Von der „Universitätsfabrick“ zur „Entrepreneurial University“: Konkurrenz unter deutschen Universitäten von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre 3515124861, 9783515124867

Wettbewerb unter Hochschulen ist seit der Exzellenzinitiative auch in Deutschland in aller Munde. Bei der interuniversit

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German Pages 352 [354] Year 2019

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Inhalt
I. Einleitung
II. Interuniversitäre Konkurrenz in der Spätaufklärung: Von der Gründung der Reformuniversität Göttingen bis zur Humboldt’schen Bildungsreform
II.1 Von der Familien- zur Leistungsuniversität: Die Grundlagen interuniversitären Wettbewerbs
II.2 Aufklärungsuniversität, Spezialschule und „Humboldt-Universität“: Drei Hochschulmodelle und ihre Wettbewerbsordnungen
III. Staatlich gelenkter Wettbewerb. Die Universitäten im Kaiserreich
III.1 Studenten und Professoren als Prämien des interuniversitären. Wettbewerbs im Deutschen Kaiserreich
III.2 Kommunale Stiftungsuniversitäten: Eine Konkurrenz für die staatlichen Hochschulen?
III.3 Die Universitäten im Wettbewerb der deutschen Bundesstaaten und im „Konkurrenzkampf der Nationen“
IV. Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung. Die Hochschulen im „Dritten Reich“
IV.1 Kampf und Konkurrenz um den Bestandserhalt
IV.2 Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren
IV.3 Der interuniversitäre Wettbewerb um Studenten im „Dritten Reich“
V. „Hochschulpolitischer Keynesianismus“: Bildungsplanung und Wettbewerb in der Bundesrepublik während der „langen“ 1960er Jahre
V.1 Staatlicher Dirigismus und Wettbewerbsmechanismen
V.2 Die Gesamthochschulen zwischen Differenzierung und Nivellierung
V.3 Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten zwischen Plan und Wirklichkeit
VI. Mehr Wettbewerb wagen? Die bundesdeutschen Universitäten inden 1980er Jahren
VI.1 „Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen von 1985 und 1989
VI.2 Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige
VII. Resümee
Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Register
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Von der „Universitätsfabrick“ zur „Entrepreneurial University“: Konkurrenz unter deutschen Universitäten von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre
 3515124861, 9783515124867

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Fabian Waßer

Von der „Universitätsfabrick“ zur „Entrepreneurial University“ Konkurrenz unter deutschen Universitäten von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre

WISSENSCHAF T SKULT UREN Reihe III: Pallas Athene Band 53

Franz Steiner Verlag

Herausgegeben von Christian Joas Veronika Lipphardt Gabriele Metzler Kärin Nickelsen Margit Szöllösi-Janze

W I S S E N S C H A F T S K U LT U R E N Reihe III: Pallas Athene Geschichte der institutionalisierten Wissenschaft Bd. 53

Fabian Waßer VON DER „UNIVERSITÄTSFABRICK“ ZUR „ENTREPRENEURIAL UNIVERSITY“

Konkurrenz unter deutschen Universitäten von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Bibliothek der Universität Göttingen, kolorierter Kupferstich von Georg Daniel Heumann aus dem Jahr 1748. Aus: Georg-Daniel Heumann: Wahre Abbildung der Königl. Groß-Britan. und Churfürstl. Braunschw. Lüneb. Stadt, Göttingen: ihrer GrundLage, aüserl. und innerlicher Prospecte und der zur Georg-Augustus-Universitet gehörigen Gebäude, o.O. o.J. [1748]. © Cushing/Whitney Medical Library, Yale University Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Zugleich Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12486-7 (Print) ISBN 978-3-515-12487-4 (E-Book)

Inhalt

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I.

Einleitung

II.

Interuniversitäre Konkurrenz in der Spätaufklärung: Von der Gründung der Reformuniversität Göttingen bis zur Humboldt’schen Bildungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Familien- zur Leistungsuniversität: Die Grundlagen interuniversitären Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufklärungsuniversität, Spezialschule und „Humboldt-Universität“: Drei Hochschulmodelle und ihre Wettbewerbsordnungen . . . . . . . . . . . . . . .

II.1 II.2

III. III.1 III.2 III.3

IV. IV.1 IV.2 IV.3

7

14 14 38

Staatlich gelenkter Wettbewerb: Die Universitäten im Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studenten und Professoren als Prämien des interuniversitären Wettbewerbs im Deutschen Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunale Stiftungsuniversitäten: Eine Konkurrenz für die staatlichen Hochschulen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Universitäten im Wettbewerb der deutschen Bundesstaaten und im „Konkurrenzkampf der Nationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

108

Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung: Die Hochschulen im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kampf und Konkurrenz um den Bestandserhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren . . . . . . . . . . . . . Der interuniversitäre Wettbewerb um Studenten im „Dritten Reich“ . . . . . . .

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61 61 93

6

Inhalt

V.

V.1 V.2 V.3

VI.

„Hochschulpolitischer Keynesianismus“: Bildungsplanung und Wettbewerb in der Bundesrepublik während der „langen“ 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatlicher Dirigismus und Wettbewerbsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gesamthochschulen zwischen Differenzierung und Nivellierung . . . . . . . Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten zwischen Plan und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187 187 215 221

VI.2

Mehr Wettbewerb wagen? Die bundesdeutschen Universitäten in den 1980er Jahren . . . . . . . . . . . 236 „Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen von 1985 und 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

VII.

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI.1

Danksagung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Abkürzungsverzeichnis Quellenverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Literaturverzeichnis Register

289

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

I.

Einleitung

Das war der Tabellenstand der Bundesliga, wir kommen nun zur aktuellen Rangliste der deutschen Hochschulen .1

Ein 1985 in der Deutschen Universitätszeitung veröffentlichter Cartoon lässt die Fernsehberichterstattung über aktuelle sportliche Wettkämpfe mit einem Hochschulranking enden . Die Zeichnung war ein humorvoller Beitrag zur damals kontrovers geführten Debatte, ob ein forcierter interinstitutioneller Wettbewerb unter den deutschen Universitäten zu begrüßen oder abzulehnen sei . Während der Diskussionen zeigte sich, dass die Begriffe Konkurrenz und Wettbewerb zu polarisieren imstande waren und höchst unterschiedlich konnotiert wurden . Tatsächlich bringen die beiden Begrifflichkeiten bereits in vielen ihrer Definitionen einen Zwittercharakter zum Ausdruck .2 So kann man Konkurrenz mit Max Weber als „friedlichen Kampf “ interpretieren oder mit Joseph Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“, die Kräfte freisetzt, aber auch vernichtet .3 Dabei liegt es stets im Auge des Betrachters, ob in erster Linie die „ungeheure vergesellschaftende Wirkung“ der Konkurrenz, die Georg Simmel betont, der in zahlreichen betriebs- und volkswirtschaftlichen Veröffentlichungen hervorgehobene materielle Gewinn für die Gesellschaft und den Einzelnen, oder aber ihre „vergiftenden, zersprengenden, zerstörenden Wirkungen“ sichtbar werden .4 Seit einigen Jahren nimmt das Interesse an Genese, Wandel und (sozialen wie ökonomischen) Konsequenzen von Konkurrenzkonstellationen in den Geisteswissenschaften merklich zu, was wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass der Wissenschaftsbetrieb selbst in zunehmendem Maße vom Wettbewerbsparadigma erfasst zu werden scheint . So lassen sich weder die Exzellenzinitiative noch der Bologna-Prozess ohne Verweis auf kompetitive Ordnungsvorstellungen erklären und wissenschaftspolitische Diskurse kaum mehr ohne die Schlagworte Konkurrenz und Wettbe1 2 3 4

Deutsche Universitätszeitung 41, no . 23 (1985), S . 34 . Konkurrenz und Wettbewerb werden im Folgenden synonym verwendet werden . Weber (2013), S . 192; Schumpeter (21950), S . 134 . Simmel (1995 [1903]), S . 226 .

8

Einleitung

werb führen . Die geradezu inflationäre Verbreitung kompetitiver Nomenklatur seit den 1980er Jahren mag zu der Annahme verleiten, dass der Konkurrenzgedanke erst mit der „Kohl’schen Wende“ gleichsam in einen zuvor wettbewerbsfreien Raum hineingetragen worden sei . Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass Konkurrenz unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (zum Beispiel um freie Stellen, Forschungsgelder oder Prestige) oder unter Studierenden (etwa um Studienplätze) bereits lange zuvor beobachtet und beschrieben wurde . In der vorliegenden Arbeit stehen jedoch nicht Konkurrenzkonstellationen zwischen den menschlichen Akteuren des Wissenschaftsbetriebs, sondern der Wettbewerb der Hochschulen als Institutionen im Fokus . Ein historischer Längsschnitt vom 18 . Jahrhundert bis in die 1980er Jahre hinein soll aufzeigen, dass die deutschen Universitäten bereits seit der Spätaufklärung in mannigfaltigen Konkurrenzbeziehungen zueinander standen, die es zu untersuchen gilt . Welches waren die Prämien des interinstitutionellen Wettbewerbs, welches bzw . wer die Schiedsinstanzen, die über die Vergabe derselben entschieden, und welche Rolle übernahm der Staat im Wettbewerb der Universitäten? Wie entstand und entwickelte sich interinstitutionelle Konkurrenz, von der einerseits behauptet wird, dass sie – einmal entfesselt – immer mehr um sich greife, während andere ihr nachsagen, dass sie den Keim ihrer Vernichtung bereits in sich trage?5 Lässt sich die Konkurrenz der Universitäten mit dem Wettbewerb zwischen Unternehmen der Privatwirtschaft vergleichen? Welche Folgen zeitigte die Konkurrenz und wie wurde sie an den Hochschulen, in den Kultusministerien und gesamtgesellschaftlich wahrgenommen? Um diese Fragen beantworten zu können, stützt sich die vorliegende Arbeit auf das triadische Konkurrenzmodell Georg Simmels, dessen zentrale Denkfiguren der Prämie und des Dritten aufgegriffen werden, um Wettbewerbsbeziehungen als solche zu identifizieren und zu verstehen . Simmel erkannte die konstituierende Bedeutung des „Dritten“ für die Konkurrenz, den er als Schiedsrichter, Entscheidungsinstanz und tertius gaudens in Erscheinung treten lässt .6 Der Soziologe Tobias Werron hat das mehr als hundertjährige Modell Simmels in den vergangenen Jahren erweitert und modernisiert, indem er es um „universalisierte Dritte“ bereicherte . Darunter versteht er Publika, die den Konkurrenten im Einzelnen unbekannt und von ihnen nur durch „Vermittler“ zu erreichen und zu beeinflussen sind .7 Da der „Dritte“ über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln wacht respektive die stets knappen materiellen oder symbolischen Prämien vergibt, wird er von den Konkurrenten umworben . Nach Simmel entscheidet nämlich nicht allein der Leistungsvergleich über den Ausgang eines Wettbewerbs, sondern zudem die von den Konkurrenten angewandten „soziologischen Mittel der Überredung oder Überzeugung, […] der Suggestion oder Drohung“ .8 Letzteres führt 5 6 7 8

Vgl . Halm (1929), S . 11, 128 . Vgl . Fischer (2010), S . 193–207 . Vgl . Werron (2014), S . 179–182 . Simmel (1903), S . 229 .

Einleitung

uns zu der Frage nach der Legitimität von Konkurrenz . Da es keine „reine“ und „freie“ Konkurrenz gibt, sie vielmehr von wandelbaren moralisch-religiösen, sozialen und rechtlichen „Spielregeln“ eingehegt wird, erreicht sie niemals eine allgemeine Akzeptanz, sondern wird stets von einem Teil der Akteure als ungerecht oder unsozial in Frage gestellt .9 Hinter solch vermeintlicher Kritik am Konkurrenzprinzip verbirgt sich jedoch bei genauerem Hinsehen zumeist eine Ablehnung der gültigen Wettbewerbsordnung und ihres Regelwerks oder aber der als Schiedsrichter fungierenden bzw . prämienvergebenden Instanz(en), deren Kompetenz und Neutralität hinterfragt werden . Erlangen die Gegner einer bestimmten Wettbewerbsordnung die Oberhand, können die Regeln verändert werden oder neue Schiedsrichter an die Stelle oder an die Seite der bisherigen treten . Die Voraussetzungen für die Entstehung und Durchsetzung neuer Konkurrenzkonstellationen aufzuzeigen, wird daher von besonderem Interesse sein . Zu diesem Zweck sollen fünf Epochen der neueren deutschen Universitätsgeschichte herausgegriffen werden, die als Reform- und Umbruchphasen zu der Vermutung Anlass geben, dass auch der interuniversitäre Wettbewerb auf neue Grundlagen gestellt wurde . Das erste Kapitel widmet sich der Universitätskrise um 1800 und untersucht die seinerzeit vorherrschenden Hochschulmodelle der Aufklärungsuniversität, der Familienuniversität, der Spezialschule sowie der Humboldt’schen Universität in Bezug auf den institutionellen Wettbewerb . Dass nicht nur einzelne Universitäten, sondern auch die (Anhänger der) vier genannten Hochschulmodelle mit ihren jeweiligen Wettbewerbsvorstellungen miteinander konkurrierten, verdeutlicht zum einen, dass Konkurrenz stets auf verschiedenen Ebenen stattfindet, und zum anderen, dass sich Wettbewerbskonstellationen nicht nur ablösen, sondern auch gleichzeitig nebeneinander existieren können .10 Im Hinblick auf das Universitätssystem des Kaiserreichs interessiert im zweiten Kapitel die Frage, wie sich die Reichseinigung, die zunehmende Bürokratisierung des staatlich kontrollierten Wissenschaftsbereichs, das Erstarken der Technischen Hochschulen sowie die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf den interinstitutionellen universitären Wettbewerb auswirkten . Das dritte Kapitel behandelt die Wissenschaftspolitik des NS-Staates, der in seinem Streben nach gleichgeschalteten „völkisch-politischen“ Universitäten zunächst gegen den als liberalistisch bezeichneten Wettbewerb der Hochschulen um Studenten und Professoren vorging . Es zeigte sich jedoch, dass das universitäre Konkurrenzprinzip tief verankert war und die Machthaber letztlich nicht auf die (vermeintlich) leistungssteigernden Wirkungen des Wettbewerbs verzichten zu können glaubten . Das vierte Kapitel setzt sich mit den westdeutschen Hochschulreformen der 1960er Jahre auseinander und soll die Auswirkungen von Bildungsökonomie, Bildungsplanung und Hochschulausbau auf den

9 10

Vgl . Hölkeskamp (2014), S . 35 . Vgl . Wetzel (2013), S . 24 .

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Einleitung

interuniversitären Wettbewerb aufzeigen . Eine Analyse des bundesdeutschen Hochschulsystems zwischen dem Bonner Regierungswechsel von 1982 und der Wiedervereinigung eruiert abschließend, inwieweit sich die Durchsetzung des Wettbewerbsparadigmas auf die Rhetorik beschränkte oder bereits praktische hochschulpolitische Folgen zeitigte . Im Unterschied zu Sport-, Musik- oder Schönheitswettbewerben, die (zumindest im übertragenen Sinne) auf einer Bühne ausgetragen werden, fand bzw . findet Konkurrenz zwischen Universitäten häufig im Verborgenen statt . Sie dennoch sichtbar zu machen, bedurfte es eines breitgefächerten Quellenkorpus, um die Konkurrenzkonstellationen gleichsam von verschiedenen Seiten zu beleuchten . So offenbaren Egodokumente und Biographien der beteiligten Akteure aus Wissenschaft und Politik verschiedene Aspekte interuniversitärer Konkurrenz sowie ihre subjektive Wahrnehmung durch die Zeitgenossen . Sowohl Aufzeichnungen der Konkurrenten (wie etwa Universitätsrektoren, -kuratoren oder -professoren) als auch der sogenannten Dritten (wie zum Beispiel Beamte der Kultusministerien) wurden auf der Suche nach Konkurrenzkonstellationen ausgewertet . Darüber hinaus greift die Untersuchung auf Jubiläumsschriften der Universitäten, Rektoratsreden, einschlägige Fachzeitschriften, Veröffentlichungen bedeutender Wissenschaftsförderungsorganisationen sowie Hochschulstatistiken zurück . In Einzelfällen, in denen sich Konkurrenzkonstellationen durch publizierte Schriften nur unzureichend nachvollziehen ließen, wurden Materialien des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft aus dem Bundesarchiv Koblenz sowie einschlägige Quellen aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv München und dem Bayerischen Wirtschaftsarchiv München hinzugezogen, um das Bild zu komplettieren . Darüber hinaus wertet die Untersuchung die umfangreiche Forschungsliteratur zur Universitätsgeschichte aus, die sich nicht zuletzt seit Gründung der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (GUW) von der apologetischen Institutsgeschichtsschreibung losgelöst hat . Die Universitätsgeschichtsschreibung hat sich vielmehr zu einer methodisch und perspektivisch eigene Wege beschreitenden Subdisziplin der historischen Wissenschaften emanzipiert . Insbesondere das von der GUW herausgegebene Jahrbuch für Universitätsgeschichte und ihre unregelmäßig erscheinenden Sammelbände waren eine ergiebige Fundgrube für interuniversitäre Konkurrenzkonstellationen . Obwohl universitätsgeschichtliche Veröffentlichungen in den letzten Jahren quantitativ stark zugenommen haben und oftmals Konkurrenzbeziehungen zwischen Universitäten sichtbar machen, wurden Genese, Wandel und Ausprägungen interuniversitären Wettbewerbs bislang jedoch nur selten zu einem Gegenstand historischer Untersuchung . Gerhard Wiesenfeldt hat sich als einer von wenigen dieses Themas angenommen und frühneuzeitliches Konkurrenzverhalten europäischer Universitäten analysiert . In einem 2016 erschienenen Aufsatz unter dem Titel Different Modes of Competition vertritt er die These, dass die interuniversitäre Konkurrenz von der feudalen Wirtschaftsordnung geprägt und dementsprechend darauf ausgelegt ge-

Einleitung

wesen sei, Pfründe und Privilegien zu erlangen respektive zu wahren .11 Weitere Aspekte kompetitiven Handelns der Universitäten und ihrer Angehöriger offenbart Ulrich Rasche, der die Entstehung und Verbreitung gedruckter Vorlesungsverzeichnisse sowie die Geschichte der Promotionen in absentia untersuchte . Er behandelt diese Phänomene nicht zuletzt im Hinblick auf ihre Funktion in der Konkurrenz der Universitäten um Finanzmittel, Studenten und Professoren .12 Marita Baumgarten wiederum konnte in ihrer Dissertation zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Sozialwissenschaftler aufzeigen, dass sich die deutschen Universitäten zur Zeit des Kaiserreichs in Einstiegs-, Durchgangs- und Endstationsuniversitäten auffächerten .13 Diese Erkenntnis wirft die Frage auf, wie diese Rangordnung zustande kam, wie dauerhaft sie war und welche Rolle interuniversitäre Konkurrenz bei ihrer Entstehung und für ihren Erhalt spielte . Sylvia Paletscheks Studie zur Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik legt die Wettbewerbsstrategien einer süddeutschen Kleinstadtuniversität offen und schildert die Einflussnahme der Landesparlamente und -ministerien auf den Wettbewerb der Hochschulen .14 Eine besondere Form interuniversitären Wettbewerbs behandelt der 2003 von Hans Lemberg herausgegebene Tagungsband Universitäten in nationaler Konkurrenz, der die teilweise in offenen Kampf ausartenden Konkurrenzbeziehungen zwischen der deutschen und der tschechischen Universität Prag von der Spaltung der traditionsreichen Karl-Ferdinands-Universität im Jahr 1884 bis zur gewaltsamen Auflösung der tschechischen Universität während der deutschen Besatzungszeit nachzeichnet .15 Die politische Absicht der Wiener Regierung, die Spannungen zwischen den deutsch- und den tschechischsprachigen Angehörigen der Prager Universität durch deren Aufteilung in zwei unabhängige Hochschulen auszugleichen, erfüllte sich nämlich nicht .16 Von Anfang an befanden sich die beiden Universitäten in einem Wettbewerb um materielle und symbolische Prämien, wobei die Konkurrenz durch den Nationalitätenkonflikt noch zusätzlich angeheizt wurde . Der Wettbewerb drehte sich zum einen um die Zuweisung staatlicher Finanzmittel und Ansprüche auf die umfangreichen Lehrmittelsammlungen, zum anderen aber auch um die Belegung der zunächst noch gemeinsam genutzten repräsentativen Universitätsräumlichkeiten . Im Mittelpunkt des Konkurrenzverhältnisses standen jedoch die Universitätsinsignien . Dabei ging es weniger um

Vgl . Wiesenfeldt (2016) . Vgl . Rasche (2009b), insbes . S . 466; Rasche (2013) . Vgl . Baumgarten (1997) . Vgl . Paletschek (2001) . Vgl . Lemberg (2013) . Der Streit um die Universitätsinsignien zieht sich bezeichnenderweise wie ein roter Faden durch die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen der deutschen und der tschechischen Universität Prag . Im April 1945 wurden die Insignien zusammen mit zahlreichen Dokumenten aus dem Universitätsarchiv in einem Eisenbahnwaggon in Richtung Reichsgrenze gebracht und gelten seither als verschollen; vgl . Hruza (2008) . 11 12 13 14 15 16

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Einleitung

deren zweifelsohne hohen kunsthistorischen und materiellen Wert als vielmehr um die symbolische Bedeutung der Insignien . In der goldenen Amtskette und dem Szepter des Universitätsrektors manifestierte sich schließlich aus zeitgenössischer Sicht die reiche Tradition der Carola Ferdinandea . Mit der Inbesitznahme der Insignien wurde somit gleichsam die gesamte Geschichte der Karl-Ferdinands-Universität und deren über die Jahrhunderte angehäuftes Prestige übernommen .17 Mittels der zwischen 2010 und 2012 von Heinz-Elmar Tenorth und Rüdiger vom Bruch herausgegebenen sechsbändigen Geschichte der Universität Unter den Linden – der ersten großen Jubiläumsschrift der heutigen Humboldt-Universität seit Max Lenz’ monumentaler Veröffentlichung anlässlich ihres hundertjährigen Bestehens – lässt sich nachvollziehen, wie sich die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität über viele Jahrzehnte an der Spitze der deutschen Hochschulen behaupten konnte . Außerdem wird ersichtlich, wie sie sich nach ihrer Umbenennung in Humboldt-Universität in das weitgehend wettbewerbsfreie Wissenschaftssystem der DDR einfügte und wie sie nach der Wiedervereinigung der Konkurrenz der beiden West-Berliner Universitäten begegnete .18 Zu ihrem hundertjährigen Bestehen veröffentlichte Notker Hammerstein eine voluminöse Geschichte der Goethe Universität Frankfurt am Main, die sich als erste deutsche Stiftungsuniversität in Konkurrenz zu den rein staatlich finanzierten Hochschulen befand .19 Bereits vor ihrer Eröffnung mussten ihre Gründungsväter die verantwortliche preußische Kultusverwaltung davon überzeugen, dass die von Professoren der Nachbaruniversitäten vorgebrachten Argumente gegen die neuartige Organisationsstruktur einer Berechtigung entbehrten und nur auf die Furcht vor einem neuen Wettbewerber zurückzuführen seien . Während Hammerstein die Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik mit Verweis auf ältere Veröffentlichungen bedauerlicherweise weitgehend ausklammert, zeichnet er das Verhalten der Hochschulangehörigen während des „Dritten Reiches“ ausführlich nach . Durch den Nachwuchsmangel, der sich ab Mitte der 1930er Jahre bemerkbar machte, sei die Universität in eine „ungewohnte, scharfe Konkurrenzsituation“ zu anderen wissenschaftlichen Institutionen geraten, so Hammerstein .20 Die Umwerbung der NS-Machthaber als den Dritten im

Wer denkt, dass dergleichen Auseinandersetzungen im 21 . Jahrhundert nicht mehr vorkämen, sei an den Streit zwischen Humboldt-Universität und Freier Universität Berlin zu Beginn der 2000er Jahre erinnert . Beide Hochschulen sehen sich in der Tradition der Friedrich-Wilhelms-Universität und reklamierten daher deren Nobelpreisträger für sich . In der Konkurrenz um die Zuerkennung der Nobelpreise ging es freilich nicht nur um das damit verbundene Prestige, sondern zudem um die Platzierung im sogenannten Shanghai University Ranking . Die Platzierung in dieser internationalen Rankingliste drohte sich wiederum mittel- oder unmittelbar auf die Entwicklung der Studierendenzahlen sowie die Einnahmen aus Drittmitteln und staatlicher Grundfinanzierung auszuwirken; vgl . Hartmann (2005), S . 85 . 18 Vgl . Tenorth (2010/2012) . 19 Der 1 . Band erschien erstmalig bereits 1989 . 20 Hammerstein (2012 [1989]), S . 187 . 17

Einleitung

Wettbewerb der Hochschulen, vorauseilender Gehorsam bei Diskriminierung und Ausschluss „nicht-arischer“ Hochschulangehöriger und propagandistisch aufgeladene Universitätsfeierlichkeiten sollten die Position der Goethe Universität stärken, was zumindest teilweise gelang . Im zweiten Band widmet sich Hammerstein dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und den Jahren der frühen Bundesrepublik, als die Goethe Universität von einer Stiftungsuniversität in eine hessische Landesuniversität verwandelt wurde und die zunehmende Lenkung aus dem Kultusministerium den Wettbewerb um Professoren und Studenten einschränkte . Der dritte Band bietet einen Überblick über die Präsidentenberichte der Jahre 1972 bis 2013 und zeigt, dass die chronische Unterfinanzierung „nach dem Boom“ zu einer Verschärfung des interuniversitären Wettbewerbs um Finanzmittel führte . Von 2013 bis 2017 widmete sich ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierter Köln-Münchner Forschungsverbund der sozialen Praxis, Wahrnehmung und Institutionalisierung von Wettbewerb in historischer Perspektive .21 An der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde unter Leitung von Margit Szöllösi-Janze das aus zwei Einzeluntersuchungen bestehende Teilprojekt „Wettbewerb zwischen Universitäten im 19 . und 20 . Jahrhundert in Deutschland“ bearbeitet, im Rahmen dessen auch diese Arbeit entstand . Sie basiert auf den Thesen zum Wettbewerb deutscher Universitäten, die Margit Szöllösi-Janze in mehreren Aufsätzen ausführte .22 Die von Alexander Mayer verfasste, auf die Mikroebene fokussierende Arbeit setzt mit den 1980er Jahren ein, die im Hinblick auf den interuniversitären Wettbewerb als Umbruchphase zu bezeichnen sind . Anhand von sechs ausgewählten Universitäten analysiert Alexander Mayer die Entstehung des Wettbewerbs sowie seine Formen, Wahrnehmung und Folgen . Dabei behält er stets das Spannungsverhältnis zwischen interinstitutioneller Konkurrenz und Kooperation im Blick .23 Konkurrenz und Kooperation, das soll auch die vorliegende Arbeit zeigen, schlossen sich keineswegs gegenseitig aus, sondern bestimmten beide stets die Beziehungen zwischen den Universitäten und ihren Angehörigen . Im Unterschied zu Mayer nimmt sie jedoch die Makroebene interuniversitärer Konkurrenz in den Blick und zeichnet anhand von vier Zeitfenstern einen langen historischen Bogen vom späten 18 . Jahrhundert bis zu den 1980er Jahren .

Vgl . ; letzter Zugriff: 1 .1 .2018 . An der Universität zu Köln wurden folgende Projekte bearbeitet: Entfesselung der Konkurrenz? Die „Politik der Entstaatlichung in der Bundesrepublik Deutschland von den 1950er bis zu den 1980er Jahren von Thomas Handschuhmacher, Menschenrechte im Wettbewerb. Die Konkurrenz um Menschenrechte in der UN von 1966–1993 von Peter Ridder sowie Konkurrenz als Beruf. Zur Sozial- und Kulturgeschichte des Managements in der Bundesrepublik nach dem Boom von Marcus Wulff . 22 Vgl . Szöllösi-Janze (2014), (2012) und (2011) . 23 Vgl . Mayer (2019) . 21

13

II.

Interuniversitäre Konkurrenz in der Spätaufklärung Von der Gründung der Reformuniversität Göttingen bis zur Humboldt’schen Bildungsreform

II.1

Von der Familien- zur Leistungsuniversität: Die Grundlagen interuniversitären Wettbewerbs

Nach Peter Moraw handelte es sich bei den Universitäten der Spätaufklärung um nepotistische Familienhochschulen, die von einflussreichen Professorengeschlechtern dominiert wurden, die die Lehrstühle an Verwandte und Günstlinge gleichsam weitervererbten . Dies habe zu einer Provinzialisierung und Isolierung der einzelnen Universitäten geführt und eine Konkurrenz der Hochschulen um Professoren quasi ausgeschlossen .1 Erst im Laufe des 19 . Jahrhunderts habe sich das Leistungsprinzip an den deutschen Universitäten durchgesetzt, damit das Ende der Familienuniversitäten besiegelt und einen äußerst fruchtbaren interinstitutionellen Wettbewerb hervorgerufen .2 Demgegenüber zeigen mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen jüngeren Datums zur Rekrutierung akademischen Lehrpersonals, wie etwa die Studien von Olaf Willett zur Universität Erlangen oder von Nils Jörn zur Universität Greifswald, dass vakante Lehrstühle an den untersuchten Universitäten bereits in den Jahrzehnten vor 1800 vornehmlich mit auswärtigen Wissenschaftlern besetzt wurden, Hausberufungen hingegen seltene Ausnahmen darstellten .3 Olaf Willett konstatierte, dass es in der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts keineswegs zu einer allmählichen Entterritorialisierung der deutschen Hochschulen kam, sondern vielmehr die provinzielle Vgl . Moraw (1982), S . 8 ff . Vgl . Paletschek (2001), S . 2 . Vgl . Jörn (2007) . In Erlangen lag der Ausländeranteil unter den Professoren zwischen 1792 und 1806 bei 80 Prozent (und damit so hoch wie nie zuvor) . Nur ein einziger Ordinarius hatte bereits zum Zeitpunkt seiner Berufung in Erlangen gelehrt; vgl . Willett (2001), S . 66–67 . Unter „Ausländern“ sind um 1800 vornehmlich jene Professoren und Studenten zu verstehen, die in anderen Teilstaaten des Reiches beheimatet waren . 1 2 3

Von der Familien- zur Leistungsuniversität: Die Grundlagen interuniversitären Wettbewerbs

Familienuniversität eine kurze Renaissance erlebte, bis sie – und da gehen die neuen Forschungserkenntnisse wieder mit den älteren Ansichten konform – etwa um die Zeit der Reichsgründung endgültig von der wettbewerbsbasierten Leistungsuniversität abgelöst werden sollte .4 Bedauerlicherweise liegen detaillierte statistische Untersuchungen zur Zusammensetzung der Professorenkollegien im ausgehenden 18 . Jahrhundert erst für wenige Universitäten vor . Allerdings belegen die vorhandenen Studien bereits auf eindrucksvolle Weise, dass zumindest nicht alle deutschen Hochschulen der Spätaufklärung als Familienuniversitäten charakterisiert werden können, was wiederum die Fragen aufwirft, wie die Lehrstühle vergeben, wenn sie nicht sozusagen vererbt wurden und ob von einem Wettbewerb der Universitäten um qualifizierte Wissenschaftler gesprochen werden kann .5 Aus persönlichen Aufzeichnungen und Publikationen von Professoren und Privatdozenten sowie dem Schriftverkehr zwischen Angehörigen der Universitäten und der Kultusverwaltungen geht hervor, dass die traditionelle Familienuniversität bereits vor der Humboldt’schen Bildungsreform als weitgehend überwundenes Phänomen beschrieben wurde, das dem Gedeih der Hochschulen entgegen gestanden habe .6 „Ein Hauptstück der höchsten Vorsorge muß dahin gehen, daß die Professorate nicht erblich in den Familien werden, wie weiland zu Basel und Strasburg“, hielt beispielsweise der Jurist Ernst Brandes in einer 1802 erschienenen Veröffentlichung fest .7 Dieser Rat war im Laufe des 18 . Jahrhunderts von zahlreichen Souveränen befolgt worden . So hatte Landgraf Ludwig IX . von Hessenl-Darmstadt unmittelbar nach Beginn seiner Regentschaft den familiären Beziehungsgeflechten und der Vetternwirtschaft an der hessischen Landesuniversität Gießen den Kampf angesagt und 1769, zum Zwecke der „Hebung“ der Universität, wie es im zeitgenössischen Sprachgebrauch hieß, angeordnet, dass „generaliter Außwärtige in dem besten Ruf stehende Gelehrte zu Besetzung der sich erledigenden Lehrstühle, keine junge obscure und außer Gießen unbekannte Leute berufen“ werden sollten .8 Ein klares Urteil über die Vorteile, die einer Hochschule und dem Staat aus einer leistungsorientierten Berufungspolitik erwachsen konnten, legte der Brandenburger Pädagoge Friedrich Gedike ab, der 1789 von dem für die preußische Kultuspolitik verantwortlich zeichnenden Justizminister Johann Christoph von Woellner mit dem Auftrag betraut worden war, die bedeutendsten außerpreußischen Universitäten des Reiches zu besuchen und einen Bericht über seine gewonnenen Erkenntnisse anzuVgl . Willett (2001), S . 69 . Bereits 1970 wies F . W . Euler auf die Zunahme auswärtiger Berufungen im ausgehenden 18 . Jahrhundert hin; vgl . Euler (1970), S . 210 . 6 Vgl . dazu etwa den satirischen „Vorschlag eines Patrioten die Professuren auf den Universitäten erblich zu machen“ von Karl Heinrich Heydenreich (1798) . 7 Brandes (1802), S . 169 . 8 Zit . nach: Felschow (2008), S . 234 . 4 5

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fertigen .9 Gedike wurde angewiesen, über die Vortragsqualitäten „solcher Professoren, auf die einmal bei irgend einer preußischen Universität reflektiert werden könnte, zuverlässig Nachricht und Kenntnis einzuziehen“ .10 Es wird seinen Auftraggeber ebenso wenig überrascht haben wie die Historiker von heute, dass Gedike vor allem im Kollegium der weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten aufklärerischen Reformuniversität Göttingen fündig wurde und den Vortrag zahlreicher dort lehrender Professoren lobte und sie für eine Anstellung in preußischen Diensten empfahl . Bemerkenswert ist jedoch, dass Gedike die gute personelle Ausstattung der Georgia Augusta ausdrücklich darauf zurückführte, dass Göttingens Universitätskurator um möglichst detaillierte Informationen über auswärtige Wissenschaftler bemüht sei (wodurch er freilich auch seine eigene Tätigkeit aufwertete) und nur die Besten unter ihnen zu berufen beabsichtige . Die Hannoveraner Regierung, so Gedike, bezahle renommierten Hochschullehrern einen deutlich höheren Lohn als dienstälteren Professoren, um sie durch finanzielle Anreize von anderen Hochschulen abzuwerben respektive der Universität Göttingen zu erhalten, wenn sie auswärtige Rufe anmeldeten .11 Die Konkurrenz um die besten deutschsprachigen Gelehrten, der sich die Universität Göttingen nicht zuletzt mit finanziellen Mitteln stellte, habe demnach maßgeblich zu ihrer führenden Stellung beigetragen . Als krasses Gegenbeispiel zur blühenden Universität Göttingen diente Gedike die württembergische Landesuniversität Tübingen, die er als verstockte Familienuniversität beschrieb, die jedwedem Wettbewerb ausweiche .12 Während in der Gelehrtenwelt der Spätaufklärung weitestgehend Einigkeit darüber herrschte, dass die Familienuniversität als anachronistische Hochschulform zu betrachten sei, wurde kontrovers über die Frage diskutiert, wie Nepotismus wirksam verhindert und die Durchsetzung des Leistungsprinzips gesichert werden könne . Anhänger der Marktwirtschaftstheorie des großen schottischen Aufklärers Adam Smith, zu denen etwa der preußische Wirtschaftswissenschaftler August Ferdinand Lueder gehörte, propagierten die Schaffung von finanziell und administrativ autonomen Universitäten . Die Besoldung der Professoren durch den Staat habe dazu geführt, dass sich die Hochschullehrer wie „Bettler, die nur hinnehmen“ verhielten .13 Die ProfesBiegel (2002), S . 6 . Fester (1905), S . 2 . Gedikes Bericht wurde seit den 1990er Jahren wiederholt als Vorgänger der Hochschulrankings bezeichnet, obwohl Gedike die von ihm besuchten Universitäten keineswegs in eine Ordnung von „gut“ bis „schlecht“ brachte oder mit den ihm bekannten preußischen Hochschulen verglich . Sein Augenmerk war vielmehr auf die Bestimmung der Qualitäten der einzelnen Professoren gerichtet, während für ihn und seine Auftraggeber die Frage zweitrangig blieb, welche der außerpreußischen Universitäten als „die Beste“ oder „die Schlechteste“ anzusehen war; vgl . Gedike (1996), S . 7 . Im Jahr 2002 waren Hochschulranglisten bereits so geläufig, dass der Historiker Gerd Biegel wie selbstverständlich aus den von Gedike zur Verfügung gestellten Daten ein „Ranking“ erstellte und festhielt, dass Helmstedt in Gedikes „‚Ranking‘-Liste (…) einen Platz im Vorderfeld“ (Biegel (2002), S . 17) eingenommen habe . 11 Vgl . Fester (1905), S . 32 . 12 Vgl . Fester (1905), S . 60 ff . 13 Lueder (1804), S . 359 . 9 10

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soren stünden untereinander nicht in Konkurrenz und hätten daher keinen Anreiz, besondere Anstrengungen zu unternehmen . Würden die Hochschullehrer hingegen ausschließlich über die Kolleg- und Prüfungsgelder finanziert, so übe dies einen leistungssteigernden Druck auf sie aus, mit ihren Kollegen um zahlende Studenten zu konkurrieren . Dies würde ein disziplinierteres Arbeiten sowie eine Auseinandersetzung mit neuen Lehrmethoden und Forschungserkenntnissen zur Folge haben . Lueder ging davon aus, dass Hochschullehrer, „die Mitbewerber hatten und durch den Ruf ihrer Brauchbarkeit Schüler herbeiziehen mußten“, stets mehr Fleiß und Diensteifer an den Tag legten als solche, die durch Verordnungen oder angedrohte Strafen dazu angehalten wurden .14 Im Universitätsmodell Smiths und Lueders sollte den Hochschulen das (alleinige) Selbstergänzungsrecht zugestanden werden, wodurch sich auf längere Sicht nur die besten Lehrkräfte behaupten würden, seien doch einzig die Universitätsprofessoren selbst in der Lage, bei der Neubesetzung eines Lehrstuhls den fachlich am besten geeigneten Kandidaten zu identifizieren .15 Darüber hinaus hätten die Professoren ein Interesse daran, nur qualifizierte Wissenschaftler zu berufen, da diese zur Prestigemehrung der Hochschule beitragen und ihr dadurch Studenten zuführen würden .16 Im Mittelpunkt dieser Überlegungen standen die Orientierung der Hochschulen an den intendierten Wünschen der Studierenden und das Vertrauen auf die Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage .17 Deshalb sollten alle wettbewerbshemmenden Gesetze aufgehoben werden, zu denen der in den deutschen Staaten weit verbreitete Universitätsbann gehörte, der allen Studenten, die nach Abschluss ihrer Studien in den Staatsdienst eintreten wollten, den Besuch der Landesuniversität(en) vorschrieb .18 Obwohl Smith und seine Anhänger den Fokus auf die Konkurrenz zwischen den Professoren einzelner Hochschulen und nicht auf den Wettbewerb unter den Institutionen legten, wären die Universitäten bei der Verwirklichung dieses Modells in die Lage versetzt worden, auf kompetitive Weise Lehrkräfte und Studenten zu attrahieren . Grundvoraussetzungen wie Handlungsspielräume und Handlungsfähigkeit wären angesichts der weitreichenden universitären Autonomierechte gegeben gewesen . Lueder (1804), S . 325 . Bei Adam Smith heißt es dazu: „[W]here the competition is free, the rivalship of competitors, who are all endeavouring to justle one another out of employment, obliges every man to endeavour to execute his work with a certain degree of exactness;“ Smith (1784), S . 151 . 15 Vgl . Lueder (1804), S . 302 . 16 So heißt es auch in einem anonym erschienenen Artikel aus dem Jahr 1803, dass die Einführung des Selbstergänzungsrechts eine unbestechliche Auslese der „grösten Talente“ verspreche . Niemand kenne die dafür geeigneten Gelehrten besser als die Hochschullehrer und niemand habe ein größeres Interesse die Besten unter ihnen zu berufen als sie, hänge doch schließlich „der Ruhm ihrer Universität, der Ruhm ihres eignen Namens (…) wesentlich davon ab“ . Der Regent habe sich hingegen mit Berufungen letztlich nicht zu beschäftigen, da er „in dieser Rücksicht blos als einzelne Person zu betrachten [sei], die sich leicht selbst täuschen, leicht irre geführt, und betrogen werden“ könne; Vorschläge (1803), S . 49, 57 . 17 Vgl . Lueder (1804), S . 343, 354 . 18 Vgl . Smith (1784), S . 155 . 14

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Trotz zweier deutscher Übersetzungen des Wealth of Nations (1776/78 und 1794) blieben die Lehren Smiths allerdings bis zur Jahrhundertwende im Deutschen Reich noch relativ unbekannt .19 Keine der deutschen Unterrichtsverwaltungen setzte das kompetitive Hochschulmodell Adam Smiths um . Die deutschen Fürstenstaaten, die zu dieser Zeit bekanntlich sämtliche Gesellschaftsbereiche zu durchdringen versuchten, schränkten vielmehr im Laufe des 18 . Jahrhunderts die Autonomierechte der Universitäten zugunsten staatlicher Kontrolle beträchtlich ein anstatt sie auszuweiten .20 Die Gegner des Modells Smiths und Lueders meldeten Zweifel an, ob autonome Universitäten tatsächlich weniger anfällig für Vetternwirtschaft seien als Hochschulen unter staatlicher Aufsicht . Friedrich Gedikes Ausführungen zur Universität Tübingen stellen die Argumentation Lueders bezeichnenderweise geradezu auf den Kopf . Gedike machte als Grund für die Missstände an der Universität Tübingen im Besonderen die Autonomie der Hochschule in Berufungsfragen aus . „Die Universität hat das Recht“, so Gedike, „bei Erledigung einer Stelle selbst einen neuen Professor zu wählen, der dann vom Hofe bloß konfirmirt wird . […] Man darf sich daher nicht wundern, daß alle Tübingische Professoren geborene Württemberger sind, und daß gewisse Familien gleichsam im beständigen Besitz [von Lehrstühlen; F . W .] bleiben“ .21 Im Unterschied zu Smith ging Gedike davon aus, dass sich auf autonomen Universitäten nicht das Leistungsprinzip und der freie Wettbewerb durchsetzen, sondern durch die fehlende staatliche Aufsicht Intrigen und Patronage ein weites Tor geöffnet würden . Dabei wird Gedike bewusst gewesen sein, dass die Berufung angesehener Wissenschaftler zwar einerseits das Prestige und damit mittelbar die Frequenz einer Hochschule erhöhen konnte, die dort lehrenden Professoren davon jedoch nicht notwendigerweise profitierten, da die neuberufenen Kapazitäten andererseits (zumindest innerhalb der vier Fakultäten) mit ihren Kollegen um Studenten konkurrierten und sie folglich um ihren „Applausus“ bangen mussten .22 In einer Rezension der deutschen Übersetzung von 1794 heißt es: „Smith’s Grundsätze müssen mehr verbreitet, und wenn sie falsch sind, so müssen sie gründlich widerlegt werden; dieß ist bis jetzt nicht geschehen, und bey uns auch nicht einmal versucht worden; und wenn man sein Buch hier und da citirt findet, so scheint es doch fürwahr […] als habe man ihn nie gelesen“; Göttingische Anzeigen (1794), S . 1903 . 20 Vgl . Kahl (2004), S . 11–21 . 21 Fester, (1905), S . 61 . 22 Bis zur Gründung der Reformuniversität Halle (1694) wurde die Konkurrenz innerhalb der Universitäten durch Vorlesungsmonopole der einzelnen Professoren bewusst unterbunden . Laut dem Göttinger Philosophen Christoph Meiners wurde erst danach erkannt, „daß man zum Fleiße nur reitzen, nicht zwingen könne“ und der Fleiß vorzüglich „durch Concurrenz angespornt“ wird . Die Aufhebung des „Zwangsrecht[es] der Nominal-Professoren“ habe sogleich „einen lebhaften Wetteifer erzeugt[]“ und die Qualität der Vorlesungen gehoben . Andere deutsche Universitäten seien daher dem Hallenser Vorbild gefolgt und vornehmlich Göttingens Kurator von Münchhausen habe „nachdrücklich seinen Wunsch zu erkennen [gegeben], daß beständig in den Haupt-Wissenschaften eine gehörige Concurrenz Statt finden [sic!], oder Mehrere zur gleichen Zeit über die Hauptfächer lesen möchten“ . Dies habe zur Erschließung neuer Wissensgebiete geführt, da sich insbesondere jüngere Hochschullehrer „neue Zweige der menschlichen Erkenntniß“ gesucht hätten, um Hörer zu attrahieren; Meiners (1808), S . 7–8, 13, 18 . 19

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Der preußische Theologe Friedrich Schleiermacher, dessen Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinne zu den bedeutendsten literarischen Grundlagen der Universität Berlin gehören, warnte wie Gedike vor Nepotismus und möglichen Intrigen der Professorenschaft, wenn diese allein über die Vergabe vakanter Lehrstühle bestimmen . Er betonte die Vorteile einer Zusammenarbeit von Fakultäten und staatlichen Kultusverwaltungen, die sich ergänzen und gegenseitig kontrollieren sollten . Aus dem Votum der Hochschullehrer könne die Kultusverwaltung Rückschlüsse auf die Qualität der einzelnen Fachgelehrten ziehen, während die Beamten im Unterschied zu den Professoren stets das „Gemeinwohl“ im Blick behalten würden .23 Wilhelm von Humboldt folgte in diesem Punkt den Überlegungen Schleiermachers und warnte seine Nachfolger ausdrücklich davor, den Einfluss der Fakultäten auf die Berufungsentscheidungen auszuweiten . „Die Ernennung der Universitätslehrer muss dem Staat ausschliesslich vorbehalten bleiben“, so Humboldt . Es sei „gewiss keine gute Einrichtung, den Facultäten darauf mehr Einfluss zu verstatten, als ein verständiges und billiges Curatorium von selbst thun wird“ .24 Die Ausführungen von Professoren wie Friedrich Schleiermacher zeigen jedoch, dass es verfehlt wäre, den Verlust des Selbstergänzungsrechts als eine den Universitäten von außen aufgezwungene Maßnahme zu betrachten . Auch an den Universitäten selbst wurden Stimmen laut (sie gehörten insbesondere jüngeren, von ihrem eigenen fachlichen Können überzeugten Wissenschaftlern), die im Staat einen Garanten des Leistungsund Wettbewerbsprinzips erblickten, der Schutz vor Nepotismus zu bieten vermag . So hatte der Göttinger Prorektor Christoph Meiners bereits drei Jahre vor Schleiermacher den Übergang des Berufungsrechts von den Hochschulen auf den Staat als bedeutenden Fortschritt gepriesen .25 Auch die moderne historische Forschung sieht im Übergang universitärer Autonomierechte auf den Staat die allmähliche Ablösung der nepotistischen Familien- durch die wettbewerbsbasierte Leistungsuniversität begründet .26 Als Geburtsstunde des interinstitutionellen Wettbewerbs um Professoren kann die Gründung der Aufklärungsuniversität Göttingen im Jahre 1734 bezeichnet werden .27 Ihr langjähriger Kurator Gerlach Adolph von Münchhausen versuchte für die

Schleiermacher (1808) . Obwohl Schleiermacher die Zusammenarbeit von Universität und Staat bei Neuberufungen ausdrücklich befürwortete, liest man z . T . bis heute in der Literatur, er habe ein „Selbstergänzungsrecht der Fakultäten“ eingefordert; Müller (1990), S . 69 . 24 Humboldt (1810), S . 264–265 . Ebenso wie Schleiermacher wird Humboldt in der Literatur bisweilen als Verfechter staatsunabhängiger Universitäten bezeichnet, vermutlich, weil er die Universität Berlin als Selbstversorgeruniversität konzipierte . Die Verleihung von Domänengütern sollte die Universität jedoch nicht staatsunabhängig machen, sondern lediglich die Finanzierung derselben auch dann sicherstellen, wenn der Staat dazu krisenbedingt nicht in der Lage sein sollte; vgl . Borsche (2003), S . 486–487 . 25 Meiners hegte Zweifel daran, ob die Professoren „der Regel nach geneigt seyn werden, dem Würdigsten unter den Bewerbern, und nicht etwa einem solchen ihre Stimme zu geben, der sich ihnen, oder den man ihnen von anderen Seiten empfohlen hat“; Meiners (1805), S . 215 . 26 Turner (1991), S . 27 . 27 „Nun begannen die Universitäten untereinander um die besten Professoren zu konkurrieren, und das war neu . (…) Nicht selten hatte man die Professorenstellen gar wie Handwerkerbetriebe vom Vater auf 23

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Besetzung der neugeschaffenen Lehrstühle berühmte Professoren anderer deutscher Universitäten anzuwerben und übte somit einen Konkurrenzdruck auf die übrigen Hochschulen aus . Hohe Gehaltsversprechungen sollten renommierte Wissenschaftler zu einer Übersiedelung an die Leine animieren, um die junge Universität sogleich in guten „Ruff und Aufnahme“ zu bringen und solches ohne Herbeyziehung der geschicktesten Leuthe in jeder Ahrt von Wissenschaft nicht wird effectuiret werden können, diese aber anderwärts schon so gut placiret sind, daß sie ihre jetzige stationes zu verlassen und bey einer neuen Universität, bey welcher sie noch nicht wissen, wie sie fahren werden, sich zu engagiren, ohne eine merkliche Verbesserung nicht zu bewegen sind,28

wie Münchhausen ausführte . Die Neubewertung der Hochschullehrer als handelbares Humankapital machte alle Universitäten freiwillig oder unfreiwillig zu Wettbewerbsteilnehmern, da jene Hochschulen, die selbst nicht als handelnde Akteure auftreten wollten oder konnten, gleichwohl im Wettbewerb standen, jedoch aufgrund ihrer Passivität zu den Verlieren gehörten, die ihre besten Lehrkräfte und in Folge dessen Prestige und Studenten verloren .29 Im Idealfall sollte durch die Berufung angesehener Hochschullehrer ein Kreislauf in Gang gesetzt werden, da sich die Universitäten von den neuberufenen Professoren eine Frequenzsteigerung erhofften, durch die aufgrund der potentiell höheren Kolleggeldeinnahmen und dem Ruhm, vor großem Publikum lesen zu können, weitere herausragende Hochschullehrer auf die Universität gezogen werden sollten .30 Gegen Ende des 18 . Jahrhunderts waren die Beziehungen zwischen zahlreichen deutschen Universitäten bereits von einem äußerst fruchtbaren Wettbewerb geprägt, da sich zum einen die Universitäten um die Gewinnung der besten Fachgelehrten bemühten (und aufgrund der staatlichen Kontrolle bemühen mussten), zum anderen aber auch die Kultusverwaltungen aus Nützlichkeitsüberlegungen und zur Prestigemehrung von Universität, Staat und Souverän die Anwerbung angesehener Wissenschaftler anstrebten .31

den Sohn vererbt . Damit war es nun vorbei . Die Zukunft gehörte der Konkurrenz der Universitäten, der Professoren und der Studenten“; Boockmann (1997), S . 24 . 28 Brief des Universitätskurators von Münchhausen an J . E . v . Hattorff vom 2 .3 .1734; abgedr . in: Rössler (1855), 417–418, S . 417 . Vgl . auch den Briefwechsel zwischen der Universität Göttingen und umworbenen Professoren in Bodemann (1885) . 29 Über den Zwang zur Wettbewerbsteilnahme aus soziologischer Sicht vgl . Tauschek (2012) . 30 Freilich waren solche Überlegungen nicht immer von Erfolg gekrönt . Hardenbergs Absicht, der Universität Erlangen durch die 1805 erfolgte Berufung des Philosophen Fichte, der in Jena vor zahlreichen Hörern gelesen hatte und mit der außerordentlich hohen Besoldung von 685 Reichstalern „und 5 Klaftern Holz“ nach Erlangen gelockt worden war, einen Zulauf an Studenten zu bescheren, erfüllte sich beispielsweise nicht; vgl . Wendehorst (1993), S .63–64, sowie Engelhardt (1843), S . 83 . 31 „Eine jede Universität lauerte auf die bedeutendsten Geister; wenn sie auftauchten, suchten sie dieselben zu gewinnen (…) . So entstand auf den verschiedensten Punkten Deutschlands ein lebendig oscil-

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Eine besondere Bedeutung kam in diesem Zusammenhang den Universitätskuratoren und -kanzlern zu, die als Bindeglied zwischen Hochschule und Staat fungierten und sich in besonderer Weise für den Gedeih ihrer Hochschule verantwortlich fühlten .32 Die Universitätsrektoren beziehungsweise -prorektoren übernahmen hingegen vor allem repräsentative Aufgaben und waren an der Anwerbung auswärtiger Gelehrter zumeist nicht in herausgehobener Weise beteiligt, was sich aus den kurzen Amtsperioden (ein oder zwei Semester) und dem Umstand erklärt, dass sie auch in dieser Zeit nicht von ihren regulären Lehrverpflichtungen entbunden wurden . Auch auf den aktiv am Wettbewerb um Wissenschaftler teilnehmenden Universitäten wurden freilich keineswegs sämtliche Professoren von anderen Hochschulen abgeworben . Die Hochschullehrerlaufbahn war noch nicht in dem Maße professionalisiert, wie sie es bis zum Ende des 19 . Jahrhunderts werden sollte, so dass viele Professoren zum Zeitpunkt ihrer Berufung außerhalb des universitären Bereichs arbeiteten . Nur eine Minderheit wurde aus der Privatdozentur heraus berufen .33 Ferner bestanden – Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, könnte man mit Ernst Bloch sagen – die Strukturen der Familienuniversität insbesondere an einigen kleineren Hochschulorten trotz der aufklärerischen Reformen zum Teil noch über Jahrzehnte fort .34 Als fachlich qualifiziert und damit Prämien in einem interuniversitären Wettbewerb galten Professoren mit einer Begabung für die Lehre und die Forschung, für die bereits Ende des 18 . Jahrhunderts nach möglichen Taxonomien gesucht wurde . So wurde das „schriftstellerische Talent“ nicht nur am Ruf der Wissenschaftler in der Gelehrtenwelt sowie an der Rezeption ihrer Publikationen festgemacht, sondern darüber hinaus an der schieren Anzahl ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen sowie gegebenenfalls Umfang (und freilich auch Inhalt) eines Eintrags in Johann Georg Meusels populärem Schriftstellerlexikon Das gelehrte Teutschland.35 Die rhetorischen Qualitäten wurden hingegen aus der durchschnittlichen Zahl der Vorlesungsbesucher abgeleitet, die sich einerseits durch sogenannte Universitätsbereiser wie den erwähnten Friedrich Gedike, andererseits durch Kontaktpersonen an den Hochschulen ermitteln ließ, die zudem

lirender Wechsel, der alle umfaßte“ berichtet zum Beispiel Steffens (1843), S . 358 . Vgl . hierzu auch Kapitel II .2, das auch staatliche Maßnahmen zur Verhinderung interuniversitären Wettbewerbs in den Blick nimmt . 32 Vgl . Füssel (2006), S . 59 . 33 Vgl . u . a . Willett (2001), S . 151 . 34 Vgl . Kapitel II .2 . 35 Vgl . Brandes (1802), S . 190; Döring (2015), S . 196; Pester (1992), S . 44; Schubring (1991), S . 280 . Bei den Publikationen konnte es sich z . B . um die Dissertationen der Wissenschaftler handeln, für die jedoch zu dieser Zeit noch kein Veröffentlichungszwang bestand . Habilitationen bürgerten sich erst im Laufe des 19 . Jahrhunderts ein; vgl . Schubert (1993), S . 115–151 . Johann Baptist Hofer, Mitglied der Heidelberger Universitätskuratel, lehnte einen Bewerber um eine Professorenstelle ohne weitere Prüfung ab, „da er im Meusel nicht verzeichnet stand“; Schneider (1913), S . 108 .

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die charakterliche Eignung der Kandidaten in den Blick nehmen konnten .36 Bisweilen scheinen die staatlichen Unterrichtsbehörden die Aussagekraft solchen Zahlenmaterials überschätzt zu haben . Darauf deuten jedenfalls die häufigen Warnungen vor unreflektierten Rückschlüssen auf die wissenschaftliche Qualität der Kandidaten hin, wie sie etwa in Gedikes Universitätsbericht, Friedrich August Wolfs Denkschriften zur Gründung der Universität Berlin, Friedrich Christian Laukhards satirischen Annalen der Universität zu Schilda oder Johann David Michaelis’ Raisonnement über die Protestantischen Universitäten in Deutschland zu finden sind .37 Der Wettbewerb der deutschen Universitäten und Kultusverwaltungen um qualifizierte Hochschullehrer hatte zur Folge, dass die Besoldung der Professoren zunehmend von ihrem Marktwert abhängig wurde . Während an den Familienuniversitäten Gehaltserhöhungen nach dem Anciennitätsprinzip, als landesherrlicher Gunsterweis oder als Reaktion auf eine Veränderung in den Familienverhältnissen der Wissenschaftler (Geburten, zu versorgende Eltern u . ä .) gewährt wurden, entschieden auf Leistungsuniversitäten in erster Linie die fachlichen Qualitäten und das Verhandlungsgeschick der Professoren in den Berufungs- und Bleibeverhandlungen über die Höhe der ausbezahlten Besoldung .38 „Ich setzte mich unter dem Vorwand, als sei ich geneigt, den Ruf anzunehmen, mit München in Unterhandlung“, schrieb beispielsweise der Jurist Anselm von Feuerbach an seinen Vater, nachdem 1804 ein Ruf aus Erlangen an ihn ergangen war .39 Die Finte zeitigte den erwünschten Erfolg, so dass sich Feuerbach bereits nach kurzer Zeit über „ungeheure Concessionen“ freuen konnte, die ihm die kurbayerische Kultusverwaltung zugestand, um den renommierten Wissenschaftler der Universität Landshut zu erhalten .40 Geschickt verhandelnde Professoren hatten folglich die Chance, ein deutlich höheres Gehalt zu erhalten als ihre Kollegen, beziehungsweise, wenn es sich um Privatdozenten handelte, eine Professur in Aussicht gestellt zu

Der Universitätsbereiser J . M . Birckenstock behauptete 1772 in einem Bericht an den österreichischen Staatskanzler Kaunitz, die Professoren hätten „eine ihrem Fleiße stets entsprechende Zahl von Zuhöreren [sic!]“; zit . nach: Lhotsky (1966 [1772]), S . 52 . Es sollten keine Personen berufen werden, „von welchem man voraus siehet, daß sie der Universität keine Ehre machen, sondern derselben famam verringern, mithin die Zahl der Studenten nicht vermehren werden“ schrieb der Göttinger Theologe Heumann am 16 .4 .1753 an Kurator von Münchhausen; abgedr . in: Bodemann (1885), S . 246 . Philipp Ludwig Böhmer empfahl Münchhausen im März 1733, stets denjenigen Kandidaten zu berufen, „von dem man versichert, daß er moderat, friedfertig (…) und (…) nicht suspectus sey“; abgedr . in: Bodemann (1885), S . 253 . 37 Vgl . Wolf (1835) S . 278; Michaelis (1769), S . 255–256, 305 . Gedike riet von der Berufung Friedrich Schillers auf eine preußische Universität ab, da dessen Vorlesungen zwar stets gut besucht seien, daraus jedoch nicht auf die didaktischen Qualitäten und den Tiefgang von Schillers Vorträgen geschlossen werden dürfe; vgl . Fester (1905), S . 4 . In Laukhards Annalen verkommt eine Universität, weil die staatliche Berufungspolitik nach dem Grundsatz ausgerichtet wird, dass ein Professor „nur gerade so viel Verdienst [hat], als er Bücher gemacht hat . Das ist […] die einzige richtige Regel […] zur Beurtheilung der Gelehrsamkeit“; Laukhard (1799b), S . 5 . 38 Vgl . BayHStA MInn 23736 und Brandes (1802), S . 170 . 39 Brief Anselm von Feuerbachs an seinen Vater vom 6 .7 .1804; abgedr . in: Feuerbach (1852), S . 98 . 40 Feuerbach (1852), S . 98 . 36

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bekommen .41 Die Anmeldung von (realen oder erfundenen) Vokationen wurde daher rasch zu einem beliebten Druckmittel der Professoren und zu den „Ränke[n] und Kniffe[n]“ gezählt, derer sich die Hochschullehrer regelmäßig bedienten, um ihr Gehalt aufzubessern .42 Die Spanne zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Gehalt begann sich infolgedessen zu vergrößern und insgesamt nach oben zu verschieben .43 An der Universität Mainz reichte sie etwa im Jahre 1791 von 150 bis 1645 Gulden .44 Die Landesfürsten waren sich durchaus darüber bewusst, dass nur eine Erhöhung der staatlichen Hochschulfinanzierung einen Eintritt in den Wettbewerb um die besten Professoren ermöglichte . So teilte Ludwig IX . von Hessen-Darmstadt der Universität Gießen mit, dass, „wenn die zur Salarirung ausgesetzte ansehnliche Fonds der Universität nicht hinreichen sollten, allenfalls aus unseren Cameral-Revenüen ein Beytrag gnädigst gestattet“ werde, wenn dadurch angesehene auswärtige Professoren berufen werden könnten .45 Berufungen etablierter Hochschullehrer hatten folglich nur mehr dann Aussicht auf Erfolg, „wenn man, wie Sie einmal sagten, einen Tisch voll Geld hat“, wie Wilhelm von Humboldt dem Altphilologen Friedrich August Wolf schrieb .46 Jene Professoren, die von ihrem persönlichen Können überzeugt waren, befürworteten daher eine wettbewerbsgesteuerte Besoldung und versuchten die staatlicherseits gehegte Befürchtung, dass die Gehälter zu hoch steigen könnten, mit der Behauptung zu entkräften, ein angemessener Lohn werde sich stets „aus der Concurrenz von selbst ergeben“ .47 Da nicht zuletzt das Prestige ihrer Universitäten über den Marktwert der Hochschullehrer entschied, änderte sich das Verhältnis der Professoren zu ihren Wirkungsstätten grundlegend . Im Verkehr mit Schriftstellern oder auswärtigen Kollegen und Staatsbeamten musste die eigene Hochschule nun in ein möglichst günstiges Licht gerückt werden, das auch auf die einzelnen Professoren ausstrahlen sollte .48 So offenbarten die Professoren der Familienuniversität Tübingen dem Universitätsbereiser Friedrich Gedike offen und ehrlich die subjektiven Schwächen ihrer Alma Mater . Auf der Leistungsuniversität Göttingen waren die Professoren hingegen „sehr beredt

Friedrich Christian Laukhard schildert in seinen satirischen Annalen der Universität zu Schilda, wie gewitzte Dozenten vom Wettbewerb der deutschen Fürstenstaaten um Hochschullehrer profitieren konnten . Ein Professor müsse nur verlautbaren lassen, „daß der Kaiser von Marokko oder der von Japan ihn unter den vortheilhaftesten Bedingungen […] berufen habe, und daß er sich den Ruf gefallen lasse“, schon könne er mit einer deutlichen Aufbesserung seiner Besoldung rechnen; Laukhard (1799a), S . 173 . 42 Ueber den Vorschlag (1811), S . 242 43 Vgl . Boehm (2005), S . 211; Schwinges (2005), S . 9 . 44 Vgl . Schweigard (2000), S . 32 . 45 Zit . nach: Felschow (2008), S . 234 . 46 Wilhelm von Humboldt an F . A . Wolf am 20 .6 .1809; abgedr . in: Leitzmann (1895), S . 166 . In Göttingen wurde sogar eine Lotterie veranstaltet, um die hohen Gehaltsforderungen des berühmten Mediziners Albrecht von Haller erfüllen zu können; vgl . Selle (1937), S . 75 . 47 Köpke (1860), S . 45 . 48 „Der Ruhm einzelner Lehrer wuchs der Universität zu, wie sich der Ruhm der Universität auf einzelne Lehrer verbreitete“ heißt es in Meiners (1808), S . 33 . 41

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über die Vorzüge der Universität, aber auch in gleichem Maaß stumm und geheimnisvoll über die Mängel derselben“ .49 Die direkt aus dem Staatshaushalt finanzierten Universitäten bekamen durch den veränderten Berufungsmodus einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil vor den finanziell in der Regel schlechter gestellten Selbstversorgeruniversitäten, die die steigenden Professorengehälter oft nicht (mehr) finanzieren konnten und herausragende Gelehrte an andere Universitäten verloren . Zudem hatten die vornehmlich staatsunmittelbar finanzierten Universitäten den Vorzug, dass sie längerfristiger planen konnten, da ihre Finanzen weniger konjunkturabhängig waren als jene der Selbstversorgeruniversitäten, die unter anderem mit schwankenden Preisen ihrer land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse rechnen mussten .50 Aber auch unter den Universitäten, die vornehmlich oder vollständig aus der Staatskasse finanziert wurden, gab es bedeutende Unterschiede . An der Spitze aller deutschen Universitäten stand von Mitte bis Ende des 18 . Jahrhunderts so gut wie unumstritten die Göttinger Georgia Augusta, deren Kurator bedeutende finanzielle Mittel zur Anwerbung ausländischer Gelehrter zur Verfügung gestellt bekam .51 Selbst die preußische Universität Halle an der Saale, die ebenfalls zu beträchtlichen Teilen staatsunmittelbar finanziert wurde und aufgrund ihrer Gründungsgeschichte als aufklärerische Reformuniversität häufig in einem Atemzug mit Göttingen genannt wird, konnte in dieser Angelegenheit nicht mit ihrer Schwester an der Leine konkurrieren .52 Die überdurchschnittlich hohen Gehälter, die vielen Göttinger Professoren ausbezahlt wurden, führten dazu, dass eine Abwerbung nur in seltenen Fällen gelang (wenngleich von einer Göttinger Monopolstellung nicht gesprochen werden kann) und die Ablehnung eines aus Göttingen ergangenen Rufes der Universität des Umworbenen zu besonderer Ehre gereichte und entsprechend publik gemacht wurde .53 Verhältnismäßig gering dotierte Universitäten,

Aus Friedrich Gedikes Bericht über die deutschen Universitäten außerhalb Preußens (1789); zit . nach: Boockmann (1997), S . 37 . 50 Der (sehr vorsichtig formulierten) Ansicht Heinz-Elmar Tenorths, dass die von Wilhelm von Humboldt für die Universität Berlin angedachte Domänen-Finanzierung „vielleicht doch nicht mehr der historischen Situation angemessen war“, ist daher unbedingt beizupflichten; Tenorth (2012), S . 3–75; hier: S . 51 . Auch der Göttinger Professor und zeitweilige Berufungsagent der Universität Moskau Christoph Meiners befürwortete die direkte staatliche Finanzierung der Hochschulen ausdrücklich; Meiners (1805), S . 218 . 51 In den 1790er Jahren machte ihr die hochfrequentierte Universität Jena den ersten Rang streitig, nach 1810 zogen Berlin und andere Großstadtuniversitäten an ihr vorbei; vgl . Ackermann (2008), S . 109 . 52 Vgl . Fester (1905), S . 5 . 53 Exemplarisch ist der Fall des Göttinger Juristen Gustav von Hugo, der die eben erst eingeleiteten Berufungsverhandlungen mit der Universität Heidelberg und der badischen Kultusverwaltung mit der Bemerkung abbrach, er sei für die dortige Universität schlichtweg zu teuer, so dass sich ein Briefwechsel erübrige; vgl . Wolgast (1987), S . 53 . In einer 1813 publizierten Werbeschrift eines Göttinger Alumnus heißt es: „Die Besoldung der Professoren variiert sehr . Vorzüglich bestimmt sich dieß nach dem Rufe zu anderen Universitäten, wo man ihnen dann, um sie zu behalten, das mehr Gebotenen zulegen muß“; Wallis (1813), S . 39 . Olaf Willett konnte in seiner Studie über die Universität Erlangen feststellen, dass überdurchschnittlich viele Berufungen nach Göttingen abgelehnt wurden, woraus er schlussfolgerte, dass der Ruhm der Georgia 49

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wie jene in Bamberg oder Erlangen zu markgräflichen Zeiten, warben entweder überhaupt keine auswärtigen Professoren an und begnügten sich mit Hausberufungen und der Einstellung von Landeskindern oder mussten den finanziellen Nachteil durch anderweitig gebotene Vorzüge auszugleichen versuchen, beziehungsweise um Lehrkräfte aus ähnlich finanzschwachen Hochschulen konkurrieren .54 Waren die Aussichten auf Erfolg nur gering, verzichteten die Kultusverwaltungen in der Regel auf Abwerbeversuche, um „nicht in den Ruf der Körbe [zu] kommen“ und damit das Ansehen und die Wettbewerbsfähigkeit der Landesuniversitäten noch weiter zu senken .55 Neben der Höhe der Besoldung gab es freilich weitere Faktoren, die die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines Rufes beeinflussten . Dazu gehörten die Witwen- und Waisenversorgung, die Lage und Frequenz der Universität, Größe und Benutzbarkeit der Universitätsbibliothek und weiterer vor Ort befindlicher Bibliotheken, Sammlungen und Archive, die „Liberalität“ des Nutritorenstaates, Verbindungen zu Akademien, Gelehrten Gesellschaften, Buchhandlungen und -druckereien, finanzielle und immaterielle Unterstützung bei Forschungsvorhaben, die Lebenshaltungskosten und die Verleihung von Orden und Titeln .56 Zudem gab es begehrte Sinekure-Professuren, die den Hochschullehrern keinerlei Lehrverpflichtungen auferlegten . Mittels eines solchen Lockmittels sollten beispielsweise Friedrich August Wolf für Augusta nur wenige Erlanger Professoren angezogen habe; vgl . Willett (2001), S . 216 . Denkbar ist jedoch m . E . auch, dass Göttingen schlichtweg zahlreichere Abwerbeversuche unternahm als andere Universitäten und aus Göttingen ergangene Rufe aufgrund der besonderen Ehre und der erwarteten Gehaltsaufbesserung häufiger angezeigt und publik gemacht wurden . Als Dank für die Ablehnung eines aus Göttingen erhaltenen Rufes versprach z . B . die Universität Erlangen eine deutliche Gehaltserhöhung sowie ein Ordinariat und ließ die Nachricht darüber im örtlichen Intelligenzblatt publizieren, wie es auch auf anderen Hochschulen üblich war; vgl . Willett (2001), S . 216–217 . 54 Ernst Moritz Arndt, der die Universität Erlangen 1798, also bereits zu preußischen Zeiten, besuchte, meinte diesen Wettbewerbsnachteil noch immer feststellen zu können . Die Universität „kann wegen der kargen Besoldungen […] nicht mit den ersten protestantischen Universitäten wetteifern“ hielt er in seinen Reisebeschreibungen fest; Arndt (1801), S . 84 . 55 Wilhelm von Humboldt an F . A . Wolf am 1 .9 .1809, abgedr . in Leitzmann (1895), S . 293 . 56 Vgl . Boehm (2005), S . 210; Hahn (2010), S . 32 . Im Zuge der Diskussion über die ideale Gestalt einer Universitätsstadt kam es zu mehreren geplanten und teilweise umgesetzten Hochschulverlegungen, wie im Falle der nach Landshut verlegten Universität Ingolstadt (1800) oder der mit der Breslauer Hochschule vereinigten Universität Frankfurt an der Oder (1811) . „Die Bibliothec ist […] eine der vornehmsten Stützen zur Aufnahme der Universität“ und steigert ihre „Reputation und Frequentz“ schrieb Göttingens Universitätskurator von Münchhausen; zit . nach: Füchsel/Hartmann (1937), S . 99 . Die Befürworter einer Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften argumentierten, dass die Georgia Augusta dadurch zu einer Universität würde, „die es gewissermassen den übrigen hohen Schulen zuvorthut“; Schreiben J . L . von Mosheims an G . A . von Münchhausen vom 7 .2 .1735; teilw . abgedr . in: Joachim (1936), S . 6 . In Berufungsverhandlungen könne fortan eine Mitgliedschaft in der Gesellschaft der Wissenschaften in Aussicht gestellt werden . Dies sei vielleicht „ein stärkerer Reitz, alß [sic!] das Geld seyn werde“; H . E . von Balcke (1750); zit . nach: Joachim (1936), S . 29 f . Joseph Stephan Pütter, dessen umfangreiche Autobiographie wertvolle Aufschlüsse über die Karrierewege deutscher Gelehrter des 18 . Jahrhunderts gewährt, konnte in den Berufungsverhandlungen durchsetzen, dass seine Forschungsreisen mit stattlichen 500 Reichstalern bezuschusst wurden und er ein Empfehlungsschreiben ausgehändigt bekam, das ihm die Tore des nur eingeschränkt zugänglichen Gesandtschaftsarchivs in Regensburg öffnete; vgl . Pütter (1798), S . 115 .

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Berlin und Joseph Görres für Heidelberg gewonnen werden, um „als Zierde der Universität“ oder, mit anderen Worten, als ihr Aushängeschild zu dienen .57 Die Ausschreibung freier Lehrstellen war um 1800 zwar nicht unbekannt, wurde allerdings nur selten vorgenommen .58 Die akademische Welt war zu dieser Zeit freilich noch recht überschaubar, so dass die Hochschullehrer durch Beziehungen zu Kollegen fremder Universitäten über vakante Lehrstühle informiert beziehungsweise bei den Kultusverwaltungen ins Gespräch gebracht werden konnten . Konkurrenzhemmende Patronagenetzwerke, die nun jedoch nicht mehr hochschulintern, sondern hochschulübergreifend etabliert werden mussten, blieben folglich für die Karrieren der Akademiker weiterhin bestimmend . Ferner nutzten die Hochschullehrer Initiativbewerbungen, um sich im Ausland bekannt zu machen und Kontakte zu knüpfen .59 Häufig dienten sie jedoch lediglich dazu, ihre Stellung an der Alma Mater zu verbessern oder entsprachen nicht den Erwartungen der Adressaten, weshalb sie nur in vergleichsweise seltenen Fällen eine Anstellung nach sich zogen .60 Im Laufe des 19 . Jahrhunderts sollte dann sowohl vonseiten der Universitäten wie auch des Staates zunehmend Wert darauf gelegt werden, dass Professoren durch eine Berufung, also passiv, und nicht nach einer Bewerbung, also mit aktiver Beteiligung, mit einem Lehrstuhl betraut würden, weshalb Stellenausschreibungen gänzlich unterblieben .61 Die Kultusverwaltungen beobachteten jedoch die Karriereverläufe angesehener Wissenschaftler sehr genau, um sie gegebenenfalls auf einen vakant gewordenen LehrKörte (1833), S . 239; vgl . Fink-Lang (2013), S . 112 . „Wenn […] auf der Universität eine Lehrstelle besezt werden soll: so wird ein Konkurs durch das öffentlich authorisierte Intelligenzblatt ausgeschrieben . Diese Ausschreibung besteht in einer Anzeige, daß diejenigen, welche die zur jedesmaligen Lehrerstelle erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu haben glauben, sich zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort einzufinden haben“, um dort eine schriftliche Prüfung zu absolvieren und eine Probevorlesung zu halten . Anschließend entscheide der Universitätsdirektor nach Absprache mit dem Kollegium über die Zusammenstellung einer Liste, auf der die von der Hochschule gewünschten Kandidaten verzeichnet werden . Im Anschluss daran entschieden die Voten des Gubernial-, Hof- und Staatsrates und schließlich der Regent, wobei alle genannten Instanzen eigene Kandidaten auf die Liste setzen könnten und in keiner Weise an die Wünsche der Universität gebunden seien . Die Neubesetzung einer freien Stelle dauere daher „gewöhnlich drei Viertel-Jahre“ und lasse „allen möglichen Kabalen und Intriguen ein allmächtiges Thor offen“; Die Art (1803), S . 206–210 . Siehe dazu auch Lütkehaus (1996), S . 29–36 . 59 Vgl . die zahlreich abgedruckten Bewerbungsschreiben aus der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts in Stieda (1906) . In ihrem eigenen Interesse und dem ihrer Hochschule waren die Professoren freilich auf Geheimhaltung der Verhandlungen bedacht . „Ich darf übrigens erwarten, daß Ew . Wohlgeb . den edelsten Gebrauch machen ohne mir und der braven Academie [i . e . Universität], welcher ich diene, den geringsten Nachtheil dadurch zuzufügen“, schrieb z . B . der Gießener Nationalökonom A . F . W . Crome in einem an die Universität Greifswald gerichteten Bewerbungsschreiben . Sollte seine Berufung scheitern, so bitte er darum, dass die von ihm geäußerten Wechselabsichten „unbekannt bleiben und als nicht gesagt angesehen werden“; A . F . W . Crome an J . G . P . Möller am 28 .9 .1798; abgedr . in: Stieda (1906), 377–378 ., S . 378 . 60 Vgl . Feuerbach (1852), S . 110; Tenorth (2012), S . 62; Spörlein (2004), S . 644 . 61 Noch zu Beginn der 1960er Jahre hielt der einflussreiche rechtsgerichtete Publizist Ernst Anrich Bewerbungen für unvereinbar „mit dem Wesen des Professors von Rang, jedenfalls des deutschen Professors“; Anrich (1960), S . 138 . 57 58

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stuhl berufen zu können .62 Ein renommierter Professor konnte durchaus mit mehreren ministeriellen Anschreiben pro Jahr rechnen, zumal, wenn er andeutete, dass er zum Verlassen seiner Wirkungsstätte bereit sei .63 Da die Berufungsmodalitäten von Land zu Land variierten und Vokationen bisweilen einen informellen Charakter trugen, kam es allerdings nicht selten zu Missverständnissen und Unklarheiten, ob ein ministerielles Schreiben bereits als Berufung oder nur als Einleitung von Verhandlungen zu einer solchen zu verstehen war .64 Soweit ersichtlich, wurden auswärtige Rufe weitaus seltener angenommen als ausgeschlagen, da die Hochschullehrer (wie erwähnt) die Anmeldung an sie ergangener Rufe zur Aufbesserung ihres Gehalts nutzten und daher die Verhandlungen mit den Kultusbehörden auch dann weiterführten, wenn sie einen Hochschulwechsel gar nicht in Betracht zogen .65 Darüber hinaus dürfen die Schwierigkeiten, die in vorindustriellen Zeiten mit einem Ortswechsel verbunden waren, nicht unterschätzt werden .66 Die Sesshaftigkeit wurde noch verstärkt durch (lokal-) patriotische Gefühle und die konfessionelle Spaltung Deutschlands, auf die im Folgenden noch eingegangen wird .67 Privatdozenten, die sich um 1800 vornehmlich auf protestantischen Universitäten befanden, belebten den Wettbewerb auf besondere Weise, da sie sich aufgrund der fehlenden Besoldung nur in einer lockeren Bindung zu ihrer Hochschule befanden und dementsprechend leichter abgeworben werden konnten als Professoren .68 Sie entsprachen letztlich dem Hochschullehrerideal Smiths und Lueders, da sie ihre Lehrund Forschungstätigkeit gänzlich durch Einnahmen aus Kolleggeldern, dem Erlös aus der Veröffentlichung wissenschaftlicher Werke und ihrem Privatvermögen finanzier-

„Auf Magister Fichte haben Sie ja ein Auge“ schrieb etwa Goethe als Weimarer Staatsminister im Jahre 1793 an den Geheimen Rat von Voigt; zit . nach: Medicus (1914), S . 49 . 63 Aus dem Briefwechsel Anselm von Feuerbachs geht beispielsweise hervor, dass im Laufe von nur drei Jahren wenigstens neun Rufe an ihn ergingen, von denen er zwei annahm . „Dies ist indessen das Loos der akademischen Docenten […]; sie haben kein Vaterland und schlagen nomadisch bald da, bald dort ihre bretterne Bude auf “; Brief Anselm von Feuerbachs an seinen Vater vom 2 .10 .1803; abgedr . in: Feuerbach (1852), 85–88, S . 88 . 64 Vgl . Boehm (2005), S . 210 . 65 Ein solches Verhalten wurde jedoch auch von vielen Professoren als ungebührlich angesehen, wie der Fall des Literaturhistorikers Ludwig Wachler verdeutlicht, der Interesse an einer Berufung nach Heidelberg vorgegeben hatte, um seine Stellung in Marburg zu verbessern . „Wachler aber hat ein Meisterstück von Niederträchtigkeit gemacht, er hat Himmel und Erde bewegt hier angenommen zu werden und Brief auf Brief geschrieben . [(…)A]lle waren außer Atem, ihm endlich das zweite Gebot 1500 f . zu erringen . Alle seine Collegia hat er angekündigt, dem [badischen Staatsminister] Reitzenstein über alle seine Absichten: Literaturzeitung und Bibliothek geschrieben, den offiziellen Ruf wirklich begehrt und jedermann erwartete ihn, aber auf einmal kommt ein rührender Brief, daß er als Consistorialrat mit Sitz und Stimme mit 300 Taler Zulage in Marburg bleibt“; Brief Clemens Brentanos an Friedrich Carl von Savigny (Anfang März 1805); abgedr . in: Fuchs/Schellberg (1939), 326–331, S . 329; vgl . auch Meiners (1805), S . 204 66 Turner (1991), S . 27 . 67 Vgl . Lahrkamp (1976), S . 439 . 68 Auch an katholische Universitäten lehrten Privatdozenten . So führt der Landshuter akademische Addreßkalender für das Jahr der gemeinen Rechnung 1803 immerhin zwei dort lehrende Privatdozenten auf . 62

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ten . Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Privatdozenten im Laufe des 19 . Jahrhunderts zu einer immer wichtiger werdenden Gruppe akademischer Lehrer wurden, war es doch im Interesse von Staat und Universität gleichermaßen, dass eine Vielzahl von Privatdozenten quasi kostenlos lehrte und durch einen kontinuierlich steigenden Konkurrenzdruck aufgrund ihrer wachsenden Zahl (bei deutlich geringerer Zunahme der Ordinariate) zu einem hohen Arbeitspensum genötigt wurde .69 Privatdozenten wurden zudem als Qualitätsmerkmal einer Universität angesehen, da sie als Indikator für eine hohe studentische Frequenz betrachtet werden konnten . Für Hochschulen und Staat brachten sie zudem den Vorteil mit sich, bei Neuberufungen stets auf das große „Dépot der Privatdocenten“ zurückgreifen zu können, wenn kein geeigneter Professor gefunden respektive angeworben werden konnte .70 Die zunehmende Diskrepanz zwischen geleisteter Arbeit einerseits und der sozialen und finanziellen Stellung im Vergleich zu den Professoren andererseits konnte dabei rund ein Jahrhundert ohne größere Konflikte überbrückt werden . Die Chance, durch eigenes Können in Konkurrenz zu den Kollegen bis zum Ordinarius aufsteigen zu können, scheint dieses Missverhältnis in den Augen der Privatdozenten legitimiert zu haben . Während die soziale Herkunft in Berufungsfragen kein Auswahlkriterium darstellte, und das war für die spätfeudale Gesellschaft keineswegs selbstverständlich, spielte die Religionszugehörigkeit bis ins 20 . Jahrhundert hinein eine bedeutende Rolle .71 Juden konnten um 1800 als noch weitgehend rechtlose Subjekte nirgendwo in Deutschland eine Dozentenstelle übernehmen .72 Die Zweiteilung der deutschen Universitäten in katholische und protestantische Hochschulen begann sich jedoch allmählich aufzulösen, so dass ein gesamtdeutscher Professorenmarkt entstehen konnte . Dies ist in erster Linie auf die spätaufklärerische Politik in katholisch geprägten deutschen Staaten wie Baden, Bayern und Kurmainz zurückzuführen, die eine Entkonfessionalisierung ihrer Landeshochschulen in die Wege leiteten, da sie durch die Anwerbung protestantischer Hochschullehrer eine Abwanderung der katholischen Studenten zu den gemeinhin als überlegen betrachteten protestantischen Universitäten zu verhindern gedachten .73 Man kann hier folglich von einer Form der Angleichungskonkurrenz sprechen, da nicht nur evangelische Dozenten eingestellt, sondern auch Lehrmethoden und -inhalte der protestantischen Hochschulen übernommen wurden, um die Attraktivität der katho-

So war beispielsweise der Frankfurter Kameralwissenschaftler F . B . Weber der Ansicht, dass die Zahl der Privatdozenten nicht zu gering sein dürfe, um einen ausreichenden Konkurrenzdruck zu schaffen; vgl . Weber, (1805), S . 33 . 70 Michaelis (1773), S . 20 . 71 Männer aus den unteren Gesellschaftsschichten konnten aus finanziellen Gründen vergleichsweise selten einen akademischen Karriereweg einschlagen . Dennoch bildete die Professorenschaft bereits „[i]m 18 . Jahrhundert […] eine staatliche Funktionselite, die […] nach unten offen war“; Ries (2001), S . 29 . 72 Vgl . Schaffrodt (2012), S . 47 . 73 Vgl . Ridder-Symoens (2007), S . 25; Schweigard (2000), S . 65; Wolgast (1987), S . 36 . 69

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lischen Universitäten zu erhöhen .74 Der badische Geheime Rat J . C . N . Brauer betonte im Jahre 1803, dass es ihm bei der eben eingeleiteten Bildungsreform darauf ankomme, dass bei Berufungen fortan „auf keine Religions-Eigenschaft, sondern lediglich auf die hinlängliche Fähigkeit zum Lehramt“ geachtet werde .75 Ohne Rücksicht auf ihre Konfession sollten Zelebritäten anderer Universitäten angeworben werden, um inländische Studenten in Baden zu halten und ausländische Studierende anzuziehen .76 Die Universität Mainz streifte bereits in den 1780er Jahren ihren rein katholischen Charakter ab, nahm protestantische Lehrkräfte in ihr Kollegium auf und wurde nach Göttinger Vorbild reformiert .77 In Bayern ging man sogar noch einen Schritt weiter . Im Glauben an die Überlegenheit protestantischer Wissenschaftler im Umfeld des neuen Kurfürsten und späteren Königs Max I . Joseph entfernte man unter dem Vorwand der Unbrauchbarkeit fast sämtliche katholischen Professoren aus dem Kollegium der Universität Würzburg und ersetzte sie durch Protestanten, die mit hohen Gehaltsversprechungen von mittelund norddeutschen Universitäten abgeworben wurden .78 Tatsächlich konnte Würzburg durch die Umgestaltung zur „paritätischen Universität“ viele Professoren und Studierende aus dem Norden an den Main locken und wurde zeitweise zur bedeutendsten Konkurrentin der fast zeitgleich reformierten Heidelberger Ruperto Carola .79 Der Verlust der Stadt an den Großherzog der Toskana und die damit verbundene Restauration der katholischen Universitätsverfassung (mit folgerichtiger Entlassung der protestantischen Lehrkräfte) beendete jedoch die kurze Blütezeit .80 In gleichem Sinne wurde zwischen 1799 und 1806 die von Ingolstadt nach Landshut verlegte Ludwigs-(Maximilians-)Universität reformiert . Wie Würzburg konnte auch sie im Anschluss an die Reform etliche angesehene protestantische Professoren wie etwa den aus Marburg abgeworbenen Juristen Friedrich Carl von Savigny für sich gewinnen, was eine merkliche Zunahme der Neuimmatrikulationen zur Folge hatte . Während protestantische Dozenten in großer Zahl auf Universitäten in katholischen Reichsterritorien berufen wurden, konnten nur sehr wenige Katholiken zu protestantischen Universitäten wechseln, da diese sich von der Berufung katholischer Professoren kaum Vorteile versprechen konnten . Bezeichnenderweise wollte Preußen die katholische Universität Münster gegen den Willen ihres Professorenkollegiums durch eine Vgl . Hammerstein (1993) . Der Göttinger Philosoph Christoph Meiners führte die (unterstellte) Inferiorität der katholischen Universitäten im Übrigen auf die fehlende „Concurrenz der Lehrer“ zurück; Meiners (1802), ab S . 311 . 75 Zit . nach: Schneider (1913), S . 48 . 76 „Sein Prinzip war, die Hauptfächer mit Berühmtheiten von anderen Universitäten zu besetzen, die Lücken und Nebenfächer aber durch Landeskinder auszufüllen, wie er ausdrücklich erklärte“; Schneider (1913), S . 60 . 77 Vgl . Fester (1905), S . 46 . 78 Vgl . Baumgart (2007), S . 98 . 79 Vgl . Wolgast (1987), S . 54 . Die Zahl der Würzburger Neuimmatrikulationen vervierfachte sich von unter 100 im Jahre 1802 auf über 400 im Jahre 1804; vgl . Baumgart (2007), S . 99 . 80 Vgl . Baumgart (2013) . 74

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Öffnung für protestantische Gelehrte „modernisieren“ und wettbewerbsfähig machen, während die Statuten mehrerer protestantischer Universitäten die Berufung katholischer Professoren nach wie vor ausschlossen oder nur in Ausnahmefällen erlaubten .81 Darüber hinaus galten an vielen evangelischen Universitäten ungeschriebene Gesetze, die die Berufung katholischer Gelehrter erschwerten respektive unmöglich machten . Folglich gab es nach 1800 zwar weiterhin protestantische Universitäten mit konfessionell homogenen Kollegien, die katholischen Universitäten hingegen, die sich im Wettbewerb um Prestige und Studenten als unterlegen erwiesen hatten, nahmen einen gemischt-konfessionellen Charakter an .82 Protestantische Hochschullehrer hatten dadurch bis in die Zeit des Kaiserreichs hinein einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil vor ihren katholischen Kollegen, da ihnen die Überwindung der konfessionellen Grenzen leichter gelang und sie an Universitäten im gesamten deutschsprachigen Kulturraum berufen wurden, wohingegen die katholischen Hochschullehrer aufgrund religiöser Vorurteile weitestgehend an die gemischtkonfessionellen, ehemals rein katholischen Universitäten gebunden blieben, folglich weniger Rufe anmelden konnten und daher zumeist mit einer geringeren Besoldung und einer schleppend verlaufenden akademischen Karriere zu rechnen hatten . Diese ungleichen Wettbewerbsbedingungen führten zu Unfrieden auf den Kollegien der reformierten katholischen Universitäten . In Landshut, wo den angeworbenen protestantischen Professoren ein im Schnitt rund doppelt so hohes Gehalt ausbezahlt wurde als den im Wettbewerb weit weniger begehrten altbayerischen Katholiken, kam es zu Ausschreitungen und Übergriffen auf die sogenannten „Nordlichter“ .83 Die für die Katholiken entstandenen Probleme wurden jedoch nicht als Folgeerscheinung eines „verunreinigten Wettbewerbs“ gedeutet und demzufolge auch nicht auf die Aufhebung In einer preußischen Kabinettsordre aus dem Jahr 1804 heißt es bezüglich Berufungen an die Universität Münster: Mit Ausnahme der theologischen Fakultät „kommt es nur auf die für das besondere Fach erforderlichen Kenntnisse und Eigenschaften an, ohne weiter zu entscheiden, welcher der drei christlichen Religionsparteien der Lehrer angehöre“; zit . nach: Wilmanns (1875), S . 266 . Trotz zahlreicher katholischer Einwohner war die preußische Politik stets durch eine enge Verbindung zum Protestantismus gekennzeichnet . Preußens erster Kultusminister, Karl vom Stein zum Altenstein, beschrieb die preußische Politik in Konfessionsfragen im Jahr 1819 folgendermaßen: „Der preußische Staat ist ein evangelischer Staat und hat über ein Drittel katholischer Untertanen . Das Verhältnis ist schwierig . Es stellt sich richtig dar, wenn die Regierung für die evangelische Kirche sorgt mit Liebe, für die katholische Kirche sorgt nach Pflicht“; zit . nach: Schmitz-Stuhlträger (2009), S . 255 . So überrascht es nicht, dass Preußen nur in Provinzen mit einem bedeutenden katholischen Bevölkerungsanteil (Rheinland, Oberschlesien) „paritätische Universitäten“ schuf, während sich die Universitäten in den evangelischen Provinzen Brandenburg, Ostpreußen, Pommern und Sachsen bis ins 20 . Jahrhundert hinein als protestantische Hochschulen verstanden und die Berufung jüdischer und katholischer Akademiker erschwerten . Kurzzeitige Pläne zur Errichtung einer (rein-) katholischen Universität in Südpreußen (1796/1797) wurden nicht verwirklicht, da nur ein Studium auf einer paritätischen oder protestantischen Universität die „Umformung“ der „ehemaligen Polen zu Preussen“ ermögliche, was deren missionarischen Auftrag verdeutlicht; Lehmann (1894), S . 366, 595–596 . 82 Vgl . u . a . Staël-Holstein (1900 [1811]), S . 90 . Berlin, Straßburg, Tübingen und weitere protestantische Universitäten definierten sich noch im frühen 20 . Jahrhundert als Bastionen des Protestantismus; vgl . Hammerstein (1995), v . a . S . 29, 33 . 83 Vgl . Burkhard (1927), S . 135 ff .; Weis (1976), S . 334–335 . 81

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der konfessionellen Schranken im protestantischen Teil Deutschlands gedrängt .84 Vielmehr wurde beklagt, dass die Konfessionszugehörigkeit nicht mehr als Auswahlkriterium betrachtet und damit die protestantische Konkurrenz ins Land geholt worden war . So warnte der Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus von Colloredo in einem Schreiben an den kurbayerischen Hof vor den Gefahren einer Entkonfessionalisierung: „Ja, wenn wir unsere Meinung auch hierüber frei sagen sollen, so scheint uns […] noch sehr zweifelhaft und problematisch zu sein, ob der Vorteil, welchen man durch die erwähnte Konkurrenz auf einer Seite zu erringen hofft, nicht wieder auf der anderen Seite durch weit größere Nachteile vereitelt werde“, stehe doch zu befürchten, dass die Katholiken von der protestantischen Konkurrenz erdrückt würden .85 Unter König Ludwig I . ging man denn auch zeitweise zu einer Bevorzugung einheimischer, katholischer Lehrkräfte über und zog sogar die Wiederherstellung des stiftungsmäßig rein katholischen Charakters der Ludwig-Maximilians-Universität in Erwägung .86 Noch bis weit ins 20 . Jahrhundert hinein sollte die Konfession ein Hemmnis für die Entfaltung einer leistungsbezogenen interuniversitären Konkurrenz um Professoren darstellen .87 Mit der Berufung anerkannter und populärer Gelehrter bezweckten Universitäten und Kultusverwaltung, das Ansehen der Hochschule zu erhöhen, um ihr Studenten zuzuführen .88 Der drastische Rückgang der Studentenzahlen in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts machte die Studierenden zu einer knappen und damit besonders begehrten Prämie des interuniversitären Wettbewerbs .89 Da die Kolleggelder eine bedeutende Einnahmequelle der Professoren darstellten, hatten diese ein vitales ökonomisches Interesse an der Attrahierung zahlungskräftiger Studenten . Zwar begannen sich im 18 . Jahrhundert die engen Bande zwischen einzelnen Universitäten und (Gelehrten-) Familien allmählich zu lösen, doch bestimmten nach wie vor häufig die Väter darüber, wo sich ihre Söhne zu immatrikulieren hatten . Zumeist wählten sie für ihren Nachwuchs jene Hochschule, auf der sie selbst studiert hatten, zumal sich die Kuratoren und Kanzler der Leistungsuniversitäten darum bemühten, aus den Alumni „Lobredner“ ihrer Alma Mater werden zu lassen .90 So besuchten Angehörige mancher Familien über Generationen hinweg dieselbe Universität und entwickelten eine beVgl . Wetzel (2013), S . 19 . Zit . nach: Burkhard (1927), S . 43 . Vgl . Ringseis (1886), S . 216 Vgl . dazu die Kapitel III .1 und IV .2 . An der Universität Heidelberg wurden die Lehrqualitäten der Professoren in jährlich stattfindenden Evaluationen überprüft . Besonders gut bewertete Professoren wurden mit einer Geldprämie belohnt; vgl . Cobb (1980), S . 106 . Der deutliche Rückgang an Neuimmatrikulationen nach Johann Gottlieb Fichtes Entlassung aus Jena im Jahre 1799 zeigt eindrücklich, dass die Studenten die Entscheidung, auf welcher Hochschule sie studierten, nicht zuletzt von den dort lehrenden Dozenten abhängig machten; vgl . Verus (1904), S . 19 . 89 Zwischen 1745 und 1800 sank die Zahl deutscher Studenten von ca . 4000 auf etwa 2900; vgl . Howard (2006), S . 82 . Besonders schwach frequentierte Universitäten, wie beispielsweise Duisburg oder Erfurt, wurden z . T . nur von einem Dutzend Studenten besucht; vgl . Weber (1805), S . 10 . 90 „Freilich muß der Curator auf die jungen, die Akademie besuchenden Leute sein Hauptaugenmerk 84 85 86 87 88

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sondere Beziehung zu ihrer Alma Mater, wie es zum Teil noch heute für England und die USA kennzeichnend ist . Goethe etwa erfuhr von seinem Vater bereits im Kindesalter, „daß ich in Leipzig, für welches er eine große Vorliebe behalten, gleichfalls Jura studieren […] sollte“, seine Wunschuniversität hingegen nicht besuchen werden dürfe, denn „gegen Göttingen hatte er, ich weiß nicht warum, einige Abneigung, zu meinem Leidwesen; denn ich hatte gerade auf diese viel Zutrauen und große Hoffnungen gesetzt“ .91 Studenten aus ärmeren Familien besuchten demgegenüber vornehmlich jene Universitäten, die Freitische oder Stipendien anbieten konnten . Weil diese bevorzugt an Inländer vergeben wurden, immatrikulierten sich finanzschwache Studenten zumeist an den Landesuniversitäten .92 Da Renommee und Einnahmen einer Universität in beträchtlichem Maße von ihrer studentischen Frequenz abhingen, beobachteten sich die Hochschulen untereinander sehr genau und richteten gegebenenfalls Klageschriften an die sanktionsberechtigten staatlichen Instanzen, wenn sie eine Wettbewerbsverzerrung zu erkennen vermeinten . So beklagte die Universität Landshut die „zu frühezeitige Ertheilung von Absolutorien“ an der Würzburger Universität, durch die jene ihre Attraktivität bei den Studenten auf ungebührliche Weise zu erhöhen trachte .93 Wenn „nicht eine völlige Gleichförmigkeit zwischen der dortigen und hiesigen Lehranstalt eingeführt“ werde, so würden „bald mehrere Studenten von hier abziehen“, was das Landshuter Hochschullehrerkollegium nicht tatenlos hinnehmen wollte .94 Neben dem gegenseitigen Unterbieten in Bezug auf die Immatrikulations- und Prüfungsanforderungen gehörten zu den negativen Begleiterscheinungen des Wettbewerbs um Studierende der Verkauf von Promotionen, die Aufnahme andernorts relegierter Studenten sowie die laxe Strafverfolgung der Universitätsgerichte, die vor harten Urteilen zurückschreckten, um nicht einen Auszug der Studenten oder gar eine Abwanderung derselben auf andere Universitäten und sinkende Immatrikulationszahlen zu riskieren .95 Freilich waren im interuniversitären Wettbewerb nicht alle Studenten von gleichem Wert . So waren mittellose Studierende, auch wenn sie sich als besonders begabt erwiesen, auf vielen Aufklärungsuniversitäten nur ungern gesehen, da sie häufig von der Kolleggeldabgabe befreit waren und die Hochschullehrer daher nur wenig oder gar richten; denn sie sollen dereinst […] die größten Lobredner derselben werden […] und ihren Eltern und Curatoren, auch künftig sich selbst, Lust machen, andere Zöglinge nachzusenden“; Böll [?] (1855), S . 478 . 91 Goethe (1923 [1811]), S . 27 . 92 Vgl . Asche (1998), S . 140 . 93 Protestschreiben der juristischen Sektion der Universität Landshut vom 28 .12 .1814, BayHStA, Hofkommission Würzburg 208 . 94 BayHStA, Hofkommission Würzburg 208 . 95 Vgl . Rasche (2009a), insbes . S . 217; Füssel (2010), S . 70 . Der Studentenauszug nach benachbarten Dörfern, z . T . auch nach anderen Hochschulen, war ein bis ins 19 . Jahrhundert hinein angewandtes Druckmittel zur Durchsetzung studentischer Forderungen . Um Redundanz zu vermeiden wird auf den Handel mit Doktortiteln an dieser Stelle nicht näher eingegangen . Vgl . dazu die Ausführungen in Kapitel III .1 . über die Promotionen in absentia und die dortigen Literaturangaben .

