen. So standen etwa die bilateralen Kontakte in der Arbeitsordnung des polnischen »Büro A« an der vorletzten Stelle in der Reihenfolge der wichtigen Kontakte. Die letzte Stelle besetzte die regelmäßige Wartung der Geräte.272 Wo also kam der polnische Geheimdienst an die für ihn relevanten Informationen, wo gewann er die für ihn wichtigsten Erkenntnisse? Im Westen. Die polnische Aufklärung organisierte beispielsweise für fiktive polnische Firmen Kurse in der Bundes­ republik, in dort ansässigen echten Unternehmen, Fabriken, Werkstätten usw. Die Schüler aber kamen in Wirklichkeit aus dem Innenministerium in Warschau.273

271  So haben es die polnischen kryptologischen Einheiten 1988 intern formuliert: IPN BU 01068/29, S. 12. 272  Jan Bury: From the Archives: Inside a Cold War Crypto Cell. Polish Cipher Bureau in the 1980's. In: Cryptologia 4 (2008), S. 351–367, hier 355. 273  Woyno: Współpraca, S. 245.

4. Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (2) – Innere und äußere Bedrohungen 4.1 Die Verfolgung der Opposition 4.1.1 Die Wahrnehmung des politischen Gegners durch die Sicherheitsbehörden Polens und der DDR Ohne Zweifel war die wichtigste aller Fragen die nach dem Umgang mit dem »Feind«. Laut Stasi musste er mit allen möglichen Mitteln bekämpft und möglichst ausgeschaltet werden.1 Die Leitung des polnischen Innenministeriums agierte hingegen völlig anders. Sie wollte den Gegner lediglich schwächen und manipulieren, statt ihn endgültig zu bekämpfen. Dafür verwendete sie, wenn auch nicht immer bewusst, eine Kombination aus repressiven und operativen Mitteln. Zu solchen Mitteln griff sie nicht nur, weil sie wusste, wie stark die Opposition war und wie sehr diese in der Gesellschaft verankert war. Die Dissidenten mussten real existieren, nicht nur, um die Existenz des Innenministeriums zu rechtfertigen, sondern auch, um seine Inkompetenz und seine Schwächen zu verbergen.2 Zudem wurde die Opposition als eines der wichtigsten Instrumente für den polnischen innerparteilichen Machtkampf benutzt. Ganz anders sah es in der DDR aus. Die sogenannten feindlich-negativen Kräfte genossen keine so große gesellschaftliche Unterstützung wie in Polen. Die SED war überdies konsolidiert genug, um die Opposition als Element der politischen Auseinandersetzung nicht akzeptieren zu müssen. Die Haltung gegenüber der Dissidenz war mit einer Art dienstbedingtem Egoismus verbunden. Ohne Zweifel wurden die politischen Proteste in Polen im MfS stets als Gefahr für die DDR wahrgenommen. Aber die Hauptaufgabe der Stasi bestand darin, zunächst die eigene Partei bzw. Gesellschaft vor der Konterrevolution zu schützen und erst dann die Lage der Nachbarstaaten zu verfolgen. In den bilateralen Arbeitsplänen des MfS spielte deshalb erst die Beobachtung und Bekämpfung der ostdeutschen und dann die der polnischen Opposition eine Rolle. Die Dissidenten in den Nachbarstaaten wurden für das MfS relevant, sobald sie gegen die DDR agierten oder mit ostdeutschen Bürgerrechtlern Kontakte knüpfen wollten.3 1  Sandra Pingel-Schliemann: Zersetzen. Strategie einer Diktatur. Eine Studie. Berlin 2003, S. 48; Matthias Wanitschke: »Anwerben« oder »Zersetzen«. Über das kollektivistische Menschenbild des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Erfurt 2004, S. 34. 2  Terlecki: Miecz i tarcza, S. 251. 3  Siehe Plan der Zusammenarbeit zwischen dem III. Department des MSW und der HA XX für die Zeit 1986–1990; BStU, MfS, HA XX Nr. 17314, S. 64.

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Geheimdienstliche Interessengemeinschaft? (2)

Darf der bereits erwähnte Egoismus also zur Annahme führen, dass sich die Stasi nur oberflächlich zum Beispiel für die Solidarność interessierte? Keinesfalls. Aber solch ein Egoismus impliziert die Tatsache, dass dieses Interesse zur Realisierung der eigenen Aufgaben beitragen sollte. Demnach mussten eigene und vom MSW unabhängige Informationsquellen gesucht werden, die über die Situation in der polnischen Opposition berichten konnten. Dementsprechend gestaltete sich der Hauptgrund, der maßgeblich für die Zusammenarbeit war: Das MfS hatte die Absicht, ohne Genehmigung des MSW operative Maßnahmen gegen die Bürger des befreundeten Staates durchzuführen. Im Gegenzug interessierte sich die polnische Auslandsaufklärung für die Opposition der DDR, und zwar nicht nur während der politischen Wende in Ostdeutschland.4 4.1.2 Grundsätze der Kooperation Die in den Verträgen und Arbeitsplänen vorgesehenen konkreten Aspekte der Kooperation belegen die These, dass die Oppositionsbekämpfung deutlich eingeschränkt war. Tatsächlich konzentrierte sie sich hauptsächlich auf die durchaus wichtigen technischen Elemente, also die Tätigkeit der ostdeutschen Bürgerrechtler in der VRP bzw. polnischen in der DDR. Dazu zählten Reisen, Kommunikations­ kanäle sowie ausländische Transportwege. Die formellen Ziele der bilateralen Zusammenarbeit gestalteten sich hingegen ähnlich wie die in anderen Bereichen und bezogen sich auf die Aufklärung von Plänen und Arbeitsmethoden fremder Personen, Gruppen und Zentren. Die Neutralisierung bzw. Bekämpfung dieser hatte im bilateralen Kontakt keine Priorität,5 im Gegensatz zum regelmäßigen Informationsaustausch.6 Beide Seiten sollten einander über die Mitglieder der polnischen antisozialistischen Gruppierungen informieren, insbesondere über Künstler, wie etwa Schriftsteller. Genauso wichtig waren Organisationen bzw. Initiativen, die sich damit beschäftigten, Hilfe für polnische antisozialistische Organisationen zu sammeln, vor allem für die Solidarność.7 Solche Aktivitäten gehörten jedoch zum Standard. Sie hätten nicht unbedingt von den für die Oppositionsbekämpfung zuständigen Abteilungen durchgeführt werden müssen. Die Routinearbeit der Passkontrolleinheiten an den Grenzübergängen hätte wahrscheinlich ausgereicht, gerade weil sie an erster Stelle die Kontakte zwischen polnischen und ostdeutschen Dissidenten verhindern und den Schmuggel von 4  Die Berichterstattung des Ersten Departments über die DDR-Opposition vom Januar 1988 bezog sich bereits ab 1983 auf die Arbeit der ostdeutschen Bürgerrechtler. IPN BU 0449/22, Bd. 22, S. 118. 5  BStU, MfS, Abt. X Nr. 377, S. 40. 6  Andrzej Chojnowski, Sebastian Ligarski (Bearb.): Twórczość obca nam klasowo. Aparat represji wobec środowiska literackiego 1956–1990. Warszawa 2009, S. 595. 7  BStU, MfS, HA II Nr. 38896, S. 28.

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verbotener Literatur beschränken konnte. Des Weiteren war in den bilateralen Dokumenten ein eindeutiges Ungleichgewicht erkennbar, etwa in einfachen Personenverzeichnissen, in denen die verdächtigen Bürgerrechtler aufgelistet wurden. In den meisten Fällen wurden Polen auf der Ebene der Hauptabteilungen in den Listen nicht erwähnt. Die Ostdeutschen hingegen schon. Je kleiner die jeweilige DDR-Gruppe war, desto mehr Platz nahm sie auf der Liste ein.8 In den Verzeichnissen der feindlichen Organisationen für den Zeitraum 1983 bis 1988 wurde die Solidarność beispielsweise nicht ein einziges Mal [sic!] erwähnt. Die Gruppen wurden dort in folgender Reihenfolge gelistet: das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), die Bewegung zur Verteidigung der Rechte des Menschen und Bürgers (ROPCiO), die Konföderation des unabhängigen Polens (KPN), die Bewegung des Jungen Polens (RMP) sowie der Unabhängige Studentenverband (NZS).9 Sämtliche Gruppen hatten bis 1980 und auch danach einen durchaus wichtigen Status, können allerdings kaum mit der Solidarność verglichen werden. Lediglich zwei von ihnen, nämlich der NZS und die KPN, waren aus der Sicht des MSW operativ relevant, allerdings nur im Inland, nicht aber im Ausland. Ebenso bedenklich waren die früheren Verzeichnisse vom August 1980. Für die Stasi spielten die Freien Gewerkschaften der Küste (WZZ), also die Solidarność-Vorgänger, keine so große Rolle wie etwa Amnesty International.10 Das MfS sollte sich auf die Personen und Organisationen in Drittstaaten konzentrieren, die zwar gegen die Staatspartei in der VRP agierten, aber nicht so gefährlich waren wie die Opposition in Polen selbst. Als Beispiel wäre das Literarische Institut in Paris (Instytut Literacki Polski v Pariżu) zu erwähnen – eine der wichtigsten Einrichtungen des polnischen unabhängigen Exils in Frankreich –, ebenso die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte11 sowie »Radio Free Europe«. Die mit diesen Institutionen in Verbindung stehenden Personen hielten sich sehr oft in Westberlin auf, wo das MfS viele IM zur Verfügung hatte, die gegen diese Personen und Organisationen benutzt werden konnten. Namentlich wurde die Stasi vor allem auf regimekritische Künstler hingewiesen. Vor allem spätere Nobelpreisträger und Dichter wie Czesław Miłosz, der Philosoph Leszek Kołakowski sowie Schriftsteller und Essayisten wie Stanisław Barańczak und Sławomir Mrożek wurden erwähnt. Ihre Bedeutung für das polnische intellektuelle Leben war zweifelsfrei immens. Sie konnten jedoch nicht als aktive politische Aktivisten definiert werden. Außerdem lebten sie meistens in den USA, wo die Aufklärungsmöglichkeiten des MfS eingeschränkter waren als in der Bundesrepublik.

8  BStU, MfS, HA XX Nr. 17314, S. 64. 9  BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5901, S. 9. 10  BStU, MfS, HA XX II Nr. 57/4, S. 1. 11  BStU, MfS, Sekretariat Neiber Nr. 97, S. 1.

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Wie sahen die Verzeichnisse zu den aktiven Dissidenten aus? Sie waren ebenso bescheiden12 wie die Listen mit den feindlichen Organisationen. Sie bestanden meist aus fünf bis zehn Namen von Aktivisten, die entweder im Ausland wohnten und dort die Hilfe für die Opposition organisierten oder die gezwungen waren, Polen aus politischen Gründen zu verlassen. Doch damit nicht genug der Bescheidenheit. In der für das MSW kritischen Phase des Kriegsrechts, d. h. zwischen Dezember 1981 und März 1982, bekam das polnische Innenministerium von der Operativgruppe Warschau lediglich 128 Informationen übermittelt.13 Diese enthielten neben rein geheimdienstlichen Themen, wie der Aufklärung oder der Abwehr, auch Angaben zum Schmuggel von illegalen Zeitschriften. Pro Monat hat der polnische Dienst also etwa acht Informationen bekommen. Ziemlich wenig in Anbetracht des hohen Kontrollpotenzials des MfS an der innerdeutschen Grenze und hinsichtlich der internen MfS-Richtlinien. Innerhalb der bereits erwähnten Operation »Besinnung« wurde schließlich direkt die Solidarność als Hauptfeind definiert und nicht die kleinen unabhängigen Gruppen. Mehr noch, die Stärke der oppositionellen Gewerkschaften sollte je nach Stadt analysiert werden. Außerdem kannte die ostdeutsche Seite fast alle westdeutschen Adressen, unter denen Hilfe für die Solidarność gesammelt wurde.14 Somit entsteht der Eindruck, dass die bilaterale Zusammenarbeit gegen solche Aktivitäten rasch hätte initiiert werden können. Das war aber nicht der Fall. Das offizielle Interesse des für die Opposition zuständigen Dritten Departments des MSW, Gespräche mit der HA XX des MfS zu führen, wurde erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre bekundet. Laut schriftlicher Mitteilung interessierte sich das MfS für folgende Themen: die Kontrolle der polnischen Jugendlichen in der DDR während der Sommerferien, die ideologischen Einflüsse auf die DDR und deren Bekämpfung, die Aktivität der trotzkistischen Gruppen sowie Amnesty International. Erst am Ende des Schreibens stand die Frage zur eventuellen Nutzung des DDR-Hoheitsgebiets durch die polnischen antisozialistischen Kräfte.15 Die auf Grundlage dieser Themen durchgeführten Beratungen mussten also zwangsläufig den üblichen Treffen auf höchster Ebene ähneln, in denen sinnlose und rein propagandapolitische Vorträge darüber gehalten wurden, dass es in der DDR keine politische Opposition gäbe. Die seitens des MfS vorgestellten Fakten zur Dissidenz in Polen waren dem MSW 12  Deutlich mehr Personen umfassten die Verzeichnisse, die bereits am 9.9.1980 die für die Grenze zuständige HA VI des MfS vom MSW bekam und zwar mit der Bitte, die dort Erwähnten im Falle eines Transits gründlich zu kontrollieren. Die Listen umfassten zwar 600 bis 700 Namen, allerdings standen auf ihnen vor allem Journalisten sowie Ausländer und nicht etwa die polnischen Emigranten, die im Exil eine ausländische Staatsbürgerschaft erworben haben. In der bereits erwähnten Zahl wurden als »Sympathisanten der Dissidenz« lediglich 100 Personen, also nur 16 Prozent der eventuell Reisenden, klassifiziert. BStU, MfS, HA VI Nr. 6054, S. 99. 13  BStU, MfS, HA II Nr. 38896, S. 22. 14  BStU, MfS, HA VI Nr. 5470, S. 10. 15  BStU, MfS, HA XX Nr. 17314, S. 4.

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auch nicht unbedingt neu. Sie stammten aus der westeuropäischen Presse bzw. aus den Tagesinformationen des polnischen Innenministeriums. Im Vergleich mit den polenbezogenen Stasi-Dokumenten aus dem Herbst 1980 wird dies augenscheinlich. Die Verzeichnisse der wichtigsten oppositionellen Aktivisten vom September 1980 etwa umfassten 30 Namen. Sie wurden genau in dem Monat vorgelegt, in dem von der Solidarność der gerichtliche Registrierungsantrag formell vorgelegt wurde. Und doch konnten von den Einheiten des MfS nur so wenige Namen registriert werden. Sie wurden entweder bei der Grenzkontrolle oder aufgrund eines Treffens der Zielperson mit dem ostdeutschen Agenten erfasst. Täuschend wäre jedoch die Behauptung, dass sich auf der Liste ausschließlich hauptamtliche Solidarność-Funktionäre befanden. Sowohl westdeutsche Staatsbürger als auch Kontakte mit den KOR-Mitgliedern oder Sympathisanten der Hare-KrishnaBewegung wurden darin aufgelistet. Letztgenannte war im Innenministerium in der Tat nicht gern gesehen, aber ein Vergleich dieser Gruppe mit der Opposition war ohne Zweifel übertrieben. Mehr noch, 13 der gelisteten 30 Personen waren ostdeutsche Bürger, die angeblich Kontakte mit der Solidarność unterhielten. Außerdem wurde die Liste um Anweisungen der polnischen Seite ergänzt, welche Personen gemeinsam beobachtet werden sollten. Diese Arbeit blieb jedoch optional. Es handelte sich dabei im Endeffekt nur um eine Person, die scheinbar Kontakte zu Bürgern in der DDR unterhielt.16 Verständlicherweise versuchte die Stasi-Leitung, nach außen ein völlig anderes Bild vom eigenen Engagement bei der Infiltrierung und Bekämpfung der polnischen Opposition zu vermitteln, insbesondere gegenüber dem KGB. Ein Beispiel ist das bereits an anderer Stelle zitierte Gespräch Mielkes in Moskau im Jahre 1980. Dort informierte er seine Gastgeber, dass es notwendig sei, den polnischen Geheimdienst über die herrschenden Gefahren zu unterrichten.17 Trotzdem beinhalteten Mielkes Ausführungen keine neuen Informationen für das Innenministerium.18 Hingegen wurde das MfS bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren über Oppositionelle aus den Warschauer intellektuellen Kreisen, wie Jan Józef Lipski oder Władysław Bartoszewski, informiert.19 Außerdem sei darauf hingewiesen, dass die offiziellen Beziehungen beider Dienste bis 1980 wenig dazu beitrugen, eine Kooperation auf der Oppositionslinie zu entwickeln. Die üblichen gegenseitigen Versprechungen, dass weiterhin ein periodischer

16  Liste zit. nach: BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5617, Teil I, S. 94. 17  BStU, MfS, ZAIG Nr. 4790, S. 6. 18  Einige polnische Autoren stellten sogar die These auf, dass das MfS erst seit 1980 mit einer eigenen Analyse zur polnischen Opposition begann. Vgl. Jagiełło: Stasi a Solidarność, S. 45. Der Verfasser ist jedoch mit jener These nicht einverstanden. 19  Zwar schickte Wolf im Dezember 1980 eine Liste mit 50 polnischen Dissidenten an alle MfS-Einheiten. Sie spiegelte jedoch nur oberflächlich die wichtigsten Personenkreise innerhalb der Solidarność wider. BStU, MfS, HA II Nr. 38241, S. 72.

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Informationsaustausch zum inneren Feind stattfinden solle,20 blieben das einzige konkrete Ergebnis der jeweiligen bilateralen Ministertreffen. Die Zeit nach 1980 brachte zwar eine veränderte Rhetorik der polnischen Seite, das Innenministerium beantragte immer öfter Hilfe bei der Oppositionsbekämpfung, die üblicherweise auch verbal zugesagt wurde.21 Doch stand nicht die operative Arbeit im Mittelpunkt solcher Anfragen, sondern die Absicht, die Versorgung der eigenen Einheiten in der nächsten Zeit des Kriegszustandes zu verbessern. Andere diesbezügliche Anfragen, wie etwa die allgemeine Bitte, Beweise gegen die staatsfeindliche Tätigkeit der Oppositionellen zu sammeln, entsprachen zudem den alltäglichen routinemäßigen Kontakten. Sie mussten keinesfalls mit der rein operativen Arbeit verbunden werden. 4.1.3 Aktive Oppositionsbekämpfung – Beispiele Es wäre sicherlich falsch, zu behaupten, dass die bilateralen geheimdienstlichen Beziehungen, die die politische Opposition betrafen, ausschließlich eine formlose und unkonkrete Art von Kontakten waren. Tatsächlich wurden auch gemeinsame Unternehmungen durchgeführt. Fakt bleibt jedoch, dass diese genauso selten stattfanden wie es bei den Projekten zur Aufklärung und zur Spionageabwehr der Fall war. Pro Jahr ergaben sich ungefähr zwei bis drei gemeinsame operative Vorgänge, die sich je nach Bedarf in ihrer Komplexität, ihrem Ziel oder dem Charakter der eingesetzten Mittel unterschieden. Es handelte sich dabei um operative Kombinationen, die Sonderüberwachung von Personen22 oder einen detaillierten Informationsaustausch über einzelne Solidarność-Aktivisten.23 Solche Vorgänge waren aus Sicht der Stasi allerdings nicht nur wegen ihrer operativen Relevanz von Bedeutung, sondern auch wegen ihrer verschiedenen Mängel. Beispielsweise fehlten in den Arbeitsanalysen der Operativgruppe Warschau oppositionsbezogene Projekte. Doch eine andere Vorgehensweise war kaum umsetzbar. Die Hauptaufgabe dieser Gruppe bestand schließlich bis 1989 darin, das MSW zu infiltrieren und nicht zusammen mit dem MSW die Dissidenz zu bekämpfen. In jenem Jahr wurden nur drei gemeinsame oppositionsrelevante Vorgänge registriert. Einige der insgesamt sieben der Gruppe zur Verfügung stehenden IM waren zwar mit der Solidarność beschäftigt, allerdings nur wegen

20  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1731, S. 159. 21  BStU, MfS, ZAIG Nr. 5399, S. 69. 22  Diese Personen wurden von den Forschern, die sich mit der HA XX beschäftigen, als besonders wichtig hervorgehoben. Siehe Thomas Auerbach u. a.: Hauptabteilung XX: Staatsapparat, Blockparteien, Kirchen, Kultur, »politischer Untergrund« (BStU, MfS-Handbuch, Teil III/12). 2., durchges. Aufl., Berlin 2012, S. 139. 23  BStU, MfS, HA XX Nr. 17314, S. 53.

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der Ereignisse des Jahres 1980. Ihr Hauptziel waren eigene Operationen, die im Zusammenhang mit Westeuropa standen.24 Wie gestalteten sich konkret die bereits erwähnten rein technischen Projekte bzw. Hilfsmaßnahmen beider Dienste? Nicht ohne Grund stand die Frage der Mobilität der Dissidenten dahinter. Spätestens seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre spielten die DDR als Transit- und Westberlin als Begegnungsland eine immer wichtigere Rolle für die polnische Opposition. Sobald festgesellt wurde, dass ein für das MSW wichtiger Dissident durch die DDR fährt oder in Westberlin erscheinen sollte, bat das Innenministerium via Residentur bzw. Ministerkabinett25 u. a. darum, Beobachtungsmaßnahmen einzuleiten,26 einen operativen Vorgang zu eröffnen,27 eine Fotodokumentation des geplanten Treffens zu erstellen oder eine geheime Hausdurchsuchung zu realisieren. Dem Partner wurden jedoch nur jene Angaben weitergeleitet, die für die Erfüllung des Ersuchens absolut notwendig waren.28 War die jeweilige Zielperson der Öffentlichkeit bekannt, entschieden die Minister selbst, ob entsprechende Hilfe geleistet werden durfte.29 Ort und Stelle der Kontrolle waren im Grunde genommen irrelevant. Oft veranstalteten die polnischen unabhängigen Organisationen, wie die pazifistische Bewegung Freiheit und Frieden (Wolność i Pokój),30 ihre Tagungen in Drittstaaten. Dies hinderte die Geheimdienste nicht daran, die bekannten Angaben über solche Treffen miteinander zu vergleichen und zu verifizieren.31 Dabei traten allerdings Probleme auf, die bereits aus anderen Bereichen bekannt waren. Wie üblich bearbeitete das MSW die Anfragen des MfS mit deutlicher zeitlicher Verzögerung. Doch es gab Ausnahmen. Selbstverständlich waren diese mit einem gewissen Eigeninteresse verbunden. Da die Arbeit des »Radio Free Europe« von der polnischen Regierung als äußerst schädlich eingestuft wurde, schlossen die stellvertretenden Aufklärungsleiter beider Dienste nach 1974 ein besonderes Abkommen.32 Das Innenministerium beantwortete auf der Grundlage dieser Vereinbarung alle Fragen des MfS, welche Richtungen der offensiven Stasi-Arbeit gegen »Radio Free Europe« erwünscht wären. Es wurde geklärt, welche Ziele infrage kamen, welche Mitarbeiter des Senders bearbeitet werden sollten bzw. welche Verbindungen zwischen dem Radiosender und den westlichen 24  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 783, S. 1. 25  Beispiel eines Ersuchens an das MfS, eine Frankreichreise eines Solidarność-Aktivisten zu überwachen: BStU, MfS, Abt. X Nr. 253, Teil I, S. 294. 26  IPN BU 1585/2003, S. 214. 27  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 1024, S. 51. 28  BStU, MfS, HA XXII Nr. 5567/7, S. 2. 29  Kowalczuk: Stasi konkret, S. 318. 30  Jacek Czaputowicz: Działania Służby Bezpieczeństwa i kontrwywiadu wojskowego wobec ruchu »Wolność i Pokój«. In: Paweł Ceranka, Sławomir Stępień (Hg.): Jesteście naszą wielką szansą. Młodzież na rozstajach komunizmu 1944–1989. Warszawa 2009, S. 289. 31  BStU, MfS, Abt. X Nr. 541, S. 511. 32  Machcewicz: Monachijska, S. 317.

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Geheimdiensten der polnischen Seite bekannt waren. Eine solche Präzision in der Fragestellung war untypisch für das bilaterale Verhältnis. Der Grund für diese konkreten Abmachungen war jedoch die Tatsache, dass »Radio Free Europe« als einer der wichtigsten Gegner des Warschauer Paktes galt.33 Dem MSW in dieser Hinsicht keine Hilfe zu leisten, hätte aus MfS-Sicht auch negative Folgen für die Beziehungen mit dem KGB gehabt. Jeder Geheimdienst des Ostblocks realisierte im Komplex der gesamtpolitischen Aktivitäten gegen dieses Radio ein Projekt. Die der Öffentlichkeit bekannten Aktivitäten des für das MSW tätigen Radiomitarbeiters Andrzej Czechowicz34 trugen beispielsweise dazu bei, dass beide Geheimdienste mehrere propagandistische Bücher und Artikel in verschiedenen Sprachen herausgeben ließen. Sie schafften es, den Ruf des Senders35 infrage zu stellen, die Finanzierung des Senders zu beschränken sowie psychischen Druck auf seine Mitarbeiter auszuüben.36 Jede Maßnahme dieser Art war mit einer Anfrage der Stasi verbunden, ob das Innenministerium Interesse daran hätte, die von der Stasi dokumentierten Ergebnisse in der eigenen staatlichen Propaganda zu verwenden.37 Verständlicherweise befand sich »Radio Free Europe« im Fokus der jeweiligen Aufklärungen. Für die Einheiten, die sich nominell mit der Opposition beschäftigten, blieb jedoch nach wie vor das Alltägliche von Bedeutung, wie etwa der Austausch von Materialien, die in den geplanten Strafverfahren nützlich sein konnten.38 Die polnische Seite benötigte Beweise, die in den Prozessen bzw. Ermittlungen gegen politisch engagierte Priester, wie Franciszek Blachnicki, oder KPN-Aktivisten vorgestellt werden konnten. Damit versuchte die Anklage nachzuweisen, ob die Beschuldigten beispielsweise Kontakte mit dem BND unterhielten, ausländische Unterstützung bekamen oder illegale Verbindungs­ kanäle betrieben.39 Benötigte das Innenministerium wirklich diese Hilfe? Generell gesehen waren solche Anfragen entweder reine Routine40 oder damit verbunden, die Ermittlung propagandapolitisch zu retten, da keine rein kriminellen Vergehen vorlagen. Bereits im erwähnten Fall des Priesters Blachnicki, der in den 1980erJahren in der Bundesrepublik unter ungeklärten Umständen starb,41 verfügte 33  BStU, MfS, Abt. X Nr. 541, S. 144; Ross Johnson, Eugene Parta (Hg.): Cold War Broadcasting Impact on the Soviet Union and the Eastern Europe. Budapest 2010, S. 411. Siehe auch dienstinterne Publikationen des MfS: Diversion imperialistischer Hörfunk- und Fernsehsender gegen die DDR und die VR Polen. Warschau, Berlin 1979, S. 72. 34  Kazimierz Zamorski: Pod anteną Radia Wolna Europa. Poznań 1995, S. 55; Machcewicz: Monachijska, S. 269. 35  Paweł Machcewicz: Spory o historię 2000–2011. Kraków 2012, S. 135. 36  Jarosław Kurski: Jan Nowak Jeziorański. Emisariusz wolności. Warszawa 2005, S. 256. 37  Entsprechende MfS-Anfrage von November 1974; BStU, MfS, Abt. X Nr. 541, S. 225. 38  Tantzscher: Die Feinde des Sozialismus, S. 233. 39  IPN BU 1585/2007, S. 73. 40  Filip Gańczak: Filmowcy w matni bezpieki. Warszawa 2011, S. 307. 41  Zabójcza Panna. In: Wprost v. 29.5.2005.

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das MSW in seinem engsten Kreis über eigene IM. Wahrscheinlich hatten einige vom MfS gelieferte Beweise sogar das Ziel, die Arbeit der eingesetzten inoffi­ ziellen Mitarbeiter zu ergänzen. Der Bedarf des Innenministeriums in Bezug auf ostdeutsche Beweise wurde zunehmend einseitiger, je näher die Einführung des Kriegsrechts rückte. Dies stand ebenfalls mit der generellen Politik des MSW gegenüber der MfS-Spitze in Verbindung. Aus Sicht der Stasi waren also die polnischen Erwartungen mehr als politisch korrekt. Das MfS wollte nämlich jene Informationen bekommen, die die Verbindungen der Solidarność-Spitze mit den NATO-Geheimdiensten bzw. die Subversionsaufträge dieser Dienste für polnische unabhängige Gruppierungen bestätigten.42 Nach dem 13. Dezember 1981 dominierten allerdings wieder die konkreten Anfragen, etwa zu den Aktivitäten der in der VRP verbotenen Organisationen in der Bundesrepublik, zu ihrer Finanzierung bzw. zu möglichen Verbindungen mit DDR-Bürgern.43 Besonders wichtig waren dabei die vom MfS zur Verfügung gestellten Medien, wie aufgezeichnete TV-Sendungen44 oder andere Materialien, auf denen Treffen polnischer Dissidenten mit Kontakten aus Westeuropa zu sehen waren. Sie wurden nicht nur analysiert, sondern auch bearbeitet und dann in den staatlichen Medien propagandapolitisch weiterverwendet.45 Der bilaterale Informationsaustausch ist allerdings nicht mit einem unreflektierten Datentransfer gleichzusetzen. Ebenso wichtig war die allgemeine verbale Wahrnehmung der Opposition, die der jeweilige Dienst absichtlich oder unabsichtlich vom Partner bekam, nicht nur auf der offiziellen, sondern auch auf der operativen Ebene. Ähnlich wie auf der ministeriellen Ebene waren alle dem Partner bekannt gegebenen Fakten zwar selektiert worden, aber immerhin sachlich richtig. Unterschiede zwischen den Daten, die bilateral und multilateral vom MSW weitergegeben wurden, gab es grundsätzlich nicht. Ganz im Gegenteil, das MfS hatte Zugang zu ausreichend Quellenmaterial, wie etwa zu Flyern oder illegalen Publikationen der KPN bzw. zu internen Büchern des Innenministeriums über die Opposition in Polen.46 Sämtliche Angaben wurden stets mit dem üblichen Kommentar übergeben, dass nur das »gute« MSW die Dissidenz bekämpfe und nicht die demoralisierte Staatspartei. Andererseits lieferten die dem MfS übergebenen Informationen genug Gründe, immer misstrauischer gegenüber dem MSW zu agieren und infolgedessen mit unabhängiger IM-Arbeit zu beginnen. Dabei wollten sie von den polnischen Offizieren bis 1985 nur hören, dass die Solidarność nach wie vor Erfolge verbuchen konnte. Ebenso wichtig war eine von der Stasi registrierte Meldung aus dem polnischen Innenministerium aus dem Jahr 1980. 42  43  44  45  46 

IPN BU 1585/2007, S. 414. IPN BU 1585/2008, S. 30. IPN BU 1585/15361, S. 93. Tantzscher: »Wir fangen an ...«, S. 109. BStU, MfS, HA IX Nr. 10284, S. 127.

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Wałęsa wurde dort als Persönlichkeit dargestellt, die keinesfalls eine Gefahr für die VRP darstellt. Beweise, dass er von außen gesteuert wurde, gab es nicht und eigentlich präsentiere die Solidarność selbst keine unrealistischen Forderungen.47 Egal, ob solche Thesen naiv oder provokant zu sein schienen, mussten sie in einem so extrem ideologiegeprägten Geheimdienst wie dem MfS eine entsprechende Reaktion, wie etwa den »Besinnungs«-Befehl, auslösen. Gerade das Jahr 1985 war von besonderer Bedeutung, weil es noch andere für die Stasi merkwürdige Tendenzen im MSW-Verhalten markierte. In diesem Jahr wurde die Rolle der kämpfenden Solidarność im Innenministerium immer deutlicher, obwohl sie bereits seit 1982 für wichtige unabhängige Proteste verantwortlich zeichnete. Immer öfter gaben die polnischen Offiziere zu, dass es keine rechtlichen Möglichkeiten gab, die unabhängigen Gewerkschaften zu bekämpfen. Ebenso oft wurde darauf hingewiesen, dass die Solidarność als »sozialdemokratisch« bezeichnet werde und endlich legal handeln wollte. Stärker hingegen sollten die kleineren Gruppierungen werden. Obwohl einige von ihnen wegen ihrer Happenings ziemlich bekannt waren, wie etwa die Orange Alternative, kann daran gezweifelt werden, ob aus polnischer Sicht solche dem MfS bekanntgegebenen Gruppen wie die Polnische Sozialistische Partei oder Polnische Liberal-Demokratische Partei48 überhaupt relevant waren, zumal darauf verzichtet wurde, nähere Auskunft zu solchen Organisationen zu geben, die der Öffentlichkeit ohnehin kaum bekannt waren. Aus diesem Grund verwundert es kaum, dass das MfS ebenso wenig über die wahre Lage der DDR-Opposition sagte. Die ostdeutsche Dissidenz bestünde dem MfS zufolge lediglich aus der Ostberliner Umweltbibliothek, der Zeitschrift »Grenzfall« sowie aus einzelnen Demonstrationen, die am Rande der offiziellen Feierlichkeiten zu Ehren Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts veranstaltet wurden. Diese Darstellung war jedoch ebenso falsch wie die Behauptung, dass die Polnische Liberal-Demokratische Partei Mitspracherecht in der unabhängigen Szene der VRP hatte. Sicherlich spielte in der geheimdienstlichen Arbeit nicht die Rhetorik, sondern das konkrete Handeln gegen die Opposition eine Rolle. Wie sahen die entsprechenden Maßnahmen aus? Grundsätzlich fungierte das MfS als ein Dienstleister des polnischen Innenministeriums, indem es grundsätzlich alle oppositionellen Tätigkeiten überwachte und blockierte. Selbstverständlich hatte es zum Ziel, das Gebiet der DDR vor der Opposition zu schützen.49 Immerhin wurde dadurch auch die Solidarność angegriffen bzw. geschwächt. Doch statt konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Dissidenz zu ergreifen, wurden vorrangig eigene Interessen berücksichtigt. Beispielsweise wurden sämtliche Grenz- bzw. Verkehrskontrollen vom MfS benutzt, um festzustellen, ob der Kontrollierte jegliche Verbindungen 47  BStU, MfS, HA IX Nr. 10254, S. 17. 48  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1257, Teil I, S. 144. 49  BStU, MfS, HA II Nr. 43416, S. 193.

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mit dem sogenannten »Untergrund« hatte. Dabei genügte schon ein Verweis in einem Brief oder im Kalender. Tauchte dort etwa der Name Wałęsa50 auf, wurde sofort ein operatives Verfahren eröffnet oder der Kontrollierte festgenommen. Sollte der Betroffene obendrein eine kleine Ordnungswidrigkeit begangen haben, wie etwa Schmuggel, wurde darüber hinaus das polnische Innenministerium informiert. Dabei wurde die Information über den Eintrag zu Wałęsa jedoch unterschlagen, wobei es sich oft nicht einmal um Briefe handelte, sondern meist nur um einen Flyer. Das allein war bereits Grund genug, den Kontrollierten zu erpressen. Ausgenommen davon waren bekannte Persönlichkeiten, hohe Solidarność-Funktionäre oder Zielpersonen, die aus Sicht beider Ministerien in einer oppositionellen, terroristischen, gewaltbereiten und von der CIA finanzierten Organisation aktiv waren. Als solche galt die kämpfende Solidarność. Gerade die bekannten Mitglieder und Sympathisanten dieser Gruppierung wurden wegen des potenziellen Waffenschmuggels besonders gut kontrolliert.51 Der Initiator solcher Kontrollen war vor allem das Innenministerium. Die in diesem Sinne getroffenen Maßnahmen unterschieden sich dabei kaum von den üblichen Überprüfungen, wie sie beispielsweise an der innerdeutschen Grenze stattfanden. Wenn während der Transitfahrt eine Autokontrolle durchgeführt wurde, wurden die im Wagen einer Zielperson versteckten Materialien fotografiert. Auch die Reaktionen der Mitreisenden auf die absichtlichen Demütigungen seitens der Kontrolleure wurden notiert, sollte der Wagen an der Grenze überprüft worden sein. Diese Demütigungen waren Teil der Zersetzungsmaßnahmen und nicht nur für die bekannten Oppositionellen vorgesehen. Sobald ein bisher unbekannter polnischer Bürger über die DDR Flyer zur Solidarność schmuggelte, wurde er vom MfS sofort überprüft. Da sonst keine weiteren Maßnahmen getroffen wurden, blieb diese Überprüfung für den Schmuggler meist ohne sichtbare Folgen. Dies war auch aus operativer Sicht logisch und nachvollziehbar. Bekannte Dissidenten, die zum Beispiel das Logo der Solidarność als Plakette im Wagen hatten, mussten es entweder selbst entfernen oder es wurde durch die Grenzbeamten entfernt und zerstört.52 Eine andere Gruppe bildeten hingegen diejenigen, die auf der Liste der unerwünschten Personen standen. Stand jemand auf der polnischen Liste, durfte er auch die innerdeutsche Grenze nicht passieren. Ein Einreiseverbot in die VRP galt vorsorglich auch für die ausgebürgerten ostdeutschen Dissidenten. Der bekannteste Fall war Wolf Biermann. Das Verbot, nach Polen zu reisen, galt für ihn direkt nach der Bekanntgabe der offiziellen Entscheidung der DDR-Behörden über seine Ausbürgerung.53 Es ist allerdings auch denkbar, dass der Automatismus, die Dissidenten zur Persona non grata zu erklären, aus politisch-operativen 50  51  52  53 

BStU, MfS, Sekretariat Neiber Nr. 322, Teil II, S. 137. BStU, MfS, HA XXII Nr. 871/2, S. 15. BStU, MfS, Sekretariat Neiber Nr. 322, Teil II, S. 143. IPN BU 01062/43, Bd. 50, S. 258.

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Gründen aufgehoben wurde. Vor allem handelte es sich dabei um westeuropäische Aktivisten, die etwa Ende der 1970er-Jahre in der VRP gegen die Verletzung der Menschenrechte protestieren wollten. Beide Dienste analysierten, ob eine heimliche Überwachung der Zielpersonen nicht geeigneter wäre als eine Reisesperre, da diese unweigerlich außenpolitische Konsequenzen mit sich brachte.54 Verständlicherweise spielte die Grenzkontrolle eine enorme Rolle bei der Überwachung jeglicher oppositioneller Bewegungen. Es ging dabei nicht nur um übliche Schritte wie die Überprüfung, ob der Reisende in den internen Stasi-Datenbanken registriert war, sondern auch um die Feststellung, ob die Reise eventuell im Zusammenhang mit illegalen Tätigkeiten stand. Wurde beispielsweise während der Grenzkontrolle festgestellt, dass der Reisende plant, im Ausland Gespräche im Auftrag der Solidarność zu führen,55 wurden direkt weitere Maßnahmen ergriffen. Die Grenzbehörden informierten andere Einheiten und leiteten entsprechende Schritte direkt am Grenzübergang ein, die den Betroffenen je nach Bedarf irritieren, demütigen oder beruhigen sollten. Um die politisch relevante Beobachtung zu tarnen, wurden nur verdächtige Druckerzeugnisse konfisziert bzw. erhöhte Strafzettel erstellt, die den Anschein eines normalen Grenzvorganges erwecken sollten. Auch eine extreme Passivität während der Kontrolle war möglich. Das Innenministerium wurde beispielsweise einmal darüber informiert, dass zwei Tonnen illegaler Materialien geschmuggelt wurden. Die Schmuggler erhielten diese Erlaubnis nur, weil das MfS sie heimlich beobachtete und so unter Kontrolle hatte.56 In welchen Fällen wurde also entschieden, die illegalen Kommunikationskanäle der Opposition zu enthüllen? Grundsätzlich geschah dies in zwei Situationen. Erstens, wenn die verbotenen Schriften zu offensichtlich transportiert wurden. Vor allem nach 1981 transportierten westeuropäische Bürger teilweise ohne Scham oder Sicherheitsvorkehrungen große Mengen an Druckfarbe oder Papier nach Polen. Dem wurde jedoch mit der Zwangsauslieferung ein Riegel vorgeschoben. Zweitens gab es eine Mitteilungspflicht, vor allem hinsichtlich propagandapolitischer Funde. Wurde beispielsweise im Transport der humanitären Hilfe für Polen ein Radiogerät bzw. Zubehör gefunden, musste diese Information weitergeleitet werden.57 Gleiches galt, wenn eine unter Umständen unabsichtlich mit der DDR verbundene Propagandaaktion der Solidarność festgestellt wurde. Dabei handelte es sich um Versuche, aus Westeuropa Heißluftballons in Richtung Polen zu schicken. Diese Ballons trugen entweder nur das Logo der Solidarność oder transportierten polnischsprachige Flyer. Ungünstiges Wetter führte jedoch dazu, dass sie nicht immer das Gebiet der VRP erreichten, sondern oft lediglich bis an die Grenze der 54  55  56  57 

Notiz vom August 1979; IPN BU 1585/2004, S. 467. BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 323, S. 53. BStU, MfS, HA IX Nr. 4387, S. 64. IPN BU 1585/2007, S. 358.

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DDR gelangten, womit sie entsprechende Schritte des Innenministeriums auslösten. Das MfS wurde in diesem Fall darüber informiert, welche Informationen zu den Organisatoren solcher Propagandaaktion vorlagen und welche diplomatischen Schritte gegen die jeweilige Staatsregierung unternommen wurden, deren Hoheitsgebiet das Ursprungsland war.58 Der diesbezügliche Informationsaustausch wurde nicht immer auf polnischer Seite initiiert, da die bereits erwähnten Ballons auch oft direkt gegen die DDR eingesetzt wurden. Die ersten Fälle dieser Art wurden bereits 1978 festgestellt, und zwar in Polen.59 Dort waren zu diesem Zeitpunkt irrtümlicherweise Ballons mit deutschsprachigen Flyern gelandet.60 Nicht nur die rein politischen Ereignisse in der VRP, sondern auch die, die es außerhalb dieses Landes gegeben hat, trugen dazu bei, die Häufigkeit von Kon­ trollen zu erhöhen. Dazu zählten die verstärkten Durchsuchungen an der Grenze nach der bereits an anderer Stelle erwähnten Besetzung der polnischen Botschaft in Bern. Wichtiger waren die operativ relevanten und der Öffentlichkeit nicht immer bekannten Ereignisse, wie Festnahmen nach Demonstrationen oder nach der Schließung illegaler Druckereien. Jene Fakten, die mit konkreten Verlusten für die Solidarność verbunden waren, mussten zu Recht dazu führen, dass im Westen neue Druckmaschinen besorgt und dann u. a. durch die DDR geschmuggelt wurden. Für die Geheimdienste bedeutete das nicht nur eine verstärkte Grenzkontrolle,61 sondern auch intensivere IM-Arbeit, vor allem in der Bundesrepublik. Dadurch sollte festgestellt werden, was, wann und wo geschmuggelt werden wird. Diese Vorgänge wurden durch rein technische Maßnahmen ergänzt. Regelmäßig wurden beispielsweise die Gespräche der Lkw-Fahrer abgehört, die CB-Radiogeräte nutzten und humanitäre Güter nach Polen transportierten. Für das MfS war das wichtig, weil es dadurch nicht nur Einzelheiten zu den geplanten Transits erfuhr, sondern auch einen Eindruck bekam, was die Fahrer zur Grenzsituation und zu den Arbeitsmethoden des polnischen Innenministeriums sagten.62 Solche Abhörmaßnahmen wurden bis 1989 durchgeführt. Trotzdem war inzwischen die Zahl der Hilfstransporte kleiner geworden. Außerdem wurde die Stasi selbst im Vergleich zu ihrer Stärke von 1981 immer schwächer. Es fehlten Dolmetscher, die zumindest den grundlegenden Inhalt der geschmuggelten Schriften übersetzen konnten.63 Deswegen konzentrierten sich die offenen und geheimen Kontroll-

58  BStU, MfS, HA I Nr. 14310, Teil I, S. 188. 59  Grundsätzlich wurden Ballons für die Einschleusung von Flugblättern bereits in den 1950er-Jahren eingesetzt. Es wurden auch entsprechende OV eröffnet, weil laut polnischen Sicherheitsbehörden solche Ballons nicht nur Flyer transportierten, sondern auch als Träger der mobilen Fotokameras dienten. Siehe IPN BU 00231/160. 60  BStU, MfS, AS 307/83, S. 489. 61  BStU, MfS, HA VI Nr. 15331, S. 128. 62  BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. III Nr. 36, S. 2. 63  BStU, MfS, Abt. X Nr. 257, S. 323.

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maßnahmen auf die Grundbegriffe, die ohne Sprachkenntnisse zu erkennen waren, wie der Name »Wałęsa«64 oder das Wort »Solidarność«. Ähnlich wie die polnischen Bürger in der DDR, von denen man annahm oder wusste, dass sie der Opposition angehörten oder nahestanden, wurden die ostdeutschen Bürger in der VRP behandelt, die im Fachjargon als »feindlichnegative« Kräfte bezeichnet wurden. Sie waren selbstverständlich bereits vom MfS gesondert geprüft worden, vor allem wenn sie illegale Druckerzeugnisse aus Polen mitgebracht hatten.65 Die polnische Kontrolle wurde jedoch nur auf besondere Anfrage des MfS durchgeführt. Innerhalb der Anfragen wurde meist um eine Einreisesperre, um die Blockierung des Transits, um Überwachung in der VRP oder um eine heimliche Kontrolle der aus Polen gesendeten Korrespondenz gebeten. Dabei wurden die Druckerzeugnisse zwar nicht beschlagnahmt, aber ihr Inhalt dem MfS mitgeteilt.66 Ebenso profitierte die Stasi, vor allem bis 1980, von der internen vom Innenministerium durchgeführten Analyse der Presse der Opposition. Wurde in einer unabhängigen Zeitschrift ein kritischer Beitrag über die DDR veröffentlicht, wurden Angaben zum Autor ausfindig gemacht und später dem MfS übergeben,67 insbesondere wenn es sich um einen Ostdeutschen handelte. Das MSW wollte dadurch die potenziell fortlaufenden Kontakte der polnischen und ostdeutschen Dissidenten beschränken. Da aber im Mittelpunkt der MSW-Politik wie immer der Schutz der eigenen Interessen stand, wurden dem MfS nur solche Informationen gesendet, die auch offenbart werden konnten. Beispielsweise weigerte sich das MSW bisweilen, operativ zu agieren, wenn das MfS Angaben zu einem bekannten ostdeutschen Bürgerrechtler anforderte. Entsprechende Anfragen wurden entweder ignoriert oder damit beantwortet, dass die Zielperson in Polen keine Straftat begangen hätte.68 Dabei war die Antwort ziemlich unabhängig von der eigentlich angeforderten Information. Das MSW versuchte damit lediglich, seine eigenen Quellen zu schützen. Sicherlich wäre es äußerst übertrieben, daraus zu schlussfolgern, dass der polnische Geheimdienst, vor allem in den 1980er-Jahren, die ostdeutsche Opposition absichtlich und zum Trotz des MfS unterstützen wollte. Doch wollten das MSW und insbesondere seine Auslandsaufklärung die DDR-Bürgerrechtler nicht immer so behandeln, wie die Stasi es tat. Für die meisten ostdeutschen Dissidenten war die VRP ein liberales Land, was die polnische Aufklärung vor und während der Friedlichen Revolution auszunutzen versuchte. Es ist bemerkenswert, wie oft sich die für das Erste Department inoffiziell tätigen Polen bzw. hauptamtliche 64  BStU, MfS, Sekretariat Neiber Nr. 322, Teil II, S. 137. 65  BStU, MfS, BV Dresden, Leiter der BV Nr. 10878, S. 51. Vor allem wurden die Betroffenen in Form einer operativen Personenkontrolle (OPK) überwacht. Beispiel: OPK Täufer: BStU, MfS, HA XX/9 Nr. 1855, S. 3. 66  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 737, S. 77. 67  IPN BU 1585/2001, S. 123. 68  IPN BU 1585/2000, S. 142.

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Mitarbeiter mit ostdeutschen Bürgerrechtlern trafen. Letztgenannte lieferten dabei unabsichtlich viele Informationen über die innere Lage in der DDR.69 Operativ interessant war aus polnischer Sicht zum Beispiel auch die Mitteilung an das MfS, dass ein seit Jahren in der DDR lebender polnischer Staatsbürger aktiver Anhänger der Solidarność geworden sei. Solche Informationen waren aus Sicht der alltäglichen bilateralen Zusammenarbeit nichts Ungewöhnliches. Jedoch nur, solange nicht bekannt wurde, dass die Zielperson ein ostdeutscher IM war,70 der die Kontakte mit dem MfS beenden wollte. Über solche inoffiziellen Tätigkeiten für die Stasi wurde die polnische Seite nicht informiert. Es kann nur vermutet werden, dass die jeweiligen Mitteilungen der polnischen Seite auch zum Ziel hatten, die potenzielle Tätigkeit solcher IM gegen die VRP zu beschränken. Weitere Interessenkonflikte in Bezug auf die Opposition waren im technischen Bereich zu beobachten. Formell gesehen sollte die Zusammenarbeit auf einer reinen Interessengemeinschaft beruhen. Die polnische Seite beantragte Unterstützung bei der Ortung der illegalen Radio- und TV-Sender der Solidarność.71 Ebenso gefragt waren technische Analysen, die die aus politischer Sicht wichtigen Ermittlungen beschleunigen sollten. Es handelte sich dabei etwa um Expertisen nach der Sprengung des Lenin-Denkmals in Nowa Huta im Jahr 1979. Die notwendigen Geräte wurden entweder ausgeliehen oder als Element der bilateralen Funkaufklärung übergeben. Dank der Unterstützung des MfS konnten die Sender innerhalb von zwei Monaten nach dem Abfangen der ersten Signale endgültig geortet, die Geräte beschlagnahmt und die Betreiber verhaftet werden. Solche Erfolge wurden grundsätzlich auf der Ministerebene mitgeteilt; es folgten Dankschreiben sowie konkrete Analysen der durchgeführten Operationen und beschlagnahmten Geräte.72 Ebenso wurden die technischen Details der bereits an der Grenze entdeckten und von Ausländern geschmuggelten Sender ausgetauscht.73 Die dabei verwendete Sprache glich wie üblich einer nahezu perfekten Propagandasprache, mit der für die »internationalistische Bruderhilfe« gedankt wurde. Fast alle geschmuggelten Geräte waren amerikanischer Herkunft. Die Schmuggler, die vorzugsweise aus Westeuropa stammten, bekamen Haftstrafen.74 Darüber hinaus wurde auch darum gebeten, die Grenze zukünftig genauer zu kontrollieren.75

69  Vgl. etwa Meldungen des hauptamtlichen Mitarbeiters der polnischen Aufklärung, Deckname »Pitt«, aus dem Jahr 1989, dessen Quellen Vorstandsmitglieder der ostdeutschen SDP befragten. IPN BU 0449/22, Bd 15, S. 62. 70  BStU, MfS, Abt. X Nr. 368, S. 114. 71  BStU, MfS, HA III Nr. 8, S. 174. 72  Kiszczak an Mielke, Schreiben vom Juli 1982; IPN BU 1585/2008, S. 135. 73  IPN BU 1585/2007, S. 379. 74  IPN BU 1585/2008, S. 369. 75  Kiszczak an Mielke, Schreiben vom Oktober 1983; BStU, MfS, Abt. X Nr. 1784, S. 539.

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Solch ein Korrespondenzstil war aus polnischer Sicht völlig verständlich. Die Bekämpfung der unabhängigen Öffentlichkeitsarbeit der Solidarność war eine der wichtigsten Aufgaben des Innenministeriums. Deshalb wurde das MfS bereits drei Tage nach der Feststellung der ersten oppositionellen Sendung um Hilfe gebeten. Jene dienstbedingte Schnelligkeit des MSW war das eine. Das operative Interesse des MfS jedoch war etwas anderes. Und dadurch entstanden Konflikte. Es ging nicht darum, dass die Stasi es plötzlich aufgab, die polnische Bekämpfung der Dissidenz zu unterstützen. Das Hilfsersuchen des stellvertretenden Innenministers76 konnte faktisch nur vom KGB gestoppt werden. Wichtiger als die Solidarność waren im Stasi-Alltag jedoch die laufenden Vorgänge der HA III. Ihre Bedürfnisse und die operative Auslastung ihrer Geräte entschied, wann und wie Hilfe geleistet wurde. Aus Sicht der Staatssicherheit war es auch wichtig zu wissen, ob die verfolgten Sender stark genug waren, um auf dem Gebiet der DDR empfangen zu werden. Wenn das nicht der Fall war, wurde einfach weniger Unterstützung geleistet. Außerdem verglich man alle Informationen, die man aus Polen erhalten hatte, mit den bereits ohne Hilfe gewonnenen Informationen zum Thema. Über sämtliche illegale polnische Sender wurden alle Angaben gesammelt, die in Westeuropa zu gewinnen waren.77 Im Vergleich zu anderen gemeinsamen funkelektronischen Operationen, die nichts mit der Opposition zu tun hatten, schienen die internen Anweisungen der HA III genauso restriktiv zu sein, wie es bei der »gemeinsamen« Bearbeitung der westlichen Botschaften der Fall war. Beispielsweise wurde die Entsendung von ostdeutschem Personal als nicht zweckmäßig bewertet. Es musste schließlich zwangsläufig zumindest einen Teil der Verantwortung bei der Durchführung der jeweiligen Vorgänge übernehmen. Konkreter bedeutete dies, dass man es ablehnte, die in Polen zur Verfügung stehenden Geräte zu reparieren. Dabei hätte Werkzeug benutzt werden müssen, das der polnischen Seite eigentlich vorenthalten werden sollte. Bedenken löste auch die notwendige Konspiration jener Reisen aus. Alles in allem entsteht der Eindruck, dass die Aufklärung der Solidarność weniger Bedeutung hatte als die Wahrung der eigenen Geheimnisse sowie der laufenden Operationen. Abhörgeräte etwa durften nur dann nach Polen gesendet werden, wenn die eigene Abdeckung des täglichen Bedarfs damit nicht gefährdet war. Als Folge wurden die polnischen Aufträge nur beschränkt berücksichtigt. Das MfS schickte dem MSW lediglich ein stationäres, vier halbstationäre und sechs mobile Ortungsgeräte. Polnische Bitten, auch Personal zu delegieren, wurden

76  BStU, MfS, HA III Nr. 266, S. 38. 77  Aus MfS-Sicht waren vor allem die technischen Möglichkeiten der illegalen Sender von Bedeutung. Dabei gewonnene Erkenntnisse wurden dann an den KGB weitergeleitet, aber nicht unbedingt an das MSW, das nur optional informiert werden durfte. Beispiel: BStU, MfS, HA III Nr. 13731, S. 9; Labrenz-Weiß: Zwalczanie Solidarności, S. 249.

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abgelehnt.78 Auf der anderen Seite schien der Hilfsempfänger äußerst zufrieden mit der Leistung des MfS zu sein. Warum? Der ostdeutsche Geheimdienst lieferte im Vergleich zu den anderen Sicherheitsministerien des Warschauer Paktes 20 Prozent der benötigten Geräte, deren Qualität und Zuverlässigkeit sehr geschätzt wurde.79 Die polnische Funkaufklärung war mit diesen so zufrieden, dass sie sie letztendlich nicht einmal zurückgab. Hingegen bat sie alle zwei Jahre darum, die Nutzungsperiode um weitere 24 Monate zu verlängern.80 Ob dies jedoch dazu beitrug, die Ortungszahl zu erhöhen, ist fraglich. Schließlich wurden allein in der Zeit von 1982 bis 1983 mithilfe der technischen Mittel 150 Operationen durchgeführt, um illegale Sender zu orten. Während dieser Operationen wurden jedoch nur sechs Sender lokalisiert. Doppelt so viele hingegen konnten ohne Technik und nur aufgrund der eigenen IM-Arbeit entdeckt werden. Folglich kann die These formuliert werden, dass jene Unterstützung eigentlich das Ziel hatte, der Leitung beider Ministerien ein reines Gewissen zu verschaffen. Das MfS durfte behaupten, dass geholfen wurde, und das MSW konnte beweisen, dass gegen die Opposition gekämpft wurde. Nicht nur im technischen Bereich war die Rolle der IM von Bedeutung. Um die eigenen Ressourcen zu schützen, die im bilateralen Bereich besonders sensibel waren, blieb die operative Zusammenarbeit mithilfe menschlicher Quellen die seltenste. Die Oppositionsbekämpfung unterschied sich dabei von anderen Linien, wie der Spionageabwehr, weil deren Quellen Informationen liefern konnten, die gegen den Partner benutzt werden durften. Außerdem spielte die Zäsur des Jahres 1980 für solche Vorgänge eine entscheidende Rolle. Von 1974 bis zum Ende des Jahres 1980 kann im bilateralen Kontakt die Tendenz beobachtet werden, dass man einander relativ ehrlich über eigene Erfolge bei der Aufklärung der Opposition informierte. Zwar wurde dabei nichts über die Informationsbeschaffung gesagt, ohne die IM-Arbeit jedoch wäre diese größtenteils nicht möglich gewesen. Mehr noch, jede Information galt für das MSW als Hinweis, an welchen Orten die Stasi in Polen die Möglichkeit hatte, eigene Quellen einzusetzen. Dazu ein Beispiel aus dem Jahr 1980. Das MfS schickte dem Innenministerium 350 fotografierte Seiten mit illegalen polnischen Zeitschriften, welche die Wohnadresse eines KORDissidenten enthielten, bei dem die Aufnahmen gemacht wurden.81 Dieser Vorfall löste im polnischen Geheimdienst einige Reaktionen aus. Er trug nicht nur dazu bei, die eigene IM-Arbeit zu verstärken, sondern half auch, eine adäquate Gegen78  In polnischen publizistischen Beiträgen wurde die Teilnahme des MfS-Personals für möglich gehalten: Radio Solidarność nadaje. Siekiera, motyka z nadajnika. In: Polityka v. 20.4.2012. Laut MfS-Akten wurden gelegentlich polnische Techniker in der DDR geschult. In der VRP hat das MSW mit den ostdeutschen Geräten die illegalen Sender alleine orten müssen. BStU, MfS, HA III Nr. 17757, S. 61. 79  Siehe Beratungsprotokoll von 1983; BStU, MfS, HA III Nr. 10826, S. 14. 80  MSW-Ersuchen von 1986; BStU, MfS, Abt. X Nr. 350, S. 5. 81  IPN BU 1585/2006, S. 628.

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leistung für das MfS vorzubereiten. Die Stasi bekam daraufhin die Angaben eines in Westberlin lebenden Hotelmitarbeiters, der aus Sicht des MSW als Vermittler eines illegalen Kurierweges fungierte.82 Anbei bat sie um seine Überprüfung. Die Übergabe solcher operativer Hinweise war für jeden Geheimdienst enorm wichtig, da sie unter Umständen mit einer Quellenübergabe zu vergleichen war oder auch zur Entdeckung von Quellen führen konnte. Besonders wichtig waren in den Augen des MfS Angaben darüber, welche DDR-Bürger sich in Polen mit polnischen Dissidenten getroffen hatten. Nur ein kleiner Hinweis des MSW, wie die PKZ,83 genügte dem MfS, um einen operativen Vorgang zu eröffnen und die jeweilige Zielperson zu beobachten und zu verfolgen. Was änderte sich mit dem Jahr 1980? Vor allem wurden die operativ-relevanten Informationen zur Opposition deutlich selektiver ausgetauscht. Außerdem wurden die ersten wichtigen bilateralen Vorgänge konzipiert, in deren Hintergrund allerdings vor allem das eigene und nicht das gemeinsame Interesse stand, was unvermeidlich zu Konflikten führen musste. Die Operationen, von denen die Rede war, wurden entweder von der polnischen Seite benötigt oder waren Folge der Tatsache, dass das MSW eine weder offiziell mitgeteilte noch genehmigte Tätigkeit ostdeutscher Quellen auf polnischem Gebiet festgestellt hatte. Der wachsende Schutz der eigenen IM kann am besten dem diesbezüglichen Schriftwechsel entnommen werden. Statt konkrete Fakten zum Ort der Informationsbeschaffung zu nennen, beschränkte sich das MfS auf allgemeine Hinweise, zum Beispiel dass die Informationen während einer Reise beschafft wurden.84 Ebenso oft wurden solche Angaben komplett verschwiegen. Es wurde lediglich der rein protokollarische Satz formuliert, dass die überlieferten Angaben dank der operativen Arbeit ermittelt werden konnten. Je näher die politische Wende des Jahres 1989 kam, desto häufiger wurden Informationen geschickt, die mit der Realität kaum etwas zu tun hatten, vor allem in ostdeutschen Schreiben an das MSW. Die Mitteilungen sagten meist aus, dass in der VRP angeblich neue oppositionelle Gruppen entstanden sind. Sie wurden dabei faktisch umso bedeutungsloser, je mehr Angaben der Stasi über sie bekannt wurden. Ziel war es, entweder die Wachsamkeit des Partnerdienstes zu stärken oder den Eindruck zu erwecken, dass die Operativgruppe Warschau keine Ahnung hatte, was in den 1980er-Jahren in Polen eigentlich passierte. Dazu ein Beispiel: Die Außenstelle der OGW in Breslau teilte dem polnischen Innenministerium 1988 mit, dass ihr die Entstehung einer neuen Organisation bekannt geworden sei.85 Es handelte sich um die Bewegung des Alternativen Denkens (Ruch Alternatywnego Myślenia). Diese Gruppe wurde jedoch bereits 1984 gegründet. Und mehr noch, ihr Initiator 82  83  84  85 

IPN BU 1585/2004, S. 575. Schreiben des MSW an das MfS von 1977; IPN BU 1585/1999, S. 743. Beispiel von 1982; BStU, MfS, HA II Nr. 30307, S. 469. MfS-Bericht für das MSW; IPN BU 2521/49, S. 1.

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war die Staatspartei selbst, die dadurch den Einfluss der »echten« Opposition mildern wollte. Deshalb wurde die Bewegung von der Solidarność boykottiert. Wie sahen die konkreten operativen Vorgänge beider Dienste angesichts der letztgenannten Umstände aus? Formell gesehen, waren gemeinsame Interessen durchaus vorhanden. Insbesondere in Westberlin entwickelten sich in den 1980erJahren viele Initiativen zur Unterstützung der Solidarność. Beide Ressorts waren daran interessiert, die Solidarność-Gesellschaft oder die in Westberlin tätigen Gruppen der kämpfenden Solidarność aufzuklären. Als Schlüsselfigur galt der Chefredakteur der Zeitschrift »Pogląd« (Meinung), Edward Klimczak, der gleichzeitig Vorsitzender der bereits erwähnten Gesellschaft war. Da die ostdeutschen Quellen in Westberlin weniger verdächtig in die Gesellschaft eintreten konnten als das bei einem Polen der Fall gewesen wäre, nutzten die Stasi-Quellen86 die Gelegenheit, die Gesellschaft zu infiltrieren. Das polnische Innenministerium bekam also regelmäßig Sitzungsprotokolle, wichtige Informationen zu Finanzquellen, statistische Angaben über geschmuggelte Zeitschriften oder Informationen über laufende organisatorische Probleme, wie etwa fehlendes Personal.87 Wo lag also das Problem in der bilateralen Zusammenarbeit? Erstens besagten die internen Richtlinien der MfS-Einheiten, etwa der HA XX, dass der IM-Einsatz im Falle einer Kooperation mit dem MSW nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen durfte.88 Zweitens war der diesbezügliche Informationsaustausch weder routinemäßig noch selbstverständlich. Der stellvertretende Leiter der HA II musste jedes Mal entscheiden, ob die gewonnenen Erkenntnisse dem Partner mitgeteilt werden durften.89 Die gegen Klimczak eingesetzten Agenten hatten auch Aufträge gegen die VRP auszuführen, weshalb die Zurückhaltung des MfS nachvollziehbar war. Sie galt auch auf der polnischen Seite. Wenn die Stasi um Hilfe gebeten wurde, den Aufenthaltsort eines polnischen Oppositionellen aufzuklären, wusste sie nicht, dass der Gesuchte ein polnischer IM war.90 Jedoch gab es keine andere Möglichkeit, da eine andere Mitteilung das MSW operativ zu viel gekostet hätte. Die Wahrheit durfte erst dann gesagt werden, wenn es keine andere Wahl gab. In einem solchen Fall konnten die eigenen Verluste eine Art Entschädigung für den Partner sein, die dann von ihm nicht nur propagandapolitisch genutzt werden konnten. Es handelte sich konkret um einige Kuriere, die für den Schmuggel von Literatur zuständig waren und als Mittelsmänner zwischen den Solidarność-Büros in Brüssel und Polen fungierten. Einige von ihnen hatten in der DDR studiert und sollten aufgrund einer Erpressung durch das Innenministerium zur inoffiziellen 86  Damit ist der IM »Dr. Schreiber« gemeint. Labrenz-Weiß; Sawicki: Solidarność walcząca, S. 123. 87  BStU, MfS, HA II Nr. 38172, S. 181. 88  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1257, Teil I, S. 108. 89  Ebenda, S. 229. 90  BStU, MfS, HA II Nr. 38836, S. 351.

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Zusammenarbeit angeworben werden.91 Das MfS sollte lediglich die Zielpersonen in der DDR diskret überwachen. Falls die Kuriere aber trotz der Erpressung nicht zur Zusammenarbeit bereit waren, durfte die Stasi diese Zielpersonen verhaften, ausliefern und die geschmuggelten Materialien beschlagnahmen. Aus operativer Sicht war es günstiger, den Partner nicht zu informieren, welche Schritte zur Bekämpfung der Opposition unternommen wurden. So handelte das MfS. Jedoch deckte das MSW inoffizielle Aktivitäten des MfS meistens schnell auf und leitete entsprechende Maßnahmen ein. Dies war auch bei Klimczak der Fall. Den ihm gewidmeten operativen Vorgang »Lektor«92 eröffnete das MfS im April 1984. Er hatte zum Ziel, die Struktur der kämpfenden Solidarność, ihre Kontakte, Finanzen und Schmugglerkanäle aufzuklären. Dabei steht außer Frage, dass die üblichen Mittel, wie die IM-Arbeit, eingesetzt wurden. Zudem platzierte das MfS im Vorgangsplan wie schon so oft eine eventuelle Kooperation mit dem polnischen Innenministerium an letzter Stelle.93 Erst als im März 1985 die erste Phase der MfS-Aktivitäten beendet und alle Pläne für weitere Schritte genehmigt wurden, einschließlich eines IM-Einsatzes, wurde das Innenministerium via Operativgruppe ausgefragt. Das MfS wollte Auskunft darüber, welche Informationen der polnische Geheimdienst über die Zeitschrift »Pogląd« hatte und welche Einflussmöglichkeiten dem MSW für die mit Klimczak verbundenen Milieus zur Verfügung standen. Seitens der Stasi wurde vorgeschlagen, gemeinsam operative Kombinationen in Westberlin zu realisieren.94 Dies entsprach jedoch nicht der wahren Absicht des MfS, abgesehen davon, dass die polnische Seite den Vorschlag annahm und die Operation »Kontakt« begonnen wurde. Faktisch wollte die Stasi ihre eigenen Erkenntnisse zur Lage in der Opposition verifizieren. Auf der anderen Seite hatte das MSW bereits zwei Jahre vor der offiziellen Anfrage der OGW dank des Ersten Departments umfassende Dossiers zu Klimczak.95 Immerhin versuchten die ostdeutschen IM mit Erfolg, Kontakte mit der kämpfenden Solidarność und der Solidarność-Gesellschaft zu knüpfen. Ihre Legenden wurden gemeinsam innerhalb beider Geheimdienste gestaltet.96 Die polnischen Offiziere durften jedoch nicht alles erfahren. Auch durften sie nicht alle ostdeutschen Quellen innerhalb der Operation kennen. Diese war insofern operativ nützlich, als dank der IM-Arbeit ein Kurier gewonnen und 91  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 130, S. 16. 92  BStU, MfS, HA II Nr. 38745, S. 1. Siehe auch die im Internet veröffentlichten diesbezüglichen MfS-Akten: http://swkatowice.mojeforum.net/viewtopic.php?t=6667 (letzter Zugriff: 2.7.2020). 93  Operativplan OV »Lektor«. MfS-Akten, veröffentlicht auf der Internetseite der Kämpfenden Solidarność: http://www.fotosik.pl/pokaz_obrazek/bd803ab53bac6469.html (letzter Zugriff: 2.7.2020). 94  MfS-Anfrage an das MSW: BStU, MfS, HA II Nr. 38745, S. 75. 95  Patryk Pleskot (Bearb.): Solidarność, Zachód i węże. Służba Bezpieczeństwa wobec emigracyjnych struktur Solidarności 1981–1989. Warszawa 2011, S. 261. 96  Ebenda, S. 97.

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auch kontrolliert werden konnte, der einige Jahre zwischen Polen und Westberlin/ der Bundesrepublik pendelte und über Jahre hinweg Korrespondenz und illegale Literatur schmuggelte. Sämtliche transportierte Güter standen selbstverständlich dem MfS zur Verfügung. Ihm oblag es somit, das Ausgangsmaterial auszuwerten. Der polnische Geheimdienst bekam nur die komprimierten Berichte. Nach wie vor blieb die wichtigste Aufgabe der Stasi, zu vergleichen, inwiefern die offiziellen Informationen des MSW mit den Erkenntnissen eigener IM übereinstimmten.97 Gleiche Probleme waren innerhalb anderer Vorgänge zu beobachten. Ein Beispiel ist die Operation »Sycylia/Sizilien«,98 an der u. a. der gleiche IM teilnahm, der auch im Fall Klimczak eingesetzt wurde, d. h. »Dr. Schreiber«. »Dr. Schreiber« und ein anderer IM mit Decknamen »Henryk« wurden interessanterweise als einzige IM in den Berichten der OGW erwähnt, die die Möglichkeit hatten, die Vertreter der Opposition in Polen zu kontaktieren.99 Dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie im Auftrag des MfS für die Aufklärung der Solidarność in Posen zuständig waren.100 Interessant ist allerdings die Frage, wann diese Operation begann. Ihre gemeinsame Dimension erreichte sie im Jahr 1987, also in einer Zeit, in der die ostdeutschen Agenten immer weniger von Nutzen waren. Zudem suchte das Innenministerium damals keine Agenten mehr, um die Opposition als solche zu bekämpfen. Sein Ziel war es, deren radikalen Flügel zu schwächen, was später die kontrollierte Demokratisierung ermöglichen sollte. Die Stasi wollte trotzdem Agenten einsetzen, um eigene Kenntnisse über Polen zu gewinnen. Nicht nur diese rein strategische Vorgehensweise innerhalb der Operation ist interessant. Sie ist auch eines der markantesten Beispiele, mit welchen Mitteln der polnische Geheimdienst die Stasi-Arbeit verfolgen konnte. Das Innenminis­terium wurde offiziell nicht über die Aktivitäten der in Posen eingesetzten Agenten informiert, obwohl diese bereits in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre stattfanden.101 Ein IM wurde beispielsweise gebeten, ein Gerät zu schmuggeln, das in der Lage war, Spuren einer geheimen Durchsuchung nachzuweisen.102 Dachte das MfS jedoch wirklich, dass das MSW in Posen keine umfassende IM-Arbeit betrieb? Falls ja, war diese Annahme ziemlich naiv. Der IM, von dem hier die Rede ist, wurde aufgrund seiner aus MSW-Sicht zu häufigen Reisen nach Polen verdächtigt. Die Folge dessen war ein bilaterales Treffen, bei dem die Mitarbeiter des polnischen Innenministeriums die wahren Personalien des ostdeutschen IM übergaben und 97  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14172, S. 80. 98  Hanna Labrenz-Weiß: Kryptonim »Sycylia«. Operacyjne rozpracowywanie »Solidarności Walczącej« przez SB, Stasi i KGB w świetle dokumentów wschodnioniemieckiej policji politycznej. Wrocław 2016, S. 3. 99  OGW Quartalbilanz II/86; BStU, MfS, HA II Nr. 38372, S. 152. 100  OV Sizilien/Sycylia, Eröffnungsbericht; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 195, S. 87. 101  Labrenz-Weiß; Sawicki: Solidarność walcząca, S. 124. 102  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 196, S. 1.

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eine offizielle Bestätigung bekamen, dass es sich um einen ostdeutschen Agenten handelte.103 Da solch eine Offenbarung grundsätzlich eine Aktivität des IM gegen die VRP ausschloss, konnte er nur die Funktion eines kontrollierten Schmugglers ausüben. Damit war er später in der Lage, ihm bekannte Oppositionsmitglieder zu verraten, da bei ihnen, dank der Tipps des IM, illegale Zeitschriften gefunden werden konnten. Fakt bleibt aber, dass solche Operationen keinesfalls eine bilaterale Zusammenarbeit voraussetzten. Der polnische Geheimdienst war fähig, nicht nur den eigenen Dissidenten, sondern auch den gut geschützten und abwehrmäßig geschulten westlichen Diplomaten illegale Materialien unterzuschieben, um sie dann zur Persona non grata zu erklären.104 Die während der Operation der polnischen Seite übergebenen »Geschenke« des MfS, also die oppositionellen polnischen Schriften, stellten ebenfalls den Sinn der Kooperation infrage. Solche Schriften konnten nämlich problemlos und legal in Westberlin gekauft werden. Schlussendlich konnte auch dieser Vorgang nichts an der Tatsache ändern, dass in den stasi-internen Richtlinien die Kontakte mit dem MSW als minderwertig beschrieben wurden. Die Koordination innerhalb des Projektes war stets der letzte und unwichtigste Punkt der immerhin gemeinsamen Operation, egal ob es sich um den Arbeitsplan oder die Vergabe von Aufträgen für die IM handelte.105 Die Folgen waren immens. Einer der IM mit Decknamen »Detlef Schröder« wurde bis 1988 nach Polen geschickt, um im Einvernehmen mit dem MSW während des eigenen Kuraufenthaltes Kontakte mit den Mitgliedern der Solidarność zu knüpfen. Dort arbeitete er unter anderem mit polnischen IM zusammen. Aber welche Art von Auftrag war für die Ostdeutschen besonders wichtig? Die Kooperation mit dem polnischen Geheimdienst? Keinesfalls. Am wichtigsten waren die speziell für das MfS verfassten Polen-Berichte. Nach Einschätzung des Innenministeriums hingegen kümmerte sich der ostdeutsche Agent nicht darum, die Personen zu bearbeiten, die für den polnischen Geheimdienst interessant waren. Deswegen wurde »Detlef Schröder« vom MSW nicht nur als unnötig, sondern auch, völlig zu Recht, als verdächtig eingestuft und von weiteren polnischen Maßnahmen ausgeschlossen,106 was auch dem MfS mitgeteilt wurde. Trotz der Probleme profitierte das Innenministerium im bereits erwähnten Fall. Immerhin waren Informationen zu Konflikten innerhalb der Opposition oder zu anderen personenbezogenen Fakten für jeden Geheimdienst relevant. Um solche Informationen weiterhin zu erhalten, trafen sich die zuständigen Offiziere beider Seiten regelmäßig. Während dieser Treffen koordinierten sie die Reisen der IM, klärten die Anwendung der Abhörgeräte oder bemühten sich darum, andere Dienste in das jeweilige Projekt einzubinden. Fuhr einer der 103  104  105  106 

BStU, MfS, HA II/10 Nr. 195, S. 60. Siemiątkowski: Wywiad a władza, S. 334. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 195, S. 11. BStU, MfS, AIM 12899/91, Teil II/1, S. 196.

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Agenten beispielsweise nach Litauen, musste auch der KGB informiert werden. Zum einen war das polnische Innenministerium nicht der einzige Dienst, der derart gewonnene Informationen bekam. Aus diesem Grund war deren spätere operative Nutzung deutlich eingeschränkt. Zum anderen waren die bereits erwähnten bi- bzw. multilateralen Beratungen nicht die einzigen. Unabhängig davon bestimmte das MfS eine eigene Taktik, nicht nur im Vorgang »Sycylia/ Sizilien«.107 Denn wie gesagt war nicht der operative Erfolg aller Parteien selbst, sondern vor allem die Glaubwürdigkeitskontrolle des MSW eines der Hauptziele der Stasi. Und welches Ziel verfolgte der polnische Geheimdienst? Auf keinen Fall wollte er den Vorgang sabotieren. Sämtliche Vorbereitungen wurden vom MSW ordnungsgemäß durchgeführt. Aber das war nicht alles. Neben den bilateral abgestimmten Schritten versuchte das Innenministerium, im Vorgangsgebiet zusätzlich eigene und nur dem polnischen Dienst bekannte IM zu platzieren. Sie hatten die klare Vorgabe, die Spitzenfunktionäre der Solidarność zu bespitzeln. Dabei war es nicht notwendig, die gewonnenen Erkenntnisse mit den »Freunden« teilen zu müssen. Nachdem intern festgestellt wurde, dass eine solche Bespitzelung vor allem in der durch alle Dienste gegründeten operativen Konstellation kaum möglich war, beschloss das Innenministerium, den Vorgang nicht fortzusetzen. Dem MfS wurden zwar Alternativen vorgeschlagen, beispielsweise eine künstliche oppositionelle Gruppe108 in der DDR zu gründen, um sie als Kontaktvermittler mit dem polnischen Untergrund zu nutzen, faktisch jedoch war eine solche Idee allein in Bezug auf die fortgeschrittene politische Wende in der DDR kaum zu realisieren, was dem polnischen Geheimdienst bewusst war.109 Deshalb können die Vorschläge des MSW als Versuch interpretiert werden, die bilaterale Zusammenarbeit möglichst ohne Komplikationen zu beenden. Neben der völlig unterschiedlichen und bereits erwähnten Interessenlage spielten noch andere Faktoren eine Rolle. Immer öfter wurde das MSW im Laufe des Vorgangs »Sycylia/Sizilien« vom MfS als unprofessionell bezeichnet, was nicht unbedingt zutreffend war. Wichtiger war aber der Verdacht der polnischen Seite, dass einer der ostdeutschen IM Kontakte zum BND hatte. Obendrein gab es zum Zeitpunkt der Realisierung der Operation auch Berichte in der westdeutschen Presse, in denen dem MSW die Verfolgung der politischen Emigration vorgeworfen wurde. Personenbeschreibungen der Journalisten entsprachen angeblich genau einigen für beide Dienste tätigen IM.110 Grund genug, noch misstrauischer zu werden.

107  Sawicki: Raport, S. 139. 108  Labrenz-Weiß; Sawicki: Solidarność walcząca, S. 130. 109  Wojciech Wrzesiński (Hg.): Drogi do Niepodległości 1944–1956/1980–1989. Nieznane źródła do dziejów najnowszych Polski. Wrocław 2001, S. 302. 110  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 195, S. 199.

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4.1.4 Misstrauen und Konflikte als Bestandteil gemeinsamer Handlungen Ohne Zweifel trugen nicht nur die Presseartikel dazu bei, dass beide Sicherheits­ ministerien bei der Bekämpfung der Opposition nicht immer miteinander, sondern häufig gegeneinander agierten. Noch relevanter waren in dieser Hinsicht jene Fälle, in denen die eigenen Interessen nicht im Hintergrund standen oder diskret gefördert wurden, sondern in denen die Stasi faktisch offen gegen das MSW arbeitete. Ein bekanntes Beispiel ist der in der Presse nach 1989111 oft erwähnte Stasi-IM »Henryk«.112 Innerhalb der Berichte wurde jedoch oft nur auf seine Kontakte mit der Solidarność hingewiesen und nie auf seine Verbindungen zum unbekannten bilateralen geheimdienstlichen Konflikt. Der Betroffene, ein DDR-Bürger, hielt sich seit 1981 mit zeitlichen Abständen als Student bzw. Stipendiat und später als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der VRP auf. Die Stasi-Akten belegen, dass er u. a. die Aufgabe hatte, Kontakte mit namhaften Vertretern der Opposition zu knüpfen. Die internen Verweise in den MfS-Dokumenten belegen ebenso eindeutig,113 dass das MfS nicht daran interessiert war, diesen IM an das polnische Innenministerium zu verraten. Eine Zusammenarbeit mit dem MSW stand nicht zur Debatte. Es bleibt also fraglich, ob das MfS tatsächlich davon ausging, dass ein in Danzig tätiger IM nicht entdeckt werden könne. Damit stellte das MfS die Arbeit des polnischen Geheimdienstes außerordentlich infrage. Schließlich ist es schwer, als Ausländer unentdeckt zu bleiben, vor allem, da besagter IM explizit den Kontakt zur Opposition suchte und sogar beabsichtigte, die wichtigsten Funktionsträger der Solidarność kennenzulernen. »Henryk« wurde in Danzig von der polnischen Auslandsaufklärung jedoch relativ schnell als verdächtige Person eingestuft. Es konnte gar nicht anders kommen, da zu dieser Zeit das Innenministerium jeden Ausländer in der VRP, egal welcher Herkunft, im Visier hatte. Zudem flog die Tarnung »Henryks« auf, als das MfS mit der üblichen halbjährigen Verspätung dem MSW die komprimierten Informationen zur polnischen Opposition übermittelte, die aufgrund von »Henryks« Berichterstattung verfasst worden waren. Da es sich dabei um namhafte Solidarność-Vertreter handelte, mussten die Dokumente der Stasi beim MSW die Frage aufkommen lassen, wie das MfS an derartige Informationen gelangt sein konnte. Wann wurde also die 111  Diese Sache wird man mir hier nie verzeihen. In: Berliner Zeitung v. 8.12.1995; Immer zu Diensten. In: Die Zeit v. 8.12.1995; System beseitigt. In: Der Spiegel v. 4.12.1995; Na celowniku STASI. In: Newsweek Polska v. 5.7.2009. 112  Bis heute bestreitet die Person, die als IM »Henryk« bezeichnet wurde, sämtliche Vorwürfe, mit dem MfS inoffiziell zusammengearbeitet zu haben. Bevor den Forschern seine Akten zur Verfügung gestellt wurden, bekamen sie eine Sondermappe, in der der Betroffene schriftlich Stellung zu den Vorwürfen genommen hat. Zu diesem Thema siehe auch Zechenter: Zwyczajne życie, S. 89. 113  BStU, MfS, AIM 12837/91, Teil II/5, S. 116. Siehe auch Tantzscher: Wir fangen an, S. 110.

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polnische Seite offiziell darüber informiert, dass der ostdeutsche Geheimdienst eine gut platzierte Quelle in der Nähe der Solidarność hatte? Im Dezember 1985 – nach fast fünfjährigem Einsatz des IM in Polen. Dabei stellt sich die Frage, ob das Innenministerium sonderlich überrascht von der Erkenntnis war, dass sich derartige Quellen in der VRP befanden. Die Notizen, die das MfS nach einem entsprechenden bilateralen Treffen aufzeichnete,114 lassen viele Zweifel daran. Dieses Treffen war sogar eher ein markantes Beispiel dafür, wie fiktiv die Zusammenarbeit beider Dienste eigentlich war. Die polnischen Gastgeber, also Vertreter der Spionageabwehr und des Studienbüros in Danzig, vertraten anfangs die These, dass ihnen die Organisation dieser Beratung von der Warschauer Zentrale befohlen wurde. Hätten sie diesbezüglich eine Entscheidung treffen dürfen, hätten sie nicht mit der Stasi sprechen wollen. So empört war die polnische Seite. Die Gastgeber betonten auch, dass das Thema der Beratung keinesfalls die Zusammenarbeit war. Ziel war es, das MfS abzumahnen, da es ohne Genehmigung des MSW Schritte auf dem Gebiet des vermeintlich befreundeten Nachbarlandes unternommen hatte. Bei der Betrachtung der ostdeutschen Notizen hingegen entsteht ein ganz anderer Eindruck. Ihnen zufolge war die besagte Beratung eher eine von Polen seit Jahren erwünschte Gelegenheit, um den Ostdeutschen endlich einmal sagen zu können, wie das polnische Innenministerium wirklich über das MfS dachte. Unter anderem wurde der Stasi mangelnde Professionalität vorgeworfen. Die Informationen, die »Henryk« lieferte, kannte das Innenministerium seit Jahren. Es wurde darauf hingewiesen, dass die unabhängigen Milieus, in denen er aktiv war, mit 35 hauptamtlichen Mitarbeitern beaufsichtigt wurden. Es musste also seitens des MfS ziemlich naiv gewesen sein, zu glauben, dass fremde Agenten vom Innenministerium nicht entdeckt werden würden.115 Ohne Zweifel dominierte in der Haltung der Gastgeber vor allem eine gewisse Arroganz. Nur so kann erklärt werden, dass »Henryk« nur deswegen nicht verhaftet wurde, weil er angeblich »zu schwach« war. Ebenso zynisch schien der bereits in anderen Vorgängen erwähnte Vorschlag, in der DDR eine unabhängige Gruppe zu bilden, um dort »Henryks« Fähigkeiten besser nutzen zu können. Über ihn wurde zwar nicht namentlich gesprochen. Aber die Gastgeber hatten genug Informationen über »Henryk« genannt, wie seinen Berufsstatus, seine Adressen usw., um ihn eigentlich eindeutig identifizieren zu können. Die nach der Wende veröffentlichten Zeitzeugenberichte der damaligen Dissidenten, die mit »Henryk« zu tun gehabt hatten, belegen die Logik des Innenministeriums. Ein Ausländer, der der Solidarność derart nahestand, an einer Vielzahl illegaler Veranstaltungen teilnahm, über illegale Literatur verfügte und trotzdem kaum von ständigen 114  BStU, MfS, AIM 12837/91 Z, Teil II/6, S. 6. 115  Auch andere mit dem Innenministerium verbundene Personen stellten die Professionalität des MfS in Polen infrage. Piecuch: Wałęsa, S. 109.