Von der Familien- zur Leistungsuniversität: Die Grundlagen interuniversitären Wettbewerbs

nicht an ihnen verdienen konnten .96 Adelige Studenten brachten den Universitäten demgegenüber nicht nur mehr Geld ein als Bürgerliche (da sie höhere Gebühren bezahlen mussten und vergleichsweise häufig Privatstunden nahmen), sie mehrten zudem in besonderem Maße das Prestige der Hochschule .97 Obwohl sich die Universitäten gerne als Teil einer ideellen Gelehrtenrepublik betrachteten und ihre Lehrkräfte ungeachtet ihres Standes auswählten, blieben sie nichtsdestotrotz der feudalen Gesellschaftsordnung verhaftet . Gerade für Adelige sollte und musste der Aufenthalt an der Hochschule daher möglichst angenehm gestaltet werden, da diese Studentengruppe auf das Erlangen eines Diploms in der Regel nicht angewiesen war und bei ausreichenden finanziellen Möglichkeiten die Universität jederzeit wechselte, wenn sie sich „ennuyierte“ .98 So versuchten die Universitäten den Adeligen „Gelegenheit zu anständigen Divertissements“ zu geben, um sie an sich zu binden und damit das Renommee der Hochschule nicht nur im Adelsstand, sondern auch im Bürgertum zu erhöhen .99 Neben der Berufung exzellenter Professoren war es daher notwendig, über Lehrer für sogenannte adelige Übungen zu verfügen, oder selbige zumindest vor Ort zu haben . So gehörten Reit-, Fecht- und Tanzlehrer um 1800 zur Grundausstattung einer für den Adel interessanten Hochschule .100 Ferner wurde die Attraktivität bei ausländischen Studenten als Qualitätsmerkmal einer Universität betrachtet, konnten diese doch durch keine gesetzlichen Bestimmungen an die Landeshochschulen gebunden werden .101 Dementsprechend bemühten sich die Universitäten um die Anwerbung ausländischer Studenten, etwa indem sie Professoren aus möglichst vielen verschiedenen Reichsterritorien beriefen .102 Um die Abwanderung der Landeskinder auf ausländische Universitäten zu erschweren und Vgl . Asche (2000), S . 217 . In Landshut waren um 1810 rund achtzig Prozent [!] der Studierenden als pauperes anerkannt und damit von der Kolleggeldabgabe befreit; vgl . Beckenbauer (1985), S . 15 . 97 Vgl . Rasche (2001), S . 86; Schweigard (2000), S . 33 . 98 Manche Adeligen inskribierten sich während ihrer „Kavalierstour“ an der Universität ihrer Reisestation und blieb dort so lange es ihnen gefiel; vgl . Veits-Falk (2012), S . 32 . 99 Nachträgliches Votum Münchhausens über die Einrichtung der Universität in der Sitzung des geheimen Raths-Collegiums (16 .4 .1733); abgedr . in: Rössler (1855), 33–38, S . 38 . Die Beliebtheit der Hochschule unter adeligen Studenten wurde daher besonders hervorgehoben; vgl . z . B . Zeitung für die elegante Welt 10 (1810), Sp . 1580 . 100 Vgl . Veits-Falk (2012), S . 32 . 101 „Eine größere Anzahl von Ausländern aus den entferntesten Theilen Europa’s, und selbst aus den anderen Welttheilen, findet sich wohl nirgends: gewiß kein geringer Vortheil für Göttingen!“ schrieb Wallis (1813), S . 46 . 102 Siehe Tenorth (2012), S . 21 . So wurde beispielsweise die Verlegung der Universität Ingolstadt nach Landshut (auch) damit begründet, dass dort mit einer stärkeren Frequentierung durch ausländische Studierende zu rechnen sei als in der Festungsstadt Ingolstadt; vgl . Boehm (1980), S . 204 . „Hat man nun aber bey einer Universität die Absicht, Fremde anzulocken, und das akademische Bergwerk ergiebig zu machen – und wer sollte diese Absicht nicht haben? – so muß man nothwendig mehr auf fremde als auf einheimische Lehrer Bedacht nehmen . Der Westphale zieht den Westphalen, der Sachse den Sachsen, der Franke den Franken an, indeß der Eingebohrne selten jemand an sich lockt, als solche, die in jedem Fall gekommen wären, d . i . Landeskinder“; Böll [?] (1855), S . 481 . 96

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somit den grenzüberschreitenden Wettbewerb um Studierende zu eliminieren, hatten viele Souveräne im Laufe des 18 . und frühen 19 . Jahrhunderts den sogenannten Universitätsbann eingeführt, der das (zumindest zeitweilige) Studium auf einer Landeshochschule zur verpflichtenden Voraussetzung einer späteren Anstellung in Staatsdiensten machte .103 Dadurch verkleinerten sich die Rekrutierungsgebiete der Universitäten, die allenfalls innerhalb der politisch-dynastischen Grenzen mit ihren Schwesterinstitutionen um Studenten konkurrieren konnten .104 In Bayern etwa war es zuzeiten Montgelas’ eine „gesetzliche Vorschrift, daß jeder Inländer, der Anspruch auf einen Civil Staats Dienst zumachen gedenket, sich ausweisen muß […,] drey volle Jahre auf einer Landes Universität studieret zu haben“ .105 Dabei wollten jene Staaten, die wie Baden, Bayern, Hessen-Kassel, Kurhannover oder Preußen derartige Verordnungen einführten, einesteils verhindern, dass den Landeshochschulen Studenten und dem Hochschulort deren Kaufkraft verloren geht, andererseits aber auch eine Kontrolle der Ausbildung ihrer späteren Staatsdiener gewährleisten .106 Erst die neue Geistesströmung des Deutschen Idealismus führte ab 1810 zum Ende des Universitätsbanns, als er beinahe zeitgleich in den Königreichen Preußen und Westphalen sowie in den Folgejahren auch in den anderen deutschen Staaten aufgehoben wurde .107 Die Studenten profitierten von der Aufhebung des Universitätsbanns, der den interuniversitären Wettbewerb um Studierende (wieder-)belebte . Nicht nur konnten sie (oder aber ihre Eltern) fortan selbst bestimmen, auf welcher Universität sie studieren wollten, auch waren die Hochschulen nun dazu gezwungen, den Wünschen und Erwartungen der Studierenden bezüglich der personellen und sächlichen Ausstattung, dem Lehrangebot sowie der Höhe der Inskriptions-, Kolleg- und Prüfungsgelder entgegen zu kommen . Die Regierungen wiederum erhofften sich von der Aufhebung des Universitätsbanns eine Prestigemehrung und stärkere Frequentierung ihrer Landeshochschulen . So heißt es in einem Bericht Wilhelm von Humboldts aus dem Jahr 1809, dass ein Verbot, ausländische Universitäten zu besuchen, „gewöhnlich demjenigen Staate am meisten schadet, der es am strengsten bewachet, indem es durchaus zweckwidrig“ sei, einheimische Studenten „durch Verbote, die überdies beständig überschritten werden“, an die Landeshochschulen fesseln zu wollen .108 Die Aufhebung des Universitätsbanns würde hingegen „eine sehr günstige Sensation“ unter den deutschen Studenten hervorrufen und sie nach Preußen ziehen, wodurch die inländischen Universitäten „in

Zudem konnte der Besuch bestimmter ausländischer Universitäten (beispielsweise aufgrund politischer Differenzen mit dem Nutritorenstaat) untersagt werden; vgl . Schmidt (2008), S . 18 . 104 Vgl . Töpfer (2009), S . 120–121 . 105 BayHStA MA 53320 . 106 Vgl . Wolgast (1987), S . 46; Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 3 (1804), S . 499; Fester (1905), S . 11, 37; Kapitel II .2 . 107 Vgl . Wolgast (1987), S . 46 . 108 Humboldt, Wilhelm von: „Aus dem Bericht der Sektion des Kultus und Unterrichts vom 1 .12 .1809“; teilw . abgedr . in: Weischedel (1960), 213–214, S . 214 . 103

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ein großes Uebergewicht gegen die übrigen Universitäten, hauptsächlich des nördlichen Deutschlands“ treten könnten .109 Die Regierungen betrachteten die Anwerbung ausländischer Studierender dabei als gewinnträchtigen „Handel […], wo dem Ausland für theures Geld nichts als Ideen verkauft werden“, wie es in einer Denkschrift aus dem Jahr 1804 hieß .110 Universitäten, die nur von wenigen Studenten besucht wurden, stellten hingegen ein Verlustgeschäft für den Staat dar, so dass dort, wo aufgrund von Grenzverschiebungen zwei oder mehr Universitäten um den weiteren Erhalt konkurrierten, zumeist die schwächer frequentierten Hochschulen aufgelöst wurden und sich die Universitäten besonders um die Anwerbung von Studenten bemühen mussten . Ein Beispiel mag dies illustrieren: Nachdem im Jahre 1803 große Teile Frankens unter bayerische Herrschaft geraten waren und Kurfürst Maximilian Joseph deutlich gemacht hatte, dass nur eine der beiden dort befindlichen katholischen Universitäten erhalten bleiben werde, versuchten Professoren der betroffenen Hochschulen in Würzburg und Bamberg, die Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen . Der Bamberger Professor der Jurisprudenz Georg Michael Weber schlug 1803 in einem Promemoria vor, jene Hochschule aufzulösen, die sich in einem zwischen ihnen auszutragenden Konkurrenzkampf um Studenten als die Schwächere erweise . Man sehe, „welche Universität es der anderen zuvor thut, wohin der Zug [der meisten Studenten; F . W .] geht, und lasse hievon die Erhaltung der einen oder anderen abhängen“, so Weber in einer Formulierung, die keinen Zweifel daran lässt, dass es ihm nicht darum ging, schlichtweg die Frequenz der beiden Hochschulen zu vergleichen und die schwächer besuchte aufzulösen, sondern dass er einen offenen Wettbewerb der existenzgefährdeten Universitäten mit einer klar definierten Siegprämie (nämlich einer Bestandsgarantie) vor Augen hatte .111 Eben dieses Ziel verfolgte Weber durch die von ihm gesuchte Nähe zu den wettbewerbsentscheidenden Instanzen . Indem er seine Denkschrift, der er den Anstrich wissenschaftlicher Objektivität und der Ausrichtung auf das allgemeine Staatswohl verpasste, unaufgefordert nach München sandte, personifiziert er geradezu Simmels Überlegungen, wonach die Konkurrenten den „Dritten“ schmeichelnd umwerben und sich seinen Normen angleichen . Wenngleich Webers Vorschlag schlussendlich nicht berücksichtigt wurde und Kurfürst Max Joseph die Auflösung der Universität Bamberg ohne Verweis auf deren (allerdings in der Tat niedrigere) Studentenzahl anordnete, zeigt er doch, dass die Frequenz der Hochschule als gewichtiges Entscheidungskriterium betrachtet wurde . In handschriftlichen Promemorien konnten zwar die Vorzüge der eigenen Alma Mater herausgestrichen und auf vermeintliche Mängel der mit ihr rivalisierenden Lan-

Zit . nach: Gebhardt (1896), S . 190 . Karl vom Stein zum Altenstein in einer Denkschrift aus dem Dezember 1804; zit . nach: Germann (1889), S . 46 . 111 Weber, Georg Michael: „Betrachtungen über die katholischen Universitäten in Franken“ (handschriftl . Promemoria vom 10 .1 .1803), Paragraph 22; BayHStA MInn 23931 . 109 110

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desuniversitäten eingegangen werden, doch hatten sie den Nachteil, dass die Absichten ihrer Verfasser ziemlich offensichtlich waren . Deshalb kam der Publikation von Monographien eine große Bedeutung in der interuniversitären Konkurrenz um den eigenen Bestandserhalt zu .112 Sie erschienen vielfach anonym oder zumindest in einer Weise, welche die wahren Beweggründe ihrer Verfasser verschleierte und Neutralität vorgab . Oft handelte es sich bei den Adressaten derartiger Publikationen freilich ebenfalls um die mit der Unterrichtsverwaltung betrauten Minister, deren Verdienste um Wissenschaft und Staat betont wurden und nach deren (vermeintlichem) Geschmack die Veröffentlichungen gestaltet wurden, um die politische Entscheidung über Erhalt oder Schließung zu beeinflussen .113 Zudem konnten mit Schriften wie Gottlieb Schlegels Greifswalder Universitätsführer aus dem Jahr 1798 Studieninteressierte respektive deren Eltern angesprochen und der Versuch einer Frequenzsteigerung unternommen werden .114 Dazu sollten auch die gedruckten Vorlesungsverzeichnisse beitragen, mittels derer die frühneuzeitlichen Universitäten ihr Lehrangebot überregional bewarben .115 Auch Periodika dienten der Universitätswerbung . Wenngleich die deutschlandweit gelesenen Gelehrten Zeitungen nur selten zur Ausschreibung vakanter Lehrstellen genutzt wurden, boten sie gleichwohl ein Forum, um die eigene Hochschule in der Gelehrtenwelt zu präsentieren und über neue Lehrkräfte und Einrichtungen (wie zum Beispiel botanische Gärten, Sternwarten oder Mineralienkabinette) zu berichten . Im Idealfall befanden sich Universität und Redaktion am selben Ort, was eine unmittelbare Einflussnahme auf den gedruckten Inhalt ermöglichte . So profitierte Göttingen von Durch die Grenzveränderungen im Zuge von Mediatisierung und napoleonischen Kriegen gerieten zwischen 1792 und 1815 zahlreiche Universitäten auf das Territorium von Fürstenstaaten, die bereits über eine oder mehrere Universitäten verfügten . Angesichts sinkender Studentenzahlen, dem Vormarsch des Spezialschulmodells (vgl . Kap . II .2 .) und der bereits vorhandenen Kapazitäten lösten die Kultusverwaltungen viele Universitäten auf; vgl . Weiß (2010) . 113 So verfasste der Erlanger Universitätsprofessor Gottlieb Ernst August Memel, nachdem seine Alma Mater unter preußische Verwaltung geraten war, eine anonym erschienene Schrift unter dem Titel Briefe eines Weltbürgers [!] über die Regierungsveränderungen in den Fürstenthümern Anspach und Baireuth, Erlangen 1792, die nicht nur den Zustand der Universität in den hellsten Farben darstellte, sondern auch voll des Lobes über den mit der Eingliederung der neuen Provinzen betrauten Minister von Hardenberg war, der jedoch die Absichten hinter der Schilderung, „welche mich nicht sowohl darstellt wie ich bin, sondern wie ich zu sein wünschte“ (Hardenberg) wohl erkannte; vgl . Wendehorst, Geschichte, S . 56 . Konkurrierende Hochschulen wurden in vergleichbaren Publikationen auf alle erdenkliche Weise schlecht gemacht . Solchen Ausführungen und Beurteilungen, die in der historischen Forschung gerne als „Beleg“ für den angeblich schlechten Zustand der Universitäten des späten 18 . Jahrhunderts herangezogen wurden (und z . T . auch noch werden), ist daher stets mit Vorsicht zu begegnen, da sie in erster Linie Propagandamittel darstellten . In der anonym erschienenen Schrift Erlangens Wichtigkeit für das Königreich Baiern, Nürnberg 1810, heißt es etwa: „Die Stadt […] erinnert in mancher Beziehung an Göttingen“ . Überdies enthielt sie eine gefälschte Etataufstellung „mit imaginären Aktiven“, um das Defizit der Universität zu verschleiern; Kolde (1910), S . 19–20 . 114 Vgl . Schlegel (1798) . Laut Dirk Alvermann wurde in Schlegels Werk „erstmals umfassend für die Universität geworben und der Versuch unternommen, ein Interesse am Studium in Greifswald zu wecken“; Alvermann (2007), S . 99 . 115 Vgl . Rasche (2009b), S . 466 . 112

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den Gelehrten Anzeigen, Heidelberg von den Literarischen Jahrbüchern, Leipzig von den Nova Acta Eroditorum und den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen und Jena von der Allgemeinen Literatur-Zeitung (ALZ) .116 Als die Schriftleitung der ALZ im Jahre 1803 ihren Umzug nach Halle bekanntgab und damit just an den Sitz der prosperierenden preußischen Nachbarhochschule, wurde dies von Goethe, der zu dieser Zeit als informeller Universitätskanzler Jenas fungierte, bezeichnenderweise als Angriff auf die Universität empfunden .117 Meldungen über den bevorstehenden Umzug der ALZ-Redaktion wurden in Sachsen-Weimar-Eisenach zum Schutz der Landesuniversität Jena konsequent zensiert, und, nachdem der angekündigte Ortswechsel vollzogen war, mit der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung unverzüglich ein Konkurrenzunternehmen etabliert, das der Universität fortan als publizistisches Hausorgan diente .118 Es verwundert daher nicht, dass Friedrich August Wolf mit der Halleschen Hochschule auch die Allgemeine Literatur-Zeitung nach Berlin holen wollte, um „die alte Trompete“ weiterhin als Sprachrohr der Universität nutzen zu können .119 Sofern keine Zeitschriftenredaktion vor Ort war, bemühten sich die Universitäten entweder um die Etablierung eines neuen Periodikums oder aber um eine „Alliance mit auswärtigen Journalen und gelehrten Zeitungen, die den Freund loben, und andere bey Gelegenheit herunter setzen“ .120 Nach Ansicht des Göttinger Theologen Johann David Michaelis hatten die Der Jurist G . F . Brandes urteilte 1761, die Göttinger Gelehrten Anzeigen hätten der Universität im Verbund mit der Gesellschaft der Wissenschaften „den größten Ruf und einen Vorzug vor allen ihren Schwestern verschaffet“; zit . nach: Smend (1951), S . VII . Laut dem Theologen J . L . von Mosheim sollten die Gelehrten Anzeigen für die Georgia Augusta werben und literarische Angriffe zurückweisen: „Die hiesige Universität hat ja ohnehin viele Feinde und Missgönner, welche durch ungegründete und falsche spargiments derselben abbruch zu thun suchen“; zit . nach: Roethe (1901), S . 588 . Artikel, die ein schlechtes Licht auf die Georgia Augusta zu werfen schienen, versuchte Göttingens Universitätskurator von Münchhausen zu zensieren, was Roethe als „gut gemeint[e (…)] patriarchalische Tyrannis“ bezeichnete; Roethe (1901), S . 610 . Lateinische Zeitschriften sollten die Universitäten außerhalb des Reiches bekannt machen, jedoch verlor die lateinische Sprache bereits im 18 . Jahrhundert ihre Funktion als Lingua franca der Gelehrten, so dass sich der in- und ausländische Leserkreis dieser Journale kontinuierlich verkleinerte; vgl . Roethe (1901), S . 645 . 117 Vgl . Gerber (2009), S . 58; vom Bruch (2007), S . 195 . 118 Diese Zensurmaßnahmen seien ein Unfug, der auf die Universität Jena zurückzuführen sei, berichtete der preußische Freimüthige oder Berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser 1 (1803), S . 686 . Die JALZ wurde vom Publikum angenommen, so dass Goethe bereits kurz nach der ersten Ausgabe notieren konnte, dass sie „ein Anker geworden [sei], woran sich die Academie [i . e . die Universität; F . W .] im Sturme eine Weile hält, bis günstigere Witterung eintritt und die übrigen Schäden nach und nach reparirt werden können“; zit . nach: Müller (2006), S . 490 . Der Titel der neuen Zeitschrift war geschickt gewählt . Er sollte den Eindruck erwecken, dass es sich bei der JALZ um die „wahre“ ALZ handle; dazu ausführlich: Kall (2004), S . 121 ff . 119 Arnoldt (1861), S . 208 . Dass dies nicht gelang war ein spürbares Manko der jungen Universität . Um dennoch positive Nachrichten verbreiten zu können, unterhielt der für den Kultus zuständige preußische Staatsrat J . D . F . O . Uhden enge Kontakte zu auswärtigen Publizisten und Schriftstellern wie etwa zu dem Dresdner Archäologen K . A . Böttiger, den er wiederholt um Anfertigung werbewirksamer Artikel bat; vgl . Geiger (1894), S . 379 . 120 Michaelis (1773), S . 381 . Die Universität Greifswald versuchte beispielsweise Ende des 18 . Jahrhunderts durch die Etablierung einer regelmäßig erscheinenden Hochschulschrift ihre Sichtbarkeit zu verbessern und für sich zu werben . Gleiches gilt für die Universität Königsberg; vgl . Treue (1951), S . 111 . 116

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Universitäten in den 1770er Jahren bereits einen so großen Einfluss auf den Inhalt der wissenschaftlichen Zeitschriften erlangt, dass letztere „wegen ihrer Partheylichkeit fast allen Credit verlohren“ hatten und sogar „der Student nicht mehr […] jeder Stimme“ vertraute .121 Wenngleich Michaelis hier gewiss ein überzeichnetes Urteil abgegeben hat, können seine Ausführungen sowie der verdächtig häufige Gebrauch des Wortes „unparteiisch“ in Journaltiteln des 18 . Jahrhunderts doch als Indizien für die Verwendung Gelehrter Zeitungen als Propagandamittel der Universitäten gewertet werden .122 II.2

Aufklärungsuniversität, Spezialschule und „Humboldt-Universität“: Drei Hochschulmodelle und ihre Wettbewerbsordnungen

Nützlichkeit wurde in der Aufklärung zum vorherrschenden Qualitätsmaßstab, an dem sich auch die Universitäten zu messen hatten . Die Hohen Schulen sollten primär praktisches Wissen vermitteln und vermehren . Dazu gehörte zum einen die Kameralwissenschaft, die ab 1728 zunächst auf protestantischen, etwas später auch auf katholischen Hochschulen gelehrt wurde, zum anderen die Natur- und Ingenieurwissenschaften, die vornehmlich außerhalb der Universitäten betrieben wurden .123 Letztere wurden in erster Linie in den zahlreichen Gelehrten Gesellschaften, Fachschulen und Akademien vorangetrieben und verbreitet, die sich daher im 18 . Jahrhundert eines deutlich besseren Rufes erfreuten als die Universitäten .124 Ferner war mit dem Topos Nützlichkeit die merkantilistische Vorstellung verbunden, dass Universitäten als gewinnbringende Staatsunternehmen zu fungieren hätten . „Eine Universität ist eine Fabrick“, schrieb etwa der Jurist Friedrich Philipp Karl Böll im Jahre 1782: Sie, Herr Curator! sind der Fabrick-Direktor, die auf denen Akademieen befindliche Lehrer sind die Gesellen, die auf denenselben sich aufhaltende junge Leute, die Eltern und Curatoren derselben sind die Käufer, die auf denen Akademieen zu erlernenden Wissenschaften die Waaren; Ihr König ist der Herr und Eigenthümer seiner wissenschaftlichen Fabricken .125

Böll hatte bei Pütter und Gatterer an der Universität Göttingen studiert, die er als Prototyp einer wissenschaftlichen Fabrik als „Teutschlands beste Akademie“ verehrte,

Michaelis (1773), S . 381 . Vgl . Napierla (2004), S . 88 . Zur Kameralwissenschaft wurde nicht nur die Verwaltungslehre gerechnet, sie umfasste vielmehr „ein breites Wissensfeld, das von der Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftstheorie über die Mathematik, Naturwissenschaften und Technologie“ reichte; Klein (2015), S . 17 . 124 Vgl . Friedrich Nicolais Kritik an den Universitäten, die Magister und Doktoren hervorbringen würden, die zu philosophieren, nicht aber zu arbeiten verstünden; Nicolai (1798), insbes . S . 57, 81, 101–102, 180, 196 . 125 Böll (1782), S . 4, 31 . 121 122 123

Aufklärungsuniversität, Spezialschule und „Humboldt-Universität“

„die sich wie eine Ceder unter dem elenden Gesträuche erhebt“ .126 Um möglichst viele Studenten auf die Universitätsfabrik zu ziehen, sollte das Lehrangebot an deren intendierten Wünschen und Vorstellungen ausgerichtet werden: Alles muß nach meinem Bedünken […] gelehret werden, was salvo honore gelehrt werden darf; und wenn etliche Auditoren über den Eulenspiegel ein Collegium gelesen wissen wollen, so müssen sie auf der wohlbestellten Akademie Gelegenheit dazu finden . Man muß ja denen Käuffern NB . mit aller ostensibler Waar aufwarten .127

Tatsächlich hatte die Georgia Augusta nicht nur ein sehr breit gefächertes Lehrangebot, sondern setzte darüber hinaus Schwerpunkte in jenen Zweigen der Wissenschaft, die vornehmlich von adeligen, ergo in der Regel finanzkräftigen Männern studiert wurden, wie es auch der Nationalökonom Johann August Schlettwein empfahl .128 „[E]in einziger Graf oder Baron bei den Juristen trägt mehr Geld in das Land als hundert Theologen“ stellte der kurhannoversche Hofrat Johann Gottfried von Meiern unmittelbar vor der Eröffnung der Universität Göttingen fest .129 Für Wohlhabende wurde der Aufenthalt in Göttingen so angenehm wie möglich gestaltet, während Arme von der Universität ferngehalten wurden .130 Dadurch unterschied sich die Georgia Augusta im Übrigen von ihrer aufklärerischen Schwesteruniversität in Halle an der Saale, deren Studentenschaft sich im 18 . Jahrhundert zu bis zu einem Drittel aus Söhnen von Handwerkern, Bauern und Subalternbeamten zusammensetzte, wohingegen Göttingen bereits nach kurzer Zeit als „Modeuniversität der adligen Junker“ galt .131 Dies wiederum bedingte, dass (die kostenlosen) öffentliche Vorlesungen auf der Georgia Augusta schon nach wenigen Semestern in den Hintergrund traten, da die vergleichsweise reiche Göttinger Studentenschaft mit Vorliebe Privatstunden nahm .132 Göttingens Kurator Gerlach Adolph von Münchhausen achtete im Übrigen darauf, dass die Professoren nicht nur lehrten, sondern auch selbst forschten und publizierten .133 Sie sollten jedoch weder schriftlich noch mündlich Thesen vertreten, durch die die Uni-

Böll (1782), S . 64 . „Nur dann ist es räthlich, eine Fabrik anzulegen, wenn das Local, die Umstände etc . dem Anleger einen wahrscheinlichen Nutzen versprechen; eben so ist es bey einer Akademie“ heißt es in den vermutlich ebenfalls von Böll verfassten Bemerkungen; abgedr . in: Rössler (1855): 468–486, S . 476 . 127 Böll (1782), S . 67 . 128 „Soll eine Universität den Staat bereichern, so muß sie so eingerichtet seyn, daß sie von vielen, von vornehmen und reichen Studierenden besuchet wird […]“ heißt es in Schlettwein (1763), S . 53 . 129 Zit . nach: Frensdorff (1978), S . 356 . 130 Vgl . Raumer (1854), S . 79 . 131 Hoeber (1912), S . 105 . „Jetzt hieß es: ‚Wer draußen Geld hat […] läuft nach Göttingen […], wer aber keins hat, kommt nach Halle‘“, das unter anderem durch die Francke’schen Stiftungen zahlreiche Freitische für mittellose Studierende anbot; Neugebauer-Wölk (1994), S . 28–29 . 132 Vgl . Müller (1904), S . 34 133 Göttingen kann als erste deutsche Universität gelten, die von ihren Professoren ausdrücklich eine eigene Forschungstätigkeit und Publikationen verlangte . Vgl . dazu Mosheims Prorektoratsrede „De optima academia“ vom 2 .1 .1740 und die diesbezüglichen Ausführungen in Heussi (1906), S . 181 ff . 126

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versität in Misskredit geraten konnte . Dies lief freilich der vielgerühmten Göttinger Lehrfreiheit zuwider, die der Universität ihrerseits als Aushängeschild diente und Studenten wie Professoren an die Leine führte .134 Jeder Eindruck von Zensur wurde daher sorgfältig vermieden, wenngleich es sie auch in Göttingen gab . So hatte etwa der Theologe Anton Friedrich Büsching, „wie man im Sprichwort saget, recht in ein Wespennest gestochen“, als er 1757 in seinen Vorlesungen eine Ansicht vertrat, die als antischolastisch ausgelegt wurde . Dies brachte ihm ein wütendes Schreiben aus der Feder des Kurators von Münchhausen ein, der befürchtete, dass die Universität „einen bösen Namen bekommen, und Schaden leiden würde“ .135 Münchhausen bestand nun auf einer Vorzensur, um zu verhindern, dass erneut „die Feinde der Universität […] Gelegenheit nehmen mögten, dieselbe zu decreditiren, und deren Zuwachs zu verhindern“ .136 Wie keine andere deutsche Universität spekulierte Göttingen schließlich auf den Zuzug auswärtiger Studenten, „ohn unterschied der Religionen und Nationen“ .137 Schon während der Gründungsphase in den frühen 1730er Jahren hatte es geheißen, dass eine „vom Pabst privilegirte Universität […] einen großen Vorzug haben würde“, da sie von protestantischen und katholischen Studenten besucht werden könne .138 Dazu sollten ferner römisch-katholische Gottesdienste im protestantisch geprägten Göttingen, der Verzicht auf dezidiert antipäpstliche Kommentare in den Göttinger Gelehrten Anzeigen sowie ein kaiserliches Privileg beitragen .139 Für Protestanten sei die Errichtung einer Universität zwar „ein Stück der Landeshoheit“, heißt es in einem der Gründungspläne, doch müsse aus Rücksicht auf katholische Studenten „dem gemeinen Irrthum der Catholischen, die das jus erigendi academias tales ad Reservata Caesaris rechnen“, nachgegangen werden, um auch sie nach Göttingen zu ziehen .140 Gerlach Adolph von Münchhausen, der der Göttinger Universität fast vierzig Jahre als Kurator vorstand, kann geradezu als Personifizierung des von Böll beschriebenen Universitätskurators gelten, der stets wünscht, „daß die von ihm dirigirte Akademie die schönste, die beste, die berühmteste seyn, und alle andere verdunkeln möge“ .141

Vgl . Hammerstein (2000b), S . 38 . Büsching (1789b), S . 292 . Schreiben des Kurators von Münchhausen an A . F . Büsching vom 14 .1 .1758; abgedr . in: Büsching (1789b), S . 294 . „Es kann vieles wahr, und dennoch nicht rathsam seyn (es) zu sagen“ schrieb Münchhausen in einem weiteren Brief vom 20 .2 .1758; zit . nach: Büsching (1789), S . 305 . 137 Rescript des Königs an die Calenbergsche Landschaft wegen Aufrichtung einer Universität in den Teutschen Landen und der dazu nöthigen Kosten (26 .1 ./6 .2 .1733); abgedr . in: Rössler (1855): 50–55, S . 51 . 138 Gruber, J . D .: „Praeliminair-Plan zur Verwandlung dess [sic!] fürstlichen Gymnasii zu Göttingen in eine Universität“ (1 .10 .1732); abgedr . in: Rössler (1855): 13–20, S . 16 . 139 Pütter (1765), S . 317 . Münchhausen wollte „harte expressiones gegen die Catholische religion“ aus den Gelehrten Anzeigen verbannt wissen, „zumahlen eben jetzo einige vornehme Catholics nach Göttingen studirens halber zu kommen in Begriff seyn“; Promemoria Münchhausens an den Gesandten von Behr (25 .9 .1751); abgedr . in: Roethe (1901), S . 628 . 140 Gruber (1855 [1732]), S . 14 . 141 Böll (1782), S . 17 . 134 135 136

Aufklärungsuniversität, Spezialschule und „Humboldt-Universität“

Münchhausen war darum bemüht, das Renommee seiner Universität zu erhöhen und achtete streng darauf, dass nur positive Meldungen nach außen drangen .142 So wurde beispielsweise der Herausgeber der Hamburger Berichte von gelehrten Sachen aufgefordert, „unglückliche Begebenheiten […] mit Stillschweigen zu übergehen“, um „üble Folgen für unsere Neue Universität“ zu vermeiden .143 Böll schreibt dazu: Macht dann [sic!], um Gotteswillen, der Fabrikant alle seine Arcana bekannt? Nein, denn darinn besteht eben die Seele, der Ruhm der Fabrick, daß das Geheimnis bleibt […] . Was macht er bekannt? Nichts, als was jedermann wissen darf und wissen soll . Macht also, Universitäts-Directoren! gerade das bekannt, was jeder Aus- und Inländer von Eurer Akademie wissen darf und wissen soll . Was soll er wissen? Alles, wodurch er angereizt wird, seinen Sohn oder Curanden Euch und keiner anderen Akademie zuzusenden .144

Tatsächlich entfaltete die Georgia Augusta bereits vor ihrer offiziellen Eröffnung eine in diesem Ausmaß bis dato unbekannte Eigenwerbung, bei der die Wahrheit bisweilen unter die Räder geriet . So wurde etwa in den Göttingischen Wöchentlichen Nachrichten entgegen der Tatsachen behauptet, dass eine weit verbreitete (und von J . M . Gesner, dem Göttinger Universitätsbibliothekar angefertigte) Lobesschrift auf die Universität von einem Auswärtigen verfasst worden sei und das umgehende Gerücht, wonach die Göttinger damit ihr „eigen Lob […] ausposaunen“ würden, falsch sei .145 Böll riet den Kuratoren, offensiv gegen andere Universitäten vorzugehen und sie (beispielsweise auf dem Wege der Preisunterbietung) zu schwächen und nach Möglichkeit sogar in den Ruin zu treiben, wodurch er, greift man auf Simmels Modell zurück, den Modus der Konkurrenz zugunsten von Elementen des destruktiven Kampfs verließ .146 Monopole und „Cartele“ bezeichnete er demgegenüber als schädlich, da dadurch die Konkurrenz zum Erliegen komme .147 Die herausgehobene Stellung des Kurators, der den Professoren gleichsam wie ein Meister den Gesellen vorstand „und Vgl . Buff (1937), S . 38 . Dem Philosophen Samuel Christian Hollmann schrieb Münchhausen 1739, dass „alles Ärgernis ohne éclat evitieret werden“ müsse; Buff (1937), S . 39 . Hollmann wurde aufgefordert, ein bereits gedrucktes Werk zurückzuziehen, da Münchhausen andernfalls einen Ansehensverlust der Universität befürchtete; vgl . Unger (1861), S . 177 . Sogar die Nachlässe Göttinger Professoren ließ Münchhausen sichten, um posthume Veröffentlichungen rufschädigender Aufzeichnungen zu verhindern; vgl . Buff (1937), S . 42 . 143 Hollmann (1787), S . 33 . 144 Böll (1782), S . 17 . 145 S . C . Hollmann, der Herausgeber der Wöchentlichen Nachrichten, behauptete im Alter, man habe ihn seinerzeit bewusst getäuscht und er sei, als die Wahrheit ans Licht kam, selbst überrascht gewesen, „was für Künste man in der gelehrten Welt sich zu bedienen kein Bedencken trage“; zit . nach: Joachim (1928): 7–19, S . 9 . Joachim weist nach, dass dies kein Einzelfall war, dergleichen Schriften vielmehr in der Folgezeit stilistisch überarbeitet wurden, um die Urheberschaft Göttinger Professoren zu verschleiern; vgl . Joachim (1928), S . 13 . 146 „Eine Universität ist eine Fabrick; Um andere Fabricken zu ruiniren, darf ich, wenn meine Waaren gleich gut sind, im Preis nur sinken, um Käuffer theils zu erhalten, theils neue anzulocken“; Böll (1782) S . 31 . 147 Böll (1782), S . 24 . 142

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neben der Überwachung der Universität[…] auch für ihr inneres Gedeihen“ sorgte, war nicht nur eine Besonderheit Göttingens, sondern gehörte in den Augen Bölls zudem zu den Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Universitätsfabrik .148 An den anderen deutschen Universitäten übernahm das Professorenkollegium einen Großteil der Aufgaben, die in Göttingen dem Kurator oblagen, was bisweilen zu einem gewissen Schlendrian führte und seinen Teil zur viel beschriebenen Verschlafenheit der vormodernen Universitäten beigetragen haben dürfte . So äußerte der Gießener Theologe Johann Christoph Friedrich Schulz, dem als ehemaligem Göttinger Studenten die Georgia Augusta bestens bekannt war, in den 1780er Jahren gegenüber dem „Universitätsbereiser“ C . F . Rinck, dass er zwar auf einen Ruf aus Göttingen spekuliere, um sein Gießener Gehalt zu verbessern, jedoch unter keinen Umständen seine gemütliche Wirkungsstätte mit der dortigen Arbeitsuniversität vertauschen würde . In Gießen „könne man faullenzen und studiren, wenn man wol Lust habe, wo nicht, es unterlassen, diß gehe in Göttingen nicht“ .149 Dort überwachte freilich der Kurator das Professorenkollegium, während die Professoren der übrigen, meist außerhalb der Residenzstädte befindlichen Universitäten nur mit gelegentlichen Visiten von Verwaltungsbeamten oder dem Souverän zu rechnen hatten, ansonsten jedoch weitgehend sich selbst überlassen blieben . Böll galt dies als gefährlich, erschienen ihm doch „die Herren Gelehrten denen Kindern gleich“, die ständiger Aufsicht bedürfen . Eine Erziehung der Professoren könne im Übrigen auch „ohne Stock“ gelingen, so Böll, wenn der Universitätskurator „Hofraths, Geheimen Raths, Justizraths-Decreta, kleine Besoldungs-Additionen, Dimissions-Decretchen“ und dergleichen als Leistungsanreize verwende . Die „Benutzung der denen Menschen […] angebohrenen, und bey Gelehrten in eminenterm Grad befindlichen Jalousie“ sei dabei gerade das rechte Mittel eines Universitätskurators .150 Die Konkurrenz sollte demnach auch innerhalb der Universität eine disziplinierende und leistungssteigernde Wirkung entfalten . Böll beschreibt in seiner kleinen Schrift das Ideal einer utilitaristischen Aufklärungsuniversität, wie es freilich nirgendwo in Reinform verwirklicht wurde .151 Es steht jedoch außer Zweifel, dass Böll die Universität Göttingen vor Augen hatte, als er seine Gedanken zu Papier brachte . Die Georgia Augusta kam der beschriebenen Universitätsfabrik

Schrader (1900), S . 246 . Der Theologe J . D . Michaelis nannte Münchhausen einen „Vater, der sich freuet, wenn er sieht, daß seine Kinder was nützliches arbeiten, denn ohngefähr auf die Art sahe er alle seine Professores an“; Michaelis (1776), S . 690 . 149 Rinck (1897), S . 222 . 150 „Was liegt dem Director daran, ob seine Gesellen gute Freunde sind, oder nicht, wenn nur das Geschäft selbst nicht noth leidet“; Böll (1782), S . 19–20, 44 . „Eigenes Interesse, Aemulation, Brodneid – alles muß dazu gebraucht werden, die Akademie auf die höchste Stufe des Ruhms zu bringen . […] Mir gilt es daher als gleich, ob die Lehrer in der vertrautesten Eintracht gegen einander stehen, oder nicht“; Böll [?] (1855), S . 472, 475 . 151 Vgl . dazu Gierl (2005) . Gierl geht davon aus, dass die Bemerkungen von Böll verfasst wurden . Im 18 . Jahrhundert wurde die Schrift bezeichnenderweise G . A . von Münchhausen zugeschrieben . 148

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von allen deutschen Hochschulen am nächsten, was den meisten seiner Leser bewusst gewesen sein muss . Unter Hochschullehrern stieß das Modell Universitätsfabrik und folglich auch die Böll’sche Schrift aus naheliegenden Gründen auf Ablehnung . „Wessen Geschmack kann an der Vergleichung der Universitäten mit Fabriken, und der Professoren mit Gesellen, Gefallen finden?“ fragte etwa der Rigaer Theologe Gottlieb Schlegel im Jahre 1786, der eine rein ökonomische Zielsetzung der Universitäten schon aufgrund seines religiösen Hintergrunds ablehnen zu müssen glaubte und sich von Bölls Ausführungen geradezu angewidert zeigte .152 Auch dem Göttinger Privatdozenten Wilhelm Friedrich August Mackensen wollte „das große Handelshaus der Wissenschaften“, wie er seine Alma Mater in beinahe zweihundertjährigem Vorgriff auf Ralf Dahrendorf bezeichnete, nicht recht gefallen, obwohl er eingestand, dass sie „die Erste Universität Deutschlands“ genannt zu werden verdiene .153 „[H]ier wird Ihnen das Geheimniß des gelehrten Rummels enthüllt“, schreibt Mackensen über Göttingen, „man lernt Handgriffe, Handelsvortheile . Man setzt um, man bringt Moden auf, man sinnt auf Kniffe diese oder jene Waare an den Mann zu bringen .“ Göttingen setze alles daran, seine herausgehobene Stellung unter den deutschen Universitäten zu behalten, „sollte es auch durch Windbeuteley oder Scharlatanerien seyn .“ Mackensen unterstellte den Göttinger Professoren und Kurator von Münchhausen, der im Übrigen ein Onkel des legendären Lügenbarons war, sie nähmen es mit der Wahrheit nicht immer so genau und versuchten „unächte Perlen in der Krone Göttingens als ächt zu verkaufen“ .154 Überdies würden an keiner deutschen Universität so viele Doktortitel verkauft wie an der Georgia Augusta, wo es Professoren, Kurator und Landesherr vor allem auf den finanziellen Gewinn ankomme . Auch für den unbestreitbaren Erfolg Göttingens, der nicht zuletzt an den vielen erfolgreich verlaufenden Berufungsverhandlungen abgelesen werden konnte, hatte Mackensen eine Erklärung: Die Göttinger glauben, es geschieht dieß blos der Ehre wegen in Göttingen Professor zu seyn . Aber sie irren gewaltig . Die Herren blieben eben so gern da, wo sie sind, wenn sie die guten Göttingischen Besoldungen erhielten, und eine solche Bibliothek als die Göttingische um sich hätten, damit sie hübsch oft aus neun Büchern das zehnte machen können, ein Geschäft, bey dem sie die Göttinger so fett werden sehen .155

Schlegel (1786), S . XXVIII . Vgl . Mackensen (1791), S . 19 und Kapitel V .2 . Mackensen (1791), S . 20, 28, 30 . Mackensen (1791), S . 32 . Die Göttinger Universitätsbibliothek unterschied sich nicht nur durch ihre umfangreicheren Bestände, sondern auch durch ihre bessere Benutzbarkeit für Professoren und Studenten von den Bibliotheken der übrigen deutschen Universitäten; vgl . Jochum (32007), S . 112 . Bereits wenige Jahre nach Eröffnung der Universität konnte Münchhausen (im Übrigen wohl zutreffend) nach London melden, dass „in Teutschland keine Universität ist, welche sich rühmen kann, mit einer so nombreusen und selecten Bibliothec […] versehen zu seyn“; zit . nach Füchsel/Hartmann (1937), S . 18 . 152 153 154 155

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Nicht nur Hochschullehrer, auch die Souveräne der deutschen Fürstenstaaten hatten große Vorbehalte gegenüber dem Göttinger Hochschulmodell, obwohl sie durchaus Gefallen an einer lukrativen Universitätsfabrik finden konnten . Die Aufklärungsuniversität Göttingen, die von dem amerikanischen Historiker William Clark so treffend als „avatar of academic managerial capitalism“ bezeichnet wurde, hatte bereits vor ihrer Eröffnung im Jahre 1737 für Unruhe in den Kollegien der deutschen Universitäten gesorgt und erschien den Fürsten als ernstzunehmende Bedrohung .156 Münchhausen verhandelte ab den frühen 1730er Jahren mit zahlreichen auswärtigen Professoren und versuchte sie mit hohen Gehaltsversprechungen zu einer Umsiedelung an die Leine zu animieren . In Preußen, dessen Landeshochschule in Halle an der Saale mehrere Berühmtheiten zu verlieren drohte, wurde man unverzüglich aktiv und erließ folgendes Dekret: Kein Professor darf fremde Vocationes bei schwerer Ahndung annehmen, die ganze Universität wird dafür als haftend erklärt .157

Angesichts der eingehenden Entlassungsgesuche Hallenser Professoren musste in Berlin befürchtet werden, dass Preußen aus einem Wettbewerb um Gelehrte als Verlierer hervorgehen würde . Daher betrieb man eine strikte Abschottungspolitik, die auch unter Friedrich II . beibehalten wurde . „Ich wil nicht, das man mihr Leute aus dem Land debauchire“, schrieb der Monarch in schlechtem Deutsch unter das Entlassungsgesuch eines Königsberger Professors, der einen Ruf an eine ausländische Universität angemeldet hatte .158 Ihm und der preußischen Kultusverwaltung missfiel das rein Ökonomische der Göttinger Universität, die den „Kameralnutzen“ über „Religionen und Nationen“ stellte . „[S]eine Dienste dem Meistbietenden verkaufen, das kan nur ein Cosmopolite, der kein Vaterland statuirt“, hieß es bereits 1769 in einer anonym erschienenen Veröffentlichung über die protestantischen Universitäten in Deutschland, die laut Titel „von einigen Patrioten“ verfasst und als Erwiderung auf ein vielzitiertes Werk des Theologen Johann David Michaelis konzipiert worden war, der das Göttinger Universitätsmodell als vorbildlich beschrieben hatte .159 Freilich war die Schrift nicht von einer Gruppe Patrioten, sondern von dem Nationalökonomen Johann Christoph Erich Springer verfasst worden, der als Privatdozent an der Universität Göttingen gelehrt hatte, sich dort jedoch nicht behaupten konnte und sie folglich bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen musste . Nicht zuletzt persönliche Beweggründe dürften den Autor folglich zu Clark (2006), S . 377 . Königlicher Befehl vom 22 .4 .1733; abgedr . in: Horn (1905), S . 26 . Hessen-Darmstadt, die ernestinischen Herzogtümer, Württemberg und weitere deutsche Fürstenstaaten folgten binnen kurzer Zeit mit vergleichbaren Bestimmungen . „Es schien fast so, als ob die allgemeine Eifersucht aller protestantischen Territorien sich gegen das neue Unternehmen verbündet habe .“ Die Souveräne „betrachteten, wie Münchhausen sich ausdrückte, die Dienerpflicht als Leibeigenschaft“; Buff (1937), S . 51 . 158 Zit . nach Pflaum (1815), S . 238 . 159 Springer (1769), S . 277 . 156 157

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dieser Publikation veranlasst haben . Michaelis ging jedoch im zweiten Band seines Raisonnements über die protestantischen Universitäten in Deutschland auf Springers Kritik am Göttinger Berufungswesen ein . Es sei zutreffend, so Michaelis, dass nicht mehr mit der „Dankbarkeit“ der Professoren gerechnet werden könne, „wenn auswärtige Vocationen gleichsam der ordentliche Weg zur Erhaltung der Zulagen werden“, konnten doch nun die Professoren die Höhe ihrer Einnahmen auf selbst erbrachte Leistungen zurückführen und mussten Gehaltsverbesserungen nicht mehr als einen landesherrlichen Gunsterweis betrachten .160 An die Stelle der Dankbarkeit würden infolgedessen „eigennützigere Affecten treten, die zum gemeinen Besten nie so wirksam sind, als jener schönere, alle Belohnungen vergrössert sehende Enthusiasmus“ für den ausgeübten Beruf, schrieb Michaelis .161 Überdies würden die Professoren zu einer Ware degradiert, ohne allerdings rein passive Handelsartikel zu sein . Vielmehr würden die Hochschullehrer dazu verleitet, „sich um auswärtige Vocationen zu bemühen, und dadurch am Ende viel mehr Geld zu erpressen, als sonst nöthig gewesen seyn würde .“ Dennoch verteidigte Michaelis das Göttinger Berufungswesen aufgrund der strikten Rationalität: Es gehet da, wie in einer Auction: wer ein Buch, das wegen Seltenheit im hohen Preise stehet, haben will, muß mehr bieten als der andere . Von Vaterlandsliebe wird mir hier doch niemand etwas erzählen wollen: es würde höchstens ein Stück aus der Moral seyn, und ich habe schon etlichemahl gesagt, daß ich keine Moral für Professores schreibe, sondern die Welt nahme, wie sie ist . Allein auf den berühmtesten Universitäten sind wol die besten Professores noch dazu Ausländer, die keine Vaterlandsliebe an ihnen üben können: und denen, die ganz mit Landeskindern besetzt sind, pflegt man ihre Professoren ruhig zu lassen .162

Diejenigen Universitäten, die sich am grenzüberschreitenden Wettbewerb um die besten Gelehrten beteiligten, seien den übrigen Universitäten demnach überlegen, obwohl sie sich den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterwarfen und mitunter deutlich höhere Professorengehälter zu bezahlen hatten .

„Je größern Beyfall Jemand, als Lehrer; je größern Ruhm als Schriftsteller erwarb, desto sicherer durfte er sich versprechen, daß er durch angemessene Gehalts-Zulagen werde belohnt werden . [(…) D]a ein Jeder unaufhörlich fürchten mußte, daß irgend ein College, oder Privat-Docent ihm durch einen faßlichern, oder (…) gefälligern Vortrag derselbigen Wissenschaft einen großen Theil seiner Einnahme, und seinen Ansehens rauben könne: da endlich alle wußten, daß die Oberen den glücklichen Fleiß der Lehrer […] durch Verbesserung der Gehalte vergelten würden; so strengten die Professoren in Göttingen ihre Kräfte auf das äußerste an, entweder um Andere zu übertreffen, oder von Anderen nicht übertroffen zu werden; und es entstand ein Wetteifer im Arbeiten, dergleichen man vorher auf keiner andern hohen Schule bemerkt hatte“; Meiners (1808), S . 20–21 . 161 In den „Bemerkungen“ heißt es freilich, dass kaum zwei Prozent der Professoren aus innerem Antrieb zu fleißigem Arbeiten animiert würden: „Ich zähle selten ganz auf den reinen Trieb der Menschen – der Gelehrten am wenigsten; meine Universitätsmoral ist auf das Interesse der Ehre und des Nuzzens [sic!] gegründet“; Böll (1855), S . 482–483 . 162 Michaelis (1770), S . 352 . 160

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In Preußen, aber auch anderen deutschen Staaten, wurde von den Hochschullehrern hingegen durchaus Patriotismus eingefordert .163 Im Gegenzug konnten die Landeskinder mit einer Vorzugsbehandlung rechnen . So bestimmte ein Organisationserlass für die Universität Halle vom 10 . April 1804, dass „zur Aufmunterung Unserer Unterthanen […] so viel als möglich inländische Gelehrte zu besoldeten Professoraten“ gelangen sollten . Einheimische seien überdies „schon genauer als Ausländer in Ansehung ihrer Moralität und Lehrgaben“ bekannt . Drittens könnten „junge und fähige Männer dadurch veranlaßt werden, sich als Privatdocenten dem Lehrstuhl anfänglich ohne Gehalt und bei geringer Einnahme zu widmen […] und durch ihre Concurrenz den Fleiß und die Anstrengung der Besoldeten zu beleben“ .164 In Preußen ging man demnach ebenfalls von einer leistungssteigernden Wirkung der Konkurrenz aus, doch wurde der Wettbewerb durch konfessionelle und staatliche Grenzen weitaus enger eingehegt, als dies in Kurhannover geschah . Dergleichen galt im Übrigen für den interuniversitären Wettbewerb um Studenten . In Kleinstaaten, „deren Universitäten ohne Ausländer nicht bestehen können, mag und muß freilich bei allen Einrichtungen vorläufig auf letztere gesehen werden, aber auf Preußische Universitäten scheint Uns diese Rücksicht unnütz“ hieß es dazu im genannten Hallenser Organisationserlass von 1804 . Andererseits freilich wollte das Königreich Preußen auch die Abwanderung einheimischer Studenten auf ausländische Universitäten verhindern, weshalb Mitte des 18 . Jahrhunderts ein rigoroser Universitätsbann erlassen wurde . Damit sich preußische Studenten nicht mehr „auf auswärtige […] Universitäten begeben, ihr Geld daselbst verzehren und gleichwohl ein Mehreres nicht, als auf einheimischen Universitäten hätte geschehen können, profitiren und erlernen“ sprach König Friedrich II . in den Jahren 1749 und 1751 einen Universitätsbann aus, der alle seine Untertanten an die inländischen Universitäten band .165 Wer trotz des königlichen Verbots eine ausländische Hochschule besuchte, „wenn es auch nur ein halbes oder viertel Jahr wäre“, musste fortan befürchten, von jeglicher staatlichen Anstellung und Beförderung für seine „gantze Lebenszeit als untüchtig und incapabel ausgeschlossen“ zu werden . Adeligen, die sich von solchen Bestimmungen nicht abschrecken ließen, drohte bei einer Übertretung sogar die „Confiscation ihres Vermögens“ .166 Im Habsburgerreich, das im 18 . Jahrhundert als Antipode Preußens angesehen wurde, konnte sich das Göttinger Modell aufgrund ähnlicher Überlegungen ebenso wenig durchsetzen wie im Hohenzollernstaat . Der Mediziner (und frühere Leibarzt Maria In einer anonymen Schrift aus dem Jahr 1782 wird ein nachlassender Patriotismus unter Gelehrten beklagt: „Ist nicht Ruhmsucht und niedrige Gewinnsucht eingeschlichen, die jede gelehrte Waare verfälscht? – Jeder will gefallen, will für alle alles seyn . Daher die entsezliche Seichtigkeit und Flüchtigkeit, die in den meisten Schriften herrscht“; Beseke [?] (1782), S . 165 . 164 Organisations-Erlaß vom 10 . April 1804; abgedr . in: Schrader (1894): 491–512, S . 500 . 165 Königlich preußisches Edikt vom 25 .12 .1749; abgedr . in: Friedrich II . (1978 [1749]): 91–92, S . 91 166 Edict, daß die Landeskinder hinführo blos auf einheimischen Universitäten, Gymnasien und Schulen studieren sollen (19 .6 .1751); abgedr . in: Friedrich II . (1978 [1751]): 92–93, S . 93 . 163

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Theresias) Gerard van Swieten, der Göttingens Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt durchaus zu würdigen wusste, merkte gegenüber Kaiser Joseph II . kritisch an, dass die Georgia Augusta „ohne alle Beziehung auf die Nationalerziehung“ sei und den finanziellen Gewinn über die Wissensvermittlung stelle:167 „Die ganze Verfassung ist […] sowohl von Seiten der Lehrer Finanzspeculation, als von Seite der Regierung, welche die Gelehrten von größtem Rufe durch die vorteilhaftesten Bedingnisse an sich zu ziehen sucht, weil sie durch solche Männer den Zulauf des Ausländers zu vergrößern hofft“ .168 Zwar bestand auch Wien darauf, dass vakante Lehrstühle im Zuge eines Wettbewerbs unter mehreren Kandidaten besetzt und die Beziehungsgeflechte der Familienuniversitäten aufgebrochen werden, das sogenannte Konkurs-Normale von 1784 bestimmte jedoch ausdrücklich, dass Stellenausschreibungen nur in inländischen Zeitungen zu erscheinen hatten, die außerhalb Österreichs, vor allem im protestantischen Norddeutschland, kaum rezipiert wurden .169 Kleinere deutsche Staaten taten sich im Vergleich zu Preußen und Österreich deutlich schwerer, wenn vakante Lehrstühle vornehmlich oder gar ausschließlich mit qualifizierten inländischen Gelehrten besetzt werden sollten . In den Unterrichtsverwaltungen der Kleinstaaten hatte das Grenzen sprengende Modell der Aufklärungsuniversität daher nicht wenige Anhänger . Die Landeshochschulen wehrten sich allerdings vehement gegen ihre Umwandlung in Universitätsfabriken nach Göttinger Vorbild und versuchten der Konkurrenz aus dem Wege zu gehen, so dass nur an wenigen Universitäten tiefgreifende Reformen durchgeführt werden konnten .170 Die katholische Universität Mainz kann und muss in diesem Zusammenhang zweifelsohne genannt werden, obwohl selbst ihr Reorganisator Anselm Franz von Bentzel eingestand, dass keineswegs „alles was für Göttingen möglich ist, […] auch für Mainz […] zugleich rätlich“ sei .171 Bentzel wollte die Landeshochschule lediglich zu „einer guten katholischen Universität“ machen, „die namentlich Göttingen parieren könne“, ohne sie dabei vollkommen zu imitieren .172 Die Professorenkollegien Tübingens und Rostocks konnten sich demgegenüber den staatlichen Reformvorhaben erfolgreich widersetzen, so dass die Herzöge von Mecklenburg und Württemberg kurzerhand Aufklärungsuniversitäten neben ihren bestehenden Landeshochschulen errichteten: 1760 wurde vor den Toren Rostocks eine zweite Landeshochschule eröffnet, die „im Gegensatz zu Rostock bewußt keine Familienuniversität“ sein sollte, mit auswärtigen Professoren besetzt wurde, „Züge einer ‚Doktorfabrik‘“ aufwies und neben protestantischen um katholische, „Die Studierenden, an deren größerem oder minderem Fortgang die Regierung von Hannover keinen Anteil nimmt […]“; Vortrag Swietens vor dem Kaiser am 25 .2 .1785; zit . nach: Hammerstein (1977), S . 201 . 168 Hammerstein (1977), S . 201 . 169 Vgl . Zeeden (1957), S . 91 ff . Probst, Jacob: Geschichte der Universität in Innsbruck seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1860, Innsbruck 1869, S . 306 f . 170 Vgl . Wiesenfeldt (2016) . 171 Zit . nach: Hammerstein (2000), S . 227 . 172 Hammerstein (2000), S . 227 . 167

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jüdische und russisch-orthodoxe Studenten warb .173 1781 bekam auch Tübingen eine Konkurrenzanstalt zur Seite gestellt, als die Stuttgarter Hohe Karlsschule in den Rang einer Universität erhoben wurde .174 Sowohl der Württembergische als auch der Mecklenburger Herzog warteten indes vergeblich darauf, die Reformresistenz der Familienuniversitäten angesichts des erwarteten Konkurrenzdrucks in sich zusammenbrechen zu sehen oder wenigstens einen finanziellen Gewinn aus ihren neuerrichteten „Universitätsfabriken“ zu ziehen . Zwar kam es in beiden Staaten zu einem literarischen Schlagabtausch zwischen Dozenten der alten und der neuen Hochschule, jedoch stellten die schwach dotierten Neugründungen, die sich erst einen Ruf erarbeiten mussten, zu keinem Zeitpunkt eine ernstzunehmende Gefahr für die etablierten Landeshochschulen dar . Daher hatte der Wettbewerb der beiden Hochschulformen nicht den intendierten Ausgang: Die utilitaristischen Aufklärungshochschulen mussten bereits nach wenigen Semestern ihre Pforten für immer schließen, während sich der Nepotismus an den alten Familienuniversitäten weiter ausbreiten konnte!175 Das Göttinger Modell der „Universitätsfabrik“ setzte sich in Deutschland letztlich nicht durch . Gleichwohl hatte Göttingen einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Universitätswesens, da sämtliche staatlichen Abschottungsversuche gegen den grenzüberschreitenden Wettbewerb fehlschlugen . Weder ließen sich Professoren an die Landesuniversitäten binden, wenn bessere Konditionen sie ins (innerdeutsche) Ausland zogen, noch konnte der Universitätsbann durchgesetzt werden . Sogar preußische Staatsminister baten um Ausnahmegenehmigungen, um ihre Söhne auf der Georgia Augusta studieren lassen zu können, die im Übrigen auch für ein Jahr zur Alma Mater von Wilhelm und Alexander von Humboldt werden sollte .176 Zudem blieb das Nützlichkeitsdenken keineswegs auf Kurhannover beschränkt . Ende des Jahrhunderts zollte etwa der Hallenser Philosoph Johann Christian Förster dem verstorbenen preußischen Minister Karl Abraham von Zedlitz seine Anerkennung, indem er ihn als „Geschäftsmann“ bezeichnete, der „den Wert der Wissenschaften“ zu beurteilen gewusst und sie dementsprechend gefördert habe; aber:177 Nicht Göttingen galt zu dieser Zeit als zukunftsträchtiges Hochschulmodell, sondern die Spezialschule, deren Spezifika im Folgenden ausgeführt werden sollen . Der Göttinger Privatdozent Friedrich Ekkard veröffentlichte 1780 ein Handbuch der höheren Lehranstalten Deutschlands . Darin bezeichnete er den Begriff Universität als irreführend, da auf einer Universitas litterarum nach gängiger Definition „alAsche (2006), S . 139–140 . Vgl . Asche (2011), S . 42 . Die Universität Bützow wurde 1789 geschlossen, die Universität Stuttgart 1794 . „[A]lles hat hier einen affektirten Fleiß“ bemerkte Alexander von Humboldt in einem Brief an Wilhelm Gabriel Wegener vom 16 ./17 .8 .1789; abgedr . in: Jahn/Lange (1973): 66–71, S . 69 . Enttäuscht von der Universität Göttingen verließen beide Humboldt-Brüder sie bereits nach etwa einem Jahr; Klein (2015), S . 21 ff . 177 Förster (1998 [1794]), S . 156 . 173 174 175 176

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les Wissenswerthe gelehrt werden müsse“ . Es sei jedoch hinlänglich bekannt, dass die Natur- und Ingenieurwissenschaften außerhalb der Universitäten betrieben würden, obwohl gerade diese anwendungsbezogenen Wissenschaften von besonderem Wert seien . Ekkard stellte sich daher die Frage, ob nicht die „unrechtmässig sogenannten Universitäten“ aufgehoben und durch „nüzlichere Lehranstalten“ ersetzt werden sollten .178 Derartige Überlegungen wurden freilich nicht nur in Deutschland angestellt .179 In Frankreich etwa hatten sie weitreichende Konsequenzen für das Bildungssystem . An die Stelle der teilautonomen Universitäten traten dort ab 1789 staatlich gelenkte und durchbürokratisierte Spezialschulen, die ausschließlich der berufsvorbereitenden Lehre dienten, während die Forschung zur alleinigen Aufgabe der Akademien erklärt wurde . Weder die Lehr- und Lernfreiheit, die aus Sicht ihrer Kritiker zu den vielbeschriebenen studentischen Exzessen und mangelndem Lerneifer geführt hatte, noch die Idee der alle Wissenschaftszweige umfassenden Universitas litterarum überlebten die Umwälzungen von 1789 . Das große Interesse deutscher Gelehrter am Fortgang der Französischen Revolution brachte es mit sich, dass auch die Bildungsreformen der jungen Republik in deutschen Periodika ausführlich thematisiert und kontrovers diskutiert wurden . Welche Konsequenzen müssen in Deutschland daraus gezogen werden, dass im Nachbarland „die Universitäten, als eine Art von Antiquität, in ihrem Namen und in ihrer alten Gestalt verschwunden und in Institute anderer Art umgeschmolzen“ wurden, fragte etwa der preußische Jurist Johann Friedrich Reitemeier im Jahre 1799 . Gewiss werde „dieser Vorgang die Kühnheit der Kritik und des Reformationsgeistes einigermaaßen […] vermehren, und dem Wunsche nach einer Verbesserung dieser im Mittelalter erfundenen Lehranstalt neue Nahrung […] geben“, zeigte sich der Frankfurter Professor überzeugt .180 Nachdem in Folge der Friedensverträge von Basel und Campo Formio das gesamte linksrheinische Deutschland der französischen Republik einverleibt worden war, wurde das Spezialschulmodell erstmals auf deutsche Universitäten übertragen . Alle vier rheinländischen Universitäten wurden 1798 aufgehoben, die beiden größten (Köln und Mainz) jedoch bereits nach kurzer Zeit als Spezialschulen wiedereröffnet . Während die Professoren eine Beschneidung ihrer Lehrfreiheit und eine Trennung von Forschung und Lehre mehrheitlich ablehnten, hatte das Spezialschulmodell in den Kultusverwaltungen der deutschen Staaten zahlreiche Anhänger . Im Königreich Preußen wollte Justizminister Julius Eberhard von Massow sämtliche Landesuniversitäten in Spezialschulen verwandeln, wofür er fünfzig Jahre veranschlagte .181 Ab den 1790er Jahren Ekkard (1780), S . IV . Vgl . dazu auch Stölzel (1889) . „Um 1800 schien die deutsche Universität am Ende, zumindest aber in einer tiefen Krise“ schreibt Ellwein (21992), S . 111 . 180 Reitemeier (1799), S . III–IV . 181 „Aus der Fülle des Herzens unterschreibe ich die Meinung […], daß statt der Universitäten nur Gymnasien und Akademien für Ärzte, Juristen etc . sein sollten . Aber die Ausführung dieser in thesi sehr richtigen Ideen erfordert so viele Vorbereitungen […], daß in den ersten fünfzig Jahren wir noch wol die 178 179

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entstanden zudem mehrere Spezialschulen neben den Universitäten, wie die Pepinière (eine Anstalt zur Aus- und Weiterbildung von Militärärzten, 1795), die Bauakademie (1799), die Akademie für junge Offiziere (1804) und das Ackerbauinstitut (1806), um nur eine Auswahl zu nennen . In Österreich begannen zur selben Zeit die Gründungsvorbereitungen für die aus mehreren Fachschulen zusammengesetzten Polytechnischen Institute in Prag (1806) und Wien (1815), die „nach dem Muster der Pariser berühmten technischen Schule“ gestaltet wurden .182 Die strengen Prüfungs- und Lehrordnungen sowie die Auflösung der Fakultäten an den Universitäten Landshut und Würzburg zeigen, dass auch die bayerische Bildungsreform unter Maximilian von Montgelas nach französischem Vorbild durchgeführt wurde .183 Nur so schienen die Hochschulen „dem Geiste der Zeit angepasset“ werden zu können .184 In Baden, wo Staatsrat Johann Ludwig Klüber die beiden Landesuniversitäten in Heidelberg und Freiburg „sobald er kann in Specialschulen verwandeln“ wollte, und in weiteren deutschen Staaten wurden vergleichbare Reformprojekte vorangetrieben .185 Die Geschichte des französischen Hochschulsystems im 19 . Jahrhundert zeigt, dass das Spezialschulmodell nur wenig Raum für interinstitutionelle Konkurrenz ließ . Zum einen wechselten französische Studenten im Vergleich zu ihren deutschen Kommilitonen nur selten ihre Hochschule und besuchten meist die nächstgelegene Spezialschule, die das gewünschte Studienfach anbot, zum anderen gab es keinen Wettbewerb der Spezialschulen um Wissenschaftler, da die berufliche Karriere französischer Hochschullehrer weitgehend der Beamtenlaufbahn angeglichen und die Spezialschulen zentral aus dem Ministerium gelenkt wurden, was um 1800 als modern galt .186 Als im August 1806 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nach über achthundertjährigem Bestehen unterging, zahlreiche Klöster und Stifte im katholischen Teil Deutschlands aufgelöst, neue Grenzen gezogen und Rechtsordnungen erlassen wurden, schien vielen Beobachtern auch das Schicksal der Universitäten mit ihren scheinbar „veralteten gothischen Formen verflossener barbarischer Jahrhunderte“ besiegelt zu sein .187 Paradoxerweise sollte ausgerechnet die Aufhebung einer Universität die Renaissance des Universitätsmodells in Deutschland einläuten . Im Herbst 1806 ordnete Napoleon die sofortige Schließung der Universität Halle an, da er Dozenten und Studenten für Übergriffe auf die so genannte Grande Armée anomalen Universitäten werden dulden müssen“ ( J . E . von Massow, 1797); zit . nach: König (2000 [1935]), S . 67 . Die Universitäten erschienen Massow als „monströser Zusammenwuchs mehrerer Schulen“; zit . nach: Lenz (1910), S . 37 . Dem Justizminister unterstand zu dieser Zeit auch das Unterrichtswesen . 182 Jellinek (1856), S . 26 . 183 „Die Universität [Landshut], der früherhin eine Auflösung in Spezial-Schulen bevorstand […]“ heißt es in einem Schreiben des Professors der Anatomie F . Tiedemann an F . C . von Savigny vom 20 .2 .1814; abgedr . in: Beckenbauer (1985): 32–34, S . 33 . 184 Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 3 (1804), Sp . 467 . 185 Brief Friedrich Carl von Savignys an Johann Christian Bang vom 16 .7 .1808, abgedr . in: Beckenbauer (1985): 29–30, S . 30 . 186 Vgl . Paul (1991), S . 188 . 187 Wachler (1802), S . 18 .

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verantwortlich machte . Daraufhin begab sich eine Professorendelegation zu Friedrich Wilhelm, um den preußischen König um Verlegung der Universität nach Berlin zu bitten, wohin bereits einige Hochschullehrer geflohen waren . Die als Königswort von Memel bekannt gewordene Antwort, die der Monarch den Professoren gegeben haben soll, leitete die Abkehr vom Spezialschulmodell und die Gründungsvorbereitungen für die Universität Berlin ein . Mit dem Ausspruch „Das ist recht, das ist brav . Der Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat“ ging Friedrich Wilhelm auf das Ersuchen der Akademiker ein, entschied jedoch, um Verwicklungen mit Napoleon aus dem Wege zu gehen, die ab 1807 in dem neugeschaffenen französischen Marionettenstaat Westphalen gelegene Universität Halle nicht zu verlegen, sondern vielmehr in Berlin eine neue Bildungsstätte zu errichten .188 Mehrere Hallenser Professoren verfassten daraufhin Gutachten über die ideale Gestalt der zu errichtenden Hochschule und plädierten darin mehrheitlich für das alte Universitätsmodell, das den Hochschulen größere Freiheiten ließ und damit interinstitutionellen Wettbewerb grundsätzlich ermöglichte . Da Justizminister Julius Eberhard von Massow, der die Durchsetzung des Spezialschulmodells vorangetrieben hatte, nach den verheerenden preußischen Niederlagen bei Jena und Auerstedt entlassen worden war, bot sich nun die Gelegenheit, mit der Berliner Universität ein neues Kapitel preußischer Hochschulpolitik aufzuschlagen, das von den unter Professoren ungeliebten Spezialschulen wegführen sollte . Angesichts des aufkeimenden Nationalismus versuchten die Professoren das Spezialschulmodell dadurch zu diskreditieren, indem sie es als französische Erfindung darstellten, die die deutsche Universität zu verdrängen drohe . Im Wettbewerb mit den Befürwortern des Spezialschulmodells musste die Staatsführung folglich davon überzeugt werden, dass die Universitäten den Spezialschulen überlegen waren . Besonders deutlich wird dies in Friedrich Schleiermachers Gelegentlichen Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn aus dem Februar 1808 . In dieser Schrift wirbt der Hallenser Theologieprofessor für die Errichtung einer Universitas litterarum in Berlin und stellt die Vorzüge dieser Hochschulform ausführlich dar . „Meine Hauptabsicht indeß war nur den Gegensatz zwischen den deutschen Universitäten und den französischen Spezialschulen recht anschaulich, und den Werth unserer einheimischen Form einleuchtend zu machen, ohne eben gegen die andere direct zu polemisieren“ schrieb Schleiermacher wenige Wochen nach der Drucklegung in einem Brief an Karl Gustav von Brinckmann .189 Nichtsdestotrotz kam Schleiermacher der Polemik bisweilen recht nahe, wenn er beispielsweise den Anhängern des Spezialschulmodells vorwarf, sie seien „von einem undeutschen, verderblichen Geiste angesteckt“ .190 Gleichzeitig ließ der Theologe unter Zit . nach: Schmalz (1815), S . 5 . Brief Schleiermachers an K . G . von Brinckmann vom 1 .3 .1808; abgedr . in: Schleiermacher (2015): 66–69, S . 67 . 190 Schleiermacher (1808), S . 157 . 188 189

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dem kryptischen Kürzel „Pr . H .“ mehrere Rezensionen in der Jenaischen Allgemeinen-Literaturzeitung einrücken, in denen er aus der Anonymität heraus vernichtende Urteile über literarische Veröffentlichungen aussprach, deren Autoren sich gegen die Universitas litterarum gewandt hatten .191 Befreundete Professoren wie Friedrich Carl von Savigny veröffentlichten darüber hinaus positive Kritiken seines Werkes und sorgten damit für die Verbreitung und eine positive Konnotation der Überlegungen Schleiermachers .192 Wilhelm von Humboldt, der im Februar 1809 zum Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium berufen wurde, folgte bekanntlich den Ausführungen Schleiermachers und bekämpfte die Spezialschule „mit einer Schärfe, die ihm sonst fern lag“ .193 Seine Denkschriften und Organisationspläne weisen darauf hin, dass er dabei stets „die Konkurrenz mit Westfalen im Auge hatte und von dieser Idee zu doppeltem Eifer angestachelt wurde“ .194 Während ein Teil der Hallenser Professoren um Theodor Schmalz und Friedrich Daniel Schleiermacher die Gründung einer neuen Universität in Berlin vorantrieb, versuchte ihr nach Frankreich deportierter Universitätskanzler und Prorektor August Hermann von Niemeyer, dort für die Wiedereröffnung der Fridericiana als Volluniversität zu werben . In Paris war Niemeyer keineswegs der einzige deutsche Universitätsangehörige, der sich im Zentrum der Macht für den Erhalt der eigenen Hochschule einsetzte . „Daß […] die Anträge und Wünsche der Einzelnen oft kaum vereinbar schienen, daß [sic!] lag in der Natur der Sache . Namentlich war dieß auch in Betreff der Universitäten der Fall . […] Keinem von uns war es zu verdenken, wenn er für das arbeitete, was ihm zunächst angehörte“ hielt Niemeyer in seinen Reisebeobachtungen fest .195 Die Konkurrenz ihrer Universitäten um die Gunst der französischen Machthaber überlagerte daher die durchaus ebenfalls feststellbare Zusammenarbeit deutscher Professoren, die vor allem dann zum Tragen kam, wenn es darum ging, für das Universitätsmodell an sich zu werben . Nach mehreren Gesprächen in Paris sowie am Hofe Jérômes in Kassel hatte Niemeyer Ende 1807 sein Ziel erreicht: Die westphälische Regierung stellte die Wiedereröffnung der Universität Halle für das Folgejahr in Aussicht .196 Die weit verbreitete Besorgnis unter Akademikern, dass Jérôme die in seinem Reich gelegenen Universitäten in Spezialschulen verwandeln könnte, war damit jedoch nicht zerstreut .197 Trotz

Vgl . Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 5, no . 23 (1808): Sp . 183–184 . Vgl . Savigny (1808), „Ueber deutsche Universitäten“ (1808), S . 525–526, 529–530, 533–534, 538–539 . Manegold (1970), S . 26 . Spranger (1910), S . 205 . Niemeyer (1824), S . 267 . Vgl . Allgemeine Literatur-Zeitung 24, no . 8 (1808): Sp . 63 . In seiner Kurzen Darstellung (1808) stellte der Göttinger Philosoph Christoph Meiners die Vorteile der Universitäten gegenüber Spezialschulen dar (S . 59–61) . Seine Furcht vor einer Auflösung der Georgia Augusta in Spezialschulen kommt im Schlusssatz zum Ausdruck: „Wenige Jahre können das zu Grunde richten, was man mit unsäglicher Mühe in ganzen Menschenaltern aufgebaut hat“ (S . 64) . Jérôme hatte 191 192 193 194 195 196 197

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der Partikularinteressen kam es daher neben einer mehr oder weniger freiwilligen Ausrichtung der Lehre an den Wünschen der neuen Machthaber zu einer Kooperation der Universitäten, für die zunächst das gegenseitige Misstrauen überwunden werden musste .198 So hatte sich Niemeyer bereits im Sommer 1807 mit dem Helmstedter Universitätsdeputierten Heinrich Philipp Konrad Henke besprochen, um eine mögliche Zusammenarbeit zum Wohle beider Universitäten und des Universitätsmodells auszuloten .199 Tatsächlich sprachen sie zur allgemeinen Verwunderung wenige Wochen nach dieser Zusammenkunft anlässlich eines Empfangs in Kassel gemeinsam für den Erhalt respektive die Wiederherstellung ihrer Hochschulen .200 Wichtigster Unterstützer wurde ihnen der westphälische Generaldirektor des Unterrichts Johannes von Müller, der ebenfalls für den Erhalt der Universitäten in ihrer bisherigen Gestalt eintrat .201 Um den als König Lustik bekannt gewordenen Jérôme und dessen politische Berater mit dem Aufbau einer Universitas litterarum vertraut zu machen und die Vorzüge des Universitätsmodells deutlich zum Ausdruck zu bringen, bedurfte es einer leicht fasslichen und auf Französisch verfassten Schrift, die möglichst von einem vermeintlich neutralen Außenstehenden anzufertigen war . Dafür bot sich der französische Philosoph Charles de Villers an, dessen Bewunderung für die deutschen Universitäten Johannes von Müller bekannt war . Müller regte Villers daher zur Ausarbeitung einer kleinen Schrift über die Universitäten Deutschlands an, die schon 1808 veröffentlicht werden konnte .202 Villers Coup d’œil sur les Universités sollte König Jérôme vor Augen führen, dass er durch den Erhalt der Universitäten als Mäzen der Wissenschaften in die Geschichte eingehen könne . Die deutschen Universitäten würden zu den bedeutendsten Bildungseinrichtungen weltweit gehören und sollten daher in ihrer bestehenden Form erhalten bleiben, urteilte Villiers ganz im Sinne seines Auftraggebers .203 Da sich kurz zuvor gegenüber Johannes von Müller erklärt: „Alle eure Universitäten taugen nichts, ich werde sie alle verbrennen […]“; zit . nach: Emme (1987), 169–188, S . 169 . 198 Beispielsweise wurden Vorlesungen über den Code Napoléon angeboten; vgl . Müller (2006), S . 547 . In einem Memoire der Universität Halle heißt es beruhigend, sie hielte sich „von der unwürdigen Verfahrensart entfernt, nur sich als nothwendig und nützlich darzustellen, nur für sich zu sprechen, oder auf den Untergang anderer sich Monopolien begründen zu wollen .“ Sie werde vielmehr „die Nützlichkeit der Konservation sämmtlicher im Königreich Westphalen vorhandenen Institute dieser Art ins Licht […] setzen .“ Der Hallenser Historiker C . D . Voß sah dabei durchaus Vorteile im Vorhandensein mehrerer Landesuniversitäten: „Laß sie doch wetteifern, dann wird die nützlichste und wirksamste auch die meisten Zuhörer haben“; Voß (1808), S . 125–126 . 199 Niemeyer musste seinen Kollegen zunächst davon überzeugen, „daß Halle nicht den Vorschlag gethan hatte, Helmstädt zu zerstören“; Bollmann (1816), S . 199 . 200 „Voilà l’attraction – la coalition est faite!“ soll der westphälische Finanzminister Beugnot dazu verblüfft geäußert haben; Bollmann (1816), S . 199 . 201 Vgl . Bredow/Venturini (1811), S . 366 . 202 Villers (1808b) . Das Werk erschien bereits im selben Jahr in deutscher Übersetzung unter dem Titel Blick auf die Universitäten und die Art des öffentlichen Unterrichts im protestantischen Teutschlande, besonders im Königreiche Westphalen, Marburg 1808; vgl . Müller (2006), S . 552 . 203 Villers (1808b), S . 75 . „[I]l faut leur laisser leur existence toute entière, leur moyens physiques, leur autorité, leur liberté et leur consideration“; Villers (1808b), S . 110 .

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die deutschen Fürsten gegenseitig durch Berufungen herausragender Gelehrter und besondere Aufwendungen für ihre Hochschulen zu überbieten versucht hätten, würden gegenwärtig fast alle unter ihnen in Flor stehen .204 Der Wettbewerb um die besten Professoren, den nur das Universitätsmodell ermögliche und dem gerade die westphälischen Universitäten Göttingen und Halle an der Saale bestens gewachsen seien, sollte daher nach Ansicht Villers erhalten bleiben . Das Werk erzielte weitestgehend den erhofften Erfolg . Zwar wurden die verhältnismäßig schwachen Universitäten in Rinteln und Helmstedt in der Folgezeit aufgelöst, die drei verbliebenen Hochschulen wurden jedoch von Jérôme durch eine bedeutende Vermehrung ihrer Bibliotheken und Sammlungen (freilich zum Teil durch die Bestände der beiden geschlossenen Universitäten), eine ausreichende staatliche Finanzierung sowie zeitweilig auch eine liberale Behandlung gefördert und nicht in Spezialschulen verwandelt .205 In Preußen wurden die Entwicklungen im Nachbarland mit gemischten Gefühlen verfolgt . Für die Berliner Universitätspläne stellte die Wiedereröffnung Halles zum Sommersemester 1808 einen herben Rückschlag dar, da ein Teil des Hallenser Lehrpersonals seiner Alma Mater die Treue halten wollte und somit für Berlin verloren war . Zudem war den deutsch-patriotischen Professoren, die (wie Fichte, Schleiermacher oder Steffens) den Hohenzollernstaat zur letzten Heimstatt freier Wissenschaft und deutscher Universitäten erklärt hatten, durch den unerwarteten Erhalt derselben in Westphalen ein wichtiger Trumpf aus der Hand genommen worden . Die in Berlin weilenden Professoren drängten daher zur Eile, um das Berliner Hochschulprojekt nicht zu gefährden .206 Ohne staatliche Genehmigung kündigte der Altphilologe Friedrich August Wolf in einer Hamburger Zeitung (völlig verfrüht) die Eröffnung der Universität Berlin an, da er nach eigenen Angaben befürchtete, „ein hallischer Schurke“ könn-

„Des bords du Rhin aux rives lointaines de la Baltique, il est encore assez d’écoles, rivales de toutes les autres . Les professeurs eux-même ne sont point asservis à la glèbe; et on les voit souvent, pour des conditions meilleures […] ou pour des titres d’honneur, porter à un autre lieu leurs talens, leurs lumières et la renommée de leur enseignement qui attirent, près d’eux, ceux qui sont jaloux de les entendre“; Villers (1808b), S . 81–82 . 205 Die Marburger Professoren hatten ebenfalls eine Auflösung ihrer Universität zu befürchten . Der dort lehrende Literaturhistoriker Ludwig Wachler beklagte daher in einer Publikation, dass Villers v . a . die Universitäten Göttingen und Halle lobte . Er erklärte sich dies (ganz im Sinne seiner Hochschule) damit, dass Villers wohl keine Informationen über Marburg vorgelegen hätten; vgl . Wachler (1808), S . 33 . Da das geschilderte Verhalten Jérômes nicht ins Bild der „universitätsfeindlichen französischen Okkupanten“ passte, wurde diese Phase in vielen universitätsgeschichtlichen Veröffentlichungen nach 1813 stillschweigend übergangen . „Es wäre Ungerechtigkeit und Undank, wenn ich verschweigen wollte, daß die westphälische Regierung […] die Universität […] bis in das Jahr 1812 mit vieler Liberalität behandelte“ heißt es hingegen bei Niemeyer (1826), S . 501 . 206 Schleiermacher hielt die Gründung einer Universität in Berlin im Frühjahr 1809 wieder für unsicher; vgl . Brief Schleiermachers an Henriette v . Willich vom 10 .4 .1809; abgedr . in: Schleiermacher (1858): 245– 247, S . 245 . 204

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te die Nachricht andernfalls auf eine unvorteilhafte Weise verbreiten .207 Kurz darauf forderte der Hallenser Professor Christian Daniel Voß die Berliner zur Aufgabe ihres Universitätsprojekts auf, woraufhin diese den westphälischen Hochschullehrern einen ausgeprägten Sklavensinn unterstellten .208 Der Nationalismus westphälischer Studenten und Professoren, deren Widerstand gegenüber den französischen Okkupanten angesichts immer drückenderer Steuer- und Abgabelasten und einer verschärften Zensur nach dem gescheiterten Russlandfeldzug deutlich zunahm, beendete trotz der Wiedereröffnung Halles bereits nach kurzer Zeit das Wiederaufleben des Universitätsmodells in Westphalen .209 Universitätsangehörige waren aufgrund der akademischen Lehr-, Lern- und Forschungsfreiheit schwerer zu kontrollieren als Lehrkräfte und Studenten der Spezialschulen und die westphälischen Universitäten galten (zu Recht) als Brandherde antifranzösischen Aufruhrs . Die Universität Halle wurde daher am 17 . Juli 1813 auf Befehl Napoleons erneut aufgelöst .210 Wenig später ließ der Kaiser der Franzosen auch die sächsische Universität Wittenberg schließen .211 In Marburg kam der Lehrbetrieb nach dem niedergeschlagenen Aufstand von 1809, der Exekution des Professors der Medizin Johann Heinrich Sternberg und wiederholter Auseinandersetzungen zwischen Studenten und der französischen Polizei weitgehend zum Erliegen, während die Georgia Augusta einen drastischen Frequenzeinbruch zu verkraften hatte und ihre herausgehobene Stellung unter den deutschen Universitäten für immer verlor .212 Preußen tat sich zu dieser Zeit mit der Gewährung akademischer Freiheiten bedeutend leichter, da die deutsch-patriotische Stimmung (noch) mit den Interessen des Hohenzollernstaates zusammenfiel . Die nationalistischen Reden, die etwa Henrich Steffens in seinen Vorlesungen an der Universität Breslau hielt, lieferten schließlich eine moralische Unterstützung für die eigene Kriegsführung . So konnte die Universität Berlin im Herbst des Jahres 1810 trotz der unsicheren politischen Lage eröffnet werden . Obwohl die Pressezensur eine offene Debatte unKöpke (1860), S . 42 . Auch andere am Aufbau der Universität Berlin beteiligte Professoren erkannten die Bedeutung des Faktors Zeit im Wettbewerb . So drängte Friedrich Schleiermacher bereits im Januar 1808 zur „Eile, […] weil sonst auch die Standhaftesten [Professoren] möchten wankend gemacht werden durch die Lockungen der Westfälinger oder durch die Werbungen der Russen“, und sah es als notwendig an, dass die Universität unverzüglich eröffnet wird, damit die Studentenströme nicht nach Halle gelenkt werden; Brief Friedrich Schleiermachers an Wilhelm Heinrich Nolte vom 3 .1 .1808; abgedr . in: Müller (1990b): 253–256, S . 254–255 . 208 Voß (1808), S . 127 . Auch zeigte man sich in Halle über den Rücktritt W . v . Humboldts, der die Eröffnung der Berliner Universität noch einmal zu gefährden schien, sehr erfreut; vgl . Tenorth (2012b), S . 87 . „Die deutschen Gelehrten die jenseits der Elbe wohnen, äußern einen Sklavensinn, freuen sich des Zustands der Unterdrückung, in welchem sie leben, und predigen durch Sophismen einen Sündenschlaf “ äußerte der preußische Finanzminister Karl vom Stein zum Altenstein, der den Hallenser Rektor Niemeyer nach Berlin berufen wollte, was dieser jedoch ablehnte; Lenz (1910), S . 134 . 209 Vgl . Boockmann (1997), S . 40 . 210 Vgl . Leipziger Literatur-Zeitung 12 (1813): Sp . 2502–2503 . 211 Vgl . Friedensburg (1917), S . 621 . 212 Vgl . Muras (1998); Selle (1937), S . 229, 232 . 207

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möglich machte, wurde die Gründung auch in den Periodika der mit Napoleon verbündeten Rheinbundstaaten thematisiert .213 Sie leitete die Renaissance des Universitätsmodells ein, hob dasselbe aber auch gleichsam auf eine höhere Stufe . Nach drei Jahrzehnten zahlreicher Universitätsschließungen, aber keiner einzigen Neugründung wurde in Berlin erstmals wieder eine Volluniversität eröffnet, so dass Berlin eine Signalwirkung zugesprochen werden kann . Vieles, was in den Statuten der ab 1828 so genannten Friedrich-Wilhelms-Universität in klarer und gewählter Sprache festgehalten wurde, war freilich bereits auf den deutschen Universitäten des 18 . Jahrhunderts umgesetzt worden .214 Als Kind des Deutschen Idealismus basiert die „Humboldt-Universität“ Berlin jedoch auf Überlegungen, die weit über das hinausreichen, was den Gründern der Aufklärungsuniversitäten vorgeschwebt hatte .215 Wo dort utilitaristische Erwägungen in den Vordergrund gerückt und der unmittelbare finanzielle Nutzen für den Staat errechnet wurden, stand hier das Ideal zweckfreier Forschung im Mittelpunkt .216 Das kommt bereits in der Aufwertung der Philosophischen Fakultät zum Ausdruck, die zuvor eine dienende Funktion für die drei praxisnahen Fakultäten eingenommen hatte .217 Die Idee von der „Wissenschaft […] um ihrer selbst willen“218 wurde von der Gründung der Universität Berlin bis zur Wende vom 19 . auf das 20 .

Geradezu euphorisch heißt es beispielsweise im ersten Jahrgang des in Mecklenburg-Strelitz herausgegebenen Iahrbuchs [sic!] der Universitäten Deutschlands 1 (1810): „Wie leicht kann nicht die Errichtung einer Universität in Berlin für die Universitäten Deutschlands, ia [sic!] für die Gelehrsamkeit überhaupt das wichtigste Ereigniß dieses Jahrhunderts werden! Man kann wohl mit Recht von dieser Universität viel erwarten“ (S . 14) . Die Augsburger Allgemeine Zeitung (AAZ) nannte die Gründung Berlins die „geistige Wiedergeburt eines politisch hart bedrängten Staates“, die „die innigste Achtung und Theilnahme jedes Deutschfühlenden, er wohne an der Donau oder am Rhein“ verdiene; AAZ vom 15 .9 .1810; zit . nach: Köpke (1860), S . 89 . Clemens Brentano bezeichnete die Universität Berlin bereits vor ihrer Eröffnung als die „einzige hohe Schule […], in welcher durch Wolf, Fichte, Schleiermacher der alte deutsche Stil erhalten wird“; Brief C . Brentanos an Savigny vom 22 .12 .1809; abgedr . in: Fuchs/Schellberg (1939): 414–418, S . 415 . 214 So finden sich in den noch auf Latein verfassten Universitätsstatuten Halles und Göttingens ebenfalls Paragraphen über die akademischen Freiheiten, doch sind diese noch inmitten kleinlicher Verwaltungsvorschriften versteckt; vgl . Ebel (1961), S . 180 . 215 In der Geschichtswissenschaft herrscht jedoch gegenwärtig die Meinung Sylvia Paletscheks vor, wonach in Berlin „kein neues Universitäts- oder Wissenschaftsideal“ zum Durchbruch gekommen sei; Paletschek (2010), S . 219 . 216 Vgl . u . a . Pfaff (1796) . „Eine Akademie, die nicht mehr einträgt, als sie kostet, verdient nicht erhalten zu werden“ schreibt Böll (1782), S . 29 . In Göttingen sollten nach Ansicht Münchhausens vor allem jene Wissenschaftszweige gepflegt werden, „die in Praxin ihren Nutzen“ haben . Dissertationen wurden vornehmlich über tagesaktuelle Probleme wie die Besetzung freistehender Pfarrstellen in der Göttinger Nachbarschaft verfasst; Buff (1937), S . 54, 56 . 217 Schleiermacher galt die Philosophische Fakultät sogar als die „eigentliche Universität“; zit . nach Manegold (1970), S . 28 . 218 „Vorzüglich müssen die Nützlichkeitsapostel von der Universität […] verwiesen werden, weil es ihnen ganz am Sinn für Wissenschaft fehlt, sie dieselbe nicht um ihrer selbst willen, […] sondern deswegen schätzen, weil sie dazu taugt, Häuser zu bauen, den Acker zu bestellen und das Kommerz zu beleben“ schrieb der Mediziner J . C . Reil, der später selbst an der Universität Berlin lehrte; zit . nach: Vom Bruch (1999), S . 261 . 213

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Jahrhundert zum zentralen Leitbild deutscher Bildungsphilosophie .219 Diese neue Bildungsphilosophie fußte auf der postulierten Überlegenheit humanistischer Bildung gegenüber berufsvorbereitender Ausbildung .220 Aus den Universitätsfabriken sollten in den Worten Hegels „unsere Kirchen“ werden, die nicht nach Rentabilitätskriterien zu bewerten, auch selbst nicht nach utilitaristischen Erwägungen urteilen sowie Lehre und Forschung im (vermeintlichen) Interesse von Staat und Religion einzig und allein auf die Wahrheitsfindung ausrichten sollten .221 Wie anders noch in Göttingen, das aus utilitaristischen Überlegungen heraus einem „kosmopolitischen Ethos“ gehuldigt und den Geldwert der einzelnen Wissenschaftszweige zu ermitteln versucht hatte .222 Die Georgia Augusta war „eine Universität für die Welt“, wie der Mainzer Universitätskurator Anselm Franz von Bentzel zutreffend feststellte, „ein Freyhafen […] der Wissenschaften“ mit „Neigung zur Toleranz“, der „für die gelehrte Bildung […] von Jünglingen aus allen Weltteilen angelegt worden“ war .223 In Göttingen wurden Studenten nach ihrem Portemonnaie und nicht nach ihrer Herkunft oder Religion beurteilt .224 Berlin hingegen blieb bis ins 20 . Jahrhundert hinein trotz der wachsenden Zahl ausländischer und nicht-evangelischer Studenten in erster Linie eine preußisch-protestantische Universität, die „den wichtigen Punkt der National-Erziehung und Bildung nicht aus den Augen“ verlor .225 Anders als in Göttingen, wo ein beinahe omnipotenter Universitätskurator das Geschick der Hochschule bestimmte, wurde Berlin „von oben geleitet durch die Sektion des öffentlichen Unterrichts“ (aus der 1817 das erste deutsche Kultusministerium hervorging) und damit in noch größerem Maße als die Georgia Augusta zu einer Staatsanstalt .226 Als „Hochburg des freien Protestantismus“ mit durchaus missionarischem Auftrag zur Borussifizierung und als „geistige[s] Leibregiment des Hauses Hohenzollern“ stellte Berlin nationale, dynastische und konfessionelle Momente über pekuniäre Interessen und schränkte den grenz- und konfessions-

Vgl . Olbertz (2001), S . 280 . Siehe die Ausführungen des ersten Berliner Rektors Theodor Schmalz in dessen Rede als am Geburtsfeste des Königs, 3. August 1811, die Königliche Universität zu Berlin sich zum ersten Male öffentlich versammlete, Berlin 1811, S . 29 . Vgl . dazu die Äußerung des aufklärerischen Reformpolitikers Franz von Fürstenberg, der nur wenige Jahre zuvor geäußert hatte, dass eine Universität „in erster Linie den Bedürfnissen akademischer Berufsausbildung dienen [sollte], nicht aber den Wissenschaften um ihrer selbst willen“; zit . nach: Hauschmidt (1980), S . 11 . 221 „Unsere Universitäten und unsere Schulen sind unsere Kirchen“; G . W . F . Hegel an F . I . Niethammer am 12 .7 .1816; abgedr . in: Hoffmeister (31969): 87–89, S . 89 . Damit unterschieden sie sich nicht nur von den Universitätsfabriken, sondern auch von den Tempeln der Vernunft, als welche die Aufklärungsuniversitäten ebenfalls gerne bezeichnet wurden . 222 Vom Bruch (2005), S . 47 . 223 Lhotsky (1966 [1772], S . 51; Brandes (1802), S . 5 . 224 Adelige wurden freilich in Göttingen bevorzugt immatrikuliert, jedoch aus rein ökonomischen Gründen . 225 Humboldt (1960 [1809]), S . 210 . 226 Brief F . C . von Savignys an J . H . C . Bang vom 1 .10 .1810; teilw . abgedr . in: Weischedel (1960): 221–222, S . 221 . 219 220

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übergreifenden Wettbewerb um Professoren (sowie in bescheidenerem Umfang auch um Studenten) dahingehend ein .227 So wurden in Berlin keine Doktortitel verkauft (im Unterschied zu Göttingen, das noch in den 1870er Jahren als Doktorfabrik galt), aber auch systematisch Katholiken und Juden benachteiligt .228 Noch um 1900 weigerte sich etwa der Berliner Historiker Max Lenz (mit Verweis auf den protestantischen Charakter der Friedrich-Wilhelms-Universität), einen katholischen Doktoranden zu betreuen, obwohl er von dessen fachlichem Können überzeugt war .229 Die Lehr-, Lern- und Forschungsfreiheit, die freilich im Vormärz von staatlicher Seite zeitweise erheblich eingeschränkt wurde, eröffnete den Universitäten Freiräume, die im Verbund mit der Aufhebung mobilitätshemmender Gesetze wie dem sogenannten Universitätsbann einen interinstitutionellen Wettbewerb ermöglichten und ein gesamtdeutsches Universitätssystem schufen . Der aufkeimende Nationalismus, der den Gedanken an ein geeintes Deutsches Reich am Leben erhielt, ermöglichte es den Hochschullehrern, auf Universitäten anderer deutscher Fürstenstaaten zu wechseln, ohne dass an ihrem Patriotismus gezweifelt wurde oder sie in den Ruf von Kosmopoliten gerieten . Während die Konkurrenz unter den Universitäten zunächst vor allem als Nebenprodukt der akademischen Freiheiten betrachtet beziehungsweise übersehen wurde, galt sie ab den 1830er Jahren geradezu als Alleinstellungsmerkmal des deutschen Hochschulsystems und wurde als ursächlich für den wissenschaftlichen Erfolg deutscher Universitäten betrachtet: „Concurrenz steigert die Thätigkeit der Lehrenden . Grade hierin unterscheiden sich die deutschen […] Universitäten von denen des Auslandes, namentlich Englands und Frankreichs, wo die Concurrenz abgeschnitten ist“230, hieß es beispielsweise in einer Veröffentlichung des preußischen Nationalökonomen Carl Friedrich Wilhelm Dieterici aus dem Jahr 1836, während der liberale badische Abgeordnete C . T . Welcker drei Jahre später die Ansicht vertrat, dass Universitäten nur gedeihen könnten, wenn ihnen „durch eine freie Concurrenz […] ein Wettstreit und Kampf möglich gemacht wird, woraus immer das Bessere hervorgehen muß . Nur bei einem solchen Charakter werden die deutschen Universitäten bestehen und blühen“ .231 Dass west- und süddeutsche Universitäten wie die zu Beginn des Jahrhunderts im Sinne des Spezialschulmodells umstrukturierten Universitäten

Von der „Hochburg des freien Protestantismus“ sprach der Berliner Historiker Max Lenz; zit nach: Cathrein (1903), S . 271; Das „geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern“ ist eine Wortschöpfung des Berliner Physiologen Du Bois-Reymond (1870), S . 45 . 228 Vgl . hierzu die Ausführungen zu den Promotionen in absentia in Kapitel III .1 . 229 Vgl . Hammerstein (1995), S . 36 . 230 Dieterici (1836), S . 176 . 231 Verhandlungen der Stände-Versammlung (1839), S . 19 . Auch der Jurist F . C . von Savigny ging davon aus, dass „der edle Wetteifer, der uns treibt, es Anderen wirklich zuvor zu thun“ das Wesen der deutschen Universitäten präge; Savigny (1832), S . 582 . Der Philologe Friedrich Thiersch schrieb 1837, die deutschen Universitäten seien „auf den Wetteifer gegründet […], wie Alles, was auf menschliche Weise im Gebiete freier Thätigkeit gedeihen und vorwärts kommen soll“; Thiersch (1837), S . 27 . 227

Aufklärungsuniversität, Spezialschule und „Humboldt-Universität“

Landshut und Heidelberg die Reformen aus napoleonischer Zeit bereits nach wenigen Jahren rückgängig machten und sich (wieder) am Modell der Universitas litterarum und der Vorstellung von der „Ganzheit, Allheit, Einheit“ der Wissenschaft orientierten, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Universität Berlin mit dem Tag ihrer Gründung zu den führenden deutschen Bildungseinrichtungen gezählt und als steingewordenes Ergebnis der Debatte um Universitäts- und Spezialschulmodell angesehen wurde .232 Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass die deutschlandweite Durchsetzung des Universitäts- gegenüber dem Spezialschulmodell erst nach der endgültigen Niederlage Napoleons bei Waterloo und den politischen Veränderungen in den vorherigen Rheinbundstaaten möglich wurde . Insofern sind die Koalitionskriege und der Siegeszug des Universitätsmodells nicht nur zeitlich eng miteinander verbunden, so dass es nicht verwundert, dass die Befreiungskriege bis 1945 den Kern der Erinnerungskultur sämtlicher deutschen Universitäten bildeten .233 Freilich bedeutete die fast unmittelbar auf den Wiener Kongress folgende Beschränkung der akademischen Freiheiten im Zuge der Karlsbader Beschlüsse (1819) mehr als nur ein Intermezzo in der deutschen Universitätsgeschichte .234 Die staatlichen Maßnahmen trugen vielmehr bereits kurze Zeit nach der Gründung der Universität Berlin dazu bei, dass sich die leistungs- und wettbewerbshemmenden Strukturen der Familienuniversitäten vielerorts erneut durchsetzen konnten und die Mobilität der Studenten und Professoren wieder abnahm .235 Schließlich funktionierte die staatliche Kontrolle des Wettbewerbs um Studenten und Professoren nicht, wenn die Kultusverwaltungen kein Interesse an einer grenzüberschreitenden Konkurrenz hatten, sondern die Sesshaftigkeit der einheimischen Studenten und Professoren begrüßten, um sie besser kontrollieren zu können und das Eindringen unerwünschter Ideen zu verhindern . Gänzlich unterdrücken ließ sich der interuniversitäre Wettbewerb allerdings ebenso wenig wie der Wunsch nach einem geeinten und demokratischen Deutschland, der nicht zuletzt an den Universitäten verbreitet wurde, die seit der Romantik als die „einzigen noch übriggebliebenen Trümmer deutscher Einheit“ galten .236 Als nationale Institutionen hatten die Universitäten und vor allem der Wettbewerb und Austausch zwischen denselben einen gehörigen Anteil an der Überwindung innerdeutscher Grenzen, die schließlich Brentano (1910 [1810]), S . 16 . Der Erlanger Wirtschaftswissenschaftler Alexander Lips führte in einem 1813 erschienenen Werk vier Vorteile des Universitäts- gegenüber dem Spezialschulmodell an, nämlich die Universalität der Studien, die Lehrfreiheit der Dozenten, die Lernfreiheit der Studenten sowie die „Concurrenz unter den Lehrern wie unter den Universitäten selbst“; Lips (1813), S . 126 . Die Ludwig-Maximilians-Universität Landshut führte bereits 1814 die nur ein Jahrzehnt zuvor aufgegebene Einteilung in Fakultäten wieder ein . Auch Heidelberg übernahm weitestgehend die Berliner Statuten, die zudem für sämtliche preußischen Universitäten einen Vorbildcharakter hatten; vgl . Boockmann (1999), S . 192 . 233 Weder der deutsch-französische Krieg von 1870/71 noch der Erste Weltkrieg hatten eine ähnliche Bedeutung für die Universitäten . 234 Vgl . dazu Brümmer (1991), Oelschlägel (1995) . 235 Vgl . Müller (1911), S . 179, 256–257 . 236 Eichendorff (1908 [1857]), S . 413 . 232

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Interuniversitäre Konkurrenz in der Spätaufklärung

im Januar 1871 zur Reichsgründung führen sollte .237 Der Leipziger Nationalökonom Karl Bücher hielt dazu in einer Rektoratsrede aus dem Jahr 1903 fest: Wenn man sich aber klar machen will, was die deutschen Universitäten für unsere nationale Entwickelung bedeuten, so kann man vielleicht den auf den ersten Blick paradox erscheinenden Vergleich mit dem Zollverein wagen . Wie der Zollverein die inneren Schranken beseitigte und ein einziges grosses Wirtschaftsgebiet schuf […], so schufen die deutschen Universitäten über die politischen und konfessionellen Grenzen hinweg ein grosses einheitliches Gebiet freien geistigen Verkehrs und Wettbewerbs, innerhalb dessen die Einheit aller höheren nationalen Bildung zu einer zusammenfassenden Macht emporwuchs, die keine Karlsbader Beschlüsse, keine Demagogenverfolgungen und keine Massregelungen zu dämpfen vermochten .238

237 238

Vgl . Ries (2005), S . 52 . Bücher (1903), S . 20 .

III.

Staatlich gelenkter Wettbewerb Die Universitäten im Kaiserreich

III.1

Studenten und Professoren als Prämien des interuniversitären Wettbewerbs im Deutschen Kaiserreich

Während die Zahl immatrikulierter Studenten um die Mitte des 19 . Jahrhunderts nahezu stagniert hatte, konnte ab den 1860er Jahren ein stetiges, nach der Reichsgründung rapides Ansteigen der Frequenz beobachtet werden, durch das sich die Universitäten in Großbetriebe der Wissenschaft verwandelten, wie der Theologe Adolf Harnack zu Beginn des 20 . Jahrhunderts feststellte .1 Einen vitalen Wettbewerb um Studierende, wie er die Jahre um 1800 geprägt hatte, mussten die deutschen Universitäten angesichts der wachsenden Nachfrage nicht befürchten . Abgesehen von der 1871 wiedererrichteten Universität Straßburg gab es schließlich von 1818 bis zur Jahrhundertwende weder Gründungen noch Schließungen promotionsberechtigter Hochschulen auf dem (späteren) Reichsgebiet . Dennoch blieb ein interuniversitärer Wettbewerb um Studierende bestehen, da eine hohe Frequenz weiterhin als Qualitätsmerkmal und Vorzug einer Universität gewertet wurde, sowie aufgrund von Kolleg- und Prüfungsgeldern einen gewichtigen Punkt in Berufungsverhandlungen darstellte und im Interesse der Dozenten lag .2 Ferner änderte sich durch den Mobilisierungsschub, den die Eisenbahn mit sich brachte, die Verteilung der Studenten auf die deutschen Universitäten . Großstadtuniversitäten, darunter in erster Linie die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, übten eine zunehmende Anziehungskraft auf Studieninteressierte aus, die einerseits auf die Attraktivität der Metropolen, andererseits auf eine gezielte politische Förderung der drei großen Universitäten Berlin, Leipzig und München durch ihre jeweiligen Staatsregierungen zurückzuführen war .3 An den kleineren Universitäten löste diese Entwicklung Sorgen und Klagen über eine (vermeintliche) Zurücksetzung 1 2 3

Vgl . dazu die Daten in Hammerstein (1993), S . 158 und Harnack (1905) . Weber (1995 [1919]), S . 9 (Weber hielt diesen Vortrag im Jahre 1917); vom Bruch (2007), S . 203 . Ebenso dürften die zumeist als reizvoller empfundenen Landschaften Süddeutschlands ihren Teil dazu

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Staatlich gelenkter Wettbewerb

aus, die insbesondere in Rektoratsreden und hochschulpolitischen Stellungnahmen der Professoren artikuliert wurden . Als Beispiel sei auf einen Vortrag des Marburger Ordinarius Wilhelm Arnold verwiesen, den der Nationalökonom 1872 zur Feier der Rektoratsübernahme hielt . Arnold sprach darin von einem wachsenden Wettbewerb zwischen den kleinen und den großen Universitäten des Reiches, dem es zu begegnen gelte . Laut Arnold waren das günstigere Betreuungsverhältnis und die einfachere, da weniger nachgefragte Nutzung hochschuleigener Lernmittel „gerade der Punct, wo die kleinen Universitäten bei einiger Sorgfalt und Pflege von Seiten des Staats auf die Dauer mit den großen und grösten zu concurriren vermögen“ .4 Freilich war er sich darüber im Klaren, dass eine vergleichsweise niedrige Frequenz zwar von Vorteil für die Studierenden sein konnte und der Universitätsstadt die „ganze köstliche Studentenpoesie“ erhielt, die sich im Großstadtgetriebe notwendigerweise verlieren musste, hochqualifizierte Hochschullehrer jedoch nicht zu halten oder anzuwerben waren, wenn der „Nahrungsspielraum der ältern, kleinen Universitäten“, sprich ihr Einzugsgebiet, noch weiter schrumpfen sollte . Abhilfe schaffen konnte aus Sicht des Rektors nur die (preußische) Regierung, die als Hauptadressat seiner Rede angesehen werden kann . Arnold versuchte sie davon zu überzeugen, dass sich Investitionen in die kleinen Universitäten für den Staat lohnten und brachte dabei, seinem Lehrfach entsprechend, vor allem nationalökonomische Argumente vor . „Möchten es die Regierungen doch einsehen“, so Arnold, „daß die Capitale bei gleichmäßiger Verteilung einen besseren Zins tragen, wie wenn man sie in einseitiger Weise nur den großen Universitäten zukommen, die kleinen aber darben läßt“: Vergleichen wir die colossalen Summen, die neuerdings auf Universitäten wie Bonn, Berlin und Leipzig verwandt sind, mit dem Minimum von staatlicher Subvention, was kleinen Universitäten und zumal unserer alma mater zu Teil geworden ist, so werden wir sagen müssen, es ist doch aller Ehren wert, daß sie nicht müde geworden sind, mit den großen zu wetteifern, es ist doch aller Ehren wert, was sie trotz der Ungunst der Verhältnisse geleistet haben, es ist doch aller Ehren wert, daß ihre Docenten nicht längst alle Geduld und Lust verloren haben . Und wäre es möglich, etwa von Generation zu Generation, die Wirksamkeit der kleinen Institute mit der der großen zu vergleichen, ich fürchte das Resultat würde sehr zu Ungunsten der letztern ausfallen .5

Mit solchen Ausführungen wandten sich Rektoren wie Wilhelm Arnold an die Kultusverwaltungen als den Dritten, die über die Verteilung der staatlichen Finanzmittel zu entscheiden hatten, aber auch an potentielle Studieninteressierte, die mit Verweis auf

beigetragen haben, dass neben der Anziehungskraft der Großstädte eine Wanderungsbewegung der Studenten vom Norden in den Süden beobachtet werden konnte . Vgl . dazu u . a . Riehl (1883), S . 6 . 4 Arnold (1872), S . 5 . 5 Arnold (1872), S . 6, 9 .

Studenten und Professoren als Prämien des interuniversitären Wettbewerbs im Deutschen Kaiserreich

die „Überfüllung“ der Großstadtuniversitäten und die damit verbundenen Probleme an die kleinen Universitäten gelockt werden sollten .6 Abgesehen von wirtschaftlichen Überlegungen konnte der Erhalt der kleinen Universitäten mit Verweis auf ihre historische Bedeutung „als nationale Pflicht“ gedeutet werden .7 Nach dieser Logik musste der Staat eingreifen, wenn sich eine seiner Universitäten im interuniversitären Wettbewerb um Studenten nicht zu behaupten vermochte und durfte eine Schließung oder Verschmelzung mit einer anderen Hochschule nicht dulden . Der dänische Soziologe Theodor Geiger bezeichnete folgerichtig den „Traditionalismus als Hemmnis für die Entfaltung der Konkurrenz“ .8 Dass die kleinen Universitäten trotz gleichgerichteter Interessen kaum kooperierten sollte im Übrigen nicht verwundern, da sie sich (ebenso wie die drei Großuniversitäten) auch „untereinander in einer Frequenzkonkurrenz lächerlichster Art“ befanden, wie Max Weber konstatierte .9 Zwar stieg die Frequenz der kleineren Universitäten in den folgenden Jahrzehnten tatsächlich überproportional an, so dass eine Reduktion des prozentualen Größenabstands zwischen der am stärksten und der am geringsten frequentierten Universität konstatiert werden konnte, in realen Zahlen vergrößerte sich die Kluft jedoch .10 Der Zug der Studenten zu den Großstadtuniversitäten, von Arnold noch als vorübergehende „Modekrankheit der Jugend“ interpretiert, setzte sich ungebrochen fort und ließ vor allem ab den 1880er Jahren die Befürchtung aufkommen, dass „die exorbitante Steigerung der Universitätsfrequenz“ bereits zu einer „Überfüllung“ der großen Universitäten geführt habe, die sich negativ auf deren Lehr- und Forschungsbetrieb auswirke .11 Der preußische Nationalökonom Johannes Conrad war der Ansicht, dass dieser Trend nur gebrochen werden könne, „wenn die mittleren und namentlich die kleineren Universitäten es sich noch mehr als bisher zur Aufgabe machen eine Fakultät besonders zu pflegen, für die Ausbildung derselben auf Kosten der übrigen (natürlich mit Maß) die Mittel zu konzentrieren, um auf einem Gebiete die Konkurrenz mit jeder Schwester aufnehmen zu können“ .12 Eine solche Schwerpunktsetzung war freilich nur mit Genehmigung und Unterstützung der Kultusministerien möglich, die die Verteilung der staatlichen Gelder auf Im Hinblick auf die bessere Ausstattung der großen Universitäten stellte Arnold die rhetorischen Fragen: „Was hat denn ein Mediciner von einer pathologischen Klinik, wenn er im Semester vielleicht kaum zwei oder dreimal in die Nähe eines Kranken kommt, für die übrigen Fälle aber sich mit dem Opernglas begnügen muß, um nur den Kranken genau zu sehen? Was hat ein angehender Chemiker von seinem Laboriren, wenn er das erste Semester den Professor vielleicht gar nicht sieht, sondern lediglich auf den einen oder andern Assistenten angewiesen ist?“; Arnold (1872), S . 5 . 7 Für die kleineren Universitäten (1870), S . 42 . 8 Geiger (2012), S . 68 . 9 Weber (1995 [1919]), S . 9; vgl . Hehl (2010) . 10 Vgl . Jarausch (1991), S . 320 . 11 Arnold (1872), S . 8; Conrad (1884), S . 241 . 12 Conrad (1884), S . 25 (Hervorhebungen im Original) . 6

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die einzelnen Fakultäten selbst in die Hand nahmen . In den Unterrichtsbehörden, namentlich im preußischen Kultusministerium, herrschte jedoch in den 1880er Jahren die Ansicht vor, dass generell zu viele junge Männer studieren würden, wogegen von Staats wegen vorgegangen werden müsse . So versuchte das preußische Kultusministerium unter Gustav von Goßler (1881–1891) mittels einer Verschärfung der Prüfungsordnungen, einem Ausbau der (nicht zum Studium berechtigenden) Oberrealschulen und einer Erhöhung der Labor- und Seminargebühren zu einer von dem Statistiker Wilhelm Lexis errechneten „Normalzahl“ an Studenten zu gelangen .13 Dieser frühe Versuch staatlicher Bildungsplanung wurde allerdings bereits nach wenigen Jahren und massiver Kritik aus den Hochschulen als gescheitert aufgegeben .14 Die Erhöhung der Studiengebühren kam indes indirekt den kleinen und mittelgroßen Universitäten zu Gute, die im Schnitt überproportional viele Stipendien vergeben und damit auch finanzschwachen Abiturienten ein Studium ermöglichen konnten, was sie in ihren Vorlesungsverzeichnissen und in separaten Veröffentlichungen werbewirksam publik machten, um (offensichtlich nicht ohne Erfolg) die Hochschulwahl der Studenten zu beeinflussen .15 Selbiges versuchte auch Friedrich Althoff, der, obwohl offiziell nur Ministerialdirigent, im Laufe der 1880er Jahre zum heimlichen preußischen Kultusminister und „Bismarck der Universitätspolitik“ aufsteigen sollte .16 Conrads Idee aufgreifend bestimmte er für jede der preußischen Universität einen oder mehrere Forschungsschwerpunkte, so dass auch ausgewählte Institute kleinerer Hochschulen mit besonderer staatlicher Förderung bedacht werden konnten .17 Gleichwohl erregte insbesondere „Berlins Anwachsen das größte Bedenken“ bei der Professorenschaft schwächer frequentierter Hochschulen . Zwar könne sich die Friedrich-Wilhelms-Universität zum Ruhme ganz Deutschlands mit dem „großen Namen einer Weltuniversität“ schmücken, führte der Breslauer Historiker Georg Kaufmann im Jahre 1911 aus, „aber den Freund der Universität beschleicht die Sorge, daß daraus ein Werkzeug des alten Grundsatzes divide et impera erwachse . Denn im Gegensatz dazu werden Breslau und andere Universitäten als Provinzialuniversitäten bezeichnet, als sei das eine andere Kategorie“ .18 Trotz der herausgehobenen Stellung der Universität Berlin in Jarausch (1991), S . 317 . Dazu schreibt Konrad Jarausch: „Aufgrund der schlechten Erfahrung mit der Steuerung und der Kritik an den Bedarfsberechnungen resignierte das Kultusministerium nach 1900 und ließ der Hochschulfrequenz danach praktisch freien Lauf “; Jarausch (1991), S . 318; vgl . zur Wissenschaftssteuerung im Kaiserreich: Szöllösi-Janze (2002) . 15 Eine 760seitige Übersicht über die Stipendien bietet Baumgart (1885); vgl . Adam (2012), S . 154; Rienhardt (1917), S . 216 . In Greifswald war bezeichnenderweise das Scherzwort im Schwange, die dortigen Studenten „müßten sich vorher ehrenwörtlich verpflichten, ein Stipendium anzunehmen, ehe sie durch das Stadttor gelassen würden“; Malade (1938), S . 71 . Eine tabellarische Auflistung der (hohen) Einnahmen der Universitäten aus Stiftungsgeldern findet sich in Ferraris (1894/95) . 16 Franke/Rebenich (2012), S . 5 . 17 Vgl . vom Bruch (2007), S . 211 . 18 Kaufmann (1911), S . 251 . 13 14

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Bezug auf Frequenz und Budget gab es jedoch, wie der Münchner Rektor Wilhelm Heinrich von Riehl 1883 zu Recht betonte, „keine Normal- und Zentral-Universität, keine Reichs-Haupt-Universität“ .19 Berlin war folglich (nur) „prima inter pares“, musste sich stets in der Konkurrenz zu ihren Schwesteruniversitäten behaupten und war, wie sich bereits in den frühen 1910er Jahren leise ankündigte, nicht davor gefeit, ihre Spitzenposition eines Tages zu verlieren .20 Darüber hinaus wurden Größe und Ausstattung einer Universität seinerzeit nur als unzureichende Qualitätsindikatoren betrachtet . Aus der Frequenz oder den ihr zufließenden Geldern Rückschlüsse auf die wissenschaftliche Bedeutung einer Universität abzuleiten . „wäre sehr äusserlich“, hielt Heinrich von Riehl fest .21 Andererseits freilich, so Max Weber, „ist nun einmal die Hörerzahl ein ziffernmäßig greifbares Bewährungsmerkmal, während die Gelehrtenqualität unwägbar […] ist“ .22 Kleinere Universitäten waren daher über die Veröffentlichung von Hochschulstatistiken wenig erfreut, da sie einen direkten Vergleich ermöglichten, und wiesen Anfragen bezüglich des notwendigen Datenmaterials bisweilen „bockbeinig zurück“ .23 Dass sich die deutschen Universitäten trotz ihrer Größenunterschiede weitgehend auf Augenhöhe begegnen konnten, wurde in Akademikerkreisen als entscheidender Vorteil gegenüber dem französischen, ganz auf die Vormachtstellung der Hauptstadt ausgelegten System betrachtet, da nur so ein interuniversitärer Wettbewerb ermöglicht werde . Ein gewisser Wettbewerb der Universitäten eines Landes und des Reiches, so wie er durch die geschichtliche Entwicklung unseres Vaterlandes, bei aller gegenseitigen Hochschätzung und dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, in der That sich eingestellt hat, ist etwas Gesundes und Gutes, der deutschen Eigenart Entsprechendes,24

betonte etwa der Anatom Wilhelm Waldeyer und wusste mit dieser Einschätzung eine Mehrheit der Professoren hinter sich, die – und das sollte nicht vergessen werden – zu den Profiteuren dieses Wettbewerbs gehörten . Sie wussten, dass die Kultusminister und Universitätskuratoren auch hohe Gehaltsforderungen genehmigten respektive guthießen, wenn dadurch renommierte Hochschullehrer gewonnen werden konnten, die einen Frequenzzuwachs versprachen, und dass sie sich auch auf anderem Wege darum bemühten, Studenten an ihre Universitäten zu ziehen . Derartige Versuche reichten von der werbewirksamen Bekanntgabe erfolgreicher Berufungen und der Präsentation möglichst umfangreicher Vorlesungsverzeichnisse über das, was wir heute als Riehl (1883), S . 18 . Vgl . Lenz (1918), S . 359 . Riehl (1883), S . 18 . Weber (1995 [1919]), S . 9 . „Rezension von Eulenburg: Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart“, in: Hochschul-Nachrichten 15 (1904/05): S . 71 . 24 Waldeyer (1898), S . 24 . 19 20 21 22 23

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Imagepflege und Öffentlichkeitsarbeit bezeichnen würden, bis hin zu Infrastrukturmaßnahmen .25 Im Unterschied zur ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts bemühten sich die deutschen Universitäten gegen Ende des Säkulums nur wenig um die Anwerbung ausländischer Studenten . Zum einen waren nun freilich Studierende aus anderen deutschen Bundesstaaten keine „Ausländer“ mehr, zum anderen standen die deutschen Hochschulen zu dieser Zeit international in bestem Ruf und konnten auch ohne umfangreiche Werbemaßnahmen einen Großteil der im Ausland studierenden Jugendlichen für sich gewinnen .26 Gleichwohl wurden zu Beginn des 20 . Jahrhunderts an der Berliner und der Leipziger Universität Auskunftstellen errichtet, die ausländische Studieninteressierte mittels publizierter Hochschulführer über das Lehrangebot informierten und mündliche sowie schriftliche Auskünfte in mehreren Sprachen erteilten .27 Vor allem die Großstadtuniversitäten warben mit Unterstützung ihrer Kultusverwaltungen um ausländische Studenten, die ihrerseits mit Vorliebe in Metropolen mit internationalem Charakter studierten . Eine Ausnahme stellte die beschauliche Universitätsstadt Heidelberg dar, die bereits vor dem breiten internationalen Erfolg des Schauspiels „Alt-Heidelberg“ (1901) von Wilhelm Meyer-Förster als Inbegriff deutscher Romantik und Studentenpoesie galt und von ausländischen Studenten zahlreich besucht wurde . Liberalen Professoren und vor allem Privatdozenten war grundsätzlich jeder Student willkommen, der die Kolleg- und Prüfungsgelder bezahlen konnte, weshalb sie vor einer „Teutomanie“ und Beschränkungen des Ausländerstudiums warnten .28 Viele deutsche Studenten befürchteten hingegen, dass die ausländischen Kommilitonen die begrenzten Studien- und Laborplätze besetzen könnten und „erzittert[en] vor dem Schreckgespenst der Ausländerkonkurrenz“ .29 In den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es daher in vielen deutschen Universitätsstädten zu Studentendemonstrationen gegen das Ausländerstudium, die im übersteigerten Na-

Als Beispiel sei auf den Jenaer Universitätskurator Moritz Seebeck verwiesen, der sich erfolgreich darum bemühte, Jena zu einem Militärstandort zu machen, um junge Rekruten für die Universität gewinnen zu können; vgl . Gerber (2004), S . 350–351 . Die Frankfurter Zeitung behauptete 1882, zahlreiche angekündigte Vorlesungen seien, „wie jeder Eingeweihte weiß, […] mehr Ornamente an dem offiziellen, die Anziehung von Studenten bezweckenden Aushängeschild, als wirkliche Bestandtheile des Lehrplans, da die meisten dieser Vorlesungen aus Mangel an Theilnahme gar nicht zu Stande kommen“; Büchner (1882), S . 1 . 26 In den 1890er Jahren war rund die Hälfte aller im Ausland studierender Männer im Deutschen Reich immatrikuliert; vgl . Schairer (1930), S . 529 . 27 Vgl . z . B . die Veröffentlichung der Amtliche Akademische Auskunftsstelle der Universität Berlin: Berlin und seine Universität. Ein Führer für Studierende mit besonderer Berücksichtigung der Ausländer, Berlin 1914, die auf mehr als 100 Seiten und mit 16 Abbildungen über das Lehrangebot der Friedrich-Wilhelms-Universität, Studien- und Promotionsgebühren sowie die Immatrikulation von Frauen informierte . Die Berliner Akademische Auskunftsstelle wurde 1910 auf der Brüsseler Weltausstellung als vorbildliche Einrichtung mit einem Grand Prix ausgezeichnet . 28 Salvisberg (1903/04b), S . 64–66 . 29 Salvisberg (1906), S . 243 . 25

Studenten und Professoren als Prämien des interuniversitären Wettbewerbs im Deutschen Kaiserreich

tionalismus des Hochimperialismus einen kräftigen Nährboden fanden .30 Das Reich und die Bundesstaaten wiederum hatten eigene kulturpolitische Interessen, bestimmte ausländische Studentengruppen anzuziehen . Insbesondere US-Amerikaner sollten durch eine Ausbildung auf einer deutschen Hochschule für das Deutsche Reich „gewonnen“ werden, um mitzuhelfen „die geistige Weltmacht Deutschlands auszubreiten“ .31 Der Historiker Rüdiger vom Bruch sieht daher in der äußeren Kulturpolitik des wilhelminischen Kaiserreichs „imperialistische Wettbewerbsmerkmale“ .32 Dem deutlichen Rückgang der Zahl amerikanischer Gaststudenten ab den 1880er Jahren, unter anderem ausgelöst durch die Verbesserung der Studienbedingungen in den Vereinigten Staaten, wollten das Reich und vor allem die preußische Kultusverwaltung durch die Errichtung eines Amerika-Institutes an der Universität Berlin (1910), werbewirksame Präsentationen der deutschen Hochschulen im Rahmen der Weltausstellungen in Chicago (1893) und St . Louis (1904) sowie ein 1907 initiiertes Professoren-Austauschprogramm begegnen .33 Den Aufbau des Amerika-Institutes leitete der deutsch-amerikanische Philosoph und Psychologe Hugo Münsterberg, der sich dafür von der Universität Harvard beurlauben ließ .34 Seine in den USA gesammelten Erfahrungen, die er unter anderem in dem zweibändigen Werk Die Amerikaner (1904) bekannt machte, kamen der deutschen auswärtigen Kulturpolitik unmittelbar zugute . Darüber hinaus stand Münsterberg in regem Briefverkehr mit Friedrich Althoff, den er auf die Bedeutung der Privatuniversitäten für das pluralistische und in seinen Augen daher besonders erfolgreiche amerikanische Hochschulwesen aufmerksam machte . Mit modernen Methoden – so wurden beispielsweise über 1000 ehemalige amerikanische Gaststudenten angeschrieben, die es zu einem Eintrag im Who’s Who gebracht hatten, und um Vorschläge zur Verbesserung des deutschen Studienangebots für Ausländer gebeten – konnte er das Amerika-Institut bereits nach wenigen Monaten als zentrale Kontaktstelle für amerikanische Gaststudenten etablieren . Vor seiner Rückkehr in die USA hatte Münsterberg zudem Verbindungen zu britischen Hochschulkreisen aufgebaut und seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass sich das Amerika-Institut mittelfristig „into an England-America-Institute and finally into a general International Institute“ auswachsen würde .35

Vgl . Mehrings (1913), S . 3 . Kühnemann (1907), S . 181; vgl . vom Brocke (1991) . Vom Bruch (1994), S . 32 . Vgl . Siegmund-Schultze (1997); Thwing (1928), S . 229 . Nach deutschen Vorbildinstitutionen wurden in den Vereinigten Staaten die Johns-Hopkins-Universität (1876), die Clark University (1887) und die University of Chicago (1890) errichtet . Nach Angaben des deutsch-amerikanischen Literaturhistorikers Kuno Francke stieß der Vortrag über das deutsche Universitätswesen, der auf der Weltausstellung von St . Louis gehaltene wurde, allerdings nur auf äußerst geringes Interesse beim amerikanischen Publikum; vgl . Francke (1930), S . 40 . 34 Zu Münsterberg vgl . Bringmann/Lück (1993) . 35 Münsterberg (1922), S . 188, 348–349, Zitat: S . 189 . 30 31 32 33

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Deutschlands Nachbarstaaten verfolgten diese Entwicklungen freilich nicht tatenlos und begannen ihre auswärtige Kulturpolitik ebenfalls zu verstärken und amerikanische Studieninteressierte intensiver zu umwerben .36 Die gleichgerichteten Anstrengungen des Auslands sowie wachsende Irritationen über die deutsche Außenpolitik, die wiederholt mit amerikanischen Interessen kollidierte, führten jedoch dazu, dass „das außerordentlich große Ansehen, in dem die deutschen Universitäten früher in Amerika standen“, seit der Jahrhundertwende im Schwinden begriffen war .37 Im Unterschied zu Amerikanern und Briten lösten russische, oder besser gesagt russländische Studierende Ängste vor dem Eindringen agitierender Sozialrevolutionäre aus .38 Auf den Hochschulkonferenzen der deutschen Bundesstaaten wurde daher wiederholt über mögliche „Schutzmittel gegen übermäßigen Zudrang unbequemer Ausländer“ diskutiert .39 Insbesondere gegenüber „russischen Staatsangehörigen (namentlich jüdischer Nationalität)“ galt es nach Ansicht der Kultusverwaltungen „mit ganz besonderer Vorsicht zu verfahren“, da bei dieser Personengruppe die Gefahr einer illegalen Einreise mit gefälschten Papieren am größten sei .40 Jedoch wurden erst am Vorabend des Ersten Weltkriegs deutliche Verschärfungen der Studienbedingungen für Ausländer beschlossen, während noch 1908 der als verhältnismäßig moderat einzustufende Vorschlag, Ausländer mit höheren Studiengebühren zu belasten als Deutsche, von dem Vertreter Mecklenburg-Schwerins „als dem international-wissenschaftlichen Charakter der Universitäten widerstreitend“ abgelehnt worden war .41 Spätestens zum Wintersemester 1913/14 griffen jedoch auf den meisten deutschen Hochschulen Numerus-clausus-Regeln, die eine Obergrenze für ausländische Studenten festlegten, die sich indirekt gegen Studierende aus dem Russischen Reich richteten .42 Mit dem Ausbruch des Weltkrieges wurde freilich allen „Studierenden aus dem zurzeit feind1898 wurden die französischen Hochschulen nach deutschem Vorbild reformiert . In den USA errichtete Frankreich sogenannte „Maisons de France“, die freilich den „Deutschen Häusern“ nachempfunden waren und amerikanische Studenten zu einem Studium in Frankreich ermuntern sollten . 37 Protokoll der Hochschulkonferenz vom 22 . und 23 . September 1910, abgedr . in: Vom Brocke/Krüger (1994), 217–236, S . 235 . Die Zahl amerikanischer Studentinnen und Studenten im Deutschen Reich brach von 1088 im Jahr 1880 auf nur noch 338 im Jahr 1912 regelrecht ein; vgl . Vom Brocke (2010), S . 113 . 38 Die Zahl russischer Studenten nahm nach 1890 rapide zu . Studierten noch 1890 weniger als 400 „Russländer“ auf deutschen Hochschulen, waren es zwanzig Jahre später bereits fast 2000; vgl . Schairer (1930), S . 525 . 39 Protokoll der Hochschulkonferenz vom 28 . und 29 . September 1906, abgedr . in: Vom Brocke/Krüger (1994), 113–156, S . 125 . 40 Schreiben des preußischen Kultusministeriums an das sächsische Kultusministerium vom 4 .10 .1906, teilw . abgedr . in: Vom Brocke/Krüger (1994), S . 126 . 41 Vom Brocke/Krüger (1994), S . XXVIII . 42 Das Auswärtige Amt bestand darauf, dass die Hochschulgesetze keine Bestimmungen enthalten, die als direkte Benachteiligung russischer Studierender angesehen werden konnten, da dies dem deutsch-russischen Handelsvertrag von 1904 widersprochen und das bereits angespannte Verhältnis zum Russischen Reich zusätzlich belastet hätte; vgl . Protokoll der Hochschulkonferenz vom 19 . und 20 . September 1913, in: Vom Brocke/Krüger (1994), 251–266, S . 252–253 . Die Münchner Universität nahm als erste deutsche Hochschule bereits 1906 keine russischen Studenten mehr auf; vgl . Salvisberg (1906), S . 63 . 36

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lichen Ausland […] der Zutritt generell verboten“ .43 Da nicht nur Russland, sondern ab 1917 auch die Vereinigten Staaten aufseiten der Entente kämpften, galt die deutsche auswärtige Kulturpolitik in den Ministerien und auf den Hochschulen als gescheitert . Nicht nur war es misslungen, die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten zugunsten des Deutschen Reiches zu beeinflussen, auch stand zu befürchten, dass den Kriegsgegnern deutsches Know-how in wehrtechnisch relevanten Hochschulfächern zu Gute gekommen war .44 „Da muß also eine Schranke gezogen werden“, zeigte sich der Berliner Altorientalist Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff überzeugt, „wo immer […] etwas gelehrt oder gezeigt wird, was sich auch einmal gegen uns anwenden läßt“ . „Der Ausländer“ habe schließlich kein Anrecht auf ein Studium im Deutschen Reich und „Mißbrauch“ mit der deutschen „Weitherzigkeit“ getrieben .45 Der Münchner Rektor Erich von Drygalski erklärte vor dem Eindruck von Kriegsniederlage und Versailler Vertrag, aber dennoch deutlich nüchterner als Wilamowitz-Moellendorff, dass „mancher Ausländer, der vor dem Kriege in Deutschland studiert hat, sich wohl unser Wissen und Können erwarb, doch im Geist und in der Tat dann weit von uns getrennt blieb“ .46 Neben der Zulassung ausländischer Studienbewerber beschäftigte die Frage des Frauenstudiums vor allem ab den 1890er Jahren die akademische Welt und die Kultusministerien . Die naheliegende Annahme, dass insbesondere schwach frequentierte Universitäten für die Zulassung von Frauen eintraten, gleichsam um sich eine neue Studentengruppe zu erschließen und damit in der Konkurrenz um Studierende einen Vorteil zu verschaffen, erweist sich dabei als Trugschluss . Gerade auf den kleineren, im ländlichen Raum gelegenen Hochschulen herrschten in Professoren- und Studentenschaft oftmals wertkonservative Ansichten vor, die dem Frauenstudium entgegenstanden .47 Hinzu kamen Befürchtungen, dass die Immatrikulation weiblicher Studierender dem wissenschaftlichen Charakter der Universität abträglich sein könne . So gab es zum einen noch um 1900 nicht wenige Anhänger der These von einer geistigen Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau, zum anderen wurde angenommen, dass der Vorlesungs- und Seminarbetrieb durch die Anwesenheit von Mädchen und Frauen zur Ablenkung oder zu einer schüchternen Befangenheit männlicher Studierender führen könne, wobei insbesondere das Medizinstudium im Fokus stand .48 Daraus konnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Zulassung von Frauen auf mittlere Sicht zu einem Einbruch der Frequenz führen könne, sofern der Ruf der Hochschule Schaden nähme . Letztlich war die Haltung zum Frauenstudium für Birnbaum (1914/15), S . 163 . Vgl . dazu das Protokoll der Hochschulkonferenz vom 26 .–28 . September 1918, in: Vom Brocke/Krüger (1994), 315–367, S . 344 . 45 Wilamowitz-Moellendorff (1916), S . 21 . 46 Drygalski (1922), S . 18–19 . 47 Vgl . Andronikow (1935), S . 133 f . 48 Vgl . Runge (1896) . 43 44

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Professoren und Regierungsbeamte in den 1890er Jahren jedoch in erster Linie eine Frage der Weltanschauung, die je nach persönlichem Hintergrund beantwortet wurde .49 Als das Großherzogtum Baden allerdings im Februar 1900 als erster deutscher Bundesstaat das reguläre Frauenstudium für seine beiden Landesuniversitäten einführte, löste diese Entscheidung einen Dominoeffekt aus und veränderte das Argumentationsmuster, was sich in erster Linie aus dem Wettbewerb der Universitäten und der Bundesstaaten erklären lässt . Bezeichnenderweise zogen 1903/04 mit Bayern und Württemberg zunächst zwei Nachbarländer Badens nach und gestatteten ebenfalls die Immatrikulation von Frauen, was wiederum den Druck auf die Universität Straßburg im Reichsland Elsass-Lothringen erhöhte . Deren Senat warnte daher in einem 1905 verfassten Schriftstück vor finanziellen Einbußen, da „nunmehr die sämmtlichen süddeutschen Universitäten mit einziger Ausnahme von Strassburg“ weibliche Studierende immatrikulieren dürften .50 Auch die liberalen Hochschul-Nachrichten erwarteten, dass schon bald „die übrigen Bundesstaaten nicht mehr ‚umhin‘ können“, das Frauenstudium einzuführen .51 Tatsächlich lenkte sogar das sächsische Kultusministerium bereits nach wenigen Semestern ein, obwohl es noch in den 1890er Jahren hatte verlauten lassen, dass eine universitäre Ausbildung von Frauen an der Seite männlicher Kommilitonen „aus ästhetischen und ethischen Rücksichten nicht wünschenswert sein würde“ und allenfalls der Errichtung separater Frauenhochschulen nach US-amerikanischem Vorbild zustimmen wollte .52 So dauerte es nach dem badischen Vorstoß nicht einmal ein Jahrzehnt, bis mit Mecklenburg-Schwerin der letzte deutsche Bundesstaat Frauen zum Hochschulstudium zuließ . Gleichwohl gehörte Deutschland im internationalen Vergleich zu den Nachzüglern, was bereits von zeitgenössischen Befürwortern des Frauenstudiums hervorgehoben wurde .53 Ilse Costas’ These, wonach das hohe Sozialprestige deutscher Universitäten ursächlich dafür zu nennen sei, bietet eine plausible Erklärung für diesen Sachverhalt .54 So ist anzunehmen, dass das internationale Ansehen deutscher Universitäten bei Studierenden und Wissenschaftlern eine Reformierung als weniger dringlich, wenn nicht sogar als Gefährdung der weltweiten

Vgl . Kirchhoff (1897) . Die dort abgedruckten Beurteilungen zeigen, dass es falsch wäre, die Professoren pauschal zu Gegnern, und die Kultusminister pauschal zu Befürwortern des Frauenstudiums zu erklären, wie z . B . in Costas (1992), S . 117 . 50 Zit . nach: Maurer (2013), S . 30 . 51 „Das Frauenstudium in Bayern“, in: Hochschul-Nachrichten 14 (1903/04), S . 11 . 52 „Stellung des [sächsischen Kultus-]Ministers zur Frauenfrage“, in: Academische Revue 2 (1895/96), S . 278; vgl . Hochschul-Nachrichten 10 (1899/1900), S . 125 . 53 Vgl . Neustätter (1899) . Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass in den USA, die bisweilen als Vorreiter in Sachen Frauenstudium genannt werden, gerade die wissenschaftlich führenden Universitäten (wie beispielsweise Harvard, Yale oder Princeton) weiblichen Studienbewerbern noch zuzeiten eine Immatrikulation versagten, als das bereits an sämtlichen deutschen Universitäten uneingeschränkt möglich war . Dies änderte sich zum Teil erst um 1970 . 54 Vgl . Costas (1997), S . 15–16 . 49

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Spitzenposition erscheinen ließ .55 Nach Einführung des Frauenstudiums nahm der Widerstand der Professoren jedoch rasch ab, zumal Frauen „in der Kriegszeit durch ihre Anwesenheit die Abhaltung mancher Seminare überhaupt erst ermöglich[t]en“ und sich die Befürchtungen der 1890er Jahre nicht bewahrheiteten . Zeitgenossen meinten zudem einen „Typenwandel der studierenden Frau“ feststellen zu können, der die Akzeptanz weiblicher Studierender erleichtert habe, hervorgerufen durch das „Fehlen des östlichen nihilistischen Studentinnentyps“ nach Kriegsausbruch und eine Normalisierung des Frauenstudiums, das nicht mehr nur von emanzipierten Kämpferinnen für die Gleichberechtigung der Geschlechter absolviert wurde .56 Damit war zugleich die Frage entschieden, ob Männer und Frauen auf separaten Hochschulen studieren sollten . Eine „gesonderte Frauenuniversität mit spezifisch weiblicher Wissenschaft“, so der Philosoph Eduard Spranger im Kriegsjahr 1916, sei schließlich „durch die Entwicklung der Tatsachen überholt .“ Überdies würde eine Frauenuniversität unweigerlich in „einen Wettbewerb mit der [reinen Männer-] Universität“ geraten, über dessen erwarteten Ausgang Spranger keine Worte verlieren zu müssen glaubte .57 Ein eigenes Kapitel in der Geschichte des interuniversitären Wettbewerbs um Studenten stellen die sogenannten Promotionen in absentia dar, also die Verleihung von Doktortiteln ohne vorherige mündliche Prüfung des Doktoranden . Da die preußischen Universitäten sowie die Ludwig-Maximilians-Universität München auf diese Praxis verzichteten beziehungsweise von Staats wegen verzichten mussten, waren die aus den Promotionsgebühren generierten Einnahmen der übrigen deutschen Hochschulen zum Teil um ein Vielfaches höher .58 Der Historiker Ulrich Rasche bezeichnete die Ausstellung von Doktordiplomen ohne Rigorosum oder Disputation als „die rationalste Form der Aneignung von Promotionsgeldern auf einem quasi offenen Markt“ und, im Verbund mit dem fehlenden Zwang zur Veröffentlichung der Doktorarbeit, einen „entscheidende[n] Wettbewerbsvorteil“ für jene Universitäten, die sie anbieten konnten .59 Die Möglichkeit, ohne mündliche Doktorprüfung und (da es kaum Kontrollmöglichkeiten gab) gegebenenfalls mit einer plagiierten oder nicht selbst verfassten Doktorarbeit promoviert zu werden, übte eine enorme Anziehungskraft auf in- und ausländische Studierende aus, die sich auch in den Promotionszahlen niederschlug . Hätte man in den 1870er Jahren ein Ranking deutscher Hochschulen auf Grundlage der vergebenen Doktortitel erstellt, so wären die beiden großen Universitäten in Berlin und München weit abgeschlagen hinter deutlich kleineren Universitäten wie Jena oder Gießen platziert gewesen, die zum Beispiel in der Philosophischen FaÜberdies wurde die Ausweitung der Zugangsberechtigung auf Frauen bisweilen mit Verweis auf die angebliche „Überfüllung“ der Universitäten abgelehnt . Dagegen argumentierte z . B . Simmel (1899) . 56 Bumm (1917), S . 5; Weber (1918), S . 1; Andronikow (1935), S . 138 . 57 Spranger (1916b), S . 42, 49 . 58 Mit einziger Ausnahme der Universität Göttingen, die erst nach der Inkorporation des Königreichs Hannover im Jahre 1866 zu einer preußischen Landesuniversität wurde . 59 Rasche (2007), S . 299 . 55

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kultät oftmals weit über 90 Prozent ihrer Doktortitel in absentia verliehen .60 Die Professoren der kleineren Universitäten betrachteten die dadurch gewonnenen Einnahmen als legitime Ergänzung ihrer vergleichsweise niedrigen Besoldung, obwohl ihnen freilich nicht verborgen bleiben konnte, dass Absenzpromotionen das Plagiatsunwesen förderten .61 Letztlich hielt „ein Ring persönlicher Interessen die Vertreter der einzelnen Fakultäten, die ordentlichen Professoren, zusammen“ und begünstigte derartige Missstände .62 Die Universitätskuratoren und -kanzler wiederum fürchteten zwar um den Ruf der Universität, wenn die Professoren „durch Geldgewinn sich bestimmen ließen und so den Tempel, in dem sie nur Priester sein sollen, auch zum Kaufhause machten“, wussten aber nur zu gut, dass viele ihrer Hochschullehrer ohne jene unmoralischen Sporteln nicht zu halten waren und akzeptierten daher diese Praxis (zumeist) stillschweigend .63 So konnte denn auch einem Vorstoß der Universität Berlin kein Erfolg beschieden sein, die sich bereits in den 1850er Jahren mit ihren Schwesterinstitutionen in Verbindung gesetzt hatte, um eine gedruckte Dissertation sowie eine öffentliche Disputation als einheitlichen Promotionsstandard auf allen deutschen Universitäten durchzusetzen .64 Den Anfang vom Ende der deutschen Absenzpromotionen markierte dann jedoch kein geringerer als Theodor Mommsen in einem 1876 in den Preußischen Jahrbüchern abgedruckten Aufsatz über „Die deutschen Pseudodoktoren“, in dem er beklagte, dass das „Fälschungsgeschäft“ mancher deutschen Hochschulen das internationale Prestige der „redliche[n]“ Universitäten schmälern und „die deutsche Ehre“ beschmutzen würde .65 In den USA stünde „der deutsche Doktor […] ungefähr so in Kurs […] wie die amerikanische Nähmaschine in Deutschland“ . Nachdem eine Autorität wie Mommsen öffentlich Kritik geübt hatte, trat eine Reihe weiterer preußischer Professoren auf den Plan und forderte das Verbot von Absenzpromotionen, die in ihren Augen ein unlauteres Wettbewerbsmittel darstellten . Das preußische Kultusministerium reagierte auf die Unmutsbekundungen und untersagte Über Gießen, das insbesondere von Studenten der per Bahn in wenigen Minuten zu erreichenden Universität Marburg mit Vorliebe aufgesucht wurde, um dort nach einem in Preußen absolvierten Studium den Doktorgrad zu erlangen, ulkte der Studentenwitz: „Auf der Eisenbahn in Giessen / Thät mich etwas sehr verdriessen: / Trotz allem Widersprechen / Reichte man mir in den Waggon / Ein philosophisches Doctordiplom / Ich musste aber dafür sechzig Gulden blechen“; Blanchard (1883), S . 73 . 61 Bezeichnenderweise grassierten die ärgsten Missstände zumeist auf den kleinen, schwach dotierten Universitäten; vgl . „Produktion an wissenschaftlichen Werken und Universitätsschriften“, in: Hochschul-Nachrichten 11 (1900/01), S . 123–124 . 62 Hasse (1887), S . 6 . Hasse war selbst ordentlicher Professor an der Universität Breslau, schrieb also nicht aus dem Neid eines Privatdozenten oder Extraordinarius heraus . Demgegenüber konstatierte Stefan Gerber für die Philosophische Fakultät der Universität Jena, trotz der gemeinsamen Interessen an den „Emolumenten“, eine differenzierte Haltung der Professorenschaft bezüglich der Promotionsfrage; vgl . Gerber (2004), S . 614 . 63 So der Jenaer Universitätskurator Moritz Seebeck; vgl . Gerber (2004), S . 619 . 64 Mehrere deutsche Universitäten hielten das Berliner Schreiben nicht einmal einer Antwort wert; vgl . Oberbreyer (31878), S . 5 . 65 Vgl . Mommsen (1876) . 60

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der Landesuniversität Göttingen, trotz massiven Widerstands aus deren Professorenschaft, die Verleihung von Doktortiteln in absentia . Damit war das Problem freilich noch nicht gelöst, da preußische Studenten problemlos auf die Universitäten der übrigen deutschen Bundesstaaten wechseln konnten, um dort ihren Doktortitel im wahrsten Sinne des Wortes zu erwerben . Die Juristische Fakultät der Universität Berlin wandte sich daher an das Unterrichtsministerium und machte die Behörde auf „erhebliche Mißstände in Betreff des Promotionswesens“ auf den außerpreußischen Universitäten aufmerksam, die zum Schutz der Landeshochschulen behoben werden müssten . Kultusminister Adalbert Falk (1872–1879) sah sich dafür jedoch nicht zuständig und antwortete der Fakultät, dass „mir sowohl das Material für die Beurtheilung, ob dieser Vorwurf wirklich begründet sei, als die Befugniß, mich darüber zum Richter aufzuwerfen“ fehle . Ferner müsse er es ablehnen, „eine Vereinbarung mit anderen nichtpreußischen Regierungen oder Universitäten über das Promotionswesen herbeizuführen“ .66 Hier war es folglich für die preußischen Universitäten von Nachteil, dass das Bildungswesen zu den Angelegenheiten der einzelnen Bundesstaaten gehörte, während die Mobilität der Studenten an deren Grenzen keinen Halt machte . Gleichwohl sollten Absenzpromotionen schon wenige Jahre später der Vergangenheit angehören, da Preußen bald nur noch Doktortitel anerkannte, die im Einklang mit den preußischen Promotionsvorschriften erlangt worden waren und auf diese Weise den „Promotionstourismus“ unterband .67 Zudem beschlossen die deutschen Kultusminister in den Jahren um 1900 reichsweite Mindeststandards für die Promotionsordnungen mehrerer Hochschulfächer, wobei das „Hauptverdienst […] dem preussischen Kultusministerium“ zufiel, das zum Wohle seiner Universitäten das größte Interesse an einer Einigung haben musste .68 Das Eingreifen des Staates bedeutete mittelfristig nicht nur das Ende der Promotionen in absentia, sondern führte darüber hinaus dazu, dass (bis zum späten Einlenken Heidelbergs im Jahre 1906) auf sämtlichen deutschen Universitäten – zumindest offiziell – nur mehr promoviert wurde, wer seine Doktorarbeit in gedruckter oder maschinenschriftlicher Form vorlegte und veröffentlichte .69 Die neuen, im ganzen Reichsgebiet geltenden Mindeststandards waren für die kleineren Universitäten mit spürbaren Einnahmeausfällen verbunden . Nicht nur brachen die Promotionszahlen auf Universitäten wie Gießen oder Jena regelrecht ein, auch mussten die Hochschulen nach Einführung des Druckzwanges (der erhöhte Ausgaben für die Doktoranden bedeutete) ihre Promotionsgebühren senken, „um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben“ .70 Zu den Gewinnern der Entwicklung gehörten im Übrigen

Centralblatt für die gesammte Unterrichts-Verwaltung in Preußen 18 (1876), S . 276–278, Zitate S . 311 . Tenorth (2010), S . 115 . „Zur neuen medizinischen Promotionsordnung“, in: Hochschul-Nachrichten 11 (1900/01): 30–31, S . 30 . Noch 1913 fanden sich Annoncen im Berliner Tageblatt, die deutsche Absenzpromotion bewarben, „obgleich doch alle Statuten […] dies ausschließen“; Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 7 . 70 Rasche (2007), S . 337 . 66 67 68 69

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nicht nur die preußischen Hochschulen und die Universität München, sondern ebenso amerikanische „Briefkastenuniversitäten“, die die entstandene Marktlücke rasch füllten und ihre Absenzpromotionen auch in Deutschland bewarben, wo sie als „Dr . Phil .“ (sprich: Doctor Philadelphiae) eine unrühmliche Bekanntheit erlangten .71 Darüber hinaus versuchten insbesondere die kleineren deutschen Universitäten die neuen Mindeststandards zu unterlaufen oder doch zumindest deren untere Grenzen auszuloten, weshalb eine „Reform der Doktorpromotion“ bis zum Ende des Kaiserreichs in Akademikerkreisen als dringlich und unerlässlich angesehen wurde .72 So hielt es der Heidelberger Nationalökonom Eberhard Gothein für eine Schande, dass man im „Ausland, wo der Doktortitel vielfach einen Sinn hat, […] denjenigen deutschen Ursprungs als ein Zeichen des unterbietenden deutschen Welt-Wettbewerbes“ ansehe und dementsprechend gering schätze .73 Vielleicht, meinte Gothein, sei der Versuch einer Beseitigung dieses Übels „so vergeblich, wie die Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsverfassung zu beklagen“, doch nahm er an, dass sich das Niveau deutscher Doktorarbeiten durch eine Verbesserung der Plagiatskontrolle anheben ließe .74 Der Münchner Staatsrechtler Karl von Amira pflichtete ihm bei und erklärte, dass die Professoren kein „ökonomisches Interesse an der Menge der Promotionen haben“ dürften, was bislang die durchschnittliche Qualität einer deutschen Doktorarbeit unter jene der französischen thèse gedrückt habe . Unter lebhaftem Beifall erläuterte Amira auf dem ersten deutschen Hochschullehrertag im Herbst des Jahres 1907, dass das gegenseitige Unterbieten in Bezug auf die Promotionsbedingungen dem „unlauteren Wettbewerb der Universitäten gegenüber Universitäten“ zugerechnet und demzufolge bekämpft werden müsse .75 Die deutschen Universitäten sollten sich auf gemeinsame Standards einigen und diese einhalten, da nur so die „Doktorfabriken ihren Massenbetrieb […] einstellen“ würden, wie Amiras Kollege Albert Kranold bemerkte, und zudem verhindert werden könne, dass der Staat sich erneut zu einem Eingreifen genötigt fühlt und die Hochschulen noch stärker „bureaukratisiert“ .76 Selbstredend, dass Amiras Plädoyer für eine „absolute Verstaatlichung der Gebühren“77 von mehreren Teilnehmern des Hochschullehrertages zurückgewiesen wurde . Nicht wenige Professoren der indirekt für ihre exorbitant hohen Promotionszahlen gerügten Universitäten

Vgl . „Führung ausländischer academ . Grade in Bayern“, in: Hochschul-Nachrichten 11 (1900/01), S . 224 . Diese Doktortitel wurden in Deutschland freilich nicht anerkannt und dienten – wie z . B . im Falle Karl Mays – vor allem zur Befriedigung persönlicher Eitelkeit . 72 Amira (1912/13) . Max Weber bezeichnete es als Schande, dass allein die Juristische Fakultät der Universität Leipzig nach seinen Berechnungen zwischen 1885 und 1906 statistisch gesehen rund 1,5 Doktoranden pro Tag promovierte; Weber (1909), S . 675 . 73 Gothein (1911), S . 784 . 74 Gothein (1911), S . 785 . 75 Deutscher Hochschullehrertag (1908), S . 15 . 76 Kranold (1913/14), S . 531; vgl . dazu auch Beer (1913/14) . 77 Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 34 . 71

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sahen keinen Handlungsbedarf und bestritten vehement, dass Doktortitel wegen „lumpigen zwanzig Mark“ verkauft würden .78 Dennoch folgte eine Mehrheit der Teilnehmer des 1913 in Straßburg abgehaltenen fünften Deutschen Hochschullehrertages Amira in dessen Argumentation: Wenn eine Art Freizügigkeit des Doktortitels besteht, muß verlangt werden, daß er überall die gleiche Bedeutung hat . (…) Denn gerade die Ungleichheit ist die Ursache (…) für die berüchtigte Konkurrenz, die man den Fakultäten in bezug auf die Anlockung der Doktoranden vorwirft .79

In der Konkurrenz um Studierende und die durch sie zu generierenden Einnahmen sollen sich demnach einige Universitäten bei den Promotionsanforderungen gegenseitig unterboten haben, um sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen . Ein großes Problem stellten in diesem Zusammenhang die österreichischen Universitäten dar, die zum Teil keine schriftliche Doktorarbeit verlangten und lediglich eine mündliche Prüfung vornahmen . Die erst wenige Jahre zuvor mit dem Promotionsrecht ausgestatteten Technischen Hochschulen nahm Amira hingegen ausdrücklich von seiner Kritik aus, da dort – „vielleicht weil die Besen noch neu sind“ – keine Missstände zu beklagen seien .80 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 und die bereits angesprochenen Unstimmigkeiten unter den Professoren verhinderten eine rasche Lösung der Promotionsfrage, doch führte zumindest die offene Diskussion über das Problem dazu, dass „ein Übereifer, ein Wetteifer unter den einzelnen Dozenten entstand […], sich gegenseitig zu überbieten . Damit ist die Qualität der Dissertationen […] höher geworden“ .81 Wenngleich diese Annahme des Straßburger Kunsthistorikers Georg Dehio als sehr optimistisch zu werten ist, muss ihm doch darin rechtgeben werden, dass sich die Qualität der Universitäten und der von ihren Professoren betreuten Doktorarbeiten durch einen Wettbewerb der Institutionen und Hochschullehrer nicht nur verschlechtern, sondern auch verbessern konnte, wenn als Prämien zusätzlich Prestige und Anerkennung statt rein pekuniärer Interessen im Vordergrund standen .

So z . B . der Freiburger Historiker Georg von Below; Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 38 . Von Leipziger Professoren (deren Alma Mater aufgrund der hohen Zahl an Promovenden an der Juristischen Fakultät in der Kritik stand) hieß es, dass zwar „bei allen das Bedürfnis nach einem reinen Hemd vorhanden“ sei, jedoch nicht offen darüber gesprochen werden sollte . Das Eingeständnis von Missständen könne zu der Schlussfolgerung verleiten, dass „das finanzielle Interesse wirklich in der akademischen Welt zu einer Krankheit geworden wäre . Wir stellen uns der Welt gegenüber bloß . Sie müssen bedenken, daß das, was wir hier besprechen, in die Öffentlichkeit geht“ . Ohnehin seien die Promotionen auf jenen Universitäten, die keine Absenzpromotionen anböten, letztlich „um keinen Pfifferling besser“ als in Leipzig; Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 46f-47, 56 . 79 Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 19 . 80 Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 8 . 81 Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 71 . 78

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Nicht nur der Wettbewerb um Studenten, auch die interinstitutionelle Konkurrenz um Professoren wurde im Kaiserreich auf neue Grundlagen gestellt . Einen ersten Eindruck von der Situation, in der sich die deutschen Universitäten in den Gründerjahren aus zeitgenössischer Sicht befanden, vermittelt folgendes Zitat aus einem 1874 erschienenen Aufsatz über die angespannte finanzielle Lage der Universität Jena: [S]eit 1871 wachsen die Ansprüche der Professoren von Jahr zu Jahr zusehends . Nicht ohne ein gewisses Gefühl des Schmerzes über den Untergang der alten guten Zeiten, wo Professoren genug und billig zu haben waren, wird manchmal das Reich als Urheber dieser Noth bezeichnet . Das Reich stiftete die Universität Straßburg, geizte nicht mit Geld und nahm von den übrigen deutschen Universitäten eine ziemliche Anzahl von Lehrern hinweg . Dadurch, meint man, sei (…) eine Preissteigerung der Lehrarbeit hervorgerufen worden82

Der beispiellose wirtschaftliche Aufschwung nach der politischen Einigung Deutschlands und das Wiederaufleben der alten Straßburger Hochschule als Reichsuniversität hinterließen deutliche Spuren in der Bildungslandschaft . Freilich spielten finanzielle Mittel seit jeher eine vitale Bedeutung für den Erhalt der Universitäten und die Attrahierung von Wissenschaftlern, doch die ökonomische Entwicklung nach dem Deutsch-Französischen Krieg führte zu einer noch engeren Bindung der Hochschulen an das kapitalistische Wirtschaftssystem, da sich die Gehälter der Professoren nunmehr an den sprunghaft ansteigenden Verdienstmöglichkeiten außerhalb des staatlich kontrollierten Wissenschaftsbereichs orientieren mussten, wenn erfolgreiche Hochschullehrer angeworben oder der Landeshochschule erhalten werden sollten . Während die größeren Bundesstaaten und das Reich dank sprudelnder Steuereinnahmen und französischer Reparationszahlungen auch eine deutliche Erhöhung der Professorengehälter finanzieren konnten, gerieten die kleineren Bundesstaaten in ernste Schwierigkeiten, verloren einen Gutteil der an ihren Landesuniversitäten wirkenden Spitzenwissenschaftler und mussten sich mit günstigen, ergo vergleichsweise unbekannten oder erfolglosen Dozenten begnügen .83 So fächerten sich die deutschen Universitäten in Aufstiegs-, Durchgangs- und Endstationsuniversitäten auf, wie Marita Baumgarten in ihrer vielzitierten Studie nachweisen konnte, wobei sich letztere nur in den drei großen und wirtschaftsstarken deutschen Bundesstaaten Preußen, Bayern und Sachsen befanden .84 Das verstaubte Modell der Familienuniversität, das bereits um 1800 als weitgehend überwunden galt, jedoch um die Mitte des 19 . Jahrhunderts an einigen kleineren Hochschulen eine Renaissance erlebte, konnte sich im Kaiser„Die finanzielle Lage der Universität Jena“, in: Die Grenzboten 33, no . 3 (1874): 281–298, 321–335, S . 293 . Wie schwierig die Bleibeverhandlungen bei einem Ruf aus Straßburg waren, zeigt das Beispiel des Jenenser Zoologen Ernst Haeckel, dem das Angebot unterbreitet wurde, sein Gehalt selbst zu bestimmen; vgl . Gerber (2004), S . 580 . 84 Vgl . Baumgarten (1997) . Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Gießener Statistiker Etienne Laspeyres bereits 1882 . Er stellte einen Kausalzusammenhang zwischen dem Durchschnittsalter der Professoren und der Position der Hochschulen auf der Karriereleiter der Hochschullehrer her; vgl . Laspeyres (1882) . 82 83

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reich ebenso wenig behaupten wie die bevorzugte Berufung von Landeskindern, wie sie beispielsweise noch 1864 vom bayerischen König Ludwig II . gefordert worden war .85 Folglich wechselten die Hochschullehrer (wieder) häufiger ihre Wirkungsstätte – auch über die engeren Landesgrenzen hinaus – und wurden sich aufgrund der Verhandlungen mit den Kultusverwaltungen sozusagen ihres Marktwertes bewusst, den sie in den oft zähen Berufungsverhandlungen freilich auch einforderten . Dem Ansehen der Professoren tat dieses, aus der Entwicklung des Hochschulsystems durchaus erklärliche Verhalten indes einen großen Abbruch, was sich aus den gehässigen Veröffentlichungen der finanziell weitaus schlechter gestellten Extraordinarien und Privatdozenten ebenso ablesen lässt wie aus der abfälligen Bemerkung des preußischen Ministerialdirigenten Friedrich Althoff, der feststellte: „Professoren und Huren kann ich mir an jeder Straßenecke kaufen“ .86 Welche Akteure bestimmten nun die interuniversitäre Konkurrenz um Professoren? Wie veränderte sie sich im Vergleich zum frühen 19 . Jahrhundert, welche Entwicklung nahm sie in den mehr als vierzig Jahren von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg? Und wie wurde interuniversitäre Konkurrenz in den Universitäten und Kultusministerien wahrgenommen? Für Berufungsverfahren im Kaiserreich gilt, was der Historiker Stefan Gerber für die Staatsaufsicht der Universitäten festgestellt hat: Eine „für den historischen Betrachter verwirrende Wandelbarkeit“ tritt beim Quellenstudium zu Tage, die verallgemeinernde Feststellungen sehr erschwert .87 Entscheidend waren zumeist das Amtsverständnis und persönliche Durchsetzungsvermögen der Universitätskuratoren und Professoren einerseits sowie der Kultusminister und ihrer Untergebenen andererseits . Die wenigen geschriebenen und zahlreichen, aber wandelbaren ungeschriebenen Regeln eröffneten einen weiten Handlungsspielraum, der genutzt werden konnte . De facto hatten im Deutschen Reich sämtliche Universitäten das Recht, eine Vorschlagsliste für die Besetzung vakanter Lehrstühle zu erstellen, obwohl manche Universitätsstatuten keinerlei Ausführungen darüber enthielten . Dieses Vorschlagsrecht verschaffte den Universitäten insofern bedeutenden Einfluss, als vakante Lehrstellen nicht öffentlich ausgeschrieben wurden und Bewerbungen im Kaiserreich unüblich waren .88 In Baumgarten (2004); vgl . Hashagen (2003), S . 201 . Untersuchungen zu den Berufungsverhandlungen im Kaiserreich deuten darauf hin, dass die Herkunft der Kandidaten auf Technischen Hochschulen ein größeres Gewicht behielt als auf den autonomeren Universitäten, jedoch vor allem bei gleicher Eignung zum Tragen kam . August von Kluckhohn, Direktor der TH München, bezeichnete es beispielsweise als „selbstverständlich […], daß unter gleich gut Qualifizirten einem Bayern der Vorzug zu geben sei“; Directorium der Technischen Hochschule München an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten, 25 .6 .1880, BayHStA MK 19557 . 86 Zit . nach: Vom Brocke (2012), S . 84 . Althoffs Aussage bezieht sich offenkundig auf das Sprichwort „Gelehrte und Huren kann man für Geld haben“, das seit dem 18 . Jahrhundert geläufig war; vgl . Reicke (1900), S . 143 . 87 Gerber (2004), S . 203 . 88 Vgl . Kaesler (2014), S . 392 . 85

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Preußen konnte der „geniale Ministerialdirigent“ Friedrich Althoff, der von Wilhelm II . ob seines seemännischen Aussehens und in Anspielung auf Otto von Bismarck treffend als „Lotse“ bezeichnet wurde, im Laufe seines mehr als zwanzigjährigen Wirkens im Kultusministerium ein immer dichter werdendes Netz von Vertrauensleuten aufbauen, dessen Fäden in seinen Händen zusammenliefen und Berufungen nur mit seiner persönlichen Zustimmung ermöglichten .89 Zu Althoffs Beratern gehörten Koryphäen ihrer Lehrfächer wie Theodor Mommsen und Adolf Harnack, von denen der Ministerialdirigent annehmen konnte, dass sie die fachliche Eignung der Kandidaten zu bewerten wussten und ihr Urteil ohne Beimischung persönlicher Interessen an ihn weiterleiten würden, da sie selbst bereits an der Spitze der Karriereleiter standen . Während ein Teil von Althoffs Vertrauten die Qualität der wissenschaftlichen Veröffentlichungen bewertete, suchten andere die Vorlesungen der Kandidaten auf, um ihre rhetorische Begabung zu erkunden .90 An diese Gutachten schloss sich bei in Preußen unbekannten Wissenschaftlern drittens eine Prüfung der charakterlichen Eignung an, die Althoff zumeist selbst vornahm . Dazu bestellte er die Lehrstuhlaspiranten bisweilen in sein Büro, mit Vorliebe jedoch in ein Berliner Nachtlokal, um in möglichst ungezwungener Atmosphäre Informationen über die politische Haltung, den familiären Hintergrund und die Persönlichkeit der Wissenschaftler zu sammeln .91 Insbesondere an Universitäten der kleineren deutschen Bundesstaaten bestimmte demgegenüber das Professorenkollegium „über Sein oder Nichtsein im akademischen Wettbewerb“, da dort die Kultusbehörden aufgrund fehlender personeller und finanzieller Mittel keine eigene Berufungspolitik betreiben konnten und lediglich die Vorschläge der Fakultäten (ihre Finanzierbarkeit vorausgesetzt) umzusetzen versuchten .92 Durch das Spannungsverhältnis zwischen Professorenschaft und Kultusbeamten, die sich gegenseitig des Öfteren vorwarfen, nach außerwissenschaftlichen Kriterien zu urteilen und stets bestrebt waren, (vermeintliches) Fehlverhalten der Gegenseite aufzudecken, bestand eine wechselseitige Kontrolle, die dem interuniversitären Wettbewerb um Wissenschaftler alles in allem förderlich war . Die Oktroyierung von Wissenschaftlern durch das Kultusministerium war dabei ein legales, an den Universitäten aber freilich ungern gesehenes und vehement bekämpftes Instrument staatlicher Personalpolitik, das angewendet wurde, wenn zwischen Fakultät und Kultusministerium

Der „geniale Ministerialdirigent“ ist ein Zitat Wilhelms II . in vom Brocke (2010), S . 104; als „Lotse“ wird er z . B . in Schmidt-Ott (1952), S . 19, tituliert . 90 Vgl . Meinecke (1941), S . 214–215 . Diese, aufgrund ihres Alters und Auftretens meist recht auffälligen Herren wurden unter Akademikern als Spione Althoffs bezeichnet . Der später sehr bekannt gewordene Historiker Friedrich Meinecke vermutete, dass Althoff auf diese Weise von seinem Stottern erfuhr und ihn deswegen – trotz eines positiven Fakultätsvotums – nicht berief . 91 Berichte über Althoffs gefürchtete Befragungen sind Legion . In literarischer Verfremdung, dennoch vielleicht mit am treffendsten, wird ein solches Zwiegespräch in Wilhelm Hegelers Roman Flammen, Berlin 3 1905, ab Seite 70 geschildert . 92 Steinbach (2005), S . 213 . 89

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keine Einigkeit erzielt werden konnte .93 Insbesondere durch die von Althoff durchgefochtenen Oktroyierungen konnte einigen der bedeutendsten deutschen Forscherpersönlichkeiten eine Hochschulkarriere ermöglicht werden, während die Gegenkandidaten der Fakultäten heute vielfach der Vergessenheit anheimgefallen sind .94 Selbstverständlich bestand aber auch für die Universitäten ein Anreiz, untereinander in Konkurrenz um die fähigsten Lehrkräfte einzutreten . „Ihre Ehre, ihr Ruf hängt davon ab, wie sie zusammengesetzt ist“, stellte etwa der deutsch-österreichische Chirurg Theodor Billroth fest . Nicht das Ministerium, sondern die Fakultät werde schließlich in der Gelehrtenwelt für die mangelnde Qualität des Lehrkörpers verantwortlich gemacht: „Niemand frägt dabei: wer hat denn die Facultät so zusammengesetzt? Der Minister ist freilich von Staatswegen dafür verantwortlich, doch nur sie selbst wird von ihren Schwester-Facultäten und von der ganzen Welt für ihre geringe Leistung verantwortlich gemacht“ .95 Während die Großstadtuniversitäten, allen voran Berlin, als besonders kompetitiv angesehen wurden, galten die ehemaligen Familienuniversitäten und ihr kleinstädtisches Umfeld noch immer als konkurrenzfeindlich und anfällig für Nepotismus .96 Tatsächlich gab es insbesondere an kleineren Universitäten einflussreiche Professorencliquen, die potentielle Kandidaten nach persönlichem Wohlwollen vorschlugen .97 Massive Einschränkungen erfuhr der Wettbewerb um Wissenschaftler durch Vorurteile gegenüber Juden und Katholiken und eine politische Berufungspolitik . „[A]uf den deutschen Hochschulen herrscht ein stiller, aber tiefgehender antisemitiVgl . Naumann (1909), S . 32–33 . Die Zahl der Oktroyierungen war keineswegs höher als vor oder nach seinem Amtsantritt wie Zeitgenossen behaupteten und die historische Forschung noch bis vor wenigen Jahren annahm . Zu den von Althoff gegen erheblichen universitären Widerstand geförderten Wissenschaftlern gehörten namhafte Professoren wie Max Delbrück, Emil von Behring (dem Althoff eine Professur in Marburg verschaffte, obwohl die Fakultät dreimal dagegen votierte) und Paul Ehrlich . Letztgenannter dankte Althoff nach dessen Rücktritt für die ihm zugekommene Unterstützung mit den Worten „Ich persönlich danke Ihnen meine ganze Karriere […] . Als Assistent herumgeschubst, in den engsten Verhältnisse [sic!] eingezwängt – von der Universität absolut ignoriert –‚ kam ich mir ziemlich unnütz vor . Ich habe nie einen Ruf an die kleinste Stelle erhalten und galt als Mensch ohne Fach, d . h . vollkommen unverwertbar . Wenn Sie da nicht mit starker Hand und genialer Initiative für mich eingetreten wären, wenn Sie mir nicht mit rastlosen [sic!] Eifer und gütiger Freundschaft die Arbeitsmöglichkeiten zurechtgemacht hätten, […] wäre ich vollkommen brachgelegt gewesen“; Brief P . Ehrlichs an F . Althoff vom 27 .7 .1907; teilw . abgedr . in: Lischke (1990), S . 86 . 95 Billroth (1876), S . 297 . 96 Der Chemiker Wilhelm Ostwald beschrieb in seiner Autobiographie ein „allzumenschliches Stücklein, das die Berliner Luft kennzeichnete .“ Als er nach einem üppigen Mittagsmahl mit Berliner Kollegen einen Ausflug unternahm, „glänzten uns lange Reihen gedeckter Kaffeetische entgegen, die dem wohlgefüllten Magen neue Anstrengungen zumuteten . Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich die in der Front wandernden Fachgenossen immer schneller sich bewegen, und diese Beschleunigung auch die Folgenden erfassen sah, bis ein förmlicher Wettlauf, und kein lachender, nach den Kaffeetischen eingetreten war . Was trieb diese gesättigten Menschen an, die doch alle auf Bildung Anspruch erhoben, und ließ sie alle Selbstbeherrschung vergessen? Es war eine unwillkürliche Äußerung des Konkurrenzkampfes und -neids, der die tägliche Lebensluft dieser Stadt erfüllte“; Ostwald (1933a), S . 239–240 . 97 Vgl . Morgenstern (2013) .

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scher Sinn“ versicherte etwa der Bonner Pharmakologe Carl Binz in einem 1893 verfassten Schreiben an den preußischen Ministerialdirigenten Friedrich Althoff .98 Nicht die persönliche Leistung allein, sondern auch eine Intoleranz gegenüber Personen, die nicht der protestantischen Kirche angehörten, soll den interuniversitären Wettbewerb um Wissenschaftler geprägt haben . Ein Blick in die Universitätsstatistiken scheint Binz’ Annahme zu bestätigen: Zwar waren Juden in allen Lehrpositionen im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich überrepräsentiert, doch überstieg der prozentuale Anteil jüdischer Privatdozenten jenen der jüdischen Ordinarien um ein Vielfaches .99 Umgekehrt verhielt es sich bei den Katholiken: Sie waren in allen akademischen Lehrpositionen unterrepräsentiert, stellten aber prozentual mehr ordentliche Professoren als Privatdozenten . Dies war zum einen darauf zurückzuführen, dass auf einigen Universitäten die Besetzung bestimmter Lehrstühle ausschließlich Katholiken vorbehalten war, zum anderen darauf, dass das preußische Kultusministerium zu Althoffs Zeiten ebenso wie die bayerische Unterrichtsverwaltung katholische Kandidaten bei gleicher Eignung aus politischen Überlegungen heraus bevorzugt berief .100 In den Fakultäten wurden Katholiken bei der Erstellung der Vorschlagslisten hingegen ebenso wie Juden benachteiligt, da ihnen – insbesondere nach den päpstlichen Enzykliken „Syllabus errorum“ (1864) und „Pascendi“ (1907) – eine unabhängige Forschertätigkeit vielfach abgesprochen und eine „Inferiorität […] auf wissenschaftlichem Gebiete“ unterstellt wurde .101 Weitaus seltener ausgesprochen wurde demgegenüber, dass die Professorenkollegien mehrerer preußischer Hochschulen (namentlich der Universitäten Berlin, Königsberg und Halle an der Saale) ihre Universitäten als Bollwerke des Kulturprotestantismus betrachteten, deren exklusiven konfessionellen Charakter sie im vermeintlichen Interesse ihrer Alma Mater, Preußens und des Reiches zu bewahren gedachten .102 So hatte es in einem Gutachten der Universität Königsberg aus dem Jahr 1860 geheißen, dass es zumindest einem Teil der preußischen Hochschulen gestattet sein müsse, grundsätzlich Juden und Katholiken von sich auszuschliessen [(…), da] der Preussische Staat seine ganze Existenz wesentlich aus dem Protestantismus geschöpft hat und unserer Ueberzeugung nach auch ferner schöpfen muss . Er ist der Hort der Protestanten in

Carl Binz an Friedrich Althoff (13 .1 .1893); zit . nach: Ebert (2008), S . 531 . Als Juden sollen im Folgenden jene Wissenschaftler bezeichnet werden, die der jüdischen Konfession angehörten . Der Soziologe Thorstein Veblen führte die hohe Kompetivität jüdischer Intellektueller auf ihre „Unbefangenheit“ und Skepsis zurück, die sie als Grenzgänger zwischen den Kulturen kennzeichne; vgl . Veblen (1919) . 100 Vgl . Sachse (1928), S . 129 . 101 Lossen (1901), S . 51 . 102 In Halle und Königsberg war der protestantische Charakter der Universität statuarisch festgelegt . Auch Berlin galt als „Hochburg des freien Protestantismus“, wie der Historiker Max Lenz in der Ablehnung eines von Althoff unterstützten Habilitationsgesuchs des Katholiken Martin Spahn ausführte . „Es ist uns schmerzlich das geändert zu sehen“, so Lenz; zit . nach: Cathrein (1903), S . 271 . 98 99

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Deutschland, und er muss eine Universität, in welcher der evangelische Geist sich ungetrübt und unbeirrt durch fremdartige [!] Elemente fortpflanzt, als ein Kleinod hochschätzen .103

Das preußische Kultusministerium teilte diese Ansichten im späten 19 . Jahrhundert jedoch nicht (mehr), sondern strebte vielmehr eine Öffnung der protestantischen Universitäten für katholische und jüdische Hochschullehrer an . Im Unterschied zu den protestantischen Universitäten hatten die Hochschulen im katholischen Süddeutschland ihren konfessionellen Charakter bereits zu Beginn des 19 . Jahrhunderts verloren, so dass (wie etwa im Falle der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität) Katholiken auch dort zum Teil weniger als ein Drittel aller Ordinarien stellten und in Berufungsfragen leicht überstimmt werden konnten .104 Von katholischer Seite hieß es daher, „daß die Oktroyierung seitens der Regierung die einzige Möglichkeit ist, zu einer tatsächlichen Gerechtigkeit zu kommen . Diese Fakultäten, die […] den Mund von Voraussetzungslosigkeit voll nehmen, sind in der Praxis weit davon entfernt, sie auszuüben .105 Ohne die ausgleichende Gerechtigkeit der Regierung würden die Universitäten dem Terrorismus der Gruppen anheim fallen“ .106 Protestantische Hochschullehrer unterstellten wiederum ihren jüdischen Kollegen, Glaubensgenossen zu bevorzugen und befürchteten, dass die (vermeintlich) kompetitiveren Juden protestantische Hochschullehrer verdrängen würden, sofern diese sich nicht Widerstand leisteten .107 Sogar der liberale Pädagoge und Althoff-Vertraute Friedrich Paulsen legitimierte die Benachteiligung jüdischer Wissenschaftler und damit verbundene Eingriffe in den Wettbewerb um Hochschullehrer mit der Äußerung: Würden die gelehrten Berufe rückhaltlos, wie die übrigen wissenschaftlichen Berufe dem freien Wettbewerb überlassen, dann müßte, so scheint es, allmählich der Zustand eintreten, daß sie, wenn nicht in monopolistischen Alleinbesitz, so doch ganz überwiegend in den Händen der durch Wohlstand, Energie und Zähigkeit überlegenen jüdischen Bevölkerung wären . Daß kein europäisches Volk einen solchen Zustand ertragen würde, daß es ihn als Fremdherrschaft empfinden und mit Gewalt abwerfen würde, daran wird nicht zu zweifeln sein . […] Man wird demnach den Gegendruck gegen das Überhandnehmen

Zit . nach: Prutz (1894), S . 283 . Vgl . Baumgarten (1997), S . 116 . Die Angabe bezieht sich auf das Jahr 1880 . Im Zusammenhang mit dem sog . Fall Spahn sprach der Münchner Nationalökonom Lujo Brentano von einer „voraussetzungslosen Forschung“ protestantischer Wissenschaftler . Theodor Mommsen bediente sich des unverzüglich von katholischer Seite kritisierten Begriffs „Voraussetzungslosigkeit“ in seiner literarischen Fehde mit Friedrich Althoff, der den Katholiken Spahn gegen den Willen der Fakultät mit einem Lehrstuhl an der Reichsuniversität Straßburg betraut hatte; vgl . dazu: Kempski (1952) . 106 So der katholische Historiker Aloys Schulte in einem Brief an Friedrich Althoff aus dem Jahre 1903; zit . nach Raab (1987), S . 77 . 107 Vgl . Schmoller (1916), S . 426 . 103 104 105

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der Juden in den gelehrten Berufen, soweit sie mit einer öffentlichen Autorität ausgestattet sind, so hart er dem Einzelnen werden mag, nicht überhaupt verwerflich nennen können .108

Paulsens Ausführungen stießen sowohl unter Protestanten als auch unter Katholiken auf breite Zustimmung .109 Viele Juden wiederum versuchten sich deutlich von katholischen Wissenschaftlern abzugrenzen und Gemeinsamkeiten zwischen liberalem Judentum und Protestantismus herauszustreichen, was jedoch kaum mehr half, als der Umgang mit Juden „keine religiöse, sondern eine Frage der Nationalität, wenn Sie so wollen, der Raçe“ wurde .110 Sowohl für Juden als auch für Katholiken war ein Konfessionswechsel zum Protestantismus für den Erfolg der akademischen Karriere von Vorteil, wenngleich ihnen ein Taufschein respektive ein jüdischer Name weiterhin als Makel angerechnet wurden .111 Zudem schloss sich ein nicht unerheblicher Teil römisch-katholischer Wissenschaftler nach dem sogenannten Unfehlbarkeitsdogma (1870) den Altkatholiken an und bekundete damit eine freie Forschertätigkeit ohne päpstliche Bevormundung und ihre Loyalität gegenüber dem jungen Deutschen Reich .112 Manche katholischen Wissenschaftler gingen dabei so weit, dass sie das Unfehlbarkeitsdogma sogar als „zweite Kriegserklärung“ gegen Deutschland bezeichneten, die im Unterschied zur französischen nicht dem deutschen Boden, sondern der deutschen Wissenschaft gelte .113 In Akademikerkreisen gereichte ihnen das zwar zum Vorteil, das preußische Kultusministerium bevorzugte Altkatholiken jedoch nach dem Ende des Kulturkampfes nicht mehr, um die Beziehungen zum Heiligen Stuhl nicht zu belasten .114 Um einer Benachteiligung zu entgehen, regten römisch-katholische Wissenschaftler während des 19 . und 20 . Jahrhunderts wiederholt die Gründung einer katholischen Universität in Deutschland an .115 Bis zur Gründung Eichstätts (1980) blieb es bei einem Gedankenkonstrukt, da weder katholische noch protestantische Bundesstaaten derartige Projekte unterstützten und Befürchtungen aufkamen, dass eine katholische Universität als zweitrangig empfunden und sich folglich im Wettbewerb mit den bestehenZit . nach: Hammerstein (1995), S . 13 . Der Philosoph und Universitätskritiker Max Kemmerich hielt demgegenüber fest: „Diese Zurücksetzung [der Juden] verstößt nicht nur gegen die Verfassung und ist überdies mittelalterlich, sie ist auch eine Unehrlichkeit . Denn wer zur Konkurrenz zugelassen ist, muß legal beurteilt werden .“ Nur mittels einer strikt leistungsorientierten Berufungspolitik könnten die deutschen Universitäten „ihre glorreiche historische Stellung behaupten“; Kemmerich (1910), S . 83, 85 . 110 Zitat Harry Bresslaus in: Hammerstein (1995), S . 46 . 111 Vgl . Breslauer (1911), S . 9 . 112 Vgl . Boockmann (1999), S . 218 ff . 113 So der katholische Theologe Ignaz von Döllinger; zit . nach Borutta (22011), S . 108 . 114 Vgl . Borutta (22011), S . 84 . 115 Freiburg im Breisgau, Fulda, München, Münster i . W . und Würzburg galten als mögliche Standorte; vgl . Hammerstein (1995), S . 21 . 108 109

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den Hochschulen nicht würde behaupten können . Außerdem war mit der Gründung einer katholischen Universität im schweizerischen Freiburg im Üechtland (1889) eine Hochschule geschaffen worden, die zumindest in den ersten Semestern zahlreiche katholische deutsche Hochschullehrer berief, bis ein heftiger Nationalitätenkonflikt den Charakter der Universität nachhaltig veränderte .116 Ähnliche Überlegungen veranlassten jüdische Kreise, das Frankfurter Projekt einer Stiftungsuniversität zu unterstützen, das mit dem Stiftungsrat ein Kontrollgremium gegenüber potentiell antijüdischen Fakultätsvoten vorsah . Katholiken und Juden machten jedoch bisweilen auch die Kultusministerien für konfessionsbedingte Wettbewerbsverzerrungen verantwortlich, was in manchen Fällen als zutreffend angesehen werden muss . Allerdings stellte die linksliberale Frankfurter Zeitung 1897 wohl mit einiger Berechtigung fest, dass „die konfessionelle Engherzigkeit gegen katholische und jüdische Gelehrte weit eher in den Fakultäten ihren Sitz [hatte] als im Kultusministerium . Auf einen Fall, wo aus konfessionellen Gründen ein sonst tüchtiger Gelehrter vom Kultusministerium abgelehnt wurde, kommen 10 Fälle, in denen er aus denselben Gründen von den Fakultäten gar nicht zum Vorschlag gebracht wurde“ .117 Anders gestaltete es sich freilich, wenn Wissenschaftler den Behörden aufgrund ihrer politischen Überzeugungen negativ auffielen, beispielsweise als aktive Mitglieder der SPD, Pazifisten oder Kritiker der Reichsregierung .118 In solchen Fällen versuchten die Ministerien, eine Berufung auch bei fachlicher Eignung zu verhindern oder sogar eine Entfernung aus dem Lehrbetrieb zu erzwingen, wie es bei dem sozialdemokratischen Privatdozenten Leo Arons gegen den Willen der Fakultät und in rechtlich fragwürdiger Weise geschah .119 Professoren konnten demgegenüber, wenn sie erst einmal ernannt worden waren, nicht mehr abberufen werden, selbst wenn sie sich in ihren Vorlesungen und Seminaren offen als Gegner der bestehenden Staatsordnung präsentierten . Dies führte dazu, dass Sympathien für revolutionäre Parteien, die für sich genommen auch in den Ministerien nicht als Grund für die Behinderung einer akademischen Karriere angesehen wurden, dort dennoch zu Misstrauen und erhöhter Vorsicht Anlass gaben . Dem Nationalökonomen Werner Sombart wurde daher in den 1890er Jahren von seinem Vater geraten, „nicht mit den Socialdemokraten zu coquetieren“ . Nur zu schnell könne er sich andernfalls „die Gunst Althoffs […] verscherzen“ .120 Während das preußische und das bayerische Kultusministerium wiederholt aufgrund

Vgl . Universität Freiburg i . Üe . (1991), S . 70 ff . Zit . nach: Hehl (2011), S . 293 . Vgl . vom Bruch (1997), S . 16–17 . Es wurde allerdings wiederholt hervorgehoben, dass die sog . Lex Arons gegen den ausdrücklichen Willen Althoffs verabschiedet wurde und der Wunsch nach Entfernung Arons von Kaiser Wilhelm II . persönlich ausgegangen war . Aufgrund Althoffs liberaler Berufungspolitik ging das Gerücht, er sei ein Katholik und „Nährvater des Kathedersozialismus“, wie die Rheinisch-Westfälische Zeitung im Juni 1900 schrieb; zit . nach: Vom Brocke (2012), S . 85 . 120 Zit . nach: Lenger (32012), S . 64 . 116 117 118 119

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einer parteipolitischen Berufungspolitik in die Kritik gerieten, galten die badische sowie die sächsische Unterrichtsverwaltung in dieser Angelegenheit als vergleichsweise liberal .121 Die interuniversitären Konkurrenz um Professoren war folglich von den unterschiedlichen Wettbewerbsregeln der einzelnen Bundesstaaten überlagert . Da nur ein Teil der deutschen Universitäten auch linksorientierte Professoren berufen konnte, blieb dieser Hochschullehrergruppe oft nur der Weg ins Ausland (wovon vor allem die Schweiz und die USA profitierten) oder ein Berufswechsel . Dieser Wettbewerbsnachteil wurde in der sozialdemokratischen Presse mehrfach angeprangert . Kaum Abhilfe schaffen konnte freilich die 1906 gegründete Parteihochschule der SPD, die Bernd Braun etwas übertrieben zu einer sozialistischen Alternativuniversität des Kaiserreichs erklärte .122 Die Parteihochschule durfte allerdings keine akademischen Abschlüsse vergeben (und stand damit außerhalb des deutschen Hochschulsystems) und heftete ihren Lehrkräften gleichsam das Stigma der Sozialdemokratie an, wodurch sie in der Nomenklatur Marita Baumgartens zugleich zu einer Einstiegs- und Endstationshochschule wurde . Da nicht nur die staatlichen Organe, sondern auch eine Mehrheit der Ordinarien den Sozialismus ablehnten, wurden Anhänger linker Parteien freilich auch nur selten von den Fakultäten in Vorschlag gebracht, was ihre Karrierechancen weiter verringerte .123 Um Wissenschaftler jedweder politischer Couleur berufungsfähig zu machen und somit den interuniversitären Wettbewerb um Hochschullehrer allein auf wissenschaftliche Kriterien ausrichten zu können, plädierte Max Weber dafür, dass sich die Professoren am Katheder eine Zurückhaltung in tagespolitischen Fragen auferlegen, fand aber auf dem deutschen Hochschullehrertag 1908 keine Mehrheit für diesen Vorschlag .124 Die Furcht vor sozialistischen Professoren, die ihr Amt zur Verbreitung politischer Propaganda nutzen könnten, blieb folglich bis zum Untergang des Kaiserreichs bestehen .125 Wenngleich die Zahl der aus politischen Gründen in ihrem beruflichen Fortkommen behinderten Wissenschaftler vergleichsweise überschaubar gewesen sein dürfte, so bewirkte diese staatliche Vorgehensweise doch, dass sich viele deutsche Hochschullehrer aus Opportunitätsgründen eine politische Zurückhaltung auferlegten (was unter anderem am deutlichen Rückgang der Reichstagskandidaturen von Professoren ab den 1890er Jahren abgelesen werden kann) oder aber als demonstrativ kaisertreue, loyale Unterstützer der Regierung auftraten, wie es etwa in der offensiven Flottenpropaganda deutscher Professoren um die Jahrhundertwende zum Ausdruck Das bayerische Kultusministerium bevorzugte Anhänger des Zentrums, während die preußische Unterrichtsverwaltung Nationalliberale begünstigte . Max Weber formulierte es übertrieben und streitsüchtig so, dass er mit dem Wechsel von Preußen nach Baden „in reinere Luft“ geraten sei; zit . nach: Sachse (1928), S . 111 . 122 Vgl . Braun (2001), S . 193 . 123 Vgl . vom Bruch (1998), S . 80 . 124 Vgl . Josephson (2004) . 125 Vgl . dazu Cohn (1913) . 121

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kam .126 Insbesondere Friedrich Althoff und dem preußischen Kultusministerium muss in diesem Zusammenhang vorgehalten werden, Nichtordinarien mittels Versprechungen und Andeutungen politisch instrumentalisiert zu haben .127 Bezeichnenderweise versuchten manche Professoren nach dem Zweiten Weltkrieg, ihren Gehorsam gegenüber dem nationalsozialistischen Regime damit zu rechtfertigen, dass das so genannte System Althoff sie zu servilen und apolitischen Hochschullehrern erzogen habe .128 Neben konfessionellen und politischen Überlegungen wurde der charakterlichen Eignung eine große Bedeutung beigemessen, um nicht „ins eigene Haus den das Gebälk zerstörenden Schwamm“ zu holen, wie sich der Jenaer Universitätskurator Moritz Seebeck ausdrückte .129 Sowohl in den Ministerien als auch in den Fakultäten herrschte die Meinung vor, dass es nicht ausreiche, „bei einer Berufung lediglich wissenschaftliche Leistungen in die Waagschale zu legen“, wie es in einem Bericht Münchner Professoren hieß .130 Aufgrund eines „krankhaft reizbaren Naturells“, vermeintlichen „Verfehlungen“ im Ehe- respektive Sexualleben, Trunk- oder Spielsucht wurden Wissenschaftler unter Umständen trotz nachgewiesener wissenschaftlicher Tüchtigkeit nicht für einen Lehrstuhl in Vorschlag gebracht beziehungsweise nicht berufen .131 Bisweilen konnte bereits die Zugehörigkeit zu bestimmten Studentenverbindungen eine akademische Karriere erschweren oder erleichtern .132 Als Folge der kontinuierlich steigenden Hochschulfrequenz und der hohen Professorengehälter, die die Schaffung neuer Ordinariate beträchtlich verteuerte, wuchs das Heer unbesoldeter Privatdozenten und (allenfalls gering besoldeter) Extraordinarien stetig an, was der Entwicklung des Wissenschaftssystems trotz der zunehmenden Spannungen und dem Entstehen einer „Nichtordinarienbewegung“ zumindest auf kurze und mittlere Sicht zu Gute kam:133 „Der Grenznutzen der EO [i . e . Extraordinarien] und Pd [i . e . Privatdozenten] ist dauernd gestiegen“, konnte der Leipziger Wirtschaftswissenschaftler (und Extraordinarius) Franz Eulenburg 1908 in einer bewusst Meist lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, woran eine Berufung letztlich scheiterte . Im Falle Sombarts sollen laut Max Weber nicht politische Gründe, sondern „sein auch mir widerliches Protzen mit sexuellen Erfolgen“ eine charakterliche Eignung in Frage gestellt haben; zit . nach: Lenger (32012), S . 176 . 127 „Althoff würde sehr grosses Gewicht darauf legen, wie ich befugt bin Ihnen persönlich mitzuteilen, dass Sie dabei [i . e . eine Werbeveranstaltung für den Flottenbau; F . W .] erschienen“ heißt es etwa in einem Schreiben Ernst von Halles an Sombart aus dem Jahr 1900 in ziemlich perfider Weise; Lenger (32012), S . 110–111 . 128 Vgl . vom Brocke (1988), S . 2; vom Brocke (1987), S . 196 . Freilich lässt sich der oftmals sogar vorauseilende Gehorsam gegenüber den NS-Machthabern damit nicht entschuldigen, zumal es sich bei dem Bild vom devoten, duckmäuserischen Professor, der nur seiner Forschung lebt und den Kultusbeamten mit Unterwürfigkeit begegnet, um eine Erfindung der kompromittierten Nachkriegsprofessoren handelt . 129 Zit . nach: Gerber (2004), S . 521 . 130 Aus einem Gutachten der Münchner Professoren von Maurer, von Sicherer und Planck; zit . nach: Nehlsen (2010), S . 147 . 131 Nehlsen (2010), S . 147 . 132 Vgl . Lönnecker (2012) . 133 Vgl . u . a . Vorstand der Vereinigung außerordentlicher Professoren Preußens (1911) . 126

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betriebsökonomischen Ausdrucksweise konstatieren .134 Für die jungen Dozenten bedeutete dies freilich, dass die akademische Karriere auch bei nachweislicher fachlicher Eignung für den Hochschullehrerberuf zu einem Hasard-Spiel wurde, was eine enorme psychische Belastung für die Nachwuchswissenschaftler mit sich brachte, die sich in Konkurrenz zu ihren zahlreichen Kollegen durchsetzen mussten, dabei innovative neue Wissensgebiete erschlossen und zumindest nach Ansicht Hermann Helmholtz’ nur selten zur „Anwendung schlechter Concurrenzmittel in diesem einigermaßen delicaten Verhältnisse“ griffen .135 Übergroß war also das Reservoir an berufungsfähigen Privatdozenten und Extraordinarien, so dass Theodor Billroth bereits 1876 keinen Zweifel mehr daran hegte, „dass, wenn wir Professoren heute alle auf einmal sterben, wir alle sofort so vortrefflich ersetzt werden würden, dass die Entwicklung der deutschen Wissenschaft nicht einen Moment in ihrem raschen Fortschritt gehemmt würde“ .136 Als „life-blood of the institution […] the Privat-Docenten keep the professors up to the mark by competing with them“, hielt 1874 der frühere amerikanische Gaststudent James Morgan Hart fest .137 Sie brachten jedoch nicht nur neues Leben in den Vorlesungs- und Forschungsbetrieb an den Universitäten, sie animierten auch den Wettbewerb zwischen denselben, da Privatdozenten den ersten an sie ergehenden Ruf (einem akademischem Brauch gemäß) annehmen mussten und somit auch finanzschwachen Universitäten die Möglichkeit eröffneten, talentierte Nachwuchswissenschaftler (wenn auch nur auf Zeit) zu berufen . Unter jenen Akademikern, die die harten Jahre als Privatdozenten erfolgreich hinter sich gebracht hatten, galt es daher als ausgemacht, dass die PDs nicht zu versorgungsberechtigten Staatsdienern gemacht werden durften . „Es gilt im Gegentheile, unser System der freien Concurrenz durch Hinwegräumung von Hindernissen noch weiter zu entwickeln und auszubilden“, bekräftigte der Chemiker Lothar Meyer im Jahre 1873 .138 Dagegen wandte sich ab 1907 die organisierte so genannte Nichtordinarienbewegung, die in ihrem Kampf gegen die Vormachtstellung der Ordinarien zum Teil einer (weiteren) Bürokratisierung der Universitäten das Wort redete . Kritik am bestehenden Wettbewerbssystem regte sich begreiflicherweise vor allem unter den Verlierern der interuniversitären Konkurrenz um Wissenschaftler: Enttäuschte Privatdozenten und Extraordinarien, die nach Erklärungen für das Scheitern ihrer Karriere suchten, griffen nicht selten zur Feder, um als ungerecht empfundene Vorkommnisse auf ihrem beruflichen Werdegang zu einer Chronique scandaleuse zu verdichten . So fühlte sich der Tübinger Philologe (und Extraordinarius) Hans Flach

Eulenburg (1908), S . 77 . Helmholtz (1877), S . 18; vgl . Schmeiser (1994) . Billroth (1876), S . 316 . Hart (1874), S . 111 . „[O]rdinarily the Privat-Docent prefers to compete indirectly (…) by reading on some special topic that is not taken up by any of the professors“; Hart (1874), S . 111 . 138 Meyer (1873), S . 57 . 134 135 136 137

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zur Veröffentlichung einer ausführlichen Schrift über „die Krebsschäden des deutschen Universitätslebens“ berufen, die 1885 unter dem Titel Der deutsche Professor der Gegenwart erschien und nicht nur an seiner Alma Mater für Aufsehen sorgte .139 Flach beklagte darin, dass mit den hohen Gehältern, die einigen ordentlichen Professoren ausbezahlt wurden, ein falscher Anreiz gesetzt werde, der eine intrinsische Motivation für den Hochschullehrerberuf niemals ersetzen, wohl aber untergraben könne, „weil wir den Materialismus unter den Gelehrten noch nicht für so weit verbreitet und ausgebildet gehalten haben, dass man annehmen müsste, die meisten würden wirklich bei besonderer Honorirung besser und fleissiger lesen . Denn damit würde ja jeder spontanen Freude an dem Wirkungskreis und jeder Begeisterung für den Lehrberuf an sich der Todesstoss gegeben werden“ .140 Des Weiteren habe der Wettbewerb der deutschen Universitäten ein Konkurrenzverhalten unter den einzelnen Hochschullehrern hervorgerufen, das sich unter anderem in gehässigen, zum Teil persönlich beleidigenden Rezensionen niederschlage . Folglich bewirke „die Concurrenz, dass [die Hochschullehrer (…)] sich feindlich gegenüberstehen und sich auf alle Weise litterarisch zu schädigen versuchen“ . Ferner sei noch nicht bewiesen, „dass durch das Herbeiziehn einer grösseren Autorität […] die Anlockung einer grösseren Zahl von Studirenden bedingt sei“, während andererseits die Konkurrenz um Studenten ursächlich für das Promotionsunwesen und moralisches Fehlverhalten der Professoren zu nennen sei .141 So würden die Universitäten ihre Studentenzahlen beschönigen, „um dies oder jenes Hundert noch herauszubekommen“ und „Studentenunfug mit der grössten Sanftmuth und Toleranz behandeln, um ja keine Verstimmung zu erzeugen“ .142 Die Ausdehnung des Kapitalismus von der Privatwirtschaft auf die Universitäten habe darüber hinaus nicht nur zu einer von ihm für schädlich erachteten „socialen Ungleichheit der Professoren“ geführt, sondern ebenso die Unterschiede zwischen den Universitäten vergrößert, so dass bereits eine Oligopolbildung zu beobachten sei und sich „der eigentliche Docentenmarkt mehr und mehr auf 3–4 Universitäten“ beschränke, während auf den kleineren Universitäten ein übles „Cliquenwesen“ herrsche .143 Dort entscheide nicht die persönliche Leistung des Einzelnen über das berufliche Fortkommen, sondern der „Terrorismus der Schulen“, der reiche Dozenten bevorzuge, die sich die kostspielige Flach (21886), S . 18 . Im Jahr 1888 erschien bereits die vierte Auflage des Werks . Flach verließ nach der Veröffentlichung die Universität Tübingen, womit seine universitäre Karriere beendet war . 140 Flach (21886), S . 17 . 141 Als „letzte[n] Act der Corruption“ erwartete Flach, „dass der Ehrendoctor […] gekauft werden kann und seine Actien einem Curse unterliegen“; Flach (21886), S . 44 . 142 Die akademische Gerichtsbarkeit hatten die letzten deutschen Universitäten jedoch bereits 1877 verloren . Zweifelsohne wurde die nach wie vor verhängte Karzerstrafe im Laufe des 19 . Jahrhunderts immer mehr zu einem Studentenspaß und verlor ihren ursprünglichen Sinn . 143 Vgl . dazu Biermer (1903) . Der Sozialökonom behauptet darin, „eine Firma Ruhland, Köhler-Langsdorf & Co ., Gesellschaft mit beschränkter Haftung für akademische Stellenvermittlung“ aufgedeckt zu haben, die Juden von der Hochschule fernzuhalten versuche und ihre Schützlinge „dem hessischen Staat als Ordinari[en], 50 Prozent unter dem Selbstkostenpreis offeriert“; Biermer (1903), S . 36–37 . 139

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Teilhabe am gesellschaftlichen Leben leisten und als Aspiranten auf freie Lehrstellen präsentieren können . Die Nachwuchswissenschaftler seien dadurch korrumpiert worden, würden Professorengattinnen „wie Trabanten“ umkreisen und seien bemüht, ihnen „den Besatz des Unterrockes anzunähen, wenn ihnen dadurch die Hoffnung auf Beförderung an der Hochschule winkt“ . Bedauerlicherweise verhindere „der Conservativismus der deutschen Hochschulen“ eine Reformierung von innen heraus und mache ein Eingreifen des Staates zwingend erforderlich, um das Berufungsverfahren grundlegend zu reformieren, das in seiner bestehenden Form „eine ununterbrochene Lüge, ein colossaler Schwindel, eine Verachtung aller reellen und sachlichen Grundsätze, ein Hohnsprechen jeder Cultur und jeder Moral“ sei .144 Flachs Rundumschlag, der sich in erster Linie gegen die Ordinarien als „der Partei des Capitalismus“ richtete, war freilich eine überzogene Kritik am Status quo, die jedoch auch nicht gänzlich einer Berechtigung entbehrte .145 Tatsächlich war es für Privatdozenten an kleinen Universitäten, um ein Beispiel herauszugreifen, beinahe zwingend erforderlich, auf Gesellschaftsabenden Präsenz zu zeigen, wenn sie ihre akademische Karriere nicht gefährden wollten .146 Inwieweit dabei die heutzutage als Networking bezeichnete Pflege von Kontakten im Mittelpunkt stand oder, sozusagen als eine besondere Form des Netzwerkens, das häufig unterstellten Anknüpfen von strategischen Liebeleien mit Professorengattinnen und -töchtern, war und ist weitgehend ein Feld der Spekulation . Die Töchter der Professoren als „kitzligen Punkt“ des Privatdozententums zu bezeichnen und die Professorengattinnen als „Schicksalsschwestern“, war jedenfalls keine Seltenheit .147 Auch der von Flach beschriebene „Bund von Wissenschaft und Kapitalismus“ war keine Erfindung des Philologen .148 Gerade in diesem Punkt konnte er sich einer breiten Zustimmung gewiss sein . Sowohl konservative, dem Ideal der Universitas litterarum nachstrebende als auch politisch linksstehende Akademiker warnten vor einer ‚Amerikanisierung‘ der Wissenschaften . Dieser Bedrohung der Freiheit von Forschung und Lehre könne nur der Staat begegnen . Die Ausweitung des behördlichen Einflusses auf die Berufungsverfahren, wie sie im Besonderen in Preußen während des letzten Drittel des 19 . Jahrhunderts zu beobachten Flach (21886), S . 97, 120, 130, 144, 254; Flach (1885), S . 29 . Flach (21886), S . 209 . „Wirklich arme Gelehrte, sie mögen noch so tüchtig sein, sind von der Dozentenlaufbahn ausgeschlossen“; Kemmerich (1910), S . 80 . 147 Als „kitzliger Punkt“ erscheinen sie z . B . in einer Karikatur des Simplicissimus aus dem Jahr 1910; zit . nach: Schröder (2010), S . 40 . Die „Schicksalsschwestern“ finden sich in Sudermann (1930), S . 79 . Sudermanns erstmalig 1926 erschienener Roman ist eine der gelungensten literarischen Verarbeitungen der Ära Althoff und handelt von einem jüdischen Privatdozenten, der aufgrund seiner geringen Publizierfreudigkeit und seines unsittlichen Sexuallebens bei Berufungsvorschlägen stets übergangen wird, dank des Ministerialdirigenten Kürschner, der deutlich Althoffs Züge trägt, gegen den Willen der Universität Königsberg mit dem Lehrstuhl für Philosophie betraut wird, aber wegen Anfeindungen und Verleumdungen aus dem Kollegium Suizid begeht . 148 Eine Bezeichnung des Historikers Franz Schnabel; zit . nach: Tollmien (1999), S . 371 . 144 145 146

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war, erklärt sich also nicht zuletzt daraus, dass an den Universitäten selbst der Ruf nach einem Eingreifen der Kultusbehörden und einer Angleichung der Hochschullehrerkarrieren an die Beamtenlaufbahn laut geworden war .149 Insbesondere erfolgreiche Ordinarien betonten demgegenüber die Vorteile der Konkurrenz und verteidigten das bestehende System . „Der biblische Satz: ‚Wer viel hat, dem wird viel gegeben werden,‘ bewahrheitet sich auf allen Gebieten der Concurrenz“, führte etwa Theodor Billroth aus, der hinter einer Kritik am Matthäus-Prinzip in den Wissenschaften einen weltfremden Idealismus seiner „verehrten Collegen“ vermutete, die „bedenklich die Nase rümpfen, dass hier von Concurrenz, ja gar von materiellen Erfolgen dieser Concurrenz die Rede ist, Dinge, die in ihren Utopien der Wissenschaft und Künste gar nicht genannt werden sollten“ . Er riet seinen Kollegen zu der Einsicht, dass ein Professor letztlich nicht anders als ein Kaufmann agieren müsse . Die Konkurrenz schaffe eine wünschenswerte Erdanbindung der Wissenschaftler, lasse sie also „von ihrem göttlichen Wolkenhimmel herabsteigen und menschlicher, praktischer“ werden .150 Ähnlich sah das der Chemiker Lothar Meyer, der jedoch zu bedenken gab, dass „bei den meisten Geistesarbeitern die Concurrenz der Abnehmer fehlt, welche den Preis erhöhen sollte, indem der Staat der einzige Abnehmer ist“, wobei Meyer freilich die Konkurrenz unter den deutschen Bundesstaaten übersah .151 Einen Mittelweg wollte hingegen der Berliner Theologe Georg Runze einschlagen . Das Konkurrenzprinzip an sich sei nicht das Problem, betonte er in einer anonym erschienenen Schrift, wohl aber, Wettbewerbsverzerrungen und andere Fehlentwicklungen zu ignorieren: Die Konkurrenz spornt den Eifer, übt die Geschicklichkeit, macht erfinderisch . Diese Gründe, welche einst für die Reform der englischen Hochschulen Adam Smith in seinem Wealth of nations geltend machte, beanspruchen allgemeine Gültigkeit . Aber das Bemühen, dem ehrlichen Wettbewerb seine Freiheit zu wahren, darf das Bestreben nicht ausschließen, den unlauteren Wettbewerb zu zügeln und seine Gefahren zu verhüten .152

So könnten leistungsabhängige Gehaltsunterschiede als zusätzlicher extrinsischer Stimulus zwar grundsätzlich „dem Tüchtigeren, Siegreicheren die Freude des Sieges, dem Schwächeren […] einen Ansporn zur Anspannung seiner Kräfte“ geben . Die „exorbitante Einnahmedifferenz“ der Gegenwart hielt Runze allerdings für kontraproduktiv . Sie sei lediglich im Stande, „jenen bis zum Übermut zu beglücken, diesen völlig zu deprimieren“ und „das Peinliche jener Unterschiede“ vor Augen zu führen . Wettbewerb, so ließe sich mit Simmel formulieren, macht Ungleichheit sichtbar . Insbesondere „unserer akademischen Ersatzreserve“, den Privatdozenten, würde auf die149 150 151 152

Vgl . z . B . Weizsäcker (1895/96) . Billroth (1873), S . 382–383 . Meyer (1876), S . 59 . Runze (1895), S . 114 .

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se Weise die Entscheidung für eine akademische Karriere unnötig erschwert, deren Wettbewerbscharakter er bezeichnenderweise „als einen Sport zu charakterisieren“ versuchte: „[W]enn da wie beim Wettrennen ein edles Pferd stürzt, so muß man darauf gefaßt sein . Manchmal ist’s ja nur ein Jockey, dem das Unglück begegnet“ .153 Ins Straucheln geraten konnte nach Runzes Meinung also auch der Tüchtige, sofern ihm nur das nötige Quäntchen Glück fehlt . Schließlich werde die Tüchtigkeit „nicht immer durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt; am wenigsten auf dem Gebiet der Wissenschaft“, wo oft nur der Schein zähle und selbst ein begabter Privatdozent schnell „zur akademischen ‚alten Jungfer‘“ werden könne . Nicht ein reiner, freier, gleicher Interessenkampf ist das Charakteristikum dieser Sphäre, sondern eine Industrie mit zünftiger Außenseite und staatlicher Privilegierung, die dem einen das Recht giebt, Wucher und Hazardspiel zu treiben, während sie den andern den Schwankungen der Zufallswage preisgiebt .154

Sowohl die Universitäten als auch der Staat würden die Gelehrten nämlich als eine Art Kapital ansehen, das „nicht räumlich gebunden, sondern […] translokationsfähig, durch Unglücksfälle materiell leicht verlierbar und völlig zerstörbar“ sei, so dass die Professoren geradezu „als Handelsartikel in Umsatz gebracht“ würden . Verantwortlich dafür sei in erster Linie die Konkurrenz unter den deutschen Bundesstaaten, auf die an anderer Stelle zurückzukommen ist . Wie Flach beklagte auch Runze den „spröden Konservativismus unserer Universitätskreise“, der jegliche Reformversuche bereits im Keim ersticke .155 „Dass der Verf . übertreibt, wird man nicht sagen können“, behauptete der Philologe Adolf Philippi in einer Rezension der Runze’schen Schrift .156 Philippi hatte sein Lehramt (nach eigenen Angaben) aus Unzufriedenheit über den Zustand des Hochschulsystems zwei Jahre zuvor aufgegeben, obwohl er es immerhin bis zu einer ordentlichen Professur in Gießen gebracht hatte .157 Auch der Soziologe Georg Simmel, der zu dieser Zeit als Privatdozent in Berlin tätig war, hielt die „Millionärseinkünfte“, die herausragenden Professoren bezahlt wurden, für eine „sozialökonomische Verschwendung“, die die Hochschullehrer zudem den Studenten entfremde . In einem bezeichnenderweise anonym in einer sozialdemokratischen Zeitschrift erschienenen Artikel beklagte er die Monopolstellung, die die Ordinarien auf deutschen Universitäten einnehmen würden und ihnen „eine für die Leistung ganz unverhältnismäßige Honorirung“ beschere: „Die Freiheit des Wettbewerbes unter den Lehrern, […] die man unseren Universitäten nachrühmt, bedeutet deshalb nichts Besseres, als wirthschaftliche Frei-

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Runze (1895), S . 3, 14, 164, 167 . Runze (1895), S . 29, 32, 158 . Runze (1895), S . 3, 34 Philippi (1894/95), S . 327 . Vgl . den von ihm selbst verfassten „Nekrolog“: Philippi (1895) .

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heit in unzähligen Fällen bedeutet: nämlich die Freiheit desjenigen, der sich von vornherein in der irgendwie begünstigten Stellung befindet, diese Begünstigung bis aufs Letzte auszunützen“ .158 Insbesondere die preußische Kultusverwaltung unter Althoff nutzte die wiederholten Klagen über vermeintliche Missstände, um „in die Universitätsverhältnisse bestimmend und ordnend einzugreifen“, sprich die staatliche Einflussnahme auf die Berufungsverfahren und universitäre Verwaltungsangelegenheiten zu verstärken .159 Dabei versuchte sie sowohl den Nepotismus der Hochschullehrer zu beseitigen als auch den Wettbewerb um Professoren in bürokratisch kontrollierbare Bahnen zu lenken . Daher mussten Professoren bei einer Berufung nach Preußen in der Regel ein Revers unterschreiben, in dem sich verpflichteten, „innerhalb einer Reihe von Jahren in jede gleichwertige Stelle an einer anderen Landesuniversität sich versetzen zu lassen“ und Rufe auf außerpreußische Universitäten für eine bestimmte Zeit abzulehnen .160 Diese Reverse, die den Hochschullehrern zum Teil im Rahmen des Berufungsverfahrens mit zahlreichen weiteren zu unterschreibenden Formularen bewusst untergeschoben wurden, sorgten wiederholt für Empörung unter den Professoren . Gegen den wachsenden Einfluss des Staates formierte sich vor allem ab der Wende vom 19 . auf das 20 . Jahrhundert Widerstand an den Universitäten . Insbesondere die überschaubare Gruppe der wirtschaftsliberalen Hochschullehrer, für die Max Weber wiederholt das Wort ergriff, sah universitäre Autonomierechte in Gefahr . Vor allem das „System Althoff “ verkörperte in Webers Augen den rücksichtslosen Umgang staatlicher Organe mit den wie untergeordnete Behörden behandelten Hochschulen, weshalb es ihm stets ein Dorn im Auge war und zu giftigen Angriffen auf die preußische Kultusbürokratie verführte . Weber plädierte stattdessen für eine reine Marktkonkurrenz, wie sie das amerikanische Hochschulsystem kennzeichne, wo ein mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteter Universitätspräsident die Rolle übernehme, die in den deutschen Staaten den Kultusministerien zufiele . Die interuniversitäre Konkurrenz um Professoren richte sich in den USA allein an wissenschaftlichen Kriterien aus, so Webers Meinung, während das etatistisch geprägte deutsche System staatsloyales Verhalten belohne und politisch nicht genehmen Wissenschaftlern eine universitäre Karriere erschwere oder unmöglich mache .161 Nach Webers Ansicht wurde der akade-

Simmel (1895), S . 170–172 . Horn (1901), S . 67 . In den 1880er und 90er Jahren wurden demgegenüber von den Fakultäten vermehrt Vorschlagslisten eingereicht, die (statt der üblichen drei) lediglich einen Wunschkandidaten des Professorenkollegiums unico loco aufführten, worin die Ministerien verständlicherweise den Versuch einer Aushebelung des staatlichen Berufungsrechts erblickten . Die Anforderung überarbeiteter Vorschlagslisten sowie bisweilen auch Oktroyierungen ungenannter Dozenten gehörten zu den Folgen des Kräftemessens zwischen Staat und Universität . 160 Paulsen (1907), Sp . 975 . 161 Bezeichnenderweise war Max Weber Zeit seines Lebens der festen Überzeugung, dass ihm Althoff nur deswegen wohlwollend gegenübertrat, weil sein Vater als Abgeordneter der (staatstragenden) Natio158 159

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mische Nachwuchs nicht durch das Cliquenwesen an kleineren Universitäten korrumpiert, wie Flach behauptet hatte, sondern in erster Linie durch die Verhandlungen mit den Kultusbeamten, die Wissenschaftler als „eine Art von akademischen Geschäftsleuten“ betrachteten, in die sie sich allmählich auch verwandeln würden .162 Im freien amerikanischen Wettbewerbssystem, in dem die „Universitäten in noch viel höherem Maße als die deutschen, Institute sind, die miteinander konkurrieren müssen“, konnte der Wissenschaftler in Webers Augen seine Würde bewahren und musste keine moralisch fragwürdigen Kompromisse eingehen .163 Die Konkurrenz der amerikanischen Hochschulen habe „eine große Differenzierung in qualitativer wie quantitativer Hinsicht“ bewirkt, die der Entwicklung der Wissenschaften zu Gute gekommen sei . Von der Überlegenheit des amerikanischen Modells überzeugt, sang ihm Max Weber auf dem vierten Deutschen Hochschullehrertag ein Loblied . Als entscheidend für den von ihm konstatierten Erfolg der amerikanischen Hochschulen benannte Weber wiederholt die Konkurrenz: [U]nd zwar ist diese Konkurrenz im Prinzip ganz frei . Die amerikanischen Universitäten konkurrieren mit ziemlich rücksichtslosen Mitteln gegenüber ihren Schwesterinstitutionen . Sie tragen auch darin den Charakter eines Konkurrenzinstituts, daß sie wie ein modernes Fabrikunternehmen eine rücksichtslose Auslese in bezug auf Tüchtigkeit im mindesten ihrer jüngeren Lehrkräfte halten, unendlich viel rücksichtsloser als irgendeine deutsche Universität .164

Ohne auf das amerikanische Hochschulsystem näher eingehen und damit die Frage beantworten zu können, ob in den USA unter „Tüchtigkeit“ neben einer Begabung für wissenschaftliche Lehre und Forschung möglicherweise auch eine Geschäftstüchtigkeit verstanden wurde, wovon Weber selbst offenkundig nicht ausging, kann festgestellt werden, dass eine Amerikanisierung des deutschen Hochschulwesens, wie sie der Soziologe letztlich beabsichtigte, bis zum Untergang des Kaiserreichs von den meisten Professoren und auch von staatlicher Seite entschieden abgelehnt wurde .165 Im Wett-

nalliberalen Partei dem Reichstag angehörte . Nachdem ihm Althoff bei einer Berufungsverhandlung einen seiner berüchtigten Reverse untergeschoben hatte, war es ihm ein Anliegen, dem „alten Scheusal“ wo immer möglich entgegen zu treten; Brief Max Webers an seine Schwester Klara vom 27 .7 .1893; teilw . abgedr . in: Kaesler (2014), S . 391 . Vgl . ferner Weber (1926), S . 211, 433–434 . 162 So Max Weber 1911; zit . nach: Vom Bruch (1995), S . 319 . 163 Deutscher Hochschullehrertag (1912), S . 70 . 164 Deutscher Hochschullehrertag (1912), S . 66, 70 . 165 In einer Veröffentlichung der Carnegie Foundation aus dem Jahr 1908 heißt es entgegen Webers Ausführungen, dass deutsche Hochschullehrer einer schärferen Auslese unterworfen seien und der interuniversitäre Wettbewerb um Professoren im Deutschen Reich viel stärker ausgeprägt sei als in den USA; vgl . Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching (1977 [1908]), S . VII–X . Fürderhin habe der deutsche Professor eine viel unabhängigere und einflussreichere Position als sein amerikanischer Kollege . Die Ausführungen gipfeln in dem Satz „In Germany the professors are practically the university“; Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching (1977 [1908]), S . 65 .

Kommunale Stiftungsuniversitäten: Eine Konkurrenz für die staatlichen Hochschulen?

bewerb um Professoren wurde die sicht- und spürbare Hand der Behörden einer unsichtbaren Hand des Marktes vorgezogen . An den kleineren Universitäten wurde im frühen 20 . Jahrhundert sogar bisweilen eine noch stärkere staatliche Bändigung des Wettbewerbs um Hochschullehrer befürwortet, um die eigene Hochschule vor dem Verkümmern zu bewahren .166 Obwohl (mit nicht zu leugnender Übertreibung) noch immer zutreffend war, was Theodor Billroth bereits 1876 festgestellt hatte, dass nämlich Kultusbeamte und Professoren sich „gegenseitig principiell für widerhaarig, kurzsichtig und beschränkt, für boshaft oder dumm“ hielten, so galten die in staatlich-universitärer Co-Regie durchgeführten Berufungsverfahren im Hinblick auf die Qualitätssicherung universitärer Forschung und Lehre am Vorabend des Ersten Weltkriegs doch als grundsätzlich erfolgreich und dem liberalen Markt- und Wettbewerbsmodell der USA überlegen .167 Letzteres, so die weit verbreitete Annahme, habe eine „‚Herrschaft des Dollars‘ an den amerikanischen Hochschulen“168 errichtet . Im Verbund mit dem parlamentarischen Regierungssystem der angloamerikanischen Staaten seien die Fakultäten auf diese Weise zugunsten politischer Parteiungen und religiöser Gruppierungen entmachtet worden .169 Eine weitere Ausdehnung des Staatsbürokratismus versuchten die Universitätsprofessoren jedoch zu verhindern, wie nicht zuletzt aus den Verhandlungen der ab 1907 jährlich abgehaltenen Deutschen Hochschullehrertage deutlich hervorgeht . III.2

Kommunale Stiftungsuniversitäten: Eine Konkurrenz für die staatlichen Hochschulen?

Die Bedeutung von Stiftungen im Deutschen Kaiserreich wird in der Forschung nach wie vor häufig unterschätzt, obwohl in den letzten Jahren eine Reihe von Studien über die facettenreiche deutsche Stiftungskultur insbesondere der wilhelminischen Ära erschienen ist .170 Wenngleich ein Großteil der Stiftungen im caritativen Bereich tätig war, wurden vor allem ab der Jahrhundertwende auch die Wissenschaften zu einem beliebten Feld finanzkräftiger Mäzene, auf dem sich Renommee als symbolisches Kapital erwerben ließ . Projekte kommunaler Stiftungsuniversitäten, wie sie zeitgleich in Dresden, Frankfurt am Main und Hamburg verfolgt wurden, gingen zum einen von finanzkräftigen Bürgern, vor allem jedoch von den Oberbürgermeistern der Städte aus, für die eine Universität nicht nur ein Prestigeobjekt, sondern auch einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellte .171 Die Professoren der bestehenden Universitäten Vgl . Bernheim (1910) . Billroth (1876), S . 301 . Weber, Max: „Ein Votum zur Universitätsfrage“ (26 .6 .1911); abgedr . in: Dreijmanis (2010): 110–123, S . 121 . Weber zitiert hier freilich seine Gegner . 169 Vgl . Below (1912), Sp . 333 . 170 Vgl . Asche (2012), S . 13 . 171 Vgl . Vom Bruch (1992), S . 163 . 166 167 168

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gehörten demgegenüber vielfach zu den vehementesten Gegnern derartiger Projekte, da sie einen Frequenzrückgang und sinkende staatliche Alimentationen befürchteten und sich daher in den Senaten „Verhinderungsstrategien überlegten .“172 Dazu gehörten beispielsweise die Veröffentlichung von Streitschriften und das Einwirken auf die lokalen Wahlkreisabgeordneten, um in den Landesparlamenten über ein Sprachrohr gegen Universitätsneugründungen zu verfügen . Obwohl viele Professoren den Stiftungscharakter der geplanten Universitäten kritisierten, war es ihnen, wie im Folgenden noch ausgeführt werden wird, generell darum zu tun, Konkurrenzeinrichtungen zu verhindern . Die organisatorischen Besonderheiten von Stiftungshochschulen dienten ihnen vor allem als wohlfeile Argumente für deren angebliche Unwissenschaftlichkeit und Gefährdung der Lehr- und Forschungsfreiheit . So hatten sich die Projekte kommunaler Stiftungshochschulen aus Sicht des Leipziger Ordinarius Karl Bücher bereits dadurch disqualifiziert, dass viele ihrer Initiatoren „aus nichtakademischen Kreisen“ stammten . Als Kommunalpolitiker verfolgten sie in Büchers Augen per se eine Kirchturmpolitik und betrieben die Gründung einer Universität wie den „Bau eines Zirkus oder eines Ausstellungsgebäudes“ .173 Die Gründung neuer Universitäten drohe folglich „zu einer Art großstädtischem Sport“ zu werden, behauptete der Nationalökonom auf dem Deutschen Hochschullehrertag 1913 in Straßburg . Er warnte seine Kollegen, dass „jeder Gründungsplan, der zu seinem Ziele gelangt, anderwärts zwei neue Universitätsprojekte auf den Plan rufen wird“ . Deshalb müssten die Ordinarien in dieser „Schicksalsstunde […] der deutschen Universitäten“ zusammenstehen, um den Privatdozenten und Extraordinarien Paroli zu bieten, „die in den neuen Universitäten Anstellung erhofften“ und ihnen daher aufgeschlossen gegenüberstünden . Ferner sollte den Lehrkräften der Technischen Hochschulen die Stirn geboten werden, die sich bereits der Hoffnung hingäben, „eines schönen Morgens als Universitätsprofessoren aufzuwachen“ . Das Argument, durch Neugründungen die stark frequentierten Universitäten zu entlasten, wollte Bücher nicht gelten lassen . Vielmehr vertrat er die Ansicht, dass aus ökonomischen Gründen stets eine „größtmögliche Studentenzahl die Institute benutzen“ sollte, zumal die Universitäten „mit der Zeit nicht weniger kapitalistisch geworden [seien] als […] wirtschaftliche Veranstaltungen“ . Da jedoch die von ihm so genannten Agitatoren, die für die Begründung neuer Hochschulen eintraten, zum Teil „nicht einmal akademische Bildung“ besäßen, dürften die Professoren nicht glauben, „auch nur eines der neu aufgetauchten Projekte durch Vernunftgründe zum Scheitern zu bringen“, so Bücher, ohne eine alternative Vorgehensweise aufzuzeigen .174 Auch der Breslauer Historiker Georg Kaufmann trat auf dem Hochschullehrertag 1913 ans Rednerpult, um seine Stimme gegen Stiftungshochschulen zu erheben . Trotz der deutlich gestiegenen Studentenzahlen gab es seiner Meinung nach nicht zu we172 173 174

Hammerstein (1993), S . 163 . Bücher (1913/14), S . 66–67 . Bücher (1913/14), S . 66, 70, 76, 78–79 .

Kommunale Stiftungsuniversitäten: Eine Konkurrenz für die staatlichen Hochschulen?

nige, sondern möglicherweise sogar zu viele Universitäten im Deutschen Reich . Die Gründung neuer Universitäten, um die „Überfüllungsproblematik“ zu bekämpfen, betrachtete Kaufmann überdies als kontraproduktiv: Jede neue Hochschule „verlockt […] zu den Studien“ und habe daher ein weiteres Ansteigen der Studentenzahlen zur Folge .175 „Dadurch werden unsere Dörfer leer . Die Slawen dringen vor, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen, so Kaufmann, der die Universitätsfrage geschickt mit den in der unmittelbaren Vorkriegszeit weit verbreiteten Überfremdungsängsten verwob, um bei rechtsgerichteten Parlamentariern die Gegner neuer Universitäten zu stärken . Die Frage interuniversitärer Konkurrenz geriet damit in den Strudel unmittelbarer Politisierung . Darüber hinaus verlieh Kaufmann der Befürchtung Ausdruck, dass durch die Gründung von Stiftungshochschulen die Autonomierechte sämtlicher Universitäten ausgehöhlt werden könnten . Jene Professoren, die die Gründung von Stiftungsuniversitäten befürworteten, argumentierten demgegenüber, dass die „Freiheit der Wissenschaft […] auf den Staatsuniversitäten“ gefährdet sei und die „Unabhängigkeit der deutschen Hochschule […] in den letzten Jahren erschreckend abgenommen“ habe .176 So stand für den Göttinger Philosophen Julius Baumann fest, dass die Universitas litterarum nur Bestand haben könne, wenn sie sich von der staatlichen Einflussnahme befreie . Seines Erachtens verwandelten sich die (staatlichen) Universitäten allmählich in Spezialschulen und gerieten immer stärker in den Strudel der konfessionellen Auseinandersetzungen, da die Kultusministerien seit Beendigung des Kulturkampfes den Wünschen der katholischen Kirche aus politischen Überlegungen heraus zu weit entgegengekommen seien .177 Letzteres vermuteten zwar viele der größtenteils protestantischen Hochschullehrer, doch sprach sich eine deutliche Mehrheit der publizistisch hervorgetretenen Professoren allenfalls für eine Reformierung der staatlichen Unterrichtsverwaltung, aber entschieden gegen „freie Universitäten“ aus . Ein Teil der Ordinarien erwartete sogar einen harten Kampf, den sie als Vertreter der staatlichen Universitäten mit den Initiatoren der Stiftungshochschulen zu führen hätten . Mit martialischen Worten wandte sich Georg Kaufmann daher auf dem Hochschullehrertag 1913 an seine Kollegen: Kommilitonen! Ich rede Sie absichtlich so an . Denn es handelt sich um das Wesen der Universität, das charakterisiert wird dadurch, daß sich der Lehrkörper […] als eine Militia fühlen muß, als ein zusammenhängendes Korps, als eine Pflichtgenossenschaft, auf die eine große Vergangenheit ein großes Erbe gelegt hat . Und dieses Erbe ist bestritten und gefährdet .178

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Kaufmann (1913/14), S . 10 . Baumann (1907), S . 50 . Vgl . Borutta (22011) . Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 103 .

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Kaufmann brachte jedoch keine Professoren-Phalanx gegen die projektierten Stiftungshochschulen zu Stande, da sich mehrere Vertreter der Technischen Hochschulen sowie einige wenige Universitätsprofessoren mit den Tagungsteilnehmern aus Frankfurt, Dresden und Hamburg verbündeten und die von ihm und Karl Bücher vorgebrachten Argumente zurückwiesen .179 „In Wirklichkeit fürchtet man […] die Konkurrenz durch die neue[n] Universität[en]“, behauptete mit einiger Berechtigung der Orientalist und spätere preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker, der für die im Aufbau begriffene Hamburger Universität sprach und darum bat, „nicht den Leuten, die etwas Großes, Neues, Gutes für Deutschland schaffen wollen, in den Arm“ zu fallen .180 Im Folgenden soll anhand der kommunalen Hochschulprojekte in Frankfurt am Main, Dresden und Hamburg aufgezeigt werden, wie benachbarte Universitäten auf die Planungen reagierten, inwiefern sie eine Konkurrenz durch die konzipierten Universitäten befürchteten und wie sie Staat und Studenten, die als Dritte über den Erfolg oder Misserfolg der Stiftungsprojekte zu entscheiden hatten, für sich zu gewinnen versuchten .181 Das Frankfurter Universitätsprojekt Bereits kurz nachdem Frankfurt am Main im Jahre 1866 unter preußische Herrschaft geraten war, wurden in Berlin Pläne diskutiert, in der ehemaligen Freien Reichsstadt eine Universität zu errichten, um die nicht eben euphorischen Neupreußen mit dem Hohenzollernstaat zu versöhnen .182 In Marburg, das angesichts derartiger Überlegungen die Auflösung der eigenen, seit Jahren über mangelnde Ausstattung und niedrige Frequenz klagenden Universität befürchten musste, betrieben Professoren und Bürger eine „Agitation in der Tagespresse“, um das Frankfurter Hochschulprojekt bereits im Keim zu ersticken .183 Da auch die preußische Regierung dem Vorhaben „kühl gegenüber“ stand und viele Frankfurter ein „tiefes Mißtrauen gegen alles, was vom Staate kam“, hegten und eine Universität nur dann in den eigenen Mauern akzeptieren wollten, wenn sie „mit einem starken Tropfen demokratischen, antipreußischen Öls ge-

Für Hamburg sprach der Orientalist C . H . Becker, für Frankfurt der Philosoph Theobald Ziegler und für Dresden der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt . 180 Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 150–151 . 181 Zur Gründungsgeschichte der Universität Köln, die ebenfalls in die Vorkriegszeit zurückreicht, aber noch nicht so weit gediehen war wie die vorgenannten Projekte, vgl . Heimbüchel/Pabst (1988), Meuthen (1988), Eckert (1961) . 182 Mit den Worten des altliberalen preußischen Abgeordneten Robert von Patow sollte die „Universität […] eine Brücke über den Main sein, fester als alle steinernen, die gebaut werden können“; zit . nach: Jung (1915), S . 108 . 183 Löffler (1911), S . 498 . 179

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salbt“ würde, verliefen die Überlegungen rasch im Sande .184 Erst um die Jahrhundertwende wurden neue Hochschulpläne entworfen, diesmal jedoch von kommunaler Seite unter dem langjährigen Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes (1890– 1912), der über hervorragende Beziehungen zu dem einflussreichen preußischen Ministerialdirigenten Friedrich Althoff verfügte . Adickes versuchte das Berliner Ministerium davon zu überzeugen, dass die wachsende Studentenzahl die Gründung einer weiteren Universität wünschenswert erscheinen lasse und die bisweilen als „überfüllt“ bezeichneten Großuniversitäten entlasten könne .185 Die naheliegende Annahme, dass auch oder sogar in erster Linie die kleinen Nachbaruniversitäten von einem Frequenzrückgang betroffen sein könnten, wurde mit dem „großstädtischen Charakter einer Universität Frankfurt am Main“ zu entkräften versucht, der dazu führen werde, „daß ihre Begründung den in kleineren Städten belegenen [sic!] Nachbaruniversitäten voraussichtlich keinen erheblichen Abbruch tun würde“ .186 Die Finanzierung durch Stadt und Stiftungen wurde hingegen als zukunftsweisend herausgestrichen, da „das bisherige System der rein staatlichen Begründung und Ausstattung der Universitäten zu finanziellen Schwierigkeiten führen“ werde . Nun gelte es, die im Ausland, „namentlich in Nord-Amerika“ gemachten Erfahrungen zu nutzen und private Gelder für Forschung und Lehre zu generieren:187 „Flüssigmachen von Geldmitteln“ nannte Franz Adickes dies in seinen Erinnerungen .188 Heikel war jedoch, dass den Stiftern ein Mitspracherecht in Berufungsfragen gewährt werden sollte beziehungsweise musste, da die größtenteils jüdischen Hauptgeldgeber dies zur Conditio sine qua non ihrer finanziellen Beteiligung erklärten . Im Wissen um die systematische Benachteiligung der Juden auf den deutschen Hochschulen bestanden sie auf Kontrollmöglichkeiten, die unter anderem durch Einsichtnahme in die von den Fakultäten erstellten Vorschlagslisten, mögliche Separatvoten an das Kultusministerium und eine statuarisch festgelegte Mindestzahl jüdischer Mitglieder im Stiftungsrat gesichert werden sollten .189 Dadurch wollten sie dem weit verbreiteten Antisemitismus in den Senaten und Fakultäten entgegentreten, provozierten jedoch einen Aufschrei an den Universitäten, die eine Gefährdung (de jure zum Teil gar nicht

Jung (1915), S . 106, 111, 113 . Vgl . Denkschrift über die Begründung einer Stiftungs-Universität in Frankfurt a . M . (Februar 1911); abgedr . in: Wachsmuth (1929): 171–191, S . 181 . 186 Wachsmuth (1929), S . 182 . 187 Darüber hinaus plante Adickes die Frankfurter Hochschule als „Sportuniversität“, was ebenfalls auf amerikanische Vorbilder verweist; vgl . Wachsmuth (1929), S . 93–94 . 188 Adickes (1915), S . 24 . 189 Mit einiger Berechtigung betrachteten die Stifter in erster Linie die Fakultäten (und nicht das Kultusministerium) als Hort des Antisemitismus . Aus der SPD warf man den jüdischen Stiftern dennoch Würdelosigkeit vor und erklärte sie „für verächtliche und charakterlose Menschen“, da sie ihr Geld hergäben ohne den Einfluss der preußischen Kultusbürokratie auf das Berufungsverfahren begrenzt zu haben; Heilbrunn (1915), S . 180 . 184 185

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existierender) Selbstverwaltungsrechte ausmachten und gerade von der Beteiligung außeruniversitärer Kreise an den Berufungsverfahren befürchteten, dass konfessionelle und persönliche Gründe vor wissenschaftlichen Überlegungen den Ausschlag geben könnten .190 Folglich blieb man an den Universitäten nicht untätig, sondern suchte ebenfalls die Nähe zur Kultusbürokratie als dem „Dritten“ im Wettbewerb . Vor allem „finanzielle Bedenken“ wurden gegen das Stiftungsprojekt ins Feld geführt . Stadt und Stiftungsrat unterschätzten die laufenden Kosten eines Universitätsbetriebes, behauptete beispielsweise der Breslauer Ordinarius Alfred Hillebrandt, der das Frankfurter Projekt torpedierte, indem er das Kultusministerium dazu aufforderte, sich von der Stadt Frankfurt versichern zu lassen, dass sie allein für mögliche finanzielle Engpässe bürge .191 Der Frankfurter Rechtsanwalt Ludwig Heilbrunn, der im Jahre 1915 die erste ausführliche Studie über die Gründung der Stiftungsuniversität Frankfurt vorlegte und selbst aktiv an der Planung mitgewirkt hatte, vermutete seinerzeit wohl zurecht, dass die „Gründung endgültig gescheitert“ wäre, wenn sich die preußische Regierung diese Forderung zu eigen gemacht hätte .192 Zu den Hauptgegnern des Frankfurter Projekts gehörten aus naheliegenden Gründen die benachbarten Universitäten in Marburg und Gießen, in deren studentischem Einzugsgebiet Frankfurt lag . Die Universität Marburg konnte auf dem Kommunallandtag des Regierungsbezirks Kassel eine Entschließung durchsetzen, in der die preußische Staatsregierung ersucht wurde, „die Errichtung einer Universität in Frankfurt am Main wegen Mangel an Bedürfnis und wegen der schweren Schädigung, welche dadurch der Universität Marburg […] erwachsen würde, zu verhindern“ .193 Vertreter der Universität Gießen konnten weniger Einfluss auf die preußische Kultusbürokratie ausüben, da sie den Umweg über die hessische Regierung nehmen mussten . Das Großherzogtum Hessen versuchte zwar nach entsprechenden Eingaben aus der Universität Gießen, auf dem Verhandlungswege „gegen die neue Konkurrentin“ vorzugehen, konnte jedoch auf das weitaus stärkere Preußen kaum Druck ausüben . Ludwig Heilbrunn bezeichnete das Vorgehen der hessischen Regierung sogar als „diplomatische Mobilmachung des Nachbarstaates“, die in ihrer Kuriosität einzig durch den Bürgermeister von Rinteln übertroffen worden sei, der in der Öffentlichkeit von angeblichen Vorrechten seiner Stadt auf eine Hochschule sprach, die sich historisch aus der durch den westphälischen König Jérôme Napoléon aufgelösten Universität ableiten ließen .194 Erfolgversprechender waren demgegenüber die Bemühungen der Universi-

Vgl . Ziegler (1913), S . 47 . Durch den Stiftungsrat würde die Stiftungsuniversität überdies „eine doppelt abhängige, also besonders unfreie Universität“; Ziegler (1913), S . 47 . 191 Vgl . Heilbrunn (1915) S . 93 . 192 Heilbrunn (1915), S . 158 . 193 Heilbrunn (1915), S . 87 . 194 Heilbrunn (1915), S . 86 . 190

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tät Marburg . Abgeordnete aus dem Wahlkreis Marburg konnten im Preußischen Abgeordnetenhaus gegen das Frankfurter Universitätsprojekt sprechen und die Meinung der übrigen Parlamentarier beeinflussen . Dabei betonten sie die negativen Auswirkungen, die der heimischen Universität durch den Wettbewerb mit der Großstadt Frankfurt drohten . Unterstützung bekamen sie von Abgeordneten aus anderen Universitätsstädten wie dem nationalliberalen Hallenser Ordinarius Robert Friedberg . Friedberg warnte mit Verweis auf Entwicklungen in Belgien, dass nichtstaatliche Hochschulen in den Einflussbereich religiöser oder politischer Bewegungen geraten könnten und folglich eine Aushöhlung der durch die preußische Verfassung garantierten Freiheit von Forschung und Lehre drohe .195 Derlei Befürchtungen versuchte der Frankfurter Abgeordnete Carl Ludwig Funck anhand des Beispiels der Vereinigten Staaten von Amerika zu entkräften, wo dem privaten Element seit jeher eine große Bedeutung für die Finanzierung der Hochschulen zukomme .196 Trotz der Finanzierung durch Stiftungsgelder und die Stadt Frankfurt würde es sich bei dem von ihm befürworteten Projekt keineswegs „um die Gründung einer freien, sich vom Staat emanzipierenden Universität“ handeln .197 Eine solche Bildungseinrichtung wäre vom preußischen Kultusministerium freilich auch nicht genehmigt worden und hätte sich folglich nicht als promotionsberechtigte Universität konstituieren können .198 Einer Universitätsgründung musste schließlich in ganz Deutschland die staatliche Genehmigung vorangehen und die Bezeichnung Universität war (und ist) gesetzlich geschützt .199 Bedeutend einfacher hätte die neue Bildungseinrichtung als Akademie, Höhere Schule oder unter einer anderen Bezeichnung ins Leben treten können . Der Planungsstab um Bürgermeister Adickes war sich allerdings darüber im Klaren, dass nur eine Universität Studenten anziehen konnte und die „Anerkennung als Universität im Sinne des Staatsrechts […] gerade als die wichtigste Frage“ zu betrachten war .200 Eine enge Zusammenarbeit mit dem preußischen Kultusministerium war daher unerlässlich, obwohl Adickes so in Gegnerschaft zu Alt-Frankfurter Traditionalisten

Im Wortlaut hieß es in Paragraph 20 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31 . Januar 1850: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ . 196 Den daraus resultierenden Einfluss religiöser Gruppierungen und finanzkräftiger Mäzene auf einzelne Hochschulen erwähnte Funck begreiflicherweise nicht . 197 Heilbrunn (1915), S . 89 . 198 In einer rechtswissenschaftlichen Veröffentlichung aus dem Jahr 1911 heißt es dazu: „Der Staat will mit seinem Namen nicht Unternehmen decken, auf deren Führung er keinen Einfluss hat; dazu kommt das Konkurrenzmoment, das ihn veranlasst, auf den natürlichen Vorsprung, den Anstalten offiziellen Charakters gegenüber privaten besitzen, nicht zu verzichten .“ Daher halte „der deutsche Staat die Errichtung freier Universitäten mit seinem Bildungsinteresse unvereinbar“; Müller (1911), S . 115, 175 . In der Entwurfsfassung eines preußischen Unterrichtsgesetzes aus dem Jahr 1877 stand bezeichnenderweise der Satz: „Neue Universitäten dürfen nur vom Staat errichtet werden“; zit . nach: Blum (1933), S . 14 . 199 Bereits das Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 hielt bezüglich der Schulen und Universitäten fest: „Dergleichen Anstalten sollen nur mit Vorwissen und Genehmigung des Staates errichtet werden .“ 200 Heilbrunn (1915), S . 78 . 195

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und Sozialdemokraten geraten musste, die für eine „Freie Hochschule“ eintraten und die Einflussnahme der preußischen Kultusbürokratie so gering wie möglich halten wollten .201 Während Adickes vor der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung um Unterstützung für das Hochschulprojekt warb, bemühte sich der preußische Kultusminister August zu Trott von Solz (1909–1917), die Mitglieder des Preußischen Abgeordnetenhauses davon zu überzeugen, dass einer Frankfurter Stiftungsuniversität bedenkenlos zugestimmt werden könne . Dabei strich er „zur Beruhigung […] der Abgeordneten“ heraus, dass es „völlig ausgeschlossen [sei], daß ein Einfluß vo[n] irgendwelchen Stiftern oder Geldgebern“ auf die Besetzung der Lehrstühle oder die universitäre Forschung und Lehre ausgeübt werde . Das Ministerium habe „sichere Kautelen dagegen geschaffen“, so dass sich eine zukünftige Frankfurter Universität einzig in ihrer Finanzierung von den staatlichen Universitäten unterscheiden würde .202 Im gleichen Sinne argumentierten Franz Adickes und sein Planungsstab, die ihrerseits die preußische Ministerialbürokratie von der Befürchtung abbringen mussten, dass auf einer Hochschule im liberal-demokratisch geprägten Frankfurt „zu weit nach links gehende Tendenzen sich geltend machen könnten“ .203 Angesichts der erfolgreichen Werbung Adickes und weiterer Frankfurter Universitätsfreunde wie dem Stadtarchivar Rudolf Jung, der 1907 einen Aufsatz über Frankfurter Hochschulpläne aus dem Mittelalter, der Frühen Neuzeit und dem 19 . Jahrhundert veröffentlichte, folgten viele Professoren der Einschätzung eines ungenannten Heidelberger Ordinarius, der resigniert festgestellt haben soll:204 Frankfurt und weitere moderne Hochschulen im grosstädtischen Betriebsmilieu werden kommen und die Tage Heidelbergs sowie anderer Kleinstadt-Universitäten der academisch-romantischen Diluvialzeit sind gezählt . Die G . m . b . H . der Wissenschaften, die nur um ihrer selbst willen da ist, weicht der grossen Konsumgenossenschaft, die das Wissen […] nur honoriert, wenn es Umsatzwert für das praktische Leben hat!205

Zwar waren die Tage der Kleinstadtuniversitäten keineswegs gezählt, doch konnte die „Königliche Universität Frankfurt am Main“ trotz des Kriegsausbruchs zum Wintersemester 1914/15 eröffnet werden und zahlreiche deutsche Spitzenwissenschaftler für sich gewinnen .206 Keine zehn Jahre nach ihrer Gründung stand die Stiftungsuniversität

Hansert (1992), S . 126 . „Rede des Kultusministers von Trott zu Solz im Preußischen Abgeordneten-Haus“ (27 .3 .1912); abgedr . in: Wachsmuth (1929): 230–235, S . 233 . 203 „Neue Universitäten Frankfurt am Main und Posen“, in: Hochschul-Nachrichten 20 (1909/10): 243– 244, S . 243 . 204 Vgl . Jung (1907) . 205 Zit . nach: Salvisberg, Paul von: „Der Wettbewerb der Universitäten und Hochschulen“, in: Hochschul-Nachrichten 20 (1909/10), S . 55 . 206 Für Max Weber, der die Frankfurter Sozialdemokraten in ihrer Forderung nach einer „Freien Universität“ mit einem Aufsatz in deren Parteiblatt Frankfurter Volksstimme unterstützt hatte, bedeutete die 201 202

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jedoch inflationsbedingt vor dem finanziellen Ruin und konnte nur durch das Eingreifen des Freistaates Preußen erhalten werden .207 Das Dresdener Universitätsprojekt Nach Frankfurter Vorbild trat auch der Dresdener Oberbürgermeister Otto Beutler als Akteur in die Arena der interuniversitären Konkurrenz ein . Er wollte eine kommunale Stiftungsuniversität errichten, für die er von den finanzkräftigen Mühlenbesitzern Theodor und Erwin Bienert ein Grundstück im Verkehrswert von fast einer Million Mark zugesichert bekam .208 Dem erwarteten „Widerstand der Universität Leipzig“ versuchte Beutler zu begegnen, indem er die Leipziger Professoren auf die „Überfüllung“ ihrer Hochschule hinwies, die nur durch eine zweite Landesuniversität beseitigt werden könne .209 In einer anonym veröffentlichten Denkschrift beschrieb er seine Hoffnung, „daß darum eine neue zweite Universität […] nicht als eine unliebsame Konkurrenz, sondern als etwas in der natürlichen Entwicklung der Dinge angesehen würde und daß, wenn dafür gesorgt werde, daß die bestehende [Leipziger] Universität in keiner Weise in ihren Mitteln beschränkt […] werde, keinerlei Anlaß für sie vorliege, gegen die Neuerrichtung Stellung zu nehmen“ .210 An der Universität Leipzig wurde man jedoch bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Dresdener Hochschulpläne aktiv und beauftragte den Nationalökonomen Karl Bücher, eine Streitschrift zu verfassen, die 1912 unter dem Titel Ein Votum zur Dresdener Universitätsfrage erschien . Darin wandte sich Bücher gegen das vermeintliche „Universitätsgründungsfieber“ und erklärte, dass von einer Überfüllung der Leipziger Universität keine Rede sein könne .211 Ferner kritisierte er den Versuch des ehemaligen sächsischen Ministerialdirigenten Karl Heinrich Waentig, der unter dem Namen Philacademicus schrieb, die Leipziger Professorenschaft davon zu überzeugen, daß an einen ernsthaften Wettbewerb mit der alma mater Lipsiensis nicht gedacht werden kann . Auch sollte man meinen, die altehrwürdige Jubilarin an der Pleiße stünde eigentlich viel zu hoch, um einen solchen Wettbewerb zu fürchten .212

Stiftungsuniversität in ihrer endgültigen Form eine „Kapitulation vor staatsbürokratischer Usurpation, die Auslieferung an das System Althoff “; zit . nach: Vom Bruch (1995), S . 321 . 207 Vgl . Kluke (1972), S . 245 ff . 208 Vgl . Werner (2006), S . 26 . 209 Beutler (1913), S . 22 . 210 Beutler (1913), S . 28 . 211 Bücher (1912), S . 5 . 212 Philacademicus (1912), S . 12 . Zur Geschichte der Universität Leipzig vgl . Bünz (2009), Häuser (2009/2010) .