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Repressionen betroffen war, musste auffallen. Im Grunde genommen musste der polnische Geheimdienst nicht einmal aktiv werden, um den IM zu enttarnen.116 Als Nebeneffekt wurden dadurch auch die eigenen polnischen Quellen geschont. Was für einer Logik folgte das MfS damit? Obwohl der IM nach fünf Jahren keinen Nutzen mehr hatte und als Quelle verlorenging, blieb er in Polen.117 Trotzdem war das MfS damit nicht wirklich gescheitert. Die Stasi hatte weiterhin eigene inoffizielle Mitarbeiter in Polen,118 die nicht so direkt in der Nähe der Solidarność platziert wurden.119 Zudem war »Henryk« nicht als IM vorgesehen, dessen Hauptaufgabe es war, die Opposition aufzuklären. Sein Forschungsgebiet hatte in den 1980er-Jahren eine enorme Bedeutung für die Entwicklung der Streitkräfte der beiden damaligen Supermächte. Er selbst besuchte nämlich für einen DDR-Bürger außerordentlich oft die westlichen internationalen Fachkonferenzen, bei denen auch die für die westlichen Militärs tätigen Forscher anwesend waren. Die Solidarność war für ihn insofern relevant, als gewisse Kontakte später für Kombinationen gegen die NATO-Militärgeheimdienste eine Rolle spielten, die kaum mit der polnischen Opposition verbunden waren. Sie wurden jedoch nicht realisiert. Ihnen kam die politische Wende in der DDR in die Quere.120 Die bereits dargestellten Probleme und Komplikationen in den bilateralen Vorgängen, die ohnehin relativ selten von beiden Diensten gemeinsam durchgeführt wurden, mussten zwangsläufig die Frage nach dem Sinn einer Kooperation aufwerfen. Schließlich war der operative Gewinn bescheiden und beide Geheimdienste unterlagen dem Zwang, eigene Quellen offenbaren zu müssen. War das Innenministerium für das MfS wirklich notwendig, um die polnische Opposition in Westberlin zu bearbeiten? Eher nicht,121 zumal der polnische Geheimdienst nie die Absicht hatte, die unabhängigen Bewegungen in der VRP endgültig zu 116  Unprofessionelles Verhalten der nach 1989 bekannt gewordenen ostdeutschen IM sowie deren geringere Einflussmöglichkeiten bestätigten auch die damaligen polnischen Dissidenten. Vgl. Na celowniku Stasi. In: Newsweek Polska v. 5.7.2009. Mehr noch, selbst IM-Berichte enthielten Informationen zur Beobachtung des Innenministeriums, die bereits 1980 begonnen hatte. BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5614, Teil II, S. 294. 117  Die Tatsache, dass der IM in Polen geblieben ist, war untypisch für das Verhalten des ostdeutschen Geheimdienstes. Wäre das in einem anderen sozialistischen Staat der Fall gewesen, wäre der IM zwar weiterhin kontaktiert worden, aber immer seltener. Außerdem wurde er formell aus dem IM-Netz herausgenommen, auch rein bürokratisch durch eine Abmeldung. Siehe Fall IM »Doktor«; BStU, MfS, BV Potsdam, AIM 4664/79, Teil I/1, S. 187. 118  Beispiele: IME »Christian« i »Christiane«: Bańbor: Zwalczanie, S. 441. 119  BStU, MfS, BV Gera, Abt. XX Nr. SA 209, S. 90. 120  BStU, MfS, AIM 12837/91, Teil I/2, S. 465. 121  Als Beleg galt die eigene Überwachung der westeuropäischen und in Westberlin tätigen Journalisten, die nachweisbare Kontakte mit polnischen Oppositionellen hatten. Abgesehen davon, dass das MfS diese Journalisten grundsätzlich als westliche Agenten betrachtete, war es für die Stasi einfacher, sie etwa an der Grenze zu kontrollieren, sie in Westberlin abzuhören und ihre Unterlagen/Notizen über die Solidarność zu gewinnen, als die eigenen IM nach Polen zu führen und die damit verbundenen Probleme in Kauf zu nehmen. Beispiel: Situationsbericht von

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unterdrücken. Die Offenlegung der ostdeutschen IM in Polen belastete außerdem das ohnehin schwierige Verhältnis beider Ministerien, ebenso wie die merkwürdigen Ideen des MSW. Erst Ende November 1988 bot es dem MfS auf eigene Initiative Hilfe bei der Oppositionsbekämpfung an, und zwar am Rande einer Beratung zur Kontrolle der westeuropäischen Journalisten. Drei Monate später sollten in Polen bereits die Gespräche am Runden Tisch stattfinden. Somit wirkt das Angebot, als wolle das MSW die ostdeutschen Genossen beruhigen oder zusätzlich aufregen. Immerhin wurde es vonseiten der Stasi geprüft. Die Idee bestand darin, dass die als polnische IM tätigen westlichen Journalisten Kontakt mit ostdeutschen Bürgerrechtlern aufnehmen sollten.122 Dabei konnte sich die Stasi jedoch nicht sicher sein, dass das MSW nicht ähnlich wie das MfS in Polen handeln würde. Vor allem aus diesem Grund betrieben letztlich beide Ministerien eigene Aufklärungsarbeit zur Opposition des Partners. Neben der Operativgruppe Warschau, deren Arbeit in einem späteren Kapitel betrachtet werden soll, wurden sämtliche Angaben zu westdeutschen Bürgern gesammelt, die aktiv Spenden für die Solidarność eingeworben hatten. Die Stasi versuchte, alle in der Bundesrepublik stattfindenden Veranstaltungen von der oder über die Opposition in Polen zu verfolgen, insbesondere an Universitäten.123 Im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten wurden Begegnungen von bekannten polnischen Dissidenten mit Ausländern in der Bundesrepublik registriert. Außerdem wurden sämtliche ihrer Aktivitäten, wie die Herausgabe von Schriften oder die Mitorganisation von Hilfstransporten, verfolgt. Einige Themen der abgehörten Gespräche waren wichtig, um die eigenen Kontrollmaßnahmen an der Grenze zu verbessern oder Schwächen der Grenzsicherung zu beseitigen.124 Außerdem hatte die Abteilung M, die für die Überwachung des Postverkehrs im Inland sowie grenzüberschreitend zuständig war, auch ohne die Hilfe des MSW genug Möglichkeiten, zu erfahren, welche Unterstützung das »Radio Free Europe« den in Westberlin ansässigen Dissidenten anbot.125 So erfuhren sie auch, um welche Art von Hilfe die polnische unabhängige Studentenbewegung die polnische Emigration bat. Das nicht mit dem Innenministerium abgesprochene IM-Netz in Polen, das sich mit der Solidarność beschäftigte, bestand vor allem aus ostdeutschen Studenten,126 Wissenschaftlern und Journalisten, aber auch aus Bürgern, Agenten des französischen Geheimdienstes in Berlin West zur Lage in der VR Polen, [17.2.1981]; BStU, MfS, HA XX Nr. 3895, S. 37. 122  Notiz aus der entsprechenden Beratung: BStU, MfS, HA II/13 Nr. 1512, S. 41. 123  HA XX/AKG, Aktivitäten im Operationsgebiet sowie Meinungen im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation in der VR Polen, [16.4.1981]; BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 3162, S. 83. 124  BStU, MfS, HA VII Nr. 2950, Bd. 1, S. 57. 125  BStU, MfS, HA II Nr. 38172, S. 279. 126  Das waren z. B. IMS Sylvio, IMS Martina und IM Horn. BStU, MfS, HA II Nr. 38328, S. 92; BStU, MfS, BV Gera, AIM 243/62, Teil II/5, S. 75.

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die familiäre Kontakte mit der VRP unterhielten. Ihnen ging es nicht immer nur darum, direkte Kontakte mit den Dissidenten herzustellen. Wichtiger war es, die allgemeine Meinung der polnischen Bevölkerung zu evaluieren. Dazu zählten Informationen darüber, wie die Solidarność und deren Aktionen im Land wahrgenommen wurden, wie wirksam die Verteilung von Flyern war, aber auch, welchen Einfluss Papstbesuche auf die Gesellschaft hatten. Jede Dienst- oder Privatreise eines IM hatte das Ziel, so viele Informationen über Polen wie möglich zu beschaffen.127 Nicht alle Informanten waren dabei IM im klassischen Sinne, d. h. mit Decknamen, Verpflichtungserklärung, einem festen Honorar und mehr. Viele Dienstreisende schrieben nach ihrem Polenaufenthalt Reiseberichte, die mit wahren Nachnamen unterschrieben wurden. Einige Berichte wurden direkt in der Botschaft der DDR vorgelegt, andere erst in der DDR selbst. Sie alle landeten jedoch abschließend im MfS. Identisch arbeitete die polnische Aufklärung in der DDR.128 Seit den 1980erJahren analysierten die polnischen Offiziere in der Residentur in Ostberlin dank der Hilfe eigener Informanten ununterbrochen die Aktivitäten der DDROpposition.129 Selbst die hauptamtlichen Mitarbeiter der Aufklärung trafen sich mit ostdeutschen Bürgerrechtlern und verfassten dann entsprechende Berichte für die Zentrale,130 aus denen allgemeine politisch-analytische Abhandlungen entstanden. Interessanterweise ist vor allem den primären Berichten, also Notizen von einfachen Treffen, eine große Skepsis zu entnehmen, ob die Dissidenten nicht für die Inlandsabteilungen des MfS, sondern eigentlich inoffiziell für die HV A von Markus Wolf tätig waren. In einigen Dokumenten der polnischen Aufklärung wurde direkt die Vermutung geäußert, dass Wolf maßgeblich dazu beigetragen hat, die Haltung der DDR-Opposition zu stimulieren und die politische Wende 1989 herbeizuführen.131 Der polnischen Residentur war jedoch nicht klar, welche Politik Wolf eigentlich zu betreiben versuchte. Klar schien ihr hingegen, dass die meisten Gesprächspartner der polnischen Residenten von ihm manipuliert wurden.

127  Fall vom Februar 1981; BStU, MfS, HA II Nr. 38203, S. 243. 128  Siehe Berichte der polnischen Quellen über die Lage in der DDR, vorbereitet an der HU in Ostberlin. IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 92. 129  Die Residentur unterstützte dabei die Quelle – ein polnischer Bürger, Deckname »Kama«; IPN BU 0449/22, Bd. 43, S. 21. 130  IPN BU 0449/22, Bd. 9, S. 135. 131  Siehe z. B. Notiz des polnischen Offiziers mit Decknamen »Pitt« vom Oktober 1989; IPN BU 0449/22, Bd. 26, S. 15.

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4.2 Der Kampf gegen die Kirchen und Glaubensgemeinschaften 4.2.1 Ziele und quantitative Dimension der Zusammenarbeit Die Kontakte zwischen dem polnischen und dem ostdeutschen Geheimdienst, deren Ziel die Bekämpfung der Kirchen war, wurden nach Abschluss der Grundsatzvereinbarung von 1974 von den gleichen Umständen beeinflusst, die bereits vorher für das bilaterale Verhältnis relevant waren. Der Kampf gegen die Kirchen galt neben der Aufklärung der politischen Opposition als eine der wichtigsten Aufgaben. In der VRP wurde die Konfession grundsätzlich als politischer Faktor angesehen. Ostdeutsche Religionsgemeinschaften konnten jedoch kaum mit der Stärke und Bedeutung der polnischen katholischen Kirche verglichen werden, egal ob es sich um die Zahl der Gläubigen, die institutionelle Entwicklung oder das Charisma der wichtigsten kirchlichen Funktionsträger handelte, wobei Letzteres insbesondere nach 1980 kontinuierlich wuchs.132 Die Stärke der internen, für die Kirchen zuständigen MSW-Einheiten und deren Fähigkeit, Informationen über kirchliche Interna zu sammeln,133 die Erfolge in der IM-Arbeit134 sowie die von der Stasi besonders positiv bewertete Praxis, offensive und gewaltmotivierte Aktionen gegen die Kirche zu organisieren,135 entsprachen im Grunde genommen der Arbeitslogik des MfS. Sie zielten darauf ab, feindliche Handlungen auszuschalten. Wie das Dritte Department des MSW gegen die Kirchen vorging, entsprach aus ostdeutscher Sicht der klassenbewussten Wahrnehmung der tschekistischen Arbeit.136 Aus diesem Grund kam es innerhalb der kirchlich bedingten Kontakte zu keinen großen Diskrepanzen, anders als es etwa bei der bereits beschriebenen Bekämpfung der Opposition der Fall war. Angesichts der beträchtlichen Unterschiede zwischen der ostdeutschen und der polnischen katholischen Kirche gab es innerhalb der Kirchenbekämpfung für derartige Konflikte keinen Raum. Demzufolge konzentrierte sich die Zusammenarbeit vor allem darauf, in den technischen Bereichen der eigenen Vorgänge Unterstützung zu leisten. Die katholische Kirche in der DDR befand sich mit ihren wenigen Mitgliedern in einer Diaspora-Situation, die auch vom MfS so bezeichnet wurde.137 Auf der 132  Jan Siedlarz: Kirche und Staat im kommunistischen Polen 1945–1989. Paderborn 1996, S. 226. 133  Dariusz Walusiak: Teczka Ewidencji operacyjnej na księdza. In: Tomasz Balon: Kościół w godzinie Próby. Kraków 2006, S. 297–316, hier 288. 134  Tadeusz Isakowicz-Zaleski: Księża wobec bezpieki na przykładzie archidiecezji krakowskiej. Kraków 2007, S. 22. 135  Beispiel: Tadeusz Isakowicz-Zaleski: Moje życie nielegalne. Kraków 2008, S. 87. 136  Jerzy Myszor, Adam Dziurok (Hg.): Represje wobec duchowieństwa i Kościołów chrześcijańskich w okresie stalinowskim w krajach bloku wschodniego. Katowice 2004, S. 33. 137  Zitat aus dem bilateralen Treffen von 1975: BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 501, S. 35.

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anderen Seite wurden von polnischer Seite die durch IM-Arbeit gut infiltrierten evangelischen Gemeinden in der VRP als »minimal« beschrieben.138 Das Interesse beider Ministerien bestand demnach darin, die bilateralen kirchlichen Kontakte bzw. die Kontakte des jeweiligen Klerus/der Laien mit dem Westen aufzuklären oder sie sogar unmöglich zu machen. Die polnischen hauptamtlichen Mitarbeiter des Dritten Departments genossen im MfS zwar einen sehr guten Ruf, dieser spiegelte jedoch nicht immer die Kirchenpolitik der MSW-Führung wider. Insbesondere seit der Machtübernahme Jaruzelskis fungierten die kirchlichen Funktionsträger als Vermittler in den Gesprächen zwischen der Staatspartei und der Solidarność.139 Die Kirche wurde demnach nicht nur als Gegner, sondern auch als Manipulationsgegenstand bzw. Mitstreiter wahrgenommen, was der Stasi widerstrebte. Spätestens seit 1980 nahm das MfS die katholische Kirche in Polen, ebenso wie die Solidarność, als ideologischen Feind wahr.140 Da aber die Stärke der Kirche aus Sicht der ostdeutschen Innenpolitik irrelevant war und die ideologischen Prinzipien der zuständigen polnischen Genossen außer Frage standen, agierte das MfS gegen die polnische Kirche nicht gleichermaßen aggressiv wie gegen die Solidarność. Fakt ist, dass auch der gute Ruf des Dritten Departments in der DDR das allgemeine Misstrauen gegenüber dem polnischen Innenministerium nicht abbauen konnte. Darüber hinaus war die Anzahl der konkreten Projekte im Vergleich mit den eigenen Aktivitäten minimal. Rein vertraglich gesehen erwartete das MfS von der Zusammenarbeit somit nicht viel. Festgelegt wurden nur die allgemeine Beobachtung der operativ interessanten Zielpersonen sowie der Informationsaustausch über die kirchlichen Gruppen in der Bundesrepublik und deren Kontakte in Polen und der DDR. Besondere Beachtung schenkte man vor allem den Zeugen Jehovas sowie der polnischen Seelsorge für die in Ostdeutschland tätigen Zeitarbeiter aus der VRP. Wenn man etwa weiß, dass es dabei um die Überprüfung von acht Priestern ging, scheint es kaum verwunderlich, dass die bilaterale Kooperation aus polnischer Sicht der üblichen Tätigkeit eines hauptamtlichen Mitarbeiters in der Unterabteilung des Dritten Departments entsprach. Wichtig ist auch, dass die Kooperation mit den anderen Diensten innerhalb der Arbeitsrichtlinien zur Kirchenbekämpfung des Vierten Departments in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre erst am Ende der Liste der relevanten Themen auftauchte.141 Üblicherweise einigte man sich darauf, dass sich eventuelle Kontakte auf das Nötigste beschränken sollten. Die Mitarbeiter des MSW folgten den internen Richtlinien ziemlich genau, was 138  Cezary Gmyz: Zawód: dziennikarz śledczy. Warszawa 2013, S. 161. 139  Terlecki: Miecz i tarcza, S. 315. 140  Andrzej Grajewski: Kompleks Judasza. Kościół zraniony. Chrześcijanie w Europie Środkowo-Wschodniej między oporem a kolaboracją. Poznań 1999, S. 129. 141  Angaben zit. nach: Biełaszko: Plany pracy, S. 8.

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statistische Angaben am deutlichsten belegen. Eine typische Unterabteilung, die mit Glaubensfragen zu tun hatte, führte pro Jahr drei Objektvorgänge142 (sprawy objektowe), 13 operative Aufklärungsvorgänge (sprawy operacyjnego rozpoznania)143 und 97 Evidenzvorgänge durch,144 darunter 26 aktiv. Solch eine Unterabteilung führte circa 50 eigene IM. Auch wenn einige der bereits genannten Zahlen wegen statistischer Zwecke sogar manipuliert bzw. künstlich erhoben wurden, ändert dies nichts an der Tatsache, dass im Vergleich zur üblichen Arbeit des Innenministeriums die Kooperation mit der Stasi fast als »nicht existent« bezeichnet werden muss. Innerhalb der multilateralen Beratungen der sozialistischen Geheimdienste in den 1970er-Jahren, in denen über den gemeinsamen Kampf gegen die Kirchen diskutiert wurde, haben die polnischen Redner das MfS in Bezug auf die bilateralen Kontakte überhaupt nicht erwähnt.145 Grund war, dass das MfS nur sehr selten rein operative Themen, wie etwa die Nutzung von eigenen IM in Rahmen von Pilgerreisen, ansprechen wollte. Das brachte jedoch nicht unbedingt Vorteile mit sich, wie die Oppositionsbekämpfung zeigte. Zudem waren die konkreten Anfragen der Stasi deutlich innenpolitischer. Oft wurde um Hinweise gebeten, welche Elemente bei der Überwachung der polnischen Seelsorge in der DDR besonders relevant gewesen wären. Nach wie vor waren Informationen zu den Beziehungen des polnischen Klerus mit den deutschen Staaten von besonderem Interesse.146 Wenn es um die für das MfS wichtigen evangelischen Gemeinden sowie die Zeugen Jehovas ging, beschränkten sich beide Dienste lediglich darauf, Hinweise auszutauschen, ob es zu einer deutsch-deutschen Begegnung der jeweiligen Geistlichen/Gläubigen in Polen gekommen war. Gelegentlich wurde im bilateralen Kontext auch darüber diskutiert, wie innenpolitisch gegen beide Gemeinschaften gekämpft werden kann. Die potenziellen Gefahren, die von ihnen ausgingen, wurden jedoch aus geheimdienstlicher Sicht als minimal eingeschätzt. Wie gering das Minimum war, entschied vor allem die jeweilige Spionageabwehr. Die anglosächsischen protestantischen Gruppen standen beispielsweise grundsätzlich unter Verdacht, für die CIA tätig zu sein. Allerdings galt dies nur für einige Gläubige, die nicht unbedingt für andere Gemeinden als Ganzes relevant sein mussten. Zudem trugen vor allem in Polen verschiedene soziale Faktoren 142  Es ging dabei um die Aufklärung ganzer Institutionen oder Problemfelder und nicht einzelner Personen. 143  Dieser operative Vorgang wurde eröffnet, wenn der Verdacht bestand, dass die ermittelten Personen/Institutionen aufgrund staatsfeindlicher Motive gehandelt hatten. 144  Operative Personenkontrolle derjenigen, die zwar zum Zeitpunkt der Überwachung keine politische Straftat begangen hatten, aber in der Vergangenheit aufgrund solcher Straftaten verurteilt worden waren. 145  Ausnahme war nur die Begrüßung. BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 501, S. 123. 146  Siehe interne Verzeichnisse mit Fragen, die 1978 dem MSW gestellt werden sollten; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 487, S. 18.

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dazu bei, dass der Geheimdienst nur wenige Ressourcen benötigte, um die nicht katholischen Gemeinschaften zu überwachen. Die Haltung der katholischen Funktionsträger gegenüber anderen, insbesondere den protestantischen Gemeinden, war in vielen Fällen negativ, was sich auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung widerspiegelte und somit die Aktivitäten der jeweiligen Gruppen deutlich beschränkte. Andere Gemeinschaften hingegen, wie etwa die Zeugen Jehovas, galten innenpolitisch als irrelevant, trotz der gesammelten Erfahrungen aus der Zeit vor 1974. Sie durften beispielsweise nicht streiken, was sie faktisch aus dem politischen Leben eliminierte. Dies alles beeinflusste die Quantität der bilateralen Kontakte. Pro Jahr kam es zu drei relevanten Beratungen, bei denen die Absicherung der laufenden religiösen Feierlichkeiten bzw. der Schmuggel von religiöser Literatur besprochen wurde.147 Die in den 1980er-Jahren in den Perspektivplänen besprochenen Themen bestätigten auch die These, dass die Kirche, egal in welcher Hinsicht, eher am Rande angesprochen werden sollte. Alltägliche Probleme waren stets wichtiger, wie etwa die Überwachung von Massenveranstaltungen mit Jugendlichen oder der Kampf gegen die politische Diversion in der DDR. Die Einflüsse der Religionsgemeinschaften in Ostdeutschland und die Gegenmaßnahmen des MfS standen vorzugsweise am Ende der Themenliste,148 vor allem, weil dem MSW das ostdeutsche Überwachungssystem relativ gut bekannt war. Außerdem brachten die offiziellen Gespräche149 und der damit verbundene Erfahrungsaustausch faktisch nur propagandapolitische Slogans, die nicht viel mit der operativen Arbeit zu tun hatten. Ein Unterschied zwischen den kirchlichen und den rein ministeriellen Gesprächen bestand lediglich darin, dass erstgenannte kürzer waren. Inhaltlich gab es kaum sichtbare Änderungen.150 Es wurde sowohl die Friedenspolitik der SED angesprochen als auch das Credo der Stasi-Arbeit, d. h. die Absicht, die Feinde des Sozialismus in der Kirche nicht nur aufzuklären, sondern auch endgültig auszuschalten. Das Innenministerium folgte diesem Credo, indem es dem Partner eine Vielzahl von nicht glaubwürdigen, aber propagandatauglichen Fakten vorstellte. Dazu einige Beispiele: 1988 behauptete das MSW, dass die Zahl der politisch aktiven bzw. die Solidarność unterstützenden Priester enorm gesunken sei. Im Jahr 1980 zählte man rund 500 Geistliche, acht Jahre später nur noch 50. Das Problem lag jedoch darin, dass diese Angaben im Widerspruch zu anderen Thesen standen, die im Rahmen der gleichen Gespräche vorgestellt wurden. Es stellte sich die Frage, wie jene 50 Priester in den 700 Pfarreien arbeiteten und pro Monat über 500 staatsfeindliche Veran147  Vgl. Statistik der Beratungen seit den 1970er-Jahren; BStU, MfS, HA XX Nr. 16927, S. 5. 148  Vgl. BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1257, Teil II, S. 551. 149  Beispieltext einer Rede der Vertreter des MfS vom März 1983; BStU, MfS, HA XX Nr. 16925, S. 32. 150  Beispiel vom 10.3.1988; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1257, Teil I, S. 100.

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staltungen mit organisieren konnten.151 Ebenso schwer konnte erklärt werden, warum die polnischen Vertreter bereits 1983 der Meinung waren, dass die Zahl der politisch aktiven Geistlichen wuchs.152 Die Fakten konnten nicht miteinander übereinstimmen. Aus protokollarischer Sicht war dies jedoch irrelevant. Die offizielle Freundschaft wurde bestätigt und es mehrten sich die Verweise darauf, wie schnell und zuverlässig operative Anfragen vom Partner realisiert wurden.153 Mehr war aus parteipolitischer Sicht nicht nötig. 4.2.2 Der Alltag der Religionsgemeinschaften als Mittelpunkt der Kooperation Ohne Zweifel war die politische Aktivität des polnischen Klerus für die bilaterale Kooperation nicht so wichtig wie die Belange des Alltags. Aus diesem Grund sahen bereits die Entwürfe der Kooperationsvereinbarungen auf der Ebene der Hauptabteilungen vor, dass die Überwachungsmaßnahmen das wichtigste Instrument des gemeinsamen Handelns gegen die Kirchen sein sollten, vor allem solche, die präventiv bereits an der Grenze durchgeführt wurden. Insbesondere ab 1970 galten auch die polnischen Marienkirchen als Ziel von DDR-Pilgergruppen. Da aber solche aus polnischer Sicht völlig normalen Ereignisse üblicherweise vom Innenministerium überwacht wurden, wurde die bereits erwähnte ostdeutsche Erfahrung mit der polnischen Religionsfreiheit entsprechend beeinflusst. Vor allem die Reisen zu den wichtigsten katholischen Pilgerorten, wie nach Tschenstochau, wurden genauestens kontrolliert, weshalb das MfS154 die Angaben zu den ostdeutschen Pilgern problemlos vom MSW bekommen konnte. Des Weiteren erhielt es einen Verweis darauf, ob sich die staatsfeindliche Propaganda in den jeweiligen Gebieten verbreitet hatte. Der polnische Geheimdienst bot auch eine gemeinsame Überwachung an,155 was jedoch mit Skepsis bewertet wurde. Schließlich wollte das MSW in den 1970er-Jahren durch solche Angebote vor allem das eigene Bild beim MfS verbessern. Außerdem wurde im Grunde genommen der Stasi keine Extraleistung angeboten. Ob mit oder ohne MfS – das Innenministerium hätte so oder so sämtliche Pilgerreisen kontrolliert. Die ausländischen Gläubigen konnten zudem anhand von äußeren Faktoren wie Sprache oder Kleidung von den IM identifiziert werden, sodass deren Überwachung nicht besonders kompliziert 151  Die Angaben, die gegenüber dem MfS gegen Ende März 1988 gemacht wurden; ebenda, S. 162. 152  Siehe Protokoll nach der Beratung der Vertreter der HA XX und des Dritten und Vierten Departments des MSW vom April 1983; BStU, MfS, HA XX Nr. 16925, S. 3. 153  Probleme der Zusammenarbeit mit der SO der VR Polen; BStU, MfS, HA II Nr. 38062, S. 1. 154  Siehe entsprechenden Bericht von 1977; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 126, S. 12. 155  Siehe Angebot vom Juli 1978; IPN BU 1585/2001, S. 566.

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war. Aus diesem Grund wurden dem MfS Teilnehmerlisten der ostdeutschen Gruppen geschickt, aus denen ersichtlich wurde, in welchen Pilgerwellen sich die Ostdeutschen befanden. Auftritte ihrer Geistlichen wurden heimlich protokolliert, ebenso jegliche Hinweise über Gespräche von DDR-Bürgern mit politischem Hintergrund. Auch angebliche Sicherheitsvorkehrungen wurden analysiert. Beispielsweise nahm man an, dass einige Ostdeutsche nie ihren Nachnamen benutzten bzw. nur ein Pseudonym verwenden würden.156 Ob dies jedoch tatsächlich eine Sicherheitsmaßnahme war, lässt sich bezweifeln. Fakt ist, dass solche Behauptungen an das MfS weitergeleitet wurden. Untypisch aus heutiger Sicht, aber zur grundsätzlichen Stasi-Logik passend, war die amtliche Sprache der polnischen MSW-Korrespondenz mit Bezug auf die ostdeutschen Gläubigen in der VRP. Grundsätzlich wurde angenommen, dass solche Leute aktiv gegen das politische System beider Länder auftraten. Dabei handelte es sich nicht nur um Christen. Äußerst arrogant wurde dem MfS über Anhänger der Hare-Krishna-Bewegung berichtet. Man informierte das MfS regelmäßig über deren Kontakte mit der ostdeutschen Jugend in Polen. Dabei nahm diese Arroganz oft groteske Züge an. Das Innenministerium hielt beispielsweise neben gemeinsamen Gebeten bzw. der Lektüre von antisozialistischen Schriften157 auch die in der VRP in den 1970er-Jahren populäre Fahrt per Anhalter für verdächtig. Nicht nur das Misstrauen des polnischen Geheimdienstes, sondern auch die naive Überzeugung unter ostdeutschen Bürgern, dass der Liberalismus in Volkspolen auch die politische Polizei beeinflusste, trugen dazu bei, dass das MSW ziemlich einfach Informationen über die Gäste aus der DDR gewinnen konnte. Dies zeigt sich besonders gut anhand einer Situation aus dem Jahr 1977, als es in der Nähe von Köslin zu einem deutsch-deutschen Treffen der Baptisten-Gemeinden kam. Die Begegnung war verständlicherweise nicht öffentlich. Das polnische Personal des Gasthauses, in dem die Begegnung stattfand, wurde ausdrücklich darum gebeten, mit niemandem über die ebenfalls eingetroffenen Gäste aus der DDR zu sprechen. Doch das MfS bekam bereits zwei Wochen nach der Veranstaltung vom polnischen Innenministerium Listen mit den ostdeutschen Teilnehmern, denen auch Angaben über den Verlauf der Begegnung und über die Organisatoren zu entnehmen waren.158 Die Überwachung der Pilger musste mit der allgemeinen Kontrolle des Klerus verknüpft werden. Jene polnischen und ostdeutschen Priester bzw. Laien, die mit anderen ost- und westdeutschen Pfarreien Kontakte pflegten oder entwickeln wollten, stellten nach den Pilgern die zweitwichtigste Gruppe dar, die bilateral infiltriert wurde. Fuhren sie nach Polen bzw. in die DDR, wurde ihre Korres­ pondenz vor, während und nach der Reise besonders kontrolliert. Genauso 156  Schreiben an das MfS vom September 1977; IPN BU 1585/2000, S. 803. 157  Entsprechende Information für das MfS von 1977; IPN BU 1585/1999, S. 679. 158  Schreiben des MSW an das MfS vom 30.8.1977; ebenda, S. 753.

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wurden sämtliche Kontakte, ihr Gepäck und ihre Reiserouten untersucht, von der zusätzlichen Zoll- und Grenzkontrolle ganz zu schweigen. Vor allem Aktivisten der Aktion Sühnezeichen wurden zum Opfer solcher Maßnahmen. Sie wurden bis 1989 auf diese Weise überwacht, wie etwa der Aktivist Ludwig Mehlhorn. Das Innenministerium bekam vom MfS Verzeichnisse, in denen die festgestellten Kontakte anderer Mitglieder dieser Bewegung mit polnischen Geistlichen in der DDR aufgelistet waren. Daran geknüpft war die Bitte, mitzuteilen, ob die Polen bereits in den MSW-Datenbanken erfasst worden waren.159 War dies nicht der Fall bzw. wurden die ostdeutschen Zielpersonen gerade nicht in der VRP beobachtet, schickte das MSW dem MfS Angaben über andere Personen, die mit der Aktion Sühnezeichen verbunden waren und die in der jeweiligen Zeit vom polnischen Geheimdienst identifiziert worden waren. Grundsätzlich handelte es sich dabei um deren ostdeutschen Adressen und Ortschaften, in denen sie als Volontäre gearbeitet hatten, sowie die Art der geleisteten Arbeit, wenn sie beispielsweise bei der Sanierung einer Kirche mithalfen.160 Sobald die routinemäßige Beobachtung dazu beitrug, besonders operativ relevante Informationen für beide Ministerien zu gewinnen, wurden diese über das Ministerkabinett direkt an die Stasi-Führung weitergeleitet, u. a. dank der Überwachung der westlichen Kontakte durch die katholische Intelligenz der polnischen Klubs. Warum? Weil solche Informationen für die DDR besonders sensible politische Probleme betrafen. Beispielsweise stellte das MSW nach den Ereignissen des Jahres 1976 – also nach dem Ende der Streiks und der gleichzeitigen Entstehung des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter – fest, dass an den ostdeutschen Universitäten eine Geldspende zur Unterstützung der verfolgten polnischen Arbeiter vorbereitet wurde.161 Zwar erstreckte sich das Problem vorrangig auf die konfessionellen Kreise, es blieb jedoch politisch. In solchen Fällen wurden durchaus politische Mittel verwendet, um die gewonnenen Erkenntnisse etwa in der staatlichen Propaganda zu nutzen. Die Stasi wurde u. a. gebeten, Video- oder Tonaufnahmen von den Gesprächen der polnischen Priester mit ausländischen Journalisten zu liefern. Jene Aufnahmen konnten dann im Strafprozess gegen die Geistlichen in der VRP benutzt werden.162 Eine besondere Dimension der Klerusüberwachung nahm die Bewertung der jeweiligen Kapläne an, die das MSW auf Anfrage des MfS erstellte. Dabei sollte eingestuft werden, ob und inwiefern die jeweiligen Geistlichen als staatsfeindlich galten, auch in Bezug auf die geplante Arbeit in der DDR. Jene Art der Referenz war für den polnischen Geheimdienst eigentlich nichts Neues. Sie wurde beispielsweise auch erstellt, wenn ein Stasi-Mitarbeiter eine Polin heiraten 159  160  161  162 

Anfrage vom März 1989; IPN BU 01228/305/1, S. 119. IPN BU 1585/2000, S. 52. IPN BU 1585/1997, S. 44; BStU, MfS, HA XX Nr. 12373, S. 417. Bitte des MSW von 1982; BStU, MfS, HA IX Nr. 10255, S. 350.

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wollte. Aber in solchen Fällen betrachtete das Innenministerium die Zielpersonen äußerst wohlwollend, was bei Priestern nicht der Fall war. Grundsätzlich waren fast alle dem MfS zur Verfügung stehenden Charakterisierungen der polnischen Geistlichen so negativ wie möglich, egal in welchen Jahrzehnten sie verfasst wurden. Den Zielpersonen wurde vorgeworfen, »sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart entschlossene Gegner des Sozialismus zu sein«. Angeblich waren sie »ständig in den illegalen Gruppen aktiv«. Sehr oft unterhielten sie auch Kontakte mit ost- und westdeutschen Bürgern, die bei ihnen übernachten durften.163 So lauteten die typischen Passagen einer »Referenz«. Jedoch war neben der Referenz vor allem die abschließende Anmerkung aus Sicht der bilateralen Zusammenarbeit von besonderer Bedeutung, weil sie Auskunft darüber gab, ob der jeweilige Priester im »aktiven Interesse« (w aktywnym zainteresowaniu) des Innenministeriums stand. Dies konnte einerseits Anwerbungsversuche des MfS in der DDR stoppen, andererseits die Fortsetzung der bereits in der VRP vorgenommenen Zersetzungsmaßnahmen auch in Ostdeutschland bedeuten. Schlussendlich haben sehr viele Priester in der VRP trotz des angeblichen Liberalismus Drohbriefe erhalten oder wurden von »Unbekannten« verprügelt; ganz zu schweigen von vereinzelten Mordfällen.164 Neben der Entscheidung über eventuelle Zersetzungsmaßnahmen war die absolute Mehrheit der Anfragen mit den Reisen der Priester und Nonnen in die DDR/VRP verbunden. Jede festgestellte Reise wurde sofort dem Partnerdienst mitgeteilt. Man machte Angaben zu den Reisenden selbst, zur Reisezeit und zum Ziel der Reise. Die territorial zuständige Einheit war daraufhin für die Überwachung an Ort und Stelle zuständig, insbesondere, wenn die Reise am Rande von wichtigen politischen Ereignissen stattfand.165 Die Mitteilungsprozedur selbst belegt derweil zusätzlich die These, dass beide Partner nicht immer zugaben, was sie eigentlich wussten und erreichen wollten. Als Beispiel gilt hier die Überwachung des offiziellen Besuchs des Primas von Polen, Kardinal Józef Glemp, im Jahr 1984. Das MfS wollte diesen Aufenthalt besonders kontrollieren – nach Einschätzung des polnischen Geheimdienstes jedoch zu genau. Die Stasi schickte üblicherweise dem MSW zunächst einen Fragenkatalog.166 Einerseits wurden darin aus organisatorischer Sicht völlig verständliche Themen angesprochen, wie mögliche Programmänderungen des Besuches oder Elemente, die besonders sorgfältig geprüft werden mussten. Andererseits fragte das MfS zusätzlich nach Themen, die weniger mit der Überwachung selbst, sondern mehr mit der eigenen Aufklärung zu tun hatten. So wollte die Stasi wissen, welche Oppositionspolitik 163  IPN BU 01062/43, Bd. 62, S. 16. 164  Andrzej Witkowski: Śledztwo w sprawie funkcjonowania związku przestępczego w resorcie spraw wewnętrznych PRL. In: Biuletyn IPN 1 (2003), S. 24–27, hier 24. 165  Beispiel solch einer Anfrage: BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1928, S. 20. 166  BStU, MfS, HA XX Nr. 16926, S. 83.

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der Primas betrieb, inwiefern er Dissidenten kontaktierte, was das MSW über seine engsten Mitarbeiter wusste, welche allgemeine Haltung er gegenüber den anderen Geistlichen sowie gegenüber der DDR vertrat bzw. welche gesellschaftlichen Auftritte in Bezug auf diesen Besuch zu erwarten waren. Einerseits konnte behauptet werden, dass einige dieser Fragen dazu beitragen sollten, unkontrollierte oder nicht überwachte Begegnungen zu vermeiden. Andererseits brauchten die direkt eingesetzten Beobachtungstruppen nicht unbedingt Informationen darüber, welche Kontakte die polnische Kirche als Institution mit ihrem westdeutschen Pendant hatte. Die Antwort der polnischen Seite gestaltete sich eher zurückhaltend und kam erst eine Woche vor Glemps Besuch – wie so oft mit deutlicher Verspätung. Das Schreiben wurde auf Polnisch verfasst und beantwortete die Fragen des MfS nur teilweise. Die rein logistischen Probleme bzw. die geplanten Ziele der polnischen Gäste wurden relativ genau erörtert. Der Primas wollte über die Verwaltungsänderungen der ostdeutschen Diözesen sprechen, deren Durchführung die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und der DDR beschleunigen sollte. Dies war mit Sicherheit wichtiges Wissen für die SED/das MfS, doch ist zu bezweifeln, dass die Erwartungen des Heiligen Stuhls der DDR-Regierung wirklich unbekannt waren. Ähnlich interessant waren andere Antworten des MSW. Versuche, den Besuch politisch zu missbrauchen, wurden als unwahrscheinlich eingestuft. Sollte es trotzdem dazu kommen, erwartete die polnische Seite, die Gefahr selbst beseitigen zu dürfen, was aus Stasi-Sicht grundsätzlich nicht infrage kam. Die gelieferten Personencharakteristika mussten zudem beim MfS als unzureichend bewertet werden. Sie lieferten nur solche Informationen, die problemlos der ausländischen Presse oder den offen zugänglichen Dokumenten über Glemp entnommen werden konnten, wie etwa über den pastoralen Werdegang des Primas bzw. über seine bekannte Zurückhaltung in Bezug auf politische Themen. Äußerst fraglich war zudem die Behauptung des polnischen Dienstes, dass Glemp sich in ausgewählten Bereichen zu einer Zusammenarbeit mit der polnischen Regierung bereit erklären würde. Es war offensichtlich, dass die wichtigsten aufklärungsrelevanten Fragen ignoriert wurden. Darüber hinaus wurde vom MSW verschwiegen, dass einige Delegationsmitglieder enge Kontakte mit ostdeutschen Geistlichen unterhielten. Es war also nicht verwunderlich, dass das MfS ziemlich umfangreiche Überwachungsmaßnahmen anordnete. In die gesamte Operation waren 50 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter direkt involviert. Die Grenze wurde während des Besuches besonders gut kontrolliert, ebenso die den Kirchen nahestehenden unabhängigen Gruppen. Man beabsichtigte auch die Umsiedlung der sich damals in der DDR aufhaltenden Polen. Dabei handelte es sich um 35 000 [sic!] Personen. Die in der Nähe des Primas eingesetzten IM lieferten nicht nur minutengenaue Berichte167 167  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 853, S. 148.

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oder Bilder, sondern sie analysierten auch die politischen Akzente der in der DDR gehaltenen Predigten Glemps, insbesondere im Kontext der Ermordung des Priesters Popiełuszko. Doch waren diese Überwachungsmaßnahmen tatsächlich außerordentlich? Eher nicht, denn genauso viel Energie hat die Stasi in die Kontrolle zweier Zeuginnen Jehovas in der DDR gesteckt, wobei die eine aus Polen und die andere aus Westdeutschland kam. Diese Angelegenheit erhielt nur Beachtung, weil bekannt wurde, dass beide Frauen bereits über 75 Jahre alt waren.168 Sie wurden fast wie Offiziere der westlichen Geheimdienste behandelt. Wie reagierten die beiden Geheimdienste darauf, dass die bilateralen kirchlichen Begegnungen, die gemeinsam überwacht wurden, faktisch multilateral wurden? Die Antwort darauf erschließt sich aus verschiedenen Treffen, bei denen sich Laien aus der DDR in Polen mit Bürgern anderer kapitalistischer Staaten, und zwar nicht nur aus Westdeutschland, in Verbindung setzten. In einem solchen Fall wurde die operative Kooperation entsprechend erweitert. Die technischen Prozeduren blieben jedoch unverändert. Das jeweilige Ministerium bat um eine Sonderberatung, um die geplanten Maßnahmen direkt zu besprechen,169 wie den Beobachtungsplan, den Einsatz der operativen Technik usw. Ebenso wichtig war die Diskussion darüber, ob das Innenministerium die kirchlichen Jugendbegegnungen weiterhin dulden sollte oder nicht. Einerseits galten sie als verdächtig, und das MfS wollte durch ein entsprechendes Verbot die Entwicklung der unabhängigen ostdeutschen Initiativen beschränken, da die Treffen in der VRP für Jugendliche in der Tat die einzige Möglichkeit waren, zum Beispiel frei über Religion zu reden und Zugang zu westdeutscher Presse zu bekommen. Andererseits boten solche Begegnungen auch eine Chance zur operativen Tätigkeit. Die polnische Zusage, derartige Veranstaltungen zu dulden, war grundsätzlich mit eigener operativer Arbeit verbunden, von der auch die Stasi profitieren konnte.170 Deshalb wurde prinzipiell darauf verzichtet, allgemeine Verbote zu erteilen, mit Ausnahme des Kriegsrechts. Fakt war auch, dass das Innenministerium aus diesem Grund mit ziemlich schneller Unterstützung rechnen konnte, sollten sich Sonderfälle ereignen. Wurde beispielsweise während der polnischen Grenzabfertigung eines VRP-Bürgers, der nach Ostberlin fahren wollte, ein Empfehlungsschreiben der Aktivisten der Aktion Sühnezeichen mit Kontaktadressen gefunden, wurde die Stasi in der Regel bereits am nächsten Tag über diese Person in Kenntnis gesetzt und begann ihrerseits mit der Überwachung. Das Ziel dieser Überwachung war vor allem die Feststellung, inwiefern bereits Kontakte zwischen den Aktivisten von Aktion Sühnezeichen und den katholischen und oppositionellen Milieus bestanden.171 Interessant ist dabei auch die Tatsache, dass es eine gewisse Offen168  169  170  171 

BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 317, S. 13. IPN BU 1585/1999, S. 686. IPN BU 01062/43, Bd. 54, S. 215. IPN BU 1585/1997, S. 95.

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heit in den jeweiligen Mitteilungen gab, im Gegensatz zu den Mitteilungen der Aufklärungsdienste. Dies bedeutete jedoch keineswegs, dass man einander völlig vertraute. Doch immerhin konnte das MSW das MfS darum bitten, eine kontrollfreie Transitreise für eine namentlich erwähnte Person zu gewährleisten, die im Auftrag des Innenministeriums in der Bundesrepublik bzw. auch in der DDR Desintegrationsarbeit in kleinen religiösen Gemeinden durchführen sollte.172 Diese Personen wurden der Stasi ziemlich schnell vorgestellt. Auf sie wurde auch im Zuge der historischen Aufarbeitung der MfS-Arbeit nach 1989 hingewiesen.173 Sobald es in der DDR zu einer großen religiösen Veranstaltung kam, auf der eine polnische Delegation zu erwarten war, etwa während der Berliner Konferenz der europäischen Katholiken, informierte das MSW die Stasi offen darüber, dass sich in der Gruppe sowohl IM als auch hauptamtliche Mitarbeiter des Innenministeriums befanden.174 Die bereits angesprochene Offenheit lässt sich mit den ideologischen Gemeinsamkeiten der für die Kirchen zuständigen Einheiten erklären. Sie änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass beide Dienste aus operativer Sicht die Religion nicht für wichtig genug erachteten, um die in der Aufklärung üblichen Geheimhaltungsstufen einzuhalten. Außerdem konnte die verbesserte Kommunikation die Unterschiede in der Arbeitsphilosophie beider Ministerien nicht ausgleichen oder gar beseitigen. Dies spiegelte sich am deutlichsten in den alltäglichen geheimdienstlichen Aufgaben wider, wie der Kontrolle der in der DDR tätigen polnischen Priester. Nach der Wende 1989 berichteten die in Ostdeutschland tätigen Kapläne über die um sie herum herrschende Überwachung und die allgegenwärtigen Verbote, wie das Verbot des Religionsunterrichts. Sie berichteten aber auch vom täglichen Leben, etwa von einer Messe für 1 000 Menschen, an der vor allem die polnischen Mitglieder des kommunistischen Jugendverbandes teilnahmen, was für die SED ohne Zweifel ein Schock war. Die ersten Probleme mit der Priesterkontrolle wurden bereits in der Planungsphase deutlich. Im Februar 1975 wurde auf der ministeriellen Ebene entschieden, dass das polnische Innenministerium seine Residentur in Ostberlin um eine Person, die sich ausschließlich mit den polnischen Seelsorgern beschäftigen sollte, verstärken wird. Laut dem Protokoll175 der entsprechenden Beratung sollte diese Stelle dazu dienen, die Arbeit der Priester zu verhindern bzw. maximal einzuschränken. Wie es jedoch bereits vor 1974 der Fall war, hatte das Innenministerium andere Pläne als das MfS. Das MSW wollte die Priester kontrollieren und, wenn möglich, ihre Milieus desintegrieren, aber auch deren Arbeit zum 172  IPN BU 1585/2007, S. 119. 173  Waldemar Hirch: Instrumentalisierung der Kirchen durch das »christliche« MfS-Organ? In: Gabriele Yonan (Hg.): Im Visier der Stasi. Jehovas Zeugen in der DDR. Niedersteinbach 2000, S. 198–230, hier 219. 174  Schreiben an das MfS vom Juli 1982; IPN BU 1585/2008, S. 280. 175  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 501, S. 16.

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Erhalt von Ordnung und Disziplin nutzen.176 Von einer reinen Behinderung ihrer Arbeit konnte also nicht die Rede sein, obwohl der polnische Dienst dem MfS sehr viele Informationen lieferte, die eine solche Behinderung hätten ermöglichen können. Beispielsweise bekam die Stasi vom Innenministerium bereits seit 1974 Berichte über Informationsveranstaltungen für die in der DDR tätigen Priester sowie detaillierte Protokolle über deren Verlauf. Aus operativer Sicht waren vor allem die darin enthaltenen Angaben über bestimmte Arbeitsfelder relevant oder auch Hinweise zur richtigen Durchführung der Seelsorge, die die Priester besonders berücksichtigen sollten.177 Auch völlig neutrale Fakten, wie etwa Auskunft zur materiellen Lage der polnischen Priester bzw. Richtlinien zu Krankenbesuchen, trugen dazu bei, die eigene Beobachtung besser durchführen oder ein Vorwarnungsgespräch vorbereiten zu können. Allerdings stand die polnische Berichterstattung im Widerspruch zu den dem MfS bereits bekannten Tendenzen, wie bei den Personencharakteristika. Das vermittelte Bild des polnischen Priestertums in der DDR war durchaus positiv, was nicht unbedingt mit den einzelnen Bewertungen der Priester übereinstimmte. Die rein politischen Aktivitäten hielten sich in Grenzen, während die anderen Ordnungswidrigkeiten bzw. Gesetzesverletzungen mit typischen Alltagsproblemen im Zusammenhang standen. Dabei handelte es sich vor allem um Schmuggel im kleineren Rahmen oder Probleme bei Zolldeklarationen.178 Zwar waren die letztgenannten Delikte nicht untypisch für die Gesamtzahl der polnischen Bürger in der DDR, doch die entsprechenden Gegenmaßnahmen des MfS waren deutlich härter. Die Priester waren immerhin die mitunter wichtigsten Feinde des Sozialismus. Eine gewisse Kompromisslosigkeit bei den direkten Schritten der Stasi trug jedoch dazu bei, dass nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch der polnische Geheimdienst die MfS-Haltung für unangemessen erachteten. Dies war etwa bei der Feststellung einer Ordnungswidrigkeit, wie bei Durchsuchungen und Beschlagnahmungen von kirchlicher Literatur, zu beobachten. Die Priester und Geheimdienstler hatten verständlicherweise völlig andere Gründe, sich zu beklagen. Die Geistlichen durften die DDR-Behörden im Gegensatz zum eigenen Innenministerium nicht ansprechen, wenn es sich nach Meinung des Klerus um illegale Durchsuchungen handelte. Insbesondere in den 1980er-Jahren wurde dies verzeichnet. Das MSW zeigte dabei viel Zynismus, da es eigentlich die eigenen Bürger im Ausland schützen sollte. In der Tat beklagten sich die polnischen Geheimdienstler über die Durchsuchungen. Jedoch nicht, weil sie stattgefunden hatten, sondern weil sie nicht mit dem Innenministerium 176  Einige polnische Forscher vertraten auch die These, dass das MSW nicht damit einverstanden war, die polnischen Priester in die DDR zu entsenden. Dies erzwang jedoch angeblich das polnische Amt für Glaubensfragen. Vgl. Dominik Zamiatała: Zakony męskie w polityce władz komunistycznych w Polsce w latach 1945-1989, Bd. 2. Warszawa 2012, S. 197. 177  Beispiel solch eines Protokolls: BStU, MfS, Abt. X Nr. 94, S. 142. 178  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1257, Teil II, S. 401.

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abgesprochen wurden. Es lässt sich nicht feststellen, ob dies nur eine Pro-formaMaßnahme war, da eigentlich bekannt war, dass das MfS in der DDR völlig souverän agieren konnte. Die nicht genehmigte Aktion konnte aber auch im Nachhinein die Beziehungen mit den in der DDR tätigen MSW-Offizieren belasten. Abgesehen davon schien das Innenministerium nicht besonders daran interessiert, den Betroffenen zu helfen. In einer von Kiszczak persönlich unterzeichneten Antwort wurde darauf hingewiesen, dass die polnischen Bürger im Ausland keinesfalls über Immunität verfügten und verpflichtet seien, die Gesetzgebung des Gastlandes zu achten. Dabei unterstrich der Innenminister mit Boshaftigkeit, dass sich diese Vorschriften auch von den in der VRP geltenden unterscheiden können.179 Es wäre falsch, zu behaupten, dass das polnische Innenministerium in der DDR keine eigene IM-Arbeit in Bezug auf den Klerus geleistet hätte, die nicht ab und zu interessante Erkenntnisse über die geheimdienstlichen bilateralen Kontakte lieferte. Typischerweise berichteten die IM über interne Treffen der polnischen Priester in der DDR,180 über die beobachteten Probleme, die die ostdeutschen Behörden den Seelsorgern machten, aber auch über die Meinungen der DDR-Priester zu den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Ostdeutschland. Obwohl die ostdeutschen Priester selbst IM hätten sein können, waren Informationen darüber, wie die Stasi die polnischen Bürger behandelte, aus Sicht des Innenministeriums sehr relevant. Dies galt auch für andere von den IM gelieferte Fakten zu den Charakteristika und den persönlichen Eigenschaften anderer Priester.181 Unabhängig davon, welche Sympathie und Antipathie der Quellen sie widerspiegelten, galten sie als Vergleichsmaterial. Gleiches galt für die von polnischen Offizieren festgestellte Tatsache, dass das MfS dem MSW nicht immer bei der operativen Arbeit helfen wollte. Einige Offiziere, d. h. die, die als Ingenieure getarnt in der DDR tätig waren, haben in den 1970er-Jahren immer öfter zu hören bekommen, dass sie selbst mit den Priestern verkehren müssten, die nicht nur aktive Seelsorge betrieben, sondern auch beispielsweise trotz Erpressungsversuchen nicht aufhörten, aktiv zu sein. Entsprechende Anfragen der polnischen Seite wurden mit dem merkwürdigen Satz beantwortet, dass die ostdeutschen Genossen jetzt genug Probleme mit der eigenen Kirche hätten.182 Faktisch ging es aber nicht um angebliche Probleme des MfS, sondern darum, eigene Stasi-Quellen zu schützen. Die Tatsache, dass das MfS immer genug Kapazitäten hatte, um bilaterale Aktionen zu unterstützen, belegen auch die Ereignisse nach der Einführung des Kriegsrechts in Polen. Die westliche caritative Hilfe, die nach dem 13. Dezem179  180  181  182 

Schreiben Kiszczaks vom November 1982; IPN BU 1585/2005, S. 367. Polnische Quelle: Adam, Bericht vom 17.10.1978; IPN BU 0639/148, S. 1. Auszug aus dem IM-Bericht (Angaben vom Verfasser anonymisiert); ebenda, S. 68. Notiz vom Oktober 1976; ebenda, S. 33.

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ber 1981 u. a. via Transit in die DDR gelangte, brachte für beide Dienste auf kirchlicher Ebene neue Aufgaben mit sich. Die Lkw-Kolonnen mit Hilfsgütern wurden im Einvernehmen mit dem polnischen Innenministerium vom MfS überwacht.183 Man verglich, heimlich oder offen, die Frachtunterlagen mit den tatsächlich eingeführten Waren. Für die für die Kirche zuständigen Einheiten spielten die Sendungen der Caritas184 eine besonders große Rolle. Gesucht wurde wie immer Schmuggelware, und zwar dort, wo die Fahrer intern bereits als verdächtig eingestuft wurden. Fand man bei ihnen lediglich religiöse Zeitschriften, kam der Beschuldigte unter Umständen mit einem Bußgeld davon. Entdeckte Druckmaschinen zogen hingegen hohe Geldstrafen185 bzw. die Auslieferung nach sich. Oft jedoch gab es aus operativen Gründen keinerlei Reaktion. Auf jeden Fall wurde das Innenministerium über die tatsächlich entdeckten Gegenstände informiert. Das MSW erhielt seit den 1970er-Jahren auch Personenverzeichnisse mit Angaben zu westlichen Bürgern, die regelmäßig kirchliche Literatur nach Polen schmuggelten. Das Innenministerium kannte nicht nur deren personenbezogenen Angaben, sondern auch deren Verstecke und die Nummer jedes benutzten Autos.186 Die Stasi bat gleichzeitig darum, die jeweiligen Listen je nach Bedarf zu ergänzen. 4.2.3 Informationsaustausch als Element der Zusammenarbeit Die bilateralen geheimdienstlichen Kontakte zum Kampf gegen die Kirchen durften sich nicht nur darauf beschränken, Schmuggler zu jagen oder die Antialkohol­ kampagnen der polnischen Priester in der DDR zu überwachen. Insbesondere die katholische Kirche blieb eine grenzüberschreitende politische Macht, die seit der Wahl Wojtyłas zum Papst eine enorme Rolle für den gesamten Ostblock spielte. Dies implizierte einen entsprechenden Informationsaustausch, zeigte aber auch, dass auf der Ebene der Beziehungen zahlreiche Interessenkonflikte vorhanden waren. Vor allem ging es dabei um in der geheimdienstlichen Arbeit wesentliche Dinge wie den Schutz eigener Ressourcen. Der polnische Papst war dafür das beste Beispiel. Der erste offizielle Bericht über Papst Johannes Paul II., der an alle sozialistischen Geheimdienste gesendet werden sollte, wurde gemeinsam von der polnischen Auslandsaufklärung, der Spionageabwehr und den für die Kirche zuständigen Departments erarbeitet.187 Merkwürdigerweise war der besagte 183  184  185  186  187 

Beispiel von 1982; BStU, MfS, HA II Nr. 38116, S. 199. BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 323, S. 55. BStU, MfS, HA IX Nr. 4387, S. 41. BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 128, S. 2. IPN BU 1585/2002, S. 317.

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Bericht kaum mit den internen Berichten zu vergleichen, die seit Jahrzehnten auf die außerordentliche Persönlichkeit und die Intelligenz und Klasse Wojtyłas aufmerksam machten. Die Bruderorgane bekamen zwar den chronologisch korrekten Lebenslauf des Papstes übermittelt, aber es wurden nicht alle Kenntnisse über ihn weitergereicht. Es fanden sich lediglich einige Verweise auf seine Rolle beim Zweiten Vatikanischen Konzil, bei dem er »international« seinen Ruf bestätigt hätte. Ebenso kompakt wurde seine politische Einstellung geschildert und die Behauptung aufgestellt, dass seine Wahl die Folge eines Kompromisses zwischen den konservativen und liberalen Kräften innerhalb des Kardinalkollegiums sei. Sämtliche Erwartungen an seine zukünftige Politik wurden mit dem Satz zusammengefasst, dass seine Politik kaum vorhergesehen werden könne.188 Fast propagandapolitisch wurden konkrete Themenfelder angegeben, die im Interesse Wojtyłas stehen könnten, wie etwa der Kampf um den Frieden oder die Menschenrechte. Da bekannt war, wie die typischen analytischen Berichte der polnischen Auslandsaufklärung an das MfS bisher aussahen, konnte die Qualität der ersten Wojtyła-Dossiers nur enttäuschen und dazu beitragen, dass vermehrt von den Empfängern selbst Informationen über den Papst gesammelt wurden. Dies implizierte die eher bescheidene Kooperation beider Dienste im Vatikan,189 zumal die internen Stasi-Analysen deutlich zeigten, dass das MfS über eigene hochrangig platzierte Quellen im Umfeld Wojtyłas verfügte. Die ostdeutsche Rhetorik war außerdem deutlich schärfer als die polnischen Behauptungen, in denen nicht die Analyse, sondern eher eine deutliche Überraschung angesichts der Wahl Johannes Pauls II. zu spüren war. Die Stasi erwartete einen extrem antikommunistischen Charakter des Pontifikats,190 was den Weltvorstellungen der SED-Führung ohne Zweifel entsprach. Ebenso interessant waren auch die durch die HV A gewonnenen detaillierten Erkenntnisse zum päpstlichen Alltag, die nur eine Person erlangen konnte, die im engsten Kreis des Pontifex arbeitete und gleichzeitig keine Ahnung von den polnischen Gästen bzw. Mitarbeitern Wojtyłas hatte. Über sie wurde selten berichtet – über den täglichen Arbeitsplan oder über die deutschstämmigen Mitarbeiter hingegen häufig. In der Tat bestand die Hauptaufgabe des Innenministeriums nicht darin, die Stasi mit den besten Informationen zu versorgen, sondern die Politik der eigenen Regierung zu erklären, insbesondere wenn es sich dabei um die aus DDR-Sicht meist mit Ärger verfolgten Papstbesuche in der VRP handelte. Aber auch diesbezügliche Berichte konnten die MfS-Spitze nicht beruhigen, vor allem nicht bis 1980. Wie üblich schickte die polnische Seite die von der Stasi gewünschten Materialien mit deutlicher Verspätung. Die Qualität dieser entsprach einer typischen Rede Mielkes. Sie waren also reichlich mit staatlicher Propaganda ausgeschmückt. 188  Ebenda, S. 319. 189  Bernd Schäfer: Staat und katholische Kirche in der DDR. Köln 1998, S. 320. 190  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1719, S. 1.

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Aber egal, ob es sich dabei um eine absichtliche oder unabsichtliche Haltung des Innenministeriums handelte – die Qualität der polnischen Dokumente musste die eigene Aufklärungsarbeit des MfS vorantreiben. Dies lag daran, dass das MSW dem MfS bereits nach dem ersten Papstbesuch in Polen 1979, der als Impuls für die Entstehung der späteren Solidarność galt, Analysen schickte,191 die das Niveau der Selbstzufriedenheit des MfS weit überschritten. Die Verfasser behaupteten, dass es dem Staat und der Partei trotz einiger Hindernisse gelungen sei, alle Ziele des Besuches zu erreichen, nämlich die »patriotische nationale Einheit zu vertiefen«. Voller Überzeugung teilte man weiter mit, dass die antisozialistischen Kräfte dank der operativen Arbeit des Sicherheitsdienstes, die vor und nach dem Papstbesuch durchgeführt wurde, keine weiteren Aktivitäten entwickeln konnten. Die Wirksamkeit dieser Arbeit wurde nach 1989 durch mehrere Forschungsprojekte infrage gestellt.192 Schließlich konnte das MSW nicht erwarten, dass die Empfänger seiner Berichte wirklich daran glaubten, dass die einzige Gefahr des Papstbesuches in Polen der kirchliche Einfluss auf die Jugend wäre. Die Stasi glaubte jedenfalls nicht daran und begann mit der eigenen Aufklärungsarbeit.193 Selbst das MSW glaubte nicht an seine auswärtigen Berichte. Belege dafür sind die operativen Schritte, die nicht mit der bilateralen Zusammenarbeit verbunden waren, nämlich die direkt nach der Papstwahl erfolgte Aufklärung Wojtyłas. Sie war in den Kooperationsplänen überhaupt nicht erwähnt worden, obwohl die politische Bedeutung des neuen Papstes für beide Geheimdienste außer Frage hätte stehen sollen. Beispielsweise war für das Jahr 1979 nur ein Treffen der für die Kirchen zuständigen Einheiten vorgesehen. Dabei stand die Frage des neuen Papstes ganz am Ende der geplanten Themen.194 Dieser Frage waren nicht nur drei laufende operative Vorgänge und der Schmuggel der kirchlichen Literatur vorangestellt, sondern vor allem die grundlegende Frage, wie sich beide Seiten die weitere Umsetzung der Kooperationsvereinbarung vorstellten. Der Papst als vorrangiges Thema kam in den Beratungen erst ab dem dritten Quartal 1980 hinzu, als in Polen erhebliche politische Turbulenzen herrschten und das MSW genug damit zu tun hatte, sich innenpolitisch neu zu positionieren. Und in der Tat spielte vor allem die Innenpolitik in Bezug auf den Papst eine Rolle. Bei den Papstbesuchen nach 1980 wurden etwa im Einvernehmen mit dem MfS einige Personenkreise abgesichert, insbesondere um die ostdeutschen Pilger zu überwachen und ihre Einreise gegebenenfalls zu blockieren. Auf der anderen 191  BStU, MfS, AS 422/83, S. 116. 192  Marek Lasota: Donos na Wojtyłę. Karol Wojtyła w teczkach bezpieki. Kraków 2006, S. 279; Sławomir Cenckiewicz, Marzena Kruk (Bearb.): Operacja Zorza II. Służba Bezpieczeństwa i Komitet Wojewódzki PZPR wobec wizyty Jana Pawła II w Trójmieście (czerwiec 1987). Warszawa-Gdańsk 2008, S. XXVIII. 193  Theo Mechtenberg: Der erste Besuch Johannes Pauls II. in Polen und die Staatssicherheit. In: Deutschland Archiv 40 (2007) 6, S. 1045–1051, hier 1047. 194  BStU, MfS, HA XX Nr. 17166, S. 29.

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Seite waren jene Maßnahmen im Vergleich mit den anderen sozialistischen Staaten durchaus üblich und konnten nicht als Bestandteil einer verstärkten Kooperation hervorgehoben werden. Wie die Papstbesuche wurden beispielsweise in Ungarn die Treffen der Baptisten überwacht, zu denen jeder Geheimdienst eigene Offiziere entsenden durfte, um »eigene operative Interessen« abzusichern. Ein Unterschied beim Papstbesuch bestand darin, dass die Mitarbeiter der Operativgruppe Warschau auf lokaler Ebene an der Arbeit des Leitungszentrums des Papstbesuches als Beobachter teilnehmen durften.195 Nach wie vor beschränkte sich die praktische Kooperation darauf, Informationen über potenzielle Gefahren auszutauschen bzw. nach dem Ende einer religiösen Veranstaltung Berichte für den Partnerdienst zu verfassen.196 Angenommen, das Thema »Papst« wäre in den bilateralen Beziehungen anders behandelt worden. – Könnte dies die in der Literatur197 bzw. Publizistik aufgestellte These belegen, dass das Innenministerium und das MfS zusammen oder getrennt am Anschlag auf Johannes Paul II. im Jahre 1981 mitgewirkt haben? Erstens scheint es eher unwahrscheinlich, dass im Falle einer hypothetischen Kooperation wirklich jemand schriftliche Dokumente darüber verfasst haben könnte. Dies wäre aus geheimdienstlicher Sicht unverantwortlich gewesen. Zweitens sprechen viele Indizien gegen eine solche Zusammenarbeit. Die Kontakte beider Dienste in Bezug auf die Kirche beschränkten sich auf innenpolitische und bilaterale Themen. Die Vorbereitung eines Attentates in Westeuropa wäre grundsätzlich ein Anliegen der Auslandsaufklärungen gewesen, die dadurch zumindest einige Quellen hätte offenbaren oder verlieren müssen. Darüber hinaus scheint die Beziehung zwischen dem MSW und dem MfS nicht eng und vertrauensvoll genug gewesen zu sein, um zu behaupten, dass die Mitwirkung bei einer solchen Operation möglich gewesen wäre. Drittens hätte die Genehmigung, ein Attentat vorbereiten zu dürfen, auch bedeutet, folgende Grundsatzfragen beantworten zu müssen: Was hätte das MSW gewinnen können, wenn es dabei mitgewirkt hätte? Seit Ende des Jahres 1980 bereitete das Innenministerium die Einführung des Kriegsrechts vor. Die sozialen Spannungen in Polen waren schon groß genug und konnten nach einem gelungenen Attentat noch unberechenbarer werden. Auf jeden Fall hätte dies die Positionen Jaruzelskis und Kiszczaks gefährden können. Ohne Zweifel waren beide Generäle für einige konservative Parteikreise in Polen und in der UdSSR bei der Bekämpfung der Konterrevolution zu unentschlossen. Im Grunde genommen hätte das Attentat dem MSW jedoch nur Probleme und keinen politischen Gewinn gebracht. Es war demnach tendenziell erleichtert darüber, dass der Anschlag misslang. Mehr noch, das MfS betrachtete Polen seit 195  BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 359. 196  Als Beispiel gilt die 1979 in Warschau veranstaltete Konferenz »Christen und ihre Verantwortung für den Frieden«. BStU, MfS, HA XX Nr. 12373, S. 11. 197  Lasota: Donos, S. 320.

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1980 als Operationsgebiet und arbeitete offensiv gegen die VRP. Konnte man also erwarten, dass in einer solchen Situation, in der gegenseitiges Vertrauen praktisch nicht existierte, die Stasi dem Innenministerium anbot, den Papst in Kooperation zu töten? Je mehr Institutionen davon gewusst hätten, desto größer wäre die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass ein Leck entsteht. Es konnte also möglich sein, dass die Mitarbeiter der HV A bei den routinemäßigen Beratungen Informationen vom MSW sammeln sollten, die später vielleicht zur Vorbereitung des Attentats beitrugen. Aber die direkte Mitwirkung bzw. bilaterale Kooperation scheint in diesem Fall äußerst unwahrscheinlich. Auch die neuesten Publikationen von italienischen Forschern, die die Mitwirkung der Stasi nicht ausschließen, liefern keine Beweise für die Mitarbeit des Innenministeriums am Attentat.198 Fakt bleibt auch, dass die polnische geheimdienstliche Berichterstattung über Wojtyła nach dem Attentat kaum verändert wurde. Sie ließ sich in zwei Thesen zusammenfassen: Erstens, der Papst wollte die Rolle der Kirche in Polen und als Folge in Osteuropa stärken, womit auch die Ukraine gemeint war. Zweitens, das Innenministerium arbeitete wie gewohnt dagegen und wie immer mit Erfolgen, die dank der IMArbeit verbucht wurden. Solche Sätze waren nicht unbedingt dabei behilflich, die bilaterale Kooperation zu fördern, zumal sich in der Berichterstattung das Bild der Kirche, insbesondere seit 1988, deutlich verbessert hatte. Derzeit war bereits klar, dass die Bischöfe die wichtigsten Vermittler in den Gesprächen zwischen der Regierung und der Solidarność in Polen werden würden und es konnte sogar die vorbildliche Zusammenarbeit der Kirche mit den staatlichen Einrichtungen hervorgehoben werden. Nur pro forma und üblicherweise am Ende jener Berichte wurde dem Partner zugesichert, dass der weitere Informationsaustausch zu den Plänen und Absichten des Vatikans fortgesetzt wird.199 Waren die dem MfS nach dem Attentat aus Polen gesendeten Berichte relevant? Eigentlich nicht. Es wurden Informationen versendet, die die Stasi aus anderen zeitweilig offen verfügbaren Quellen gewinnen konnte. Darunter befanden sich Angaben über den Verlauf der Papstbesuche, statistische Daten zu den vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen des MSW oder die Zahlen über die in der VRP tätigen Priester. Im Hintergrund stand jedoch eine wichtige Mitteilung, die das MfS nicht hinnehmen wollte. Die Kirche und der Vatikan wurden nicht mehr so feindlich betrachtet wie noch vor 1974. Mehr noch, jene Abkehr von der feindlichen Haltung war mit der Anmerkung verbunden, dass dies nicht nur eine polnische Angelegenheit war. Seit der Wahl Gorbatschows nutzte das Innenministerium jeden Bericht, um zu betonen, wie gut sich die Beziehungen zwischen Gorbatschow und Wojtyła gestalteten. Mehr Affronts konnte man 198  Sandro Provissionato, Ferdinando Imposimato: Zamach na Papieża. Warszawa 2011, S. 258. Vgl. auch Nehring: Die Zusammenarbeit der DDR-Auslandsaufklärung mit der Aufklärung der Volksrepubik Bulgarien, S. 220–232. 199  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1257, Teil I, S. 139.

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sich beim MfS nicht vorstellen, zumal die Stasi die Papstbesuche in den für die SED-Politbüromitglieder verfassten Unterlagen als Kreuzzug gegen den Kommunismus beschrieb, der von US-Präsident Ronald Reagan und seiner Politik angetrieben würde.200 Doch nicht alle Berichte waren so politisch geprägt. Auf der rein operativen Ebene schickte die polnische Auslandsaufklärung dem MfS übliche außen­ politische Informationen, etwa über den Verlauf der Besuche der vatikanischen Entscheidungsträger in der VRP. Regelmäßig wurde über Diskrepanzen berichtet, die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem polnischen Episkopat dahingehend existierten, wie etwa die offiziellen Beziehungen mit der VRP-Regierung gestaltet werden sollten.201 Ein weiteres Thema waren die Spaltungen in der katholischen Kirche, also die Aktivität der Lefebvristen-Bewegung, regelmäßige Unterredungen des Papstes mit den westlichen Politikern sowie der Gesundheitszustand des Pontifex. Ab und zu wurden auch Originalunterlagen der päpstlichen Nuntiaturen geschickt. Es lässt sich jedoch bezweifeln, dass etwa die Lefebvristen für das MfS so relevant waren wie beispielsweise die Fakten zur Entführung und Ermordung des Priesters Popiełuszko im Jahre 1984, die auch in der DDR innenpolitische Konsequenzen hatten. Die Stasi begann, nach den ersten öffentlichen Meldungen über den Fall verstärkt nicht nur die eigene Opposition, sondern vor allem die evangelischen und katholischen Gemeinden zu überwachen, um Provokationen vorzubeugen. Als solche wurden alle Aktionen definiert, die Solidarität mit Polen oder mit Angehörigen des Ermordeten bekundeten. Dazu zählten Andachten, Gebete oder Messen, die vor, während oder nach einem mit der Ermordung in Zusammenhang stehenden Ereignis gehalten wurden, wie etwa nach der Bestattung Popiełuszkos am 3. November 1984.202 Interessanterweise wurden die polnischen Studenten bzw. Zeitarbeiter in der DDR in den internen Befehlen als letzte Gruppen erwähnt, die im Zuge der Gebete besonders kontrolliert werden sollten. Man nahm an, dass sie nicht besonders viel mit der ostdeutschen Dissidenz zu tun hatten. Die Stasi-Berichte vertraten auch die These, dass die ostdeutsche Wahrnehmung des Falls »Popiełuszko« eher bescheiden war, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Signifikant in diesen waren die Behauptungen, dass die Entführung eine innere polnische Angelegenheit war und keine Verbindung zur kirchlichen Lage Ostdeutschlands haben konnte. Nach Einschätzung des Verfassers war diese These jedoch falsch. Die MfS-Unterlagen selbst, die akribisch jede Protestaktion dokumentierten, belegen auch quantitativ, dass es signifikante Formen der gesellschaftlichen Unterstützung für Popiełuszko und Polen gab. Ohne Zweifel kam es in der DDR zu keinen großen Demonstratio­ nen gegen die polnische Regierung. Große Transparente an öffentlichen Plätzen, 200  BStU, MfS, ZAIG Nr. 13587, S. 1. 201  IPN BU 01211/108, Bd. 1, S. 39. 202  BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 1928, S. 2.

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auf denen stand, dass die Kommunisten den Priester ermordet hatten, waren jedoch in mehreren Städten aufgetaucht.203 Ohne gesellschaftliche Proteste nach den Messen in Ostdeutschland hätte das MfS keine so umfangreichen Lageberichte verfasst, was auch eine entsprechende polenbezogene Aufklärung implizierte. Was sagten die Vertreter des polnischen Innenministeriums über den Fall? General Kiszczak schickte am 7. November 1984 dem MfS ein offizielles Schreiben mit der Bitte, bei der Suche nach den Provokateuren behilflich zu sein. Schuld am Mord trugen seiner Einschätzung nach die kapitalistischen Geheimdienste.204 Es war also nicht verwunderlich, dass die Stasi nach so einer Erklärung die eigene Aufklärungsarbeit in Polen fortsetzte. Fakt blieb, dass dem MSW vom MfS Angaben über einen der wichtigsten Verdächtigten in der Ermittlung bekanntgegeben und diese dann via die Abteilung X weitergeleitet wurden. Interessanterweise sollten diese dem Innenministerium daraufhin nur mündlich vorgetragen werden.205 Was enthielten diese Angaben? Waren sie tatsächlich der polnischen Seite übergeben worden und wurden sie dort verwendet? Es war klar, dass die Stasi-Mitarbeiter diese Version in den Gesprächen zumindest offiziell nicht infrage stellen durften. Das war der Literatur zufolge zumindest erst nach 1989 der Fall.206 Fakt ist aber, dass die Stasi die Politik Jaruzelskis nach dem Mord durchaus korrekt erkannt hatte: Die Staatspartei durfte keinesfalls als mitverantwortlich präsentiert werden, schuldig sollte allein eine Gruppe von Mördern und die damit verbundenen Geheimdienste der NATO-Staaten sein. Dies war einer der Gründe, eine umfassende Kadersäuberung im Innenministerium durchzuführen, die unter Umständen auch Kiszczak seinen Posten hätte kosten können. Für alle Vertreter der osteuropäischen Geheimdienste wurden extra Veranstaltungen über den Prozess der Täter vorbereitet. Interessanterweise wurde nie geleugnet, dass die Verhandlungen gesteuert wurden. Außerdem standen der Stasi offiziell alle Tagesinformationen des MSW zur Verfügung, in denen über die Verhandlungen informiert wurde.207 Glaubte das MfS an die offizielle Version des Geschehens? Nein, obwohl man sich durchaus bewusst war, dass es sich dabei um interne Kämpfe in Polen handelte. Wichtig für die Stasi waren die inoffiziellen Hinweise, denen zufolge die Mitarbeiter vermutlich einfach unprofessionell gehandelt hatten.208 Und so blieb 203  Ebenda, S. 19. Eine Gegenthese vertreten: Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft, S. 80. 204  Piotr Litka: Ksiądz Jerzy Popiełuszko. Dni, które wstrząsnęły Polską [Priester Jerzy Popiełuszko. Tage, die Polen erschütterten]. Kraków 2009, S. 211. 205  BStU, MfS, AS 66/88, S. 32. 206  Wojciech Sumliński: Z mocy bezprawia. Warszawa 2011, S. 327. Hervorzuheben ist, dass der in der Literatur als Mittäter Beschuldigte jahrelang vor Gericht mit Erfolg gegen die Verbreitung jener Thesen kämpfte. 207  BStU, MfS, HA II Nr. 38067, S. 3. 208  So die Meinung der in der DDR tätigen polnischen Geheimdienstler, die jedoch nie offen gesagt haben, dass die Täter im Auftrag der eigenen Vorgesetzten gehandelt hatten. KD

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die wichtigste Schlussfolgerung für die ostdeutschen Geheimdienstler, dass sie sich einfach besser tarnen müssen.209 Die Tatsache, dass der Stasi nie offen gesagt wurde, was eigentlich passiert ist, gehörte schließlich zum Alltag der bilateralen Beziehungen und konnte nicht nur in politisch relevanten Angelegenheiten nachgewiesen werden. Als Beispiel können die üblichen Recherchen in der allen sozialistischen Diensten zugänglichen Personendatenbank SOUD herangezogen werden. Sobald das Innenministerium darin Angaben über eine Person suchte, die ein ehemaliger ostdeutscher kirchlicher Dissident war, der gezwungenermaßen die DDR verlassen musste, bekam es eine Anfrage der Stasi, weshalb zu dieser Person recherchiert wurde.210 Hervorzuheben ist dabei, dass das MSW niemanden informiert hatte, welche SOUD-Recherche durchgeführt wurde. Dies ist in Anbetracht dessen, dass Anfragen dieser Art von der Auslandsaufklärung bearbeitet wurden, nicht verwunderlich. Und so wurde die Frage des MfS mit einem einzigen Satz beantwortet: Der Ostdeutsche sei der Gesprächspartner einer Zielperson, die gerade bearbeitet wird.211 Es wurde weder gesagt, was dies eigentlich bedeutete, noch wurde erwähnt, dass diese Zielperson im Interesse der polnischen Aufklärung stand. Mehr noch, während die Antwort für das MfS vorbereitet wurde, mussten alle Angaben bzw. Hinweise entfernt werden, die darauf deuten konnten, dass es sich um das Erste Department handeln könnte. Der Absender war immer das Ministerkabinett im Innenministerium.212 Ein weiteres Indiz für das herrschende Misstrauen war darüber hinaus die eigene operative Arbeit gegen die Kirchen, die in der VRP und der DDR durchgeführt wurde. 4.2.4 Die separate operative Arbeit beider Geheimdienste am Rande der Kirchenbekämpfung Im Grunde genommen unterschieden sich die Maßnahmen, die sowohl die Stasi als auch das polnische Innenministerium ergriffen, um eigene und vom Partner unabhängige Informationen zu sammeln, nicht von den anderen Bereichen des geheimdienstlichen Handelns. Die IM, die seit der zweiten Hälfte der 1970erJahre dienstlich bzw. privat nach Polen reisten, führten Gespräche über die Rolle der Kirche sowohl mit Vertretern der staatlich anerkannten katholischen Vereine, etwa der PAX-Bewegung, als auch mit Aktivisten der unabhängigen Clubs der katholischen Intelligenz.213 Die für die Stasi tätigen Studenten bekamen den Cottbus, Notiz vom 23.11.1984; BStU, MfS, BV Cottbus/AKG Nr. 2074, S. 7. 209  Kowalczuk: Stasi konkret, S. 303. 210  IPN BU 01583/19, S. 319. 211  Ebenda, S. 33. 212  Beispiel, wie die Antwort für das MfS schrittweise gestaltet und anonymisiert wurde: IPN BU 1585/2000, S. 14. 213  HA XX. Information, [29.5.1977]; BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 2731, S. 4.

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Auftrag, möglichst viel über die politischen Einstellungen des Kaders und der Studierenden an der katholischen Universität in Lublin, der einzigen unabhängigen Hochschule in der VRP, sowie über die politischen Aktionen der Studentenschaft zu berichten, etwa während der Streiks. Auch die IM, die hauptsächlich die Gruppen der Aktion Sühnezeichen von innen infiltrieren sollten, bekamen Aufträge, die laufenden kirchlich-politischen Ereignisse in Polen zu beobachten. Beispielsweise ereignete sich 1977 ein Fall, in dem ein oppositioneller Student aus Krakau, Stanisław Pyjas, unter ungeklärten Umständen ermordet wurde. Ebenso aktiv auf der kirchlichen Linie war seit den 1980er-Jahren der ostdeutsche Militärattaché in Warschau, also faktisch eine der HA I unterstellte Einheit. Sie schickte die offiziellen kirchlichen Dokumente an die Zentrale in Ostberlin, wie etwa pastorale Briefe des Primas oder Abhandlungen des gesellschaftlichen Rates beim Primas.214 Jene Dokumente waren jedoch nicht geheim. Ganz im Gegenteil. Einige von ihnen waren in der Presseabteilung des Episkopats bzw. im Amt für Glaubensfragen215 legal zugänglich. Außerdem waren die eigenen Kommentare der zuständigen MfS-Mitarbeiter zu den Dokumenten extrem ideologisch geprägt. Die konkreten Angaben über den Klerus stammten vom sowjetischen Militärattaché, was sein ostdeutsches Pendant in der Zentrale sogar bestätigte. Das, was die ostdeutschen Diplomaten jedoch im Zentralkomitee der polnischen Staatspartei erhalten hatten, wurde dann von der Operativgruppe als »inoffiziell gewonnen« markiert und an die eigene Zentrale weitergeleitet. Die angeblichen Erfolge bei der Gewinnung solcher Parteidokumente waren desto bescheidener, je mehr die Parteidokumente das enthielten, was die SED-/MfS-Führung nicht hören oder lesen wollte. Daraus wurde beispielsweise deutlich, dass in der VRP ein gewisser Glaubenspluralismus herrschte216 oder dass die katholische Kirche keinesfalls eine Autorität für die Gesellschaft war. Sicherlich war das analytische Niveau der polnischen Parteidokumente bescheiden. Aus diesem Grund betrieb das MfS eigene IM-Arbeit, um alternative Meinungen über die Kirche zu evaluieren. Das, was die Informanten sagten, spiegelte jedoch im Grunde genommen die grundsätzliche Logik des polnischen Innen­ ministeriums wider. Eine Logik, nach der es unmöglich sei, die Kirche endgültig zu bekämpfen. Sie war zu stark und zu eng mit der Gesellschaft verbunden. In der Tat konnten die IM keinesfalls die Wirksamkeit der operativen Arbeit des Innenministeriums autoritativ verifizieren. Sie konnten jedoch die Tatsache bestätigen, dass es in Polen an sich nicht widersprüchlich war, kirchliche Aktivitäten und eine Parteimitgliedschaft miteinander zu verbinden.217 Abgesehen von der politischen Haltung wurde die Kirche als Bestandteil des sozialen Lebens anerkannt. Die 214  215  216  217 

BStU, MfS, HA I Nr. 14310, Teil I, S. 1. BStU, MfS, AS 385/83, S. 83. BStU, MfS, HA XX/4 Nr. 3722, S. 2. BStU, MfS, HA XX Nr. 3043, S. 14.

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ostdeutschen IM bestätigten, dass die meisten polnischen Studierenden in der DDR regelmäßig die Kirche besuchten, keinesfalls den Katholizismus tarnen wollten, aber gleichzeitig diese Art Religiosität auch nicht als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung definierten. Eine andere Gruppe bildeten die Informanten, die in der Lage waren, politische Themen mit den Geistlichen zu diskutieren, auch wenn es nicht nur um Politik, sondern auch um Wirtschaft ging.218 Dies ermöglichte es dem MfS, die tief in der Gesellschaft verankerte Besorgnis über die ökonomische Lage zu verfolgen, ebenso die Ängste, die mit einer eventuellen sowjetischen Militärintervention im Zusammenhang standen. Die sichtbaren Unterschiede in den von den ostdeutschen IM gesammelten Meinungen bestanden lediglich darin, den Unterstützungsgrad für den Primas zu differenzieren oder die Unzufriedenheit über die Politik der Regierung zu äußern, die die Aussagen der kirchlichen Funktionsträger manipulierte. Auch während der Papstbesuche waren IM in Polen,219 um die Reaktionen der Zuschauer zu verfolgen und um die Organisation zu bewerten. Die bereits erwähnten Formen der IM-Arbeit waren relativ einfach durchzuführen, da sie im Grunde genommen nichts mit den Milieus zu tun hatten, die besonders vom Innenministerium überwacht wurden, also mit der Opposition. Die negativen Erfahrungen mit den IM, die ständig in der Nähe der sensiblen Gruppierungen agierten, wie etwa mit IM »Henryk«, führten dazu, dass das MfS bei der Platzierung der Agenten in der Kirche nicht gleichermaßen aggressiv vorging, wie es bei der Solidarność der Fall war. Die Stasi sorgte dabei für gute Quellen, jedoch sollten diese sich schrittweise den jeweiligen Priestern nähern und die Kontakte nicht selbst initiieren, sondern auf den ersten Schritt des Geistlichen warten. Als Anlass galt eine Situation, in der ein Brief eines mit der Solidarność in Verbindung stehenden Priesters geschmuggelt werden sollte und nach einem zuverlässigen Kurier gesucht wurde. Der Bote war der ostdeutsche IM.220 Die Erfahrungen mit der bilateralen Zusammenarbeit in Bezug auf IM waren außerdem so schlecht, dass das polnische Innenministerium erst 1988 informiert wurde, dass einige Agenten der Stasi angeblich über ständige Kontakte zu dem Priester Henryk Jankowski – einer der Legenden der Solidarność – verfügten. Die Analyse der Akten lässt jedoch bezweifeln, dass es überhaupt möglich war, aus MfS-Sicht jene Kontakte zu entwickeln. Außerdem war das MSW außerordentlich desinteressiert an den Informationen des MfS, und zwar aus einem einfachen Grund: Priester Jankowski wurde, abgesehen von seinen bis heute umstrittenen Kontakten mit dem Innenministerium, zur gleichen Zeit gezielt beobachtet.221 218  Vgl. Arbeit des IMB »Clemens«; BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5614, S. 223. 219  BStU, MfS, HA VII Nr. 2950, Bd. 3, S. 2. 220  IM »Holger Werner«; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 675, S. 2 u. 71–77. 221  Jolanta Mysiakowska (Hg.): Aparat represji wobec księdza Jerzego Popiełuszki. Warszawa 2009, S. 30.