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„Man wird von uns nicht erwarten können, daß wir auf dergleichen eingehen“, kommentierte Karl Bücher diese Ausführungen lakonisch .213 Er selbst ging vielmehr von einem dramatischen und dauerhaften Einbruch der Frequenz aus, weil „das reizlose Leipzig“ nicht mit dem pittoresken Elbflorenz würde konkurrieren können . Nicht nur für Leipzig, sondern für ganz Sachsen bedeute die Errichtung einer zweiten Landesuniversität im Übrigen einen wissenschaftlichen Verlust, da das Königreich in diesem Falle „statt einer großen und leistungsfähigen zwei kleine Universitäten besitzen würde, von denen keine über die Mittelmäßigkeit hinauskommen“ und folglich nicht mehr mit Berlin und München, den neben Leipzig führenden Universitäten im Wettbewerb der deutschen Hochschulen, konkurrieren könnte . Zudem rückten die Dresdener die Universitätsgründung in den „Bereich der ‚Fremdenindustrie‘“, was dazu führe, dass die Universitäten in Zukunft zur „Versendung von illustrierten Prospekten und ähnlichen Reklamemitteln“ gezwungen sein könnten, wie es bereits in Frankreich üblich sei .214 Auf eine solche Weise um Studieninteressierte zu werben, wurde gemeinhin als unwürdig und „undeutsch“ angesehen . So warnte der Bibliothekar Willy Pieth vor einer „Amerikanisierung“ der deutschen Universitäten, die von der Dresdener Hochschule und ihren Werbemaßnahmen auszugehen drohe .215 Letztlich handelte es sich bei den kommunalen Stiftungshochschulen aus der Sicht Büchers ohnehin nur um „Rumpfuniversitäten“, da sie aus Kostengründen nicht über die klassischen vier Fakultäten verfügen sollten .216 Im Dresdner Fall kam ferner hinzu, dass durch die Universität eine Auflösung der dortigen Tierärztlichen Hochschule verhindert werden sollte, die andernfalls in der Universität Leipzig aufzugehen drohte, so dass die Universität geradezu als Notanker erscheinen musste, um die drohende Hochschulschließung zu verhindern .217 Im Unterschied zu Marburg und Gießen gelang es den Leipziger Professoren, ihre Landesregierung davon zu überzeugen, die Stiftungsuniversität abzulehnen . Letztendlich schloss sich die sächsische Regierung der Ansicht Büchers an, dass eine Universität in Dresden eine „unliebsame Konkurrenz für die alte Landesuniversität Leipzig“ bedeuten würde, und brachte das Projekt zu Fall .218

Bücher (1912), S . 25 Bücher (1912), S . 26, 28–29 . Pieth (1913), S . 45 . Bücher (1913/14), S . 72 . Bereits 1906 klagten Lehrkräfte der Tierärztlichen Hochschule Dresden über die Leipziger Konkurrenz und verlangten das Promotionsrecht für ihre Hochschule . „Es darf unseres Erachtens auf keinen Fall dahin kommen, dass dieser Titel ‚Dr . med . vet .‘ vielleicht in Leipzig erworben werden kann“ hieß es aus Dresden, wo man eine Abwanderung der Studenten befürchtete; „Zur Promotion der Tierärzte in Sachsen“, in: Hochschul-Nachrichten 16 (1905/06), S . 147 . 218 Werner (2009), S . 168 . 213 214 215 216 217

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Das Hamburger Universitätsprojekt Auch in der Hansestadt Hamburg kam die Initiative zur Errichtung einer Stiftungsuniversität aus dem Rathaus .219 Der Senator und spätere Bürgermeister Werner von Melle verfolgte den „amerikanischen Mustern entnommene[n] Plan“ ab etwa 1903 .220 Die damalige Vermutung des Hamburger Fremdenblattes, dass die erhofften 20 Millionen Mark an Stiftungsgeldern „in solchem Umfang wohl in Amerika, schwerlich aber in Hamburg“ zu erreichen seien, erwies sich bald als zutreffend, da zahlreiche Hamburger Kaufleute statt einer Universität eine praxisbezogene Handelshochschule für ihre Heimatstadt wünschten .221 Durch eine Indiskretion gerieten Informationen über die Hamburger Universitätspläne früher als von ihren Initiatoren gewollt in die Presse, wodurch preußische Professoren und das preußische Kultusministerium einen „Werbefeldzug“ gegen die drohende Konkurrenz beginnen konnten .222 Das kleine, dichtbevölkerte Hamburger Staatsgebiet war bekanntlich vollständig von preußischem Territorium umgeben, so dass ein Großteil der Hamburger Studenten seine Ausbildung auf einer der preußischen Universitäten absolvierte . Folglich konnte davon ausgegangen werden, dass sich die Errichtung einer Universität in Hamburg insbesondere auf der am nächsten gelegenen Universität im preußischen Kiel durch einen Rückgang der Studentenzahlen bemerkbar machen würde . Diese Befürchtungen wurden von Friedrich Althoff aufgegriffen, der das Hamburger Projekt – mit einiger Rücksichtslosigkeit, wie Werner von Melle im Rückblick festhielt – zu verhindern versuchte .223 Auf die preußische Kritik an den Universitätsplänen will Melle nach eigenen Angaben, ohne sie zu bestätigen oder abzustreiten, geantwortet haben: ‚Angenommen einmal, wir hätten die Absicht, – würde dann Preußen bei dem starken Besuch seiner Universitäten wirklich unsere Konkurrenz fürchten, oder welches Interesse kann es sonst haben, unserer wissenschaftlichen Weiterentwicklung Schwierigkeiten zu bereiten?‘: immerhin könne Hamburg dann sagen ‚Seht, Preußen gönnt es uns nicht‘, und ich hätte für die Universität Oberwasser .‘224

Melle ließ sich von Hugo Münsterberg beraten, der zunächst für eine Adaption des amerikanischen Privatuniversitätsmodells votierte . Angesichts des starken Nationalismus in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg änderte er jedoch seine Meinung und

Darüber hinaus engagierten sich seit den 1890er Jahren einige vermögende Hamburger Privatleute für die Errichtung einer Hochschule . 220 Melle (1923), S . 340 . 221 Hamburger Fremdenblatt vom 20 .03 .1903; Zit . nach: Melle (1923), S . 340 . 222 Melle (1923), S . 363 . 223 Laut Melle war das „eigenartige Verhalten des Preußischen Kultusministeriums […] nur auf Althoffs persönlichen Einfluß zurückzuführen . […] In späterer Zeit […] ist uns die Preußische Unterrichtsverwaltung stets in durchaus loyaler und dankenswerter Weise entgegengekommen“; Melle (1923), S . 354 . 224 Melle (1923), S . 351 . 219

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ging schließlich davon aus, „daß es besser ist, Hamburg nach dem Vorbilde der übrigen deutschen Universitäten zu gestalten“, da die Universität andernfalls aufgrund ihrer „ausländischen“ Gestalt isoliert werden würde, was ihr insbesondere bei Berufungen zum Verhängnis zu werden drohe .225 Daher sollte das hergebrachte Kolleggeldsystem in Hamburg beibehalten werden, da andernfalls „manche Professoren auch bei Bewilligung eines noch so hohen Gehalts […] überhaupt nicht geneigt sein würden, nach Hamburg zu kommen“,226 wie es in einer Denkschrift hieß . Zudem legte man Überlegungen zu einer Hochschule für „ältere Semester“ beziehungsweise Postgraduierte ad acta227, zumal davon ausgegangen werden musste, dass die anderen deutschen Bundesstaaten Abschlüsse einer solchen Hochschule nicht anerkennen würden . Im Übrigen riet Münsterberg (hier durchaus amerikanischen Vorbildern folgend) zu einer Spezialisierung der Universität, was in Hamburg auf eine Schwerpunktsetzung in den Bereichen Handel und Kolonialismus hinauslief . Keimzelle der Hamburger Universität wurde daher das 1908 eröffnete Kolonialinstitut, das die Hansestadt zum Zentrum deutscher Überseeforschungen machen sollte .228 Dafür musste jedoch mittelfristig das Reichskolonialamt gewonnen werden, durch das die (spätere) Universität in den Genuss von Zuschüssen und Forschungsaufträgen des Reiches gelangen sollte . Hierbei konkurrierten die Hamburger freilich mit Berlin . Ohne die mächtige Friedrich-Wilhelms-Universität zu sehr gegen Hamburg aufzubringen (so wurde beispielsweise versichert, keine Suaheli-Sprachkurse anzubieten, um „das Orientalische Seminar in Berlin [nicht] zu reizen“), mussten die Hamburger das Reichskolonialamt davon überzeugen, dass die Hansestadt der bessere Standort und ihr Hochschulprojekt das erfolgversprechendere seien .229 Als Tor zur Welt könne Hamburg zur „‚Mutteruniversität‘ für die in den Kolonien zu errichtenden Hochschulen“ werden, empfahl beispielsweise der Hamburger Arzt und spätere Direktor des Universitätsklinikums Hermann Arthur Thost seine Heimatstadt .230 Die Beruhigung der Nachbarhochschulen zeitigte eine bessere Wirkung als bei den Frankfurter und Dresdner Hochschulplänen .231 Vielmehr scheinen preußische

So Hugo Münsterberg im Jahre 1913; zit . nach: Melle (1923), S . 375 . Tatsächlich gab es eine Reihe von (zumeist anonymen) Stellungnahmen, die der projektierten Hamburger Universität schon im Voraus die Ebenbürtigkeit mit den bestehenden Universitäten absprach, da sie „mit einem Kostenaufwand von 25–30 Milliönchen zu einer Hochschule nach englisch-amerikanischem Muster“ werde; „Die Universität Hamburg“, in: Hochschul-Nachrichten 16 (1905/06), S . 99 . 226 Zit . nach: Melle (1924), S . 26 . 227 Eine solche Hochschule wurde ab Anfang der 1910er Jahre als „unwirtschaftlich“ und „irrationell“ bezeichnet, da sie kein Promotionsrecht bekommen könne; Melle (1924), S . 72–73 . 228 Vgl . Ruppenthal (2007), Ders . (2013) . 229 Melle (1923), S . 471 . Das Seminar für Orientalische Sprachen war zu dieser Zeit lose an die Friedrich-Wilhelms-Universität angebunden . 230 Zit . nach: Melle (1924), S . 93 . 231 „Die Befürchtung einer Konkurrenz für andere Universitäten ist dem Hamburger Plane gegenüber, im Gegensatz zu dem Frankfurter, soweit ich erinnere, kaum je geltend gemacht“ worden; Melle (1924), S . 194 . 225

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Politiker und Verwaltungsbeamte, an erster Stelle Friedrich Althoff, die Konkurrenz Hamburgs weit mehr gefürchtet zu haben als die Professoren, die Melle mit ihrem Spott bedachten, nachdem er beim preußischen Kultusministerium angefragt hatte, wie viele Fakultäten eine Hochschule haben müsse, um sich als Universität bezeichnen zu dürfen .232 Gleichwohl traten Wissenschaftler aus den beiden (potentiell) besonders betroffenen Universitäten in Kiel und Berlin an die Öffentlichkeit, um gegen die Hamburger Konkurrenz Stellung zu beziehen . So behauptete der Kieler Staatswissenschaftler Wilhelm Seelig, dass Universitäten nur auf dem Boden einer Monarchie zur Blüte gelangen könnten und im republikanischen „Hamburg nicht Wurzel zu fassen“ vermöchten . In Berlin wandten sich unter anderem der einflussreiche Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff sowie der Soziologe Georg Simmel gegen eine Hamburger Universität, die „zu einem Überfluß an akademisch Gebildeten führen“ würde, wie der Soziologe ausführte .233 Werner von Melle erkannte, dass die Zeit eine bedeutende Rolle im Konkurrenzkampf spielen würde, und drängte zur Eile, um den Gegnern seiner Hochschulpläne keinen weiteren Zulauf zu bescheren . Dem Hamburger Bankier Max Warburg schrieb er im März 1912, dass sich der Wunsch einer Beschleunigung […] mit der Frankfurter Vorlage und der Konkurrenz der Berliner und anderer Institute [rechtfertigen ließe], die uns alles nachahmen und uns auf dem sicheren Grund der Universität in kolonialen Dingen den Rahm abzuschöpfen beginnen .234

Zudem bemühte sich Melle um einen guten Kontakt zu Professoren der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und bestärkte unter anderem den dort lehrenden Botaniker Johannes Reinke in dessen Annahme, dass die Universität Kiel so gut ausgerüstet sei, „daß sie einen Wettbewerb mit Hamburg nicht zu scheuen brauche“ . Auch sein Kollege Eugen Wolff erwartete von der Universität Hamburg mehr einen belebenden als einen bedrohlichen Wettbewerb für seine Alma Mater . Daher, so der Literaturwissenschaftler, sei die Frage gegenstandslos: Wie kann Kiel der Konkurrenz von Hamburg begegnen? Ich hoffe auf ein kollegiales Zusammenarbeiten mit der benachbarten Hochschule und frage nur: Wie kann die Kieler Universität auch neben einer großzügig organisierten Hamburger dauernd in Ehren bestehen? […] Hamburg wird durch die hohen Dotierungen und eigenartige, moderne Organisation seiner Institute, sowie die berechtigten, aber zurzeit ungewöhnlichen Aufwendungen für seine Lehrkräfte bald mit den ersten Universitäten

Vgl . Melle (1924), S . 21; Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 124 . Zit . nach: Melle (1924), S . 94, 197 . Möglicherweise versprach sich (der damalige Privatdozent) Simmel davon eine Verbesserung seiner Karrierechancen in Preußen . 234 Zit . nach: Melle (1924), S . 171 . 232 233

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in Wettbewerb treten, und besonders Kiel wird sich rühren müssen, soll seine Blüte nicht geknickt werden . Zum Pessimismus liegt kein Grund vor, wohl aber zur Energie, zur Anspannung aller Kräfte .235

Der durchweg positive Tenor der Stellungnahme legt die Vermutung nahe, dass sich Wolff möglicherweise für die in Planung befindliche Universität empfehlen wollte, um nach einer Berufung dorthin selbst in den Genuss der ungewöhnlich hohen, aus dem Blickwinkel eines Professors freilich berechtigten Aufwendungen für die dort lehrenden Ordinarien zu gelangen . Auch auf den übrigen deutschen Universitäten wurde die Entwicklung des Hamburger Universitätsprojekts durchaus nicht nur ablehnend verfolgt, wobei das Spektrum der vertretenen Meinungen sehr breit war . Einige wenige Professoren wie der Leipziger Nationalökonom Wilhelm Stieda stritten sogar den Konkurrenzbegriff ab, den sie auf die Ökonomie zu beschränken versuchten: Ich finde, daß man den in der Geschäftswelt aufgebrachten Begriff der Konkurrenz dieser überlassen und nicht in die Wissenschaft hineintragen sollte, wie leider jetzt bei der Erörterung dieser Fragen, die nur leidenschaftslos und objektiv erledigt werden können, geschieht,236

fasste Stieda seine Meinung zusammen . Der Berliner Philosoph Max Dessoir wiederum ging davon aus, dass nach der Gründung der aufgrund ihrer Schwerpunktsetzung und Dotation „modernen“ Universität Hamburg „eine heilsame Auswirkung auf die älteren Anstalten nicht ausbleiben“ könne .237 „Mit dieser Eigenart und dieser Bestimmung“, pflichtete ihm der katholische Journalist Karl Hoeber bei, „entspricht sie einer Forderung unserer Zeit, und in diesem Sinne fallen auch die Bedenken, es gebe in Deutschland zuviel Universitäten, die mittleren und kleineren würden unter der Konkurrenz der Großstadtuniversitäten zu sehr leiden“ .238 Darüber hinaus regte sich Kritik an den Hamburger Hochschulplänen, die nicht auf die ökonomische Dimension des interuniversitären Wettbewerbs zurückgeführt werden kann . Dazu gehörten zweifelsohne die Warnungen des Berliner Philosophen Eduard Spranger, der in seiner Zeit zu den besten Kennern der im Geiste des Deutschen Idealismus verfassten Gründungsschriften der Universität Berlin gehörte und die Universitas litterarum (die von Max Weber freilich bereits zur „Fiktion“ erklärt worden war) bewahren wollte .239 Spranger ging davon aus, dass die Kolonialwissenschaften lediglich „das Produkt der gegenwärMelle (1924), S . 195 . Zit . nach: Melle (1924), S . 194 . Stiedas Aussage konnte wohl auch als Seitenhieb auf seinen Leipziger Fachkollegen Karl Bücher verstanden werden, der die Frage nach Gründung neuer Universitäten nicht eben „leidenschaftslos und objektiv“ behandelte . 237 Dessoir (1913) . 238 Hoeber (1911), S . 624–625 . 239 Weber (1909), S . 675 . 235 236

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tigen weltwirtschaftlichen Lage und der imperialistischen Politik“ seien und eine auf diesen (und generell auf jedweden) Forschungsschwerpunkt ausgerichtete Hochschule „die [deutsche] Universität in Grund und Boden […] ruinieren“ würde, da sie aus einem unwissenschaftlichen, weil „utilitaristischen Gedankengang“ hervorgehe .240 Ein „harmonikaartig auseinandergezogenes Kolonialinstitut“, stimmte ihm Karl Bücher zu, führe die Universitas litterarum ad absurdum und degradiere sie zur Spezialschule französischer Provenienz .241 Trotz Melles Appell zur Eile gerieten die Planungen ins Stocken, da die Hamburger Bürgerschaft die Universitätsvorlage ablehnte und die Spendengelder nicht im erhofften Ausmaß flossen . Ein Teil der bereits für die Hamburger Universität gewonnen Professoren ließ sich in Folge an andere Universitäten berufen, „denn Deutschland kann nicht warten, bis Hamburg seine Pforten für die akademische Jugend öffnet“, wie C . H . Becker bei seinem Fortgang verlauten ließ .242 Aufgrund der Schwierigkeiten, die bereits 1913 dazu führten, dass von dem Modell der Stiftungsuniversität Abstand genommen wurde, diskutierte der Planungsstab um Werner von Melle, ob statt einer Universität das Kolonialinstitut als (reines) Forschungsinstitut weiterbestehen könne .243 Denn längst gab es in Deutschland jenseits der Hochschulen eine ganze Reihe außeruniversitärer Forschungsinstitute, die als neue Typen organisierter Forschung ihrerseits mit der Universität in Konkurrenz traten . Der Bonner Nationalökonom Hermann Schumacher wurde mit einem Gutachten betraut, das zu dem Ergebnis kam, dass reine Forschungsinstitute mit einem wachsenden Wettbewerb der Universitäten zu rechnen hätten . […] Forschungsinstitute seien weit schlimmerem Wettbewerb ausgesetzt als eine neue Universität, da sie international mit verwandten Organisationen zu rechnen hätten, hinter denen der wissenschaftliche Ehrgeiz eines ganzen großen Volkes stehe, wie die Kaiser Wilhelm-Stiftung oder die Carnegie-Institution .244

Während des Ersten Weltkriegs wurden die Hochschulpläne grundlegend überarbeitet . Die Universität sollte nun statt „einer Spezialanstalt […] zu einer Hochschule allgemeinen Charakters“ werden, da nur auf diese Weise Studenten „von den Universitäten wegzulocken“ seien .245 Erst nach dem Waffenstillstand und abermaliger Überarbeitung des Gründungsentwurfs wurde der Eröffnung einer Hamburger Universität von der nun sozialdemokratisch dominierten Bürgerschaft zugestimmt . Wenngleich keineswegs sämtliche Professoren zu den Gegnern kommunaler Stiftungsuniversitäten gezählt werden können, so übten die deutschen Hochschullehrer

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Spranger (1913/14), S . 12 . Deutscher Hochschullehrertag (1914), S . 93 . Zit . nach: Melle (1924), S . 252 . Vgl . Werner (2011), S . 85 . Zit . nach: Werner (2011), S . 413 . Werner (2011), S . 515 .

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doch den größten Widerstand gegen die neuen Bildungseinrichtungen aus . Die in Dresden, Hamburg und Frankfurt vorbereiteten Universitätsgründungen wurden vielerorts nicht nur als Konkurrenz, sondern als Bedrohung wahrgenommen und, etwa auf den Hochschullehrerkonferenzen, in den Landesparlamenten und durch die Veröffentlichung von Streitschriften zu bekämpfen versucht . Während das Dresdner Hochschulprojekt auch aufgrund der Proteste aus Leipzig scheiterte, konnten sich die Gießener und Marburger Gegner der Frankfurter Universität nicht durchsetzen . In der Freien und Hansestadt Hamburg, die über keine promotionsberechtigte Hochschule verfügte und verhältnismäßig weit von der nächstgelegenen Universität entfernt lag, schlug dem Stiftungsprojekt relativ wenig Gegenwind vonseiten der Professoren entgegen . Nicht der schwache Widerstand von Kieler und Berliner Ordinarien, sondern die mangelnde Unterstützung durch die Bevölkerung und die Hamburgische Bürgerschaft sowie die strikt ablehnende Haltung Friedrich Althoffs zogen die Gründungsvorbereitungen in die Länge . III.3

Die Universitäten im Wettbewerb der deutschen Bundesstaaten und im „Konkurrenzkampf der Nationen“

Bereits in den 1960er Jahren wiesen die beiden Wissenschaftssoziologen Joseph Ben-David und Awraham Zloczower darauf hin, dass die Konkurrenz unter den Bundesstaaten nicht unwesentlich zum Erfolg der deutschen Universitäten im Kaiserreich beigetragen habe .246 Die Parlamente bewilligten in der Tat hohe Summen für den Ausbau sowie die personelle und materielle Ausstattung der Landesuniversität(en), um ihren „Platz in der Rangordnung der deutschen Hochschulen“ zu sichern respektive zu verbessern .247 Als „Symbol für die Leistungsfähigkeit“ des Bundesstaates waren die Universitäten mithin lachende Dritte im Wettbewerb der deutschen Länder um Prestige als symbolischem Kapital, das als Prämie winkte .248 Schon Zeitgenossen sprachen daher von einem „wahren Wettkampf […] in der Herstellung zweckmäßiger und würdiger Räume“, deren Bereitstellung nicht als „Sonderinteresse“ der Hochschule betrachtet, sondern zu den „höchsten Landesinteressen“ gezählt wurde, wofür freilich nicht zuletzt die Professoren selbst sorgten, wenn sie als Landtagsabgeordnete den Gang der Kultusdebatten beeinflussten und als informierte Experten stets „VergleichsBen-David/Zloczower (1962), S . 51 . So der württembergische Kultusminister Karl von Fleischhauer im Jahr 1918; zit . nach: Paletschek (2001), S . 135 . 248 Im württembergischen Landtag hieß es dazu 1887, „daß die Erhaltung der Kulturanstalten des Landes, insbesondere des Brennpunktes derselben, der Universität, auf der Höhe und in der Blüte eine Gewähr dafür bietet, daß unser kleines Staatswesen eine Achtung fordernde Stellung im großen nationalen Verband einnimmt, es repräsentiert dies eine ideale Macht, welche größeren materiellen Machtmitteln ebenbürtig das Gegengewicht hält“; zit . nach: Paletschek (2001), S . 504 . 246 247

Die Universitäten im Wettbewerb der deutschen Bundesstaaten

zahlen anderer [sprich: finanziell besser gestellter; F . W .] deutscher Universitäten parat“ hatten, die sie in ihre Reden einstreuten .249 Trotz massiver Kriegsverluste künden noch heute zahlreiche repräsentative Hochschulbauten und umfangreiche Universitätssammlungen von dieser seit der Weimarer Republik verständlicherweise zu einem goldenen Zeitalter verklärten Epoche . Ferner bemühten sich die Staatsregierungen und die in den Landesparlamenten vertretenen Professoren um einen möglichst raschen Anschluss der Universitätsstädte an das Eisenbahnnetz, das die einzelnen Hochschulen wie Lebensadern verband . Es spielte eine wachsende Rolle dabei, Studenten wie Professoren anzuziehen .250 Kleinere Nutritorenstaaten wie die ernestischen Herzogtümer, die gemeinsam die Universität Jena unterhielten, waren bereits in den 1870er Jahren finanziell überfordert, so dass Rufe nach einer Unterstützung durch Privatpersonen, die ortsansässige Industrie, das Reich oder gar nach einer vollständigen „Verreichlichung“ laut wurden . Während es zu einer Übernahme von Landesuniversitäten durch das Reich nicht kommen sollte, konnten die deutschen Hochschulen ihre Einnahmen durch Stiftungen und Spenden beträchtlich steigern . So verdoppelte sich ihr Anteil im stetig wachsenden Etat der Jenaer Salana zwischen 1878 und 1914, wozu vor allem Gelder der 1889 gegründeten Carl-Zeiss-Stiftung beitrugen .251 Ähnliche Entwicklungen, wenn auch nicht im selben Umfang, können für andere Universitäten konstatiert werden . Mittels geschickt gewählter ‚Prämien‘ in Form der Verleihung von Ehrendoktorwürden an mäzenatische Unternehmer, aber auch Staatsbeamte und Fürsten konnten sich die Universitäten im Übrigen „für materielle Zuwendungen erkenntlich […] zeigen“ und einen Anreiz für weitere potentielle Spender schaffen, wenngleich sie damit die statuarischen Bestimmungen zur Verleihung von Ehrenpromotionen sehr weit auslegen oder sogar ignorieren mussten, die eigentlich als „Anerkenntniss vorzüglicher Gelehrsamkeit“ definiert wurden .252 Spätestens um 1900 gerieten selbst größere deutsche Bundesstaaten in finanzielle Schwierigkeiten, da die Bildungsetats durch gegenseitiges Überbieten merklich angestiegen waren . Aus diesem Grunde trafen sich die deutschen Kultusminister ab 1898 in regelmäßigen Abständen zu Konsultationen, um wettbewerbsbedingte Mehrausgaben zu vermeiden . So sollten Professoren nach Annahme eines Rufes einer zwei- bis dreijährigen Berufungssperre unterliegen, um häufige Hochschulwechsel und die damit

Zitate in: Paletschek (2001), S . 135; vgl . Gerber (2009), S . 96 . Auch das kleine, abseits großer Verkehrsströme gelegene Tübingen benötigte daher ein „Studentenbähnle“, um fürderhin am Wettbewerb um Studenten teilnehmen zu können; vgl . Paletschek (2001), S . 138 . Bei Gründung des Deutschen Reiches waren freilich bereits fast alle Universitätsstädte an das Bahnnetz angeschlossen, jedoch entstanden zahlreiche neue Bahnverbindungen zu den Hochschulorten . 251 Vgl . das Diagramm in Gerber (2009), S . 74 . 252 So wortgleich in den Statuten der vier Jenenser Fakultäten von 1829/1883; zit . nach: Halle (2009), S . 264–265 . 249 250

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für den Staat verbundenen Kosten zu reduzieren .253 Ferner vereinbarten die Kultusbehörden eine Deckelung der Professorengehälter, eine Herabsetzung der maximal erreichbaren Summe an Kolleggeldern sowie Absprachen bei Neuberufungen, um sich nicht gegenseitig finanziell zu schädigen .254 Max Weber erkannte in den Hochschulkonferenzen der Kultusminister daher völlig richtig ein Instrument zur Verhinderung von Wettbewerb, das er mit Blick auf die Wirtschaft als Konkurrenz abblockendes Kartell interpetierte: „Die deutschen Bundesstaaten stehen in einem Kartell miteinander, welches diesen Zustand der Konkurrenz unter ihnen in weitem Grade beseitigt hat“, verkündete er auf dem Hochschullehrertag 1911 . Zudem seien „die übrigen Unterrichtsverwaltungen Vasallen der preußischen“, die alle anderen an Macht und Einfluss weit überrage .255 Preußen konnte es sich in der Tat leisten, gemessen am Gesamthaushalt sämtlicher deutscher Bundesstaaten prozentual am wenigsten für seine Universitäten auszugeben und dennoch als beneideter Referenzrahmen für die anderen Länder zu dienen .256 Der Germanist Friedrich von der Leyen stellte fest, dass nicht nur die einzelnen Bundesstaaten untereinander in Konkurrenz ständen, sondern im Besonderen „zwischen Preußen und Nichtpreußen ein reger wissenschaftlicher Wetteifer“ herrsche .257 Vor allem Sachsen und Bayern versuchten, dem reichen Preußen zumindest im kulturellen Bereich Paroli zu bieten, und gingen dafür bis an ihre finanziellen Belastungsgrenzen . „Sachsen soll von der Universität bis zur Volksschule herab eine führende Stellung unter den deutschen Staaten einnehmen“, forderte beispielsweise sein Kultusminister Heinrich Gustav Beck im Jahre 1909 .258 Um die Kräfte zu bündeln, ließ Sachsen alle für universitäre Forschung und Lehre vorgesehenen Gelder der einzigen Landesuniversität in Leipzig zukommen und lehnte die Gründung einer zweiten in Dresden (auch) aus diesem Grunde ab . Den schwächeren Bundesstaaten kam zu Gute, dass nicht nur pekuniäre Aspekte über Erfolg oder Misserfolg in der Berufungspolitik entschieden . Es gab vielmehr viele weitere Prämien zu erringen . Ein guter Ruf der Universität, wenngleich bisweilen auf längst vergangene Zeiten zurückzuführen, wurde in universitären Festreden und Jubiläumsschriften, aber auch von staatlicher Seite durch die wiederholte Beschwörung alter Traditionen gepflegt .259 Zur „permanenten Vgl . Protokoll der achten Hochschulkonferenz am 28 ./29 . September 1906 in Schandau; abgedr . in: Vom Brocke (1994): 113–156, S . 134 . 254 Kolleggelder ab einer Höhe von 3000 Mark pro Jahr mussten ab 1897 zur Hälfte an die Staatskasse abgeführt werden; vgl . Lenger (32012), S . 61; vgl . auch Schübl/Uray (2012), S . 430 . 255 Deutscher Hochschullehrertag (1912), S . 71 . 256 Vgl . Gerber/Steinbach (2005), S . 10 . 257 Leyen (1906), S . 30 . 258 Zit . nach: Müller (1909), S . 55 . 259 Man denke an die Bedeutung der Weimarer Klassik für die Universität Jena . In den Rektoratsreden (nicht nur des Kaiserreichs) wurde der Eindruck erweckt, dass noch immer ein einzigartiger liberaler Geist durch die Flure der Salana wehe . Der Historiker Stefan Gerber spricht in diesem Zusammenhang von „‚weiche[n]‘ Faktoren“ der Anziehungskraft; Gerber (2009), S . 207 . 253

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Erfindung einer Tradition“, wie die Historikerin Sylvia Paletschek dieses Phänomen bezeichnete, gehörte auch „die Kontrolle von deren Rezeption“ .260 So rief die Universität Leipzig im Vorfeld ihrer 500-Jahrfeier einen „Preß-Ausschuß“ ins Leben, während die Jenaer Salana 1908 anlässlich ihres Jubiläums einen ihrer Professoren zum „Kommissar für Presse“ ernannte und intensiv mit den Lokalzeitungen zusammenarbeitete, die über den Festakt berichteten .261 Wo nicht mit Tradition gepunktet werden konnte, halfen „Titel, Rangerhöhung, Auszeichnungen und andere hübsche Kleinigkeiten, die nichts kosten und nichts einbringen, über die sich aber artige Beamte zu freuen haben und nach denen sich auch viele Dozenten drängen, weil sie ihrer persönlichen und sozialen Stellung zugute kommen .“262 Bezeichnenderweise hielt der Werbeexperte Hugo Münsterberg „den Ausfall von Titeln und Orden“ für einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsnachteil einer Universität im Stadtstaat Hamburg, wo dergleichen Ehrbezeugungen unbekannt waren .263 Die Errichtung eines Reichskultusministeriums, wie es ab der Jahrhundertwende und vor allem während des Ersten Weltkriegs wiederholt diskutiert wurde, lehnte eine Mehrheit der Akademiker allerdings mit Verweis auf die Vorteile eines dezentralen, vom Wettbewerb der Einzelstaaten geprägten Bildungswesens ab .264 Während der Wettbewerb der Bundesstaaten nicht zuletzt durch die Etablierung der Hochschulkonferenzen an Intensität verlor, gewann der „Konkurrenzkampf der Völker“ in der spannungsgeladenen Vorkriegszeit von Jahr zu Jahr an Bedeutung .265 Die deutschen Universitäten waren bisweilen Profiteure, zum Teil jedoch auch Leidtragende dieser Konkurrenz, da sie für den Staat lediglich ein Mittel zum Zweck darstellten . Wiederum war es das große preußische Kultusministerium, das federführend tätig wurde und teilweise sogar als heimliches Reichswissenschaftsministerium fungierte . Sehr genau beobachtete man Unter den Linden die wissenschaftspolitischen Ambitionen Frankreichs, Großbritanniens und der USA und reagierte schnell auf neue Herausforderungen . Nachdem die französische Regierung 1903 eine akademische Auskunftsstelle in Paris eröffnet hatte, die internationale Studenten nach Frankreich lotsen sollte, dauerte es beispielsweise nur wenige Monate, bis Althoff für Berlin eine gleichartige Einrichtung geschaffen hatte .266 Dennoch galt das Deutsche Reich in der auswärtigen Kulturpolitik als verspätete Nation, was wohl unter anderem darauf zurückzuführen war, dass die Kultuspolitik laut Verfassung zu den Angelegenheiten

Halle (2009), S . 263 . Halle (2007), S . 295 . Dieser Presseausschuss fungierte als Herausgeber der offiziellen Jubiläumsschrift; vgl . Preß-Ausschuß der Jubiläums-Kommission (1909) . 262 Leyen (1906), S . 26 . 263 Brief Hugo Münsterbergs an Friedrich Sieveking vom 31 .3 .1905; abgedr . in: Sieveking (1905): 11–36, S . 16 . 264 Vgl . Spenkuch (2009), S . 85 . 265 So Werner von Siemens im Jahre 1886; zit . nach: Baumgart (1980), S . 15 . 266 Vgl . Köhler (1912/13), S . 412 . 260 261

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der einzelnen Bundesstaaten gehörte, die vornehmlich in nationalen und weniger in internationalen Dimensionen dachten .267 Insbesondere im zukunftsträchtigen China schien Deutschland auf verlorenem Posten zu stehen . Frankreich und Großbritannien hatten dort bis zur Jahrhundertwende bereits zahlreiche (Hoch-) Schulen eröffnet, während die Vereinigten Staaten ein großangelegtes Stipendienprogramm auflegten, das mit chinesischen Reparationszahlungen aus dem Boxeraufstand finanziert wurde .268 Seinerzeit empfahl auch der deutsche China-Experte Eugen Wolf, die eingehenden chinesischen Reparationszahlungen zur Errichtung einer deutschen „Strafuniversität“ in Peking zu verwenden, konnte sich jedoch mit diesem Vorschlag nicht durchsetzen .269 Erst 1907 erfolgte mit der „Deutschen Medizinschule für Chinesen“ in Woosung bei Shanghai die Gründung der ersten deutschen Hochschule in China .270 Die Feststellung des Historikers Karl Lamprecht, „daß der wirtschaftliche Einfluß dem geistigen folge“, legte die Befürchtung nahe, dass die deutsche Industrie wertvolle Absatzmärkte zu verlieren drohe, wenn Deutschland die auswärtige Kulturpolitik nicht intensiviere . In deutlicher Überschätzung der eigenen Kräfte betrachtete das preußische Kultusministerium nicht das bereits weitgehend im Einflussbereich anderer europäischer Mächte, der USA und Japans befindliche Reich der Mitte, sondern die Vereinigten Staaten als „das größtmögliche und glücklichste Object wissenschaftlicher Colonisation“ .271 Mit dem Ziel, das „Leben der amerikanischen Universitäten immer mehr von uns aus zu beeinflussen“, entsandte Althoff renommierte Professoren in die USA .272 Dabei plante er zunächst, „drüben eine kleine deutsche Universität zu gründen“, die als Standbein des Reiches in Amerika dienen und die Weltgeltung der deutschen Universitäten stärken sollte .273 Da die USA jedoch keinerlei Interesse an einer deutschen Universität auf ihrem Territorium bekundeten, scheiterte dieses Vorhaben bereits nach wenigen Jahren und mit ihm alle utopischen Hoffnungen auf eine wissenschaftliche Kolonisation der USA . Da sich die Vereinigten Staaten für eine „Colonisation“ als zu groß und zu weit entwickelt erwiesen, strebte das preußische Vgl . Nasmyth, George W . (1912/13), S . 661; vom Brocke (1991); vom Bruch (1994) . Nach Angaben des Völkerkundlers Wilhelm Knappe hatte Frankreich bis zum Jahr 1907 bereits 5000 Schulen jedweder Art in China gegründet, Großbritannien und die USA je rund 2000, das Deutsche Reich hingegen nur 30; vgl . Knappe (1907), Sp . 1166; vgl . Nasmyth (1912/13), S . 662 . 269 Vgl . „Die Strafuniversität des Herrn Eugen Wolf in Peking“, in: Hochschul-Nachrichten 11 (1900/01), S . 97–98 . 270 Vgl . Reinbothe (2009) sowie Tung-Chi-Universität (1933) . Auf ihrer Homepage bezeichnet sich die Tongji-Universität heute als „the Window to Germany“ . Sie finanziert sich zu erheblichen Teilen aus deutschen Forschungsgeldern und kooperiert mit über dreißig deutschen Hochschulen; vgl . Tongji University, „International Cooperation“, in ; letzter Zugriff: 24 .06 .2019 . 271 Aus einem Schreiben Felix Kleins an Friedrich Althoff; zit . nach: Siegmund-Schultze (1997), S . 27; Lamprecht (1913), S . 3 . 272 Siegmund-Schultze (1997), S . 27 . 273 Zit . nach: Ritter (1981), S . 161 . Felix Klein wurde von Althoff in diesem Zusammenhang leicht ironisierend als sein „Kommissar“ bezeichnet; vgl . Siegmund-Schultze (1997), S . 26 . 267 268

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Kultusministerium nun eine Kooperation mit Washington an . Die Historikerin Emily J . Levine konnte freilich herausarbeiten, dass die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit stets mit dem Wettbewerb zwischen den beiden Staaten verquickt war . Levine bezeichnet diese spezielle Form bilateraler Kooperation daher mit dem mittlerweile auch in Deutschland verbreiteten Kofferwort „co-opetition“ .274 Zu den Höhepunkten dieser „co-opetition“ zählte der 1905 initiierte deutsch-amerikanische Professorenaustausch . Der Kulturhistoriker Kuno Francke, einer der geistigen Väter des Austauschprogramms, sprach sogar von der Begründung eines „Kartell[s] zwischen deutschen und amerikanischen Universitäten“ .275 Ähnlich äußerten sich die ersten amerikanischen Gastdozenten . Der Harvard-Professor Francis Greenwood Peabody gab in seiner Antrittsrede der Hoffnung Ausdruck, dass sich durch den Professorenaustausch der „Wettstreit der Völker in das Reich der Ideale erheben möchte und internationale Achtung nicht nur durch Armeen, Flotten oder volkswirtschaftliche Erzeugnisse […] erwerben will“ .276 Der Politologe John Burgess, der als Professor der New Yorker Columbia-Universität an dem Austauschprogramm teilnahm, ging noch einen Schritt weiter und sprach im Hinblick auf eine wissenschaftliche Zusammenarbeit Deutschlands, der USA und Großbritanniens (nota bene im Jahr nach der Gründung der Entente cordiale) von einem „germanischen Dreibund“, der auf der „Blutsverwandtschaft“ der drei Völker aufbauen und die gegenseitigen Vorurteile überwinden müsse .277 Dies entsprach den Absichten des US-Präsidenten Theodore Roosevelt, der die Beziehungen zwischen Berlin und London verbessern wollte .278 Deutschland sah in Großbritannien jedoch in erster Linie einen Konkurrenten und potentiellen Kriegsgegner und betrachtete die deutsch-amerikanische Kooperation (auch) als Kompensation für die sich immer deutlicher abzeichnende außenpolitische Isolation in Europa und als Aufwertung des Reiches im imperialistischen Wettbewerb mit den übrigen europäischen Großmächten .279 Bezeichnenderweise nahm das preußische Kultusministerium das Studienprogramm der Rhodes-Stiftung, das deutschen Studenten einen Hochschulbesuch im Vereinigten Königreich finanzierte, als Bedrohung wahr . An „Sorgen, daß die Stipendiaten verengländern könnten“, erinnerte sich Althoffs Mitarbeiter Friedrich Schmidt-Ott noch in den 1950er Jahren .280 Befürchtungen, dass deutsche Austauschprofessoren dauerhaft Lehrstellen in den USA annehmen könnten, mussten die Kultusminister in Anbetracht der hohen sprachlichen und kulturellen Hürden und der erheblich niedrigeren sozialen Stellung, Vgl . Levine (2015), S . 56 . Francke (1904/05) . Franckes Aufsatz war zuvor bereits in der deutschsprachigen New-Yorker Staats-Zeitung vom 16 .4 .1905 erschienen . 276 Peabody (1905), S . 28 . 277 Burgess (1907), Sp . 104, 153 . 278 Vgl . Lammersdorf (1993) . 279 Vgl . Trommler (1993) . 280 Schmidt-Ott (1952), S . 57 . 274 275

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die Professoren in der Neuen Welt einnahmen, hingegen kaum hegen .281 Die selten genug auftauchenden Warnungen vor einer zunehmenden Abwanderung deutscher Wissenschaftler nach Amerika, wie sie sich beispielsweise in einer Denkschrift des Theologen Adolf von Harnack an Wilhelm II . finden, sollten wohl in erster Linie Ängste schüren, um dadurch wiederum die Bereitschaft zu größeren Investitionen in den Wissenschaftsbereich zu erhöhen .282 Bei den auswandernden Wissenschaftlern, deren Zahl überschaubar blieb, handelte es sich häufig um Juden, die Deutschland wohl weniger aufgrund einer (vermeintlich) besseren Qualität amerikanischer Forschungseinrichtungen denn aufgrund des weit verbreiteten Antijudaismus im Reich verließen, der ihre Karrieren hemmte . Im Allgemeinen galten die amerikanischen Universitäten in Bezug auf ihre sachliche, vor allem jedoch personelle Ausstattung als den deutschen (deutlich) unterlegen . So kann es auch nicht verwundern, dass das preußische Kultusministerium erhebliche Widerstände aus dem Professorenkollegium der Berliner Universität überwinden musste, der das deutsch-amerikanische Austauschprogramm quasi von politischer Seite aufgepfropft wurde . Von einigen Berliner Professoren sei die Kooperation der Friedrich-Wilhelms-Universität mit Harvard und der Columbia University „[f]ast als Herabwürdigung der deutschen Universität durch Gleichstellung mit den amerikanischen“ empfunden worden, schrieb Friedrich Paulsen in seiner Autobiografie .283 Diese „hochfahrenden Hitzköpfe[]“, wie er die überheblichen Kollegen tadelnd nennt, befürchteten wohl, dass ihre Wirkungsstätte international an Ansehen verlieren und geschädigt werden könnte .284 Neben dem Professorenaustausch organisierte das preußische Kultusministerium groß angelegte Präsentationen des (gesamt-)deutschen Hochschulwesens für die Weltausstellungen in Chicago (1893) und St . Louis (1904) . Auch ihnen lag die Wahrnehmung eines zunehmend schärferen transatlantischen Wettbewerbs im Hochschulund Forschungsbereich zugrunde, ferner der Wunsch, die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu festigen und die zahlreichen Deutsch-Amerikaner für die Sache zu mobilisieren . Für die St . Louis World’s Fair beauftragte Althoff seinen engen Vertrauten Wilhelm Lexis mit der Herausgabe eines mehrbändigen, Seiner Majestät dem Kaiser gewidmeten Werks über das Unterrichtswesen im Deutschen Reich .285 Bereits im Vorwort des ersten Bandes, der von den Universitäten handelt, hieß es:

Vgl . Ostwald (1933c), S . 27–28 . Ostwald war der erste deutsche Austauschprofessor, der in die USA aufbrach . Adolf Harnack lehnte zu Beginn seiner akademischen Karriere einen Ruf nach Harvard ab, um weiterhin an der (deutschen „Einstiegs-“) Universität Gießen zu lehren; vgl . Nottmeier (2004), S . 91 . 282 Vgl . die Denkschrift Adolf von Harnacks vom 21 .11 .1909 . Darin schreibt Harnack vom „bedenklichsten Rückstande“, in den das Reich bereits gegenüber den USA geraten sei; zit . nach: Goldschmidt (1991), S . 148 . 283 Paulsen (2008), S . 408 . 284 Vgl . Fiebig-von Hase (1998), S . 51–52 . 285 Lexis (1904c) sowie, für einen englischsprachigen Leserkreis, in kondensierter Form: Lexis (1904) . 281

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[D]er Wettbewerb der Völker äußert sich nicht nur in den materiellen Erzeugnissen ihrer produktiven Tätigkeit; er tritt auch hervor in der Schulung und Ausbildung der geistigen Kräfte, die leitend oder untergeordnet zusammenwirken müssen, um die Produktivität des volkswirtschaftlichen Organismus zu unterhalten und zu steigern .286

Auf der Weltausstellung in St . Louis sollte nach dem Willen Althoffs die Leistungskraft und Überlegenheit der deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen in Vorträgen international anerkannter Wissenschaftler unter Beweis gestellt werden, aber auch Informationen über den aktuellen Stand der amerikanischen Universitäten gesammelt werden .287 Die zahlreich eingehenden Berichte über das akademische Leben in den USA ließen aufhorchen und machten deutlich, dass das in Deutschland vorherrschende Amerikabild mehr einem Roman von Karl May als der Wirklichkeit entsprach und daher gründlich revidiert werden musste . Die nach europäischen Maßstäben außerordentlich rasante Entwicklung der Vereinigten Staaten hatte innerhalb weniger Jahrzehnte aus bescheidenen Colleges bestens ausgestattete Universitäten gemacht . Wissenschaftlich konnten sich die Vereinigten Staaten folglich bereits mit dem Deutschen Reich messen, so dass bisweilen sogar eine „gefährdete Stellung unserer deutschen Universitäten“ im internationalen Wettbewerb ausgemacht wurde .288 Sie sollte aus Sicht des preußischen Kultusministeriums und vieler Professoren nicht nur durch eine Kooperation mit ausgewählten ausländischen Bildungsinstitutionen, sondern zudem mittels einer zumindest teilweisen Übernahme fremder Hochschulmodelle gefestigt werden: „Wir […] fangen an, auf unseren Lorbeeren zu ruhen“, konstatierte der Greifswalder Rektor Ernst Bernheim um die Jahrhundertwende, „und uns in einer Unübertrefflichkeit zu sonnen, die bald ganz zu den vergangenen Thatsachen gehören wird, wenn wir uns nicht auf die harte Wirklichkeit besinnen“ .289 Zu dieser harten Wirklichkeit gehörte es, dass jüngere Entwicklungen wie die Vernetzung der Hochschulen mit der Industrie, die Aufnahme neuer technisch-naturwissenschaftlicher Disziplinen in das Lehrangebot der Universitäten oder die Errichtung reiner Forschungsinstitute in Deutschland weitgehend verschlafen worden waren . Die deutschen Universitäten, die aus Sicht zahlreicher in- und ausländischer Beobachter „Sadowa und Sedan gewonnen“ hatten, schienen für den modernen „Wettkampf der Nationen“ nicht mehr gerüstet zu sein, wenn sie sich nur an den idealistischen Humboldt’schen Bildungsidealen ausrichteten .290 Darüber konnten selbst die zahlreichen Nobelpreise für deutLexis (1904b), S . III . Vgl . Levine (2015), S . 56 . Bernheim (1899), Titel . Bernheim (1899), S . 20 . Brunner (1896), S . 16; Meyer (1900), S . 64; Der Berliner Rektor rief die Wissenschaftler ganz im Sinne des preußischen Kultusministeriums dazu auf, „aus nationalem Interesse sich international auszubilden“; Diels (1906), S . 37 . 286 287 288 289 290

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sche Universitätsprofessoren und das nach wie vor hohe internationale Prestige der deutschen Hochschulen nicht hinwegtäuschen, wenngleich Reformgegner wiederholt auf diese Umstände hinwiesen .291 In den USA, wo die deutschen Universitäten noch in den 1890er Jahren eine weitgehend unumstrittene Vorbildfunktion eingenommen hatten, begann ab der Jahrhundertwende eine intensivere Rezeption westeuropäischer Hochschulmodelle, die zum Teil als demokratietauglicher angesehen wurden . London und Paris verstärkten zu dieser Zeit ihre auswärtige Kulturpolitik und sprengten das von Kuno Francke erträumte „Kartell“ zwischen deutschen und amerikanischen Universitäten durch eigene Austauschprogramme . Auch aus anderen Gründen verlief die deutsch-amerikanische Kooperation im Wissenschaftsbereich nicht nach den Erwartungen des preußischen Kultusministeriums . Den meisten deutschen Gastprofessoren waren die enormen Fortschritte, die das amerikanische Universitätswesen in der jüngsten Vergangenheit gemacht hatte, weitgehend unbekannt geblieben . Das nicht zuletzt daraus resultierende überhebliche Verhalten, das viele von ihnen gegenüber ihren amerikanischen Kollegen an den Tag legten, konnte die deutsch-amerikanischen Beziehungen freilich nicht verbessern . Außerdem belasteten die Flottenpolitik des Kaiserreichs und die amerikanische Monroe-Doktrin die Beziehungen zwischen Berlin und Washington zusehends, so dass das Konkurrenzmoment in der „co-opetition“ der beiden Staaten und ihrer Universitäten immer stärker in den Vordergrund trat . Rund zehn Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs sahen sich bereits die ersten Angehörigen amerikanischer colleges und universities nicht mehr nur auf Augenhöhe mit den Deutschen, sondern begannen von einer Überlegenheit der amerikanischen Hochschulen zu sprechen . 1904 erklärte der US-Konsul Henry W . Diederich in der naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift Science, dass die deutschen Universitäten nicht mehr als international führende Bildungseinrichtungen zu gelten hätten . Die Hochschulen der USA seien schon jetzt die am besten ausgestatteten Lehr- und Forschungsinstitutionen der Welt und würden sich darüber hinaus viel schneller entwickeln als die deutschen .292 Zwar wurden solche Behauptungen von vielen deutschen Wissenschaftlern und Beamten der Kultusministerien belächelt, doch Amerikakenner wussten um ihren wahren Kern und warnten immer eindringlich davor, dass die USA nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf wissenschaftlichem Gebiet zum Hauptkonkurrenten des Deutschen Reiches zu werden drohten . So schrieb der deutsch-amerikanische Philosoph und Psychologe Hugo Münsterberg 1905 nach Berlin, dass er regelrecht mit Anfragen überhäuft werde, welche „Züge des amerikanischen Hochschulwesens für deutsche Neubildungen“ übernommen werden müssten, um ihnen denselben Erfolg zu sichern .293 Wiederholt

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Vgl . u . a . Kahl (1909) . Vgl . Fuchs (2007), S . 63 . Zit . nach: Fuchs (2007), S . 62 .

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riet der Harvard-Professor in seinen Briefen und Publikationen zur Imitation US-amerikanischer Universitätseinrichtungen . Auch Friedrich Althoff reagierte auf die Herausforderung, die zunehmend als „amerikanische Gefahr“ wahrgenommenen wurde, indem er angloamerikanische Ideen aufgriff und sie auf Preußen übertrug .294 Auf diese Weise wollte er die deutschen Universitäten international wettbewerbsfähig halten . So verfolgte er das ambitionierte und letztlich gescheiterte Projekt, einen Großteil der Berliner Universitätsinstitute in das damals noch vor den Toren der Reichshauptstadt gelegene Dahlem zu verlegen, wo sie zu einem „deutschen Oxford“ werden sollten .295 Ferner unterstützte er das kommunal- und privatfinanzierte Universitärsprojekt des Frankfurter Oberbürgermeisters Franz Adickes . Außerdem forcierte Althoff die von Paul Hinneberg ab 1907 herausgegebene, mehrsprachige und insbesondere dem deutsch-amerikanischen Forschungsaustausch dienende Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik und bereitete zusammen mit dem Theologen Adolf Harnack die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) vor . Harnack rechtfertigte die Errichtung der nur der Forschung gewidmeten KWG, indem er sie in äußerst gewagter Auslegung Humboldt’scher Universitätsschriften als letzten Wunsch des großen Bildungsreformers präsentierte, wohl wissend, dass der Verweis auf ausländische Vorbildinstitutionen (Institut Pasteur, Carnegie Foundation usw .) zwar in den Ministerien, nicht aber an den Universitäten überzeugen würde .296 Friedrich Glum, langjähriger Generaldirektor der KWG (1922–1937), sollte jedoch in den 1920er Jahren die Schaffung einer nur der Forschung gewidmeten Gesellschaft „in einer Zeit, in der durch die fremden Nationen in den Wissenschaftsbetrieb immer mehr der Gedanke des nationalen Wettbewerbs Eingang gefunden hatte, und die Wissenschaftspflege auch zu einem Mittel der auswärtigen Politik geworden war“, als Folge der internationalen Konkurrenz bezeichnen und traf damit den Nagel auf den Kopf .297 Mit der 1911 erfolgten Gründung der KWG zeigte sich auf deutliche Weise, dass die Universitäten nicht notwendigerweise zu den Profiteuren der Konkurrenz unter den Nationalstaaten gehörten .298 Schließlich entzogen die Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) den Universitäten einen beträchtlichen Teil ihres wissenschaftlichen Nachwuchses Münsterberg (1903/04), S . 277 . Ritter (1990), S . 27 . Der Ausdruck „deutsches Oxford“ geht vermutlich auf Friedrich Althoff zurück; vgl . dazu die abgedr . Quellen und das Faksimile eines Aktendeckels von 1909 in „Althoffs Pläne für Dahlem“, in: Weischedel (1960), S . 483–524 . 296 Gegenüber Wilhelm II . betonte Harnack demgegenüber, dass die Gründung der KWG Deutschland vor „einer Überflügelung durch ausländische Mächte“ bewahren könne; zit . nach Flachowsky (2008), S . 23 . 297 Glum (1928), S . 2 . 298 Wilhelm II . zeigte sich rückblickend darüber erfreut, dass der „Kampf gegen den klassisch-wissenschaftlichen Gelehrtenstolz“ gewonnen und die KWG gegen den Widerstand der Universitäten gegründet werden konnte . Er sei „auf diese meine Schöpfung Stolz gewesen, weil sie sich als nutzbringend für das Vaterland erwies [(…), in)] dem stets schärfer werdenden Kampf um den Weltmarkt und seine Absatzgebiete“, für den es „das Wissen der Koryphäen der deutschen Wissenschaft […] nutzbar zu machen“ gegolten habe; Wilhelm II . (1922), S . 164 . 294 295

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und waren dazu aufgrund ihrer vergleichsweise weitreichenden „Freiheit vor bürokratischen Hemmnissen“ und großzügigen finanziellen und sächlichen Ausstattung bestens in der Lage . Die Universitäten davon zu überzeugen, „daß die Kaiser-Wilhelm-Institute in keiner Weise eine Konkurrenz darstellen, sondern zum Teil Hilfsinstitute […], zum Teil Spezialinstitute“ seien, wie es die Präsidenten und Generalsekretäre der KWG wiederholt zu formulieren versuchten, konnte daher nicht gelingen .299 Vielmehr rief die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in „Hochschulkreisen einiges Unbehagen hervor“, wie es auf dem Deutschen Hochschullehrertag des Jahres 1912 untertreibend hieß .300 Der Münchner Psychiater Emil Kraepelin befürchtete etwa, dass die Gründung der KWG zu einer drastischen „Einschränkung der wissenschaftlichen Bedeutung unserer Hochschulen“ führen würde . „Wenn sie zu Forschungsstätten zweiten Ranges herabgedrückt werden und damit in der allgemeinen Wertschätzung ihre jetzige Hohestellung einbüßen, so wird sich selbstverständlich eine Abwanderung wissenschaftlich wertvoller und schöpferischer Persönlichkeiten von ihnen nach den begünstigten Forschungsinstituten hin vollziehen“, prophezeite er seinen Kollegen .301 Tatsächlich bewog nicht zuletzt die fehlende Lehrverpflichtung einige spätere Nobelpreisträger wie etwa den Chemiker Otto Hahn zu einer Karriere in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft .302 Die neue Konkurrenz durch die KWG brachte nicht nur Unruhe in die Fakultäten, sie stärkte auch Professoren wie den Leipziger Historiker Karl Lamprecht oder den Göttinger Mathematiker Felix Klein, die eine Öffnung der Universitäten gegenüber der Privatwirtschaft und finanzkräftigen Mäzenen befürworteten .303 Allerdings taten sich die Universitäten bei der Spendeneinwerbung nun beträchtlich schwerer als vor der Gründung der KWG, da Wilhelm II . für die nach ihm benannten Institute „gewissermaßen selbst mit dem Klingelbeutel bei der Großindustrie herumging und über die Gaben reichlich mit Orden und Titeln quittierte“ . So mancher Universitätsprofessor „empfand diese Entwicklung ein wenig wie einen ‚unlauteren Wettbewerb,‘ weil durch die starke Hand des Kaisers alle für solche ideal-wissenschaftlichen Zwecke verfügbaren Schenkgelder in diesen einzigen Kanal gelenkt wurden, so daß die Aussicht, für andere […] Zwecke derartige Mittel flüssig zu machen, so gut wie völlig vernichtet war“, wie der Chemiker Wilhelm Ostwald feststellte .304 Ferner geriet das

Glum (1928), S . 10 . Deutscher Hochschullehrertag (1912), S . 17 . Zit . nach: Middell (2010), S . 210 . Auf die Frage, warum er 1912 in das neugegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie eintrat anstatt einen universitären Karriereweg einzuschlagen, antwortete Otto Hahn: „Es war gut für mich, daß ich völlig frei arbeiten konnte, unbehindert von einem Lehrauftrag . Es war wunderbar“; Hahn (61986), S . 107 . 303 Als Frucht von Lamprechts Bemühungen konnte kurz vor dem Ausbruch des Weltkriegs mithilfe privater Geldgeber die König-Friedrich-August-Stiftung ins Lebens gerufen werden, die die Hochschulforschung finanziell unterstützte; vgl . Chickering (1997), S . 243 . 304 Ostwald (1933c), S . 271–272 . 299 300 301 302

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Ideal zweckfreier Forschung zunehmend in die Kritik, da nun auch an den Universitäten selbst die Frage aufgeworfen wurde, „inwieweit […] eine vom Nutzen absehende Forschung“ noch berechtigt“ war .305 Mit Kriegsausbruch sollte die Partei der Utilitaristen freilich noch stärkeren Zulauf bekommen, was den anwendungsbezogenen Kaiser-Wilhelm-Instituten zugute kam . Nun wurde die Forschungsförderung auf das Kriterium ihrer Relevanz für den militärischen Sieg ausgerichtet . Einer geschickten Begründung der eigenen Kriegswichtigkeit sowie Kontakten zu Heer und Marine kam eine vitale Bedeutung dabei zu, den universitären (Lehr- und) Forschungsbetrieb aufrechtzuerhalten . Eine Wissenschaft allein um der Wissenschaft willen sollte und konnte es nun nicht mehr geben . Sogar Eduard Spranger, der die „zweckfreie“ idealistische Humboldt-Universität über viele Jahre mit Vehemenz gegen alle Angriffe der Utilitaristen verteidigt hatte, bekräftigte nun, dass ihm „die Schicksale des Krieges den Blick für die […] Wirklichkeit wieder geöffnet“ hätten und er nun einsehe, dass die Universität „nicht mehr auf der Basis der alten Humanitätsidee ruhen könne“ . Auch der Wettbewerb der Universitäten sollte nach Sprangers Ansicht der Vergangenheit angehören: Bisher habe man die Wissenschaften dem „freien, ungeregelten Wettbewerb“ überlassen, so der Philosoph . „Heut vertraut man nicht mehr dieser sich von selbst ergebenden Harmonie“ und befürchte vielmehr eine Vergeudung der Kräfte .306 Die humanistische Universität sollte daher seiner Meinung nach von der politischen Universität abgelöst werden, in der nicht mehr das Individuum, sondern das Wohl des gesamten deutschen Volkes im Mittelpunkt stehe . Die „politisch-völkische Universität“ im wettbewerbsfreien Raum blieb freilich ein theoretisches Konstrukt . In der Praxis wurde vielmehr das aus Friedenszeiten bekannte Streben nach einer „Optimierung der eigenen Position in der Wissenschaftskonkurrenz“ keineswegs aufgegeben, wenngleich sich die Universitäten im Zuge der Kriegseuphorie des Jahres 1914 zunächst uneigennützig um finanzielle und materielle Einsparungen bemühten .307 Innerhalb und zwischen den Universitäten war in Anbetracht der von Jahr zu Jahr begrenzter werdenden Ressourcen von einem „Burgfrieden“ allerdings nur insofern etwas zu spüren, als sämtliche deutschen Hochschulen (wie jene des Auslands) den Sieg des Vaterlands wissenschaftlich und propagandistisch zu unterstützten versuchten . Inwieweit sogar das Versenden von so genannten literarischen Liebesgaben durch die Universitäten, die etwa in Form bebilderter Hochschulführer die immatrikulierten Frontsoldaten erreichten und fraglos nach der Lektüre an deren Kameraden weitergereicht wurden, (auch) dazu dienten, in der Zukunft Studenten anzuziehen, kann kaum ermittelt werden . Nachweisen lässt sich hingegen, dass die Universitäten sehr genau auf die Bemühungen ihrer Schwesteranstalten achteten

305 306 307

Groos (1912), Sp . 811 . Spranger (1916), S . 17, 19 . Gerber (2009), S . 244 .

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und sich zu derartigen Geschenken bemüßigt sahen, um die Bande zu ihren im Felde stehenden Studenten (und Dozenten) nicht abreißen zu lassen .308 Die Verleihung des Promotionsrechts an die Technischen Hochschulen Wie die rasch expandierende Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft lösten auch die Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR, 1887), die neben Reichsmitteln zu erheblichen Teilen durch private Spendengelder finanziert wurde, und die rechtliche und finanzielle Aufwertung der Technischen Hochschulen um die Jahrhundertwende erhebliches Unbehangen auf Seiten der Universitäten aus .309 Sowohl der PTR als auch der Stärkung der praxisnahen Technischen Hochschulen lagen Überlegungen zugrunde, die auf die internationale Konkurrenz ausgerichtet waren, die sich immer mehr auf die Entwicklung neuer Technologien und industriell verwertbare Forschungsergebnisse konzentrierte . Bereits ab den 1880er Jahren bemühten sich die Technischen Hochschulen um die Verleihung des Promotionsrechts und versuchten, die Kultusministerien und Landesregierungen davon zu überzeugen, dass die Universitäten den „Anforderungen des zwanzigsten Jahrhunderts“ allein keineswegs gewachsen seien, wie es in einer Schrift des Berliner Maschinenbauingenieurs Alois Riedler hieß .310 Während im Ausland die technische Ausbildung gefördert werde und für eine Vergrößerung von Wohlstand und militärischer Macht sorge, seien die Deutschen ein „Volk der Träumer“ geblieben, das praktische Kenntnisse geringschätze .311 Ein Statusdefizit der Technischen Hochschulen gegenüber den Universitäten im Deutschen Reich wurde im Übrigen nicht nur von einheimischen, sondern auch von ausländischen Wissenschaftlern diagnostiziert und als bedenklich eingestuft .312 Der einflussreiche Pädagoge Friedrich Paulsen setzte sich in einer Rezension mit den Ausführungen Riedlers auseinander . Zwar kam auch er zu dem Schluss, dass in Deutschland der „Intellektualismus das Elementare und Praktische zu sehr zurückgedrängt“ habe und die „erbitterte Anklage gegen die bestehende Ordnung […] wohl nicht in allen Punkten unbegründet“ sei . Gleichwohl versuchte er, Deutschlands bildungspolitischen Sonderweg zu verteidigen, der es von „den westlichen Ländern, Frankreich, England und Amerika“ grundlegend, aber kei-

Vgl . Maurer (2015) . Vgl . Cahan (1992), bes . S . 83 und Levine (2015), S . 67 . Riedler (1898), Titel . Der Charlottenburger Maschinenbauingenieur Alois Riedler wurde später als der „siegreiche Vorkämpfer der Technischen Hochschulen“ bezeichnet; Hochschul-Nachrichten 11 (1900/01), S . 152 . 311 Riedler (1900), S . 3 . 312 Vgl . Phillips (2007), S . 42 . 308 309 310

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neswegs nur zu seinem Nachteil unterscheide .313 Die von Riedler als solche bezeichnete „‚Herrschaft der unpraktisch Erzogenen‘, wie sie durch unsere Mandarinenordnung aufrecht erhalten werde“, sei eng mit deutschen Spezifika verbunden und könne daher kaum zugunsten eines westlichen Modells zu Fall gebracht werden . Paulsen mutmaßte, dass dies „wohl mit dem ostelbischen Charakter des […] Staates, dem Vorhandensein eines alten Herrenstandes“ zusammenhänge, der eine hierarchische Ordnung der Bildungseinrichtungen mit den Universitäten an der Spitze begünstige . Letztlich habe aber auch „der Satz von dem Wissen um des Wissens willen […] seinen guten und vernünftigen Sinn“, weshalb Paulsen für den Erhalt der Universitas litterarum in ihrer bisherigen Form plädierte und vor einer Ausgliederung der Naturwissenschaften warnte, die einen Rückschritt zum Spezialschulmodell bedeute .314 Unerwähnt ließ Paulsen hingegen, dass zahlreiche naturwissenschaftlich-technische Fächer überhaupt nicht an den Universitäten gelehrt wurden und diese so gesehen gar keine Universitates litterarum (mehr) waren . Auf Initiative des Dresdner Polytechnikums trafen sich Delegierte fast aller deutschen Technischen Hochschulen im Juli 1894 in Eisenach, um den stetigen Verlust von Studenten zu verringern, die in jenen Fächern, die sowohl an Technischen Hochschulen als auch an Universitäten angeboten wurden, bevorzugt die letzteren, promotionsberechtigten und statushöheren Bildungseinrichtungen besuchten .315 Zunächst sollte das Promotionsrecht für das von der Abwanderungsproblematik besonders betroffene Lehrfach Chemie gefordert werden, da hierfür auch seitens der Regierungen die Dringlichkeit am leichtesten eingesehen [werde] und sonach am wahrscheinlichsten ein Erfolg erzielt werden [könne] . Ist aber dies erst geschehen und damit die Eifersucht der Universitäten an einer Stelle überwunden, so dürfte es später keine grossen Schwierigkeiten mehr haben, das neue Recht der technischen Hochschulen, dem nachzuweisenden Bedürfnis entsprechend, auf andere Abteilungen […] auszudehnen .316

Trotz Unterstützung durch den Verein Deutscher Ingenieure (VDI) konnten sich die Technischen Hochschulen zunächst nicht gegen die widerstrebenden Universitäten Die Vorstellung, dass Deutschland sich auf einem „‚Sonderweg‘ in die Moderne“ befinde, war zu dieser Zeit durchaus geläufig; vgl . Wirsching (22005), S . 7 ff . 314 Paulsen (1898) . 315 In der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts wurde allgemein angenommen, dass die Technischen Hochschulen (resp . ihre Vorgängerinstitute) „natürlich mit keiner Universität concurrieren“ könnten; „Ueber die Reorganisation des technischen Unterrichtswesens in Bayern“ (1861); abgedr . in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 10 (1900): 133–143, S . 137 . Einzig die TH München war der Eisenacher Versammlung ferngeblieben „und führte zur Erklärung die besonderen Verhältnisse in Bayern an“; Pabst (2006), S . 120 . 316 So der Karlsruher Professor für Maschinenbau Ernst Adolf Brauer; O . A .: Verhandlungen der Versammlung von Delegierten der Deutschen Technischen Hochschulen am 28. und 29. Juli 1894 zu Eisenach. Protokoll nur zur Kenntnisnahme der Professoren der Technischen Hochschulen, Dresden 1894, S . 24 . 313

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durchsetzen . Die erste Runde der Auseinandersetzung endete vielmehr mit dem (von Althoff) so genannten „Aachener Frieden“ von 1895, der das Promotionsmonopol der Universitäten bestätigte .317 Mehrere Vertreter der Technischen Hochschulen suchten daraufhin die Nähe des technikaffinen Kaisers Wilhelm II ., der die Gleichberechtigungsforderungen als König von Preußen demonstrativ unterstützte, indem er die Rektoren der Aachener, Charlottenburger und Hannoveraner Technischen Hochschulen 1898 ins Preußische Herrenhaus berief .318 Bereits ein Jahr später proklamierte Wilhelm II . (mit „der Weisheit, die nur einem zielbewussten Herrscher eigen“, wie die Hochschul-Nachrichten seinerzeit schrieben) „die Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit der Universitäten und Technischen Hochschulen“ und verlieh ihnen das Promotionsrecht, obwohl die Universitäten in mehreren Eingaben vor einem solchen Schritt gewarnt hatten .319 Damit war aus Sicht „der jugendlichen Jubelbraut“ das letzte Vorrecht, „das den Universitäten aus der Zeit ihrer Selbstherrlichkeit geblieben“ war, beseitigt worden .320 Freilich hatte diese Bestimmung nur Gültigkeit für das Königreich Preußen, doch war es „zweifellos nur eine Frage der Zeit“, bis die anderen Bundesstaaten mit dem mächtigen Preußen gleichzogen, um die Entwicklung ihrer eigenen Technischen Hochschulen nicht zu gefährden .321 An den Universitäten empfand man den kaiserlichen Gunsterweis als Zurücksetzung der Universitas litterarum und des humanistischen Bildungsideals: „Heute verwöhnt man die […] technischen Hochschulen demonstrativ den Universitäten gegenüber, preist sie als die jungen, lebenskräftigen, zukunftfrohen, betont, daß gerade sie Deutschlands Macht und Ansehen in der Welt gesteigert hätten“, echauffierte sich etwa der Mediävist Friedrich von der Leyen und fügte mit unverhohlener Kritik hinzu, dass Monarch und Kultusbürokratie die Technischen Hochschulen nur deshalb bevorzugten, weil die dort tätigen Rektoren und Professoren stets „sehr staatstreu und gehorsam bleiben“ .322 Im preußischen Kultusministerium, wo das Vorpreschen des Kaisers mit einiger Besorgnis verfolgt worden war, versuchte man die Wogen zu glätten . Althoffs Mitarbeiter Friedrich Schmidt, der das Redemanuskript Wilhelms II . zur Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Charlottenburg verfasste, flocht „zur Schlichtung des Wettstreits zwischen Vgl . König (2007), S . 114; König (2014), S . 132 . Boockmann (1999), S . 209 . Salvisberg (1899/1900), S . 1; Centralblatt für die gesammte Unterrichts-Verwaltung in Preußen 41 (1899), S . 786 . Damit konnten nun Chemiker und Ingenieure an den Technischen Hochschulen Preußens promoviert werden . Das Promotionsrecht wurde sowohl von Vertretern der Technischen Hochschulen als auch der Universitäten zur Lebensfrage stilisiert . In einer Eingabe der Universität Berlin aus dem Juni 1899 hieß es, dass die Universitäten, „um die uns die Welt beneidet“, schweren Schaden nehmen würden, wenn sie mit den Technischen Hochschulen gleichgestellt würden, und im deutschen Bildungssystem unhaltbare Zustände eintreten würden, „wie wir sie in den USA vor uns sehen“; zit . nach: Manegold (1970), S . 291 . 320 Riedler (1900), S . 14, 24 . 321 Salvisberg (1899/1900), S . 2 . Als letzter deutscher Bundesstaat verlieh Bayern im Januar 1901 seiner Technischen Hochschule in München das Promotionsrecht; Pabst (2006), S . 122 . 322 Leyen (1906), S . 27 . 317 318 319

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Universitäten und Hochschulen in die Rede des Kaisers ein Goethewort ein[…]:323 ‚Gleich sei keiner dem anderen, doch gleich sei jeder dem Höchsten‘“ .324 Wettbewerb, so ist zu erinnern, ist ein Modus zur legitimen Herstellung von Ungleichheit . Freilich konnte auch kein noch so treffendes Goethe-Zitat die Gemüter beruhigen . Ohnehin waren nur wenige Universitätsvertreter der Einladung zu den pompösen Feierlichkeiten gefolgt, was vermutlich nicht allein auf den ungünstigen Termin während der Universitätsferien zurückzuführen war, wie im Prachtband zum Hochschuljubiläum gemutmaßt wurde .325 Manche Universitätsrektoren befürchteten wohl, dass ihnen „das Los beschieden sein könne […], die Rolle der gefangenen Könige zu spielen, die im Triumphzug der Technik mitgeführt werden“, wie der Heidelberger Sprachwissenschaftler Hermann Osthoff auf einem Festkommers halb scherzhaft, halb im Ernst verkündete . Jene (Pro-) Rektoren, die an der Feier teilnahmen, konnten sich in ihren Reden eine unterschwellige Kritik an den sich so selbstbewusst gebärdenden Technischen Hochschulen nicht verkneifen . Für Osthoff etwa gab es „zwei Hauptwege“ der Wissenschaften: „Der eine führt nach wie vor, man mag sagen was man will, über Hellas und Rom; der andere Weg mag etwa über Charlottenburg und Essen an der Ruhr führen“ .326 Nach „Byzanz, oder über Byzanz hinüber, darf und soll keiner der beiden bezeichneten Wege führen .“ Die leicht süffisante Gegenüberstellung von Humanismus und Realismus sowie die unverhohlene Kritik daran, dass einflussreiche Vertreter der Technischen Hochschulen Wilhelm II . beweihräucherten, dürfte den Gastgebern kaum gefallen haben . Gleiches gilt wohl für die Rede des Straßburger Rektors Theobald Ziegler, der die Lehrer der Technischen Hochschulen als „Männer des Augenblicks“ (und nicht etwa der Gegenwart oder der Zukunft) bezeichnete, die Deutschland zwar für „den friedlichen Wettkampf der Nationen“ benötige, ohne dass sie jedoch die stille „Bildungsarbeit an sich selbst“ ersetzen könnten, die einzig an den Universitäten erfahren werden könne .327 Wilhelm II . zeigte sich demgegenüber erfreut, dass er die Technischen Hochschulen „gegen sehr große Widerstände […] in den Vordergrund bringen“ konnte, wo sie nun „große Aufgaben […], nicht nur technische, sondern auch soziale“ lösen sollten . „Die sind bisher nicht so gelöst, wie Ich wollte“ fügte der Kaiser mit einem Seitenhieb auf die Universitäten hinzu .328 Die Technische Hochschule Charlottenburg bedankte sich für den kaiserlichen Vertrauensvorschuss und versuchte, Wilhelm II . als Förderer noch enger an sich zu binden, indem sie ihren ersten Ehrendoktortitel an seinen Bruder Heinrich verlieh und ein Hoch auf des Kaisers liebstes Kind, die deutsche Marine, ausbrachte .329 Ab 1920 nannte er sich Friedrich Schmidt-Ott . Schmidt-Ott (1952), S . 47 . Meyer (1900), S . 4 . Osthoff (1900), S . 32, 35 . Meyer (1900), S . 72 . Meyer (1900), S . 180 . „Die Technische Hochschule ist aufs innigste verknüpft mit der Handelsmarine [(…) und] ihrer bewaffneten Schwester, der Kriegsmarine“; Meyer (1900), S . 194 . Zudem wollte die TH Charlottenburg 323 324 325 326 327 328 329

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An den Universitäten galt es nach der Verleihung des Promotionsrechts an die Technischen Hochschulen als ausgemacht, dass diese nun eine Vorzugsstellung im Wettbewerb um Studierende erlangt hatten, da die Prüfungsordnungen der Technischen Hochschulen als vergleichsweise lax galten: „Welchem Chemiker zum Beispiel wird es noch einfallen, auf der Universität zu promovieren und sich den dort geforderten mancherlei erschwerenden Forderungen, zum Beispiel dem Examen in der Philosophie als Nebenfach zu unterziehen“, fragte der Greifswalder Rektor Ernst Bernheim . Seines Erachtens mussten nun die Promotionsordnungen der Universitäten jenen der Technischen Hochschulen angeglichen werden, „zum Beispiel das philosophische Examen für Chemiker aus unseren Promotionsordnungen“ gestrichen werden, um weiterhin erfolgreich konkurrieren zu können .330 Aber auch die Technischen Hochschulen begaben sich wie auch die kommunalen Stiftungsuniversitäten in eine Art ‚Angleichungskonkurrenz‘, was dafür spricht, dass das Modell der Universität gesellschaftlich nach wie vor dominierte . Sie lehnten sich in ihren Studienordnungen an universitäre Vorbildinstitutionen an und kreierten für ihre Rektoren und Professoren Talare und Insignien, die jenen der Universitäten zum Verwechseln ähnelten . So war beispielsweise die Amtskette des Rektors der Technischen Hochschule München jener seines Amtskollegen von der Münchner Universität nachempfunden .331 Diese Nachahmungen geschahen, wie der Historiker Hartmut Boockmann herausstrich, mit einem „Eifer, den man als ein sozialgeschichtliches Phänomen dort bemerkt, wo sich jüngere Einrichtungen älteren anzupassen“ und auf diese Weise zu legitimieren suchen, und drückten sich auch architektonisch in den neuen Prachtbauten der Technischen Hochschulen aus .332 Aus Sicht der Universitäten kam dies einer fragwürdigen Tarnung gleich, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass den Universitäten „das Erstgeburtsrecht“ zustand und nur sie eine Bildung vermitteln könnten, die die „Ganzheit, Allheit, Einheit“ alles Wissens ins Bewusstsein rufe .333 Um zumindest eine deutliche optische Unterscheidung zwischen dem Dr .-Ing . der Technischen Hochschulen und dem universitären Doktortitel zu gewährleisten, hatten die Universitäten durchgesetzt, dass der neue Titel in Fraktur gesetzt werden musste .334 Nachdem der Historiker Bruno Gebhardt kurz vor 1900 die Denkschrift Wilhelm von Humboldts zur Berliner UniWilhelm II . zum Rector maginificentissimus ausrufen und ihm den Ehrendoktortitel verleihen, was jedoch von Friedrich Althoff unterbunden wurde; König (2014), S . 142 . 1913 bekam Wilhelm II . schließlich den Dr . ing . ehrenhalber; vgl . Ullrich (22010), S . 348 . 330 Bernheim (1899), S . 23–24 . 331 Vgl . Herrmann (2006), S . 4 . 332 Boockmann (1999), S . 208–209; vgl . Schalenberg (2008), S . 193 . Das Hauptgebäude der TH Charlottenburg war nach dem Kölner Dom zeitweise der zweitgrößte Bau in Preußen . 333 Vom „Erstgeburtsrecht“ sprach ironisierend ein TH-Professor; Barkhausen (1913/14), S . 181; Brentano (1910 [1810]), S . 16 . 334 Vgl . Hertwig (1950), S . 16 . Dem Berliner Maschinenbauingenieur Franz Reuleaux bezeichnete den Dr .-Ing . daher als „Glitzergold“ und lehnte ihn als „Unterordnung unter die Universitäten“ ab; zit . nach: König (2014), S . 142 .

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versitätsgründung wiederentdeckt hatte, wurde Humboldt in zahlreichen Rektoratsreden geradezu zum Schutzheiligen der Universitäten stilisiert, was aus der Perspektive der Technischen Hochschulen nichts anderes als ein „naive[r] Traditionscultus“ war .335 Humboldt, so klingt aus zahlreichen Rektoratsreden heraus, hätte die Entstehung unabhängiger Technischer Hochschulen verhindert und würde ihre Vereinigung mit den Universitäten wünschen . „Gegen […] vollendete Thatsachen nützen auch die schönsten Rectoratsreden nichts mehr“, spotteten demgegenüber die Hochschul-Nachrichten; „sie muthen an wie encyklische Klagen gegen Abtrünnige“ .336 Nach der Verleihung des Promotionsrechts konnten sich die Angehörigen beider Hochschulformen auf Augenhöhe begegnen, wenngleich die Universitäten noch für Jahrzehnte an Reputation überlegen blieben, was nicht zuletzt aus den Karrierewegen der Hochschulwissenschaftler abgelesen werden kann .337 Schon mit der Jahrhundertwende setzte daher ein harter „Wettbewerb um gemeinsame Grenzgebiete zwischen Universität und Technischer Hochschule“ ein, der schließlich „die Interessensphären beider Hochschularten“ abgrenzen sollte .338 Beide Seiten wandten sich dabei wiederholt an die Kultusministerien und baten sie um politischen Schutz im Konkurrenzkampf . Der preußische Kultusminister Conrad von Studt (1899–1907) versicherte jedoch, nachdem ihn eine derartige Bitte der Technischen Hochschulen erreicht hatte, es sei nicht möglich, „die Unterrichtssphäre der Technischen Hochschulen gewissermassen polizeilich zu garantieren und diejenigen der Universitäten auf dem Verwaltungswege einzuschränken“ . Vielmehr würde „nur der freieste Wettbewerb ihnen und den Universitäten frommen“ .339 Abermals sprachen daraufhin Vertreter der Technischen Hochschulen bei Wilhelm II . vor, um ihn um Unterstützung zu bitten . Der Berliner Elektrotechniker Adolf Slaby erläuterte, dass der Ausbau technisch-physikalischer Universitätsinstitute, wie er etwa von Felix Klein in Göttingen vorangetrieben wurde, gestoppt werden müsse . Andernfalls würden „die Universitäten zu Konkurrenten der Technischen Hochschulen auf ihrem ureigensten Arbeitsfelde“, was es zu verhindern gelte .340 Im Anschluss an das Gespräch wandte sich Wilhelm II . an das Kultusministerium und forderte einen Bericht über die Bestrebungen Kleins in Göttingen an . Das Ministerium wich in seinem Antwortschreiben nicht von seiner konkurrenzbejahenden Linie ab und führte aus, dass das erweiterte Institut zwar durchaus in eine Konkurrenz mit den Technischen Hochschulen eintreten könne, wie Slaby gegenüber dem Kaiser artikuliert hatte, diese jedoch keineswegs negativ zu bewerten sei . So vertrat Fried„Neue Hochschulen und Hochschulbedürfnisse“, in: Hochschul-Nachrichten 12 (1901/02): 173–175, S . 174; vgl . vom Bruch (1999b), S . 39 . 336 Hochschul-Nachrichten 12 (1901/02): 173–175, S . 174 . 337 Vgl . Szöllösi-Janze (2014), S . 322 . 338 Uetrecht (1916/17), S . 199; Hochschul-Nachrichten 12 (1901/02), S . 174 . 339 Zit . nach: „Der Wettbewerb zwischen Universitäten und Technischen Hochschulen“, in: Hochschul-Nachrichten 10 (1899/1900): 144–145, S . 145 . 340 Manegold (1970), S . 209 . 335

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rich Althoff die Ansicht, „daß es für das Gedeihen beider Anstalten nur den Weg einer freien Entwicklung, des friedlichen aber freien Wettbewerbs geben könne“ .341 Im Folgenden begannen die Technischen Hochschulen, gezielt Professoren des Klein’schen Instituts abzuwerben, um es zu schwächen und die Überlegenheit der Technischen Hochschulen auf physikalischem Gebiet unter Beweis zu stellen . Zudem bemühten sie sich um die Errichtung einer Akademie für technische Wissenschaften, worin ihnen aber kein Erfolg beschieden war, obwohl Alois Riedler in einer an den Kaiser gerichteten Denkschrift davor warnte, dass Deutschland ohne eine solche von den USA, dem „große[n] Wettbewerber, […] überwältigt“ würde .342 Das wiederholte Vorsprechen Slabys bei Wilhelm II . führte jedoch dazu, dass der Kaiser das Kultusministerium in einem „allerhöchsten Befehl“ zu Vermittlungsbemühungen zwischen Technischen Hochschulen und Universitäten aufrief .343 Daher musste Althoff im Sommer 1900 schließlich doch in den „freien“ Wettbewerb eingreifen und mit Slaby und Klein verhandeln . Im Juli 1900 brachte er die beiden Kontrahenten dazu, eine „Vereinbarung über die Abgrenzung zwischen Technischen Hochschulen und Universitäten“ zu unterzeichnen, die Althoff als Göttinger Frieden bezeichnete und die vor allem von Slaby als Erfolg verbucht werden konnte .344 Die Ausbildung von Ingenieuren wurde darin ausdrücklich als „Aufgabe der Technischen Hochschulen, nicht der Universitäten“ bezeichnet, was die von Klein erwünschte Annäherung zwischen Universitäten und Wirtschaftsunternehmen erschwerte, die die Forschung an den THs bereits im Vorjahr durch die „Jubiläumsstiftung der deutschen Industrie“ mit rund 1,5 Millionen Mark bedacht hatten und an einer Zusammenarbeit mit den Universitäten weitaus weniger Interesse zeigten .345 Bereits kurze Zeit später mussten die Universitäten im Übrigen eine weitere schwere Niederlage einstecken . Gegen ihren Widerstand wurden die Realgymnasien und Oberen Realschulen mit den humanistischen Gymnasien gleichgestellt .346 Dafür hatte insbesondere Alois Riedler wiederholt geworben und dabei, ebenso wie etwa Heinrich Back, der Direktor der Städtischen Manegold (1970), S . 211 (nach einem Bericht der Kölnischen Zeitung vom 23 .4 .1900) . Zit . nach: Riedler (1919), S . 138 . Manegold (1970), S . 214 . Teilweise abgedr . in: Manegold (1970), S . 213–214 . Vgl . Stichweh (22013), S . 141 . Die Stettiner Großwerft Vulcan lehnte beispielsweise eine finanzielle Beteiligung an Kleins Göttinger Vereinigung mit der Begründung ab, dass sie bereits mit mehreren Technischen Hochschulen kooperiere, die in ihrer Zielsetzung der Industrie näher stünden als die Universitäten, und sie befürchten müsse, dass ein etwaiges Engagement in der Universitätsforschung ihre Beziehungen zu den Technischen Hochschulen belasten würde; vgl . Manegold (1970), S . 221–222 . 346 Laut Wilhelm Ostwald „wurde die Bekämpfung der Gegner […] als Pflicht angesehen“ und von der Hochschulleitung auf jene Professoren Druck ausgeübt, die – wie er selbst – durchaus nichts gegen die Aufwertung der Realgymnasien einzuwenden hatten: „Als ich mich einmal durch einen ziemlich dunklen Korridor […] begab, trat mir der Oberpedell mit einer Mappe entgegen, die er öffnete und mir mit den Worten überreichte: ‚Seine Magnifizenz der Rektor bitten, dies zu unterschreiben .‘ “ Bei dem ihm untergeschobenen Schriftstück handelte es sich um eine Petition gegen die Gleichstellung von humanistischen und Realgymnasien; Ostwald (1933b), S . 108–109 . 341 342 343 344 345

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gewerblichen Fortbildungsschule in Frankfurt am Main oder Hermann Wedding, Lehrer an der Berliner Bergakademie, die Vorbildfunktion der USA, aber auch die Konkurrenz mit Amerika herausgestrichen .347 Nachdem ab 1901/02 auch die „lateinlose Schule“ zum Studium berechtigende Maturitätszeugnisse ausstellen durfte, war das „Monopol der altsprachlichen Gymnasien“ gebrochen und die technische Ausbildung erneut aufgewertet .348 An den Universitäten machte sich angesichts dessen eine zunehmende Nervosität breit, die das Niveau der literarischen Auseinandersetzung merklich absinken ließ . Vor allem der Berliner Maschinenbauingenieur Alois Riedler geriet nun ins Visier der Universitätsprofessoren, nachdem er mit rhetorisch unglücklichen und inhaltlich überzogenen Stellungnahmen selbst nicht wenig zur Vergiftung der Beziehung beigetragen hatte . Der Münchner Althistoriker Robert von Pöhlmann etwa unterstellte Riedler eine geistige Nähe zur Sozialdemokratie, um ihn bei Wilhelm II . in ein schlechtes Licht zu rücken . Dem Kaiser begegnete Pöhlmann ebenfalls mit ungewöhnlich harscher Kritik . Die Äußerungen Wilhelms II . auf der Hundertjahrfeier der TH Charlottenburg enthielten die „völlig unbedachte Behauptung“ eines Versagens der Universitäten, so Pöhlmann in beinahe majestätsbeleidigendem Ton .349 Erst gegen Ende der 1900er Jahre normalisierten sich die Beziehungen zwischen Universitäten und Technischen Hochschulen, so dass es sogar zu Forschungskooperationen und Dozentenaustauschen kommen konnte .350 Die wiederholt artikulierten Forderungen nach einer Eingliederung der Technischen Hochschulen in die Universitäten hatten indes kaum Aussicht auf Erfolg, zumal sie nach 1900 fast nur von Universitätsangehörigen vorgebracht wurden, während sie vor der Gleichstellung beider Hochschulformen beinahe ausschließlich von Vertretern der Technischen Hochschulen aufgestellt worden waren .351 Dort wurde nun freilich erkannt, dass die Überlegungen der Universitäten, die zuerst aus ihrer vornehmen Reserviertheit oder Indolenz nicht heraustraten und nun, wo sie die jungen Schwester[…]-Hochschulen plötzlich neben sich emporstreben sehen, mit denselben gnädigst teilen wollen, was nur diesen allein zukommt,

Vgl . Dittrich (2013), S . 144, 148 . Conrad (1906), S . 443 . Es war gewiss kein Zufall, dass just dieser Beschluss der Schulkonferenz „unter persönlicher Beteiligung Wilhelms II .“ getroffen wurde; Kroll (2003), S . 4 . 349 Zit . nach: König (2014), S . 129 . Riedler äußerte daraufhin, dass mit der „persönliche[n] Beschimpfung“ die „niedrigste Stufe der Polemik“ erreicht sei . „Wer auf der vereinsamten Höhe der allein selig machenden Antike stehen bleibt, blind für alle andere Geistesthätigkeit, dem mag es wohl scheinen, dass der Anfang vom Ende gekommen sei, er kann die heutige Welt doch nicht verstehen“; zit . nach: König (2014), S . 130 . 350 Vgl . Manegold (1970), S . 227 . 351 Die bekannteste Ausnahme von der Regel ist freilich Felix Klein, der jedoch die Technischen Hochschulen nicht als gleichberechtigten Teil in die Universitäten integrieren wollte . 347 348

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in erster Linie auf egoistische Motive zurückzuführen waren . „Es gibt einfach keine praktikable Vereinigung der [(…) beiden] Hochschul-Typen“, stellte Paul von Salvisberg, der Herausgeber der Hochschul-Nachrichten, fest: „Die Technischen Hochschulen, die aus Eigenem das Gehen gelernt, gehören nimmermehr an das Gängel-Band der Universitäten . ‚Getrennt marschieren und vereint schlagen‘ – dieses Rezept […] gilt auch für die grosse Friedens- und Kulturarbeit der deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen“ .352 Zweifellos wäre die Konkurrenz durch eine Vereinigung von Universitäten und Technischen Hochschulen letztlich auch gar nicht eliminiert, sondern lediglich in die neuentstandenen Bildungseinrichtungen hineingetragen worden, wo das Aufeinanderprallen von humanistisch-idealistischem und technisch-utilitaristischem (Aus-) Bildungsideal einen tiefen Graben aufgeworfen hätte . Nach Ausbruch des Weltkriegs wurde jedoch eine Zusammenführung von Universitäten und Technischen Hochschulen erneut diskutiert . Befürworter einer Vereinigung führten nun an, dass durch den Wettbewerb der beiden Hochschulformen wertvolle Energien verloren gingen und dem deutschen Hochschulsystem eine „neue Einheitskultur“ Not tue, da in Kriegszeiten jegliche „unnötige Konkurrenz zu vermeiden“ sei .353 Adolf von Harnack bezeichnete es in den letzten Kriegsmonaten als schweren Fehler, daß die technischen Hochschulen nicht in den Organismus der Universitäten aufgenommen worden sind . Die Universitäten haben sich damit einen sehr wichtigen Teil der höheren wissenschaftlichen Forschung und des Unterrichts entgegen lassen; […] sich sozusagen ihr ‚Monopol‘ in bedenklicher Weise verkürzen lassen . Sofern dieses trotz der Schöpfung der technischen Hochschulen noch in gewisser Weise besteht, besteht es, weil die technischen Hochschulen die Stellung von Hochschulen, die der Universität ganz ebenbürtig sind, in der öffentlichen Schätzung trotz ihrer ausgezeichneten Leistungen noch nicht vollkommen haben erlangen können .354

Für die Zukunft gab Harnack den Universitäten den Rat: „Erobere Verlorenes zurück! […] Die Universität muß jede wissenschaftliche Fachausbildung leiten, sonst wird sie eine wissenschaftliche Anstalt zweiter Ordnung“ .355 Sowohl von Seiten der Technischen Hochschulen als auch der Universitäten wurde der internationale Konkurrenzkampf geschickt genutzt, um Forderungen nach einer besseren finanziellen Ausstattung der Hochschulen im Allgemeinen und der eigenen Alma Mater im Speziellen zu bekräftigen .356 „Die Wehrkraft und die Wissenschaft sind die beiden starken Pfeiler der Größe Deutschlands“, hielt etwa der Theologe Adolf von

Salvisberg (1903/04), S . 226 . Uetrecht (1916/17), S . 203–204; Denkschrift des preußischen Kultusministeriums über die Förderung der Auslandsstudien, in: Akademische Rundschau 5 (1916/17): 252–265, S . 261 . 354 Harnack (1918), Sp . 193 (Hervorhebung im Original) . 355 Harnack (1918), Sp . 195 . 356 Vgl . z . B . Lehmann (21900), S . 5 . 352 353

Die Universitäten im Wettbewerb der deutschen Bundesstaaten

Harnack in einer Denkschrift an den Kaiser aus dem Jahr 1909 fest . Deshalb habe der Staat „seinen glorreichen Traditionen gemäß die Pflicht, für die Erhaltung beider zu sorgen“, um Deutschlands Stellung unter den Großmächten abzusichern und zu stärken .357 Im Königreich Preußen war der Ministerialdirigent Friedrich Althoff über lange Zeit der umworbene Dritte der Universitätsrektoren und Professoren, da er maßgeblichen Einfluss auf die Verteilung der staatlichen Gelder an die einzelnen Universitäten (und deren Fakultäten) ausübte . Insbesondere Hochschulen in Grenznähe wie die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg im Westen, die Technische Hochschule Danzig und die geplante Universität Posen im Osten des Reiches, die „die deutsche Wissenschaft im Kampf mit außerdeutschen und deutschfeindlichen Mächten festigen“ sollten, konnten Kapital aus dem übersteigerten Nationalismus des frühen 20 . Jahrhunderts schlagen .358 Für die Universität Berlin, die als „der erste geistige Waffenplatz Deutschlands“ und „geistige Feste zum Schutz des Vaterlandes“ betrachtet wurde, galt dies ebenfalls in besonderem Maße .359 Die Partikularinteressen der Universitäten, darin war sich eine breite Mehrheit der Akademiker allerdings einig, mussten den deutschen Interessen in der internationalen Konkurrenz der Nationalstaaten untergeordnet werden .360 Das konnte bedeuten, dass der Staat in den Wettbewerb der Hochschulen eingriff, wenn ihm das aus nationalen Überlegungen heraus geboten erschien „In einem Grenzgebiet“, konstatierte zum Beispiel der Historiker Paul Ssymank im Hinblick auf die projektierte Universität Posen, „wo Preußen noch um die Durchsetzung seines Staatsideals zu kämpfen hat, kann der schrankenlose Wettbewerb nicht Grundsatz sein“ .361 Dort müsste vielmehr der Staat Maßnahmen ergreifen, um seine politischen Interessen durchzusetzen . In den Worten des Pädagogen Friedrich Paulsen beinhaltete das, der Hochschule von Staats wegen „eine innere Anziehungskraft zu geben, die sie von Haus aus nicht hat“ .362 So sollte in Posen verbrachte „Studienzeit in vollem Umfange für die Anciennität in Anschlag“ gebracht und ein spezielles Stipendienprogramm aufgelegt werden, um Studenten anzuziehen .363 Außerdem sollten „Kapacitäten der verschiedenen Fächer abwechselnd auf ein Semester mit ihren Posener Fachgenossen“ tauschen, um die Attraktivität der Universität zu erhöhen und „ihre Pionierarbeit“ in jenem unwirtlichen Landstrich im deutsch-russischen Grenzgebiet zu erleichtern, wo aus zeitgenössischer Sicht „zwei Kulturen in gewaltigem Konkurrenzkampf “ aufeinanderprallten .364 Ferner sollte das Kultusministerium verhindern,

Denkschrift Adolf von Harnacks vom 21 .11 .1909; zit . nach: Goldschmidt (1991), S . 67 . Schmidt-Ott (1935), S . 5; vgl . Schappacher (2010) . Zitat des preußischen Kultusministers Trott zu Solz aus seiner Rede zur Hundertjahrfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität; zit . nach: Tenorth (2010a), S . 640 . 360 Vgl . Bungert/Lerg (2015), S . 35–36 . 361 Ssymank (1914), S . 38 . 362 Zit . nach: Ssymank (1914), S . 37 . 363 Vgl . Paulsen (1908), Sp . 1030 . 364 Ssymank (1914), S . 41–49; Kühnemann (1906), S . 28 . 357 358 359

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dass die Universität zur Steigerung ihrer Frequenz polnisch(sprachig)e Studenten immatrikulierte, was „gewissermaßen eine Versündigung an der deutschen Sache im Osten bedeuten“ würde, wie die Berliner Nationalzeitung schrieb .365 Schließlich, so der Literaturwissenschaftler Eugen Wolff, könne nur dann „die ideelle und praktische Nötigung, sich der deutschen Kultur zu ergeben, für den Polen ins Unermessene [sic!] gesteigert“ werden, wenn die Studentenschaft der Posener Universität hauptsächlich aus Deutschen bestehe .366 Inwieweit eine Hochschulgründung der Germanisierungspolitik überhaupt dienlich sein konnte, war jedoch höchst umstritten . Gegner des Posener Universitätsprojekts verwiesen auf die hinter den diesbezüglichen Erwartungen zurückgebliebene Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg im Elsass .367 Sie bezeichneten es mit dem Posener Oberbürgermeister Richard Witting als „Utopie, durch Erziehungsinstitute und dergleichen germanisieren zu wollen“ .368 Tatsächlich blieb eine Mehrheit der Elsässer trotz der Universität Straßburg, die von vielen Zeitgenossen als ein Fremdköper im Reichsland beschrieben wurde, auf Distanz zum Hohenzollernstaat . Ferner musste man sich Unter den Linden und in der Wilhelmstraße spätestens im Kriegsjahr 1914 eingestehen, dass auch die intensiven Bemühungen um eine Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen kein „tieferes Verhältnis zwischen Amerika und Deutschland“ zustande gebracht hatten .369 Ein Gutteil der ehemaligen Austauschprofessoren positionierte sich offen aufseiten der Entente und ignorierte oder verbat sich Briefe aus dem preußischen Kultusministerium, in denen Ursachen und Folgen des Kriegsausbruchs aus deutscher Perspektive geschildert wurden . Im Wettbewerb um die öffentliche Meinung in den USA, die bis zum Frühjahr 1917 zu den neutralen Staaten gehörten, waren sie demnach für das Reich nicht einsetzbar . Die Enttäuschung darüber, dass sich die öffentliche Meinung in den neutralen Staaten zuungunsten der Mittelmächte veränderte und insbesondere die britische Propaganda große Erfolge erzielte, führte bereits Anfang Oktober 1914 zum sogenannten Aufruf an die Kulturwelt, den einige der bedeutendsten deutschen Professoren unterschrieben und der unter anderem eine deutsche Kriegsschuld bestritt . Aus der sichtbaren Präsenz deutscher Professoren im Propagandawettbewerb um die Deutungshoheit über die Kriegsereignisse lassen sich vielleicht Unterstellungen wie jene des amerikanischen Rechtsanwalts Gustavus Ohlinger erklären, der in einer seiner Schriften behauptete, Deutsch-

Nationalzeitung vom 19 .08 .1908; zit . nach: Ssymank (1914), S . 38 . Eugen Wolff in Der Tag vom 15 .04 .1908; zit . nach: Ssymank (1914), S . 37 . Sogar Paul Ssymank gestand nach Kriegsausbruch ein, dass „selbst die Universität Straßburg […] es nicht vermocht [hatte], in dem neugewonnenen Reichslande geistige Eroberungen großen Stiles zu machen“; Ssymank (1916/17), S . 29 . 368 „[N]ur der deutsche Bauer, nur er schützt das Deutschtum gegen die slavische Flut“; zit . nach: Ssymank (1914), S . 20 . 369 So Friedrich Schmidt; zit . nach: Strunz (1999), S . 158 . 365 366 367

Die Universitäten im Wettbewerb der deutschen Bundesstaaten

land habe mittels der entsandten Austauschprofessoren das Bildungswesen der USA zu sabotieren versucht .370 Während des Krieges stellte das preußische Kultusministerium seine Bemühungen um Studenten- und Professorenaustausche nicht zuletzt aufgrund der fehlenden propagandistischen Wirkung weitgehend ein . Anstatt Ausländer zu einem Studium in Deutschland zu ermuntern, sollten fortan deutsche Studenten in größerer Zahl mit Sprache, Kultur und Psychologie fremder Nationen vertraut gemacht werden, um die auswärtige Kulturarbeit nach ihrem Studium vorantreiben zu können . Dafür mussten moderne Fremdsprachen und Auslandskunde an den Universitäten gestärkt werden, und zwar nicht im Interesse der Universitäten selbst, deren Mitglieder meist nach Unruhe und Arbeit schaffenden Neuerungen sich nicht sehnen, wohl aber im Interesse der auch praktisch immer wichtiger werdenden Kulturaufgaben unseres Volkes sowie im Hinblick auf die in ihren Mitteln und in ihren Leistungen immer bedeutender werdende Konkurrenz .371

Die Errichtung separater Auslandshochschulen wurde mehrheitlich abgelehnt, da sich, wie der Nationalökonom Hermann Schumacher vorhersagte, „zwischen Auslandshochschule und Universität […] ein Wettbewerb herausbilden würde, der nicht nur unerfreuliche Reibungen vielerlei Art mit sich bringen, sondern auch […] eine Verschwendung bedeuten müßte“, die sich Deutschland in Anbetracht der Kriegslage nicht leisten könne . „Eine jede ‚Hochschule‘ kann bei uns […] nur über oder unter der Universität stehen“, erkannte auch Adolf von Harnack und spielte damit auf die umkämpfte Hierarchie zwischen Hochschulen an . Auslandshochschulen „würden über kurz oder lang auf die Stufe von Lyzeen herabgedrückt“, weshalb er ebenfalls für die Stärkung der Auslandskunde an den Universitäten votierte .372 Bereits wenige Wochen später wurde diese Diskussion durch Revolution und Kriegsniederlage unterbrochen, um nach dem Ende der Monarchie und der wissenschaftlichen Isolation Deutschlands unter veränderten Bedingungen wieder aufgenommen zu werden . Während die Universitäten vom Wettbewerb unter den deutschen Bundesstaaten bedeutend profitieren konnten, da sich ihre personelle, finanzielle und sächliche Ausstattung kontinuierlich verbesserte, wenn die Landesregierungen sich kompetitiv gegenseitig überboten, geriet die idealistische Humboldt’sche Universität im „Konkurrenzkampf der Völker“ zunehmend in die Defensive . Durch die Aufwertung der anwendungsorientierten Technischen Hochschulen, denen um das Jahr 1900 das Promotionsrecht verliehen wurde, und die 1911 erfolgte Gründung der Kaiser-Wil-

Vgl . Ohlinger (1919), S . 10–11, 42ff; zur Propaganda im Ersten Weltkrieg aus zeitgenössischer, sozialpsychologischer Sicht vgl . Baschwitz (1923) . 371 Schumacher (1918), Sp . 266 . 372 Harnack (1918), Sp . 187 . 370

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Staatlich gelenkter Wettbewerb

helm-Gesellschaft, sahen sich die Universitäten zwei rasch mächtiger werdenden Konkurrenten um Studenten, staatliche und private Finanzmittel sowie wissenschaftliches Personal gegenübergestellt .

IV.

Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung Die Hochschulen im „Dritten Reich“

IV.1

Kampf und Konkurrenz um den Bestandserhalt

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten waren die deutschen Universitäten erstmals seit den napoleonischen Kriegen in ihrer Existenz bedroht . Der staatlich sanktionierte Terror und die allenthalben fühlbare Rechtsunsicherheit rückten die wiederholt angedrohte Auflösung einzelner, wenn nicht sämtlicher Universitäten in den Bereich des Möglichen, vor allem in der Frühphase der NS-Herrschaft, als Abneigung und Furcht vor den aufgrund antizipierter Distanz zum „neuen Deutschland“ propagandistisch als verkalkt bezeichneten Professoren innerhalb der „Bewegung“ am größten waren .1 Adolf Hitler wollte die deutschen Professoren „eines Tages ja, ich weiß nicht, ausrotten oder sowas“, sofern sie sich nicht in sein „Drittes Reich“ einfügen lassen sollten und nicht mehr benötigt würden .2 Der „Führer“ begegnete den Ordinarienuniversitäten mit tiefer Abneigung, wohl wissend, „daß die nationalsozialistische Revolution ohne die Wissenschaft gemacht werden mußte – ja, daß sie vielfach gegen die […] Professoren gewonnen wurde“ .3 Im NS-Staat sollten die Wissenschaften nicht um ihrer selbst Willen und mit dem Ziel der Wahrheitsfindung gepflegt werden, wie die Ordinarien ihren Forschungsauftrag vornehmlich definierten, sondern im Hinblick auf den (möglichst unmittelbaren) Nutzen für die „Volksgemeinschaft“ und den Nationalsozialismus .4 Dies musste die Frage aufwerfen, ob sich die UniversitäVgl . Hammerstein (1989), S . 283–305; Heiber (1992), S . 148 ff . Nach dem Reichserziehungsminister wurde die minimale Zeitspanne von der Bekanntgabe einer neuen hochschulrechtlichen Bestimmung bis zu ihrer Aufhebung in Professorenkreisen scherzhaft als „ein Rust“ bezeichnet; vgl . Grüttner (1995), S . 88 . 2 Zit . nach: Hammerstein (1999), S . 119 . 3 Schürmann (1937), S . 12 . 4 „Von jetzt an kommt es für Sie nicht darauf an festzustellen, ob etwas wahr ist, sondern ob es im Sinne der nationalsozialistischen Revolution ist“, äußerte beispielsweise der bayerische Kultusminister Hans Schemm gegenüber einem Professor; zit . nach: Hildebrand (2008), S . 14 . 1

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Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung

ten, denen der Soziologe Johann Wilhelm Mannhardt im Frühjahr 1933 „immer noch eine gewisse Abhängigkeit vom deutschen Idealismus“ attestieren zu können glaubte, in völkisch-politische Hochschulen verwandeln lassen würden oder ob sie von neuen, von vornherein nationalsozialistisch geprägten Lehr- und Forschungsinstitutionen abgelöst werden sollten:5 „Umsturz oder Erneuerung der Hochschulen?“ war also die zentrale Frage in den Jahren 1933/34 .6 Die bis dahin von Akademikern mit Stolz bekräftigte Verwurzelung der Universitäten im Deutschen Idealismus musste nun allein schon aus Selbstschutz negiert werden, da die Nationalsozialisten diese Philosophie, deren Grundgedanken „zu einer Zeit geprägt wurden, als es einen deutschen Staat noch nicht gab“, „für überwunden“ erklärten .7 Überdies, so der 1933 zum Ministerialrat ernannte NS-Pädagoge Joachim Haupt, seien Humanismus und Idealismus bereits während des 19 . Jahrhunderts zu hohlen Phrasen verkommen, die den treffender als „materialistisch-liberalistisch“ zu bezeichnenden Universitäten lediglich als Deckmäntelchen gedient hätten .8 Nachdem innerhalb weniger Wochen an sämtlichen Hochschulen NS-nahe Rektoren installiert worden waren, die kein Interesse daran haben konnten, ihre neugewonnene Macht durch eine Auflösung der Universitäten wieder zu verlieren, häuften sich öffentliche Bekundungen, mit der „Humboldt’schen“ Tradition restlos gebrochen zu haben . So behauptete der Erziehungswissenschaftler und Frankfurter Rektor Ernst Krieck, der bereits früh mit eigenen Hochschulplänen in Erscheinung trat, schon 1934: „Eine Auseinandersetzung mit der […] Humboldtschen Universität ist heute nicht mehr nötig . Sie ist samt ihrer tragenden Humanitätsidee zerfallen . [(…) S]ie gehört einem anderen Zeitalter an und wird nicht wiederkehren“ .9 Zudem, bekräftigte sein Göttinger Amtskollege einige Jahre später, sei die Bedeutung Wilhelm von Humboldts für die Entwicklung der deutschen Universitäten im 19 . und frühen 20 . Jahrhundert überschätzt worden . Humboldt habe „doch nur weitgehend als verbindlich anerkannt, was in der Universität des achtzehnten Jahrhunderts durchgedrungen war“ .10 Die nationalsozialistische Staatsführung, die „den Geistesmächten und den politischen Anschauungen der letzten 200 Jahre einen grundsätzlichen Kampf

Mannhardt (1933), S . 27 . Jaensch (1934), Titel . Baeumler (1937 [1933]), S . 125; Ders . (21943), S . 87 . Sogar der nationalsozialistische Philosoph Max Wundt bekannte sich noch am 23 .12 .1932 in einem öffentlichen Vortrag zum Deutschen Idealismus, der die Universitäten davor bewahre, sich „zu reinen Parteizwecken mißbrauchen“ zu lassen . Es „würde schlimm um das geistige Leben an den Hochschulen aussehen, wenn dort infolge politischer Uniformierung der Zwang und der Mut verloren ginge, sich mit feindlichen Richtungen in geistigem Kampfe auseinanderzusetzen“, weshalb er anmahnte „die Lehrfreiheit – im Notfall auch gegen den Staat –“ zu verteidigen . Selbstredend, dass für Wundt die Gefahren für die akademische Freiheit nicht so sehr von der NSDAP, als vielmehr von den staatstragenden Parteien der Weimarer Republik ausgingen; Wundt (1933), S . 20, 24 . 8 Vgl . Dolch (1933), S . 225 . 9 Krieck (1934), S . 85 . 10 Neumann (1938), S . 2–3 . Unter dem Schlagwort „Mythos Humboldt“ ist diese Sichtweise auch heutzutage geläufig und keineswegs so neu, wie manche ihrer Vertreter glauben machen wollen . 5 6 7

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ansagte“, verlangte nach reformierten, nationalsozialistischen Universitäten, und die Rektoren versuchten dementsprechend zu versichern, dass ihren Hochschulen die „Einfügung in den Staat der Zukunft“ bereits gelungen sei, wie es in einer Veröffentlichung des Leipziger Soziologen Hans Freyer von 1933 hieß .11 Die Universitätsrektoren kämpften auf diese Weise um den Bestandserhalt ihrer Institutionen und betonten die Kompatibilität der „gesäuberten“ Hochschulen mit der rassistischen NS-Ideologie .12 Besonders radikale Kräfte an den Universitäten, und dazu gehörte in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“ insbesondere die organisierte Studentenschaft, wollten den Worten der „Führer-Rektoren“ indes keinen Glauben schenken . Der Reichsführer der Deutschen Studentenschaft, Andreas Feickert, äußerte in einer Kampfschrift aus dem Jahre 1934, dass die Universitäten „sich zwar äußerlich gleichgeschaltet [hätten], innerlich aber liberalistisch geblieben“ seien, und warnte unverhohlen vor einer Abwanderung der Studenten .13 Sofern die Hochschulen nicht bis in den Kern nationalsozialistisch würden, müssten diverse andere Bildungseinrichtungen deren Aufgaben übernehmen . Dann sei es nur mehr eine Frage der Zeit, bis „all diese Institutionen zu einem konzentrierten Angriff auf die Hochschule vorgehen und sie einfach zerschlagen werden“ .14 Der rapide Machtverlust der zerstrittenen Deutschen Studentenschaft machte Feickert allerdings rasch zu einem Papiertiger . Demgegenüber konnte der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund (NSDDB) seinen Einfluss wahren, stellte aber keine unmittelbare Gefahr für den Erhalt der Universitäten dar, die schließlich die Arbeitgeber seiner Mitglieder waren . Als Zielsetzung des NSDDB benannte zwar auch Reichsdozentenführer Walter Schultze (noch im Juni 1939), die „deutsche Hochschule wirklich [!] nationalsozialistisch zu machen, nicht etwa sie da und dort gleichzuschalten, ja mehr oder weniger ‚braun zu färben,‘“ und wies damit ebenfalls die Versicherungen der Rektoren zurück, sie sei bereits bis in ihren Kern faschistisch ausgerichtet .15 An der Errichtung konkurrierender Bildungseinrichtungen für den Fall, dass sich dieses Vorhaben an den Universitäten nicht verwirklichen lassen sollte, konnte dem NSDDB letztlich aber nicht gelegen sein . So drohte der gefürchtete Reichsdozentenführer zwar, dass die „deutsche Universität von morgen […] nationalsozialistisch oder […] überhaupt nicht mehr sein“ werde, betonte jedoch in derselben Rede, dass „für die deutsche Universität selbst keine Gefahr“ bestehe und sich die Männer des NSDDB der „Macht der deutschen Universität bewußt sind und daß wir niemals die Torheit begehen werden, ein solches Instrument deutschen Ansehens zu zerschlagen“ .16

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Rosenberg (1936), S . 197; Freyer (1933), S . 16 . Zum Umgang mit jüdischen Hochschulangehörigen vgl . die Ausführungen ab S . 140 . Feickert (1934), S . 10 . Feickert (1934), S . 9 . Schultze (1940 [1939]), S . 16 . Schultze (1938), S . 4, 10 .

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Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung

Ab Mitte der 1930er Jahre kam die größte Bedrohung für die Universitäten von außerhalb der Hochschulen und des Reichserziehungsministeriums (REM) . Das „Amt Rosenberg“, dessen Leiter von Beginn an mit Bernhard Rust um Macht und Einfluss konkurrierte, versuchte die Universitäten durch den Aufbau eigener Lehr- und Forschungsanstalten zu schwächen . Während für die Technischen Hochschulen „die Frage nach der Daseinsberechtigung der Hochschule im nationalsozialistischen Staat“ etwa um diese Zeit zu ihren Gunsten entschieden zu sein schien, da der NS-Staat naturwissenschaftliche und technische Forschung besonders förderte, sahen sich die Universitäten umso heftigeren Angriffen ausgesetzt .17 Alfred Rosenberg, der von 1904 bis 1908 Germanistik, Klassische Philologie, Kunstgeschichte, Philosophie und Musik studiert hatte, wollte die Geisteswissenschaften nach seinen Vorstellungen reformieren und dazu neue Lehr- und Forschungseinrichtungen schaffen . Eine Idee des Reichsorganisationsleiters Robert Ley aufgreifend, arbeitete er bereits wenige Monate nach seiner Ernennung 1934 zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ am Aufbau einer „Hohen Schule“, die er als Krönung des nationalsozialistischen Bildungswesens und „Alternativ-Universität“ konzipierte .18 Neben einem monumentalen Hauptgebäude vor Alpenpanorama, verkehrsgünstig nahe der neugebauten Reichsautobahn München-Salzburg am oberbayerischen Chiemsee gelegen, waren Außenstellen an mehreren Hochschulorten vorgesehen .19 Nachdem Adolf Hitler das Projekt am 25 . Mai 1938 offiziell abgesegnet hatte, wurden in Frankfurt am Main, Halle an der Saale, Hamburg, Marburg und München erste Institute und Bibliotheken der Hohen Schule eröffnet . Dies kam laut dem Historiker Reinhard Bollmus einem „Einbruch in den Bereich der Universitäten“ gleich, um diese von innen ‚auszuhöhlen‘ .20 Der Pädagoge Alfred Baeumler, Dienststellenleiter der „Hohen Schule“ und enger Vertrauter Rosenbergs, verdeutlichte die Konkurrenzsituation zu den Universitäten, indem er verkündete, dass der „Wissenschaft, die an den Universitäten mit ihren erstarrten Überlieferungen weltanschaulich nicht weiter kommt“, eine neue Heimstatt in Form der „Hohen Schule“ geschaffen werden müsse .21 Auf dem bereits ausgepflockten Gelände am Chiemsee sollten sich unter anderem ein Observatorium und eine Sendestation erheben, während für das von dem renommierten Architekten Hermann Giesler entworfene Hauptgebäude Kinosäle, hochmoderne Fernsehräume und eine bestens ausgestattete Bibliothek vorgesehen waren . Das Projekt kam jedoch früh ins Stocken und scheint von Rosenberg, der in seinen Tagebüchern nur an einer Stelle auf die „Hohe Schule“ eingeht, nicht von besonders hoher Priorität gewesen zu sein .

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So der Rektor der TH Braunschweig, Paul Horrmann, im Jahre 1937; zit . nach: Maier (2010), S . 39 . Vgl . Piper (2015), S . 390 ff . Vgl . die beiden Fotografien des Modells in Troost (51944), S . 38–39 . Bollmus (1980), S . 138, 142 . Zit . nach: Kater (32001), S . 279 .

Kampf und Konkurrenz um den Bestandserhalt

Gleichwohl bestimmte Adolf Hitler in einer Verfügung vom 29 . Januar 1940, dass die „‚Hohe Schule‘ […] die zentrale Stätte der nationalsozialistischen Forschung, Lehre und Erziehung“ zu werden habe, also im heutigen Sprachgebrauch eine Art Elitehochschule, die hierarchisch fraglos über den Universitäten angesiedelt sein sollte .22 Allerdings ordnete Hitler an, die Errichtung des Hauptgebäudes für die Dauer des Krieges zurückzustellen, was wiederum einen herben Rückschlag für Rosenberg bedeutete, der die Bauarbeiten im Chiemgau auf unbestimmte Zeiten verschieben musste . Gleichwohl konnte er weiterhin den Aufbau von Außenstellen der „Hohen Schule“ vorantreiben, die den Universitäten „als eine geschlossene politische Einheit gegenübertreten“ sollten, wie Alfred Baeumler im Juni 1941 formulierte .23 In München etwa waren Rosenbergs Begehrlichkeiten geweckt worden, nachdem Gauleiter Adolf Wagner die (Katholisch-) Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zum Ende des Wintersemesters 1938/39 aufgelöst hatte .24 Die dadurch freigewordenen Lehrstühle wollte Rosenberg auf ein „Institut für Arische Geistesgeschichte“ der „Hohen Schule“ übertragen . Auf einer Besprechung im September 1940, an der neben Alfred Baeumler auch der Münchner Universitätsrektor Walther Wüst teilnahm, verteidigte Letzterer „scharf die Rechte der Fakultät“ und bekundete sein Missfallen über das „Amt Rosenberg“, das die Lehrstühle nach eigenem Gutdünken und ohne Absprache mit Universität und Reichserziehungsministerium besetzen wollte .25 Reichserziehungsminister Bernhard Rust, der in der Konkurrenz zwischen Universität und „Hoher Schule“ eigentlich die Interessen der Universität zu verteidigen hatte, die schließlich mit jenen des REM zusammenfielen, knickte nach einem Telefonanruf Baeumlers jedoch ein und stimmte zu, die umgewidmeten Lehrstühle nun als „außerhalb der Universität“ zu betrachten, obwohl sie offiziell unter dem Dach der Philosophischen Fakultät der Universität München angesiedelt waren .26 Rosenberg zeigte sich nach diesem Erfolg davon überzeugt, dass es in „absehbarer Zeit möglich sein wird, unmittelbar auf Besetzungen maßgebender Stellen der Universität München Einfluß zu nehmen“ .27 Rektor Walther Wüst gab den Kampf jedoch noch nicht verloren und kritisierte Rosenbergs Pläne im Juli 1941 ziemlich unverhohlen in einer öffentlichen Rektoratsrede .28 Zudem ließ er „seine SS-Beziehungen spielen“ und versuchte, dem neugegründeten Institut mittels eines Zweckbündnisses mit Heinrich Himmler „den Wind aus den Segeln zu nehmen“, wie Rosenberg verärgert feststellen musste .29 Tatsächlich ge22 23 24 25 26 27 28 29

Zit . nach: Piper (2015), S . 394 . Zit . nach: Kater (32001), S . 279 . Vgl . Weitlauff (2006) . Aktenvermerk Alfred Baeumlers; zit . nach: Piper (2015), S . 395 . Piper (2015), S . 395 . Zit . nach: Schreiber (2006b), S . 170 . Vgl . Wüst (1941), S . 27–28 . Kater (32001), S . 276; zit . nach: Schreiber (2006b), S . 230 .

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lang es Wüst auf diese Weise, das „Institut für Arische Geistesgeschichte“ und die dort beschäftigen Wissenschaftler weitgehend zu isolieren und dessen Ausdehnung auf Kosten des Historischen Seminars der Universität zu verhindern . Andererseits freilich verstärkte sich dadurch der Einfluss der SS auf Entscheidungen der Universität München, da die SS die Schützenhilfe gegen Rosenberg nur aus eigennützigen Motiven leistete . Zudem blieb die Kooperation zwischen Wüst und Himmler fragil, da Rosenberg wiederholt Versuche unternahm, den Reichsführer SS auf seine Seite zu ziehen . So berichtete er ihm Anfang 1943 über „die nicht erträgliche ‚Arbeit‘ von Prof . Wüst in München gegen die H . S .“, woraufhin ihn Himmler „fragte, ob ich mich dagegen aussprechen würde, wenn eine der Ost-Universitäten vom ‚Ahnenerbe‘ übernommen würde“, was auf die Anbahnung eines Kuhhandels hindeutet .30 Das „Ahnenerbe“, auf das im Folgenden noch näher einzugehen sein wird, war im Übrigen ebenfalls ein Konkurrent der Universitäten . Sowohl von Universitätsseite als auch vonseiten des „Amtes Rosenberg“ wurde also nach potentiellen Verbündeten im Konkurrenzkampf Ausschau gehalten, an denen es angesichts der polykratischen Herrschaftsstruktur des NS-Staats nicht mangelte . Die Auswahlkriterien für Lehrkräfte der „Hohen Schule“ hatten, wie Maximilian Schreiber herausstreicht, kaum etwas mit jenen für Universitätsprofessoren gemein, da die politische und nicht etwa die fachliche Eignung an oberster Stelle stand .31 Die interinstitutionelle Konkurrenz um die besten Wissenschaftler wollte Rosenberg durch eine Auswahl nach vornehmlich politischen Kriterien einschränken . Die meisten Wissenschaftler, die an den Außenstellen der „Hohen Schule“ tätig waren, gerieten daher nach Kriegsende mitsamt ihren Veröffentlichungen rasch in Vergessenheit, was wiederum dazu führte, dass die Bedeutung von Rosenbergs „Hoher Schule“ für das NS-Wissenschaftssystem bis heute oftmals unterschätzt wird . Für die Universitäten stellten sie durchaus eine ernst zu nehmende Konkurrenz dar . Neben Rosenbergs „Hoher Schule“ blies im Übrigen auch die Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ zum Angriff auf die Universitäten, die „teils im alten Weltbild steckenblieben, teils im krampfhaften Bemühen, den Anschluß an den Nationalsozialismus nicht zu versäumen, die Wissenschaft vergewaltigten“, wie aus der SS-Einrichtung als Rechtfertigung der eigenen Existenz verlautete .32 Die Nachwuchsproblematik ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre führte zu einem harten Konkurrenzkampf mit den Universitäten, die die wenigen habilitierten Jungakademiker an sich binden wollten .33 Um im Wettbewerb mit den immer noch statushöheren Uni-

Tagebucheintrag Rosenbergs vom 25 ./26 .1 .1943, in: Rosenberg (2015 [1943]), S . 469–470 . Die Universität Prag musste zeitweise eine Übernahme durch das „Ahnenerbe“ fürchten; vgl . Reitzenstein (2014), S . 257 . 31 Vgl . Schreiber (2006b) und Kapitel IV .2 . 32 Zit . nach: Hanisch (1995), S . 221; vgl . Reitzenstein (2018), (2012); Koop (2012); Kater (2006) . 33 Ausführliches dazu in Kapitel IV .2 . 30

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versitäten bestehen zu können, griff das „Ahnenerbe“ zu „einem psychologischen Trick“:34 Ab März 1938 wertete es die Institute habilitierter Wissenschaftler auf und bezeichnete sie im Unterschied zu den reinen Forschungsstellen nicht-habilitierter Mitarbeiter als „Lehr- und Forschungsstätten“ . Zudem wurde von SS-Männern, die an den Universitäten beschäftigt waren, erwartet, dass sie im Sinne von Himmlers Organisation auf den Fakultätsbetrieb einwirkten . Nach Ausbruch des Krieges galten aus Sicht des „Ahnenerbes“ bemerkenswerterweise nicht mehr die Universitäten, sondern die Außenstellen der „Hohen Schule“ als Hauptkonkurrenten .35 Um sich im Wettbewerb zu behaupten kooperierte das „Ahnenerbe“ – wie etwa im genannten Münchner Fall – sowohl mit einzelnen Universitäten als auch mit dem Reichserziehungsministerium, um wiederum Rosenberg zu schwächen .36 Laut dem Philosophen Erich Rothacker hatte das „Ahnenerbe“ bei Kriegsende einen „Würgegriff am Hals der Universität, der die schwersten Folgen hätte haben können“ .37 Ziel der SS war es schließlich, wie Julien Reitzenstein herausgearbeitet hat, „das Ahnenerbe zur Universität zu machen, aber auch es institutionell über die Universitäten zu stellen“ .38 Freilich erwehrten sich die Universitäten nicht nur der Angriffe des „Ahnenerbes“ . Vielmehr suchten sie nicht selten selbst die Nähe zur SS und zu einzelnen Einrichtungen des „Ahnenerbes“ . Zur Zusammenarbeit kam es etwa dann, wenn es galt, sich Verbündete in der Konkurrenz mit dem „Amt Rosenberg“ zu sichern . Zudem gab es zahlreiche personelle Verflechtungen und SS-Männer in leitenden Positionen an den Universitäten, die ihre Hochschulen auf „SS-mäßiger Grundlage“ umgestalten wollten, da sie ihnen auf diese Weise für den „Kampf ums Dasein“ besser gerüstet erschienen .39 Bemerkenswerterweise konnten Universitätsrektoren, wie zum Beispiel der Kieler „Führer-Rektor“ Paul Ritterbusch, unumwunden zugeben, dass ihre Universitäten nicht zu „völkisch-politischen“ Hochschulen geworden, sondern akademischen Traditionen verhaftet geblieben waren . Sie begründeten dies damit, dass sich nach 1933 „sehr bald herausgestellt“ habe, „daß die traditionelle Gestalt der deutschen Universität […] eine derart tiefe und ursprüngliche Schöpfung des deutschen Wesens ist, daß sie nicht ohne eine nie wieder gutzumachende Einbuße zu verändern ist“ .40 Am Kater (32001), S . 134 . „Diese Stelle [i . e . Rosenbergs „Hohe Schule“; F . W .] bekommt überhaupt nichts geliefert – weder Prospekte noch sonst irgend etwas“ ließ das Ahnenerbe 1942 verlauten; zit . nach: Kater (32001), S . 279 . Zum „Wettlauf zwischen den beiden Reichsleitern“ Himmler und Rosenberg vgl . Kater (32001), S . 290 ff . 36 SS-Gruppenführer Gottlob Berger äußerte Ende 1942, das Ahnenerbe müsse „in kürzester Frist soweit kommen, daß es die Hohen Schulen des Reichsleiters Rosenberg weit überflügelt, und zu der nationalsozialistischen Forschungsstelle wird“; Vermerk Bergers für den Reichsführer-SS vom 12 .9 .1942; zit . nach: Kater (32001), S . 279 f . 37 Rothacker (1963), S . 140 . 38 Reitzenstein (2014), S . 257 . 39 Brief des Jenaer „Rasseforschers“ und SS-Mitglieds Karl Astel an Heinrich Himmler vom 8 .5 .1935; zit . nach: John/Stutz (2009), S . 488; Zitat Karl Astels in Hoßfeld/John/Stutz (2005), S . 78 . 40 Ritterbusch (1940), S .453 . Zu Paul Ritterbusch und zur „Aktion Ritterbusch“ vgl . Hausmann (2007) . 34 35

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„Grundgesetz der deutschen Hochschule“ dürfe sich daher „niemand ungestraft vergreifen .“ Ritterbusch vertrat die Meinung, dass bereits vor der Machtübernahme Adolf Hitlers nicht jeder „deutsche Professor […] ein verabscheuungswürdiger Liberalist und Intellektualist gewesen“ sei und dies gegenwärtig erst recht nicht mehr zutreffend sei . Die Wissenschaft habe daher an den Universitäten ein geeignetes Zuhause . Demgegenüber erblickte er „in der Schaffung einer großen Anzahl von wissenschaftlichen Akademien außerhalb der Universität eine keineswegs glückliche Entwicklung des wissenschaftlichen Lebens“ .41 Aus Sicht eines Universitätsangehörigen, der die wachsende Konkurrenz fürchten musste, war dies freilich eine nachvollziehbare Einschätzung . Nicht nur überzeugte und gut vernetzte Nationalsozialisten wie Ritterbusch konnten sich im Übrigen ab Ende der 1930er Jahre eine öffentliche Rehabilitierung der Humboldt’schen Universität erlauben, da das Reichserziehungsministerium zwar nicht expressis verbis die Rückkehr zum Humboldt’schen Universitätsmodell verkündete, sehr wohl aber in diesem Sinne handelte, wohingegen die nationalsozialistischen Bildungsreformer von Anrich bis Krieck sämtlich scheiterten . So zeigte sich, dass die nationalsozialistische Ideologie eben nicht nur als „Antipode des deutschen Idealismus“ angesehen werden kann, sondern in der Totalitätsidee und im „philosophischen Pangermanismus“ durchaus auch Anknüpfungspunkte vorhanden waren, wie der in die Emigration gezwungene Philosoph Siegfried Marck 1938 herausarbeiten konnte .42 Während NS-Ideologen wie Alfred Rosenberg weiterhin auf eine völlige „Gleichschaltung“ der Universitäten hinarbeiteten, strebte Reichserziehungsminister Bernhard Rust eine solche bereits ab 1934 nicht mehr an .43 Neben ihrer Verwurzelung im Boden des Neuhumanismus wurden jene Universitäten zu einer Zielscheibe für die Nationalsozialisten, die jüdische Dozenten beschäftigten, was konkurrierende Hochschulen für sich zu nutzen versuchten . Vor allem der Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe-Universität drohte 1933 aufgrund ihrer zahlreichen jüdischen Lehrkräfte die Aufhebung, was an den benachbarten Kleinstadt-Universitäten in Gießen und Marburg durchaus auch mit einer gewissen Erleichterung und Genugtuung registriert wurde, da man dort aufgrund der niedrigen Studentenzahlen ebenfalls eine Schließung befürchten musste . Nach der Devise Friedrich Nietzsches, das zu stoßen, was fällt, schlug der Marburger Soziologe Johann Wilhelm Mannhardt vor, alle der Universität Frankfurt „nach dem Kriege gewährten Gelder zurückzuziehen“ und die Hochschule gegebenenfalls „der jüdischen Minderheit […] zur Verfügung zu stellen“, was im Frühjahr 1933 nichts Gutes bedeuten konnte .44 Die

Ritterbusch (1940), S . 458, 463 . Marck (1938), S . 112; ähnlich bereits bei Hunger (1933) . Gleichwohl behauptete Ministerialrat Otto zu Rantzau aus dem REM noch 1939, dass „die völlige Vereinheitlichung des Hochschulwesens […] bevorsteht“; Rantzau (1939), S . 8 . 44 Mannhardt (1933), S . 110–111 . 41 42 43

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„nicht sehr arische Gründung“ in der Heimatstadt der Rothschilds wurde auch auf der kaum hundert Kilometer entfernten Universität Gießen mit Missfallen und als unliebsame Konkurrenz betrachtet .45 Die Universität Frankfurt blieb angesichts der akuten Gefahr, die sich durch einen Einbruch der studentischen Frequenz im Sommersemester 1933 noch zuspitzen sollte, freilich nicht untätig .46 Jüdische Professoren wurden aufgefordert, nicht mehr die Hörsäle zu betreten, um Ausschreitungen zu vermeiden und den Ruf der Stiftungsuniversität als „Hochburg marxistisch-jüdischen Geistes“ nicht noch weiter zu verfestigen, während der im April zum Rektor bestimmte nationalsozialistische Erziehungswissenschaftler Ernst Krieck unverzüglich die Nähe zur Staatsführung suchte und sich Hitlers Wohlwollens versicherte .47 Über Jakob Sprenger, den Reichsstatthalter von Hessen-Nassau, wurde überdies ein Kontakt zu Hermann Göring aufgebaut, der im Januar 1934 eine Bestandsgarantie für die Universität Frankfurt abgab . Den Argumenten des Frankfurter „Führer-Rektors“ schien Gehör geschenkt worden zu sein . Krieck hatte versichert, dass die Universität nach der Entlassung ihrer jüdischen Lehrkräfte zu einem „Kulturbollwerk“ im Westen Deutschlands ausgebaut werden könne, dass am Main die Tradition der alten Universität Straßburg weiterlebe und Frankfurt de facto die Hochschule des (bis 1935 durch den Völkerbund verwalteten) Saargebiets sei . Zudem koste sie den Freistaat Preußen von allen Universitäten am wenigsten und würde sich im Unterschied zu „traditionsbelasteten“ Hochschulen leichter in den NS-Staat eingliedern lassen . Überdies drohe Frankfurt eine „absterbende Stadt“ zu werden, wenn es nach der Auflösung von rund 1500 jüdischen Betrieben nun auch noch zur Schließung der Universität komme . Krieck warnte die Reichsregierung vor „Propaganda“ des Auslands, das eine Aufhebung der Frankfurter Universität als Indiz für die Kulturfeindlichkeit des Nationalsozialismus deuten könne .48 Görings Bestandsgarantie war allerdings, wie so oft im „Dritten Reich“, ohne Rücksprache mit den (anderen) zuständigen Personen und Behörden und lediglich aus einer Laune des Reichsmarschalls heraus abgegeben worden, folglich durchaus nicht unumstößlich . So verwundert es nicht, dass bereits im Laufe des Jahres 1934 erneut Gerüchte über eine unmittelbar bevorstehende Schließung aufkamen, die bezeichnenderweise nicht zuletzt in Gießen kolportiert wurden .49 Daraufhin begab sich eine Frankfurter Professorendelegation zum preußischen Finanzminister und späteren Widerstandskämpfer Johannes Popitz und wies diesen „[n]ach dem St .-Florians-Prinzip“

Aus einer Denkschrift des Gießener Dozentenbundführers Enno Freerksen (1938); zit . nach: Heiber (1992), S . 194 . 46 Die Universität Frankfurt verlor 1933 fast die Hälfte ihrer Studenten (- 46,5 Prozent) und damit prozentual mehr als alle anderen deutschen Universitäten; vgl . Deutsche Hochschulstatistik 11 (1933), S . 26 . 47 So der Frankfurter Rektor Walter Platzhoff 1934 im Rückblick; zit . nach: Heiber (1994), S . 581 . 48 Heiber (1992), S . 165–166 . 49 Vgl . Heiber (1992), S . 167 . 45

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auf die von nur wenigen Studenten besuchte und daher vergleichsweise teure Ludwigs-Universität Gießen hin, die, sofern Einsparmaßnahmen erforderlich sein sollten, für eine Auflösung weit besser geeignet sei als Frankfurt, worin Popitz zu ihrer großen Genugtuung zustimmte . Darüber hinaus wurde die Öffentlichkeitsarbeit intensiviert und Artikel in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht, die die Meldungen über eine Schließung der Universität Frankfurt als haltlos darstellten . Im Wissen um die Vorliebe der neuen Staatsführung für Hochschulen in ländlichen Gefilden wurde die Frankfurter Universität in der Presse als bodenständige Kleinstadt-Universität präsentiert, da ihr Standort im peripher gelegenen Stadtteil Bockenheim keinerlei großstädtischen Charakter trage . Eine im September 1934 abgehaltene „Wissenschaftliche Woche“ sollte darüber hinaus ein ebenso deutliches Lebenszeichen setzen wie die groß angelegte 25-Jahr-Feier, in deren Vorbereitung die Frankfurter von der Nachricht überrascht wurden, dass die Universität Köln, entgegen bisheriger Gepflogenheiten, die mehr als ein halbes Jahrtausend umspannende Geschichte der 1797 aufgelösten Alten Universität kurzerhand zu ihrer eigenen erklärte, um statt eines bescheidenen 20jährigen ein stolzes 550jähriges Jubiläum feiern zu können und Frankfurt damit zu übertrumpfen . Frankfurts Oberbürgermeister Friedrich Krebs ließ daraufhin eine hundertjährige Vergangenheit der Goethe-Universität konstruieren, die von Rektor und Lehrkräften indes als Geschichtsklitterung abgelehnt wurde, um sich nicht der Lächerlichkeit preiszugeben .50 Köln, das wie Frankfurt zu den hochfrequentierten städtischen Universitätsgründungen der Weimarer Republik gehört hatte, musste 1933 im Übrigen ebenfalls eine Auflösung befürchten, da die Domstadt, deren Wählerschaft sich noch bei den Märzwahlen mehrheitlich für das Zentrum entschieden hatte, den Nationalsozialisten als Hort der Reaktion galt . Nach der „putschartigen“ Auswechslung von Rektor und Senatsmitgliedern am 11 . April 1933 erklärte sich die Universität Köln jedoch medienwirksam zur ersten gleichgeschalteten Universität des Reiches, woraufhin sie von Bernhard Rust als Vorbild bezeichnet wurde .51 Ihre Pressestelle pflegte das neue Image als NS-Musteruniversität und führte sogar eine juristische Fehde mit der Kölnischen Zeitung, nachdem diese von staatlichen Aufhebungsplänen berichtet hatte .52 Aufgrund ihrer niedrigen Frequenz und der Nähe zu Leipzig und Jena galt auch der Erhalt der Universität Halle in den zwölf Jahren der NS-Diktatur wiederholt als bedroht, so dass ihr Rektor die Vorzüge Halles in Konkurrenz zu den Nachbaruniversitäten betonen musste . Im Unterschied zu Frankfurt konnte Halles Rektor Emil Woermann in seinen Denkschriften an die Ministerialbürokratie die „lange und be-

Vgl . Heiber (1994), S . 171–172, 584 . John/Stutz (2009), S . 418; vgl . Böhm (1995), S . 71; zur Universität Köln im „Dritten Reich“ vgl . Golczewski (1988) . 52 Vgl . Heiber (1992), S . 160 . 50 51

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deutsame Tradition“ der Universität herausstreichen .53 Davon abgesehen ähnelten sich die Argumente: Er hob die Relevanz der Hochschule für das „mitteldeutsche Kulturleben“ und die „mitteldeutsche Wirtschaft“ in seinen Schreiben an das Reichserziehungsministerium ebenso hervor wie die Leistungsfähigkeit der Hochschulinstitute . Darüber hinaus verwies der Rektor auf die „symbolische Bedeutung für den gesamten Weltprotestantismus“, die es mit sich bringe, dass eine „etwaige Aufhebung der Martin-Luther-Universität in der protestantischen Welt Deutschlands und außerhalb Deutschlands […] äußerstes Befremden hervorrufen würde“ .54 Letzteres entsprach, freilich sehr vorsichtig formuliert, der Warnung des Frankfurter Rektors vor einem kulturpolitisch verheerenden Aufschrei im Ausland . Selbstverständlich wurden auch Verbindungen zu den Männern an den Schaltern der Macht gesucht und gefunden . Woermann erinnerte sich an seinen alten Studienfreund Walter Darré, der nun das Amt des Reichsbauernführers und Landwirtschaftsministers bekleidete . Ferner wurden Gauleiter Rudolf Jordan und (über diesen) Hermann Göring mehrere Male kontaktiert und um Unterstützung gebeten . Nachdem Woermann von einem subalternen Beamten des REM die Versicherung erhalten hatte, dass das Ministerium keine Aufhebungspläne verfolge, ließ er unverzüglich einen Aushang anfertigen, der den Professoren und Studenten die beruhigende Nachricht mitteilte, dass die „in letzter Zeit umlaufenden Gerüchte über eine bevorstehende Schließung der Universität Halle“ jeglicher Begründung entbehrten .55 Für diese Bekanntmachung wurde Woermann jedoch sogleich von Reichserziehungsminister Rust gerügt, der den Erhalt keineswegs garantieren wollte . Intensiv bemühte sich die Universitätsleitung von nun an um eine Schirmherrschaft durch den NS-Chefideologen Alfred Rosenberg, von der man sich eine Sicherung des Universitätsbetriebs erhoffte . Tatsächlich willigte Rosenberg 1938 ein und stellte die Martin-Luther-Universität unter seinen Schutz . Die mit Rosenberg verbundenen Erwartungen wurden im Übrigen nicht enttäuscht . Nach dem Münchner Abkommen verhinderte Rosenberg eine drohende Verlegung der Universität nach Eger, und als die Martin-Luther-Universität (wie die meisten deutschen Hochschulen) im September 1939 kriegsbedingt geschlossen wurde, wandte er sich unverzüglich und erfolgreich an den Chef des Stabes des Stellvertreters des Führers Martin Bormann, um die sofortige Rücknahme der Anordnung zu erwirken, weil er persönlich ein „geistiges Protektorat“ über die Martin-Luther-Universität ausübe .56 Es wäre „geradezu grotesk“, so Rosenberg in seinem Schreiben, wenn die einzige Universität, die „von sich aus freiwillig an die Reichsleitung der NSDAP herangetreten“ sei, nun geschlossen bleiben würde . Darüber hinaus konnte Rosenberg als Hauptschriftleiter

Aus einer Denkschrift Emil Woermanns an das REM vom 24 .12 .1935; teilw . abgedr . in: Eberle (2002), S . 161 . 54 Eberle (2002), S . 161 55 Zit . nach: Eberle (2002), S . 162 . 56 Vgl . Zöllner (1994), S . 89 . 53

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des Völkischen Beobachters darauf achten, dass nur positive Meldungen über die Universität Halle in der auflagenstärksten Tageszeitung des „Dritten Reichs“ erschienen . Während des Krieges, in dem Rosenberg Reichsminister für die besetzten Ostgebiete wurde, war sein Augenmerk jedoch auf andere Dinge gelenkt, so dass die Lage für die Universität Halle erneut unsicher wurde . Dies lag nicht zuletzt daran, dass sie sich nun im Reichserziehungsministerium einen Feind gemacht hatte, das in Rosenberg und seinem Amt einen mächtigen Konkurrenten erblickte . Gauleiter Joachim Albrecht Eggeling befürchtete daher, dass sich das REM nun nicht mehr für das „ungezogene Kind Halle“ einsetzen würde .57 Tatsächlich drohte nach dem erfolgreichen Polen-Feldzug eine Verlegung nach Posen, auf die die Hallenser mit einem Brandbrief an Rudolf Heß reagierten . Etwas später wurde in Halle sogar „der absurde Gedanke“ diskutiert, die Universität zu einem Zentrum für Kolonialwissenschaften auszubauen, die bis zur Kriegswende mit hohen staatlichen Zuwendungen rechnen konnten und geschont wurden .58 Erst anlässlich des Universitätsjubiläums im Jahre 1944 sprach Bernhard Rust eine offizielle Bestandsgarantie aus, die angesichts der absehbaren Kriegsniederlage und der drohenden Ausbombung freilich nur noch von begrenztem Wert war .59 Einen ähnlichen Versuch wie die Hallenser unternahm Jenas Rektor Karl Astel, der sich seinerseits in einer Konkurrenz mit dem Leipziger und vor allem dem Hallenser Amtskollegen um den Bestandserhalt seiner Alma Mater zu befinden glaubte . Nachdem Halle bereits Alfred Rosenberg als Protektor gefunden hatte, versuchte Astel, den „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler als Schirmherrn für seine Universität zu gewinnen, und plante gar den Umbau in eine „SS-Universität“, was ihm jedoch misslang .60 Es lässt sich auch noch eine weitere Gemeinsamkeit in der Vorgehensweise Halles und Jenas aufzeigen . Die beiden benachbarten Universitäten hatten sich kurz nach der „Machtergreifung“ im symbolischen Wettbewerb mit den Namen zweier großer Deutscher geschmückt und sich mit Martin Luther (1933) beziehungsweise Friedrich Schiller (1934) sozusagen zwei Schirmherren aus Walhalla geholt, die nun dem Branding der Universitäten, wie wir heute sagen würden, zu dienen hatten .61 Diese Namensgebungen waren wohlüberlegt, mussten doch historische Gestalten gefunden werden, die nicht nur einen Bezug zur jeweiligen Universität aufwiesen, sondern darüber hinaus bei Anhängern des „neuen“ und des „alten Deutschlands“ sowie im Ausland einen guten Klang hatten . Vor allem Jena sah sich 1934 unter Zugzwang gesetzt, „nachdem Frankfurt schon den Goethe ihr weggenommen“ hatte, wie ihr Rektor beklagte, und zudem befürchtet werden musste, dass „unter Umständen einmal Tübingen“ Ansprü-

Zit . nach: Heiber (1994), S . 480 . Eberle (2002), S . 168 . Vgl . Eberle (2002), S . 168 . Vgl . John/Stutz (2009), S . 488 . Drittens benannte sich die Universität Greifswald im Jahre 1933 nach Ernst Moritz Arndt, während sich Rostock erfolglos um den Titel „Adolf-Hitler-Universität“ bemühte . 57 58 59 60 61

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che auf den Namen Schiller geltend machen könne, wenn die Salana den Schwaben nicht zuvorkomme .62 Die kleineren Universitäten, zu denen Jena und Halle zählten und die der NS-Staat eigentlich besonders zu fördern gedachte, litten ganz erheblich unter dem „Verreichlichungsprozess“ der 1930er Jahre, der den „Begriff der ‚Landesuniversität‘ […] sinnlos und leer“ werden ließ und sie damit nicht nur einer gewichtigen Legitimierung, sondern auch zahlreicher Studenten beraubte, die sich nun vornehmlich als Deutsche und nicht mehr als Hessen, Sachsen oder Württemberger definierten und definieren sollten .63 Nach dem „Anschluss“ Österreichs empfahl der Gießener Dozentenbundführer Enno Freerksen in Anbetracht der prekären Lage seiner Alma Mater sogar eine Verlegung der Universität nach Salzburg, wo die nächstgelegene Konkurrenz in sicherer Entfernung zu suchen war, landschaftliche Reize einen Zustrom von Studenten verhießen und obendrein besondere Zuwendungen des Reiches zu winken schienen, das die Heimat des „Führers“ wohl kaum würde darben lassen . „Selbstmordgedanken“, für die der Historiker Helmut Heiber die Überlegungen Freerksens hielt, scheinen sie daher nicht gewesen zu sein, vielmehr Ausdruck des an den Universitäten seit Jahrhunderten bekannten Versuchs, die eigenen Wettbewerbsbedingungen durch eine Standortverlegung zu verbessern .64 Während jedoch vor der Zentralisierung eine Verlegung allenfalls innerhalb der Landesgrenzen möglich war, kam nun prinzipiell das gesamte Reichsgebiet in Frage . Vor dem Hintergrund der erhofften Besserstellung wird auch verständlich, warum Freerksen gegenüber dem Reichserziehungsministerium ein vernichtendes Urteil über die mehr als 300jährige Geschichte seiner Alma Mater aussprach, deren Schicksal im „rein baulich unfreundlichen und wenig anziehenden“ Gießen stets unerfreulich und „eigentlich seit 1933 besiegelt“ gewesen sei . Überdies würde die Stadt Gießen eine Verlegung der Universität „wahrscheinlich sogar als Erleichterung empfinden“ .65 Geschickt hatte Freerksen bei der persönlichen Übergabe seiner Denkschrift im REM erklärt, dass es sich lediglich um eine Kopie handle, so dass dort die Befürchtung aufkommen musste, andere, unter Umständen höchst einflussreiche Partei- und Staatsstellen könnten mit dem Original versorgt worden sein . Mit der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Behörden zu spielen war im NS-Staat bekanntlich ein beliebtes Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen . Im Falle von Freerksens ambitioniertem Projekt erwies es sich jedoch als erfolglos . Die Ludwigs-Universität blieb in Gießen und wurde nach Kriegsende mit tatkräftiger Unterstützung von Marburger Professoren zu einer Hochschule für Bo-

„Erste Vorlage des Ministerialrates Friedrich Stier für den Thüringischen Volksbildungsminister“ (29 .10 .1934), in: Hendel (2007), S . 115–116 . 63 So der Gießener Dozentenbundführer Enno Freerksen; zit . nach: Chroust (1994), S . 190 . Ausführlicheres zum Wettbewerb um Professoren und Studenten findet sich in den folgenden beiden Unterkapiteln . 64 Heiber (1992), S . 193 . 65 Zit . nach: Heiber (1992), S . 194 . 62

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denkultur und Veterinärmedizin degradiert, um jedoch bereits wenige Jahre später als Justus-Liebig-Universität wiederzuerstehen .66 Ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre forcierten die unter dem „Verreichlichungsprozess“ leidenden Kleinstadtuniversitäten eine Renaissance des Landesuniversitätsgedankens, der nun an die Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus anknüpfte und der politischen Neugliederung des Staates in Gaue angepasst wurde .67 Diese Bemühungen blieben allerdings im Großen und Ganzen wirkungslos, so dass das Überleben der Kleinstadtuniversitäten weiterhin unsicher blieb . Letztlich, so der Erlanger Rektor anlässlich der Zweihundertjahrfeier im Kriegsjahr 1943, hätten die Kleinstadtuniversitäten allerdings „immer um ihr Dasein ringen müssen“ und „gerade deswegen aber Leistungen hervorgebracht“ .68 Zu dieser Zeit begann sich die prekäre Lage der Kleinstadtuniversitäten jedoch wieder aufzuhellen, da ihnen die zunehmenden Luftangriffe der Alliierten auf deutsche Metropolen Studenten zuführten und Schließungen damit unwahrscheinlicher wurden . Nun begannen wiederum auf den Großstadtuniversitäten die Ängste zu wachsen, dass nach einer Ausbombung das Schicksal der Hochschule endgültig besiegelt sein könnte . 1943 ließen sich die Rektoren daher vom Reichserziehungsministerium versichern, dass eine eventuelle „Stillegung von bombengeschädigten Universitäten […] nur als eine vorübergehende Maßnahme zu betrachten“ sei, daraus also „keineswegs Rückschlüsse auf spätere Zeiten“ gezogen werden dürften .69 Angesichts der unzureichenden Luftabwehr und des ihnen vermutlich bekannten Plans von Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk, kriegsbedingt geschlossene Universitäten nicht wieder zu eröffnen, werden die Sorgen durchaus verständlich .70 Zudem galt die Auflösung einzelner Institute oder Fakultäten als Anzeichen für staatliche Schließungspläne, weshalb sich die Rektoren nicht nur im Interesse der betroffenen Fächer vehement gegen die Amputation einzelner Institute zur Wehr setzten und um den Erhalt als Volluniversität bemüht waren .71 Kriegsbedingt angeregte Verlegungen (so sollte etwa die Universität Köln nach Leiden oder Marburg und die Universität München nach Erlangen verlegt werden) versuchten die Rektoren trotz der erhebliVgl . dazu die literarische Auseinandersetzung zwischen Marburger und (ehem .) Gießener Professoren in der Deutschen Universitäts-Zeitung 6 (1951) . 67 Vgl . etwa Weigelt (1936) oder Paul Ritterbuschs Rektoratsrede „Die Universität Kiel und Schleswig-Holstein“, in der er die „Geschichte dieser Landesuniversität“ aufrollt und betont, dass sich die Universität „nicht in einem abstrakten Raume“, sondern in Schleswig-Holstein befinde, und von einer „Verwurzelung und Verbundenheit in dieser Landschaft“ spricht, die für seine Alma Mater existenziell sei; Ritterbusch (1937), S . 1–2; vgl . zudem Zuarbeit des Rektors Karl Astel über „Die Friedrich-Schiller-Universität Jena als Landeshochschule des Gaues Thüringen“ (1940), in: Hendel (2007): 224–227, sowie Hoßfeld (2005), S . 76–77 . 68 Zit . nach: Heiber (1994), S . 202 . 69 Vermerk über die Rektorenkonferenz 1943; zit . nach: Eberle (2002), S . 168 . 70 Vgl . Hammerstein (1999), S . 297 . 71 Vgl . Heiber (1992), S . 154 . 66

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chen Gefahren für ihre Lehrkräfte und Studenten zu verhindern, und das sogar dann noch, als die Universitäten bereits zu großen Teilen in Schutt und Asche lagen . Münchens Rektor Walther Wüst nutzte die Zerstörung der Ludwig-Maximilians-Universität sogar als Argument gegen ihre Verlegung nach Franken: Das Universitätsviertel sei bereits so stark zerbombt, dass es den alliierten Flugzeugen im Unterschied zu Erlangen kein lohnenswertes Ziel mehr biete!72 In Straßburg war es der Universitätskurator, der im Herbst 1944 mit der Bitte an das Reichserziehungsministerium herantrat, die Universität in eine geschütztere Umgebung im rechtsrheinischen Deutschland zu verlegen, obwohl er wusste, dass nicht nur der Rektor, sondern auch das Ministerium einen solchen Schritt aufgrund der antizipierten demoralisierenden Wirkung auf Studenten und Bevölkerung so lange wie möglich aufzuschieben gedachte . Würde der Lehrbetrieb erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben, argumentierte der Kurator mit deutlichen Worten dagegen, „nachdem die Universität von Fliegerbomben getroffen und es tote und verwundete Studenten und Studentinnen gegeben hat, dann würde das viel eher einen Prestigeverlust bedeuten“ .73 Im Tübinger Exil blieb die Straßburger Universitätsleitung gleichwohl um Unabhängigkeit der Reichsuniversität von ihrer Gasthochschule bemüht, mit der sie keinesfalls verschmolzen werden wollte . Sowohl die kleinen als auch die großen Universitäten versuchten, die eigenen Wettbewerbs- und Überlebenschancen dadurch zu verbessern, indem sie ihre Forschung und Lehre auf die intendierten Wünsche der NS-Staatsführung ausrichteten . So galten beispielsweise die Kolonialwissenschaften bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs als gewinnbringende Disziplin, da von Teilen der Staats- und Parteiführung eine Rückeroberung der ehemaligen deutschen Schutzgebiete in Afrika und Ozeanien beabsichtigt und in eine wissenschaftliche Unterfütterung dieser Absichten investiert wurde .74 Mehrere Hochschulen, darunter auch solche, die in keinem erkennbaren Bezug zur Überseekunde standen, brachten sich daher als mögliche Zentren der Kolonialwissenschaften ins Gespräch . Die Universität Hamburg, die aufgrund ihrer Vorgeschichte als Kolonialinstitut geradezu als prädestiniert für eine solche Rolle angesehen werden konnte, verfolgte diese Entwicklungen mit Argwohn . Wilhelm Gundert, der Rektor der Hansischen Universität von 1938 bis 1941, betrachtete es angesichts der zahlreichen Mitbewerber sogar als unausweichlich, „durch großzügige Zeitungspropaganda ‚Tamtam‘ zu machen“ und dadurch die Konkurrenten auszustechen .75 Wo keine neuen Institute gegründet werden konnten, genügte im Übrigen oftmals bereits eine Umbenennung bestehender Einrichtungen, um ihren Erhalt abzusichern .

Vgl . Schreiber (2006b), S . 279 . Aus einem Schreiben des Straßburger Kurators an das REM vom 7 .10 .1944; zit . nach: Lerchenmüller (2005), S . 121 . 74 Ab 1939 spielte die Rückgewinnung der ehemaligen deutschen Kolonien nur noch eine untergeordnete Rolle gegenüber der Eroberung von „Lebensraum im Osten“; vgl . Linne (2016), S . 134 . 75 Wilhelm Gundert am 1 .2 .1939; zit . nach: Moltmann (1991), S . 165 . 72 73

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So bot sich etwa das simple Voranstellen der Präfixe „Deutsch-“ oder „Wehr-“ an . Der amerikanische Soziologe Edward Hartshorne bezeichnete ein solches Vorgehen schon 1938 als universitäre „policy of giving a political coating to [(…) the] faculties“ .76 Freilich war damit zum Teil auch eine inhaltliche Neuausrichtung verbunden (man denke nur an die umbenannten Institute für Semitistik) . Nicht selten handelte es sich aber tatsächlich um eine geschickte Form der Mimikry, die die Überlebenschancen der Institute erhöhen sollte, so wie es Hartshorne seinerzeit vermutet hatte . Die Wehrtechnische Fakultät der Technischen Hochschule Berlin wurde beispielsweise hinter vorgehaltener Hand als „Potemkinsches Dorf “ bezeichnet, das „im wesentlichen nur auf dem geduldigen Papier des Vorlesungsverzeichnisses“ existiere .77 Dergleichen Einrichtungen brachten den Hochschulen Geld ein, die zum Teil auf schwarze Konten umgeleitet wurden, um sie zweckentfremdet für zeitbedingt nicht mehr geförderte Forschungsprojekte verwenden zu können .78 Nach Ausbruch des Krieges kam neuen staatlichen und privaten „Drittmittelgebern“ wie der Wirtschaftsstelle II des Oberkommandos der Wehrmacht, der im Herbst 1942 ins Leben gerufenen Fördergesellschaft der Deutschen Industrie und dem Reichsluftfahrtministerium eine wachsende Bedeutung zu, so dass dieser Einnahmeausfall kompensiert werden konnte .79 Als Folge der kriegsbedingten Einschränkungen in ihrem Lehr- und Forschungsbetrieb konnten die Universitäten sogar oftmals nur einen Teil der bewilligten Gelder abrufen . Eine Bestandsaufnahme der Universität Jena ergab zum Beispiel, dass sie eine Summe von rund einer Viertelmillion Reichsmark aus dem Rechnungsjahr 1944 letztlich nicht verausgaben hatte können .80 Obwohl der 1942 reorganisierte Reichsforschungsrat im „Glauben an die perfekte Planung“ die Vergabe der Forschungsgelder mittels detaillierter Auslastungstabellen zentral steuern wollte, gab es bis zum Kriegsende einen Wettbewerb der Hochschulen um finanzielle Mittel und Forschungsaufträge, der sich nicht zuletzt an ausführlichen Exposés über neue Forschungsvorhaben, Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen und einem intensiven Networking der Rektoren ablesen lässt .81 In der historischen Forschung wurden bis vor wenigen Jahren die negativen Folgen dieser Konkurrenz um wissenschaftliche Ressourcen überbetont . Im Zusammenhang mit der Neubewertung der NS-Forschung wird allerdings mittlerweile auch die mit dieser Konkurrenz verbundene und potentiell leistungssteigernde Dynamik hervorgehoben .82 Die zunehmende Planung und Zentralisierung der NS-Forschung gegen Kriegsende lässt sich im Übrigen nicht etwa darauf zurückführen, dass der Konkurrenz keine leistungssteigerdernde Wirkung mehr zugesprochen worden 76 77 78 79 80 81 82

Hartshorne (1937), S . 225 . Zit . nach: Grüttner (1995), S . 162 . Vgl . den Fall des Slavischen Instituts der Universität Berlin in Bott (2009), S . 191 . Vgl . dazu Pohl (1985) . Vgl . John/Stutz (2009), S . 563 . Federspiel (2002), S . 105 . Vgl . Hachtmann (2008), S . 216 .

Kampf und Konkurrenz um den Bestandserhalt

wäre . Vielmehr führte der Mangel an Rohstoffen und Arbeitskräften dazu, dass jegliche Art von Doppelarbeit vermieden werden musste .83 Die gezielte Entfesselung von Konkurrenz, indem zwei oder mehrere Forschungsteams mit der möglichst raschen Lösung desselben Problems betraut werden, war folglich aufgrund der fehlenden Ressourcen nicht (mehr) möglich . So wie synthetisch hergestellte Werkstoffe die nicht mehr vorhandenen Rohstoffe nach und nach ersetzen mussten, so sollte Planung die Konkurrenz ersetzen, die sich Deutschland schlichtweg nicht mehr leisten konnte . Zudem musste die Forschung weitestgehend auf kriegsrelevante Bereiche beschränkt werden . In Folge dessen versuchten die deutschen Professoren, ihre Forschungsprojekte „als besonders kriegswichtig“ und damit finanzierungswürdig erscheinen zu lassen .84 An den Hochschulen wurde ein solches Vorgehen scherzhaft als „Krieg im Dienste der Wissenschaften“85 bezeichnet . Die Konkurrenz um Forschungsgelder verlangte nach der zeitaufwändigen Ausarbeitung zahlreicher Berichte an (vermeintlich) einflussreiche Adressaten, von denen „Dringlichkeitsbescheinigungen“ erhofft wurden, und nach einer engen Kooperation mit dem nationalsozialistischen Regime .86 Die Pressearbeit der Hochschulen, die bereits in Friedenszeiten intensiviert worden war, wurde während des Zweiten Weltkriegs zu einer der Hauptaufgaben der Universitätsrektoren, die als „public relations expert[s]“ fungierten87 . Neben der Lancierung werbewirksamer Meldungen in Rundfunk und Presse versuchten die Rektoren zu verhindern, dass Nachrichten über Fehlverhalten der Dozenten und Studenten nach außen drangen . Regimekritische Äußerungen und Taten konnten dazu ebenso gehören wie der klassische Studentenradau . So bestand der Münchner Rektor Walther Wüst darauf, dass ihm sämtliche Pressemeldungen der Institute und Seminare vor ihrer Veröffentlichung vorgelegt wurden, um sie auf ihre Außenwirkung überprüfen zu können .88 Auch die Zahl akademischer Feiern und Großveranstaltungen, die „propagandistisch wirken“ sollten, wie es in einem Frankfurter Senatsprotokoll hieß, und darüber hinaus Spenden aus Politik und Wirtschaft versprachen, nahm im „Dritten Reich“ signifikant zu .89 Nicht zuletzt die feierliche Verleihung von Ehrendoktortiteln an Parteigrößen bot den Universitäten schließlich die Möglichkeit, einflussreiche Unterstützer zu gewinnen und in den Medien Beachtung zu finden . Indem

Vgl . Grunden (2005) . „Aufzeichnungen des Kurators über die Lage der Universität“ (2 .2 .1943), in: Nagel (2000): 453–455, S . 454 . 85 Zit . nach: Grüttner (1997), S . 150 . 86 Vgl . Flachowsky/Hachtmann/Schmaltz (2016), S . 10 . 87 Hartshorne (1938), S . 225 . 88 Vgl . Schreiber (2006), S . 494 . Wüst, der auch für den Völkischen Beobachter schrieb, erklärte, dass erst die nationalsozialistische Revolution eine „wirklich fruchtbare Zusammenarbeit“ von Hochschule und Presse ermöglicht habe; zit . nach: Schreiber (2006b), S . 254 . 89 Aus dem Protokoll einer Senatssitzung vom 23 .6 .1938; zit . nach: Hammerstein (1989), S . 408 . 83 84

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Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung

sie ihre Institute sichtbar werden ließen, konnten die Universitätsrektoren eine hohe Bedeutung ihrer Hochschulen demonstrieren und deren Position in der interuniversitären Konkurrenz, aber auch im Wettbewerb mit dem „Amt Rosenberg“ und dem „Ahnenerbe“ stärken . Akademische Ehrungen wiederum dienten dazu, einflussreiche Männer aus Staat und Partei als den „Dritten“ im interuniversitären Wettbewerb um Finanzmittel oder auch Schutz gegen Konkurrenten zu umwerben . Freilich mussten die universitären Zeremonien dafür nach 1933 zunächst von allen Anklängen an die „liberalistische Systemzeit“, aber auch an die akademische Festkultur des als verstaubt wahrgenommenen Kaiserreichs „gesäubert“ werden . Universitäre Feiern im „Dritten Reich“ erinnerten vielmehr an Parteiaufmärsche . Man muss sich nur das vorherrschende Bild von Männern in SA- und SS-Uniform, die vielen Hakenkreuzflaggen und die verbreitete nationalsozialistische Symbolik vergegenwärtigen .90 Nachdem Hitler allen Inhabern ranghoher Ämter der NSDAP und des Staates die Annahme von honoris causa verliehenen Doktortiteln untersagt und das REM sowohl die Zahl der potentiell zu vergebenden Ehrendoktortitel als auch deren Vergabepraxis stark reglementiert hatte, gingen die Universitäten kurzerhand zur Vergabe von Ehrensenatoren- oder Ehrenbürgerwürden über, die ihren Absichten ebenso dienlich waren .91 Wie verbreitet die Verleihung akademischer Ehrentitel nach außerwissenschaftlichen Gesichtspunkten war, erhellt aus den Ausführungen eines Marburger Professors aus dem Jahr 1934, der in seinem Antrag auf Ehrenpromotion des Kulturphilosophen Paul Krannhals erwähnen zu müssen glaubte, es handele „sich hier nicht, wie in manchen ähnlichen Fällen, darum, einen Zweck zu erreichen, weder für die Universität noch für die betreffende Persönlichkeit“, sondern lediglich um eine Auszeichnung für herausragende wissenschaftliche Leistungen!92 In diesem Zusammenhang muss jedoch festgehalten werden, dass die Verleihung akademischer Ehrentitel nicht erst mit dem Jahr 1933, sondern bereits im Zuge der angespannten finanziellen Lage der Universitäten in der Weimarer Republik ihren Anfang genommen hatte .93 Sogar der Die Hakenkreuzfahne war freilich nicht nur Partei-, sondern ab Frühjahr 1933 zudem Nationalflagge . Bis September 1935 war jedoch auch die schwarz-weiß-rote Fahne als offizielle Nationalflagge zugelassen . Da diese häufig von NS-Gegnern gehisst wurde galt ihre Verwendung bald als Demonstration einer „reaktionären“ Gesinnung . Somit konnte zwischen 1933 und 1935 bereits durch die Beflaggung ein politisches Zeichen gesetzt werden . 91 Vgl . Bach (2004) . Bereits im Mai 1933 hatte Hitler verkündet, dass er keine Ehrendoktortitel anzunehmen gedenke; vgl . Böhm (1995), S . 70 . Für den Zeitraum von 1938 bis 1940 durften die Universitäten laut einem ministeriellen Erlass nur je einen Ehrendoktortitel verleihen . Zudem bekräftigte das Ministerium, dass außerwissenschaftliche Verdienste, expressis verbis auch um die nationalsozialistische „Bewegung“, einen Ehrendoktortitel nicht rechtfertigten; vgl . Hammerstein (1989), S . 409 . 92 „Professor Jarausch übermittelt dem Rektor den Antrag auf Ehrenpromotion des Privatgelehrten Paul Krannhals“ (1934); abgedr . in: Nagel (2000): 190–194, S . 191 (Hervorhebung im Original) . Nach 1945 hielten sich die deutschen Universitäten mit der (z . B . in angelsächsischen Ländern nicht unüblichen) Verleihung von Ehrendoktortiteln an Politiker und Mäzene zurück und folgten damit wieder älteren deutschen akademischen Traditionen; vgl . Lerg (2015), S . 304 . 93 Vgl . Stamm-Kuhlmann (2006), S . 406–407 . 90

Kampf und Konkurrenz um den Bestandserhalt

Ausbruch des Weltkrieges führte, im Unterschied zu 1914, keineswegs zu einer Einschränkung universitärer Feierlichkeiten, mittels derer vielmehr deutliche Lebenszeichen gesetzt wurden .94 Die Universität München lud etwa anlässlich ihres 470jährigen Bestehens im Jahr 1943 renommierte internationale Gäste wie den Schweden Sven Hedin an die Isar, veröffentlichte trotz Papierknappheit eine prachtvolle Jubiläumsschrift und zelebrierte ihre Gründungsfeier mit Filmvorführungen, Vorträgen und Konzerten über mehrere Tage hinweg . Geldgeschenke der eingeladenen Parteiprominenz blieben dabei nicht aus . Auch die Universität Königsberg konnte noch im Juni 1944 anlässlich ihres Stiftungsfestes (und nach einer entsprechenden Ermunterung aus dem Reicherziehungsministerium) einen mehrseitigen Wunschzettel nach Berlin schicken . Die vom Universitätskurator zusammengestellten „Wünsche der Albertus-Universität Königsberg (Pr) zur 400-Jahrfeier ihres Bestehens“ beinhalteten den Neubau einer chirurgischen und einer Frauenklinik, ein Pathologisches und ein Hygienisches Institut sowie die Einrichtung mehrerer neuer Ordinariate .95 Begründet wurde das nicht eben bescheidene Begehr damit, dass Königsberg „zu einer der ersten Stätten der Wissenschaft in Groß-Deutschland ausgebaut werden“ müsse .96 Dies sei „hier viel notwendiger als in Mittel-, Süd- und Westdeutschland, wo sich hervorragende Bildungsstätten“ wie die Glieder einer Kette aneinanderreihen würden . In Anbetracht der Kriegslage konnten die Wünsche der Universität Königsberg freilich nicht mehr erfüllt werden konnten . Ebenso wenig gelang die Vereinigung von Technischen Hochschulen und Universitäten, die im „Dritten Reich“ erneut spruchreif wurde . So bereitete Bernhard Rust die „Schaffung einer alles umfassenden Adolf-Hitler-Universität“ in Berlin vor, die zur „Heimkehr der Technischen Hochschule in die Universität“ führen sollte .97 Weder im Lehrkörper der TH Berlin noch in jenem der Friedrich-Wilhelms-Universität stießen Rusts Überlegungen allerdings auf Begeisterung, mit denen der Minister möglicherweise das Projekt der „Hohen Schule“ seines Konkurrenten Alfred Rosenberg konterkarieren wollte .98 Besonders laut war der Protest vonseiten der Technischen Hochschule, die sich bereits als Verliererin der Fusion ausmachte und in einer Denkschrift aus dem Jahr 1942 ausführte, dass sich die beiden Hochschulformen nicht mehr vereinigen ließen .99 Von den Universitäten, die seit der Jahrhundertwende wiederholt eine Ein-

Vgl . Halle (2009), S . 258 . „Wünsche der Albertus-Universität in Königsberg (Pr) zur 400-Jahrfeier ihres Bestehens“ (19 .6 .1944); abgedr . in: Richter (1994), S . 26–35 . 96 Richter (1994), S . 29 . Königsberg durfte sich neben Breslau und Kiel als „Grenzlanduniversität“ bezeichnen . Zum Wettbewerb um diesen „Ehrentitel“ vgl . Kapitel IV .3 . 97 Zit . nach: Heiber (1992), S . 177 . 98 Die Idee einer Vereinigung von Universitäten und Technischen Hochschulen artikulierte Rust allerdings schon 1933 und damit bevor Rosenberg die ersten Pläne zu einer Hohen Schule entwarf; vgl . Pabst (2006), S . 32, 393 . 99 Vgl . Heiber (1992), S . 176 . 94 95

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Zwischen Gleichschaltung und Wettbewerbsstimulierung

gliederung der Technischen Hochschulen befürwortet und gefordert hatten, distanzierten diese sich deutlich . Dies zeigte sich unter anderem, als der Karlsruher Rektor im Herbst 1942 seine Kollegen befragte, ob sie eine Umbenennung ihrer Hochschulen in „Technische Universitäten“ befürworteten, was die Grenzen zwischen beiden Hochschulformen verwischt und sie sprachlich auf Augenhöhe gestellt hätte . Mit großer Mehrheit verneinten die Rektoren der Technischen Hochschulen diese Frage . Zum einen wollten sie das „deutsche und deutliche“ Wort Hochschule nicht aufgeben, das sich wie alles vermeintlich Deutsche im „Dritten Reich“ einer besonderen Beliebtheit erfreute .100 Zudem wollten sie nicht die „Figur des ‚Universitätsprofessors‘“ übernehmen, die man vielerorts „immer noch lächerlich zu nehmen geneigt“ sei .101 Die Universitäten ihrerseits wollten eine Vereinigung ebenfalls verhindern und betrachteten sich als ranghöhere Bildungseinrichtungen . Dies kam zum Beispiel in der Beurteilung eines jungen Germanisten durch die Ludwig-Maximilians-Universität München zum Ausdruck, in der das fachliche Können des Mannes zwar als ungenügend für die Übernahme eines universitären Lehramtes, für eine Professur an einer Technischen Hochschule aber als ausreichend erachtet wurde .102 In Anbetracht des „totalen Krieges“ mussten die Berliner Fusionspläne zurückgestellt werden, um nach Kriegsende in den Archiven zu verschwinden . Die Umbenennung der THs in „Technische Universitäten“ wurde nach 1945 jedoch erneut diskutiert und in den 1970er und 1980er Jahren vielfach umgesetzt . In den zwölf Jahren der NS-Diktatur wurde bekanntlich keine der deutschen Universitäten aufgehoben . Dieses Wissen sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hochschulen insbesondere in den Jahren 1933/34 existenziell gefährdet waren und das SS-„Ahnenerbe“ sowie die „Hohe Schule“ Alfred Rosenbergs ernst zu nehmende Konkurrenten um Forschungsgelder und wissenschaftliches Personal darstellten, die mit den Universitäten und Technischen Hochschulen um Macht und Einfluss wetteiferten und dabei durchaus in einen agonalen Verdrängungswettbewerb einzutreten bereit waren . Indem sie die Konkurrenz der NS-Machthaber untereinander für sich zu nutzen versuchten, sicherten sich die Universitäten allerdings nicht nur ihr Überleben, sondern ebenso ihre herausgehobene Position im deutschen Wissenschaftssystem . IV.2

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

Die nationalsozialistische Hochschulpolitik wurde „nicht planvoll begonnen, nicht konsequent durchgeführt und niemals vollendet“, stellte der Historiker Hellmut Seier bereits vor einem Vierteljahrhundert fest .103 Eine konsistente NS-Hochschulpoli100 101 102 103

So der Dresdner TH-Rektor Wilhelm Hermann Jost; zit . nach: Heiber (1992), S . 176 . Heiber (1992), S . 176 . Die Universität München wurde für diese Einschätzung vom REM gerügt; vgl . Heiber (1992), S . 178 . Seier (1990), S . 5 .

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

tik gab es in der Tat zu keinem Zeitpunkt, vielmehr verfolgten die Machthaber des „Dritten Reiches“ ihre jeweils eigenen, oftmals nicht nur im Detail unvereinbaren bildungspolitischen policies, die sie in beständigen Konflikt miteinander geraten ließen . Weitgehende Einigkeit herrschte 1933 einzig in der Ablehnung der überkommenen Ordinarienuniversität Humboldt’scher Prägung, die als Kind des „liberalistischen Zeitalters“ von der meist nur oberflächlich definierten „völkisch-politischen Universität“ abgelöst werden sollte .104 An die Spitze der neu strukturierten und NS-konformen Universitäten wurden in den Monaten nach der „Machtergreifung“ sogenannte Führer-Rektoren gestellt, über deren Befugnisse zunächst Unklarheit herrschte und die dementsprechend ganz entscheidend vom jeweiligen Amtsverständnis der Inhaber sowie den Ambitionen und der Durchsetzungskraft diverser Interessengruppen aus Universität, Partei und Staat begrenzt wurden .105 In Personalfragen war die Entscheidungskompetenz der „Führer-Rektoren“ de facto sehr beschränkt, da sich der Kreis der am Berufungsprozess beteiligten Akteure mit dem Jahr 1933 beträchtlich erweiterte und somit weitaus mehr „Dritte“ in den Wettbewerb um die besten Köpfe eingriffen, als dies zuvor der Fall gewesen war . So erkämpfte sich der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) für einige Monate einen gehörigen Einfluss auf die universitäre Personalpolitik, da die Studenten als Vorkämpfer der „Bewegung“ von den neuen, der NSDAP angehörenden Landeskultusministern protegiert wurden .106 Mit Ausnahme des badischen Ressortleiters Otto Wacker hatten die neuen Landeskultusminister nicht im universitären Umfeld gearbeitet und waren daher zunächst auf die Expertise politisch verlässlicher Hochschulangehöriger angewiesen .107 Den Ordinarien, die dem Nationalsozialismus zuzeiten der Weimarer Republik mehrheitlich reserviert bis ablehnend gegenüber gestanden waren, begegneten sie mit unverhohlenem Misstrauen .108 Nachdem der NSDStB in den Jahren 1933/34 maßgeblich an der Entlassung jüdischer und politisch nicht konformer Hochschullehrer sowie der Einstellung hitlertreuer Wissenschaftler mitgewirkt hatte, verlor er mit der Machtkonsolidierung der NS-Regierung seine herausgehobene Stellung .109 Weiterhin einflussreich

Vgl . Losemann (1994) . Vgl . Schreiber (2006b), S . 214 . Die „Führer-Rektoren“ wurden von den Kultusministern auf Vorschlag des Senats ernannt . 106 Vgl . Jansen (1992), S . 232 . 107 Vgl . Grüttner (1995), S . 62 . 108 Der Hallenser Rektor Hermann Stieve kritisierte in einem Schreiben an die Kultusministerien, dass „immer von der Voraussetzung ausgegangen [werde], als stehe die gesamte deutsche Hochschullehrerschaft der nationalen Erhebung und dem nationalsozialistischen Staat ablehnend […] gegenüber“; Hermann Stieve an die deutschen Kultusministerien (21 .10 .1933); abgedr . in: Hendel (2007), S . 84–85 . 109 „Wir sehen uns mit genau derselben Frechheit, wie einst als SA-Leute auf der Straße, heute im Hörsaal um und entscheiden, ob ein Professor bleiben kann oder nicht . Kriterium wird sein: jener Mann kann nicht mehr Professor sein, weil er uns nicht mehr versteht . […] Wir Jungen haben die Hochschule in der Hand und können daraus machen, was wir wollen“, schrieb der Hochschulgruppenführer des NSDStB Leipzig, Eduard Klemt, im Sommer 1933; zit . nach: Augustin (2014), S . 138 . 104 105

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blieben demgegenüber die Extraordinarien und Privatdozenten, vor allem durch den NS-Dozentenbund, der sich die politische Durchleuchtung der Lehrstuhlkandidaten auf die Fahnen schrieb . Darüber hinaus versuchten die Gauleiter, die Reichskanzlei, die von Rudolf Heß im Sommer 1934 ins Leben gerufene Hochschulkommission bei der Reichsleitung der NSDAP, das „Amt Rosenberg“, die SA-Hochschulämter, die SS, die Dekane und Universitätskuratoren sowie diverse Industrieunternehmen auf die Berufungsverfahren einzuwirken .110 Die Berufungsverhandlungen wurden zunächst weiterhin über die Landeskultusministerien geführt, bis die Personalpolitik im Frühjahr 1935 auf das im Jahr zuvor gegründete Reichserziehungsministerium überging .111 „Die Universität hat organisatorisch versagt mit ihrem undeutschen Berufungsverfahren“, verlautete 1934 aus der Hochschulkommission der NSDAP .112 Ihrem Geschäftsführer Franz Wirz wollte es geradezu „vorsintflutlich erscheinen“, dass an einer deutschen Universität „noch in diesen Tagen an der ersten Stelle der Berufungsliste ein christlich-sozialer Mann aus Österreich“ aufgeführt wurde, also offenkundig nur auf die fachliche, nicht jedoch auf die politisch-weltanschauliche Eignung geachtet worden war . Wirz’ Kritik richtete sich nicht nur gegen die Universitäten, sondern indirekt auch gegen das von Bernhard Rust geleitete Reichserziehungsministerium, das sich nach Monaten des universitären Chaos um die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung bemühte und zu diesem Zweck den Einfluss der verschiedenen Parteiorganisationen auf die Berufungsverfahren einzudämmen versuchte .113 Schließlich galt das „Jahr der nationalen Erhebung“ selbst unter überzeugten Nationalsozialisten wie Bernhard Rust als annus horribilis der Universitäten . Nach dem 30 . Januar 1933, vor allem jedoch nach den Märzwahlen, hatte „eine Art Wettlauf mit der Hochschulpolitik des neuen Reiches“ begonnen, an dem sich zahlreiche Wissenschaftler und Parteigrößen beteiligten und verschiedene NS-konforme Hochschulmodelle präsentierten .114 Insbesondere unter den Nichtordinarien gab es zahlreiche Personen, die „plötzlich ihr nationalsozialistisches Herz entdeckt[en]“, wie der Marburger Soziologe Johann Wilhelm Mannhardt bereits im Frühjahr 1933 festhielt, und Hochschulkonzepte entwarfen, in denen sie sich an Radikalität gegenseitig überboten . „Zufällig stellte sich damit auch der Appetit nach bestimmten etwa freiwerdenden Stellen ein“, fügte er ironisierend hinzu . Als Vertreter der in Bedrängnis geratenen und öffentlich diffamierten Ordinarien wandte sich Mannhardt gegen eine Reform des Berufungsmodus, insbesondere gegen eine Beschneidung universitärer Autonomierechte, und zwar „einfach

Die Universität Rostock kooperierte etwa mit dem Flugzeugbauer Heinkel, dessen Konzernleitung nicht nur Einblick in die Berufungsunterlagen für den Lehrstuhl für reine Mathematik gewährt, sondern auch ein Mitspracherecht eingeräumt wurde; vgl . Scheel (1992), S . 28 . 111 Vgl . Rantzau (1939), S . 8 . 112 Wirz (1934), S . 457 . 113 Vgl . Seier (1990), S . 13 . 114 Mannhardt (1933), S . 5 . 110

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

deshalb, weil der Lehrkörper in seiner überwiegenden Mehrzahl, soweit er sich selbst treu bleibt, überhaupt den Eingriff des Staates abwehren muß“ .115 Freilich sollte sich schon bald zeigen, dass die deutschen Hochschullehrer keineswegs in ihrer „überwiegenden Mehrzahl“ gegen die Übergriffe der neuen politischen Machthaber Stellung bezogen, sondern tatenlos blieben oder sich gar in vorauseilendem Gehorsam selbst „gleichschalteten“, sei es aus Furcht vor Repressalien, Opportunismus, Sympathien für die NS-Politik oder aus dem Gefühl der Machtlosigkeit heraus . Nachdem am 7 . April 1933 das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verabschiedet worden war, das eine rechtliche Grundlage für die Entlassung eines Großteils der „nicht-arischen“ und politisch missliebigen Hochschullehrer bot, gab der Hamburger Rechtswissenschaftler Leo Raape auf der nur fünf Tage später, und damit letztmals vor dem „Gleichschaltungsprozess“, abgehaltenen 24 . Deutschen Rektorenkonferenz in Wiesbaden zu bedenken, ob angesichts des immensen wissenschaftlichen Verlustes, der den deutschen Universitäten bei Umsetzung der Bestimmungen drohe, „nicht grundsätzlich Protest eingelegt werden soll“ .116 Die anschließende Diskussion ergab jedoch, dass ein solches Unterfangen von einer Mehrheit der Rektoren als „gefährlich und aussichtslos“ abgelehnt wurde . Vielmehr hieß es aus den Reihen der Hochschulleiter, dass „eine schwere Schuld“ auf den deutschen Universitäten laste, da sie sich im „Weimarer System“ einer „Verjudung“ ihrer Fakultäten nicht widersetzt hätten . Diese Behauptung kann nicht nur als strategische und äußerliche Demutsbezeugung gegenüber den neuen Machthabern, sondern auch als Durchbruch des latenten Antisemitismus und der Republikfeindlichkeit unter deutschen Professoren verstanden werden, der auch in zahlreichen Egodokumenten zum Ausdruck kommt .117 Indem die Rektoren von ihrem eigenen Versagen sprachen, machten sie deutlich, dass sie einer Umgestaltung des hergebrachten Berufungsverfahrens prinzipiell aufgeschlossen gegenüber standen und die Gültigkeit „rassisch“-weltanschaulicher Auswahlkriterien neben jenen der fachlichen Eignung anerkannten . Nur eine kleine Minderheit unter den deutschen Wissenschaftlern setzte sich offen zur Wehr . Zumeist waren diese Personen selbst Angehörige der verbotenen Parteien oder (zu solchen erklärte) Juden, wie etwa der Chemiker Fritz Haber, der bekundete, weiterhin „bei der Auswahl von Mitarbeitern nur die fachlichen und charakterlichen Eigen-

Mannhardt (1933), S . 107 . Zit . nach: Heiber (1994), S . 297 . Bis zum Erlass der „Nürnberger Gesetze“ (1935) waren jüdische Hochschullehrer, die bereits vor August 1914 verbeamtet worden waren und/oder im Ersten Weltkrieg als Frontkämpfer gedient hatten beziehungsweise deren Väter oder Söhne gefallen waren, von den Bestimmungen ausgenommen . 117 Vgl . Jansen (1992), S . 290 . Als Beispiel sei auf einen Brief des evangelischen Theologen Hans Lietzmann verwiesen, in dem er die Entlassung jüdischer Hochschullehrer als „Notwendigkeit nach langen Jahren üblen Mißbrauchs“ bezeichnete, wenngleich sie „zuweilen mit schweren Verlusten menschlicher und wissenschaftlicher Art“ verbunden sei; Brief Hans Lietzmanns an Karl Müller vom 16 .5 .1933; abgedr . in: Aland (1979), S . 740 . 115 116

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schaften“, nicht aber die „rassische“ Zugehörigkeit oder die politische Überzeugung berücksichtigen zu wollen .118 Selbst nachgewiesene wissenschaftliche Spitzenleistungen konnten jüdische Wissenschaftler und Regimegegner nicht vor einer Entlassung bewahren . Im Ganzen verloren die deutschen Universitäten wohl zwischen 15 und 20 Prozent ihrer habilitierten Dozenten, darunter mehrere Nobelpreisträger und zahlreiche weitere Wissenschaftler von Weltrang, die dies entweder schon waren oder noch im Exil werden sollten .119 Insbesondere der Physiker Albert Einstein galt schon bei Zeitgenossen als Personifizierung des immensen wissenschaftlichen Verlustes, den Deutschland durch die antisemitische Gesetzgebung zu verkraften hatte . So soll der französische Physiker Paul Langevin die Tragweite der Emigration Einsteins mit einem Umzug des Vatikans nach Amerika verglichen und prophezeit haben, dass die USA fortan das Zentrum der Naturwissenschaften sein würden . Auch in Deutschland meldeten sich Wissenschaftler zu Wort, um deutlich zu machen, dass das Reich in der wissenschaftlichen Konkurrenz mit dem Ausland ins Hintertreffen zu geraten drohe, wenn es nicht zumindest Ausnahmeregelungen für besonders befähigte „nicht-arische“ Forscher erlasse . Max Planck beispielsweise sprach im Frühjahr 1933 bei Adolf Hitler vor und warnte den Reichskanzler, dass durch die Entlassung jüdischer Hochschullehrer unbeabsichtigt das wissenschaftliche Potential des Auslands erhöht würde .120 Hitler zeigte sich allerdings von Plancks Ausführungen unbeeindruckt .121 Tatsächlich profitierten insbesondere amerikanische Universitäten immens von der Entlassungswelle . Sie konnten zahlreiche deutsche Spitzenwissenschaftler berufen, die obendrein zu „Discountpreisen“ zu haben waren, da der internationale Professorenmarkt innerhalb kürzester Zeit regelrecht überflutet wurde, wie der Soziologe Edward Y . Hartshorne 1938 feststellte .122 Jene Wissenschaftler, deren fachliches Potential als besonders hoch eingestuft wurde, von denen sich die USA also mit anderen Worten einen Vorteil in der internationalen wissenschaftlichen Konkurrenz versprachen, konnten im Übrigen unabhängig von Schreiben Fritz Habers an den preußischen Kultusminister Bernhard Rust vom 30 .4 .1933; teilw . abgedr . in: Szöllösi-Janze (1998), S . 656 . 119 Vgl . Grüttner/Kinas (2007), S . 147 . 120 Vgl . Planck (1947), S . 143 . Plancks Bericht gibt zweifelsohne nicht den genauen Wortlaut der Unterredung wieder . Dass es Planck vorrangig um den Erhalt des wissenschaftlichen Potentials und nicht etwa um den Schutz der verfolgten Juden ging, leitet der Historiker Helmuth Albrecht aus der von Planck vorgenommenen Unterscheidung zwischen (potentiell) wertvollen Westjuden und (generell) wertlosen Ostjuden ab; vgl . dazu Albrecht (1993) . Demgegenüber sieht Ulrike Kohl darin ein „taktisches Manöver“ Plancks, um den Antisemiten „Hitler für sich einnehmen zu können“; Kohl (2002), S . 92 . 121 Der Zusammenhang zwischen der Umsetzung des Berufsbeamtengesetzes und der wissenschaftlichen Stärkung des Auslands wurde nicht nur von Max Planck aufgedeckt . Auch der Großindustrielle Albert Vögler sprach bereits im Herbst 1933 von der „Notwendigkeit einer Ausnahme bezügl[ich] der Arier[gesetze] für hervorragende Wissenschaftler . Das Ausland zieht bei scharfer Anwendung der Arierbestimmungen die besten Kräfte zum Nachteil Deutschlands an sich . Es müßte hier also eine Art Gnadenrecht im eigensten Interesse Deutschlands […] geschaffen werden“; zit . nach: Hachtmann (2007a), S . 386 . 122 Szöllösi-Janze (1998), S . 665; Hartshorne (1938), S . 218 . 118

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den festgesetzten Einwanderungsquoten und unter erheblich erleichterten Bedingungen nach Amerika immigrieren .123 Dass das „Überangebot an Intellektuellen […] den Wert des Intellektuellen und des Geistes selbst“ senkt, wie der in die Emigration gezwungene jüdische Soziologe Karl Mannheim 1935 feststellte, mussten die deutschen Exil-Wissenschaftler allerdings schmerzlich am eigenen Leibe erfahren .124 Das Deutsche Reich konnte von den günstigen Bedingungen für die Abnehmerseite hingegen kaum profitieren, da es (fast) nur als Geber auftrat . Darauf wies Adolf Morsbach, der Geschäftsführer des DAAD, bereits im Jahr 1933 hin: Zwischen einer aktiven wirtschaftlichen und einer aktiven wissenschaftlichen Handelsbilanz ist ein Unterschied! Im letzten Fall wird nämlich, um beim Vergleich zu bleiben, nicht Arbeit exportiert, deren Wert wieder ins Ursprungsland zurückfließt, sondern die Arbeiter selbst, die Schöpfer der geistigen Güter, wandern aus und vermehren durch ihre Tätigkeit das geistige Kapital des Gastvolkes .125

Nur wenige ausländische Wissenschaftler übernahmen nach 1933 eine Dozentur an einer der deutschen Universitäten, deren internationales Ansehen unter den studentischen Bücherverbrennungen und dem öffentlichen Bekenntnis zahlreicher Professoren zu Adolf Hitler immens litt . Ferner ergingen nur wenige Rufe an ausländische Professoren . Die auch auf die Wissenschaften ausgedehnte Autarkiepolitik sowie die hohen „rassischen“, politischen und sprachlichen Hürden standen der Anwerbung ausländischer Wissenschaftler entgegen .126 Das „Blutkriterium“ habe das „Leistungskriterium“ auf den zweiten Rang verwiesen, stellte Karl Mannheim fest .127 Die Neuvergabe der vakant gewordenen Lehrstühle verlief angesichts der Verunsicherung der Ordinarien, der unklaren Kompetenzverteilungen an den Universitäten und der Schwäche der Kultusministerien, die mit linientreuen und meist noch in der Einarbeitungsphase befindlichen Beamten besetzt worden waren, in den ersten MoVgl . Goldschmidt (1991), S . 177 . Mannheim (1935), S . 77 . Oberregierungsrat Hans Huber aus dem REM schlussfolgerte aus den teilweise prekären Lebensbedingungen der Exilanten, dass es sich bei ihnen nicht um herausragende Wissenschaftler handeln könne: „Wäre es möglich, daß das Ausland diese angeblich wertvollsten Kräfte, die doch – so wird behauptet – Weltruf und Vorrang der deutschen Wissenschaft ausgemacht haben sollen –, ohne wichtige Funktion und teilweise ohne Erwerb brachliegen ließe, wenn es sich wirklich um so hervorragende Geister handeln würde?“ Die Behauptung, die deutschen Hochschulen seien seit der „Ausmerzung dieser Kräfte […] nicht mehr wettbewerbsfähig“, glaubte Huber als unberechtigte „ausländische Gegenpropaganda [!] gegen das Dritte Reich“ entlarvt zu haben; Huber (1939), S . 3–5 . 125 Zit . nach: Kohl (2002), S . 48 . Morsbach wurde 1934 ins KZ Dachau deportiert, das er als gebrochener Mann verließ . Er starb 1937 . 126 Die internationale Bedeutung des Deutschen als Wissenschaftssprache hatte 1933 im Vergleich zur Zeit des Kaiserreiches bereits beträchtlich abgenommen . 127 Mannheim (1935), S . 68 . Erst Ende der 1930er Jahre und v . a . nach Kriegsausbruch wurden vermehrt ausländische Wissenschaftler (i . d . R . jedoch nur als Assistenten) angeworben . Im akademischen Jahr 1942/43 arbeiteten rund 700 ausländische Wissenschaftler an deutschen Universitäten; vgl . Impekoven (2013), S . 169 . 123 124

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naten nach der „Machtergreifung“ zum Teil chaotisch, was in einigen Fällen fachlich unqualifizierten Personen zu Professuren verhalf .128 So gelangte etwa der SA-Standartenzahnarzt Hans Fliege zu einem Lehrstuhl an der Marburger Universität, obwohl er sowohl von der Fakultät als auch vom preußischen Kultusministerium als „wissenschaftlich unbedeutend“ abgelehnt worden war .129 Als „politische Prestigefrage allerersten Ranges“ wurde die Berufung durch die Einflussnahme des kurhessischen Gauleiters Karl Weinrich dennoch vorgenommen, da „Dr . Fliege der einzigste [sic!] Nationalsozialist an der Universität Marburg ist und jahrelang alle Ausmärsche, Versammlungsschutz u . s . w . mitgemacht hat“, wie Weinrich das Kultusministerium belehrte .130 Ferner wurden in der Frühphase des NS-Regimes zahlreiche Hochschullehrer zwangsversetzt, unter anderem um die Großstadtuniversitäten zu schwächen, auf denen sich aus nationalsozialistischer Sicht der „jüdisch-marxistische“ Geist besonders negativ bemerkbar machte . Damit wurde die alte Rangordnung der Universitäten, an deren Spitze die Großstadtuniversitäten standen, bewusst ins Wanken gebracht . Die Professoren sollten sich nach dem Willen der neuen Staatsführung als Diener der „Volksgemeinschaft“ und Befehlsempfänger betrachten .131 Der postulierte Primat der Politik gegenüber der Wissenschaft und die Vorstellung, dass jeder Deutsche an dem Platz zu wirken habe, an den er von seinem „Führer“ gestellt werde, ließ für eine Konkurrenz der Universitäten um Professoren und ein Karrierestreben der Hochschullehrer zumindest in der Theorie keinen Platz, zumal die Kultusministerien wiederholt Zwangsversetzungen anordneten, wenn Professoren an sie ergangene Rufe nicht annehmen oder Fakultäten bestimmte Wissenschaftler nicht aufnehmen wollten .132 So wurde Bonn für einige Semester zu einer „Schuttablagerungsstätte von Kiel“ und Marburg zu einer „Abladestelle für abgebaute ostpreußische Dozenten“, obwohl die betroffenen Hochschulen auf die negativen Auswirkungen auf den Lehrbetrieb aufmerksam machten und, wie etwa der Bonner Ökonom Arthur Spiethoff, erklärten, dass die eigene Universität „ihre Kampfaufgaben“ nicht mehr erfüllen könne, wenn „man fortfährt, Männer hierher zu versetzen, die für andere Universitäten als ungeeignet befunden sind .“133 Mit den Zwangsversetzungen, die erst durch das Gesetz über den Neuaufbau des deutschen Hochschulwesens vom Januar

Vgl . Zilch (2009), S . 61 . Aktenvermerk des Ministerialdirektors Georg Gerullis vom 12 .9 .1933; abgedr . in: Nagel (2000), S . 235 . Der „alte Kämpfer“ Gerullis, der sich u . a . für den sozialdemokratischen Kölner Ordinarius Julius Lips einsetzte und in amtlichen Schreiben bisweilen auf das obligatorische „Heil Hitler“ verzichtete, wurde von Bernhard Rust wenig später entlassen; vgl . Lips (1938), S . 108 . 130 Schreiben Gauleiter Weinrichs an das preußische Kultusministerium vom 10 .9 .1933; abgedr . in: Nagel (2000): 232–234, S . 234 und Schreiben Gauleiter Weinrichs an das preußische Kultusministerium vom 28 .10 .1933, abgedr . in: Nagel (2000), S . 238 . 131 Vgl . Scheid/Wiese (1933/34) . 132 Vgl . Mertens (2002), S . 226 . 133 Zit . nach: Heiber (1994), S . 332, 665; Höpfner (1999), S . 232 . 128 129

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

1935 legalisiert wurden, bezweckte die neue Staatsführung, dass Berufungen „nicht mehr nach dem Prestige der einzelnen Hochschule oder des einzelnen Landes erfolgen“, sondern „durch Planung“ .134 Zwar habe auch der Wettbewerb der Universitäten um herausragende Wissenschaftler dazu geführt, dass „[e]inzelne Universitäten […] auf bestimmten Fachgebieten […] zu Weltruhm“ gelangten, führte der NS-Funktionär Gerhard Krüger aus . Weit effektiver sei es jedoch, wenn der Staat „die besten Kräfte bestimmter Wissensgebiete auf einen Punkt zu konzentrieren, von einer Hochschule an die andere […] zu versetzen“ vermöge, um sie „durch Planung auf lange Sicht über den alten Höchststand hinauszutragen“ .135 Weniger glückliche Universitäten mussten demgegenüber jene Ordinarien aufnehmen, die auf anderen, zu höheren Aufgaben bestimmten Hochschulen „ausgesondert“ worden waren . Die Gründung des Reichserziehungsministeriums im Mai 1934 stellte eine Zäsur in der Hochschulpolitik dar . Obwohl die Landeskultusministerien weiterbestanden, bedeutete die neuerrichtete Berliner Institution einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur „Verreichlichung“ des deutschen Universitätswesens, da ab Frühjahr 1935 alle Berufungen (zumindest de jure) über das REM erfolgten, um durch eine Zentralisierung den „gegenseitigen Wettbewerb der Hochschulländer um die ‚Kanonen‘ der Wissenschaft“ zu eliminieren, wie Oberregierungsrat Hans Huber aus dem Reichserziehungsministerium in einer 1939 gehaltenen Rede äußerte . Die Konkurrenz um Wissenschaftler sei materialistisch und individualistisch gewesen, so Huber . In seinen Augen hatten die Professorenberufungen in der Weimarer Republik „eine große Ähnlichkeit mit dem Starkult und den Stargagen des Theater- und Filmwesens“ und daher „der Würde der Hochschule und der Stellung des Hochschullehrers“ nicht entsprochen .136 Seit 1934/35 übernehme daher „das Reich selbst die Steuerung und planvolle Gestaltung des Hochschulwesens“ und beweise, dass staatliche Planung, die „in der Systemzeit einen etwas anrüchigen Beigeschmack bekommen“ habe, durchaus bewirken könne, dass „Kräfte und Mittel an der bestmöglichen Stelle eingesetzt werden, um die bestmögliche Leistung und Nützlichkeit zu gewährleisten“ .137 Weitere Bausteine zur „Verreichlichung und Vereinheitlichung des Hochschulwesens“ stellten das Gesetz über die Besoldung der Hochschullehrer dar, das erstmalig eine reichseinheitliche Grundlage schuf, sowie die Angleichung der Promotionsgebühren am 11 . September 1935 .138 Fortan flossen die Promotionsgelder (bis auf eine

Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens vom 21 .1 .1935, in: ; letzter Zugriff: 30 .4 .2018 . 135 Krüger (1934), S . 1270 . Ansätze zur Bildungsplanung gab es bereits in der Weimarer Republik . Der nach dem „Preußenschlag“ ernannte Kultusminister Wilhelm Kähler (DNVP) sprach sogar am 20 . Januar 1933 von einer „gewissen Planwirtschaft für die höheren Schulen“; Kähler (1933), S . 14–15 . 136 Huber (1939), S . 14 . 137 Huber (1939), S . 16, 27, 29 . 138 Huber (1939), S . 18; vgl . Huber/Senger (1939), S . 9 . 134

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geringe Entschädigung für den Verwaltungsaufwand) an die Staatskasse, so dass die Anzahl der Promotionen keine Auswirkungen auf die ökonomische Stellung von Professoren und Universitäten mehr hatte . Trotz der Gründung des Reichserziehungsministeriums blieb jedoch ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Landeskultusministerien und vor allem den Gauleitern als den „Dritten“ im interuniversitären Wettbewerb bestehen .139 In „ihren“ Hochschulen erblickten sie gewichtige Prestigeobjekte, die sie – und damit letztlich auch sich selbst – mit den berühmtesten Wissenschaftlern schmücken wollten . Gegen die „Zentralisierungstendenzen“ des REM, wie sie etwa der thüringische Gauleiter Fritz Sauckel in einer an Adolf Hitler gerichteten Denkschrift monierte, setzten sie sich daher offensiv zur Wehr .140 Das Rust-Ministerium beraube die Gauleiter der „Möglichkeit, etwas zur Förderung einer Universität […] und des nationalsozialistischen Gedankens in ihren Hörsälen zu tun“, konstatierte Sauckel im Januar 1936 .141 Nach den Erfahrungen des Jahres 1933 musste der Staatsführung freilich bewusst sein, dass sich hinter dem Topos „Förderung“ nicht zuletzt die persönliche Einflussnahme der Gauleiter auf „ihre“ Universitäten verbarg . Da Hitler schon im Sommer 1933 die nationalsozialistische Revolution für beendet erklärt hatte und der im Hinblick auf den geplanten Angriffskrieg verkündete Vierjahresplan nach funktionstüchtigen und vermeintlich auch nach zentral steuerbaren Hochschulen verlangte, konnten sich Sauckel und seine Kollegen nicht durchsetzen .142 Dies blieb auch während des Zweiten Weltkriegs so, als Sauckel vorschob, Freiräume für die deutschen Hochschulen einzurichten und dadurch Wettbewerb zu ermöglichen, um seine machtpolitischen Ziele zu erreichen . Das Reichserziehungsministerium habe die „deutschen Hochschulen in eine derartige Zwangsjacke“ gesteckt, schrieb er 1941 an Martin Bormann und Hans Heinrich Lammers, die Leiter von Partei- und Reichskanzlei, dass die „eigene Initiative der Hochschulen“ und der ihnen förderliche „Leistungswettkampf aus eigener Kraft“ vollkommen abgeschnürt worden seien .143 Notgedrungen wurde ab 1934 auch den Voten der zuvor als „verkalkt“ geschmähten Professoren wieder mehr Beachtung geschenkt . Ihre wissenschaftliche Expertise galt erneut als unerlässlich für die Qualitätssicherung der universitären Forschung und Lehre, die Zustimmung der Fakultät in Berufungsangelegenheiten als förderlich für die kollegiale Zusammenarbeit an den Universitäten . Jene Hochschullehrer, die 1933 gegen den Willen der Fakultät berufen worden waren, hatten an den Universitäten

Macrakis (1993), S . 115–116 . Das sächsische Kultusministerium widersetzte sich 1938 der Wegberufung eines Leipziger Professors mit der Begründung, dass Leipzig noch immer „sächsische Landesuniversität“ sei und sich das Ministerium entsprechend für ihren Gedeih einsetzen werde; vgl . Tilitzki (2002), S . 679; vgl . u . a . Biegel (1995), S . 160 . 140 „Aus der Denkschrift des Thüringer NSDAP-Gauleiters und Reichsstatthalters Fritz Sauckel gegen Zentralisierungstendenzen“ (27 .1 .1936), abgedr . in: Hendel (2007), S . 146–147 . 141 Zit . nach: John/Stutz (2009), S . 478 . 142 Vgl . NSD-Dozentenbund Gau Groß-Berlin (1937) . 143 Zit . nach: NSD-Dozentenbund Gau Groß-Berlin (1937) . 139

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

meist einen schweren Stand, so dass Wissenschaftler sogar Rufe an prestigeträchtige Wirkungsstätten abzulehnen begannen, wenn sie wussten, dass sie gegen den Willen der Fakultät ausgesprochen worden waren .144 Freilich hatten sich nun auch bereits die meisten der im Amt verbliebenen Ordinarien mit den veränderten Bedingungen im nationalsozialistischen Staat arrangiert, sich sozusagen bis zu einem gewissen Grad selbst „gleichgeschaltet“, so dass es nur mehr selten und wohl meist „versehentlich“ geschah, dass eine Fakultät einen Juden oder bekennenden Antifaschisten auf die Berufungsliste setzte .145 Vielmehr optierten die Professoren in der Regel für diejenigen Kandidaten, die ihnen fachlich am geeignetsten und dennoch politisch durchsetzbar erschienen . Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass eine freie Aussprache über die Vorzüge und Schwachpunkte der einzelnen Kandidaten in den Berufungskommissionen kaum mehr möglich war, da diese über den Kreis der Ordinarien hinaus erweitert worden waren und insbesondere aus den Reihen von NSDDB und NSDStB mit Denunziationen zu rechnen war .146 Dies lässt darauf schließen, dass es bereits vorab in informeller Runde zu Absprachen kam . Zudem spielten Professorencliquen und Beziehungsgeflechte auch nach 1933 eine gewichtige Rolle .147 Wenn die Universitäten Wissenschaftler berufen wollten, deren politische Linientreue als fraglich galt, nutzten sie die Polykratie des NS-Herrschaftssystems, die ihnen Handlungsspielräume eröffnete, und sicherten sich durch Gutachten der verschiedenen Partei- und Ministerialstellen ab, die mit entsprechenden Kontakten ohne größere Schwierigkeiten zu erhalten waren und als Nachweis der nationalsozialistischen Gesinnung des jeweiligen Wunschkandidaten genutzt werden konnten .148 Freilich musste den Wissenschaftlern bewusst gewesen sein, dass ein Beitritt zur NSDAP oder einer der zahlreichen Parteiorganisationen einer akademischen Karriere förderlich war . Das Streben der Universitäten nach hochqualifizierten Wissenschaftlern schloss im Übrigen nicht aus, den erwarteten Wünschen der nationalsozialistischen Machthaber bisweilen entgegenzukommen . So schlug die Berliner Universität den Dermatologen Wilhelm Richter für einen Lehrstuhl vor, da er nun mal „eine wichtige Nummer“ im neuen Staat sei, wie es im Votum der Ordinarien wörtlich hieß, und „die Fakultät siVgl . das Bsp . Jena in Hoßfeld u . a . (2005), S . 81 . Der Philosoph Martin Heidegger lehnte beispielsweise Rufe nach München und Berlin ab, die von den Kultusministerien gegen den Willen der beiden betroffenen Fakultäten ausgesprochen worden waren . Freilich verfolgte Heidegger zu dieser Zeit als „Führer-Rektor“ der Freiburger Universität große Ziele und mag vielleicht auch deshalb auf einen Hochschulwechsel verzichtet haben; vgl . dazu Schorscht (1994), S . 304 . 145 Vgl . Heiber (1992), S . 444 . 146 Der Freiburger Pädiater Carl Noeggerath äußerte nach Kriegsende, „daß wir während der Fakultätssitzungen gerade die uns am tiefsten bewegenden Fragen nicht mehr offen diskutieren konnten“, da die Integrität einzelner Teilnehmer fraglich gewesen sei; zit . nach: Seidler (1991), S . 81 . Carsten Schreiber konnte vor wenigen Jahren nachweisen, dass der NSDDB in Sachsen „zuletzt vollständig vom SD unterwandert“ war; Schreiber (2008), S . 343 . 147 Vgl . Thiel (2006), S . 176; Decker (2016) . 148 Vgl . Szöllösi-Janze (2001), S . 11 . 144

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cher nicht unerheblichen Nutzen haben würde“, wenn sie ihm durch einen Berufungsvorschlag die Ehre erweise und den antizipierten Wünschen der neuen Staatsführung entgegen komme .149 Indem Fakultäten NS-nahe Wissenschaftler vorschlugen, konnten sie demonstrieren, dass sie die Zeichen der Zeit verstanden und sich in das „neue Deutschland“ eingefügt hatten . Dies sollte ihnen, wie das Berliner Beispiel aufzeigt, als vertrauensbildende Maßnahme Handlungsspielräume für künftige Personalentscheidungen eröffnen . Demselben Zweck diente die Schonung staatlich besonders protegierter Universitäten wie etwa der sogenannten Grenzlanduniversitäten, auf die im folgenden Kapitel noch eingegangen werden wird . Der Göttinger Jurist Karl Siegert führte beispielsweise in seinen 1935 verfassten „Vorschlägen zum Ausbau des Lehrkörpers unserer Fakultät“ aus, dass die Besetzung vakanter Lehrstühle „ohne Beeinträchtigung der Schwesterfakultäten Kiel, Breslau und Königsberg“ zu geschehen habe .150 Er akzeptierte deren Sonderstellung und bekannte sich damit zu den neuen Wettbewerbsregeln, die das REM als „Dritter“ der interuniversitären Konkurrenz erlassen hatte . Die Rektoren begannen sich ab etwa 1934 als Interessenvertreter ihrer Universität zu definieren (und nicht etwa der Partei, wie noch während des „Gleichschaltungsprozesses“ im Jahr zuvor), engagierten sich dementsprechend für die Gewinnung fachlich hochqualifizierter Hochschullehrer und vermieden den offenen Konflikt mit den Professoren, die keine omnipotenten Hochschulleiter dulden wollten und das Ihrige dazu beitrugen, dass der beinahe allmächtige „Führer-Rektor“, wie er dem Philosophen Martin Heidegger 1933 vorgeschwebt hatte, bis zum Ende des „Dritten Reiches“ eine Fiktion blieb .151 So hatte etwa die Philosophische Fakultät II der Münchner Universität ihrem Rektor im November 1933 schriftlich mitgeteilt, dass sie nicht stillschweigend die völlige Ausschaltung unseres Rates und unserer Erfahrung hinzunehmen [gedenke (…)], weil wir das starke Gefühl der Verantwortung um die Zukunft unserer Hochschule und der deutschen Wissenschaft nicht in uns zu unterdrücken vermögen . Aus diesen Empfindungen heraus halten wir uns nicht nur für berechtigt, sondern sogar für verpflichtet, auf die schweren Gefahren hinzuweisen, die nach unserer Überzeugung durch die Ausschaltung der Fakultäten bei grundlegenden Hochschulangelegenheiten der deutschen Wissenschaft drohen .152

Zit . nach: Hess (2005), S . 43 . Ferner sei auf die Philosophische Fakultät der Universität Breslau verwiesen, die mit ihren Berufungsvorschlägen „dem Amt Rosenberg einen besonderen Gefallen zu erweisen“ versuchte, wie Heinrich Harmjanz aus dem REM im Frühjahr 1938 konstatierte . Wie Halle an der Saale wollten auch einige Breslauer Professoren Rosenberg als Protegé gewinnen; zit . nach: Tilitzki (2002), S . 679 . 150 Zit . nach: Ditt (2011), S . 119 . 151 Vgl . Höpfner (1999), S . 67 . Dieser Prozess wurde nicht zuletzt durch personelle Wechsel an der Hochschulspitze vorangetrieben . 152 Zit . nach: Böhm (1995), S . 468 . 149

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

Als Parteimitglieder, die sie in der Regel waren, konnten die Führer-Rektoren zudem selbstbewusster gegenüber dem Ministerium auftreten als ihre vor April 1933 in Amt und Würden gelangten Kollegen, was sich an den (allerdings nur sehr leisen) Protesten während der zweiten, deutlich kleineren Entlassungswelle nach der Verabschiedung der „Nürnberger Gesetze“ offenbaren sollte . Karl August Eckhardt, Fachreferent im Reichserziehungsministerium, zeigte sich etwa über die Bemühungen der Universität Köln um ihre jüdischen Lehrkräfte Franz Haymann und Ludwig Waldecker irritiert . Er könne nicht nachvollziehen, schrieb Eckhardt, warum die Universität „eher diese Herren länger ertragen als den Prestigeverlust in Kauf nehmen“ wolle .153 Um den inneruniversitären Frieden aufrecht zu erhalten, der sie vor einer raschen Abberufung bewahren konnte, folgten die Rektoren zumeist den Fakultätsvoten und bemühten sich darum, die von den Ordinarien gewünschten Wissenschaftler zu berufen, auch wenn sie dafür bei den Ministerien eine Erhöhung von deren Bezügen durchsetzen mussten . Als beispielsweise der Marburger Militärjurist Erich Schwinge 1939 einen Ruf nach Tübingen ausschlug, setzte sich Rektor Mayer bei Gauleiter Weinrich vehement für eine Erhöhung der Kolleggeldgarantie Schwinges ein . Weinrich solle „die Interessen der Universität Marburg mit entsprechendem Nachdruck vor dem Reichsministerium vertreten“, da andernfalls „jeder Professor mehr oder weniger trachten wird, von hier wegzukommen“ .154 Das Reichserziehungsministerium, das in der Frühphase der NS-Herrschaft bestrebt gewesen war, den „peinlichen Geldschacher bei Berufungen auszumerzen“, kam mit den Jahren zu dem Schluss, dass Gehaltsverhandlungen unerlässlich seien und Zwangsversetzungen sowie eine „öde Gleichmacherei“ in der Bezahlung der Hochschullehrer dazu führten, dass herausragende Wissenschaftler an außeruniversitäre Forschungseinrichtungen abwanderten .155 Wenn dem Wissenschaftler in der Wirtschaft auf die Dauer bessere Institute und erheblich glänzendere Gehälter winken, so ist der Appell an den Idealismus gegen diese abziehende Kraft von den Hochschulen auf die Dauer kein wirksames Universalmittel . Ein qualitatives Absinken der Hochschule muß die Folge sein,

erklärte Bernhard Rust anlässlich einer Jubiläumsfeier im Herbst 1940 .156 Tatsächlich waren staatliche, vor allem jedoch industrielle Forschungsinstitute den Universitäten und Technischen Hochschulen im Wettbewerb um Wissenschaftler weit überlegen . Größere Freiheiten und die Möglichkeit, bei potentiell kriegsrelevanten Forschungs-

Zit . nach: Heiber (1992), S . 157 . Rektor Mayer berichtet Gauleiter Weinrich über die Situation der Fakultäten (12 .4 .1940); abgedr . in: Nagel (2000): 377–380, S . 379–380 . 155 Erstes Zitat von Franz Bachér (1936); zit . nach: Heiber (1994), S . 343 . Zweites Zitat aus Huber/ Senger (1939), S . 8 . 156 Rust (1940), S . 15 . 153 154

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projekten diverse staatliche Fördertöpfe anzuzapfen, verliehen den außeruniversitären Forschungsinstituten eine geradezu magnetische Anziehungskraft . Während die Universitäten und Technischen Hochschulen mit immer beängstigender werdenden Nachwuchsproblemen zu kämpfen hatten, verdoppelte beispielsweise die Physikalisch-Technische Reichsanstalt ihren Mitarbeiterstab in den ersten zehn Jahren des „Dritten Reiches“, und das Forschungsinstitut der AEG konnte die Zahl seiner Angestellten in den 1930er Jahren sogar fast verzehnfachen .157 In das Hochschullehrerbesoldungsgesetz vom 12 . Februar 1939 wurde zur Bekämpfung des Nachwuchsproblems daher ein Passus aufgenommen, der die Gewährung von Zuschüssen in Höhe von bis zu 2800 Reichsmark ermöglichte, wenn alle anderen Wege (Vorweggewährung von Dienstalterszulagen, Zubilligung eines Grundgehalts in besonderen Einzelfällen, Zusicherung einer erhöhten Unterrichtsgeldgarantie) nicht zum Ziele führen, andererseits aber zwingende Gründe für die Gewinnung oder Erhaltung der Lehrkraft sprechen .158

Ferner wurden die Bezüge der Nichtordinarien deutlich erhöht, um einen größeren Teil der Hochschulabsolventen zu einer akademischen Karriere zu ermuntern . Dennoch, heißt es in einer amtlichen Veröffentlichung zum Hochschullehrerbesoldungsgesetz, werde „angesichts der großen Nachfrage nach befähigten Wissenschaftlern die getroffene Regelung oft die Einkommensmöglichkeiten des Hochschullehrernachwuchses gegenüber den Angeboten der freien Wirtschaft wenig günstig erscheinen lassen“ .159 Als Folge des fehlenden akademischen Nachwuchses musste das politische Vorhaben der Jahre 1933/34, „die alten verkalkten Dozenten zu eliminieren“ und durch junge, nationalsozialistische Wissenschaftler zu ersetzen, aufgegeben werden .160 Staatssekretär Siegmund Kunisch aus dem Reichserziehungsministerium stellte dazu 1935 lapidar fest: „Wir können die Professoren nicht einfach auf die Straße setzen, weil wir keine anderen haben . […] Es bleibt daher nichts anderes übrig, als die Leute so zu verschleißen, wie sie sind und im übrigen neuen Nachwuchs heranzubilden“ .161 Für die Universitäten bedeutete die merklich rückläufige Zahl junger Dozenten freilich eine Verschärfung der Konkurrenz um Wissenschaftler . Von Oktroyierungen, die das Ministerium in wiederholte Konfrontation zu den „Führer-Rektoren“ gebracht und sie zu strategischen Verbündeten der Ordinarien gemacht hatte, nahm das REM schon ab 1934 Abstand, während sie im Zuge der Neubesetzung jener Lehrstühle, die nach der Entlassungswelle von 1933 vakant wurden, nicht

Vgl . Fischer (2000), S . 180 . Huber/Senger (1939), S . 29 . Huber/Senger (1939), S . 14 . So der sächsische Justizminister Thierack in einem Schreiben an Bernhard Rust vom 30 .1 .1934; zit . nach: Ditt (2011), S . 86 . 161 Zit . nach: Schreiber (2006b), S . 89 . 157 158 159 160

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selten gewesen waren .162 Nach Ansicht Karl August Eckhardts, des Referenten für die Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultäten im Ministerium, sollten nun „die altangesehenen großen Universitäten wie Berlin, Leipzig, München usw . in ihrer bisherigen Zusammensetzung“ erhalten bleiben und nicht mehr zugunsten der Grenzlandund Kleinstadtuniversitäten personell geschwächt werden . Mit Verweis auf Leipzig führte er aus, dass die den Universitäten aufgezwungenen Professoren von ihren unfreiwilligen Kollegen „erdrückt“ würden und das Experiment politischer Berufungen gegen den Willen der Fakultäten als „mißglückt“ angesehen werden müsse .163 Dennoch nahm das Reichserziehungsministerium weiterhin Einfluss auf die Lehrstuhlbesetzungen, etwa indem die Dekane angewiesen wurden, bestimmte Personen(gruppen) auf die Vorschlagsliste zu setzen . So stimmte der Breslauer Dekan Johannes Nagler nach „der mir zuteil gewordenen Weisung des Ministeriums […] die Vorschläge meiner Fakultät“ mit den Vorgaben aus Berlin ab und empfahl, wie gewünscht, „nur Leute der jüngsten Generation“, die dem Nationalsozialismus in vergleichsweise großer Zahl zugewandt waren .164 Ferner konnte das „Amt Rosenberg“ seinen Einfluss auf die universitäre Personalpolitik in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre beträchtlich ausweiten, wovon vor allem die Philosophischen Fakultäten betroffen waren .165 Neben dem REM gehörte es fortan zu den von den Universitäten umworbenen „Dritten“ im interinstitutionellen Wettbewerb um Professoren . Vergleicht man die mittlerweile recht zahlreich vorliegenden Studien zu Lehrstuhlbesetzungen an einzelnen Universitäten, so ergibt sich, dass Berufungen gegen den Willen der Universitäten und/oder nach vornehmlich politischen Gesichtspunkten zwar auch ab 1934 keine Ausnahmen darstellten, quantitativ jedoch deutlich hinter Vokationen zurückblieben, denen hauptsächlich fachliche Kriterien zugrunde lagen und die im Einvernehmen mit den Ordinarien ausgesprochen wurden . Die Nationalsozialisten hatten ihre Herrschaft nun weitestgehend abgesichert, so dass sie in den Professoren weniger eine Bedrohung als vielmehr ein wichtiges Instrument erblickten, um ihre politischen Ziele zu erreichen . Während Plancks Empfehlungen aus dem Mai 1933 noch unberücksichtigt geblieben waren, wurde ihm als international geachteter wissenschaftlicher Koryphäe bereits 1934 wieder Gehör geschenkt, als er gemeinsam mit dem Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Friedrich Glum, eine Denkschrift verfasste, in der die beiden Wissenschaftler die These vertraten, dass „ein gesunder Wettbewerb gerade auf dem Gebiet der Forschung nützlich“ sei, und folgerichtig

Vgl . etwa das Beispiel der Berliner Medizinischen Fakultät in Vossen, Johannes: „Die Medizinische Fakultät der Berliner Universität und der Systemwechsel von 1933“, in: Bruch/Gerhardt/Pawliczek (2006), inbes . S . 300 . 163 Zit . nach: Ditt (2011), S . 86 . 164 Johannes Nagler an das Preußische Kultusministerium (13 .12 .1934); zit . nach: Ditt (2011), S . 101; Grüttner (1997), S . 146–147 . 165 Vgl . Tilitzki (2002), S . 704 . 162

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vor einer zentralen Lenkung der Universitäten warnten .166 Quasi als Gegenstück dazu unterstellten antisemitische Wissenschaftler, dass es vor 1933 zum Schaden der universitären Forschung in vielen Fächern keinen Wettbewerb um die besten Köpfe gegeben habe . Von „jüdischen Wissenschaftler-Konzernen“ sei ein Monopol ausgeübt worden, das eine freie Konkurrenz unterbunden habe .167 Insbesondere in geisteswissenschaftlichen Fächern hätten sich in der Weimarer Republik nicht die „besten“ Kandidaten durchsetzen können, sondern nur jene, die entweder dem Judentum angehörten oder zumindest „jüdisch-bolschewistische Interessen“ vertraten . Mit solchen Behauptungen wurde zum einen vermeintlich einer Konkurrenz um Wissenschaftler das Wort geredet, zum anderen aber auch die aus dem Ausland erhobenen Vorwürfe gegenüber dem NS-Wissenschaftssystem gespiegelt und gegen die Gegner der nationalsozialistischen Ideologie gerichtet . Eine wettbewerbsbefürwortende Haltung entsprach im Übrigen auch der Ansicht Adolf Hitlers, der das Konkurrenzprinzip nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet als zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen Nationalsozialismus und Marxismus benannte .168 Wer „dem Spiel der Kräfte freie Bahn“ lasse und einen „Wettbewerb […] um die Siegespalme“ ermögliche, schrieb Hitler in Mein Kampf, der erreiche bei allen Konkurrenten die „Anspannung ihrer äußersten Energie“, wodurch eine „Höherzüchtung des einzelnen Kämpfers“ erreicht werde, die der gesamten „Volksgemeinschaft“ zu Gute komme . Zum einen würden sich in der Konkurrenz stets die „Tüchtigeren“ durchsetzen, zum anderen könnten aus „dem Mißgeschick gescheiterter […] Versuche“ Lehren für die Zukunft gezogen werden .169 Die am 13 . Dezember 1934 erlassene Reichshabilitationsordnung orientierte sich insofern an Wettbewerbsgesichtspunkten, als sie das Habilitationsverfahren zweiteilte und dadurch „eine große Zahl ohne Rücksicht auf den Bedarf an Hochschullehrern zur Habilitation“ ermunterte, um über ein umfangreiches Reservoir an berufungsfähigen Nachwuchskräften zu verfügen .170 Ferner versuchten Reichserziehungsminister Rust und seine Amtskollegen in den Landesministerien das Berufungswesen wieder stärker an akademische Traditionen anzulehnen, strebten also eine ministeriell-universitäre Zusammenarbeit ohne Einflussnahme Dritter an .171 Es nütze „unser ganzer politischer Wille nichts“, äußerte Bernhard Rust im Mai 1935, wenn die Hochschulen mit politisch zuverlässigen, wissenschaftlich aber unbrauchbaren Professoren besetzt würden .172 Im

Zit . nach: Hachtmann (2007a), S . 581 . Greife (1936), S . 46 . Vgl . Turner (1976), insbes . S . 95 . Zit . nach Hartmann u . a . (2016), S . 1285, 1287 . Böhm (1995), S . 185; vgl . „Begründung des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zur Reichshabilitationsordnung“, in: Hendel (2007), S . 82–84 . 171 Freilich spielte bei den Überlegungen auch das Machtstreben Rusts eine gehörige Rolle, der insbesondere die Einflussnahme seines Konkurrenten Alfred Rosenbergs auf Personalentscheidungen zu verhindern versuchte . 172 Zit . nach: Schreiber (2006b), S . 106 . 166 167 168 169 170

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

Dezember 1937 forderte Otto Wacker, der Leiter des Amtes Wissenschaft im REM, die Rektoren sogar dazu auf, dem Ministerium stets ein „mit der nötigen Zivilcourage versehenes Urteil“ über die Lehrstuhlkandidaten zukommen zu lassen, also auch Personen vorzuschlagen, die nicht als überzeugte Nationalsozialisten gelten konnten .173 Andernfalls sei „die wissenschaftliche Qualität nicht aufrecht[zu]erhalten“ .174 Kurz zuvor hatte des SS-Blatt Das schwarze Korps eine Berufung des Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker an die Universität München verhindert, indem sie Weizsäcker als „weißen Juden“ diffamierte und die Ludwig-Maximilians-Universität aufgrund ihres Berufungsvorschlags rügte .175 Zu dieser Zeit machte sich das „brennendste Problem der deutschen Hochschule“, nämlich Nachwuchskräfte in ausreichender Quantität zu generieren, bereits deutlich bemerkbar, da die politische Gängelung und das abgesunkene Prestige des Hochschullehrerberufs sowie die vergleichsweise niedrigen Verdienstmöglichkeiten eine akademische Karriere unattraktiv erscheinen ließen .176 Daher konnte der gewaltige Substanzverlust, den die deutschen Universitäten durch die Entlassungswelle des Jahres 1933 erlitten hatten, nicht einmal ansatzweise ausgeglichen werden .177 Darauf gingen Berliner Professoren 1939 in einem der Reichskanzlei vorgelegten Brandbrief ein, in dem sie unter dem Titel „Schweigen hieße Verrat“ einen drastischen Leistungseinbruch auf fast allen Gebieten universitärer Forschung beklagten, den sie auf das negative Image der Universitäten in der Bevölkerung zurückführten .178 Außerdem monierten noch um 1940 die Technischen Hochschulen politisch motivierte Berufungen, die dazu geführt hätten, dass es um die „Sache der deutschen Naturwissenschaft […] schlecht aussieht“, wie Wolfgang Finkelnburg, NSDAP-Mitglied und Dozentenbundsführer an der TH Darmstadt, in einem vertraulichen Brief mitteilte . Von seinen Kollegen forderte der Physiker „Mut zur rücksichtslosen klaren und offenen Meinungsäußerung“ ein . Bei der Besetzung freier Lehrstühle „muß eben die Leistung entscheiden“ und nicht die Parteizugehörigkeit, so Finkelnburg .179 Die TechZit . nach: Nagel (2000), S . 256 . Zit . nach: Hammerstein (1999), S . 248 . Nicht zuletzt die Konkurrenz zwischen REM, „Amt Rosenberg“ und SS dürfte Wackers scharfe Worte erklären . 175 Vgl . Cassidy (1993), S . 74 . 176 Bericht über die Lage an der Universität Jena vom 11 .3 .1935; zit . nach: John/Stutz (2009), S . 483 . Der Frankfurter Dozentenbundführer äußerte 1943, dass der Hochschullehrer, im Unterschied zum Industriebeschäftigten, vielfach noch immer „als intellektueller und volksfremder Parasit“ betrachtet werde; zit . nach Hammerstein (1989), S . 489 . 177 Dem widerspricht keineswegs die Forschungserkenntnis der letzten Jahre, wonach der es „in der Zeit des Nationalsozialismus aufs Ganze gesehen nicht zu einem eindeutigen Leistungseinbruch der deutschen Wissenschaft“ gekommen sei; Rürup (2010), S . 437 . Der Anteil der Universitäten und Technischen Hochschulen am wissenschaftlichen Fortschritt nahm jedoch zugunsten der Industrieforschung, der Kaiser-Wilhelm-Institute sowie Forschungseinrichtungen der SS, der Wehrmacht u . a . deutlich ab . Bezeichnenderweise erarbeitete sich Deutschland gerade in der hauptsächlich außerhalb der Universitäten betriebenen Luft- und Raumfahrtforschung einen Vorsprung von über einem Jahrzehnt auf die Alliierten . 178 Vgl . Seier (1976) . 179 Brief W . Finkelnburgs vom 18 .9 .1940; zit . nach Deichmann (2001), S . 220–221 . 173 174

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nischen Hochschulen hatten trotz der Aufwertung der angewandten Wissenschaften im „Dritten Reich“ ebenfalls mit erheblichen Nachwuchsproblemen und zudem mit Abwerbeversuchen aus der Industrie zu kämpfen und verloren nach wie vor ihre besten Dozenten an die Universitäten .180 So beklagte die RWTH Aachen 1935 in einem Schreiben an das Reichserziehungsministerium, dass die Technischen Hochschulen der Konkurrenz durch die Universitäten nicht gewachsen seien und ihnen lediglich „dritte Kräfte“ erhalten blieben, die es „infolge Unvermögens oder Mißgeschicks nicht weiter“ brächten .181 Der praxisferne Vorschlag aus Aachen, Universitätsprofessoren jeweils für ein Jahr an die Technischen Hochschulen „auszuleihen“, wurde im REM nicht weiter verfolgt . Im Zuge der Kriegswende 1941/42 wurde immer weiteren Teilen der Staats- und Parteiführung bewusst, dass die Einschränkung des interuniversitären Wettbewerbs um Wissenschaftler durch „rassische“ und politische Vorgaben zur Stärkung der nunmehrigen Feindstaaten und in ganz erheblichem Umfang zu einem Qualitätsverlust der deutschen Hochschulen beigetragen hatte, der durch außeruniversitäre Forschungsinstitute nicht vollständig kompensiert werden konnte . Da akademischer Nachwuchs nicht in benötigtem Umfang generiert werden konnte, zahlreiche Dozenten eingezogen worden waren und die Gründung der beiden Reichsuniversitäten Posen und Straßburg im Frühjahr respektive Herbst 1941 berufungsfähige Professoren zu einer immer knapperen Ressource werden ließen, verschärfte sich der Wettbewerb um Humankapital zusehends . Im Sommer 1942 erklärte schließlich sogar Reichsmarschall Hermann Göring auf der Gründungsfeier des erneuerten Reichsforschungsrates (im Beisein Bernhard Rusts und Alfred Rosenbergs) die konsequente Umsetzung der „Nürnberger Gesetze“ als Gefahr für den „Endsieg“ . Er griff in diesem Zusammenhang insbesondere Reichsdozentenführer Walter Schultze scharf an und bekundete, dass die Universitäten auf einen kompetenten Wissenschaftler nicht verzichten dürften, weil zufällig der Mann mit einer Jüdin verheiratet ist oder weil er Halbjude ist . – Sie wackeln mit dem Kopf, Schultze! Ihr Dozentenbund ist am allerschlimmsten dabei . […] Er ist der Schrecken überhaupt der Hochschule in dieser Richtung . – Aber ich wollte nur sagen: das muß eben vermieden werden . Ich habe das jetzt selbst dem Führer vorgetragen . Wir haben jetzt einen Juden in Wien zwei Jahre länger eingespannt, einen anderen auf dem Gebiete der Photographie, weil sie die gewissen Dinge haben, die wir brauchen und die uns in diesem Augenblick absolut voranbringen werden . Es wäre ein Wahnsinn, nunmehr zu sagen: der muß weg! Das war zwar ein ganz großer Forscher, ein phantastischer Kopf, aber er hat eine Jüdin zur Frau und kann nicht auf der Hochschule sein usw . Der Führer hat

Vgl . Stark (1934), S . 9, sowie Maier (2010), S . 30 . Zur vergleichsweise wenig erforschten Geschichte der Technischen Hochschulen im „Dritten Reich“ vgl . den Sammelband Barricelli/Jung/Schmiechen-Ackermann (2017) . 181 Zit . nach: Heiber (1992), S . 180 . 180

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

auf dem Gebiet der Kunst bis zur Operette hin Ausnahmen zugelassen, um das zu erhalten . Umso mehr wird er die Ausnahmen dort zulassen und billigen, wo es sich um wirklich ganz große Forschungsaufgaben oder Forscher selbst handelt .182

Mit diesen Worten verband Göring freilich keine Abkehr vom Antisemitismus . Vielmehr forderte er lediglich, das intellektuelle Potential „halbjüdischer“ und „jüdisch versippter“ Wissenschaftler auszunutzen, da eine Kriegswende nur noch von einer konsequenten Durchsetzung des Leistungsprinzips und der Verwendung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen erhofft werden konnte .183 Was nach dem Endsieg mit den betroffenen Personen passieren sollte, ließ Göring offen . Stellungnahmen wie jene erleichterten den Universitäten die Anwerbung fachlich herausragender Wissenschaftler, da sie nun auch selbst darauf hinweisen konnten, „dass wir […] mit den ins feindliche Ausland gegangenen wissenschaftlichen Emigranten der Gegenseite einen nicht unbeträchtlichen Potentialgewinn geliefert haben“, der keinesfalls vergrößert werden durfte .184 Sogar auf der NS-Musteruniversität Straßburg hieß es nun, dass sich die Fakultäten nicht „nur mit hundertprozentigen Aktivisten besetzen“ ließen, vielmehr ein „Leistungsmensch“, selbst wenn er aus „Versponnenheit in die wissenschaftliche Arbeit“ eine politische Aktivität vermissen lasse, einem fachlich weniger Geeigneten stets vorzuziehen sei, auch wenn es sich bei Letzterem um einen „hundertachtzigprozentige[n] Nazi“ handeln sollte .185 Damit näherte sich das Berufungswesen wieder dem der vornationalsozialistischen Vergangenheit an . Während 1933 als „Kampfspruch des Nationalsozialismus gegen die Gleichgültigen und Lauen“ an den Universitäten die Devise ausgegeben worden war: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich und meine Feinde vernichte ich“, wurde politische Indifferenz nun nicht mehr als Hinderungsgrund für eine Berufung angesehen .186 Damit hatte die SS ihren langen Kampf gegen den lauen „Professorennationalsozialismus“ und für die völlige Gleichschaltung der Universitäten verloren .187 Das Reichserziehungsministerium, das von Goebbels als „Saustall erster Klasse“ beschimpft und von Rosenberg erbittert bekämpft wurde, hatte sich letztlich durchgesetzt .188 Dies zeigte sich, als der designierte Rektor der 1943 gegründeten Technischen Hochschule Linz die Lehrstühle kurzerhand an parteinahe Ortsansässige vergeben

Zit . nach: Hammerstein (1999), S . 385 . Nach heutiger Ansicht von Militärhistorikern war der Sieg der Alliierten zum Zeitpunkt von Görings Rede allerdings bereits nicht mehr aufzuhalten . 184 So der Freiburger Rektor Wilhelm Süss auf der Rektorenkonferenz 1943; zit . nach: Grüttner/Kinas (2007), S . 150 . 185 So begründete Dekan Georg Niemeier die Berufung des Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker; zit . nach: Heiber (1992), S . 244 . 186 Feickert (1934), S . 10 . 187 Vgl . Grüttner (1997), S . 143 . 188 Tagebucheintrag Goebbels’ vom 3 .3 .1937, in: Goebbels (2000 [1937]): 31–33, S . 32 . 182 183

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wollte, da er die Anwerbung fachlich herausragender Wissenschaftler für unnötig, zeitraubend und überdies für eine Angewohnheit „aus dem liberalistischen Jahrhundert“ hielt . Das REM reagierte darauf empört und drängte erfolgreich auf die Einhaltung des hergebrachten Berufungsverfahrens, nach welchem die Hochschulen die ihnen fachlich am geeignetsten erscheinenden Wissenschaftler in Vorschlag zu bringen hatten . Man könne „mit gleicher Berechtigung auch das Essen und Trinken der Menschen als eine aus der liberalistischen Zeit übernommene Angewohnheit“ abschaffen, war im ministeriellen Antwortschreiben zu lesen .189 Ebenso konnte sich das REM gegen den Universitätsreformer Ernst Anrich durchsetzen, der als Bevollmächtigter des Reichsdozentenführers die (Neu-) Gründung der Universität Straßburg weitgehend in Eigenregie durchführen und durch die Berufung von über 120 nationalsozialistischen Professoren zu einer Eliteuniversität des „Dritten Reiches“ ausbauen wollte . Unter Ausschluss des Reichserziehungsministeriums, aber in Abstimmung mit dem Stab Heß konnte Anrich im Laufe des Jahres 1941 zahlreiche Professoren mit hohen Gehaltsversprechen für Straßburg gewinnen und provozierte damit einen Aufschrei der Universitätsrektoren . Kiels Rektor Paul Ritterbusch drohte gar mit einem „großen Skandal“, sofern Anrichs Pläne nicht modifiziert würden und Straßburg zumindest auf einen Teil der Professoren verzichte . Die „Ausräuberung unserer Universität“ durch Anrich, der „bereits zehn unserer besten Professoren“ abgeworben hatte, nannte Ritterbusch eine „Maßlosigkeit“ und „Überheblichkeit“, gegen die er den „allerstärksten Protest“ einlegen müsse .190 Wie Ritterbusch wanden sich auch andere Rektoren an das Ministerium, das in der interuniversitären Konkurrenz um Professoren als „Dritter“ die Einhaltung der Wettbewerbsregeln sicherstellen sollte . Dem REM kamen die Unmutsbekundungen der Rektoren sehr gelegen, da sie dem Ministerium in der unvermeidlichen Auseinandersetzung mit der SS den Rücken stärkten . Trotz beziehungsweise gerade wegen der Fürsprache Himmlers und Heydrichs verweigerte das Erziehungsministerium Ernst Anrich die Anerkennung als Dekan und Dozentenführer und erklärte die von ihm ohne Abstimmung mit dem Ministerium ausgesprochenen Berufungen für nichtig .191 Statt der anvisierten 129 sollten lediglich einhundert ordentliche und außerordentliche Professoren in Straßburg lehren und die Reichsuniversität somit zu einer großen, nicht aber herausgehobenen und besonders privilegierten deutschen Universität werden . Eine Berufung nach Straßburg sollte im Übrigen nach demselben Modus ablaufen wie die Lehrstuhlbesetzungen der anderen Universitäten und folglich nur nach Zustimmung des Rust-Ministeriums erfolgen . Damit stellte sich das REM gegen Anrich und die Parteizentrale, die nur Professoren mit „nationalsozialistische[m] Einsatzwille[n] und politische[r] Bewährung“ nach Straßburg berufen und dabei ein strengeres Maß 189 190 191

Zit . nach: Heiber (1992), S . 208 . Zit . nach: Heiber (1992), S . 242 . Vgl . Heiber (1992), S . 242 .

Der Wettbewerb der „Führer-Universitäten“ um Professoren

anlegen wollten als bei den Lehrstuhlbesetzungen anderer Universitäten .192 Auch die von Gauleitern und Parteileitung bis in die letzten Kriegstage geforderten Entlassungen „jüdisch versippter“ und „halbjüdischer“ Wissenschaftler versuchte das REM zu verhindern, sofern das wissenschaftliche Potential der Betroffenen als hoch eingestuft wurde . Vergeblich drängte etwa der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann über mehrere Jahre hinweg auf die Amtsenthebung des Botanikers Friedrich Tobler, der mit einer Jüdin verheiratet war, was als sogenannte „privilegierte Mischehe“ galt . Rust wehrte jedes Mal ab, bis Mutschmann die Entlassung des Professors schließlich im März 1945 [!] eigenmächtig vornahm .193 Im Frühjahr 1944, als die Kriegsniederlage bereits absehbar wurde, erkannte man schließlich auch im weltanschaulich besonders verblendeten „Amt Rosenberg“, dass „die immer erneute Herausstellung von weniger hervorragenden Kräften durch die Partei“ katastrophale Auswirkungen gezeitigt hatte . Alfred Baeumler, einer der einflussreichsten Erziehungswissenschaftler des „Dritten Reiches“, empfahl seinem Chef im April, die Klassifizierung in nationalsozialistische und nicht-nationalsozialistische Wissenschaftler langsam [!] zurücktreten zu lassen, und unsere Wissenschaftspolitik auf die Gewinnung der besten Fachvertreter einzustellen . Eine Fehlentwicklung einsehen und korrigieren erscheint mir nicht als Ausdruck der Schwäche .194

Keine zwei Wochen später stieß Baeumlers Stellvertreter Kurt Wagner, technischer Direktor von Rosenbergs „Hoher Schule“, ins gleiche Horn und bezeichnete die Einflussnahme der diversen Parteistellen auf den Wettbewerb der Hochschulen um Wissenschaftler rundheraus als „Wahnsinn […] . Die Früchte zeigten sich sehr bald: […] Heute gibt es an den deutschen Hochschulen keine nennenswerten Institute“ mehr . Die „Partei erkannte den Terror nicht genügend; wo sie ihn sah, tat sie nichts dagegen“, so Wagners vernichtendes Urteil, das freilich in seiner Überzeichnung als Verzweiflungsprodukt der allenfalls noch mit „Wunderwaffen“ zu verhindernden Kriegsniederlage angesehen werden muss und darüber hinaus als Argument für die Übernahme der Universitäten durch die „Hohe Schule“ dienen konnte .195 Die Rückkehr zu traditionellen Berufungsmodi und die damit ermöglichten größeren Spielräume für den interinstitutionellen Wettbewerb brachten es mit sich, dass die Vorteile der Großstadtuniversitäten wieder stärker zum Tragen kamen, so dass der württembergische Gauleiter Wilhelm Murr (wohl nach entsprechenden Bemerkungen aus der Universität Tübingen) im Kriegsjahr 1942 beklagte, dass erneut „alle über-

Schmidt (1941), S . 687 . Vgl . Grüttner/Kinas (2007), S . 139 . Aktennotiz Alfred Baeumlers vom 3 .4 .1944; abgedr . in: Poliakov/Wulf (1978 [1959]): 99–101, S . 101 . Aktenvermerk Kurt Wagners für Reichsleiter Rosenberg vom 15 .4 .1944; abgedr . in: Poliakov/Wulf (1978 [1959]): 101–103, S . 102 . 192 193 194 195

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ragenden Wissenschaftler“ an die großen Universitäten wechseln würden .196 Ebenso sahen das der Breslauer Wirtschaftswissenschaftler und Dekan Günter Schmölders, der von einer „Ausplünderung der Fakultät“ durch die großen Nachbarn sprach, sowie der Kurator der Universität Königsberg, der gegenüber dem REM beklagte, dass seine Alma Mater unter dem „viel zu rasche[n] Wechsel in der Besetzung der Lehrstühle […] und in Verbindung damit de[m] Mangel an erstklassigen Lehrkräften“ zu leiden habe .197 Der ungehemmten Konkurrenz der großen westdeutschen Universitäten legte er zu Last, „daß viele Lehrer nicht im Osten verwurzeln und Königsberg nur als ein Sprungbrett ansehen“ . Dabei stand für ihn außer Frage, dass die Mehrzahl der abgeworbenen Professoren „in Königsberg geblieben wäre, wenn nicht die angebotene wirtschaftliche Besserung sie weggezogen hätte“ . Eine Rufannahme sollte daher in seinen Augen „nur eine Sache der Ehre […], niemals aber eine Sache des Geldes“ sein . Als Sofortmaßnahme regte der Kurator an, „daß bei Wegberufungen von akademischen Lehrkräften aus Königsberg, diese auf ihren Wunsch materiell an der Königsberger Universität genau so wie an der Universität, an die sie berufen werden sollen, gestellt werden, wenn sie sich entschließen, den Ruf dahin abzulehnen“ .198 Das Schreiben wurde im Reichserziehungsministerium ad acta gelegt . Dort hatte man sich bereits damit arrangiert, dass sich die alte Hierarchie der deutschen Universitäten, nachdem sie ab 1933 durch ein gezieltes Vorgehen des Staates ins Wanken gebracht worden war, letztendlich behaupten konnte beziehungsweise wiederhergestellt hatte und die staatlichen Eingriffe in den interuniversitären Wettbewerb um Professoren negative Folgen gezeitigt hatten und daher zurückgefahren werden mussten . Der Breslauer Universität wurde dieser Sachverhalt im März 1944 drastisch vor Augen geführt, als das REM auf ihren Berufungsvorschlag des Leipziger Juristen de Boor erwiderte, „dass man nicht von Leipzig nach Breslau gehe“ . Damit waren die Ost- und Kleinstadtuniversitäten „wieder das geworden, was sie die längste Zeit ihres Bestehens“ gewesen waren: „Nicht mehr und nicht weniger“ .199 IV.3

Der interuniversitäre Wettbewerb um Studenten im „Dritten Reich“

Aufgrund der hohen Akademikerarbeitslosigkeit sowie der vermeintlichen „Überfüllung“ deutscher Universitäten wurden bildungsplanerische Maßnahmen und damit verbundene staatliche Eingriffe in den interuniversitären Wettbewerb um Studenten bereits in der Weimarer Republik kontrovers diskutiert . Adolf Hitler, der nach den Worten von Reichsdozentenführer Walter Schultze „die einfach denkenden Menschen 196 197 198 199

Zit . nach: Heiber (1994), S . 11 . Zit . nach: Ditt (2011), S . 131 . Wünsche der Albertus-Universität (1944); abgedr . in: Richter (1994): 26–35, S . 28–31 . Ditt (2011), S . 136 .