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Ein gesteuerter Kurier war dabei für den polnischen Geheimdienst am Vortag der friedlichen Revolutionen eher irrelevant. Relevant hingegen waren die von der Stasi unabhängigen polnischen Quellen, die über die Lage der ostdeutschen Kirchen berichten konnten. Für die polnische Aufklärung spielte vor allem die evangelische Kirche in der DDR eine Rolle, da sie für mehr DDR-Bürger von Bedeutung war als die katholische Kirche und sich zudem viel stärker politisch exponierte. Folglich blieben die Kontaktpersonen, die für das Erste Department tätig waren, bis zum Ende des Jahres 1989222 vor allem mit den Pastoren in Verbindung, die für die Polenkontakte zuständig waren. Solche Gespräche brachten zudem viele Erkenntnisse darüber, welche Repressalien das MfS gegenüber denjenigen einsetzte, die sich für eine Versöhnung mit Polen engagierten, oder welche diesbezüglichen Initiativen gerade geplant wurden, wie etwa Transporte mit caritativer Hilfe.223 Gleichzeitig wurden offizielle Kontakte mit den SED-Funktionären gepflegt, die im ZK für Kirchenfragen zuständig waren, obwohl man grundsätzlich annahm, dass die ostdeutschen Gesprächspartner das MfS über diese Unterredungen informieren müssten. Die Aufklärungsoffiziere gewannen zudem viele Details über die rein oppositionellen Aktivitäten der evangelischen Gemeinden, indem sie die westdeutschen Pastoren befragten, die entsprechende Kontakte in der DDR hatten.224 In den Berichten, die nach jenen Gesprächen verfasst wurden, gab es kaum Platz für ideologische Rhetorik wie sie im MfS üblich war. Die als reaktiv bezeichnete Haltung der evangelischen Gemeinden unter den gegebenen Umständen in der DDR wurde von den im Ersten Department arbeitenden Mitarbeitern als interessant bewertet. Sie betrieben weder ein Büro für ständige Ausreisen noch stellten sie einen Kontaktpunkt für die Opposition dar, auch wenn sie die Dissidenten in ihrer Arbeit unterstützten. Es wäre jedoch falsch, zu behaupten, dass beide Ministerien sich nur damit beschäftigt haben, die Kirchen im Nachbarland aufzuklären. Das Innenministerium musste dies nicht tun und die Stasi konnte nicht, obwohl sie es definitiv wollte. Zudem spielten auch andere Bereiche in den bilateralen Kontakten bei der wirksamen Beschränkung der kirchlichen Aktivitäten eine Rolle. Darunter zählen die allgemeine Überwachung eigener Bürger sowie die Grenzkontrolle. Die Kirchen selbst konnten auch nichts an der Tatsache ändern, dass vor allem die Wirtschaft und nicht die Glaubensfragen für beide Ministerien an Bedeutung gewann.

222  IPN BU 0449/22, Bd. 14, S. 25. 223  Beispiel einer Notiz nach dem Gespräch der Kontaktperson mit Decknamen »Pressow« mit einem evangelischen Pastor, geführt im Juli 1989 und übergeben an den hauptamtlichen Mitarbeiter mit Decknamen »Ester«: IPN BU 0449/22, Bd. 16, S. 153. 224  Hauptamtlicher Mitarbeiter, Deckname »Fix«, Notiz über die Lage der evangelischen Kirche in der DDR, Februar 1988; IPN BU 0449/22, Bd. 22, S. 50.

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4.3 Die Überwachung der Bürger 4.3.1 Grundsätze der Kontrolle Die Bürgerkontrolle als Element der bilateralen geheimdienstlichen Beziehungen konnte vertraglich generell nicht geregelt werden. Darüber hinaus bedeutete sie unter Umständen die Übergabe der operativen Souveränität an den Partner. Die vorgenommenen Maßnahmen wurden dabei nicht, wie etwa im Bereich der Aufklärung/Abwehr, auf Grundlage von regelmäßig erneuerbaren Dokumentenanhängen durchgeführt, da derartige Anhänge nicht existierten. Zu dynamisch und vor allem zu umfangreich waren der Grenzverkehr sowie die Mobilität der Bürger. Alle Operationen basierten nur auf den allgemeinen Richtlinien, die der Grundsatzvereinbarung von 1974 zu entnehmen waren. Der Auftraggeber schickte dem Partner ein Bittschreiben und konnte dabei kaum beeinflussen, welche Abteilung seine Bitte bearbeitete, wie sie die Kontrolle durchführte und welche Ergebnisse dem Auftraggeber abschließend übergeben werden würden. 4.3.2 Quantitative Dimension und Arten der Kontrolle Quantitativ gesehen wurde die für den Partner realisierte Bürgerkontrolle einer der größten Bereiche der Zusammenarbeit. Beide Dienste schickten einander jährlich an die 100225 bis 200226 Anfragen/Aufträge. Diese statistischen Angaben sollten jedoch mit Vorsicht bewertet werden, da das Ziel der beantragten Kontrolle nicht immer der Wahrheit entsprach. Dank der alltäglichen Überwachung konnten spionagebedingte Fälle überprüft sowie Dissidenten beobachtet werden. Eine Ermittlung politisch-krimineller Delikte wie auch die Durchführung routinemäßiger Kontrollen fanden hierbei keine Beachtung. Dies entsprach jedoch nicht der Mehrheit der Anfragen. Das Hauptziel der allgemeinen Bürgerkontrolle bestand darin, Menschen ohne konkrete Hinweise zu überwachen, in der Annahme, dass die Person XY eine Straftat begehen wird. Das Wesen der Kontrolle basierte demnach grundsätzlich auf Misstrauen. Dieser Annahme folgend, versuchte die Stasi, alle geheimdienstlichen und polizeipolitisch relevanten Informationen zu sammeln, auch mit mehr oder weniger freundlicher Unterstützung des polnischen Innenministeriums. Jede im Ausland gesammelte Information konnte für das MfS als Indiz gelten, dass eine staatsfeindliche oder strafrechtlich verbotene Tat begangen wurde. Für das MSW hingegen galt dies nicht, was oft zu einer

225  BStU, MfS, AS 298/83. 226  BStU, MfS, AS 307/83.

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Ablehnung führte, wenn das MfS die Eröffnung einer formellen Ermittlung von polnischer Seite aus oder die Ausweitung der Kontrolle erbat. Wonach wurde gefragt? Vor allem nach Daten, die mit dem Meldewesen bzw. mit der Mobilität der Bürger verbunden waren. Betroffen waren Personen, die zeitweise, insbesondere während oder nach dem Zweiten Weltkrieg, in Polen und/ oder in der DDR studierten, wohnten oder arbeiteten.227 Der Auftraggeber war vorwiegend an den vollständigen oder im Laufe der Zeit veränderten Vor- und Nachnamen der Zielpersonen, der ehemaligen Anschrift des Studentenwohn­ heimes228 oder der Arbeitsstätte sowie an Informationen zum ausgeübten Beruf und allen bekannten Einzelheiten über den Aufenthalt interessiert. Besonders wichtig war auch, dass die vom Auftraggeber mitgeteilten Angaben über die Zielpersonen bestätigt werden konnten. Dazu zählten nicht nur Adressen, sondern auch Erkenntnisse darüber, wie sich die jeweiligen Personen, zum Beispiel in Polen, verhalten haben, ob sie Kontakte mit Ausländern unterhielten usw. Wie schon vor 1974 häuften sich im bilateralen Geschäftsverkehr die Bitten der ostdeutschen Seite, polizeiliche Führungszeugnisse für polnische Bürgerinnen auszustellen, die für die Stasi tätige Offiziere bzw. Personen heiraten wollten. Vor und nach 1974 erstellte das polnische Innenministerium in solchen Fällen ausschließlich positive Referenzen. Das MfS wurde ebenfalls darum gebeten, ähnliche Zeugnisse vorzubereiten, die jedoch nicht die faktischen Zustände widerspiegelten, sondern eher das operative Interesse des MfS. Beispielsweise äußerte das Innenministerium in den 1980er-Jahren gegenüber der Stasi den Wunsch einer Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik für die Gattin eines polnischen Diplomaten. Der Ehemann sollte dort in einer Vertretung der VRP arbeiten. Seine Frau war gebürtige Ostdeutsche, weshalb die Genehmigung erteilt wurde.229 Abgesehen davon fungierten einige Personen, die eine solche Genehmigung bekommen hatten, als IM. Es kann daher angenommen werden, dass im Falle einer Überprüfung, in der die Stasi direkt danach fragte, ob die Zielperson irgendwelche Verbindungen mit dem MSW hatte, eine negative Antwort folgte, sobald es sich um eine Person handelte, die etwas mit dem polnischen Dienst zu tun hatte. Nicht nur die Art der Antworten war bei der Bearbeitung einer Anfrage im bilateralen Kontrollsystem ein Thema, das zu Konflikten führen konnte. Auch die Tendenz, dem Partner unvollständige oder gar falsche Angaben zu liefern, insbesondere wenn es sich um Ausländer handelte, trug dazu bei. Hierzu einige Beispiele: Die Stasi schickte etwa 1979 dem MSW eine Anfrage, ob in den Datenbanken des Innenministeriums ein bestimmter westdeutscher Bürger erfasst sei. Dieser war bei dem Versuch erwischt worden, die ostdeutschen Passkon­ 227  Besonders gründlich wurden bspw. die Vertriebenen überprüft. Heike Amos: Vertriebenenverbände im Fadenkreuz. München 2011, S. 198. 228  Beispiel einer diesbezüglichen Anfrage von 1981: IPN BU 1585/2007, S. 79. 229  BStU, MfS, Abt. X Nr. 300, S. 455.

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trolleure am Grenzübergang zu fotografieren. Da er gleichzeitig mit einer Polin verheiratet war, bat man das MSW um eine entsprechende Recherche, die drei Monate dauerte. Erst nach dem vierten Monat wurde dem MfS eine Antwort geschickt, in der die Ehe bestätigt und ebenso die Tatsache belegt wurde, dass die Polin Bürgerin der VRP war und erst nach der Eheschließung nach Westberlin gegangen war. Beide seien weder erfasst noch stünden sie im Interesse des polnischen Geheimdienstes.230 Die Antwort wurde zwar vom Abteilungsleiter im Zweiten Department (Spionageabwehr) gegengezeichnet, trotzdem wurde das Wichtigste verschwiegen, was der polnische Geheimdienst außerdem über beide Zielpersonen wusste. Bei der besagten Polin handelte es sich nämlich um eine Prostituierte, die das MSW als Informationsquelle nutzte. In anderen Fällen wurde die Antwort einfach abgelehnt, da die Anfrage nach Einschätzung des Innenministeriums zu unpräzise war. Es wurde jedoch um weitere Einzelheiten gebeten.231 Solche Situationen, wie die sichtbare Nachbesserung des Lebenslaufs der Zielpersonen, stärkten das Misstrauen des MfS, zumal das MSW hin und wieder zur Übertreibung neigte. In einem extremen Fall erstellte das MSW ein Zeugnis für einen polnischen Bürger, der im MfS im technischen Bereich tätig sein wollte. Der Mann wurde jedoch zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilt, weil er an einer Schlägerei beteiligt war, bei der er unter Alkoholeinfluss stand. Auch in den polnischen Medien wurde über diesen Vorfall berichtet. Trotzdem blieb das Zeugnis positiv. Verschwiegen wurde dabei auch die Tatsache, dass der Mann sich aufgrund eines Ermittlungsverfahrens wegen Wehrdienstverwei­ gerung in Polen in der DDR aufhielt und dort arbeitete.232 Dieser Fakt hätte für den polnischen Geheimdienst eine enorme Bedeutung gehabt, wäre es zu einer späteren Erpressung der Zielperson gekommen, insbesondere weil dieses Vergehen zur damaligen Zeit in der DDR als eines der besonders rücksichtslos verfolgten politisch motivierten Verbrechen galt. Eine andere Kategorie, die jahrelang Stoff für Konflikte lieferte, nicht nur in Bezug auf die Bürgerkontrolle, waren Archivbestände und Datenbanken. Ohne sie wäre eine seriöse Personenüberprüfung kaum möglich gewesen. Immerhin benötigte das MfS die polnischen Bestände nicht nur, um eigene Bürger zu überwachen, sondern auch, um Westdeutsche zu erpressen. Die Zeit änderte daran nichts. Die meisten Anfragen bezogen sich auf den Zweiten Weltkrieg und wurden vonseiten Ostdeutschlands seit Mitte der 1950er-Jahre gestellt. Die polnische Seite blieb jedoch zurückhaltend und ließ erst Ende 1988 die Archivbestände vollständig abfotografieren. Lediglich Teile der einschlägigen Akten durfte das MfS schon seit den 1960er-Jahren verfilmen.233 230  231  232  233 

IPN BU 01062/43, Bd. 65, S. 20. IPN BU 01062/43, Bd. 71, S. 90. Der Fall ereignete sich 1978. IPN BU 01062/43, Bd. 59, S. 44. Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 182–184.

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Die offizielle Begründung des MfS für seine Anfragen lautete, man wolle die eigenen Bürger vor der Erpressung westlicher Geheimdienste schützen, vor allem die, die in der NSDAP aktiv waren bzw. wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden konnten.234 Dies war eine überaus zynische Erklärung, zumal die Stasi beabsichtigte, 55 000 Einträge zu kopieren. Wollte man wirklich so viele DDRBürger schützen? Nein. Man wollte Ostdeutsche und vor allem Westdeutsche erpressen, anwerben oder kompromittieren, vor allem in Westdeutschland. War der polnische Dienst in diesem Fall wirklich so naiv, die unschätzbaren Bestände kopieren zu lassen? Nicht wirklich. Denn erstens führte die materielle Belastung der jeweiligen Akten und das Alter der Betroffenen in den 1970er- und 1980erJahren dazu, dass die meisten übergebenen Bestände einen rein historischen und nicht geheimdienstlich relevanten Charakter hatten. Zweitens nutzte das Innenministerium den heftigen Widerstand der polnischen staatlichen Archivare und Wissenschaftler, die vor allem im Hauptuntersuchungsausschuss für Kriegsverbrechen gegen das polnische Volk arbeiteten (Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich) und eine Kooperation mit der DDR grundsätzlich ablehnten. Sie akzeptierten nicht die Bedingungen der »Zusammenarbeit« mit der Stasi, sondern höchstens mit den Ämtern, die als Tarnung für das MfS benutzt wurden. Die polnischen Wissenschaftler durften ja ihrerseits die ostdeutschen Bestände seit Jahrzehnten nicht erforschen. Darüber hinaus wollte die Stasi ausschließlich die in der VRP kopierten Akten nutzen. Die polnischen Forscher blockierten also jede Form von Kontakten, was aus Sicht des Innenministeriums sehr günstig war. Ungeklärt blieb dabei die Frage, ob die vom MfS beantragte Zahl der Einträge tatsächlich eine Tarnung war. Da gesagt wurde, welche Bestände von Bedeutung waren, konnte das MSW annehmen, dass sich dahinter geheimdienstlich relevante Fakten befänden. Kiszczak stellte nach 1989 die These auf, dass es sich vor allem um den Weiterverkauf polnischer Bestände handelte,235 was einen Bruch der ministeriellen Vereinbarungen bedeutet hätte.236 Eine besondere Kategorie der Informationen, die dem MSW geliefert wurden, waren jene, die praktisch kaum verifizierbar waren und in vielen Fällen beinah grotesk oder absurd wirkten. Derartige Informationen wurden vor allem während der Verhöre der polnischen Bürger gewonnen. Sagte jemand aus, dass er vom Waffenschmuggel einer konkreten Person etwas mitbekommen habe, wurde dies protokolliert, an das Ministerkabinett weitergeleitet und dort der zuständigen Einheit des Innenministeriums übergeben. Wie reagierte aber besagter Geheimdienst, wenn er beispielsweise erfuhr, dass ein DDR-Bürger aus einem Postamt in Ostberlin 13 Telegramme an 13 verschiedene Frauen in Polen versenden ließ? Alle Telegramme fielen bei der Postkontrolle auf und wurden im Original an 234  IPN BU MSW II/15324, S. 14. 235  Vgl. Wronowska; Majewski: Kiszczak. Agentów do dziś oglądam. 236  BStU, MfS, HA IX/11 AV 24/89, Bd. 1, S. 71.

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das MSW übergeben. Ein weiterer Verdächtiger für das MfS war ein polnischer Organisator von Rockkonzerten. Sein angebliches Verbrechen bestand darin, dass er sich in Westberlin mit einem Stasi-IM traf. Auch über eine polnische Englisch-Lektorin, die in einer westlichen Fachzeitschrift einen Beitrag zur Propädeutik der Englischlehre veröffentlichte, wurde das MSW informiert. Die Autorin wurde nur deswegen als verdächtig eingestuft, weil besagte Zeitschrift in der amerikanischen Botschaft zum Mitnehmen angeboten wurde.237 Es wäre sicherlich falsch, zu behaupten, dass alle der polnischen Seite mitgeteilten Fälle grotesk oder absurd waren. Die Zusammenarbeit der Spionage­ abwehr belegt dies mehr als deutlich. Wenn langjährige Mitglieder der polnischen Staatspartei in Westberlin Ersatzteile für Laborgeräte kauften, konnte dies unter Umständen bereits als verdächtig gelten. Hingegen galt es nicht als verdächtig, wenn jemand in Dänemark ein Fahrrad für Profisportler kaufte, Videokassetten mit jemand anderem tauschte, auf denen die Fußballspiele der polnischen Nationalmannschaft aufgenommen wurden oder wenn ein polnischer Bürger zu Hause 30 Flaschen Wodka hatte. Solche Informationen waren nur für das MfS relevant. Für die Stasi galten nicht nur die bereits erwähnten Situationen als geheimdienstlich bedeutsam, sondern auch die gemeinsamen Mittagessen einer größeren Gruppe polnischer und ostdeutscher Bürger in der DDR während einer Transitfahrt. Sämtliche Grenzen wurden jedoch im Falle eines polnischen 22-Jährigen überschritten, von dem sogar bereits drei Briefe als verdächtig eingestuft wurden. Er arbeitete in einem Fischrestaurant in der DDR und schickte diese Briefe an einen Altersgenossen in Ostdeutschland. Sein Fall sowie andere Vorkommnisse wurden in den offiziellen Antworten der polnischen Spionage­ abwehr an das MfS als irrelevant klassifiziert.238 Ab und zu bedankte sich das MSW für die vom Partner gewonnenen Erkenntnisse. Grundsätzlich jedoch bestätigte es nur den Eingang der jeweiligen Schreiben, vor allem über die Kontakte der polnischen Bürger mit Ausländern.239 Besonders Letztgenannte waren für das MSW keine Überraschung, da es sich hierbei oft um Personen handelte, die für das Innenministerium als Quellen arbeiteten.240 Außerdem hatte der polnische stellvertretende Leiter der Spionageabwehr genug damit zu tun, andere unwichtige Schreiben gegenzuzeichnen. Darin war u. a. die Rede davon, dass das MfS ein Treffen beobachtet hatte, bei dem der polnische Gesprächspartner ein Feuerzeug, Deodorant, einen Kalender sowie die neueste Ausgabe der Zeitschrift »Neue Mode« von einem Ausländer erhalten hatte. Schreiben mit derartigen Angaben wurden offiziell an das Ministerkabinett gerichtet, ebenso wie Mitteilungen über in der DDR gefundene polnische Dokumente, Portemonnaies oder 237  238  239  240 

BStU, MfS, HA II Nr. 38836, S. 133. IPN BU 01062/43, Bd. 64, S. 245. IPN BU 01212/12, S. 6. IPN BU 001134/1553.

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herrenlose Autos. Diese Informationsflut führte dazu, dass das MSW logistische Probleme hatte, die wichtigsten Schreiben herauszufiltern und zu bearbeiten. Das Innenministerium war somit nicht in der Lage, die bei den DDR-Bürgern beschlagnahmten Filme, auf denen polnische Militärobjekte aufgenommen wurden, schnell genug zu entwickeln.241 Im Misstrauenswahn des MfS spielten Künstler eine wichtige Rolle. Sie waren nach Ansicht der Stasi immanent mit der Opposition verbunden, insbesondere die polnischen. Bevor sie eine Einladung aus der DDR bekamen, etwa um dort als Schauspieler zu arbeiten, mussten sie im Auftrag des ostdeutschen Geheimdienstes jedoch besonders gut überprüft werden. Ähnlich erging es den zukünftigen polnischen Gattinnen von Stasi-Funktionären.242 Da es sich bei den Künstlern um relativ bekannte Personen handelte, erwartete das MfS von Anfang an keine Standardantwort, nach der alles in Ordnung und beispielsweise der jeweilige Schauspieler politisch korrekt sei. »Auf Wunsch des Genossen Mielke« wurden dem MfS die künstlerischen Lebensläufe vieler Maler geschickt, in denen auch ihre wichtigsten Ausstellungen und Preise erwähnt wurden. Dabei wurde der Inhalt einiger Bilder ab und an mit für die Stasi typischer Grafomanie zusammengefasst.243 Ein positives Zeugnis des Innenministeriums bedeutete keinesfalls, dass der Betroffene in der DDR nicht kontrolliert wurde. Ganz im Gegenteil. Seine aus dem Hotel geführten Telefongespräche oder Unterhaltungen während der Mahlzeiten wurden abgehört. Autos, mit denen er fuhr, wurden durchsucht und seine Briefe geöffnet, insbesondere wenn die Kleidung des Künstlers als »untypisch« klassifiziert wurde. Dabei wurde das MSW gebeten, die Personalangaben derjenigen zu überprüfen, die beispielsweise angerufen wurden. Wie immer waren solche Anfragen »eilig«. Es handelte sich meist um die Frage, ob sämtliche Telefonkontakte bereits in den polnischen Datenbanken erfasst waren. In einem dieser Fälle beantwortete der polnische Geheimdienst die Anfrage erst fünf Monate nach Eingang mit der knappen Mitteilung, dass keine der erwähnten Zielpersonen im operativen Interesse stünde. Nur eine Person, die angerufen wurde, konnte als Antikommunist beschrieben werden. Sie verheimlichte jedoch ihre Einstellung.244 Die bereits erwähnten Beispiele wären aus Sicht der polnischen Politik der Bürgerkontrolle unmöglich gewesen. Diese Politik wurde vor allem von der geheimdienstlichen Zweckmäßigkeit der eventuellen Überwachung und der verwaltungsbedingten Routine bestimmt. So bekam die Stasi regelmäßig Listen 241  IPN BU 01062/43, Bd. 61, S. 49. 242  BStU, MfS, Abt. X Nr. 300, S. 147. 243  BStU, MfS, Abt. X Nr. 253, Teil I, S. 5. Eine Archivrecherche des Verfassers bestätigte die nach 2000 in der Erinnerungsliteratur von vielen Künstlerinnen wiederholte These, dass sie sich in der DDR oft infiltriert gefühlt hatten. Kobiety, które i grały z PRL-em. Warszawa 2012, S. 100. 244  BStU, MfS, HA II Nr. 30307, S. 535.

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mit den Namen jener DDR-Bürger, die in polnischen Hotels übernachtet und sich dort gegebenenfalls mit westdeutschen Bürgern getroffen hatten. Mitgeteilt wurden Zeit, Ort und Charakter der jeweiligen Begegnungen, oft mit der Anmerkung, dass es sich um ein intimes Treffen handelte. Dabei wurden die Pässe der Betroffenen kopiert.245 Wurde festgestellt, dass der westdeutsche Gast, der die DDR-Bürger kontaktierte, ein Bundeswehrsoldat, BKA-Funktionär oder ein Westeuropäer246 war, wurde diese Information ebenfalls übermittelt. Dazu kam ein Vermerk, ob die Zielperson in den polnischen Datenbanken erfasst war.247 Die Stasi wurde benachrichtigt, wenn ein Ostdeutscher legal die polnische Grenze passierte und zwar mit der Absicht, das sogenannte kapitalistische Ausland zu besuchen, ebenso wenn er sich geweigert hatte, aus Polen in die DDR zurückzukehren. Vor allem war das bei ostdeutschen Studierenden in der VRP der Fall. Nicht nur eine Mitteilung, sondern auch die Festnahme und Übergabe an das MfS waren vorgesehen, wenn das Innenministerium feststellte, dass ein Ostdeutscher in der westdeutschen Botschaft einen BRD-Pass bekommen hatte und mit ihm die polnische Grenze passieren wollte.248 Gleichzeitig begann das MSW, die Anfragen des ostdeutschen Dienstes zu beschränken. Sollte eine Anfrage beantwortet werden, wurde die Stasi darum gebeten, Gründe dafür zu nennen und das Belastungsmaterial vorzuweisen, welches das MfS dazu besaß.249 Dies konnte zumindest theoretisch einen Gewinn für das MSW bedeuten und sollte die bereits erwähnten Probleme mit der Staatsanwaltschaft bei kriminellen Delikten beseitigen. Fakt ist jedoch, dass das MfS die polnischen Überprüfungsergebnisse sehr oft selbst nutzte, vor allem in Bezug auf das ordnungswidrige Verhalten der eigenen Bürger in der VRP. 4.3.3 Kontrollmaßnahmen und die polnische Krise 1980 Die politischen Turbulenzen in Polen beeinflussten ab 1980 zwangsläufig die Bürgerüberwachung und die diesbezüglichen bilateralen Kontakte. Die Kontrolle selbst, vor allem auf der ostdeutschen Seite, wurde auch infolge des »Besinnungs«Befehls ausgeweitet. Gleichzeitig jedoch war das polnische Innenministerium als Partner immer weniger erwünscht, wenn es sich um die Überwachung der eigenen und der polnischen Bürger handelte. Die jeweiligen Vorgänge, also die operativen Personenkontrollen, konnten in der DDR schneller realisiert werden. Kein Außenstehender ließ Zweifel daran, dass die Verdachtsgrundlagen der 245  246  247  248  249 

IPN BU 01062/43, Bd. 69, S. 173. Schreiben des MSW an das MfS von 1977; BStU, MfS, Abt. X Nr. 527, S. 502. Information von 1982; IPN BU 1585/2008, S. 11. IPN BU 01062/43, Bd. 59, S. 244. IPN BU 01062/43, Bd. 43, S. 107.

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Stasi übertrieben waren. Alles konnte ein Grund für eine Kontrolle bzw. für eine Überwachung sein. Darunter fielen nicht nur Delikte wie Schmuggel, spekulativer Handel oder die in der DDR verbotene Lektüre westdeutscher Tageszeitungen bzw. Kontakte mit westdeutschen NGOs.250 Genauso verdächtig konnte allein die Vermutung sein, dass jemand eine neue Stelle oder Arbeit im Ausland suchte. Eine OPK wurde etwa automatisch im Falle eines polnischen Wissenschaftlers eröffnet, der ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre Forschungsaufenthalte in der DDR beantragte.251 Die entsprechenden Hinweise gewann die Stasi durch Postkontrolle bzw. dank der IM-Arbeit. Wozu diente die Überwachung? Im Grunde genommen sollte sie dazu beitragen, die im MfS fundamentale Frage des »Wer ist wer?« zu beantworten. Es sollte festgestellt werden, ob die Zielperson staatsfeindlich gehandelt hatte bzw. handeln wird, oder ob sie unter Umständen für die eigene operative Arbeit gegen Polen als IM nützlich sein könnte.252 Deshalb wurde in allen möglichen Datenbanken geprüft, ob sie bereits erfasst wurde, und wenn ja, warum. Es wurden ihre Korres­ pondenz geprüft und die Telefongespräche abgehört. Zusätzlich setzte die Stasi vier bis fünf IM in ihrer Nähe ein. War in den jeweiligen Überwachungsplänen die Hilfe des polnischen Innenministeriums vorgesehen? Ja, aber bereits Ende der 1970er-Jahre war sie entweder gar nicht, nur fakultativ oder wie üblich an letzter Stelle der genehmigten Maßnahmen angedacht.253 Was passierte aber, wenn die Überwachung nichts Relevantes mit sich brachte? Oft kam es vor, dass das Verfahren eingestellt wurde, da die Zielperson nicht in der DDR erschienen war. Für den Betroffenen bedeutete dies vor allem eine Art geheime Prägung, da dessen Einreise in die DDR eingeschränkt wurde und auch die Gefahr bestand, keine berufliche Beförderung zu erhalten. Solch eine Prägung fand auch statt, wenn ein Forscher beispielsweise ohne vorherige Genehmigung ein Archiv besuchte, um dort zu recherchieren. Diese Art spontanen Agierens war im MfS besonders verdächtig. Man registrierte dieses Verhalten und überprüfte mittels IM-Arbeit, welche politische Einstellung die Person vertrat. Sollte sie aus MfS-Sicht interessant sein, wurde dieses Archiv »rein zufällig« von einem weiteren Forscher besucht, der in Wirklichkeit ein hauptamtlicher Mitarbeiter war.254 Sein Auftrag bestand darin, festzustellen, ob mit der Zielperson später oder noch direkt an Ort und Stelle Kontakt aufgenommen und gepflegt werden sollte, um sie später als Quelle nutzen zu können. Dies war jedoch nicht immer einfach und konnte politische Konsequenzen nach sich ziehen. Im bereits erwähnten, wenngleich anonymisierten Fall spielten die allgemeinen Umstände 250  251  252  253  254 

Beispiel: OPK Transit: BStU, MfS, BV CbS, AOPK 2112/86, S. 6. Beispiel: OPK Jo: BStU, MfS, HA XX Nr. 3239, S. 2. OPK Doktor: BStU, MfS, BV Ffo, AOPK 1691/81, Teil I, S. 4. OPK Pol: BStU, MfS, AOPK 1552/82, S. 10. Beispiel: BStU, MfS, HA VII Nr. 166, S. 155.

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eine wichtige Rolle. Nicht alle polnischen Bürger konnten insbesondere ab 1980 in der DDR, d. h. im Grenzgebiet, spontan forschen. Diejenigen, die abgesehen von den Zeitarbeitern in die DDR reisen durften, waren vorzugsweise langjährige Parteimitglieder, deren politische Einstellung in der SED mehr als erwünscht war. Aus diesem Grund wurden sie von der Stasi angesprochen. Jedoch war auch die Meinung solcher Personen oft nicht bedeutender und ausgereifter als die allgemeine staatliche Propaganda. Deren Meinung entsprach häufig den allgemein geläufigen Ansichten, und in wichtigen Momenten des laufenden Gespräches lehnten sie es meist sogar ab, tiefer in das Gespräch einzusteigen, indem sie etwa Namen zur Informationsquelle nannten. Zudem war nicht immer klar, mit welcher Person der IM oder der MfS-Offizier tatsächlich sprach. Das war vor allem in Zügen der Fall, wenn ein ostdeutscher Informant mit polnischen Reisenden gesprochen hatte. Das polnische Innenministerium verhielt sich im Grunde genommen ähnlich, obwohl es anders vorging als das MfS. Prinzipiell hat man sich darauf konzentriert, solche Indizien zu sammeln, die auf die damals größte Gefahr für die VRPAußenpolitik hätten deuten können, nämlich auf die deutsche Wiedervereinigung. Dabei stand jedoch nicht die DDR im Mittelpunkt, sondern Westeuropa. Wenn ein Ostdeutscher während eines offiziellen oder inoffiziellen politischen bzw. wissenschaftlichen Treffens die SED-Politik in dieser Hinsicht spürbar infrage stellte, indem er beispielsweise nicht die Bundesrepublik kritisierte,255 weckte dies sofort das Interesse der Auslandsaufklärung an der besagten Person, und die Informanten des Ersten Departments verfassten entsprechende Berichte. Ob jedoch die Ängste berechtigt waren, dass einzelne Aussagen eine deutschdeutsche Annährung in den 1980er-Jahren belegen könnten, ist zu bezweifeln. Andererseits scheint es genauso abwegig, dass die ab Dezember 1981 eingeführten Kontrollsysteme der polnischen Bürger wirklich eine eventuelle Revolte der Polen in Ostdeutschland hätten bekämpfen können. Trotzdem wurde die strikte Pflicht, regelmäßig alle in der DDR lebenden Polen zu orten, als Folge des »Besinnungs«Befehls eingeführt. Die dadurch entstandenen Datenbanken durften nur von der HA II benutzt werden.256 Neben den rein personenbezogenen Informationen wurden auch diverse andere Angaben gesammelt. Es wurde u. a. archiviert, welche politische Einstellung die dort eingetragenen Personen in Bezug auf die VRP hatten, wie diese Einstellung die DDR-Bürger beeinflussen konnte oder ob im Bekanntenkreis dieser Polen auch in der Opposition aktive Ostdeutsche waren bzw. ob jene Oppositionelle auch Kontakte mit polnischen Dissidenten pflegten.257 Direkt vor der Einführung des Kriegsrechts mussten alle ostdeutschen Studenten das Gebiet der VRP verlassen, und das nicht auf Bitten der polnischen Behörden. Entscheidend war hier das 255  IPN BU 0449/22/7/CD 1, S. 103. 256  BStU, MfS, HA VII Nr. 2950, Bd. 1, S. 40. 257  BStU, MfS, HA XX Nr. 6181, S. 3.

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»vorsorgliche Misstrauen« der DDR, das sich auch in anderen Bereichen zeigte, die auf der polnischen Seite nie als verdächtig wahrgenommen worden wären. Wenn etwa ein ostdeutscher Jugendlicher in den 1970er-Jahren den polnischen Innenminister schriftlich um ein Autogramm bat, bekam er dieses ohne besondere bürokratische Prozeduren. Schickte jedoch die polnische Seite eine derartige Postkarte an die Abteilung X, endete dies für den Autogrammsammler mit der sofortigen Eröffnung einer OPK.258 Die Tatsache, dass das Innenministerium viele Stasi-Anfragen mit Skepsis betrachtete, bedeutete keinesfalls, dass die ostdeutschen Bürger in Polen nicht kontrolliert wurden. Das MSW erstellte, ebenso wie das MfS, Verzeichnisse der in der VRP lebenden Ostdeutschen und führte Personenüberprüfungen durch, vor allem wegen möglicher Verbindungen mit dem »Westen«.259 Es war außerdem allein dafür zuständig, den Betreffenden Aufenthalts- bzw. Arbeitsgenehmigungen zu erteilen.260 Grundsätzlich war es verboten, einen DDR-Bürger in den operativen Datenbanken zu erfassen, es sei denn, der Geheimdienst hatte ein besonderes Interesse daran. Schließlich konnten die in Polen lebenden DDR-Bürger, die gleichzeitig als IM registriert waren, entweder von den Nachbarn oder sogar von der Miliz erfahren, dass gegen sie ein Verfahren oder eine Überprüfung eingeleitet wurde.261

4.4 Die Bewachung der Staatsgrenze 4.4.1 Die Rolle der Grenze im Komplex der geheimdienstlichen Kooperation und Auseinandersetzung Von allen alltäglichen geheimdienstlichen Beziehungen schien die Grenzkontrolle am wenigsten geeignet, das Prädikat »bilateral« zu tragen. Die wirtschaftlichen Kontakte waren prinzipiell bi- und multilateral. Ebenso die Bürgerkontakte, was zu einer entsprechenden Zusammenarbeit bzw. zu Konflikten führte. Wie verhielt sich das bei der Grenze? Zum einen lag die Grenzkontrolle im Hoheitsbereich des jeweiligen Staates, d. h. eine entsprechende Kontrollsouveränität musste nicht an Dritte übergeben werden, da die Grenze nicht mobil war. Zum anderen konnten eventuelle Probleme aus politischer Sicht relativ einfach durch eine Grenzsperrung und restriktive Kontrollen beseitigt werden. Nimmt man dazu den Fakt, dass die deutsch-polnische Grenze in der offiziellen Rhetorik beider Dienste als

258  259  260  261 

BStU, MfS, Abt. X Nr. 253, Teil II, S. 602. IPN BU 0676/20, Bd. 2, S. 15. IPN BU 0676/20, Bd. 1, S. 235. BStU, MfS, AIM 12877/91, Teil II/1, S. 196.

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»freundschaftlich« propagiert wurde, was sie eigentlich nie gewesen ist,262 kommt man schnell zu der Schlussfolgerung, dass sie im Wesentlichen nur ein weiteres Beispiel für die Hypokrisie beider Dienste darstellt. Warum war diese Auseinandersetzung aus geheimdienstlicher Perspektive trotzdem relevant? Vor allem weil die Grenze der erste Ort war, an dem sich beide Geheimdienste begegneten und mit- oder gegeneinander agierten. Dort fand üblicherweise der erste Kontakt eines Bürgers mit den Funktionären der Passkontrolle statt, die meist direkt oder indirekt für das jeweilige Sicherheitsministerium arbeiteten. Ebenso üblich und aus MfS-Sicht besonders gefährlich waren Grenzverbrechen, und zwar nicht nur die wirtschaftlichen, sondern vor allem die sogenannte Republikflucht. Sie war seit der DDR-Gründung eines der wichtigsten innenpolitischen Probleme. Ihr vorzubeugen musste aus diesem Grund eine der obersten Prioritäten des MfS sein.263 An der Grenze konnten außerdem relativ schnell erste Informationen über die Lage im Nachbarstaat gewonnen und somit Aufklärungsarbeit betrieben werden. Die jeweiligen Zielpersonen waren dabei nicht nur Reisende, sondern auch Grenzfunktionäre des Nachbarn. Wie bereits erwähnt, waren die Haltung der Stasi und deren Arbeit gegen die VRP ausschlaggebend für den nach 1989 erhobenen Vorwurf, dass die ehemaligen Leiter des polnischen Innenministeriums die eigene Abwehrarbeit an der Grenze vernachlässigt hätten. Die Stasi konnte dadurch angeblich ihr IM-Netz ausbauen, was dem MSW aufgrund des angeblichen Versagens der eigenen Führung nicht gelang.264 Die bilateralen Kontakte im Bereich der Grenzsicherung wurden klassifiziert wie die anderen Dimensionen der geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Dazu zählten die operative Kooperation, Alltagskontakte, der Informationsaustausch und schließlich die Arbeit gegeneinander. Charakteristisch war auch hier die grundsätzlich widersprüchliche Politik beider Ministerien, was das Wesen dieser Kooperation anging. Die Stasi wollte wie üblich alles und jeden überall kontrollieren und folglich auch ihren Einfluss über die Grenze hinaus, in das Gebiet jenseits von Oder und Neiße, ausdehnen. Das polnische Innenministerium hingegen wollte dies nicht zulassen, da jene Ausdehnung automatisch einen gewissen Souveränitätsverlust bedeutete. Die alltägliche Zusammenarbeit wurde also ermöglicht und lief relativ problemlos, zumal nach 1974 die Anzahl der grenzüberschreitenden Bürgerkontakte sank.265 Ebenso routinemäßig und 262  Kochanowski: Socjologiczny zwiad, S. 231. 263  Jan Gülzau: Grenzopfer an der sächsisch-bayerischen und sächsisch-tschechischen Grenze in den Jahren 1947–1989. Dresden 2012, S. 4. 264  Piecuch: Imperium, S. 195; ders.: Jaruzelski. Ból Władzy. Warszawa 2001, S. 114; ders.: Wałęsa, S. 114. Die letzte Arbeit zeigt jedoch auch, dass man eigentlich viel über die Arbeit des MfS wusste. 265  Czesław Osękowski: Stosunki i pogranicze Polski z Niemiecką Republiką Demokratyczną w latach siedemdziesiątych. In: Kerski u. a.: Przyjaźń nakazana, S. 147–159, hier 155.

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bedeutungslos verlief auch der politische Dialog. Das MSW versprach regelmäßig Verbesserungen im Kampf gegen den Schmuggel und gegen die Republikflucht. Ebenso regelmäßig, insbesondere ab dem Ende der 1970er-Jahre, beklagte sich das MfS, dass in dieser Hinsicht kaum etwas unternommen wurde. Die rechtlichen bilateralen Vereinbarungen konnten die Grenze keinesfalls undurchlässiger machen,266 weil dies nicht im Interesse der polnischen Regierung lag. Wie vor 1974 trug die liberal zollbewachte Grenze dazu bei, die Versorgungsprobleme der VRP zumindest teilweise zu überwinden.267 Fakt bleibt auch, dass dieser Liberalismus für die operative Arbeit des MfS einige Möglichkeiten schuf. Immerhin war der jeweilige Geheimdienst Gastgeber auf seinem Gebiet. Sollte der Partner versuchen, dies auf irgendeine Weise zu ändern, musste er mit heftigem Widerstand des MSW rechnen. Ein Standardbeispiel dazu ist die Idee der Stasi, in der VRP ein einheitliches Kontrollsystem zur Grenzabfertigung und zur Mobilitätskontrolle der ostdeutschen Bürger einzurichten. Für das MfS war es selbstverständlich, dieses Kontrollsystem selbst zu bauen, zu betreiben sowie mit eigenem Personal zu bedienen. Da dies jedoch befürchten ließ, dass der Einfluss auf die eigene Grenzkontrolle zu groß werden könnte, war die Ablehnung der polnischen Seite absehbar. 4.4.2 Republikflucht als Hauptgrund der Kooperation Nicht nur eine gewisse Souveränität, sondern existenzielle Bedürfnisse bestimmten die polnische Absicht, nur die laufenden Projekte des MfS gezielt zu unterstützen, vor allem hinsichtlich der Republikflucht. Pro Jahr wurden in Polen etwa 20 DDR-Bürger, die die Grenze illegal passieren wollten, festgenommen und der Stasi übergeben. Da die daraus resultierende Anzahl an Ermittlungen relativ gering war, wäre dafür ein zentrales und vom MfS gesteuertes Kontrollsystem nicht nötig gewesen. Ganz im Gegenteil. Die Analyse dieser Menge belegte die minimale Gefahr, die die Republikflucht via Polen für die DDR darstellte. Von den genannten Festgenommenen hatten sechs gefälschte Dokumente, weitere sechs wurden entweder auf Schiffen entdeckt oder versuchten, mit eigenen Booten die Grenze zu passieren. Und nur die letzten sechs gaben direkt während des Verhörs zu, dass sie in die Bundesrepublik fliehen wollten.268 War das wirklich 266  Mielke an Mittig, 5.5.1978 [Hausmitteilung]; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16247, S. 3. 267  David Logemann: »Schleichwege« als Ausgleich von Mangel und als Angebot des »Polnischen«. Private Kontakte zwischen Deutschen und Polen in Leipzig in den 1970er und 1980er Jahren. In: Włodzimierz Borodziej, Jerzy Kochanowski, Joachim von Puttkamer (Hg.): »Schleichwege«. Inoffizielle Begegnungen sozialistischer Staatsbürger zwischen 1956 und 1989. Köln 2010, S. 91–114, hier 99. 268  Adam Pawlak: Wykorzystanie terytorium PRL przez obywateli NRD w organizacji ucieczek do krajów kapitalistycznych na przykładzie pomorskiej brygady WOP; IPN BU 1509/1726, S. 18.

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viel, im Vergleich zu über 6 Millionen DDR-Bürgern, die in den 1970er-Jahren jährlich in die VRP reisten? Nein. Außerdem hätte das vom MfS bevorzugte System auch Kosten auf der polnischen Seite verursacht. Andererseits hätte es für die Stasi bessere operative Möglichkeiten bedeutet. Fakt bleibt, dass der ostdeutsche Geheimdienst mehr Probleme mit den polnischen Flüchtlingen hatte als es umgekehrt der Fall war. Jährlich wollten circa 30 polnische Staatsbürger illegal über die DDR nach Westeuropa flüchten.269 Interessanterweise wurde die Hälfte jener Fälle erst an der innerdeutschen Grenze entdeckt, was sehr viel über die Ausrichtung der ostdeutschen Grenzüberwachung aussagt, die sich auf die Westgrenze der DDR konzentrierte. Nach wie vor erscheinen diese Zahlen minimal, insbesondere wenn man die Daten zur Republikflucht von DDR-Bürgern über Osteuropa kennt. In der Tschechoslowakei wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren jährlich mehrere Hundert DDR-Bürger bei Fluchtversuchen verhaftet, in Ungarn im Jahresdurchschnitt rund 170, in Bulgarien etwa 65 und in Rumänien 25.270 Die Zahl in Polen sank271 in den 1980er-Jahren kontinuierlich. Im Jahr 1988 handelte es sich nur noch um zehn Fälle. Wie sah das allgemeine Verfahren bei der Aufklärung oder Ermittlung einer Republikflucht aus? Die wichtigsten Hinweise konnte der jeweilige Dienst vor allem aufgrund der eigenen IM-Arbeit gewinnen.272 Die zweitwichtigste Quelle, insbesondere im bilateralen Kontakt, war das Partnerministerium,273 dem man mitteilte, dass mit einer Republikflucht zu rechnen sei. Dabei wurden Ort und Zeit bekannt gegeben sowie alle notwendigen Umstände oder Tipps, die die Arbeit des Partnerdienstes beschleunigen konnten. Darunter zählten etwa Transportmittel, Angaben über die von den Flüchtlingen benutzten Lkw oder Informationen über das Speditionsunternehmen, bei dem diese gemietet wurden. Schlussendlich wurde über die Betroffenen berichtet, womit die Helfer, Kuriere und Flüchtlinge selbst gemeint waren.274 All das wurde nicht nur mit der Bitte gesendet, die jeweilige Schleusung zu stoppen, die Zielpersonen festzunehmen oder wenigstens die präparierten Reisedokumente zu beschlagnahmen, sondern es wurde auch darum gebeten, Kenntnisse über die Methoden der Schmuggler zu bekommen, um so weitere Fluchtversuche vermeiden zu können. Infolgedessen wurde bei jeder Operation eine vollständige Dokumentation beantragt, einschließlich der Mediendokumentation. Man wollte nicht nur die Reiserouten dokumentieren oder kopierte Unterlagen erhalten, sondern vor allem die Arbeit der Ermittler und der

269  BStU, MfS, HA IX Nr. 4671, Teil I, S. 271. 270  Tantzscher: Die verlängerte Mauer, S. 76 f.; Herbstritt: Entzweite Freunde, S. 360 f. 271  Ohne das Jahr 1989 und die Friedliche Revolution zu berücksichtigen. 272  Beispiel der polnischen Ermittlung: Operativer Vorgang, Deckname: Diplomaten: IPN Wr 020/920, S. 1. 273  IPN BU 1585/2003, S. 300. 274  IPN BU 01062/43, Bd. 34, S. 163.

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Täter filmen. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden sowohl für Schulungs- als auch für Propagandazwecke eingesetzt. Die Informationen, die das MfS vom polnischen Innenministerium erbat, bot es später als Gegenleistung dem MSW an, sollte es in der DDR zu einem Fluchtversuch kommen. Jeweilige Beratungen über wirksame Durchsuchungs­methoden von Lkw oder über eine frühe Fluchtaufklärung mit anderen Reisemitteln wurden jährlich veranstaltet.275 Außerdem fanden regelmäßige Austausche von Verzeichnissen statt, in denen die Nummern der gestohlenen Pässe aufgelistet276 oder andere landesinterne Richtlinien vermerkt waren, die mit einer Republikflucht zu tun haben könnten. Für das MfS war es beispielsweise wichtig zu wissen, welche Dokumente in der VRP nötig waren, um ein Boot oder ein Kajak zu mieten, welches dann als mögliches Tatwerkzeug genutzt werden konnte. Auch nur bedingt zielgerichtete Mitteilungen waren möglich. Sollte das Innenministerium während einer heimlichen ausländischen Postkontrolle Indizien finden, wie etwa eine Anschrift, die bereits bei anderen Fluchtversuchen verwendet wurde, wurde das MfS entsprechend informiert – jedoch wie üblich mit einmonatiger Verspätung.277 Die Lieferzeit der aus MfS-Sicht besonders wichtigen Informationen war ein guter Grund, die alltäglichen Kontakte näher zu analysieren, insbesondere in Bezug auf die Probleme, die im bilateralen Geschäftsverkehr unvermeidbar waren. Am wichtigsten waren Fragen, bei denen es um Verantwortung ging, wenn beispielsweise trotz der ergriffenen Maßnahmen eine Republikflucht gelang. Es wäre sicherlich falsch, zu behaupten, dass dies aufgrund eines absichtlichen Versagens des jeweiligen Geheimdienstes passierte. Trotzdem mussten die Misserfolge auf ministerieller Ebene diskutiert werden. Dabei wurde grundsätzlich ein Faktor als entscheidend für die Niederlage erwähnt: Die Verspätung, mit welcher der Partner den befreundeten Dienst informierte.278 Fakt war aber auch, dass sich ein besonderes Engagement bei der Fahndung nach ostdeutschen Flüchtlingen aus polnischer Sicht außenpolitisch nicht immer lohnte. Wie bereits erwähnt, war das Problem der Flüchtlinge für das polnische Innenministerium quantitativ eher unwichtig. Weniger marginal hingegen war insbesondere ab 1981 die Aufgabe, die wegen des Kriegsrechts belasteten Beziehungen mit den westeuropäischen Ländern, insbesondere mit der Bundesrepublik, zu verbessern. Dabei durfte die DDR die in erster Linie ökonomisch bedingten Verbesserungsversuche nicht belasten. Aus diesem Grund lehnte die VRP 1982 die Bitte des MfS, an einer diplomatischen Aktion gegen Westberlin teilzunehmen, offiziell ab.279 Ziel sollte sein, die Reisemöglichkeiten für Flüchtlinge zu beschränken. Die Stasi konnte 275  276  277  278  279 

IPN BU 01062/43, Bd. 33, S. 27. IPN BU 01062/43, Bd. 70, S. 96. IPN BU 01062/43, Bd. 53, S. 108. IPN BU 01062/43, Bd. 39, S. 33. Angaben zit. nach: IPN BU 1585/2007, S. 229.

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jedoch nicht erwarten, dass sich die Beziehungen zwischen der polnischen Regierung und der Bundesrepublik wegen sechs Personen, die jährlich eventuell flüchten könnten, verschlechterten, zumal die polnischen Bürger ohne messbare Gewinne seitens der DDR relativ frei nach Westberlin fahren durften. Neben den außenpolitischen Gründen trugen auch die operativen und politischen Probleme dazu bei, dass die bilaterale Zusammenarbeit nicht vertieft wurde. Bereits in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre erfuhr das Innenministerium, meist während Verhören von festgenommenen DDR-Bürgern,280 dass viele in der VRP organisierte Fluchtversuche von IM der Stasi inspiriert wurden, obwohl das MfS dem MSW solche Aktionen in Polen zumindest hätte mitteilen sollen. Diesbezügliche Anfragen blieben unbeantwortet. Eine Folge war eine zwar kleine, aber doch sichtbare Auseinandersetzung, die mittels der staatlichen Presse bzw. der routinemäßigen Korrespondenz ausgetragen wurde. Etwa Ende der 1970erJahre durfte die Stasi mithilfe der polnischen Grenztruppen in Polen einige Helfer festnehmen, die seit Jahren Mitorganisatoren bei Republikfluchten waren. Verständlicherweise ist eine Delegation von hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern in die VRP gereist, um die Ermittlungsunterlagen auszuwerten und mit den operativen polnischen Mitarbeitern zu sprechen. In den offiziellen ostdeutschen Mitteilungen, die im MSW mit Empörung aufgenommen wurden, wurde kein Wort über die polnische Hilfe verloren.281 Das Innenministerium ging genauso vor wie die DDR-Propaganda. Im Falle einer Grenzschließung, etwa aufgrund von Tierseuchen, wurde vom MSW eine Pressemitteilung veröffentlicht, der zufolge ausschließlich die DDR Schuld am Vorfall hätte.282 Natürlich wurde diese Mitteilung schneller bekanntgegeben als die Reaktion der ostdeutschen Seite und entsprach den in Polen herrschenden negativen Stereotypen über die DDR. Weniger öffentlich, aber nicht weniger zynisch waren die Antworten des MSW auf Anfragen zum polnischen Rechtssystem. Bei einer Anfrage ging es etwa wie erwähnt um die Voraussetzungen, um in der VRP Boote oder Kajaks mieten zu dürfen. Mit sichtbarer Arroganz wies der polnische Geheimdienst darauf hin, dass die meisten DDR-Bürger mit eigenen Booten nach Polen reisen müssten, da es in der VRP nicht immer möglich sei, Kajaks zu vermieten. Dies war ein Signal für das MfS, dass die wahre Fluchtursache nicht in der VRP, sondern in der DDR lag. Abgesehen davon, dass mitgenommene Boote aus dem Ausland von den polnischen Grenztruppen registriert wurden,283 war es so, dass jeder, der bereits in der Grundschule eine Schwimmprüfung absolviert hatte und eine entsprechende Bescheinigung vorlegen 280  S. 534. 281  282  283 

Vgl. Beispiel eines festgenommenen Flüchtlings aus dem Jahre 1978: IPN BU 1585/2002, IPN BU 1585/2004, S. 713. BStU, MfS, Abt. X Nr. 8, S. 216. Pawlak: Wykorzystanie, S. 45.

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konnte, in Polen ein Kajak mieten konnte, zumal die meisten Mietgeschäfte außerhalb der staatlichen Kontrolle lagen. Selbst in den 1970er-Jahren wurden die ostdeutschen Anfragen ironischerweise noch beantwortet. In den 1980er-Jahren hingegen wurde das MfS immer öfter ignoriert. Nicht als Ministerium, sondern als Institution, die für den Partner als Dienstleister fungieren konnte. Die Zahl der vom polnischen Innenministerium beantragten Überprüfungen in Bezug auf die Grenze ging zurück und erreichte ab 1986 ein extrem niedriges Niveau. Die Bezirksverwaltung Cottbus etwa musste in der Zeit zwischen 1986 und 1988, abgesehen davon, dass sie ständig den Personenverkehr in Richtung Polen kontrollierte und überwachte, nur drei Anfragen der polnischen Seite bearbeiten. Wer waren die Zielpersonen? Als Ziel galten Personen, die verdächtigt wurden, für einen westlichen Geheimdienst zu arbeiten, angebliche Mitglieder einer Emigrantenorganisation oder Ausländer, die ausgeliefert wurden, da sie in Polen Informationen gesammelt hatten, die als Staatsgeheimnis eingestuft wurden.284 Im Grunde genommen hatten solche Personen mit der laufenden Grenzüberwachung nichts zu tun. Ihre als feindlich wahrgenommene Tätigkeit wurde an der Grenze nicht entdeckt, sondern sie wurden im Auftrag des jeweiligen Dienstes zusammen mit anderen Einheiten kontrolliert. 4.4.3 Vorgänge, Kooperation und Konflikte am Rande der Grenzüberwachung Wie es auch in anderen Bereichen der Fall war, trug ein gewisses Eigeninteresse meist dazu bei, dass beide Ministerien plötzlich doch professionell, schnell und zuverlässig für den Partner arbeiten konnten. Auch Jahrzehnte nach den Ereignissen und in Bezug auf die technischen Möglichkeiten verdienen einige von diesen Fällen Beachtung, da es unerwartet weder in der DDR noch in der VRP Probleme mit der Kommunikation gab. Und die internen Prozeduren erwiesen sich als funktionsfähig. Ein Beispiel dazu: Am 28. Februar 1987 bekam ein diensthabender Offizier des MfS um 21.30 Uhr einen Anruf von seinem Pendant aus dem Ministerkabinett im Innenministerium. Während des Gespräches wurde die Stasi offiziell informiert, dass gegen 16.00 Uhr via Grenzübergang Görlitz zwei Personen die VRP verlassen hatten, die im operativen Interesse des polnischen Geheimdienstes standen. Ihr Reiseziel war unbekannt. Dem MfS wurden die Personalien, Passnummern sowie das Autokennzeichen mitgeteilt, und zwar mit der Bitte, die Zielpersonen, falls möglich, festzunehmen und auszuliefern. Gegen 21.45 Uhr wurde die polnische Seite informiert, dass die Zielpersonen zehn Minuten zuvor den innerdeutschen Grenzübergang erreicht hatten und 284  BStU, MfS, HA II Nr. 38770, S. 56.

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festgenommen wurden. Die Auslieferung wurde für den kommenden Tag geplant, und in der Tat fand sie am 1. März 1987 gegen 11.55 Uhr statt. Was veranlasste beide Dienste, in diesem Fall plötzlich so professionell zu handeln? Grundsätzlich ging es dabei um Vorgänge, die im Interesse der Aufklärung oder der Abwehr lagen und bei denen die Tarnung eine entscheidende Rolle spielte. Wenn das MfS eine Zielperson nicht in der DDR festnehmen konnte, konnte es immer noch das polnische Innenministerium darum bitten. Dieses konnte sehr zuverlässig arbeiten, solange es sich um Aufträge des Ersten Departments handelte.285 Zwar wurde eine ähnliche Zuverlässigkeit der Stasi in Polen intern ebenso hoch geschätzt,286 allerdings muss dazu gesagt werden, dass es sich in jenen Fällen stets um Ausnahmesituationen handelte, die den von negativer Routine geprägten Alltag nicht positiv beeinflussen konnten. Wie bei der Bürgerüberwachung war solch ein Verhalten eher ungewöhnlich und hatte weniger mit der eigentlichen Arbeit zu tun. An der Grenze registriert und dem Innenministerium übergeben wurden unter anderem NATO-Soldaten, die in Polen heiraten wollten, sowie alle Reisenden, die größere Geldmengen bei sich hatten. Des Weiteren waren Personen betroffen, die mehr als zwei Pässe besaßen oder früher Staatsangehörige eines Warschauer-Pakt-Staates waren. Im Transitbereich zwischen Polen und Westberlin galten alle als verdächtig, die sich länger als normal in der DDR aufgehalten hatten. »Normal« bedeutete in diesem Zusammenhang für das MfS weniger als zwei Stunden, inklusive Unterbrechungen. Ein automatisches Überprüfungsverfahren war auch für diejenigen vorgesehen, die mehr als eine Einladung für eine Reise in die DDR oder für einen polnischen Bürger ausgestellt hatten. Dies konnte, aber musste kein strafrechtliches Überprüfungsverfahren bedeuten und war für das MSW nicht von erheblicher Wichtigkeit. Größeres Interesse galt den Informationen über Lkw mit humanitärer Hilfe, den Angaben über deren Fahrer oder den dazugehörigen Bildern, mit denen Schmuggel potenziell erkannt werden konnte. Schnell und unbürokratisch wurden auch Angaben über Deserteure und geflohene Gefangene ausgetauscht, ihre Auslieferung vorbereitet287 oder einander jeweilige internationale Haftbefehle zugeschickt. Zwar schien letztgenanntes Verfahren eine rein polizeiliche und keine geheimdienstliche Angelegenheit zu sein, doch bleibt der Fakt bestehen, dass einige der polnischen Deserteure unabsichtlich ein markantes Versagen des ostdeutschen Grenzkontrollsystems und des MfS nachweisen konnten. Ein Soldat war in den 1980er-Jahren beispielsweise in der Lage, die ostdeutsch-polnische Grenze illegal zu passieren, seine Uniform zu verstecken, sich Zivilkleidung zu 285  HA VI Leiter an Damm [Hausmitteilung], 16.12.1975; BStU, MfS, HA VI Nr. 13904, S. 64. 286  Resident der polnischen Aufklärung in der DDR, Deckname »Nold«, an die Zentrale. Notiz vom 22.2.1988; IPN BU 0449/22/13/CD 1, S. 342. 287  BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 323, S. 130.

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besorgen und von seinem Stationierungsort in Swinemünde zu Fuß oder mit dem Fahrrad nach 160 Kilometern die innerdeutsche Grenze zu erreichen.288 Für ihr Versagen bei der Grenzkontrolle übernahm die Stasi selbst die Verantwortung. Dies bedeutete aber nicht, dass während der offiziellen bilateralen Kontakte eine Art Reue oder Entschuldigung ausgesprochen wurde. Ganz im Gegenteil. Die Situation an der Grenze war für Mielke immer ein Grund, Vorwürfe gegenüber dem MSW zu erheben, – vor allem Vorwürfe wegen des Schmuggels von Konsumgütern aus der DDR, die mit dem Geheimdienst selbst nichts zu tun hatten. Die Festnahme eines polnischen Bürgers, der an der Grenze 39 Luxusuhren, 60 Nerzfelle, ein Fuchsfell und vier Damenpelzmützen zu schmuggeln versuchte, war nichts Ungewöhnliches.289 Die Folge waren seine Festnahme und die Konfiszierung aller Waren, die nicht nur in dem Fall über 100 000 DDR-Mark wert waren. Worüber Mielke jedoch nicht sprach, waren die Verhöre der Betroffenen sowie die Fragen, die von den MfS-Mitarbeitern gestellt wurden. Wollten sie Details über das Schmuggelgeschäft wissen? Überhaupt nicht. Vielmehr wurden die Festgenommenen zur Lage in Polen, zur Versorgung oder zu Einzelheiten aus dem Berufsalltag befragt. Ab 1980 kamen zwei neue Themen hinzu: die Solidarność und die Kirche in Polen.290 Zweifellos kann darüber diskutiert werden, ob die Betroffenen bei den Befragungen gelogen haben oder nicht. Die meisten Fragen waren jedoch nicht für die kriminaltechnische Ermittlung relevant, geschweige denn für die bilaterale geheimdienstliche Zusammenarbeit, sondern einzig für die offensive Aufklärung gegen Polen. Mehr noch, viele Antworten waren informationsreicher als die entsprechenden Berichte der Operativgruppe Warschau, die sich jedoch nicht hauptamtlich mit Schmuggel beschäftigte. Dieser wuchs pro Jahr kontinuierlich um 30 Prozent. Das bedeutete, dass das MfS in den 1980er-Jahren etwa 15 000 solcher Delikte registrierte und Waren im Wert von über 10 000 000 DDR-Mark konfiszierte.291 Tatsächlich war diese Summe sogar deutlich höher, weil einige Waren beispielsweise in der Bundesrepublik gekauft worden waren. Es ließ sich jedoch nicht aktenkundig feststellen, was mit den Luxuswaren passiert ist. Das Innenministerium kämpfte im Namen seiner eigenen Bürger gegen die Konfiszierung, vor allem in solchen Fällen, die auch im Sinne der ostdeutschen Gesetzgebung absurd waren. Beispielsweise musste im Auto ein Ersatzreifen mitgeführt werden. Wurde dieser aber in Westdeutschland gekauft, bestand die Gefahr einer Beschlagnahmung. Standardfälle waren auch Situationen, in denen in der DDR als feindlich eingestufte Zeitungen, wie die »Bild«, von polnischen Bürgern konfisziert wurden.292 288  BStU, MfS, ZKG Nr. 17046, S. 2. 289  BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 323, S. 54. 290  BStU, MfS, HA IX Nr. 4387, S. 325. 291  Probleme des Schmuggels im grenzüberschreitenden Reiseverkehr zwischen der DDR und der VRP, November 1987; BStU, MfS, Abt. X Nr. 12, Teil II, S. 303. 292  IPN BU 1585/2001, S. 151.

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Wie wurde die grenzbezogene Operativarbeit des MfS organisiert? Das wichtigste Instrument waren die sogenannten Fahndungsmaßnahmen. Pro Jahr konnten einerseits an nur einem Grenzübergang über 5 000 solcher Maßnahmen registriert werden. Andererseits wurde geschätzt, dass in der Periode von 1980 bis 1982 nur ungefähr 15 000 zusätzliche Kontrollen an der ostdeutsch-polnischen Grenze durchgeführt wurden, woraufhin 695 Einreiseverbote erteilt wurden.293 Alle Zahlen dieser Art müssen jedoch mit Vorsicht bewertet werden, da die Beschreibung der Fahndungsmaßnahmen äußerst vieldeutig war. Ihnen konnte sowohl eine offene Durchsuchung zugrunde liegen oder aber auch nur eine formlose Notiz, dass jemand einen ausländischen Pass vorgelegt hatte. Wurde beispielsweise festgestellt, dass sich im kontrollierten Wagen Schmuggelware befindet, wurden gegen alle Insassen Fahndungsmaßnahmen eingeleitet, obwohl nur einer von ihnen der Schmuggler war. Solche Fahndungsmaßnahmen galten auch für diejenigen, die weder an der Grenze noch in der DDR ein Verbrechen begangen hatten. Sie wurden trotzdem in die Statistik eingerechnet, da sie zum Beispiel verdächtige Kontakte mit ostdeutschen Bürgern unterhielten und nach Polen reisten. Dazu zählten auch exmatrikulierte polnische Studenten, obwohl diese bereits aufgrund der Exmatrikulation ein automatisches Einreiseverbot erhielten und somit die Grenze schon ein letztes Mal passiert hatten. Auf keinen Fall dürfen diese Zahlen insofern als Beleg für die tatsächliche Zahl der begangenen Straftaten gelten, geschweige denn für die begangenen Fluchtversuche. Jede aus MfS-Sicht relevante Grenzsituation wurde auf entsprechenden Druck mit einer Begründung registriert. Dabei konnte bereits die Tatsache zählen, dass jemand relativ oft die Grenze in Berlin passierte. Daraufhin folgte eine Beschreibung der eingeleiteten Kontrolle. Sie galt als bester Beleg für die Arbeitsphilosophie des MfS. An der Grenze konnte wahrhaftig alles als verdächtig interpretiert werden. Alles war relevant: Auftreten, Verhalten, Sauberkeit, Deutschkenntnisse, mitgenommene Gegenstände oder die Art und Weise, wie der Reisende auf die Fragen der Kontrolleure reagierte. Enorm genau analysierte man dabei die Visa und Grenzstempel, die aus kapitalistischen Ländern stammten. Stand diese Prozedur überhaupt im Zusammenhang mit den bilateralen geheimdienstlichen Kontakten? Ja, jedoch nicht mit der Zusammenarbeit. Warum? Da die gleichen Formulare benutzt wurden, um die polnischen Grenztruppen an der gemeinsamen Grenze aufzuklären. Dabei bestimmte die Aufklärung gegen die VRP und nicht etwa der Kampf gegen den Schmuggel die Arbeit der als Passkontrolle getarnten MfS-Einheiten. Alle polnischen Mitarbeiter der Grenzabschnitte, beginnend von der Brigade in den kleinsten Einheiten, wurden separat analysiert. Hauptkriterium dessen war die Feststellung, wer eine progres293  BStU, MfS, HA VI Nr. 15331, S. 51. Monika Tantzscher hingegen spricht von 12 000 Kontrollen. Monika Tantzscher: Hauptabteilung VI: Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr (BStU, MfS-Handbuch, Teil III/14). Berlin 2005, S. 82.

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sive oder reaktionäre Meinung über die Lage in Polen vertrat. Jeder Grenzsoldat, Passkontrolleur oder Zöllner hatte im MfS eine Art Kartei, in der nicht nur seine politische Einstellung, sondern auch seine Haltung gegenüber der Kooperation mit dem MfS, seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit bei der Mitarbeit in den bilateralen Vorgängen und das Einhalten der polnischen Dienstvorschriften sowie sein bisheriger Werdegang registriert wurden.294 Da jene Ehrlichkeit aus Sicht der Staatssicherheit eines der wichtigsten Probleme war, nahm man an, dass es für das MfS besser sei, jeweilige polnische Mitarbeiter so lange wie möglich an den Grenzübergängen zu halten. Dies war zudem mit der Tatsache verbunden, dass die alten polnischen Funktionäre angeblich mehr ideologisches Verständnis für die DDR hatten als die durchaus zynischen Vertreter der jüngeren Generationen. Abgesehen vom Altersprinzip unterschieden sich die Arbeitsmethoden der MfS-Grenztruppen praktisch nicht von den Abteilungen für Aufklärung und Spionageabwehr und dem, was sie in eigener Sache interessierte. Relevant waren Informationen darüber, ob ein polnischer Mitarbeiter die offiziellen Dienstkontakte selbst initiierte oder nicht. Man analysierte einerseits seine schwer definierbaren persönlichen Eigenschaften, etwa inwiefern er seinen Nationalstolz nach außen trug. Andererseits überprüfte man die Standardelemente, die bei jeder Überprüfung infrage kamen, wie etwa die Nervosität der Zielperson, deren Affären oder Alkoholkonsum. Dies galt nicht nur für Grenzsoldaten, sondern auch für diejenigen, die theoretisch gesehen nicht kontrolliert werden durften, also für die polnischen Diplomaten und deren Familien in Ost- und Westberlin. Selbstverständlich beschäftigte sich die HA VI nicht direkt damit, an der Grenze eventuelle Alkoholprobleme festzustellen. Waren- und Menschenschmuggel blieben jedoch ein Thema, über das dem polnischen Innenministerium offiziell, schriftlich und erfolglos von Mielke berichtet wurde.295 Eine Folge dessen war beispielsweise ein operatives Verfahren, bei dem namentlich alle Mitarbeiter der polnischen Militärmission in Westberlin als Verdächtige erwähnt wurden, also auch diejenigen, die für die polnische Aufklärung tätig waren.296 Aus MfS-Sicht kam dabei sowohl die Kontrolle der Abwehr infrage als auch die Beschränkung des äußerst lukrativen Schmuggels, wozu auch die durch polnische Diplomaten geleistete Fluchthilfe zählte. Abgesehen davon, dass jene Schmuggler einen mit dem MfS nicht abgesprochenen Kurierkanal betrieben hatten, hatte sich dieser Kanal zu einer enorm relevanten Geldquelle entwickelt. Pro Person verlangte man 10 000 DM, was in den 1980er-Jahren eine beträchtliche Summe darstellte. Das MfS duldete dies. Es kam nur in solchen Fällen zu einer Festnahme, in denen der

294  Beispiel jener Kartei: BStU, MfS, BV Dresden, Leiter der BV Nr. 10878, S. 39. 295  IPN 01212/12, S. 167. 296  BStU, MfS, ZKG Nr. 18690.

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Geiz des Schmugglers die Grenzen überschritt und die Warnung an das MSW weitergegeben werden musste.297 Die Diplomatenkontrolle, die völkerrechtlich verboten war, blieb nicht das einzige Misstrauenszeichen des MfS gegenüber seinem polnischen Partner. Gerade an der Grenze, an der überaus viele geheimdienstlich interessante Materialien zu gewinnen waren, die sich in Gepäckstücken befanden, zeigte sich die wahre Seite der bilateralen Kontakte, die nur auf Eigeninteresse beruhten. Dazu einige Beispiele: Wenn während einer geheimen Gepäckdurchsuchung eines nach Polen fahrenden Ausländers aus DDR- und VRP-Sicht interessante Finanzunterlagen gefunden wurden, wurden diese zuerst vom jeweiligen ostdeutschen Ministerium im Original oder in Kopie analysiert. Erst wenn festgestellt werden konnte, dass die Finanzunterlagen vollständig ausgewertet worden waren oder dass sie nicht so bedeutend waren wie angenommen, durften sie an das Innenministerium weitergeleitet werden.298 In anderen Fällen wurden Betroffene am Flughafen in der DDR darüber informiert, dass ihr verlorenes Gepäck wiedergefunden worden sei. War dem so, so ist das Gepäck nicht nur gründlich durchsucht, sondern auch fotografiert worden. Besonders oft wurden dabei Sparbücher,299 Privatpost oder Titelseiten von pornografischen Zeitschriften kopiert. In diesem Fall wurde das MSW informiert, dass Gepäck gefunden worden war. Selbstverständlich wurde kein Wort über die Durchsuchung verloren. Im Gegenteil, es wurde berichtet, dass beispielsweise alle bei den polnischen Bürgern gefundenen Originaldokumente vernichtet worden waren, da dies gesetzlich so vorgesehen sei.300 Dem Innenministerium wurden lediglich Kopien angeboten. Neben dem allgegenwärtigen Misstrauen traten die im bilateralen Kontakt üblichen Probleme und Spannungen auf. Eine Benachrichtigung des MfS durch das MSW, dass es zu einer Republikflucht oder einem illegalen Grenzübergang gekommen sei, konnte drei Monate dauern. Der polnische Dienst hingegen war mehr als irritiert über die ständige Flut von Angaben über festgestellte Schmuggel­fälle, die an das Ministerkabinett und nicht etwa an die örtlichen Zollämter gesendet wurden. Bereits im Juni 1981 wurde das MfS offiziell darum gebeten, Mitteilungen über von Ausländern mitgeführte Kleidung, Arzneien oder Lebensmittel nicht länger zu versenden, da das Innenministerium einerseits über solche Fälle Bescheid wüsste und andererseits Probleme damit habe, diese Menge an Schreiben zu übersetzen.301 Nicht nur der Alltag sorgte für immer mehr Irritationen. Die ostdeutsche Luftabwehr analysierte im Einvernehmen mit dem MfS sowie mit den sowjetischen 297  298  299  300  301 

Fallbeispiel aus dem Jahr 1978: IPN BU 1585/2002, S. 352. Fallbeispiel aus dem Jahr 1986: BStU, MfS, HA XVIII Nr. 19475, S. 140. Beispiel: BStU, MfS, Abt. X Nr. 256, Teil I, S. 15. MfS an das MSW, Schreiben vom 11.11.1980; IPN BU 01228/3005/CD 1, S. 27. IPN BU 1585/2007, S. 218.

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Streitkräften in der DDR alle Entführungsfälle von polnischen Flugzeugen,302 ohne das MSW zu involvieren. Die entführten Flugzeuge wurden in den 1980erJahren häufig in Westberlin zur Landung gezwungen, da die Entführer dort politisches Asyl beantragen wollten. Dabei war jede Stasi-Quelle nützlich,303 sowohl die IM in der Westberliner Polizei als auch Militärmeldungen und öffentliche Publikationen. Nicht nur der Quellenschutz führte dazu, dass der polnische Geheimdienst nicht berücksichtigt wurde, auch wenn die bilateralen Vereinbarungen über den Schutz des zivilen Luftverkehrs dadurch faktisch gebrochen wurden. Prinzipiell galt, dass ausschließlich die sowjetische Luftabwehr nicht nur die jeweiligen Ermittlungen und Entführungsanalysen durchführte, sondern auch, dass nur sie entscheiden durfte, ob die gekidnappte Maschine abgeschossen oder zur Landung gezwungen werden musste. Politisch gesehen bat das MfS darum, sich in jedem Fall so weit wie möglich zurückzuhalten. Solange die polnische Regierung dies nicht öffentlich kommentierte, wurde seitens der DDR auch kein Kommentar abgegeben. Selbstverständlich beantragte das polnische Innenministerium, vom MfS alle vorhandenen Unterlagen und Erkenntnisse zu erhalten. Dies geschah in erster Linie dann, wenn die polnische Regierung die Auslieferung der Entführer formell beantragte.304 Die Stasi wollte insbesondere, dass ihre Quellen dazu beitrugen, im Rahmen eines öffentlichen und propaganda­ gesteuerten Prozesses die Täter möglichst hart zu verurteilen. Am besten sollte die Verhandlung eine Art Angriff auf die Politik der Bundesrepublik sein, was das Innenministerium aus außenpolitischen Gründen nicht immer durchführen konnte. Sollte das nicht der Fall sein und waren die Quellen durch die Nutzung der Materialien gefährdet, wurden keine Unterlagen übergeben. Was änderte sich ab 1980 an der Grenzarbeit des MfS? Einerseits nicht viel, da der Großteil der Aufklärung gegen Polen bereits in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre durchgeführt wurde. Andererseits wurde jene Aufklärung intensiviert und intern rechtlich neu formuliert, was vor allem in Bezug auf die Folgen und nicht auf die Ergebnisse massive Veränderungen mit sich brachte. Seit Ende August 1980 hatte die Lage in Polen Vorrang innerhalb der operativen Aktivitäten der Grenzkontrolleure, die als Teil der Hauptabteilung VI zu Mielkes Apparat gehörten.305 Die Berichterstattung über den Grenzverkehr sollte deutlich eingeschränkt werden. Praktisch bedeute dies für die jeweiligen Kontrolleure, dass sie nicht nur Reisedokumente lasen oder überprüften, ob der Reisende auf den Fahndungslisten stand. Sie sollten in erster Linie allgemein aufklären, ob operativ relevante Details festgestellt werden können, die dem Vorgesetzten zu 302  BStU, MfS, HA XIX Nr. 4985, S. 1. 303  Dossier erstellt nach der Entführung des polnischen Flugzeuges vom 17.9.1983; BStU, MfS, Sekretariat Neiber Nr. 138, S. 2. 304  BStU, MfS, HA XIX Nr. 4985, S. 55. 305  BStU, MfS, HA VI Nr. 1462, S. 2.

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melden wären.306 Der erste Eindruck oder eine untypische Reaktion des Kontrol­ lierten konnten also innerhalb des Kontrollprozesses noch am Grenzübergang automatisch eine heimliche Durchsuchung oder ein später eröffnetes operatives Verfahren durch eine andere Diensteinheit forcieren. Dies setzte ein System der verdeckten Zeichen der Stasi-Mitarbeiter sowie eine formelle Beschreibung der geplanten Untersuchungen in den jeweiligen Fällen voraus. Was war also besonders wichtig an der ostdeutsch-polnischen Grenze, insbesondere nachdem der freie Reiseverkehr Ende Oktober 1980 eingestellt wurde?307 Die durchaus banale Antwort, dass alles als wichtig und verdächtig eingestuft werden konnte, entspricht offensichtlich der Wahrheit. Allerdings muss man dabei die Frage stellen, ob die geplante Kontrolle und die Aufgaben für die ostdeutschen Passkontrolleinheiten überhaupt durchführbar waren. Beispielsweise sollte das Reiseziel aller Reisenden sowie deren möglicherweise vorhandene Verbindung mit kirchlichen Gruppierungen notiert werden. So etwas ließ sich zwar in Bezug auf die DDR-Bürger klären, was die polnischen Reisenden anging, scheint dies jedoch eine mehr als absurde Aufgabe gewesen zu sein. Neben der sehr kleinen Zahl der in den Datenbanken erfassten Dissidenten bzw. kirchlichen Aktivisten hatte mindestens die Hälfte der polnischen Autofahrer religiöse Symbole in ihren Autos, was jedoch weder etwas über ihre aktive religiöse Einstellung noch über ein sonstiges politisches Engagement aussagte. Ebenso schwer nachvollziehbar ist die den Grenzern auferlegte Pflicht, festzustellen, welcher der ostdeutschen Reisenden nach Polen fuhr, um dort feindlich-negative Absichten zu verfolgen. Ohne Akteninformationen war dies nicht machbar. Waren diese Informationen nicht vorhanden, mussten die Funktionäre intuitiv handeln sowie auf typische, verdächtige Indizien achten. Wer stand also grundsätzlich unter Verdacht? Zunächst alle Männer im wehrpflichtigen Alter. Praktisch konnte dies zwei Drittel aller Reisenden betreffen. Hinzu kamen Personen, die Bücher bzw. Literatur im Gepäck hatten, Diplomaten, Bürger von Drittstaaten, insbesondere Bundesbürger, sowie diejenigen, die unangemessene Kleidung trugen, die etwa nicht dem Wetter angepasst war. Auch auf die nervösen und besonders höflichen Reisenden wurde ein Auge geworfen.308 Im Grunde genommen konnten also aus Sicht der Stasi alle an der Grenze verdächtigt werden, zumal nicht nur das Äußerliche als verdächtig galt. Allein eine zusätzliche Überprüfung konnte schnell zu der Feststellung führen, dass im Notizbuch des Reisenden die Adresse einer feindlichen Organisation stand.309 Bedeutete dies jedoch wirklich, dass der Besitzer dieses Notizbuches in besonderer Verbindung zu besagter Organisation stand, wobei es sich meist 306  307  308  309 

BStU, MfS, HA VI Nr. 15576, S. 2. Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 82. Hans-Dieter Behrendt: »Guten Tag, Passkontrolle der DDR«. Schkeuditz 2008, S. 331. BStU, MfS, HA II Nr. 30307, S. 324.

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um polnische Emigrantenvereinigungen handelte? Natürlich nicht. Trotzdem verlangten die Verantwortlichen der HA VI neben der ständigen Wachsamkeit auch die Ausführung der allgemeinen Sonderkontrolle, die nicht nur den Reisenden, sondern auch den polnischen Grenztruppen nicht verborgen blieb und Fragen zur elementaren Konspiration auslöste. Es ging dabei nicht nur darum, die polnischen Bürger im Falle einer großen politischen Auseinandersetzung in der VRP genauer zu kontrollieren. Rein operative Großaktionen, die im Auftrag der Spionageabwehr durchgeführt wurden, waren ebenso wenig ausgeschlossen. Beispielsweise wurden bestimmte Pakete mit humanitärer Hilfe durchsucht oder es mussten sämtliche Bürger eines konkreten NATO-Staates kontrolliert oder festgenommen werden. Üblich war auch die verschärfte Überprüfung von Fußballfans und von Besuchern der in der VRP in den 1980er-Jahren sehr populären Treffen (über 10 000 Zuschauer live) mit dem umstrittenen Heilpraktiker Clive Harris.310 Darüber, wie die polnischen Reisenden von den ostdeutschen Zöllnern nach solch einer Veranstaltung unbemerkt befragt wurden, sagen die Befehle der HA VI selbstverständlich nichts aus. Die Zuschauer sollten u. a. gefragt werden, wie die Straßen in Stettin nach Ausschreitungen mit der Opposition aussahen. In den Befehlen wurde auch nichts darüber gesagt, wie mit den extremen Befehlen zur Berichterstattung umgegangen werden sollte. Schließlich bestand einerseits das Ziel, die typische Berichterstattung an der Grenze zu minimieren. Andererseits erwartete die MfS-Leitung, dass nicht nur alle gewonnenen und nicht bearbeiteten Informationen sofort an die Zentrale weitergeleitet wurden, sondern auch, dass statistische Gesamtdarstellungen mit einer Altersanalyse der Reisenden, Reisezielen, Reisemitteln sowie den Gegenständen im Gepäck übermittelt werden. Es ging dabei nicht nur um geschmuggelte Güter, sondern auch um einen Besitz, den jedes totalitäre System am meisten zu kontrollieren versuchte, nämlich Bücher. Nicht nur die Reisenden sollten statistisch erfasst werden, sondern auch die polnischen Kontrolleure. Das MfS war verpflichtet, jede Veränderung in ihrem Arbeitssystem aufzudecken, etwa in den Dienstvorschriften, in der Bewaffnung oder innerhalb der polnischen Grenztruppen, was auf Gegenseitigkeit beruhte.311 Verdächtig waren prinzipiell auch neue Mitarbeiter »des Partners« am Grenzübergang, so wie beispielsweise die verstärkte Kontrolle der polnischen Truppen.312 Das erklärt, warum in den bereits erwähnten Karteien so viel Platz für Hinweise zur Korruption, zum Alkoholmissbrauch oder über die Distanz zu den Kontakten mit der DDR vorhanden war.313 Zwar konnte das MfS pro Jahr etwa 140 Informationen dieser Art gewinnen, trotzdem wiesen die Berichterstatter darauf hin, dass diese meist unvollständig waren und keinesfalls dazu beitragen konnten, 310  311  312  313 

Richtlinien von April 1981: BStU, MfS, HA VI Nr. 15576, S. 30. Das war polnischerseits bis 1990 der Fall. IPN BU 0449/22/15/CD 1, S. 44. BStU, MfS, Abt. X Nr. 12, Teil II, S. 218. BStU, MfS, BV Ffo, Abt. VI Nr. 159, S. 101.

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ein vollständiges operatives Bild der polnischen Grenz-, Zoll- und Passeinheiten zu verschaffen.314 Praktisch sammelte die Stasi jene Erkenntnisse, die entweder banal oder kaum zu verbergen waren, wie etwa über Personaländerungen oder zum Alkoholkonsum. Andererseits konnten diese sehr nützlich sein, um die Reisen der IM der anderen Abteilungen nach Polen besser vorzubereiten und operativ optimal abzusichern. Wenn man beispielsweise wusste, dass an einer polnischen Grenzübergangsstelle im Jahr 1983 alle der 57 dort tätigen Zöllner und Grenzsoldaten sogenannte Geschenke von den Reisenden entgegennahmen, wie etwa Alkohol, konnte man annehmen, dass die Kontrolle dort nicht besonders genau sein würde. Das Bild der polnischen Grenzüberwachung in der MfSBerichterstattung glich einer Situation, in der sich die Kontrolleure selbst am meisten mit Schmuggel beschäftigen. Der Stasi zufolge würden die Räume der Personenkontrolle hauptsächlich für Alkoholexzesse genutzt oder um die eigene negative Meinung über die DDR bzw. die Sowjetunion zu verbreiten. Je komplizierter die Lage Polens 1980 wurde, desto öfter wurden Meldungen von den Grenzübergängen an die Ostberliner Zentrale geschickt, manchmal sogar zweimal täglich. Und in der Tat ließ das Interesse der HA VI an der Aufklärung der polnischen Zöllner und Grenzfunktionäre bis 1989 nicht nach. In jenen Meldungen, in denen sehr oft von alltäglichen Problemen berichtet wurde, gab es jedoch kaum Platz für die aus geheimdienstlicher Sicht enorm wichtige Feststellung, dass nicht das ostdeutsche, sondern das polnische Kontrollsystem für die Aufklärung des Partners geeigneter sei. Die polnischen IM, die hauptamtlich als Soldaten der Grenztruppen arbeiteten, durften beispielsweise ohne große Einschränkungen in die DDR fahren. Für die ostdeutschen Grenzkontrolleure war es hingegen nicht so leicht, die Grenze zu überqueren, geschweige denn, in Polen einzukaufen. Es mehrten sich Fälle, in denen trotz der offiziellen bilateralen Passabfertigung die als Angehörige der Passkontrolleinheiten getarnten Offiziere der HA VI massiv an ihrer Pflichtausübung gehindert wurden. Man verkürzte auf polnischer Seite etwa die Zeit für die Kontrolle in den Zügen. Die Zahl der VRPFunktionäre, die die Solidarność offen unterstützten, war außerdem verhältnis­ mäßig gering, so konnte das Innenministerium relativ einfach das Interesse des MfS auf jene Funktionäre lenken, wodurch die eigene IM-Arbeit nicht gefährdet wurde. Wie die Stasi sammelte das MSW mithilfe der Agenten alle Angaben zur Funktionsweise sowie zu Änderungen des ostdeutschen Kontroll­systems.315 Dies musste jedoch dem MfS bekannt gegeben werden. Seit 1980 mehrten sich in privaten Gesprächen die Hinweise, dass die polnischen Behörden regelmäßige Schulungen für Parteimitglieder und Beamte organisierten, in denen darum

314  Ebenda, S. 169. 315  Siehe Meldungen der Quelle mit Decknamen »Trag«: IPN BU 00449/22/13/CD 1, S. 324.

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gebeten wurde, aufgrund der durchgeführten Infiltration seitens des MfS nach Möglichkeit nicht in die DDR zu fahren.316 Selbst der Alltag an den Grenzübergängen konnte als Beleg dafür gelten, dass das MfS in der Tat jene Infiltration allen Ernstes vorantrieb, egal welche absurden Grenzen dabei überschritten wurden. So war beispielsweise ein polnischer LkwFahrer bereits ins Visier der Stasi geraten, nur weil sich an seiner Autoscheibe ein Schmuckanhänger mit der amerikanischen Flagge befand und er mit diesem in die DDR fuhr.317 In einem anderen Beispiel wurde eine Operativgruppe aufgrund eines IM-Berichts gebildet, in dem behauptet wurde, dass ein sichtbar betrunkener polnischer Bürger an der Grenze über ein geplantes Attentat auf Jaruzelski sprach.318 Als Folge wurden nicht nur alle Datenbanken mit den dort erfassten Polen geprüft. Es wurde auch ein Phantombild des Betrunkenen erstellt. Eine Aktenanalyse zeigt jedoch deutlich, dass quantitativ gesehen nicht die Stasi, sondern das polnische Innenministerium mehr Einreiseverbote im bilateralen ostdeutsch-polnischen Verkehr ausstellte. Noch im Februar 1980, als die ersten kleinen Beschränkungen im Grenzverkehr eingeführt wurden, konnten mit der Bahn beiderseits immer noch täglich fast 2 500 Personen die Grenze passieren. Davon wollten alleine 1 500 Personen in die DDR. Es handelte sich vor allem um Zeitarbeiter oder um Bewohner der Grenzgebiete, die nur ihren Personalausweis brauchten, um die Grenze zu passieren. Dabei wurden lediglich sechs aus der Kontrolle gezogen, die in die DDR und 17, die in die VRP fahren wollten. Nur in zwei Fällen handelte es sich dabei wirklich um ein Reiseverbot, das aufgrund einer MfS-Bitte erstellt wurde.319 Wie sah die Lage direkt nach der Einführung des Kriegsrechts aus? Fast 4 000 Polen wollten am 14. Dezember 1981 in die DDR und nur sieben durften nicht einreisen. Nach Polen wollten damals hingegen nur 507 DDR-Bürger. Ein Einreiseverbot bekamen insgesamt 32 Personen, darunter nur ein Reisender auf Bitten des MfS.320 Bedeutete dies, dass die Stasi mit dem Verhalten der MSW-Grenztruppen immer zufriedener war? Auf keinen Fall. Die Beschwerden im bilateralen Ver316  BStU, MfS, HA II Nr. 30228, S. 105. 317  Das MfS wollte sich dabei nicht nur auf eigene Aufklärung beschränken. Im Entwurf einer Richtlinie vom 10.11.1980 sollte etwa die Zollverwaltung der DDR an die »zuständigen Diensteinheiten« des MfS alle Informationen zu Bürgern der VR Polen übergeben, die in der Zollverwaltung gespeichert wurden, z. B. über das Einschleusen bzw. Verbreiten von Fahnen oder über negative mündliche Äußerungen. Siehe Entwurf: Übernahme der für das MfS bedeutsamen Informationen zu Bürgern der Volksrepublik Polen aus den Speichern und dem laufenden Informationsaufkommen des Ministeriums des Innern und der Zollverwaltung der DDR; BStU, MfS, ZAIG Nr. 18100, S. 16. 318  Befragungsprotokoll, [25.1.1982]; BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 323, S. 57. 319  HA VI, Operative Information Nr. 60/81; BStU, MfS, Sekretariat Neiber Nr. 322, Teil II, S. 136. 320  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 20373, S. 242.