Der interuniversitäre Wettbewerb um Studenten im „Dritten Reich“

um sich“ scharte, gehörte zu jenen, die eine erhebliche Reduzierung der Studentenzahl befürworteten .200 Bereits wenige Wochen nach der sogenannten Machtergreifung wurde daher im Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen eine Obergrenze für Neuimmatrikulationen festgelegt, mittels derer der NS-Staat die Kontrolle über die Hochschulfrequenz übernehmen und sie „dem Bedarf der Berufe“ anpassen wollte .201 Für die einzelnen deutschen Länder wurden Höchstzahlen immatrikulationsberechtigter Abiturienten bekanntgegeben, die nicht überschritten werden durften . So wurde für Preußen ein Maximum von 8984 Studenten festgelegt, während etwa bis zu 1670 Abiturienten aus Bayern und nicht mehr als zwölf Abiturienten aus dem Freistaat Lippe studieren durften .202 Die Landesregierungen wiederum legten Höchstzahlen für die einzelnen Universitäten fest und konnten sogar die zwangsweise Exmatrikulation überzähliger Studenten anordnen .203 Diese Kontingentierung stellte den massivsten staatlichen Eingriff in die akademische Freizügigkeit seit dem Spätabsolutismus dar, was im Übrigen keineswegs bestritten wurde .204 Aus Sicht des NS-Regimes war jedoch die Zeit gekommen, in das vermeintlich „regellose Geschehen Ordnung zu bringen“ und die „liberale Behandlung des Hochschulproblems“ zu beenden .205 Nicht der persönliche Studienwunsch und die Attraktivität der Universitäten und Hochschulorte, sondern allein die mit nationalsozialistischen Beamten besetzten Kultusministerien sollten darüber entscheiden, wie viele Abiturienten ein Studium absolvieren und welche Universität sie zu diesem Zweck aufsuchen durften . Der sächsische Bildungsminister Wilhelm Hartnacke ließ sich dazu, als Antwort auf eine vermutlich fingierte Anfrage einer Mutter, mit den Worten zitieren: „Ihr Sohn ist nicht das Maß der Dinge . Volk, Staat und Wirtschaft sind nicht für Ihren Sohn da, sondern Ihr Sohn muß sich da einordnen, wo man ihn brauchen kann“ .206 Dabei zeigten sich die NS-Kultusminister davon überzeugt, dass „man“ angesichts der hohen Akademikerarbeitslosigkeit viel weniger Hochschulabsolventen benötige, als in der Weimarer Republik die Hochschulen verlassen hatten . Eine rücksichtslose „AusmerSchultze (1940), S . 12 . Hoffmann (1935), S . 6 . Die Überlegung ist mit dem Manpower Approach des Bildungsökonomen Hajo Riese aus den 1960er Jahren vergleichbar; vgl . Kapitel V .1 . 202 Vgl . Böhm (1995), S . 148 . 203 Vgl . „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“, in: Nationalsozialistische Erziehung 2 (1933), Heft 9, S . 145 . 204 Der Deutsche Hochschul-Führer für das Jahr 1935 bezeichnete die Maßnahme als „einen schweren Eingriff in das ‚Selbstbestimmungsrecht‘ des einzelnen . Aber in Anwendung seines obersten Grundsatzes, daß ‚Gemeinnutz vor Eigennutz geht,‘ hielt sich der neue Staat nicht nur berechtigt, sondern sogar für verpflichtet, dem persönlichen Streben des einzelnen Einhalt zu gebieten, um eine dem ganzen Volke drohende Gefahr zu bannen“; Hoffmann (1935), S . 6 . 205 Hadrich (1934b), S . 995; Streit (1934), S . 10 . Innerparteiliche Kritiker wie der Ministerialrat Joachim Haupt, der eine „freie Entwicklung […] einer künstlichen Regelung“ vorzog und davor warnte, alle Probleme im Bildungswesen auf „die unbeschränkte freie Konkurrenz“ vor 1933 zurückzuführen, konnten sich letztlich nicht durchsetzen; vgl . Haupt (1933), S . 3, 6 . 206 Zit . nach: Hadrich (1934), S . 4 . 200 201

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ze bei der Zulassung“, so Hartnacke bereits einige Monaten vor Hitlers Machtübernahme, sollte dem unterstellten „Bildungswahn“ ein Ende bereiten, „die Massen“ von den Universitäten fernhalten und nur mehr den „früher üblichen Prozentzahlen aus der Jugend“ ein Studium ermöglichen .207 Die Zulassungsbeschränkungen sollten den Universitäten ihre zentrale Aufgabe erleichtern, nämlich „die Schaffung einer qualifizierten Führer-Elite, die nur auf einer nicht überfüllten Hochschule zu erzielen ist“, wie es im Mai 1933 in einer Hamburger Zeitung hieß .208 Vergleiche mit dem Ausland wurden hingegen nur selten angestrengt . Diese hätten freilich ergeben, dass das deutliche Ansteigen der Studentenzahlen ab den 1920er Jahren als globales Phänomen zu betrachten war . Frankreich, Japan und die USA verzeichneten sogar ein noch weitaus stärkeres Wachstum als Deutschland .209 Mit der Gründung des Reichserziehungsministeriums (1934) wurden die Kontingentierung für das gesamte Deutsche Reich aus Berlin vorgenommen und die Aufnahmebedingungen vereinheitlicht .210 Die Begrenzung richtete sich in erster Linie gegen die Großstadtuniversitäten, einerseits, um gegen die „stets wachsende Verstädterung unseres Geisteslebens“ vorzugehen, andererseits mit dem Ziel einer gleichmäßigen Auslastung der vorhandenen Kapazitäten .211 Attraktive Hochschulen wie die Universität München mussten nun bis zu 70 Prozent ihrer Bewerber abweisen, die teilweise auf andere Universitäten auswichen, oftmals aber auch auf ein Studium gänzlich verzichteten .212 Allein zwischen 1933 und 1936 sank die Frequenz deutscher Universitäten um mehr als 40 Prozent und damit in noch größerem Umfang, als von der NS-Regierung erwartet worden war .213 Im Jahre 1939 gab es schließlich trotz der Vergrößerung des Reichsgebiets und der gewachsenen Bevölkerungszahl weniger Studenten in Deutschland als am Vorabend des Ersten Weltkrieges .214 Zudem schlug der staatliche Lenkungsversuch bereits nach wenigen Semestern völlig fehl . Die kleineren Universitäten, die eigentlich gestärkt werden sollten, verloren prozentual sogar noch mehr Studenten als die Großuniversitäten und gerieten Ende der 1930er Jahre zum Teil „an

Hartnacke (1932), S . 91, 104 . Hamburger Fremdenblatt vom 22 .5 .1933; zit . nach: Goede (2008), S . 76 . Vgl . die Tabelle in Kotschnig (1937), S . 13 . Freilich gab es auch im Ausland Forderungen nach bildungsplanerischen Ansätzen gegen „the attempt on the part of the universities themselves to increase their enrolments […] out of a lusty spirit of competition“; Kotschnig (1937), S . 83 . Die deutsche Kontingentierung diente jedoch nur sehr selten als Vorbild, sondern wurde zumeist abgelehnt . 210 Bis 1935 hatten die Länder eigene Immatrikulationsbedingungen aufgestellt . Preußen etwa forderte von seinen Hochschulen, dass die „Bewährung im Geländesport […] volle Berücksichtigung“ findet; Streit (1934), S . 12 . 211 So im Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen; zit . nach: Chroust (1994), S . 54 . 212 Das Studentenwerk errechnete daraus einen Einnahmeausfall in Höhe von 47 .000 RM; vgl . Böhm (1995), S . 211–212 . 213 Vgl . die Jahrgänge der amtlichen Deutschen Hochschulstatistik . 214 Vgl . Titze (1995), S . 30 . 207 208 209

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den Rand der Existenz“ .215 Die Klagen der kleinen Hochschulen, die auch den Reichsarbeitsdienst und die Wiedereinführung der Wehrpflicht für ihre Misere verantwortlich machten, waren bis nach Berlin zu hören .216 Nicht minder lautstark war jedoch der Protest der großen Universitäten, deren „Führer-Rektoren“ gegenüber dem Reichserziehungsministerium durchsetzen konnten, dass bereits immatrikulierte Studenten auf den Hochschulen verbleiben durften und sie als Härteausgleich bisweilen mehr Studieninteressenten aufnehmen durften, als die offiziellen Kontingente zuließen .217 Darüber hinaus konnten sich die Universitäten zusätzliche Studentenkontingente „erkaufen“ .218 Die 1937 von den Rektoren der Großstadtuniversitäten aufgestellte Forderungen nach einer Beendigung der Kontingentierung, die ein erneutes Wachstum ermöglichen sollte, stießen hingegen im REM auf taube Ohren . 1938/39 wurde vielmehr zur besonderen Förderung der kleinen Universitäten und des akademischen Nachwuchses im Allgemeinen ein sogenanntes Langemarck-Programm eingeführt, das „begabte junge Männer [!] aus allen Schichten des Volkes“ zu Vorstudien nach Königsberg und Heidelberg sowie später auch nach Rostock, Jena, Halle und Dresden führen sollte .219 Die Auswirkungen des „Langemarck-Studiums“ auf die Hochschulfrequenz waren allerdings kaum spürbar, obwohl letztlich auch Frauen zugelassen wurden . Auch in Bezug auf das Frauenstudium scheiterten im Übrigen die staatlichen Lenkungsversuche . Trotz intensiver Propaganda gegen das Frauenstudium und die Kontingentierungen, die Frauen von den Universitäten fernhalten sollten, sank der Anteil weiblicher Universitätsstudenten nur von 18,7 Prozent (1931) auf 14,2 Prozent (1939), um nach Kriegsausbruch auf bis zu 46,7 Prozent zu steigen .220 In Anbetracht des Akademikermangels änderte auch das Reichserziehungsministerium seine Haltung . Bereits ab Mitte der 1930er Jahre wurden Frauen sogar dezidiert dazu ermuntert, ein Hochschulstudium aufzunehmen .221 Freilich führte der stärkste Einbruch in der Hochschulfrequenz seit dem 18 . Jahrhundert dazu, dass sich der interuniversitäre Wettbewerb um Studenten verschärfte, zumal

Das kleine Gießen etwa verlor rund 85 Prozent seiner Studenten, während die großen Universitäten nur einen Frequenzrückgang von max . 50 Prozent zu verzeichnen hatten; vgl . Heiber (1992), S . 194; John/ Stutz (2009), S . 441 . 216 Vgl . Sommer (1939), unpag . 217 Die Ludwig-Maximilians-Universität München erstritt sich beispielsweise ein Zusatzkontingent von zunächst 150, später sogar 250 Studenten und bat wiederholt und oftmals erfolgreich um Sondererlaubnisse, auch über diese neuen Höchstzahlen hinaus Immatrikulationen vornehmen zu dürfen; vgl . BayHStA MK 40628 . 218 So bekam die Universität Frankfurt für die Zahlung von 100 000 RM als „Gegenleistung [des Reichs; F . W .] die Erhöhung der Studentenzahl auf 2000“ genehmigt; Zitat des Ministerialrats Paul Klingelhöfer; zit . nach Hammerstein (1989), S . 304 . 219 Zit . nach: John/Stutz (2009), S . 441 . 220 Vgl . John/Stutz (2009), S . 442 und Grüttner (2012), S . 284 . 221 Vgl . Umlauf (2016), S . 618 . 215

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die Zahl der Studienanfänger sogar auf mehreren der größten deutschen Universitäten hinter den vom REM vorgegebenen Maxima zurückblieb . Für die Großstadtuniversitäten bot sich vor allem die Anwerbung von Ausländern an, da die Bestimmungen des Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen auf diese Personengruppe keine Anwendung fanden, obwohl es freilich aus Sicht der neuen politischen Machthaber (wie sich der badische Kultusminister 1934 auszudrücken beliebte) „eine erhebliche Anzahl von kulturpolitischen Ausländern“ gab, „die sich im neuen Deutschland nicht wohl fühlen und auch nicht wohl fühlen sollen“ .222 Dazu gehörten in erster Linie jüdische Studenten, die in den offiziellen Hochschulstatistiken separat aufgeführt wurden und, im Unterschied zu inländischen Juden, statt durch eine offizielle Begrenzung der ihnen verfügbaren Studienplätze mittels „kalter Maßnahmen“, also etwa durch die Verweigerung von Stipendien, von den Universitäten ferngehalten wurden .223 Nach einem deutlichen Rückgang des Ausländerstudiums, ausgelöst durch den internationalen Ansehensverlust Deutschlands in Folge des staatlichen Terrors gegen Juden und Andersdenkende sowie die Weltwirtschaftskrise, nahm die Zahl ausländischer Studenten aufgrund intensiver Bemühungen der Reichsregierung, des DAAD und der einzelnen Universitäten ab Mitte der 1930er Jahre wieder merklich zu . Adolf Morsbach, der Geschäftsführer des DAAD und offener Kritiker der NS-Wissenschaftspolitik, versuchte bereits 1933 einen Exodus ausländischer Studenten abzuwenden, indem er versicherte, dass der Nationalsozialismus im Unterschied zum Bolschewismus nicht missionarisch auftrete und ein Studium in Deutschland folglich ohne politische Indoktrination absolviert werden könne .224 Derartige Bemühungen zeitigten zumindest einen bescheidenen Erfolg . Zwar sank die Zahl ausländischer Studenten zwischen 1933 und 1936 um mehr als ein Viertel, blieb damit jedoch im Vergleich zur zeitgleichen Entwicklung unter reichsdeutschen Studenten (minus 42,2 Prozent) verhältnismäßig stabil . Dazu trugen ferner die zahlreichen Werbemaßnahmen bei, in denen das Jahr 1933 und seine Folgen geflissentlich übergangen oder zumindest nicht als Zäsur dargestellt wurden, um Ängste zu zerstreuen und der vermeintlichen ausländischen „Propagandalüge“ zu begegnen, die Universitäten seien „ein besonders rücksichtslos geknechtetes Opfer des Nationalsozialismus“ .225 Die Zeitschrift des DAAD behauptete zum Beispiel von der Universität München, sie sei nach der sogenannten Machtergreifung lediglich „in ein weiteres Entwicklungsstadium eingetreten, ohne

Zit . nach: Impekoven (2013), S . 164 . Für (als solche definierte) Juden aus dem Deutschen Reich galt, dass ihr Anteil unter den Studenten die 1,5-Prozent-Marke nicht überschreiten durfte . 224 Vgl . Morsbach (1933) . 225 Wacker (1938), S . 96 . Dadurch unterscheiden sie sich von Veröffentlichungen über den primären und sekundären Bildungsbereich, in denen der Regierungsantritt Hitlers zumeist als Wendepunkt beschrieben wird; vgl . dazu beispielsweise die vom DAAD vertriebene Broschüre von Graefe/Wilhelm (21937) . 222 223

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einen gewaltsamen Riß von der Vergangenheit zu erleiden“ .226 Um die Attraktivität eines Hochschulstudiums in Deutschland zu erhöhen, setzte der DAAD eine Absenkung der Beförderungsentgelte für ausländische Studenten bei Lufthansa und Reichsbahn durch, während das REM mit gleicher Zielsetzung die Bedingungen für einen Studiengebührenerlass herabsetzte .227 Mitte 1938 konnte der DAAD schließlich eine eigene Geschäftsstelle in New York eröffnen, die als „German University Service“ für ein Studium im Deutschen Reich warb . Aufgrund von (vermutlich berechtigten) Spionagevorwürfen geriet die in „German Student Exchange Agency“ umbenannte Einrichtung allerdings rasch ins Visier des FBI und musste auf Druck des amerikanischen Außenministeriums schon im Januar 1939 wieder aufgelöst werden .228 Einen Ersatz bot bis zu einem gewissen Grade die „Vereinigung Carl Schurz“ . Diese Organisation, die 1926 als linksliberal ausgerichtete Gesellschaft gegründet worden war, unterhielt noch wenige Monate vor der deutschen Kriegserklärung an die USA eine Niederlassung in New York und organisierte Schüler- und Studentenaustausche .229 Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs reagierten die Universitäten, unterstützt durch das Auswärtige Amt, mit einer Reihe weiterer Werbeschriften, die dem Leser versicherten, dass in Deutschland trotz des Kriegsausbruchs „Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ herrschten . Sie stellten die „vielen Vorteile, die alle ausländischen Studenten genießen“, ausführlich vor .230 In der Publikation München ruft! aus dem Jahr 1940 berichteten beispielsweise Ausländer über ihre (freilich nur positiven) Erfahrungen an der Ludwig-Maximilians-Universität . Selbst in einer Großstadt wie München sei „außer dem kleinen Papierkrieg mit Lebensmittelmarken und der etwas unangenehmen Verdunkelung […] nicht allzuviel vom Krieg zu merken“, hieß es etwa im Bericht eines US-Amerikaners .231 Sorglos und unbeschwert sollte das Studentenleben an der Isar erscheinen . So wollte dem japanischen Studenten Takuiti Nomura nur eines an der „Hauptstadt der Bewegung“ nicht recht gefallen, nämlich „der derbe Mißklang ‚gäe‘, ohne den die Münchener keinen Satz enden lassen“ .232 Optisch fällt an dergleichen Werbematerial auf, dass die Universitäten und ihr Studienangebot nur eine untergeordnete Rolle spielten . Hochglanzfotos von Ausflugszielen und die Aufzählung sportlicher Betätigungsmöglichkeiten standen stattdessen im Vordergrund .233 Im Unterschied zur auswärtigen Kulturpolitik des Kaiserreichs, das nach Kriegsbeginn seine Bemühungen um ausländische Studenten weitgehend eingestellt hatte, unter-

Paul (1935), S . 27 . Vgl . Impekoven (2013), S . 167–168 . Vgl . Füssl (2004), S . 103 . Vgl . Füssl (2004), S . 97 . Außenamt der Gaustudentenführung München-Oberbayern / Deutsche Akademische Auslandsstelle München (1940), S . 7 . 231 Muller (1940), S . 20 . 232 Nomura (1940), S . 22 . 233 Vgl . etwa Technische Hochschule Braunschweig (1937) . 226 227 228 229 230

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stützte die Reichsregierung die Attrahierungsversuche der deutschen Universitäten auch nach 1939, zumindest sofern es sich um politisch genehme Ausländer handelte .234 Das Reichserziehungsministerium verkündete vielmehr nach Beginn des Polenfeldzugs „im Einvernehmen mit dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, dem Auswärtigen Amt und dem Oberkommando der Wehrmacht“, dass es „aus außenpolitischen Gründen dringend erwünscht sei, den in Deutschland verbliebenen Ausländern weiterhin Gelegenheit zum Studium zu geben“ .235 Als Privatreisende getarnte Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wurden zudem in verbündeten Staaten wie Ungarn, Bulgarien und Rumänien aktiv, um Kulturabkommen vorzubereiten, die diese Länder noch stärker an das Deutsche Reich binden sollten .236 Die vertragliche Vereinbarung von Studenten- und Professorenaustauschprogrammen war zumeist ein Bestandteil derartiger Abkommen, keineswegs jedoch deren Kern, da „Kulturwerbung“ nicht mehr als „das Vorrecht und die Aufgabe der akademisch Gebildeten und Studierten“ angesehen wurde, wie die deutsche Gesandtschaft in Sofia in bewusster Abgrenzung zur auswärtigen Kulturpolitik des Kaiserreichs feststellte .237 Trotz der Angst vor Spionen und einer „Überfremdung“ Deutschlands wurden die Bemühungen um ausländische Studenten (und Wissenschaftler) bis kurz vor Kriegsende fortgesetzt . Der prozentuale Anteil nichtdeutscher Studenten und Hochschulassistenten nahm daher während des Zweiten Weltkriegs beträchtlich zu und machte ihre Anwesenheit für die Aufrechterhaltung des Universitätsbetriebs spätestens ab 1943 unerlässlich .238 Die Universitäten warben freilich nicht nur um ausländische, sondern ebenso um deutsche Studenten . Mit Unterstützung des Reiches, dem an einer Stärkung der deutschen Ostgebiete gelegen war, führten insbesondere die Universitäten Königsberg und Breslau sowie die Technische Hochschule Danzig einen offensiven Werbefeldzug, der unter anderem aus Informationsbroschüren, Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften und Kulturfilmen für die Kinos bestand . „Der Werbefilm ‚Ostpreußen‘ hat vielen die Furcht vor dem ‚sibirischen Osten‘ […] genommen“, hieß es etwa in Ernst Kriecks Zeitschrift Volk im Werden, und habe „im Verein mit der regen Propagandatätigkeit der Hochschulen in Königsberg und Danzig manchen Studenten aus dem Reich zum Sommer ins nordöstlichste Deutschland gelockt“ .239 Anknüpfend an ein Programm aus der Weimarer Republik, wurde 1933/34 zudem eine „Ostsemester“-Kampagne gestartet, die Studenten mit Fahrpreisermäßigungen und Ausflugsprogrammen nach Ostdeutschland locken sollte, nachdem ein „Pflichtostsemester“ für sämtliche deutschen Im Übrigen verloren die deutschen Universitäten durch die auswärtige Kulturpolitik des NS-Staates einen Teil ihrer deutschstämmigen Studenten, da das „Dritte Reich“ Staatsbürger zum Zwecke der „Eindeutschung“ auf ausländische Universitäten schickte; vgl . Blank (1991), S . 60 . 235 Zit . nach: Impekoven (2008), S . 169 . 236 Barbian (1992), S . 427 . 237 Zit . nach: Barbian (1992), S . 428 . 238 Vgl . Hachtmann (2007b), S . 998 . 239 „Student im Osten“, in: Volk im Werden 1 (1933/34), Heft 4: 66–68, S . 66–67 . 234

Der interuniversitäre Wettbewerb um Studenten im „Dritten Reich“

Studenten verworfen worden war .240 Im Februar 1936 wurde die Kampagne dahingehend ergänzt, dass alle Studenten, die mindestens zwei Semester auf einer der Ost-Universitäten studierten, dieselben Vorrechte erhielten wie sogenannte alte Kämpfer der NSDAP .241 Tatsächlich war Königsberg im Wintersemester 1933/34 die einzige deutsche Universität, die gegen den Trend ein (wenn auch bescheidenes) Frequenzplus verbuchen konnte, was in der amtlichen Deutschen Hochschulstatistik sogleich als „Erfolg der Propaganda für das Ostsemester“ gewertet wurde .242 In Königsberg hatte sich der „Aktionsradius der Hochschule“ erheblich erweitert, was die Statistiker an der veränderten Zusammensetzung ihres Studentenkörpers ablesen konnten:243 Der Anteil an Studierenden, die nicht aus der Provinz Ostpreußen stammten, hatte beträchtlich zugenommen . In Breslau, wo die „weite, scheinbar reizlose schlesische Tiefebenenlandschaft“ sowie die „wenig in die Augen springenden architektonischen Schönheiten“ der Oderstadt für die geringe Anziehungskraft der Universität verantwortlich gemacht wurden, konnte hingegen kein nennenswerter Erfolg der Ostpropaganda festgestellt werden .244 Nach Ansicht des Breslauer Rektors Gustav Adolf Walz war der Zuzug westund mitteldeutscher Studenten aber auch für seine Universität dringend erforderlich, „um das geistige Niveau und die wirtschaftliche Lage zu bessern“ .245 Heinrich Lange, Ordinarius für Zivilrecht an der Universität Breslau, forderte daher in einem im Sommer 1934 verfassten Gutachten „einen großzügigen Ausbau ihrer Übungs- und Forschungsstätten“, damit die schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität „im gleichen Maße wie Königsberg […] Studenten anziehen“ könne .246 Der Historiker Thomas Ditt schlussfolgert aus diesem Verweis auf Königsberg, dass die Albertina „nicht so sehr Verbündete, sondern eher Konkurrentin im Wettlauf um Anerkennung und Fördermittel“ gewesen sei .247 Im Frühjahr 1935, als sich die Lage der Universität Breslau noch immer nicht wesentlich verbessert hatte, forderte ihr starker „Führer-Rektor“ Walz die stattliche Summe von zehn Millionen Reichsmark, um eine neue Bibliothek und weitere Universitätsgebäude errichten zu können . Darüber hinaus strebte er eine Verlegung der Marburger „Deutschen Burse“ an die Oder an .248 Diese Maßnahmen sollten seine Alma Mater von „einer lokalen östlichen ProvinzuniVgl . Ditt (2011), S . 77 . Erlaß des Reichswissenschaftsministeriums vom 26 . Februar 1936; abgedr . in: Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 2 (1936), S . 136 . 242 Deutsche Hochschulstatistik 13 (1935), S . 16 . Im Vergleich zum Wintersemester 1932/33 nahm die Zahl der Studenten um 0,31 Prozent zu (also um eine einstellige Zahl); vgl . Deutsche Hochschulstatistik 12 (1934), S . 20 243 Deutsche Hochschulstatistik 13 (1935), S . 13 . 244 Undatiertes Exposé (wohl 1937); z . T . abgedr . in: Ditt (2011), S . 56 . 245 Rektoratsbericht vom 25 .3 .1933; zit . nach: Ditt (2011), S . 56 . 246 Gutachten Heinrich Langes vom 3 .7 .1934; zit . nach: Ditt (2011), S . 72 . 247 Ditt (2011), S . 72 . 248 Bei der „Deutschen Burse“ handelte es sich um ein Studentenwohnheim und Begegnungszentrum für Reichs- und Auslandsdeutsche . 240 241

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versität zum Rang einer deutschen Reichsuniversität“ erheben .249 Dabei kam es Walz, wie Ditt herausstreicht, nicht so sehr auf einen quantitativen Zuwachs als vielmehr auf das „Heranziehen der besten studentischen Kräfte“ an, obwohl gewiss auch Ersteres im Interesse der Universität lag .250 Als einzige Großstadtuniversität wurde Breslau vom Reichserziehungsministerium im Übrigen keiner Studienplatzbeschränkung unterworfen, was wohl nicht nur auf die politische Förderung des deutschen Ostens, sondern auch darauf zurückgeführt werden kann, dass in Berlin ohnehin von einer schwachen Frequentierung ausgegangen wurde . Zwar sank die Zahl Breslauer Studenten zwischen 1933 und 1935 um vergleichsweise niedrige 19 Prozent, von einem durchschlagenden Erfolg der staatlichen (und universitären) Lenkungsversuche kann angesichts dessen jedoch kaum gesprochen werden . Die besondere staatliche Förderung der relativ schwach besuchten Universitäten nahe der deutschen Ostgrenze sollte ferner durch die Verleihung des Titels „Grenzlanduniversität“ zum Ausdruck gebracht werden, um den sich jedoch grundsätzlich alle Universitäten des Deutschen Reiches bewerben konnten . Die vermeintliche Auszeichnung erschien den deutschen Rektoren als derart begehrenswert, dass sich sogar Universitäten fernab der Staatsgrenzen (wie etwa Greifswald oder Halle an der Saale) bewarben .251 Wem der neue Staat diesen Ehrentitel verleihe, der werde wohl nicht mehr um seinen Bestand bangen müssen und in den Augen der Studenten besonders attraktiv erscheinen, scheint eine weitverbreitete Annahme gewesen zu sein .252 Ein intensiver Wettbewerb der Universitäten um den Titel Grenzlanduniversität als Prämie begann . Das Reichserziehungsministerium wurde als „Dritter“ dieser Konkurrenzkonstellation umworben und von den Rektoren mit Argumenten versorgt, die für die Verleihung der Prämie an deren jeweilige Hochschule sprachen . Das Ministerium, das von den Folgen des ausgelobten Wettbewerbs selbst überrascht gewesen zu sein scheint und ihn rasch einzudämmen versuchte, lehnte einen Großteil der Bewerbungen ab, um eine Entwertung des Prädikats zu verhindern, die freilich unausweichlich geworden wäre, wenn sich nur mehr „einzelne in der Mitte des Reiches gelegene Hochschulen“ nicht als Grenzlanduniversitäten hätten bezeichnen dürfen .253 Die Universität Kiel, die mit Rostock und Greifswald um den Titel „Norduniversität“ konkurrierte, konnte in diesem Zusammenhang davon profitieren, dass im Oktober 1934 mit dem Juristen Karl August Eckhardt einer ihrer Professoren als Referent ins Reichserziehungsministerium gewechselt war . Eckhardt prägte dort den Begriff „Stoßtruppfakultät“, der den rechtswissenschaftlichen Fakultäten Breslaus, Königsbergs und – seiner

Zit . nach: Ditt (2011), S . 73 . Rektoratsbericht vom 25 .3 .1935; abgedr . in: Ditt (2011), S . 56 . Laut dem stv . Reichsstudentenführer bewarben sich alle Universitäten, „die nur irgend etwas mit Grenze zu tun“ hatten; zit . nach: Ditt (2011), S . 74 . 252 Vgl . u . a . Speck (1993), S . 151 . 253 So der Greifswalder Mediziner Karl Reschke; zit . nach Heiber (1994), S . 374 . 249 250 251

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alten Alma Mater in Kiel verliehen wurde .254 Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Kieler Hochschullehrerkollegium blieb Eckhardt der Christian-Albrechts-Universität eng verbunden und setzte sich für sie ein . Von der besonderen Eignung seiner ehemaligen Wirkungsstätte als Grenzlanduniversität war Eckhardt derart überzeugt, dass er es als „Hohn auf die politische und wissenschaftliche Vernunft“ bezeichnete, „wollte man die große nordische Aufgabe der Rostocker Universität anvertrauen“ .255 Dies wurde in Rostock freilich anders gesehen . Dort betonten die Professoren, dass die benachbarte Universität Kiel aufgrund ihrer Lage in (dem zwischen Dänemark und Deutschland umstrittenen) Schleswig kaum nach Skandinavien ausstrahlen könne, während Rostock mit den Universitäten Schwedens, Norwegens und Dänemarks bestens vernetzt sei .256 Theodor Vahlen, Leiter des Amtes Wissenschaft im REM, appellierte daraufhin erfolglos an die beiden norddeutschen Universitäten, ihren Aufgaben „ohne Eifersüchteleien“ nachzugehen . Um „Doppelarbeit oder Gegenarbeit“ der Universitäten zu verhindern, beauftragte er seine Untergebenen sogar mit der Ausarbeitung eines Planes, in dem zwei unterschiedliche Forschungsaufträge für Kiel und Rostock umrissen werden sollten, um eine Konkurrenz zwischen den beiden Ostseeuniversitäten zu vermeiden .257 Im Westen des Reiches, vor allem in Baden, fühlte man sich von Eckhardts Entscheidung ebenfalls düpiert . Dass Kiel, nicht aber Heidelberg in den Kreis der „Stoßtruppfakultäten“ aufgenommen worden war, erschien dem badischen Kultusminister Otto Wacker unverständlich, wo doch Heidelberg in besonderem Maße der „westischen, liberalistischen Weltanschauung“ entgegentreten müsse .258 Trotz der Versicherung Rusts, „die Juristische Fakultät der Universität Heidelberg als 4 . Stoßtruppfakultät […] auszubauen“, wurde ihr diese vermeintliche Ehrung letztlich nicht zuteil, was sich im Übrigen keineswegs zu ihrem Nachteil auswirkte .259 Die beabsichtigte Frequenzsteigerung blieb nämlich aus;260 ja mehr noch: Grenzlanduniversitäten und „Stoßtruppfakultäten“, die als besonders nationalsozialistisch galten, wurden von den Studenten sogar gemieden .261 Der Stellvertreter von Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel machte dementsprechend darauf aufmerksam, dass derartige staatliche Auszeichnungen aus Sicht der Studenten keineswegs für die „Güte einer Universität“ sprächen, was der Frequenzeinbruch in Kiel beweise, den die

Vgl . Ditt (2011), S . 83–84 . Zit . nach: Heiber (1994), S . 413 . Insbesondere nach 1933 wurden in Schleswig-Holstein und unter der deutschen Minderheit in Dänemark Stimmen laut, die eine Wiederangliederung Nordschleswigs an das Deutsche Reich forderten . 257 Zit . nach: Heiber (1994), S . 414 . 258 Zit . nach: Ditt (2011), S . 120 . 259 Zit . nach: Vézina (1982), S . 108 . 260 Am 9 . Februar 1935 notierte der Dresdner Romanist Victor Klemperer in sein Tagebuch: „Neulich Anordnung, nein ‚Rat‘ des Reichsministeriums an die Jurastudenten[, an den Stoßtruppfakultäten (…)] zu studieren“; Klemperer (1997), S . 181 . 261 Vgl . Ditt (2011), S . 122 . 254 255 256

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Christian-Albrechts-Universität unmittelbar nach Verleihung des Titels „Grenzlandhochschule“ zu verzeichnen hatte .262 Der Erziehungswissenschaftler Ernst Krieck leitete daraus sogar die Regel ab: „Je mehr eine Universität den nationalsozialistischen Charakter herausstellen wird, desto weniger Studenten wird sie haben“ .263 Folgerichtig bezeichneten sich die drei „Stoßtruppfakultäten“ ab Ende der 1930er Jahre nicht mehr als solche, nachdem ihr Wortschöpfer Karl August Eckhardt schon im Frühjahr 1936 nach „einigen Intrigen“ das Reichserziehungsministerium verlassen hatte, womit im Übrigen auch ihre besondere staatliche Förderung zu einem Ende gelangte .264 Der Kieler Rektor Paul Ritterbusch gestand schließlich in einer Festschrift aus dem Kriegsjahr 1940 unumwunden ein, dass „der Name ‚Stoßtruppfakultäten‘ nicht gerade glücklich gewählt“ worden war und sie samt des ihnen zugrunde liegenden Konzepts als gescheitertes „Experiment“ aus den „Jahren gärender Entwicklung“ betrachtet werden mussten .265 Bereits mehrere Monate zuvor hatte Ritterbusch in einer vertraulichen Mitteilung ernste Sorgen über „die weitere Existenz und die Lebensmöglichkeiten unserer Universität“ geäußert, was selbst im fernen Freiburg registriert wurde, das bereits „die hiesigen Dozenten verhökert[e]“, wie die Kieler erbost dem Reichserziehungsminister mitteilten, und die Studenten vor einen Wechsel an die Universität Kiel warnte, die demnächst geschlossen würde .266 Dies musste angesichts von nur noch 86 Studentinnen und Studenten, die die Universität 1941 besuchten, durchaus glaubwürdig erscheinen . Die Aufnahmebedingungen wurden dementsprechend de facto heruntergesetzt, wovon Frauen sowie Studenten profitierten, die auf anderen Universitäten zwangsexmatrikuliert worden waren oder aus politischen Gründen nicht studieren durften . Die kleine Universität Marburg, die wie Kiel zeitweise um jeden einzelnen Studenten kämpfen musste, ignorierte sogar mehrere Ermahnungen aus dem Reichserziehungsministerium, das es als völlig inakzeptabel bezeichnete, „daß sie eine so hohe Zahl […] relegierter Studenten bzw . Störenfriede aufgenommen hat“ .267 Auch Maßnahmen gegen sogenannte Drückeberger, die ein Medizinstudium begannen, um der drohenden Einziehung zur Wehrmacht zu entgehen, lehnte Marburgs Rektor Theodor Mayer aus Angst vor einem Frequenzrückgang entschieden ab . „Eine solche Aktion“, erklärte er gegenüber Gauleiter Weinrich, hätte nur die eine Folge, dass die Studenten […] im nächsten Semester an eine andere Universität gingen, und Marburg durch übertriebene Darstellungen in einen schlechten Ruf

Zit . nach: Heiber (1994), S . 416 . Zit . nach: Heiber (1994), S . 285 . Ditt (2011), S . 134, 273 . Ritterbusch (1940), S . 454 . Zit . nach: Heiber (1994), S . 421 . Inwieweit es dabei (auch) um den Schutz politisch verfolgter Studenten ging, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben . 262 263 264 265 266 267

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bringen würden . […] Der Sache im allgemeinen wäre nicht genützt . Dazu würde ein gleichmässiges Einschreiten an allen deutschen Universitäten notwendig sein .268

Auch die hohen staatlichen Hürden, die einer Immatrikulation sogenannter „Mischlinge“ entgegenstanden, versuchten die Universitätsrektoren zur Steigerung der Hochschulfrequenz zu umgehen . De jure durften „Mischlinge“ ab 1942 nur noch nach Zustimmung der Parteikanzlei und der Gauleitung studieren . Sogar große Universitäten wie München führten allerdings zahlreiche vorläufige Immatrikulationen durch und baten nicht um eine nachträgliche Genehmigung durch die Parteikanzlei, die bekanntlich sehr restriktiv entschied . Als es zu Auseinandersetzungen mit der Parteikanzlei kam, wandten sich die Rektoren an das Reichserziehungsministerium, das ebenfalls ein Interesse an hohen Studierendenzahlen hatte und Anfang 1943 entschied, dass alle bereits immatrikulierten „Mischlinge“ bis zum Abschluss ihrer Studien auf den Hochschulen verbleiben durften .269 Nach einer Aussage des Marburger Rektors Theodor Mayer erschwerte „der unverkennbare Zug nach der Großstadt“ auch noch 1941 den Gedeih der Kleinstadtuniversitäten . Die im ländlichen Raum gelegenen Universitäten sahen sich daher dazu verpflichtet, (wieder) selbst aktiv zu werden . So versicherte der Marburger Rektor, „daß die Philipps-Universität in dieser Hinsicht nichts versäumt und Pläne auf weite Sicht ausgearbeitet hat […], um […] die Universität der Kleinstadt wettbewerbsfähig zu halten“ . Es reiche für seine Alma Mater keinesfalls aus, nur „jenen Weg [zu] gehen, der ihr befohlen wird“, vielmehr sei sie „auch zu selbständigem Handeln verpflichtet“ und müsse ihre eigenen Interessen verfolgen .270 Die Universität als Dienerin des Volkes und Befehlsempfängerin des „Führers“, wie sie 1933 propagiert worden war, hatte demnach ausgedient . Es könne schließlich nicht sein, so der Marburger Rektor, dass der Staat die Selbstverwaltungsrechte der Universitäten einschränke, sie aber dennoch für Mängel in Forschung und Lehre in die Pflicht nehme: „Man kann nicht der Universität die Verantwortung auflasten, wenn ihr […] nicht die Entscheidung zusteht“, fasste Mayer seine Meinung im veröffentlichten Jahresbericht der Philipps-Universität zusammen .271 Auch die „Führer-Rektoren“ der Universitäten Heidelberg und Freiburg wurden aktiv, nachdem ihnen die (Neu-) Gründung der benachbarten Reichsuniversität Straßburg im Herbst 1941 einen merklichen Frequenzrückgang beschert hatte . Auf einen offenen Wettbewerb mit der bestens ausgestatteten Straßburger Universität konnten

Schreiben des Marburger Rektors Mayer an den Gauleiter (16 .11 .1939); abgedr . in: Nagel (2000): 417–420, S . 419 . 269 Vgl . Schreiber (2006b), S . 327–334 . 270 Mayer (1941), S . 95, 97 . 271 Mayer (1941), S . 98 . Wenige Monate nach dieser Rede wurde Mayer (ohne besonderen Dank, wie es in einem Schreiben des REM heißt) von seinen Aufgaben entbunden . 268

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und wollten sich die Badener nicht einlassen . Der Freiburger Rektor bat vielmehr wiederholt um eine „kleine und unauffällige Hilfe des Reichserziehungsministeriums“ und betonte, dass seine Universität „bisher jede Reklame für sich in der Presse abgelehnt“ habe .272 Offensichtlich nahm er an, dass eine solche Eigenwerbung im REM nur ungern gesehen wurde . Im Januar 1943 trafen schließlich Vertreter der Universitäten Heidelberg, Freiburg und Straßburg im badischen Kultusministerium zusammen, um mit Unterstützung der Staatsbeamten fest umrissene Einzugsgebiete für die drei Hochschulen zu bestimmen . Auf einer noch heute erhaltenen Landkarte wurde zu diesem Zweck das gesamte elsässisch-badische Grenzgebiet mit kräftigen Strichen in drei Areale unterteilt, innerhalb derer jeweils eine der Universitäten eine Monopolstellung auf dem „Studentenmarkt“ einnehmen sollte .273 Außerdem bekamen Alumniorganisationen, insbesondere für kleinere Universitäten, eine wachsende Bedeutung, da sie, wie zum Beispiel die „Gesellschaft der Freunde der Universität Jena“, intensiv für die Hochschulen zu werben begannen . Hinzu kamen Hochschulveranstaltungen wie etwa Tage der offenen Tür und populärwissenschaftliche Vorträge für die Allgemeinheit, die die Bevölkerung über die Studienangebote der Universitäten informieren und ihren schlechten Ruf in der Gesellschaft aufpolieren sollten . Dabei wandten sich die Hochschulen an alle Schichten des Volkes und stellten keineswegs das Bildungsbürgertum ins Zentrum . Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang die 1 . Deutsche Hochschulwoche, die von 21 . bis 26 . November 1938 in Berlin stattfand und den Hochschulen eine hervorragende Möglichkeit zur Selbstdarstellung bescherte .274 Kleinere Universitäten mussten freilich befürchten, dass sich ihre Präsentationen gegenüber jenen der finanzstarken und in ihrem Lehrangebot breitgefächerten Großuniversitäten nur bescheiden ausnehmen würden, und plädierten daher im Vorfeld für einen gemeinsamen Auftritt der deutschen Universitäten, um die Attraktivität der Hochschulen im Allgemeinen herauszustreichen . So warnte der Marburger Rektor Leopold Zimmerl in der Planungsphase davor, „dass die einzelnen Hochschulen die Veranstaltung zu einer marktschreierischen Reklame für sich missbrauchen“ könnten . Damit die Deutsche Hochschulwoche ein Erfolg werde, müsse das Reichserziehungsministerium dafür Sorge tragen, dass jede einzelne Universität „als Repräsentant der gesamten deutschen Hochschulen“ auftrete und „nicht als Konkurrenzunternehmen gegenüber den Nachbarhochschulen“ .275 Diese Überlegung wurde im Reichserziehungsministerium und von den federführenden Berliner Hochschulen aufgegriffen, die zudem gemeinsam

Zit . nach: Speck (1993), S . 163 . Vgl . Hausmann (2010), S . 214 . Als Vorbild diente die öffentlichen Volks- und Ausstellungstage an der Universität Tokio; vgl . Tenorth (2012a), S . 460 . 275 Rektor Zimmerl an das REM über das Projekt der ‚Deutschen Hochschulwoche‘ (31 .8 .1937); abgedr . in: Nagel (2000): 316–319, S . 318–319 . 272 273 274

Der interuniversitäre Wettbewerb um Studenten im „Dritten Reich“

durchsetzen konnten, dass „die Durchführung nicht anderen Stellen überlassen“ werden musste, sondern ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der Hochschulen verblieb .276 Offenkundig wollten die Rektoren und das Rust-Ministerium vermeiden, dass sich die NSDAP respektive ihre Parteiorganisationen an der Veranstaltung beteiligten und sie zu eigenen Zwecken instrumentalisierten . Ebenso sollte ein Wettbewerb der Hochschulen um die Gunst des Publikums unterbunden werden . So traten die Hochschulen – wie es der Marburger Rektor gefordert hatte – als Gemeinschaft auf, um ihr gesunkenes Ansehen in der Bevölkerung wieder zu heben und in der Konkurrenz mit der Industrie um Abiturienten und Akademiker aufzuschließen . Die Berliner Hochschulwoche wurde schließlich zu dem erhofften großen Erfolg: Die 20 .000 verausgabten Programmhefte waren so schnell vergriffen, dass sie bereits nach wenigen Tagen in gleicher Zahl nachgedruckt werden mussten, und die mehr als 100 Vorträge und Führungen zogen viele Berliner und Touristen an .277 Daher sollte die Hochschulwoche im Folgejahr wiederholt werden, was jedoch aufgrund des Kriegsausbruchs unterbleiben musste . Letztlich waren es aber nicht die Hochschulwoche und vergleichbare Werbemaßnahmen, sondern kriegsbedingte Hochschulschließungen, die Verlegung ganzer Institute und die hohe Bombengefahr in Großstädten, die ab 1943/44 zu einer Umverteilung der Studenten auf die Kleinstadtuniversitäten führten, die nach Jahren schwacher Frequenz mit einem Male vor Kapazitätsengpässen standen . Reichserziehungsminister Rust, der die staatlichen Steuerungsversuche aufgegeben hatte, wies die Rektoren kurzerhand an, nach eigenem Ermessen Höchstzahlen für ihre Universitäten festzulegen und gegebenenfalls einen Immatrikulationsstopp auszusprechen .278 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die behördliche Bildungsplanung, mittels derer der NS-Staat die Zahl der Universitätsstudenten dem Bedarf der Wirtschaft an Akademikern und den vorhandenen Kapazitäten auf den einzelnen Universitäten anzupassen versuchte, schon wenige Monate nach der „Machtergreifung“ zu einem dramatischen Einbruch der Hochschulfrequenz führte, wodurch die Studenten zu einer besonders knappen und begehrten Prämie interuniversitären Wettbewerbs wurden . Bereits in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre galten die bildungsplanerischen Maßnahmen nicht nur an den Universitäten, sondern ebenso im Reichserziehungsministerium als gescheitert, da nun statt eines Überangebots ein Mangel an Akademikern konstatiert werden musste und die erhoffte Stärkung der Kleinstadt- und „Ost“-Universitäten ausblieb . Deshalb erweiterte das Ministerium den Handlungsspielraum der Universitäten und begann von Detailsteuerungen Abstand zu nehmen, ohne freilich

So auf der Rektorenkonferenz 1938; zit . nach: Nagel (2012a), S . 460 . Bei den Berliner Hochschulen handelte es sich um die Friedrich-Wilhelms-Universität, die Technische Hochschule, die Wirtschaftshochschule sowie Hochschule für Politik . 277 Vgl . Nagel (2012a), S . 460 . 278 Vgl . Chroust (1994), S . 191 . 276

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auf seine Einflussmöglichkeiten zu verzichten . Die „Führer-Rektoren“ wiederum versuchten, durch Werbemaßnahmen Studenten anzuziehen, und umgingen bisweilen die Vorschriften aus den Ministerien beziehungsweise aus der NSDAP, um Immatrikulationen vornehmen zu können und sich nicht der Gefahr einer Hochschulschließung auszusetzen . Weder die staatliche Bildungsplanung noch die Werbung von und für die kleinen Universitäten bewirkte jedoch eine nennenswerte Umverteilung der Studenten unter den Hochschulen . Erst die alliierten Luftangriffe auf deutsche Metropolen führten ab 1943 zu einer Abwanderung zahlreicher Studierender an die weniger gefährdeten Kleinstadtuniversitäten .

V.

„Hochschulpolitischer Keynesianismus“ Bildungsplanung und Wettbewerb in der Bundesrepublik während der „langen“ 1960er Jahre

V.1

Staatlicher Dirigismus und Wettbewerbsmechanismen

Europa ist heute von den überaus aktiven Vertretern eines neuen Berufs geradezu überlaufen, den Talent- beziehungsweise Geniejägern . In den großen Universitätsstädten, an den Portalen der Technischen Institute wie in den Korridoren der Akademien […] sind sie zur Stelle, pflücken sich die jungen Ingenieure heraus, nehmen die schulische Laufbahn des wissenschaftlichen Nachwuchses unter die Lupe und treffen ihre Wahl .1

Eine diffuse Angst vor amerikanischen Headhuntern griff in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik um sich, nachdem Statistiken internationaler Organisationen wie der OECD, des Europarates und des NATO-Wissenschaftsausschusses sowie nationale Datenerhebungen einen erheblichen Braindrain aus Westeuropa in Richtung der Vereinigten Staaten offengelegt hatten .2 In der weit über den Kreis von Bildungsforschern und Politikern hinaus geführten Diskussion über die Bewertung des verfügbaren Zahlenmaterials herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die Abwanderung hochqualifizierter Wissenschaftler in die USA, die bislang als wichtigster Verbündeter im „Kalten Krieg der Hörsäle“, kaum jedoch als Konkurrent auf wissenschaftlichem Gebiet betrachtet worden waren, den deutschen Hochschulen bereits erheblichen Schaden zugefügt habe .3 Dies sei ein Schaden, so die Vertreter der jungen volkswirtBar-Zohar (1966), S . 290 . Vgl . u . a . OECD (1965) . „Braindrain“ war eine Begrifflichkeit, die in der Folgezeit so häufig zitiert wurde, dass sie als früher Anglizismus rasch in die deutsche Sprache aufgenommen wurde . 3 Nicht nur in Parlamenten und wissenschaftlichen Veröffentlichungen wurde das Thema aufgegriffen, sondern vielfach auch in Leserbriefen in Tageszeitungen und – wie etwa im November 1963 in der von Kurt Zimmermann moderierten Sendung Können wir uns das erlauben? – im Fernsehen . Nach Angaben der Ständigen Kultusministerkonferenz verließen allein zwischen 1956 und 1961 mehr als 2100 Naturwissenschaftler 1 2

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„Hochschulpolitischer Keynesianismus“

schaftlichen Disziplin der Bildungsökonomie, der weit über das Hochschulwesen hinaus gehe .4 Schließlich sei die Gewinnung von Spitzenwissenschaftlern keineswegs nur für die Universitäten von Nutzen, sondern könne im internationalen „wirtschaftlichen und politischen Konkurrenzkampf entscheidende Vorteile sichern und unter Umständen für Wohlstand und Existenz eines Staates von größter Bedeutung sein“ .5 Die Deutschen müssten einsehen, hieß es in einer von der Stiftung Volkswagenwerk in Auftrag gegebenen Studie zur Abwanderungsthematik, daß die Abwerbung oder vielleicht besser die Anwerbung qualifizierter Personen offenbar zu den gebräuchlichen, allseits praktizierten, wenn auch von den Geschädigten wenig estimierten Methoden der Personalwerbung in Ländern mit liberalen Wirtschaftssystemen und garantierter Freizügigkeit gehört .6

Diese Erkenntnis setzte sich jedoch nur allmählich gegen die weit verbreitete Ansicht durch, wonach es sich bei den Anwerbeversuchen um eine illegitime Vorgehensweise der ehemaligen Besatzungsmacht USA handle, die nur aufgrund der politischen Situation nach der deutschen Kriegsniederlage hingenommen werden müsse, während nach Amerika auswandernde Wissenschaftler als „Überläufer“ zu betrachten seien .7 Tatsächlich hatten die Siegermächte – insbesondere die USA und die Sowjetunion – nach der Kapitulation Deutschlands 1945 zahlreiche deutsche Spitzenforscher zur Umsiedelung gedrängt oder gezwungen . Dass der moderne, länderübergreifende Wettbewerb um Wissenschaftler jedoch nicht mit den fragwürdigen Aktionen der unmittelbaren Nachkriegszeit zu vergleichen war und nicht nur das im Zweiten Weltkrieg besiegte Deutschland betraf, verdeutlichten nun die internationalen Bildungsvergleichsstatistiken, aus denen hervorging, dass auch Staaten wie Großbritannien und Frankreich von der Abwanderungsproblematik betroffenen waren .8 In der Bundesrepublik, aber auch in anderen westeuropäischen Staaten wurde infolgedessen höchst kontrovers diskutiert, wie dem als neuartige Form der Konkurrenz angesehenen internationalen Wettbewerb um wissenschaftliche Spitzenkräfte, von

und Ingenieure die Bundesrepublik in Richtung der Vereinigten Staaten; vgl . „Bericht über die 100 . Plenarsitzung der Ständigen Konferenz der Kultusminister vom 5 ./6 .3 .1964“, in: Deutsche Universitätszeitung 19 (1964), Heft 4, S . 32–34; Gross (1960), S . 9 . Reinhold Schairer, der Leiter des Deutschen Instituts für Talentstudien, sprach angesichts des Sputnik-Schocks sogar von einer „Mobilmachung der Wissenschaft“; zit . nach: Nicolaysen (2002), S . 196 . 4 Ausführliches zur Bildungsökonomie im Folgenden . 5 Müller-Daehn (1967), S . 14 . 6 Müller-Daehn (1967), S . 15 . 7 Morenz (1968), S . 7 . 8 Vgl . Bower (1987), Herrmann (1999), Mick (2000) und Crim (2018) . Zu den letzten Relikten der Besatzungszeit gehörten die in einigen Fällen erst Mitte der 1960er Jahre geschlossenen „Special Project Team“-Kontaktstellen auf dem Gebiet der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone, die in enger Verbindung zum US-Militär und unter undurchsichtigen Umständen deutsche Wissenschaftler für die USA rekrutierten .

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dem vor allem die technischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten der Hochschulen betroffen waren, zu begegnen sei .9 Abschottungsversuche wie Verbote ausländischer Stellenausschreibungen in Zeitungen und Zeitschriften erwiesen sich dabei als wenig probate Mittel, zumal Untersuchungen ergaben, dass Anwerbeversuche häufig durch private Kontaktaufnahmen eingeleitet wurden, was sich auf gesetzgeberischem Wege freilich nicht verhindern ließ .10 Letztlich mussten sich Universitätsangehörige, Politiker und Bildungsforscher daher eingestehen, dass sich die Bundesrepublik der internationalen Konkurrenz nicht entziehen konnte, sondern ihr Hochschulsystem den neuen, in Folge des zunehmend auf globaler Ebene ausgetragenen Wettbewerbs um hochqualifizierte Wissenschaftler an dasselbe herangetragenen Anforderungen anpassen und selbst aktiv in diesen Wettbewerb eintreten musste, wenn ein weiterer Abfluss von Humankapital verhindern werden sollte .11 1964 wandte sich das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung mit der Bitte an die Stiftung Volkswagenwerk, neben der Betreuung von im Ausland tätigen deutschen Wissenschaftlern, Maßnahmen zu deren Rückgewinnung zu ergreifen .12 Die Bemühungen der Stiftung, die nur über wenig personelle und finanzielle Ressourcen für die Erfüllung dieser neuen Aufgabe verfügte, zeitigten jedoch „nur geringe Teilerfolge“, so dass notwendigerweise eine Antwort auf die Frage nach den Beweggründen gefunden werden musste, die deutsche Wissenschaftler zur Umsiedelung in die Vereinigten Staaten veranlassten und Rückkehrangebote ausschlagen ließen .13 Befragungen ausgewanderter deutscher Wissenschaftler und Rückkehrer ergaben, dass nicht zuletzt pekuniäre Vorteile ein gewichtiges Argument für die Annahme eines Arbeitsangebotes aus den USA darstellten, wohingegen deutsche Professoren bis in die 1950er Jahre hinein vor allem aufgrund der Kriegszerstörungen an ihren Instituten und alliierter Forschungsbeschränkungen nolens volens auf ausländische Hochschulen gewechselt waren .14 Darüber hinaus übte jedoch auch das US-Hochschulsystem eine große Anziehungskraft aus, da es als unbürokratisch sowie praxis- und leistungsorientiert betrachtet wurde, während die hierarchischen Strukturen der deutschen

Vgl . z . B . Servan-Schreiber (1968) und Müller-Daehn (1964) . Vgl . Rohstock (2010), S . 24; Müller-Daehn (1967), S . 14 . Zur Renaissance der Humankapitalidee nach dem Zweiten Weltkrieg vgl . u . a . Kim (1994), S . 23–30 . Vgl . Halcour (1967), S . 194 und Nicolaysen (2002) . Halcour (1967), S . 194 . Vgl . Braun (1997), S . 209 ff . Ab 1966 bot das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung ausgewanderten Wissenschaftlern, deren besondere Qualitäten durch das Gutachten mindestens zweier deutscher Hochschullehrer bestätigt sein mussten, eine Sonderzulage an, die jedoch zurückgezahlt werden musste, „wenn der Wissenschaftler vor Ablauf von drei Jahren seine wissenschaftliche Tätigkeit […] in der Bundesrepublik ohne wichtigen Grund beendet“; „Richtlinien zur Förderung der Rückkehr deutscher Wissenschaftler und wissenschaftlicher Nachwuchskräfte aus dem Ausland vom 4 . Juni 1966“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 14 (1966): 203–205, S . 204 . 9 10 11 12 13 14

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Universität bei vielen jüngeren Professoren als undemokratisch und nicht mehr zeitgemäß galten .15 Solch eine fundamentale Kritik am deutschen Hochschulsystem, wie sie nicht nur von ausgewanderten Wissenschaftlern, sondern ebenso von in der Bundesrepublik studierenden ausländischen Stipendiaten vorgetragen wurde, war nach dem Zweiten Weltkrieg zwar von alliierter, kaum jedoch von deutscher Seite geäußert worden, so dass in den 1940er und 1950er Jahren keine elementaren Bildungsreformen durchgeführt wurden .16 Als drängendere Aufgaben der unmittelbaren Nachkriegszeit galten ohnehin der Wiederaufbau der zu großen Teilen zerbombten Universitätsgebäude, die Neubeschaffung kriegszerstörter Bücher und Gerätschaften sowie die Wiederbesetzung der durch Entnazifizierung oder Tod der Inhaber vakant gewordenen Lehrstühle .17 In Erinnerung an einen 1920 getätigten Ausspruch des damaligen preußischen Kultusministers C . H . Becker wurde die deutsche Universität als solche für „im Kern gesund“ befunden und das überkommene Hochschulmodell, wie es vor 1933 bestanden hatte, restauriert . Wohl aufgrund des erschreckenden Beispiels nationalsozialistischer Hochschulpolitik begnügten sich die Kultusverwaltungen der Länder mit einer deutlich passiveren Rolle, als sie in Kaiserreich und Weimarer Republik eingenommen hatten, was wiederum im Verbund mit den abgeschwächten Mitspracherechten von außerordentlichen Professoren, Privatdozenten und Studenten zu einer geschichtlich einmaligen Machtanhäufung in den Händen der Ordinarien führte .18 In diesem Zusammenhang dürfen auch die Folgen nicht vergessen werden, die sich aus der Auflösung des preußischen Staates im Februar 1947 für das bundesdeutsche Hochschulsystem ergaben . Die ehemaligen preußischen Landesuniversitäten waren nunmehr auf vier deutsche Bundesländer verteilt, sofern sie sich nicht auf dem Gebiet der DDR oder östlich der Oder-Neiße-Linie befanden . Dies bedeutete zum einen, dass die vom preußischen Kultusministerium vorangetriebene Schwerpunktsetzungen (so waren zum Beispiel Bonn als Zentrum für die Rechtswissenschaften und Göttingen als Mathematik-Zentrum ausgebaut worden) in dieser Form kaum fortzusetzen waren . Außerdem konnten selbst die Kultusverwaltungen der beiden größten deutschen Bundesländer, Nordrhein-Westfalen und Bayern, personell und finanziell einen Vergleich mit dem früheren preußischen Kultusministerium kaum wagen und nicht die Taktgeberrolle übernehmen, die einst Preußen innegehabt hatte . Der weitestgehend unumstrittene Orientierungspunkt für Politiker wie Universitätsangehörige gleichermaßen blieb bis Mitte der 1960er Jahre das (freilich im Einzelnen unterschiedlich definierte) Humboldt’sche Universitätsmodell, dessen pseudoreligiöse Überhöhung aus Weimarer Zeit, in der die deutsche Universität zur „Gralsburg 15 16 17 18

Vgl . u . a . Mößbauer (1965) . Vgl . Alexander von Humboldt-Stiftung (1962), S . 19 ff . Vgl . dazu Wolbring (2014) . Vgl . Paletschek (2006), S . 239; Teichler (1990), S . 13 .

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der reinen Wissenschaft“ stilisiert worden war, noch immer nachwirkte und tiefgreifende Reformierungsversuche erschwerte .19 Nun konnten sich allerdings alle, die das „traditionalistische Denken, die Heiligkeit des Ewig-Gestrigen“ bekämpfen wollten, auf die internationalen Bildungsvergleichsstatistiken berufen, die die bereits seit den späten 1950er Jahren gehegte Befürchtung, die Bundesrepublik könne in Bildung und Wissenschaft den Anschluss an die Vereinigten Staaten verloren haben, zu bestätigen schienen .20 Jedoch wurde derartigen Ländervergleichen in Westdeutschland zunächst gemeinhin mit großem Misstrauen bis hin zur pauschalen Ablehnung begegnet, ähnlich wie es in jüngerer Vergangenheit angesichts der ersten erschienen Universitätsrankings zu beobachten war . Nicht nur vermeintliche methodische Defizite wurden gegen die Statistiken ins Feld geführt, für manche Kritiker waren derartige Ländervergleiche schlichtweg wertlos oder sogar unmoralisch, da sie die Bildungssysteme nur nach quantitativ messbaren Kennzahlen bewerteten und somit nichts über deren unter Umständen unvergleichliche Qualitäten aussagen konnten .21 Gleichwohl appellierten Vertreter der Bildungsökonomie, die bezeichnenderweise in den USA ihren Anfang genommen hatte, das deutsche Hochschulwesen nicht mehr (nur) durch die Brille des Deutschen Idealismus zu betrachten, sondern die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung des tertiären Bildungssektors zu erfassen und das durchweg schlechte Abschneiden der Bundesrepublik in internationalen Vergleichsstatistiken als Weckruf zu begreifen .22 Die jungen deutschen Bildungsökonomen sahen es als unausweichlich an, die idealistische Vorstellung vom Eigenwert der Bildung um ein Nützlichkeits- beziehungsweise ein ökonomisches Ertragsdenken zu erweitern, wenn nicht gar zu ersetzen, und es somit den westlichen, für demokratischer und effizienter betrachteten Bildungssystemen anzugleichen .23 Dies löste jedoch sowohl im linken als auch im konservativen Lager Unbehagen aus, zumal die als Schlüsselbegriffe verwendeten Wortschöpfungen wie beispielsweise „Humankapital“, „Bildungsökonomie“ und „Bildungskonsum“ zu der Befürchtung Anlass gaben, dass der Mensch vom handelnden Becker (1925), S . 1 . Diese quasireligiöse Überhöhung der „deutschen Universität“ verbreitete sich zunächst im Zuge der Auseinandersetzung zwischen Universitäten und Technischen Hochschulen um die Jahrhundertwende, dann jedoch vor allem in den frühen 1920er Jahren als Reaktion auf den Ausschluss deutscher Universitäten von internationalen Vereinigungen im/nach dem Ersten Weltkrieg und die nach dem deutschen Einmarsch in Belgien bzw . dem „Manifest der 93“ abrupt endende ausländische Wertschätzung der deutschen Universitäten und ihrer Professoren, die die deutschen Hochschulen und das Selbstvertrauen der Akademiker empfindlich trafen und zu einer Kompensation durch Selbstaufwertung führten . 20 Baumgarten (1963), S . 51 . 21 Schorb (1973), S . 707; vgl . Edding (1965), S . 453 . 22 In ungewöhnlicher Schärfe sprach der Philosoph und Amerikakenner Eduard Baumgarten von einer „Wahlverwandtschaft zwischen deutschem Idealismus und Hitlers Tyrannis“, die eine Orientierung am Humboldt’schen Universitätsideal nahezu unmöglich mache; Baumgarten (1963), S . 74 . Die Bundesrepublik rangierte in einigen Bildungsstatistiken hinter dem erst kurz zuvor unabhängig gewordenen Uganda, was für manche die Dramatik der Lage verdeutlichte, von anderen hingegen als Indiz für die Wertlosigkeit solcher Statistiken angesehen wurde; vgl . Kenkmann (2000), S . 406 . 23 Vgl . Scherer (1969), S . 6–13 . 19

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Subjekt zum handelbaren Objekt entwertet und Bildung nur mehr als rein anwendungsorientierte Ausbildung oder Zeitvertreib definiert würde .24 Nichtsdestotrotz setzte sich unter bundesdeutschen Bildungsexperten die Einsicht durch, dass das US-amerikanische Hochschulwesen dem deutschen in quantitativer und (in Anbetracht der Einschätzungen von Amerikakennern) für manche auch in qualitativer Hinsicht deutlich überlegen war, was einen bitteren Abschied von der Vorstellung bedeutete, dass nur exogene Faktoren wie die verlorenen Weltkriege und der Ausschluss jüdischer und andersdenkender Hochschullehrer im „Dritten Reich“ zur Schwächung der für mustergültig gehaltenen deutschen Universitäten geführt hätten . In den ersten zwanzig Jahren nach Kriegsende war viel Geld in den Wiederaufbau der zerstörten Hochschulen investiert worden . Dennoch musste nun konstatiert werden, dass deutsche Spitzenforscher nach wie vor in großer Zahl in die USA auswanderten, unter den Nobelpreisträgern immer weniger Deutsche (oder besser gesagt: in der Bundesrepublik forschende Wissenschaftler) zu finden waren und die deutschen Universitäten „wie ein verarmter und entmachteter Adel […] von der Rente ihres früheren Ansehens“ leben mussten .25 Es hatte sich also bewahrheitet, was Adolph Wagner als Rektor der Berliner Universität bereits 1908 prophezeit hatte:26 Die USA hatten Deutschland als führende Wissenschaftsnation abgelöst . Um wieder Anschluss an die Weltspitze zu finden, galt es daher nach Ansicht von Pragmatikern wie dem 1965 zum Vorsitzenden des Wissenschaftsrates gewählten Hans Leussink, von Amerika zu lernen . Der Wissenschaftsrat, der wenige Jahre zuvor von Bund und Ländern als Beratungsgremium gegründet worden war, sammelte daher Informationen über das in der Bundesrepublik noch weitgehend unerforschte Bildungswesen der Vereinigten Staaten und lud amerikanische Hochschullehrer zu Expertengesprächen nach Deutschland ein .27 Aus den Berichten amerikanischer Universitätspräsidenten und -professoren, die gegenüber ihren deutschen Kollegen bisweilen einen ähnlichen Hochmut hervorkehrten wie fünfzig Jahre zuvor deutsche Professoren gegenüber US-Amerikanern, ging hervor, dass der Erfolg der amerikanischen Universitäten auf die ihnen gewährten weitreichenden Autonomierechte sowie eine Praxis- und Wettbewerbsorientierung zurückgeführt wurde . Als zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen deutschen und amerikanischen Universitäten galt zu Recht deren Finanzierung . William C . Warren, Professor an der Columbia University in New York, berichtete im Mai 1965 in einem Vortrag an der Universität Basel, den der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Übersetzung abdruckte, über die Bedeutung von Studiengebühren und privaten Spendengeldern für die Haushalte der US-Universitäten .

Vgl . Bielenstein (1962) . Schelsky (21971): 241–268, S . 244 . Der Historiker Ulrich Wengenroth bezeichnete die Liste der Nobelpreisträger treffend als symbolisch aufgeladenen Medaillenspiegel; Wengenroth (2010), S . 461 . 26 Vgl . vom Brocke (1991), S . 185 . 27 Zum Wissenschaftsrat vgl . Bartz (2007) . 24 25

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Warren betonte, dass private und staatliche Hochschulen gleichermaßen auf den Spendenfluss angewiesen seien, dies aber nach amerikanischem Selbstverständnis, das die Privatinitiative stets dem Ruf nach dem Staat vorziehe, akzeptiert und sogar vielfach als Ursache für die besondere Leistungsfähigkeit amerikanischer Hochschulen angesehen werde .28 Insbesondere seit dem letzten Jahrzehnt würden die US-Universitäten Millionen von Dollar in Werbemaßnahmen wie Plakate, Funk- und Fernsehwerbung oder Handzettel in U-Bahnen und Bussen investieren, um in Konkurrenz zu anderen Bildungseinrichtungen Privatpersonen oder Unternehmen für Geld- oder Sachspenden zu gewinnen . Eine besondere Bedeutung komme dabei der Unterstützung durch Alumni zu . Ein hohes Spendenaufkommen unter den ehemaligen Studenten würde als Gütezeichen der Hochschule gewertet, von dieser daher entsprechend publik gemacht werden, wodurch im Idealfall auch Externe zur finanziellen Unterstützung animiert werden könnten . Zwar sah Warren auch mit dieser Praxis verbundene Gefahren, nämlich eine eventuelle Vernachlässigung der im Vergleich zur Forschung „unrentablen“ Lehre, das Entstehen von Abhängigkeitsverhältnissen zu Hauptgeldgebern, die zur Ausrichtung der Hochschulforschung nach den (erwarteten) Wünschen der Spender führen könnte, sowie das Risiko, dass die in Werbung und Publicity investierten Gelder sich durch die eingehenden Spenden nicht amortisieren ließen . Gleichwohl stand für Warren außer Zweifel, dass das US-Modell als vorbildlich und für Europa nachahmungswürdig zu betrachten sei, da die Risiken überschaubar seien . So zeigte er sich beispielsweise darüber „erstaunt, wie wenig die Wirtschaft als Gegenleistung für ihre Unterstützung verlangt“ .29 Die Hochschulen könnten von der „Erschließung neuer und größerer privater Finanzquellen“ weit stärker profitieren als im Vertrauen auf den Staat .30 Dies war angesichts der bereits Mitte der 1960er von deutschen Bildungsökonomen und Politikern geäußerten Befürchtung, dass die staatliche Finanzierung der Hochschulen an ihre Grenzen stoßen könne, ein bedeutender Gesichtspunkt .31 In Anbetracht der fast durchweg positiven Schilderungen amerikanischer Professoren und nach Deutschland zurückkehrender Gastwissenschaftler wurde das US-Hochschulsystem in den Augen vieler deutscher Professoren und Bildungsexperten geradezu zum „Mythos“ .32 Georg Melchers, Freiburger Ordinarius und langjähriger Direktor des Tübinger Max-Planck-Instituts für Biologie, betrachtete das US-Hochschulwesen und die amerikanischen Universitäten, die sich „mit ihren großen Qualitätsabstufungen in einem lebhaften Konkurrenzkampf untereinander befinden“, nachgerade als Inbegriff der Moderne und der Freiheit . Auch in der Bundesrepublik, so Melchers, Warren (1964/67) . Der Vortrag liegt zudem in deutscher Übersetzung vor: Warren (1966) . Warren (1966), S . 23 . Warren (1966), S . 51 . Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger ließ sich anlässlich der Grundsteinlegung für die Universität Konstanz mit den Worten zitieren: „Die sogenannten fetten Jahre scheinen vorüber“; Kiesinger (1979 [1966]), S . 10 . 32 Müller-Daehn (1964), S . 239 .

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sollten sich die Universitäten „nicht in Frieden und Freundschaft, sondern in bewußtem Streit – nämlich Wettstreit“ begegnen, womit er einer aggressiven Form der Konkurrenz das Wort redete, die in der Bundesrepublik der frühen 1960er Jahre allerdings nur wenige Fürsprecher hatte . Eine „empfindliche Konkurrenz“, die sogar bis hin zur Verdrängung einzelner Universitäten führen durfte (sollten doch die Kultusminister „nicht die Möglichkeit haben, ihre […] Universitäten zu ‚schützen‘“) konnte nach Melchers Ansicht zu einer Qualitätssteigerung im deutschen Hochschulsystem beitragen .33 Sein Aufsatz in der Deutschen Universitätszeitung, in dem er das Konkurrenzprinzip beinahe zum Allheilmittel stilisierte, stellt in seiner Radikalität freilich ein Kuriosum dar, dem in der umfangreichen Reformdebatte der 1960er Jahre kaum eine vergleichbare Schrift zur Seite gestellt werden kann . Allein stand Melchers mit seinen Überzeugungen allerdings nicht . Im Wissenschaftsrat, der sich verhältnismäßig früh und deutlich vom Leitstern der Humboldt’schen Universität abwandte, stießen Forderungen nach mehr interuniversitärem Wettbewerb auf offene Ohren . Autonome Universitäten nach amerikanischem Vorbild zu schaffen, galt dem WR-Vorsitzenden Hans Leussink geradezu als das Gebot der Stunde, so dass er die aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Wissenschaftsrates zusammengekommene hochrangige Festgesellschaft in einer mit provokanten Begrifflichkeiten gespickten Rede, in der er Bildung, Wissenschaft, Erziehung und Forschung als „größte und zukunftsträchtigste Industrie“ bezeichnete, mit der Neuorientierung des von ihm geleiteten Beratungsgremiums vertraut machte .34 Deutsche Bildungseinrichtungen müssten konkurrenzfähig gemacht werden, wofür die (postulierte) Gleichwertigkeit der deutschen Universitäten über Bord geworfen und das Leistungsprinzip stärker als bisher in den Vordergrund gerückt werden müsse, denn, wer sich heute im internationalen Konkurrenzkampf behaupten will, wird neben der selbstverständlichen Bejahung der demokratischen Prinzipien auch immer mehr die Bedingungen dessen bejahen müssen, was man anderswo als meritocracy bezeichnet . Wenn dieses der Trend der modernen Leistungsgesellschaft ist, will es mir geradezu als Ausdruck mittelalterlichen Zunftdenkens erscheinen, wenn auch innerhalb der Hochschule die Tendenz zur totalen Verbeamtung, zur Laufbahn und zur damit unauslöslich verbundenen weiteren Hierarchisierung mehr und mehr wachsen .35

In seiner Argumentation orientierte sich Leussink an den Theorien des Ökonomen Friedrich August von Hayek, dessen Ansichten zu autonomen, im Wettbewerb stehenden Hochschulen er nach eigener Aussage „weitgehend“ teilte .36 Dazu gehörte ein

Melchers (1963), S . 20, 22 . Leussink (1968), S . 41 . Unter den Gästen befanden sich Bundeskanzler Kiesinger, der WRK-Vorsitzende Rüegg sowie der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Butenandt; vgl . Bartz (2007), S . 100 . 35 Leussink (1968), S . 50 . 36 Zit . nach: Bartz (2007), S . 100 . 33 34

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mit umfangreichen Machtbefugnissen ausgestatteter Universitätspräsident, dem ein Aufsichtsrat kontrollierend zur Seite gestellt werden sollte, eine Verwaltungsapparatur oberhalb der Ordinarienebene, ein Globalhaushalt sowie das (alleinige) Berufungsrecht für die Universitäten .37 Damit würden, so Hayek, die Grundbedingungen für einen interuniversitären Wettbewerb geschaffen, der sich positiv auf die Qualität deutscher Hochschulforschung und -lehre auswirken werde . Hayek, der das US-Hochschulsystem in mehrjähriger Lehrtätigkeit an der University of Chicago kennengelernt hatte, schien „die durch den Wettbewerb zwischen den Universitäten bestimmte Entwicklung noch mehr als die größeren Mittel die Hauptursache für die führende Stellung zu sein, die sich die amerikanische Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten erworben hat“ .38 Bekanntlich war Friedrich August von Hayek bereits in Vorkriegsjahren als Opponent von John Maynard Keynes in Erscheinung getreten . Auch in den 1960er Jahren zeigte er sich als großer Apologet des Wettbewerbsprinzips und Gegner staatlicher Planungs- und Lenkungspolitik . Nur der Wettbewerb als „eine Art unpersönlichen Zwanges“ und „Spiel […], das zum Teil auf Geschicklichkeit und zum Teil auf Glück beruht“, vermöge aufzuzeigen, welche Güter knapp und welche Dienstleistungen begehrt seien und wie preisgünstig sie angeboten werden können .39 „Zentrale Lenkung im Dienste einer ‚sozialen Gerechtigkeit‘“ bezeichnete Hayek demgegenüber als Luxus, den sich allenfalls reiche Nationen leisten könnten .40 Hayeks und Leussinks Ansichten waren jedoch in der Bundesrepublik weder an den Universitäten noch in der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK), der Ständigen Kultusministerkonferenz (KMK) oder den Parlamenten und im Übrigen selbst WR-intern nicht mehrheitsfähig, weswegen die in einem Zirkel um Hans Leussink diskutierten weitreichenden universitären Autonomierechte nur in stark abgeschwächter Form in die 1968 präsentierten Empfehlungen des Wissenschaftsrates Eingang fanden .41 Eine Globalbudgetierung und das alleinige Berufungsrecht für die Hochschulen, zwei zentrale Punkte der von Leussink angestrebten Hochschulstrukturreform, wurden in die Endfassung der Empfehlungen nicht aufgenommen, und statt amerikanischer Vorbildinstitutionen wurden nur deutsche Hochschulen, nämlich die verhältnismäßig autonomen Universitäten in West-Berlin und dem Saarland, als Orientierungspunkte genannt .42 Im Vergleich zu den Entwurfsfassungen und Leussinks früheren Stellungnahmen hatte der Wissenschaftsrat folglich sowohl inhaltlich als auch rhetorisch merklich abgeVgl . Bartz (2007), S . 100 . Hayek, Friedrich August von: „Eindrücke vom deutschen Universitätsunterricht . Vergleiche mit Amerika und England – Universitäten müssen verschieden sein“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16 .7 .1966 (Sonntagsbeilage); abgedr . in: Schöne (1966): 144–148, S . 148 . 39 Hayek (1969), S . 257, 260 . 40 Hayek (1969), S . 260 . 41 Vgl . Wissenschaftsrat (1968) . 42 Vgl . Bartz (2007), S . 101 . 37 38

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rüstet: so stark sogar, dass die ursprünglichen Intentionen kaum mehr durchschienen . Im Januar 1969 musste der Generalsekretär des Wissenschaftsrates daher feststellen, dass die wenigen Reaktionen auf die Veröffentlichung nur den Schluss zuließen, dass die Absichten des Wissenschaftsrates dahingehend interpretiert wurden, dass er für eine Stärkung staatlicher Einflussmöglichkeiten und eine Beschneidung universitärer Autonomierechte eintrete, was in den Kritiken zumeist abgelehnt wurde .43 Nicht die Verwaltungsautonomie der Hochschulen an sich wurde demnach verworfen, sondern die mit ihr bezweckten Wettbewerbsmechanismen, was auch aus einer vom DAAD publizierten Befragung deutscher Naturwissenschaftler mit Auslandserfahrung hervorging, die das US-Modell autonomer Hochschulen zwar mehrheitlich als effektiv und vorbildlich bezeichneten, allerdings vor den Folgen der dort erlebten intra- und interuniversitären Konkurrenz warnten . Dazu zählten sie unter anderem die „sich oft ungünstig auswirkende Verknüpfung der Hochschulen mit Forschungsinstituten der Industrie“, in deren Abhängigkeit die Universitäten zu geraten drohten .44 Die Verbindungen zwischen Autonomie und Wettbewerb wurde jedoch bald erkannt und thematisiert . Insbesondere linksgerichtete Bildungsexperten wie Jürgen Habermas, der als medienpräsenter Gegner des „Technokraten“ Leussink auf den Plan trat, befürchteten, dass „sogenannte“ autonome Hochschulen unter die Kontrolle finanzkräftiger Industrieunternehmen geraten könnten . Für Habermas stellte das, was der Wissenschaftsrat als Hochschulautonomie deklarierte, lediglich eine euphemistische Umschreibung für die Aushöhlung der akademischen Selbstverwaltung dar . Dies zeige sich augenfällig an den vom Wissenschaftsrat angeregten Kuratorien, in denen (vergleichbar mit den heutigen Hochschulräten) staatliche und universitäre Verwaltung zusammengefasst werden und deren Mitglieder teils aus Hochschulangehörige, teils aus Externen bestehen sollten . Habermas war der Ansicht, dass die an industrierelevanter Forschung interessierten Unternehmen die Entscheidungen der Kuratorien zu ihren Gunsten beeinflussen würden: Deshalb ist die Befürchtung kein Hirngespinst: daß mit der Einrichtung eines Kuratoriums, das nach Vorstellungen des Wissenschaftsrates organisiert und zusammengesetzt wäre, die Hochschule der Kontrolle einer mit delegierten Staatskompetenzen ausgestatteten, aber privatwirtschaftlich inspirierten Nebengewalt ausgeliefert werden könnte .45

Auch der Soziologe Niklas Luhmann setzte sich kritisch mit Leistungserwartung und Autonomie als den „beherrschenden Themen der gegenwärtigen Diskussion“ auseinander und riet zur Wachsamkeit, damit es nicht „bei Fragen der Autonomie und der Organisation der Wissenschaft nur noch um Machtgewinne oder um Geldersparnisse“ Vgl . Bartz (2007), S . 102 . Vgl . Schelsky (1964) . Habermas (1969), S . 82 . Ähnlich argumentierte der sozialdemokratische Verwaltungswissenschaftler Zeh (1973), S . 58 . 43 44 45

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gehe . Unkontrollierbare Reputationskämpfe, eine Ausrichtung der Forschung auf Modethemen sowie „eine Verschlüsselung von Banalitäten“ seien andernfalls die unausweichlichen Konsequenzen .46 Ebenso wenig Anklang fanden US-orientierte Autonomie- und Wettbewerbsmodelle à la Leussink und Hayek bei der ab 1967 für soziale Gerechtigkeit und gegen eine Ökonomisierung von Bildung und Gesellschaft demonstrierenden, linksgerichteten studentischen Jugend, für die die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer Außen- und Wirtschaftspolitik ohnehin keine Vorbildfunktion einnehmen konnte . Zudem standen die deutschen Bildungsökonomen, die sich zu jener Zeit, im Übrigen nicht anders als ihre Kollegen in den USA, an den Lehren des britischen Ökonomen John Maynard Keynes orientierten, neoliberalen Theorien skeptisch gegenüber und ebneten in ihren Schriften vielmehr der Bildungsplanung den Weg . Folglich war es eine etwas verkürzte Sichtweise, als Leussink Mitte der 1970er Jahre „das Beharrungsvermögen der früher einmal anerkanntermaßen höchst erfolgreichen deutschen (Humboldt’schen) Hochschulstruktur, die unselige Allianz zwischen Ultrakonservativen und Ultralinken in den Hochschulen und die Weigerung des Bundesinnenministeriums (als Beamtenministerium), sich mit diesen Problemen überhaupt zu befassen“, für das Scheitern seines Projekts autonomer, wettbewerbsorientierter Hochschulen verantwortlich machte .47 Ausschlaggebend war letztlich der wachsende Einfluss deutscher Bildungsökonomen auf die politischen Entscheidungen . Zu den bundesdeutschen Vorreitern auf dem Gebiet der Bildungsökonomie zählte der spätere Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Friedrich Edding .48 Seine Thesen, dass staatliche Gelder für Bildungseinrichtungen als Investitionen zu betrachten, Wirtschaftswachstum und Hochschulbesuch kausal verbunden und Kriterien wie Produktivität und Rentabilität zwar nicht ungefährliche, nichtsdestotrotz aber unerlässliche Maßstäbe auch für den Bildungsbereich seien, begannen sich in den 1960er Jahren durchzusetzen . Bereits 1961 hatte Edding von der Washingtoner OECD-Konferenz berichtet, dass die bedenkliche Situation Westeuropas im internationalen Wettbewerb um die Bildung geistigen Vermögens […] eine Politik verstärkter Ausdehnung und Aufwertung der Bildungseinrichtungen nahezu unausweichlich [mache] . Das wurde von den Delegierten fast aller an der Konferenz der OECD in Washington teilnehmenden europäischen Länder unumwunden zugegeben . Es war jedoch nicht zu verkennen, daß der Gedanke eines Wettlaufs in

Luhmann (1968), S . 148 (Hervorhebungen im Original) . Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, dem er selbst von 1969 bis 1972 vorstand, sparte Leussink bei den Schuldzuweisungen freilich aus . 48 Vgl . Edding, Friedrich: Ökonomie des Bildungswesens, Freiburg i . Br . 1963, worin der Autor auf mehreren Seiten die Meinung zu widerlegen versucht, dass „ökonomische Untersuchungen des Bildungswesens eine unzulässige Grenzüberschreitung“ (Ebd ., S . 32) seien . 46 47

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den Bildungseinrichtungen ein fast noch tieferes Unbehagen hervorrief als das Wettrüsten auf militärischem Gebiet . […] Die Pflege der Bildungseinrichtungen unter dem Gesichtspunkt eines internationalen Ringens um geistige Mächtigkeit zu betrachten, ist […] eine neue Forderung .49

Nun war dieser Gesichtspunkt zwar keineswegs so neu, wie Edding annahm, doch offenkundig war er nicht nur ihm, sondern auch vielen seiner westeuropäischen Zeitgenossen aus dem Blickfeld entschwunden und wurde daher für eine amerikanische Entdeckung gehalten . Die Förderung der Universitäten als zentraler Bestandteil der Konkurrenz der Staaten wurde um 1960 gleichsam wiederentdeckt und zum einen unter dem Gesichtspunkt des internationalen Wettbewerbs mit den demokratischen „Partnerländern“ und zum anderen vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und Sozialismus betrachtet . Zweier unterschiedlicher Methoden, die bis heute zumeist in ihrer ursprünglichen englischen Benennung als Manpower- und Social Demand Approach bezeichnet werden, bedienten sich die Bildungsökonomen der 1960er Jahre .50 Beide dienten sie der Bildungsplanung, doch während der outputorientierte Manpower Approach den (prognostizierten) volkswirtschaftlichen Bedarf an Arbeitskräften ins Zentrum rückte, folgte der inputorientierte Social Demand Approach der (prognostizierten) gesellschaftlichen Nachfrage nach Studienplätzen . Durch die Anwendung hochkomplexer Formeln, die sich allerdings nach wenigen Jahren als weitgehend unbrauchbar erwiesen, sollte der Staat in die Lage versetzt werden, das verfügbare Bildungsbudget so zu verausgaben, dass seine beziehungsweise die gesellschaftlichen Bedürfnisse bestmöglich befriedigt würden . Keiner der beiden Ansätze ging dementsprechend davon aus, dass sich die optimale Zahl und die beste Qualität universitärer Ausbildungsmöglichkeiten über einen wie auch immer gearteten Wettbewerb generieren ließen, da Marktmechanismen im Bildungswesen aus Sicht der Bildungsökonomen nicht funktionierten . Einerseits dauere es aufgrund der geringen Markttransparenz zu lange, bis die Hochschulen auf eine veränderte Nachfrage reagieren könnten, andererseits seien die Abiturienten nicht in der Lage, bei der Wahl ihres Studienfaches die späteren Berufsaussichten abzusehen, woraus sich bereits „die Notwendigkeit staatlichen Eingreifens“ und Planens ableiten ließe .51 Keinesfalls sei es daher ausreichend, wenn sich der Staat mit einer Nachtwächterfunktion in einem privatisierten Hochschulwesen begnüge, in dem die Qualität der Bildungsangebote zugunsten einer Gewinnmaximierung unweigerlich nachlassen würde:

Edding (1963a), S . 163 . Eine ausführliche betriebswissenschaftliche Darlegung der beiden Ansätze findet sich in Hüfner (1969), S . 68 ff . 51 Berg (1965), S . 63 . 49 50

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Da es hier darauf ankommt, die Bedürfnisse durch das Niveau des Angebots zu beeinflussen, statt zuzulassen, daß sich das Angebot an die – unterentwickelten, aber durchaus entwicklungsfähigen – Präferenzen der Nachfrager anpaßt, darf man die kulturellen Aktivitäten nicht mit dem kommerziellen Gewinnmotiv verknüpfen . Sonst bestünde die Gefahr, daß aus […] Universitäten Doktorfabriken werden .52

Die Vorstellung von wettbewerbsbasierten Hochschulen, die sich in „Universitätsfabricken“ verwandeln, galt vielen Akademikern (wie bereits im 18 . Jahrhundert) als dystopische Zukunftsvision .53 In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre begann sich in der Bundesrepublik der Social Demand-Ansatz durchzusetzen, während der zunächst favorisierte Manpower Approach zunehmend in Misskredit geriet .54 Ausschlaggebend dafür waren Ralf Dahrendorfs These, wonach Bildung ein Bürgerrecht sei, die Reaktionen auf die Studentenproteste ab 1967/68, die sich (auch) gegen die zu Beginn des Jahrzehnts ausgerufene „Leistungsgesellschaft“ richteten, die hochgradig ideologiegeladene Bildungspolitik nach dem Bonner Regierungswechsel von 1969 sowie ferner die Vorstellung, dass sich die Bundesrepublik mit den Ostblockstaaten in einem Systemwettbewerb befinde, in dem das sozialere und gerechtere, mithin nicht nur wirtschaftlich erfolgreichere Bildungswesen einen bedeutenden Faktor darstelle .55 Die amerikanische Provenienz der Bildungsplanung oder besser gesagt ihres methodologischen Rüstzeuges erleichterte ihre Akzeptanz bei Politikern aller Couleur, so dass Friedrich Edding, Vorreiter der deutschen Bildungsökonomie, 1969 feststellen konnte, dass „Bildungsplanung, vor wenigen Jahren noch ein Tabu-Wort für Parteien, Kultusministerien und breite Kreise unserer Gesellschaft, [(…) nun] fast in jeder (kultur-) politischen Verlautbarung gefordert“ wurde .56 Das ist wohl neben ihrem amerikanischen Ursprung darauf zurückzuführen, dass sie von internationalen Organisationen wie der UNESCO und der OECD ausdrücklich empfohlen wurde, viele der großen Industrienationen diesem Rat Folge leisteten und die mit der Bildungsplanung verbundene Aufwertung der staatlichen Instanzen der deutschen Tradition eines etatistisch geprägten HochschulGiersch (1960), S . 261 . Vgl . Kapitel II .2 . Rohstock (2010), S . 75 . Während der Manpower-Ansatz in der Bundesrepublik gemeinhin mit dem Ökonomen Hajo Riese verbunden wurde, war Ralf Dahrendorf für viele das „Gesicht“ des Social Demand Approaches . In einer 1967 erschienen Veröffentlichung Rieses wird deutlich, dass die Frage „Bildung – allgemeines Grundrecht oder ökonomische Notwendigkeit?“ zu dieser Zeit bereits zugunsten der ersten Alternative beantwortet wurde; Riese (1967), S . 11 . 55 Vgl . Schoeck (61978), insbesondere S . 7–8 und Budde (2005) . Trotz der (nach dem Mauerbau 1961 freilich bedeutend nachlassenden) Wissenschaftlerwanderung von Ost nach West galt das Hochschulsystem der DDR dem bundesdeutschen insbesondere unter sozialdemokratischen und linksliberalen Bildungsexperten bis in die 1970er Jahre hinein sogar als überlegen; vgl . Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (1994), S . 41 . 56 Edding (1969), S . III . 52 53 54

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systems entgegenkam .57 Zudem war „Bildungsplanung“ aufgrund der unterschiedlichen Definitionen ein flexibles, gleichwohl aber einprägsames Schlagwort, das insbesondere in Wahlkämpfen für ganz unterschiedliche hochschulpolitische Ambitionen verwendet werden konnte und zumindest bis 1969 sowohl in sozialdemokratischen als auch in liberalen und konservativen Kreisen einen guten Klang hatte .58 Die Landesregierungen begannen den Ausführungen der Bildungsökonomen zu folgen und versuchten, die Probleme der deutschen Universitäten im internationalen Wettbewerb und in Bezug auf die innere Demokratisierung durch staatliche Bildungsplanung zu lösen .59 „Der Gedanke des freien Wettbewerbs“ hingegen, stellte der Konstanzer Prorektor Waldemar Besson, fest, „der so entscheidend für den deutschen materiellen Wiederaufbau nach 1949 wurde, weil er die unternehmerische Entfaltung stark förderte, hat an der deutschen Universität keinen Platz“ .60 „Geplante Bildung – Freiheit des Menschen“:61 Unter dieses Motto aus einer Veröffentlichung des baden-württembergischen Kultusministers Wilhelm Hahn (CDU) stellten sowohl Unions- als auch SPD-geführter Landesregierungen ihre Hochschulpolitik . Staatliche Planung war jedoch nur möglich, wenn die Kultusministerien stärker als bisher in die Entwicklung der Hochschulen eingreifen und sie besser kontrollierten konnten . In allen Bundesländern ersetzten daher bereits nach wenigen Jahren Hochschulgesetze das bis dato „von gewohnheitsrechtlichen Regeln“ beherrschte sowie stark personalisierte und damit flexible Hochschulrecht, was zu einem Bedeutungsverlust der Universitätssatzungen und einer Nivellierung der Landeshochschulen führte, die nun juristisch gleichgestellt waren .62 Damit wurde freilich auch der interuniversitäre Wettbewerb um Professoren eingeschränkt, da die Unterschiede zwischen den Hochschulen systematisch eingeebnet und deren Handlungsspielräume begrenzt wurden . Erfolglose Demonstrationen von Rektoren, Professoren, Dozenten und Studenten, die den gestiegenen Einfluss des Staates aus ganz unterschiedlichen Gründen ablehnten, beglei-

Vgl . Metzler (2005), S . 181 sowie OECD (1962); UNESCO (1965) . Selbst der Soziologe Erwin Scheuch, der 1970 zu den Gründern des planungsskeptischen „Bundes Freiheit der Wissenschaft“ (siehe dazu weiter unten) gehörte, war noch 1969 der Überzeugung, dass „Wissenschaft […] geplant werden“ müsse . Nur wenn auf Planungsinstrumentarien zurückgegriffen und ein gesamteuropäischer „Markt für Wissenschaft“ geschaffen werde, reichten „die personellen und finanziellen Mittel für eine erfolgversprechende Konkurrenz mit den USA und der UdSSR aus“; Scheuch (1969), S . 12, 14 . 59 Vgl . dazu auch die Neujahrsansprache von Bundespräsident Heinrich Lübke auf das Jahr 1963: „Wir geraten im Wettlauf mit der internationalen Konkurrenz hoffnungslos ins Hintertreffen, wenn für unsere Wissenschaft keine besseren Arbeitsbedingungen geschaffen werden . […] Ganz sicher muß der Staat auf diesem Gebiete mehr leisten als bisher“; Zit . nach: Meyer (1963), S . 23 (Hervorhebung im Original) . 60 Besson (1966), S . 19 . 61 Hahn (1967) . 62 Rau (1965), S . 51 . Der Jurist Werner Kalisch machte 1968 darauf aufmerksam, dass es auf deutschem Boden seit dem Erlass des Preußischen Allgemeinen Landrechts (1794) „zu keiner nennenswerten Hochschulgesetzgebung gekommen“ sei; Kalisch (1968), S . 239 . 57 58

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teten die Gesetzgebungsverfahren vom Norden bis in den Süden .63 „Im Dirigismus wird die Hochschulreform misslingen“, waren sich nicht zuletzt die Hochschulrektoren einig, konnten jedoch der staatlichen Bildungsplanung kein mehrheitsfähiges Alternativkonzept gegenüberstellen und mussten den gesetzlich fixierten Machtverlust hinnehmen, wenn sie nicht (wie 1970 in Hessen) aus Protest von ihren Ämtern zurücktreten wollten .64 Unter Bildungsexperten galt es als ausgemachte Sache, dass insbesondere die kleineren Bundesländer mit den finanziellen und organisatorischen Herausforderungen der Bildungsplanung rasch überfordert sein würden, weshalb parteiübergreifend ab den 1960er Jahren ein größeres (vor allem finanzielles) Engagement des Bundes gefordert wurde, was in Anbetracht des Verfassungsgrundsatzes von der Bildungshoheit der Länder nur mittels einer Grundgesetzänderung ermöglicht werden konnte, die 1969 (noch unter der Großen Koalition) in die Tat umgesetzt wurde .65 Der Bund erhielt dadurch eine Rahmenkompetenz für die Hochschulgesetzgebung sowie Mitwirkungsrechte bei der Bildungsplanung und verpflichtete sich im Gegenzug zu einer finanziellen Beteiligung an den Kosten für Hochschulneu- und -ausbauten, womit auch im Bildungsbereich der Weg zu einem kooperativen Föderalismus und einer über Parteigrenzen hinweg begrüßten Angleichung der Lebensverhältnisse beschritten wurde .66 Das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung erfuhr eine bedeutende Aufwertung, die bereits in der Umbenennung in Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft kurz nach dem Amtsantritt der sozialliberalen Regierung zum Ausdruck gebracht wurde . Die Planungseuphorie in Politik und Gesellschaft ebbte selbst dann noch nicht ab, als sich zeigte, dass die von den Bildungsökonomen Anfang und Mitte der 1960er Jahre vorgelegten Prognosen zur Entwicklung der Studentenzahlen weit von der tatsächlich eintretenden quantitativen Zunahme entfernt blieben .67 Das Institut für Bildungsforschung der Max-Planck-Gesellschaft distanzierte sich bereits ausdrücklich von der Vorstellung, dass „ein vollkommenes Bildungssystem […] allein an Schreibtisch und Reißbrett entworfen werden“ könne, warnte vor der „Magie der Zahl“, der auch die eigenen Mitarbeiter zunächst verfallen seien, und sprach sich für mehr Hochschulautonomie aus .68 Vielmehr versuchte insbesondere die erste sozialliberale Koalition, Vgl . „Streikwelle von Flensburg bis München . Wachsender Widerstand gegen Hochschulgesetze“, in: Die Deutsche Universitätszeitung vereinigt mit Hochschul-Dienst 1, no . 12 (1969): 16 . 64 Rumpf (1969), S . 7; vgl . Rohstock (2010), S . 331 . 65 Vgl . stellvertretend für die jeweiligen Fraktionen die Ausführungen Berthold Martins (CDU), Ulrich Lohmars (SPD) und Walther Helliges (FDP) vor dem Bundestag, Plenarprotokoll vom 15 .3 .1962, , S 712 ff ., letzter Zugriff: 24 .6 .2019 . Ähnliche Forderungen, freilich mehr nach Geld als Einflussnahme des Bundes, kamen auch aus den Ländern . 66 Drosdzol (1984), S . 4; vgl . Art . 75 GG in der Fassung vom 13 .5 .1969 . 67 Vgl . Schlaffke (1972), S . 10 ff . 68 Becker (1969), S . 14; vgl . Goldschmidt (1967), S . 241 . Der Staat sei „zu ermutigen, sich von der deutschen Tradition der ‚verwalteten Schule‘ zu trennen, potentielle Energien freizugeben und einer freien Entwicklung von Modellen in den verschiedenen Bereichen des Bildungswesens mehr Raum zu geben, als es bis63

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das Hochschulwesen durch eine zunehmende Verrechtlichung und Bürokratisierung planbarer zu machen .69 Die 1970 eingerichtete Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, die 1973 einen nie umgesetzten „Bildungsgesamtplan“ präsentierte, und das nach zähen, über mehrere Jahre hinweg geführten Verhandlungen erst 1976 verabschiedete Hochschulrahmengesetz (HRG) sind Beispiele dafür .70 Das HRG, das nach den Vorstellungen des parteilosen Bundesbildungsministers Hans Leussink (1969–1972) keine Detailvorgaben enthalten, also nur einen bereits in seiner Bezeichnung zum Ausdruck kommenden Rahmen abstecken sollte, ohne die „Möglichkeiten zum edlen Wettstreit“ der Länder zu beschränken, wurde unter seinen sozialdemokratischen Amtsnachfolgern Klaus von Dohnanyi und Helmut Rohde zu einem mehr als achtzig Paragraphen umfassenden Dokument, das der Hochschulpolitik der einzelnen Bundesländer weitreichende Vorgaben machte und zu einer Angleichung der Landeshochschulgesetze führen sollte .71 „Aber andererseits wußten die Länder den ihnen verbliebenen Spielraum für ihre Hochschulgesetze extensiv auszunutzen […], so daß das Hochschulrecht nicht unbedingt einheitlicher, eher unübersichtlicher“ wurde, wie der Jurist Wolf-Dietrich Droszdol feststellte .72 Neben der Abwanderung von Spitzenwissenschaftlern, die bereits Mitte der 1960er Jahre ihren Höhepunkt überschritten zu haben schien, betrachteten die Bildungsforscher den im Vergleich zu anderen westlichen Industrienationen auffallend niedrigen Prozentsatz der Akademiker an der Gesamtbevölkerung als vordringliches Problem .73 Bereits einige Jahre bevor der Pädagoge Georg Picht in einer 1964 in der Wochenzeitung Christ und Welt erschienenen Artikelserie das bis heute viel zitierte Schlagwort von der „deutschen Bildungskatastrophe“ prägte und aus den Vergleichsstatistiken schlussfolgerte, dass die anderen Nationen längst begriffen haben, daß die Selbstbehauptung eines Staates nicht von der Zahl der Divisionen, sondern allein [!] von der Fähigkeit abhängt, in jenem Leistungswettbewerb nicht zurückzubleiben, der das Gesicht der heutigen Welt prägt74

her in Kontinentaleuropa bekannt ist . Möglichst autonome, private oder öffentliche Modelleinrichtungen, in denen vor allem auch ‚Initiative von unten‘ zum Zuge kommen kann, bilden das unentbehrliche Korrelat zu einem im ganzen relativ einheitlich durchgeformten Bildungssystem“; Goldschmidt (1967), S . 241–242 . (Hervorhebungen im Original) . 69 Vgl . Turner (2013), S . 17 . Freilich griffen auch unionsgeführte Landesregierungen auf Planungsinstrumente zurück; Siehe Rudloff (2003) . 70 Vgl . Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (1973) . 71 Bundesbildungsminister Hans Leussink im Rahmen einer Debatte im Deutschen Bundestag am 30 .10 .1969, , S . 190; letzter Zugriff: 13 .6 .2019 . 72 Drosdzol (1984), S . 5 . 73 Vgl . Müller-Daehn (1964), S . 240 . 74 Picht (1964), S . 28 . Das genannte Werk stellt ein Kompendium der von Georg Picht in der Zeitung Christ und Welt erschienenen Artikel samt Begleitmaterial dar .

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war für Bildungsexperten die bis Ende der 1950er Jahre höchst kontrovers diskutierte Frage, ob die vermeintliche „Überfüllung“ der Hochschulen durch verschärfte Zulassungsbedingungen und im Endeffekt weniger Studenten oder aber einen Ausbau der Hochschulen beziehungsweise Neugründungen und damit mehr Studenten zu lösen sei, zugunsten der zweiten Alternative entschieden .75 So konnte die Zahl bundesdeutscher Studenten, zu denen sich nun auch vermehrt Angehörige bislang bildungsferner Bevölkerungsschichten zählten, im Laufe der 1960er Jahren von rund 120 .000 auf deutlich über 400 .000 ansteigen .76 Bereits in seinen Empfehlungen aus dem Jahr 1960 hatte der Wissenschaftsrat den Bau neuer Hochschulen angeregt, damit jedoch den Widerstand der Hochschulrektoren heraufbeschworen .77 Diese sprachen sich vehement gegen derartige Pläne aus und wollten die für Neubauten aufzubringenden Mittel vielmehr zum Ausbau und für eine bessere Ausstattung der bestehenden, also ihrer eigenen Universitäten verwendet wissen oder, mit anderen Worten, die begrenzten Gelder des Bildungsbudgets nicht mit weiteren Konkurrenten teilen . Wohl um nicht den Unwillen der Öffentlichkeit und insbesondere der Studenten auf sich zu ziehen, deren Vertretungen die Schaffung neuer Hochschulen mehrheitlich begrüßten, wurden Hochschulneugründungen in offiziellen Bekanntmachungen der Westdeutschen Rektorenkonferenz nicht kategorisch ausgeschlossen, sondern mit Verweis auf drängenden Nachholbedarf bei den „alten“ Hochschulen als derzeit nicht spruchreif späteren Zeiten anvertraut .78 Es ist freilich unwahrscheinlich, dass sich die Hochschulrektoren eines Tages selbst für saturiert erklärt hätten, konnten sie doch aufgrund der befürchteten finanziellen Einbußen und der neuen Konkurrenz kein Eigeninteresse an der Schaffung weiterer Hochschulen haben, zumal eine hohe Frequenz trotz der mit ihr einhergehenden Probleme von Universitätsseite (auch) als Prestigemehrung angesehen wurde und „die Klage über überfüllte Seminare als verborgene Triumphzeremonie“ verstanden werden konnte, wie Ralf Dahrendorf ausführte .79 Mit dem Erscheinen der ersten internationalen Vergleichsstatistiken hatte das bereits zuvor evidente Problem fehlender Studienplätze eine völlig neue Dimension erhalten, da dessen Lösung nun nicht mehr nur Studentenproteste vermeiden und den sozialen Friedens im Allgemeinen erhalten, sondern darüber hinaus das außenpolitische Gewicht und die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik absichern sollte, so dass der quantitative Ausbau des deutschen Hochschulwesens und die Mobilisierung von „Bildungsreserven“ allgemein als vordringlich, eine Reformierung des Hochschulsystems hingegen als zweitrangig betrachtet Vgl . u . a . die im Auftrag des Bundesinnenministeriums entstandene Studie von Scheidemann (1959), in der sich der Autor dafür aussprach, einen bedeutenden Teil der Studenten aus den Hörsälen „herauszuprüfen“ und so das Überfüllungsproblem zu lösen; zu Georg Picht vgl . Hannig (2018) . 76 Vgl . Korte (2009), S . 49 . 77 Vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 55 . 78 Vgl . Westdeutsche Rektorenkonferenz (1962), S . 25, 27 . 79 Dahrendorf (1966), S . 105 . 75

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wurde .80 Der Widerstand der Rektoren gegen Hochschulneugründungen hatte daher keine Chancen auf Erfolg . Mitte der 1960er Jahre setzte vielmehr eine historisch einmalige Hochschulgründungswelle ein, die von Bremen bis Regensburg neue Universitäten hervorbrachte . Mit Ausnahme von Konstanz und Bielefeld wurden die neugegründeten Universitäten, den Empfehlungen des Wissenschaftsrates entsprechend, als „Entlastungshochschulen“ konzipiert, die im Einzugsgebiet besonders stark frequentierter Universitäten liegen und zu einem Studentenabfluss auf die neuerrichteten Bildungsinstitutionen führen sollten . Zu einer gleichmäßigen Verteilung des „Studentenberges“ trug darüber hinaus die 1965 trotz rechtlicher Bedenken gegründete Clearingstelle bei, die eine angebotsgerechte Zuweisung der Studienbewerber besonders begehrter Studiengänge auf die vorhandenen Universitäten durchzuführen hatte .81 Ab den 1960er Jahren bewarben sich Studenten mithin nicht nur bei ihrer/n Wunschuniversität(en), sondern ebenso bei der Verteilungsstelle, wodurch der „Unterschied von beliebten und weniger beliebten Hochschulen […] ausgeglichen“ wurde, wozu ferner das sogenannte Numerus clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18 . Juli 1972 beitrug, das das Recht der Hochschulen auf Auswahl der Studienbewerber bedeutend einschränkte .82 Diese Neuerungen hatten zwar zunächst keinerlei Auswirkungen auf den interuniversitären Wettbewerb um Studenten, da es einen solchen aufgrund der hohen Studierendenzahlen kaum noch gab . Es war jedoch abzusehen, dass die Einschränkungen der universitären Handlungsspielräume eine Konkurrenz um Studierende auch dann behindern würden, wenn ihre Zahl wieder absinken und sie als knappe Prämie gelten würden . Einen Eingriff in den interuniversitären Wettbewerb bedeutete zudem die Kolleggeldreform, mit der sich die KMK und der Deutsche Hochschulverband (DHV) von 1953 bis Mitte der 1960er Jahre beschäftigten . Die Kolleggelder waren seit Althoffs Zeiten wiederholt in die Kritik geraten und galten vielen nur noch als ein unzeitgemäßes Relikt aus dem 19 . Jahrhundert .83 Die in zahlreichen Statements vorgebrachte Forderung des langjährigen DHV-Vorsitzenden Wilhelm Felgentraeger (1950–1969), die Kolleggelder abzuschaffen und den dadurch notwendigerweise eintretenden Einnahmeverlust für die Professoren durch „eine Pauschalisierung der Vorlesungsgebühren

So warnte der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß davor, dass die Bundesrepublik zum Satelliten der USA zu werden drohe; vgl . Paulus (2010), S . 343 . 81 Artikel 12, Absatz 1 des Grundgesetzes sichert die freie Wahl der Ausbildungsstätte zu, die jedoch durch die ZVS eingeschränkt wurde . Die Clearingstelle wurde bereits nach wenigen Monaten aufgelöst, da sie nach Ansicht der KMK völlig versagt hatte . 1967 wurde sie jedoch vom Präsidenten der WRK als „Zentrale Registrierstelle“ abermals eingerichtet und 1972 in Zentralstelle für die Verteilung von Studienplätzen (ZVS) umbenannt; vgl . dazu: Rohstock (2010), S . 97 ff . 82 Moraw (2008), S . 290; vgl . Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 33, 303 vom 18 .7 .1972, in: ; letzter Zugriff: 14 .6 .2019 . 83 Vgl . Hochschulverband (1962) . 80

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unabhängig von der Hörer- und Studentenzahl“ zu kompensieren, erfuhr breite Unterstützung, beispielsweise vonseiten des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, prominenten Bildungsökonomen wie Friedrich Edding sowie dem damaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Ludwig Raiser (1960–1964) .84 Auch die KMK zeigte sich der Abschaffung der Kolleggelder gegenüber aufgeschlossen, erhoffte sie sich dadurch doch eine beträchtliche Verwaltungsvereinfachung und wohl auch eine bessere Kontrolle über die Einnahmen der Professoren .85 Nicht unbedacht blieben in den Überlegungen die Auswirkungen der Kolleggeldreform auf den Wettbewerb innerhalb und zwischen den Universitäten . So argumentierte der Soziologe Eduard Baumgarten, dass durch die Aufhebung der Kolleggelder die Allmacht der „Monopolisten des Kollegzwangs“ gebrochen werde könne, wodurch dem „freien Wettbewerb“ geholfen werde, während insbesondere die WRK anmahnte, dass die Kolleggeld- und Besoldungsreform nicht dazu führen dürfe, dass die Hochschulverwaltungen der Chance beraubt würden, weiterhin hervorragende Kräfte anzuwerben und zu halten .86 Insbesondere bei Berufungen aus dem Ausland sollten die Kultusverwaltungen daher hohe Kompensationszahlungen leisten, um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Universitäten nicht zu gefährden .87 Einige wenige Professoren (vor allem jene, so könnte man annehmen, die zu den potentiellen finanziellen Verlierern der Reform gehörten) traten als Verteidiger des bestehenden Kolleggeldsystems auf, konnten sich jedoch angesichts des grundsätzlichen Konsenses zwischen Wissenschaftsrat, KMK, WRK und DHV nicht durchsetzen .88 Zu ihnen gehörte der Berliner Rechtswissenschaftler Ulrich von Lübtow, der seine Haltung in einem in der Deutschen Universitätszeitung abgedruckten Aufsatz zum Ausdruck brachte . Die vom Hochschulverband aufgestellte Behauptung, dass durch die Beseitigung der Kolleggelder vermieden würde, dass Professoren „aus Gewinnsucht die Besetzung freier Lehrstühle hintertreiben“, wies Lübtow als schweren und ungerechtfertigten Angriff auf seine professorale Berufsehre zurück .89 Würde das Kolleggeld abgeschafft, so Lübtow, bedeute dies jedoch „die totale finanzielle Unterwerfung

Felgentraeger (1961), S . 151; vgl . Hochschulverband (1962), S . 210 . Vgl . „Neuordnung des Kolleggeld- und Besoldungswesens“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 10, no . 4 (1962): 89–98, S . 94 . 86 Baumgarten (1963), S . 54; vgl . „Entschließung vom 13 ./14 .07 .1961 zum Problem der Besoldungs- und Kolleggeldreform“, in: Westdeutsche Rektorenkonferenz (1990), S . 11 . 87 Vgl . Dorff (1963), S . 236 . 88 Obwohl die Bedeutung der Kolleggelder für das Gesamteinkommen der Hochschullehrer im Vergleich zu Vorkriegszeiten beträchtlich gesunken war, erzielten damit zu Beginn der 1960er Jahre immer noch rund fünf Prozent der deutschen Professoren Einnahmen von mehr als 18 000 DM im Jahr und damit in etwa ebenso viel wie durch ihr reguläres Gehalt; vgl . Hesse (2013), S . 114, sowie „Zur Kolleggeldreform . Memorandum der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Uni Kiel zu dem Vorschlag des Hochschulverbandsausschusses betreffend die Neuordnung des Kolleggeldwesens“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 8 (1960): 21–29, S . 24 . 89 Lübtow (1964), S . 9 . 84 85

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des Professors unter die Verwaltungsinstanzen“, mit anderen Worten seine vollständige Verbeamtung, da ihm gerade dieses Entgelt Wahlfreiheiten gestatte und einen Sonderstatus verleihe .90 Des Weiteren bringe es die Kolleggeldreform mit sich, dass Nivellierungstendenzen, „das Erzübel unseres Massenzeitalters“, auch auf die Universitäten übergriffen, da die vorgeschlagene Pauschalisierung der Lehrzulage einer Beseitigung des Leistungsprinzips gleichkomme und Kartellabsprachen zwischen den Hochschulverwaltungen begünstige, die diese Kosten so niedrig wie möglich halten wollten .91 Die mit der Kolleggeldreform verbundenen Egalisierungsbestrebungen wurden vom Hochschulverband im Übrigen keineswegs bestritten . Der DHV kritisierte vielmehr, dass das gegenwärtige System jene Professoren finanziell begünstige, die viele Rufe anmeldeten, während „diejenigen Hochschullehrer, die schon vor Jahren ihren Lehrstuhl bezogen haben, gegenüber ihren […] Kollegen finanziell benachteiligt sind“ .92 Der Hochschulverband ging davon aus, dass aus der Zahl der Vorlesungsbesucher und ergangenen Rufe keine Rückschlüsse auf die fachlichen Qualitäten der Professoren gezogen werden dürften und sie keine Rechtfertigung für eine Gehaltserhöhung darstellten . Der damalige DHV-Vorsitzende Felgentraeger brachte dieses Gleichheitsdenken und die damit verbundenen Vorbehalte gegenüber dem Leistungsprinzip zum Ausdruck, als er sich dafür aussprach, dass die Professoren „bewußt auf die Möglichkeit verzichten [sollten], durch eigene Initiative und Anstrengung einen wesentlichen Teil ihres Lebensstandards selbst zu bestimmen“ .93 Er trat stattdessen für eine automatische Erhöhung einer Kolleggeldpauschale nach dem Anciennitätsprinzip ein, was er damit begründete, dass „auch ein Hochschullehrer, der keinen weiteren Ruf erhält, in mehrjähriger Vorlesungstätigkeit Erfahrungen sammelt und seine Vorlesungen an Reife gewinnen“ .94 Zwar konnte sich Felgentraeger mit diesem Vorschlag nicht gegen die Kultusminister durchsetzen, doch ging die Abschaffung der Kolleggelder in den Jahren 1964/65 zweifelsohne mit einer Abkehr von der Vorstellung einer mit ihr verbundenen leistungsabhängigen Entlohnung einher .95 Die Einkommen der Professoren waren damit vollständig von der Zahl ihrer Vorlesungsbesucher und Seminarteilneh-

Lübtow (1964), S . 9 . Lübtow (1964), S . 14 . Ferner sprach Lübtow dem DHV das Recht ab, im Namen der Professoren für die Abschaffung der Kolleggelder einzutreten und nannte sie eine grundgesetzwidrige Enteignung; vgl . Lübtow (1964), S . 14 . 92 „Der Hochschulverband entwirft eine Regelung […]“ (21 .8 .1961), in: Hochschulverband (1962): 240– 243, S . 242 . 93 Felgentraeger (1962), S . 30 . 94 „Felgentraeger an die Kultusminister“ (16 .1 .1962), in: Hochschulverband (1962): 280–294, S . 283 . Der DHV hielt ein automatisches Aufrücken bereits aus „psychologischen Gründen für unabdingbar“; Felgentraeger (1962b), S . 2 . 95 Vgl . Dorff (1962) . Die Kultusminister befürchteten nämlich, dass andernfalls „auch leistungsschwache Hochschullehrer ungerechtfertigt erhöht würden“; „Felgentraeger an die Westdeutsche Rektorenkonferenz, den Wissenschaftsrat, den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Carl Wurster (BASF)“, in: Hochschulverband (1962): 202–205, S . 203 . 90 91

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mer abgekoppelt, so dass es keinen Wettbewerbsvorteil für die Universitäten und ihre Professoren mehr darstellte, Studierende an eine Universität anzuziehen . Aufgrund der hohen Zahl an Studienbewerbern in den 1960er Jahren, durch die die interuniversitäre Konkurrenz um Studenten bereits weitgehend zum Erliegen gekommen war, machte sich dies jedoch in der Praxis zunächst nicht bemerkbar .96 Fraglos stellte die Kolleggeldreform, mit der die Finanzierung der Hochschulausbildung fast vollständig in den Verantwortungsbereich des Staates überging, einen weiteren Schritt in Richtung eines ministeriell regulierten Universitätssystems dar, während die Nivellierung der Professorengehälter interuniversitäre Anwerbeversuche insbesondere innerhalb eines Bundeslandes erschwerte, da das „durch die Gesetze von Angebot und Nachfrage bestimmte Element der Hochschullehrerbesoldung“ nunmehr wegfiel .97 Auf eine stärkere Kontrolle des interuniversitären Wettbewerbs um Professoren arbeitete die Ständige Kultusministerkonferenz im Übrigen seit ihrer Gründung im Jahre 1948 hin und versuchte zu verhindern, dass Professoren bei Berufungsverhandlungen „rücksichtslos die einzelnen Länder gegeneinander“ ausspielen, um ihr Gehalt zu erhöhen und die Ausstattung ihres Lehrstuhls zu verbessern .98 Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Kultusverwaltungen wollten die Minister Hochschulwechsel der Professoren und die damit für ihre Länder verbundenen Kosten verringern . Damit knüpften sie an die von Althoff etablierten Hochschulkonferenzen an, die auf ähnliche Überlegungen zurückgingen . Innerhalb von drei Jahren nach Annahme eines Rufes, beschloss die KMK bereits im November 1950, sollten nur in Ausnahmefällen und in Abstimmung zwischen den betroffenen Ministerien Berufungsverhandlungen eingeleitet werden .99 Fünf Jahre später wurde diese Bestimmung dahingehend verschärft, dass vor der Berufung von Lehrstuhlinhabern gleicher Besoldungsgruppe stets bei dem von der möglichen Abwerbung betroffenen Kultusministerium angefragt werden musste, „ob Bedenken gegen die Erteilung des Rufes bestehen“ .100 Solche konnten angemeldet werden, wenn das Ministerium in den zurückliegenden drei Jahren besondere Aufwendungen für den/die Professor(in) oder den Lehrstuhl erbracht hatte . Das an dem Wissenschaftler interessierte Ministerium sollte in diesem Fall auf die Erteilung eines Rufes verzichten .