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hältnis häuften sich seit 1981, also ab dem Moment, ab dem das Grenzregime Polens und auch das öffentliche Leben mit allen dazugehörigen Beschränkungen deutlich militarisiert wurden. So wurde u. a. eine Ausgangssperre eingeführt. Das MfS war nicht nur mit den bereits erwähnten Beschränkungen der Kontrollzeit unzufrieden, die dazu führten, dass es mehr Möglichkeiten zum Schmuggeln gab. Ein rechtliches Problem stellten darüber hinaus die fehlenden einheitlichen Regeln in Polen dar, die Grenzformulare, also die Vouchers, zu drucken. Eine Folge waren Fälschungsvorwürfe,321 die von polnischer Seite entschieden zurückgewiesen wurden. Das Innenministerium hat außerdem darauf hingewiesen, dass auch in der DDR staatliche Reisebüros jene Vouchers drucken dürften. Das sagte einerseits sehr viel über die Seriosität der Stasi-Vorwürfe aus, andererseits wurden die VRP-Reisedokumente, einschließlich der Pässe, mit Druckfehlern ausgestellt, was geheimdienstlich relevante Fragen auslösen musste.322 Keine einheitliche Dokumentationspolitik zu besitzen, konnte ein Vorteil oder auch ein Fluch für jede Aufklärung sein. Sehr viele Dienstpässe polnischer Offiziere hatten beispielsweise eine Nummer mit den Anfangsbuchstaben SB, was die amtliche Abkürzung des polnischen Sicherheitsdienstes war.323 Dies erleichterte die Kontrolle des MfS, hatte aber nichts mit der gewünschten Tarnung zu tun, abgesehen davon, dass das MSW im offiziellen Schriftwechsel die Qualität der eigenen Reiseunterlagen immer betonte.324 Neben den rein formellen Fragen spielte in den Stasi-Beschwerden bereits vor 1974 das stets obskure Auslieferungsverfahren eine Rolle. Das MfS wartete vergebens, dass ihm in diesen Fällen die vollständigen Unterlagen übergeben werden, die Übergabezeit entsprechend früh mitgeteilt wird oder alle Informationen im Rahmen einer einheitlichen Methodik ausgetauscht werden.325 Immerhin wollte die Stasi alle diesbezüglichen Probleme mittels einer neuen ministeriellen Vereinbarung klären, die man 1989 hätte unterschreiben sollen.326 Aus verständlichen Gründen war das polnische Innenministerium nicht daran interessiert, diese Vereinbarung anzunehmen. Die Stasi wollte damit unter anderem festlegen, dass zuerst die Bilder der Festgenommenen übergeben werden, um dann prüfen zu können, ob die betroffene Person tatsächlich die war, die ausgeliefert werden sollte. Man erwartete auch schärfere Strafen für die in Polen verhafteten Flüchtlinge, da die Bestrafung eines illegalen Grenzübergangs in der DDR kaum mit der diesbezüglichen, durchaus liberalen Strafpolitik in Polen zu vergleichen war. Nach MfS-Einschätzung blieben sogar 30 Prozent der polnischen 321  BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 323, S. 47. 322  BStU, MfS, Abt. X Nr. 256, Teil I, S. 38. 323  BStU, MfS, HA VI/OLZ Avisierung 1985, S. 1 f. 324  Notiz vom März 1989; BStU, MfS, Abt. X Nr. 256, Teil I, S. 41. 325  Bericht der HA IX über die Zusammenarbeit mit den Bereichen zur Untersuchung der Bruderorgane im Jahre 1977; BStU, MfS, HA IX Nr. 4671, Teil I, S. 522. 326  BStU, MfS, HA IX Nr. 4671, Teil II, S. 57.

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Bürger, die in der DDR wegen illegalen Passierens der innerdeutschen Grenze festgenommen und dann ausgeliefert wurden, in der VRP straffrei. Am meisten empörten sich die Stasi-Funktionäre jedoch nicht über die Gerichtsurteile, die oft auf Straffreiheit lauteten, sondern über die Akzeptanz327 jener Urteile durch den polnischen Geheimdienst sowie über Klagen gegen das MfS, um eine Entschädigung für die unbegründete Festnahme zu verlangen.328 Zwar waren im polnischen Strafgesetzbuch dazu einige Lösungen vorgesehen, die aus MfS-Sicht sogar akzeptabel waren, tatsächlich wurden sie jedoch nie angewandt. Dies war insbesondere eine Folge der bilateralen politischen Turbulenzen, deren Höhepunkt die Flüchtlingsfrage des Jahres 1989 darstellt. Welche praktischen Probleme nahmen in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zu? Vor allem reagierten beide Ministerien überproportional und überempfindlich auf eigentlich normale Vorkommnisse, die an der Grenze relativ schwer zu vermeiden waren. Die Züge waren beispielsweise völlig überfüllt. Wenn das der Fall war, schickte das MfS dem MSW einen schriftlichen Bericht, auch wenn dies kaum etwas bewirkte, da die Züge nicht im Rhythmus des geheimdienstlichen bilateralen Schriftwechsels verkehrten. Die Folge war eine recht brutale Reaktion der Stasi. Ohne Zweifel war die Überbelastung auf der polnischen Seite enorm. Sie konnte sogar bei 275 Prozent der eigentlich zugelassenen Anzahl an Reisenden liegen. Diejenigen, die keine Platzkarte hatten, dafür aber gültige Tickets besaßen, wurden von den ostdeutschen Sicherheitskräften, auch mit Gewaltanwendung, aus dem Zug geworfen und mussten auf eine andere Verbindung warten. Diesbezügliche Berichte wurden an die sechs wichtigsten Entscheidungsträger im MfS, darunter die stellvertretenden Minister, weitergeleitet.329 Sie haben auch entsprechende Beschwerdeschreiben des polnischen Innenministers bekommen. Andererseits behauptete die für internationale Kontakte zuständige Abteilung X, dass die polnischen Grenztruppen angeblich eigene Bürger dazu ermuntert hätten, gegenüber dem MfS rechtswidrig zu handeln und die Befehle der ostdeutschen Passkontrolleure zu ignorieren.330 Infolgedessen wurde in Polen eine Pressekampagne gestartet, die die Passkontrolleure des Nachbarn so negativ wie möglich darstellte. Daraufhin erwartete das MfS, dass die polnischen staatlichen Medien eine Art Gegendarstellung des kritischen Bildes der DDR-Funktionäre veröffentlichten. Hinzu kam die fehlende juristische Klärung der gesetzlichen Probleme im Grenzverkehr. Zwar schickte das Innenministerium dem MfS polnische Gesetzesblätter oder offizielle Richtersprüche, um die Spezifik des polnischen Rechtssystems zu erläutern, dies beschränkte jedoch nicht die Zahl 327  Peter-Joachim Lapp: Gefechtsdienst im Frieden – Das Grenzregime der DDR. Bonn 1999, S. 199. 328  Notiz vom 7.6.1978; IPN BU 1172/8, S. 112. 329  BStU, MfS, Abt. X Nr. 12, Teil II, S. 222. 330  IPN BU 1585/15323, S. 35.

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der Konflikte und vergrößerte bereits seit 1978 die Anzahl der Schreiben,331 in denen vom Unverständnis für die polnische Logik die Rede war. Dabei war diese Logik im Grunde genommen ganz einfach: Je unklarer die Gesetze, desto mehr Interpretationen gab es, die je nach Bedarf angewandt werden konnten. Aus diesem Grund wurden sämtliche Vorschläge der Stasi aus den 1980er-Jahren, den Rechtsverkehr zu präzisieren, abgelehnt. Dies lag einfach nicht im polnischen Interesse. Auf der anderen Seite blieben die Forderungen der VRP, die Transitbedingungen für die polnischen Bürger zu erleichtern oder die Gebühren für Touristen zu senken, in der DDR ebenso unbeantwortet.332 Die Belastungen für die Bürger aufgrund der hohen Transitgebühren waren ohne Zweifel schmerzhaft, konnten jedoch den polnischen Geheimdienst nicht beeinflussen. Die Probleme an der Grenze hingegen stellten in den 1980er-Jahren eine immer größere Belastung für das MfS dar, und zwar aus rein logistischer Sicht. Die bereits erwähnten Aufforderungen, fast jeden Reisenden gründlich zu kontrollieren und zu überprüfen, mussten dazu führen, dass das vorhandene Personal kaum in der Lage war, die Kontrollen im gewünschten Umfang durchzuführen. Die dafür zuständige HA VI wollte die Hilfe der anderen Diensteinheiten verständlicherweise nutzen, darunter die Hilfe derer, die für die Beobachtung zuständig waren. Die anderen Diensteinheiten lehnten dies allerdings ab, weil sie auch nur über beschränkte Ressourcen verfügten.333 Die Leiter der HA VI selbst beklagten sich bereits 1983, dass es am besten wäre, den Grenzverkehr einfach zu beschränken und auf detaillierte Überprüfungen zu verzichten. Die Aufklärung kostete nach deren Einschätzung wohl zu viel Zeit, Kraft und Papier.334 Insbesondere die letzte Bemerkung ließ einige Fragen aufkommen, vor allem die nach dem Sinn der vorgenommenen Grenzkontrollen. Das war aber nicht das einzige Problem. Seit 1980 wurde in den stasiinternen Beratungen die Nutzung der vorhandenen Datenbanken diskutiert, um die Reisenden entsprechend zu überprüfen. Die HA VI war daran interessiert, uneingeschränkten Zugang zu den Informationen über Polen, die durch die Zollämter oder die Kriminalpolizei gesammelt wurden, zu bekommen. Nicht alle Einheiten der Stasi waren jedoch damit einverstanden, was automatisch zum Konflikt führte.335 Obwohl dies selbstverständlich nicht die wichtigste Angelegenheit in Bezug auf die Grenzarbeit des MfS war, zeigt die Situation doch, dass das Wesentliche vonseiten des MfS 331  BStU, MfS, Abt. X Nr. 8, S. 179. 332  IPN BU 1585/2008, S. 155. 333  Beispiel einer solchen Ablehnung: BStU, MfS, Abt. X Nr. 29, S. 3. 334  HA VI an das ZAIG, Schreiben vom 2.8.1983; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13989, S. 16. Die Bezirksverwaltungen des MfS wiesen in ihren Monatsberichten jedoch darauf hin, dass die Einheiten der HA VI fast die Hälfte aller polenbezogenen Informationen lieferten. Also mehr als bspw. die Postkontrolle. BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 1487, Bd. 3, S. 8. 335  Vgl. auch Dominik Trutkowski: Der geteilte Ostblock. Die Grenzen der SBZ/DDR zu Polen und der Tschechoslowakei. Köln 2011, S. 127.

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nicht im Mittelpunkt stand, nämlich die Frage, ob die Grenze aus geheimdienstlicher Sicht wirklich ihre Funktion ausübte. Es mehrten sich zwar umfassende Berichte, vor allem auf der Führungsebene der Stasi, dass die Grenze perfekt bewacht würde.336 Dies war jedoch deren größte Schwäche. Ungehört blieben die Argumente der lokalen hauptamtlichen Mitarbeiter auf der Führungsebene, die vor allem nach 1981 darauf hingewiesen haben, dass die strenge Selektion und die Überprüfungsmaßnahmen faktisch dem polnischen Geheimdienst helfen würden, festzustellen, welche Reisenden für die Stasi tätig seien. Und das war in der Tat der Fall. Die polnische Spionageabwehr beobachtete die Veränderungen im Verhalten der ostdeutschen Passkontrolleure. Eine relativ problemlose Grenzabfertigung galt dabei als Indiz, dass der Reisende auf gewisse Art und Weise mit der Stasi kooperierte.337 Die Grenzkontakte beider Geheimdienste wurden im Jahr 1989 beendet, und zwar wegen des grundsätzlichen und politisch motivierten Interessenkonflikts. Anfang des Jahres schien dies noch eine protokollbedingte Änderung im bilateralen Verhältnis mit sich zu bringen. Das Innenministerium wusste, dass die Stasi die Ursache innerhalb der VRP suchte, was den ostdeutsch-polnischen Grenzkonflikt in der Pommerschen Bucht anging. Da die neutrale Unterstützung der polnischen Seite durch die UdSSR wegen der sichtbaren Verschlechterung des persönlichen Verhältnisses zwischen Gorbatschow und Honecker und der gleichzeitigen Verbesserung des Verhältnisses zwischen Gorbatschow und Jaruzelski möglich war, bot das MSW dem MfS eine Kompromisslösung an.338 Dies war eine für beide Seiten annehmbare Grenzlinie. Dieser Kompromiss bedeutete jedoch nicht, dass der polnische Geheimdienst es aufgegeben hatte, eigene IM am Rande der zuständigen Expertenmilieus der DDR zu platzieren.339 Das mit

336  BStU, MfS, HA VI Nr. 15331, S. 146. 337  Als Beispiel galt ein IM des MSW, der auch als IM des MfS tätig war. Er wurde vom polnischen Geheimdienst wegen seines Verhaltens an der Grenze verdächtigt. IPN BU Po 0031/45, Bd. 1, S. 77. 338  BStU, MfS, HA II Nr. 38802, S. 1. Die polnischen Autoren beschrieben nur eine »plötzliche Wende« in diesem Konflikt, ohne seine geheimdienstliche Dimension zu erwähnen bzw. die polenfreundliche Haltung der Sowjetunion hervorzuheben: Siehe Tomasz Ślepowroński: Der Konflikt um die Pommersche Bucht (1985–1989). In: Basil Kerski, Andrzej Kotula, Kazimierz Wóycicki (Hg.): Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949–1990. Osnabrück 2003, S. 81–87, hier 85–87. In den Akten der polnischen Aufklärung ist nicht nur eine eigene IM-Arbeit in dieser Richtung zu verfolgen, sondern auch eine Tendenz zu sehen, die entsprechenden Aktivitäten des polnischen Außenministeriums sehr kritisch und als »unprofessionell« zu betrachten. Eine Folge sollte dann die komplette Übernahme des »Vorgangs« durch das Innenministerium sein. Siehe IPN BU 0449/22/13/CD 1, S. 123 sowie die Unterlagen des polnischen Außenministeriums mit bissigen handschriftlichen Kommentaren der Geheimdienstler: IPN BU 01228/3021/CD 1 u. IPN BU 0449/22, Bd. 27, S. 11. 339  Siehe Meldungen der Quelle mit Decknamen »Tulipan« von 1988; ebenda, S. 27.

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enormem Propagandaaufwand 1989340 bekanntgegebene Ende des Grenzkonfliktes bedeutete zwar kurzfristig eine Verbesserung der politischen Atmosphäre, im Grunde genommen bedeutete es aber auch, dass beide Ministerien gegen­ einander kämpften. Diese Verbesserung war für das MSW zugegeben günstig. Die Stasi konnte mit dem Ende des Konfliktes auch durchaus zufrieden sein. Infolgedessen verbesserten sich auch die Bedingungen des Innenministeriums, etwa in Bezug auf die Auslieferungen polnischer Flüchtlinge. Abgesehen von den politischen Änderungen versuchten 1989 nach wie vor viele polnische Bürger, die innerdeutsche Grenze illegal zu passieren.341 Die Flüchtlinge wurden dann schnell und unbürokratisch dem Innenministerium übergeben. Ebenso rasch wurden Ermittlungen gegen jene Polen in der DDR geführt, die im Zuge der ersten Fluchtwelle kostenpflichtige Hilfe angeboten hatten, illegal die Grenze zu passieren bzw. gefälschte Reisedokumente zu besorgen. Dies bedeutete allerdings nicht, dass der polnische Geheimdienst nicht die Gelegenheit nutzte, dem MfS symbolisch eine Rechnung für die jahrelangen Konflikte zu stellen, zumal dies auch außenpolitische Gewinne mit sich bringen konnte. Gemeint ist die große Flüchtlingswelle aus der DDR seit dem Sommer 1989.342 Rechtlich gesehen hätte das MSW alle DDR-Bürger ausliefern müssen. Das wurde absichtlich nicht gemacht, weil die politischen Beziehungen mit der Bundesrepublik wichtiger erschienen343 als der Ärger mit der Stasi-Spitze, die in wenigen Wochen ihre Macht verlieren würde. Die getätigten Auslieferungen geschahen nur symbolisch. Die meisten Flüchtlinge konnten sowohl die westdeutschen Pässe behalten, die sie in der bundesdeutschen Botschaft in Warschau ausgestellt bekommen hatten, als auch in die Bundesrepublik reisen.344 Innerhalb weniger Wochen war die offizielle Freundschaft des MfS mit dem MSW nichts mehr wert.

340  Tomasz Ślepowroński: NRD kontra PRL. Stosunek mieszkańców Pomorza Zachodniego do konfliktu w Zatoce Pomorskiej (1985–1989). In: Biuletyn IPN 9–10 (2005), S. 90–99, hier 90; Dariusz Bugajski: Polsko-niemiecki spór o status wód redy w Zatoce Pomorskiej. In: Prawo Morskie, Bd. XXVII/2011, S. 357–370, hier 358. 341  BStU, MfS, Abt. X Nr. 258, S. 28. 342  Włodzimierz Borodziej: Polska wobec zjednoczenia Niemiec. Dokumenty Dyplomatyczne. Warszawa 2006, S. 25. 343  Was die Stasi übrigens auch wusste. BStU, MfS, HA II Nr. 38060, S. 74. 344  Klaus Bachmann: Przez Warszawę ku wolności. 30 lat później. Warszawa 2019, S. 11.

5. Der Freund als Gegner. Spionagekampf zwischen dem MfS und dem MSW Die in der vorliegenden Arbeit dargestellten Beziehungen zwischen dem MfS und dem MSW sowie die Formen der Kooperation beider Ministerien waren im Alltag vom wichtigsten Element geheimdienstlichen Handelns geprägt: der Hypokrisie. Beide Dienste unterhielten Kontakte zueinander, tauschten Informationen aus. Sie führten gelegentlich auch gemeinsame Operationen durch, aber nur, wenn dies dem eigenen und nicht dem gemeinsamen bzw. multilateralen Interesse entsprach. Wenn aber beide Ministerien klar und offen gegeneinander kämpften, änderte dies die Methodik des eigenen Handelns grundsätzlich. Nur im Konfliktfall waren das MfS und das MSW dem »Freund« gegenüber ehrlich. Ist das Wort »Ehrlichkeit« überhaupt geeignet, um die Konflikte zweier Geheimdienste in Diktaturen zu beschreiben? Durchaus. Die politische Korrektheit des Staatssozialismus ließ es nicht zu, die aus taktischen Gründen geduldete Kooperation allzu oft, zu umfangreich oder auch nur zu sichtbar als Instrument des gegenseitigen Kampfes zu benutzen. Sehr wohl vorhandene Gegenmittel, etwa die Spionageabwehr oder eigene IM-Netze, durften aus eben diesen Gründen nicht in vollem Umfang gegen den »aggressiven Freund« angewendet werden. So sabotierte man gemeinsame Vorgänge auf dezente Weise, um eigene Interessen zu schützen, tauschte unvollständige bzw. nutzlose Informationen aus und sperrte gleichzeitig die für den Freund besonders relevanten Erkenntnisse. Zu guter Letzt waren im bilateralen Verhältnis selbst Bosheiten legitim, die den ungeliebten Verbündeten erzürnen sollten. In dem Moment, da der Freund offen und ohne Hypokrisie als Feind wahrgenommen wurde, konnten schließlich alle vorhandenen Abwehrmittel ohne Rücksicht auf politische Korrektheit gegen ihn angewendet werden. Endlich konnten beide Dienste gegeneinander so agieren wie dies bereits seit Jahrzehnten zwischen ihnen und den NATO-Gegnern der Fall war, d. h. mithilfe aller Instrumente, einschließlich der IM-Arbeit. Solche Auseinandersetzungen trugen also dazu bei, die gegenseitigen Beziehungen der Realität anzupassen. Um die Offensivhandlungen im bilateralen Verhältnis beider Dienste nachvollziehbar analysieren zu können, ist es notwendig, selbige auf fünf Ebenen zu schildern. Für den Kampf gegen den »Freund« waren konkrete hauptamtliche Mitarbeiter zuständig. Ihre Herkunft, ihre Erfahrungen und ihr Lebensweg stellen die erste Ebene dar. Die zweite Ebene bilden die Strukturen, in denen sie tätig waren, in erster Linie also die eigenen Vertretungen im Gastland (Residenturen) sowie die jeweilige Spionageabwehr. Die dritte Ebene umfasst die Methoden des operativen Handelns, darunter rein technische Lösungen, aber auch die IM-

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Arbeit. Die vierte Ebene betrifft die Kenntnisse über die offensiven Aktivitäten des befreundeten Dienstes gegenüber dem Gastgeber. Die fünfte und somit letzte Ebene sollte vielleicht am Anfang der Rangordnung platziert werden. Auf dieser Ebene sollten Informationen über die politische Lage des Gastlandes analysiert, ausgewertet und an die eigene Führung weitergeleitet werden.

5.1 Gegenseitige Aufklärungs- und Abwehrmaßnahmen Es steht außer Zweifel, dass die legalen geheimdienstlichen Vertretungen im Gastland im System der Aufklärungsarbeit gegen den »Freund« eine besondere Rolle spielen mussten. Wie ließen sich also die internen dienstlichen Richtlinien über die Tätigkeit der Residenturen mit dem Alltag und der geheimdienstlichen Realität in Einklang bringen, insbesondere ab 1980, also seit der Entstehung der Operativgruppe Warschau (OGW)? 5.1.1 Die Operativgruppe Warschau Die MfS-Niederlassung in der polnischen Hauptstadt war im Vergleich zu den MfS-Außenstellen in anderen sozialistischen Staaten eine der kleinsten. So waren die Vertretungen in der UdSSR, der Tschechoslowakei und in Bulgarien 1989 allesamt größer. Nur die ungarische Gruppe ähnelte hinsichtlich der Personenzahl der Warschauer, mit vier operativen hauptamtlichen Mitarbeitern, einem Auswerter, einem Gruppenleiter sowie einer Sekretärin.1 Politische Turbulenzen jeglicher Art in der VRP trugen verständlicherweise dazu bei, das Personal aufzustocken. In solchen Situationen konnten in der Residentur sogar bis zu 15 hauptamtliche Mitarbeiter tätig sein.2 Neben der OGW führten auch andere Hauptabteilungen des MfS in Polen offensive Handlungen durch, zumal einige von ihnen, wie beispielsweise die für Wirtschaft zuständige HA XVIII, über legale Möglichkeiten verfügten, in Polen hauptamtliches Personal zu platzieren, etwa in Handelsvertretungen, auf Baustellen usw. So agierten in der VRP mitunter 30-köpfige Stasi-Gruppen, in denen nicht nur Hauptamtliche, sondern auch Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) vertreten waren.3 Auch wenn diese Gruppen der HA II unterstanden, bedeutete dies nicht, dass die OGW mit ihrer operativen Unterstützung rechnen durfte. Eine Ausnahme stellten dabei 1  BStU, MfS, HA II Nr. 23535, S. 67. Siehe auch Domnitz: Kooperation und Kontrolle. 2  Siehe Personal- und Gehaltsverzeichnisse: BStU, MfS, Abt. Finanzen Nr. 3542, S. 3; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 936, S. 4. 3  Siehe Kaderverzeichnis der HA XVIII vom November 1980; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 19815, S. 2.

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jene OibE dar, die für die Stasi-Abwehr in der ostdeutschen Botschaft oder in anderen Regierungsvertretungen der DDR in Polen arbeiteten. Ende 1989 waren dies lediglich sieben Personen.4 Welche hauptamtlichen Mitarbeiter wurden nach Polen bzw. in die DDR geschickt? Was kann man über sie sagen? Sowohl beim MfS als auch im MSW war es unüblich, einen Offizier zum Leiter der jeweiligen Residentur zu ernennen, dessen Rang geringer als der eines Oberstleutnants oder Majors war und der nicht bereits in der Zentrale die Funktion eines Abteilungsleiters respektive stellvertretenden Abteilungsleiters innegehabt hatte. Die Abteilung (poln.: »wydział«) bildete im Grunde die wichtigste Organisationseinheit eines Geheimdienstes. Die Mitarbeiter in den Residenturen mussten außerdem mehrjährige5 Erfahrung in der operativen Aufklärungs- oder Abwehrarbeit6 vorweisen. Die OGW war formell einer Einheit der MfS-Spionageabwehr unterstellt. So war ihr Leiter immer ein Offizier der HA II. Die polnische Residentur hingegen wurde von einem Aufklärungsoffizier geleitet, was seiner wahren Funktion durchaus entsprach. Schwerpunktmäßig beschäftigten sich die in den Residenturen eingesetzten Mitarbeiter mit den Geheimdiensten der Bundesrepublik, eher seltener mit den amerikanischen, es sei denn, dass der entsandte Offizier den Klerus bzw. Vertragsarbeiter operativ überwachte oder unter diesen ein IM-Netz führte. Verhältnismäßig oft kam es auch zur Rotation. Dies bedeutete, dass einige hauptamtliche Mitarbeiter mehrfach in Polen bzw. der DDR7 tätig waren, vor allem als OibE und zumeist getarnt als Mitarbeiter der diplomatischen Vertretungen des jeweiligen Landes.8 Viele dieser Mitarbeiter, vor allem die mit niedrigen Dienstgraden, studierten in beiden Staaten oder waren in deutsch-polnischen Familien groß geworden. Dies war für den Erwerb von Sprachkenntnissen von großer Bedeutung. Vor allem das Fehlen von Polnischkenntnissen soll ein stetes Problem der ersten Generation hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter gewesen sein, die während oder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren wurden und beim MfS Leitungsfunktionen ausübten. Interne Stasi-Richtlinien, die die Einstellungsvoraussetzungen für Auslandseinsätze sowie die Aufsicht über eine Residentur in der Zentrale definierten, besagten, dass die Bewerber zusätzlich eine Parteischule, die Juristische Hochschule des MfS in Potsdam und im Falle der HA I auch noch eine militärische Hochschule absolvieren mussten, jedoch waren Sprach- und Landeskenntnisse nachrangig.9 Die polnischen Mitarbeiter mussten solche Spezialschulen nicht absolviert haben. Wichtiger war die Erfah4  Vgl. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 279, S. 180 u. BStU, MfS, Abt. X Nr. 559, S. 9. 5  Personalmappe [Identität vom Verfasser anonymisiert]; IPN BU 0604/1129 (20175/V). 6  Personalmappe [Identität vom Verfasser anonymisiert]; BStU, MfS, KS 9899/90, S. 6. 7  Personalmappe [Identität vom Verfasser anonymisiert]; IPN BU 003175/215. 8  Personalmappe [Identität vom Verfasser anonymisiert]; IPN BU 003175/266. 9  Funktionsbeschreibung jener Stellen in der Zentrale: BStU, MfS, HA I Nr. 13869, S. 1. Vgl. auch Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 44–49 u. 191 f.

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rung vor Ort. Viele spätere MSW-Mitarbeiter in der Residentur gehörten jenen Gruppen an, die die polnischen Zeitarbeiter in den DDR-Bezirken beaufsichtigten. Diese Tätigkeiten oder auch das Studium in der DDR wurden relativ häufig von Personen aus Familien wahrgenommen, deren Mitglieder fast alle im Innenministerium gearbeitet hatten. So konnten besagte Tätigkeiten unter Umständen dazu beitragen, Freundschaften zu knüpfen, die in der späteren Aufklärungsarbeit nützlich waren. Das Studium im späteren Einsatzland und die operative Erfahrung, geschweige denn die formellen Richtlinien, blieben nur eine Seite der Kaderausbildung im Kampf gegeneinander. Die tatsächliche Ausbildung eines von der Zen­trale angestrebten idealtypischen Aufklärers schien in beiden Diensten eher von bescheidenem Erfolg gekrönt gewesen zu sein. Dazu einige Beispiele: Die OGW verfügte nur über zwei10 Planstellen für operative Offiziere. Diese waren berechtigt, selbstständige Aufklärungsoperationen in der Residentur durchzuführen. Neben dem OGW-Leiter sprach nur einer dieser Offiziere Polnisch. Mehr noch, selbst die OGW-Sekretärin sprach kein Polnisch, und das im aus geheimdienstlicher Sicht in der Volksrepublik kritischen Jahr 198911 und obwohl fortgeschrittene Kenntnisse der deutschen Sprache eine Voraussetzung für MSW-Mitarbeiter waren, um in der DDR arbeiten zu dürfen. Dies ist MfS-Dokumenten zu entnehmen, in denen gar eine Art Neid mitschwingt. Jene Dokumente malen zugleich aber ein sehr düsteres Alltagsbild der polnischen Residentur, das sich aus den Berichten über Antritts-, Abschieds- sowie Protokollbesuche ergab, die anlässlich des routinemäßigen Personalwechsels abgestattet wurden. Die Stasi-Mitarbeiter hielten ständige Kaderkonflikte fest, interne Finanz- und Sittenskandale, unkontrollierte Denunziationen innerhalb der Botschaft sowie Alkoholismus. So funktionierte aus MfS-Sicht angeblich auch das Innenministerium in Warschau.12 Die Mitarbeiter, gleich ob sie aus ideologischer Überzeugung oder Opportunismus agierten, benötigten Geld. Und finanziell war die OGW gut ausgestattet. Diese, wie bereits erwähnt, eher kleine Gruppe hatte im Vergleich zu ähnlichen Gruppen des Warschauer Paktes den größten Etat.13 Am Anfang betrug allein der Operativfonds 100 000 Złoty. Acht Jahre später, d. h. 1988, waren es bereits 12 Millionen Złoty. Ein weiteres Jahr später schon 24 Millionen. Für 1990 waren gar 43 Millionen Złoty vorgesehen.14 Pro Monat (zwischen 1982 und 10  Zum Vergleich: Das polnische Innenministerium verfügte über minimum 7 Planstellen. Dazu kamen IM sowie Hauptamtliche in den Generalkonsulaten. Siehe interne Verzeichnisse des MSW; IPN BU 2602/16829, S. 158 11  Zitiert nach den internen MfS-Umfragen über die Arbeit der Operativgruppen in den 1980er-Jahren; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 279, S. 38. 12  BStU, MfS, Abt. X Nr. 94, S. 164. 13  Siehe Ausgabenvergleiche der Operativgruppen: BStU, MfS, HA II/10 Nr. 950, S. 107. Im Jahr 1988 gab die Warschauer Residentur sogar mehr Geld aus als die in Moskau. 14  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 949, S. 14.

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1989) verdienten einzelne Mitarbeiter, je nach Rang und Funktion, zwischen 30 000 und 800 000 Złoty.15 Diese Summen, die aufgrund der Inflation in Polen zusätzlich anstiegen, umfassten: das Grundgehalt mit Auslandszulagen, Funktionszulagen und gegebenenfalls Kindergeld. Insgesamt stiegen die Bezüge durch solche Zulagen um 5 bis 15 Prozent. Außerdem erhielten Stasi-Mitarbeiter weitere Extramittel, so etwa einen Umzugszuschlag. Das MfS übernahm auch die Mietkosten in Polen.16 All diese Bezüge, die Wohnkosten der Funktionäre mit ihren Familien, die hinzukommende Miete für sechs konspirative Wohnungen sowie die Nutzungskosten für vier Fahrzeuge inklusive Parkgebühren beanspruchten fast 85 Prozent des Gesamtetats der OGW.17 Wie im Falle des MSW erhielt die OGW das Geld entweder bar über einen Kurierdienst oder durch dienstinterne Überweisungen. Ungleich anders war hingegen die Ausgabenkontrolle des MfS. So musste beispielsweise der Leiter der HA II jeden Monat eine Bewilligung unterschreiben, das Geld für die Mietkosten der OGW übergeben zu dürfen – ein in der VRP nahezu undenkbarer Vorgang.18 Andererseits trugen die Schwarzmarktrealitäten des polnischen Staatssozialismus dazu bei, den Etat der MfS-Gruppe enorm und auf halblegale, dabei aber aus geheimdienstlicher Sicht sehr vernünftige Weise zu erhöhen. Die halblegalen Umtauschkurse der beiden deutschen Währungen trugen dazu bei, zusätzliche Mittel zu erwirtschaften, ebenso die Privilegien, die die als Diplomaten getarnten OGW-Mitarbeiter in der VRP genießen durften. Es ging dabei zum Beispiel um den freien Kauf rationierter Güter wie Benzin. Nicht zuletzt verfügten sie über Passierscheine, die es ihnen ermöglichten, die Zentrale des Innenministeriums legal zu besuchen.19 Das wurde den polnischen Aufklärern in Ostberlin nicht gewährt, was entsprechende Beschwerdeschreiben des Residenturleiters an die Warschauer Zentrale zur Folge hatte.20 Aber eben das gereichte dem polnischen Innenministerium zum Vorteil. Zwar durften die MSW-Mitarbeiter Stasi-Mensen oder -Casinos nicht nutzen. Auch erhielten sie keine MfS-Berichtsreihen, obgleich die OGW die polnischen Gegenstücke, so etwa Tagesinformationen, beziehen durfte. Dadurch verpasste die 15  Zit. nach: Bezügeverzeichnissen: BStU, MfS, Abt. Finanzen Nr. 6000, S. 215. Zum Vergleich: das Durchnittsgehalt in der VRP betrug: 1982 – 11 000 Złoty und 1989 – 206 000 Złoty. Siehe amtliche Angaben des polnischen Amtes für Statistik: https://www.infor.pl/prawo/zarobki/ zarobki-w-polsce/686166,Przecietne-miesieczne-wynagrodzenie-w-latach-19502008.html (letzter Zugriff: 2.7.2020). 16  BStU, MfS, Abt. Finanzen Nr. 3542, S. 80. 17  Siehe Jahresbilanzen: BStU, MfS, HA II/10 Nr. 940, S. 19. 18  Siehe Rechnungen: BStU, MfS, Abt. Finanzen Nr. 3734, S. 2. 19  Nach Einschätzung von ehemaligen polnischen hauptamtlichen MSW-Mitarbeitern sollen OGW-Funktionäre in 2 Fällen zudem über dienstinterne polnische MSW-Ausweise verfügt haben, was in Verbindung mit den Polnischkenntnissen ihre operative Arbeit in der VRP enorm erleichtern sollte. Diese Behauptung ließ sich aber archivalisch nicht belegen. 20  IPN BU 0449/22, Bd. 13, S. 345.

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Stasi jedoch die Chance, ein aus eigener Sicht erwünschtes und durch den kontrollierten Fluss von eigenen Dokumenten befördertes DDR-Bild zu vermitteln. Der mangelnde Zugang zu Stasi-Materialien trug dazu bei, dass sich das Erste Department ohne die Hilfe des MfS um Informationen über die DDR kümmerte. Aus operativer Sicht konnte vor allem aber das bereits erwähnte Geld des MfS ein Problem darstellen. In Polen, wie in jedem sozialistischen Land, waren Hotels und Restaurants sowie von Ausländern gern besuchte Orte, ganz zu schweigen von Treffpunkten von Oppositionellen, rar gesät und entsprechend gut überwacht. Die Treffen der OGW-Mitarbeiter mit ihren IM in besagten Hotels – insbesondere in der Solidarność-Hauptstadt Danzig – mit der dazugehörenden teuren Mahlzeit für zwei Personen kosteten für volkspolnische Verhältnisse viel Geld, über das die MfS-Mitarbeiter jedoch verfügten. Nun war es aber aus der Sicht der Konspiration eine schlechte Angewohnheit, die besten Kneipen aufzusuchen und Rechnungen mitzunehmen. So etwas erregte stets die Aufmerksamkeit der Kellner, Hoteliers und Taxifahrer, die sehr oft IM des Innenministeriums waren.21 Nicht zuletzt aus diesem Grund trafen sich polnische Offiziere mit ihren Informanten entweder in der Botschaft im Rahmen konsularbedingter Besuche oder in konspirativen Wohnungen. Wie bereits im Unterkapitel 2.3 erwähnt, bestand die Hauptaufgabe der OGW nicht darin, eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit dem Innenministerium zu koordinieren, sondern Informationen über die Lage in der VRP operativ zu beschaffen.22 Das Gleiche betonten die jährlichen Arbeitspläne der OGW, die von der zehnten Abteilung der HA II genehmigt werden mussten, sowie die Ministerbefehle, wie etwa der über die Aktion »Besinnung«. Worin bestand dann der Aufgabenbereich der OGW? Interessanterweise gehörte hierzu vor allem die abwehrmäßige Sicherung der eigenen Botschaft in Warschau sowie die Überwachung der sich in Polen aufhaltenden DDR-Bürger. Erst gegen Ende der DDR wurde eine neue Richtlinie erlassen, um die eigenen Ziele besser mit der Ostberliner Stasi-Zentrale abzustimmen.23 Dies war aus Sicht der geheimdienstlichen Theorie äußerst untypisch, ebenso wie die Gewichtung der Hauptaufgaben. Eigenen Angriffen wurde eine höhere Bedeutung beigemessen als der Abwehr. Bedenken konnte auch die Anweisung wecken, dass alle Ziele der OGW durch IM-Arbeit erreicht werden sollten, es sei denn, es handelte sich dabei um Kontakte zu den wichtigsten Ämtern der VRP, einschließlich dem MSW. Dort sollten Informationen nur mithilfe von Kontaktpersonen gewonnen 21  Henryk Bosak: Konspiracyjny łącznik. Z tajemnic polskiego wywiadu 1983–1985. Warszawa 2013, S. 56. 22  Sogar die Arbeitsordnung der HA-II-Mitarbeiter in der OGW vom 1.7.1986 stellte klar fest, dass die Gruppe die Pflicht hatte, mit allen Mitteln Informationen über die innere Lage der VRP zu sammeln. Erst dann folgte in der Liste die Pflicht, eine enge tschekistische Zusammenarbeit mit dem MSW zu pflegen. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 286, S. 22. 23  Siehe Arbeitsplan von 1989; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 783, S. 2.

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werden. Einerseits war dies eine korrekte und nachvollziehbare Anweisung, da jede Kontaktperson als Gesprächspartner eingestuft werden konnte und der Kontakt zu dieser ein geringeres Sicherheitsrisiko darstellte als bei einem IM. Nur ließ sich das nicht in Einklang bringen mit der Erwartung der MfS-Leitung, im polnischen Innenministerium Topquellen zu unterhalten, die IM-Arbeit zu verstärken und gleichzeitig mit den Geheimdienstmitarbeitern des Gastlandes taktvoll und mit Einfühlungsvermögen umzugehen,24 insbesondere wenn es geboten war, Informationen über die polnische Innenpolitik zu beschaffen. Wie gewährleistete die OGW dann den ständigen Informationsfluss bezüglich der polnischen Politik an die eigene Leitung? Die von der Gruppe erstellten Umfragen zeigen sehr deutlich, dass die Hauptquelle der gewonnenen Informationen die vom Innenministerium zur Verfügung gestellten internen Berichtsreihen und Dokumente waren.25 Außerdem fand wöchentlich im Innenministerium ein offizielles Gespräch über die Lage in der Volksrepublik statt. Die Zahl der von der polnischen Seite gelieferten Unterlagen stieg seit 1983 stetig an, insbesondere die Dokumente, die das MSW für die Staatspartei verfasste.26 Als es nach 1981 vorhersehbar zu gefährlichen Ereignissen kommen konnte, die mit gewaltvollen Auseinandersetzungen der Solidarność-Anhänger mit den Sicherheitskräften enden würden, etwa anlässlich von in der VRP nicht anerkannten Festen wie dem Unabhängigkeitstag am 11. November, gewährte das MSW OGW-Vertretern direkte Verbindungen zu den eigenen Einsatzleitungszentren. Mehr noch, die Stasi durfte gar alle drei Stunden Situationsberichte erhalten.27 Das wirft die Frage auf, wieso jene Berichte intern als »inoffiziell gewonnen« registriert wurden. Eine solche Registrierung erfolgte im Monatsrhythmus und war aus geheimdienstlichbürokratischer Sicht ohne Zweifel vorbildlich. Ähnliches betraf den Umgang mit den polnischen Offizieren, die offiziell beauftragt waren, Kontakte zur OGW zu unterhalten. Sie wurden als Kontaktpersonen28 eingestuft, über die ebenfalls schriftliche Vermerke erstellt werden mussten. Es muss außerdem betont werden, dass die Vertraulichkeit der der ostdeutschen Seite übergebenen Materialien sehr fraglich war.29 Was waren das für Unterlagen, die da übergeben wurden? Es waren beispielsweise von Innenminister Kiszczak im Politbüro30 oder im Parlament (Sejm) gehaltene Reden, Dokumente der »Patriotischen Front für die Nationale Wieder24  Siehe Protokolle der internen Beratungen über die Arbeit der Operativgruppen des MfS von Dezember 1988; BStU, MfS, HA VI Nr. 8, S. 13. 25  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 279, S. 45. 26  OGW-Arbeitsbericht für April 1983; BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 314. 27  OGW-Arbeitsbericht für November 1982; ebenda, S. 248. 28  OGW-Arbeitsbericht für Juni 1983: BStU, MfS, HA II Nr. 38642, S. 2. 29  Darauf haben u. a. Tantzscher und Domnitz hingewiesen. Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 204 u. 213–216. 30  BStU, MfS, HA II Nr. 38321, S. 1 sowie BStU, MfS, ZAIG Nr. 13574, S. 1.

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geburt« (PRON),31 die bereits erwähnten Tagesinformationen des MSW,32 die Gerichtsurteile gegen festgenommene Oppositionelle im Wortlaut,33 Vermerke über Treffen von kirchlichen Amtsträgern mit Vertretern der VRP-Regierung oder die »besonders geheimen« in Kirchen verlesenen Hirtenbriefe der Bischöfe.34 Ohne Zweifel waren diese Texte für die geheimdienstlichen Auswerter von Bedeutung. Auch galten die Reden Kiszczaks als vertraulich, vor allem die während der Dienstkonferenzen vorgetragenen.35 Gleichzeitig war man aber auf den Leitungsebenen des MSW davon überzeugt, dass die durchaus mit Propaganda angereicherten und vor einigen Hundert Funktionären mittleren Grades vorgetragenen Reden nicht lange geheim gehalten werden konnten. Die konkreten polnischen Vermerke über Gespräche mit MfS-Mitarbeitern, in denen die Bekämpfung radikaler oppositioneller Gruppen wie dem KPN36 besprochen wurde, lassen keinen Zweifel daran, dass die polnische Seite wusste, was den »DDR-Genossen« von wem gesagt und/oder übergeben wurde.37 Wie aber sollte die Stasi-Zentrale dann überprüfen, ob die jeweiligen Informationen wirklich konspirativ gewonnen worden waren und ob der Geber eine Kontaktperson war, der Empfänger hingegen nicht? Eine solche Kontrolle konnte tatsächlich nur das MSW leisten. In der Tat gab es in diesem Ministerium eine interne Diskussion, wie der offene Umgang gegenüber dem MfS aussehen sollte.38 Waren aber aus 31  Eine infolge des Kriegsrechts und zu Propagandazwecken gegründete bedeutungslose Organisation, die als Beweis der angeblichen Demokratisierung der VRP gelten sollte. 1989 aufgelöst. 32  Es kam z. B. vor, dass dem MfS offiziell übergebene Tagesinformationen des MSW, insbesondere die, die über die eigentlich offiziell genehmigte bilaterale Zusammenarbeit bei der operativen Bearbeitung der westlichen Botschaften berichteten, auch in den internen StasiVermerken als »inoffiziell erhalten« eingestuft wurden. BStU, MfS, HA II Nr. 22854, S. 91. 33  Diese konnte man sowieso der Tageszeitung der PVAP, »Trybuna Ludu«, entnehmen. BStU, MfS, HA II Nr. 39185, S. 29. 34  OGW. Außenstelle Breslau. Arbeitsbericht für Juni 1983; BStU, MfS, HA II Nr. 38642, S. 13. 35  BStU, MfS, ZAIG Nr. 13600. 36  Siehe auch Unterkapitel 4.1. 37  IPN BU 1585/15361, S. 182. 38  Die Fachliteratur zitiert sogar ein offizielles Schreiben des MSW an die OGW, in dem von der Notwendigkeit, die Dokumentenfreigabe zu beschränken, die Rede ist. Siehe Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft, S. 23. Das Datum dieses Schreibens, März 1987, sagt übrigens sehr viel über den Stand der bilateralen Beziehungen beider Ministerien aus. Seit 1987 wollte man die OGW nur selektiv über die wahren Absichten des MSW informieren, da man schon Verhandlungen mit der Opposition plante. Die polnische Auslandsaufklärung informierte seit 1987 verstärkt über die immer deutlicher zutage tretende politische und wirtschaftliche Schwäche der DDR und über die immer wahrscheinlichere Destabilisierung Ostdeutschlands. Der »feindliche Freund« war nun immer schwächer und musste nicht, wie das bis 1987 der Fall gewesen war, mit einer Fülle von Informationen über die MSW-Arbeit versorgt werden. Entsprechende Unterlagen wurden nach wie vor zur Verfügung gestellt, nun aus der Überzeugung, dass die DDR die geplante polnische Transformation nicht gefährden und

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der Perspektive eines zynischen und gewandten polnischen Geheimdienstleiters jene »Verluste« wie etwa das Bekanntwerden einer vollideologisierten Rede vor Unteroffizieren nicht hinnehmbar? Ganz im Gegenteil. Beeinflussten »inoffizielle« Informationen über Veränderungen in der ohnehin unfähigen VRP-Regierung die Interessen des MSW? Sicherlich nicht. Konnten parteiübliche Passagen aus jenen Dokumenten das katastrophale Bild Polens in der SED wirklich ändern? Nein. Dazu noch einige Beispiele. So erörtert etwa ein im BStU-Archiv aufbewahrtes geheimes Militärdokument aus den 1980er-Jahren »die Dynamik der Änderungen der patriotisch-militanten Haltung der wehrpflichtigen Jugendlichen«.39 Wie man sich vorstellen kann, war diese Dynamik ausschließlich parteikonform. Zu der Frage, welche Rolle die Armee bei der Erhaltung der nationalen Identität der VRP tatsächlich spielte, ist diesem Dokument allerdings nichts zu entnehmen. Ebenso interessant ist der gleichfalls geheime Beitrag des Militärischen Inneren Dienstes über die Richtungen und Tätigkeitsmethoden der antisozialistischen Kräfte in Polen zwischen August 1980 und April 1982. Der Autor dieses Beitrages behauptete, was vermutlich dazu taugte, das Selbstwertgefühl Mielkes zu erhöhen, dass die Einführung des Kriegsrechts »ein Schock für die westlichen Aufklärungs- und Diversionszentren« war.40 War die Offenbarung dieser und ähnlicher Schriften ein Verlust für das MSW? Auf keinen Fall. Aber die OGW konnte durch solche »Schätze«, zumindest statistisch gesehen, Erfolge verbuchen. Eine besondere Art der quasi-operativen OGW-Arbeit im MSW war ein von den Stasi-Mitarbeitern genutztes Decknamensystem,41 das zufälligerweise in dem beeinflussen könne, auch dank der Unterstützung, die Jaruzelski durch Gorbatschow gewährt wurde. Interessanterweise wusste die Stasi aus MSW-Kreisen sehr viel über die angeblich vom MSW geplante Vorbereitung des Ausnahmezustandes in Polen im Jahr 1989. BStU, MfS, Abt. X Nr. 227, S. 90. Die Aussage jener Informationen war klar: Der polnische Geheimdienst ist nach wie vor wachsam. Nur war jene Vorbereitung beim MSW nie ernst genommen worden. Siehe Dudek: Historia polityczna, S. 17. Die damaligen Entscheidungsträger, etwa Ministerpräsident Rakowski, wiesen auch darauf hin, wie stark die Unlust gegenüber der DDR in den 1980er-Jahren in der Staatspartei, aber auch im MSW anwuchs, sodass die DDR den bislang üblichen Feind, nämlich die Bundesrepublik, mit unerwartetem Erfolg in dieser Funktion ablöste. Siehe auch Mieczysław Rakowski: Dzienniki polityczne 1984–1986. Warszawa 2005, S. 165; Przemysław Gasztold-Seń: Koncesjonowany nacjonalizm. Zjednoczenie patriotyczne Grundwald 1980–1990. Warszawa 2012, S. 39. 39  BStU, MfS, HA II Nr. 38091, S. 57. 40  BStU, MfS, HA I Nr. 14787, S. 46. Passagen über das Kriegsrecht als eine »völlige Überraschung der NATO-Regierungen« wiederholten auch die HV-A-Meldungen. Da man behauptete, dass auch die amerikanische Regierung überrascht sei, was historisch nicht zutrifft, stellten jene Thesen die Glaubwürdigkeit der HV-A-Berichterstattung infrage. Siehe BStU, MfS, HV A Nr. 11, Bd. 1, S. 43. 41  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 733, S. 30 u. 82. Dieses System wird in der Fachliteratur mehrfach erwähnt, etwa bei Tantzscher: Feinde des Sozialismus, S. 227. Die Personen mit Decknamen »Fred« waren Gesprächspartner im Innenministerium. Die IM »Martin« waren ostdeutsche Bürger, die »Konrads« waren die Gesprächspartner der »Martins«, die »Rudolfs« hingegen Gesprächspartner von »Martin« bzw. »Konrad«. Die jeweilige Ordnungszahl des

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Moment eingeführt wurde, als die Berliner Zentrale eine verstärkte operative Arbeit gegenüber dem MSW erwartete. Aus bürokratischer Sicht gewährleistete dieses System die gewünschte Intensivierung, und zwar bei minimalem Mehraufwand. Die Arbeitstagebücher der OGW zeigen ganz deutlich, dass dort nicht die operative Tätigkeit, sondern die verwaltungstechnischen Pflichten, etwa das Abfassen von Berichten, das Erstellen von statistischen Vermerken usw., den Großteil der Zeit beanspruchten.42 Das wichtigste Element der bürokratischen Arbeit war verständlicherweise die Aufbereitung der gewonnenen Informationen für die Zentrale. Dies bedeutete allerdings auch, dass die OGW die offiziellen Dokumente der eigenen Botschaft, ihrer politischen Abteilung, der Militärattachés,43 faktisch also der HA I, sowie die Berichte der polnischen Medien44 nach Ostberlin schickte. Es sagt sehr viel über die OGW aus, dass man sogar die Dokumente des eigenen Militärattachés als »inoffiziell gewonnen« einstufte, wie das bei den Reden Kiszczaks der Fall war. Die für die IM-Arbeit relevanten polnischen Dokumente aber, die im Studienbüro des Innenministeriums erstellt und dazu benötigt wurden, eigene wichtige Quellen zu beaufsichtigen, so im Falle des IM »Henryk«, markierte man trotzdem ordnungsgemäß als »dienstlich erhalten«.45 Es wäre falsch, zu behaupten, dass in der OGW ausschließlich faule Bürokraten mit pathologischen Neigungen zur Manipulation als hauptamtliche Mitarbeiter eingestellt worden wären. Ebenso falsch wäre aber auch die Vermutung, dass die »kreative« Nutzung der internen Definitionen von »legal« und »illegal« durch die Stasi-Offiziere in Warschau keinen Bestandteil der OGW-Arbeit darstellte. Wie sah also die rein operative Seite der MfS-Residentur aus? Deren Funktionäre nutzten zweifellos jedes Gespräch zur Sondierung, ob der Partner potenziell eine Kontaktperson werden könnte. Wenn etwa im Laufe eines solchen Gespräches der polnische Offizier den ostdeutschen Kollegen darum bat, in der DDR eine Fernsehantenne zu kaufen, wurde diese Bitte schriftlich protokolliert und an die HA II weitergeleitet. Die Zentrale genehmigte prinzipiell solche »Geschenke«, die dazu beitragen sollten, die Bekanntschaft zu festigen46 und mit denen man gleichzeitig auch feststellen konnte, ob der neue Besitzer der DDR-Antenne auch Decknamens (1 bis 500) definierte das Ministerium, die Einheit bzw. die Woiwodschaft, in der die Person tätig war, und entsprach nicht der tatsächlichen Zahl der Personen, die als Kontaktpersonen registriert waren. Mit den Kontaktpersonen musste man ständig in Verbindung bleiben. Sie mussten über relevante Informationen verfügen und im Unklaren darüber sein, dass sie für geheimdienstliche Zwecke des MfS missbraucht wurden. Vgl. Das MfS-Lexikon, S. 207. 42  Siehe wöchentliche Arbeitspläne: BStU, MfS, HA VI Nr. 15409, S. 2. 43  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 263, S. 9. 44  Man nutzte z. B. die Mitteilungen des öffentlichen Rundfunks, um die Angaben über Polizeisperrzeiten zu erfahren, und zwar zusätzlich zu den diesbezüglichen korrekten, vom MSW übermittelten Angaben. 45  BStU, MfS, HA II Nr. 28856, S. 381. 46  Siehe den Fall aus dem Jahr 1981: BStU, MfS, HA II/10 Nr. 1024, S. 226.

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eine potenzielle Informationsquelle des MfS werden könnte. Insbesondere den Bitten der Offiziere unterer Grade wurde entsprochen; vor allem während der politischen Turbulenzen in der VRP war die Stasi außerordentlich hilfsbereit. Schriftliche Berichte über die polnischen Gesprächspartner sind ebenso oft häufig47 wie die im BStU-Archiv befindlichen Finanzbelege über Geldzuwendungen für höhere MSW-Mitarbeiter, gekennzeichnet mit dem üblichen Decknamen.48 Es liegen dort auch Informationen vor, dass diesen Mitarbeitern Haushaltsgeräte, etwa Kühlschränke,49 oder Kinderschuhe gekauft wurden, die der Empfänger jedoch im Anschluss bezahlte.50 Nicht nur der letztgenannte Fakt lässt Zweifel daran zu, ob die vom MfS mit Decknamen versehenen Personen tatsächlich Kontaktpersonen waren. Die bereits erwähnten Zuwendungen wurden »aus operativen Gründen« nicht verbucht. Neben den handschriftlichen Notizen des angeblichen Geldgebers fehlten andere Beweise. Mehr noch, die Summen, die infrage kamen, waren im Vergleich zum überdurchschnittlich hohen Lebensniveau der MSW-Spitze eher lächerlich. Mehr als eine solche Zuwendung kostete ein Wandteppich mit dem Abbild von Karl Marx, also ein Standardgeschenk im geheimdienstlichen Protokoll. Wenn man dann noch die allgemeinen Ausgabenverzeichnisse der OGW hinzuzieht,51 wird deutlich, dass die meisten operativen Ausgaben an die in der VRP tätigen ostdeutschen IM gingen, die sich zwar in Solidarność-, nicht aber in Regierungskreisen bewegten, oder auch an selbstständige IM, d. h. an solche, die gegen die NATO-Geheimdienste gerichtete Operationen in Polen durchführten, die dem MSW nicht kommuniziert wurden. Kontaktpersonen, gleich ob reale oder nur in der OGW-Wahrnehmung existierende, durften Blumen oder Geburtstagsgeschenke erhalten. Mehr nicht. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre verfügte der Gruppenleiter gemäß Quartaletat der OGW – dieser betrug immerhin 0,25 Millionen Złoty – für jene Protokollausgaben zugunsten der KP 1 100 Złoty. War das viel? Allein für allgemeine Repräsentanzkosten, die mit dem üblichen diplomatischen Leben verbunden waren, brauchte die OGW 36 Mal so viel Geld, was verständlicherweise eine lebendige Korrespondenz zwischen Berlin und Warschau beförderte.52 Seit 1987 konnte der OGW-Leiter jährlich über 1 000 DDR-Mark und 500 DM extra verfügen. Unabhängig davon, dass der Schwarzmarktpreis für beide Währungen sehr günstig war, waren aber 47  Auf identische Art wurden die in der VRP stationierten sowjetischen Soldaten und Offiziere durch die Mitarbeiter der HA I in Polen gekennzeichnet. Treffen mit ihnen wurden als »operative Kontakte« beschrieben. BStU, MfS, HA I Nr. 14150, Bd. 1, S. 29. 48  So wurde die Person mit dem Decknamen »Fred 4« registriert. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 935, S. 304. 49  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 948, S. 8. 50  BStU, MfS, HA II Nr. 38271, S. 37. 51  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 948, S. 1. 52  BStU, MfS, HA II Nr. 38286, S. 11.

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auch in der VRP 500 DM – als Jahresetat für Ausgaben – keine besonders große Summe. Groß genug, um Blumen, Bilderbücher oder einfach einen Beutel Schwarztee im Wert von 40,00 DDR-Mark zu erwerben und einem »Fred« ein nettes Geschenk zu machen. Doch den typischen MSW-Mitarbeiter konnte man auf diese Weise und mit diesen bescheidenen Mitteln nicht beeinflussen, von der Anwerbung ganz zu schweigen. Zum Vergleich: Der vom MSW aufgedeckte IM »Henryk« bekam bei jedem Treffen mit seinem Führungsoffizier neben der vollen Kostenerstattung zusätzliche 200 DM in bar oder sogar mehr. In seinem Fall wurde auf der Rechnung nie der Klarname vermerkt. Was die angeblichen polnischen Kontaktpersonen anging, kam das hingegen häufiger vor.53 Wären jene Kontaktpersonen echte HV-A-Quellen gewesen, wäre eine solche Art der Registrierung undenkbar gewesen. Eine Analyse der OGW-Arbeitspläne sowie die überblickshafte Durchsicht der Vorgänge der MfS-Niederlassung in Polen erbrachten weitere Indizien, die eine Minderung des Qualitätsgehaltes der angeblich vom MfS kontrollierten Quellen in der VRP nahelegen. Am wichtigsten ist hierbei die sehr geringe Zahl der OGW-Informanten, die in Bezug auf den Informationsbedarf der Stasi-Spitze als aufklärungsrelevant betrachtet werden konnten. Ende der 1980er-Jahre, also zu der Zeit, in der die Solidarność noch einige Millionen Mitglieder zählte, von den ungezählten Sympathisanten ganz zu schweigen, führte das MfS sieben IM, die etwas mit der polnischen Opposition zu tun hatten. Von diesen sieben war die OGW für nur einen IM in Gänze zuständig. Darüber hinaus beschäftigte sich diese Operativgruppe mit Vorgängen, die mit dem abwehrmäßigen Schutz der DDR-Botschaft im Zusammenhang standen, so etwa mit dem Verdacht eines Verrats durch einen ostdeutschen Diplomaten oder mit der Überprüfung, auf welche Weise ein anderer Botschaftsmitarbeiter ein nennenswertes Vermögen angesammelt hatte. Zusätzlich gelang es der OGW, drei DDR-Bürger als IM anzuwerben.54 Obwohl die Quantität der Informanten nicht immer mit ihrer Qualität gleichzusetzen ist, erscheinen die bereits genannten Zahlen außerordentlich bescheiden, auch in Bezug auf die beim MfS üblichen Standards. Ebenso beschränkt scheinen die Aufträge gewesen zu sein, die die OGW in den 1980erJahren auf Bestellung anderer Hauptabteilungen auszuführen hatte. Als Beispiele sind die mit der HA XVIII verbundenen Wirtschaftsangelegenheiten zu nennen. Die Warschauer MfS-Niederlassung musste während eines Jahres diesbezügliche Überprüfungen für drei externe operative Vorgänge durchführen und zwei IMKandidaten vorschlagen, die in den ostdeutschen Handelsvertretungen arbeiten sollten.55 In den Jahresberichten wurde nur eine Person, und zwar in der bereits

53  BStU, MfS, HA II Nr. 38271, S. 11. 54  Arbeitsplan für 1989; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 783, S. 8. 55  Arbeitsplan für 1986; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14836, S. 2.

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erwähnten Kategorie »Martin«, erwähnt, die etwas zum Thema Wirtschaft zu berichten hatte.56 Tatsächlich war die OGW nicht nur in Warschau präsent, sondern auch in den ostdeutschen Konsulaten. Ihre sogenannten Außenstellen waren jedoch kaum produktiver als die Warschauer Niederlassung. Stasi-Stützpunkte in Breslau registrierten pro Monat fünf Vorgänge sehr unterschiedlicher Art. Was konnte da ein Vorgang sein? Beispielsweise ein offizielles Gespräch im örtlichen Woiwodschafts­ amt für Inneres über die politische Lage oder die Opposition, die Besprechung einer Operation mit der polnischen Seite, die Übergabe einer Information über eine aus MfS-Sicht relevante Zielperson, die das MSW überprüfen sollte, oder die Entgegennahme einer entsprechenden polnischen Bitte.57 In Anbetracht dieser Zahlen ist die Frage gerechtfertigt, was die Stasi-Mitarbeiter in Polen eigentlich zu tun hatten. In der Tat hatten sie viel zu kontrollieren. Dabei ging es jedoch vor allem um DDR-Bürger und eigene Operationen, die zwar in der VRP stattfanden, aber ohne die Hilfe des MSW durchgeführt werden sollten. Die internen Überprüfungen der DDR-Bürger, die in Polen arbeiteten – die zum Beispiel anlässlich von Wirtschaftsmessen nach Polen gekommen waren – und solcher, die Kontakte mit Bürgern kapitalistischer Staaten unterhielten, führten dazu, dass man im Auftrag der HA XVIII in Polen pro Jahr 153 Treffen mit IM und 147 Treffen mit Kontaktpersonen durchführte.58 Wie viele dieser Personen unterlagen jenen Überprüfungen? 250. Von diesen 250 Personen waren 26 IM. Aber nach wie vor waren in dieser Gruppe nur fünf »Martins« und zwei »Konrads«, die in der Lage waren, auch polnische politische Themen zu bearbeiten. Optional zählten dazu sechs weitere IM, die gegebenenfalls auch ökonomische Informationen liefern konnten.59 Aus dieser Betrachtung geht deutlich hervor, dass mindestens die Hälfte der MfS-Quellen in Polen, die DDR-Bürger waren, gar nichts mit Polen zu tun hatte. Die Überwachung der Kontakte mit den »Kapitalisten« war kaum etwas anderes als verdeckte operative Projekte, mit Stoßrichtung gegen NATO-Geheimdienste, die auch in der VRP potenzielle ostdeutsche Agenten suchten. Festzuhalten ist: Die Zahl der IM des MfS in der Volksrepublik war, vor allem im Vergleich zu anderen sozialistischen Staaten, in denen das Regierungssystem deutlich konsolidierter war als in Polen, erstaunlich niedrig,60 was eine Erklärung dafür ist, warum sich die HA I in Polen nicht nur mit rein militärischen Angelegenheiten befassen musste.

56  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14213, S. 10. 57  OGW-Außenstelle Breslau. Bericht für April–Mai 1983; BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 354. 58  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 4946, S. 4. 59  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 2847, S. 4. 60  Allein in Moskau hatte die HA XVIII im Jahr 1983 51 DDR-Bürger als IM registriert. BStU, MfS, HA XVIII Nr. 18985, S. 58.

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Die politische Lage in der VRP eröffnete der HA I mehr Betätigungsmöglichkeiten als der OGW. Noch bevor die Gruppe eingerichtet wurde, begannen ab 1980 hohe polnische Militärs, die wichtigsten Leitungsfunktionen in zivilen Einrichtungen zu übernehmen, entweder direkt oder als sogenannte Kommissare. Das Kriegsrecht von 1981 und die damit verbundene Militarisierung des öffentlichen und politischen Lebens verstärkte diesen Prozess zusätzlich. Die normalen Arbeitskontakte der beim Militärattaché tätigen HA-I-Offiziere bildeten also eher zufällig die Verbindungen zur faktischen polnischen Regierungsspitze ab dem Jahr 1981. Aufgrund dessen musste sich auch die Methodik der jeweiligen Berichterstattung durch die OGW deutlich von der des Warschauer Militär­ attachés unterscheiden. Es fehlten sowohl die verwirrenden Decknamen als auch die Grundannahme, dass jeder Gesprächspartner automatisch eine Kontakt­ person sei. Die HA-I-Mitarbeiter führten das übliche militärdiplomatische Leben, trafen sich mit polnischen Militärs im Rahmen von zivilen Zusammenkünften und Armeeveranstaltungen,61 in denen der Alkoholgenuss im Mittelpunkt des Geschehens stand, und hörten aufmerksam zu. Auf Grundlage dieser Treffen wurden für die HA I Gerüchte protokolliert, Bewertungen der politischen Lage sowie Meinungen aus dem Militärischen Inneren Dienst über Fahnenfluchten nach 1981 gesammelt oder Analysen über die informellen Interessengruppen innerhalb der polnischen Generalität verfasst.62 All diese Informationen trugen auch dazu bei, psychologische Portraits der wichtigsten Befehlshaber zu erstellen. Man bewertete ihre ideologische Zuverlässigkeit, zudem ihre Bereitschaft, militärische Maßnahmen anzuordnen, sollte es zu einer ausländischen Militärintervention in der VRP kommen. Ohne Zweifel hätten die HA-I-Mitarbeiter nicht viel über die Volksrepublik berichten können, wenn die polnischen Militärs ihren Alkoholkonsum kontrolliert hätten. Ebenso klar ist, dass einige Kommentare der polnischen Militärs selbst in Anwesenheit verbündeter ausländischer Offiziere nie hätten geäußert werden dürfen. Fest steht aber auch, dass bei den HA-I-Mitarbeitern eine Art Selbstkontrolle in den bilateralen Gesprächen mit ihren polnischen Pendants vorherrschte,63 wobei diese Pendants nie als Kontakte bezeichnet wurden, wie dies bei der OGW der Fall war. Zu viele der gewonnenen Informationen stammten von Dritten, beispielsweise von den bereits erwähnten Militärattachés anderer Staaten, auch des sowjetischen, die behaupteten, dass sie ihrerseits über Kontaktpersonen im polnischen Verteidigungsministerium verfügten. Gelegentlich 61  Wegmann: Die Militäraufklärung, S. 516. 62  BStU, MfS, HA I Nr. 13697, S. 73. 63  Z. B. wiesen die ostdeutschen Offiziere in der zweiten Hälfte des Jahres 1981 darauf hin, dass während der üblichen protokollarischen Besuche der polnischen Einheiten, die mit den NVA-Verbänden enge Kontakte unterhielten, die polnischen Militärkader deutlich zurückhaltender wurden, was die Bewertungen der inneren Lage der VRP anging. BStU, MfS, HA I Nr. 16006, Bd. 2, S. 89.

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wurden in den Berichten konkrete polnische Gesprächspartner erwähnt, die jedoch in aus politischer Sicht marginalen bzw. bedeutungslosen Verbänden arbeiteten, etwa in Kriegsveteranenvereinen.64 Hinzu kommt, dass durch Alkoholkonsum gewonnene Gerüchte extrem schwer zu überprüfen waren. Wie sollte etwa die unter solchen Umständen getätigte Behauptung bewertet werden, dass der im Kapitel 3 erwähnte für die CIA tätige Oberst Kukliński angeblich bereits in den 1950er-Jahren Antikommunist gewesen sei? War das für das MfS relevant? Nicht unbedingt. Wichtiger konnten indiskrete Elemente sein, so die IM-Arbeit, die angeblich zur militärischen Karriere solcher Personen wie Jaruzelski beigetragen haben soll.65 Nur, was sagten solche Sätze aus? Waren dem sowjetischen GRU jene Gerüchte unbekannt, ebenso wie die Tatsache, dass die Vorgesetzten in den Streitkräften nicht immer besonders beliebt waren? Diese Unbeliebtheit66 konnte definitiv ein Anknüpfungspunkt für potenziell erfolgreiche Anwerbungsversuche sein. Ungeachtet dieser mangelnden Sympathie gab es unter den wichtigsten polnischen Offizieren aber eine deutliche Tendenz, die den HA-I-Mitarbeitern nicht verborgen blieb: Egal, ob die faktischen Entscheidungsträger, Kiszczak und Jaruzelski, beliebt oder unbeliebt waren, wollten alle Gesprächspartner ihre Politik bedingungslos unterstützen und auch umsetzen. Wieso war das so? Weil beide Generäle alle kritischen Ressorts, d. h. Sicherheit und Verteidigung, kontrollierten und über den Personalspielchen des mittleren Offizierskorps standen. Selbstverständlich gab es Ausnahmen. Vor allem in der Staatspartei mehrten sich die Stimmen der ultrakonservativen Genossen, die Jaruzelskis Haltung als »zu schwach« bewerteten. Viele von ihnen, auch Mitglieder des Politbüros oder erste Sekretäre der Woiwodschaftskomitees der PVAP, übergaben DDR-Diplomaten offizielle Parteidokumente als Belege der angeblichen Schwäche beider Generäle. Verständlicherweise landeten diese Dokumente anschließend beim MfS.67 Aber auch aus diesem Grund lohnte es sich für Kiszczak, jene Dokumentenübergaben zu dulden. Denn was bedeuteten sie eigentlich? Die polnischen Entscheidungsträger hatten damit Gründe, ihre Gegner aus der Partei bzw. aus dem öffentlichen Leben zu entfernen und dadurch ihre eigene Position zu festigen.68 Ebenso bemerkenswert waren die in sehr großer Zahl an das MfS herangetragenen Gerüchte, so etwa in den 1980er-Jahren, dass Jaruzelski bald durch einen ultrakonservativen Parteifunktionär ersetzt werden würde oder dass es in den Streitkräften eine 64  BStU, MfS, HA I Nr. 13697, S. 20. 65  Wojciech Sawicki: Współpraca Wojciecha Jaruzelskiego z organami Informacji Wojskowej w świetle materiałów wschodnioniemieckiej Stasi. Studium źródłoznawcze. In: Biuletyn IPN 3 (2010), S. 97–109, hier 97. 66  Franciszek Puchała: Sekrety Sztabu Generalnego pojałtańskiej Polski. Warszawa 2011, S. 343. 67  BStU, MfS, HA II Nr. 38085, S. 100. 68  Besonders wichtig und entsprechend rezipiert wurde das sogenannte Parteiforum aus Kattowitz. Siehe Jan Dziadul: Katowickie PZPR prosi o pomoc. In: Polityka v. 10.8.2011.

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erstarkende Opposition gegen ihn gäbe. Sie bedeuteten aber zugleich das Ende der politischen Karrieren der angeblichen Herausforderer Jaruzelskis in der Staatspartei.69 Schlussendlich wurde Jaruzelski sogar in Privatgesprächen von Stasi-Agenten mit Politikern der PVAP verteidigt, die in der internen MfS-/ SED-Nomenklatura als Revisionisten galten.70 Die bereits erwähnten Unterschiede zwischen der OGW und dem Militär­ attaché waren relevant, aber nicht entscheidend für die Qualität der Bericht­ erstattung. Entscheidend hingegen war die in den HA-I-Dokumenten ständig, nicht aber in den OGW-Schriften zur Sprache gebrachte Sorge oder auch nur das Bewusstsein, dass die vom Verteidigungsministerium erhaltenen Informationen der DDR-Seite absichtlich übergeben worden waren, um sie zu täuschen bzw. zu manipulieren. Besonders kritisch nahm man gestreute Gerüchte zur Kenntnis. Immer stellte man die Frage, ob der Initiator das Gerücht nicht doch im Auftrag des polnischen Geheimdienstes verbreitete. Aus Sicht der HA I waren dabei vor allem zwei Zeitpunkte wichtig: die politischen Turbulenzen in der VRP ab August 1980 sowie das Jahr 1984. In diesen Phasen registrierten die Stasi-Militärs eine massive Erhöhung der Kontrolle polnischer Bürger, die sich mit diplomatischen Vertretern aller Art in Verbindung setzten, durch die eigene Spionageabwehr.71 Die in Warschau von der HA I durchgeführten Sicherheitsanalysen besagten, dass circa 25 bis 50 Prozent aller Arbeitskontakte des Militärattachés inoffiziell für die polnische Spionageabwehr tätig waren. Das konnten Ministerialbeamte72 sein oder auch Funktionäre der Dachorganisationen der PVAP.73 Sollten sich die MfSMitarbeiter trotzdem täuschen und nicht erkennen, ob das MSW im konkreten Fall ein Doppelspiel mit der Residentur spielte (eine 100 %ige Sicherheit konnte es nie geben),74 so blieb nach wie vor die Frage offen, welchen Operativgewinn die geführten Gespräche im Grunde erzielten, zumal die Intentionen des Informationsgebers nie vollständig überprüft werden konnten. Viele der erhaltenen Angaben waren zudem auf der multilateralen Ebene verfügbar, etwa in den 69  Bereits 1983 wurde Stanisław Kociołek dem MfS als potenzieller und von der KPdSU unterstützter Nachfolger Jaruzelskis vorgestellt. Abgesehen davon, wie fragwürdig jene Information war, muss man sagen, dass sie nur die Personen weiterleiteten, die als »Rudolf« registriert waren. Die Gesprächspartner der IM wiederholten also Gerüchte. Kociołek selbst, der zwar als Hardliner galt und zwischen 1980 und 1982 die Warschauer Parteiorganisation leitete, wurde Botschafter in Moskau und seine politische Karriere endete bereits 1985, ohne Jaruzelski gefährden zu können. BStU, MfS, HA II Nr. 38642, S. 49. 70  BStU, MfS, HA II Nr. 41602, S. 168. 71  Militärattaché Warschau. Sicherheitsanalyse des AA Warschau zur Erfüllung der militärischen Hauptaufgabe, [25.9.1984]; BStU, MfS, HA I Nr. 17341. 72  Sicherheitsanalyse AK Walther, [25.9.1984]; ebenda. 73  Sicherheitsanalyse AK Werner, [20.9.1984]; ebenda. 74  Die HA I stellte fest, dass einige Kontaktpersonen über mehrere Jahre hinweg eklatant falsche Angaben über das Kriegsrecht oder über Änderungen im Ministerialkader geliefert hatten. BStU, MfS, HA I Nr. 13697, S. 72.

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Institutionen des Warschauer Paktes, und folglich mithilfe der üblichen und billigeren diplomatischen Arbeit zugänglich. So war es nicht verwunderlich, dass auch die Militärs einige markante Elemente der OGW-Arbeitsmethoden übernahmen. Sie kopierten einfach offen zugängliche Quellen75 oder die Unterlagen der Operativgruppe. Die HA I konnte ja ebenso wie die HA II die Tagesinformationen des Innenministeriums legal abonnieren. Nur ein kleiner Bruchteil der Erkenntnisse kam aus gänzlich geheimen Quellen, so etwa die polnischen Pläne für die Reduktion der Streitkräfte. Sie waren jedoch weniger für die NVA/das MfS relevant, sondern eher für die Sowjetunion und – wie man sich vorstellen kann – dem GRU ohnehin bekannt. Die ebenfalls geheimen Sitzungsprotokolle des Militärrates des Verteidigungsministeriums, in denen zufälligerweise auch die Pläne einer eventuellen und völlig fiktiven Einführung des Notstandes in Polen im April 1988 erörtert wurden, konnten den Schluss nahelegen, dass die Armee der VRP alles und zu jeder Zeit im Griff habe, und zwar auch im Notfall. Sehr oft wurden auch Unterlagen besorgt, die MSW-Erfolge in der Oppositions­ bekämpfung belegen sollten,76 was die Stasi jedoch keinesfalls beruhigen konnte. Dies gilt auch für die Tatsache, dass bereits 1981 diejenigen polnischen Offiziere, die das MfS über die fortgeschrittenen Vorbereitungen des geplanten Kriegsrechts informiert hatten,77 ebensolche Einzelheiten über die Lage in der DDR erfahren wollten. Entsprechende Berichte erhielt die polnische Auslandsaufklärung78 dann auch. Die Namen der ostdeutschen Gesprächspartner wurden darin zwar aufgeführt, nie jedoch wurde behauptet, dass es sich hierbei um Kontaktpersonen oder IM handle.79

75  BStU, MfS, HA I Nr. 17342, S. 36. 76  BStU, MfS, HA II Nr. 38321, S. 1. 77  BStU, MfS, SdM Nr. 579, S. 72. 78  IPN BU 002559/16, S. 1. Diese Personen mussten sich nach dem Jahr 2000 mit den Vorwürfen der polnischen Presse auseinandersetzen, bewusst oder unbewusst für das MfS tätig gewesen zu sein. 79  Dank der Öffnung der sog. gesperrten Ablage im Archiv des Institutes des Nationalen Gedenkens konnte der Verfasser 2019 das Verfahren der polnischen Militäraufklärung rekon­ struieren, was die Kontakte mit den Hauptamtlichen des MfS angeht. Zwecks der Dokumentation jener Kontakte wurde bereits 1967 eine sog. »Kontaktmappe« angelegt, die bis Dezember 1989 geführt wurde. Jene Mappe bezog sich auf einen konkreten Stasi-Mitarbeiter. Der hatte in der Tat einen internen Decknamen. Es wurde jedoch nie behauptet, dass es sich um einen IM handelt. Solche Kontakte definierte man intern als »Nicht IM-bezogene Quellen« [pozaagenturalne żródła informacji]. Besagte Personen trafen sich privat mit polnischen Hauptamtlichen, lieferten Materialien über westliche Geheimdienste, etwa den BND, bekamen ab und zu Geschenke. Polnischerseits wurde jedoch stets schriftlich betont, dass die Kontakte einen »dienstlich-privaten« Charakter hatten. Siehe IPN BU 2602/28359, S. 244.

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5.1.2 Die Aufklärung der ostdeutschen und polnischen Bürger Wie bereits hervorgehoben, lag der tatsächliche Schwerpunkt der OGW-Tätigkeit auf der Überwachung der eigenen Staatsbürger. Deshalb konnte es nicht verwundern, dass auch die in Polen studierenden ostdeutschen Fähnriche sowie ihre polnischen Pendants in der DDR besonders kontrolliert wurden. Einerseits war dies eine unmittelbare Folge der bilateralen geheimdienstlichen Vereinbarungen. Andererseits verstand man unter »Kontrolle« nicht immer das, was ursprünglich vereinbart worden war. Überwachungen waren zwar genehmigt und wurden auf Bitten des Partnerdienstes durchgeführt. Nur war dieser nicht vollständig darüber informiert, was während der Überwachung festgestellt wurde. Das MfS nutzte dabei das gleiche Verfahren wie das Innenministerium, indem es den eigenen Bürgern Führungszeugnisse ausstellte. Je schlechter der Ruf, desto besser das Führungszeugnis. In der Tat stellten die polnischen und auch die ostdeutschen Fähnriche sorgfältig ausgewählte Gruppen dar, in denen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Ordnungswidrigkeit vorkommen könnte, relativ gering sein musste. Die Polen waren Parteimitglieder mittleren Alters, keine praktizierenden Katholiken. Meist kamen sie mit ihren Familien. Dies war jedoch keine Gewähr, dass bei ihnen keine Indizien festzustellen waren, die später operativ gegen sie verwendet werden konnten. So waren die für die polnische Seite verfassten Persön­ lichkeitsbewertungen völlig propaganda- und parteikonform. Alle Fähnriche vertraten den richtigen marxistisch-materialistischen Klassenstandpunkt, lernten fleißig Deutsch und engagierten sich auf anderen Feldern.80 Sollte es doch zu einem Vorfall kommen, wurde der polnische Geheimdienst selbstverständlich informiert. Üblicherweise wurde er jedoch nicht darüber informiert, dass man interne Personenprofile der Studierenden in Militärdiensten erstellte. Man achtete darauf, welche Bekanntschaften diese während ihrer Ausbildung in der DDR machten. Besonders wichtig waren Fälle, in denen vermutet wurde, dass die Polen die ostdeutschen Vorschriften über den Geheimnisschutz gebrochen, Alkohol missbraucht oder zu enge Beziehungen zu den sowjetischen Kursteilnehmern unterhalten hatten. Die Beobachtungsmaßnahmen der HA I förderten außerdem operativ sehr interessante Fakten zutage.81 Sehr oft nutzten die polnischen Teilnehmer die Zeit in der DDR, um ihr Privatvermögen zu vermehren, etwa durch in Polen übliche, in Ostdeutschland aber illegale Umtauschtransaktionen mit fremder Währung. Mehr noch, es wurden Fälle registriert, in denen Polen heimlich DDR-Militärunterlagen kopierten. Beinahe harmlos, aber trotzdem vermerkt waren kleine Ordnungswidrigkeiten wie etwa mangelnde Pünktlich80  Vorlage eines Gutachtens, bevor es der polnischen Seite übergeben wurde; BStU, MfS, HA I Nr. 10073, S. 172. 81  Aus verständlichen Gründen verzichtet der Verfasser darauf, die Archivsignaturen zu zitieren.

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keit oder zu enge private Kontakte zu den ostdeutschen Kursteilnehmern. Alles wurde auf den gleichen Formblättern festgehalten, die auch der Militärattaché der DDR in Warschau nutzte, um die NATO-Offiziere zu erfassen. Schließlich wurde auch während der routinemäßigen Treffen der Militärs beider Länder eigene IM-Arbeit betrieben. Nach jeder Begegnung musste ein entsprechender Bericht erstellt werden. Mehr noch, alle IM wurden aufgefordert, alle möglichen Bitten der polnischen Soldaten entgegenzunehmen, zu melden und sie dann zu erfüllen, um dadurch entstandene und operativ relevante Kontakte zu pflegen. Genauso agierten die anderen MfS-Einheiten.82 Es war nicht von Belang, ob es sich dabei um einen Fähnrich oder um einen polnischen Verbindungsoffizier beim MfS handelte – alle wurden mit der gleichen Sorgfalt überprüft.83 Wie sah die Kontrolle an den polnischen Militärhochschulen aus? Sie entsprach der an den ostdeutschen.84 Festzuhalten ist aber, dass die VRP ein völlig anderes Land war als die DDR und die polnischen Streitkräfte sich entsprechend von der NVA unterschieden. So war es für die IM der HA I auch unmöglich, die polnischen liberalen Lebensgewohnheiten von sich fernzuhalten. Eine Folge waren Berichte an die HA I mit der Aufforderung, die Auswahlkriterien für Polenaufenthalte deutlich zu verschärfen. Voraussetzung sollte nicht nur die Partei­ zugehörigkeit sein, sondern auch ein geregeltes Familienleben der Bewerber.85 Neben Fähnrichen standen bei Polen zwei weitere Berufsgruppen unter besonders offensiver Stasi-Beobachtung. Dabei handelte es sich um hauptamtliche polnische MSW-Mitarbeiter, die in der DDR Kuraufenthalte86 genossen, sowie um die in der DDR tätigen polnischen Journalisten. Der ersten Gruppe war immer ein Betreuer in Stasi-Diensten beigestellt, der die Patienten allerdings nicht betreute, sondern bespitzelte. Er verfasste die üblichen Personenprofile, in denen unter anderem vermerkt wurde, wo die jeweilige Zielperson Deutsch gelernt hatte und ob sie bereits im Ausland eingesetzt worden war.87 Der Betreuer analysierte des Weiteren die Verhaltensweisen der Patienten, ihre Kontaktfreudigkeit gegenüber der Umgebung sowie eventuelle Probleme. Man achtete darauf, wie die Patienten aus der VRP die politischen Ereignisse im eigenen Land kommentierten, auch wenn sie keinesfalls als repräsentativ gelten konnten. Trotzdem mussten die dort registrierten Meinungen für die Stasi markant sein, da die Patienten, die immerhin Geheimdienstler waren, zumeist die Politik der Solidarność guthießen, die führende Rolle der PVAP infrage stellten und die Ideen des Marxismus anzweifelten. Dieselben Patienten verbargen auch in keiner Weise ihre Bedenken, wie sich die Lage in Polen entwickeln werde, und trafen gleichzeitig entsprechende 82  83  84  85  86  87 

Bericht darüber von 1982: BStU, MfS, HA II Nr. 38206, S. 71. BStU, MfS, HA I Nr. 14149, S. 3. IPN BU 00433/111, S. 35. BStU, MfS, HA I Nr. 14581, S. 1. BStU, MfS, HA VII,Nr. 2950, Teil IV, S. 262. BStU, MfS, HA II Nr. 38319, S. 319.

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»vorsorgliche Maßnahmen«. Sie besaßen beträchtliche Summen an Bargeld, tätigten spekulative Einkäufe sowie illegale Währungsgeschäfte und besorgten heimlich große Warenmengen, um sie dann in Polen weiterzuverkaufen. Auf welche Weise wurden polnische Journalisten kontrolliert? Fast wie die westdeutschen. Arbeitete einer dieser Journalisten zuerst in Polen und wollte dann in der DDR akkreditiert werden, so fragte das MfS das MSW routinemäßig, ob die betreffende Person nach Ansicht der polnischen Spionageabwehr für einen NATO-Geheimdienst tätig war. Sollte ein volkspolnischer Journalist in der DDR arbeiten, fragte die HA II die Abteilung X, ob nach deren Einschätzung der Pole (in-)offizielle Verbindungen zum MSW hatte.88 Eine positive Antwort führte lediglich dazu, die entsprechende Überwachung zu intensivieren. In der Tat wurden die für die polnische Auslandsaufklärung in der DDR tätigen Journalisten sehr oft in den Meldungen der ostdeutschen IM erwähnt, die gegen sie eingesetzt wurden. Die ostdeutschen Spitzel konnten jedoch keine materiellen Beweise des doppelten Spiels der Journalisten liefern, und zwar wegen der üblichen Sicherheitsmaßnahmen des Innenministeriums. Treffen mit MSW-Führungsoffizieren wurden sorgfältig vorbereitet, fanden nur in sicheren konspirativen Lokalen statt. Die Teilnehmer dieser Treffen durften keinesfalls belastendes Material bei sich führen. Die Vervielfältigung der erlangten Unterlagen bzw. die Verschriftlichung der Informationen durften ausschließlich in der Botschaft erfolgen. Wie immer erwähnte man in den Abschlussberichten, dass die Erkenntnisse während eines konkreten Gesprächs mit einem DDR-Funktionär gewonnen worden waren, wobei jener Funktionär, Diplomat oder auch Stasi-Mitarbeiter, etwa der Leiter der Abteilung X, General Damm, namentlich genannt wurde. Wer war dann befugt, die Decknamen zu benutzen? Der polnische IM, sein Führungsoffizier, die Sekretärin, die den Text abtippte, sowie der Resident, der verpflichtet war, jeden Bericht schriftlich zu bewerten.89 Vor allem diese Bewertungen, nicht nur die des Residenten, sondern auch die des Führungsoffiziers, fehlten in den OGW-Vermerken, die nach den inoffi­ ziellen Gesprächen im Innenministerium verfasst wurden. Die IM-Akten des MfS hätten so etwas enthalten müssen. Nicht nur diese Tatsache, sondern vor allem auch die Schwerpunkte des MSW-Interesses unterschieden die polnische Residentur in Ostberlin von der OGW. Suchte das Erste Department nach internen Reden Mielkes vor den Bezirksverwaltungen? Nein. Die Polen hatten genug Anlässe, den Minister für Staatssicherheit in natura hören zu müssen. Wichtiger für die polnische Aufklärung waren die Meinungen über die Stimmung und den Zufriedenheitsgrad der Gesellschaft, des Weiteren die Ergebnisse der SED-Politbürositzungen90 sowie die Grundsatzreden Honeckers. Es gelang ihr, 88  Siehe jene Anfrage von Mai 1981; BStU, MfS, Abt. X Nr. 253, Teil II, S. 396. 89  IPN BU 0449/22, Bd. 7. 90  IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 111.

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auch Originalakten der SED zum Thema Polen zu besorgen.91 Die parteiinterne Opposition sowie die Stimmung innerhalb des MfS wurden zu Hauptthemen der polnischen Aufklärung im Jahr 1989.92 Die polnischen IM wie auch die hauptamtlichen Aufklärer waren in der Lage, sogar am Rande zur Provokation stehende Aktionen durchzuführen. Es gelang ihnen beispielsweise, an einer geschlossenen FDJ-Sitzung teilzunehmen, über die sie im Anschluss ähnliche Berichte verfassten, wie es die als Diplomaten getarnten Offiziere bei den üblichen Treffen mit VEB-Funktionsträgern in den DDR-Bezirken taten. Die Erstgenannten kopierten dabei illegalerweise die DDR-Regierungsrichtlinien, wie die VEB-Funktionäre mit polnischen Vertretern sprechen durften und wie nicht. Gegen die DDR spionierte man polnischerseits auch im Ausland. Vor allem die MSW-Residenturen in den sozialistischen Staaten führten bilaterale Gespräche mit den Geheimdiensten der Gastländer über das MfS, das – falls die in den polnischen Unterlagen dokumentierte Wahrnehmung zutraf – innerhalb des Warschauer Paktes nicht besonders beliebt war. In den jeweiligen und – was nicht ohne Bedeutung war – offiziellen93 Berichten über diese Gespräche wurden die Gastgeber wie immer namentlich erwähnt. Manchmal wurden sie mit dem Beiwort »Quelle« (poln: »źródło«) versehen.94 Hervorzuheben ist ferner, dass die Meinungsäußerungen von HV-A-Offizieren95 gegenüber MSW-Mitarbeitern über die DDR deutlich kritischer und offener waren als die mit Propaganda überladenen Standardantworten der OGW-Mitarbeiter, die auch im Warschauer Innenministerium die Vorzüge der DDR gegenüber Polen darzustellen suchten, dabei sichtlich ohne Erfolg. Niemand im Ersten Department vermerkte nach jenen Gesprächen in den eigenen Berichten, dass die Ostdeutschen als Kontaktpersonen des MSW fungierten, von einer Nennung der Decknamen ganz zu schweigen, obwohl das HV-A-Personal viel ausführlicher über die DDR berichtete als viele von der OGW als »Fred« gekennzeichnete polnische Offiziere. 5.1.3 Technische Aufklärung Nicht Decknamen, sondern die Möglichkeit, über primäre Informationsquellen zu verfügen, führten dazu, dass im Kampf gegeneinander, insbesondere in den 1980er-Jahren, die operative Technik eine immer größere Rolle spielte. Sie war zwar nicht die preiswerteste Lösung, doch konnte sie konkrete Erkenntnisse 91  92  93  94  95 

IPN BU 0449/22, Bd. 13, S. 158. IPN BU 0449/22, Bd. 15, S. 78. IPN BU 01228/3021, S. 45. IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 7. IPN BU 0449/22, Bd. 28, S. 86.

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liefern, und zwar ohne dabei bürokratisch bedingte Dilemmata zu verursachen. Deshalb gab man technischen Mitteln den Vorzug, so bei der Überwachung der polnischen diplomatischen Vertretungen in der DDR. Diese Mittel standen auch der OGW zur Verfügung. Üblich und gleichzeitig am wichtigsten waren Abhörgeräte, die spätestens seit Anfang der 1980er-Jahre im Einsatz waren. In den Erinnerungen ehemaliger Geheimdienstler wird die These vertreten, dass entsprechende Gerätschaften bereits zehn Jahre früher benutzt worden seien, um Verbündete auszuspionieren. In den IM-Berichten der 1980er-Jahre häufen sich außerdem Hinweise polnischer Diplomaten, die der Meinung waren, dass die Botschaft ständig durch die Stasi abgehört würde und man deswegen in den Arbeitszimmern keine wichtigen Gespräche führen dürfe.96 Die Archivrecherche konnte für die 1980er-Jahre den Einsatz von Abhörtechnik gegen die Botschaft der Volksrepublik in Ostberlin zweifelsfrei belegen. Sie zeigte aber auch, wie schwierig es war, die dadurch gewonnenen Daten operativ zu verwerten und wie einfach es war, sich gegen jene Abhörmethoden zu wehren. Die HA II erhielt beispielsweise vollständige Stenogramme aller bei der Botschaft eingehenden Telefonate. Was aber konnte man mit Telefongesprächen anfangen, die meistens Codes oder nur für die Gesprächspartner verständliche Begriffe enthielten bzw. in polnischer Umgangssprache geführt wurden? Nicht selten kam es vor, dass das mächtige MfS Probleme damit hatte, zu erfahren, wer die Botschaft überhaupt angerufen hatte. Das MfS nahm dabei nicht an, dass alle Diplomaten vom Abhören der Telefonleitungen wussten. In der Volksrepublik herrschte einfach eine völlig andere Telefongesprächskultur, die zufälligerweise zu einer besseren Abwehrmethode wurde, als es sich die HA II vorstellen konnte. So war es in Polen zum Beispiel normal, dass jemand eine Behörde anrief, ohne sich dabei vorzustellen und nur den Spitznamen der Person nannte, mit der er sprechen wollte.97 Untypisch war es, dass sich ein Beamter bei der Entgegennahme eines Telefonats vorstellte, vor allem, wenn er die Stimme des Anrufenden erkannte. Diese Gewohnheiten trugen zu den absurden Problemen der für die VRP zuständigen Abhörtruppen des MfS bei.98 Einige Anrufer baten etwa die Sekretärin um eine Verbindung mit gleich mehreren Personen. Und es war die Sekretärin, die bestimmte, mit wem das erste Gespräch begonnen wurde, ohne dies vorher mitzuteilen. Ohne die näheren Umstände zu kennen, war es also unmöglich zu erfahren, zu welchem Zweck das jeweilige Gespräch geführt wurde, in dem etwa nach einer anonymen Begrüßung lediglich mehrere Zahlen und allgemeine 96  BStU, MfS, HA II Nr. 4594, S. 9. 97  Interessanterweise wurde etwa in einem internen Schreiben der polnischen Spionage­ abwehr aus dem Jahr 1968 darauf hingwiesen, welche Namen bzw. Vornamen man nutzen sollte, wenn man mit Mitarbeitern der polnischen Residentur am Telefon spricht. Siehe IPN BU 01062/48, Bd. 8, S. 205. 98  Jaskułowski: Praca, S. 122. In einem Stasi-Bericht wurde sogar offen geschrieben, dass die Zielperson nicht identifiziert wurde, da sie sich während des Gespräches nicht vorstellte.

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Hinweise über ein mögliches Treffen ausgetauscht wurden.99 Diese Art von Gesprächen konnte, musste aber keinen Code enthalten. Ab 1980 erkannte die HA II jedoch die eindeutigen Abwehrmaßnahmen seitens der Botschaft. Denn seit 1980 wurden Informationen über die Lage Polens nicht mehr über das Telefon der polnischen Botschaft übermittelt.100 Mehr noch, der Telefonzugang wurde für die ostdeutschen Botschaftsmitarbeiter erheblich beschränkt.101 Die Einsatztechnik des MfS wurde nicht nur in Botschaftsnähe installiert. Von gleicher Bedeutung waren Grenzübergänge, an denen man das Gepäck oder die mitgeführten Unterlagen relativ leicht und heimlich durchsuchen bzw. kopieren konnte. In diesem Sinne wurden trotz der formellen Achtung der völkerrechtlichen Immunität volkspolnische Geheimdienstmitarbeiter, Diplomaten, Beamte sowie hohe Entscheidungsträger, darunter auch stellvertretende Ministerpräsidenten102, zwar auf heimliche Weise, aber ebenso rücksichtslos behandelt wie die gewöhnlichen polnischen Reisenden an der Grenze. Es wurden sogar Telefonnummern aus Kalendern abgeschrieben.103 Gab es dafür Gründe? Durchaus. Seit den 1970er-Jahren war dem MfS bekannt, dass die Kuriere, die im Auftrag der polnischen Militärmission in Westberlin arbeiteten, beträchtliche Vermögenswerte aus der Bundesrepublik nach Polen brachten, etwa über 200 000 DM in bar oder eine große Anzahl von Goldmünzen.104 Dies weckte das Interesse des MfS an dieser Mission. Man analysierte deren Funkverkehr, aber auch den der anderen polnischen Vertretungen, insbesondere die benutzten Frequenzen, die Sendezeiten sowie die von den Polen benutzten Funkgeräte. Spätestens seit 1975105 interessierte sich die Stasi auch für das Kommunikationssystem zwischen dem polnischen Außenministerium und seinen westeuropäischen Vertretungen und für die in diesem Zusammenhang benutzten Chiffren. Noch bevor in der VRP das Kriegsrecht eingeführt wurde, hatte die HA III mit dem Abhören der polnischen Funknetze begonnen, die sowohl von den bewaffneten (Bürgermiliz) als auch von den zivilen Institutionen genutzt wurden, etwa von den Woiwodschaftsämtern.106 Die landesweite Unterbrechung der analogen Telefonleitungen nach dem 13. Dezember 1981 trug dazu bei, dass jene Funknetze die Hauptrolle im Kommunikationssystem der VRP übernahmen. 99  Vgl. abgetippte Stenogramme der abgehörten Gespräche; BStU, MfS, HA II Nr. 38720, S. 200. 100  Siehe Bericht der HA II vom März 1981; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 459, S. 70. 101  BStU, MfS, HA XIX Nr. 4347, S. 31. 102  BStU, MfS, HA VI Nr. 15571, S. 121. 103  Siehe Fall dieser Art aus dem Jahr 1983: BStU, MfS, Abt. X Nr. 1784, S. 139. 104  Entsprechende Meldungen: BStU, MfS, HA II Nr. 38116, S. 715. Siehe auch Morawski: Złota afera, S. 7. 105  BStU, MfS, Abt. N Nr. 112, S. 59. 106  Operativ bearbeitet wurden Netze der PVAP, der Grenztruppen, der Streitkräfte und des MSW sowie Funkfrequenzen zwischen 20 Mhz bis 1 Ghz. BStU, MfS, BV Dresden, Abt. III Nr. 8040, S. 1.

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Nur waren sie zumeist unverschlüsselt und so konnte man von außen leichter in sie eindringen.107 Die Abhörgeräte des MfS wurden sowohl in der DDR108 als auch in der VRP eingesetzt, und zwar an Grenzübergängen, in Wohnungen, die der DDR-Botschaft angegliedert waren, aber auch im Rahmen der in Polen durchgeführten militärischen Übungen des Warschauer Paktes. Anstatt gemeinsam zu trainieren, versuchten die NVA-Einheiten also, den Gastgeber zu bespitzeln. In der MfS-Nomenklatura waren die funkelektronischen Angriffe gegen Polen unter dem Decknamen »Wolke« bekannt. Den gleichen Namen, wenngleich mit einer Nummer versehen, trug ein bereits im Kapitel 3 erwähnter gemeinsamer Vorgang des MfS und des MSW zur Infiltrierung der US-Botschaft in Polen. Die operativen Gewinne für die HA III waren in beiden Fällen zumindest vielversprechend, zumal nicht nur der interne polnische Funkverkehr abgehört wurde, sondern darüber hinaus auch die internationalen telefonischen Fernleitungen der VRP109 sowie die diplomatischen Netze. Auf diese Weise konnte man jene Berichte der polnischen Botschaften in Westeuropa unverschlüsselt lesen, die über mögliche oder besser gesagt unmögliche Wirtschaftshilfen für Polen sowie über nicht genehmigte Kreditaufträge informierten.110 Zu nennen sind hier auch Depeschen von Militärattachés. Nun war die HA III aber mit einer Informations­ flut konfrontiert, die das MfS nicht nur auswerten, sondern zunächst und vor allem übersetzen sowie bearbeiten musste.111 Dies war keine einfache Aufgabe. Es fehlte das Personal, das die sogar für Muttersprachler schwierige militärische respektive juristische polnische Fachsprache korrekt ins Deutsche übertragen konnte. Die Einführung des Kriegsrechts belastete das MfS zusätzlich mit auf Polen bezogener Arbeit. Im Grunde genommen sahen die Richtlinien für die im Kapitel 2 dargestellte Operation »Besinnung« vor, alle untypischen Elemente im polnischen Informationsverkehr zu beachten. Dies bedeutete in der Praxis, dass man unter anderem die Privatgespräche von Funkamateuren, Berichte der Rettungsdienste über gebrochene Beine sowie die Angaben über Truppen­ bewegungen der sowjetischen Einheiten in Polen abhörte und protokollierte. In der HA III entstand dadurch geradezu ein Informationschaos, was auch die für die Abhörmaßnahmen verantwortlichen Offiziere im internen Schriftverkehr festhielten.112 Die von der HA III gesammelten Datenmengen und deren Relevanz waren nur ein und nicht unbedingt das bedeutendste Problem. Wichtiger war die Tatsache, dass die Stasi im Vorfeld des Kriegsrechts immer öfter Indizien registrieren musste, dass sich das MSW gegen jene Abhörmaßnahmen wehren konnte. Zwar waren 107  108  109  110  111  112 

BStU, MfS, BV Ffo, Abt. III Nr. 887, S. 4. BStU, MfS, BV Ffo, Abt. III Nr. 888, S. 1. Borodziej: Ministerstwo Bezpieczeństwa, S. 115. BStU, MfS, HA III Nr. 6611, Teil I, S. 28. BStU, MfS, HA III Nr. 4988. Jaskułowski: Praca, S. 122.

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dies nur Indizien, jedoch waren sie aus Sicht der Abwehr zumindest besorgniserregend. So wurden die wichtigsten Orte in Warschau, die für die Montage von Abhörgeräten am geeignetsten zu sein schienen, immer besser durch die polnische funkelektronische Spionageabwehr überwacht. Auch kam es, je näher die Einführung des Kriegsrechts rückte, immer öfter zu dubiosen Einbrüchen in die Warschauer Wohnungen der DDR-Botschaft. Jene Wohnungen waren, wie der Zufall es wollte, für die Durchführung von Abhörmaßnahmen bestimmt. Zudem fanden die Einbrüche nach MfS-Einschätzung immer dann statt, wenn sich in der Nähe eine Milizstreife aufhielt.113 Verdächtig waren auch die hinterlassenen Spuren. Einbrüche waren zwar in der damaligen Zeit in Warschau nichts Ungewöhnliches. Nur waren Diebe stets auf Dinge aus, die im Hinblick auf die sehr schwierigen Lebensverhältnisse in Polen besonders begehrt waren, etwa Benzin, Geld, Essen oder Wertsachen. Eben dies wurde in den Botschaftswohnungen jedoch nicht entwendet. Man konzentrierte sich hingegen auf Datenträger und Tonbandgeräte. Die Botschaft informierte die Miliz stets offiziell über die festgestellten Ein­ brüche. Die Miliz sicherte, ebenso offiziell, jede erdenkliche Hilfe bei der Ermittlung der Täter zu, die trotz der Militarisierung des Lebens, der Polizeisperren und sonstiger repressiver Maßnahmen aus unerfindlichen Gründen nicht von Erfolg gekrönt war. Das konnte aber auch gar nicht anders sein, da »Ermittlungen« faktisch bedeuteten, dass jedes Schreiben der Botschaft an die Miliz letztlich bei der polnischen Spionageabwehr landete, was eben jene Ermittlungen faktisch lahmlegte. Die Zahl der Einbrüche war keinesfalls gering. Es wurden fünf Vorfälle monatlich registriert.114 Selbst wenn diese nichts mit dem polnischen Geheimdienst zu tun hatten, leisteten sie ihren Beitrag dazu, die Abhörarbeit des MfS in Polen zu beenden. Die Installation von Abhörgeräten setzte Kenntnisse der Gebäude voraus, die im Mittelpunkt der geplanten funkelektronischen Überwachung standen. Wie bereits erwähnt, war die Milizpräsenz in der Nähe von Warschauer DDR-Immobilien aus MfS-Sicht zumindest nicht eindeutig. Sehr eindeutig hingegen war die Rolle der ostdeutschen Volkspolizei bei der offensiven Kontrolle polnischer diplomatischer Vertretungen. Sie fungierte im Grunde genommen als erste Spionageeinheit. Ihre Beobachtungen und Anmerkungen trugen dazu bei, detaillierte Abbildungen der vorliegenden bautechnischen Sicherungsmaßnahmen der Botschaft zu erstellen. Ebenso wichtig war die Registrierung von noch so banalen Verhaltensweisen der Diplomaten im Büroalltag, die aus Sicht der HA II die offensive Bearbeitung der betreffenden Botschaft erleichtern oder auch beschränken konnten. Was sollte kontrolliert werden? Die Platzierung der Antennen und der Beleuchtung, die 113  Stellvertreter des Ministers an den Leiter der Abteilung III, Schreiben vom 7.1.1981; BStU, MfS, HA III Nr. 19799, S. 140. 114  BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 312.

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Zeiten, zu denen die Tore geöffnet bzw. geschlossen wurden, die Zahl der Fenster, die über Jalousien verfügten, die Zeit, die man benötigte, um sie zu öffnen und wieder zu schließen. Hinzu kamen Informationen über Nachbarimmobilien115 sowie über in der Nähe befindliche Parkplätze, Briefkästen oder Telefonzellen. Nicht nur die Botschaft selbst wurde auf diese Weise erfasst. Ebenso wurden die Residenz des Botschafters116 oder auch Kontaktwohnungen der polnischen Residentur117 kontrolliert und gegebenenfalls fotografiert. Verständlicherweise wurden letztgenannte Adressen dem MfS nicht offiziell benannt. Die HA II entdeckte sie entweder im Zuge anderer Vorgänge oder dank des in der DDR üblichen Denunziationssystems. Dies war aber auch eine Folge des durchaus schlampigen Verhaltens der polnischen Mieter und der Vernachlässigung der Tatsache, dass die Alltagsrealitäten in der DDR andere waren als in der Bundesrepublik. Es war in der DDR beispielsweise undenkbar, dass die Nachbarn nicht bemerkten, dass die eine oder andere Wohnung kein Namensschild aufwies. Jene aus polnischer Sicht absurde Ordnungswidrigkeit konnte der Volkspolizei mitgeteilt werden. Wichtiger aber war das Abgleichen der amtlichen Einwohnerverzeichnisse durch das MfS. Wenn in einer Wohnung offiziell ein »polnischer Diplomat« gemeldet war, der der HA II als Geheimdienstler bekannt war, und wenn die Nachbarn behaupteten, dass er oder seine Familie nie in der Wohnung anzutreffen sei, begann man, die Wohnung operativ zu überwachen. Ebenso wurden zum Beispiel Empfänge in den »auf übliche Weise« genutzten Räumlichkeiten überwacht, insbesondere wenn auch MfS-Vertreter eingeladen waren. Zu guter Letzt prüfte die Abteilung M die bei den polnischen Vertretungen ein- und ausgehende Korrespondenz. Was bedeutete das? Neben statistischen Erkenntnissen, also Informationen darüber, aus welchem Land, von welcher bzw. an welche Institution die meisten Schreiben gesandt und empfangen wurden, öffnete und kopierte man hemmungslos Weihnachtswünsche, Einladungskarten oder persönliche Briefe.118 Eine Inhaltsanalyse entschied, ob der Empfänger den Brief erhalten durfte oder nicht.119 Ähnlich arbeitete das Innenministerium in Polen in Bezug auf die DDRVertretungen. Für selbige hatte das MSW sogenannte Objektvorgänge (poln.: »sprawy obiektowe«) eröffnet. Formell gesehen bestand deren Ziel lediglich darin, jene Vertretungen vor terroristischen Anschlägen zu schützen.120 De facto leisteten sie einen großen Beitrag dazu, ostdeutsche Vertretungen zu kon-

115  BStU, MfS, HA II Nr. 26985, S. 83. 116  BStU, MfS, HA VIII Nr. 6905, S. 4. 117  Der Verfasser verschweigt in diesem Fall absichtlich alle Archivsignaturen. Es handelt sich dabei um Wohnungen, die bis heute existieren und zumindest formell dem polnischen Außenministerium gehören. 118  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 459, S. 86. 119  BStU, MfS, HA II Nr. 38116, S. 6. 120  Siehe polnische Vorgänge »Podhale«; IPN Wr 091/4 u. »Bastion«; IPN Wr 00287/15.

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trollieren.121 Allen voran waren die polnischen Mitarbeiter gleichzeitig IM des Innenministeriums. Das MSW sammelte ferner möglichst viele Details über DDR-Diplomaten. Es analysierte ihr Verhalten, genauso wie das die HA II mit den polnischen Diplomaten tat. Pro DDR-Vertretung wurden vier polnische IM eingesetzt. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass seit den 1970er-Jahren jeder polnische Diplomat von mindestens einem ostdeutschen IM operativ bearbeitet werden sollte.122 Dabei ging es nicht nur um Kontaktpflege, sondern vor allem um Angaben über die politische Haltung jener Diplomaten, über ihre Arbeit, ihre Familien.123 In mindestens einem Fall kam es zu einer vom MfS initiierten und auch gesteuerten Affäre eines ostdeutschen IM mit einer Mitarbeiterin der polnischen Vertretung.124 Wenn aber die Wahrscheinlichkeit einer polnischen Provokation nach Einschätzung der Stasi zu groß war, wurde die entsprechende Bekanntschaft nicht vertieft. Auch innerhalb der Stasi war von Provokationen des MSW die Rede, vornehmlich in Bezug auf Verhaltensweisen der polnischen Hauptamtlichen, die bei der Miliz, im Innenministerium bzw. bei den Grenztruppen tätig und an der Grenze zu Ostdeutschland stationiert waren.125 In der Praxis bedeutete ein solcher Verdacht nur eine verstärkte Kontrolle der Zielperson. Wenn beispielsweise ein in der DDR eingesetzter polnischer Geheimdienstler, als Diplomat getarnt und der Stasi bekannt, einen der Spionage verdächtigten Handwerker beauftragte, die eigene Wohnung zu sanieren, eröffnete man sofort ein OPK-Verfahren, und zwar unabhängig davon, ob das Innenministerium den Handwerker offiziell als »gefahrlos« beschrieb. Gemäß der internen Berichterstattung des MfS soll der »Gefahrlose« während seines Lebens für sechs verschiedene Geheimdienste gearbeitet haben.126 5.1.4 Offensive Maßnahmen gegen polnische Einrichtungen ab 1980 und deren Abwehr Die politischen Turbulenzen in Polen ab August 1980 trugen verständlicherweise dazu bei, die Aktivitäten des MfS zu erhöhen.127 Bis 1989 versuchte man, möglichst genau zu untersuchen, welche Kontakte polnische Diplomaten am häufigsten

121  Alle DDR-Vertretungen wurden im Rahmen des OV »Zenit« bearbeitet. Vgl. IPN BU 003172/35, Bd. 19 bis 22. 122  Exemplarisch hierfür BStU, MfS, HA XIX Nr. 4347, S. 14. 123  BStU, MfS, Abt. X Nr. 2166, S. 11. 124  BStU, MfS, HA XX Nr. 2836, S. 1. 125  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 1024, S. 267. 126  BStU, MfS, AOPK 6415/83. 127  Dank der Arbeit der IM »W. Müller« u. »Wildangel«; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 459, S. 175.

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zu knüpfen suchten oder in welchen Milieus sie sich vorwiegend bewegten.128 Überaus verdächtig waren in dieser Hinsicht die Begegnungen der VRP- und NATO-Diplomaten in der DDR. Registriert wurde jedes untypische Verhalten. Dazu konnten (aus Stasi-Sicht) übertriebene Komplimente gegenüber den ostdeutschen Gastgebern oder auch nur die geäußerte Absicht gehören, als Gast an den öffentlichen Sitzungen der lokalen DDR-Gremien teilzunehmen.129 Sollte der polnische Mitarbeiter einer Konsularabteilung gegenüber drei verschiedenen IM drei ebenso unterschiedliche Versionen seiner Einstellungen preisgeben, war nahezu sicher, dass er das Interesse der HA II weckte. Fest steht auch, dass polnische Diplomaten mehrere vergleichbare Anlässe gaben, sie einer Beobachtung zu unterziehen, und zwar unabhängig davon, ob diese Anlässe wirklich etwas mit dem Geheimdienst zu tun hatten oder nur mit der Nutzung der privilegierten Stellung in der DDR. Die Diplomaten mussten aber geradezu damit rechnen, überwacht zu werden, wenn Botschaftsmitarbeiter auf einen Schlag sechs gebrauchte Autos einer westlichen Botschaft zu einem attraktiven Preis erwerben wollten. Dies konnte einen Anwerbungshintergrund haben, musste es aber nicht. Ebenso skeptisch wurden von der HA II Fälle betrachtet, in denen nach Meinung der ostdeutschen Geheimdienstmitarbeiter Bürgern der Volksrepublik in der DDR zu viel konsularische Hilfe geleistet wurde, so etwa bei der geplanten und nicht genehmigten Ausreise in den Westen. Immerhin konnte man eine solche Hilfe als Beihilfe zur in Ostdeutschland strafbaren Republikflucht betrachten. Wenn die IM der Stasi solche Fälle und dabei auch die Rolle polnischer Konsularbeamter aufdeckten, wurden die betroffenen Diplomaten sofort der operativen Personenkontrolle unterzogen.130 Die Konsularabteilungen waren die Einheiten, in denen die meisten hauptamtlichen MSW-Mitarbeiter, als Diplomaten getarnt, arbeiteten. Wie sah die typische Zielperson aus MfS-Sicht aus, also der der Spionage gegen die DDR verdächtigte polnische Bürger mit diplomatischem oder konsularischem Pass? Grundsätzlich wurde er dem MfS nicht offiziell als Geheimdienstmitarbeiter gemeldet. Und erst einige Jahre nach seinem Amtsantritt häuften sich Indizien und Beobachtungen, die die Aufmerksamkeit der HA II auf ihn lenkten. Obgleich nicht als Offizier gemeldet, arbeitete er in einer Abteilung, die grundsätzlich vom Geheimdienst als Tarnung benutzt wurde. Neben den Konsularabteilungen waren

128  Hinweise zum Botschaftsrat [Name entfernt, Fall aus den 1970er-Jahren] bei der Botschaft der VR Polen; BStU, MfS, HA XX Nr. 6248, S. 13. Siehe auch Berichte des IM »Renn«; BStU, MfS, AIM 15396/89, Teil II/18, S. 20. 129  BV Leipzig, Abt. II/1, Information Nr. 51/81; BStU, MfS, HA II Nr. 38841, S. 23. 130  Siehe die gegen den III. Sekretär der polnischen Botschaft in Ostberlin gerichteten Aktivitäten des MfS in den 1980er-Jahren sowie den OV »Solist«: BStU, MfS, HA II Nr. 4594, S. 5; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 703, S. 110.

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dies die Wirtschaftsabteilungen oder Presseattachés.131 Viele dieser Mitarbeiter hatten militärische Dienstgrade, was aber in Bezug auf die Militarisierung des staatlichen Lebens in Polen nicht immer als belastendes Indiz gelten konnte.132 Wies eine bestimmte Zielperson jedoch viele markante Eigenschaften auf, war ihr Dienstgrad in der Tat ein belastendes Indiz, insbesondere wenn sie sich plötzlich für die NVA zu interessieren schien und eben nicht als Militärattaché tätig war. Wenn ein gemeinhin als Querulant oder gar Eigenbrötler bekannter Diplomat plötzlich geradezu lebensfroh wurde und ständig Kontakte zu DDRBürgern suchte, fiel er sofort auf. Regelmäßige, lange und scheinbar sinnlose Spaziergänge etwa, die oberflächlich auf angewandte Selbstkontrollmaßnahmen hinweisen konnten, führten unverzüglich zu einer verstärkten Überwachung. Von Bedeutung waren für die HA II auch die routinemäßigen vergleichenden psychologischen Portraits, die nach den üblichen Gesprächen mit der Zielperson erstellt wurden. Man analysierte dabei nicht nur die bereits erwähnten möglichen Abweichungen oder unterschiedliche Angaben über ihre Herkunft. Wichtig war beispielsweise auch die Feststellung, dass die Zielperson nie über die eigene Familie oder die berufliche Vergangenheit sprach. Dies konnte bedeuten, dass der Gesprächspartner seine eigene Identität verbergen wollte. Fakt ist auch, dass die HA II trotz der verhältnismäßig weit entwickelten und breiten Palette an Überwachungsmöglichkeiten keine offenen Repressionen anwenden wollte. Das Risiko einer Gegenreaktion war zu groß. Vielmehr hielt man die IM-Arbeit und bestimmte Beschränkungen, so das Verbot, Regierungsgebäude zu betreten, für angemessen. Wieso war das so? Es konnte sein, dass die Zielperson dafür zuständig war, im polnischen Auftrag ein eigenes IM-Netz in der Bundesrepublik zu leiten oder dass sie selbst durch das Innenministerium operativ bearbeitet wurde. In solchen Fällen schickte das MSW genau dann eine offizielle Anfrage über die jeweilige Zielperson an das MfS, als die Stasi selbst begann, diese Person zu bearbeiten.133 In einem Fall dauerte die MfS-Überwachung ganze drei Jahre, bis man sich entschloss, die polnische Seite über eine verdächtige Zielperson zu informieren.134 Auch wenn das MSW nach einer üblichen Bearbeitungszeit von sechs Monaten schließlich zugab, dass die betreffende Person in seinem Auftrag handelte, war ebenso klar, dass die operativen Möglichkeiten dieser Person in der DDR aus MSW-Sicht minimiert wurden. Nicht nur die Eigenheiten der polnischen Diplomaten oder die von ihnen preisgegebenen Informationen wurden von den ostdeutschen IM registriert. Genauso wichtig waren die Fragen, die jene Diplomaten stellten, die Themen, die 131  Hinweise zum Botschaftsrat [Personalangaben entfernt] der Botschaft der VR Polen in der DDR; BStU, MfS, HA XX Nr. 6248, S. 13. 132  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 8101, S. 1. 133  BStU, MfS, HA I Nr. 13988, S. 152. 134  OPK »Maler«; BStU, MfS, HA II Nr. 28363, S. 78.

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sie ansprachen, oder auch ihre Reaktionen auf für sie negative Entscheidungen der DDR-Regierung. Man kann sagen, dass alle Diplomaten der VRP trotz der üblichen Personalwechsel, ob Berufsgeheimdienstler oder auch nicht, einen relativ kohärenten Aussagestil an den Tag legten. Fast immer begannen sie mit einer Kritik. Die DDR als Ganzes wurde zwar taktvoll, aber doch oft und entschlossen kritisiert. Es ging sowohl um die Art und Weise, wie die SED-Propaganda die Lage in Polen darstellte,135 als auch um das Verhalten von DDR-Delegationen im Ausland. Ein Vorwurf war beispielsweise, dass die DDR trotz der nach außen getragenen Einheit des Warschauer Paktes nur um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen gekämpft und von der VRP das Gegenteil erwartet habe. Dabei wurden konkrete Beispiele geheimer wirtschaftlicher Verträge Ostdeutschlands etwa mit der Bundesrepublik explizit erwähnt.136 Ein polnischer Diplomat, der jene Beispiele vorbrachte, »erwarb« damit umgehend das verstärkte Interesse des MfS. Fest steht allerdings auch, dass jene Indiskretionen absichtlich begangen wurden, ebenso wie im Falle von Einzelheiten über das Kriegsrecht, die ostdeutschen IM im Dunstkreis der Botschaft ab September 1981 immer öfter zugespielt wurden. Die weiteren Aussagen der Diplomaten glichen fast vollständig den MSWReaktionen auf MfS-Vorwürfe im Zuge offizieller Gespräche. Die Diplomaten betonten immer wieder die Fähigkeit der Regierung zur Kontrolle der inneren Lage Polens, auch wenn dies mit der nicht glaubwürdigen These verbunden wurde, dass die Mehrheit der Gesellschaft den Sozialismus unterstütze. Immerhin achteten die Botschaftsmitarbeiter sehr darauf, mit dem ostdeutschen Personal nie über politische Themen zu sprechen, und wenn, dann nur unter Anwendung der parteiüblichen Rhetorik. Sollte ein Diplomat trotzdem von dieser Regel abweichen und ein politisches Thema anschneiden, so lag die jeweilige Aussage in den Grenzen des politisch Verantwortbaren. So wurde die Wahl Wałęsas zum Solidarność-Chef auf dem ersten Kongress der Gewerkschaft als Zeichen dafür gewertet, dass sich dort die gemäßigten Kräfte durchgesetzt hätten. War die Zurückhaltung polnischer Diplomaten gegenüber den ostdeutschen Kollegen in der polnischen Botschaft begründet? Sie war es. Im BStU-Archiv fand der Verfasser sogar Belege dafür, dass die Stasi mithilfe ihrer Informanten die Faksimiles aller Unterschriften der Botschaftsmitarbeiter gewinnen konnte. Wie ist es dazu gekommen? Die Polen verschickten beispielsweise eine gewöhnliche Postkarte mit Genesungswünschen an einen kranken ostdeutschen Kollegen, unterschrieben von allen Mitarbeitern,137 und das konnte sich das MfS zunutze machen. Außerdem wurde jeder offizielle Kontakt, jedes offizielle Gespräch pol135  Information, 16.12.1980; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 703, S. 2. 136  Äußerungen und Meinungen des Ersten Sekretärs der Botschaft der VR Polen in der DDR zu ökonomischen und politischen Fragen [Name absichtlich entfernt, 1980er-Jahre]; BStU, MfS, HA XX Nr. 6248, S. 122. 137  BStU, MfS, HA II Nr. 38317, S. 84.

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nischer Diplomaten mit den Vertretern der DDR-Behörden registriert und dem MfS auf lokaler oder zentraler Ebene mitgeteilt. Keine Rolle spielte die Tatsache, ob es sich dabei um ein Treffen im Außenministerium der DDR oder in einer SED-Kreisleitung in der Provinz handelte.138 Dies trug nicht nur dazu bei, die schon erwähnten Personenprofile der Diplomaten zu verfeinern und zu ergänzen. Dank jener Mitteilungen kontrollierte die Stasi überdies und relativ genau den Personenkreis, der dienstliche Kontakte zur polnischen Botschaft pflegen sollte.139 In der Tat stieg in den 1980er-Jahren die Zahl der in die DDR entsandten Diplomaten, die bereits IM des Innenministeriums waren oder zu solchen wurden.140 Nach Einschätzung des MfS waren dies insbesondere jene Diplomaten, die nach Amtsantritt intensive Beziehungen mit ihren westlichen Pendants entwickelten, die wiederum von der HA II der Spionage verdächtigt wurden.141 Dies könnte auch die bereits beschriebene Situation erklären, dass die Gespräche mit ostdeutschen Mitarbeitern der polnischen Botschaft auf das Notwendigste reduziert oder gar nicht erst geführt wurden. Das konnte unter anderem ein Grund dafür gewesen sein, dass das MfS in der für Polen kritischen Zeit ab November 1981 immer mehr Zweifel hegte, dass die in der Botschaft gewonnenen Informationen wirklich relevant waren.142 Außerdem war die HA II der Meinung, dass die polnische Vertretung in Ostberlin von der eigenen Zentrale grundsätzlich nicht über die Ereignisse in Polen informiert wurde. Dieser Umstand, verbunden mit der Reduktion des Personals,143 machte die potenziellen Gespräche mit den Diplomaten nicht mehr ergiebig, auch wenn die ostdeutschen IM stets in der Lage waren, von Gerüchten über vermeintliche Affären oder Konflikte unter den polnischen Mitarbeitern zu berichten. Bekannt waren auch bestimmte technische Systemlösungen, etwa die Montage neuer Kommunikationsgeräte. Die Ostdeutschen wussten, dass sie montiert wurden, durften sie aber weder sehen noch benutzen. Eine gewisse Zurückhaltung war auch zu beobachten, was allgemeine Anfragen ostdeutscher Bürger anging. So wollten etwa Friedensaktivisten legale polnische Periodika erhalten, in denen das in Polen gesetzlich geregelte Thema des Ersatzwehrdienstes erörtert wurde. Solchen Bitten kam man aber nicht nach und begründete dies etwa damit, dass dieses Thema in Polen gar nicht geregelt sei. Die Haltung der Botschaft in dieser Sache war dahingehend nachvollziehbar, dass man nur durch die Ablehnung eine Provokation der Stasi oder mögliche Beschwerden lokaler Behörden vermeiden konnte. Die HA II registrierte jedoch die Interessenten, die sich an die Botschaft gewandt hatten. 138  BStU, MfS, HA II Nr. 38871, S. 15. 139  BStU, MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt Nr. 3953, S. 113. 140  Alle diesbezüglichen Angaben wurden vom Verfasser absichtlich weggelassen, da es sich um bis heute im diplomatischen Dienst tätige Personen handelt. 141  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 459, S. 16. 142  BStU, MfS, HA II Nr. 38871, S. 110. 143  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 459, S. 58.

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Wie bereits dargelegt, verfügte die Stasi vornehmlich über Indizien für die offensive Aufklärungsarbeit des MSW in der DDR. Seit 1982 wurden diese Indizien immer beunruhigender. Vor allem die »Konsularbeamten« interessierten sich ab diesem Zeitpunkt außerordentlich oft dafür, wie sich die politische Opposition in der DDR entwickelte. Insbesondere die Friedensbewegung und die wirtschaftlichen Probleme der DDR standen im Mittelpunkt ihres Interesses, ebenso die Möglichkeit einer Destabilisierung Ostdeutschlands und damit verbundene gesellschaftliche Unruhen.144 Die Berichte der MfS-Informanten vermitteln zudem den Eindruck, dass jene Beamten ihre Gesprächspartner zu Recht verdächtigten, für das MfS tätig zu sein und sie dementsprechend überprüften. Der Besuch einer Konsularabteilung glich mitunter einem Verhör. So konnte es sein, dass die polnischen Sachbearbeiter im Konsulat plötzlich nicht nach dem Reiseziel fragten, sondern sich auch über den Grund der regelmäßigen und auch häufigen Fahrten der Stasi-Quelle nach Polen erkundigten.145 Interessanterweise wurden in den gleichen Abteilungen polnische Bürger über den Umgang mit dem MfS belehrt. Es ging dabei nicht nur um die üblichen Warnhinweise, dass man zum Beispiel während der geplanten Reise nach Westberlin vorsichtig sein müsse, wenn es um Kontakte zur örtlichen Polizei ging. Eine ähnliche Vorsicht sei gemäß den polnischen Konsulaten auch bezüglich der DDR geboten gewesen. Verboten war es beispielsweise, den ostdeutschen Sicherheitsbehörden Informationen über Polen, aber auch über die Bundesrepublik zu geben.146 Diese Ermahnungen zur Vorsicht, die von Zeit zu Zeit auch gegenüber MfS-Quellen ausgesprochen wurden, waren aus der Sicht der Stasi völlig nachvollziehbar. Sie waren überdies Teil des Repertoires der OGW. Für alle Botschaften der DDR galt in den 1980er-Jahren eine in Warschau formulierte, weltweit gültige Warnung, extrem vorsichtig mit den Mitarbeitern polnischer Botschaften zu sprechen. Diese Mitarbeiter würden alle Möglichkeiten und Tricks nutzen, um von der DDR Informationen zu erlangen, die die Position des eigenen Landes in späteren Verhandlungen stärken würden. Schlussendlich unterschrieb ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi diese Warnung.147 Die Art und Weise, mit der die polnischen diplomatischen Vertretungen vom MfS operativ überwacht wurden, entsprach exakt der Behandlung, die auch anderen polnischen Institutionen in der DDR zuteil wurde. In erster Linie handelte es sich hierbei um Kulturinstitute, Niederlassungen der staatlichen Zentrale

144  Siehe die Informationen über die Arbeit der polnischen Diplomaten, die die BV in Jena gesammelt hat. BStU, MfS, HA II Nr. 38871, S. 155. 145  Information der Stasi-Quelle »Lola« über ihren Besuch in der polnischen Konsular­ abteilung im Jahr 1983; BStU, MfS, HA II/10 Nr. 459, S. 137. 146  Bericht des IM »Roman«; BStU, MfS, BV Schwerin, AIM 400/87, Teil I/2, S. 109 f. 147  BStU, MfS, ZAIG Nr. 13798.

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für Außenhandel oder Außenstellen der Fluglinien.148 Sie wurden sowohl von der örtlichen Volkspolizei als auch von der zuständigen Bezirksverwaltung des MfS überwacht. Üblicherweise wurden die uniformierten Wachmannschaften, die in der Nähe der o. g. Einrichtungen eingesetzt wurden, mit IM besetzt.149 Ebenso üblich war das heimliche Lesen, Kopieren oder auch die Beschlagnahme der Korrespondenz jener Institutionen.150 Damit nicht genug. Die Leitung wie auch die Mitarbeiter der genannten Einri chtungen wurden anhand der bei ihnen festgestellten politischen Einstellungen klassifiziert. Waren diese Einstellungen im Sinne der SED und darüber hinaus mit der Mitgliedschaft in der Partei oder mit »politisch korrekten« Kriegserfahrungen verbunden, konnte jene Einrichtung damit rechnen, dass die Kontakte zu den zuständigen ostdeutschen Behörden sich gut gestalten würden, dass sie Einladungen dieser Einrichtung erhalten würden usw. Sollte sich aber etwas an diesem Bild ändern, sollten zum Beispiel vom neuen Direktor keine »progressiven«, »marxistischen« Ansichten geäußert werden, so wurden die interinstitutionellen Kontakte reduziert. Jede Veranstaltung der polnischen Kulturzentren, ganz gleich, ob es sich um eine Vernissage oder einen Vortrag handelte, musste operativ abgesichert werden. Offiziell ging es beispielsweise darum, den Autoverkehr in der Nähe des Institutes zu regeln, Parkplätze zu überwachen usw. Solche Maßnahmen beantragten die Veranstalter mitunter auch selbst bei der Volkspolizei. Ohne Beantragung versuchten einige Teilnehmer, also entweder IM oder auch Hauptamtliche, an Ort und Stelle die Teilnehmerzahl der Veranstaltung zu berechnen, die dargebotenen Inhalte zu vermerken sowie alle anderen relevanten Fakten zu notieren, so etwa die Präsenz offizieller DDR-Vertreter oder das Erscheinen von Diplomaten anderer Länder. Von großer Bedeutung waren dabei die registrierten Begegnungen der Veranstalter mit ostdeutschen Bürgern, insbesondere mit Staatsfunktionären, Parteikadern usw.151 Wie sah der Überwachungsalltag in Bezug auf jene Einrichtungen aus? Es wurden alle Bibliotheksnutzer der polnischen Kulturinstitute überwacht, ebenso diejenigen, die dort Bücher kauften oder unentgeltlich erhielten. Ursächlich hierfür war aber nicht die Politik der Spionageabwehr, sondern vor allem die Gefahr einer Verbreitung unerwünschter Inhalte in der DDR. Die bereits erwähnten Biblio148  Siehe die Unterlagen über die Vertretung der polnischen staatlichen Fluggesellschaft LOT: BStU, MfS, HA XIX Nr. 192, S. 21. 149  Bereits Anfang 1970 befanden sich unter den Wachstreifen der Volkspolizei in Botschaftsnähe immer 3 IM. BStU, MfS, HA II Nr. 38104, S. 21. 150  Siehe die Bestände mit geöffneten und kopierten Briefen an die Berliner Außenstelle der polnischen Presseagentur Interpress. Interpress war eine der wichtigsten Tarneinrichtungen der polnischen Auslandsaufklärung. BStU, MfS, HA II/13 Nr. 1088, S. 24. Jeder DDR-Bürger, der sich an diese Außenstelle wenden wollte bzw. sie persönlich besuchte, wurde mithilfe spezieller Formulare erfasst, die dann an die HA II gingen. 151  BStU, MfS, HA II Nr. 38871, S. 20.

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theken waren sehr populär in Studentenkreisen, da dort in der DDR kaum zu beziehende Bücher ohne Probleme zugänglich waren. Die polnischen Mitarbeiter dieser Kultureinrichtungen genossen einen Diplomatenstatus. Nur so konnten sie die Unterlagen und Materialien für viele der geplanten Veranstaltungen in die DDR bringen. Ansonsten wären diese während der Zollkontrolle beschlagnahmt worden. Außerdem, so die allgemeine und durchaus bittere Erkenntnis der zuständigen Stasi-Einheiten, wussten die Polen relativ gut Bescheid, wer aus dem Kreis der Leser faktisch für das MfS tätig war. Wie sahen entsprechende Abwehrverfahrensregeln des MSW aus? Im Grunde genommen ähnelten sie dem, was auch andere Geheimdienste praktizierten. Jeder Bewerber etwa, der in einer polnischen Einrichtung in der DDR arbeiten wollte, wurde vom Innenministerium konspirativ überprüft.152 Die Überprüfung begann in der Konsularabteilung, dann landete die offizielle Bitte um Überprüfung des Bewerbers über die Ostberliner Residenturleitung153 sowieso wieder in der MSWZentrale. Ebenso arbeitete die Stasi. In ostdeutschen, nicht aber in polnischen Unterlagen belegen Beispiele, dass das diplomatische Personal den polnischen Mitarbeiter ohne Diplomatenstatus vor der Stasi zu verteidigen suchte. Wieso war das so? Es war sehr leicht, den Arbeitsplatz in der DDR-Botschaft zu verlieren. Es genügte schon ein Telefongespräch mit dem Hauptamtlichen, in dem ihm bislang unbekannte und der Botschaft im Lebenslauf nicht offiziell mitgeteilte Fakten aus dem Privatleben des polnischen Mitarbeiters übermittelt wurden. Die OGW bat das MSW zwar um Stellungnahmen in Hinblick auf polnische Bewerber. Der polnische Geheimdienst aber gab in keinem Fall eine negative Referenz.154 Die Geduld des MSW endete in dem Moment, in dem DDR-Diplomaten die Wachsamkeit der polnischen Kontrolle allzu arrogant auf die Probe stellten. In den 1980er-Jahren kam es zu Festnahmen ostdeutscher »Botschaftsmitarbeiter«, die mit ihren Familien angeblich Pilze sammeln wollten. Sollte dies ein Zufall sein, so wurde die polnische Militärpolizei gegen solche Zufälle ziemlich immun, vor allem wenn diese sich in der Nähe von polnischen strategischen Raketeneinheiten ereigneten, die an der Grenze zur DDR stationiert waren.155 Rein zufälligerweise, versteht sich, interessierten sich jene »Diplomaten« eben nicht für Pilze in jenen Wäldern, in denen keine Militäreinrichtungen festzustellen waren. Nicht immer kam es wegen der o. g. Vorkommnisse zu einer formellen Festnahme. Grundsätzlich wurden die Beschuldigten zunächst taktvoll belehrt. Immer aber wurde die Spionageabwehr über den Vorfall informiert. Die Konsulate wurden zudem regelmäßig darum gebeten, untypische Verhaltensarten 152  Siehe Stellungnahmen der Aufklärung über die beabsichtigte Einstellung eines Bewerbers in der DDR. IPN BU 01897/644. 153  Beispiel aus dem Jahr 1978: IPN BU 1585/2001, S. 45. 154  BStU, MfS, HA II Nr. 38641, S. 336. 155  Unterlagen, verfasst nach der Festnahme: IPN 01211/156, S. 29.

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ostdeutscher Visumsantragsteller zu registrieren. Hierzu zählten urplötzlich aufkommende Absichten, die polnische Verwandtschaft in der Volksrepublik zum ersten Mal seit Jahren wieder zu besuchen. Insbesondere zu einem Zeitpunkt, als es in Polen zu politischen Turbulenzen kam, konnte dies nicht unbemerkt bleiben. Jene Turbulenzen trugen aber auch dazu bei, dem MfS das Leben zu erschweren. Die Militarisierung des öffentlichen Lebens ab 1980 hatte unter anderem die Ausweitung der Zonen im Lande zur Folge, die für alle Ausländer gesperrt waren,156 also auch für DDR-Bürger. Ohne Zweifel war der Hauptgrund für diese Repressalien, gegen die Opposition und/oder westliche Geheimdienste vorzugehen. Aber auch das MfS musste feststellen, dass jene Schritte wirksam waren und die eigene IM-Arbeit beeinflussen konnten. Beispielsweise wurden Polen, die mit DDR-Bürgerinnen verheiratet waren, sehr häufig aufgefordert, sich bei dem örtlichen Kreiswehrersatzamt zu melden. Während der Gespräche wurden den Betroffenen etwa solche Fragen gestellt, wie sie die Gattin kennengelernt hatten. Bei dieser Gelegenheit offenbarten die Kommissionen detaillierte Kenntnisse über die jeweilige Ehe und den Ehemann. In einem Fall handelte es sich bei der Ehefrau in der Tat um eine IM des MfS.157 Ihr Ehemann, ein Parteimitglied ohne Kontakte zur Opposition, musste sich nach jedem Aufenthalt in der DDR mit seiner Frau bei dem besagten Amt melden. Die Interessen beider Dienste mussten sich zudem bei bestimmten Personen entgegenstehen, die aufgrund der jeweiligen Profession und ihrer gesellschaftlichen Stellung an viele Informationen kommen konnten. Solche Berufsgruppen waren in der DDR kaum vorhanden, und falls doch, wie im Falle von freien Anwälten, Handwerkern, Taxifahrern, Prostituierten oder Valutahändlern, dann waren sie vom MfS infiltriert. In der VRP verhielt es sich ebenso, wenngleich mit dem Unterschied, dass die Zahl der Freiberufler in Polen im Vergleich zur DDR wesentlich höher war. Wenn also ein DDR-Diplomat, d. h. ein OGWMitarbeiter, einen Polen aus den genannten Berufskreisen ohne ersichtlichen Grund vermehrt ansprach oder anderweitig kontaktierte, dann konnte man sicher sein, dass der Angesprochene seinen offiziellen oder auch inoffiziellen Betreuer aus dem Innenministerium darüber informierte. Der Betreuer, sprich Hauptamtliche, schickte seinerseits unmittelbar nach dem Treffen eine Mitteilung an die Zentrale der Spionageabwehr. Die Warschauer Zentrale entschied dann, welche operativen Maßnahmen gegen den »Diplomaten« anzuwenden seien. Dies konnte die klassische Beobachtung sein, die auch auf NATO-Aufklärer in Polen angewendet wurde. Ein Unterschied bestand lediglich darin, dass das MSW die OGW üblicherweise darum bat, die als feindlich eingestufte Tätigkeit zu beenden.158 Das waren weder Einzelfälle noch waren sie ohne Konsequenzen 156  IPN BU 1585/15361, S. 62. 157  IM »Clivia«, Bericht aus dem Jahr 1982; BStU, MfS, HA II Nr. 38799, S. 55. 158  IPN BU 01228/3005, S. 58.

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für diejenigen, die von jenen »Diplomaten« angesprochen wurden. Besonders betroffen waren beispielsweise Botschaftsdolmetscher, die damit rechnen mussten, ihre für Volksrepublik-Verhältnisse sehr gut bezahlte Stelle zu verlieren.159 In den 1980er-Jahren informierte das Erste Department die MSW-Führung regelmäßig darüber, dass die Stasi immer öfter polnische Bürger in der DDR anzuwerben versuchte.160 Die Betroffenen fürchteten dabei, ihre Arbeit zu verlieren oder gar von den ostdeutschen Sicherheitsbehörden verfolgt zu werden. Viele von ihnen hatten nichtsdestotrotz den Mut, die polnische Botschaft darüber zu informieren. Dies erschwerte die Arbeit des MfS und in einigen Fällen führte es dazu, dass sich die OGW wegen eines gescheiterten Anwerbungsversuches entschuldigen musste. Zwar musste der Werber Polen in einem solchen Fall verlassen, seine Funktion übernahm nun aber ein anderer »Diplomat«. Auch wenn die polnische Aufklärung in der DDR keine derart aggressiven Anwerbungsversuche unternahm, handelte sie im Grunde genommen genauso wie die Stasi. Polnische Diplomaten mit IM-Status sprachen mit ihren ostdeutschen Pendants oder SED-Mitgliedern und verfassten für das MSW entsprechende Berichte. Das Gleiche machten polnische Delegationen, die sich in der DDR aufhielten. Sehr oft wurden ehemalige Kommilitonen polnischer IM befragt und Kontakte zu ihnen gepflegt,161 insbesondere wenn beide in Ostdeutschland studiert hatten. So wie in Ostberlin praktiziert, so erstellte auch die polnische Spionageabwehr Personenprofile von DDR-Diplomaten. Man analysierte ihr Verhalten, ihre Kontakte,162 vor allem auch zu den polnischen oppositionellen Milieus. Es wurden Informationen darüber zusammengetragen, wie DDR-Bürger in Polen vom MfS infiltriert wurden. Die Berliner Residentur des MSW registrierte Anwerbungsversuche polnischer Bürger und wertete alle bis 1989 festgestellten Fälle aus. Sie war aber gleichzeitig der Meinung, dass es nicht nötig war, solche Fälle auf ministeriell-bilateraler Ebene zu erörtern. Das kann nicht verwundern. Die Chancen, dieses Prozedere zu beenden, tendierten gegen null. Das Ende der Tätigkeit der OGW auf operativer Ebene war mit einem für das MfS geschichtsträchtigen Datum verbunden. Am 17. Januar 1990, also zwei Tage nach der berühmten Besetzung der Stasi-Zentrale in Ostberlin, teilte der Leiter der OGW dem Innenministerium mit, dass man ihn zum Liquidator seiner Gruppe ernannt habe und er umgehend mit der Evakuierung beginne.163 Angeblich sollte die OGW bereits am 12. Januar ihre Arbeit einstellen. Aber erst im Februar 1990 wurde der DDR-Botschaft in Warschau das Vermögen der OGW offiziell übergeben. Dazu zählten neben mehreren Hundert Flaschen Alkohol 159  Ebenda, S. 42. 160  IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 79. 161  IPN BU 0449/22, Bd. 13, S. 272. 162  Beispiel eines Personenprofils eines DDR-Diplomaten, verfasst von einem polnischen IM, Deckname »Edward«: IPN BU 01228/305/1, S. 51. 163  IPN BU 1585/15360, S. 126.

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auch 64 Dosen Wiener Würstchen.164 Die ehemaligen DDR-Diplomaten, mit denen der Verfasser über jene Zeit gesprochen hat, erinnerten sich auch an andere halbironische Elemente dieser Evakuierung. Die Stasi-Mitarbeiter behaupteten damals, dass sie alle Abhörgeräte entfernt hatten, die in den Büroräumen der Botschaft installiert worden waren. Die polnische Residentur hingegen war nach wie vor aktiv, und zwar agierte sie gegen die Bundesrepublik. Die ministerielle Leitung plante, die Residentur »so lange wie möglich und nötig« in Betrieb zu lassen – so die schriftliche Verfügung des damaligen polnischen Aufklärungsleiters in wörtlicher Übersetzung.165 Dies hinderte die Verantwortlichen auf polnischer Seite aber nicht daran, erste Kontakte zu westdeutschen Geheimdiensten zu knüpfen, die nach Einschätzung der ehemaligen MSW-Mitarbeiter im Gespräch mit dem Verfasser auch nach 1989 nichts mit freundschaftlichen Beziehungen zu tun hatten.166 Derweil sollte die polnische Residentur in Deutschland (personell) umgestaltet werden, um mögliche Dekonspirationen polnischer Hauptamtlicher im Zuge der Implosion der Stasi und der Übernahme der MfS-Akten durch den BND bzw. das Bf V zu verhindern. Die öffentlich zugänglichen Publikationen des Bf V, aber auch des polnischen Inlandsgeheimdienstes (ABW) zeigen deutlich, dass es auch in den 1990er-Jahren, zu Zeiten neuer politischer Realitäten, keinen Platz für Vertrauen zwischen den polnischen und den deutschen Sicherheitsbehörden gab.167

5.2 Die inoffiziellen Mitarbeiter Ohne Zweifel haben polnische Historiker Recht, wenn sie in ihren Publikationen darauf aufmerksam machen, wie populär der Begriff der »personenbezogenen Informationsquellen«, so die allgemeine Bezeichnung aller für das MSW tätigen Typen von inoffiziellen Mitarbeitern, in den Medien ist.168 Nicht aber die Medien, sondern in erster Linie die Fachwelt sah seit 1989 die Notwendigkeit, die dank 164  BStU, MfS, HA II Nr. 38300, S. 197. 165  IPN BU 1585/15323, S. 51. 166  Das Bundesamt für Verfassungsschutz behauptete in seinem Bericht aus dem Jahr 1994, dass die polnischen Geheimdienste ihre größten Residenturen eben in der Bundesrepublik unterhielten und dass diese besonders sorgfältig überwacht werden sollten. Siehe Verfassungsschutzbericht 1994. Bonn 1995, S. 217. 167  Siehe Internetseite des polnischen Inlandsgeheimdienstes: http://www.abw.gov.pl/ portal/pl/3/283/LATA_19901995.html (letzter Zugriff: 2.7.2020). Neueste Literatur über die Transformation des polnischen Geheimdienstes im Jahr 1989 weist darauf hin, dass, trotz der politischen Umgestaltungen, Deutschland als Ganzes ein Hauptziel der alt-neuen polnischen Auslandsaufklärung geblieben ist. Vgl. Tomasz Kozłowski: Koniec imperium MSW. Transformacja organów bezpieczeństwa państwa 1989–1990. Warszawa 2019, S. 229 ff. 168  Wojciech Sawicki: Osobowe źródła informacji organów bezpieczeństwa PRL 1944–1990. In: www.ipn.gov.pl/download.php?s=1&id=790 (letzter Zugriff: 2.7.2020).

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der Archivöffnungen zugänglichen Informationen über die soziale Herkunft, die Kategorien sowie die Motive derer, die allgemein und nicht immer zu Recht als IM in den geheimdienstlichen Akten erfasst worden sind, zu analysieren. Fast 25 Jahre nach den friedlichen Revolutionen ist die Zahl der entsprechenden Publikationen gewaltig. Sowohl allgemeine Monografien,169 Einzelstudien170 über bestimmte soziale Schichten,171 in denen die IM-Arbeit betrieben und bewertet wurde,172 als auch konkrete Fallstudien173 trugen dazu bei, ein soziopsycho­ logisches Phänomen, nämlich die inoffizielle geheimdienstliche Mitarbeit in den totalitären Systemen Polens und der DDR von 1944 bis 1989, zu verstehen. Besonders sollten auch jene Abhandlungen und Werke hervorgehoben werden, die sich mit den ethischen Dilemmata der IM-Arbeit beschäftigen, etwa mit der potenziellen Schuld der Spitzel.174 Im Fokus der bereits erwähnten Publikationen steht aber vor allem die rein innenpolitische Stellung und Bedeutung der IM. 169  Aufgrund der erwähnten unübersichtlichen Zahl an Publikationen konzentriert sich der Verfasser in den nachfolgenden Fußnoten auf die aus seiner Sicht relevantesten Werke, z. B. Helmut Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Berlin 2008; Gisela Diewald-Kerkmann: Vertrauensleute, Denunzianten, Geheime und Inoffizielle Mitarbeiter in diktatorischen Regimen. In: Arnd Bauerkämper, Martin Sabrow, Bernd Stöver (Hg.): Doppelte Zeitgeschichte: deutsch-deutsche Beziehungen. Bonn 1998, S. 282–293; Jörg Döll: Zur Bedeutung des wichtigsten inoffiziellen Mitarbeiters für die Bewältigung der Bespitzelung durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. In: Ulrich Baumann (Hg.): Politisch motivierte Verfolgung. Opfer von SED-Unrecht. Freiburg 1998, S. 245–256; Grit Hartmann, Uwe Müller: Vorwärts und Vergessen. Kader, Spitzel und Komplizen: Das gefährliche Erbe der SED-Diktatur. Berlin 2009; Filip Musiał: Osobowe źródła informacji. In: Biuletyn IPN 10 (2006), S. 52–69; Wojciech Frazik, Filip Musiał: Akta agenturalne w pracy historyka. In: Zeszyty Historyczne WiN-u 19–20 (2003), S. 301–330; Ewa Zając: Ślad pozostaje w aktach. Wybrane zagadnienia dotyczące funkcjonowania ewidencji operacyjnej w latach 1962–1989. In: Biuletyn IPN nr 1–2 (2006), S. 21–37. 170  Roman Graczyk: Tropem SB. Jak czytać teczki. Kraków 2007; Peter-Ferdinand Koch: Enttarnt. Doppelagenten. Namen, Fakten, Beweise. Salzburg 2011. 171  Jugendliche Inoffizielle Mitarbeiter (IM) am Beispiel des IM »Shenja«. Auszug aus einer Akte des MfS. Berlin 2004; Regina Karell: Inoffizielle Mitarbeiterinnen der DDR-Staatssicherheit im Bezirk Gera 1989. Erfurt 2008; Monika Komaniecka: Osobowe źródła informacji w technice operacyjnej. In: http://www.ipn.gov.pl/download.php?s=1&id=7906 (letzter Zugriff: 2.7.2020). 172  Johannes Pöhlandt: Wanzen, Inoffizielle Mitarbeiter, Desinformation – Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Ministerium für Staatssicherheit. Leipzig 2011. 173  Helgard Heindrichs, Heribert Schwan: Das Spinnennetz. Stasi-Agenten im Westen: Die geheimen Akten der Rosenholz-Datei. München 2005; Ewa Stankiewicz, Anna Ferens: Trzech kumpli. Kraków 2008; Jolanta Drużyńska, Stanisław Jankowski: Kolacja z konfidentem. Kraków 2006. 174  Sabine Gries: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR: Täter oder Opfer? Eine Analyse von Diplomarbeiten und Dissertationen der Juristischen Hochschule Potsdam. In: Dieter Voigt, Lothar Mertens (Hg.): Opfer und Täter im SED-Staat. Berlin 1998, S. 169–198; Ingrid Kerz-Rühling: Verräter oder Verführte: eine psychoanalytische Untersuchung Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Berlin 2004; Helmut Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit – Motive für geheimpolizeiliche und nachrichtendienstliche Kooperation. In: Sven-Max Litzcke, Siegfried Schwan (Hg.): Nachrichtendienstpsychologie. Brühl 2005, S. 21–85.

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Ihre bilaterale Dimension, genauer gesagt ihr Einsatz gegen einen verbündeten Staat, geschweige denn die Abwehrmaßnahmen der »Freunde« stehen nicht im Mittelpunkt der bisherigen IM-Forschung. Wie schon oben angemerkt, war ein solcher feindlicher Spitzeleinsatz, vor allem der des MfS in der VRP, zumeist ein Thema der politisch geprägten publizistischen Auseinandersetzungen in den polnischen Medien nach 1989. Nicht nur die Publizistik, sei es die wissenschaftliche oder nichtwissenschaftliche, sondern auch die Tagespresse lieferte in den 1990erJahren, aber auch darüber hinaus regelmäßig Schlagzeilen über angeblich mehrere Hundert ostdeutsche Spitzel in der Volksrepublik,175 die eine gewaltige Menge an relevanten Informationen über die Lage in Polen im Allgemeinen sowie die Innenpolitik im Speziellen zusammengetragen hätten. Diese fast schon stereotype kultivierende Berichterstattung wurde überdies mit einem weiteren Vorurteil verbunden, nämlich dem, dass die meisten IM »anständige DDR-Bürger« gewesen seien, die unabhängig von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort dem MfS zuverlässig zugearbeitet hätten.176 Wie aber sahen die operativen IM-Möglichkeiten der Stasi in der VRP wirklich aus? Wer waren diese Informanten? Welche Einsatzvarianten wurden von ihren Führungsoffizieren bevorzugt? In der vorliegenden Studie werden auch noch weitere Punkte diskutiert, vor allem auch die Frage, wie das MSW darauf reagierte, wenn es feststellte, dass ein polnischer Bürger ein IM des MfS war. In derartigen Fällen ging es insbesondere um die Anwerbung des bisherigen MfS-Spitzels sowie um die eigene polnische IM-Arbeit in der DDR. 5.2.1 Die Quantität der IM-Arbeit gegen Polen Die quantitative Analyse der bilateralen »Spitzelmilieus unter Freunden« muss verständlicherweise mit den juristischen Definitionen des Begriffs »IM« beginnen. Im wiedervereinigten Deutschland wurde laut Gesetz die Person als IM bezeichnet, die sich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereit erklärt hatte.177 Sie musste sich also dessen bewusst sein, dass sie Informationen an das MfS weiterleitete. Bewusstes Handeln und Geheimhaltung als Faktoren, die die inoffizielle Mitarbeit charakterisierten, hebt auch das polnische »Gesetz über die Veröffentlichung von Informationen zu den Dokumenten der staatlichen Sicherheitsorgane in den Jahren 1944 bis 1990 und über den Inhalt dieser Doku-

175  Tantzscher: »Wir fangen an ...«, S. 107; Piotr Łysakowski: Współpraca Stasi i SB w latach 1950–1989. Wstęp do dyskusji nad problemem [Zusammenarbeit zwischen der Stasi und dem polnischen Sicherheitsdienst in den Jahren 1950–1989. Einführung zur Disskusion über das Thema]. In: Rocznik Polsko-Niemiecki 20 (2012), S. 127. 176  Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft, S. 23. 177  Vgl. § 6 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 19.12.1991. In: http://www.gesetze-im -internet.de/bundesrecht/stug/gesamt.pdf (letzter Zugriff: 2.7.2020).

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mente« hervor.178 Die im Zuge der historischen und juristischen Aufarbeitung verabschiedeten Rechtsnormen konnten den geheimdienstlichen Stasi-Alltag, in dem zumindest bei der IM-Arbeit kein gesteigerter Wert auf Termini und Bürokratie gelegt wurde, jedoch nur bedingt berücksichtigen. Bereits im Januar 1981, im Zuge einer Beratung mit den Vertretern der Bezirksverwaltungen (BV) des MfS, teilten die in der Zentrale für Polen zuständigen Offiziere der HA II mit, dass die »klassischen«, d. h. mit den internen Dienstvorschriften konformen Anwerbungen von Polen für eine IM-Tätigkeit nicht zulässig waren. Wenn aber eine solche Anwerbung vom Vorgesetzten in der BV genehmigt und mit der HA-II-Zentrale besprochen wurde, konnte sie problemlos durchgeführt werden. Es wurde während des Treffens außerdem darauf hingewiesen, dass das MSW nach Polen reisende DDR-Bürger immer sorgfältiger kontrollierte. Deshalb sollten die im Auftrag des DDR-Geheimdienstes tätigen IM in der VRP die gleichen Konspirationsregeln einhalten, die auch für das Operationsgebiet, also die Bundesrepublik, vorgesehen waren.179 Darüber hinaus wurde nochmals betont, dass das in der polnischen Gesellschaft weit verbreitete und sehr ausgeprägte Nationalbewusstsein dazu beitragen könnte, MfS-Anwerbungsversuche sofort dem zwar verhassten, aber doch eigenen Geheimdienst mitzuteilen. Eben diese Warnung wurde bei der Umsetzung der alltäglichen ostdeutschen IM-Arbeit außer Acht gelassen, zumal andere Befehle, etwa »Besinnung«, den Informationsgewinn um praktisch jeden Preis verlangten. Dies war  – aus heutiger Perspektive – einer der wichtigsten operativen Fehler des MfS. Die Analyse des IM-Wesens impliziert verständlicherweise eine kritische Auseinandersetzung mit den bis heute verbreiteten Spitzelzahlen. Wie bereits in der Einführung der vorliegenden Studie hervorgehoben wurde, sank die in den Medien verbreitete Zahl der in Polen tätigen MfS-Quellen kontinuierlich. Relativ konstante Berichte von 500 IM, die vor allem in den 1990er-Jahren in der Presse präsent waren, nannten im Laufe der Zeit immer kleinere Zahlen und erreichten in den letzten Publikationen einen Wert von lediglich 200 IM.180 Aber auch diese Zahl ist übertrieben. Wer waren jene 200 Quellen/Spitzel/Informanten/IM? Oder vielleicht muss man die Frage anders formulieren? In welche Kategorien ordnete das MfS diese Personen ein, unabhängig davon, welche Rolle sie dann faktisch spielten oder spielen sollten? Um die Probleme bezüglich der Zahl der IM zu verstehen, muss zunächst die Angst der SED/des MfS vor dem Ausbruch der Revolution in Polen im Jahr 1980 ein weiteres Mal hervorgehoben werden. Wozu führte diese Angst 178  Ustawa o ujawnianiu informacji o dokumentach organów bezpieczeństwa państwa z lat oraz o treści tych dokumentów. In: http://senat.uw.edu.pl/files/Aktualnosci/2012/D20070425Lj. pdf (letzter Zugriff: 2.7.2020). 179  BStU, MfS, HA II Nr. 38371, S. 59. 180  Pies króla królem psów.

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eigentlich, von den Propagandareden Mielkes und Honeckers abgesehen? Aus Sicht des MfS bedeutete sie das Ende der bisherigen Praxis, IM-Kandidaten sorgfältig und mit Bedacht auszusuchen, auszubilden und zu führen. Bis 1980 mussten die potenziellen Agenten professionell ausfindig gemacht, ausgewählt und geschult werden, alles gemäß internen Richtlinien. Die politischen Turbulenzen in Polen trugen aber dazu bei, alle vorhandenen IM-Kandidaten mit Polen-Bezug, die in Polen eingesetzt werden sollten, nun so schnell wie möglich in die VRP zu schicken oder sie zu beauftragen, Bekannte in Polen zu besuchen, Kontakte aufzunehmen usw. Irrelevant war dabei, ob jemand als IM ungeeignet war. Wenn er aus Sicht des MfS gute Verbindungen hatte und für die Stasi arbeiten wollte oder auch musste, wurden seine Aufträge genehmigt, und zwar umgehend. Dies war ein klarer Bruch der bis 1980 geltenden Verfahren. Vor 1980 suchte man inoffizielle Mitarbeiter nicht auf Grundlage überstürzter Aktenrecherchen mit vereinfachten Suchkriterien, sondern erstellte zuerst ein genaues psychologisches Portrait des gesuchten IM. Man stellte sich zu Beginn die fundamentale Frage, welche Arbeit von ihm in Polen geleistet werden müsse und welche Eigenschaften der Idealbewerber vorzuweisen habe.181 So wurden die Faktoren Alter, Geschlecht, Erfahrung in der operativen Arbeit, Nationalität (nicht zwingend Deutsch oder Polnisch), Ausbildung, Konfession, materieller Status, Parteizugehörigkeit, Sprachkenntnisse und auch Hobbys bereits im Vorfeld detailliert definiert.182 Obwohl einige Berufsgruppen, etwa Dolmetscher, grundsätzlich als Reservoir potenzieller Agenten angesehen wurden,183 galt nicht dieser Umstand, sondern die geplanten Aufgaben als Hauptkriterium für die Auswahl geeigneter Personen. Sollte aber jemand tatsächlich als potenzieller Mitarbeiter akzeptiert werden, konnten weitere zwei Jahre184 oder mehr vergehen, bis ihm ein Angebot unterbreitet bzw. ein Ultimatum gestellt wurde. Das Bewerbungsverfahren und die Anwerbung selbst waren nur die erste Etappe auf der Suche nach einem neuen IM. Darauf folgten die Schulung sowie die Einsatzvorbereitung und erst am Ende die Reise nach Polen, wo systematisch die ersten Perspektivkontakte geknüpft werden sollten. Nach der Knüpfung dieser Kontakte bis zu ihrer ersten operativen Nutzung konnte es ein weiteres Jahr dauern, in dessen Verlauf die Analyse der gesammelten Informationen bzw. der Bekanntschaften und Gesprächspartner stattfinden musste. Das erstellte Personenbild konnte ein mehrseitiges Dokument sein, in dem alle überprüfbaren Fakten aus dem Leben des IM festgehalten wurden.185 Verblieben die Sprachkenntnisse auf einem ungenügenden Niveau oder waren die gewonnenen Gesprächspartner 181  182  183  184  185 

So wurde etwa der IM »Roman« ausgewählt. BStU, MfS, AIM 400/87, Teil I/1, S. 27. Beispiel: BStU, MfS, BV Ffo, Abt. XII Nr. 34, Teil II/3, S. 616. Dort war z. B. der IMS »Hans« eingesetzt. BStU, MfS, HA II Nr. 39185, S. 105. Wie etwa bei der IM »Barbara Lubinski«; BStU, MfS, AIM 14770/89 C, Teil I/1, S. 66. Beispiel schon aus dem Jahr 1976; BStU, MfS, HA XX Nr. 13518, S. 16.

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nicht relevant oder nicht überprüfbar, konnte es schnell sein, dass der neue IM keine Aufträge mehr bekam.186 Das bereits beschriebene Auswahlverfahren war aus Stasi-Sicht zwar professionell, in den 1970er-Jahren wurde es jedoch noch von einem gewichtigen Einflussfaktor mitbestimmt. Die VRP war damals schlicht und ergreifend noch nicht so wichtig für die MfS-Führung wie etwa das Operationsgebiet, also die Bundesrepublik. In Bezug auf Polen waren die Verantwortlichen des MfS in der komfortablen Situation, eine kleine Zahl an inoffiziellen Mitarbeitern auswählen zu dürfen und sie nach allen Regeln der Kunst in den diplomatischen Vertretungen platzieren zu können. Es bestand keinerlei politischer Druck, die IM-Arbeit überstürzt zu betreiben. So konnten sich beispielsweise die IM-Treffen mit jenen DDR-Bürgern, die als Diplomaten in der VRP tätig waren, auf nur eine Zusammenkunft jährlich beschränken, und zwar in den konspirativen Wohnungen des MfS in Ostdeutschland.187 Die Informanten berichteten dabei verständlicherweise über die damalige Opposition, etwa über das KOR oder über die wachsende soziale Unzufriedenheit seit 1976.188 Doch alles, was sie sagten, hätte man ohne Probleme auch der westeuropäischen Presse entnehmen können.189 Allerdings zwang damals niemand das MfS, seine Arbeitsweise zu ändern. Wichtig war für das MfS, die polnischen konterrevolutionären Inhalte und Bewegungen zu beobachten und deren Einfluss auf die DDR zu minimieren. Solange dies gelang, solange die IM also berichten konnten, dass in Polen seitens der Opposition kein Interesse daran bestand, etwa anlässlich der Ausbürgerung Biermanns zu protestieren, war die IM-Arbeit eher bescheiden ausgeprägt und bezog sich vornehmlich auf die üblichen Instrumente, also auf das Doppelspiel von diplomatischer und inoffizieller Arbeit. Die polnische Opposition war folglich operativ interessant, aber nicht von solch kritischer Bedeutung wie etwa die Bundesrepublik. Die Entstehung der Solidarność 1980 musste die geschilderten Umstände auf eine völlig neue Grundlage stellen, auch in Bezug auf die IM-Arbeit. Anstelle der sorgfältigen Vorbereitung eigener Schritte verhielten sich die MfS-Verantwort­ lichen nicht mehr professionell und folgten den ideologiegeprägten Anweisungen der Staatsführung. Jede Hauptabteilung musste unverzüglich damit beginnen, regelmäßig zu ergänzende Verzeichnisse all jener polnischen Bürger zu erstellen,190 die die hauptamtlichen bzw. inoffiziellen Mitarbeiter in Polen aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten kennengelernt hatten. Jene Polen sollten das Hauptmilieu darstellen, aus dem das MfS vorzugsweise 186  187  188  189  S. 27. 190 

BStU, MfS, BV Ffo, Abt. XII Nr. 34, Teil III/3, S. 740. So wurde der IM »Inspektor« geführt. BStU, MfS, AIM 7598/91, Teil I/1, S. 76. BStU, MfS, HA VI Nr. 17032, S. 1. Vgl. IM »Schäfer«. Bericht aus dem Treffen im Jahr 1976; BStU, MfS, HA XX Nr. 10075, Siehe die Beispiele aus dem Jahr 1982; BStU, MfS, HA XIX Nr. 1042, S. 58.

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Informationen über die VRP gewinnen sollte. Mitunter konnte man aber pro Hauptabteilung lediglich zehn solcher polnischen Bürger aufweisen.191 Auch war nicht immer ersichtlich, wie es zur Kontaktaufnahme gekommen war oder über welches intellektuelle Niveau die potenziellen Kontaktpersonen verfügten. Die Hauptsache war, dass sie erfasst oder zumindest in der IM-Berichterstattung erwähnt wurden. Die für das Militär zuständige HA I vervollständigte ihre Berichte mit Angaben über die polnischen Ehefrauen von Berufsoffizieren der NVA sowie über deren Familien.192 Jede Bekanntschaft mit einem polnischen Bürger, ganz gleich, ob vor Jahrzehnten gemacht und seitdem nicht mehr gepflegt, wurde registriert, da sie operativ von Bedeutung sein konnte. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass zu jedem Polen, der auf den erwähnten Listen stand, ein IM entsandt werden sollte, um »rein zufälligerweise« einen solchen Kontakt aufzufrischen, bedeutete dies den Auftrag, circa 5 000 polnische Bürger aufzu­ suchen, anzusprechen usw. Der praktische, geschweige denn der operative Nutzen aus diesen Kontakten blieb ein Rätsel, das man zumindest aus geheimdienstlicher Sicht intern kritisch hätte erörtern müssen.193 Nicht nur die Relevanz der potenziellen Quellen oder die Logistik bei der Führung der IM sorgte für Probleme. Auch spiegelten die bereits erwähnten Listen nach wie vor die Hypokrisie innerhalb der bilateralen geheimdienstlichen Zusammenarbeit wider. So sind auf diesen Listen sowohl IM zu finden, die selbstständig gegen die VRP agieren sollten, als auch solche, die im Einvernehmen mit dem polnischen Innenministerium gemeinsam andere Zielpersonen bearbeiteten.194 Sollte auch nur ein IM bekanntgeben, dass er über Kontakte zu mehreren Polen verfügte,195 so ergab sich daraus eine plötzliche Welle von Besuchen, Telefonaten, Briefen usw., und zwar zu einer Zeit, in der im MSW die ersten Vorbereitungen für das Kriegsrecht anliefen. Eine solche Welle konnte dem polnischen Geheimdienst nicht verborgen bleiben. Zweifelhaft waren ebenso die Merkmale, anhand deren man die Zahl der registrierten Polen beschränken und 191  Siehe die Listen aus den Jahren 1981 und 1980, geordnet nach Hauptabteilungen; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13815, S. 1. 192  Siehe die Listen der HA I; BStU, MfS, HA I Nr. 13986, S. 44. 193  Im Februar 1981 schlug etwa das zweite Referat in der für die VRP zuständigen zehnten Abteilung der HA II vor, ausschließlich diejenigen zu IM zu machen, die einen realen Zugang zu den »antisozialistischen Kräften« in Polen hatten und die wirklich wertvolle Informationen erlangen konnten. Ebenso wurde suggeriert, bei der geplanten IM-Arbeit in der VRP polnische Bürger mit ständigem Wohnsitz in Polen nicht anzuwerben. Dies war aber nur ein Vorschlag. Das Referat selbst verfügte zudem nur über 4 hauptamtliche Mitarbeiter und war weder die OGW noch die Stasi-Leitung. Dies sowie die Lage in der VRP trugen dazu bei, weiterhin eine an der Quantität der Kontakte und Informationen orientierte IM-Arbeit zu fördern. BStU, MfS, HA II Nr. 38325, S. 3. 194  Grundsätzlich ging es dabei um die Überwachung der Kirchen. Siehe Liste der HA XX/4 aus dem Jahr 1982; BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5617, Teil II, S. 189. 195  BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5617, Teil I, S. 21.

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so die weniger ergiebigen Personen streichen wollte. Die IM sollten also darauf achten, ob ihre Quellen in der DDR oder in der UdSSR studiert bzw. sich dort länger aufgehalten hatten, prinzipiell ein positives Verhältnis zu Ostdeutschland pflegten, über Fremdsprachenkenntnisse verfügten oder bereits Karriere in der Staatsverwaltung gemacht hatten. Nur waren aber ebendiese Merkmale auch für den polnischen Geheimdienst relevant. So konnte es beispielsweise sein, dass MfS-Einheiten Angaben über sieben Personen vorlegten, die angeblich als Gesprächspartner ihrer eigenen IM fungierten. Jedoch arbeiteten alle sieben für verschiedene polnische Geheimdienste, zivile wie auch militärische.196 Worin bestanden die Bekanntschaften, die dazu führten, von einer »Gesprächspartnerschaft« zu sprechen und selbige fortzuentwickeln? Dazu zählte etwa eine einmalige, einige Jahre zurückliegende Begegnung auf einer internationalen wissenschaftlichen Konferenz. Ebenso wurden die üblichen Dienstkontakte, von denen es im Diplomatenalltag sehr viele gibt, oft als solche »Partnerschaften« definiert. Der Nutzen aus diesen Kontakten war fraglich, jedoch bestanden sie, zumal auch davon auszugehen ist, dass die Gesprächspartner jene Gespräche protokollieren konnten. Aus ideologischer Sicht waren seitens der Stasi auch die alten bilateralen Bekanntschaften ehemaliger und bereits pensionierter Geheimdienstmitarbeiter besonders begehrt. Sie wurden so eifrig und umfassend wieder­ hergestellt, dass sogar jene, bereits Jahre vor der Einführung des Kriegsrechts pensionierten polnischen Hauptamtlichen angesprochen wurden, die dem MfS vor Jahrzehnten geholfen hatten, NS-Kriegsverbrecher zu verfolgen.197 Keine Hemmungen hatte man zudem, jene ehemaligen KZ-Insassen aufzusuchen, mit denen spätere Stasi-Mitarbeiter in Lagerhaft gewesen waren. 1945 wären solche Bekanntschaften, nicht zuletzt als Schicksalsgemeinschaft, von Bedeutung gewesen. Doch 40 Jahre nach dem Krieg, bei fortgeschrittenem Alter der Betroffenen, erscheint diese IM-Arbeit gelinde gesagt als ein Ausdruck von Paranoia in der MfS-Führung, die aber immerhin ähnliche Kriegserfahrungen gemacht hatte und vielleicht deswegen diese Kontakte genehmigte.198 Die Zahl der »Kontakte«, die den bereits erwähnten Listen zu entnehmen ist, wuchs kontinuierlich, und zwar infolge des Quantitätsprinzips der MfS-Arbeit in Polen. Nach Polen entsandte IM mussten so viele Bekanntschaften wie möglich knüpfen und sie anschließend in der Zentrale registrieren lassen. Dabei war es nicht von Bedeutung, ob es sich um eher zufällige oder auch nur potenzielle Gesprächspartner handelte. Über die meisten verfügte die HV A. Sie registrierte 196  Aus verständlichen Gründen wurden hier alle Details sowie Aktenverweise entfernt. 197  BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 5617, Teil I, S. 374. 198  Bereits seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre wurden Hauptamtliche oder IM nach Polen geschickt, dabei getarnt als angebliche Kinder von KZ-Insassen und als Vertreter des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer. Ihr Ziel bestand aber nicht in der deutsch-polnischen Aussöhnung, sondern in der Beschaffung von Details über die polnische Innenpolitik. BStU, MfS, ZAIG Nr. 11585, S. 275.