Einige Universitäten schränkten als Reaktion auf den übergroßen Andrang sogar ihre Einschreibefristen ein; vgl . Rohstock (2010), S . 95 . Des Weiteren war der prozentuale Anteil, den die Hochschulverwaltungen von den an die einzelnen Professoren verteilten Kolleggeldern einbehielten, so gering, dass sie nur minimal von diesem Entgelt profitierten . 97 „Memorandum der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel zur Kolleggeldreform“ (22 .1 .1960), in: Hochschulverband (1962): 61–70, S . 62 . 98 Thieme (1962), S . 32 . 99 „Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 10 ./11 .11 .1950“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 13 (1965), S . 52 . 100 „Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 24 .6 .1955“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 13 (1965): 52–53, S . 52 . 96

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Die beabsichtigte Einhegung der Konkurrenz gelang jedoch nicht . Trotz der Vereinbarungen kam es in den 1960er Jahren vielmehr „zu einem regelrechten Berufungswettbewerb zwischen den einzelnen Kultusministerien“, da die Universitäten durch eine restriktive Handhabe der Habilitationsverfahren zu einer Verknappung des Angebots an Hochschullehrern beitragen konnten .101 Ein Rechtsanspruch auf Habilitation bestand für den akademischen Nachwuchs nämlich nicht . Vielmehr musste ein Bedarfsnachweis erbracht werden, den nur die jeweilige Fakultät ausstellte .102 Zudem konnten die Fakultäten auch jene Wissenschaftler auf die Vorschlagslisten setzen, die unter die dreijährige Berufungssperre fielen und die Wahlmöglichkeiten der Kultusministerien damit limitieren, zumindest sofern diese nicht vom universitären Dreiervorschlag abweichen wollten .103 Dies war zwar rechtlich zulässig, wurde jedoch an den Hochschulen als illegitime Praxis betrachtet und hatte in der Vergangenheit regelmäßig zu Protesten geführt .104 Nach Kriegsende sahen die Kultusminister entsprechend von Oktroyierungen ab .105 Die „bedarfsgerechte Ausbildung“ hatte zur Folge, dass sich das Angebot an berufungsfähigen Wissenschaftlern in engen Grenzen hielt, während die Nachfrage aufgrund des quantitativen Ausbaus des Hochschulwesens deutlich anstieg, was freilich nicht ohne Auswirkungen auf die Berufungsverhandlungen bleiben konnte, die sich fortan nicht mehr nur um die Höhe der Bezüge und die personelle und sächliche Ausstattung des Lehrstuhls, sondern darüber hinaus um Dienstwagen, Wohnungen und komplette Institutsneubauten drehten, wodurch sie sich zum Teil deutlich in die Länge zogen .106 Am Ende konnten dennoch „Tage oder Stunden […] entscheiden, ob ein Gelehrter […] gewonnen werden kann oder verloren ist“ .107 Wer den Wettbewerb um die besten Professoren gewinnen wollte, musste also nicht nur gute Angebote unterbreiten, sondern auch schneller als die Konkurrenten sein . In folgenden, von Universitätsseite auch als „Kartellabsprachen“ bezeichneten Beschlüssen der KMK wurde der interuniversitäre Wettbewerb um Professoren weiter reglementiert und systematisch lahm gelegt .108 So einigten sich die Kultusminister im Januar 1962 darauf, dass die aufgrund der „Marktenge“ vermehrt auftretenden Dop-

Rohstock (2010), S . 81 . Rohstock (2010), S . 80 . Vgl . Thieme (1964) . Vgl . Gerber (1963) . Vgl . Wegener (1963), S . 13 . Vgl . die Stellungnahme des bayerischen Kultusministers Maunz vom 20 .3 .1963 vor dem Bayerischen Senat: „Wenn es sich um verhältnismäßig ‚billige‘ Lehrstühle handelt“ würden die Berufungsverhandlungen bisweilen nur 14 Tage dauern, während sie sich andernfalls zum Teil über mehr als ein Jahr hinzögen“; Verhandlungen des Bayerischen Senats 16 (1964): 468–475, S . 472 . 107 So der Erlanger Romanist Heinrich Kuen am 20 .3 .1963 vor dem Bayerischen Senat; Verhandlungen des Bayerischen Senats 16 (1964), S . 460 . Berufungsverhandlungen glichen daher seines Erachtens „einem Wettrennen der Universitäten und Ministerien“ . 108 So der Münsteraner Ökonom Alexander Predöhl; vgl . „Ein Kartell der Kultusminister . Darf die wissenschaftliche Laufbahn bürokratisiert werden?“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27 .2 .1962, S . 2 . 101 102 103 104 105 106

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pel- und Mehrfachberufungen künftig verhindert werden sollten, was für großen Ärger unter den Hochschullehrern sorgte, in deren Augen außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie etwa die Max-Planck-Institute an Attraktivität gewannen .109 Dort winkten schließlich (vermeintlich) großzügigere Forschungsmittel und weniger Bürokratie, bei gleichzeitigem Fortfall der Lehrverpflichtung . Diese Vorteile, so der spätere Vorsitzende des Wissenschaftsrates Hans Leussink, „werden von manchen sozusagen als unlautere Konkurrenz empfunden . Insofern spielt innerdeutsch – cum grano salis selbstverständlich – die Max-Planck-Gesellschaft eine ähnliche Rolle wie die tatsächliche oder angebliche Anziehungskraft nordamerikanischer Universitäten“ .110 Da die zunehmende Bürokratisierung der Berufungsverfahren mit einer deutlichen Erhöhung der ausbezahlten Bezüge einherging, konnten sich die Universitäten allerdings dennoch gegenüber den Max-Planck-Instituten behaupten, und selbst die noch zu Beginn des Jahrzehnts scheinbar „hoffnungslose Lage gegenüber der Konkurrenz der Industrie und zum Teil des Auslands, nicht zuletzt den USA“, hatte sich bereits um 1965 deutlich gebessert .111 Der vermeintliche Missbrauch der Berufungs- und Bleibeverhandlungen durch die Professoren, die dadurch lediglich ihre Bezüge erhöhen oder die Ausstattung ihres Lehrstuhls verbessern wollten, sowie durch die Fakultäten, die Vorschlagslisten „ohne Rücksicht oder Verantwortung für die damit verbundenen Personal- und Sachkosten“ zusammenstellten, blieb allerdings ein brisantes Thema und verhärtete die Fronten zwischen Vertretern des Staates und der Universitäten .112 Der 1964 zum Hochschulverbandstag eingeladene CDU-Bildungsexperte Hans Dichgans drohte seinen Gastgebern sogar mit der Beschneidung universitärer Autonomierechte, sofern dieses Vorgehen der Professoren nicht unterbunden werde .113 „Wer die Annahme eines Rufes von der Zusage umfangreicher Neubauten abhängig macht, sollte sofort aus der Diskussion ausscheiden“ und nicht länger von der Universität umworben werden, betonte der Bundestagsabgeordnete .114 Andernfalls müsse das Berufungsrecht gänzlich auf den Staat übergehen respektive eine Präsidialverfassung nach US-Vorbild eingeführt werden, also die Berufungsverhandlungen von der akademischen Selbstverwaltung getrennt werden . Erwartungsgemäß widersprachen die versammelten Rektoren und

Thieme (1962), S . 33; vgl . „Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 18 ./19 .1 .1962“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 13 (1965), S . 53 und „Verfahren bei Doppel- und Mehrfachberufungen“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 10 (1962), S . 175 . 110 Leussink (1964), S . 193 . 111 Leussink (1964), S . 200 . 112 Schelsky (1967), S . 20 . 113 „Wenn diese Autonomie nichts anderes ist als ein historisches Privilegium, steht sie auf schwachen Füßen . Sie muß sich vielmehr durch Leistungen rechtfertigen . Wieviel Autonomie die künftige deutsche Universität haben kann, liegt in Ihrer [i . e . die versammelten Hochschulrektoren und DHV-Vertreter] Hand“; Dichgans (1964), S . 156 . 114 Dichgans (1964), S . 152 . 109

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Verbandsangehörigen den „Reizthesen“ Dichgans’ .115 Sie sprachen sich gegen die Übernahme der Präsidialverfassung aus .116 Universitäten sollten nicht „wie jeder andere Arbeitgeber“ behandelt werden und könnten auch nicht so agieren .117 Überdies trugen die Kultusministerien nach Ansicht der Hochschullehrer zumindest eine Mitschuld an den Scheinberufungen .118 Im Oktober 1965 bestätigten und erweiterten die Kultusminister ihre Vereinbarungen zur Verhinderung von Mehrfachberufungen . Statt eines offenen Wettbewerbs sollte nur diejenige Kultusverwaltung zum Zuge kommen, die als erste einen Ruf erteile .119 Darüber hinaus versuchten die Minister, das gegenseitige Überbieten bei Berufungsverhandlungen zu unterbinden . Der getroffene Beschluss regelte, dass bei Bleibeverhandlungen das Angebot der berufenden Kultusverwaltung hinsichtlich der Dienstbezüge und des Kolleggeldpauschale nicht zu überbieten [ist] . Die berufende Kultusverwaltung darf ihr Angebot nicht erhöhen, sobald die derzeitig zuständige Kultusverwaltung in dieses Angebot eingetreten ist . Sind mehrere Rufe erteilt, sollen die beteiligten Kultusverwaltungen sich miteinander in Verbindung setzen, bevor sie dem Berufenen ein Angebot hinsichtlich der Dienstbezüge und des Kolleggeldpauschale unterbreiten; eine seitens einer anderen Kultusverwaltung angebotenen Erhöhung der Dienstbezüge und des Kolleggeldpauschale darf nicht mehr überboten werden .120

Ähnliche Regelungen galten darüber hinaus für die Hochschulverwaltungen, die zwar „in das finanzielle Angebot des anderen Landes ‚einsteigen‘“, dasselbe jedoch nicht überbieten durften .121 Doch auch nach Umsetzung dieser Bestimmungen erschien den Kultusministern der Einfluss der Ordinarien auf den Wettbewerb um Spitzenkräfte noch als zu beherrschend, was vor allem auf ihren Beamtenstatus (auf Lebenszeit) und das intransparente Verfahren bei der Erstellung der Vorschlagslisten zurückgeführt wurde . Sogar unter Professoren gab es Befürchtungen, dass das hergebrachte Beru-

So der DHV-Vorsitzende Felgentraeger, „Erwiderung der Rektoren und Hochschulverbandsvertreter“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 12 (1964): 156–184, S . 156 . 116 Beispielsweise der Aachener Elektrotechniker Eugen Flegler; vgl . „Erwiderung der Rektoren und Hochschulverbandsvertreter“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 12 (1964), S . 171 . 117 „Erwiderung der Rektoren und Hochschulverbandsvertreter“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 12 (1964), S . 166 . Auch dem CDU-Bundestagsabgeordneten Berthold Martin schien allen „Reformentwürfen mit der Forderung nach dem starken Mann in der Universität […] stillschweigend die Auffassung zugrunde zu liegen, daß die Universität ein Industrieunternehmen sei, das perfektionistisch organisiert werden müsse“; Martin (1969), S . 3 . 118 Vgl . Baumgarten (1963), S . 92 . 119 Vgl . „Vereinbarung der Kultusminister über das Verfahren bei der Berufung von Hochschullehrern“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 14 (1966): 201–203, S . 202 (Abschnitt II, Nr . 6) . 120 „Vereinbarung der Kultusminister über das Verfahren bei der Berufung von Hochschullehrern“, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 14 (1966): 201–203, S . 202–203 . (Abschnitt II, Nr . 7) . 121 Vgl . Wegener (1963), S . 16 . 115

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fungsverfahren herausragende Wissenschaftler zugunsten weniger Begabter benachteiligen könnte . So führte der Philosoph Karl Jaspers in einer vielbeachteten Schrift aus: Die freie Auswahl der Persönlichkeiten bei Berufungen geht ihrem Sinne nach zwar auf die besten Männer, hat aber manchmal eine Tendenz zu den zweitbesten . Jede Korporation – nicht nur die Universität – hat eine unbewußte Solidarität geistwidriger Interessen der Konkurrenz und der Eifersucht . Man wehrt sich instinktiv gegen überragende Persönlichkeiten, sucht sie auszuschalten . Man lehnt auch die minderwertigen [!] Persönlichkeiten ab, da sie Einfluß und Ansehen der Universität stören würden . Man wählt den ‚Tüchtigen‘, das Mittelgut, die Menschen gleicher Geistesartung .122

Mit der Ausschreibungspflicht freier universitärer Stellen wollten die Kultusminister Abhilfe schaffen und „das Monopol von ‚Schulen‘ an einer Hochschule“ brechen .123 Es ging ihnen dabei um die Durchsetzung des Leistungsprinzips, das sich in einem Wettbewerb der Hochschullehrer um freie Dozenturen durchsetzen sollte . Die Forderung nach einer Ausschreibungspflicht kam in den 1960er Jahren jedoch einem Traditionsbruch gleich . Sie wurde insbesondere von konservativen und nationalistischen Hochschullehren wie Ernst Anrich entschieden abgelehnt, da Bewerbungen mit dem „Wesen“ des deutschen Professors unvereinbar seien, obwohl sich die Hochschullehrer freilich nie gescheut hatten, sich durch Initiativbewerbungen für einen Lehrstuhl zu empfehlen .124 Die bereits zuvor sowohl von Universitäts- als auch von Ministeriumsseite nur ungern gesehenen Hausberufungen, von denen allerdings die ansonsten benachteiligten Wissenschaftlerinnen profitierten, sollten durch ein transparentes Bewerbungsverfahren auf ein Minimum reduziert werden .125 Nach einem Beschluss der KMK vom April 1968 mussten die Hochschulen zudem sämtliche eingegangenen Bewerbungen an die Kultusverwaltungen weiterleiten, was deren Kontrollmöglichkeiten beträchtlich erweiterte .126 Ferner sollten die Hochschulen 1969 dazu verpflichtet werden, nur noch solche Personen vorzuschlagen, die sich zuvor förmlich

Jaspers (1961b), S . 117 . Deshalb, so Jaspers, seien staatliche Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten unerlässlich; Jaspers (1961b), S . 151 . 123 Altenmüller (1964), S . 5; vgl . „Bundesminister Dr . Stoltenberg zur Hochschulplanung und -gesetzgebung“, in: Die Deutsche Universitätszeitung vereinigt mit Hochschul-Dienst 1, no . 15/16 (1969), S . 26 . 124 „Glaubt ein solcher Vorschlag im Ernst, daß es mit dem Wesen des Professors von Rang, jedenfalls des deutschen Professors, nicht von äußerem sondern von innerem Rang und echter Wissenschaftlichkeit, zu der eine gewisse Zurückhaltung und eine gewisse Würde der Bescheidenheit gehört, fruchtbar zu vereinen wäre, daß er sich bewirbt?“; Anrich (1960), S . 138 . Anrich gehörte während des „Dritten Reiches“ der NSDAP und der SS an . Nach dem Krieg schloss er sich der NPD an . Trotz seiner radikalen politischen Orientierung genossen seine hochschulpolitischen Schriften in der jungen Bundesrepublik eine gehörige Beachtung . Bewerbungen von Hochschullehrern galten als „das Schlechteste, was diese Leute tun können . Mit tödlicher Sicherheit werden sie nicht in die engere Auswahl kommen“; Wegener (1963), S . 9 . 125 Vgl . Paletschek (2012), S . 346 . 126 Vgl . „Aus dem Beschluß der KMK vom 10 . April 1968“; abgedr . in: Anweiler (1992): 195–197, S . 196 . 122

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um die betreffende Lehrstelle beworben hatten . Nach Ansicht der Hochschulrektoren trugen solche Vorschläge eindeutig „etatistische Züge“ und wurden abgelehnt .127 Das freie Vorschlagsrecht der Universitäten, unabhängig von eingegangenen Bewerbungen, war ihres Erachtens unverzichtbar für die Anwerbung der besten Wissenschaftler . Dennoch verankerte schließlich das im Januar 1976 in Kraft getretene Hochschulrahmengesetz die Ausschreibungspflicht und erlaubte Hausberufungen und die Berücksichtigung von Wissenschaftlern, die sich nicht um die jeweilige Stelle bewarben, nur noch „in begründeten Ausnahmefällen“ .128 In den 1970er Jahren wurde der Einfluss der Professoren auf die Berufungsverfahren noch weiter zurückgedrängt . Die Etablierung der „Gruppenuniversität“ beseitigte endgültig das „Mandarinentum“ der nur ein Jahrzehnt zuvor beinahe omnipotenten Ordinarien, die fortan nichthabilitierte Dozenten und Vertreter der Studentenschaften an den Berufungsverfahren beteiligen mussten .129 Angesichts der zahlreichen Wettbewerbsbeschränkungen, die die Hochschulpolitik der langen 1960er Jahre kennzeichnen, mag es überraschen, dass die Geschichte der Sonderforschungsbereiche, die heute zu Recht als eine bedeutende Prämie interuniversitärer Konkurrenz angesehen werden, bis in dieses Dezennium zurückreicht . Von 1964 an beschäftigte sich der Wissenschaftsrat mit der Entwicklung eines neuen finanziellen Förderinstruments für die Hochschulforschung, das die Kooperation zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen verbessern, dabei jedoch nicht zu einer Konkurrenz der Hochschulen um diese neue Form der Drittmittel führen sollte . Daher taufte der Wissenschaftsrat die Langzeitprojekte auf den etwas holprig und nicht sonderlich begehrenswert klingenden Namen „Sonderforschungsbereich“ (SFB), da die ursprünglich vorgesehene Bezeichnung Schwerpunkt […] mitunter als ein Gütezeichen verstanden wird . […] Ein solches Mißverständnis könnte zur Folge haben, daß ein Wettstreit um die Gewinnung von Schwerpunkten einsetzt, der nicht im Interesse [der (…)] Planung liegt .130

Der Wissenschaftsrat betonte ferner, dass aus der Zahl der SFBs keinerlei Rückschlüsse auf die Qualität der Hochschulen gezogen werden dürften, vielmehr exogene Faktoren wie die Nähe zu relevanten außeruniversitären Forschungseinrichtungen über

„Das freie Vorschlagsrecht ist unverzichtbar! Presseerklärung der WRK zur Vereinbarung über die Lehrstuhlausschreibung“, in: Die Deutsche Universitätszeitung vereinigt mit Hochschul-Dienst 1, no . 1 (1969), S . 17 . 128 Hochschulrahmengesetz vom 26 .1 .1976, Paragraph 45, Absatz 2 . 129 Vgl . Rüegg (1985), S . 39 . Der Kampf gegen die „Ordinarienuniversität“ begann mithin keineswegs erst mit den Studentenprotesten ab 1967, sondern bereits deutlich früher, da die „Oligarchie“ der Lehrstuhlinhaber, die ihre „einmal gewonnen Monopolstellung […] mit allen Mitteln unter der Sonne: Religion, Moral, Legenden, Fiktionen“ verteidigen würden, nicht nur den Studenten und Nichtordinarien, sondern auch Vertretern des Staates ein Dorn im Auge war; Lohmar (1962), S . 31 . 130 Wissenschaftsrat (1967), S . 128 . Zudem sollte eine Verwechslung mit dem bereits bestehenden Schwerpunktprogramm der DFG vermieden werden . 127

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die Vergabe entschieden, Hochschulen mit SFBs auf Förderung in anderen Bereichen würden verzichten müssen und die SFBs nicht wegen mangelnder wissenschaftlicher Leistung der Beteiligten aufgelöst würden, sondern stets dann, wenn „ihre Aufgabe erfüllt ist“ .131 Das war freilich nur die halbe Wahrheit, da die Mittelvergabe und Dauer der Förderung durchaus von der evaluierten Forschungsleistung der beteiligten Wissenschaftler abhängig gemacht wurde und die Gewinnung eines Sonderforschungsbereiches nicht zu einer Verringerung der (direkten) staatlichen Finanzierung führen durfte und somit immer einen Gewinn darstellte, was der Wissenschaftsrat im Übrigen auch befürwortete . Ergo konnten solche rhetorischen Beteuerungen eine Konkurrenz der Hochschulen um SFBs nicht verhindern, und das muss den Mitgliedern des Wissenschaftsrates bereits bei der Abfassung der Empfehlungen 1967 bewusst gewesen sein . Es ist daher anzunehmen, dass diese Ausführungen in erster Linie zur Beruhigung interner und externer Kritiker eines auf mehr Wettbewerb ausgerichteten Hochschulsystems dienen sollten .132 Zu den Skeptikern zählte nicht zuletzt die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die mit der Vergabe der Sonderforschungsbereiche betraut werden sollte, obwohl nicht nur ihr Präsident Julius Speer Vorbehalte gegenüber den neuen Fördermitteln äußerte . Ungeachtet der gegenteiligen Bekräftigungen des Wissenschaftsrates erwartete Speer, dass die SFBs qualitative Unterschiede zwischen den deutschen Hochschulen aufdecken würden, was es zu verhindern gelte .133 „Ein wenig politischer Druck“ brachte die DFG allerdings trotz ihrer Bedenken dazu, als „sachverständiger Dritter“ die Verantwortung über die Vergabe der Sonderforschungsbereiche zu übernehmen, für die bereits in den ersten Jahren weit mehr Anträge eingingen, als Fördergelder zur Verfügung standen .134 Die sich rasch als impraktikabel erweisende Zweiteilung der Verfahrensordnung in ein Anerkennungs- und ein separates Finanzierungsverfahren, für das sich der Wissenschaftsrat ein Vetorecht sicherte, brachte es jedoch mit sich, dass die DFG Anträge genehmigen konnte, obwohl die finanziellen Mittel für eine Förderung fehlten, was zu einer hohen Anerkennungsrate, einer in Folge dessen kontinuierlich anwachsenden Warteliste (für die Finanzierung) und schließlich zu einer schweren Krise der SFBs Mitte der 1970er Jahre führen sollte .135 Erst nach der 1977 aufgrund des finanziellen Engpasses durchgeführten Reformierung der Verfahrensordnung wurde die Anerkennung von SFBs zu dem kompetitiven Verfahren, wie wir es heute kennen,

Wissenschaftsrat (1967), S . 136 . Nach Helmut Schelsky folgte der Wissenschaftsrat „damit der in der Bundesrepublik auch sonst verbreiteten Tendenz, harte politische Konsequenzen durch begriffliche Verharmlosung zu maskieren; ob diese Psychologie der kleinen Leute für uns Wissenschaftler wirklich angebracht ist, wage ich zu bezweifeln“; Schelsky (1969), S . 219 . 133 Vgl . Szöllösi-Janze (2014), S . 328–329 . 134 Streiter (2009), S . 6; Stackmann/Streiter (1985), S . 32 . 135 Vgl . Stackmann/Streiter (1985), S . 7 . Noch im Jahr 1977 bewilligte die DFG 106 von insgesamt 107 gestellten Anträgen; vgl . Deutsche Forschungsgemeinschaft (circa 1977), S . 195 . 131 132

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da die DFG fortan nicht mehr alle Geeigneten, sondern lediglich die Besten prämierte, wodurch die SFB-Historie aber „leider auch eine Geschichte enttäuschter Hoffnungen“ wurde .136 Die Hochschulleitungen standen den Sonderforschungsbereichen anfänglich sehr skeptisch gegenüber, da sie zwar den prämierten Forschungsvorhaben Geld und Prestige einbrachten, andererseits jedoch in die hochschulinternen Geldverteilungsvorgänge eingriffen, weil SFB-Projekte mit zusätzlichen universitären Eigenmitteln ausgestattet werden mussten „und daher nicht selten in den Verdacht unangemessener Bevorzugung“ gerieten .137 Insbesondere auf den größeren Universitäten mit breitgefächertem Forschungsspektrum wurden die SFBs daher nicht nur positiv wahrgenommen, so dass bereits wenige Jahre nach Einführung des neuen Förderinstruments „nicht wenige SFB […] aus Mangel an Unterstützung durch ihre Hochschule“ scheiterten .138 Obwohl die Bedeutung der Drittmittelforschung, und darunter in erster Linie der DFG-Mittel, über die Jahrzehnte beträchtlich zunahm und somit Erfolg oder Misserfolg eines Antrags immer gravierendere Auswirkungen auf die Realisierbarkeit größerer Forschungsprojekte hatte, nahm die Akzeptanz des Vergabeverfahrens kontinuierlich zu, was nicht zuletzt mit der Entwicklung entpersonalisierter Begutachtungskriterien durch die DFG zusammenhängen dürfte, die noch bis in die späten 1950er Jahre Entscheidungen „nach Gutsherrenart“ getroffen hatte, also dem guten Namen des Antragstellers ein größeres Gewicht beimaß als dem Antrag selbst, nun jedoch nach Innovationspotential, theoretischer Fundierung und Methodik bewertete .139 Zudem wurden die Hochschulen, die bislang kaum Einfluss auf die Drittmittelprojekte der einzelnen Professorinnen und Professoren ausüben konnten, in den 1970er Jahren mit der „Verantwortung für Forschung als eigene Aufgabe“ betraut .140 Zum einen mussten fortan „alle an der Hochschule tätigen Wissenschaftler der Hochschule die Annahme von Mitteln Dritter für Forschungszwecke anzeigen“ und genehmigen lassen .141 Zum anderen flossen die DFG-Fördergelder nach dem Inkrafttreten des Hochschulrahmengesetzes nur noch in Ausnahmefällen direkt auf die Privatkonten der Wissenschaftler, sondern wurden in der Regel von den Hochschulen zentral verwaltet, die dadurch „unmittelbar Vertragspartner und Drittmittelempfänger“ wur-

Stackmann/Streiter (1985), S . 7 . Stackmann/Streiter (1985), S . 19 . Stackmann/Streiter (1985), S . 25 . Vom Bruch (2010b), S . 50; Wagner (2010), S . 25; vgl . dazu auch die Zahlen in: Wissenschaftsrat (1982), S . 48 . 140 Wissenschaftsrat (1970), S . 98 . 141 Wissenschaftsrat (1970), S . 100 . Bezeichnenderweise drehte sich die Diskussion um private Spendengelder in den 1970er Jahren vor allem um die Frage, auf welche Weise die Hochschulen deren Annahme durch ihre Professoren verhindern, und nicht, wie sie die Wissenschaftler bei der Einwerbung unterstützen können sollten . 136 137 138 139

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den und die Verwendung der Finanzmittel kontrollieren konnten .142 Dadurch wurde es überhaupt erst möglich, dass die Hochschulen bzw . die Hochschulleitungen SFBs als Prämien betrachten konnten, von denen nicht nur einzelne Wissenschaftler, sondern die Universität als Ganzes profitierten und um die es zu konkurrieren galt . Die 1960er Jahre waren keine Hochphase interuniversitärer Konkurrenz, da die Studentenzahlen sprunghaft anstiegen (und Studenten somit keine knappe Prämie darstellten), die ZVS einen Teil der Studienbewerber auf die einzelnen Universitäten verteilte und staatliche Gelder bis zum Ende des „Booms“ vergleichsweise reichlich an die Universitäten flossen . Zudem wurde der Wettbewerb um Professoren durch bildungsplanerische Maßnahmen, eine intensive Zusammenarbeit der Landeskultusministerien, eine Bürokratisierung der Berufungsverfahren (mitsamt zeitlich begrenzten Berufungssperren) sowie die Abschaffung der Kolleggelder entschärft . Demgegenüber nahm der Bedarf an berufungsfähigen Wissenschaftlern aufgrund der zahlreichen Hochschulneugründungen beträchtlich zu, was wiederum eine Verschärfung des interinstitutionellen Wettbewerbs um wissenschaftliches Personal bedeutete . Ferner wurde mit den 1968 ins Leben gerufenen Sonderforschungsbereichen eine neue Prämie interuniversitärer Konkurrenz geschaffen, die jedoch erst im Zuge der auch an den Hochschulen spürbaren wirtschaftlichen Rezession und der 1977 erfolgten Verfahrensänderung zu einem bedeutenden Wettbewerbsinstrument wurden . Während zu Beginn der 1960er Jahre angesichts eines feststellbaren Braindrains über eine Orientierung am kompetitiven US-Hochschulsystem diskutiert worden war, begannen in der zweiten Hälfte des Dezenniums soziale Fragen in den Vordergrund zu rücken . Reformen an dem für veraltet betrachteten „Humboldt’schen Universitätsmodell“ erfolgten daher weniger im Hinblick auf ökonomische Zielsetzungen denn in der Absicht einer Demokratisierung der Hochschulen . V.2

Die Gesamthochschulen zwischen Differenzierung und Nivellierung

1966 begannen im reformfreudigen Baden-Württemberg die Arbeiten an einem Hochschulgesamtplan, der eine Antwort auf die Frage „How can we be equal and excellent too?“ liefern sollte, die zu Beginn des Jahrzehnts von dem US-Bildungsexperten John W . Gardner formuliert worden war .143 Als ein Arbeitskreis unter Leitung von Ralf Dahrendorf mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzesentwurfs begann, war nicht abzusehen, dass das Thema Gesamthochschule (GHS) bereits kurze Zeit später zu ideologiegeladenen Auseinandersetzungen zwischen SPD und Union sowie einem Drosdzol (1984), S . 60–61 . Noch 1965 lehnte DFG-Präsident Julius Speer Verwendungsnachweise für Drittmittel ab: „Es entstünde nur eine überflüssige Verwaltungsmehrarbeit ohne praktischen Nutzeffekt“, so Speer (1965), S . 88 . 143 Vgl . Gardner (1962), Titel . 142

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Zerwürfnis zwischen der baden-württembergischen CDU und dem Bildungsreformer Dahrendorf führen sollte, der 1968 für die oppositionelle FDP in den Landtag einzog .144 Baden-Württemberg, das mit mehreren ambitionierten Hochschulgründungen und einem deutlichen „Import-Überschuß an Studenten“ an seine finanziellen Grenzen gestoßen war, wollte sämtliche Landeshochschulen in einem „differenzierten Gesamthochschulbereich“ zusammenfassen, um so die Kosteneffizienz zu verbessern und die Quote der Studienabbrecher zu senken . Im 1967 vorgestellten Hochschulgesamtplan wurde betont, dass mit der Gesamthochschule „keinerlei Nivellierung beabsichtigt [sei]; vielmehr liegt die Absicht dieses Gesamtplanes im Vorschlag größerer Differenzierung . […] So viel Einheit wie nötig, so viel Vielfalt wie möglich“ .145 Dahrendorf, der die zwischenzeitlich angedachte und möglicherweise treffendere Bezeichnung „Multiversität“ schlussendlich verwarf, wollte die einzelnen Hochschularten nicht verschmelzen, sondern als eine Art „Wissenscenter mit Warenhauscharakter“ unter einem gemeinsamen Dach bestehen lassen .146 Nur wenige Monate nach Erscheinen des Hochschulgesamtplanes griffen die Sozialdemokraten das Schlagwort „Gesamthochschule“ auf und präsentierten ein eigenes Modell integrierter Gesamthochschulen . Im Unterschied zum Entwurf Dahrendorfs, der bildungsökonomische Überlegungen ins Zentrum gerückt hatte, bestimmten gesellschaftsreformerische Zielsetzungen die GHS-Planungen der Sozialdemokraten .147 Dem konkurrenzfeindlichen Gleichheitsgrundsatz folgend, wollte die SPD Prestigeunterschiede zwischen den Hochschulen und ihren Angehörigen und Absolventen beseitigen, wozu sämtliche höheren Schulen (von den Universitäten bis zu den Fachhochschulen, auf die im Folgenden noch einzugehen sein wird) zu einer beziehungsweise mehreren Gesamthochschule(n) mit gemeinsamer Leitung und gemeinsamen Entscheidungsorganen zusammengefasst werden sollten .148 Nach den Vorstellungen des Berliner Wissenschaftssenators Carl Heinz Evers (SPD) sollte die Einebnung der Hierarchien zwischen (und innerhalb der) Hochschulen zur Durchsetzung gleicher Bildungschancen für alle Bevölkerungsschichten oder, allgemeiner gesprochen, zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen .149 Die „Egalisierung vorgeprägter Unterschiede zwischen Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen im Hinblick auf Bauausstattung, Haushaltsmittel und Personal“ wurde 1971 vom bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Ulrich Lohmar sogar als zentrales Vorhaben der sozialliberalen Bundesregierung be-

Zur nordrhein-westfälischen Gesamthochschulpolitik vgl . Celebi (2017) . Kultusministerium Baden-Württemberg (1967), S . 39 . Schwarz (1969), S . 4; vgl . Dahrendorf (1974), S . 155 und Kultusministerium Baden-Württemberg (1967), S . 112 . 147 Die Fokussierung auf (bildungs-)ökonomische Überlegungen in den CDU-Entwürfen wurde von der SPD auch als Argument gegen diese Pläne ins Feld geführt; vgl . Mohrhart (1971), S . 12 . 148 Vgl . „SPD: Vorschläge zur Reform der Hochschulen des Bildungspolitischen Ausschusses“ (April 1969), in: Westdeutsche Rektorenkonferenz (1969): 33–54, S . 38 . 149 Vgl . Evers (1969), S . 130–131 . 144 145 146

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nannt .150 Auch Hans Leussink, der als Minister für Bildung und Wissenschaft dem Kabinett Brandt angehörte und dessen politischer Standpunkt angesichts seiner Parteilosigkeit und marktliberalen Rhetorik als Vorsitzender des Wissenschaftsrates nicht leicht zu verorten war, bekräftigte, dass er in der GHS-Frage verschiedene Abgeordnete „weit links überholen könnte, die das gar nicht vermuten“ .151 Während sich die Bundesassistentenkonferenz (BAK) in ihrem Bergneustädter Gesamthochschulplan (1970) ebenso zur (integrierten) Gesamthochschule bekannte wie der Wissenschaftsrat, die Westdeutsche Rektorenkonferenz, der Deutsche Bildungsrat, die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, der Verband deutscher Studentenschaften und die FDP, wurde die von der Union favorisierte Variante der „kooperativen Gesamthochschule“, die nicht von Egalisierungsüberlegungen ausging, sondern „unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit“ entwickelt worden war, immer mehr zum dezidierten Gegenkonzept zur sozialliberalen Hochschulpolitik .152 In Fundamentalopposition zur Idee der integrierten Gesamthochschule stand zudem der 1970 gegründete und rasch an Einfluss gewinnende „Bund Freiheit der Wissenschaft“ (BFW), für den die GHS eine Ausgeburt sozialistischer Gleichmacherei darstellte .153 In einer noch vor der offiziellen Gründung des BFW publizierten Schrift warnten dessen Gründungsväter vor den mit der Gesamthochschule verbundenen Nivellierungstendenzen, die zu „Einheitsprofessoren“ führen würden, forderten die (konservativen) Landesregierungen auf, „der befürchteten Gleichschaltung [!] durch den Bund“ entgegenzuarbeiten, und plädierten in ihrer verbandseigenen Zeitschrift für eine pluralistische Hochschullandschaft, in der die Universitäten dem „Zwang zur Konkurrenz mit anderen Hochschulen des In- und Auslandes“ ausgesetzt sind .154 Unter dem Vorwand, ledigZitiert nach Heckhausen (1971), S . 200 . „Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 30 .10 .1969“; , S . 190; letzter Zugriff: 27 .4 .2019; vgl . Hinze (1969), S . 23 . Noch 1965 hatte Leussink die Meinung vertreten, „daß sich Planung und Wissenschaft zueinander verhalten wie Feuer und Wasser“; zit . nach Szöllösi-Janze (1990), S . 85 . 152 Kultusministerium Baden-Württemberg (1969), S . 11; vgl . Bundesassistentenkonferenz (1970); Wissenschaftsrat (1970), S . 114; Oehler (1998), S . 436; Dillenburger/Pautsch (2011), S . 35; Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (1973a), S . 48; Hüfner u . a . (1986), S . 177; Rudloff (2005), S . 86 . Die Bundesassistentenkonferenz (1968–1974) war eine kurzlebige Interessenvertretung des sogenannten akademischen Mittelbaus . Der Deutsche Bildungsrat war eine von Bund und Ländern gegründete und von 1965 bis 1975 bestehende Kommission für Bildungsplanung . 153 Vgl . Wehrs (2008), S . 14 sowie Wehrs (2014) . Der Direktor des Weltwirtschaftsarchivs und BFW-Mitbegründer Heinz-Dietrich Ortlieb widmete eine seiner gegen die GHS gerichteten Veröffentlichungen „dem Praktiker des Sozialismus Willy Brandt als Warnung“; Ortlieb (1971), vorgestellte Widmung . 154 Maier (1970), S . 21 . Maier lehnte sowohl die integrierte, als auch die kooperative Form der Gesamthochschule ab; vgl . Maier (1970), S . 24 . Ironischerweise wurden in den ersten Jahren nach seinem im Dezember 1970 erfolgten Amtsantritt als bayerischer Kultusminister zwei Gesamthochschulen in Bamberg und Eichstätt gegründet . Bayern wurde damit zum einzigen konservativ regierten Bundesland mit Gesamthochschulen, die jedoch bis auf den (bereits Ende des Jahrzehnts wieder aufgegebenen) Namen kaum etwas mit ihren Schwestern in Hessen und Nordrhein-Westfalen gemein hatten; Hochschulpolitischer Informationsdienst 2, no . 12 (1971), S . 3 . 150 151

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lich „die Prestigekonkurrenz zwischen den Hochschulorten […] beenden“ zu wollen, liefen die sozialdemokratischen GHS-Pläne nach Ansicht des BFW-Mitbegründers Hermann Lübbe auf die Beseitigung qualitativer Unterschiede zwischen den Hochschulen und eine Abkehr vom Leistungsprinzip hinaus, was der BFW strikt ablehnte .155 Zwar verwahrte sich die SPD gegen den Vorwurf, mit ihren Egalisierungsbestrebungen das Leistungsprinzip aushebeln zu wollen,156 doch wollte sie nicht darauf vertrauen, dass sich die GHS im Wettbewerb mit den konventionellen Hochschulen behaupten werde . Vielmehr sollte der Staat auf gesetzgeberischem Wege die Durchsetzung der Gesamthochschule auch gegen den erwarteten Widerstand der Universitäten sicherstellen, der nicht lange auf sich warten ließ, nachdem in den sozialdemokratisch regierten Bundesländern Hessen und Nordrhein-Westfalen im Eiltempo die Errichtung mehrerer Gesamthochschulen durchgeführt worden war .157 Innerhalb der WRK, die die Gesamthochschulidee zunächst begrüßt hatte, da sich die Rektoren von der Beseitigung des Prestigegefälles eine Beendigung des vermeintlich unaufhaltsamen Aufstiegs der nach finanzieller und rechtlicher Gleichstellung strebenden Fachhochschulen erhofften, die in der Konkurrenz mit den Technischen Hochschulen und Universitäten zu den etablierten Hochschulformen aufschließen wollten, mehrte sich die Zahl der GHS-Gegner, als ersichtlich wurde, dass gerade durch die Etablierung von Gesamthochschulen die herausgehobene Stellung der Universitäten und Technischen Hochschulen und ihrer Angehörigen beseitigt werden würde sowie mit einer größeren staatlichen Einflussnahme und einem Bedeutungsverlust der Hochschulforschung zugunsten der Lehre zu rechnen war .158 Namentlich konservative Hochschulrektoren wie Kurt Biedenkopf von der Universität Bochum stellten sich den mit der GHS verbundenen Egalisierungstendenzen entgegen und regten stattdessen an, die qualitativen Unterschiede zwischen den Hochschulen sichtbar zu machen, zumal der gesamteuropäische Trend, wie der Generalsekretär der WRK auf einer internationalen Tagung im Jahre 1971 feststellte, auf ein diversifiziertes Hochschulwesen abzielte und sich die Bundesrepublik somit auf einem bildungspolitischen Alleingang befinde .159

Lübbe (1972 [1971]), S . 157 . „Die SPD geht weiter davon aus, daß […] das Leistungsprinzip […] nicht außer Kraft gesetzt werden darf; darin unterscheidet sie sich von der ‚Neuen Linken‘ und ihren utopischen Angriffen gegen die industrielle Leistungsgesellschaft“; „SPD: Schwerpunktprogramm zur Wissenschaftspolitik“ (5 .9 .1969), in: Westdeutsche Rektorenkonferenz (1969): 55–57, S . 55 . 157 Dabei handelte es sich um die 1971 eröffnete GHS Kassel sowie die ein Jahr später errichteten Hochschulen in Hagen, Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal . Hochschulneugründungen sollten nach den Vorstellungen der SPD nur noch in GHS-Form erfolgen; vgl . Hochschulrahmengesetz vom 29 .1 .1976, Paragraph 5 . 158 „Solange noch ein Prestigegefälle besteht, werden die Fachhochschulen mit Erfolg [!] danach streben, Unterschiede auszugleichen“, so der WRK-Präsident Hans Rumpf in seiner Argumentation pro Gesamthochschulen; Rumpf (1969), S . 3; vgl . Rudloff (2011), S . 206 ff . 159 „Nach dem Konkurrenzprinzip, so prognostizierte Biedenkopf, würden sich die Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Institutionen recht bald herauskristallisieren . Die von Biedenkopf dergestalt 155 156

Die Gesamthochschulen zwischen Differenzierung und Nivellierung

Auch vonseiten der Professoren hatten der nordrhein-westfälische Kultusminister Johannes Rau (1970–1978) und sein hessischer Amtskollege, der „rote Baron“ Ludwig von Friedeburg (1969–1974), mit erheblichem Gegenwind zu kämpfen, da viele Universitätsprofessoren angesichts ihrer höheren Qualifikation nicht auf eine Stufe mit den Fachhochschullehrern gestellt werden wollten und ihre Besitzstände zu wahren beabsichtigten .160 Überdies rückte der Wissenschaftsrat bereits ab etwa 1973 von seiner GHS-befürwortenden Haltung ab .161 Auf Bundesebene wurden entsprechende Pläne nach dem Rücktritt Willy Brandts (1974) und einer gewissen Entideologisierung im Zuge von Helmut Schmidts Amtsantritt weniger forciert verfolgt als zuvor .162 Dass die Gesamthochschule in integrierter oder kooperativer Form als anzustrebendes und staatlich zu förderndes Entwicklungsziel dennoch 1976 in das Hochschulrahmengesetz aufgenommen wurde, ist wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die SPD ihr Gesicht wahren und auf ihr jahrelang propagiertes Vorzeigeprojekt zumindest dem Namen nach nicht verzichten wollte, während die Union die ausdrückliche Erwähnung der kooperativen Form als Erfolg für sich verbuchen konnte . Der entsprechende Paragraph des HRG hatte jedoch keinerlei Auswirkungen auf das Hochschulsystem, im Gegenteil: Die neun bestehenden Gesamthochschulen in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, die nicht als den Universitäten ebenbürtige Institutionen angesehen wurden, strebten danach, sich möglichst vollständig an die traditionellen Universitäten anzugleichen, um im Prestigewettbewerb zu ihnen aufzuschließen .163 So gaben die beiden bayerischen Gesamthochschulen ihre Bezeichnung noch im Laufe der 1970er Jahre wieder auf, während sie in Nordrhein-Westfalen durch den vorgestellten Namenszusatz „Universität“ von ihrem vermeintlichen Makel befreit werden sollten . Lediglich die Pionier-Gesamthochschule Kassel hielt mit einem gewissen Stolz als „enfant terrible“ des deutschen Hochschulsystems und Gegenentwurf zu Konstanz bis nach der Wiedervereinigung an ihrer ursprünglichen Titulierung fest .164 Mit der von der Union nach der neoliberalen „Wende“ vorangetriebenen HRG-Novellierung von 1985 wurde die Gesamthochschule, die sowohl aus universitärer als auch aus politischer Perspektive zunehmend als gescheitert betrachtet wurde, vom Entwicklungsziel zur Sonderform innerhalb der Hochschullandschaft abgewertet .165 2002/2003 wurden nach den Gesetzen des kapitalistischen Warenmarktes erwartete Sonderung der Spreu vom akademischen Weizen läuft aber im Grunde auch auf eine Trennung von Elite-Universitäten […] und Ausbildungs-Universitäten hinaus“; Thomas (1969), S . 33; vgl . Neusel/Teichler (1982), S . 168 . 160 Vgl . u . a . Kaufmann (1992), S . 32; Heymann/Karcher (1976), S . 109; Dillenburger/Pautsch (2011), S . 36 . 161 Vgl . Bartz (2008), S . 154 . 162 Vgl . Turner (2001), S . 25 . 163 Vgl . Jessen (2004), S . 228 . Die beiden 1972/73 gegründeten Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und Neubiberg bei München wurden im Übrigen zunächst ebenfalls als Gesamthochschulen konzipiert; vgl . Reuter-Boysen (1995), S . 37 . 164 Rudloff (2011), S . 206 . 165 Vgl . Dillenburger/Pautsch (2011), S . 35 .

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schließlich die sieben verbliebenen Gesamthochschulen in den Bundesländern Hessen und Nordrhein-Westfalen in konventionelle Universitäten umgewandelt . Das Scheitern der Gesamthochschulidee brachte es ferner mit sich, dass die Konkurrenz der Fachhochschulen mit den Universitäten und Technischen Hochschulen fortdauerte, die an dieser Stelle kurz umrissen werden soll .166 Bereits Mitte der 1960er Jahre hatte die Frage, ob die damaligen Höheren Fachschulen in den tertiären Bildungssektor überführt werden sollten, erstmalig einen Interessenkonflikt zwischen ihnen und den bestehenden Hochschulen ausgelöst . Zwar waren zunächst auch an den Fachschulen selbst Stimmen vernehmbar, die sich gegen eine „Akademisierung“ aussprachen, um das traditionell enge Verhältnis zu den Unternehmen nicht zu gefährden, die eine stärkere Theorielastigkeit und höhere Gehaltsforderungen der Absolventen befürchteten und daher eine „Verhochschulung“ mehrheitlich ablehnten . Dies änderte sich jedoch schlagartig, nachdem in einer EWG-Richtlinie festlegt wurde, dass im gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum nur von Hochschulen ausgestellte Ingenieurdiplome anerkannt würden . Trotz des Widerstands aus den Universitäten und Technischen Hochschulen stimmten daher die Ministerpräsidenten der Bundesländer (bei Stimmenthaltungen Bayerns) auf einer Konferenz im Juli 1968 für die Aufnahme der Fachschulen in das Hochschulsystem, die bis zum Jahr 1971 abgeschlossen war .167 Die HRG-Novelle von 1985 gab das Entwicklungsziel Gesamthochschule endgültig auf und strebte eine Neubelebung des Wettbewerbs der Fachhochschulen mit den Universitäten und Technischen Hochschulen an . Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates rieten den Fachhochschulen eine weitere Profilschärfung an . Aufgrund der deutlich kürzeren Studienzeiten und ihrer Praxisorientierung stell(t)en sie für den Staat nicht nur eine vergleichsweise kostengünstige Alternative zu den Universitäten und Technischen Hochschulen dar, sondern versprachen zudem eine Ausbildung, die sich an den Bedürfnissen der (zu Beginn der 1980er Jahre schwächelnden) Wirtschaft orientiert . Weder eine Verschmelzung der Hochschulformen noch eine Entwicklung der Fachhochschulen zu universitätsähnlichen Institutionen wurde daher angestrebt . „Gleichwertig, aber anders“ lautet eine in das Hochschulrahmengesetz von 1985 aufgenommene und seither oftmals wiederholte Formulierung, die frappierend an die Worte Schmidt-Otts erinnert, die er fast hundert Jahre zuvor anlässlich der Verleihung des Promotionsrechtes an die preußischen Technischen Hochschulen ausgesprochen hatte . Zudem wertete das HRG von 1985 die Fachhochschulen auf, indem es die Forschung zu den offiziellen Dienstaufgaben der FHS-Professoren zählte . Mittlerweile gibt der Bolognaprozess dem Wettbewerb zwischen Fachhochschulen und Universitäten ganz neue Impulse . Erstmalig orientieren sich in der interinstitutionellen Konkurrenz um Studierende und Drittmittel nicht nur die Fachhochschulen an

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Vgl . dazu Wienert (2014) . Vgl . Förster (2003), S . 25 .

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten

den Universitäten, sondern umgekehrt auch die Universitäten an den Fachhochschulen . Ein zentraler Streitpunkt bleibt dabei das Promotionsrecht, das die Fachhochschulen zwar laut wiederholter Versicherungen der Fachhochschulrektorenkonferenz nicht anstreben, das jedoch als ein nicht zu vernachlässigender Wettbewerbsvorteil für die Universitäten und Technischen Hochschulen anzusehen ist . Die Voraussetzungen, unter denen FHS-Absolventen zur Promotion zugelassen werden können beziehungsweise müssen, sind nach wie vor heiß umstritten, und der deutsche Doktortitel in seiner jetzigen Form reizt Professoren der Fachhochschulen bisweilen zu polemischen Ausfällen .168 V.3

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten zwischen Plan und Wirklichkeit

Zurück zur „Humboldt’schen Universität“! Mit diesem Satz ließe sich wohl das Hauptanliegen zusammenfassen, das der Soziologe Helmut Schelsky mit der Veröffentlichung seiner 1963 erschienenen Schrift Einsamkeit und Freiheit verfolgte . Bezeichnenderweise wählte er bereits für den Titel ein Zitat Wilhelm von Humboldts, das er angesichts der veränderten Problemlage der 1960er Jahre auf die vermeintliche „Überfüllung“ der Universitäten bezog . Ausgangspunkt für Schelskys Überlegungen war also die stark gestiegene Studentenzahl, die die Hochschulen nach Ansicht des Soziologen überlastete . Abhilfe schaffen wollte er durch eine Hochschulreform, nach der strenge Aufnahmebedingungen ein günstigeres Zahlenverhältnis zwischen Professoren und Studierenden garantieren sollten . Das Problem der deutschen Universitäten lag nach Schelsky folglich nicht im Festhalten am Humboldt’schen Modell, sondern im Gegenteil darin begründet, dass sich die Gestalt der deutschen Universitäten seit den 1920er Jahren bedeutend gewandelt hatte und sie nun aufgrund überfüllter Lehrsäle und überlasteter Dozenten aufgehört hätten, „Humboldt’sche Universitäten“ zu sein, ja dem Humboldt’schen Ideal in seinen Augen ferner standen als ihre amerikanischen Schwesterinstitutionen .169 Schelsky gab dem vor allem durch ihn bekannt gewordenen Humboldt-Wort daher eine zweite Bedeutung, indem er die verschlankte Universität zum Ziel seiner Reform machte . Eine überschaubare Zahl an Studenten sollte in engem Verbund mit ihren Professoren in „Einsamkeit und Freiheit“ forschen und lernen . Dazu hätte schlechterdings dem wachsenden Drang der Jugend nach akaHelmut Wienert, Volkswirtschaftler an der Hochschule Pforzheim, nennt die „deutsche Promotion […] ein quasi-feudales Relikt, ein bürgerlicher Ersatztitel für die adeligen Balzränge“; Wienert (2014), S . 31 . Gegenwärtig erwägt die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen die Einführung des Promotionsrechtes für Fachhochschulen . 169 „Wenn ich gefragt werde, wo Humboldt heute noch am Werke sei, so antworte ich, […] in Amerika jedenfalls mehr als an den deutschen Universitäten“; Diskussionsbeitrag Schelskys in: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (1961), S . 35 . 168

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demischer Bildung ein Riegel vorgeschoben werden müssen und nur noch ein kleiner Prozentsatz der Studienberechtigten in den Genuss eines Hochschulbesuchs gebracht werden dürfen . Da sich Schelsky darüber im Klaren war, dass die bestehenden Universitäten, und vor allem Politik und Gesellschaft, einer solchen Reform erheblichen Widerstand entgegensetzen würden, konzipierte er stattdessen mit Unterstützung des nordrhein-westfälischen Kultusministers Paul Mikat (CDU; 1962–1966) eine Reformuniversität in Bielefeld, um dort seine Ideen in die Tat umzusetzen . Die neue Universität sollte nach einem selbst durchgeführten Auswahlverfahren eine nicht zu überschreitende und im Verhältnis zu den klassischen Universitäten auffallend niedrige Zahl postgraduierter Studenten aufnehmen . Dadurch ermöglichte kleine Seminare sollten einen beständigen Meinungsaustausch zwischen Professoren und Studierenden der Hochschule ermöglichen . Nicht wenige Professoren hätten vermutlich einen Ruf an eine Universität mit garantierten Forschungsfreisemestern, einer starken akademischen Selbstverwaltung und einer geringeren Arbeitsbelastung aufgrund vergleichsweise weniger zu betreuender Studenten mit Freude angenommen . Bielefeld wäre es daher im interuniversitären Wettbewerb wohl nicht schwergefallen, viele hochqualifizierte deutsche Professoren sowie die besten postgradualen Studenten für sich zu gewinnen, die durch die berufenen Kapazitäten und die gute Erreichbarkeit der Dozenten angelockt und somit zu einer neuen Prämie des interuniversitären Wettbewerbs geworden wären . Heutzutage würde eine solche Universität daher wohl als „Elite-Universität“ bezeichnet werden, eine Begrifflichkeit, die Schelsky jedoch geflissentlich vermied, da seiner Meinung nach „jede Form des Elitebegriffs […] das universale Ansinnen der Bildung verstellt“ und „Elitegedanken in den Zielvorstellungen der Universität nichts zu suchen“ hätten .170 Dass Schelsky auf den Begriff Elite verzichten zu müssen glaubte, aber gleichzeitig ein funktional und qualitativ differenziertes Hochschulsystem begrüßte (er prognostizierte, dass sich an der zu errichtenden Universität „ein kollektives Selbstbewußtsein heranbildet, das die eigene […] Rolle im Verhältnis zu dem übrigen Hochschulwesen zuweilen überschätzen mag“, was er ausdrüklich guthieß), erklärt sich wohl auch aus seiner Vergangenheit im „Dritten Reich“ .171 Schelsky dürfte den Begriff Elite vermieden haben, da dieser bis in die 1980er Jahre hinein als hochgradig NS-belastet galt . Seine Zeitgenossen mussten geradezu zwangsläufig an Erziehungseinrichtungen des „Dritten Reiches“ denken (wie Napolas, SS-Junkerschulen, NS-Ordensburgen), die sich die Ausbildung einer politischen und gesellschaftlichen Elite auf die Fahnen geschrieben hatten . Ab 1965 waren sprachliche Anklänge an die Bildungspolitik des „Dritten Reiches“ für Schelsky umso gefährlicher, da ihn in diesem Jahr seine eigene Schelsky (21971), S . 225 . An anderer Stelle betont Schelsky jedoch, dass der Humboldt’schen Universität ein „elitärer Zug, der heute allzuleicht übersehen wird“ anhafte; Schelsky (21971), S . 91; vgl . zudem Lübbe (2009) . 171 Vgl . Schelsky (21971), S . 232 . 170

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten

NS-Vergangenheit einholte und seine SA-, NSDStB- und NSDAP-Mitgliedschaften ausgiebig thematisiert wurden .172 Dass es sich bei der Universität Bielefeld, die ja nach Schelskys Vorstellungen die einzig wahre „Humboldt’sche Universität“ Deutschlands werden sollte, um eine herausgehobene Spitzenbildungseinrichtung handeln würde, hatte Schelsky allerdings zweifelsohne beabsichtigt, wollte er doch eine Hochschule errichten, die „besser“ als alle Bestehenden sein sollte und daher attraktiver als jene werden würde . Gleichwohl wollte er vermeiden, dass sich der interuniversitäre Wettbewerb um Wissenschaftler mit der Gründung Bielefelds verstärkt . So bedauerte es Schelsky ausdrücklich, dass der „Wert“ eines Professors von der Leichtigkeit [abhänge], mit der er seine Zugehörigkeit zu einer Hochschule wie einen Job zu wechseln oder wenigstens diese Einstellung für Berufungen glaubhaft zu machen versteht . Indem die staatlichen Hochschulverwaltungen in der Konkurrenzpolitik der Länder darauf eingegangen sind, daß Berufungen an eine Universität heute kaum noch Lebensentschlüsse darstellen, sondern zu Geschäftsabschlüssen in einer personalen Konkurrenzwirtschaft werden, sind sie selbst dabei, die einzig aussichtsreichen Fundamente einer […] Hochschulreform zu zerstören .173

Schelsky irrte freilich in seinem Glauben, dass in einer von ihm nicht näher definierten Vergangenheit „Leidenschaft und Opferbereitschaft“ die Professoren Zeit ihres Lebens an eine Hochschule gebunden hatten und sie nach diesen Tugenden entlohnt worden waren .174 Die unter anderem vom Wissenschaftsrat geäußerten Befürchtungen, wonach Neugründungen wie Bielefeld aufgrund ihrer besonderen Attraktivität die älteren Universitäten zu zweitklassigen Einrichtungen degradieren könnten, da sie die besten Professoren und Studierenden an sie verlören, bezeichnete Schelsky im Übrigen als schamlose rhetorische Angriffe auf seine Pläne, die es „mit allen moralischen Mitteln mundtot und wirkungslos“ zu machen gelte .175 Die bestehenden Hochschulen müssten sich schließlich, und da vertraute Schelsky nun doch auf Wettbewerbsmechanismen, zum Wohle des wissenschaftlichen Fortschritts die neue Konkurrenz gefallen lassen, würde doch das Wanderungsverhalten der Studenten zeigen, ob weitere Reformuniversitäten im Stile Bielefelds gegründet werden könnten beziehungsweise konventionelle Universitäten „auf diesen Typ der Hochschule umstellen sollten“ .176 Hier machte es sich Schelsky in seiner Argumentation freilich etwas zu leicht, da sich die bestehenden Hochschulen gar nicht von sich aus in Reformuniversitäten verwandeln konnten . Sie hatten schließlich nicht das Recht, sich ihre Studierenden selbst auszusuchen, feste Obergrenzen für Neuimmatrikulationen einzuführen oder keine

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Mälzer (2016), S . 322–327 . Mälzer (2016), S . 235 . Mälzer (2016), S . 235 . Schelsky (21971), S . 238; vgl . Wissenschaftsrat (1962), S . 13 . Schelsky (21971), S . 239 .

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Grundstudiengänge mehr anzubieten, sondern mussten sich organisatorische Veränderungen von staatlicher Seite absegnen lassen . Einen Wettbewerb gleichberechtigter Institutionen hätte es daher zwischen Universitäten alten und neuen Stils nicht geben können . Wie Moritz Mälzer in seiner jüngst erschienenen Studie zu den Reformuniversitäten darlegt, war „die Vorstellung vom Wettbewerb unterschiedlicher Institutionen“ ohnehin „vielen Akteuren […] schwer erträglich“ .177 Etwa zu gleicher Zeit wie Helmut Schelsky machte man sich auch im Südwesten der Republik Gedanken über eine Reformuniversität, die das Humboldt’sche Universitätsideal neu beleben und auf dem Wege des Wettbewerbs auf die bestehenden Hochschulen einwirken sollte, und versuchte gleichfalls den Begriff Elite zu vermeiden .178 Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger (CDU) wollte im Hinblick auf das Bildungswesen dafür sorgen, „daß das Land Baden-Württemberg hierin von keinem anderen Bundesland übertroffen wird“ .179 Das Zitat verdeutlicht, dass der Wettstreit der deutschen Länder um die besten Bildungseinrichtungen auch in bundesrepublikanischen Zeiten noch nicht der Vergangenheit angehörte .180 In Konstanz sollte nach Kiesingers Vorstellung erstmals eine Universitätsneugründung nicht (nur) der Entlastung der bestehenden Hochschulen dienen, sondern durch ein neues Konzept „Gelehrte von Namen und Rang“ anziehen .181 Auch architektonisch sollte sich Konstanz von den universitären Betonriesen der 1960er Jahre unterscheiden, jedoch ebenso wie diese auf die in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs vermiedenen baulichen Machtsymbole verzichten .182 Zu Kiesingers Vorhaben, an dem Kultusminister Gerhard Storz (CDU, 1958–1964), dessen Amtsnachfolger Wilhelm Hahn (CDU, 1964–1978) sowie der Soziologe Ralf Dahrendorf federführend mitwirkten, gehörten Mälzer (2016), S . 133 . Der baden-württembergische Kultusminister Gerhard Storz ließ sogar verlauten, dass mit der Gründung der Universität Konstanz erstmals (!) die Humboldt’schen Ideale verwirklicht würden; vgl . Altenmüller (1963), S . 6 . Ralf Dahrendorf war der Ansicht, dass sich Demokratisierung und Elitebildung nicht gleichzeitig verwirklichen ließen; vgl . Dahrendorf (1966), S . 106 . Kultusminister Storz betonte, dass Konstanz keine Eliteuniversität werden sollte („Landtagsdebatte über die ‚Denkschrift der Regierung über die Errichtung von wissenschaftlichen Hochschulen in Baden-Württemberg‘ vom 30 . Mai 1963“, in: Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 1, no . 1 (1963): 5–74, S . 26) . 179 So Ministerpräsident Kiesinger; „Landtagsdebatte über die ‚Denkschrift der Regierung über die Errichtung von wissenschaftlichen Hochschulen in Baden-Württemberg‘ vom 30 . Mai 1963“, in: Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 1, no . 1 (1963): 5–74, S . 12 . 180 Baden-Württembergs Kultusminister Gerhard Storz musste in seiner Rede sogar dem Eindruck der Landtags-Opposition entgegentreten, wonach es sich bei Konstanz um ein reines Prestigeprojekt des Landes handle; vgl . („Landtagsdebatte über die ‚Denkschrift der Regierung über die Errichtung von wissenschaftlichen Hochschulen in Baden-Württemberg‘ vom 30 . Mai 1963“, in: Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 1, no . 1 (1963): 5–74, S . 23 . 181 So Kurt-Georg Kiesinger in: Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 1, no . 1 (1963), S . 11 . „Unser Land muß […] für die Neugründung einer Universität eine andere Rechtfertigung haben als die, der Überfüllung der wissenschaftlichen Hochschulen, insbesondere der Universitäten, abhelfen zu wollen“ heißt es in: Landesregierung Baden-Württemberg (1963), S . 12 . 182 Vgl . Heinle/Heinle (2001), S . 166 . 177 178

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten

eine Begrenzung der Immatrikulationen, eine von der Universität eigenverantwortlich durchzuführende Auslese unter den Studienbewerbern nach Bewerbungsgesprächen, eine Spezialisierung durch Beschränkung auf drei Fakultäten, ein Globalbudget sowie eine weitreichende Selbstverwaltung der Universität .183 Noch deutlicher als Schelskys Bielefelder Pläne griff das baden-württembergische Konzept somit strukturelle Besonderheiten der angloamerikanischen Hochschulsysteme auf und beabsichtigte nicht nur eine Restaurierung der „Humboldt’schen Universität“ .184 Gleichwohl betonte Ministerpräsident Kiesinger bei der Grundsteinlegung im Juni 1966, dass das Humboldt’sche Modell stets als Vorbild gedient habe .185 Während Kiesingers Koalitionspartner von der FDP/DVP im Sprachgebrauch der atombegeisterten 1960er Jahre von Konstanz „eine radioaktive Einwirkung auf die traditionellen Universitäten“186 erwartete, bemängelte die oppositionelle SPD, dass die Konstanzer Hochschulpläne die Bedürfnisse Baden-Württembergs zugunsten gesamteuropäischer Überlegungen und eines für Kiesinger typischen Prestigedenkens hintanstellten . Ferner machte der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Walter Krause die Landtagsabgeordneten darauf aufmerksam, dass die bestehenden Universitäten in einer Hochschule mit einem festgelegten Maximum an Studierenden einen Konkurrenten sehen würden, mit dem kein fairer Wettbewerb möglich sei, solange man die Erstgenannten zur Aufnahme von immer mehr Studenten zwinge .187 Konstanz sollte daher wie die bisherigen Neugründungen als Entlastungsuniversität dienen und der „Studentenberg“ solidarisch auf alle Hochschulen verteilt werden . Krauses Einwand, den in ähnlicher Formulierung auch der Wissenschaftsrat vorbrachte, wurde verständlicherweise von den Rektoren der bestehenden baden-württembergischen Universitäten lebhaft unterstützt, so dass das baden-württembergische Kultusministerium sogar befürchten musste, dass die neue Universität in Konstanz von jenen nicht anerkannt würde .188 Letztlich fühlten sich die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen dazu bewogen, in Konstanz respektive Bielefeld Universitäten zu gründen, die zwar offiziell weiterhin als Reformuniversitäten tituliert, jedoch in ihrem Aufbau den bestehenden Hochschulen weitgehend angeglichen wurden . Gründe dafür waren die Kritik an den ursprünglichen Reformhochschulplänen vonseiten der

Vgl . Nesselhauf (1976) S . 23; Altenmüller (1963), S . 4–6 . Angedacht war eine Obergrenze von 3000 Studierenden; vgl . „Zur Universität Konstanz . Stellungnahme des Kultusministeriums von Baden-Württemberg“, in: Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 4, no . 2 (1966): 14–52, S . 41 . 184 Vgl . Paulus (2010), S . 347 . An dieser Stelle sei bemerkt, dass sich die Bielefelder und Konstanzer Reformer auch untereinander als Konkurrenten um den besseren Hochschulplan betrachteten . So erlaubte sich Ralf Dahrendorf einen Seitenhieb auf Schelsky, als er „Einsamkeit und Freiheit […] sehr problematische Orientierungspunkte“ für eine Reformierung der Hochschulen nannte; Dahrendorf (1966), S . 116 . 185 Vgl . Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 1, no . 1 (1963), S . 9–10 . 186 Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 1, no . 1 (1963), S . 51 . 187 Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 1, no . 1 (1963), S . 37 . 188 Vgl . Nesselhauf (1976), S . 24; Mälzer (2016), S . 154 . 183

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WRK, des Wissenschaftsrates und einzelner Hochschullehrer . Sie sahen in der Privilegierung bestimmter Universitäten eine „eklatante Verletzung des Gleichheitssatzes“, „die die Solidarität des deutschen Gelehrtenstandes zu sprengen imstande“ sei . Neben der Befürchtung, dass sich die Reformuniversitäten nicht in das Hochschulgefüge ihrer Länder einfügen lassen würden, sorgten sie sich um erneut stark ansteigende Zahlen der Studienbewerber sowie absehbare Finanzierungsengpässe .189 Zwischen Beginn der Planungen Ende der 1950er Jahre und der Eröffnung der Reformuniversitäten 1966 (Konstanz) beziehungsweise 1969 (Bielefeld) hatten schließlich neue bildungspolitische Ideale die öffentliche Meinung zu beherrschen begonnen . Eine Rückkehr zur deutschen Vorkriegsuniversität, die nun als verstaubt und mit einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar galt, wurde ab Mitte des Jahrzehnts endgültig verworfen (im Übrigen auch von Schelsky selbst in einem 1970 verfassten Nachwort zur zweiten Auflage von Einsamkeit und Freiheit) . Ludwig Raiser, der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, erklärte daher 1964, dass die Frage „Masse oder Elite?“ nun endgültig entschieden sei . Der Wissenschaftsrat messe dem quantitativen Ausbau der Hochschulen größte Bedeutung zu und habe den Gedanken aufgegeben, wenigstens eine oder zwei Hochschulen zu gründen, die nur für Eliten da sind, während die anderen Universitäten dann die große Masse versorgen müssen . Wir haben diesen Gedanken verworfen, so verlockend es ist, sich einmal eine solche Hochschule vorzustellen und davon zu träumen, wie schön es wäre, dort Professor zu sein .190

Vor diesem Hintergrund mussten Bielefeld und Konstanz bereits in den ersten Semestern ihres Bestehens weit mehr Studenten aufnehmen, als ursprünglich vorgesehen war, und auf zahlreiche angedachte Privilegien verzichten, wozu nicht zuletzt die eigene Auswahl der Studienbewerber gehörte . Die Aufnahme von Bielefeld und Konstanz in das ZVS-System (bis 1972: Zentrale Registrierstelle) und der Umstand, dass viele Studienbewerber ihre Hochschule nicht nach deren organisatorischen Struktur, dem Fächerangebot oder den dort lehrenden Professoren, sondern schlichtweg nach der Nähe zu ihrem Wohnort aussuchten, hatte zur Folge, dass sich ein bedeutender Teil der Bielefelder und Konstanzer Studenten nicht mit den Idealen der Gründungsväter identifizierte, sondern die beiden Reformuniversitäten, die ZVS oder geographische Lage zu ihrer Ausbildungsstätte bestimmt hatten, bereits am Tag der Eröffnung für veraltet ansah .191 Nicht anders als auf den übrigen bundesdeutschen Hochschulen kam es auf den Reformuniversitäten zu Protestaktionen der mehrheitlich linksgerichteten 68er-Studentenschaften, die jedoch vor allem in Konstanz zu überdurchschnittlich massiven Beeinträchtigungen des Lehrbetriebs führten, da die „Möchtegern-Eliteuniversität“ im konservativ regierten Baden-Württemberg den studentischen Vor189 190 191

Rosenbaum (1969), S . 31 . Raiser (1964), S . 32 . Vgl . Raiser (1964), S . 24 .

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stellungen von Egalität und Solidarität widersprach .192 Angesichts der gravierenden internen Probleme konnte Konstanz auch keine besondere Anziehungskraft auf die Hochschullehrer der anderen Universitäten ausüben .193 Das Konstanzer Professorenkollegium fühlte sich von der baden-württembergischen Landesregierung aufgrund der nur in Ansätzen umgesetzten Reform im Stich gelassen und bezeichnete die Universität in der Jubiläumsschrift zum zehnjährigen Bestehen in ungewöhnlicher Offenheit und merklicher Ernüchterung als „Reformruine“ .194 Auch in Bielefeld war die Euphorie bereits verflogen, als an einem regnerischen Novembertag des Jahres 1969 „der gesichtslose, allein funktionsbezogene Bau“ der Universität seine Pforten öffnete .195 Helmut Schelsky, der das Amt des Universitätsrektors bezeichnenderweise ablehnte und sich bereits nach kurzer Zeit zurück an seine alte Wirkungsstätte Münster berufen ließ, zeigte sich von der Bielefelder Hochschulwirklichkeit enttäuscht und erklärte den Traum einer wiederbelebten Humboldt-Universität endgültig für begraben, womit er das Scheitern seines Universitätskonzepts eingestand .196 Gleichwohl konnte sich Bielefeld besser behaupten als Konstanz, was auch aus dem „Neid der Nachbarhochschulen“, wie beispielsweise der Universität Bochum, abgeleitet werden kann, deren Rektor Kurt Biedenkopf bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung die Gewährung der gleichen Vorrechte einforderte .197 Letztlich übten nicht die Reformuniversitäten, wie von ihren Planern erhofft, Konkurrenzdruck auf die „traditionellen“ Universitäten aus, sondern vielmehr umgekehrt: die Universitäten auf die Neugründungen, die sich „dem institutionellen Isomorphismus gehorchend, dem bundesdeutschen Hochschul-Mainstream“ angleichen mussten, um sich nicht zu isolieren und ihrer eigenen Studentenschaft vollends zu entfremden .198 Als Gegenbewegung zum allgemeinen Trend einer stärkeren staatlichen Regulierung des Hochschulwesens kann die um 1960 begonnene Debatte über die Errichtung von Stiftungsuniversitäten angesehen werden, die jedoch in der Flut hochschulpolitischer Schriften und Statements jener Jahre beinahe unterging . An einflussreichen Fürspre-

Nesselhauf (1976), S . 23 . An dieser Stelle sei bemerkt, dass Hochschulexperten wie der Jurist Werner Thieme bereits vor der offiziellen Eröffnung der Universität davon ausgingen, dass von Konstanz keine Reformantriebe für die bestehenden Hochschulen ausgehen würden, „es sei denn den anderen Universitäten wird erlaubt, die Abiturienten zunächst auf Vorstudieneinrichtungen (die noch zu schaffen wären) zu verweisen und einen rigorosen numerus clausus einzuführen, der zur Gründung etwa der dreifachen Zahl von Universitäten nötigt, wie wir sie heute haben“; Thieme (1965), S . 46 . 194 Jauß, Hans Robert; Nesselhauf, Herbert: „Vorwort“, in: Jauß/Nesselhauf (1976): XI–XV, S . XIV . 195 Ebmeyer (1969), S . 13 . 196 Vgl . Schelsky (1971), Nachtrag 1970 . Eine Renaissance der Humboldt’schen Universität sei nicht wiederherstellbar, da sie ihre Kraft aus dem deutschen Nationalgedanken gezogen habe, der sich jedoch nach der Katastrophe des „Dritten Reiches“ nicht wiederbeleben lasse . 197 Block (1984b), S . 98; vgl . Rosenbaum (1969), S . 32 . 198 Rudloff (2005), S . 88 . 192 193

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chern mangelte es jedoch nicht . So sprachen sich die Kultusminister Paul Mikat und Bernhard Vogel (CDU, Rheinland-Pfalz, 1967–1976) ebenso für Stiftungsuniversitäten aus wie die FDP-Fraktionen im Bundestag und den Landesparlamenten von Baden-Württemberg, Bremen und Hessen, Staatssekretär von Heppe aus dem bis 1969 unionsgeführten Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung und Ulrich Lohmar, der bildungspolitische Sprecher der Bundes-SPD .199 Mittels Stiftungsuniversitäten sollte das Bildungsmonopol der Bundesländer im Hochschulbereich durchbrochen und „ein Konkurrenzmodell gegenüber den staatlichen Hochschulen“ geschaffen werden .200 Der Tübinger Biologe Georg Melchers, der uns bereits mit seinem Konkurrenz befürwortenden Aufsatz in der Deutschen Universitätszeitung begegnet ist, zeigte sich zu Beginn des Jahres 1964 in einem Schreiben an DFG-Präsident Gerhard Hess von der Idee begeistert, „eine Eliteuniversität [!] von einer Stiftung, einem Verein oder ich weiß nicht was, jedenfalls nicht von einem Land“ gründen zu lassen . Eine solche Stiftungsuniversität müsste „sofort darauf eingestellt sein, mit den anderen im Wettstreit zu leben“ und sei für die Bundesrepublik unentbehrlich, um wieder Anschluss an die wissenschaftlich führenden Nationen der Welt zu gewinnen .201 Ein früher Vorstoß von Paul Mikat, der 1965 die Gründung einer „Neuen Universität“ anregte, die zumindest teilweise durch private Geldgeber finanziert werden sollte, führte den Anhängern von Stiftungsuniversitäten allerdings vor Augen, dass sie mit nur wenig Unterstützung aus der Industrie, jedoch ganz erheblichen Widerständen vonseiten der Universitätsangehörigen und Gewerkschaften zu rechnen hatten .202 Als Versuch „davon abzulenken, daß es Aufgabe des Staates ist, Wissenschaft und Forschung, Hochschulen und Bildungswesen ausreichend mit Geld zu versorgen“, bezeichnete die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft den Vorschlag Mikats und brachte mit dieser Auffassung das zentrale Problem deutscher Stiftungsgründungen auf den Punkt .203 Vorbildfunktion für die Verfechter nicht-staatlicher Universitäten hatten die Privathochschulen in den USA, deren Hochschulsystem jedoch mit dem deutschen kaum vergleichbar war, weil es der Privatinitiative einen hohen Stellenwert beimaß (und -misst) . Demgegenüber sah das etatistische Denken in Deutschland seit dem frühen Vgl . u . a . Vogels Interview für die katholische Wochenzeitung Publik: „Die Universitäten brauchen Konkurrenz“, in: Publik vom 29 .11 .1969, S . 15 . 200 Rin/Urbach (1971), S . 36 . 201 Schreiben Georg Melchers an Gerhard Hess vom 17 .1 .1964; zit . nach Mälzer (2016), S . 199 . 202 So sprach sich beispielsweise Manfred P . Wahl von der Deutschen IBM 1966 für die Gründung einer Industriehochschule aus; vgl . Rin/Urbach (1971), S . 39 . Nach „1968“, als offensichtlich wurde, dass eine von der Industrie finanzierte Hochschule den geldgebenden Unternehmen kaum als Publicity dienen, sondern vielmehr den Protest der Studenten geradezu heraufbeschwören würde, wuchs bei der Privatwirtschaft entsprechend die Skepsis . Der BDI-Bildungsexperte Uthmann nannte Stiftungsuniversitäten daher „eine utopische Angelegenheit […] Ich kann die Sprechchöre und Demonstrationen schon vor mir sehen“; „Stiftungsuniversitäten – Sandkastenspiele“, in: Wirtschaftswoche / Der Volkswirt 25, no . 14 (1971), S . 75–76 . 203 Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bezeichnete es gar als Zumutung, wenn sich die Steuerzahler auch noch in karitativer Weise an der Hochschulfinanzierung beteiligen müssten . 199

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten

19 . Jahrhundert den Staat in der Pflicht, die (Aus-)Bildung seiner Bürger in die Hand zu nehmen, da nur er das Gemeinwohl ins Zentrum zu rücken vermöge, das bei privaten Trägern von Bildungseinrichtungen auf Partikularinteressen ausgerichtet zu werden drohe .204 Diese Überzeugung hatte sich auch in den Verfassungen der westdeutschen Länder sowie im Stiftungs- und Steuerrecht niedergeschlagen, so dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Stiftungsgründung als ungünstig einzustufen waren . Neben den rechtlichen Schwierigkeiten, die freilich durch entsprechende Gesetzesänderungen hätten behoben werden können, stellte die Finanzierung ein gravierendes Problem dar . Selbst die Befürworter hegten Zweifel daran, ob das mit mehreren hundert Millionen D-Mark bezifferte nötige Stiftungskapital aufzubringen war, weswegen in den Planungen zur Errichtung von Stiftungsuniversitäten auf die besonders kostenintensive medizinische Fakultät in der Regel verzichtet wurde .205 Die monetären Bedenken wogen umso schwerer, als die beiden einzigen deutschen Stiftungsuniversitäten in Frankfurt am Main (gegr . 1914) und Köln (gegr . 1919) in den 1950er bzw . 1960er Jahren verstaatlicht werden mussten, da die beiden Kommunen mit der Finanzierung überfordert waren .206 Es brauchte daher schon exzellente „Verbindungen zur […] Großindustrie“, wie sie etwa Eugen Müller, der Leiter des Chemischen Instituts der Universität Tübingen, mitbrachte, um eine „Universität auf Stifterebene zu errichten“ .207 In der Stadt Augsburg, die Mitte der 1960er Jahre als Standort einer neuen bayerischen Hochschule mit wirtschafts- und naturwissenschaftlicher Ausrichtung ins Gespräch gebracht wurde, sollte nach den Vorstellungen Eugen Müllers eine solche Stiftungsuniversität nach dem Vorbild privatfinanzierter amerikanischer Business Schools errichtet werden . Er war davon überzeugt, dass sich eine Privatuniversität „mit Sicherheit auch auf die Entwicklung der staatlichen Universitäten günstig auswirken würde“ und ihre Förderung eine „für die Stiftung Volkswagenwerk reizvolle und interessante Großaufgabe“ sein könne .208 Gleichwohl machte er keinen Hehl daraus, dass die Finanzierung angesichts der eingetrübten Wirtschaftslage nicht eben einfach werden würde . Einen wichtigen Unterstützer fand Müller in Person des Geowissenschaftlers Werner Ernst, der ebenfalls in Tübingen dozierte und gerne bereit war, die „intensive Klein- und Werbearbeit“ für das Projekt zu übernehmen, also Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik aufzubauen und zu pflegen, und das Vorhaben in den Medien zu propagieren . Mit rund 600 Millionen D-Mark bezifferte Ernst die Kosten einer Universitätsgründung . „Diese aufzubringen, dürfte die schwierigste Auf-

Vgl . Jaspers (1961), im Besonderen S . 30 . Vgl . Oppermann (1969), S . 5 . Vgl . zur Gründungsgeschichte Kapitel III .2 . Werner Ernst an Helmut Grasser (IHK Augsburg) am 30 .3 .1967, BWA K9/2788; Eugen Müller an Werner Ernst am 22 .3 .1967; BWA K9/2788 . 208 Müller (1966), S . 58 . 204 205 206 207

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gabe sein“, schrieb er im April 1967 der Industrie- und Handelskammer Augsburg . Die hinzukommenden Betriebskosten von jährlich etwa 78 Millionen Mark sollten auf bis zu 2000 Beteiligungsfirmen aufgeteilt werden, um sie, auf viele Schultern verteilt, finanzierbar zu machen . Im Gegenzug für die Fördergelder, die „natürlich steuerlich begünstigt sein“ sollten, wollte Ernst den beteiligten Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, ihre leitenden Mitarbeiter intensiv in die Hochschulforschung einzubeziehen . Überdies sollten die Forschungsschwerpunkte auf jene Wissenschaftsfelder gesetzt werden, „deren zukünftige wirtschaftliche Bedeutung außerordentlich hoch einzuschätzen ist“, wobei Ernst sogleich sein eigenes Fachgebiet in den Sinn kam .209 Obwohl er in den folgenden Monaten berichtete, dass seine Ausführungen auf ein „lebhaftes Echo“ bei den kontaktierten Unternehmensvertretern gestoßen seien, konnte Ernst keinerlei feste Zusagen verbuchen .210 Nicht nur die Finanzierung stand auf tönernen Füßen, auch an namhaften Unterstützern mangelte es Müller und Ernst . So wiegelte Ludwig Raiser, von 1961 bis 1965 Vorsitzender des Wissenschaftsrates, der sich nun wieder auf sein Amt als Tübinger Professor der Rechtswissenschaften konzentrieren konnte, die Bitte um Mithilfe ebenso ab wie der Konstanzer Prorektor Waldemar Besson, der zwar Sympathien für die Bestrebungen bekundete, sich jedoch nicht aktiv daran beteiligen wollte .211 Überdies meldete der Wissenschaftsrat Ende des Jahres 1967 Bedenken gegen die Hochschulpläne an, nachdem die linksliberale Bildungsexpertin Hildegard Hamm-Brücher bei internen Beratungen „in häßlichster Weise“ gegen die projektierte Stiftungsuniversität Sturm gelaufen sei, wie in einem Bericht der IHK Augsburg behauptet wurde .212 Zudem standen die bayerische Staatsregierung und Bundesbildungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) dem Vorhaben äußerst skeptisch gegenüber, so dass das Projekt schlussendlich aufgegeben werden musste .213 Zwar konnten durch Unterstützungsaufrufe nicht unerhebliche Spendengelder von Unternehmen und Privatpersonen generiert werden, Träger der 1970 eröffneten Hochschule wurde jedoch der Freistaat Bayern, der sie folglich auch finanzieren musste .214 Nicht nur von Hochschullehrern, auch von politischer Seite gab es konkrete Entwürfe für Stiftungsuniversitäten . So trieb das rheinland-pfälzische Kultusministerium unter Bernhard Vogel ab 1969 Planungen voran, die jedoch angesichts der erwähnten

Werner Ernst an Helmut Grasser (IHK Augsburg) am 24 .4 .1967; BWA K9/2788 . So nach einem Gespräch mit Vertretern des deutsch-amerikanisch-niederländischen Mineralölkonzerns Brigitta und der Prospektionsfirma Prakla; vgl . Werner Ernst an Helmut Grasser am 4 .1 .1968; BWA K9/2788 . 211 Werner Ernst an Helmut Grasser (IHK Augsburg) am 30 .3 .1967; BWA K9/2788; Waldemar Besson an Werner Ernst am 25 .4 .1967; BWA K9/2788 . 212 Sitzung des Arbeitsausschusses des Schwäbischen Hochschulkuratoriums am 6 .11 .1967; BWA K9/2788 . 213 Vgl . Werner Ernst an Helmut Grasser (IHK Augsburg) am 4 .1 .1968; BWA K9/2788 und die Ausführung von Staatssekretär Hugo Fink aus dem bayerischen Innenministerium vom 1 .4 .1969; BWA K9/2788 . 214 Vgl . Simnacher (1980), S . 12–13 . 209 210

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten

Zurückhaltung vonseiten der Industrie unter ebenso ungünstigen Vorzeichen standen wie das Augsburger Hochschulprojekt . Je konkreter die Pläne wurden, desto ersichtlicher wurde überdies, dass innerhalb der CDU sehr heterogene und unklare Vorstellungen über die ideale Ausgestaltung einer Stiftungsuniversität existierten . So wurde die Stiftungshochschule zunächst als „Forschungsuniversität“, sodann als „Eliteuniversität“ und als Hochschule für postgraduale Studien und schlussendlich – in der unverbindlichen und nichtssagenden Formulierung des Parteipolitikers Vogel – als „ganz normale, wenn auch andere Universität“ konzipiert .215 Auch an den Universitäten regte sich bereits nach kurzer Zeit Widerstand gegen die Pläne des Kultusministeriums . Da auch Befürworter nichtstaatlicher Universitäten zu den Gegnern des rheinland-pfälzischen Projekts zählten, war das Vorhaben bereits früh zum Scheitern verurteilt . Während nämlich Kultusminister Vogel der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass eine private Stiftungsuniversität durch das Hervorrufen kompetitiver Praktiken zu einem Disziplinierungs- und „Gesundungsprozeß“ an den staatlichen Hochschulen beitragen könne, sah der marktradikalere Teil der universitären Reformer, zu denen beispielsweise der Publizist Hans Joachim Maître zählte, in den unter staatlicher Trägerschaft stehenden Universitäten den erklärten Feind von Stiftungsuniversitäten und damit einen Konkurrenten, den es nicht zu bessern, sondern aus dem Feld zu schlagen gelte .216 Ziel dieser radikalen Kräfte war es daher, die Stiftungsuniversität als „Gegenuniversität“ zu den von ihnen ungeliebten Nachkriegs-Hochschulgründungen „mit lichtem Sichtbeton und Professorenwerdung nach Art der Massentaufen“ zu errichten .217 Das Hochschulmonopol der Bundesländer sei unzeitgemäß geworden, da nicht mehr Staat und Kirche, sondern die Privatwirtschaft zum Hauptabnehmer der Universitätsabsolventen geworden sei und dementsprechend eine größere Einflussnahme auf die Hochschulen beanspruchen könne .218 Einzig durch einen privaten, nicht an ministerielle Vorgaben gebundenen Akteur könne Wettbewerb in das deutsche Hochschulsystem gebracht werden, „da Bundes- und Ländergesetze sowie administrative und finanzielle Bedingungen ein Konkurrenzverhältnis unter staatlichen Hochschulen nahezu ausschließen“ würden .219 Die Stiftungsuniversität sollte daher „dem staatlichen Dirigismus die Gefolgschaft“ verweigern, der freien Markt-

Vogel (1974), S . 375 . Hierbei handelt es sich um den Abdruck eines Vortrages, den Vogel am 4 . Mai 1973 auf der Jahresversammlung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Stiftungen und des Verbandes Deutscher Wohltätigkeitsstiftungen gehalten hatte; vgl . Niemann (1970), S . 214 . 216 Zit . nach: Urbach (1969), S . 142 . 217 Maître (1973), S . 10; vgl . zudem Hans Joachim Maîtres unter plakativen Titeln veröffentlichte Beiträge wie zum Beispiel „Freie Bahn den Fähigen! Wie die Hochschulkrise gemeistert werden könnte“, in: Die Welt, Beilage „Die geistige Welt“ vom 10 .11 .1973, S . IV . 218 Vgl . Urbach, Dietrich: „Eine Privathochschule als Reformuniversität . Ideen und Pläne für ein Modell in Deutschland“, in: Neue Zürcher Zeitung vom 31 .5 .1969; abgedr . in Hetzel/Schlünder (1976), S . 3–8 . 219 Urbach, Dietrich: „Eine Privathochschule als Reformuniversität . Ideen und Pläne für ein Modell in Deutschland“, in: Neue Zürcher Zeitung vom 31 .5 .1969; abgedr . in Hetzel/Schlünder (1976), S . 3 . 215

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wirtschaft auch im Bildungssektor zum Durchbruch verhelfen, praxisorientiert ausbilden und beweisen, dass eine von Managern geleitete Hochschule kosteneffizient arbeiten könne .220 Maître und seine Mitstreiter, die den Staat als „wahrhaft Schuldige[n]“ an der Hochschulkrise identifizierten, wollten die Stiftungsuniversität finanziell und verwaltungstechnisch völlig aus ministeriellen Banden lösen, was freilich auf einen Verzicht auf staatliche Gelder hinauslief, der durch die Einführung von Studiengebühren kompensiert werden sollte .221 Ihnen schwebte als Ideal eine völlig staatsunabhängige Universität vor, die selbst entscheiden können sollte, welche Studienbewerber (die Maître mit dem Marktmodell im Hinterkopf „als ‚Kunden‘ oder Klienten“ bezeichnete) sie aufnehmen und welche Professorinnen und Professoren sie (stets nur auf Zeit) berufen wolle .222 Das Fehlen einer fachlichen Staatsaufsicht, ministeriell abgesegneter Studienordnungen und verfasster Studentenschaften sollte die Stiftungsuniversität „strikt leistungsorientiert“223 und bewusst elitär machen . Der Staat hatte in den Augen Maîtres aufgrund einer verfehlten Bildungsplanung versagt und die als katastrophal empfundene Situation auf den deutschen Hochschulen zu verantworten, die nur mit „Alternativen aus Übersee“ verbessert werden könne .224 Bernhard Vogel, dessen frühe Pläne einer privaten Eliteuniversität sich noch nicht allzu sehr von Maîtres Überlegungen unterschieden hatten, distanzierte sich im Verlauf der Diskussion immer mehr von derartigen Ideen, bezeichnete die Anhänger völlig staatsunabhängiger Universitäten schließlich sogar als falsche Freunde, deren Vorstellungen von einer elitären Stiftungsuniversität als „Insel […] konservativer Hochschulpolitik“ er nicht teile, und stellte klar, dass die Landeshochschulgesetze auch für Stiftungsuniversitäten gelten müssten und ihnen somit auch Studenten über die ZVS zugewiesen werden sollten .225 Der Staat könne und müsse zudem darauf achten, dass die Stiftungshochschule nicht in Abhängigkeit zu dem oder den Stiftern gerate . Deshalb sollte sich das Bundesland, zumindest sofern Haushaltslage und Landesinteressen dies erlaubten, an der Finanzierung beteiligen, während Studienund Semestergebühren aufgrund möglicher sozialer Ungerechtigkeiten abzulehnen seien .226 Vogels Vorstellung, dass die bestehenden staatlichen Hochschulen aus dem

Maître (1973), S . 59 . Zur Diskussion um Studiengebühren als Wettbewerbsinstrument vgl . Kapitel VI .1 . Maître (1973), S . 103 . Geschickt argumentierte Maître mit dem „Radikalenerlass“, der bereits in mehreren Fällen dazu geführt habe, dass ein Wunschkandidat der Universität aufgrund politischer Bedenken vom Kultusminister nicht berufen wurde . Freilich hätten linksextreme Professoren auf Maîtres Universität kaum bessere Berufungschancen gehabt; vgl . Maître (1973), S . 37 . 223 Maître (1973), S . 29 . 224 Maître (1973), S . 21 . 225 Vogel (1974), S . 374 . 226 Vgl . „‚Nichts gegen Standeshochschulen .‘ SPIEGEL-Interview mit dem Mainzer Kultusminister Bernhard Vogel über Privat-Universitäten“, in: Der Spiegel 29, no . 35 (1975), S . 27 . 220 221 222

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten

Wettbewerb mit ihren neuen Konkurrenten einen Nutzen ziehen könnten, wurde in den wenigen Stellungnahmen von Universitätsangehörigen mehrheitlich zurückgewiesen . „Daß wir von dieser Konkurrenz profitieren würden, ist das Allerletzte, was ich glaube“, ließ sich beispielsweise der Prorektor der Münchner Universität Andomar Scheuermann zitieren, der davon überzeugt war, dass das Modell Stiftungsuniversität in Deutschland nicht funktionieren könne, da die staatlichen Universitäten aufgrund des Beamtenstatus ihrer Professorinnen und Professoren deutlich attraktivere Arbeitgeber seien, weshalb die Stiftungshochschulen im interuniversitären Wettbewerb um Hochschullehrer stets den Kürzeren ziehen würden .227 Ablehnend gegenüber Stiftungsuniversitäten äußerten sich ferner die verfassten Studentenschaften, die die unruhige Lage auf den staatlichen Hochschulen (für die sie ja selbst sorgten) nicht als Problem, sondern vielmehr als positives Zeichen einer sich demokratisierenden Universität und Gesellschaft interpretierten . Zudem hatten die mehrheitlich linksgerichteten Studierenden freilich erkannt, dass ihr Ziel, mehr Mitspracherechte in Bezug auf Lehrinhalte, akademisches Personal und die Entwicklung der Universität im Allgemeinen zu erkämpfen, an den bestehenden Hochschulen, die ihnen um 1970 bereits nolens volens einen nie zuvor gekannten Einfluss darauf eingeräumt hatten, weitaus einfacher zu erreichen und zu sichern war als auf Stiftungsuniversitäten, deren Initiatoren dem konservativen und wirtschaftsfreundlichen Spektrum der Gesellschaft zuzurechnen waren .228 Die USA, gegen deren Vietnampolitik und „kapitalistische Vormachtstellung“ sie demonstrierten, konnten für sozialistische Studierende und Hochschullehrer auch im Bildungsbereich keine Vorbildfunktion übernehmen . Dies ließ sich unter anderem an der neuen, weitaus kritischeren Auseinandersetzung der Feuilletons der großen deutschen Zeitungen mit dem US-Hochschulsystem ablesen . Dort attackierten z . B . linksgerichtete Akademiker wie der Philosoph Manfred Stassen die Gewinnorientierung und vergleichsweise schwach ausgeprägte akademische Selbstverwaltung als Kehrseite des Erfolgs amerikanischer Privatuniversitäten, die „sich wie Wirtschaftsunternehmen“ gebärdeten, wie es in einem Bericht des damaligen Wesleyan-Studenten und späteren langjährigen BR-Redakteurs Rüdiger Löwe hieß .229 Nicht nur von universitärer Seite fehlte es Vogel an Mitstreitern, auch der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Stiftung Volkswagenwerk machten deutlich, dass von ihnen keine Unterstützung zu erwarten war .230 Politisch geriet Vogel Zit . nach: Löwe (1970), S . 5 . Als Kuriosum kann der Plan Frankfurter Jusos und Gewerkschafter zur Errichtung einer linken Stiftungsuniversität betrachtet werden, über den Ende 1970 der spätere Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi (SPD) informiert worden sein soll, der offenbar jedoch über erste Grundüberlegungen nicht hinauskam; vgl . Löwe (1976), S . 273–274 . 229 Löwe (1969), S . 25 . 230 Die Stiftung Volkswagenwerk hatte sich bereits kurz nach ihrer Gründung mit der Thematik beschäftigt und aufgrund der als ungünstig betrachteten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jegliche Beteili227 228

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„Hochschulpolitischer Keynesianismus“

ebenfalls ins Abseits, obwohl die Entwürfe und die endgültige Fassung des Hochschulrahmengesetzes (1975/76) die Akkreditierung von Stiftungsuniversitäten zumindest nicht ausschlossen .231 So hatten Teile der Union völlig andere Lehren aus den Studentenprotesten gezogen und vertraten, wie etwa die baden-württembergische CDU, die Ansicht, dass nur durch eine stärkere staatliche Einflussnahme auf die Universitäten ein geregelter Lehrbetrieb wiederhergestellt und gesichert werden könne, Stiftungsuniversitären hingegen angesichts der gesellschaftlichen Spannungen gefährlich seien und keine Alternative darstellten .232 Die SPD, die sich noch in den 1960er Jahren durchaus aufgeschlossen zum Thema Stiftungshochschulen geäußert hatte, wurde nach dem Bonner Machtwechsel und der zunehmenden Ideologisierung der Reformdebatte ablehnender, weil die Stiftungsuniversitäten ihren GHS-Plänen zuwiderliefen, während sich die FDP, die nun auf Bundesebene mit den Sozialdemokraten regierte, leise von ihren Stiftungsideen aus Oppositionszeiten verabschiedete und auf die bildungspolitische Linie ihres Koalitionspartners einschwenkte . Die 1960er und frühen 70er Jahre zeichneten sich durch eine zunehmende staatliche Einflussnahme auf die bundesdeutschen Hochschulen aus . Private Stiftungsuniversitäten und teilautonome Reformuniversitäten standen diesem Trend diametral entgegen und fanden nur wenige Unterstützer . Während die sogenannten Reformuniversitäten in Bielefeld und Konstanz letztendlich nicht im Sinne ihrer Gründungsväter Schelsky und Dahrendorf verwirklicht werden konnten, sondern vielmehr in Aufbau und rechtlicher Stellung den klassischen Universitäten weitgehend gleichgestellt wurden und somit auch keine Konkurrenz unter den Hochschulen hervorriefen, mussten alle Planungen zur Errichtung von Stiftungsuniversitäten bereits in frühen Entwicklungsstadien aufgegeben werden . Zum einen zeigte die Industrie kein Interesse daran, Hochschulen zu finanzieren, die aufgrund antizipierter Studentenunruhen das Image der geldgebenden Unternehmen eher zu schädigen als aufzupolieren im Stande waren, zum anderen lehnte die sozialliberale Koalition die Gründung von Stiftungsuniversitäten mit Verweis auf das Entwicklungsziel Gesamthochschule ab . Zudem herrschte bei den Gegnern der sozialliberalen Hochschulpolitik keine Einigkeit in Bezug auf Stiftungshochschulen . So blieb strittig, ob Stiftungsuniversitäten als privatfinanzierte Ergänzung des Hochschulsystems zu konzipieren waren, um im Zuge eines interinsti-

gung an einer Stiftungsuniversität abgelehnt . Die Redaktion der DUZ nannte es jedoch als begrüßenswert, wenn „dem bisherigen staatlichen Hochschulmonopol Konkurrenz gemacht werden würde . Vielleicht interessiert sich eine andere Gruppe dafür, obwohl in Deutschland wenig Hoffnung dazu berechtigt . Es fehlt an einem verantwortlichen Bewußtsein für die Wissenschaft . Große Kapitalgruppen sind schwerlich dafür zu interessieren“; Luetjohann (1964), S . 39 . 231 Vgl . Hochschulrahmengesetz in der Fassung vom 26 .1 .1976, Paragraph 70; Hetzel/Schlünder (1976), S . IX . 232 Vgl . z . B . „Filbinger hat Bedenken gegen Privatuniversitäten“, in: Stuttgarter Zeitung 14 .09 .1972, S . 212 . Der bayerische Kultusminister Hans Maier (CSU, 1970–1986) warnte vor einem „pädagogischen Manchesterliberalismus“ und verteidigte staatliche Bildungsplanung; vgl . Maier 2008 [1972], S . 86 .

Gescheiterte Wettbewerbsmodelle? Reform- und Stiftungsuniversitäten

tutionellen Wettbewerbs zur „Gesundung“ der staatlichen Universitäten beizutragen, oder ob sie als Gegenuniversitäten in einen agonalen Verdrängungswettbewerb mit den staatlichen Hochschulen eintreten sollten, um sie zu schädigen und abzulösen .

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VI.

Mehr Wettbewerb wagen? Die bundesdeutschen Universitäten in den 1980er Jahren

VI.1

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen von 1985 und 1989

„Wettbewerb statt Bürokratie“:1 Unter dieses Motto stellte die christlich-liberale Regierungskoalition unter Helmut Kohl ihre Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik . Eine ordnungspolitische „Wende“ mit Deregulierungen und der Schaffung von Freiräumen und Anreizen sollte nach 13 Jahren sozialdemokratisch geführter Bundesregierungen zu einer Leistungssteigerung in der Industrie und an den Hochschulen und in Folge dessen zur Sanierung des Staatshaushalts beitragen . Neoliberale Markt- und Wettbewerbskonzepte wurden in Reden und Veröffentlichungen als Alternative zu den bildungsplanerischen Ansätzen der rot-gelben Vorgängerregierungen dargestellt . Dies kann als (zumindest rhetorisch bekräftigter) Paradigmenwechsel aufgefasst werden, der sich keineswegs auf die Bundesrepublik beschränkte, sondern ebenso in anderen westlichen Industrienationen sowie in abgeschwächter Form sogar jenseits des Eisernen Vorhangs zu beobachten war, wie beispielsweise in der DDR, deren Staatsführung das Wirtschafts- und Wissenschaftssystem am Leistungsprinzip ausrichten und einer stärkeren Selbstregulierung überlassen wollte .2 Während sich jedoch Ost-Berlin an der Sowjetunion ausrichtete, dienten der Bundesrepublik wie so oft die Vereinigten Staaten von Amerika als Vorbild . Ronald Reagans angebotsorientierte Wirtschaftspolitik

Der Bundesminister [i . e . Die Bundesministerin] für Bildung und Wissenschaft (1983) . Vgl . Doering-Manteuffel/Raphael (32012), S . 63; Anweiler (1992), S . 26–30; Handschuhmacher (2018) . Dieser Paradigmenwechsel nahm freilich nicht erst 1982/83, sondern bereits Mitte der 1970er Jahre seinen Anfang . So richtete beispielsweise der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt 1981 die Mahnung an die WRK, dass die „eigene Leistung, die eigene geistige Leistung, besonders im akademischen Bereich“ wieder stärker betont werden müsse; zit . nach: Göbel (1982), S . 174 . 1 2

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen

des „schlanken Staates“, die den USA Anfang der 1980er Jahre einen ökonomischen Aufschwung bescherte, galt der neuen Bundesregierung allein schon aufgrund der von Helmut Kohl vielbeschworenen westlichen „Wertegemeinschaft“ als richtungsweisend, wenngleich sie „Reagonomics“ und ihre britische Spielart, den Thatcherismus, in ihrer Radikalität stets ablehnte .3 Gleichwohl zeigte sich die christlich-liberale Koalition im Vertrauen auf die Kräfte des Marktes und des Wettbewerbs überzeugt, dass der Staat seine unmittelbaren Einflussmöglichkeiten sowie gegebenenfalls seine Monopolstellung in zahlreichen Wirtschaftsbereichen bewusst aufgeben müsse, um einen ökonomischen Aufschwung nach Jahren der Rezession erzielen zu können .4 Für die Hochschulen, die „zu den größten Wirtschaftszweigen in der Bundesrepublik“ gezählt wurden, galt dies (wenn auch mit Einschränkungen) ebenfalls .5 So kündigte Bundesbildungsministerin Dorothee Wilms (CDU) eine „Wende zum hochschulpolitischen Realismus“ an und grenzte sich damit deutlich von ihren Vorgängern ab .6 Die Universitäten sollten fortan nicht mehr nur durch die Ausbildung einer stetig steigenden Zahl an Studierenden die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern, die sich einer zunehmenden Konkurrenz aus Schwellenländern zu erwehren hatte, sondern selbst wie Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen ökonomisch wirtschaften, die begrenzten staatlichen Finanzmittel möglichst effizient einsetzen, neue Geldquellen erschließen und sich auf dem Ausbildungsmarkt in Konkurrenz untereinander und gegenüber außeruniversitären Bildungseinrichtungen behaupten . Inwieweit wurde nun die Wettbewerbsrhetorik aus den Reihen der schwarz-gelben Koalition in politische Reformen umgemünzt, und welche gesellschaftlichen Kräfte befürworteten eine neoliberale Wende im Hochschulbereich beziehungsweise lehnten sie ab? Intensivierte sich der interuniversitäre Wettbewerb im Verlauf des Jahrzehnts? Gesamtgesellschaftlich betrachtet war die Ausgangslage für eine grundlegende Umgestaltung des Hochschulsystems nach Wettbewerbsgesichtspunkten um 1982/83 ambivalent . Einerseits hatten die Universitäten in der Bevölkerung seit „1968“ enorm an Ansehen eingebüßt .7 Ihre Leistungsfähigkeit wurde wie die des gesamten Bildungssystems bis ins linke politische Lager hinein zunehmend als verbesserungswürdig eingestuft . Andererseits machte sich nach zwei Jahrzehnten eines beinahe ununterbrochenen Bildungsdiskurses und der Verabschiedung und Novellierung zahlreicher Bundes- und Landeshochschulgesetze eine Reformmüdigkeit breit, die auch

Kreis (2013), S . 622; vgl . Biebricher (2012), S . 138 . Helmut Kohl belkräftigte in seiner Regierungserklärung vom 4 . Mai 1983: „Wir wollen nicht mehr Staat, sondern weniger“; zit . nach: Zohlnhöfer/Zohlnhöfer (2010), S . 26 4 Vgl . Wirsching (2013), S . 672 . 5 Helberger (1989), S . 5 . 6 Wilms (1984), S . 25 . 7 Vgl . Block (1990), S . 37 . Dieser Vertrauensverlust war zeitgleich auch in anderen westlichen Industrieländern zu beobachten; vgl . Block (1990), S . 46 . 3

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Mehr Wettbewerb wagen?

bei Anhängern der bürgerlichen Regierungskoalition deutlich zu spüren war .8 Die Bildungspolitik wurde daher kein Aushängeschild der neuen Bundesregierung, sondern vielmehr zu einem Annex, der unter den Schlagwörtern Wettbewerb, Privatisierung und Deregulierung betriebenen Wirtschaftspolitik, die zu Beginn der Ära Kohl im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand . Ähnlich ambivalent war die Haltung der Westdeutschen Rektorenkonferenz zu Beginn der 1980er Jahre . Zum einen herrschte auch in der WRK Enttäuschung darüber vor, dass viele „Erwartungen nicht erfüllt werden konnten“, die in den 1960er und 1970er Jahren von politischer Seite und in ihren eigenen Reihen formuliert worden waren .9 Zudem wurde (was freilich keine Seltenheit darstellt) von einer „alarmierenden, ja verzweifelten Situation“ gesprochen, in der sich die Universitäten befänden, und einer Ausweitung der Autonomierechte der Hochschulen das Wort geredet .10 Ferner stand mit dem CDU-Politiker George Turner ein Mann an der Spitze der Rektorenvereinigung, der eine stärkere Wettbewerbsorientierung der deutschen Hochschulen ausdrücklich befürwortete . Die Mehrheit der Rektoren lehnte das allerdings (noch) entschieden ab und war um 1980 bezeichnenderweise aufgrund von Wettbewerbsfragen auf einen Konfrontationskurs gegenüber Bundeskanzler Helmut Schmidt geraten, der von den Universitäten mehr „betriebswirtschaftliche Phantasie“, „mehr Eigeninitiative“ und eine „ehrliche Öffentlichkeitsarbeit“ gefordert hatte, die sie ihrer „Verantwortung schuldig“ seien und die dabei helfen sollte, die „Untertunnelung des Studentenberges“ zu bewerkstelligen .11 In offiziellen Stellungnahmen der WRK wurden zumeist die Gefahren und Grenzen vor den Chancen und Möglichkeiten interuniversitärer Konkurrenz betont . Deutlich aufseiten der Befürworter von mehr interuniversitärem Wettbewerb positionierte sich hingegen ab Ende der 1970er Jahre der Wissenschaftsrat, dessen Vorsitzender Hans-Jürgen Engell (1982–1985) nach dem Regierungswechsel dafür plädierte, das „Klima der Lähmung zu überwinden“, „die Ungleichheit [der Hochschulen; F . W .] zu kultivieren und daraus ein System zu entwickeln, das effizienter ist“ als das bestehende .12 Unter den Mitgliedern des Wissenschaftsrates war es insbesondere der Mannheimer Politologe Peter Graf Kielmansegg, der innerhalb und außerhalb des Beratungsgremiums in oftmals bewusst provozierenden Formulierungen für mehr Konkurrenz im bundesdeutschen Hochschulsystem warb und auf diese Weise zu seinem Spitznamen „Graf Wettbewerb“ gelangte .13 Während in der Hochschulforschung aus Sicht Kielmanseggs noch Reste interuniversitärer Konkurrenz vorhanden waren, gebe es zum Schaden der Hochschulen weder in der Lehre noch zwischen den Kul-

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Schmiechen-Ackermann (2014), S . 11 . Turner (1981), S . 37 . Kunle (1981), S . 207 . Zit . nach: Kalischer (1981), S . 3; Schmidt (1981), S . 44, 56–57 . Engell (1983), S . 26 . Vgl . Kielmansegg (1982) .

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen

tusministerien der Bundesländer einen funktionierenden Wettbewerb .14 Handlungsspielräume und Handlungsfähigkeit der Hochschulen, Leistungstransparenz und eine Belohnung nach plausiblen Regeln benannte Kielmansegg als vier zentrale Elemente einer Wettbewerbsordnung, für die der Wissenschaftsrat eintreten müsse . Zwar könne eine solche kompetitive Ordnung einen Mangel an intrinsischer Motivation der Wissenschaftler nicht ersetzen, doch biete sie einen zusätzlichen Ansporn zur Leistungssteigerung .15 Neben Kielmansegg forcierte der Wirtschaftswissenschaftler Artur Woll eine neoliberale Kursänderung des Wissenschaftsrates . In seinen auflagenstarken Veröffentlichungen stellte Woll eine unlösbare Verknüpfung zwischen Wettbewerb und Freiheit her . Gegner eines marktgesteuerten Wettbewerbs waren für ihn daher stets auch „Gegner einer freiheitlichen Ordnung“ . Woll vertrat die Ansicht, „daß die Wettbewerbsgegner über wesentliche Teile der Massenkommunikationsindustrie“ verfügten und daher trotz schwacher Argumente und dem Desaster, das die (angeblich) wettbewerbsfeindliche Politik der vergangenen Jahrzehnte angerichtet habe, die öffentliche Meinung beherrschten . Indem der Staat eine Reihe von „Bereichsausnahmen“ geschaffen habe, in denen das Wettbewerbsprinzip nicht zum Tragen komme, habe er (teils unwissentlich oder unbeabsichtigt) selbst die Zahl der Wettbewerbsund Freiheitsgegner erhöht . Zu diesen „Bereichsausnahmen“ zählte Woll auch das Hochschulwesen, das er als „Fremdkörper in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung“ bezeichnete: Das Gut Ausbildung wird von Produzenten (Professoren) angeboten, die sich nicht nach der Nachfrage richten müssen, von Nachfragern (Studenten) in Anspruch genommen, die die Kosten des Angebots nicht zu bezahlen brauchen, und von Personen finanziert (Steuerzahler), die auf Angebot und Nachfrage keinen Einfluß haben .

Lediglich dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik sei es zu verdanken, dass sich Reste des Wettbewerbsprinzips im deutschen Hochschulsystem erhalten hätten, doch selbst diese würden von den Kultusministerien seit den 1960er Jahren getreu der Devise „Gleichheit, Vergleichbarkeit und Gleichschaltung [!]“ sukzessive beseitigt . Nun gelte es gegenzusteuern und das Bildungssystem auch gegen die zu erwartenden und durchaus verständlichen Widerstände auf den Hochschulen dem Markt zu übergeben, obwohl, oder gerade weil Woll annahm, dass Universitäten, die sich im Wettbewerb nicht zu behaupten vermögen, „bald aus dem Rennen geworfen, also vom Markt verschwinden“ würden .16 Unter Hochschullehrern hieß es zwar, dass die deutschen Universitäten an internationaler Konkurrenzfähigkeit eingebüßt hätten und sich in einer Krisensituation Kielmansegg (1984), S . 49–51 . Vgl . die Zitate in Frackmann (1987), S . 14 . Woll (1984), S . 136, 142, 166, 291, 298 . 2001 veröffentlichte Woll erneut Vorschläge für eine Reform der Hochschulausbildung durch Wettbewerb; vgl . Woll (2001) . 14 15 16

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befänden, doch blieben jene in der Minderheit, die sich wie der Münchner Philosoph und damalige Universitätspräsident Nikolaus Lobkowicz für grundlegende bildungspolitische Reformen aussprachen und in einer Stärkung des interuniversitären Wettbewerbs das entscheidende Mittel zur Überwindung der Krisis erblickten . Auch Lobkowicz orientierte sich an der US-Hochschulpolitik, die in dieser Zeit auch in den Niederlanden eine Vorbildfunktion einnahm . Er negierte keineswegs die Nachteile des Wettbewerbs, befürwortete ihn jedoch trotz einer mit ihm verbundenen und „bei uns höchstens in der Industrie üblichen Härte“, die die Gefahr in sich berge, „daß sich nicht der Beste, sondern der Ellenbogenstärkste durchsetzt“ .17 Eine 1983/84 durchgeführte Befragung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung ergab, dass Soziologen, Politologen und Physiker die Einführung neuer Wettbewerbsmechanismen in das deutsche Hochschulsystem mehrheitlich ablehnten .18 Lediglich unter Ökonomen befanden sich die Befürworter knapp in der Mehrzahl . Fächerübergreifend erwartete ein Großteil der Professorinnen und Professoren allerdings, dass nach dem Bonner Regierungswechsel die Weichen für ein stärker nach Wettbewerbsgesichtspunkten ausgerichtetes Bildungswesen gestellt würden . Wenig überraschend rechneten sich die Gegner dieser Politik mehrheitlich dem linken politischen Spektrum zu, während die Befürworter eine konservative oder wirtschaftsliberale Gesinnung zu erkennen gaben . Nur rund die Hälfte der Akademiker war im Übrigen zu Beginn der 1980er Jahre der Ansicht, dass sich ihre Hochschule bereits in einem Wettbewerb behaupten müsse .19 Ein bedeutender Teil jener Hochschullehrer, die eine stärkere Wettbewerbsorientierung befürworteten, war im sogenannten Bund Freiheit der Wissenschaft organisiert, der in den 1970er Jahren zu den schärfsten Kritikern der sozialliberalen Hochschulreformen gehört hatte, den Regierungswechsel dementsprechend lebhaft begrüßte und zu einer raschen Kehrtwende in der Bildungspolitik drängte .20 So geriet auch die in der vereinseigenen Zeitschrift abgedruckte „Bilanz“ der sozialliberalen Hochschulpolitik erwartungsgemäß zu einer Abrechnung . In den vergangenen 13 Jahren seien die deutschen Hochschulen zu ineffizienten Bürokratiemaschinen verkommen, so die Kernaussage . Deutsche Studenten kosteten den Steuerzahler weit mehr als ihre britischen und französischen Kommilitonen, das Studium dauere im internationalen Vergleich viel zu lange, Nobelpreise an deutsche Wissenschaftler seien Mangelware geworden und die zentrale Steuerung der Hochschulen durch den „Social Demand-Ansatz“ habe zu einer neuen Bildungskatastrophe und einer Unterfinanzierung des tertiären Bildungssektors geführt .21 Nach Ansicht des BFW-Mitglieds Walter Rüegg

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Lobkowicz (1981), S . 24 . Vgl . Arbeitsgruppe Bildungsbericht (1994), S . 680 . Vgl . Rüegg (1985), S . 77 . Zum „Bund Freiheit der Wissenschaft“ vgl . Wehrs (2014) . Vgl . Nolden (1982) .

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war daher selbst von einem „imperfekten Wettbewerb mehr zu erwarten als von der bürokratischen Verwaltung eines Mangels“ .22 So sah es auch der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich van Lith: In einer sonst nach freiheitlich-demokratischen und marktwirtschaftlichen Prinzipien geordneten Gesellschaft kann […] die bestehende Verfassung und Ordnung des Bildungsbereichs zwar historisch aus der Tradition obrigkeitsstaatlichen Denkens, schwerlich aber theoretisch-rational erklärt werden .23

Ein marktwirtschaftlich organisiertes Bildungssystem, in dem die Hochschulen untereinander konkurrieren, würde nicht nur die Rechte und die Souveränität der deutschen Universitäten stärken, sondern darüber hinaus „sowohl allokative als auch distributive Vorteile gegenüber dem bestehenden System aufweisen“ .24 Die (laut Lith) von staatlicher Seite verfolgte Theorie des Marktversagens habe allerdings eine Einsicht in diese Zusammenhänge verhindert und dazu geführt, dass die Bildungsverfassung der Bundesrepublik nicht demokratietauglich sei, da sie fast wörtlich aus der Zeit des Kaiserreichs stamme . Lith strich den hohen, in seinen Augen schädlichen Einfluss der Bildungsökonomie der 1960er und frühen 1970er Jahre auf die bundesdeutsche Hochschulpolitik heraus, der er vorwarf, „einem ‚bildungspolitischen Keynesiansimus‘ gehuldigt zu haben“, was aus dem Munde eines Mitglieds der Mont Pèlerin-Gesellschaft, das seinen Veröffentlichungen mit Vorliebe ein Zitat aus den Schriften Friedrich von Hayeks voranstellte, freilich geradezu einer Beschuldigung gleichkam .25 Nur einen Monat nach der Wahl Helmut Kohls zum sechsten deutschen Bundeskanzler mahnte Lith in einer Schrift des Vereins für studentische und Hochschulfragen eine „ordnungspolitische Wende der Bildungs- und Hochschulpolitik“ an, zu der die Einführung von Studiengebühren, Bürokratieabbau und die Aufgabe staatlicher Bildungsplanung gehören müssten .26 Dies sollte gegen den erwarteten Widerstand der „Wettbewerbsgegner“ durchgefochten werden, die in der Zeitschrift des BFW pauschal als Anhänger „der akademischen Dreitagewoche“ und „der wissenschaftlichen Esoterik“ diffamiert wurden, zu deren Organ die Westdeutsche Rektorenkonferenz geworden sei .27 Bemerkenswerterweise gehörten mit Klaus Hüfner und Hajo Riese zwei Bildungsökonomen zu den vehementesten Befürwortern einer wettbewerbsorientierten Reformierung des bundesdeutschen Hochschulsystems, die nur zwei Jahrzehnte zuvor die theoretische Grundlage für die staatliche Bildungsplanung gelegt hatten . Nun sahen die beiden prominenten Bildungsforscher jedoch in einer Konkurrenz auto-

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Rüegg (1985), S . 19 . Lith (1985), S . 95 . Lith (1985), S . 95 . Lith (1983) . Verein für studentische und Hochschulfragen (1982), S . 1 . Adam (1990), S . 8 .