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etwa 100 Personen.199 Weitere 30 registrierte die OGW in ihrer ersten Arbeitsphase, allerdings waren dies die offiziellen Arbeitskontakte im Innenministerium. Ohne Zweifel wäre diese Zahl ausreichend gewesen, um Indizien zu sammeln und auf dieser Grundlage erste Vermerke über die Lage in Polen aus parteistaatlicher Sicht zu erstellen. Aus jenen Listen war jedoch nicht ersichtlich, dass das polnische Innenministerium auf die gleiche Idee gekommen war, also den ostdeutschen Partner als Quelle zu nutzen.200 Mehr noch, die in den Stasi-Karteien erfassten Polen, einschließlich derer der HV A, waren fortgeschrittenen Alters und fast ausnahmslos PVAP-Mitglieder. So waren ihre Aussagen zumeist ideologisch eingefärbt.201 Außerdem würden sie mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit auch das Innenministerium über jene Gespräche informieren.202 Vor allem aber der mögliche Subjektivismus der Befragten sowie die sich abzeichnende Niederlage der Partei im Jahr 1980 trugen dazu bei, ab Ende desselben Jahres das Spektrum der MfS-Gesprächspartner hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft auszuweiten. So wollte man auch mit Solidarność-Vertretern sprechen, darunter mit Arbeitern, Lehrern, Handwerkern usw. Mit Polen sollte sich dann ein bestimmter Kreis von IM beschäftigen. Sie sollten entweder in der DDR wohnen und gute Kontakte zu ihrer Umgebung unterhalten oder aber regelmäßig nach Polen fahren. Daraus ergab sich schließlich eine Art Pyramidensystem, das die Komplexität der IMArbeit des MfS in der VRP am besten wiedergibt. 5.2.2 Die Kategorisierung der IM-Arbeit in Polen – das Pyramidensystem Das bereits erwähnte System umfasste maximal 100 Personen, die nicht immer die formellen Kriterien der IM-Arbeit erfüllten, so etwa die Unterzeichnung einer schriftlichen Verpflichtung, die Annahme einer Vergütung sowie die Registrierung als IM. Nur 10 bis 15 Prozent dieser Gruppe waren polnische Bürger, die aber 199  Siehe die entsprechenden Verzeichnisse: BStU, MfS, ZAIG Nr. 13602, S. 3. 200  So wurde in der Stasi eine faktisch für das MSW tätige Person registriert. BStU, MfS, ZAIG Nr. 13601, S. 21. 201  Im BStU-Archiv sind bis heute Briefe pensionierter PVAP-Mitglieder einsehbar, die sie mit ihrem Namen signiert und an die angrenzenden Bezirke der DDR und somit auch an das MfS gesandt hatten. Siehe BStU, MfS, HA II/10 Nr. 1026, S. 107. 202  Viele Umstände, die dazu geführt hatten, jenen Kontakt herzustellen, sollten für das MfS Warnsignale sein. So wurden die IM selbst angesprochen. Die polnischen Partner signalisierten dabei, dass sie durchaus wissen konnten, für wen der Ostdeutsche faktisch tätig war. Zu guter Letzt verteidigten sie anders als die erbosten pensionierten Parteimitglieder stets die Politik Jaruzelskis. In einem extremen Fall sagte bereits 1984 eines der prominentesten polnischen Parteimitglieder einem IM des MfS, dass die sowjetische Wirtschaftshilfe bald endgültig beendet würde und die Wahrung des Sozialismus in Osteuropa deswegen anders gestaltet werden müsse und man sich dementsprechend auf große politische Änderungen einstellen solle. Nur war aber jene Meinung keine, die man in der SED/im MfS hören wollte. BStU, MfS, HA XVIII Nr. 20308, S. 220.

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wiederum nur selten in Polen eingesetzt wurden. Je höher die Position innerhalb der Pyramide, desto kleiner war die Zahl wichtiger Informanten und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass selbige dem MSW bekannt waren. Mindestens die Hälfte der polnischen Bürger im Pyramidensystem hatte den aus der bilateralen Zusammenarbeit bekannten Status eines Anbieters. Angeblich wollten sie von sich aus Informationen übergeben. Insgesamt war die IM-Arbeit gegen das MSW seitens der Stasi eher bescheiden. Der niedrigsten und zahlenmäßig umfangreichsten Pyramidenebene gehörten die vom Verfasser als »ad hoc« bezeichneten IM an. Man kann sie auch Gelegenheitsspitzel nennen. Sie bildeten die Hälfte der bereits genannten »Gruppe der Hundert«203 und hatten konkrete, seit Jahren definierte Aufträge in der DDR oder in den anderen sozialistischen Staaten.204 Die politischen Turbulenzen in Polen trugen aber dazu bei, dass sie ihre alten Kontakte in der VRP wiederherstellen mussten bzw. wiederherzustellen suchten, um alle erdenklichen Informationen über Polen zu sammeln.205 Die entsprechenden Treffen mit alten polnischen Bekannten konnten selten sein, etwa ein Mal pro Quartal, ein Mal im Jahr oder noch seltener.206 So lieferten jene IM in erster Linie sehr allgemeine Berichte über die Lage in Polen und bemühten sich um neue Kontakte, die eventuell relevante operative Erkenntnisse beisteuern konnten. Sollten sie im Rahmen ihrer Tätigkeit etwa in die VRP fahren dürfen, um dort etwas Relevantes zu bewerkstelligen, wurden sie Teil der zweiten oder dritten Pyramidenebene. Sie wurden dann entweder zu »Residenten« oder »IM im besonderen Einsatz« (IMbE)207. Die Residenten, so der IM »Lis« bzw. der IM »Inspektor«, waren entweder in der DDR lebende Polen oder in Polen lebende Ostdeutsche. Bei den Residenten handelte es sich vor allem um solche Personen, die in DDR-Vertretungen in der VRP tätig waren bzw. um Gastwissenschaftler oder Mitarbeiter der in Polen tätigen ostdeutschen VEB. Ihr Auftrag bestand grundsätzlich darin, ständig und nicht nur – wie das in der ersten Gruppe der Fall war – gelegentlich Informationen zu liefern, etwa Lageberichte über eine Woiwodschaft oder einen konkreten Problemfall.208 Auch bekamen sie rein geheimdienstliche Aufträge, die sich nicht 203  Als Beispiel galt die IM »Irena«. BStU, MfS, AIM 7497/91, Teil I/1, S. 4. In der Fachsprache des MSW unterschied man zwischen den Signal- und Manöver-IM. Erstere lieferten nur Signale, also Informationen. Die Zweiten hingegen konnten Manöver durchführen, also operative Kombinationen, Spiele usw. 204  Etwa der in der Tourismusbranche tätige IMS »Joachim Dröse«: BStU, MfS, A-278/87, Teil II/1, S. 6. Oder der Journalist IMS »Bernd Senger«: BStU, MfS, HA II Nr. 38220, S. 11. 205  Beispiel: GMS »Rolf Römer«: BStU, MfS, HA II Nr. 41602, S. 61; BStU, MfS, Abt. X Nr. 2164, S. 1. 206  Beispiel: BStU, MfS, ZAIG Nr. 13818, S. 2. 207  Zu den »IM im besonderen Einsatz« siehe auch Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 56, dort mit »IME« abgekürzt. 208  V-IM Schmiegel: BStU, MfS, HA II Nr. 41603, S. 56; IMS »Frank Langus«: BStU, MfS, HA II/10 Nr. 480, Teil I, S. 159. Der Letztgenannte durfte viel verreisen, so konnte er

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auf das Sammeln von Solidarność-Flugblättern ein Mal pro Jahr beschränkten. So musste ein Informant beispielsweise Skizzen von polnischen militärischen Einrichtungen anfertigen oder jene Einrichtungen fotografieren.209 Residenten stellten circa 30 Prozent des Gesamtpotenzials im Rahmen der erwähnten Pyramide dar. Von ihnen wurden in Polen Treffen organisiert.210 Für die kleinste Gruppe, die verbliebenen 20 Prozent, waren besondere Einsätze vorgesehen, was aber nicht hieß, dass es sich bei diesen um die bestgeschulten Mitarbeiter in der Geschichte des MfS handelte. Vielmehr hatten sie einen tatsächlichen Zugang zu den aus Stasi-Sicht wichtigsten Informationen und waren darüber hinaus fähig, an schwierigen operativen Vorgängen teilzunehmen. Als solche IM galten »Dr. Schröder«, »Henryk« oder »Gerd Steinberg«. Der Letztgenannte hatte zum Beispiel den Auftrag, Kontakte mit den polnischen Hauptamtlichen zu knüpfen, die für die operative Absicherung der Posener Handelsmesse zuständig waren.211 Unter den »IMbE« waren auch reine Doppelagenten, etwa der polnische IM »Biskup« (Bischof) oder auch der IM »Meinhardt«, sowie Informationsanbieter wie die als IM-Vorlauf 212 registrierte Person mit dem Decknamen »Marek«. Wie bereits dargelegt, agierten diese vornehmlich in Bereichen, in denen die Dekonspiration oder die absichtliche Täuschung seitens des Gegners, also des »Freundes«, sehr wahrscheinlich war, vor allem wegen der hier unvermeidlichen Interessenskollisionen beider Sicherheitsdienste. Wenn die Zahl der faktischen IM etwa 100 betrug, warum war dann in den 1990er-Jahren von über 500 und mehr die Rede? Zu erklären ist dies mit einer weit gefassten Interpretation der Stasi-Bürokratie. Liest man beispielsweise die auf Polen bezogenen Berichte der Bezirksverwaltung Leipzig, verfasst unmittelbar nach der Entstehung der Solidarność im Jahr 1980, dann kommt man in der Tat auf eine Zahl von 50 bis 60 IM, die irgendetwas mit der VRP zu tun hatten. Wenn man zu dieser Zahl noch die Kontakte der Zentrale addiert und »Gesprächspartner« dieser Kontakte hinzufügt, so ergibt sich schnell eine Zahl von über 500. Jedoch handelte es sich damals um eine theoretische Darstellung. Ab 1981 mussten alle Angaben eindeutig verifiziert werden, und zwar nicht nur aufgrund von Fällen, in denen sich die Verbindung zu Polen auf eine Hochzeitsteilnahme beschränkte, im Zuge welcher der Alkoholkonsum jede vernünftige, geschweige denn eine relevante Berichterstattung ausschloss. Wichtiger waren zwei andere Fragen: auch über die oppositionellen Demonstrationen in Warschau berichten. 209  So etwas machte, auch nach Beendigung des Kriegsrechts, der IM mit dem Decknamen »Saturn«. BStU, MfS, HA II Nr. 38878, S. 10. Interessanterweise war er angewiesen, auch die sowjetischen Militäreinrichtungen in Polen zu beobachten. Er wurde aber auch verdächtigt, inoffiziell für das polnische Innenministerium tätig gewesen zu sein. 210  Beispiele für von den IM »Helmut«, »Helena« und »Martin Kaufmann« organisierte Treffen: BStU, MfS, HA II/10 Nr. 1027, S. 2. 211  BStU, MfS, AIM 8044/91, Teil II/2, S. 173. 212  Auf diese Weise wurde eine Person erfasst, die man anwerben wollte.

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die nach dem Sinn des eventuellen Einsatzes sowie nach den laufenden und nicht unwichtigeren Aufträgen, die die IM in ihren Bezirksverwaltungen auszuführen hatten. So durften zwischen Februar und Mai 1981 aus dem bereits erwähnten Kreis von 50 bis 60 Leipziger Personen nur sieben nach Polen reisen.213 Im September 1981 beschäftigten sich in Leipzig bereits zehn Ad-hoc-IM mit Polen. Jedoch musste die Hälfte von ihnen beispielsweise polnische Kultureinrichtungen in der DDR absichern, und zwar nicht nur offensiv, sondern auch defensiv. Sie mussten etwa überprüfen, ob die örtlichen ostdeutschen Dissidenten Unterlagen aus Polen erhielten und dies gegebenenfalls verhindern. Ebenso üblich waren der »Dienst« im Leseraum der polnischen Kulturzentren und das Aufschnappen von Gerüchten. Eine regelmäßige gegen Polen gerichtete Spionage konnten also nur zwei bis drei Residenten betreiben, die etwa Kontakt zu bekannten SolidarnośćAktivisten hatten. Ihre Aufträge wurden mit übertriebenem Aufwand zwischen den zuständigen Bezirksverwaltungen und der für die OGW zuständigen HA II bestimmt. Die Ad-hoc-Gruppe hingegen war die lokale Domäne des MfS. Alle dort verfassten Berichte wurden auf dem Dienstweg jedoch auch an die Berliner Zentrale weitergeleitet. Sollte aber ein Ad-hoc-IM einen interessanten Kontakt herstellen oder war seine berufliche Stellung operativ von größerer Bedeutung, dann übernahm die HA II und/oder die OGW die Agentenführung. Das galt vor allem für diejenigen, die Zugang zu den als extrem gefährlich eingestuften oppositionellen Gruppen in Polen wie etwa dem KPN hatten.214 Erst ab der zweiten Hälfte des Jahres 1981 ist bei den Vorgaben der Vorgesetzten die Einsicht in die Notwendigkeit erkennbar, die Prinzipien der IM-Auswahl zu überarbeiten. Eben jene Vorgaben trugen dazu bei, die bisherige auf Polen bezogene Agentenarbeit infrage zu stellen. Denn faktisch verfügte man nun in der Stasi,215 keine »Zufallsprinzipsauswahl« mehr zu betreiben, sondern entsprechend eines konkreten Profils nach neuen IM zu suchen – anderthalb Jahre nach Beginn der politischen Turbulenzen in Polen, und zwar zu einer Zeit, in der der MfSLeitung bekannt war, dass das MSW immer entschlossener agieren würde.216 Es wurde in jenen Befehlen darauf hingewiesen, dass die Kontakte der ausgewählten Person zu den operativ relevanten Zielgruppen nicht auf Zufall basieren durften, sondern seit Jahren bestehen und der potenzielle IM das Verhalten der Gruppe beeinflussen müsse. Welche Zielgruppen kamen dabei infrage? Vor allem Staatsfunktionäre, Dissidenten und Diplomaten. Interessanterweise standen einfache 213  BStU, MfS, HA II Nr. 38799, S. 22. 214  Es ging um den IM »Kalle Brehm«: BStU, MfS, HA II/10 Nr. 1027, S. 102. 215  BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II, Nr. 109, Teil I/1, S. 187. Die BV Potsdam berief sich bei dem hier erwähnten Anforderungsprofil für neue IM mit Arbeitsrichtung Polen auf Mielkes Anweisung vom 28.10.1980 über »Maßnahmen im Zusammenhang mit der zeitweiligen Änderung der Modalitäten im pass- und visafreien Reiseverkehr zwischen der DDR und der VR Polen« (VVS 66/80); BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5397, S. 1–12. 216  Beispiel: IM »Handwerker«; BStU, MfS, BV FFo, AIM 514/83, Teil I/1, S. 18.

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polnische Bürger, die ein positives Verhältnis zur DDR hatten, sowie Mitglieder der sogenannten uniformierten Dienste am Ende dieses Verzeichnisses. Was die erwünschten Eigenschaften anging, hatte sich nichts Wesentliches geändert. Vorausgesetzt wurden nach wie vor Intelligenz, Urteilsvermögen, die Akzeptanz von MfS und DDR-Ideologie und nicht zuletzt auch ein ausreichendes Maß an Freizeit, um Stasi-Aufträge realisieren zu können. Erwünscht, aber nicht zwingend notwendig waren hingegen eine gute Gesundheit sowie die Fähigkeit, sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden. Nun konnten also auch jene Personen als IM arbeiten, die sich in Polen eben nicht zurechtfanden. Dies musste automatisch dazu führen, das weiterhin bestehende Problem der Qualität der Agenten zu verschärfen, was einige Jahre später von der MfS-Leitung auch eingestanden wurde.217 Die Anwerbung verlief, wie bereits erwähnt, stets gemäß einem standardisierten Verfahren, das in einem Plan genehmigt werden musste. Entweder erinnerten die Hauptamtlichen den Kandidaten daran, dass er vor Jahren Kontakte zum MfS unterhalten hatte und schlugen vor, selbige fortzuentwickeln. Es war aber auch möglich, rein ideologische Argumente im Zuge des Anwerbungsgespräches stark zu machen, wenn der Kandidat etwa ein engagiertes Parteimitglied war. Am deutlichsten kam die Haltung des jeweils Angeworbenen aber nicht bei den ohnehin subjektiven Vermerken der Stasi-Offiziere zutage, sondern bei der Frage des Kandidaten, wann mit dem Ende seiner IM-Arbeit zu rechnen sei.218 Die Antwort lautete damals, dass die inoffizielle Zusammenarbeit ein Prozess sei, und sie war eine gute Zusammenfassung der MfS-Anwerbungstaktik gegenüber den eigenen Bürgern. Zugleich war sie ein weiterer Fehler der Stasi unter dem Gesichtspunkt des geheimdienstlichen Handwerks. Wenn die anzuwerbende Person in den entscheidenden Momenten ihres Berufslebens von mindestens 30 Jahren immer wieder mit Stasi-Offizieren zu tun hatte, so genügte dies, um eine gewisse Angst hinsichtlich des eigenen Fortkommens und somit eine Zusammenarbeit zu erreichen, besonders wenn dabei eine potenzielle Straffreiheit als Gegenleistung in Aussicht gestellt wurde. In diesen Fällen waren aber auch wirklich nur Angst oder Opportunismus die Gründe dafür, die IM-Rolle bewusst zu akzeptieren. Woher aber sollten die Führungsoffiziere dann wissen, dass die Aufträge im Falle einer Verpflichtung auch wirklich gewissenhaft und korrekt ausgeführt werden? Insbesondere die überwältigende Mehrheit der polnischen Kandidaten lehnte die Zusammenarbeit ungeachtet der späteren Repressalien in der DDR ab. Dabei wurden gerade sie regelrecht erpresst. Die Bürger der DDR verstanden die IM als lästigen, aber nun mal festen Bestandteil219 ihres Alltags, was den gewünschten operativen Gewinn ebenfalls nicht begünstigte. 217  Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter, S. 41. 218  BStU, MfS, AIM 12083/85, Teil I/1, S. 367. 219  Włodzimierz Nowak: Obwód głowy. Wołowiec 2007, S. 232.

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Die MfS-Akten liefern auch andere Gründe, die die Angesprochenen dazu bewogen, eine inoffizielle Zusammenarbeit zu akzeptieren und die aus der allgemeinen geheimdienstlichen Theorie bekannt sind. Am typischsten waren und in den IM-Akten am häufigsten anzutreffen sind das Streben nach Geld, die Angst vor der Macht des MfS, die Sorge um die eigene Familie und insbesondere um die Kinder, psychische Schwäche sowie die Absicht, die eigene berufliche220 bzw. kriminelle221 Tätigkeit ohne Unterbrechung fortzusetzen. Nur vereinzelt kamen Sittendelikte ins Spiel oder auch eher vage Feststellungen, dass der IM auf freiwilliger Basis arbeiten wollte. Besagte Feststellungen legen den Schluss nahe, dass die Angeworbenen zumeist aus Angst zusagten, zumal die meisten von ihnen Arbeiter waren. Ohne Zweifel war sowohl in Polen als auch in der DDR die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Anwerbung bei Personen mit Parteizugehörigkeit oder Verwandtschaft im Geheimdienst höher als in anderen Fällen. Direkte Erpressungen, etwa das Ausnutzen der Kenntnis von einer Affäre, kamen selten vor, waren aber durchaus wirksam. Wenn beispielsweise ein Liebhaber und zugleich potenzieller IM-Kandidat im Anschluss an eine intime Zusammenkunft vor der Haustür einen ihm bekannten hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter antraf, dann musste er davon ausgehen, dass dieser Mitarbeiter wusste, was sich an dieser Stelle vor wenigen Stunden abgespielt hatte. Ebenso folgerichtig war es in einer solchen Situation, davon auszugehen, dass eine Anwerbung erfolgen würde bzw. eine Steigerung des Engagements des IM einzusetzen habe. Gelegentlich konnte das MfS von einem Agenten sogar offen verlangen, aufgrund der Gefahr einer möglichen Dekonspiration ein geregeltes Privatleben zu führen. Wussten die Familienangehörigen des Betroffenen von der inoffiziellen Zusammenarbeit? Es ist unmöglich, diese Frage eindeutig und allgemein zu beantworten. Entscheidend war immer die konkrete Lage des jeweiligen IM. Es sind Fälle bekannt, in denen beispielsweise beide Eheleute zum Zwecke einer besseren Geheimhaltung angeworben wurden.222 Von Zeit zu Zeit wurde der Ehegatte dazu benutzt, unbewusst ein Gutachten über die Partnerin zu erstellen oder umgekehrt. Die Stasi brauchte solche Gutachten, um zu eruieren, ob der Ehepartner zum IM taugte. Es lassen sich aber auch Fälle nennen, in denen das bereits angeworbene Familienmitglied alles tat, um die Anwerbung eines weiteren Familienmitgliedes zu verhindern, auch unter Inkaufnahme von Repressalien. Andere Verhaltensarten waren jedoch definitiv öfter festzustellen. So wussten viele Eheleute darüber Bescheid, dass ihr Partner ein IM war, ohne darüber ein Wort 220  IM »Meinhardt«; BStU, MfS, AIM 7725/89, Teil I/1, S. 95. 221  IPN By 001/958, Bd. 3, S. 4. 222  BStU, MfS, BV Gera, Abt. XX Nr. SA 209, S. 90. Als Beispiel galten hier die IM »Christian« und »Christiane«. Als Ehepaar unterhielten sie Kontakte zu einem der SolidarnośćPressesprecher. Als Paar arbeiteten auch, und zwar als Ad-hoc-Agenten, der IMS »Joachim Dröse« mit der IMS »Vera Schulze«. BStU, MfS, AIM 12912/91, Teil I/1, S. 12. Siehe auch Jürgen Fuchs: Landschaften der Lüge. In: Der Spiegel v. 16.12.1991.

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verlieren zu müssen. Man nahm dies stillschweigend hin, und zwar, wie schon angedeutet, einfach als Element der ostdeutschen politischen Ordnung. Sehr selten und nur in deutsch-polnischen Familien versuchte der nichtangeworbene Partner dabei zu helfen, die Zusammenarbeit zu beenden. Ebenso war es möglich, dass die Stasi den Partner weitgehend in Ruhe ließ und nur gelegentlich darum bat, den Mann/die Ehefrau darüber zu informieren, dass dieser/diese die Staatssicherheit zu kontaktieren habe.223 Aus rein geheimdienstlicher Perspektive waren die Reisen eines Ehepaares nach Polen besser als die Reisen einzelner IM, wenn es sich bei diesen nicht etwa um Journalisten handelte. Deswegen wurden manche Aufträge an Agentenpaare vergeben, die eine Zielperson gemeinsam aufsuchen sollten.224 Fest steht aber auch, dass einige »Legenden« nur für Einzelpersonen vorgesehen waren. So konnten dann angeblich in der DDR verfolgte Studenten alleine nach Polen fahren und dort Kontakte knüpfen.225 Wenn der IM im Umfeld einer oppositionellen Organisation platziert werden konnte, bekam jene Organisation den Vorrang gegenüber der Bespitzelung der eigenen Mitbürger. Es genügte, Gerüchte über Solidarność-Aktivisten respektive Flyer zu sammeln. Die fleißigsten taten dies noch 1989, als diese Flyer bereits legal waren. Günstig war es, wenn der IM in der Nähe eines Dissidenten wohnte,226 auch wenn den entsprechenden Akten kaum Bemerkungen darüber zu entnehmen waren, dass eben dort auch die Beobachtungstruppen des Innenministeriums platziert wurden. Die Stasi nahm also in naiver Verkennung der Tatsachen an, dass der polnische Geheimdienst im Gegensatz zum ostdeutschen die unmittelbare Nähe der oppositionellen Wohnungen nicht überwachte. Aus operativer Sicht relevanter und leichter zu überprüfen waren die Aufträge mit dem Ziel, ganz konkrete Details über ein bestimmtes Ereignis, über Treffen oder die familiären Verhältnisse einer Zielperson zu gewinnen. Der jeweilige IM durfte allerdings nicht wissen, warum er bestimmte Informationen sammelte. Er bekam nur Hinweise, welche Fragen er wem stellen durfte und welche nicht, darüber hinaus sagte man ihm, wie er den angestrebten Kontakt am besten herstellen sollte.227 Da vor allem die polnischen Stasi-IM auch von westeuropäischen Diensten angesprochen werden konnten, wurden die Agenten dahingehend belehrt, wie man sich in einer solchen Situation zu verhalten habe, um eine eventuelle Doppelwerbung zu erreichen. Ebenso wichtig waren alle logistischen Details, etwa das Verhalten während der Grenzabfertigung, die Beantwortung der Fragen der polnischen Grenztruppen usw. Das dem IM vor Auftragsbeginn übergebene Geld wurde abschließend rigoros abgerechnet, die Ausgaben schrift223  224  225  226  227 

BStU, MfS, AIM 12083/85, S. 48. BStU, MfS, HA IX Nr. 1753, S. 51. Das war z. B. der IMB »Sebastian Eiche«; ebenda, S. 188. BStU, MfS, AIM 12877/91, Teil II/1, S. 201. Beispiel IM »Klaus Beck«: BStU, MfS, HA XIX Nr. 3606, S. 4.

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lich dokumentiert. Mindestens einmal im Jahr sollte die Zuverlässigkeit des IM überprüft werden,228 auch mithilfe anderer Agenten. Es kam zudem vor, dass andere IM in Polen Berichte über einen ihnen nicht bekannten IM schrieben, und zwar in der Überzeugung, dass sie einen ostdeutschen Dissidenten überwachten. Alle mit der Konzeption der Aufträge verbundenen Probleme und Komplikationen betrafen grundsätzlich nicht die zweite und dritte Gruppe der am Anfang vorgestellten Pyramide. Die wichtigsten IM erhielten klare, nahezu ideologiefreie Richtlinien, in einer präzisen Sprache verfasst und verknüpft mit der Erwartung, ebenso präzise Berichte zu liefern und vor dem Einsatz entsprechend professionell geschult zu werden. Diese Agenten bekamen einen sehr konkreten Auftrag, meistens sollten sie bestimmte Personen ansprechen.229 Sie sollten sich ein Bild von den Strukturen der illegalen Gruppen machen und dieses dem MfS später schildern, ferner sollten sie die Leitung dieser Gruppen kennenlernen oder konkrete Aktivisten ansprechen und ihre Hilfe anbieten. Die Polenreise eines »IMbE« verfolgte also maximal zwei Ziele. Mehr nicht. Mehr noch, das Erreichen dieser Ziele war auf Jahre angelegt.230 Mit derselben Genauigkeit wurden die Treffen mit den wichtigsten Agenten geplant, insbesondere mit jenen, die als »Residenten« galten. Mit ihnen trafen sich üblicherweise zwei Hauptamtliche. Normalerweise musste zudem der Ablauf des Treffens ausgearbeitet und genehmigt werden, und dieser bestand in aller Regel aus einzelnen Teilabschnitten. Zunächst wurde da­rüber berichtet, wie die letzten Aufträge realisiert worden waren. Danach wurden neue Aufträge erteilt. In der Zwischenzeit plante das MfS sorgfältig alle Details, so die Legende, den Zeitpunkt, den Ort, die Reisekonditionen, Konspirationsmaßnahmen usw. Rein operative Probleme standen im Mittelpunkt eines jeden Treffens. Analytische Lageberichte waren, falls die Agenten solche überhaupt erstellen mussten, erst am Ende des Treffens vorzulegen.231 Die »IMbE« hatten nie Probleme, umfassende logistische bzw. operative Unterstützung zu bekommen. Entsprechende Maßnahmen waren lediglich vom Abteilungsleiter oder seinem Vorgesetzten in der HA zu genehmigen. Es ging dabei aber um Aktionen, die eine solche Hilfe aus MfS-Sicht durchaus rechtfertigten, so beispielsweise um die Kontrolle von Transporten illegaler Literatur, die man schmuggeln wollte, oder um die Herbeiführung eines solchen Transportes aus eigener Initiative.232 In der Tat mussten dabei viele Mitarbeiter jeder Art eingesetzt werden, die jedoch nicht wissen durften, dass sie eine Operation mitvorbereiteten. Sie hatten nur Einzelaufgaben zu erledigen, also ein passendes Auto zu mieten, 228  BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 109, S. 86. 229  Siehe die Aufträge für den IMB »Josef«: BStU, MfS, AIM 12083/85, Teil I/3, S. 19. 230  Siehe die Richtlinien von 1980 für den IMB »Dieter Müller«: BStU, MfS, HA XXII Nr. 5225/1, S. 55. 231  Siehe den Entwurf des geplanten Treffens mit dem IM »Lis« in der VRP: BStU, MfS, HA II Nr. 41603. 232  BStU, MfS, AIM 12899/91, Teil II/1, S. 141.

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Übernachtungen zu buchen, Dokumente zu erstellen, Skizzen von den Gebäuden anzufertigen, die für die Operation relevant waren, bekannte Adressen zu überprüfen oder auch die notwendige fiktive und konspirative Korrespondenz zu führen und ihren Verlauf, auch im Ausland, zu überwachen. In dem Moment, da der »IMbE« die Möglichkeit bekam, innerhalb einer feindlichen Organisation, sprich der Solidarność, zu agieren, wurde er beauftragt, sein diesbezügliches Engagement233 weiterzuentwickeln. Es ging nicht immer um eine aktive Mitwirkung innerhalb der Gewerkschaft oder um Hilfestellungen. Sehr willkommen waren auch zu erbringende Opfer, etwa die eigene Festnahme. Solche Opfer waren von großer Bedeutung, um Prestige vor den anderen Aktivisten zu gewinnen, zugleich aber oft mit einer Dekonspiration vor dem Innenministerium verbunden. Die angesprochene Festnahme musste man aber trotzdem mit dem MSW absprechen.234 So war eine Karriere des »IMbE« in der Solidarność zwar erwünscht, vor allem aber in Form einer möglichst unauffälligen Leitungsfunktion. Alle Informationen, die die IM sammelten, wurden in Berichten zusammengefasst.235 Sie wurden mündlich erstattet und auf Tonband aufgenommen, mitunter ohne die Agenten darüber in Kenntnis zu setzen. Zwar erstellten die Führungsoffiziere im Vorfeld immer einen Gesprächsplan, es kam aber vor allem bei jenen IM, die die Zusammenarbeit beenden wollten, vor, dass sie während der Treffen eine Menge nicht immer relevanter Details übermittelten. Diese Informationen konnten zwar relevant sein, die Gesprächspartner hatten jedoch sehr oft den Eindruck, dass einige IM bewusst viel sagten, um nicht über das Wesentliche berichten zu müssen. Das breite Aufgabenspektrum der Ad-hoc-Gruppe erleichterte die Berichterstattung ebenfalls nicht. So musste ein Vertreter dieser Gruppe beispielsweise sowohl über seine polnischen Arbeitskollegen berichten als auch – was völlig sinnlos war – innerhalb seines Wohnortes die Rezeption von Honecker-Reden oder einer kürzlich durchgeführten Tagung der KPdSU analysieren.236 Sinn hatten nur die einfachsten Aufgaben, etwa Denunziation, etwa wenn ein Ausländer den IM über die Lage in Polen bzw. in der DDR befragte, was die sofortige Eröffnung eines operativen Verfahrens gegen den Fragenden bedeutete. Außerdem mussten die Agenten – auf unterschiedlichem intellektuellem Niveau – Profile jener Personen verfassen, die aus Stasi-Sicht relevant waren. Auch hier bewegten sich diese Profile zwischen einer extrem parteipolitischen Sprache und der Tendenz, den Beschriebenen nicht belasten zu wollen – oder eben doch. 233  Ebenda, S. 5. Hier war vor allem der IM »Detlef Schröder« gemeint, der sich in einer Solidarność-Gruppe an seiner Arbeitsstelle engagierte. 234  BStU, MfS, AIM 12899/91, Teil II/1, S. 88. 235  Siehe die Berichte des IM »Jürgen Kühne«; BStU, MfS, AIM XV/2006/78, Teil II/2, S. 4. 236  Siehe die Aufträge für IM »Bonzo«: BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 109, Teil II/2, S. 11.

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Nicht immer waren die dem MfS übermittelten Fakten harmloser Natur. Wenn etwa ein IM beabsichtigte, seine Familie in Polen zu besuchen, konnte die Stasi heimlich die ganze diesbezügliche Korrespondenz überwachen, in der auch private Details erörtert wurden, die gegen viele Personen eingesetzt werden konnten. Einige polnische und ostdeutsche IM wurden vom MfS damit beauftragt, die Kennzeichen der diplomatischen Fahrzeuge zu vermerken, die in der Nähe der polnischen Botschaft in Ostberlin parkten.237 Dies genügte, um dann in Polen nach polnischen Gesetzen wegen Spionage gegen die VRP angeklagt zu werden. Die Notizen238 der Informanten über ihre Polenreisen umfassten nicht nur politische Stellungnahmen, die die Bekannten der IM unbewusst abgegeben hatten, sondern auch konkrete Fakten aus dem Leben der Gesprächspartner, wer von ihnen etwa »Radio Free Europe« hörte. Dieses »Delikt« wurde in der VRP zwar nicht sonderlich geahndet. Der Bezug oder gar das Drucken illegaler Presseerzeugnisse hingegen schon, zumal die IM stets die korrekten Personalien der »Täter« notierten. Das waren wichtige Daten für die operative Arbeit, und zwar nicht nur für das MfS, sondern auch für das MSW. Von Bedeutung waren auch die wenngleich subjektiven, aber dennoch relevanten Bewertungen239 insbesondere von Solidarność-Mitgliedern bezüglich der Verfolgung von Oppositionellen in Polen, der Versorgungslage, des Ausganges von Streiks, aber auch zur Lage innerhalb der PVAP. Die für die Stasi tätigen Journalisten legten eine Bilddokumentation der Demonstrationen in der VRP an, lichteten bedeutende Veranstaltungen ab, so etwa Treffen mit Wałęsa.240 Es gelang ihnen auch, Stenogramme der Gremiensitzungen der Solidarność zu gewinnen. Gesondert sollten jene Hinweise behandelt werden, die dazu führen konnten, das Leben einzelner Oppositioneller akut zu gefährden. Dabei ging es nicht nur um die Solidarność, sondern auch um Fluchtvorhaben aus der DDR. Alleine die Fluchtabsicht reichte in der DDR aus, um den Betroffenen zu verfolgen. Die entsprechende Information konnte beispielsweise ein IM, der im grenzüberschreitenden Verkehr agierte, von der eigenen Schwiegermutter bekommen. Als Folge wurde nicht nur sie, sondern auch der potenzielle Flüchtling operativ kontrolliert. In dem Fall mussten dem IM die Folgen seiner Mitteilungen klar sein, etwa, wenn er auch über illegale Geldquellen oder Affären Dritter berichtete241 oder wenn er die eigenen Geschwister ausspionierte.242 Nicht immer wurden diese Informationen erst aufgrund einer Erpressung preisgegeben. Gelegentlich bekam sie der ostdeutsche Geheimdienst, weil der Postbote für ihn als IM tätig war. Es sind aber auch Fälle dokumentiert, in 237  BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 109, Teil I/1/1, S. 69. 238  Vgl. IM »Christian« und IM »Christiane«. Zusammenfassender Bericht zu unserem Aufenthalt in der VR Polen, [26.3.1981]; BStU, MfS, HA XX/ZMA Nr. 1396 I, S. 173. 239  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 196, S. 26. 240  BStU, MfS, AIM 12083/85, Teil I/1, S. 348. 241  BStU, MfS, AIM 14770/89, Teil II/2, S. 186. 242  Siehe die Akten von IMS »Peters«: BStU, MfS, HA II/10 Nr. 482, S. 14.

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denen sich der Agent trotz seiner Zusage, als IM tätig zu sein, weigerte, bestimmte Informationen zu liefern. Das waren DDR-Bürger, die über dienstliche Kontakte in der VRP verfügten und ihren Führungsoffizieren offen sagten, dass sie nicht gegen ihre polnischen Bekannten agieren und über sie berichten würden, und zwar auch unmittelbar vor der Einführung des Kriegsrechts.243 Gegenteilige Fälle sind allerdings auch bekannt.244 Besonders wertvoll für das MfS und besonders gefährlich für die Betroffenen waren jene Erkenntnisse, die die eigenen Agenten in den polnischen ausländischen Oppositions-Milieus sammeln konnten.245 Dabei ging es nicht darum, etwa heimlich große Dokumentationen zu kopieren. Es genügte, die Autokennzeichen einer Zielperson zu notieren, die eine illegale Zeitschrift mitherausgab.246 Schon diese »Kleinigkeit« war von großem Wert für die geheimdienstliche Beobachtung und spätere Infiltrierung der entsprechenden Redaktion. Nicht nur solche »Kleinigkeiten« wurden an das MfS weitergeleitet, sondern auch Kontaktadressen,247 geplante Schmuggelmethoden illegaler Materialien oder die Nummern ausländischer Bankkonten, auf denen das Geld der Opposition deponiert wurde. Die Agenten waren darüber hinaus in der Lage, Angaben über Berufsschmuggler zu erlangen. Das waren Personen, die gegen eine entsprechende Vergütung Waren nach Polen schmuggelten – und zwar ohne danach zu fragen, was sie da transportierten. Ferner lieferten die IM Einzelheiten über Schlaf- und Unterkunftsmöglichkeiten von ins Ausland reisenden Solidarność-Funktionären und darüber, wie diese aussahen, wie sie ihren Unterhalt bestritten oder auch wie sie Grenzkontrollen vermeiden wollten.248 Diese Kenntnisse waren für jeden Geheimdienst von größtem Wert, ebenso wie die Möglichkeit, die Fragen zu formulieren, die Wałęsa dann von den DDR-Journalisten gestellt wurden. Die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme beschränkten sich bei den wichtigsten Agenten verständlicherweise nicht auf seltene Treffen. Sie nutzten die gleichen Instrumente wie die in Westeuropa aktiven IM. Dazu gehörten die im Kapitel 3 erwähnten toten Briefkästen.249 Die IM in der VRP wurden dahin­ gehend geschult, feindliche Beobachtung abwehrmäßig zu erkennen und selbiger auszuweichen. Grundsätzlich vermied man auch persönliche Treffen an Orten, die in irgendeiner Weise mit den DDR-Vertretungen in Verbindung gebracht 243  BStU, MfS, AIM 7497/91, Teil II/1, S. 11. 244  So machte es der Agent des MSW, Deckname »Janik«, der für die polnische Auslandsaufklärung tätig war. IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 92. 245  Dort war etwa der IMB »Meinhardt« aktiv. BStU, MfS, AIM 7725/89, Teil II/2, S. 34. 246  Darüber berichtete z. B. IM »Dr. Schröder«; BStU, MfS, AIM 12899/91, Teil II/1, S. 115. 247  Gewonnen in Stettin durch den IM »Richard«; BStU, MfS, BV Erfurt, Abt. II Nr. 1677, S. 5. 248  Darüber informierte der IMS »Wladyslaw«; BStU, MfS, BV Ffo, KD Fürstenwalde, V 107/81, Teil II/1, S. 38. 249  BStU, MfS, AIM 12899/91, Teil II/1, S. 11.

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werden konnten. Es galten während der Einsätze auch die gleichen Prinzipien, die der Arbeit der Aufklärer zugrunde lagen. So ging es etwa darum, eine Situation herbeizuführen, in der die Zielperson, beispielsweise ein Oppositioneller, von sich aus Kontakt zum Stasi-Agenten aufnehmen wollte.250 Wie war es möglich, dass es den ostdeutschen Agenten gelang, Informationen in Polen zu gewinnen? In den meisten Fällen aufgrund des Vertrauens und der Gutgläubigkeit ihrer polnischen Gesprächspartner. Wie konnte es auch anders sein, wenn viele IM ihre »Kontakte« bereits seit Jahrzehnten kannten? Insbesondere jene Polen, deren politische Haltung auf SED-Linie war, äußerten sich bis 1989 sehr oft pejorativ über damalige hochrangige Parteimitglieder.251 Ein Teil dieser Gesprächspartner wurde nach der Öffnung der Stasi-Archive infolge der Friedlichen Revolution bekannt, was in Polen eine Debatte auslöste, ob die dem MfS übergebenen Informationen relevant gewesen waren.252 Verständlicherweise wiesen die Betroffenen die Vorwürfe zurück, bewusst als Stasi-Quellen gearbeitet zu haben. In der Tat gehörten sie im Machtgefüge zu denjenigen, die faktisch keinen Zugang zu den Entscheidungszentren hatten, die für die DDR von besonderem Interesse waren. Zudem galt die PVAP für das MSW seit Langem nicht mehr als vertrauenswürdig, was etwa die Geheimhaltung anging. Die IM-Einsätze waren nicht immer erfolgreich. Wie oben erwähnt, weigerten sich vor allem die polnischen Bürger in der DDR, trotz der möglichen Konsequenzen, als IM tätig zu werden. Wie sahen also die typischen Umstände aus, unter denen das Angebot der Stasi abgelehnt wurde? Den Anfang machte die übliche Durchleuchtung des IM-Kandidaten, vor allem die Überprüfung seiner Reisen in die Bundesrepublik, seiner karitativen Tätigkeit zugunsten der VRP oder seiner kriminellen Aktivitäten, die nichts mit Politik zu tun hatten. »Durchleuchtung« bedeutete in diesen Fällen die Eröffnung einer OPK253 und/oder den Auftrag an einen IM, der im Umfeld des Kandidaten arbeitete, Informationen über den »Durchleuchteten« bzw. ihn belastendes Material zu sammeln. Wurden die Kenntnisse über den Kandidaten als ausreichend eingestuft, so führte man mit ihm ein direktes Gespräch. Nun wollte aber in manchen Fällen der avisierte IM keine Stellung zum Angebot des MfS beziehen. Er bat um Bedenkzeit und erschien nicht zu Verabredungen,254 was die Geduld des MfS jedoch nicht 250  So arbeitete der IMS »Ingo«, der in Posen an einer Hochschule tätig war. BStU, MfS, BV Berlin, AIM 3357/81, Teil II/1, S. 26. 251  So sprach z. B. der IM »Anton« mit seinem ehemaligen Kommilitonen, der inzwischen in der VRP ein ZK-Mitglied geworden war. BStU, MfS, HA XVIII Nr. 16220, S. 102. 252  Uszy Honeckera. Wie umstritten dabei jene dem MfS übergebenen Informationen waren, zeigten die Akten des IM »Jürgen Kühne«. Seine Bekannten – polnische Studenten – behaupteten etwa, dass Wałęsa den Nobelpreis 1983 absichtlich nicht persönlich abholen wollte. Doch waren dies nur Gerüchte, die ohne das MSW kaum verifizierbar waren. BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 519, S. 17. 253  Beispiel: BStU, MfS, AOPK 2112/86, S. 6. 254  BStU, MfS, BV Cottbus, AP 738/88, S. 6.

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schmälerte. Ganz im Gegenteil, das ambivalente Verhalten des Kandidaten führte lediglich dazu, dass ihm plötzlich die von ihm beantragten Dokumente von den zuständigen Ämtern verweigert wurden oder dass Grenzkontrollen in seinem Fall gründlicher als üblich ausfielen. Die hauptamtlichen Mitarbeiter stellten andererseits in Aussicht, dass sich dem Kandidaten größere kriminelle Möglichkeiten eröffnen würden, wenn er einer Tätigkeit als IM zustimmte. Der Kandidat ging entweder nach wie vor nicht darauf ein oder informierte unmittelbar nach dem ersten Anwerbungsversuch der Stasi die polnische diplomatische Vertretung,255 mit anderen Worten die Außenstelle der polnischen Auslandsaufklärung. Dank dieser Meldungen bekam das MSW einen interessanten Überblick über die Arbeitsmethoden des MfS. Gemäß den Aussagen der Kandidaten, entnommen den polnischen Akten, sprachen die Stasi-Offiziere fließend Polnisch, wussten außerordentlich gut über den Betroffenen Bescheid und waren darüber hinaus, so die Vermerke des MSW, geradezu unverschämt, indem sie behaupteten, dass diese Treffen vor dem polnischen Geheimdienst nicht geheim gehalten werden müssten.256 Zu dem hier zitierten Fall sind in den ostdeutschen Akten jedoch keine Informationen aufzufinden. Sehr wohl vorhanden sind hingegen die wiederholten Absagen der Kandidaten, die entsprechenden Mitteilungen an die polnischen Behörden, die schnelle und intendierte Verbreitung der Informationen über den Anwerbungsversuch durch den Betroffenen, so etwa an seiner Arbeitsstelle, sowie die dokumentierte Standhaftigkeit des Kandidaten, der trotz zu erwartender und auch einsetzender Repressalien die Zusammenarbeit verweigerte. In der Tat setzten sich die hartnäckigsten Verweigerer durch und die Stasi gab es auf, sie anzusprechen. Wie ist die letztgenannte Situation zu erklären? Es kann durchaus sein, dass die polnischen Dienste der Stasi-Zentrale eine Art Beschwerde zukommen ließen. Viele polnische Kandidaten, die sich an die Botschaft der VRP gewandt hatten und die aus Sicht der Stasi nur in Westeuropa einzusetzen wären, wurden deswegen nicht angeworben, weil die Berliner Zentrale dies schriftlich untersagte.257 Ferner ist die bereits zitierte Behauptung, dass die Kandidaten den polnischen Geheimdienst über das Interesse seitens der Stasi informieren durften, sehr zweifelhaft. Man hätte in den ostdeutschen Akten diesbezügliche Spuren finden müssen. Das Anwerbungsgespräch mit den Kandidaten führte ein hauptamt­ licher MfS-Mitarbeiter nie allein. Er war immer in Begleitung, und so müssten auch verschiedene Berichte über diese untypische Behauptung auffindbar sein, etwa im Gesprächsplan. Darüber hinaus vermerkte das MSW auch Fälle, in denen die Kandidaten das Angebot, ein Stasi-Spitzel zu werden, ablehnten und 255  IPN BU 01304/707. 256  Bericht der polnischen Aufklärung über ostdeutsche Anwerbungen von Polen aus dem Jahr 1987: IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 79. 257  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14797, S. 110.

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damit drohten, die polnischen Behörden darüber zu informieren,258 worauf sich die Hauptamtlichen entschuldigten [sic!] und darum baten, davon Abstand zu nehmen.259 Was aber passierte in dem Moment, da ein Stasi-Offizier, etwa ein OGWMitarbeiter, dem Kandidaten drohte oder behauptete, dass er es ohnehin erfahren würde, falls jener Kandidat den polnischen Geheimdienst um Hilfe bitten würde? In solchen Fällen erreichte die Meldung des Erpressten nicht nur die polnische Aufklärung, sondern auch die Spionageabwehr. Eine Folge war die operative Überwachung der Treffen des Polen mit dem Hauptamtlichen der Stasi oder die direkte Kontrolle des OGW-Mitarbeiters, der den polnischen Staatsbürger erpresste. Die Gespräche des Hauptamtlichen wurden notfalls aufgezeichnet, was erst mit dem Ablauf seines Einsatzes in der VRP bzw. bei einer Entschuldigung seitens des MfS endete, die auf Ressortebene übermittelt wurde.260 Eine etwas groteske, aber doch mögliche Lösung waren Anzeigen polnischer Bürger, die sie im Innenministerium erstatteten. Angezeigt wurde – das MfS. Die Anzeige­ erstatter teilten den polnischen Diensten dadurch mit, dass sie die inoffizielle Zusammenarbeit abgelehnt hatten und infolgedessen aus der DDR ausgewiesen worden waren.261 Es konnte aber sein, dass jene Polen auch als Kontaktpersonen der Stasi registriert waren, die dem MSW zugleich über ihre Mitbürger, zum Beispiel Zeitarbeiter, berichteten, die wiederum, wie sich später herausstellen sollte, zu Recht beschuldigt wurden, als Stasi-Informanten tätig gewesen zu sein.262 Was konnte das Innenministerium mit einer Anzeige gegen den »befreundeten« Dienst anfangen? Einerseits nicht viel. Andererseits konnte man die nur in Polen zugänglichen administrativen Instrumente mit Erfolg gegen die Stasi anwenden. So konnte man etwa dem der MfS-Mitarbeit verdächtigten Bürger die Arbeits­ erlaubnis für die DDR entziehen, und zwar aufgrund von fiktiven Verbrechen in Polen. Zunächst aber wurde die Loyalität des Betroffenen auf die Probe gestellt und erst dann traf man eine Entscheidung darüber, welche weiteren Varianten des »kleinen« IM-Kampfes gegeneinander anzuwenden seien.263 Die Verweigerer einer Zusammenarbeit waren aus Stasi-Sicht nicht sonderlich gefährlich, sie wollten einfach keine Kontakte zum MfS unterhalten. Polnische Gesprächspartner, die man verdächtigte, im MSW-Auftrag ein Doppelspiel zu betreiben, konnten hingegen gefährlich werden. Wer waren diese Personen und 258  Was sowieso passierte. 259  Siehe die entsprechende operative Meldung aus dem Jahr 1983: IPN BU 01228/305/3, S. 13. 260  So wurde zumindest seitens des MSW gehandelt, nachdem die Kontaktperson, Deckname »Sylwia«, über eine versuchte Anwerbung durch einen »DDR-Diplomaten« informierte. IPN BU 01228/3005, S. 56. 261  IPN BU 01228/3005/J MF 56090/2. 262  BStU, MfS, BV Ffo, AIM 514/83, Teil I, S. 11. 263  IPN By 001/958, Bd. 2, S. 17.

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wie verhielten sie sich? Zuerst sollte darauf hingewiesen werden, dass besagte Gesprächspartner allen Anforderungen entsprachen, die ein treuer Kommunist aus Sicht der SED vorweisen musste. Dazu zählten eine langjährige Mitgliedschaft in der PVAP, sehr gute Kontakte zu Regierungsinstitutionen in der DDR oder auch Aktivitäten in parteikonformen Organisationen und Verbänden. Auch enge Kontakte in der Bundesrepublik waren zulässig, allerdings nur als Vertreter einer Einrichtung, die grundsätzlich einen geheimdienstlichen Nebencharakter haben konnte, wie etwa eine Presseagentur. Zu guter Letzt wiesen alle Gesprächspartner dieser Art bestimmte Wesensmerkmale auf, die auch bei anderen Personen, die verdächtigt wurden, »für die Polen« zu arbeiten, anzutreffen waren. Auch berichteten viele IM von diesen Merkmalen. Dazu zählte beispielsweise die Fähigkeit, die eigene politische Meinung blitzschnell zu ändern, aber auch die von ihnen gestellten Fragen, etwa über die innerdeutschen Beziehungen, waren charakteristisch. Als sehr verdächtig galten die Kritik an der DDR sowie Angebote, den ostdeutschen Gesprächspartnern Bücher oder Zeitschriften zu überbringen, die in der DDR verboten waren.264 Zwar führte dies zu einer spürbaren und vom MfS angeordneten Vorsicht bei diesen Kontakten, jedoch wurden sie fortgeführt, da die polnischen Partner über erstaunlich genaue Informationen zur Solidarność oder der Opposition im Allgemeinen verfügten. Andererseits dominierte bei diesen Informationen, insbesondere vor 1981, die Auffassung, dass Jaruzelski immerzu einen Ausweg aus der Krise suche, die PVAP stets opportunistisch sei und die Solidarność immer radikaler würde, auch wenn sich Gewerkschaftsführer Wałęsa trotz allem zu einem mäßigenden Faktor entwickle. Das war aber auch das Leitmotiv der offiziellen Propaganda. Außerdem waren die oppositionellen Schriften, die der Gesprächspartner besorgen konnte, zwar definitiv illegal, aber auf keinen Fall geheim und konnten im Grunde genommen ohne besondere IM-Arbeit gewonnen werden. Das waren etwa Aufrufe über »Radio Solidarność«, Flyer oder oppositionelle Zeitungen. Das Innenministerium hatte also auf diesem Wege und durch jene Gespräche die Möglichkeit, der DDR-Seite Standpunkte zu übermitteln, die aus eigener Perspektive günstig waren, beispielsweise über das Kriegsrecht, die anschließende Machtkonsolidierung nach 1982, die gefährliche soziale Unzufriedenheit sowie über zunehmende wirtschaftliche Probleme, die ein Grund dafür wären, dass man die Gespräche am Runden Tisch akzeptieren müsse. Die bereits erwähnten Begegnungen waren nie konspirativ, erfolgten über Jahrzehnte, und zwar ungeachtet der Veränderungen im Berufsleben der polnischen Partner. Bemerkenswerterweise erhielten selbige in der internen StasiBürokratie keinen Decknamen. Das MfS wollte sie auch nicht als vollwertige Quellen, also als IM, registrieren. Die – wenn man so will – »diplomatischen« Gesprächspartner unterschieden sich verständlicherweise von denen, die als »Anbieter« bezeichnet werden konnten. 264  BStU, MfS, HA II Nr. 38831, S. 2.

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Fälle dieser Art entsprachen jedoch nicht jenen, die man aus Westeuropa kannte, wo der Anbieter geheime Dokumente mitbrachte und sie an einen Geheimdienst zu verkaufen suchte. Erstens waren dies im ostdeutsch-volkspolnischen Verhältnis nur Einzelfälle, maximal drei bis fünf Personen, die wussten, dass sie sich an das MfS wandten. Es handelte sich bei diesen um Partei- oder MSW-Funktionäre, die laut Stasi-Akten aus Enttäuschung handelten. Enttäuscht waren sie nach eigener Aussage von der mangelhaften marxistischen Haltung Jaruzelskis. Auch fühlten sie sich gedemütigt, ungerecht behandelt oder zu Unrecht bei Beförderungen übergangen, etwa im Innenministerium.265 Immer betonten sie auch, dass die DDR für die VRP ein Vorbild sein müsse. Sie boten weder Dokumente an, noch verlangten sie Geld. Sie waren aber bereit, über Polen zu sprechen, und das MfS erwiderte diese Gesprächsbereitschaft. Also wurden eine regelmäßige Kontaktaufnahme und konkrete Termine festgelegt. Aber selbst dann wurde der betreffende Anbieter nicht als IM oder Kontaktperson, sondern als »operatives Ausgangsmaterial« erfasst.266 Dies konnte, musste aber nicht zwangsläufig eine spätere Anwerbung bedeuten. Warum? Es ist anzunehmen, dass die Glaubwürdigkeit der Anbieter nicht bedingungslos gegeben war. Ebenso kritisch betrachtete auch das Innenministerium fremde Anbieter und lehnte deren Dienste grundsätzlich ab. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters konnte es sein, dass einige von ihnen tatsächlich aus rein ideologischen Gründen mit der Stasi sprechen wollten.267 Diese Gespräche waren aber nicht vertraulich. Sie fanden in Polen statt. Hinzu kamen andere Bedenken. So legten die Anbieter etwa umfangreiche Kenntnisse darüber an den Tag, wer in dem Milieu, in dem der Anbieter und der OGW-Mitarbeiter verkehrten, tatsächlich für die Stasi arbeitete. Pensionierte, seit Jahren nicht mehr aktive Geheimdienstler konnten, durften jene Details aber nicht kennen. Ein Anbieter soll außerdem mit seiner Institution nicht klargekommen sein. So zeigten die aus Westeuropa bekannten Fälle dieser Art, dass Anbieter in der Tat ihre psychischen Probleme durch (Geheimnis-)Verrat zu bewältigen suchten, sich rächen wollten, große Summen Geld brauchten und schließlich etwas Interessantes anzubieten hatten.268 Die polnischen Anbieter hingegen wollten zwar etwas mitteilen, aber darüber hinaus auch Informationen austauschen oder die Politik der eigenen Regierung rechtfertigen. Das MfS traf sich also mit ihnen, weil es 265  BStU, MfS, HA II/10 Nr. 482, S. 3. 266  Fall vom 1.8.1984; BStU, MfS, OAM »Dozent«, Reg.-Nr. VII 481/81. Den Anbieter wollte man jedoch 2 Jahre später anwerben. 267  Vgl. die polnischen Personalakten des polnischen Anbieters: IPN BU 003175/268. In den ostdeutschen Akten sind zudem Hinweise zu finden, dass einige VRP-Bürger Operationen gegen die Solidarność in der DDR durchführten (BStU, MfS, HA II/10 Nr. 223, Teil II, S. 266). Die Täter arbeiteten in der Tat für das MSW, aber gleichzeitig auch gegen die DDR. Deswegen bleibt die Frage nach wie vor berechtigt und leider unbeantwortet, ob jene Aktionen gegen die Solidarność eine Art Tarnung waren, um die anderen Aufträge der polnischen IM nicht zu gefährden. 268  Koch: Enttarnt, S. 346.

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alle möglichen Informationen gewinnen wollte. Statt aber über den Anbieter eine IM-Akte zu erhalten, wurde er zu einer Zielperson im Rahmen der OPK.269 Registrierungen von Anbietern als IM kamen zwar vor,270 sie waren aber überaus untypisch. Weder Verpflichtungserklärungen noch Quittungen für empfangenes Geld sind erhalten. Was den Akten beiliegt, nämlich Rechnungen für Geschenke wie Kaffee oder Pralinen, war typisch für Protokollausgaben, aber untypisch und recht bescheiden für einen IM. 5.2.3 Polnische DDR-bezogene IM-Arbeit Wenn man weiß, wie die IM-Arbeit des MfS aussah, ist die analoge Fragestellung berechtigt, wie das polnische Innenministerium die eigenen IM in der DDR aussuchte. Die wichtigste Methode ist bereits angedeutet worden. Viele Polen in der DDR mussten konsularische Vertretungen aufsuchen, um ihre Pässe zu verlängern, Geburtsurkunden für neugeborene Kinder zu beantragen usw. Das war eine Gelegenheit, vom polnischen Geheimdienst in Augenschein genommen zu werden. Die »Konsularbeamten« konnten ein formloses Gespräch aufnehmen, Hilfe anbieten und verbanden dies mit der Einladung, öfter vorbeizukommen. Sollte ein Stasi-IM eine solche Einladung bekommen, informierte er seine Führungsoffiziere darüber, und in der Regel bekam er die Erlaubnis, die Bekanntschaft mit dem Konsularbeamten auszubauen. Zur gleichen Zeit wurde jener Beamte aber operativ vom MfS bearbeitet, so wie es dem ganzen Konsulat ohnehin erging. Jede Begegnung mit dem betreffenden Konsularbeamten wurde protokolliert und dem MfS diesbezüglich Bericht erstattet.271 Ebenso verhielt sich aber auch die polnische Aufklärung. Es wurden die Vergangenheit der ins Konsulat eingeladenen Person, aber auch deren gegenwärtigen Verhältnisse abwehrmäßig überprüft. Rückschlüsse darauf, ob der Eingeladene für das MfS arbeitete oder nicht, konnten etwa aus der Kontrolle seiner Person an der Grenze gezogen werden. Sollte er nicht auf die übliche Weise durchsucht oder gedemütigt werden, konnte es sich bei ihm um einen Stasi-Spitzel handeln. Außerdem übernahm das MSW – und zwar zu Recht – die in der VRP übliche Denkweise. So war es beinahe unmöglich, dass etwa ein Ausländer an einer staatlichen Hochschuleinrichtung in Polen Karriere machte, ohne dass dies vom Geheimdienst zumindest geduldet wurde. Folglich nahm man an, dass das gleiche Prinzip für die in der DDR lebenden Polen galt, ganz abgesehen davon, dass die Stasi sowieso versuchte, die meisten Bereiche des öffentlichen Lebens in der DDR zu kontrollieren. Dies erhöhte auch die Wahrscheinlichkeit, dass polnische Bürger im Fokus der zuständigen MfS-Einheiten 269  BStU, MfS, HA II Nr. 41603, S. 27. 270  IM »Marek«; BStU, MfS, AIM 7595/91, Teil I/1, S. 10. 271  BStU, MfS, BV Gera, AIM X 355/81, Teil II/1, S. 149.

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standen. Besonders vorsichtig wurden deswegen offizielle Anfragen des MfS behandelt, konkrete polnische Bürger zu überprüfen.272 Sollte das MSW der Meinung sein, dass der polnische Staatsbürger als MfSInformant tätig war, so bedeutete dies keineswegs, dass man automatisch davon absah, ihn anzuwerben oder zu überwerben.273 Die Kontakte wurden fortgeführt, um den Betroffenen bei passender Gelegenheit darum zu bitten, einen kleinen Aufsatz oder eine Notiz anzufertigen. Jene Bitte hatte grundsätzlich einen nachrichtendienstlichen Charakter.274 Auch wenn man offen sagte, dass der Text mit einem Decknamen unterschrieben werden sollte, wurde in dem Gespräch mit keinem Wort erwähnt, dass es sich hier um Arbeit für die Aufklärung oder für das MSW handelte. Trotzdem fragten die polnischen »Konsularbeamten« offen, welche Gegenleistung bzw. Vergütung von dem Gesprächspartner erwartet wurde. Auch wurden die Methoden und Wege der Kommunikation vereinbart. Die Beamten machten dabei aber deutlich, dass jene Bitten um das Abfassen eines Berichtes eine Kontrollfunktion hatten, also an die Gesprächspartner gerichtet wurden, um überprüfen zu können, ob der potenzielle polnische IM nicht doch für das MfS tätig war. Der bereits erwähnte Text sollte beispielsweise an einem öffentlichen Ort in der DDR an den »Konsularbeamten« übergeben werden, an dem eine operative Beobachtung möglich war. Nur war dies noch nicht der entscheidende Beleg dafür, vor allem auch nicht für die Stasi, dass die polnischen Dienste eine Überwerbung planten. Entscheidend hingegen war die Information, dass der »Konsularbeamte«, der den Kontakt mit dem Stasi-IM aufgenommen hatte, ersetzt würde und ein Kollege »die Gespräche« fortsetzen wollte. Jener Kollege war dem MfS aber als hauptamtlicher MSW-Mitarbeiter bekannt.275 Die ostdeutschen Geheimdienstmitarbeiter fragten unter Umständen die polnische Residentur auch offen, ob der konkrete VRP-Bürger in der DDR Aufträge für das MSW auszuführen hatte. Das war nahezu die gleiche Situation, die in Polen im Fall des IM »Henryk« vorlag. – Mit dem Unterschied, dass die Stasi in diesem Fall zugeben musste, dass »Henryk« für das MfS arbeitete. Die Polen hingegen leugneten die inoffizielle Mitarbeit immer. So wurde zum Beispiel im Januar 1980 offiziell bei der polnischen Residentur angefragt, ob ein konkreter polnischer Bürger ein MSW-Agent war. Die Stasi wollte ihn anwerben, doch dieser lehnte ab und wies darauf hin, dass er auch wegen seiner IM-Tätigkeit für den 272  IPN Po 0031/45, Bd. 1, S. 77. 273  Es ging dabei nicht nur um die Stasi, sondern um alle in der DDR tätigen westlichen Geheimdienste. IPN BU 0449/22, Bd. 8, S. 341. 274  Die Themen jener Aufsätze entsprachen in hohem Maße den Interessenschwerpunkten der polnischen Aufklärung in der DDR der 1980er-Jahre. Es ging um die Meinungen der DDRBürger über Polen, um Hinweise auf soziale Unzufriedenheit, die politische Lage in der DDR, ökonomische Probleme des Landes bzw. um Indizien, die auf eine mögliche Destabilisierung Ostdeutschlands hinweisen konnten. 275  BStU, MfS, BV Gera, AIM X 335/81, Teil II/1, S. 200 f. u. 204–206.

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VRP-Geheimdienst von den Beamten der polnischen Botschaft erpresst wurde. Der Betroffene war der polnischen Seite offiziell »nicht bekannt«.276 Die Stasi teilte diese Auffassung jedoch nicht. Fest steht, dass der Betroffene für operative Zwecke bereits verloren war. Aus technischer Sicht waren die polnischen und die ostdeutschen Verfahren der Anwerbung bzw. der Aufdeckung fremder IM-Arbeit fast identisch. Es sind bereits die Systemmethoden erwähnt worden, wie etwa die Überwachung bei der Grenzabfertigung oder die Denunziation durch andere in der DDR tätige polnische IM. In der Folge wurde der Kandidat und/oder die Zielperson überprüft, überwacht und schließlich im Rahmen eines vorab genehmigten Gesprächsplans angesprochen, und zwar mit dem Ziel der Anwerbung. Der Doppel-Status des Betroffenen – als Kandidat und Zielperson zugleich – wurde in der Annahme angeordnet, dass diese Zweideutigkeit die Förderung vieler operativer Schritte begünstigen könne.277 Das MSW wie auch das MfS nutzten außerdem die gleichen Instrumente, um den Kandidaten davon zu überzeugen, mit den Geheimdiensten zusammenzuarbeiten. Man bot Geld und Hilfe bei der Passbeantragung an oder versprach, einen gestohlenen Computer wiederzufinden.278 Was man dabei aber verschwieg, war die Tatsache, dass das MSW selbst jenen Rechner stehlen ließ, um an die Festplatte zu gelangen. Was sagen die polnischen Akten über die Motive derjenigen polnischen Staatsbürger aus, die eine IM-Tätigkeit für das MSW akzeptierten? In den betreffenden Vermerken sprach man vor allem vom Verantwortungsbewusstsein der Betroffenen. Wenn man aber die zynische, bürokratische Sprache der Geheimdienstler beiseitelässt, kann man davon ausgehen, dass die meisten Polen, die in der DDR als IM in polnischen Diensten fungierten, dies entweder taten, um in »Ruhe« gelassen zu werden oder um in den Genuss konkreter Privilegien wie etwa zusätzlichen Geldes zu kommen. Die Lebensläufe von Doppelagenten zeugen von diesen Privilegien oder der Absicht, sich möglichst breit abzusichern. Erfuhr ein polnischer Agent vom MSW, dass dieses von seiner Tätigkeit für die Stasi Kenntnis hatte oder er umgekehrt plötzlich Probleme mit dem MfS bekam, suchte er meist schnell die Hilfe der »eigenen« Aufklärung. In einem Extremfall bemühte sich eine betroffene Person wegen einer Festnahme in Deutschland infolge eines Verrats durch den Stasi-Offizier erst nach 1990 um die Hilfe des polnischen Geheimdienstes. Der als polnischer IM tätige Betroffene informierte die Spionageabwehr des MSW über seine Probleme sowie über die Tatsache, dass er auch als Stasi-Agent tätig war. Wie reagierte der polnische Geheimdienst? Intern wurde beschlossen, die eigenen Interessen zu schützen. Zu mehr war das MSW nicht bereit, weil es dem Betroffenen einfach nicht glaubte. Man war sich etwa 276  BStU, MfS, HA II Nr. 28169, Bd. 1, S. 186. 277  IPN Po 0031/45, Bd. 1, S. 131. 278  IPN Po 0031/45, Bd. 2, S. 40.

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nicht sicher, ob dieser nicht vielleicht auch noch für westliche Geheimdienste gearbeitet hatte. Der Betroffene hingegen behauptete, dass er während seines Verhörs nichts über seine Kontakte zum MSW ausgesagt habe.279 Das Misstrauen der polnischen Offiziere kann nicht verwundern. Es sind im BStU-Archiv sogar Fälle dokumentiert, in denen ein Pole die Zusammenarbeit mit dem MSW ablehnte, um sich vor dem MfS glaubhafter zu machen, in der Annahme, dass die Arbeit mit der Stasi profitabler sein könnte. Es konnte sogar vorkommen, dass der potenzielle Agent das Anwerbungsgespräch mit den polnischen Hauptamtlichen heimlich aufzeichnete.280 Sollte es aber bei seiner Tätigkeit in der DDR zu Komplikationen kommen, wechselte der Betroffene die Seiten und wandte sich in opportunistischer Weise wieder an das MSW.281 Wie verhielt sich nun der ostdeutsche Geheimdienst, wenn ihm zugetragen wurde, dass die eigenen IM ab- bzw. umgeworben werden sollten? Das MfS wies darauf hin, sich so zu benehmen wie jene Polen, die die inoffizielle Zusammenarbeit mit der Stasi abgelehnt hatten. Man bat sie also, Treffen mit polnischen Hauptamtlichen zu vermeiden, Anfragen zu ignorieren, fiktive Gründe anzuführen, die es nicht zuließen, sich mit der Botschaft in Verbindung zu setzen und zwar so lange, bis die Anfragen endgültig ausblieben. Die taktvolle, aber zugleich entschiedene Ablehnung einer Zusammenarbeit mit dem MSW war auch Bestandteil der Richtlinien, die die in der VRP als IM tätigen ostdeutschen Bürger zu befolgen hatten.282 Mehr noch, Polen war im Grunde genommen kein Einzelfall. Die gleichen Richtlinien galten auch für jene IM, die in solchen sozia­ listischen Staaten arbeiteten, in denen die Beziehungen zwischen dem MfS und dem örtlichen Geheimdienst wesentlich besser waren als die zwischen dem MSW und der Stasi.283 Diese Richtlinien und Empfehlungen konnten aber nichts daran ändern, dass die Aufträge der ostdeutschen IM in Polen aus systemimmanenten Gründen nicht unbemerkt bleiben konnten. Polnische Agenten waren in der DDR nicht darum bemüht, in ansässige oppositionelle Gruppierungen aufgenommen zu werden. Zudem waren selbst die kleinen Gruppen polnischer Studierender in der DDR eine Opposition für sich. Die Stasi war in der Lage, über Treffen von DDR-Studenten mit diesen Gruppen Bescheid zu wissen, sie konnte auch im Bilde darüber sein, was besagte DDR-Studenten in jenen Gruppen äußerten. Wie viele der polnischen Studenten dem MSW später in der VRP von den unabhängigen Bewegungen in der DDR berichteten, das entzog sich aber dem Wissen des MfS. 279  Dabei muss nochmals deutlich hervorgehoben werden, dass das Misstrauen gegenüber den Mitteilungen polnischer Bürger, durch das MfS angeworben worden zu sein, eines der wichtigsten Elemente der späteren Überprüfungsverfahren des MSW war. IPN Po 035/1358 21/IV, S. 4. 280  BStU, MfS, HA II Nr. 482, S. 515. 281  BStU, MfS, AIM 7725/89, Teil II/2, S. 166. 282  BStU, MfS, AIM 12877/91, Teil I/1, S. 112. 283  Es ging dabei bspw. um die Tschechoslowakei. BStU, MfS, HA II/10 Nr. 1027, S. 17.

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Es kann also nicht verwundern, dass beispielsweise die Versuche ostdeutscher IM, Zugang zum Umfeld des KOR zu finden, den polnischen Beobachtungstruppen nicht verborgen blieben. Hätte das MfS die ersten Hinweise des MSW284 bezüglich dieser Versuche zum Anlass genommen, die eigene IM-Arbeit einzuschränken und zusammen mit dem MSW – also nicht nur auf dem Papier – die Solidarność zu bearbeiten, dann hätten Fälle wie der des IM »Henryk« vermieden werden können.285 Doch welcher totalitäre Geheimdienst hätte freiwillig darauf verzichtet, die Solidarność auszuspionieren? Der Druck, an Informationen zu gelangen und beweisen zu müssen, dass das MfS über Informanten verfügte, führte zu einer Minderung des geheimdienstlichen Handwerkes gemessen an westeuropäischen Maßstäben. Das MSW erkannte DDR-Agenten nicht deswegen, weil es sich nur auf die Stasi konzentrierte, sondern weil es flächendeckend jeden Ausländer in der Nähe der Solidarność für verdächtig hielt. Falsch war es auch, davon auszugehen, dass ein Milizangehöriger, der jemandem eine Schlafmöglichkeit gewährte, das MSW nicht darüber informieren würde, wer da bei ihm übernachtete. Einige der IM, die in Polen die Opposition ausspionierten, mussten später in der DDR polnische Diplomaten bearbeiten. Glaubte die Stasi wirklich, dass jene Diplomaten das MSW nicht darüber informierten, wer da mit ihnen sprach und glaubte sie allen Ernstes, dass die Angaben über diese IM der Warschauer Zentrale nicht vorgelegt und nicht analysiert würden, vor allem auch wenn jene Diplomaten selbst IM waren, allerdings im Auftrag des MSW? Solche Arbeitsweisen mussten dem MfS doch bekannt sein. Es praktizierte sie doch selbst.286 Nur hatte aber, wie bereits dargelegt, das Quantitätsprinzip den Vorrang vor der geheimdienstlichen Rationalität. Die IM-Arbeit war mit der Frage nach einer finanziellen Vergütung der Informanten verbunden. Als Grundprinzip galt hier: Je höher die Position eines Agenten im Pyramidensystem anzusiedeln war, desto großzügiger sollte er entlohnt werden. Ebenso verhielt es sich mit aus MfS-Sicht besonders relevanten 284  BStU, MfS, AIM 12083/85, Teil I/2, S. 5. 285  Die Erinnerungsliteratur der ehemaligen und mit der PVAP verbundenen Wissenschaftler liefert auch Informationen, dass etwa ein bemerktes Interesse der ostdeutschen Studenten an den polnischen Hochschulen an der politischen Lage der VRP sofort der Leitung der jeweiligen Universitäten mitgeteilt wurde. Vgl. Monika Jaruzelska: Rodzina. Warszawa 2014, S. 288. 286  So wurde etwa 2011 ein ehemaliger HV-A-Mitarbeiter am Rande einer wissenschaftlichen Recherche befragt, wie die Stasi-Arbeit im Nahen Osten ausgesehen hat. Er behauptete, dass in den Gesprächen mit den Quellen die Sicherheit der hauptamtlichen Mitarbeiter absoluten Vorrang hatte. Darüber hinaus war er sich sicher, dass alle seine Quellen auch für örtliche Geheimdienste tätig waren. Warum aber betraf diese Annahme nicht auch Polen? Madlen Schäfer: Die Zusammenarbeit der Geheimdienste der DDR und Syriens in den 1970er und 1980er Jahren. Magdeburg 2011, S. 41. Warum wurden in Polen auch die internen Richtlinien der HA VI vom 10.6.1980 nicht angewendet, die besagten, dass jedem Anbieter grundsätzlich ein Verdacht unterstellt werden sollte, absichtlich zu desinformieren. Siehe Dienstanweisung Nr. VI/1/80; BStU, MfS, HA VI Nr. 4660, S. 175.

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Informationen, für die es also mehr Geld gab, und mit der oft damit verbundenen Aufwertung der formellen Einstufung, wenn etwa eine Kontaktperson (KP) zu einem vollständigen IM »befördert« wurde. So erhielten beispielsweise die Mitglieder der Ad-hoc-Gruppe wegen ihrer gelegentlichen Reisen nach Polen jährlich etwa 80,00 DDR-Mark zusätzlich.287 Vertreter der beiden anderen und durchaus wichtigeren Stufen bekamen sogar zehnmal so viel. Erstattet wurden die Reise-288 und Übernachtungskosten sowie die Gutscheine, die es ermöglichten, viele Waren zu erwerben, die natürlich auch bezahlt werden mussten, so etwa Benzin. Die sogenannten operativen Ausgaben wurden ebenfalls beglichen. Allein die letztgenannten Ausgaben betrugen in den 1980er-Jahren nie weniger als 250 DDR-Mark. Auf dem Schwarzmarkt in Polen kostete 1980 eine DDRMark 10,00 Złoty, was also 2 500 Złoty ergab, dazu weitere 8 000 Złoty für nur einen IM als Reisekostenerstattung. In der VRP verdiente man zu der damaligen Zeit durchschnittlich 6 000 Złoty. Darin sind nicht die Quoten enthalten, die einem IM regelmäßig zuteil wurden, wenn er sich in der DDR aufhielt und dort Aufträge auszuführen hatte. Darüber hinaus konnte das MfS auch Arbeitsstellen vermitteln, und zwar inklusive Gehaltserhöhung.289 Schließlich konnten die Agenten mit Auszeichnungen rechnen, die ebenfalls mit Geld dotiert waren. Selbstverständlich unterlag die Geldauszahlung einer strengen Kontrolle. Die Führungsoffiziere hafteten etwa für die Ausgaben aus dem Operativfonds.290 Die auf polnischen Konten deponierten Gelder – jeweils über 1 000 DM nur für laufende Kosten – waren in der VRP mehr als ein Vermögen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Aufenthalte in Polen einigen IM Chancen eröffneten, ihre eigene materielle Stellung zu verbessern, da die VRP, etwa über die halblegale Währungswirtschaft, viele Möglichkeiten bereithielt, die eigenen Rücklagen zu vermehren.291 Waren das hohe Summen, die die ostdeutschen IM bekamen? Zum Vergleich kann man die in der Bundesrepublik zugänglichen Informationen heranziehen, die sich auf Prozesse gegen Polen beziehen, die in der Volksrepublik wegen der Spionage für den BND verurteilt worden waren. Demzufolge erhielten westdeutsche IM angeblich 25,00 DM pro Nachricht und 50,00 DM für eine Filmrolle mit Bildern von polnischen Häfen.292 Ein hauptamtlicher BND-Mitarbeiter in 287  BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 109, Teil I/3, S. 174. 288  BStU, MfS, AIM 14770/89 C, Teil I/2, S. 55. 289  BStU, MfS, AIM 12083/85, Teil I/1, S. 213. 290  In dieser Frage war das MSW ab und zu pedantischer als das MfS. Noch im Februar 1990 fand in der DDR ein Treffen eines polnischen Hauptamtlichen mit seinem Informanten statt. Für Getränke wurden damals 8,00 DDR-Mark ausgegeben. Diese Ausgabe musste noch von 3 anderen Offizieren genehmigt werden. IPN BU 02386/37, S. 14. 291  BStU, MfS, AIM 12877/91, Teil II/1, S. 196. 292  Erich Schmidt-Eenboom: Schnüffler ohne Nase. Der BND. Die unheimliche Macht im Staate. Düsseldorf 1993, S. 86.

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einer Residentur soll sogar 15 000 DM monatlich verdient haben, was sich aber kaum verifizieren lässt. Stasi-Agenten konnten die polnischen Reformen nicht beeinflussen. Ebenso wenig konnten sie die friedlichen Revolutionen von 1989 verhindern. Aber eben diese Ereignisse zwangen die Agenten dazu, sich bezüglich ihrer weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS und seinem Nachfolger neu zu positionieren. Einige IM blieben bis zur Auflösung des AfNS tätig, andere hingegen nutzten die Revolution, um die Zusammenarbeit zu beenden. Einzelne Agenten wurden von Hauptamtlichen dekonspiriert. Wieder andere reisten in die Bundesrepublik aus und kehrten nicht mehr zurück.293 In nur sehr wenigen Fällen aus dem deutschpolnischen Agentenmilieu lassen sich klassische geheimdienstliche Gründe dafür rekonstruieren, dass das MfS von sich aus beschloss, die Zusammenarbeit zu beenden. Es ging dabei etwa um Burn-outs der Agenten, den Verlust von relevanten Kontakten, aber auch um Pensionierung, Krankheit oder die bewusste Ausnutzung der Zusammenarbeit zur Wahrung eigener Interessen anstelle der vorgesehenen IM-Arbeit.294 Unter eigenen Interessen war nicht zwingend Geld zu verstehen. Es kam zum Beispiel vor, dass zur Bearbeitung von Dissidenten angesetzte Agenten derart vom oppositionellen Gedankengut und Wirken begeistert wurden, dass sie in der Folge beschlossen, die Zusammenarbeit zu beenden.295 Wie bereits erwähnt, wurden auch Fälle bekannt, in denen Agenten die DDR verließen, um nicht weiter als IM arbeiten zu müssen. Bis 1988 war die Stasi jedoch in der Lage, solche Flüchtlinge ausfindig zu machen.296 Stellte man aber dabei fest, dass bei der Flucht auch andere Faktoren ins Spiel kamen, wie etwa die erwähnten Burn-outs, und der IM über keine Möglichkeiten mehr verfügte, Informationen zu liefern, dann wurde die Zusammenarbeit ohnehin beendet. Das Jahr 1990, in das die ersten Versuche fielen, die geheimdienstliche Geschichte aufzuarbeiten, brachte ein weiteres Problem mit sich – die Frage, auf welche Weise man zu den eventuellen Vorwürfen, als IM tätig gewesen zu sein, Stellung beziehen sollte.297 Dies galt sowohl für die IM als auch für deren Gesprächspartner. Einige Agenten bestreiten bis heute den Vorwurf, als Spitzel gearbeitet zu haben. Das ist beispielsweise beim IM »Henryk« der Fall. Andere wiederum, wie der IM »Andreas«, gaben zu, als Agent gearbeitet zu haben. Dies löste eine Welle der Empörung und Enttäuschung seitens seiner Gesprächspartner aus.298 Wie rechtfertigten die damaligen IM ihre Motive nach 1989? Häufig wurde die Sorge angeführt, die eigene Familie nicht schützen zu können, wenn man die 293  294  295  296  297  298 

BStU, MfS, BV KMS, AIM 3574/89, Teil I/1, S. 357. BStU, MfS, AIM 12083/85, Teil I/4, S. 463. BStU, MfS, BV Dresden, AIM 254/89, S. 275 u. BStU, MfS, AP 15694/83. Siehe OPK »Stein«; BStU, MfS, BV Schwerin, AOPK 678/89, S. 6. Michał Mońko: Psy partii. In: Odra 11 (2000), S. 16–20, hier 17. Polska teczka Stasi.

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Zusammenarbeit ablehnte. Manche IM, die sich öffentlich zu ihrer ehemaligen Tätigkeit bekannten, wurden von Familienangehörigen unterstützt. Polnische Gesprächspartner ostdeutscher Agenten hingegen wurden von der polnischen Staatsanwaltschaft angezeigt, allerdings ohne Erfolg.299 Es konnte ihnen nicht nachgewiesen werden, dass sie sich darüber im Klaren waren, für wen der ihnen bekannte Ostdeutsche tatsächlich arbeitete. Es behaupteten jedoch einige ehemalige polnische Geheimdienstler, dass diejenigen Gesprächspartner des MfS, die sich nach 1989 im politischen Leben Polens engagierten, wegen der besagten Gespräche zwar zurücktreten mussten, allerdings aus einer politischen und nicht aus einer strafrechtlichen Verantwortung heraus.300

5.3 Die Berichterstattung der Geheimdienste über Polen und die DDR 5.3.1 Die Informationsanalyse des MfS und des polnischen Innenministeriums – ein Vergleich Die Analyse der Berichterstattung muss zunächst mit einer generellen Bewertung des Modells beginnen, das den Berichten zugrunde lag und das gleichzeitig eines der wichtigsten Unterschiede zwischen den polnischen und den ostdeutschen Berichten war. Es scheint hier die These berechtigt, dass die wöchentlichen und später monatlichen Berichte der ZAIG über Polen nicht als End-, sondern vor allem als Eingangsmaterial betrachtet werden müssen, das später nochmals ausgewertet und umformuliert werden musste, um der Staats- und Parteiführung vorgelegt zu werden. Die ZAIG, die »Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe«, war die »zentrale Schaltstelle« des MfS, in der Informationen zusammenliefen, verdichtet wurden und gegebenenfalls an einen ausgewählten Kreis innerhalb des MfS sowie der Partei- und Staatsführung in der DDR weitergegeben wurden.301 Im Juni 1981 eröffnete die ZAIG eine neue Berichtsreihe, die den Titel »Wocheneinschätzung aktueller Vorgänge in der VR Polen« trug. Diese Wocheneinschätzungen waren exklusiv für den engsten Führungszirkel des MfS bestimmt und sollten als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage für die Aktionen des MfS gegenüber Polen dienen.302 Der typische ZAIG-Einschätzungsbericht über Polen, gleich ob 299  IPN BU 1207/489. 300  Zacharski: Rosyjska, S. 87. 301  Roger Engelmann, Frank Joestel: Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (BStU, MfS-Handbuch). Berlin 2009, S. 3. 302  Siehe das Anschreiben des ZAIG-Leiters Werner Irmler vom 17.6.1981, das der ersten Wocheneinschätzung beigefügt war. Demnach gingen die wöchentlichen Einschätzungen zu Polen an Minister Mielke, die stellvertretenden Stasi-Minister Rudi Mittig und Gerhard Neiber, die jeweils mehrere Stasi-Abteilungen anleiteten, ferner an den Ministerstellvertreter und Leiter

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wöchentlich oder monatlich herausgegeben, war eine über 20-seitige Zusammenfassung der aus Sicht der Stasi wichtigsten Ereignisse in Polen. Es war darin die Rede von Tagungen der verschiedenen PVAP-Gremien, von Wahlen, Streiks und Solidarność-Aktivitäten. Was in den Berichten jedoch fehlte, war eine thematische Rangordnung. Neuerungen in der Gesetzgebung wurden neben vermeintlich relevanten Kommentaren von KOR-Mitgliedern für die westliche Presse erwähnt oder auch neben den Reaktionen der Bevölkerung auf die Erhöhung der Butterpreise oder einer Lageeinschätzung bezüglich der parteitreuen Jugendbewegung. Der Pedantismus der Stasi war dabei so fortgeschritten, dass man es auch nicht vergaß, von neuen volkspolnischen legalen Briefmarkenserien – wohlgemerkt mit dem Abbild des Papstes – zu berichten. ZAIG-Berichte glichen äußerlich den Verzeichnissen der zwischen dem MfS und dem MSW ausgetauschten politischen und kaum relevanten Informationen. Die Fakten, die die Stasi registrierte und zur Grundlage ihrer operativen und analytischen Arbeit machte, waren korrekt. Sie entsprachen aber jenen, die man den Presseagenturen in der Bundesrepublik entnehmen konnte. Die Presseagenturen beanspruchten aber nicht, Statements analytischer Natur abzugeben. Sie hatten auch nicht die Absicht, die Lage Polens durch das Prisma der Ideologie zu bewerten. Bei der Lektüre der ZAIG-Berichte hat man ständig den Eindruck, dass deren Verfasser geradezu Angst davor hatten, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen, als wollten sie sich auf die Wiedergabe von Daten beschränken, um die bereits bekannten Thesen der eigenen Vorgesetzten mit Fakten zu belegen. Zwar waren die ZAIG-Berichte seit der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre deutlich kürzer, analytischer hingegen sind sie nicht geworden. Wesentlich besser als die Wochen- und Monatseinschätzungen der ZAIG waren die der HV A303 sowie der Militärattachés. Sie waren aber immer noch mindestens doppelt so lang wie die üblichen Berichte der polnischen Aufklärung. Die HV A nutzte zudem einige Tricks, um eine eventuelle Verantwortung für aufgestellte Thesen von sich fernzuhalten. Man behauptete etwa, dass man lediglich Meinungen rezipiere, die beispielsweise in westdeutschen Regierungskreisen gewonnen würden. Die HV-A-Berichte wurden außerdem ausgewählten führenden Parteiund Staatsfunktionären der DDR vorgelegt. Dieser Leserkreis war deutlich kleiner als der polnische Verteiler jener Berichte. Auch wurden die Unterlagen im Falle der DDR von Mielke selbst unterzeichnet, wenn nicht gleich auch zensiert. In Polen waren die analytischen Meldungen der Aufklärung maximal zwei bis drei Seiten

der HV A Markus Wolf bzw. seinen Stellvertreter Heinz Geyer, den Leiter der HA II Günther Kratsch und den Leiter der Arbeitsgruppe des Ministers Otto Geisler. Irmler empfahl ihnen in seinem Anschreiben, die Berichte »zur Ableitung der erforderlichen politisch-operativen Schlussfolgerungen für Ihren Verantwortungsbereich« zu verwenden. BStU, MfS, ZAIG Nr. 13267, S. 1 f. Die Wocheneinschätzungen wurden Anfang 1987 in einen monatlichen Turnus umgestellt. 303  BStU, MfS, HV A Nr. 812, Teil II, S. 305.

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lang.304 Sie waren grundsätzlich nicht unterzeichnet. Nur in Ausnahmefällen tat dies der Aufklärungsleiter.305 Schließlich durften sie auch diplomatische Beamte niederer Stufen lesen. Die als »lang« definierten analytischen Texte der polnischen Aufklärung über die DDR umfassten maximal sechs bis acht Seiten306 und enthielten ausschließlich analytische Bewertungen und nie eine bloß deskriptive Faktografie, für die nicht das MSW, sondern das Außenministerium zuständig war. Sollte das MSW bedeutende Ereignisse beschreiben, so machte es dies nur ausnahmsweise und lediglich bei für die Außenpolitik relevanten Veranstaltungen. Das war beim Besuch Honeckers in der Bundesrepublik 1987 der Fall. Die VRP war besorgt, dass sich die deutsch-deutsche Annährung eventuell ohne Rücksichtnahme auf polnische Interessen entwickeln könne. Deswegen musste sich die Auslandsaufklärung mit diesem Besuch operativ beschäftigen. Obwohl beide Ministerien praktisch die gleichen Instrumente bei ihrer Arbeit nutzten – also Gespräche mit Landsleuten, IM usw. –, konnte nur das Innenministerium der eigenen Führung ein entideologisiertes Bild des Nachbarn liefern. 5.3.2 Die Berichterstattung der Stasi Die Staatspartei Aus Sicht des MfS und seiner Vorgesetzten war die Situation innerhalb der polnischen Staatspartei von Vorrang. Einerseits ist das sehr nachvollziehbar, zumal in einem realsozialistischen System die Partei im Mittelpunkt des politischen Geschehens steht. Andererseits wäre es aber doch sehr übertrieben, zu behaupten, dass die PVAP das politische Leben Polens verkörpert habe. Das war nicht der Fall. Trotzdem konnten die Informationen über sie mehr als ein Drittel des Inhalts eines Berichtes ausmachen. Hingegen waren im umgekehrten Fall, also bezüglich der SED, entweder Kurzmeldungen der Aufklärung vorgesehen oder dieser wurde genauso viel Platz eingeräumt wie den anderen Bereichen des ostdeutschen öffentlichen Lebens, wie etwa der Wirtschaft, der Opposition usw. Ohne Zweifel war hier nicht die Quantität, sondern die Qualität der Nachrichten und Analysen für die jeweilige Berichterstattung entscheidend. Vielsagend hinsichtlich der Qualität der ostdeutschen Berichte ist die Tatsache, dass bei diesen ab 1980 nichts anderes als die Bestätigung der bereits bekannten Meinungen 304  Dies tat in Bezug auf Polen die HV A, indem sie etwa ab Anfang 1971 die eigenen Berichte einschränkte und dem MSW eine Art Zusammenfassung schickte. Dadurch verloren diese aber auch an Wert, da die HV A den Polen bspw. nur Auszüge ihrer Berichte über die Politik der Bundesrepublik gegenüber den sozialistischen Staaten schickte, als wenn diese Politik keine Einheit dargestellt hätte. Siehe BStU, MfS, HV A Nr. 183, Teil II, S. 191. 305  IPN BU 0449/22, Bd. 15, S. 10. 306  IPN BU 0449/22, Bd. 22, S. 36.

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der eigenen Führung über die polnische Lage vorgesehen war. In Polen wurde, laut Honecker und Mielke, ein fundamentaler Kampf mit der Konterrevolution ausgetragen. Das wichtigste Schlachtfeld dieses Kampfes war dabei die PVAP. Insbesondere die ZAIG-Berichte spiegeln diese Denkweise wider. Zweifellos war die Situation innerhalb der Partei am besten und auch am einfachsten zu dokumentieren. Die Beziehungen zwischen der PVAP und der SED eröffneten viele Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen. PVAP-Funktionäre waren die wichtigsten Gesprächspartner vieler OGW-Hauptamtlicher. Schließlich warf auch die offizielle Parteipresse und -propaganda große Mengen von Materialien ab, die auch geheimdienstlich genutzt werden konnten, auch wenn sie legal und kostenlos zu beziehen waren. So bildeten die jeweiligen Berichte eine Art »Partei-Digest«. Die ZAIG fertigte mit ihren Materialien de facto aktuelle Zusammenfassungen tagender Parteigremien an. Man berichtete, wo und wann welches Politbüromitglied welche Stellungnahme abgab. Auf der einen Seite konnte das eine gute Grundlage für eine spätere Analyse sein. Andererseits war die Analyse das, was ausblieb. Zwar wurden in der Tat viele zusammengefasste Ereignisse kommentiert, aber nur unter Verwendung pejorativer Attribute, die die Thesen der DDR-Führung zusätzlich bekräftigten. Welche Ausdrücke pejorativen Charakters waren dies in Bezug auf die PVAP? Vor der Übernahme der Parteiführung durch Jaruzelski war es der Begriff »Revisionismus«. Revisionisten waren aus ZAIG-Sicht frühere Parteisekretäre wie Gierek und sein Nachfolger Kania, aber auch der 1. Bezirkssekretär der Partei in Danzig, Tadeusz Fiszbach. Mehr noch, die »Ehre«, als Revisionist in den StasiBerichten geführt zu werden, wurde auch Jaruzelski selbst zuteil, allerdings nur solange er Ministerpräsident und Verteidigungsminister war.307 »Revisionismus« bezeichnete eine zu sehr auf Ausgleich bedachte Haltung der PVAP. Selbige sollte nicht mit der Konterrevolution verhandeln, sondern sie bekämpfen. Dies war allerdings unmöglich. Warum? Aus MfS-Sicht war die PVAP schwach, führungslos, zersplittert und auch noch durch innerparteiliche Fraktionskämpfe aufgerieben. Ebenso schwach waren die in ihren Reihen durchaus vorhandenen marxistisch-leninistischen Kräfte, die es nicht vermochten, die »opportunistischen Tendenzen« innerhalb der Partei zu überwinden. Damit nicht genug. Die PVAP war angeblich so arrogant, dass sie sogar die Warnungen der KPdSU, etwa den offenen Brief des ZK von 1981, ignorierte, auch wenn dieser Brief die Einführung des Kriegsrechts letztlich beschleunigte. Gab es da Raum für unideologische Analysen? Nicht unbedingt. Wichtiger waren Hinweise etwa darauf, welche leitenden PVAP-Kader die von der SED/dem MfS bevorzugte »Erneuerung« in Polen unterstützen würden.308 Nur waren aber die in den Berichten erwähnten Personen, denen man das Prädikat »progressive 307  Wocheneinschätzung, [22.6.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13268, S. 1. 308  Wocheneinschätzung, [15.6.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13267, S. 3.

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Kräfte« zuschrieb, vor allem Funktionäre der mittleren Ebene. Sie konnten zwar damit rechnen, ZK-Mitglied zu werden. Dieses Gremium würde dann aber auch die letzte Etappe auf ihrem Karriereweg darstellen. Die ZAIG lobte die Meinungen der »Progressiven«, verstand ihre mit der angeblichen parteiinternen Mehrheit der »Revisionisten« verbundenen Probleme, brachte aber gleichzeitig in einem Bericht von 1981 ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck, warum die polnischen »Progressiven« ungeachtet der SED-Unterstützung nicht in der Lage waren, auf PVAP-Versammlungen ihre eigenen Ideen durchzusetzen. Die Antwort darauf war ziemlich einfach: Die Parteibasis war mit den ultrakonservativen Ideen schlicht nicht einverstanden. Außerdem hatten viele »Progressive« lediglich die Aufgabe, die SED-Genossen zu beruhigen und nicht die von Honecker erwünschte Politik in Polen umzusetzen. Bis zur Einführung des Kriegsrechts wurde die PVAP in den Berichten also kontinuierlich als eine Organisation beschrieben, die sich – aus DDR-Sicht – kaum erneuern könne.309 Diese These belegten immer öfter zitierte statistische Angaben über den Anteil von Solidarność-Mitgliedern in der PVAP. Angeblich gehörten dieser Gewerkschaft 1981 sogar 40 Prozent des ZK an. Dies bekräftigte auch den ZAIG-Vorwurf, dass die polnische Staatspartei keine Lageanalyse310 des Klassenkampfes in der VRP durchgeführt habe und dass die PVAP dem MSW kein klares Feindbild übermitteln könne. Viele polnische Forscher vertreten die These, dass die DDR vor und nach der Einführung des Kriegsrechts diejenigen ultrakonservativen Kräfte in der PVAP in höherem Maße unterstützen wollte, die unter Umständen auch eine externe Militärintervention in Polen akzeptieren würden.311 Sollte dies zutreffend sein, dann ist festzuhalten, dass diesbezügliche Informationen in den Stasi-Berichten relativ selten waren. Das Bild von der PVAP war zweifelsohne schlecht. Aber die namentlich nicht näher zugeordneten Bitten um Unterstützung, die etwa auf dem Parteiforum in Kattowitz vorgebracht wurden, gingen in der Menge der statistischen Daten und Propagandafakten über die PVAP unter.312 Hätte das MfS die Berichte über die Partei dichotomisch angelegt, beispielsweise im Sinne einer schlechten Basis, dafür aber mit guten und vernehmbaren »progressiven Kräften«, hätte man vielleicht eine aktive Unterstützung durch das MfS herbeiführen können. Wahrscheinlicher ist, dass die Hinweise auf die »Ultrakonservativen« lediglich die Absicht befördern sollten, die polnische Politik zu kritisieren und die UdSSR entsprechend zu einem möglichst schnellen Eingreifen in der VRP zu bewegen. In der Tat werden in einigen Berichten Thesen aufgestellt, dass etwa die Berufung des ultrakonservativen Albin Siwak ins Politbüro nur als Täuschungsmanöver der Revisionisten bewertet werden könne. Fortlaufende ZAIG-Informationen 309  310  311  312 

Wocheneinschätzung, [2.11.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13287, S. 2. Borodziej; Kochanowski: PRL w oczach STASI, Bd. II, S. 120. Borodziej: Ministerstwo Bezpieczeństwa, S. 117. Wocheneinschätzung, [27.7.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13273, S. 8.

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über eventuell zu präferierende Gruppen innerhalb der PVAP, die in der Lage wären, an die Macht zu kommen, gab es allerdings nicht. So dominierten in den Berichten völlig aus dem Kontext gerissene Aussagen zahlreicher Parteimitglieder über eine »Erneuerung«, die ebenso pejorativ wahrgenommen wurde wie der Begriff »Revisionismus«. Gegenüber Jaruzelski und Rakowski griff man also auf die gleichen Tricks zurück wie schon gegen Gomułka.313 Die faktische oder auch fiktive Unterstützung der konservativen Parteikräfte war unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattung kein Problem. Sehr wohl problematisch war hingegen die Glaubwürdigkeit der von der ZAIG erwähnten Fakten. Der Verlauf von Parteigremiensitzungen entsprach der Wahrheit, nicht aber die Behauptung, dass beispielsweise das Posener Kommunistenforum in den 1980er-Jahren als Parteifraktion fähig gewesen wäre, die Macht innerhalb der PVAP zu übernehmen. Mehr noch, dies war eine der marginalsten Parteigruppierungen überhaupt und selbst mit dem Forum in Kattowitz nicht zu vergleichen. Ebenso fragwürdig war die Klassifizierung einiger polnischer ZK-Richtlinien als »Wende«. Diese Richtlinien bestimmten etwa, den Anteil des MarxismusLeninismus in den polnischen Medien zu erhöhen.314 Diese Erhöhung wurde unter Umständen nur dadurch erreicht, dass die Seiten der Parteipresse mit ideologischen Texten gefüllt wurden. Dadurch gewann aber die untergeordnete Rolle dieser Presse und deren Ideologie in Polen nicht an Bedeutung. Die Periode von 1985 bis 1988 konnte das negative Bild von der Partei nur verstärken, zumal die PVAP-Führung schließlich Verhandlungen mit der Solidarność akzeptierte. Zwar gab die ZAIG zu, dass die Macht Jaruzelskis konsolidiert wurde. Der »Revisionismus« war aber nach Stasi-Einschätzung so tief in der Partei verankert, dass er selbst mit den Instrumenten des Kriegsrechts nicht ausgemerzt werden konnte. Daran sei das Unvermögen, eine adäquate »ideologische Arbeit« durchzuführen, ebenso schuld gewesen.315 War es aber für Stasi-Analytiker wirklich statthaft zu behaupten, dass in einer so ideologiefernen Partei wie der PVAP ausgerechnet die Ideologie eine nennenswerte Rolle spielte? Das war es nicht, weil eine solche Behauptung das Parteibild schlicht verfälschte. Trotzdem konnte jede noch so sinnlose Parteikonferenz in Polen damit rechnen, in den ZAIG-Berichten ideologisierter und breiter Erwähnung zu finden als in der eigenen Parteipresse. Nach wie vor häuften sich in den Berichten Vermerke dahingehend, dass im Parteiprogramm der PVAP auch nach 1981 der »Revisionismus« dominiere.316 Hier handelte es sich aber nicht um »Revisionismus«, sondern um die durchaus richtige, dem PVAP-Programm des Jahres 1982 entnommene Feststellung, dass die polnische Staatspartei nicht mehr im Besitz des Machtmonopols war. Darin 313  314  315  316 

Wocheneinschätzung, [29.6.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13269, S. 2. Wocheneinschätzung, [1.9.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13143, S. 1. Wocheneinschätzung, [5.7.1982]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13320, S. 3. Wocheneinschätzung, [15.2.1982]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13300, S. 2.

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bestand auch einer der Hauptgründe, die Gespräche am Runden Tisch aufzunehmen. Die Stasi sah die Machtkonsolidierung Jaruzelskis, seine erfolgreiche Ausschaltung politischer Gegner sowie die Entschlossenheit des Generals, die politische Opposition in irgendeiner Weise in das Regierungssystem einzubinden. Das Ganze wurde aber im Hinblick auf die Partei nicht als schlüssiges Machtkonzept interpretiert, sondern nur als Beleg für eine Entfremdung von der »progressiven Haltung«. Die Stasi folgte in ihrer Berichterstattung der SEDPerspektive, wonach die Politik der PVAP ohnehin zum Scheitern verurteilt war, weil die PVAP die sowjetische Perestroika unterstützte. Gesellschaftliche Organisationen und die Opposition Wenn schon die Partei vom MfS als Versagerin betrachtet wurde, so verwundert es nicht, dass die politische Opposition in Polen noch negativer wahrgenommen wurde. Bis zum Ende der 1980er-Jahre wurden die Solidarność sowie andere oppositionelle Organisationen, beispielsweise das KPN, ausschließlich als »feindliche« bzw. »konterrevolutionäre« Kräfte beschrieben. Aus Sicht des MfS beförderten diese den »Revisionismus«, wollten den Sozialismus in Polen abschaffen und hielten dabei alle Mittel für legitim. Egal aus welchem Grund die Solidarność bestimmte eigene Aktivitäten einstellte, wurde dies seitens des MfS stets als taktischer Schritt mit dem Ziel weiterer Protestwellen bewertet. Wie sah also das typische Bild von der polnischen Opposition etwa in einem ZAIG-Bericht aus? Den Anfang machte dort eine Auflistung statistischer Angaben zu Solidarność-Aktivitäten, zumeist abgeschrieben aus den Tagesinformationen des MSW. Es wurden die Zuschauerzahlen derer angegeben, die an Kundgebungen unter Beteiligung Wałęsas teilgenommen hatten, ferner wurden Erklärungen der regionalen Solidarność-Komitees zitiert, Sitzungen der Führungsgremien zusammengefasst oder die besonders »radikalen« Stimmen hervorgehoben, die den Zeitschriften anderer oppositioneller Gruppen zu entnehmen waren. Sehr sorgfältig wurden auch jene Ereignisse erörtert, die laut MfS einen antisowjetischen Charakter trugen. Man ergänzte sie durch Kommentare, dass dahinter vor allem »Extremisten« stünden, obgleich diese Formulierung, zumindest in der polnischen Propaganda, ein Synonym für die »Solidarność« war. So enthielten die Wocheneinschätzungen überaus detaillierte Informationen darüber, dass 1981 in den kleinsten Provinzstädten, wie etwa in Białystok, oppositionelle Flyer verteilt wurden. Dies konnte nur als Beleg dafür gelten, dass sich die Lage in Polen verschärfte und eine Intervention, nach Möglichkeit von außen, unbedingt nötig war. Eine solche Tendenz wies auch ein Bericht der ZAIG auf, der bereits im Januar 1981 der Staats- und Parteiführung in der DDR vorgelegt wurde. Er baute eine Drohkulisse auf, indem er behauptete, dass ein großer Teil der polnischen Funktionäre die »konterrevolutionären Kräfte« unterschätzen würde (S. 1), um

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sodann auf acht Seiten detalliert Aktivitäten der oppositionellen Gruppen zu referieren (S. 10–17) und schließlich noch vor dem »Anwachsen des Revisionismus« in Polen zu warnen.317 Anders als die Staats- und Parteiführung in der DDR benötigte die polnische Parteispitze keine Verschärfung der Drohkulisse. Die ostdeutsche schon. Deswegen erhielt sie in dem erwähnten ZAIG-Bericht auch eine Sammlung von Zitaten von nicht näher genannten polnischen Oppositionellen auch aus der Provinz, die die Brisanz der sozialismusfeindlichen Entwicklung in Polen demonstrieren sollte.318 Was war – abgesehen von Diffamierungen – kennzeichnend für die Bericht­ erstattung über die Solidarność? Gemäß dem MfS nahm der Einfluss der Gewerkschaft bis zur Einführung des Kriegsrechts stetig zu, in der Gesellschaft, aber auch in der PVAP. Einen entsprechenden, 15 Seiten umfassenden Bericht legte die ZAIG Mitte Februar 1981 Erich Honecker vor.319 Die Solidarność soll sogar einzelne Parteimitglieder instruiert haben, wie sie sich bei internen Abstimmungen/Diskussionen verhalten sollten. Ein Mittel zur Erhöhung des politischen Gewichts der Solidarność seien auch die politischen Initiativen Wałęsas gewesen, der sich als Vermittler zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb der Opposition betrachtet habe und zugleich als gemäßigter Verhandlungspartner für die Regierung. Nur entsprach dies nicht der Realität. Die Solidarność war zwar eine riesige Bewegung, seit März 1981 war ihre politische Durchschlagskraft jedoch nicht mehr so gewaltig wie noch im August 1980. Ebenso umstritten war die zweite Hauptthese der ZAIG, die Solidarność sei eine Einheit gewesen. Wałęsa, aber auch die anderen und ihm kritisch gegenüberstehenden Aktivisten, etwa Andrzej Gwiazda, hätten das gleiche Ziel gehabt, nämlich an die Macht zu kommen. So eindeutig war die Lage innerhalb der Solidarność-Führung mitnichten. Hervorzuheben sind hier vor allem die Konflikte zwischen Gwiazda, Anna Walentynowicz und Wałęsa oder auch die Spannungen 317  ZAIG-Information Nr. 13/81 vom 7.1.1981 »über die Einschätzung der innenpolitischen Situation in der Volksrepublik Polen durch führende Funktionäre der PVAP sowie Staats- und Wirtschatsfunktionäre der VR Polen über Pläne, Absichten und Aktivitäten konterrevolutionärer Kräfte«; BStU, MfS, ZAIG Nr. 3098, S. 1 u. 10–19. Dieser Bericht ging unter anderem an Honecker, den SED-ZK-Sekretär für Internationale Verbindungen Hermann Axen, den SED-ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen Günter Mittag, Außenminister Oskar Fischer, den SED-Chefideologen Kurt Hager, DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und den KGB. 318  Ebenda, S. 10–17. 319  ZAIG-Information Nr. 76/81 vom 13.2.1981 »über weitere Pläne und Aktivitäten der konterrevolutionären Kräfte in der VR Polen und über die komplizierter werdende Situation in der PVAP und im Lande«; BStU, MfS, ZAIG Nr. 3110, S. 1–15. Dieser Bericht ging nur an Honecker, Hermann Axen, den Abteilungsleiter Internationale Verbindungen des ZK der SED Günter Sieber und den KGB sowie an einige führende MfS-Angehörige. Die nächsten Berichte über die Lage in Polen leitete die ZAIG erst im September und Oktober 1981 der SED-Führung zu. Vgl. Information 485/81 in: BStU, MfS, ZAIG Nr. 3161, S. 1–6 sowie Information 517/81 in: BStU, MfS, ZAIG Nr. 3164, S. 1–3. Häufiger waren hingegen die auf Polen bezogenen Berichte der HV A an die Partei- und Staatsführung in der DDR.

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innerhalb des Beraterkreises von Wałęsa. Aber auf eben diese Weise wurde die Solidarność auch in der polnischen Propaganda direkt nach dem 13. Dezember 1981 beschrieben, und zwar um zu beweisen, dass die Einführung des Kriegsrechts notwendig gewesen sei. Der Begriff des »Extremisten« existierte zwar in der Stasi-Sprache über Polen. Jene »Extremisten« wollten laut MfS aber das Gleiche wie die Solidarność: Macht. Besonders in der zweiten Hälfte des Jahres 1981 wurden in den Berichten immer öfter und auch detaillierter Beispiele aggressiver Machtbestrebungen der Opposition vermerkt.320 Auch schickte das MSW in jener Zeit dem MfS auf inoffiziellem Wege immer mehr Signale, dass eine Gewaltlösung im Kampf gegen die Opposition bereits vorbereitet würde. In den Berichten ist die Bereitschaft, in Polen seitens der Sicherheitsbehörden flächendeckend Gewalt anzuwenden, ab August 1981 nachweisbar.321 Es sollte sich bei den angesprochenen Sicherheitsbehörden mindestens um die Miliz handeln. Man kann hier also die These aufstellen, dass die Berichterstattung des MfS seit August 1981 die Absicht des ostdeutschen Geheimdienstes erkennen ließ, Jaruzelski und Kiszczak Unterstützung vonseiten der DDR zukommen zu lassen. Laut MfS mussten beide Generäle nicht nur gegen politische, sondern auch gegen gewaltbereite Gegner vorgehen. Vor dem 13. Dezember 1981, aber auch während des Kriegsrechts, wurde die Solidarność als quasi militante Bewegung eingestuft, was ebenfalls nicht zutraf.322 Änderte die Suspendierung des Kriegsrechts etwas an der Darstellung der Gewerkschaft? Kaum. Obwohl das öffentliche Interesse, an illegalen Demonstrationen teilzunehmen oder bestimmte Jahrestage zu begehen, nachließ und obwohl die Stasi dies wahrnehmen musste, war sie nach wie vor der Meinung, dass innerhalb der Opposition weiterhin ein harter Kern existiere, der fortwährend neue Aktionen konzipierte.323 Dabei wurden ebenso fortwährend die polnischen Behörden kritisiert, die für Konzessionen/westeuropäische Wirtschaftshilfen 320  Wocheneinschätzung, [14.9.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13280, S. 1. 321  Wocheneinschätzung, [24.8.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13277, S. 7. 322  Seit etwa Oktober 1981 erstellte die ZAIG Zusammenfassungen der inoffiziellen Informationen über die Ausrüstung der Solidarność. Neben der geläufigen These, dass sie mit den Geheimdiensten Amerikas, Großbritanniens und Israels zusammenarbeitete, wurde in der Zusammenfassung ferner behauptet, dass die Gesamtheit der polnischen Gewerkschaften über 250 000 Schusswaffen verfügte. Jene Zahl stammte angeblich aus dem Innenministerium und kann nur als Desinformation interpretiert werden, vor allem auch weil die polnischen Militärs eine stark divergierende Auffassung bezüglich dieser Zahl hatten. Sie sprachen von über 40 000 Stück, die vor allem aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges stammten. Die Zahl 250 000 verfehlte ihre Schreckenswirkung nicht, um so einige Hilfsleistungen für das MSW zu beschleunigen bzw. zu genehmigen. BStU, MfS, ZAIG Nr. 14228, S. 23. 323  Z. B. berichtete die ZAIG in einem wöchentlichen Bericht vom Januar 1986, dass die CIA angeblich militante Gruppen der polnischen Emigranten finanzierte, und zwar mit dem Ziel, die diplomatischen Vertretungen der VRP anzugreifen. Außerdem sollten sich ehemalige Solidarność-Mitglieder der RAF [sic!] angeschlossen haben. Nur gab es aber für diese Behauptungen keine Belege. Sie passten aber – wie immer – zu den offiziellen Bewertungen des tatsächlichen

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einer Amnestie zugestimmt hatten. Was die Stasi jedoch nicht anmerkte, war die Tatsache, dass die SED ebenso handelte, wenn sie Häftlingsfreikäufe zum Zwecke der Devisenerlangung zuließ. Ebenso fehlen in den Wocheneinschätzungen – von nur einer einzigen Ausnahme abgesehen – ab 1985 Hinweise, dass alle Informationen über die Solidarność nicht aus der eigenen IM-Arbeit, sondern aus legal erworbenen polnischen Tagesinformationen stammten. Wie schon in der Vergangenheit wurde jede noch so kleine Form des Widerstandes oder die entsprechenden Gegenmaßnahmen notiert. Dazu zählten beispielsweise Liquidierungen illegaler Druckereien oder durch westliche Medien bekannt gewordene Dissidententreffen.324 Keinen Widerhall fanden bei der Stasi die offenkundigen Änderungen der von der Solidarność verbreiteten Postulate. Jeder Versuch, sich mit der Macht zu verständigen, wurde vom MfS als zynisches Spiel bewertet, in dem die Opposition die Macht zuerst beeinflussen und dann endgültig besiegen wollte.325 Zum Beweis wurde angeführt, dass die Solidarność nach 1981 in Form einer doppelten Struktur gewirkt habe, in der Öffentlichkeit und im Untergrund. Dass diese Aufspaltung vor allem eine Folge der inneren Unstimmigkeiten innerhalb der Solidarność selbst war, wurde nicht erwähnt, ebenso wenig, dass Jaruzelski und seine Berater die Kompromissbereitschaft der Dissidenten völlig anders wahrnahmen als die Stasi. Dies passte einfach nicht in das Weltbild Mielkes. Die Amnestie, die die polnische Opposition angeblich stärkte, hingegen schon. Deswegen wurde ab 1985 darüber berichtet, und zwar als das einzige Thema eines Wochenberichtes über Polen.326 Neben detaillierten Angaben über die Zahl der freigelassenen Oppositionellen fügte die ZAIG auch Zusammenfassungen von Erklärungen an, die bekannte Dissidenten nach der Entlassung aus der Haft abgaben, so etwa Adam Michnik. Dabei wurden besonders antisozialistische Fragmente hervorgehoben und auch neue Solidarność-Flyer abgedruckt, darunter falsche Geldscheine mit den Abbildern der wichtigsten Solidarność-Aktivisten wie zum Beispiel Bujak. Eine solche Collage war nichts Neues in den Berichten, ebenso wenig wie die übliche Kritik an der polnischen Regierung, die die politischen Prozesse gegen führende Oppositionelle zu nachlässig und inkonsequent vorbereitet hätte. Die Kritik war umso heftiger, je öfter offizielle Aussagen hoher Parteifunktionäre – etwa des Politbüromitglieds Stanisław Ciosek – bekannt wurden, dass man mit Teilen der Solidarność sprechen müsse. Die ZAIG war davon überzeugt, dass solche Vorschläge, mit der Konterrevolution zu verhandeln, kaum mit einer marxistischen Haltung in Einklang zu bringen waren. Pluralismus war für das MfS gleichbedeutend mit Revisionismus. Diese Angriffs auf die polnische Botschaft in Bern 1982. Wocheneinschätzung, [20.1.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13114, S. 5. 324  Wocheneinschätzung, [1.12.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13156, S. 3. 325  Information über die aktuellen Aspekte der innenpolitischen Entwicklung in der VRP, [Okt. 1988]; BStU, MfS, HA I Nr. 17342, S. 331. 326  Wocheneinschätzung, [18.8.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13142, S. 2.

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Rhetorik funktionierte bis 1989. Sogar die DDR-Botschaft in Warschau, deren Berichte seriöser waren als die des MfS,327 bezeichnete das besagte Jahr – zu Recht – als Ende des Sozialismus in der VRP. Die Solidarność wie auch die PVAP stellten, wie bereits dargelegt, die negativen Akteure der MfS-Berichte dar. Wer übernahm dann die Rolle des positiven Akteurs? In erster Linie die Streitkräfte, die prinzipiell nur am Rande der Informationen über die politische Führung erwähnt wurden. Die Armee als Ganzes und ihre Vertreter waren diejenigen, die laut Stasi die Stabilität des politischen Systems der VRP gewährleisten konnten.328 Woher rührte diese stabilisierende Funktion? Vor allem aus der sichtbaren und vom MfS auch registrierten immer größeren Rolle, die Jaruzelski in der polnischen Politik spielte. Seit dem Ende der 1970er-Jahre beobachtete die Stasi die Konsolidierung seines Machteinflusses sowie seine Personalentscheidungen, die diesen Einfluss belegten. Einen Höhepunkt stellte hierbei die Ernennung Kiszczaks zum Innenminister dar. Obwohl diese von der ZAIG konstatierte Tendenz zutraf und Jaruzelski in der Tat immer einflussreicher wurde, blieb bei der Berichterstattung die Grundsatzfrage aus, was die neue Stärke Jaruzelskis eigentlich bedeute. Man fasste einzelne Instrumente zusammen, die Jaruzelski nutzte, ohne sie dabei zu analysieren. So vermerkte man beispielsweise die Tatsache, dass die Militärs, die zugleich PVAP-Mitglieder waren, bei ihrer Parteitätigkeit ausnahmslos die Direktiven ihres Generals ausführten. Das bedeutete konkret, dass sie bei der Vorstellung von Reformkonzepten in den Parteigremien schwiegen. Das mochte aus MfS-Sicht bemerkenswert sein, da in dieser Zeit politischer Turbulenzen eine solche Zurückhaltung Ausdruck von Vernunft sein konnte. Die Zurückhaltung offenbarte jedoch auch die eigene Konzeptlosigkeit, was die Stasi unerwähnt ließ. Den Militärs gelang es zwar, immer mehr Funktionen zu übernehmen, sie wussten aber nicht, wie diese zivilen Ämter auszufüllen seien. Das war für das MfS jedoch angesichts der von den Militärs vorgebrachten und wie üblich ideologiegeprägten Äußerungen nachrangig. Zwar wurde beispielsweise einer Tiefenanalyse der Politik Jaruzelskis kein Platz eingeräumt, hingegen waren aus analytischer Sicht sinnlose Kommentare omnipräsent. Exemplarisch hierfür war das Personenprofil Kiszczaks, das nach seiner Amtseinführung als Innenminister erstellt wurde. Eine Schlüsselfrage, 327  Es konnte nicht anders sein, zumal einige ZAIG-Berichte handschriftliche Verweise darüber enthalten, woher die zitierten Informationen über Polen stammten. Als Quellen sind in ihrer tatsächlichen Reihenfolge zu nennen: Die westeuropäische Presse, die offizielle Presseagentur der DDR, also der ADN, der Westberliner »Tagesspiegel«, sowie das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR. Angaben über die Solidarność wurden den offiziell übergebenen Berichten des Studienbüros des MSW entnommen. Es handelt sich hierbei um einen Vorgang aus dem Jahre 1987. BStU, MfS, ZAIG Nr. 13028, S. 9. 328  Das war sowohl bei den eigenen MfS-Berichten der Fall als auch bei den HV-AUnterlagen, die die Meinungen der NATO-Entscheidungsträger zusammenfassten. Siehe BStU, MfS, HV A Nr. 12, Teil II, S. 408.

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auf welche Weise nämlich ein Militär einen zivilen Geheimdienst leiten könne, wurde erst gar nicht gestellt. Auch die stereotypen Formeln, dass er über klare politische Einstellungen verfügte, wurden in relativ bescheidenem Maße verwendet. Abgesehen von der Feststellung, dass Kiszczak die DDR positiv betrachtete, wurde ihm aber vorgeworfen, dass er ein »extremer polnischer Nationalist« sei, eine Einschätzung, die angeblich auch die sowjetische Seite teilte. Außerdem bemängelte man, dass seine Frau einen kleinbürgerlichen Lebensstil führte und sogar die Kirche besuchte. Am bedenklichsten war aber, dass ihr Mann »nichts dagegen« unternahm.329 So ist es nicht erstaunlich, dass Mielke seinen polnischen Gästen nach der Lektüre solcher Analysen prinzipiell in arroganter Manier begegnete. War die Teilnahme von Frau Kiszczak am Gottesdienst relevant für die Art und Weise, wie Herr Kiszczak seinen Geheimdienst leitete? Nein. Aus Mielkes Sicht jedoch definitiv. Deshalb tauchen rein analytische Vermerke in den Berichten nur am Rande auf, so etwa das Eingeständnis, dass die Rolle Kiszczaks bei den Sitzungen der wichtigsten Parteigremien ab dem Sommer 1980 für das MfS »unklar« war. Wenn dem so war, dann hätte ein handlungsfähiger Dienst jene Rolle klären müssen. Die Stasi gab sich aber mit der Bemerkung zufrieden, dass die engen Arbeitsbeziehungen zwischen Kiszczak und Jaruzelski eine Gewähr dafür wären, das Innenministerium im Griff zu behalten. Was das wiederum hieß, wurde selbstredend nicht konkretisiert. Obwohl beide Generäle die eigenen Geheimdienste wirksam kontrollierten, bedeutete dies nicht, dass sich die Lage in Polen – aus SED/MfS-Sicht – verbessert hatte. So bestand für die Berichterstatter des MfS folgendes Dilemma: Zwar wurde die PVAP massiv kritisiert, nicht aber Jaruzelski und Kiszczak und auch nicht die polnische Armee. An einem Erfolg der beiden Generäle bei der Überwindung der Wirtschaftskrise wurde mitunter gezweifelt,330 jedoch wurden sie nie, auch 1989 nicht, derart persönlich und scharf von der ZAIG attackiert, wie das bei Gorbatschow der Fall war. Das Ausbleiben von Kritik bedeutete aber auch das Ausbleiben einer tiefgehenden Analyse, obwohl die HV A über westliche Unterlagen verfügte, die eine völlig andere analytische Philosophie vertraten als die des MfS. Über die angeblich von der CIA erstellten Analysen zur Person Jaruzelskis verfügte man schon 1984. Waren dort Anmerkungen darüber zu finden, wer aus seiner (adligen) Familie die Kirche besuchte? Keine einzige. Man konnte da aber sehr wohl erfahren, dass er faktisch über der PVAP stand und nicht willens war, Macht an sie abzutreten, obgleich er sich noch nicht darüber im Klaren war, welche Art von Wirtschaftspolitik in der VRP umzusetzen sei.331 Nicht nur die Streitkräfte wurden ohne jegliche Analyse abgehandelt. Auf ganz ähnliche Art und Weise wurde auch das Innenministerium rezipiert. Oft und 329  BStU, MfS, ZAIG Nr. 13293, S. 21. 330  Kochanowski: Die Beziehungen, S. 346. 331  BStU, MfS, ZAIG Nr. 13269, S. 96; BStU, MfS, HV A Nr. 43, Teil II, S. 361.

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peinlich genau wurden lediglich konkrete Ereignisse innerhalb dieses Ressorts erwähnt, so die Ernennungen von Militärs zu Leitern von Einheiten im MSW oder auch die verzeichneten »internen Unruhen« nach der Ermordung des Priesters Popiełuszko. Die einzige rein analytische These der Berichte war die, dass die zivilen Geheimdienste, also das MSW, ihre Bedeutung angeblich zugunsten des Militärs eingebüßt hätten. Als Beleg hierfür wurde die immer kleinere Zahl von MSW-Vertretern innerhalb der wichtigsten Parteigremien angeführt. War diese These aber wirklich fundiert? Sie war es nicht. Warum nicht? Ohne Zweifel wurde die Führungsspitze des MSW militarisiert. Dies beeinflusste jedoch nicht die operative Ebene und war nicht gleichbedeutend mit der faktischen Kontrolle über den Geheimdienst. Kiszczak kam die Behauptung der Stasi, dass er sein Ministerium unter Kontrolle hatte, womöglich gelegen. Ebenfalls von Vorteil war, dass von ideologisch geprägten Ereignissen berichtet wurde, etwa von den Parteiberatungen des MSW. All dies konnte aber nach wie vor nicht klären, wozu Kiszczak eigentlich in der Lage war und wozu nicht. Solange aber, d. h. seit Anfang der 1980er-Jahre, in den Berichten von einem »Kollektiv« im MSW die Rede war, das eine entschlossene Haltung im Kampf gegen die Solidarność vertrat, solange hatte das Innenministerium durch ebendiese Feststellung die beste Werbung bei seinen Genossen im MfS. Das angesprochene Kollektiv wies gemäß der ZAIG ab 1981 darauf hin, dass seine Erwartungen bereits in konkrete Befehle überführt worden waren. So informierte es die Stasi darüber, dass unabhängige Gewerkschaften mit der notwendigen Härte vom MSW liquidiert würden. Dass man der Solidarność 1981 mit Gewalt begegnen würde, war eine klare Ansage. Und das wollte die Stasi hören.332 Auch wenn das MfS die Einführung des Kriegsrechts mit Zufriedenheit zur Kenntnis nahm, blieb dem MSW auch weiterhin Kritik nicht erspart. Die Stasi-Berichte spiegeln im Grunde all jene Vorwürfe wider, die Mielke auch während der offiziellen Begegnungen mit der MSW-Führung vorbrachte. Die Bekämpfung der Opposition wurde stets als zu schwach eingestuft, obwohl alle polnischen Informationen über die entsprechenden Maßnahmen ans MfS weitergeleitet wurden.333 War jedoch für eine Analyse des MSW die Zahl der beschlagnahmten Flyer in Polen relevant? Nein. Relevant war die Tatsache, dass das Innenministerium zu einem der Schlüsselzentren wurde, die die kontrollierte Transformation des Jahres 1989 mit vorbereiteten. Darüber jedoch wurde – wie üblich – nicht berichtet.

332  Siehe ZAIG-Bericht vom 17.6.1981: Zur Rolle der bewaffneten Organe der VR Polen in der Auseinandersetzung mit den konterrevolutionären Kräften; BStU, MfS, ZAIG Nr. 11584, S. 83. 333  Wocheneinschätzung, [4.11.1985]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13492, S. 4.

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Religionsgemeinschaften Der zweitwichtigste Feind im Spiegel der Stasi-Unterlagen musste verständlicher­ weise die katholische Kirche sein. Die Informationen über sie waren ebenso eindeutig wie die über die Opposition. Der Klerus strebte danach, den Marxis­ mus prinzipiell bzw. die PVAP im Konkreten zu bekämpfen, indem er eine aggressive Propaganda, tendenziöse Predigten sowie die ökonomische Schwäche des Staates (aus)nutzte.334 Das einzig Unbeständige an der kirchlichen Taktik sei die Taktik selbst gewesen. Das MfS vertrat die Auffassung, dass die kirchlichen Würdenträger extrem heuchlerisch agierten. So unterstützten sie zum Beispiel Bestrebungen, die gesellschaftliche Ruhe zu wahren und Gewalt bei politischen Konflikten zu vermeiden. Doch hätten die Kirchenvertreter dies nicht getan, um das Gemeinwohl zu stärken, sondern lediglich zur Wahrung eigener Interessen. Auf den Punkt gebracht war die Ruhe im Land eine Grundvoraussetzung dafür, einen Papstbesuch vorzubereiten. Nur deswegen habe die Kirche, so das MfS, eine Vermittlerrolle zwischen der Solidarność und der Regierung eingenommen. Zum Beweis verwies die ZAIG auf Informationen über die Unterstützung bestimmter Pfarreien zugunsten der Solidarność, insbesondere nach 1981. Vollkommen zu Recht und zweifelsohne als eines der wenigen analytischen Elemente in ihren Berichten definierte die Stasi die Kirche als eine der bestorganisierten antisozia­ listischen Kräfte in Polen.335 Wie immer aber ließ man dabei unerwähnt, dass die Kirche nicht einfach eine Organisation, sondern zum damaligen Zeitpunkt geradezu ein wahres Abbild der gesellschaftlichen Tendenzen war. Unerwähnt blieb auch, dass die Politik der kirchlichen Funktionsträger gegenüber Jaruzelski eines der umstrittensten Themen innerkirchlicher Auseinandersetzung war. Die durchaus gemäßigte Haltung des polnischen Primas Glemp wurde in Polen und der Solidarność als Verrat angesehen, obwohl die Haltung der Kirche nicht von Eigeninteresse, sondern von der Sorge geprägt war, dass in Polen nach 1980 und in der weiteren Folge ein Bürgerkrieg oder regelmäßige blutige Auseinandersetzungen nicht zu verhindern seien. Wie sah die Berichterstattung über die Kirche in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre aus? Fast wie zuvor. Ein Unterschied bestand jedoch darin, dass die Politik des Klerus mit staatlichem Gegenwind rechnen musste. Besagter Gegenwind, also Repressionen, seien laut Stasi für gewöhnlich zu mild gewesen. Als Konsequenz musste die Kirche geradezu weiter gegen die VRP kämpfen. Selbst so drastische Ereignisse wie die Ermordung des Priesters Popiełuszko änderten nichts an den Thesen der Berichterstatter. Man war der Meinung, dass die polnischen Machtinhaber eindeutig zu spät und eben zu milde auf das Vorgehen der zumeist politisch engagierten Priester in der VRP reagiert hätten. 334  BStU, MfS, ZAIG Nr. 13326, S. 6. 335  Solche Thesen vertrat auch die HV A. BStU, MfS, HV A Nr. 14, S. 166.

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Die regelmäßige Schilderung dessen, was in Popiełuszkos Pfarrhaus nach dessen Tod geschah, unterschied sich nicht von den früheren Informationen. Es kamen lediglich neue Namen politisch engagierter Priester hinzu, die üblicherweise aus den Tagesinformationen des MSW abgeschrieben wurden.336 Ebenso unverändert blieb die These, dass diese Priester zu unentschlossen bekämpft würden und dass sie auf Anweisung des Episkopats arbeiteten, was aber nicht immer zutraf, da viele Bischöfe diese politischen Aktivitäten nicht duldeten. Gab es auch positive Elemente in den Berichten zu den Kirchen? Die gab es. Insbesondere der damalige Regierungssprecher Jerzy Urban – eine der meist verhassten Persönlichkeiten der VRP, vor allem wegen seiner Propaganda­ pressekonferenzen – war einer der beliebtesten Helden des MfS. Mit sichtlicher Zufriedenheit wurden auf Pressekonferenzen ganze Abschnitte seiner Erklärungen wörtlich abgeschrieben, in denen er die Aktivitäten des MSW gegen die »reaktio­ näre Kirche« schilderte. Auf diese Weise machte er aber auch die Schwäche der MfS-Arbeit augenscheinlich. Urban war ein Mitglied der »Gruppe der Drei«. Diese Gruppe arbeitete im Auftrag Jaruzelskis die wichtigsten Konzepte der geplanten politischen Transformation aus. Doch waren diese Konzepte für Mielke nicht hinnehmbar. Die arroganten Pressekonferenzen Urbans hingegen schon, ebenso wie die anderen Materialien, die die ZAIG lieferte, beispielsweise die Sitzungs­ stenogramme des polnischen Episkopats oder die Berichte über Polenbesuche hoher Kirchenvertreter aus der Bundesrepublik. Dabei betonte das MfS die Elemente, die einen allgemeinen kirchlichen Revanchismus belegen sollten, so etwa die Erkundigungen jener Kirchenvertreter danach, ob die deutsche Sprache in der Liturgie in den ehemals deutschen Gebieten benutzt werden dürfe, sowie deren Besuche am Grab Popiełuszkos. Waren diese Friedhofsbesuche aus der Sicht der Stasi für die politische Entwicklung der VRP wirklich relevanter als die Arbeit der »Gruppe der Drei«? Falls das zu bejahen ist, dann musste das MfS letztlich versagen, und zwar auch deswegen, weil es keine langfristigen Folgen in den anderen wichtigen Ereignissen des kirchlichen Lebens sehen wollte: den Papstbesuchen. Sie wurden nicht als Anzeichen dafür gesehen, dass die absolute Mehrheit der Gesellschaft – sei es passiv oder aktiv – die Machtverhältnisse ablehnte, sondern lediglich als ein weiteres Instrument der ideologischen Auseinandersetzung, das von der Opposition gezielt eingesetzt wurde.337 In der Tat war die Solidarność bei diesen Anlässen präsent, allerdings als Vertreterin des Volkes und nicht als eine unbedeutende Dissidenten­ gruppe. Die wahre Bedeutung der Papstbesuche stand nie im Mittelpunkt der Berichterstattung, sondern vielmehr banale Aussagen über die Kosten338 aller 336  Wocheneinschätzung, [4.2.1985]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13453, S. 2. 337  Wocheneinschätzung, [11.4.1983]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13361, S. 7. 338  Wochenbericht der Operativgruppe Warschau [24.6.1987]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13508, S. 1.

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damit verbundenen Veranstaltungen oder Feststellungen, dass die Haltung der polnischen Regierung, Papstbesuche zu genehmigen, falsch sei. Ohne Zweifel hatte die ZAIG recht, wenn sie der VRP – einem Staat, der sogar ein Treffen des Papstes mit Wałęsa zuließ – Schwäche attestierte.339 Gleichzeitig berichtete die Stasi jedoch nicht, dass die VRP sich ihrer Schwäche durchaus bewusst war und dem entgegenwirken wollte. Wirtschaft Wie schwach Polen als Staat wirklich war, zeigten die rein wirtschaftlichen Teile der ostdeutschen Berichterstattung schonungslos. Dies waren die konzisesten und realistischsten Abschnitte der MfS-Berichte. Es stimmt aber auch, dass die Wirtschaft Polens in einem solch schlechten Zustand war, dass es ein Leichtes war, das wahre desaströse Bild der volkspolnischen Ökonomie zu skizzieren. Diese Zustände nahm die Stasi jedoch nicht zum Anlass, danach zu fragen, auf welche Weise die Wirtschaftspolitik mit der politischen Transformation verbunden werden könne. Von Bedeutung war vielmehr eine rein ostdeutsche Perspektive dahingehend, inwieweit das bilaterale ökonomische Verhältnis durch die permanente Wirtschaftskrise in Polen beeinflusst wurde. Die Antwort auf diese Frage war ohne Zweifel wichtig. Doch war dies nicht die einzige Frage, die gestellt werden musste. Es ist nicht überraschend, dass die Wirtschaft der VRP in den Stasi-Berichten unter faktografischen Gesichtspunkten nur als katastrophal bezeichnet werden konnte. Schon seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre wurden die polnischen ökonomischen Verpflichtungen gegenüber der DDR nicht eingehalten, im darauffolgenden Jahrzehnt verhielt es sich nicht anders. Bereits Anfang 1980 waren die DDR-Verantwortlichen sicher, dass Polen die bestellte Steinkohle für die DDR nicht würde liefern können. Die polnische Industrieproduktion nahm kontinuierlich ab,340 außerdem sanken der Export, das Lebensniveau, und die Versorgungslage verschlechterte sich. Das skizzierte Bild kontrastierte mit der ostdeutschen Wirtschaftslage. Je näher die Einführung des Kriegsrechts in der VRP rückte, desto öfter wurden Einzelheiten zur Essensrationierung aufgeführt oder auch neue Gesetze, die Unruhen stiften konnten, wie etwa die Kürzung der monatlichen arbeitsfreien Tage. Was auch hier unerwähnt blieb, war die Tatsache, dass in der VRP zur gleichen Zeit Reformkonzepte entwickelt wurden, nichtren­ table Betriebe zu schließen oder die künstliche Vollbeschäftigung abzuschaffen. Für die Stasi-Führung waren jedoch nur die Informationen über Preiserhöhungen von Belang, am besten noch mit detaillierten Beschreibungen der sogenannten 339  Wocheneinschätzung, [27.6.1983]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13372, S. 10. 340  Wocheneinschätzung, [2.8.1982]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13324, S. 5.

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Hungermärsche, die in Polen ab 1981 als Antwort auf die Essensrationierungen stattfanden. Als ebenso erwünscht galten Informationen, dass die Liquidität der VRP gefährdet sei und neue Kredite in Westeuropa beantragt würden, die die polnische Abhängigkeit vom Westen noch erhöhen würden. Von der Vorbereitung rationaler Reformen in Polen wollte die Stasi-Führung jedoch nichts hören, und schon gar nichts davon, dass die gleichen Faktoren, die die Krise in Polen verursacht hatten, in den 1980er-Jahren auch in der DDR wirkmächtig werden konnten. Das Kriegsrecht sowie die anschließende Periode bis 1985 haben vor allem aufgrund der politischen Dimension und Tragweite die Wirtschaft in der ostdeutschen Berichterstattung immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Entweder nutzte man sie, um – dabei nicht immer glaubwürdig – die Erfolge341 Jaruzelskis herauszustellen oder auch, um ein weiteres Mal darauf hinzuweisen, dass vor allem die PVAP und deren Führung durch eine falsche Politik die ökonomische Krise verursacht hätten. Weiterhin wurden auch Informationen darüber bereitgestellt, wie unzulänglich die VRP ihren Exportverpflichtungen gegenüber der DDR nachkam. Eine Analyse der langfristigen Folgen der wirtschaftlichen Situation Polens konnte man den Berichten wie üblich nicht entnehmen. Erst gegen Ende der 1980er-Jahre tauchten Fakten auf, dass die VRP eine gewisse Annäherung an internationale Finanzinstitute und an die EWG suchte. Entsprechende Vermerke wurden aber stets mit ideologisch geprägten Kommentaren versehen, wie der Feststellung, dass eventuelle westliche Hilfen für Polen eine Demokratisierung des politischen Lebens voraussetzten. Die auf rationalen Erwägungen basierenden Gründe, die jene Annäherung befördert hatten, wurden von der Stasi nicht erwähnt. Fortwährend wurde hingegen betont, dass die polnische Regierung sich angeblich nicht um die Entwicklung des Landes kümmere, sondern mit der eigenen Inkompetenz kämpfe.342 Wie schon bei den Erklärungen Urbans wurden dabei die Aussagen polnischer »progressiver Genossen« zitiert, dass sich in Polen Armut ausbreite. Weshalb aber bereits 1986 Rentner 18 Prozent der volkspolnischen Gesellschaft ausmachten343 und welche sozioökonomischen Gründe zu dieser Entwicklung beigetragen hatten, interessierte das MfS dann nicht mehr. Fest steht, dass das MfS in ausreichendem Maße über die notwendigen makroökonomischen Daten verfügte, um die strukturellen Probleme der VRP-Wirtschaft korrekt und ideologiefrei zu beschreiben. Es ging dabei um die Devaluation des Złoty, fehlende Getreidevorräte, die wachsende Zahl der Nichtbeschäftigten und die damit verbundenen Folgeprobleme, etwa wie die nun anfallenden Sozialleistungen zu finanzieren seien. Sehr interessant – auch unter propagandistischen Gesichtspunkten – waren Meldungen darüber, wie viele pol341  Jaskułowski: Polen im Blick, S. 83. 342  Wocheneinschätzung, [17.11.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13154, S. 2. 343  Einschätzung aktueller Vorgänge in der VRP, [25.8.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13142, S. 8.

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nische Sportler nach Auswärtsspielen nicht nach Polen zurückgekehrt waren oder wie hoch die Emigration in die Bundesrepublik ausfiel.344 Ebenso wichtig war die Feststellung, dass es für die Gesellschaft immer schwieriger wurde, Lebensmittel zu besorgen oder den Alltag zu organisieren. Welche Schlussfolgerung wurde aber daraus gezogen? Die missliche Lage sei in ihrer Gesamtheit eine Folge der Nichteinführung der sozialistischen Ökonomie. Niemand wagte es, die These aufzustellen, dass die marode Wirtschaft und die sinkende soziale Aktivität dazu beitragen konnten, eine Art Verständigung zwischen der Solidarność und der PVAP zu ermöglichen. Die Quintessenz der skurrilen Berichterstattung über die Wirtschaft war eine MfS-Bemerkung, dass der Wohnungsmangel eine Revolte in Polen auslösen könnte.345 Der Wohnungsmangel war ohne Zweifel ein Problem in der VRP. Aber weder eine Revolte noch eine sozialistische Wirtschaftsordnung konnten dieses lösen. Auch hatte, neben anderen Faktoren, die unzureichende Zahl an freien Wohnungen zu einem Anstieg der Emigration geführt. Warum wurde also vom angeblichen Potenzial zu einer Revolte berichtet? Zur Befriedigung des Hochmuts der SED-Spitze. Selbige behauptete nämlich, dass bis 1990 alle Wohnungsprobleme der DDR gelöst würden und benötigte deshalb zur Profilierung der Fortschritte in der DDR entsprechende Negativbeispiele aus dem Ausland. Eine Information aus dem Jahr 1986 darüber, dass die polnische Regierung wusste, dass das Land ohne marktwirtschaftliche Reformen zwangsläufig auf eine ökonomische Katastrophe346 zusteuerte, war für die DDR-Verantwortlichen irrelevant. Dieselben Verantwortlichen trugen aber dazu bei, dass es in der VRP zu einem Runden Tisch kommen konnte347 und dass es die DDR war und eben nicht Polen, die wirtschaftlich implodierte. Gesellschaft Wie konnte es sein, dass die ZAIG-Berichterstattung nicht relevant war? Am besten verdeutlicht dies die Art und Weise, wie das im Grunde genommen wichtigste Element des Landes beschrieben wurde, also die Gesellschaft. Es wurde nie gesondert oder als Subjekt dargestellt und fungierte ausschließlich als 344  Wocheneinschätzung, [1.9.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13143, S. 7. 345  Wocheneinschätzung, [3.3.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13120, S. 2. 346  Wocheneinschätzung, [14.4.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13126, S. 4. Bereits 1985 wiederholte die ZAIG mit absurder Konsequenz die skurrile These, dass Jaruzelski bei seiner Wirtschaftspolitik angeblich die Erfahrungen der »Bruderländer« einbeziehe. Solche Sätze durften – ganz abgesehen davon, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen – in einer Rede Mielkes vorkommen, eine geheimdienstliche Wocheneinschätzung jedoch wurde durch diese bedeutungslos, [25.2.1985]. BStU, MfS, ZAIG Nr. 13456, S. 8. 347  Antoni Dudek: Reglamentowana rewolucja. Rozkład dyktatury komunistycznej w Polsce 1988–1990. Kraków 2005, S. 31.

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Hintergrund für die Beschreibung anderer Institutionen, vor allem der Medien. In der Gierek-Ära war die Kritik dieser Medien seitens der Stasi noch zurückhaltend. Seit dem Aufkommen der Solidarność hingegen kritisierte man ohne Unterlass die wichtigsten Elemente des Mediensystems, die für die Gesellschaft von großer Bedeutung waren. Eine freie Berichterstattung war für das MfS untragbar. Was also wurde kritisiert oder gar verurteilt? Vor allem das Ausbleiben einer Kontrolle der Journalisten, das Ausbleiben von Entlassungen kritischer Redakteure, die allgemeine Linie der unabhängigen Redaktionen, die laut Stasi sogar Psychoterror anwendeten, sowie das Fehlen von adäquaten Gegenmaßnahmen gegen die Impulsgeber jener freien Medien, also die Opposition und westeuropäische Geheimdienste. Seit 1984 zählte, laut Stasi, auch der internationale Zionismus zu jenen Inspiratoren.348 Gab es unter diesen Umständen Platz für ein differenziertes Bild der Bevölkerung oder eine Gesellschaftsanalyse? Wohl kaum, es sei denn, man zählt dazu die »Analyse der gesellschaftlichen Organisationen«, darunter eine Analyse der Jugendbewegung. Einerseits nahm besagte »Analyse« mitunter mehr Platz in der Berichterstattung ein als die Opposition oder die Wirtschaft. Andererseits ist sie ein Abbild der vollkommen ideologisierten Weltanschauung der SED. In der DDR, wo jeder Lebensbereich unter staatlicher Kontrolle sein sollte, konnte die Entwicklung der bunten Jugendbewegung in Polen, die 1981 sogar 40 separate Organisationen verzeichnete, nur als »Zerfall« bezeichnet werden. Ebendieses Wort gebrauchte das MfS. Die Stasi beklagte darüber hinaus, dass jene Organisationen von der Opposition infiltriert seien und sogar 90 Prozent der Mitglieder der »parteitreuen« ZSMP-Bewegung der Solidarność angehörten. Welches Ziel verfolgte diese bunte Vereinslandschaft aus Sicht des MfS? Selbstverständlich ging es darum, mithilfe solcher Vereine den oppositionellen Bewegungen Nachwuchs zu verschaffen. Zwar gab die ZAIG gelegentlich zu, dass sie nicht wusste, wie einige dieser Vereine funktionierten, jedoch konnte dies die ideologische Prägung der analytischen Thesen des MfS nicht beeinflussen. In der Tat waren vor allem die Studentenvereine, etwa der NZS, politisch durchaus aufseiten der Solidarność engagiert. Die Vermutung aber, dass auch die Pfadfinder eine konterrevolutionäre Gruppe gewesen seien, lässt Zweifel daran aufkommen, ob der Vertreter dieser These überhaupt irgendetwas vom politischen Leben Polens verstand. Konnte man aber damit rechnen, eine differenzierte Darstellung der Jugendbewegung zu erhalten, wenn in der DDR eine zentralisierte FDJ zum Dogma erhoben worden war? Sicherlich nicht. Es kann auch nicht verwundern, dass über einige Tagungen des ZSMP ebenso unreflektiert berichtet wurde wie über PVAP-Veranstaltungen, wo nur Raum für Statistiken und Reden vorgesehen war, darüber hinaus noch für die Kritik, dass die geschilderte »bunte Landschaft« eine Folge der revisionistischen Tätigkeit nicht nur der Dissidenz, sondern auch 348  Wocheneinschätzung, [22.10.1984]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13440, S. 11.

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der ZK-Mitglieder sei. Gemeint war der spätere Ministerpräsident Rakowski, der zweifelsohne zu einem »Protagonisten« des MfS avancierte. Da die PVAP aus Sicht des MfS keine progressive Politik betrieb und die Gesellschaft dementsprechend nicht klassenbewusst erzogen worden sei, musste sie – quasi als logische Folge – im Niedergang begriffen sein. Bei der Lektüre der ZAIG-Berichte kann man in der Tat den Eindruck gewinnen, dass das polnische Volk keine eigenen Meinungen vertrat, keine lebensfähige Gemeinschaft war, sondern sich in Auflösung befand, vor allem auch in ethischer Hinsicht. Die Bewohner der VRP waren – wenn man die Ausführungen der Stasi ernst nimmt – in erster Linie Verbrecher, Alkoholiker, Drogensüchtige, Asoziale und Katholiken, wobei Letztere ebenso pejorativ eingestuft wurden wie die vorangegangenen Gruppen. Die von der Stasi ausgemachten Probleme nahmen in den 1980er-Jahren angeblich noch zu. Der Inhalt dieser Berichte erschöpfte sich darin, zu erklären, warum die offizielle DDR-Propaganda ab 1980 so antipolnisch war. Selbstverständlich erfuhr man in den ZAIG-Schriften nichts darüber, wie diszi­ pliniert etwa die Streikenden den Alkoholismus bekämpften und wie konsequent die von den Streikkomitees eingeführte Prohibition angewendet wurde. Der Leser konnte dafür aber erfahren, dass das Staatsfernsehen eine Kooperation mit dem ZDF eingegangen war. War das im Hinblick auf die gesellschaftliche Situation der Volksrepublik relevant? Mitnichten. Wichtig waren Informationen über die sinkende gesellschaftliche Aktivität oder mögliche neue Wellen von Unmutsbekundungen. Solche Informationen wurden erst Anfang 1989 angeführt349 und auch erst nach den Berichten über den Runden Tisch, der im Übrigen als Verrat am Sozialismus bezeichnet wurde. Es sind Zweifel angebracht, ob dies als Zeichen für eine verantwortungsbewusste Berichterstattung zu werten ist, zumal die HV A bereits seit 1986 zumindest dank der westdeutschen Quellen begriffen haben musste, dass die Machthaber und die Opposition in der VRP ihre grundsätzlichen Taktiken gegenüber der jeweiligen Gegenseite ändern konnten.350 Die Beschreibung bedeutender politischer Ereignisse hatte aber auch weiterhin Vorrang vor Analysen. Was waren das für Ereignisse? Höchste Priorität hatte die Einführung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981. Die äußere Wahrnehmung dieses drastischen 349  Monatsbericht der OGW, [31.3.1989]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13528, S. 1. 350  Wocheneinschätzung, [23.6.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13136, S. 1. Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, dass die HV A Analysen verfassen wollte, die für die eigene Leitung unangenehm sein konnten. So wusste die HV A bspw. spätestens ab 1988 aus ihrer Tätigkeit in der Bundesrepublik, dass die PVAP kein Konzept hatte, wie die Wirtschaft gerettet werden könnte, dass die neue Generation kein Nachwuchspotenzial für die alte Opposition bot und dass die Solidarność selbst stark zersplittert war, was zwangsläufig zu einem Kompromiss mit Jaruzelski führen musste. Doch war die HV A auch damals noch der Meinung, dass der General die Solidarność lediglich schwächen wollte. Information über BRD-Wertungen zur Situation und zum Einfluß oppositioneller Kräfte in der VR Polen, [30.5.1988]; BStU, MfS, HV A Nr. 52, Teil I, S. 125.

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Schrittes war aus Sicht des MSW überaus günstig. Alle Elemente des Kriegsrechts wurden bewusst selektiv dargestellt,351 um die verantwortungsvolle Haltung der Regierung und die staatszerstörerische Haltung der Solidarność hervorzuheben. Damit stimmte sie mit der polnischen Propaganda überein. Der ostdeutsche Geheimdienst hätte jedoch keinesfalls jede noch so kurze Ansprache Jaruzelskis im Wortlaut zitieren müssen, in der er die Einführung des Kriegsrechts rechtfertigte. Die Ansprachen wurden trotzdem zitiert, auch um erste Erfolge Jaruzelskis zu zeigen. Bedeutet dies aber, dass die Stasi mit seiner Politik nach dem 13. Dezember in allen Punkten übereinstimmte? Nein. Obwohl das Kriegsrecht als solches in der DDR zweifellos begrüßt wurde, führte dessen Einführung nicht dazu, dass in der VRP fortan ostdeutsche Verhältnisse herrschten. Aber nur das war aus Sicht der Stasi erstrebenswert und so behauptete das MfS zu Recht, dass der 13. Dezember für sich genommen nicht die grundlegenden Probleme der VRP gelöst hatte.352 Sehr viele Teilschritte wurden eindeutig positiv wahrgenommen, etwa die Militarisierung der Verwaltung. Man ging überdies davon aus, dass der Generalstab im Laufe der Zeit sogar einige Kompetenzen der PVAP übernehmen würde. All dies sollte das sozialistische System jedoch konsolidieren und nicht reformieren. Diese Textstellen sind für Geheimdienstunterlagen eher untypisch, ebenso die Frage, warum Wałęsa nicht sofort am 13. Dezember verhaftet worden war. Solchen Fragen aber wurde in den ersten Berichten nach der Einführung des Kriegsrechts die größte Bedeutung beigemessen.353 Andere hingegen blieben offen, so etwa die von Kiszczak selbst an Mielke herangetragene, wie lange Polen mithilfe von Bajonetten regiert werden könne. Stattdessen verfasste die ZAIG dichte Informationen über Verhaftungen, Streiks und Gefallene. All dies war nicht unwichtig, aber für die politische Analyse nur bedingt von Belang. Auf lange Sicht setzte das Kriegsrecht einen Prozess in Gang, dessen Ende die Gespräche am Runden Tisch markierten. Obwohl die Vorbereitungen zu diesen Gesprächen Jahre dauerten und einem handlungsfähigen Geheimdienst nicht entgehen konnten, bildete der Runde Tisch in der MfS-Berichterstattung kein Element einer tiefgehenden Analyse. Die ersten Schritte, etwa die Ernennung des Konsultationsbeirates beim Vorsitzenden des Staatsrates – was als eine Art Quasi-Demokratisierung des Regierungssystems der VRP gedacht war –, wurden ohne einen weiteren Kommentar vermerkt. Im gleichen Bericht aber wurden ganze Seiten mit durch und durch ideologisierten Kommentaren zu 351  Etwa im Bereich der Außenpolitik war die HV A der Meinung, dass die Krise in Polen vor allem der Konterrevolution gedient hatte und dass die USA die Lage in der VRP nutzen wollte, um die anderen sozialistischen Staaten zu schwächen und die eigene Rolle in der NATO zu stärken. Einschätzung über westliche Vorstellungen und Aktivitäten im Zusammenhang mit den Ereignissen in der VR Polen, [19.5.1981]; BStU, MfS, HV A Nr. 6, S. 48; BStU, MfS, HV A Nr. 13, S. 17. 352  Wocheneinschätzung, [22.2.1982]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13301, S. 1. 353  Wocheneinschätzung, [14.12.1981]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13293, S. 2.

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Schulungen des ZK der PVAP gefüllt.354 Damit nicht genug: Die für die spätere Entwicklung relevante Fernsehdebatte zwischen Wałęsa und dem Vorsitzenden der staatlichen Gewerkschaften, Alfred Miodowicz355, die Wałęsa für sich gewinnen und womit er seine eigene Position auch in der Gesellschaft weiter festigen konnte, wurde noch absurder kommentiert. Die Stasi räumte zwar ein, dass der Sieg in der Debatte an die Solidarność ging. Jedoch sollte dieser Umstand keine Konsequenzen nach sich ziehen [sic!].356 Eine der wichtigsten Etappen auf dem Weg zur gelenkten Transformation in Polen wurde hier von einem Geheimdienst als schlicht belanglos eingestuft. In diesem Lichte überrascht es nicht, dass die Stasi die ersten Sondierungsgespräche und die eigentlichen Hauptgespräche am Runden Tisch sowie deren Ergebnisse, die doch aus Sicht des MSW und der PVAP durchaus vorteilhaft waren, als Niederlage des Sozialismus bewertete. Gemäß dem MfS haben das Fehlen der führenden Rolle der Partei sowie die Unentschlossenheit im Kampf gegen die Opposition zur Wirtschaftskrise und Inflation beigetragen. Dies wiederum habe eine gesellschaftliche Destabilisierung ausgelöst und abschließend zum Ende des Sozialismus nach 40 Jahren seines Bestehens geführt.357 Diese Meinung lässt sich noch nachvollziehen, wenn man sich die ideologische Prägung der Verfasser ins Bewusstsein ruft. Wenn aber die ZAIG 1989 behauptete, dass es überhaupt nicht sicher sei, ob die für Jaruzelski wichtigsten Ressorts, nämlich Inneres, Verteidigung und das Außenministerium, ab August 1989 noch unter seiner Kontrolle wären, so kann man das nur als eklatante Naivität der Stasi bezeichnen. Nicht nur die Zweifel an der politischen Klugheit der Vorgehensweise Jaruzelskis und Kiszczaks untergruben die Glaubwürdigkeit der MfS-Arbeit. Ebenso zweifelhaft waren die Thesen, dass die Rundtischgespräche angeblich ins Stocken geraten seien. Wenn die MfS-Operativgruppe Warschau in einem Wochenbericht Anfang 1989 freimütig vermerkte, dass ihr gesamtes Wissen über jene Gespräche aus den Tagesinformationen einschließlich Anhängen des MSW stammte, so stellt das ihre operativen und analytischen Fähigkeiten grundsätzlich infrage.358 Aus Sicht 354  Wocheneinschätzung, [15.12.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13158, S. 3. 355  Sie fand am 30.11.1988 statt. 356  Wochenbericht der Operativgruppe Warschau, [5.12.1988]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13525, S. 2. 357  Zuarbeiten der ZAIG vom 31.8.1989; BStU, MfS, ZAIG Nr. 4884, S. 60. 358  Wochenbericht der Operativgruppe Warschau, [20.2.1989]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13527, S. 2. Der Militärattaché, also die HA I, arbeitete teilweise noch skurriler. Der Information vom 1.6.1989, die nicht außerhalb dieser Einheit verwendet werden durfte, sind Daten zu entnehmen, die direkt aus der Tagespresse abgeschrieben worden sind. So etwa Angaben über die Anzahl der registrierten Wahlkandidaten. Außerdem wurde behauptet, dass Jaruzelski problemlos zum Präsidenten gewählt werden würde (tatsächlich gewann er die Wahlen mit nur einer Stimme Vorsprung) und dass 90 Prozent Wahlbeteiligung bei den Wahlen vom 4.6.1989 vorgesehen seien. Aus unerklärlichen Gründen, die in der gesamten Geschichte der Staatssicherheit niemals analysiert worden sind, lag die Wahlbeteiligung aber bei 62 Prozent und 25 Prozent. Siehe

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des Innenministeriums konnte es gar keine bessere Möglichkeit zur Manipulation geben. Nur am Rande signalisierte die MfS-Operativgruppe Warschau, dass einige Dissidenten-Milieus die Gespräche am Runden Tisch als Verständigung zwischen der Macht und den oppositionellen Eliten kritisierten.359 Nach wie vor aber war die Stasi nicht in der Lage, die Erfolge des MSW oder der Partei, geschweige denn die Jaruzelskis, emotionslos und rational zu bewerten. Die einzige zutreffende These der Berichterstattung, dass nämlich der Runde Tisch die Wirtschaftskrise nicht alleine würde lösen können,360 war nicht ausreichend für den Anspruch des MfS, ein handlungsfähiger Geheimdienst zu sein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Botschafter der DDR in Warschau bessere Berichte, vor allem auch über die Wirtschaftspolitik der ersten VRP-Regierung unter dem nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Mazowiecki, verfasste und der SEDSpitze schickte. Hervorzuheben ist, dass Kiszczak in dieser Regierung nach wie vor Innenminister und Jaruzelski Staatspräsident war. In den Augen der Stasi war dies im Vorfeld als höchst unwahrscheinlich bewertet worden. Außenpolitik Üblicherweise wurden alle Berichte mit einem Themenblock zur Außenpolitik abgeschlossen, wobei dieser auf wichtige Eckdaten beschränkt war. In Bezug auf Polen beschäftigte sich die Stasi vor allem mit den bilateralen Beziehungen, dabei in erster Linie mit den Beziehungen zur Bundesrepublik und zur Sowjetunion. Im Gegensatz zu anderen, analytisch kaum durchdrungenen Bereichen war in diesem Teil immerhin eine Art Misstrauen spürbar (was auf Gegenseitigkeit beruhte), was man unter Umständen als Ersatz für eine normale Analyse gelten lassen könnte. Beide Seiten beschuldigten einander, die auswärtigen Beziehungen, also jene zur Bundesrepublik und zur UdSSR, gegeneinander auszunutzen. So war eine Aufgabe der Berichterstattung, Belege für die feindliche Aktivität des Verbündeten herauszuarbeiten. Wie aber sah diese Berichterstattung in der Praxis aus? Bis zur Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU stellte die Außenpolitik keinen separaten Punkt der Wochenberichte dar, es sei denn, es handelte sich um rein bilaterale Beziehungen. In diesen Fällen kopierte man offizielle Presseartikel oder auch andere Informationen, ohne dabei deren Provenienz aus der BStU, MfS, HA I Nr. 13987, S. 77 u. BStU, MfS, ZAIG Nr. 13186, S. 2. Noch absurder waren Berichte der OGW vom Juli 1989, dass Kiszczak Präsident und das für die Gespräche mit der Solidarność zuständige Politbüromitglied Ciosek Innenminister würde. Information, [5.7.1989]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13151, S. 16. 359  Wochenbericht der Operativgruppe Warschau, [13.2.1989]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13527, S. 7. 360  ZAIG-Information über den Abschluß der Rundtischgespräche, [24.4.1989]; BStU, MfS, HA VII Nr. 4853, S. 9.

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Tagespresse zu verheimlichen.361 Analysen, selbst ausgearbeitete Definitionen oder gar Versuche, vorhandene Probleme auf ungewöhnliche Weise anzugehen, waren wie immer nicht vorhanden. Gelegentlich wurden Informationen zitiert, die angeblich in der bundesdeutschen Botschaft in Warschau gewonnen worden waren. Die Hauptaussagen waren jedoch stets ideologiekonform, die polnischen Machthaber wüssten also nicht, wie es weitergehen sollte. Hinzu kamen aber auch Zusatzkommentare, dass die besagte Botschaft ohne jeden Zweifel dazu beigetragen habe, die polnische Krise zu vertiefen. Im Grunde genommen kopierte die ZAIG die übliche diplomatische Arbeit, fasste also Beiträge der Parteipresse zusammen und erstellte ebenfalls Teilnehmerlisten offizieller polnischer Visiten in der UdSSR/der Bundesrepublik/der DDR oder umgekehrt.362 Der Amtsantritt Gorbatschows und die spätere Verschlechterung der Beziehungen zwischen ihm und Honecker sowie die Verbesserung seiner Beziehung zu Jaruzelski beeinflussten verständlicherweise die Berichterstattung. Die polnische Außenpolitik war seit 1986 Thema, wurde dabei allerdings wie üblich als Gefahr für die DDR betrachtet. Die Form der Kontakte Polens zu Westeuropa gefährdete in dieser Wahrnehmung die Einheit des Warschauer Paktes. Dieses Bedrohungsszenario spiegeln nicht nur die ZAIG-Berichte wider, sondern auch die nahezu identischen Passagen in den Reden Mielkes – gehalten vor Vertretern des MSW. Was bezeichnete man damals eigentlich als »Bedrohung«? Den Jugendaustausch mit der Bundesrepublik, die Entwicklung der bilateralen Kontakte mit der Bonner Regierung, aber auch das Exportwachstum oder das erste Kooperationsabkommen zwischen westdeutschen und polnischen Unternehmen. Eine Bedrohung sollte auch darin bestehen, dass die VRP ihre Handelsbeziehungen zu jenen afrikanischen Staaten intensivierte, in denen vor allem die DDR ökonomisch präsent war. Diese Informationen waren aus Sicht der Aufklärung definitiv rational berechtigt, ebenso wie das allgemeine Interesse daran, wie die VRP die Kernenergie zu nutzen gedachte. Nur konnten aber solche Fragen nicht ausschließlich mithilfe von offenen Quellen beantwortet werden, vor allem auch nicht, ohne darüber nachzudenken, ob es überhaupt eine Chance gab, Kernenergie in Polen zu produzieren. Das war zu keinem Zeitpunkt der Fall. Was es gab, das waren Stimmen einzelner Abgeordneter, die bei Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses des Parlamentes behaupteten, dass die DDR die eigene Position zulasten Polens stärkte.363 Für die DDR-Botschaft waren solche Aussagen von großem Interesse. Ebenso hätte der Stasi aber klar sein sollen, dass das Parlament in der polnischen Außenpolitik keine Rolle spielte, im Gegensatz zu den von der Stasi als »Revisionisten« klassifizierten Persönlichkeiten wie Rakowski.

361  Wocheneinschätzung, [5.4.1982]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13307, S. 1. 362  Wocheneinschätzung, [31.3.1986]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13124, S. 1. 363  BStU, MfS, ZAIG Nr. 13453, S. 8.

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Es gab eine Einheit, die davon absehen konnte, Rakowski zu diffamieren. Das war die HV A. Die Außenpolitik war der einzige Bereich, in dem der ostdeutsche Geheimdienst gute Analysen vorweisen konnte. Die Aufklärer machten darauf aufmerksam, dass die wichtigste Richtlinie der polnischen Außenpolitik in den 1980er-Jahren verändert wurde, dass man nämlich versuchen würde, die schwierigsten und historisch belasteten Beziehungen364 zur Bundesrepublik neu zu gestalten, und zwar mit expliziter Kompromissbereitschaft.365 Auch hatten die HV-A-Angehörigen kein Problem mit der Feststellung, dass vor allem die PVAP von guten Beziehungen zu Gorbatschow profitieren würde, dass es zwischen westeuropäischer Wirtschaftshilfe für Polen und der Demokratisierung im Land eine Verbindung gibt und schließlich, dass die bilateralen Beziehungen Polens zur DDR eine Fiktion darstellten, die nur aus hohlen Freundschaftsbekundungen bestünde.366 All dies war eine Zusammenfassung der im Westen vernommenen Meinungen. Dies war aber zugleich eine durchaus kompakte, ideologiefreie und ehrliche Lagebeschreibung, zumal auch potenzielle Vorteile für Polen aufgelistet wurden, wenn dieser Staat Reformen durchführte und sich für den Westen öffnete.367 Gab es überhaupt eine Chance, dass die Einschätzungen der HV A in der SED-Führung wahrgenommen würden? Nein. Die soeben zitierten Berichte leitete Erich Mielke nur etwa einem halben Dutzend Spitzenfunktionären der SED bzw. der DDR zu, darunter keine reformorientierten, geschweige denn solche, die Gorbatschow Sympathie entgegenbrachten.368 Recht hatten also Wissenschaftler, die das Niveau der rein diplomatischen Analysen und nicht das der ZAIG-Vorlagen würdigten. Insbesondere die 1989 verfassten Papers ostdeutscher Diplomaten ohne Stasi-Hintergrund wiesen das auf, was eigentlich die geheimdienstlichen Unterlagen des MfS hätten beinhalten müssen, und zwar konzise Hinweise darauf, dass die polnische Außenpolitik entideologisiert wurde und fortan eigene Interessen schützen würde und nicht mehr die der anderen

364  Trotzdem erscheint die These der HV A vom März 1989 unglaubwürdig, dass Rakowski eine von der VRP-Regierung unabhängige Deutschlandpolitik betreiben wollte. Die entsprechenden Berichte bemerkten auch nichts dazu, dass die Bundesrepublik die Ergebnisse der Rundtischgespräche abwartete und die Aktivitäten Rakowskis alleine deswegen zumindest zurückhaltend bewerten musste. BStU, MfS, HV A Nr. 761, Teil I, S. 119. 365  BStU, MfS, HV A Nr. 54, S. 41–44 (HV-A-Information Nr. 541/88 vom 19.12.1988), S. 150–154 (HV-A-Information Nr. 480/88 vom 5.11.1988). 366  BStU, MfS, HV A Nr. 812, Teil II, S. 326; BStU, MfS, HV A Nr. 52, Teil I, S. 127. 367  BStU, MfS, HV A Nr. 644, Teil I, S. 3. 368  Die jeweils geringfügig variierenden Verteiler dieser HV-A-Berichte enthielten folgende Empfänger: Erich Honecker, DDR-Ministerpräsident Willi Stoph, SED-ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen Egon Krenz, SED-ZK-Sekretär für Internationale Verbindungen Hermann Axen, SED-ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen Günter Mittag, Außenminister Oskar Fischer, Abteilungsleiter Internationale Verbindungen des ZK der SED Günter Sieber, KGB.

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sozialistischen Staaten.369 Diese Dokumente waren dem MfS bekannt und sind bis heute im BStU-Archiv zugänglich. Warum wurden sie dann nicht genutzt oder auch nur gelesen? Einige in der DDR-Botschaft platzierte IM waren doch erfahrene und in der VRP geschätzte Diplomaten, die neben Polnischkenntnissen über ein fundiertes Wissen über die politischen Realitäten Polens verfügten. Als Beispiel kann der IM »Inspektor« herangezogen werden, der bereits 1977 den späteren Verlauf der politischen Krise in der VRP sehr präzise vorausgesehen hatte, ebenso die spätere Bereitschaft, einen Kompromiss zwischen der Solidarność und der PVAP einzugehen.370 Die HA XVIII verfügte über Informanten, die fähig waren, kompetente Wirtschaftsanalysen zu erstellen.371 Zu guter Letzt entgingen dem Militärattaché nicht die Unstimmigkeiten innerhalb der Regierung unter Jaruzelski, und zwar nicht nur in der Frage, wie mit der Solidarność umzugehen sei. Der HA I gelang es mitunter, detaillierte Kenntnisse über die Bildung der Mazowiecki-Regierung zu gewinnen.372 All dies aber fand abschließend keinen Niederschlag in den ZAIG-Berichten. Mehr noch, selbst die internen Beratungen des MfS bezüglich der VRP, geschweige denn die auf Polen bezogenen StasiDokumente vor 1980,373 waren nicht derart ideologisiert wie die ZAIG-Schriften. Theoretisch verfügte das MfS über das nötige Potenzial zur Erstellung seriöser Analysen. Jedoch beschränkte man sich darauf, wie es Burkhard Olschowsky zutreffend374 formuliert hat, Fakten anzuführen, die ohnehin nur durch das Prisma der Ideologie wahrgenommen wurden.375 Warum also erstellte die ZAIG keine Analyse? Spielten hier nur Opportunismus oder Rücksichtnahmen auf die politischen Meinungen Mielkes und Honeckers eine Rolle? Solange die sowjetischen Archive nicht zugänglich sind, kann man darüber nur spekulieren, ob der KGB und die GRU den Schreibstil des MfS beeinflussten. Zudem mussten die Stasi-Verantwortlichen auch die Informationen über Polen kennen, die in der Bundesrepublik gewonnen worden 369  Siehe die Sammlung der Botschaftsanalysen aus dem Jahr 1989; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13529, S. 1. 370  BStU, MfS, AIM 7598/91, Teil II/1, S. 23. 371  BStU, MfS, HA XVIII Nr. 14893, S. 1. 372  BStU, MfS, HA I Nr. 17342, S. 68. 373  [Dez. 1976], Auskunft über Entwicklungen und Vorgänge in der VRP; BStU, MfS, ZAIG Nr. 5441, S. 3. 374  Olschowsky: Einvernehmen und Konflikt, S. 588. 375  Abgesehen von der Ideologie sagten bereits die Arbeitspläne der OGW sehr viel über die Wahrnehmung Polens seitens des MfS aus. Wenn bspw. die wichtigste politische Veranstaltung im Jahr 1987 für diese Operativgruppe ein Kongress der marginalen »Patriotischen Bewegung der Nationalen Wiedergeburt Polens« (PRON) sein sollte und dessen Relevanz für die Stasi sogar größer war als der Papstbesuch, dann kann es nicht überraschen, dass die Berichte, die auf Grundlage jenes Arbeitsplans entstanden, die allgemeine Situation der VRP nicht realitätsgetreu wiedergaben. BStU, MfS, HA II Nr. 38325, S. 43. Selbst Ende Oktober 1989 dominierte in den ZAIG-Berichten die Lage innerhalb der PVAP, also zu einer Zeit, als sowohl die PVAP als auch die SED am Ende ihres politischen Weges standen. BStU, MfS, HA XVIII Nr. 5713, S. 4.

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waren.376 Hätten besagte Verantwortliche alle seriösen IM-Berichte gelesen, wären sie dann in der Lage gewesen, die VRP auf eine andere als in der SED übliche Weise wahrzunehmen? Gewiss nicht. Die ostdeutschen Entscheidungsträger erwiesen sich ideologisch und politisch als äußerst unbeweglich. Das war nicht nur ihrem hohen Alter geschuldet. Die polnische Führung war insgesamt nicht unbedingt jünger. Immerhin aber lag der Altersunterschied bei den wichtigsten Protagonisten zwischen 10 (Partei) und 20 (Sicherheit) Jahren.377 Neben dem Generationenkonflikt spielten bei der Wahrnehmung der Welt auch die Ausbildung und der Beruf der jeweiligen Machthaber eine Rolle. Ein Soldat mit einschlägiger Kriegserfahrung wie Jaruzelski war weder überempfindlich noch aufklärungsfeindlich. Auch hatte er die Geheimdienste zu schätzen gelernt, was sich 1989 auszahlte. Geradezu ironisch erscheinen in diesem Zusammenhang Behauptungen der ZAIG, dass die Parteiführung, also Jaruzelski und Kiszczak, keine Lageeinschätzung veranlasst hätten.378 Das Gegenteil war der Fall. Die Qualität dieser Lageeinschätzung stellte das MSW unter Beweis, indem es über die DDR berichtete. 5.3.3 Die Berichterstattung des polnischen Innenministeriums Was war für den polnischen Geheimdienst bei der Analyse seines westlichen Nachbarn von Bedeutung? Vor allem die Analyse selbst. Das MSW analysierte die allgemeine Situation in der DDR. Fakten wurden in den Berichten nur dann erwähnt, wenn sie erwähnt werden mussten. Zudem konzentrierten sie sich auf das Wesentliche, waren verständlich geschrieben und enthielten immer eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen. Man sah von einer bloßen Chronologie ab und behandelte grundlegende Probleme aspektorientiert. Nicht zuletzt formulierten die polnischen Auswerter Schlüsselfragen, die auch das MfS bei der Bearbeitung der gewonnenen Informationen hätte stellen müssen. Es ging nicht darum, die gesammelten Erkenntnisse in einem zweistufigen Verfahren an Ort und Stelle, d. h. in Ostberlin, zu bewerten. Kritisch wurde dabei sowohl die Glaubwürdigkeit der Informanten betrachtet als auch die mögliche Gefahr einer gezielten Desinformation des MSW. Als Urheber solcher Desinformationen wurden nicht nur die NATO-Staaten, sondern auch die UdSSR in Betracht gezogen.379 Stellte sich die ZAIG zu irgendeinem Zeitpunkt die Frage, ob die UdSSR die Stasi mit ihren Angaben über Polen desinformierte? Oder verzichtete man bei 376  BStU, MfS, HA II Nr. 38764, S. 33. 377  Jaruzelski wurde 1923 geboren, Kiszczak 1925. Mielke hingegen 1907 und Honecker 1912. 378  Wocheneinschätzung, [6.6.1983]; BStU, MfS, ZAIG Nr. 13369, S. 2. 379  Auf diese Weise wurden bspw. die Informationen über die DDR bewertet, die man von sowjetischen Journalisten erhielt. IPN BU 0449/22, Bd. 17, S. 89.

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ZAIG-Berichten auf Wörter wie »Ideologie« oder »Imperialismus«, wie das beim Ersten Department der Fall war? Wiesen die Stasi-Unterlagen stets eine klare Struktur auf, entlang welcher die Ziele und Vorhaben der jeweiligen Seite rational bewertet und deren potenzielle Umsetzung ohne die typische Parteipropaganda erörtert wurden? All diese Fragen sind zu verneinen. Ohne jeden Zweifel waren die polnischen Berichte nicht vollkommen. Doch lagen im analytischen Sinne Welten zwischen diesen und den Schriften des MfS. Die SED In ihrer Beschäftigung mit der SED beging die polnische Aufklärung nicht denselben Fehler wie die ZAIG. Das Erste Department war weder an der Staatspartei in der DDR noch an ihrem vom »Neuen Deutschland« vermittelten (Selbst-)Bild interessiert. Die Aufklärung interessierte sich für die Mitglieder der SED und für den Staat, den die SED verkörperte. Nicht nur die übermäßige Konsolidierung der ostdeutschen Führungsspitze, sondern auch deren Alter prägten die wichtigste und in den 1980er-Jahren beibehaltene These der polnischen Auswerter. Die SEDVerantwortlichen seien einfach nicht fähig gewesen, notwendige Reformen in der DDR durchzuführen, und das bereits seit den 1970er-Jahren.380 Die Erwartung jener Reformen würde bei der jungen Generation aber deutlich zunehmen, womit vor allem die Parteiaktivisten der mittleren Stufe gemeint waren. Diese waren nicht nur anderthalb Generationen jünger als Honecker und Mielke. Sie unterschieden sich auch in psychologischer und mentaler Hinsicht. Einerseits wagte das Innenministerium in den 1980er-Jahren nicht exakt vorherzusehen, wer die DDR-Doppelspitze ersetzen könnte. Zu Recht wurde auf die bemerkenswerte Disziplin bei Parteiabstimmungen und auf politische Repressionen hingewiesen, die als einzige Antwort auf fiktive und reale Probleme mögliche Veränderungen erschwerten. Andererseits aber wurden die potenziellen Wortführer der Unzufriedenen in der SED richtig ausgemacht. Egon Krenz und Hans Modrow wurden als eventuelle Nachfolger Honeckers gehandelt. Diese Einschätzung war dann auch tatsächlich zutreffend. Neben den angesprochenen Personalfragen der SED erwartete man im MSW, dass die DDR irgendwann Reformen durchführen müsse und diese zwangsläufig auch die innerdeutschen Beziehungen beeinflussen würden. Zur Untermauerung dieser These wurde vor allem auf die realitätsfremde staatliche Erziehungs- und Jugendpolitik hingewiesen, die nur repressiv aufrechterhalten werden könne, ferner auf die ansteigende Emigration in die Bundesrepublik sowie auf die immer größeren Probleme, die bisherige Lebensqualität und bestimmte Sozialleistungen zu gewährleisten. Nur vereinzelt und ausschließlich in ironischer Weise führte man absurde Zitate Honeckers an, 380  IPN BU 0449/22, Bd. 22, S. 2.

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so beispielsweise seine Behauptung, sich jung zu fühlen. Dies unterstrich aber nur seine gerontokratischen Versuche, den eigenen schlechten Gesundheitszustand vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Seit Ende 1987 machte die polnische Aufklärung ihren Vorgesetzten unmissverständlich deutlich, dass eine Wende in der DDR nur eine Frage der Zeit sei. Dabei wurde die SED nach wie vor als die orthodoxeste marxistische Partei der Welt eingestuft.381 Somit wurde der polnischen Führung klar, dass die SED/das MfS im Falle einer gelenkten politischen Transformation in der VRP auf selbige kaum reagieren könnte, da die ostdeutschen Machthaber von den eigenen, gewaltigen innenpolitischen Problemen absorbiert würden. Als Zeichen von Schwäche wurden zudem die gelegentlich zitierten Aussprüche Honeckers gedeutet, wonach die Perestrojka nichts anderes als Anarchie sei,382 sowie das Verkaufsverbot der sowjetischen Zeitschrift »Sputnik«. Das Jahr 1989 änderte nichts an der Wahrnehmung der SED durch den polnischen Geheimdienst. Zwar wurde Krenz wie vorhergesagt Generalsekretär. Seine Pläne aber wurden als »nicht radikal genug«383 bewertet, was aus Sicht des Ersten Departments nicht nur zu Einbußen am Besitzstand der SED, sondern vor allem auch zum Machtverlust der SED führen musste. Warum hatte die ostdeutsche Staatspartei das Nachsehen? Bei der Beantwortung dieser Frage stellten die Auswerter die gesamte dem MSW bekannte Rhetorik Mielkes infrage. Die SED versagte nicht nur, weil sie tiefgreifende Reformen verweigerte, sondern vor allem aufgrund der Unterschätzung der eigenen Opposition. Die ostdeutschen Dissidenten artikulierten die soziale Unzufriedenheit, die Personen wie Mielke jedoch nie zur Kenntnis nehmen wollten. Die einzige Methode, mit der er der Opposition begegnete, waren Repressionen, die aber die Gründe der sozialen Unzufriedenheit nicht bewältigen konnten. Dabei ging es nach Meinung des MSW vor allem um die Umweltzerstörung. Die katastrophale Wirtschaftspolitik der DDR, die auf die Natur kaum Rücksicht nahm, führte dazu, dass vor allem diejenigen gegen die Umweltverschmutzung und somit auch gegen die SED protestierten, die unter anderen Umständen nie etwas mit Politik zu tun gehabt hätten. Ging die Opposition in den 1980er-Jahren aus solchen Repressionen gestärkt hervor, so konnte sie später kaum noch bekämpft werden, zumal sie als »Tauschware« in den innerdeutschen Beziehungen benötigt wurde, um gegen freigekaufte Dissidenten Devisen zu beschaffen.384

381  Department I, [o. D.], Information über die innere Lage der DDR; IPN BU 0449/22, Bd. 22, S. 152. 382  IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 7. 383  Department I, Information über einige Aspekte der Innenpolitik der DDR, [Dez. 1989]; IPN BU 0449/22, Bd. 9, S. 256. 384  IPN BU 0449/22, Bd. 22, S. 16.

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Die Opposition in der DDR und das MfS Auch wenn die ostdeutsche Dissidenz seitens der polnischen Auswerter nie herabgewürdigt oder auch nur pejorativ beschrieben wurde, bedeutete dies nicht, dass das MSW besagter Opposition bis zum Jahre 1989 besonders freundlich gesinnt war. Sie wurde als Gefahr wahrgenommen, weil man befürchtete, dass sie dazu beitragen könnte, Deutschland zu vereinigen, und zwar mit oder ohne Unterstützung der SED. Erst die Friedliche Revolution änderte diese Wahrnehmung, dabei aber eher aus einer analytischen Konsequenz heraus und nicht aus einer tiefen Überzeugung. Einige Dissidenten waren zwar Gesprächspartner polnischer MSW-IM und lieferten dem Geheimdienst ohne es zu wissen wichtige Informationen. Dies änderte aber nichts an der Grundannahme der Aufklärung, dass die 1989 formierten unabhängigen Gruppierungen keine Möglichkeit besaßen, die gesellschaftlichen Bestrebungen zu einer möglichst schnellen Wiederherstellung der deutschen Einheit auszubremsen. Die Opposition glaubte naiv an die Reformbarkeit des Sozialismus,385 das Volk hingegen nicht. Fest steht außerdem, dass alle Informationen über die ostdeutsche Opposition der Wahrheit entsprachen. Allerdings war es eine Übertreibung seitens der Aufklärung, dass die extreme Rechte in der DDR an Bedeutung gewänne.386 Zweifelsohne aber war die kons­ tante Berichterstattung des MSW über die ostdeutsche Dissidenz – in der die Existenz dieser Dissidenz als Bestandteil des politischen Lebens der DDR ab der Mitte der 1980er-Jahre akzeptiert wurde – kaum mit der Haltung des MfS zu diesem Thema zu vergleichen, so wie es dem MSW gegenüber vermittelt wurde. Nicht nur die Opposition wurde polnischerseits anders wahrgenommen. Die Lage des MfS wurde fast gar nicht angesprochen, es sei denn, es handelte sich um die Friedliche Revolution. Die MSW-Residenten – vorzugsweise die in den sozialistischen Staaten – diskutierten mit ihren ostdeutschen Pendants über die innere Situation der DDR. Auf Grundlage dieser Gespräche entstanden dann Berichte für die polnische Staatsführung. So funktionierte zumindest theoretisch auch die Stasi. Nur zog man daraus vollkommen andere Schlüsse. Nach Einschätzung des polnischen Innenministeriums begriff das MfS erst 1988, dass die wichtigsten Probleme des Landes nicht mehr mit rein repressiv-operativen Mitteln angegangen werden konnten.387 Wenn dies zutreffend war, dann war zugleich die analytische Fähigkeit der Stasi auch im innenpolitischen Bereich infrage gestellt, was den katastrophalen Zustand der DDR vor 1989 nochmals und eindrücklich belegte. Die Friedliche Revolution in der DDR erforderte es, entsprechend mehr über die Stasi und ihren Nachfolger, das AfNS, zu berichten. Auch diese Zeit 385  Ebenda, S. 38. 386  IPN BU 0449/22, Bd. 15, S. 9. 387  Chiffrierte Meldung Nr. 3382; IPN BU 0449/22, Bd. 20, S. 96.

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belegte, zumindest aus Sicht des MSW, dass es keine Freundschaft zwischen den Geheimdiensten gab. Warum? Das Erste Department wies darauf hin, dass das westdeutsche Innenministerium alles unternahm, um Aktivitäten der Stasi während der Revolution auf bundesdeutschem Gebiet zu verhindern,388 obwohl das AfNS die Maßnahmen des BMI einfach ignorierte und obwohl es angeblich Verhandlungen darüber gab, die Aktivitäten der westdeutschen Ämter für Verfassungsschutz in Ostdeutschland nach 1989 einzustellen. Doch verfolgte die polnische Aufklärung die Implosion des MfS nicht nur aus altruistischen Gründen mit Interesse. Das MSW musste die eigenen Bestände in Deutschland schützen, vor allem weil man vermutete, dass der BND die Datenbanken der HV A übernehmen und das BMI den Zugang zu den Stasi-Akten für die Öffentlichkeit weitgehend beschränken würde. Das Erste Department ging sogar so weit, zu berichten, dass eine »Vereinigung« der HV A mit dem BND zumindest denkbar wäre.389 Für die polnischen und sowjetischen Dienste wäre eine solche Zusammenlegung aus operativer Sicht sehr wünschenswert gewesen, und nicht zuletzt aufgrund dieses Umstandes kam sie nicht zustande. Die Friedliche Revolution hatte nicht nur Forderungen nach einer möglichst transparenten Aufarbeitung der MfS-Vergangenheit zur Folge, sondern zunächst einmal die Frage, wo sich die Stasi-Bestände überhaupt befanden. Das MSW wurde bereits 1989 darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Hälfte dieser Bestände vom KGB übernommen worden war und die andere Hälfte vernichtet worden ist. Interessanterweise besteht aber eine augenscheinliche Diskrepanz zwischen den Operativmeldungen und den Berichten für die polnische Staatsführung, die vom Aufklärungsdirektor signiert wurden. Die auf Polen bezogenen Akten sollten vernichtet werden, aber ihre Überreste verblieben angeblich in der MfSZentrale. Im Januar 1990, also zum Zeitpunkt der Besetzung der Stasi-Zentrale in Ostberlin, wurden die Räumlichkeiten der HA II jedoch angeblich geplündert und dabei die Unterlagen über Polen sichergestellt.390 Zuvor hatte die Aufklärung vermeldet, dass die Stasi alle Dokumente über die VRP vernichtet habe. Die bis heute erhaltenen Schriften der HA II legen die Vermutung nahe, dass das MSW den im Fluss befindlichen Stand der Dinge einfach nicht erfassen konnte und fortwährend kaum überprüfbare Erkenntnisse an die eigenen Vorgesetzten weiterleitete. Nicht nur das MfS, sondern auch die ostdeutschen Kirchen existierten kaum in der analytischen Wahrnehmung des MSW. Es steht außer Frage, dass die Bedeutung der protestantischen Gemeinden in der DDR eine andere war als 388  Department I, Information über Geheimdienste der DDR, [17.1.1990]; ebenda, S. 246. 389  Department I, Information vom 30.4.1990; ebenda, S. 17; Kowalczuk: Stasi konkret, S. 352. 390  Department I. Information über die aktuelle Lage beim Af NS; IPN BU 0449/22, Bd. 15, S. 38.

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die der katholischen Kirche in der VRP. Ebenso unterschied sich die Beschreibung des Protestantismus im SED-Staat durch das Erste Department. Selbiges interes­sierten nur Anzeichen dafür, ob und wann die repressive Haltung des MfS nachließ. Eine solche Tendenz trat laut MSW erst Ende der 1980er-Jahre ein und wurde lediglich als ein weiteres Zeichen der Schwäche der SED interpretiert. Die ostdeutschen Machthaber hofften, dass eine Art Toleranz gegenüber den Kirchen den eigenen Ruf verbessern und die soziale Unzufriedenheit mildern könnte. Da diese Toleranz aber keinesfalls Reformbereitschaft aufseiten der SED implizierte, musste auch die Kirchenpolitik mit einer deutlichen Niederlage für die Staatspartei enden. Die Bedeutung der evangelischen Gruppen nahm zu, was von der polnischen Aufklärung auch registriert wurde. Die Auswerter des MSW konstatierten aber, dass jene Gruppen keinen Massencharakter annehmen und nur ein Element neben anderen bei der unabwendbaren Transformation sein würden, nicht das Hauptelement.391 Überdies wurden Kirchenthemen wie immer nur dann erörtert, wenn man befürchtete, dass bestimmte Gemeinden von der Bundesrepublik unterstützt wurden, was eine spätere Wiedervereinigung eventuell begünstigen könnte. Die Wirtschaft Das Einzige, was sich in der gegenseitigen Berichterstattung des MfS und des MSW wiederholte, war der Themenkomplex Wirtschaft. Beide Staaten hatten enorme ökonomische Probleme, die in den jeweiligen Berichten beleuchtet werden mussten. Wie immer aber war die polnische Wahrnehmung der ostdeutschen Ökonomie wesentlich konziser und synthetischer. Auf Einzelheiten verzichtete man im MSW komplett. Größere Bedeutung maß man den Kernproblemen zu. Nach Ansicht des Innenministeriums gab es in der DDR nur ein Kernproblem, nämlich die Energieversorgung. Um sie war es kritisch bestellt, vor allem aufgrund der polnischen Krise des Jahres 1980. Das Ausbleiben von Steinkohlelieferungen aus der VRP hatte dazu geführt, massenhaft und ohne Rücksicht auf die Umwelt sowie rationales Wirtschaften Braunkohletagebaue zu erschließen.392 Sie wurden unprofessionell verwaltet und konnten die Energielücke nicht schließen, von der größten Umweltzerstörung Europas ganz zu schweigen. So konnte man entsprechende Investitionen auch nicht amortisieren, was – zusammen mit der sinnlosen Vollbeschäftigung und dem finanziell kaum tragbaren sozialen Lebensniveau – in die Schuldenfalle führen musste, also zu einer der Voraussetzungen der späteren politischen Wende. Bemerkenswert ist, dass die polnische Aufklärung die in der Bundesrepublik gewonnenen Informationen über die DDR seit 1986 immer 391  IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 55. 392  Department I, Information vom 29.9.1988; IPN BU 01228/3021, S. 33.

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kritischer beurteilte. Nach Meinung einzelner Bundeseinrichtungen, die das MSW gewann, war die DDR das ökonomisch zweitstärkste Land des Warschauer Paktes. Solche Einschätzungen wurden im MSW zu Recht als »vollkommen unglaubwürdig« eingestuft.393 Glaubwürdig hingegen war die Überzeugung der polnischen Aufklärer, dass die DDR überhaupt kein Interesse daran hatte, mit der VRP wirtschaftlich enger zusammenzuarbeiten.394 Die Friedliche Revolution sowie die Wiedervereinigung änderten aus verständlichen Gründen den Stellenwert der ostdeutschen Wirtschaft in der polnischen Berichterstattung. Seit Ende 1989 analysierte man vor allem die Modelle einer neuen innerdeutschen ökonomischen Zusammenarbeit in Bezug auf die unvermeidbare staatliche Einheit Deutschlands. Dabei wiederholte man die zwar korrekte, aber doch recht allgemeine, wenn nicht banale These, dass die neuen Bundesländer für die alte Republik wichtiger würden als deren Beziehungen zu Osteuropa insgesamt. Interessanter erscheint da eine kleine Anpassung der politischen Wahrnehmung in den Berichten. Plötzlich wurden die bis dato gefährlichsten Gegner Polens, nämlich die BRD-Kapitalisten, positiv dargestellt. Sie sollten in erheblichem Maße dazu beitragen – nicht nur durch Investitionen, sondern auch durch Schulungen –, die Vereinigung von DDR und Bundesrepublik zu beschleunigen und mitzufinanzieren.395 Mehr noch, jene Kapitalisten genossen einen besseren Ruf als die Bundesrepublik im Allgemeinen – üblicherweise als BRD bezeichnet – und deren Politiker im Speziellen. Das Jahr 1989 hat bei der polnischen Aufklärung kaum etwas an der Bewertung der politischen Klasse in Bonn geändert. Sie wurde grundsätzlich feindlich wahrgenommen,396 was das ansonsten hohe Niveau der analytischen Fähigkeiten des MSW doch erheblich minderte. Außenpolitik Betraf die bereits ausgemachte Schwäche auch die Wahrnehmung der Außen­ politik? Interessanterweise nicht. Das Erste Department wollte, wie das MfS, vor allem Belege dafür sammeln, dass die für die VRP gefährliche deutsch-deutsche Annährung möglich oder sogar bereits im Gange war.397 Im Gegensatz zur Stasi wollten die polnischen Aufklärer vor allem Fakten analysieren und sich nicht 393  Department I, [16.5.1986], Notiz über Bonner Bewertungen der DDR-Rolle innerhalb des Warschauer Paktes; IPN BU 0449/22, Bd. 8, S. 381. 394  IPN BU 0449/22, Bd. 27, S. 5. 395  Department I, [29.3.1990], Information über Aktivitäten des BRD-Kapitals; IPN BU 0449/22, Bd 17, S. 308. 396  Jaskułowski: Wywiad PRL, S. 109. 397  Siehe z. B. Department I, Dialog zwischen der BRD und der DDR in der ersten Hälfte 1986; IPN BU 0449/22, Bd. 8, S. 96.

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auf eine bloße Faktografie beschränken. Im Grunde wurde jeder bedenkliche Umstand auf die Beantwortung zweier zentraler Fragen hin geprüft: Handelt es sich bei den festgestellten Schritten tatsächlich um Kennzeichen einer deutschdeutschen Annährung, und welche Konsequenzen sollten daraus für die polnische Außenpolitik gezogen werden? Des Weiteren durften diese Fragen nicht durch das Prisma der Ideologie beantwortet werden. Zu welchen Schlussfolgerungen kam man also? Das MSW war der Meinung, dass Honecker die deutsch-deutschen Kontakte um jeden Preis fortentwickeln wollte. Damit nicht genug, die polnischen Turbulenzen von 1980 seien ihm sehr gelegen gekommen, da er dadurch beabsichtigt habe, seine Position innerhalb des Warschauer Paktes zu stärken und somit auch eine bessere Stellung gegenüber der Bundesrepublik einzunehmen, und zwar vor allem zulasten Polens.398 Zwar schien eine solche Politik logisch zu sein, jedoch hatten die polnischen Auswerter ernste Zweifel, dass die Ideen Honeckers überhaupt implementiert werden könnten. Es ging dabei nicht darum, dass die aus DDR-Sicht zumeist pompös inszenierten deutsch-deutschen Treffen nach Meinung des MSW faktisch ergebnislos verliefen. Wichtiger war die Tatsache, dass jene Treffen, an denen auch Honecker teilnehmen durfte, kein Erfolg bzw. Verdienst der ostdeutschen Diplomatie waren, sondern eine Art Gnadenakt der UdSSR. Die DDR durfte keine selbstständige Außenpolitik betreiben. Sie war nur ein Instrument der sowjetischen Außenpolitik,399 was laut MSW nicht jeder der Verantwortlichen in der DDR zur Kenntnis nahm. Honecker verfügte zwar über Möglichkeiten, von der Bundesrepublik Kredite oder Wirtschaftshilfe zu erhalten. Jedoch musste er auch etwas als Gegenleistung erbringen, etwa die Einstellung der repressiven Politik gegenüber der Opposition.400 Dies wiederum würde sein Regime schwächen. Auch musste die Hilfe aus der Bundesrepublik nicht zwangsläufig zu einer Stärkung der ostdeutschen Wirtschaft führen. Sie verlängerte vielmehr die ökonomische Agonie der DDR, zumal das wichtigste Zugeständnis Honeckers gegenüber Bonn die Zusage war, eine geregelte Ausreise zu ermöglichen. Darüber hinaus betonten die polnischen Offiziere wiederholt und zu Recht, dass Honecker nie zu einem ernstzunehmenden Partner für irgendeinen Bundeskanzler werden konnte. Ein solcher Partner war hingegen der Generalsekretär der KPdSU. Sachverhalte, die für die SED von Bedeutung waren, etwa die Präsenz von DDR-Fahnen während des Besuches Honeckers in Bonn, blieben für das MSW bedeutungslose und außenpolitisch irrelevante Symbole. Man nutzte diese Argumente vor allem dahingehend, dass man auf die medial zwar nicht präsenten, aber in den 1980er-Jahren nichtsdestotrotz vorhandenen diplomatischen Niederlagen der DDR hinwies, die beispielsweise 398  IPN BU 0449/22, Bd. 28, S. 12. 399  Department I, [8.9.1987], Information über den Honeckerbesuch in der BRD; IPN BU 01228/3021, S. 4; IPN BU 0449/22, Bd. 20, S. 19. 400  IPN BU 0449/22, Bd. 7, S. 41.

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in den NATO-Staaten eigene politische Konzepte durchzusetzen versuchte.401 Die daraus abgeleitete These, dass die DDR nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch schwächer wurde, war folglich die wichtigste Mitteilung an die Parteispitze. Während der unabwendbaren politischen Wende stand der ostdeutsche diplomatische Dienst dann zwangsläufig zwischen den Fronten, nämlich zwischen der Bundesregierung, für die er seine Bedeutung verloren hatte, und der neuen und letzten DDR-Spitze. In der Tat zeigte sich die ostdeutsche Seite, was die Verhandlungen der Grenzverträge mit Polen anbelangt, Polen gegenüber außerordentlich korrekt und entgegenkommend.402 – Eine bemerkenswerte Kursänderung nach 40 von Konflikten geprägten Jahren. Vor 1989 war jedoch die vollkommen zutreffende These entscheidender, dass Honecker die Außenpolitik dazu nutzte, die Gesellschaft von der stets komplizierten Innenpolitik abzulenken und über Missstände hinwegzutäuschen. Dies konnte sich nicht ändern, zumal die polnische Aufklärung seit 1985 eine markante Verschlechterung der ostdeutschen Beziehungen zur UdSSR beobachtete.403 Dies war eine der besten Mitteilungen, die sich Jaruzelski überhaupt vorstellen konnte. Die Polen durch Gorbatschow gewährte Unterstützung beim Grenzkonflikt zulasten der DDR sowie die Akzeptanz der politischen Reformen Polens durch die Sowjetunion machten etwaige Bestrebungen seitens der DDR, die polnischen Reformen zu blockieren, aussichtslos. Die negative Wahrnehmung der polnischen Transformation in Ostberlin war für das Erste Department nichts Ungewöhnliches.404 Auch wenn dessen Gesprächspartner besagte Transformation nicht direkt angriffen, bezweifelten sie zumindest deren Erfolgsaussichten, was aber für Jaruzelski nicht sonderlich relevant war. Relevant hingegen waren die diplomatisch-soziologischen Beobachtungen der Aufklärung. Selbige berichtete über fortbestehende und in der ostdeutschen Gesellschaft tief verwurzelte Vorurteile und Stereotype gegenüber Polen. Sie brachten nach wie vor nennenswerte Probleme auf der Bürgerebene hervor, von der Bewertung der ostdeutsch-polnischen Freundschaft durch das MSW ganz zu schweigen. Laut Innenministerium handelte es sich bei dieser »Freundschaft« lediglich um einen »Propagandaslogan, den die SED am liebsten einfach hätte entfernen lassen«.405 Die auf die Außenpolitik bezogenen Thesen des MSW über die DDR waren ohne jeden Zweifel korrekt. In welchem Bereich aber konnte die Aufklärung die spätere Entwicklung besonders zutreffend voraussehen? Vor allem in Bezug 401  Siehe die polnischen geheimdienstlichen Analysen der Beziehungen zwischen der DDR und den USA sowie der DDR und der UdSSR; IPN BU 0449/22, Bd. 16, S. 34. 402  Tytus Jaskułowski, Karoline Gil (Hg.): Zwanzig Jahre danach. Gespräche über den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag. Wrocław 2011, S. 203. 403  Information vom 22.10.1985 über sowjetische Bewertung der DDR-Politik; IPN BU 0449/22, Bd. 35, S. 13. 404  IPN BU 0449/22, Bd. 13, S. 154. 405  IPN BU 0449/22, Bd. 27, S. 35.

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auf die Wiedervereinigung war dies der Fall. In den Meldungen seit 1987 kam diese Option fast ständig vor. In der Zwischenzeit wurden sogar einzelne Neben­ effekte einer möglichen Wiedervereinigung erörtert, so etwa das angeblich in der DDR konzipierte Vorhaben, eine Änderung der polnischen Westgrenze und als Gegenleistung die vollständige Tilgung aller polnischen Schulden anzubieten. In der Ostberliner Residentur wurde ein solcher Deal jedoch als »Phantasie« abgetan.406 Noch einen Monat vor der offiziellen Mitteilung über den Beginn der »2+4-Gespräche«, im Januar 1990, wurde die Einheit von der Residentur als »realisierbar« eingestuft. Insbesondere die Wirtschaftslage sowie die Stimmung in der Gesellschaft trugen dazu bei, dass es zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr möglich war, die Wiedervereinigung Deutschlands zu verzögern. Die Ausgestaltung jener Einheit würde laut Aufklärung »von unten« verwirklicht werden und eine solche Dynamik entfalten, dass selbst die Sowjetunion nicht in der Lage sei, deren Geschwindigkeit und konkrete Form zu beeinflussen. Ebenfalls zutreffend waren zwei Grundgedanken des MSW, die Ende Dezember 1989 und Anfang März 1990 formuliert wurden. Die Auswerter behaupteten, dass die DemokratieBewegung407 in der DDR ihrem Wesen nach eine exklusive und volksfremde Kraft ohne klares Programm und ohne die Unterstützung der meisten Wähler sei. Deswegen könne sie keinesfalls als Favorit bei den ersten freien Wahlen in der DDR 1990 gelten, ebenso wenig die ostdeutsche SPD. Die Wahlen könne gemäß den Einschätzungen des MSW ausschließlich die »Allianz für Deutschland« gewinnen, also die von der bundesdeutschen CDU unterstützte Formation. Diese These, die damals kein Zentrum für Sozialforschung hätte unterstützen wollen, teilten nicht nur die polnische Aufklärung, sondern auch Bundeskanzler Kohl. Beide sollten Recht behalten. Diese überaus zutreffende Wahrnehmung der Lage in der DDR war nicht zufällig. Schon zwei Jahre vor der Friedlichen Revolution erfuhr die PVAP-Führung durch die Arbeit des MSW, wie sich die DDR von der UdSSR zu emanzipieren suchte. Diese Kenntnisse erwiesen sich als hilfreich bei der Ausgestaltung von engen persönlichen Beziehungen zwischen Jaruzelski und Gorbatschow, die als Kontrapunkt zu den Beziehungen Gorbatschows zu Honecker angelegt waren.408 Die polnischen Auswerter waren eindeutig besser als ihre ostdeutschen Gegenstücke. Bedeutet dies aber, dass das Erste Department ausschließlich korrekte Thesen aufstellte und keine Fehlmeldungen hervorbrachte? Gewiss nicht. Welche Kommentare des MSW bezüglich der DDR waren also falsch? 1989 behauptete das Innenministerium zum Beispiel, dass der Wille Frankreichs, die deutsche 406  Dieses Wort verzeichnete der polnische Aufklärungsresident in Ostberlin in seinem Kommentar, Deckname »Nold«. IPN BU 0449/22, Bd. 23, S. 93. 407  IPN BU 0449/22, Bd. 10, S. 122. 408  Department I, [4.4.1987], Information über die sowjetische Bewertung der innerdeutschen Beziehungen; IPN BU 0449/22, Bd. 8, S. 9.

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Der Freund als Gegner. Spionagekampf zwischen den Geheimdiensten

Einheit zu blockieren, sehr ausgeprägt und dieser Staat in der Tat fähig sei, die Wiedervereinigung erheblich auszubremsen.409 Doch überschätzte die Aufklärung die Möglichkeiten Frankreichs in dieser Frage. Ebenso falsch war die vermutlich infolge der polnischen Wahlen aufgekommene Annahme, dass die Wahlbeteiligung in Ostdeutschland am 18. März 1990 niedrig ausfallen würde410 und die Ergebnisse keinesfalls das Tempo der Wiedervereinigung (mit-)bestimmen könnten.411 Das Gegenteil war der Fall. Zudem unterliefen auch dem MSW skurrile Meldungen für die polnische Staatsführung. So informierte etwa im Juli 1988 das Erste Department General Jaruzelski darüber, dass die Bundesrepublik, die DDR und die UdSSR zusammen einen Pkw entwickeln und herstellen wollten.412 Diese Nachricht war nicht sonderlich relevant. Sie macht aber deutlich, welche Kleinigkeiten – so ein nicht existenter Pkw – genügten, um im MSW den Verdacht zu wecken, dass es sich hierbei um den Beginn einer verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit oder gar der Wiedervereinigung handelte. Obwohl das MSW in den erwähnten Berichten die Lage nicht angemessen bewertete, war seine allgemeine Analyse der DDR-Politik Kohls auch weiterhin durchaus vernunftgeleitet. Als geschickt wurde die Taktik des Bundeskanzlers eingestuft, die »Allianz für Deutschland« als Alternative zu der vergangenen Sozialismuszeit zu profilieren. Korrekt bewertete man auch die Kosten der Einheit, wenn das MSW annahm, dass mindestens 500 Milliarden DM benötigt würden, um die Lebensstandards zwischen Ost- und Westdeutschland anzugleichen. Ebenso zutreffend war die These, dass die Besatzungsmächte der Einheit vor allem aufgrund politischer Konzessionen seitens der Bundesrepublik zugestimmt hätten. Die größten Zugeständnisse würden dabei nicht nur der Sowjetunion, sondern vor allem auch Frankreich gemacht werden. Nicht aber diese Konzessionen sollten das wichtigste Problem des wiedervereinigten Deutschlands werden, sondern die Sozialversicherung, die Kredite413 der DDR sowie die Staatsschulden. Dies würde die geplante Währungsunion und nicht in erster Linie die Beziehungen zu Frankreich bzw. zur Sowjetunion erheblich belasten. Bemerkenswert ist, dass das Erste Department bereits 1987 auf das Junktim zwischen den globalen Interessen der UdSSR und der Wiedervereinigung hinwies. Das war mit einem Plädoyer verbunden, die polnische Außenpolitik so zu gestalten, als ob die deutsche Einheit bereits damals ein unabwendbares Ereignis wäre.414 409  Department I, [31.10.1989], Information über innerdeutsche Beziehungen; IPN BU 0449/22, Bd. 9, S. 50. 410  Faktisch lag sie bei über 90 Prozent. 411  Department I, [7.3.1990], Meldung über die politischen Konzeptionen der ost- und westdeutschen christdemokratischen (polnisch: chadeckich) Politiker zum Thema Einheit; IPN BU 0449/22, Bd. 17, S. 117. 412  IPN BU 0449/22, Bd. 11, S. 116. 413  IPN BU 0449/22, Bd. 10, S. 10. 414  IPN BU 0449/22, Bd. 18, S. 19.

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Die deutsche Einheit und damit vor allem auch die DDR stellten für das Innenministerium seit Ende 1990 kein Problem mehr dar. Die Stasi existierte nicht mehr. Das MSW hingegen schon, und es musste sich in der neuen Welt zurechtfinden. Berechtigt erscheint dabei aber die These, dass die Berichterstattung über die DDR paradoxerweise für diese Neuverortung hilfreich sein konnte. Es geht dabei nicht darum, ob die Berichte über Ostdeutschland richtig oder falsch waren. Sie erfüllten noch eine völlig andere Funktion, nämlich die einer Art von Spiegel oder auch (Früh-)Warnung. Die polnische Führung konnte in diesem »Spiegel« erblicken, was passiert wäre, wenn sie sich nicht für die Aufnahme von Verhandlungen mit der Solidarność oder die frühzeitige Einleitung von Wirtschaftsreformen entschieden hätte. Symptomatisch war in diesem Zusammenhang eine an Jaruzelski gerichtete Meldung aus Ostberlin. Der Resident zitierte darin sein Gespräch mit einem SED-Mitglied, das mit offenkundiger Gehässigkeit schilderte, auf welche Weise die VRP in der DDR wahrgenommen würde. Dieses Mitglied behauptete, dass die »Zweite Etappe« der polnischen Reformen415 für die SED ein Muster dafür wäre, wie Reformen nicht durchzuführen seien.416 Doch war die Stasi unfähig, ihrerseits der SED einen »Spiegel« vorzuhalten und somit deutlich zu machen, dass ausschließlich die angesprochenen polnischen und angeblich zum Scheitern verurteilten Reformen die einzige Überlebenschance darstellten. Im Falle des MfS hatten Ideologie und Opportunismus über den Mut gesiegt, unangenehme Fakten weiterzuleiten. Auch wollten die SED-Verantwortlichen nicht in diesen Spiegel blicken. Deswegen existierten Ende 1990 weder die Stasi noch die DDR. Polen und sein altneuer Geheimdienst hingegen schon.

415  So die offizielle polnische Bezeichnung für diesen Reformprozess. 416  IPN BU 0449/22, Bd. 22, S. 24.

Schlusswort: Zwangsverordnete Zusammenarbeit Es ist kein Zufall, dass die abschließenden Bemerkungen zur vorliegenden Monografie mit dem leicht abgewandelten Titel der wichtigsten Studie zu den politischen Beziehungen zwischen der DDR und der VRP beginnen.1 Was zwischen den nur formell befreundeten »Bruderorganen« geschah, war nichts anderes als die Fortführung der äußerst schlechten zwischenstaatlichen Kontakte, deren wahres Wesen lediglich aufgrund der elementaren politischen Korrektheit mithilfe der üblichen sozialistischen Propaganda verdeckt wurde, auf einer anderen Ebene. Beide Sicherheitsministerien vertrauten einander zu keinem Zeitpunkt. Doch dies durfte nie offen ausgesprochen werden. Daraus leitete man einen mitunter zynischen, aber auch rational bedingten Zwang ab, ungeachtet aller Bedenken und Vorurteile zusammenarbeiten zu müssen. Es ging dabei nicht darum, gemeinsame Ziele zu erreichen, sondern darum, eigene Interessen zu wahren. So passte diese durchaus schizophrene Disposition recht gut zu den allgemeinen Prinzipien des geheimdienstlichen Handelns. Unvermeidbare bilaterale Konflikte sowie die stetig abnehmende Bereitschaft, an die guten Absichten des Partners zu glauben, waren schon zu Beginn der geheimdienstlichen Kontakte erkennbar. Die im Kapitel 1 erwähnten Fälle waren faktisch aber ein Beleg für eine professionelle Grundhaltung, die es verbot, dass bei dienstlichen Interessen Kategorien wie die Loyalität gegenüber dem Verbündeten eine Rolle spielten. Das war sowohl vor als auch nach 1974 der Fall, weil nur auf diese Weise die angesprochene grundlegende Professionalität des jeweiligen Dienstes gewährleistet werden konnte. Das bedeutete aber auch, dass man einander niemals alles mitteilte, bilaterale Vereinbarungen nur nach Bedarf berücksichtigte und schließlich auch die Vorgesetzten darüber informierte, was im Land des »Freundes« eigentlich vor sich ging. Aus Sicht der geheimdienstlichen Theorie war es unter den Verbündeten also fast unmöglich, nicht gegeneinander zu agieren. Ohne Zweifel musste die bereits skizzierte Professionalität bis 1955 erst erlernt werden, vor allem von den K-5-Abteilungen und später vom MfS. Selbstverständlich war sie gegen westliche Staaten umgehend anzuwenden. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges sowie das Bewusstsein, dass das MfS noch nicht 100-prozentig selbstständig und gleichberechtigt war, trugen jedoch dazu bei, den »polnischen Genossen«, die nicht unbedingt zusammen mit der DDR ein Teil des geheimdienstlichen internationalistischen Klassenkampfes werden wollten, verhältnismäßig viel Verständnis entgegenzubringen. Solange das MfS in Ostdeutschland nicht endgültig konsolidiert war, verlief die sogenannte Zusammenarbeit nicht 1  Basil Kerski, Andrzej Kotula, Kazimierz Wóycicki (Hg.): Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949–1990. Osnabrück 2003.

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ausschließlich problematisch, und zwar auch deswegen, weil die genuin politischen Beziehungen bis 1970, also bis zum Ende der Regierungszeit Gomułkas, von Distanz geprägt waren. Die soeben gebrauchte Formulierung »Zusammenarbeit« wurde nicht ohne Grund mit dem Zusatz »sogenannte« versehen. Besser geeignet scheint hier vielleicht das Wort »Kontakte«. Wie sahen diese aus? Unter analytischen Gesichtspunkten bildeten sie eine Art Pyramide, die bereits im Unterkapitel über die IM-Arbeit skizziert worden ist und faktisch bis 1990 Gültigkeit besaß. Das Fundament dieser Pyramide war sehr breit und wies alle Probleme oder sonstige Angelegenheiten auf, die mit dem Alltag eines totalitären Sicherheitsministeriums verbunden waren. Je üblicher eine Anfrage des jeweiligen Partners war, desto schneller, kompetenter und zuverlässiger wurde sie beantwortet. Es wurden zutreffende Fakten übermittelt und logistische Hilfen geleistet, auch wenn die Geschwindigkeit der Antworten polnischerseits nicht den Erwartungen der DDR entsprach. Diese Kooperation betraf vorzugsweise die Grenzüberwachung, die Kon­trolle von Bürgern oder die Aufsicht der VEB und gehörte zu den Routine­ aufgaben der politischen Polizei im Staatssozialismus. Die konkreten Probleme bzw. Vorgänge, die gegebenenfalls bilateral bearbeitet werden sollten, waren aus Sicht der beiden Partnerdienste dahingehend kritischer Natur, als sie ihre ohnehin beschränkte Souveränität tangierten. In Bezug auf die Bekämpfung der Kirchen, das Zersetzen der Opposition oder die klassische geheimdienstliche Auseinandersetzung mit den NATO-Aufklärungen bedeutete jene Souveränität, dass man über Ressourcen respektive Quellen verfügte, die man gegenüber dem Partner nicht offenlegen durfte. Weder die DDR noch die VRP waren gewillt preiszugeben, was sie im »Operationsgebiet« tatsächlich erreichen konnten und was nicht. Auch handelte es sich bei den abwehrmäßigen oder spionagerelevanten Vorgängen nicht um reine Verwaltungsangelegenheiten, die mit einer simplen Recherche zu bearbeiten waren. Vielmehr ging es hier um komplizierte Projekte, die es im Einzelfall erforderten, mehrere Personen einzustellen, Geld oder auch Sondergerätschaften zur Verfügung zu stellen und in Drittstaaten zu operieren. In Ausnahmefällen musste man gar die Identität der eigenen IM preisgeben. All dies konnte man natürlich tun, jedoch musste die die Informationen preisgebende Seite sicherstellen, dass ihre eigenen Interessen nicht gefährdet wurden. Der Schutz der eigenen Interessen brachte Probleme mit sich, die auf jeder Ebene der bereits erwähnten Pyramide zu beobachten waren. Ungeachtet der Art der Kontakte hatten stets die Leiter der betreffenden Einheiten, etwa der Hauptabteilungen oder Departments, zu entscheiden, inwiefern die vom Partner beantragte Hilfe die Sicherheit der eigenen Abteilung bzw. ihrer Quellen gefährden oder die Wirksamkeit der bereits geleisteten Arbeit beeinträchtigen könnte. Diese Entscheidungen wurden immer losgelöst von der formell geltenden Zusammenarbeitspflicht getroffen und konnten dann in Form einer extrem verzögerten

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Antwort, der Übermittlung von gefälschten, unvollständigen oder auch gar keinen Informationen implementiert werden. Dazu zählten auch Verbote, die neueste Technik vorzuführen, oder Vorgaben, lediglich politisch relevante Daten auszutauschen. Dieses Verhalten, vor allem auf polnischer Seite, führte zu ständigen Vorwürfen des MfS, doch sollten sich die bilateralen Beziehungen, zumindest theoretisch, mit dem Abschluss der Grundsatzvereinbarung von 1974 verbessern. Es ist kein Zufall, dass das MfS bereits seit Anfang der 1970er-Jahre nach außen hin immer arroganter und selbstbewusster auftrat. Mielke regierte es bereits seit über zehn Jahren,2 konsolidierte es und verstärkte es personell und logistisch in erheblichem Maße. In dieser Hinsicht war er wesentlich mächtiger als jeder Innenminister der VRP. Vor allem war die Stasi kein Bittsteller mehr, sondern eine Institution, die – darin der Arroganz ihres Leiters folgend – den anderen sozialistischen Innenministerien mit Ausnahme der UdSSR die eigenen und nur für sie selbst günstigen Kooperationsbedingungen aufdrängen wollte. In diesem Punkt beging die Stasi einen ihrer größten Fehler in Bezug auf Polen, der für die ganze Periode von 1974 bis 1990 entscheidend sein sollte. Dabei ging es keinesfalls um Misstrauen. Das herrschte ohnehin vor. Gewichtiger war die Arroganz. Mielke selbst unterschätzte das MSW und dessen Führung, unabhängig davon, wie häufig diese wechselte. Fatal war die Fehleinschätzung, die Ideologie oder der Glaube an die Vertragstreue im geheimdienstlichen Bereich hätten Vorrang vor Opportunismus. Warum nahm man an, dass die polnischerseits relativ schnell akzeptierten Verträge eine Garantie dafür wären, dass das MSW, das bis 1985 ohne jegliche rechtliche Fundierung funktioniert hatte, plötzlich die schriftlichen Vereinbarungen mit dem MfS ernst nehmen würde, und das auch noch in den 1980er-Jahren, in denen die Zahl bilateraler und auch rein politischer Konflikte zunahm? Kurzfristig sorgte die Grundsatzvereinbarung für eine atmosphärische Verbesserung im bilateralen Verhältnis. Davon abgesehen konnte sich zwischen dem MSW und dem MfS jedoch kaum etwas ändern. Die konkreten bilateralen Vorgänge waren kaum der Rede wert und umfassten gerade 1 bis 2 Prozent vergleichbarer in Eigenregie durchgeführter Aktivitäten. Verträge wurden nicht eingehalten. Das Einzige, was unter solchen Umständen florieren konnte, war die Anzahl von Mahnungen oder nicht zwingend notwendigen Informationen. Ernsthafte Hilfeersuchen richtete man nur dann an den Partnerdienst, wenn es nicht anders ging. Was heißt das? Hätte man eine andere Wahl gehabt, hätte man den Partner eben nicht um Hilfe gebeten. Bestand aber ein operatives Interesse an einer Zusammenarbeit, verschwanden schlagartig alle Probleme im bilateralen Verhältnis. Verträge wurden eingehalten, der Kurierdienst arbeitete plötzlich einwandfrei. Stasi-Mitarbeitern wurde gar die etwas merkwürdig anmutende Ehrerbietung zuteil, als »Tschekisten« angesprochen zu werden. Das MSW war jedoch nicht immer bereit, die eigenen Fähigkeiten auf organisatorischer Ebene 2  Das heißt seit 1957.

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aufzuzeigen. Je weniger das MfS vom Innenministerium wusste, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Wissen an den KGB weitergeleitet wurde. Die sogenannten gemeinsamen Operationen im Bereich der Funkaufklärung, beispielsweise der Vorgang »Wolke«, belegen die Rationalität der polnischen Vorgehensweise. Entging der Stasi die polnische Zurückhaltung? Ganz im Gegenteil. Auch deswegen mussten geradezu der August 1980 und die Entstehung der Solidarność derart paranoide Reaktionen des MfS und der ganzen DDR-Führung auslösen. Es war eine in der Tat berechtigte Annahme, dass die Turbulenzen in der VRP eine existenzielle Gefahr für den ostdeutschen Staat bedeuten konnten. Die konkreten, rein technischen Reaktionen Mielkes jedoch, für die der Wortlaut des Befehls »Besinnung« bezeichnend ist, waren der zweite gravierende Fehler des MfS. Inwiefern? Sollte die Stasi etwa aufhören, sich für die Ereignisse in Polen zu interessieren? Das wäre schlicht unmöglich gewesen. Aber durch die quantitätsorientierte, flächendeckende und aggressive Ausrichtung der MfSArbeit nahm Mielke einen Paradigmenwechsel vor. Polen war seit 1980 nur noch scheinbar »Freund« und faktisch ein Feind, was wiederum das polnische Paradigma gegenüber der DDR endgültig ändern musste. Für das MSW war die Stasi eine Institution, mit der man in bestimmten Fällen und in begrenztem Maße kooperierte. Eine gewisse Distanz gegenüber der Stasi bestand immer, doch nahm sie die längste Zeit aufgrund von Eigeninteresse und politischer Korrektheit nicht überhand. Als jedoch die Stasi – ungeachtet der von ihr geleisteten enormen technischen Hilfe anlässlich des Kriegsrechts in Polen – eine offensive Arbeit entwickelte, deren Ausmaße eine bis dahin nicht gekannte Qualität annahmen und die vielleicht in der Bundesrepublik nachvollziehbar gewesen wäre, musste auch das MSW sein DDR-Bild entsprechend anpassen. Die politische Korrektheit verschwand. Was blieb, war der Zynismus. Logistische Hilfe wurde weiterhin angenommen, Mielke erhielt sogar einige polnische Auszeichnungen, selbst eine Operativgruppe kam hinzu. Gemeinsame Projekte aber wurden immer seltener, mehr noch, die OGW war einfacher zu kontrollieren als die illegale Aufklärung. Anstelle von Kooperationen häuften sich nun Vorwürfe, Enttarnungen nicht genehmigter ostdeutscher IM im Solidarność-Umfeld oder Informationen über versuchte Anwerbungen von Polen. Wo sind die Gründe für die Fehlentscheidungen des MfS zu verorten? Die Hauptaufgabe eines Geheimdienstes besteht vor allem darin, die Welt zu verstehen, in der man agiert. Verstand Mielke die VRP? Nein. Er behauptete zwar zu Recht, dass der nicht zu leugnende polnische politische Liberalismus eine Gefahr für die DDR darstellte. Warum wollte Mielke aber nicht begreifen, dass die VRP bis 1989 kein demokratischer Staat war, in dem der Geheimdienst über ein vielleicht kleines, aber doch intaktes Agentennetz verfügte? Ohne Zweifel war das ostdeutsche Spitzel- und Repressionssystem größer als das polnische. Bedeutete dieser Umstand aber, dass das polnische System nicht vorhanden oder nicht

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funktionsfähig war? Das MfS agierte in Polen nicht in einer westlichen Demokratie, in der die Spionageabwehr mitunter mit Finanz- und Personalproblemen rechnen musste. Es arbeitete in einem totalitären Staat, in dem die Denunziation eine gewichtige Rolle spielte und in dem das MSW bereits seit Jahrzehnten versuchte, eine starke Opposition zu bezwingen. Der polnische Geheimdienst war folglich kampferprobt und behauptete nie, den Klassiker Mielkes zitierend, dass die Lage in der VRP »stabil« sei. Die Erfahrungen mit dem MfS machten dem MSW schnell klar, dass die Sicherheitsdienste aller sozialistischen Staaten ab 1980 in höherem Maße Informationen in und über Polen sammeln würden, was entsprechende Gegenmaßnahmen zur Folge haben musste, auch gegen das MfS. Es ging bezüglich der Gegenmaßnahmen nicht um speziell auf die Stasi zugeschnittene Sondervorgänge. Es ging um das System des Innenministeriums als Ganzes. Die einfache Denunziation war in dieser Hinsicht deutlich wirksamer als Hunderte hauptamtliche Abwehrmitarbeiter. Tatsächlich gab es in der VRP tausende Denunzianten wie auch einige Hundert Spionageoffiziere. Das hätte die Stasi doch wissen müssen, zumal sie selbst auf der Seite eines autoritären Staates stand. Hinzu kam ferner die Militarisierung des öffentlichen Lebens Polens nach dem 13. Dezember 1981 sowie die verstärkte operative MSW-Bearbeitung derjenigen Milieus, die auch für das MfS von Bedeutung waren. Es war also nur eine Frage der Zeit, wann das Innenministerium die ersten Belege für die wahren Aktivitäten der OGW gewänne und somit die Interessenkonflikte mit der DDR nochmals sowie in vollem Umfang vor Augen geführt bekäme. Wie reagierte das MSW auf die aggressive Stasi-Arbeit? Die passende Antwort lautet: »flexibel«. Die bilateralen Beziehungen waren keineswegs so schlecht, dass man propagandamäßig zelebrierte Festnahmen von DDR-Diplomaten zu inszenieren gedachte, die der Spionage verdächtigt wurden, wie das bei der amerikanischen Botschaft in Warschau mehrmals der Fall war. Es ging vielmehr, ebenso wie in Ostdeutschland, um eine vorsorgliche Kontrolle der Stasi-Aktivitäten sowie – im Notfall – um taktvolle, aber entschlossene Gegenreaktionen. Auf der offiziellen Ebene hatte sich seit den 1960er-Jahren kaum etwas verändert. Mielke war wie üblich arrogant, seine polnischen Pendants versprachen ihm, gemeinsam gegen den Imperialismus zu kämpfen. Auf der operativen Ebene jedoch versorgte man die OGW mit Informationen, deren Inhalt und Verbreitung das MSW selbst kontrollierte, um die nun breiter angelegte Stasi-Arbeit zu beschränken und auch besser zu überwachen. Gemeinsam durchgeführte oder mitgestaltete genuin geheimdienstliche Vorgänge wurden immer seltener. Der jeweilige Partner wurde dabei immer nur toleriert oder als Logistiker bzw. Bereitsteller von Ressourcen eingeplant. Immer öfter stachen die Unterschiede zwischen den MfS-Hauptamtlichen und der überaus ausgeprägten Flexibilität bei den polnischen Hauptamtlichen ins Auge, die mit ebendieser Flexibilität aus MfS-Sicht die Grundsätze des tschekistischen Handwerks ignorierten. Diese Flexibilität erwies sich als Vorteil und wurde dadurch ermöglicht, dass das MSW weder

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mit einer geradezu monströsen Bürokratie noch mit intellektuell beschränkten Vorgesetzten zu kämpfen hatte. Im Gegensatz zu Mielke betrachtete die Führung des Innenministeriums die Welt nicht durch das Prisma der Ideologie. Der polnischen Führung war vollkommen bewusst, auf welch ideologische Weise die gesamte DDR-Spitze die eigene Umwelt wahrnahm, und das war eines der Schlüsselelemente für den Erfolg des MSW, das MfS möglichst weit auf Distanz zu halten. Die Grundsatzvereinbarung war ein Dokument ohne jegliche Relevanz. Von Belang waren nur die immer kleineren Anhänge mit Auflistungen der gemeinsamen Vorgänge, die nur alle zwei Jahre oder noch seltener aktualisiert wurden. Das geheimdienstliche Protokoll – es war ebenso absurd wie das auf Parteiebene – hatte nur das Ziel, die Genossen aus der DDR zu beruhigen. Diejenigen, die dieses Protokoll schätzten oder gar genossen, etwa Wolf, hatten in der Welt von Mielke und Honecker nichts zu suchen. Deswegen quittierte der HV-A-Leiter auch seinen Dienst, obwohl die polnische Seite nach wie vor zumindest versuchte, über die eigene Aufklärung Signale an die Stasi zu schicken, dass die DDR die 1980er-Jahre ohne grundlegende politische Änderungen nicht überleben würde. In dem Moment, als man im MSW zu dem Schluss kam, dass die Politik Gorbatschows in der DDR nicht akzeptiert würde, hatte der polnische Geheimdienst nur noch die allgemeine Lage in Ostdeutschland im Auge zu behalten, um die eigene innere Transformation in Ruhe vorbereiten zu können. Die Stasi und die DDR als Ganzes waren nicht mehr zu retten. Wusste die Stasi wirklich nicht, was eigentlich in der VRP passierte? Es steht außer Frage, dass man in diesem Ministerium über ausreichend Personal und Logistik für eine kompetente Berichterstattung über Polen verfügte. Doch wollte man zugleich auch die Befehle Mielkes ausführen. Nahm man jedoch die Richtlinien der Aktion »Besinnung« ernst, so stellte man fest, dass Mielke faktisch alles über Polen wissen wollte. Dies bedingte in der Konsequenz keine rationale und kritische Berichterstattung, sondern Chaos, eine nicht enden wollende Informationsflut sowie die Gewohnheit, nur darüber zu berichten, was den Vorgesetzten genehm war. Je niedriger die Stasi-Arbeitsebene war, desto zutreffender und glaubwürdiger waren die Informationen aus Polen. Nur war diese Glaubwürdigkeit auf der Spitzenebene des MfS und/oder der SED alles andere als erwünscht.3 Dadurch wurde die zweitwichtigste Funktion des Geheimdienstes, 3  Peter Höpfner stellt in seiner Monografie von 2012 die These auf, dass die ZAIG-Berichte überdeutlich machen, dass das MfS ein Gefangener der eigenen Ideologie war (Peter Höpfner: Die Informationspolitik des Ministeriums für Staatssicherheit. Die DDR-Wirtschaft in den Wochenberichten der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG). Marburg 2012, S. 110). Andererseits berichtete die HV A im März 1988, dass die Akzeptanz von Gorbatschows Politik seitens der Volksrepublik dazu geführt hatte, die VRP außenpolitisch zu stärken und so auch bessere Chancen für die Durchführung innerer Reformen zu haben. Nur stammte die Information aus der Bundesrepublik und Honecker bspw. war nicht im HV-A-Verteiler, über den diese Nachricht kam. Der DDR-Ministerpräsident Willi Stoph hingegen schon. Es ist aber nicht

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also die Fähigkeit, verantwortungsbewusst über die Lage der Nachbarstaaten zu informieren oder zumindest nicht zu desinformieren, untergraben.4 Das musste auch die IM-Arbeit beeinflussen. In über 90 Prozent der Fälle lieferten die IM Angaben, die nicht zur Weltwahrnehmung der MfS-Führung passten. Zudem waren die »richtigen« Agenten, also die Residenten, zu wenig und auch nicht in den wahren Zentren der polnischen Macht aktiv. Die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Honecker und Gorbatschow trugen noch dazu bei, die besten Informationen aus der UdSSR nicht oder nur eingeschränkt zu erhalten. Wie also konnte die relativ kleine Zahl der zumeist nicht optimal platzierten ostdeutschen Spitzel die Solidarność mit ihren mehreren Millionen Mitgliedern beeinflussen? Effektiv konnte sie es nicht, weil es nicht im Interesse des MSW war. Das MfS war nicht der KGB, gegen die Stasi durfte das Innenministerium vorgehen. Darüber hinaus konnte es sich das MSW leisten, einige Stasi-Quellen stillschweigend zu tolerieren. Was machten diese Quellen denn konkret? Sie nahmen vereinzelte Gespräche mit Wałęsa auf, sammelten einige Flyer oder Gerüchte. Mitunter gelang es ihnen, wichtige Daten zu liefern, etwa über Kurierwege. Aus operativer Sicht waren solche Verdienste hilfreich, konnten die bestplatzierten polnischen IM in Danzig aber keinesfalls ersetzen, geschweige denn die Solidarność-Führung beeinflussen.5 Außerdem konnten die gleichen Flyer auch von westlichen Journalisten gesammelt werden, und diese waren schwerer zu kontrollieren. Der mangelnde Einfluss auf die Opposition war nicht die einzige Niederlage der Stasi. Den wichtigsten politischen Entwicklungsprozess im öffentlichen Leben Polens der 1980er-Jahre, also die Initiierung und Durchführung von Gesprächen zwischen der Solidarność und der PVAP, durften weder die SED noch das MfS blockieren. Die ultrakonservativen Milieus in der polnischen Staatspartei, die das ostdeutsche Regierungssystem mit Vorliebe eingeführt hätten, wurden ab 1981 Schritt für Schritt entmachtet und vollständig aus der PVAP entfernt.6 Mehr noch, die Kontakte jener Genossen zu DDR-Diplomaten, mit oder ohne Stasi-Hintergrund, waren gleichbedeutend mit dem politischen Selbstmord in der VRP, zumal die UdSSR die politischen Veränderungen in Polen akzeptierte. So gesehen konnte das MfS lediglich als eine Art Gehilfe des KGB/der GRU in verwunderlich, dass der Letztgenannte in der DDR keinesfalls Reformen nach Gorbatschows Vorbild durchführen wollte. BStU, MfS, HV A Nr. 51, S. 17. 4  Ob das überhaupt möglich war, diskutieren die Wissenschaftler bis heute. Einige, vor allem englischsprachige Autoren, stellten etwa ab 2010 grundsätzlich das intellektuelle durchschnittliche Niveau der Stasi-Hauptamtlichen infrage. Vgl. Gary Bruce: The Firm. The Inside Story of the Stasi. Oxford 2010, S. 31. 5  Aus unerklärlichen Gründen berücksichtigte die Stasi die Berichte nicht weiter, die der stellvertretende Minister für Staatssicherheit, General Bruno Beater, bereits 1978 erhalten hatte. Bezüglich der Lage in Polen verwies man darauf, dass das MSW über enorme Möglichkeiten verfügte, die Opposition zu kontrollieren. BStU, MfS, Arbeitsbereich Neiber Nr. 860, S. 70. 6  Was auch die Gesprächspartner der Stasi-Mitarbeiter zugeben mussten; BStU, MfS, HA XVIII Nr. 21133, S. 56.

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Erscheinung treten,7 mit der Aufgabe, die Informationen über die VRP abzurunden. Eine darüber hinausgehende politische Entscheidungsgewalt war dem MfS verwehrt. Schließlich wusste die OGW nie, wer von ihren Gesprächspartnern nicht im Auftrag des MSW mit ihr gesprochen hatte. Welche Bilanz wies die sogenannte Freundschaft zwischen dem MfS und dem MSW abschließend auf? Diese »Freundschaft« bestand nicht. Doch das ist nicht alles. Die Stasi – personell, logistisch, finanziell und institutionell besser ausgestattet als das polnische Innenministerium – verlor alles, was es zu verlieren gab. Eine entsprechende Bitterkeit ist so für fast jede Form von Erinnerungsliteratur der damaligen ostdeutschen Hauptamtlichen kennzeichnend.8 Bis zum heutigen Tag haben sie weder den Niedergang der DDR noch den des MfS verwunden.9 Der Hochmut und die Arroganz Mielkes,10 die auch in der Politik gegenüber dem MSW zum Tragen kamen, waren für die Stasi verheerend, da es zwischen Geheimdiensten keinen Platz für solche Laster gibt, ebenso wenig für imaginäre Wertvorstellungen, gemäß welchen Verträge einzuhalten seien und die Arbeit der OGW in Polen geheimdienstlich nicht zu überwachen sei. In der Tat versprach Kiszczak der OGW bereits 1980 Hilfe und Unterstützung. Bedeuteten aber jene Sätze, vornehmlich protokollarischen Charakters, dass der Innenminister – ein Mann, der die Brutalität des Krieges selbst erlebt hatte und zudem ein langjähriger Geheimdienstler – für das MfS die Grundsätze seiner Arbeit außer Acht lassen würde? Nein. Deswegen durfte er am 7. Dezember 1989 eben als nach wie vor amtierender Innenminister die Verhaftung Mielkes mitverfolgen – als ein Minister der ersten nichtkommunistischen Regierung der VRP und der Dritten Republik Polen. Sein Geheimdienst konnte zudem das übliche, betriebsbedingte Misstrauen gegenüber der wiedervereinigten Bundesrepublik auch nach der Wende von 1989 weiter pflegen. 1993, zwei Jahre nach dem Abschluss des »Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit« zwischen der bereits erwähnten Bundesrepublik und der Republik Polen, verurteilte das Militärgericht des Pommerschen Militärbezirks in Bromberg einen polnischen Oberstleutnant, der als Dozent an einer Militärhochschule tätig war, wegen Spionage zugunsten der Bundesrepublik. Die Anklageschrift basierte auf der 7  Hervorzuheben ist, dass nur 13 Prozent der der sowjetischen Seite vom MfS übergebenen Unterlagen einen analytischen Charakter hatten. Glocke; Winters: Im geheimen Krieg, S. 366. 8  Orzechowski: Zdarzyło się w Berlinie, S. 368; Jefferson Adams: Awaiting History's Judgment: The GDR's Erich Mielke. In: International Journal of Intelligence and Counter­Intelligence 1 (2013), S. 64–83, hier 64. 9  Klaus Eichner, Karl Rehbaum: Deckname Topas. Berlin 2013, S. 230. 10  Sein Pendant, der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck, stellte sogar 2014 die These auf, dass vor allem die Konsolidierung der Stasi-Führungsebene zum Versagen des MfS beitragen musste. Jene Konsolidierung schloss die Möglichkeit aus, dass die Spitze des ostdeutschen Geheimdienstes die Realität überhaupt wahrnehmen konnte. Siehe Glocke; Winters: Im geheimen Krieg, S. 144.

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Vorarbeit des MSW.11 Ein Zitat von Wojciech Pięciak12 scheint dabei eine der zutreffendsten Zusammenfassungen der Beziehungen zwischen dem MfS und dem MSW zu sein: Die Spionage unter Freunden war und ist politisch geduldet. Aber auch diese Duldung hat Grenzen.13

11  Grzegorz Chlasta: Czterech. Brochwicz, Miodowicz, Niemczyk, Sienkiewicz. Warszawa 2014, S. 210. 12  Wojciech Pięciak: Droga do normalności. Polityka zagraniczna RFN od wojny o Kuwejt do wojny o Kosowo. Warszawa 2000, S. 260. 13  Es ist nicht die Aufgabe des Verfassers, neueste – und enorm umstrittene – Literatur­ berichte zu verifizieren, veröffentlicht durch ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der polnischen Spionageabwehr, denen zufolge auch nach 2000 deutsche Agenten in Polen angeblich enttarnt worden sind. Siehe Wojciech Sumliński: ABW. Nic nie jest tym, czym się wydaje. Warszawa 2017, S. 43; Robert Zieliński: Ścigani. Jak »dobra zmiana« niszczyła polskie służby specjalne. Kraków 2020, S. 326.

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Abkürzungsverzeichnis Abt. Abteilung ABW Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego (Agentur für Innere Sicherheit) ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst A. d. V. Anmerkung des Verfassers Amt für Nationale Sicherheit Af NS AG Arbeitsgruppe AGL Arbeitsgruppe des Leiters AIM Archivierter IM-Vorgang Arbeitskontakt AK AKG Auswertungs- und Kontrollgruppe archivierte OPK-Akte AOPK AS Allgemeine Sachablage AU Archivierter Untersuchungsvorgang Büro des Leiters BdL BF Abteilung Bildung und Forschung [des BStU] Bundesamt für Verfassungsschutz Bf V BMI Bundesministerium des Innern BND Bundesnachrichtendienst Biuro Ochrony Rządu (Büro für Regierungsschutz; Einheit, die für den BOR persönlichen Schutz der Mitglieder der Staatsorgane zuständig ist) BRD Bundesrepublik Deutschland Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des StaatssicherBStU heitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Biuro Udostępniania (Büro für Akteneinsicht am Institut des Nationalen BU Gedenkens in Polen) BV Bezirksverwaltung California CA CB Civil Broadcast CDU Christlich Demokratische Union Central Intelligence Agency CIA Company Co COCOM Coordinating Committee on Multilateral Export Control ČSSR Československá socialistická republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) Christlich Soziale Union CSU Deutscher akademischer Austauschdienst DAAD DAV Dienstleistungsamt für Ausländische Vertretungen DDR Deutsche Demokratische Republik Dep. Department DM Deutsche Mark EDV Elektronische Datenverarbeitung ELOKA elektronische Kampfführung EWG Europejska Wspólnota Gospodarcza (Europäische Wirtschafts gemeinschaft) FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend Ffo Frankfurt (Oder)

Abkürzungsverzeichnis FIM GDR Gen. Gestapo Ghz GMS GRU

435

Führungs-IM German Democratic Republic Genosse Geheime Staatspolizei Gigaherz Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (russ.) - Hauptverwaltung für Aufklärung sowjetische Auslandsspionage GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt HA Hauptabteilung Herausgeber Hg. Hauptverwaltung A (Aufklärung) des Ministeriums für Staatssicherheit HV A der DDR International Business Machines Corporation (börsennotiertes USIBM amerikanisches IT- und Beratungsunternehmen) IM Inoffizieller Mitarbeiter Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung IMB IMbE/IME Inoffizieller Mitarbeiter im besonderen Einsatz Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung IMS IPN Instytut Pamięci Narodowej (Institut des Nationalen Gedenkens in Polen) Instytut Profilaktyki Społecznej i Resocjalizacji (Institut für Soziale IPSiR Prophylaxe und Resozialisation an der Universität Warschau) KC Komitet Centralny (Zentralkomitee) Kreisdienststelle KD KGB Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti (russ.) - Komitee für Staats­ sicherheit (Sowjetischer Geheimdienst) Bereich Kommerzielle Koordinierung KoKo KOR Komitet Obrony Robotników (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter) Kontaktperson KP Kommunistische Partei Deutschlands KPD KPN Konfederacja Polski Niepodległej (Konföderation des unabhängigen Polens) KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KuSch Abteilung Kader und Schulung KZ Konzentrationslager Lkw Lastkraftwagen LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft MBP Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego (Ministerium für öffentliche Sicherheit) MD maschinenlesbare Daten MdI Ministerium des Innern Megaherz Mhz MID Militärischer Innerer Dienst der Volksrepublik Polen MI 5 Military Intelligence 5 (britischer Inlandsgeheimdienst) MI 6 Military Intelligence 6 (britischer Auslandsgeheimdienst) MfS Ministerium für Staatssicherheit der DDR Mossad Institute for Intelligence and Special Operations (israelischer Auslandsgeheimdienst) MSW Ministerstwo Spraw Wewnętrznych (Ministerium für Innere Angelegenheiten)

436 NATO ND NGO NKWD

Anhang

North Atlantic Treaty Organization Nachrichtendienst Neues Deutschland Non-governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation) Narodnyi Komissariat Wnutrennych Del (russ.) - Volkskommissariat für innere Angelegenheiten Niemiecka Republika Demokratyczna (Deutsche Demokratische NRD Republik) NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationale Volksarmee NVA Niezależne Zrzeszenie Studentów (Unabhängiger Studentenverband) NZS OAM Operatives Ausgangsmaterial Ohne Datum O. D./o. D. OG Operativgruppe OGW Operativgruppe Warschau Offizier im besonderen Einsatz OibE OPK Operative Personenkontrolle Operativ-Technischer Sektor des MfS OTS OV Operativer Vorgang PC Personalcomputer Pkw Personenkraftwagen PLO Palestine Liberation Organization (Palästinensische Befreiungsorganisation) Polska Rzeczpospolita Ludowa (Volksrepublik Polen) PRL PRON Patriotische Front für die Nationale Wiedergeburt Personenschutz PS PVAP Polnische Vereinigte Arbeiterpartei Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnische Vereinigte PZPR Arbeiterpartei) Rote Armee Fraktion RAF Ref. Referat RFN Republika Federalna Niemiec (Bundesrepublik Deutschland) Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe RGW RP Rzeczpospolita Polska (Republik Polen) RMP Ruch Młodej Polski (Bewegung des Jungen Polens) ROPCiO Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela (Bewegung zur Verteidigung der Rechte des Menschen und Bürgers) SA Sturmabteilung SALT Strategic Arms Limitation Talks (Gespräche zur Begrenzung strategischer Rüstung) Służba Bezpieczeństwa (Sicherheitsdienst) SB SBZ Sowjetische Besatzungszone Deutschlands SDP Sozialdemokratische Partei der DDR SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SfS Staatssekretariat für Staatssicherheit SIRA System der Informationsrecherche der Hauptverwaltung des Ministe­ riums für Staatssicherheit SIGINT Signals Intelligence (Fernmeldeaufklärung) SIS Secret Intelligence Service (siehe MI 6) SO Sicherheitsorgane

Abkürzungsverzeichnis SOUD

437

Sistema Objedinnjonowo Utschota Dannych (o Protiwnike) (russ.) System der vereinigten Erfassung von Daten über den Gegner SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel Staatssicherheit Stasi SWAPO South-West Africa People's Organisation (Südwestafrikanische Volksorganisation) TD Teildatenbank Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UdSSR UN United Nations (Vereinte Nationen) União Nacional para a Independência Total de Angola (Nationale Union UNITA für die Unabhängigkeit Angolas) UOP Urząd Ochrony Państwa (Amt für Staatsschutz; In- und Auslands­ geheimdienst in Polen 1990–2002) UW Układ Warszawski (Warschauer Pakt) US United States United States of America USA VEB Volkseigener Betrieb Volksrepublik VR VRP Volksrepublik Polen Wolność i Niezawisłość (Freiheit und Unabhängigkeit) WiN Wojska Ochrony Pogranicza (Grenzschutztruppen in Polen) WOP WSW Wojskowa Służba Wewnętrzna (Militärischer Innerer Dienst in Polen) WZZ Wolne Związki Zawodowe (Freie Gewerkschaften der Küste) Zentralarchiv ZA ZAIG Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe ZDF Zweites Deutsches Fernsehen ZK Zentralkomitee ZKG Zentrale Koordinierungsgruppe Związek Socjalistycznej Młodzieży Polskiej (Polnische Sozialistische ZSMP Jugendunion) Zł Złoty Polski (Polnische Währung) Zentraler Operativstab ZOS ZSRR Związek socjalistycznych Republik Radzieckich (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken)

438

Anhang

Quellen-/Literaturverzeichnis Unveröffentlichte Quellen Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej – Warszawa [Archiv des Institutes des Nationalen Gedenkens in Warschau] Komitet do spraw Bezpieczeństwa Publicznego [Komitee für öffentliche Sicherheit] Wojewódzki Urząd do spraw Bezpieczeństwa Publicznego we Wrocławiu [Woiwodschaftsamt für öffentliche Sicherheit in Breslau] Ministerstwo Spraw Wewnętrznych [Ministerium des Innern] Biuro Ochrony Rządu [Büro für Regierungsschutz] Department I Department II Department III Department IV Department Kadr i Szkolenia [Department Kader und Schulung] Gabinet Ministra Spraw Wewnętrznych [Kabinett des Innenministers] Komenda Wojewódzka Milicji Obywatelskiej w Koszalinie [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Köslin] Komenda Wojewódzka Milicji Obywatelskiej w Rzeszowie [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Rzeszów] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Bydgoszczy [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Bromberg] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Jeleniej Górze [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Jelenia Góra] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Katowicach [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Kattowitz] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Przemyślu [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Przemyśl] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Poznaniu [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Posen] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Łomży [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Łomża] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Opolu [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Oppeln] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Wrocławiu [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Breslau] Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych w Zielonej Górze [Woiwodschaftskommandantur der Bürgermiliz in Zielona Góra] Wyższa Szkoła Oficerska Ministerstwa Spraw Wewnętrznych im. Feliksa Dzierżyńskiego w Legionowie [Offiziershochschule »Feliks Dzierżyński« des Innenministeriums in Legionowo] Zarząd Wojskowej Służby Wewnętrznej Wojsk Ochrony Powietrznej Kraju [Verwaltung des Militärischen Inneren Dienstes in den Einheiten der Landesluftabwehrstreitkräfte]

Quellen-/Literaturverzeichnis

439

Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR – Berlin Abteilung Finanzen Abteilung N Abteilung X Arbeitsgruppe XVI Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Cottbus Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Erfurt Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Frankfurt/Oder Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Gera Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Magdeburg Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Neubrandenburg Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Rostock Akten der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Schwerin Akten der Operativen Personenkontrollen Allgemeine Personenablage Allgemeine Sachablage Arbeitsbereich Neiber Hauptabteilung I Hauptabteilung II Hauptabteilung II/10 Hauptabteilung II/13 Hauptabteilung II/Stab Hauptabteilung III Hauptabteilung VI Hauptabteilung VII Hauptabteilung VIII Hauptabteilung IX Hauptabteilung IX/11 Hauptabteilung XVIII Hauptabteilung XIX Hauptabteilung XX Hauptabteilung XX/4 Hauptabteilung XX/9 Hauptabteilung XX/AKG Hauptabteilung XXII Hauptabteilung Kader und Schulung Hauptabteilung Personenschutz Hauptverwaltung A (Aufklärung) Operativ-Technischer Sektor Personalakten der Hauptamtlichen Mitarbeiter (KS) Personal- und Arbeitsakten der Inoffiziellen Mitarbeiter (AIM) Sekretariat Mielke Sekretariat Mittig Sekretariat Neiber

440

Anhang

Sekretariat Schwanitz Sekretariat des Ministers Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes – Berlin Referat 214

Quellen-/Literaturverzeichnis

441

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Quellen-/Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis zu den Abbildungen Abb. 1 Abb. 2

BStU, MfS, ZAIG, Fo 2518, Bild 96 BStU, MfS, ZAIG, Fo 2518, Bild 12

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Personenregister Adamaschek, Norbert 190 Adenauer, Konrad 80 Andropow, Juri 135 Axen, Hermann 391, 408 Barańczak, Stanisław 235 Bartoszewski, Władysław 237 Beater, Bruno 429 Biermann, Wolf 243, 358 Bierut, Bolesław 60 Blachnicki, Franciszek 240 Brandt, Willy 63, 76, 86 f., 200 Brzeziński, Zbigniew 131 Bujak, Zbigniew 122, 393 Carter, Jimmy 131, 199 Ciosek, Stanisław 393, 406 Czechowicz, Andrzej 240 Damm, Willi 75, 77, 79, 106, 301, 336 Daud, Abu 182 f. Diestel, Peter-Michael 140 Fischer, Oskar 391, 408 Fiszbach, Tadeusz 387 Ford, Gerald 202 Geisler, Otto 385 Genscher, Hans-Dietrich 116, 150, 199 Geyer, Heinz 385 Gierek, Edward 87, 112, 115, 122, 198, 387 Glemp, Józef 268–270, 397 Goleniewski, Michał 74, 92 Gomułka, Władysław 45, 47 f., 62 f., 76, 92, 389 Gorbatschow, Michail 129, 133, 140, 278, 314, 325, 395, 406–408, 418 f. Guillaume, Günter 76 Gwiazda, Andrzej 391 Hager, Kurt 391 Harris, Clive 308 Hoffmann, Heinz 391 Honecker, Erich 41 f., 120, 140, 142, 144, 202 f., 205, 314, 336, 357, 386–388, 391, 407–412, 417–419 Irmler, Werner 384 f. Jankowski, Henryk 283 Jaruzelski, Wojciech 14, 45, 108, 113, 119, 121, 123 f., 126, 130–133, 136, 138, 140, 145 f., 148, 152, 154, 157, 262, 277, 280, 310, 314, 325, 331 f., 361, 375 f., 387,

389 f., 392–395, 397 f., 400 f., 403–407, 409 f., 418–421 Johannes Paul II. 126, 274 f., 277 Jurzak, Jacek 190 Kania, Stanisław 115, 387 Kissinger, Henry 200 Kiszczak, Czesław 14, 28 f., 45, 108 f., 111, 117, 119, 121, 123 f., 126, 130 f., 136–138, 140, 145, 148, 182 f., 206, 215, 273, 277, 280, 288, 323 f., 326, 331, 392, 394–396, 404–406, 410 Klimczak, Edward 251–253 Kohl, Helmut 199, 419 f. Kołakowski, Leszek 235 Kowalczyk, Stanisław 115, 118 Kozłowski, Krzysztof 28, 110, 183 Kratsch, Günther 133, 385 Krenz, Egon 42, 408, 411 f. Kukliński, Ryszard 176 f., 331 Lemnitzer, Lyman 86 Lipski, Jan Józef 237 Mazowiecki, Tadeusz 83, 406 Mehlhorn, Ludwig 267 Michnik, Adam 393 Mielke, Erich 36, 41 f., 56, 60, 62–64, 70, 74, 85, 88, 104, 109–111, 113, 116–118, 123–125, 130, 132, 134–151, 158 f., 163, 182, 194–196, 206, 211, 213, 215 f., 229, 237, 275, 290, 302, 304, 325, 336, 357, 384 f., 387, 393, 395 f., 398, 401, 404, 407–412 Milewski, Mirosław 120, 127, 131 f. Miłosz, Czesław 235 Miodowicz, Alfred 136, 405 Mittag, Günter 391, 408 Mittig, Rudi 75, 384 Moczar, Mieczysław 36, 62, 85 Modrow, Hans 411 Mrożek, Sławomir 235 Naszkowski, Eligiusz 177 Neiber, Gerhard 104, 384 Nixon, Richard 200 Olschowsky, Burkhard 409 Popiełuszko, Jerzy 131 f., 270, 279, 396–398 Pudysz, Zbigniew 29 Pyjas, Stanisław 282

Personenregister Radkiewicz, Stanisław 36 Rakowski, Mieczysław 138, 150, 389, 403, 407 f. Reagan, Ronald 279 Särchen, Günter 83 Sasin, Józef 134, 138 Schmidt, Helmut 156, 198 Schröder, Fritz 89 Schröter, Gerda 75 Sieber, Günter 391, 408 Siwak, Albin 388 Słowikowski, Jan 120 Sokolak, Henryk 69, 79 Stachura, Bogusław 120 Stalin, Josef 138 Stiller, Werner 168

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Stoph, Willi 408, 428 Strauß, Franz Josef 201 Światło, Józef 45, 60 Tumanow, Oleg 67 Ulbricht, Walter 41 f., 48, 62, 76, 92 Urban, Jerzy 398, 400 Walentynowicz, Anna 391 Wałęsa, Lech 125, 136, 166, 242 f., 246, 370–372, 375, 390–392, 399, 404 f. Wojtyła, Karol 82, 197, 274–276, 278 Wolf, Markus 42, 119 f., 127, 152, 166, 194, 200 f., 237, 260, 385 Wollweber, Ernst 41 Wyszyński, Stefan 82 Zaisser, Wilhelm 36, 41

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Decknamenregister »Andreas« 383 »Anton« 372 »Bankier« 169 »Barbara Lubinski« 357 »Bastion« 342 »Bernd Senger« 362 »Besinnung« 146, 148, 150, 153, 156, 158, 236, 291, 293, 322, 340, 356 »Biskup« (Bischof ) 363 »Bonzo« 369 »Brücke« 209 »Clivia« 351 »Detlef Schröder« 254, 369 »Dialog« 156 »Dieter Müller« 368 »Doktor« 258 »Dozent« 376 »Dr. Schreiber« 253 »Dr. Schröder« 363, 371 »Edward« 352 »Ekstremist« 182 »Ester« 284 »Falke« 185 »Fix« 284 »Frank Langus« 362 »Fred« 325, 328, 337 »Gefahrlose« 343 »Gerd Steinberg« 363 »Handwerker« 364 »Hans« 357 »Helena« 363 »Helmut« 363 »Henryk« 253, 256–258, 283, 326, 328, 363, 378, 381, 383 »Ingo« 372 »Insel« 167 »Inspektor« 362, 409 »Irena« 362 »Janik« 371 »Joachim Dröse« 362, 366 »Josef« 368 »Jürgen Kühne« 369, 372 »Kalina« 214 »Kalle Brehm« 364 »Kama« 260 »Kleine« [Mała] 75 »Konrad« 325, 329

»Kontakt« 252 »Kossak« 194 »Kupplung« 94 »Kurt« 92 »Lektor« 252 »Limba« 224 »Lis« 362, 368 »Lotos« 214 »Marek« 363, 377 »Martin« 325, 329 »Martin Kaufmann« 363 »Meinhardt« 363, 371 »Most/Brücke« 168 »Nold« 301, 419 »Peters« 370 »Pitt« 247, 260 »Podhale« 342 »Pressow« 284 »Rat« 188 »Renn« 344 »Richard« 371 »Rolf Römer« 362 »Roman« 348, 357 »Rudolf« 325 »Saturn« 363 »Schüler« 95 »Sebastian Eiche« 367 »Shenja« 354 »Silesia« 190 »Solist« 175, 344 »Sosna« 71 »Stein« 383 »Sycylia/Sizilien« 253, 255 »Sylwia« 374 »Tell« 95 »Trag« 309 »Tulipan« 314 »Vera Schulze« 366 »Wartha« 71 »Wildangel« 343 »Wladyslaw« 371 »W. Müller« 343 »Wolke« 214 f., 217 f., 231, 340 »Zenit« 343 »Zibert« 71

Danksagung Während der jahrelangen Recherchen für diese Arbeit wurde ich von vielen Personen und Institutionen unterstützt, denen ich an dieser Stelle einen besonderen Dank aussprechen möchte. Die Archivarbeit am Institut des Nationalen Gedenkens sowie im Berliner Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR wurde durch die Hilfe der dort tätigen Sachbearbeiterinnen maßgeblich erleichtert. Ohne die Betreuung von Teresa Kerinnis, Agnieszka Krajewska und Monika Kurzyp hätte diese Arbeit nie so schnell entstehen können. Die Leitung beider Institutionen hat freundlicherweise den notwendigen Zugang zu den Aktenbeständen ermöglicht. Die Kolleginnen und Kollegen vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. an der Technischen Universität Dresden, insbesondere Prof. Günther Heydemann, haben mehrmals wichtige kritische Anmerkungen zu dem Forschungsprojekt gegeben, dessen Ergebnis die vorliegende Arbeit ist. Sie wurden ebenso berücksichtigt wie die Vorschläge der internen Gutachter, die die erste Fassung gelesen haben. Die zahlreichen Gespräche auf intellektueller und persönlicher Ebene über jene Abhandlung mit Prof. Włodzimierz Borodziej, Prof. Jan Rowiński, Prof. Roman Kuźniar, Prof. Jerzy Sułek, Prof. Zbigniew Siemiątkowski, Prof. Patryk Pleskot, Dr. Władysław Bułhak, Prof. Mike Schmeitzner, Dr. Francesca Weil, Dr. Jens Gieseke, Dr. Gordan Akrap sowie Herrn Botschafter Dr. Jan Bury werden mir immer als bereichernder professioneller Austausch in Erinnerung bleiben. Daneben soll hier Herrn Prof. Wolfgang Krieger und Dr. Douglas Selvage für die kritische Auseinandersetzung mit meinem Themenkomplex sowie für die Durchsicht vorliegender Arbeit gedankt werden. Mein außerordentlicher Dank gilt Dr. Georg Herbstritt sowie Dr. Helge Heidemeyer für die Annahme der Monografie in die wissenschaftliche Publikationsreihe des BStU. Ferner danke ich für zahlreiche konstruktive Anregungen den Gutachtern, die im Rahmen meines Habilitationsverfahrens an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz ernannt wurden, und zwar aufgrund der vorliegenden Studie: Frau Prof. Beate Neuss, Prof. Klaus Ziemer sowie last but not least den Dekan der Fakultät – Prof. Stefan Garsztecki. Tief verbunden bin ich Dr. Paweł Skubisz und Dr. habil. Sebastian Ligarski von der Leitung der Stettiner Außenstelle des Institutes des Nationalen Gedenkens. Ohne deren mühevolle Geduld, liebevollem Verständnis und Unterstützung in meiner – privat und professionell – sehr schwierigen Zeit wäre die endgültige Anfertigung der vorliegenden Studie niemals zustande gekommen.

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Danksagung

Die aus verständlichen Gründen anonym verbleibenden Vermittler der geführten Gespräche mit Zeitzeugen und ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden Ostdeutschlands und Volkspolens haben dazu beigetragen, meiner Wenigkeit die Pforte zur grundsätzlich misstrauischen und hermetischen Welt ehemaliger Geheimdienstler zu öffnen. Deren Gesprächsbereitschaft und Hinweise waren wichtig, auch wenn sich nicht alles, was in den Interviews gesagt wurde, als glaubwürdig erwies. Ein besonderer Dank gilt Frau Annett Zingler, Jana Fuchs und Maria Albers, die die von mir selbst ins Deutsche übersetzte Version des ursprünglich polnischen Textes lektoriert haben. Zu danken habe ich ebenso den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sachgebiets Publikationen der BStU-Abteilung Kommunikation und Wissen, insbesondere Dr. Ralf Trinks, Beate Albrecht und Birgit Schmidt, die das Manuskript druckfertig gemacht haben. Das Buch ist den Opfern der sogenannten Zusammenarbeit und des realen Kampfes des MfS mit dem MSW gewidmet – denjenigen, die mir gegenüber bereit waren, in vielen Fällen das erste Mal nach 30 Jahren, von den schrecklichsten Ereignissen ihres Lebens zu erzählen.