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nomer Universitäten auf einem Markt um Studierende, Professoren und Drittmittel entscheidende Vorteile gegenüber Planungsversuchen des Staates . So würden in einem marktgesteuerten Hochschulsystem die Studenten selbst das Studienangebot beeinflussen, die Flexibilität der Hochschulen beträchtlich zunehmen und die Höhe der Professorengehälter über Angebot und Nachfrage bestimmt werden, wovon sie sich offenkundig Einsparungen erwarteten .28 Demgegenüber habe der einst von Klaus Hüfner selbst verfochtene Social Demand-Approach die Schwäche, dass er zwar das individuelle Risiko der Hochschulabsolventen bei der Berufswahl akzeptiere, „dabei aber unterschlägt, daß dieses Existenzrisiko die Hochschule ins Obligo der Schaffung eines marktfähigen Angebots zwingt“, während der zuvor von Hajo Riese befürwortete Manpower-Approach „lediglich am Reißbrett das Existenzrisiko der Hochschulabsolventen ausschaltet“, weil der Staat in einer Marktwirtschaft den zukünftigen Bedarf an Arbeitskräften nicht vorhersehen oder planen könne .29 Zudem fehle beiden Ansätzen eine Koppelung von Input- und Outputseite . Zwar hielten Hüfner und Riese die „Realisierung eines ‚reinen‘ Marktmodells und die Aufgabe jeglicher Planung des Hochschulsystems“ auch nach dem Regierungswechsel von 1982 für wenig realistisch und überdies für überzogen, doch betrachteten sie es angesichts der bereits zahlreich vorhandenen Planungs- und fehlenden Marktelemente als geboten, den weitgehend passiven, aus den Kultusministerien gesteuerten deutschen Universitäten die „volle Autonomie“ zuzugestehen und sie gleichzeitig zu „zwingen“, sich den Erfordernissen des Marktes anzupassen, „und zwar auf ihrer Input-Seite denen auf dem ‚Markt für Hochschulbildung‘ und auf ihrer Output-Seite denen auf dem Arbeitsmarkt hochqualifizierter Arbeitskräfte“ . Versage eine Hochschule auf einem der beiden Märkte, so die Annahme, würde sich ihre Konkurrenzsituation zwangsläufig auch auf dem jeweils anderen Markt verschlechtern, der quasi als „Dritter“ über Erfolg oder Misserfolg der Konkurrenten entscheidet . Der Staat sollte die im Wettbewerb erfolglosen Universitäten nach Ansicht der beiden Sozialwissenschaftler nicht unterstützen, sondern lediglich darüber wachen, dass Mindestqualitätsstandards eingehalten werden, weder aufseiten der Anbieter noch der Nachfrager Kartelle entstehen und etwaige Kooperationen der Hochschulen untereinander beziehungsweise mit außeruniversitären Einrichtungen, „nicht zu Verzerrungen des Wettbewerbs und zur Verdrängung kleinerer Anbieter führen“ .30 Sie erhofften sich, dass die Bundesrepublik mittels einer Implementierung von Wettbewerbselementen in das deutsche Hochschulsystem und unter der Devise „market as much as possible, planning as much as necessary“ einen Königsweg zwischen dem marktgesteuerten US- und dem planwirtschaftlich organisierten sowjetischen Modell einschlagen könne .31 28 29 30 31

Vgl . Hüfner/Schramm (1984) . Riese (1984), S . 74 . Hüfner/Schramm (1984), S . 51 . Hüfner (1984), S . 193 .

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Die Gewerkschaften und andere linksgerichtete Kräfte warnten hingegen vor einer Wettbewerbsorientierung der deutschen Universitäten und plädierten für eine Fortsetzung des bildungspolitischen Kurses der vorangegangenen beiden Jahrzehnte, da nur der Staat ein demokratisches und sozial gerechtes Hochschulsystem zu schaffen respektive abzusichern vermöge . Die Regierung Kohl setze hingegen „auf das alte Prinzip der Vernichtungskonkurrenz“, hieß es in einer Veröffentlichung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus dem Jahr 1986, und degradiere die Hochschulen „zu Unterabteilungen der Industrie“ .32 Für eine bildungspolitische Wende traten hingegen wirtschaftsnahe Institutionen ein, wovon zahlreiche Zuschriften der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber (BDA), des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) an das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft zeugen . Nach dem Bonner Regierungswechsel müssten nun endlich „die Bremsklötze weg für den Wettbewerb“, formulierte Carsten Kreklau die Haltung des BDI, wohl wissend, dass Forderungen nach einer ausgeweiteten Hochschulautonomie und einer passiveren Rolle der Kultusministerien auch unter Bundeskanzler Helmut Kohl „noch am Rande der politischen Utopie einzuordnen“ waren .33 Selbiges galt freilich auch für Überlegungen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft, „unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs auch den ‚Konkurs‘ einer Einrichtung hin[zu]nehmen“, also einen agonalen Verdrängungswettbewerb der Hochschulen zu gestatten .34 Als ersten Schritt auf dem Weg zu einem kompetitiver ausgerichteten Hochschulsystem rief Bundesbildungsministerin Dorothee Wilms im Frühjahr 1983 eine Expertenkommission ins Leben, die aus Vertretern von WRK, Universitäten und Politik zusammengesetzt war und die Auswirkungen des Hochschulrahmengesetzes auf die Universitäten eruieren sollte . Die Ministerin machte deutlich, dass die „Evaluierung“ des HRG vorrangig nach Wettbewerbs- und Leistungskriterien zu erfolgen habe, und fügte zuspitzend hinzu, dass die Universitäten gegenwärtig vor „der härtesten Bewährungsprobe ihrer Geschichte“ stünden .35 Das Hochschulrahmengesetz von 1976, von dem angenommen wurde, dass es durch „Bürokratisierung, Zentralisierung und Uniformierung […] die individuelle wissenschaftliche Leistungsinitiative zerstören und das Engagement der Selbstverwaltung lähmen“ würde, sollte nach Wilms’ Vorstellungen geändert oder sogar gänzlich außer Kraft gesetzt werden, wenn es den interuniversitären Wettbewerb nachweislich behindere .36 Nach mehrmonatiger Arbeit kam Fehrenbach (1986), S . 41, 47 . Kreklau (1984), S . 125, 131 . Westphalen (1984), S . 86 . Wilms, Dorothee: „Vorwort“, in: Der Bundesminister [i . e . Die Bundesministerin] für Bildung und Wissenschaft (1984), S . 1; „Bundesbildungsministerin Wilms beruft Expertenkommission zur Untersuchung der Auswirkungen des Hochschulrahmengesetzes“, in: Informationen Bildung, Wissenschaft 14 (1983): 24–25, S . 24 . 36 Denninger (1984), S . V–VI . 32 33 34 35

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die Kommission in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass die vom Ministerium artikulierte „Zielvorstellung, langfristig wieder [!] einen verstärkten Wettbewerb der Hochschulen untereinander zu ermöglichen“, tatsächlich nur durch eine grundlegende Überarbeitung des Hochschulrahmengesetzes ermöglicht werden könne .37 So wurde die Streichung des Paragraphen 5 empfohlen, der die Verschmelzung aller Hochschulformen zu Gesamthochschulen als Entwicklungsziel bestimmte, was einer wettbewerbsfeindlichen Nivellierung der Hochschulen gleichkomme . Die Drittmitteleinwerbung müsse erleichtert und der in der bisherigen Fassung des HRG vermittelte „Eindruck eines minderen Ranges der Drittmittelforschung im Verhältnis zu der aus Etatmitteln finanzierten Forschung“ beseitigt werden, um Drittmittel zu einer Prämie interuniversitären Wettbewerbs werden zu lassen .38 Hochschullehrer, die erfolgreich Drittmittel einwarben, sollten nicht länger durch eine Kürzung der Planmittel „bestraft“ werden, während Drittmittelgebern ein größerer Einfluss auf die konkrete Durchführung der Forschungsprojekte einzuräumen sei . Die zentrale Frage, ob eine Novellierung des HRG zu befürworten sei, wurde mithin aus Wettbewerbsgesichtspunkten eindeutig bejaht . „Eine Reihe von Bestimmungen des geltenden HRG behindern den Wettbewerb“39 stimmte Ministerin Wilms der Einschätzung der Expertenkommission zu und bekräftigte, dass sie zu einer Überarbeitung des Gesetzes entschlossen sei . Dabei wolle sie sich „von den Ordnungsprinzipien der Differenzierung und des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen“40 leiten lassen, so wie sie in ihren sechzehn (eher oberflächlich geratenen) „Thesen zur Hochschulpolitik für die 90er Jahre“ formuliert worden waren .41 Für linksgerichtete Wissenschaftler wie den Bielefelder Soziologen Ludwig Huber wiesen die Empfehlungen der Expertenkommission hingegen in die falsche Richtung . Huber vertrat die Ansicht, dass das HRG (weiterhin) einen Rahmen für staatliche Bildungsplanung abstecken und das Gleichheitsprinzip in den Mittelpunkt stellen müsse anstatt einen interuniversitären Wettbewerb zu ermöglichen . Die Expertenkommission habe hingegen nur betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt und sei daher notgedrungen zu Reformvorschlägen gelangt, die „in wundersamer Übereinstimmung mit der gegenwärtig propagandistisch wiedererweckten ‚freien Marktwirtschaft‘ und der an ihr orientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik“ der Regierung Kohl stünden .42 Als skandalös sei es zu bezeichnen, dass die Gesamthochschulen mit wenigen Worten als gescheitert abgeurteilt würden . Für den Grünen-BundestagsabDer Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1984), S . 7 . Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1984), S . 38 . Wilms (1984), S . 25 . Wilms (1984) . Vgl . „Thesen zu einer Hochschulpolitik für die 90er Jahre“, in: Informationen Bildung, Wissenschaft 14 (1983), S . 193–194 . 42 Huber (1984) S . 417 . 37 38 39 40 41

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geordneten Gert Jannsen zielten die Empfehlungen der Expertenkommission gar auf „eine Privatisierung der Hochschulen“ ab, während der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Eckart Kuhlwein, eine übergroße Machtfülle in den Händen der Professoren vorhersagte, die die Universitäten „zurück in die 50er Jahre“ katapultieren werde .43 Demgegenüber wurde von konservativer Seite, wie etwa von dem Rechtswissenschaftler Ulrich Karpen, betont, dass die von Dorothee Wilms eingesetzte Kommission keine Radikalforderungen aufgestellt habe,44 sondern lediglich an jenen Paragraphen Korrekturen empfehle, die nachweislich „die Möglichkeit des institutionellen Wettbewerbs“ der Hochschulen beeinträchtigt hätten .45 Ferner bedeute die angeratene Streichung des GHS-Passus nicht zwangsläufig das Ende dieser Hochschulform, sondern lediglich, dass sich die Gesamthochschulen fortan einem „insgesamt belebenden Wettbewerb verschiedener Hochschulformen stellen müssen“ .46 Die rechtliche Aufwertung der Drittmittelforschung sah Karpen als sinnvoll und notwendig an und regte sogar eine weitere Belebung des interuniversitären Wettbewerbs um Finanzmittel an, die etwa durch die Belohnung erfolgreicher Drittmittelakquise mit zusätzlichen Haushaltstiteln erreicht werden sollte . Zwischen der Präsentation des Expertenberichts und der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes wurde „Wettbewerb“ zu einem der am häufigsten verwendeten Schlagwörter in Bekanntmachungen des Ministeriums und öffentlichen Reden von Wilms und ihren Staatssekretären . „Wettbewerb auf den unterschiedlichsten Ebenen unseres Bildungswesens hat endlich seinen Tabucharakter verloren“, behauptete daher Staatssekretär Paul Harro Piazolo in einem Vortrag vor der CDU-nahen Kieler Hermann Ehlers-Akademie .47 Nur der Wettbewerb ermögliche die notwendige Differenzierung und Schwerpunktsetzung der Hochschulen und weise den Weg zu einer freiheitlichen Gesellschaft jenseits „staatlicher Lenkung und Bevormundung der Bürger“ . In seiner Rede führte Piazolo aus, auf welche Weise das von ihm vertretene BMBW den kollektiven „Wettbewerb, in dem eine Universität […] antritt und nach außen mit anderen Hochschulen […] konkurriert“, zu fördern beabsichtige .48 Das Ministerium Zit . nach: Köhler (1986), S . 491, 493 . So stand zeitweise die Forderung im Raum, „im Interesse reformerischen Wettbewerbs kurzerhand das ganze Hochschulrahmengesetz aufzuheben“, um dem „Übermaß an ‚Verrechtlichung‘ entgegenzukommen“; Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1984), S . 7 . 45 Karpen (1984), S . 398 . 46 Karpen (1984), S . 401–402 . 47 Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1985), S . 2 . Mit dieser Ansicht stand Piazolo nicht allein . Fast alle Befürworter eines an Wettbewerbsprinzipien ausgerichteten Hochschulsystems betonten, dass sie mit ihren Forderungen einen (freilich für überfällig gehaltenen) Tabubruch begingen . Es ist möglich, dass die Wettbewerbsapologeten tatsächlich diesen Eindruck hatten . Möglich ist aber auch, dass der Verweis auf den angeblichen „Tabubruch“ das Interesse an der etwas spröden, zumeist mit wenigen Schlagworten geführten Diskussion wecken beziehungsweise aufrecht erhalten sollte . 48 Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1985), S . 12 . 43 44

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wolle die Handlungsfreiheit und Handlungsfähigkeit der Hochschulen erweitern, ihnen im Einzelnen mehr Einfluss auf die Ausgestaltung der Studienordnungen und Auswahl der Studienbewerber sowie einen breiteren Spielraum in Haushaltsangelegenheiten zugestehen . Die Drittmittelforschung solle vereinfacht, Arbeitsverhältnisse häufiger befristet und die Errichtung von Privatuniversitäten von staatlicher Seite gefördert werden . Am 14 . November 1985 wurde die HRG-Novelle im Deutschen Bundestag verabschiedet . Postgraduiertenstudien wurden als neues „Element des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen“ in das Hochschulrahmengesetz aufgenommen, doch sollten die Hochschulen nicht nur um postgraduierte Studierende, sondern auch um Studienanfänger konkurrieren (können), weshalb sie an der Auswahl der Studienbewerber beteiligt wurden und ihrer Entscheidung selbstgewählte Kriterien zugrunde legen durften .49 Dazu konnten beispielsweise „besondere Vorbildungen oder praktische Fähigkeiten“ der Bewerber gehören .50 Drittmittelforschung sollte, wie von der Expertenkommission angeregt worden war, künftig „den gleichen Rang wie die aus Haushaltsmitteln finanzierte Forschung“ einnehmen und wurde von administrativen Hemmnissen befreit – eine Entscheidung von kaum zu überschätzender Bedeutung .51 So legte der überarbeitete Paragraph 25 fest, dass die Durchführung von Drittmittelprojekten „nicht [mehr; F . W .] von einer Genehmigung abhängig gemacht“ werden durfte . Die Hochschulen durften Geräte, Einrichtungen, Personal- und Sachmitteln nur noch dann verweigern, wenn dadurch die Erfüllung anderer Hochschulaufgaben oder die Rechte Dritter nachweislich beeinträchtigt würden . Die Bestimmung, dass Drittmittel nach den Vorstellungen der Geldgeber zu verwenden seien, sollte potentielle Drittmittelgeber zur Forschungsförderung ermuntern, wohingegen als Anreiz für die Hochschulen Einnahmen aus drittmittelfinanzierten Forschungsvorhaben nicht abgeführt zu werden brauchten . Damit war eine entscheidende Weichenstellung zur Entwicklung der jüngeren Vergangenheit vollzogen, wonach eingeworbene Drittmittel als Qualitätsnachweis für die Forschungsleistung einer Universität gelten . Ferner erleichterte die Novelle gegen den Widerstand der Gewerkschaften die Anstellung wissenschaftlicher Mitarbeiter auf Zeit, was die Abwicklung von Drittmittelprojekten erleichtern und flexible Reaktionen auf eine veränderte studentische Nachfrage ermöglichen sollte .52 Das Entwicklungsziel von 1976, mittelfristig eine Verschmelzung der verschiedenen Hochschularten zu Gesamthochschulen zu erreichen, wurde ersatzlos aus dem HRG gestrichen .53 Statt einer Vereinheitlichung beabsichtigte die Bundesregierung schließlich eine stärkere Differenzierung des Hochschulsystems . Da-

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Wilms (1984), S . 26 . Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1986), S . 12 (§ 10, Abs . 6) . Informationen Bildung Wissenschaft 17 (1986), S . 23–24 . Vgl . Köhler (1986), S . 272 . Vgl . Teichler (1990), S . 17–18 .

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bei ruhten die Hoffnungen der schwarz-gelben Koalition insbesondere auf den praxisorientierten Fachhochschulen . Diese bildeten einerseits schneller und kostengünstiger aus als die Universitäten, andererseits war von ihrer Seite weit weniger Widerstand gegen die angekündigten Bildungsreformen zu erwarten als von den etablierten Hochschulen . Darauf wies 1983 auch der amerikanische Hochschulforscher Burton C . Clark hin, demzufolge sich junge Hochschulen (wie die deutschen Fachhochschulen) bei der Implementierung neuer Wettbewerbsmechanismen dazu eigneten, „[to] bypass, in part, the resistance of the old ones“ .54 Ferner schränkte das neue Hochschulrahmengesetz die Mitbestimmungsrechte der Studierenden und des akademischen Mittelbaus ein, um der vielfach beklagten „Behinderung und Lähmung der Entscheidungsprozesse“ in der Gruppenuniversität entgegenzuwirken und die Hochschulen zu handlungsfähigen Akteuren in einem interinstitutionellen Wettbewerb werden zu lassen .55 Von einer „Rückkehr der ‚Ordinarien‘ an den Universitäten“, wie sie der Politikwissenschaftler Roland Roth beobachtet haben will, konnte allerdings keine Rede sein .56 Trotz der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes blieb die Drittmitteleinwerbung zunächst „highly unpopular at the universities“, wie der Bildungsforscher Hans-Jürgen Block Ende des Jahrzehnts feststellte, und nahm an Umfang weit geringer zu als von der Regierung erhofft .57 Laut einer vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft unter Wilms’ Nachfolger Jürgen W . Möllemann (FDP) in Auftrag gegebenen Studie war dies zum einen darauf zurückzuführen, dass die Bundesländer „die neuen Spielräume wieder eingeschränkt oder nicht genützt“ hätten .58 Zum anderen befürchteten die Hochschulen, dass die Einwerbung von Drittmitteln „zu Verzerrungen in der Antragstellung, […] Scheinaktivitäten“59 und zur Behinderung origineller Forschung führen könnte . Zwar übten die Berichte über sprudelnde Drittmitteleinnahmen britischer und US-amerikanischer Hochschulen eine gewisse Faszination auf die Hochschullehrer aus, wie aus den Berichten und Leserbriefen in der Deutschen Universitätszeitung hervorgeht, doch missfiel vielfach der mit der Drittmittelakquise verbundene „unternehmerische Geist“, der so gar nicht zum „Humboldt’schen Universitätsideal“ und dem Selbstverständnis der Akademiker zu passen schien .60 Dementsprechend bemühten sich viele Professoren nur widerwillig um die Einwerbung von Drittmitteln, waren jedoch gleichwohl immer häufiger dazu gezwungen, da bereits ab Mitte der 1970er Jahre die staatliche Grundausstattung der Hochschulen inflationsbereinigt stagnierte und Drittmittel für die Durchführung größerer Forschungsprojekte unerlässlich wurden . Für den Gewerkschafter und Bremer Sozio54 55 56 57 58 59 60

Clark (1983), S . 33 . In diesem Vortrag greift Clark auch das Bild von der Universitätsfabrik auf . Huber (1984), S . 405 . Roth (1991), S . 203 . Block (1990), S . 40 . Mittag (1989), S . 12 . So der Botaniker Otto Kandler; zit . nach: Schneider/Seibold (1983), S . 928 . Gehlsen (1982), S . 17; vgl . Gadamer (1988) .

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logen Hellmuth Lange war es daher ein Unding, dass die „Verschärfung der Konkurrenz um Drittmittel“ im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft „nicht als Nachteil, sondern als Vorteil gesehen“ wurde . Durch die wachsende Bedeutung der Drittmittelforschung werde „die Freiheit der Wissenschaft zur Farce“ .61 Auch die OECD sah im Übrigen die Forschungsfreiheit in Gefahr, wenn die von den Kultusministerien zur Verfügung gestellten Forschungsmittel nicht deutlich erhöht würden, und warnte vor einer Zunahme der Auftragsforschung . „Die akademische Forschung wird so ausgehungert, daß sie Mittel für jedes Projekt akzeptiert“, hieß es in einem Bericht der OECD .62 Dieser Bericht thematisierte auch die veränderte Rolle der Förderinstitutionen – der „Dritten“ im Wettbewerb um Drittmittel –, die aufgrund einer stark steigenden Zahl an Anträgen bei nur schwacher Erhöhung ihrer Budgets selektiver auswählen müssten und den Konkurrenzkampf dadurch auf ungesunde Weise verschärften .63 Hierbei muss hervorgehoben werden, dass es sich bei den Drittmittelgebern in der Bundesrepublik zumeist um staatliche oder staatsnahe Fördereinrichtungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft handelte, die diese Entwicklung ebenfalls missbilligten . Unter den Hochschullehrern, die als ehrenamtliche Gutachter über die Förderwürdigkeit der DFG-Anträge befanden, stieß die kompetitive Einwerbepraxis nämlich auf wenig Akzeptanz, wie aus den zahlreichen Zuschriften an die DFG hervorging . Immer mehr Gutachter hatten „es satt“, um die Worte des damaligen DFG-Präsidenten Hubert Markl zu verwenden, in ausführlichen Gutachten zu belegen, dass die von ihnen bewerteten Anträge förderwürdig seien, um später feststellen zu müssen, dass sie dennoch abgelehnt wurden .64 Offenkundig betrachteten die Hochschullehrer es zwar als legitim, dass sie selbst zwischen förderwürdigen und nicht-förderwürdigen Projekten unterschieden (was in den 1970er Jahren noch keineswegs selbstverständlich war), nicht jedoch, dass die Förderinstitutionen unter den positiv bewerteten Anträgen wiederum eine Auswahl trafen, durch die im Idealfall die Besten unter den Guten herausgefiltert werden sollten, bei der aber stets auch das Glück eine Rolle spielt, das schon Friedrich August von Hayek als notwendigen Bestandteil eines funktionierenden Wettbewerbs bezeichnet hatte .65 Die Hochschulen meldeten zudem Zweifel an, ob die Forschungsgemeinschaft tatsächlich als neutraler Dritter in einem interuniversitären Wettbewerb um Finanzmittel fungieren könne oder ob nicht vielmehr „persönliche Beziehungen und kollegiale Kulanz“ über den Erfolg eines Antrags auf finanzielle Förderung entschieden .66 Insbesondere die laxen beziehungsweise zum Teil gänzlich fehlenden Verwendungskontrollen führten dazu,

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Lange (1986), S . 203 . Zit . nach: Nießen (1982), S . 31 . Vgl . Sietmann (1989), S . 18 . Zit . nach: Sietmann (1989), S . 18 . DFG-Präsident Hubert Markl teilte im Übrigen diese Ansicht . Sietmann (1989), S . 19; vgl . Friedrichs (1983) .

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen

dass das „Drittmittelmilieu“ so manchem Wissenschaftler nicht recht geheuer war, wenngleich der Berliner Soziologe Friedhelm Neidhardt in einer 1988 publizierten Studie die „‚Vetternwirtschafts‘-Hypothese“ argumentativ zu widerlegen versuchte .67 Eine Mehrheit der Professoren favorisierte verständlicherweise dennoch eine Erhöhung der direkten staatlichen Aufwendungen für die Hochschulforschung gegenüber der aufwendigen kompetitiven Drittmittelakquise . Sie wurde dabei von den Rektoren und Universitätspräsidenten zumeist unterstützt, die Drittmittel trotz der angespannten Finanzlage weitaus seltener als Prämie eines interuniversitären Wettbewerbs denn einer Konkurrenz unter Professoren betrachteten, so dass deutsche Hochschullehrer im Unterschied zu ihren amerikanischen Kollegen nur selten mit Unterstützung vonseiten der Hochschulleitung rechnen konnten .68 Der Wissenschaftsrat riet daher dazu, die Hochschulen zu Verwaltern der von ihren Wissenschaftlern eingeworbenen Drittmittel zu machen, um sie in den Statistiken sichtbar zu machen . Daraus könne ein interinstitutioneller Wettbewerb um diese Finanzmittel und das mit ihnen verbundene Prestige entstehen . Entgegen den Wünschen der Hochschulen nach einer Ausweitung der staatlichen Grundfinanzierung vertrat die DFG in ihrem Grauen Plan von 1983 jedoch die Ansicht, dass finanzielle Kürzungen zwar die Hochschulhaushalte, nicht aber den Etat der Forschungsgemeinschaft betreffen dürften .69 Schließlich habe sie „über lange Jahre bewiesen, daß sie die Forschung sachkundig beurteilen und entsprechend ihrem Wert unterstützen kann“ . Die DFG verfolgte nun explizit ihre Rolle als „Dritter“ in einem Wettbewerb und empfahl sich in derselben Denkschrift als neutraler und kompetenter Schiedsrichter bei der Verteilung der begrenzten Finanzmittel . In geradezu devoter Weise sprach sie dabei die Hoffnung aus, dass ihr der Staat „weiterhin das notwendige Vertrauen und die notwendigen Mittel gewähren“ werde .70 Vier Jahre später trat sie in ihrem Grauen Plan für die Jahre 1987–1990 deutlich selbstbewusster auf, warnte aber diesmal vor einer übertriebenen Wettbewerbsorientierung . So stark wie nie zuvor präge bereits „der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen den großen Industrienationen die Forschungspolitik“ . Es bestehe daher die Gefahr, dass Hochschulforschung „allzusehr unter dem Blickwinkel der Das Wort vom „Drittmittelmilieu“ ist als scherzhafte Formulierung zu finden in „Ein Kurzkrimi aus dem Drittmittelmilieu“, in: Soziologie 19 (1990), S . 101 . Vergleiche dazu ferner die Cartoons in der Deutschen Universitätszeitung 39, no . 20 (1983), S . 34 . Die DUZ sparte im Übrigen nicht mit Kritik an Neidhardts Forschungsmethoden . 68 Vgl . dazu Schmidt (1985) . Schmidt musste eigens darauf hinweisen, dass „Konkurrenz um Finanzmittel […] nicht nur zwischen einzelnen Wissenschaftlern, sondern, damit verbunden, auch zwischen Hochschulen“ bestehe; Schmidt (1985), S . 19 . 69 So heißt es in einer Veröffentlichung der DFG aus dem Jahr 1983: „In den vergangenen Jahren ist gegenüber der Öffentlichkeit von vielen Seiten argumentiert worden, die Forschung – namentlich in den Hochschulen – stehe unmittelbar vor dem Zusammenbruch, sofern nicht eine vorgesehene Reduzierung der Etatzuwächse rückgängig gemacht werde . Die Forschungsgemeinschaft kann diese Einschätzung nicht generell teilen“; Deutsche Forschungsgemeinschaft (1983), S . 8 . 70 Deutsche Forschungsgemeinschaft (1983), S . 30 . 67

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wirtschaftlichen Nutzbarkeit“ und der Aktualität der Themen beurteilt würde .71 Auch der Wissenschaftsrat warnte vor einer Reduzierung der Grundfinanzierung, die zum Verlust der Entscheidungsfreiheit über Annahme und Ablehnung von Forschungsaufträgen und die Einwerbung von Drittmitteln führen könne . Eine solide Grundausstattung „ermöglicht erst den Eintritt in den Wettbewerb um materielle und personelle Ressourcen für die Forschung mit Mitteln Dritter“, hieß es dazu in den Empfehlungen des Beratungsgremiums aus dem Jahr 1982 .72 Überdies mahnte der Wissenschaftsrat an, die Forschungsergebnisse auch bei anders lautenden Wünschen der Auftraggeber zeitnah zu publizieren73 und zu verhindern, dass die deutschen Hochschulen bei der Auftragsforschung „durch Reduzierung der Entgelte in einen Preiswettbewerb mit privaten Anbietern treten“74 – wohl wissend, dass die immer noch weitestgehend mit öffentlichen Mitteln finanzierten Hochschulen „konkurrenzlos“ günstig arbeiteten, was durchaus negative Auswirkungen auf die nach der Rezession der 1970er Jahre gerade wieder in Gang gekommene Privatwirtschaft haben konnte . Die Etablierung von Hochschulrankings75 in den 1980er und 1990er Jahren verknüpfte schließlich Drittmittelprojekte mit dem Prestige der Hochschulen, da sie als wichtiger Leistungsindikator angesehen wurden, den bundesdeutsche Ranglisten in der Regel stärker gewichteten als amerikanische oder britische Rankings .76 Dies trug allmählich zu einer „Fetischisierung der Drittmittel“ bei, die mit der Zeit ein, wenn nicht das wichtigste Mittel zur Herstellung und Vergrößerung vertikaler Ungleichheiten unter den deutschen Universitäten werden sollten .77 Sie dienten eben nicht dazu, so Hermann Lübbe pointiert 1988, „Fußkranken den Anschluß zu sichern, sondern zur zusätzlichen Steigerung der Exzellenz […] derer, die ohnehin schon zur forschungspraktischen Avantgarde gehören“ .78 Zudem verschaffte sich der Bund durch die Aufwertung der Drittmittelforschung mittelfristig ein stärkeres Gewicht im interuniversitären Wettbewerb . Die Finanzierung der Hochschulen hing schließlich fortan nicht mehr nur von den Landeskultusministerien, sondern auch von Entscheidungen der (größtenteils durch den Bund finanzierten) DFG und der (gegebenenfalls kompetitiv zu gestaltenden) Vergabe von Fördergeldern durch den Bund ab . Damit auch für die Hochschulleitungen ein Anreiz bestand, Drittmittel einzuwerben, traten Wettbewerbsbefürworter wie der Rechtswissenschaftler und CDU-Politi-

Deutsche Forschungsgemeinschaft (1987), S . 3–5 . Wissenschaftsrat (1982b), S . 57 . Im Hochschulrahmengesetz in der Fassung vom 14 . November 1985 ist diese Empfehlung lediglich als Soll-Vorschrift enthalten; vgl . Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1986), S . 17 (Paragraph 25) . 74 Wissenschaftsrat (1986b), S . 31 . 75 Vgl . dazu Kapitel VI .2 . 76 Vgl . Wissenschaftsrat (1982b), S . 57 . 77 Gerhards (2014), S . 105 . 78 Lübbe (1988), S . 130 . 71 72 73

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ker Ulrich Karpen für eine Ausweitung der Hochschulautonomie in Finanzfragen ein . Karpen betonte, dass das HRG sowie das geltende Haushaltsrecht die Übertragung entsprechender Kompetenzen auf die Universitäten zwar ermöglichten, die Länder davon jedoch nicht ausreichend Gebrauch gemacht hätten .79 Einen Weg, um den Entscheidungsspielraum von Universitätsrektoren und -präsidenten zu erweitern, sahen Hochschulforscher in der (bereits in den 1960er Jahren erwogenen) Einführung von Globalhaushalten und einer intensivierten Zusammenarbeit von Industrie und Hochschulen, wie sie 1984 auch die OECD anmahnte .80 Dafür wurde der Aufbau von Marketingabteilungen und Technologietransfer-Stellen empfohlen, der allerdings auch nach der HRG-Novelle recht schleppend voranging .81 Weiterreichende Vorschläge, wie etwa die Ersetzung der kameralistischen Buchführung durch die wettbewerbsfreundlichere Doppik oder die Entwicklung offensiver Wettbewerbsstrategien für die einzelnen Hochschulen, stießen in Deutschland hingegen selbst im bürgerlichen Lager zumeist auf Unverständnis .82 Ein „‚Großunternehmen Universität‘, das etwas ‚produziert‘ und […] sich am ‚Markt‘ […] zu behaupten hat“83, wurde über Parteigrenzen hinweg abgelehnt . Selbst in der FDP waren Vorschläge für ein marktliberales Bildungssystem, wie sie etwa Jürgen W . Möllemann und Hans-Dietrich Genscher artikulierten, hoch umstritten . Dennoch galt es aus Sicht der Wettbewerbsbefürworter, eine Überwindung der „mentalitätsmäßigen Grenzen“84 herbeizuführen, die Hochschulen und Privatunternehmen trennten . Insbesondere zwischen klassischen Universitäten und der Industrie herrschten Berührungsängste, so dass die Drittmitteleinnahmen aus Händen privater Geldgeber bescheiden blieben und in realen Zahlen noch Mitte der 1980er Jahre auf dem Stand von 1970 lagen .85 Sowohl Technische Hochschulen als auch Universitäten erweiterten allerdings in den 1980er Jahren ihr Angebot an Weiterbildungskursen, die ebenfalls Einnahmen von dritter Seite einbrachten, die Hochschulen jedoch zum Teil zu Konkurrenten von privaten Anbietern machten, was wiederum die Frage aufwarf, ob Universitäten als Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts anzusehen waren . Der Bundesverband der Deutschen Industrie schlug angesichts dieser Entwicklung bereits Mitte des Jahrzehnts Alarm . „Wettbewerb ist zwar zu begrüßen“, fasste Carsten Kreklau die Haltung des BDI zusammen, „die öffentlich subventionierte Preisunterbietung der Hochschulen läßt die Marktkräfte jedoch gar nicht erst zum Zuge kommen“ .86

Vgl . Karpen (1983), insbes . S . 13, 74 ff . Vgl . u . a . Westphalen (1984), S . 73 . Vgl . Allesch/Preiß-Allesch/Spengler (1986), S . 3 . Vgl . Henzler (1989) . Diskussionsbeitrag von Alexander Fritsch (Bundesverband liberaler Hochschulgruppen), in: Westdeutsche Rektorenkonferenz (1989), S . 204 . 84 Lübbe (1988), S . 130 . 85 Vgl . Wissenschaftsrat (1986), S . 67 . 86 Kreklau (1984), S . 131 . 79 80 81 82 83

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Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft gab daraufhin bei den Rechtswissenschaftlern Ernst-Joachim Mestmäcker und Winfried Veelken ein Gutachten in Auftrag, das 1990 zu dem Ergebnis gelangte, dass Hochschulen „als Unternehmen im Sinne des GWB anzusehen“ seien, wenn sie mit Angeboten zur wissenschaftlichen Weiterbildung am allgemeinen Wirtschaftsverkehr teilnahmen, ungeachtet, ob sie ökonomische Gewinnabsichten damit verbanden oder nicht .87 Zwar stehe das Wettbewerbsrecht einer Aufnahme wissenschaftlicher Weiterbildung durch die Hochschulen nicht entgegen, doch dürfe diese nur unter bestimmten Umständen unentgeltlich angeboten werden, um private Anbieter nicht vom Markt zu verdrängen . Ferner sei es unzulässig, wenn die öffentliche Hand Wettbewerbsvorteile ausnutze, die lediglich in ihrer hoheitlichen Stellung begründet seien . Andererseits, so das Gutachten, habe das Hochschulrahmengesetz das Kartellverbot gelockert und erlaube es den Hochschulen, Absprachen untereinander sowie mit staatlich geförderten Forschungs- und Bildungseinrichtungen bezüglich des Angebotsspektrums, der Preise und Teilnahmebedingungen zu treffen . Aus Sicht des Wissenschaftsrates und des BMBW sollten im Übrigen nicht etwa die Drittmittel, sondern in erster Linie die Studenten zum „Schwungrad eines wettbewerbsorientierten Hochschulsystems“ werden .88 Das Hochschulrahmengesetz stand in diesem Zusammenhang zunächst nicht im Mittelpunkt . Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass der von Bildungsexperten fälschlicherweise für Mitte bis Ende des Jahrzehnts vorhergesagte, demografisch bedingte deutliche Rückgang der Studierendenzahlen die erhofften Wettbewerbsmechanismen gleichsam von selbst in Gang setzen und die Hochschulen zur Erweiterung ihres Lehr- und Fortbildungsangebots beziehungsweise zu Schwerpunktsetzungen bewegen würde . „Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf “, zeigte sich beispielsweise der Jurist und CDU-Politiker Kurt Biedenkopf während eines der bildungspolitischen „Villa Hügel-Gespräche“ im September 1981 überzeugt, „daß in fünf Jahren sämtliche detaillierte Pläne über die Umwandlung und Erweiterung der jetzigen Hochschulen zu Fortbildungsvereinen, Volkshochschulen, Erwachsenenbildungsstätten und ähnliches vorliegen, um die Personalausstattung der Hochschulen nicht zu gefährden“ .89 Auch Brief und Siegel konnten jedoch nichts daran ändern, dass die Zahl immatrikulierter Studierender nicht ab-, sondern weiter zunahm . Die verbreitete Annahme, dass spätestens in den 1990er Jahren ein Teil der Hochschulen geschlossen werden müsse und die Hochschulen untereinander in einen Verdrängungswettbewerb eintreten würden, hatte mithin bereits vor der Wiedervereinigung an Plausibilität verloren .90

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Mestmäcker (1990), S . 51; GWB = Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen . So Peter Graf Kielmansegg; zit . nach: Sozialliberaler Hochschulverband (1985), S . 15 . Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (1982), S . 78 . Vgl . Führ (1989), S . 167 .

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In Anbetracht des „Studentenberges“ führte auch die HRG-Novelle von 1985 zu keinem interuniversitären Wettbewerb um Studierende, zumal sie die Eigenverantwortung der Hochschulen bei der Aufnahme respektive Ablehnung von Studienbewerbern nur marginal erweitert hatte . Dies war auf Befürchtungen in der CDU und vor allem ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU zurückzuführen, dass das Abitur entwertet würde, wenn die Hochschulen nach eigenen Kriterien auswählten . Zudem kamen Zweifel auf, ob die Hochschulen personell und methodisch zu einer „Begabtenselektion“91 im Stande seien . Nach dem Wechsel an der Ministeriumsspitze kündigte jedoch der neue Bundesbildungsminister Jürgen W . Möllemann (FDP) an, dass die von ihm vorbereitete 4 . HRG-Novelle die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen weitgehend entmachten werde, so dass die Hochschulen in Eigenregie über die Aufnahme oder Ablehnung ihrer Studienbewerber entscheiden könnten, wenn die Zahl der Bewerber jene der Studienplätze übersteige .92 In zahlreichen Veröffentlichungen und Zuschriften an das Ministerium hatte das Institut der deutschen Wirtschaft bereits seit Jahren einen solchen Schritt angeraten: „Solange im Sinne einer akademischen Planwirtschaft die Ausbildungsberechtigten zugewiesen werden oder im gegenteiligen Fall die Hochschule gezwungen ist, jeden über die Hochschulreife mit Berechtigung ausgestatteten Bewerber aufzunehmen, wird jeder Versuch einer Effizienzverbesserung scheitern müssen“, hatte es beispielsweise in einer 1983 erschienenen Publikation des IW geheißen .93 Die Gegenposition wurde von den Gewerkschaften vertreten, die sich gegen eine Auswahl der Studienbewerber durch die Universitäten aussprachen, da eine solche von den Hochschulen durchgeführte „Selektion“ zu einem „Haupteinfallstor für mehr Wettbewerb“ im Hochschulsystem zu werden drohe und begrüßenswerte soziale durch inakzeptable Leistungskriterien ersetzen würde .94 In der Tat sollte nach Möllemanns Vorstellungen primär die persönliche Leistung der Bewerberinnen und Bewerber über ihren Erfolg entscheiden, wofür der Bundesminister sogar die bisherige Quotenregelung für EG-Ausländer außer Kraft zu setzen beabsichtigte, um sie Bildungsinländern gleichzustellen .95 Am 14 . September 1989 stimmte der Bundestag der vom BMBW entworfenen 4 . HRG-Novelle zu . Unter dem Titel „Mehr Wettbewerb bei der Hochschulzulassung“ verkündete das publizistische Hausorgan des Ministeriums die Verabschiedung des Gesetzes .96 Mit den Worten von Staatssekretär Norbert Lammert sollte es einen Beitrag dazu leisten, „in einem ursprünglich nicht auf Konkurrenz angelegten System verschiedene Elemente des Wettbewerbs“

Linke (1984), S . 35 . Vgl . Möllemann (1987), S . 96; Möllemann (1989), S . 159 . Westphalen (1984), S . 75 . Wildt (1986), S . 140, 144 . Vgl . Möllemann (1987) . „Bundeskabinett stimmt Regierungsentwurf einer 4 . HRG-Novelle zu . Mehr Wettbewerb bei der Hochschulzulassung“, in: Informationen Bildung Wissenschaft 20 (1989), S . 117–118 . 91 92 93 94 95 96

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einzuführen .97 Fünfzig bis siebzig Prozent der Studienbewerber sollten fortan von den Hochschulen nach eigenen Kriterien ausgewählt werden können . Dafür empfahl das Ministerium die Abiturnote, Einzelnoten in bestimmten studiengangsrelevanten Fächern, Testverfahren oder Auswahlgespräche . Jedoch stand es den Hochschulen frei, bei der Aufnahme der Studienbewerber statt nach Leistungskriterien nach sozialen Überlegungen auszuwählen . Zudem konnte durch Landesrecht entschieden werden, „ob die Vergabe nach sozialen Gründen durch die ZVS (wie bisher) oder durch die Hochschule erfolgt“ .98 Im Wissen über die Entwicklung seit den 1990er Jahren ist dem langjährigen Präsident des Hochschulverbandes Hartmut Schiedermair rechtzugeben, der die HRG-Novelle von 1989 seinerzeit als einen „ersten kleinen Schritt hin zu mehr Wettbewerb“ bezeichnete .99 Letztlich schöpften aber die Bundesländer ihre rechtlichen Möglichkeiten nicht voll aus . Zudem hatte Möllemann die Bedeutung der ZVS für den interuniversitären Wettbewerb deutlich überschätzt . Die Signale wiesen nun jedoch bereits deutlich in Richtung einer eigenverantwortlichen Aufnahme von Studienbewerbern durch die einzelnen Hochschulen . Zum Diskurs über eine Belebung des interuniversitären Wettbewerbs um Studierende gehörten auch Überlegungen zu einer (Wieder-)Einführung von Studiengebühren . So trat das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft in den 1980er Jahren für Studiengebühren ein, da sie das Verantwortungsgefühl von Studierenden und Hochschullehrern stärken und für die Universitäten einen Anreiz zur Attrahierung von Studenten darstellen würden . Den deutschen Studenten müsse vor Augen geführt werden, so der Politikwissenschaftler Raban Graf von Westphalen, „daß Bildung ein knappes Gut ist, mit dem wirtschaftlich umgegangen werden muß“ .100 Im Übrigen seien Studiengebühren sozial gerecht, da sie die Studenten, die nach ihrem Universitätsabschluss im Durchschnitt beträchtlich mehr verdienten als Arbeitnehmer ohne akademische Ausbildung, an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligten . Im Sinne des Wettbewerbs dürfe die staatliche Grundfinanzierung jedoch nicht zurückgefahren, begabte, aber sozial schwache Studieninteressierte nicht aus finanziellen Gründen von einem Studium abgehalten werden . Studiengebühren sollten demnach stets einen Zugewinn für die Hochschulen darstellen, um sie dazu zu bewegen, Studierende anzuziehen, sie besser zu betreuen und ein nachfrageorientiertes Lehrangebot zu bieten . Die Studierenden sollten demnach zu einer begehrteren, da an zusätzliche Finanzmittel gekoppelte Prämien eines interuniversitären Wettbewerbs werden . So sah es auch der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler Ulrich van Lith . Er bezog sich zumeist auf ein von Carl Christian von Weizsäcker entworfenes Gebühren-

Zit . nach: „Mehr Wettbewerb den Hochschulen“, in: Freiheit der Wissenschaft 16, no . 3 (1989), S . 5 . Informationen Bildung Wissenschaft 20 (1989), S . 118 . Zit . nach: „Bundesminister Möllemann empfing Deutschen Hochschulverband . Mehr Wettbewerb an Hochschulen“, in: Informationen Bildung Wissenschaft 20 (1989): 114–115, S . 115 . 100 Westphalen (1984), S . 70 . 97 98 99

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modell, das der Volkswirtschaftler nach Vorbildern aus der Feder des Monetaristen Milton Friedman entwickelt und bereits 1970 auf einer internationalen Tagung vorgestellt hatte, obwohl er die Chancen einer politischen Umsetzung seinerzeit zutreffend für „völlig unrealistisch und abwegig“ hielt .101 Lith ließ den weitgehend in Vergessenheit geratenen Vortrag von Weizsäckers zu Beginn der 1980er Jahre nachdrucken und betonte, dass Studiengebühren den Studenten, der den Hochschulen gegenwärtig in Anbetracht der hohen Frequenz beinahe lästig sei, in einem den Marktkriterien angepassten Modell in einen „kaufkräftigen Kunden, der umworben wird“ verwandeln würden .102 Weizsäckers Modell sah vor, dass der Staat in Vorkasse treten und die Studiengebühren über ein Darlehenssystem übernehmen solle, diese aber von den Studierenden nach dem Eintritt in ihr Berufsleben in Raten von nicht mehr als zehn Prozent des Bruttolohnes zurückgezahlt würden . Damit sollte sichergestellt werden, dass auch sozial schwache Studieninteressierte eine Hochschule besuchen könnten . Befürworter eines Gebührenmodells wie Ulrich van Lith konnten sich in ihren Ausführungen auf Veröffentlichungen internationaler Organisationen wie der OECD berufen . Zwar wollte die OECD zu Beginn der 1980er Jahre keine offizielle Empfehlung zu Studiengebühren aussprechen, doch strich sie in ihren Publikationen stets heraus, dass mit den USA, Großbritannien, Japan und Kanada in jenen Staaten Studiengebühren erhoben wurden, die im tertiären Bildungsbereich als besonders erfolgreich galten . Sie erwähnte ferner, dass Studiengebühren unter Umständen nur für bestimmte Studentengruppen, wie etwa Postgraduierte oder Bildungsausländer, eingeführt werden könnten .103 Überdies betonte sie, dass eine Ablehnung von Studiengebühren „on grounds of equity or equality of opportunity“ nicht nachvollziehbar sei, da spezielle Lösungen für sozial schwache Studierende wie beispielsweise über einen Ausbau des Stipendienwesens gefunden werden könnten . Die OECD-Ausführungen kamen folglich einer offiziellen Empfehlung zur Einführung von Studiengebühren, wie sie zum Beispiel Klaus Hüfner im Rahmen einer UNESCO-Studie 1984 formulierte, sehr nahe . Hüfner empfahl eine Gebührenpflicht bereits ab dem Grundstudium . Sie sollte die staatliche Direktfinanzierung der Hochschulen reduzieren und einen Wettbewerb um Studienbewerber anregen . Dabei sah er es für notwendig an, dass die einzelnen Professoren von den eingenommenen Studiengebühren ihrer Hochschulen profitierten, da sich andernfalls die Qualität der Lehre nicht verbessern würde .104 Wie der Hochschulforscher Ulrich Teichler im Fazit der besagten UNESCO-Veröffentlichung richtig vorhersah, konnte angesichts der Haltung von Regierung und Opposition je-

Weizsäcker (~1982), S . 16 . Weizsäcker (~1982), S . 20 . Auch Theodor Berchem wies als WRK-Präsident darauf hin, dass aufgrund der zahlreichen Fälle, in denen sich Studenten auf ihre Wunschhochschule „einklagten“, nach außen der Eindruck entstanden sei, als ob die Studenten den Universitäten eine Last seien; vgl . Berchem (1986), S . 1 . 103 Vgl . OECD (1983), S . 190–191 . 104 Vgl . Hüfner (1984), S . 193–195 . 101 102

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doch nicht davon ausgegangen werden, dass die Bundesrepublik noch in den 1980er Jahren Studiengebühren einführen würde .105 Zwar sammelte das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Informationen über Studiengebührenmodelle und diskutierte sie intern, erwog eine Einführung jedoch zu keinem Zeitpunkt ernsthaft und schloss dies in offiziellen Stellungnahmen stets kategorisch aus . Dies dürfte vor allem auf die Angst zurückzuführen sein, die nach Jahren studentischer Protestaktion mühsam erreichte Ruhe an den Hochschulen zu gefährden und Wählerstimmen zu verlieren . Außerdem war selbst im bürgerlichen Lager die Befürchtung verbreitet, dass Studiengebühren de facto zu einer sozialen Selektion führen könnten . Im Unterschied zum Wettbewerb um Studierende und Drittmittel galt die interuniversitäre Konkurrenz um wissenschaftliches Personal bereits als so hart, dass Schädigungen des Hochschulsystems und negative Auswirkungen auf die Wissenschaft erwartet wurden . Insbesondere im Hinblick auf Nachwuchswissenschaftler, verlautete aus dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, gebe es „zur Zeit statt eines guten, produktiven Wettbewerbs eigentlich eine ruinöse Konkurrenz“, und der Wissenschaftsrat betonte bezüglich der interuniversitären Konkurrenz um Wissenschaftler, dass das Maximum eines Wettbewerbs nicht seinem Optimum gleichkomme .106 Als ein Grund dafür wurde die Schaffung zahlreicher Lebenszeitstellen in den 1960er und 1970er Jahren ausgemacht, die der nachfolgenden Generation kaum Karrierechancen eröffnete . Die angespannte Wirtschaftslage und die damit verbundenen geringeren Steuereinnahmen zwangen zu Sparmaßnahmen und führten dazu, dass die Anzahl der Dozentenstellen trotz nach wie vor wachsender Studierendenzahlen kaum erhöht werden konnte .107 Forderungen aus wirtschaftsnahen Kreisen, Professorinnen und Professoren nur noch in begründeten Ausnahmefällen zu verbeamten, um damit ihre Mobilität und den interinstitutionellen Wettbewerb anzukurbeln, blieben jedoch ebenso ohne Aussicht auf politische Umsetzung wie Ideen, die Grundgehälter deutlich abzusenken und Besoldungserhöhungen nur mehr in „Folge eines entsprechenden leistungsbezogenen Antrages beim Dienstherrn“ zu genehmigen .108 Hier folgte das Ministerium vielmehr der Ansicht der DFG, die 1987 davor warnte, dass bereits die drei Jahre zuvor aus Gründen der Haushaltskonsolidierung eingeführte Absenkung der Eingangsvergütungen im öffentlichen Dienst um eine Gehaltsstufe die Wettbewerbsfähigkeit der Universitäten gefährde, „die bei der Rekrutierung wissenschaftlicher Mitarbeiter mit der privaten Wirtschaft konkurrieren“ .109 Zur Debatte um mehr Wettbewerb im bundesdeutschen Hochschulsystem gehörte auch der Diskurs um Eliten und Elitehochschulen . So hieß es bereits 1978 in einer

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Vgl . Avakov/Sanyal/Teichler (1984), S . 332 . Schaumann (1989), S . 197; Wissenschaftsrat (1985), S . 8 . Vgl . dazu die Grafik in Mayer (2019), S . 23 . Westphalen (1984), S . 79 . Deutsche Forschungsgemeinschaft (1987), S . 10 .

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen

Veröffentlichung des Instituts der deutschen Wirtschaft, dass die moderne Elite im republikanischen Staatswesen nichts mehr mit Nietzsches Mythos vom Übermenschen zu tun habe .110 Vielmehr bestimmten Leistung des Einzelnen und Anerkennung durch Teilgruppen der Gesellschaft darüber, wer sich zu einer Elite zählen dürfe . Diese Offenheit der Eliten, zu denen theoretisch jeder durch individuelle Verdienste aufzurücken im Stande sei, unterscheide sie grundlegend von den nach „Blut-“ oder Besitzstandskriterien selektierten Eliten autoritärer Gemeinwesen und mache sie gleichsam demokratiekompatibel .111 „[B]eschwert vom Gewicht der deutschen Vergangenheit“, stellte die Autorin Gabriele Wölke gleichwohl fest, sei „Elite“ zu einem Reizwort geworden, dessen sich die Deutschen nur ungern bedienten . Trotz des historischen Ballasts sollte sich das bereits kurze Zeit nach dem Erscheinen von Wölkes Studie merklich verändern . So haben Untersuchungen ergeben, dass der Begriff Elite in den 1980er Jahren weitaus häufiger verwendet wurde als in den Jahrzehnten zuvor und eine zunehmend positivere Konnotation erhielt .112 Zunächst vor allem in der Sportberichterstattung auftauchend, war er seit der Veröffentlichung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Förderung besonders Befähigter (1981) immer häufiger auch in der Diskussion um die Entwicklung des bundesdeutschen Hochschulsystems zu finden . Dabei gestand Peter Graf Kielmansegg ein, dass der Wissenschaftsrat ganz bewusst auf den ideologisch belasteten Begriff „Elite“ zurückgriff, um bei der reformmüden „Öffentlichkeit […] Gehör zu finden . Und es erschien uns leichter, mit unserem Thema Gehör zu finden, wenn wir auch in der Wortwahl den Versuch einer gelinden Provokation unternähmen“ .113 Doch nicht nur der Wissenschaftsrat, sondern auch Unions- und FDP-Politiker bedienten sich des umstrittenen Begriffs . Nicht zuletzt die 1982 zur Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft ernannte Volkswirtschaftlerin Dorothee Wilms (CDU) sprach bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Eliten und erklärte, dass die staatliche Förderung von „Leistungseliten“ in keinerlei Widerspruch zu ihrem Demokratieverständnis stehe .114 „Nicht durch Gesetz, sondern durch Wettbewerb“ würden sich Leistungseliten schließlich herausbilden, die ein Anrecht auf individuelle Unterstützung anmelden könnten .115 Gewerkschaften, Sozialdemokraten und die 1983 erstmalig in den Bundestag gewählten Grünen stießen sich hingegen nicht nur an der Terminologie, sondern befürchteten, dass unter dem Schlagwort Eliteförderung die in den 1960er/70er Jahren erreichte soziale Öffnung der Universitäten rückgängig gemacht oder kurz gesagt eine „reaktionäre Hochschul-

Vgl . Wölke (1978), S . 9 . Hier bezog sich Wölke auf die Mitte der 1930er Jahre von Karl Mannheim benannten Prinzipien der Eliteselektion Blut, Besitz und Leistung; vgl . Mannheim (1935), S . 64 ff . 112 Vgl . Reitmayer (2013), S . 434 . Vgl . ferner aus zeitgenössischer Sicht: Wölke (1980) . 113 Kielmansegg (1982), S . 50 . 114 Vgl . Hahn (1995), S . 198; Berger (1984), S . 47 . 115 Berger (1984), S . 50 . 110 111

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politik“ betrieben würde .116 Eliteförderung bedeute schließlich nichts anderes als eine Umverteilung der begrenzten Finanzmittel des Bildungsbudgets von „den Vielen“ zu einer kleinen Gruppe sogenannter besonders Befähigter, führte der Gewerkschafter Gerd Köhler aus und begründete damit die fundamentale Ablehnung jedweder Sonderbehandlung von Eliten durch die von ihm vertretene Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft . Eliteförderung und Wettbewerb seien stets unsolidarisch und gefährlich sozialdarwinistisch, da sie notwendigerweise Gewinner und Verlierer produzierten und darüber hinaus den Erfolglosen das Gefühl vermittelten, „selbstverschuldet nur ‚Verlierer‘ zu sein“ .117 Einige wenige Oppositionsvertreter wie der sozialdemokratische Bildungsexperte Peter Glotz warnten indes davor, dass eine pauschale Ablehnung von Eliteförderung und Leistungskonkurrenz durch die politische Linke zum „Entstehen neuer, wahrscheinlich privater oder halbstaatlicher Konkurrenzunternehmen – ohne eingebaute Mechanismen sozialer Balance –“ beitragen könne .118 Zudem lasse sich der Erfolg amerikanischer Elitehochschulen nicht wegdiskutieren . „Die eingewurzelte Furcht der Linken, daß Gerechtigkeit und Qualität sich widersprechen müssen“, bezeichnete Glotz auch mit Verweis auf die USA als unbegründet .119 Die radikalsten Forderungen und Formulierungen kamen jedoch nicht etwa von konservativen oder liberalen Politikern, sondern von Hochschul- und Wissenschaftsvertretern wie dem Soziologen Walter Rüegg . Die bildungspolitischen Reformen der späten 1960er und 1970er Jahre seien in der Absicht unternommen worden, „die wissenschaftliche Elite zu vernichten“, so der frühere WRK-Präsident .120 Es sei daher erfreulich, dass der Wissenschaftsrat nun die „Gegenoffensive“ antrete, die sich mittlerweile in einen „Stellungskrieg um das Wort Elite“121 verwandelt habe . Zu nicht weniger radikalen Formulierungen griff DFG-Präsident Hubert Markl, der es für unerlässlich erklärte, „die knappen Ressourcen den weniger Leistungsfähigen vorzuenthalten, um sie den Hochleistungsfähigen zukommen lassen zu können“ .122 Eliten seien notwendig, argumentierte er, da Egalisierungs- und Nivellierungsbestrebungen zwangsläufig in den Terror führten, wofür er das Regime der Roten Khmer in Kambodscha als drastisches Beispiel anführte .123 Der Aachener Professor für Maschinenwesen Günther Schnuer ging sogar noch einen Schritt weiter und forderte offen eine Rückkehr zur elitären Vorkriegsuniversität und die Aufhebung der Hochschulgesetze

Vgl . Berger (1984), S . 197–201 . Köhler (1986b), S . 101 . Glotz (1980), S . 49 . Glotz (1980) (Hervorhebung im Original) . Rüegg (1983), S . 55 . Es handelt sich hierbei um den Abdruck eines bereits 1981 von Rüegg auf einem Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung gehaltenen Vortrages . 121 Rüegg (1983), S . 55 . 122 Zit . nach: Köhler (1988), S . 19 . 123 Elitehochschulen seien jedoch, so Markl in einer anderen Stellungnahme, in der Bundesrepublik nicht zu verwirklichen; vgl . Markl (1985), S . 47 . 116 117 118 119 120

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen

der vergangenen zwanzig Jahre, durch welche die Universitäten „unter ideologischen Vorgaben nach rückwärts und nach unten reformiert“ worden seien . Schnuer erwartete, dass es mindestens weitere zwanzig Jahre brauche, bis die Hochschulen wieder zu ihren „ureigenen Aufgaben“ zurückfänden, zu denen nach seinen Vorstellungen die Bildung einer „Elite für die Zukunftsaufgaben der privaten Wirtschaft, der öffentlichen Arbeitgeber und für internationale Aufgaben“ gehörte .124 Diese Meinung vertrat auch der „führende neo-konservative Philosoph des deutschen Sprachraums“, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, der von „den grauenhaften Folgen einer euphemistisch ‚Bildungsreform‘ genannten Katastrophe des deutschen Geistes“ sprach, die nur durch eine Absage an den „Kult der Mittelmäßigkeit“ und die Etablierung und Förderung eines Geistesadels, also einer Elite, zu überwinden sei .125 Die Gegenposition vertraten linksgerichtete Wissenschaftler wie der Bielefelder Pädagoge Ludwig Huber, der davor warnte, „das ‚Gleichheitsprinzip‘ durch ein anderes, das Prinzip von Differenzierung, Wettbewerb und Eliteselektion“, zu ersetzen .126 Insbesondere vonseiten der nach wie vor mehrheitlich linksgerichteten Studierenden kam es wiederholt zu lautstarken Protesten gegen jedwede Form von Eliteförderung, wie etwa 1985 anlässlich eines an der Universität Konstanz abgehaltenen Symposiums über „Innovation, Eliten und Ausbildungssystem“ . Eine Studentenvertreterin bezeichnete in einem Zwischenruf bereits das Thema der Tagung als „eine Provokation aller […], die für […] eine demokratische Hochschule eintreten“ .127 Im Forum der Universität hatten Studenten zudem gut sichtbar ein Plakat mit der Aufschrift „Für Chancengleichheit – Weg mit dem Eliten-Dreck“ angebracht, das in seiner Wortwahl und Stoßrichtung an die studentische Aufmüpfigkeit der späten 1960er und 1970er Jahre erinnerte und daher weit mehr als Relikt aus vergangenen Revoluzzertagen denn als Ausdruck eines ernstzunehmenden und zukunftsweisenden Alternativkonzeptes erscheinen musste .128 Bezeichnenderweise erreichten die studentischen Protestaktionen nicht annähernd das Ausmaß der beiden vorangegangenen Jahrzehnte . Ein Großteil der Studierenden ließ sich offenkundig für derartige Aktionen nicht mehr mobilisieren, sei es, weil deren Erfolg angezweifelt, sei es, weil deren inhaltlichen Konzepte in Frage gestellt wurden . Von der Vorstellung, dass sich durch die Konkurrenz unter den Studierenden und Hochschullehrern eine „Elite“ privilegiert zu behandelnder Hochbegabter herauskristallisieren werde, die allein es mit der US-amerikanischen und japanischen Konkurrenz aufnehmen könnten, war es nur ein kleiner Schritt zu der Ansicht, dass aus der

Schnuer (1986), S . 101 . Kaltenbrunner (1984), S . 13, 14, 76 (Hervorhebung im Original) . Zu Gerd-Klaus Kaltenbrunner vgl . Steber (2017), v . a . S . 272–286 . 126 Huber (1984), S . 417 . 127 Konstanzer Blätter für Hochschulfragen 23 (1986), S . 116 . 128 Lübbe (1986), S . 33 . 124 125

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Konkurrenz der Hochschulen einige Eliteuniversitäten hervorgehen würden, die es besonders zu fördern gelte .129 Bereits die eingangs zitierte Publikation des Instituts der deutschen Wirtschaft hatte die Frage aufgeworfen, ob es angesichts der wachsenden Verantwortungen, die die Bundesrepublik auf europäischer und globaler Ebene übernahm, „nicht sinnvoll wäre, eine deutsche Elite von Führungskräften in geeigneten Institutionen“ auszubilden .130 Der Errichtung von Elitehochschulen stand die Autorin allerdings mit großer Skepsis gegenüber . Angloamerikanische und französische Modelle von Eliteeinrichtungen ließen sich aus ihrer Sicht nicht auf Deutschland übertragen . Auch an den Hochschulen überwogen die Stimmen, die Eliteeinrichtungen ablehnten . Zwar sollten akademischen Spitzenkräften individuelle Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden, ließ sich beispielsweise der Soziologe Hans Paul Bahrdt zitieren, doch müsse man sie gleichzeitig dazu zwingen, „im Verband mit anderen zu lernen und zu arbeiten“, um zu verhindern, dass „eine Elite im schlechten Sinn“ entstehe, „die in der Demokratie einen Fremdkörper darstellt“ .131 Das entsprach im Großen und Ganzen der Einschätzung von Dorothee Wilms, die mit dem Hinweis auf deutsche Hochschultraditionen ebenfalls davor warnte, dass Elitehochschulen isolierte Solitäre in der Bildungslandschaft werden könnten . Daher, so Wilms, brauche es „keine spektakulären Neuerungen, vielmehr müssen wir das Bestehende erweitern“ .132 Nach Wenderhetorik hört sich das freilich nicht an . Im Wissen um Dorothee Wilms’ Einstellung im Elitediskurs kann es kaum überraschen, dass nicht sie, sondern Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) im Dezember 1983 einen – erfolglosen – Vorstoß zur Errichtung von Elitehochschulen unternahm . Genschers Idee stieß im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, in den Reihen von CDU/CSU, bei der Opposition sowie im Wissenschaftsrat auf entschiedene und unverzügliche Ablehnung .133 Selbst aus Genschers eigener Partei regte sich Widerstand .134 Nach Genschers Vorstellungen sollte und musste es sich bei Elitehochschulen notwendigerweise um private Institutionen handeln, die (wie seit den 1960er Jahren von Politikern und Wirtschaftsvertretern immer wieder artikuliert) durch den Wettbewerb mit den bestehenden Hochschulen „auch den staatlichen Bildungseinrichtungen neue Impulse“ zu geben im Stande seien .135 Bemerkenswerterweise (und im Unterschied zur Exzellenzinitiative der Gegenwart) sollten die Eliteuniversitäten nach Genschers Vorstellungen nicht aus einem Wettbewerb der

Vgl . Peter (1985), S . 14–15 . Wölke (1978), S . 55 . Bahrdt (1982), S . 20 . Zit . nach: Berger (1984), S . 53 . Vgl . Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (1982), S . 80 . Einige Vertreter des Wissenschaftsrats, darunter Peter Graf von Kielmansegg, hatten allerdings Ende der 1970er Jahre ähnliche Überlegungen formuliert, ohne dass sie innerhalb des Wissenschaftsrates mehrheitsfähig geworden wären . 134 Schniedermann (1985), S . 41 . 135 Zit . nach: Reitmayer (2013), S . 447 . 129 130 131 132 133

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen

Hochschulen hervorgehen, sondern bereits als solche gegründet werden . Vor allem die Verknüpfung von „privat“ und „Elite“, die Genscher in seinen Ausführungen wiederholt vornahm, stieß auf heftige Kritik . Nicht nur die WRK, sondern beispielsweise auch der Politikwissenschaftler Raban von Westphalen wiesen darauf hin, dass die beiden Begriffe nicht synonym gesetzt werden dürften .136 Lediglich einige wirtschaftsnahe Akteure wie die BDA und das IW begrüßten den Vorschlag Genschers rundheraus und führten aus, dass Privathochschulen den „Wettbewerb auf bisher benachteiligte Gebiete richten“, im Idealfall „von allen staatlichen Reglementierungen abgekapselt und völlig autonom“ und im „positiven Sinn Elite“ sein sollten und könnten .137 Wenngleich die Union die Errichtung privater Elitehochschulen ablehnte, begrüßte sie doch die Schaffung von Privatuniversitäten, von denen sie sich ähnlich positive Entwicklungen erhoffte wie von den Privatisierungen im Bahn-, Post- und Telekommunikationsbereich: Hoffnungen, die im Übrigen von internationalen Organisationen wie der OECD geteilt wurden, die auf einer 1981 abgehaltenen Konferenz Privatuniversitäten und ein stärkeres finanzielles Engagement der Industrie im Bildungswesen als notwendigen „turning point in the history of higher education“ bezeichnet hatte . Von Firmenuniversitäten wie beispielsweise der Toyota University in Japan wurde angenommen, dass sie die staatlichen Universitäten dazu bewegen würden, „to become more competitive“ .138 Dorothee Wilms, die ohne jede Ironie die Meinung vertrat, dass sich Privatuniversitäten so belebend auf den Wettbewerb auswirkten „wie ein Hecht im Karpfenteich“, betonte jedoch, dass es „ja nicht gleich […] ganze Hochschulen“ sein müssten, sondern bereits Stiftungslehrstühle und privatfinanzierte Hochschulinstitute zu begrüßen seien .139 Immerhin war das deutsche Hochschulsystem zum Zeitpunkt von Genschers Vorstoß mit der Universität Witten/Herdecke bereits um ein (wenn auch kleines) privates Element erweitert worden, von dem Befürworter annahmen, dass „die nervösen Reaktionen der offiziellen Hochschulrepräsentanz“ bereits gezeigt hätten, dass sogar eine kleine Privathochschule einen Wettbewerbsdruck auf die staatlichen Hochschulen ausüben könne .140 Mit Ausnahme einiger gehässiger Kommentare aus den Reihen der WRK riefen die beiden in den 1980er Jahren gegründeten promotionsberechtigten Privathochschulen in Witten/Herdecke und Koblenz jedoch kaum Reaktionen an den staatlichen Universitäten hervor und beeinflussten die Debatte für und wider nichtstaatliche Hochschulen nur marginal . Während von wirtschaftsliberalen Politikern und Hochschulangehörigen große Hoffnungen in Privatuniversitäten gesetzt wurden, lehnten Vertreter linker Parteien

Vgl . Westphalen (1984), S . 85 . Spiegel (1987), S . 6; vgl . Linke (1984), S . 115 OECD (1983), S . 52 . „Wilms: Spitzenleistung notwendig“, in: Informationen Bildung, Wissenschaft 15 (1984): 28–29, S . 28; zweites Zitat nach: Berger (1984), S . 51 . 140 Vgl . Erb (1984), S . 153 . 136 137 138 139

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und der Gewerkschaften privatfinanzierte Bildungseinrichtungen mehrheitlich ab, was auf ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber nichtstaatlichen Hochschulen zurückzuführen ist . Die Bedenken bezogen sich vor allem auf eine mögliche soziale Selektion der Studienbewerber, eine Kommerzialisierung der Bildung, aber auch auf die von Eduard Spranger bereits im Jahre 1930 formulierte Befürchtung, „daß die materiellen Interessen der Stifter in Form freier Dankbarkeit oder auf moralische Nötigung hin vonseiten der Universität verfochten werden könnten“, oder – etwas allgemeiner formuliert – eine Gefahr für die Freiheit von Forschung und Lehre bestehe, wenn diese nicht von staatlichen Organen überwacht wird .141 Dieses Misstrauen, verbunden mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und Definitionen von „privat“ und „staatlich“ im deutsch-amerikanischen Vergleich, brachten es zudem mit sich, dass Forderungen privater Bildungseinrichtungen nach finanzieller Förderung durch den Staat (wie in den USA üblich) in der Bundesrepublik vielfach auf Unverständnis stießen, was nicht nur von Konrad Schily, dem langjährigen Präsidenten der ersten deutschen Privatuniversität in Witten/Herdecke, als Wettbewerbsverzerrung angesehen wurde . Auch Bildungsforscher wie Klaus Hüfner und Jürgen Schramm plädierten dafür, staatlich akkreditierten Privathochschulen öffentliche Gelder zukommen zu lassen, damit sie im Wettbewerb um Hochschullehrer und Studenten gegenüber öffentlichen Universitäten bestehen könnten .142 Insbesondere in der Konkurrenz um Professoren hatten staatliche Hochschulen den nur schwer auszugleichenden Vorteil der Verbeamtung, so dass zwar die „Berufung an eine private Hochschule eine willkommene Einstiegschance“ für den akademischen Nachwuchs darstellen konnte, für etablierte Hochschullehrer jedoch kaum Anreize bestanden, einen Lehrstuhl an einer staatlichen Hochschule aufzugeben .143 Ernstzunehmende Konkurrenten um Professorinnen und Professoren konnten die Privathochschulen aufgrund dieses Wettbewerbsnachteils nicht werden, wenngleich sie als neue „Einstiegsuniversitäten“ eine nicht unbedeutende Rolle übernahmen . Mit den Novellierungen des Hochschulrahmengesetzes in den Jahren 1985 und 1989 wollte das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft den interuniversitären Wettbewerb um Studenten und Drittmittel ankurbeln . Obwohl die unmittelbaren Auswirkungen auf die Konkurrenz unter den Universitäten als gering einzustufen sind, kann dennoch von einem folgenreichen Kurswechsel in der bundesdeutschen Bildungspolitik gesprochen werden, wenngleich dieser deutlich bedächtiger vonstattenging als zeitgleich in den USA und Großbritannien .144 Schon der Politologe Peter

Spranger (1930), S . 9 . Vgl . Hüfner/Schramm (1984), S . 53 . Spiegel (1987), S . 52 . Es kann hier nur angedeutet werden, dass durchaus auch bei Thatcher und Reagan eine große Diskrepanz zwischen den Forderungen nach einem „schlanken Staat“ und ihren politischen Entscheidungen bestand . 141 142 143 144

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Graf Kielmansegg wies daher darauf hin, dass mit dem Regierungswechsel von 1982 „die keynesianische Epoche […] definitiv beendet“ wurde: in der Wirtschafts-, aber auch in der mit ihr auf mannigfaltige Weise verbundenen Bildungspolitik .145 Dennoch muss auch dem Bildungsforscher Hans-Jürgen Block rechtgegeben werden, der auf einer internationalen Konferenz im Herbst 1989 mit einiger Berechtigung „a wide gap between political rhetoric […] and day-to-day politics“ konstatierte, sowie dem Politikwissenschaftler Josef Schmid, der davon sprach, dass die Regierung Kohl aufgrund von Flügelkämpfen innerhalb der Union oftmals über „eine allgemeine Beschwörung der Kräfte der Marktwirtschaft“ nicht hinausgekommen sei .146 Dies zeigte sich unter anderem an den Stuttgarter Leitsätzen von 1984, in denen sich die CDU von marktradikalen Positionen verabschiedete, aber auch am Diskurs über Studiengebühren sowie Elite- und Privatuniversitäten, in dem selbst ausdrückliche Wettbewerbsbefürworter wie Bundesministerin Dorothee Wilms von einem bildungspolitischen Kurswechsel abrieten . Zudem wurden die Autonomierechte der Universitäten in den 1980er Jahren nur marginal erweitert, was jedoch nicht nur auf mangelnden Reformwillen in den Bundesministerien zurückzuführen war, sondern vor allem auf die Haltung der Landeskultusministerien, die sich ihre Befugnisse nicht einschränken lassen wollten . Überlegungen, den Handlungsspielraum der Universitäten auf Kosten der Kultusministerien zu erweitern, waren in den Landesparlamenten nicht mehrheitsfähig, zumal der Ruf nach einem Rückzug des Staates auch im bürgerlichen Lager schnell verstummte, wenn die eigene Partei in Regierungsverantwortung stand . Gänzlich folgenlos blieben die Novellierungen des Hochschulrahmengesetzes jedoch nicht . Zu den zeitnah feststellbaren Konsequenzen der HRG-Novellierungen gehörten die Zunahmen der von den Hochschulen eingeworbenen Drittmittel und die intensivere Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Wirtschaftsunternehmen . Daraus resultierte noch vor der Wiedervereinigung die Etablierung zahlreicher Stiftungsprofessuren, die, wie der Soziologe Kai Brauer feststellen konnte, in engem Zusammenhang mit der erfolgreichen Einwerbung von Drittmitteln stand .147 Ferner unterstützten Stiftungsprofessuren die Schwerpunktbildung an den Hochschulen, da die Unternehmen vornehmlich dort Professuren stifteten, wo bereits Experten und Sachmittel zu den betreffenden Forschungsgebieten vorhanden waren . Die deutschen Universitäten arbeiteten demgegenüber in den 1980er Jahren erst sehr wenig an der eigenen Profilbildung . Erst ab dem folgenden Jahrzehnt, als der amerikanische Hochschulforscher Burton C . Clark mit seinem auch in Deutschland viel beachteten Modell der „entrepreneurial university“ die unternehmensähnlich agierende Universität beschrieb, setzten sich die Hochschulleitungen verstärkt für die 145 146 147

Zit . nach: Buchstab/Kleinmann/Küsters (2010), S . 11 . Block (1990), S . 39; Schmid (1991), S . 25 . Vgl . Meyer-Guckel (2011), S . 145, 148 .

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besondere Förderung einzelner Schwerpunktfächer ein .148 Clark hatte fachlich spezialisierte Universitäten mit managementorientierten Hochschulleitungen, die rasch auf neue Herausforderungen reagieren, anhand der Veränderungen in den europäischen und amerikanischen Hochschulsystemen beschrieben und ihre von ihm wahrgenommenen positiven Charakteristika hervorgehoben . Bereits kurze Zeit nachdem Burton Clarks Arbeit erschienen war, begannen die ersten deutschen Universitätspräsidenten und -rektoren, ihre Hochschulen als „entrepreneurial universities“ zu bezeichnen, was freilich mit einem veränderten Amtsverständnis einherging . Schließlich sollte sich die Hochschulleitung in der „unternehmerischen Universität“ für den Erfolg ihrer Institution verantwortlich fühlen und die Position der Universität im Wettbewerb mit den anderen Hochschulen unter anderem durch eine strategische Öffentlichkeitsarbeit, das rasche Erkennen und Besetzen von „Marktlücken“, die genaue Beobachtung und gegebenenfalls Nachahmung der Konkurrenten und die damit verbundenen organisationellen Umstrukturierungen stets zu verbessern trachten .149 Ferner führten die wachsende Bedeutung und rechtliche Aufwertung der Drittmittelforschung zu einer neuen, positiveren Wahrnehmung der Drittmittel in der Scientific Community . Hierzu trug auch der Umstand bei, dass die Hochschulen Drittmitteleinnahmen ihrer Wissenschaftler immer häufiger zentral verwalteten und in offiziellen Statistiken aufführten, die ihrerseits wieder bei der Erstellung von Hochschulrankings herangezogen wurden .150 So wandelte sich über die Jahre auch die Berufungspraxis . Erfolgreiche Drittmittelakquise wurde vor allem ab der Jahrtausendwende zu einem Entscheidungskriterium bei Neuberufungen und entsprechend von den Wissenschaftlern nicht mehr verschwiegen, sondern in Bewerbungen und Berufungsverhandlungen sogar herausgestrichen .151 Drittmittel waren folglich diejenige Prämie des interuniversitären Wettbewerbs, die in den 1980er Jahren am stärksten an Bedeutung gewann, während die Konkurrenz um Studenten aufgrund des Oligopols der Hochschulen und nach wie vor bestehender staatlicher Eingriffe bei der Verteilung der Studienbewerber nicht in Gang kam und der Wettbewerb um Hochschullehrer nach Ansicht des BMBW sogar entschärft werden sollte . Letztlich hätte demnach das diesem Kapitel voranstehende Motto „Wettbewerb statt Bürokratie“, das kurz nach dem Regierungswechsel im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft aufgestellt wurde,

Clark (1998) . Die Bezeichnung „entrepreneurial university“ wurde jedoch nicht von Clark geprägt . Die holländische Universität Twente gab sich bereits in den 1980er Jahren den Namenszusatz „the entrepreneurial university“, allerdings – wie Clark einschränkend festhält – „hardly knowing what that would mean in practice“; Clark (1998), S . 143 . 149 Mittlerweile existiert eine umfangreiche Literatur zu den „entrepreneurial universities“; vgl . u . a . Foss (2015), Taylor (2014); Slaughter/Leslie (1997) . 150 Siehe dazu Kapitel VI .2 . 151 Während die erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln in Stellenausschreiben der 1990er Jahren fast nie Erwähnung fand, forderten sie 2003 bereits etwa 10 Prozent und 2012 rund 30 Prozent der Ausschreibungen; vgl . Mayer (2019), S . 204 . 148

„Alle reden vom Wettbewerb“: Hochschulpolitische Konkurrenzrhetorik und die HRG-Novellierungen

am Ende des Jahrzehnts in „Etwas mehr Wettbewerb trotz Bürokratie“ verändert werden können . Sogar Wettbewerbsapologeten wie Artur Woll begannen zu dieser Zeit einzugestehen, dass auf die zentrale Frage, was Wettbewerb eigentlich sei, „so gut wie gar nicht eingegangen wurde“ .152 Obwohl es in den 1980er Jahren trotz gebetsmühlenartiger Wiederholungen der Schlagwörter Wettbewerb, Differenzierung und Leistungsorientierung nur zu wenigen zeitnah spürbaren Veränderungen im bundesdeutschen Hochschulsystem kam, hielten sich die Ideen im Unterschied zu den wenigen neoliberalen Reformkonzepten der späten 1960er Jahre, die weitgehend folgenlos verpufften, in der Diskussion und blieben auf der politischen Agenda der Bundesregierung(en) . So gesehen wurde bereits in dieser Zeit der Paradigmenwechsel der Jahrtausendwende vorbereitet . Zudem kam es in der Westdeutschen Rektorenkonferenz, die sich zunächst nur widerwillig mit dem Thema befasste, im Laufe des Jahrzehnts zu Machtverschiebungen zugunsten der Wettbewerbsbefürworter, die für die folgenden Entwicklungen von großer Bedeutung wurden .153 An den Hochschulen wiederum ließ die Skepsis gegenüber der (immer verbreiteteren) Drittmittelforschung allmählich nach, wenngleich die warnenden Stimmen auch im 21 . Jahrhundert nicht verstummt sind, die, wie der Philosoph Reinhard Brandt, Drittmittel für ein Trojanisches Pferd ansehen, „mit dem die Wirtschaft in die Mauern der Universität und ihrer Forschung dringt“ .154 Ferner setzte sich das Wettbewerbsdenken innerhalb der Bevölkerung mehr und mehr durch, die die Existenz von Eliten sowie Anreiz- und Sanktionsmechanismen in der Arbeitswelt zu akzeptieren begann . Ohne ein utilitaristisches Konzept der Universität, das über das Kerngeschäft von Forschung und Lehre hinausgehe, prophezeite daher Hans-Jürgen Block gegen Ende des Jahrzehnts, würden die Hochschulen in den 1990er Jahren nicht mehr in der Lage sein, Politik und Gesellschaft davon zu überzeugen, jährlich 20 Milliarden D-Mark an Steuergeldern in sie zu investieren .155 Folgenschwer war zudem der Kurswechsel der SPD, die sich der Wettbewerbslogik zu öffnen begann, was in den 1990er Jahren schließlich zu einer Positionsverschiebung der gesamten Partei führen sollte, die in Verbindung mit der Orientierung der Regierung Schröder an der „New Labour“-Politik des britischen Premierministers Tony Blair stand . In der Hochschulpolitik lässt sich dies etwa am plötzlichen Gesinnungswandel ihres Bildungsexperten Peter Glotz ablesen, der für die Einführung von Studiengebühren einzutreten begann, die er über viele Jahre als unsozial abgelehnt hatte, an der Reformierung des niedersächsischen Hochschulgesetzes durch Kultusminister Thomas Oppermann in den 1990er Jahren sowie nicht zuletzt an der von der rot-grünen Bundesregierung vorangetriebenen Exzellenzinitiative . 152 153 154 155

Woll (1988), S . 164 . Vgl . Mayer (2019) . Brandt (2003), S . 146 . Vgl . Block (1990), S . 45 .

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Mehr Wettbewerb wagen?

VI.2

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

Es gibt wohl kein Instrument interuniversitären Wettbewerbs, das in der wissenschaftlichen Literatur so häufig untersucht wurde wie die Hochschulrankings. Insbesondere Soziologen beschäftigen sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Thematik und versuchen, die Auswirkungen von Evaluationen, Ratings und Rankings auf den Wissenschaftsbetrieb zu eruieren. Sofern diese Studien einen historischen Rückblick über die Entwicklung von Universitätsranglisten in der Bundesrepublik enthalten, wird dieser zumeist mit dem 1989 im Nachrichtenmagazin Der Spiegel abgedruckten Hochschulranking begonnen. Weitgehend unbeachtet blieb hingegen, dass sich der Ranking-Diskurs in der Bundesrepublik bis etwa 1975 zurückverfolgen lässt und Rangreihen westdeutscher Hochschulen bereits Mitte der 1980er Jahre keine Seltenheit mehr darstellten. Im Folgenden soll daher der Fokus auf die ersten deutschen Hochschulrankings gelegt und ihre Bedeutung für den Wettbewerb unter den Hochschulen untersucht werden. Insbesondere die Rolle des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, des Wissenschaftsrates und der Westdeutschen Rektorenkonferenz, aber auch die Reaktionen aus der Scientific Community sollen dabei im Mittelpunkt stehen. 1975 veröffentlichte das sozialdemokratisch geführte Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft eine Pilotstudie zur Messung von Forschungsleistungen der Universitäten, um der Frage nachzugehen, ob aus der Zahl der Publikationen und der Zitate im „Science Citation Index“ Rückschlüsse auf die Qualität der deutschen Hochschulen gezogen werden können.156 Der Rückstand gegenüber der Evaluationsforschung in den USA und Großbritannien, der bereits an der fast ausschließlich englischsprachigen Fachliteratur abgelesen werden konnte, sollte rasch aufgeholt werden.157 Ina Spiegel-Rösing, die Bearbeiterin der Studie, dämpfte zwar die Erwartungen, indem sie darauf hinwies, dass die Untersuchung lediglich „Hinweise liefern und Hypothesen“ aufstellen könne, kam jedoch gleichwohl zu dem Ergebnis, dass die Leitfrage zu bejahen sei, sofern fachspezifisch gemessen würde und Zitate, die „Zitierkartellen“ zugerechnet werden könnten, bei der Auswertung unberücksichtigt blieben.158 Die gewonnenen Daten ergaben, dass sich die westdeutschen Universitäten hinsichtlich ihrer „Produktivität“ und dem „Impact“ der Veröffentlichungen ihres wissenschaftlichen Personals deutlich unterschieden und somit zumindest im Bereich der Forschung von einer institutionellen Gleichrangigkeit nicht gesprochen werden konnte. In mehreren Rankings, in denen vor allem große und alte Universitäten die oberen Plätze belegten, bereitete Spiegel-Rösing die Ergebnisse auf, warnte aber (nicht zuletzt ihren Auftraggeber) ausdrücklich davor, aus ihnen „Policy-Im156 157 158

Vgl. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1975). Vgl. z. B. Abbott/Barlow (1972); Blaug (1968); Crane (1970); Gaston (1973); Hagstrom (1971). Spiegel-Rösing (1975), S. 23.

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

plikationen lesen zu wollen“. Lediglich „Trends“ ließen sich ermitteln, exakte Qualitätsbestimmungen seien hingegen unmöglich. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass den Rankings lediglich „ein – und zwar ein recht spezifischer, sehr stark innerwissenschaftlicher – Indikator“ zugrunde liege und die Ursachen für eine gute oder schlechte Platzierung im Dunkeln blieben, folglich die Hochschulen selbst dafür billigerweise nicht ohne weitere Untersuchungen verantwortlich gemacht werden dürften.159 Es ist nicht verwunderlich, dass Spiegel-Rösing solche Befürchtungen hegte, da in den 1970er Jahren in Politik und Gesellschaft die Skepsis anwuchs, ob die Hochschulforschung (noch) als „effizient“ zu betrachten sei. Mehrere Landtagsuntersuchungsausschüsse deckten darüber hinaus haushaltstechnische Unregelmäßigkeiten an den Universitäten auf, und einige Rechnungshofberichten brachten Fälle universitärer Misswirtschaft ans Tageslicht.160 1975, mithin im Jahr des Erscheinens der Studie von Spiegel-Rösing, veröffentlichte ferner der Wissenschaftsrat neue Empfehlungen, in denen er die „schematische Ressourcenallokation“ und das Fehlen von „Effizienzmaßen“ rügte und zu einer Prioritätensetzung in der Forschungsfinanzierung riet.161 Im Rückblick mag es verwundern, dass diese zukunftsweisende Veröffentlichung in der Scientific Community weitgehend unbeachtet blieb.162 Spiegel-Rösing betrat jedoch mit ihrer Studie Neuland und konnte dementsprechend nicht mit Reaktionen anderer Experten rechnen. Zudem gelangten ihre Ausführungen noch nicht zur Schlussfolgerung späterer Jahre, dass Rankings „nur im Gesamtrahmen der Debatte um mehr Wettbewerb im Bildungswesen verständlich und sinnvoll“ seien, was wohl für ein größeres Interesse an der Studie gesorgt hätte.163 In kurzen Abständen folgten noch in der zweiten Hälfte der 1970er Jahren weitere Veröffentlichungen zu und mit „Kennzahlenvergleichen deutscher Hochschulen“, wie die Vorläufer heutiger Rankings gemeinhin genannt wurden. Von besonderer Bedeutung ist darunter eine 1976 erschienene, voluminöse wirtschaftswissenschaftliche Untersuchung des Unternehmensberaters Wibera AG („Ökonomie der Hochschule“ betitelt164), die der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Auftrag gegeben hatte. Im Unterschied zu der Veröffentlichung des Bundesministeriums, die lediglich Möglichkeiten und Grenzen der Hochschulevaluationen aufzeigen sollte, beabsichtigte der Stifterverband, der damit die politische Stoßrichtung anführte, mit der Wibera-Studie ein Fundament zu „einem ‚betriebswirtschaftlich funktionierenden Manage-

Spiegel-Rösing (1975), S. 80. Vgl.: Flämig (1977), S. 312. Zit. nach: Rau (1985), S. 10. „Offenkundig war die Studie […] ihrer Zeit voraus, blieb sie doch zum Zeitpunkt ihres Erscheinens (und auch noch Jahre danach) weitgehend unbeachtet“ urteilte Rau (1988), S. 215. 163 Kloepfer (1987), S. 9. 164 Vgl. Bolsenkötter (1976). 159 160 161 162

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ment‘ der Hochschulen“ zu legen .165 Der Projektleiter Heinz Bolsenkötter empfahl, ganz im Sinne seiner Auftraggeber, eine „marktwirtschaftliche Lösung“ für den Finanzierungsengpass der Universitäten und die Etablierung „eines geeigneten Kennzahlensystems“, für das er einen Katalog potentieller Qualitätsindikatoren zusammenstellte, die sich in ähnlicher Form in der US-amerikanischen Fachliteratur jener Jahre fand .166 Die von Bolsenkötter aufgeführten Taxonomien decken sich im Wesentlichen mit den bis heute gebräuchlichen Indikatoren . Darüber hinaus finden sich jedoch auch Vorschläge für Messungen, die von einer gewissen Realitätsferne zeugen .167 Unbeantwortet ließ Bolsenkötter freilich die letztlich wohl unlösbare, zumindest aber einer allgemeingültigen Antwort sich verschließende Gretchenfrage aller Rankings: Welche der vielen denkbaren Indikatoren eignen sich für eine Qualitätsmessung und wie müssen sie gewichtet sein, um aus ihnen eine Rangliste für so hochkomplexe Institutionen wie Universitäten erstellen zu können? Statt „objektive“ Leistungskriterien zu verwenden, basierte das erste Hochschulranking, das in einer deutschen Zeitschrift veröffentlicht wurde, denn auch bezeichnenderweise ausschließlich auf subjektiven Einschätzungen von Personalchefs bundesdeutscher Unternehmen und Dekanen und umschiffte damit diese Problematik . Das Manager Magazin publizierte die von dem Kieler Wirtschaftswissenschaftler Reinhart Schmidt erstellte Rangliste im Frühjahr 1978 unter dem provokanten Titel „Schlechte Noten für rote Unis“ . Für Schmidt, der die Tabelle selbst kommentierte, konnte das Ranking nur dahingehend gelesen werden, dass „Absolventen linker Universitäten wie Bremen oder Frankfurt […] nur geringe Beschäftigungschancen“ hätten, während Studenten jener Universitäten, an denen „1968“ vergleichsweise geringere Spuren hinterlassen hatte (dazu zählte er beispielsweise München, Tübingen und Freiburg), begehrte Arbeitnehmer seien .168 Mit dem Erscheinen der April-Ausgabe 1978 des Manager Magazins, in der Schmidts Artikel erschien, erreichte der Rankingdiskurs in der Bundesrepublik gleichsam eine neue Stufe, da zu den Adressaten der Ranglisten erstmals nicht nur Politiker oder Wissenschaftler gehörten, sondern Studieninteressierte beziehungsweise deren Eltern sowie (zumindest indirekt) private Drittmittelgeber . Zudem wurde erstmalig die Qualität der Hochschullehre und nicht die Forschungsleistung (wie in der Studie von Spiegel-Rösing) oder die Wirtschaftlichkeit (wie in der Wibera-Veröffentlichung) gerankt . Im Bundesministerium für Bil-

Kuhnke (1976a), S . VIII . Bolsenkötter (1976b), S . 507, 513 . Diese reichten von „objektiven“ Indikatoren wie der Zahl der Forschungs- und insbesondere Drittmittelprojekte, Dissertationen, Habilitationen und Patente bis hin zu subjektiven Beurteilungen von Wissenschaftlern oder Arbeitgebern . 167 So schlug Bolsenkötter unter anderem vor, „den Kenntnis- und Befähigungsstand [der Studenten; F . W .] zu Beginn und bei Beendigung des Studiums zu erfassen“; Bolsenkötter (1978), S . 13 . 168 Schmidt (1978), S . 146 . Der Hochschulforscher Ulrich Teichler konnte demgegenüber nachweisen, dass die Absolventen deutscher Hochschulen annähernd gleiche Berufschancen hatten; vgl . „Ranking bleibt umstritten“, in: Deutsche Universitätszeitung 44, no . 4 (1988), S . 5 . 165 166

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

dung und Wissenschaft war man sich der neuen Dimension durchaus bewusst und reagierte mit einer ausführlichen Stellungnahme . „Vorurteile im Mantel der Wissenschaftlichkeit“169 nannte Staatssekretär Björn Engholm das Ranking Schmidts in einer Presseerklärung . Engholm präsentierte den Medien eine Liste mit 25 vermeintlichen methodischen Mängeln des Rankings, die der Konstanzer Wirtschaftswissenschaftler Manfred Timmermann im Auftrag von Peter Glotz, dem sozialdemokratischen Senator für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin, zusammengestellt hatte .170 Die Aufregung im Bundesministerium ebbte allerdings bereits nach kurzer Zeit wieder ab, da sich die Hochschulen unbeeindruckt zeigten und Reaktionen zunächst weitgehend unterblieben . Als weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Etablierung von Hochschulrankings in der Bundesrepublik Deutschland kann das Jahr 1982 angesehen werden, da erstmalig die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine Studie zur „Anziehungskraft westdeutscher Hochschulen“ finanzierte und die Evaluationsforschung damit wissenschaftsintern aufwertete .171 Die Leitung des Projekts lag in den Händen des Geographen Ernst Giese, der sowohl Hochschulstatistiken auswertete als auch die bei der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen eingegangenen Bewerbungen und die seit 1971 von den Statistischen Landesämtern durchgeführten Abiturientenbefragungen . Die gewonnenen Daten verrechnete er mit der „Schwundquote“ nach dem ersten Hochschulsemester und veröffentlichte die Resultate in Form von kommentierten Hochschulranglisten . Giese kam zu dem Ergebnis, dass große und alte Universitäten, zumal wenn sie in Ballungsgebieten lagen, deutlich attraktiver auf Studienanfänger wirkten als kleine und neugegründete Hochschulen, die sich häufig in der Peripherie befanden .172 Die Nähe zum Heimatort und das Image des Hochschulortes konnten von Giese als zentrale Entscheidungskriterien ermittelt werden .173 Reputationsunterschiede zwischen den einzelnen Hochschulen wurden von den Abiturienten hingegen kaum wahrgenommen, vielmehr übertrugen diese den Freizeitwert der Hochschulorte auf die dort befindlichen Bildungsinstitutionen .174 Lediglich für jene Universitäten, die nach 1967/68 als Hochburgen der Studentenbewegung galten, konnte Giese einen nicht auf die Attraktivität des Hochschulortes zurückzuführenden Einbruch der studentischen Nachfrage konstatieren, der zum Teil bis in die 1980er Jahre hinein nach-

Pressemitteilung von Staatssekretär Björn Engholm (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft) vom 31 .5 .1978, BArch B 138/56834 . 170 BArch B 138/56834 . 171 Vgl . Giese (1982) . 172 Besonders niedrigen Zuspruch unter Abiturienten erfuhren überdies die Gesamthochschulen . So wurde beispielsweise im direkten Vergleich der hessischen Hochschulen ersichtlich, dass die GHS Kassel deutlich unter den am schlechtesten platzierten Universitäten und Technischen Hochschulen rangierte; vgl . Giese (1984), S . 66 . 173 Eine Folgestudie von Hans Jürgen Block bestätigte 1984 diese Aussage; vgl . Block (1984), S . 55 . 174 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte zeitgleich Framheim (1983) . 169

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wirkte . Da Giese (wie der Großteil der Bildungsforscher zu dieser Zeit) fälschlicherweise davon ausging, dass die Studentenzahlen demografisch bedingt bereits Ende der Jahrzehnts signifikant absinken würden, erwartete er einen harten Konkurrenzkampf der Hochschulen um Studierende, der gegenwärtig durch die Verteilungspraxis der ZVS verzerrt würde beziehungsweise aufgrund des Oligopols der Hochschulen (noch) nicht zum Tragen komme .175 Die in seinen Veröffentlichungen abgedruckten Ranglisten sollten den Hochschulen als Orientierungshilfe in einem scheinbar unvermeidlichen „‚Überlebenskampf ‘ um ihre Kunden“ dienen, keinesfalls jedoch selbst Konkurrenz auslösen .176 Für Giese kam es daher einem Missbrauch der Ranglisten gleich, dass die Spitzenreiter das positive Abschneiden ihrer Hochschule auf selbst erbrachte Leistungen zurückführten und sie dahingehend interpretierten, dass die eigene Hochschule „besser“ sei als andere, wodurch sich die Rankings „zu einem erstklassigen Unruhestifter“ entwickelten .177 Hier wurde ein Dilemma der Rankings sichtbar: Geschaffen, um komplexe Sachverhalte zu vereinfachen und damit auch Laien verständlich zu machen, führt diese Simplifikation notwendigerweise zu holzschnittartigen und leicht fehlzuinterpretierenden Ergebnissen, deren (begrenzte) Aussagekraft letztlich doch nur nach der Lektüre ausführlicher Erläuterungen zu beurteilen ist . Im Unterschied zu Giese erblickten das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und der Wissenschaftsrat in den Rankings in erster Linie ein Instrument zur Belebung des interuniversitären Wettbewerbs . Bereits 1979 empfahl der Wissenschaftsrat die Entwicklung eines Kennzahlensystems, das einen Vergleich der Hochschulen ermöglichen sollte, aus dem sich „indirekt Aussagen zur Wirtschaftlichkeit […] ableiten“ lassen sollten .178 Zwar seien „Maßstäbe und Rentabilitätskriterien aus dem Wirtschaftsleben nicht ohne weiteres auf die Hochschule“ übertragbar, da die Gewinnmaximierung nicht zu den Zielen der Bildungseinrichtungen gehören könne, doch mache der stark angestiegene Mittelverbrauch der Universitäten angesichts der prekären Haushaltslage eine Effizienzkontrolle unerlässlich . Da seit der sogenannten Ölkrise immer weniger Geld verteilt werden konnte, sollten die begrenzten finanziellen Ressourcen nach Ansicht des Wissenschaftsrates nun vor allem dort eingesetzt werden, wo die Leistungsindikatoren eine sparsame Hochschulforschung andeuteten .179 Offensichtlich ging der Wissenschaftsrat davon aus, dass nicht (nur) die stetig ansteigenden Studentenzahlen die Ausgaben anschwellen ließen, sondern dass an manchen Hochschulen wirtschaftlicher gelehrt und geforscht würde als an anderen, was aufgrund der fehlenden Transparenz jedoch bislang verborgen geblieben sei . SelVgl . Giese (1984), S . 55 . Für die Universitäten Passau, Regensburg und Bayreuth errechnete Giese einen „Unfreiwilligenanteil“ von 30 bis deutlich über 50 Prozent bei den Erstsemesterstudenten; Giese (1984), S . 56 . 176 Frackmann (1988), S . 151; vgl . Giese (1986), S . 399 . 177 „Ranking bleibt umstritten“, in: Deutsche Universitätszeitung 44, no . 4 (1988), S . 5 . 178 Wissenschaftsrat (1979), S . 60 . 179 Vgl . Hüfner (1987), S . 136 . 175

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biges wurde jedenfalls im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft vermutet, so dass Staatssekretär Ganzow die Empfehlungen des Wissenschaftsrates auf einem 1980 abgehaltenen Kolloquium der Westdeutschen Rektorenkonferenz demonstrativ begrüßte und erklärte, dass das Ministerium fortan „ein tatkräftiger Anwalt […] der Hochschulökonomie sein“ werde .180 „Niemand will […] die Spielregeln der freien Marktwirtschaft in den Hochschulbereich einführen“, versuchte Ganzow seine Gastgeber gleichwohl zu beruhigen, die in Teilen bereits die Befürchtung hegten, dass die Hochschulfinanzierung der Zukunft indikatorgesteuert sein könnte und ihre Skepsis gegenüber einer Offenlegung hochschulinterner Betriebsabläufe nicht verhehlten .181 Zu leicht könne mit den Daten Missbrauch getrieben werden, und zu kompliziert sei angesichts der erst spärlichen Verbreitung von EDV-Geräten deren Ermittlung, so der allgemeine Tenor .182 Nach dem Regierungswechsel von 1982 begann das Ministerium sich noch intensiver als zuvor mit Hochschulrankings als Instrument zur Herstellung interuniversitären Wettbewerbs zu beschäftigen und bemühte sich um Informationsbeschaffung . Ausgehend von volkswirtschaftlichen Überlegungen und der Feststellung, dass in „die öffentliche Diskussion der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie […] zunehmend auch Hochschulen […] einbezogen“ wurden, wandte sich das BMBW an die deutschen Botschaften und Konsulate in Großbritannien, Frankreich, Japan und den USA und bat um Zusendung dort erschienener Hochschulranglisten – Beleg dafür, wie intensiv das Ministerium die internationale Situation beobachtete . „Es wird behauptet“, heißt es in dem Schreiben an die diplomatischen Vertretungen, „daß in der BRD im Gegensatz zu den USA sowohl die Belohnung für erbrachte Leistungen als auch der leistungsfördernde Wettbewerb zwischen den Institutionen fehle“, der in Amerika nicht zuletzt als Folgeerscheinung der publizierten Hochschulrankings entstehe .183 So hatte es der zu dieser Zeit in den Vereinigten Staaten lehrende Ökonom Helmut Hesse in einem Schreiben an Peter Graf Kielmansegg dargestellt und bekundet, dass die Bundesrepublik im Zuge der Globalisierung keinen bildungspolitischen Sonderweg einschlagen dürfe, sofern sie nicht den Niedergang von Wissenschaft und Wirtschaft hinnehmen wolle .184 Folglich sollten die in den USA seit Reagan bereits verbreiteten Hochschulevaluationen und -rankings auch in Deutschland aufgegriffen werden . In den Vereinigten Staaten hatten sie nach Ansicht Hesses zu einer Praxisorientierung und einer stärkeren Zusammenarbeit der Hochschulen mit der Industrie beigetragen sowie ferner einen leistungssteigernden Wettbewerb ausgelöst . Neben der Stellungnahme Hesses beriefen sich die Ministerien auf die Thesen des Soziologen

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Ganzow (1980), S . 32 . Ganzow (1980), S . 32; vgl . Kahle (1980) . Vgl . Fiebiger (1980), S . 185; Kahle (1980), S . 149–150 . BArch B 138/56834 . Schreiben Helmut Hesses an Peter Graf Kielmansegg vom 28 .3 .1984, BArch B 138/58220 .

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Ekkehard Klausa, der Rankings nach US-Vorbild ebenfalls angeraten hatte, „um verlorenen Boden zurückzugewinnen“ . Auch Klausa ging davon aus, dass die Ranglisten eine Prestigekonkurrenz der Hochschulen auslösen würden, aus der einige wenige Eliteuniversitäten hervorgingen, gefolgt von mehreren „hochsoliden“ Universitäten, während die verbliebenen Hochschulen, die zahlenmäßig die größte Gruppe bilden würden, unter „ferner liefen“ subsumiert werden könnten . Während Klausa zunächst von „Weltspitze“-Hochschulen sprach, die aus dem interuniversitäten Wettbewerb als Sieger hervorgehen sollten, nannte er sie ab Mitte der 1980er Jahre „Leuchttürme der Orientierung“ und prägte damit ein Bild, das zuzeiten der Exzellenzinitiative erneut aufgegriffen wurde und für einige Jahre die Wettbewerbsdiskussion bestimmte .185 In seinen Ausführungen, von denen Klausa selbst annahm, dass sie für „abenteuerlich“ gehalten würden, nannte der Soziologe einige der von Bolsenkötter in die Diskussion eingebrachten Qualitätsindikatoren, sprach eine Warnung vor „Lobekartelle[n]“ aus und den Rat, nur Fachbereiche, nicht jedoch ganze Universitäten zu vergleichen .186 Klausa war sich im Übrigen durchaus darüber im Klaren, dass die deutsche Evaluationsforschung noch in den Kinderschuhen steckte und eine zuverlässige Rangreihe (noch) nicht erstellt werden konnte . Optimistisch vertrat Klausa jedoch die Ansicht, dass selbst ein schlechtes Ranking besser sei als gänzlich darauf zu verzichten, sei doch eine Platzierung am oberen Ende eines Rankings, die einer Universität immerhin hohe Qualität bescheinige, als eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung […] am Ende nicht weniger wahr als andere Tatsachen“ .187 In der Hoffnung, dass Rankings zu einer Profilbildung und Schwerpunktsetzung der Hochschulen führen würden,188 förderte das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft diverse Tagungen und Projekte zur Evaluationsforschung . Dazu gehörte Anfang 1985 ein dreitägiges Kolloquium zur „Messung und Förderung der universitären Forschungsleistung“ auf der schwäbischen Reisensburg, das unter Leitung der Konstanzer Sozialpsychologen Hans-Dieter Daniel und Rudolf Fisch einen Großteil der bundesdeutschen Rankingexperten vereinte .189 Die enge Zusammenarbeit zwischen Evaluationsforschern und dem Ministerium wurde in den Hochschulen bereits früh registriert und trug dazu bei, die Außenseiterrolle der Rankingexperten in der Scientific Community zu verfestigen . Während die Ablehnung von Hochschulrankings an

Klausa, Ekkehard: „Wettbewerb unter den Hochschulen – Wie kann man ihn verstärken?“ (1983), S . 2, BArch B 138/58220; Klausa (1986), S . 143 . 186 Aus diesem Grund unterschied er selbst „zwischen ‚seriösen‘ und ‚abenteuerlichen‘ Vorschlägen, um zu verhindern, daß gleich sämtliche Vorschläge unter ‚abenteuerlich‘ abgelegt werden“; Klausa, Ekkehard: „Wettbewerb unter den Hochschulen – Wie kann man ihn verstärken?“ (1983), S . 37, BArch B 138/58220 . 187 Klausa, Ekkehard: „Wettbewerb unter den Hochschulen – Wie kann man ihn verstärken?“ (1983), S . 19, BArch B 138/58220 . 188 Vgl . die Stellungnahme der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium Karwatzki (1989b) . 189 Vgl . Altenmüller (1985), S . 15–16 . 185

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den Universitäten und in der Westdeutschen Rektorenkonferenz in den Folgejahren noch beträchtlich zunehmen sollte, setzte im BMBW nach der Veröffentlichung der Empfehlungen zum Wettbewerb im deutschen Hochschulsystem durch den Wissenschaftsrat (1985) eine regelrechte Ranking-Euphorie ein .190 In den Empfehlungen hatte der Wissenschaftsrat die mangelnde Transparenz im westdeutschen Hochschulsystem kritisiert, die einen Reputationswettbewerb zwischen den einzelnen Universitäten bislang weitgehend unterbunden habe, und die Hochschulen zur Offenlegung aller „bedeutsame[n] und charakteristische[n] Informationen“ aufgefordert .191 In einem zweiten Schritt müsse notwendigerweise ein Leistungsvergleich erfolgen, der unter anderem in Fachzeitschriften publiziert werden sollte und durch den eine effizienzsteigernde Prestigekonkurrenz entstehen könne .192 In diesem Zusammenhang riet auch der Wissenschaftsrat dazu, die Brauchbarkeit der in den Vereinigten Staaten bereits seit mehreren Jahren gebräuchlichen Rankingmethoden für das bundesdeutsche Hochschulsystem zu überprüfen, nur einzelne Fächer, nicht jedoch ganze Hochschulen zu bewerten, mehrere, möglichst unterschiedliche Indikatoren zu verwenden sowie (anstatt die Ergebnisse in tabellarischer Form zu präsentieren) lediglich Ranggruppen zu bilden, so dass streng genommen nicht von einem Ranking, sondern von einem Rating hätte gesprochen werden müssen . Damit sollte die zutreffend als äußerst niedrig eingestufte Akzeptanz derartiger Leistungsvergleiche unter Rektoren und Professoren erhöht werden . Etwas versteckt findet sich im Text zudem der Hinweis, dass die gewonnenen Leistungsvergleiche nach einer Anlaufphase „bei der Zuweisung von Ressourcen als Entscheidungskriterium mit herangezogen werden“ sollten, jedoch ohne zu spezifizieren, was sich die Mitglieder des Wissenschaftsrates darunter vorstellten .193 Der Wettbewerbslogik gemäß (und diese lag der Veröffentlichung explizit zugrunde) musste dies jedoch bedeuten, die am besten bewerteten Hochschulen mit zusätzlichen Geldern zu belohnen, während die verbliebenen Hochschulen entweder als „Nicht-Gewinner“ mit einer stagnierenden Ressourcenzuweisung auszukommen oder aber als Verlierer mit finanziellen Einbußen zu rechnen hätten . In eben diese Richtung wies auch der 1984 verabschiedete „Hochschulgesamtplan Berlin“, der von George Turner (CDU), dem Senator für Wissenschaft und Forschung und ehemaligen Präsidenten der WRK, entworfen worden war und unter Ziffer 6 bestimm-

Vgl . dazu die folgenden Ausführungen . Wissenschaftsrat (1985), S . 24–25 . Dazu zählte der Wissenschaftsrat die Personalzahlen, die Zahl der Studenten und den Prozentsatz der Studienanfänger darunter, die Relation Professoren/Studienanfänger/ Studenten, die abgelegten (erfolgreichen) Prüfungen und die Studiendauer, die Notenspiegel, die Zahl der Promotionen und Habilitationen, Herausgeber- und Gutachtertätigkeiten, Mitgliedschaften in überregionalen Wissenschaftsgremien, die Zahl der Humboldt-Stipendiaten, Preise und Auszeichnungen, die Berufungsbilanzen, die Zahl der SFBs und weiterer Forschungsschwerpunkte sowie die eingeworbenen Drittmittel . 192 Wissenschaftsrat (1985), S . 26 . 193 Wissenschaftsrat (1985), S . 27 . 190 191

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te, dass die Hochschuleinrichtungen des Landes leistungsabhängig finanziert und für leistungsschwach befundene Hochschulen lediglich eine „Mindestausstattung“ zur Verfügung gestellt werde .194 Damit berücksichtigten Turner und die Empfehlungen des Wissenschaftsrates die Erkenntnisse der Theorie der Firma, wie sie beispielsweise von Ernst Rätzer ausgeführt und auf den Hochschulbereich übertragen worden waren . Die volkswirtschaftlich orientierte Theorie der Firma, die sich mit dem Verhalten von Unternehmen auf Märkten beschäftigt, ermöglichte es, Universitäten als „entrepreneurial universities“ auf einem Markt um Professoren, Studierende und Finanzmittel zu definieren . Um einen spürbaren Effekt zu erzeugen, müsste eine gute Position in der Rangliste irgendwelche konkreten positiven Auswirkungen für den einzelnen Professor zur Folge haben“, schrieb Rätzer in einem 1984 erschienenen Aufsatz .195 Schließlich sei aus der Theorie der Firma bekannt, dass die Veröffentlichung einer „Prestige-Hierarchie“ kaum als Anreiz für besondere Anstrengungen der Mitarbeiter dienen könne, ergo eine Verbesserung der Lehr- und Forschungsqualität allein aufgrund der Offenlegung von Qualitätsunterschieden nicht zu erwarten sei . Hier unterstellte Rätzer freilich, dass zwischen Hochschulen und Firmen sowie Professoren und Unternehmensmitarbeitern kaum Unterschiede bestünden, ohne zu klären, inwieweit von einer „Corporate Identity“ an den Universitäten gesprochen werden konnte und die Hochschullehrer in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn von einer guten Platzierung profitierten, möglicherweise etwa ein größeres Interesse an einem Spitzenplatz ihrer Hochschule haben konnten als die Mitarbeiter eines Unternehmens . In Anbetracht der Größe deutscher Hochschulen musste jedoch in der Tat davon ausgegangen werden, dass die einzelnen Wissenschaftler ihren Einfluss auf das Ergebnis als gering einstufen und (wie Ernst Rätzer annahm) keine besonderen Anstrengungen unternehmen würden, sofern nicht die Hochschulleitungen den Wettbewerb auf die Ebene der Fachbereiche herabholen und ebenfalls mit Belohnungen und/oder Sanktionen arbeiteten, was jedoch aufgrund der fehlenden Hochschulautonomie in finanziellen Angelegenheiten unmöglich war . Erst der erweiterte Handlungsspielraum der Universitätspräsidenten und -rektoren, die sich untereinander zunehmend als Konkurrenten wahrnahmen und um eine gute Platzierung ihrer Hochschulen in den immer zahlreicher werdenden Rankinglisten bemühten, kurbelte den interuniversitären Wettbewerb ab den 1990er Jahren an . Hochschulexperten wie der Volkswirt Klaus Hüfner bezweifelten daher trotz der Verbindung von finanziellen und Prestigegesichtspunkten, dass die Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates bereits zeitnah einen Konkurrenzmechanismus unter den Hochschulen auslösen könnte . Hüfner, der sich bereits in den 1960er Jahren als Bildungsökonom einen Namen gemacht und maßgeblich an einem OECD-Projekt zur Eruierung von LeistungsindikaVgl . Senator für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin (1984) . Ähnliche Überlegungen lagen – auf Ebene der einzelnen Hochschullehrer – der 2005 umgesetzten Besoldungsreform zugrunde . 195 Rätzer (1984), S . 242 . 194

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toren mitgewirkt hatte, nahm an, dass selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Universitäten tatsächlich die vom Wissenschaftsrat verlangten Daten publik machen würden, ein Wettbewerb aufgrund der fehlenden Hochschulautonomie nicht entstehen könne .196 Auch innerhalb des Wissenschaftsrates wurden Hochschulrankings im Übrigen kritischer gesehen, als aus den Empfehlungen hervorgeht . So offenbarte Peter Graf Kielmansegg, dass sich zahlreiche Mitglieder an den häufigen Vergleichen mit den USA störten und der Text der Entwurfsfassungen sukzessive entschärft werden musste, um mehrheitsfähig zu werden . Tatsächlich wurden sämtliche bekenntnishaften Formulierungen entfernt und der Umstand, dass Rankings nicht nur Gewinner, sondern stets auch Verlierer produzieren, mit den Worten verschleiert, dass „nicht alle die ersten sein können“ . Gleichwohl enthielten sich die Vertreter der fünf SPD-geführten Bundesländer, als die Empfehlungen in der Vollversammlung des Wissenschaftsrates verabschiedet wurden . Im Frühjahr 1987 wurde Jürgen W . Möllemann (FDP) als Nachfolger von Dorothee Wilms (CDU) im Amt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft vereidigt, woraufhin sich der vergleichsweise konziliante Umgangston in der Auseinandersetzung mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz drastisch verschärfte . Bereits kurz nach Aufnahme seiner Dienstgeschäfte kündigte Möllemann in einem Interview mit der Rheinischen Post „eine Art Bundesligatabelle der Universitäten“ an, die Auskunft über die durchschnittliche Studiendauer und Abschlussnoten an den Fachbereichen deutscher Hochschulen, aber auch über die Qualität der dort geleisteten Forschung und Lehre geben sollte .197 Damit nicht genug, richtete Möllemann die Warnung an die Adresse der Hochschulen, dass der Staat „keine Bestandsgarantien geben“ werde, Hochschulschließungen mithin nicht auszuschließen seien .198 Die vom Ministerium angestrengten Vergleiche der Hochschulrankings mit der Fußball-Bundesliga, Hitparaden oder Gaststättenführern, die ihre Popularität in der Bevölkerung erhöhen sollten, stießen unter Rektoren und Professoren auf strikte Ablehnung . Staatssekretär Swatek hingegen nannte „das Kochmützen-Bild […] als ‚Zielvorstellung‘ sehr hilfreich“, schlug vor, dass das Bundesministerium eine externe Organisation mit der Erstellung eines „Kochmützen-Rankings“ beauftrage, und stellte die gewagte Prophezeiung auf, dass ein solcher Hochschulführer „die Diskussion versachlichen und zugleich eine Menge Ängste beseitigen“ werde .199 Bereits im Sommer 1987 gelangte das Ministerium jedoch zu der Einsicht, dass brauchbare Hochschulrankings „nicht ohne WRK“ erstellt werden konnten und folglich eine Verständigung mit den Rektoren

Vgl . Hüfner (1986b), S . 2 . Zit . nach Freiheit der Wissenschaft 14, no . 8 (1987), S . 5 . Freiheit der Wissenschaft 14, no . 8 (1987), S . 5 . Swatek, Dieter: „Ranking-Besprechung mit Herrn St[aatssekretär Bissing] am 3 .6 .1987“ (11 .6 .1987), S . 2–3, BArch B 138/56835 . 196 197 198 199

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gesucht werden musste .200 Daher wurden die Ankündigungen und Drohungen wieder zurückgenommen . Möllemann versicherte nun, dass Bund und Länder es nicht zulassen würden, dass schwächere Hochschulen (wie in den USA bereits mehrmals geschehen) „Konkurs“ anmelden müssten, und betonte, dass keine Bundesrankings geplant seien, obwohl der Staat ein Recht darauf habe, zu erfahren, „ob dort, wo er sein Geld hingebe, auch tatsächlich Qualität vorhanden“ sei .201 Dieser Entspannungskurs ging mit einer wachsenden Skepsis gegenüber Hochschulrankings innerhalb des Ministeriums einher . Zum einen keimte im BMBW die Befürchtung auf, dass Angehörige schlecht platzierter Universitäten die Rankingergebnisse vor Gericht anfechten könnten, zum anderen, dass Ranglisten „ungünstigenfalls zu einem Instrument werden, um die Hochschulministerien auf gesicherter Datengrundlage wegen fehlender Finanzausstattung anzugreifen“ .202 Im Herbst 1987 bekräftigte das Ministerium daher sogar, dass es den erst seit wenigen Jahren geläufigen Anglizismus „Ranking“ fortan nicht mehr verwenden wolle und „amerikanische Verhältnisse“ im bundesdeutschen Bildungssystem verhindern werde .203 Bereits ab Ende der 1970er Jahre beschäftigte sich auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz mit Hochschulranglisten . Die nicht selten in der Literatur zu findende Behauptung, Hochschulen und WRK hätten Rankings bis in die 1990er Jahre hinein bewusst „ignoriert“, ist folglich unzutreffend, sie hielt sie aber in ihrer bisherigen Form für unbrauchbar und gefährlich .204 Vielmehr gab sie bereits 1980 bei der Stiftung zur Förderung der WRK eine erste Studie in Auftrag, die auf Anregung der OECD einen Vergleich von zwölf freiwillig teilnehmenden bundesdeutschen Hochschulen anhand von Strukturdaten vornahm und vor allem die Schwierigkeiten bei der Erfassung, Gegenüberstellung und Bewertung hervorhob .205 Dem erklärten Ziel der OECD, aus den Einzeluntersuchungen zu einem internationalen Vergleich der Hochschulen zu gelangen, standen die bundesdeutschen Projektmitarbeiter der Universitäten Karlsruhe, Erlangen-Nürnberg und des Saarlandes, des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung und des Hochschulinformationssystems skeptisch gegenüber .206

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S . 1, 7 .

Handschriftliche Ergänzung auf oben genanntem Schriftstück . Swatek, Dieter: „Protokoll einer Ranking-Besprechung am 3 .6 .1987“ (11 .6 .1987), BArch B 138/56835,

„Empfehlungen des Wissenschaftsrats zum Wettbewerb zum [sic!] Hochschulsystem; Auswertung und Umsetzung“ (22 .1 .1986), S . 3–4; BArch B 138/56835; Staatssekretär Christof Gramm am 20 .2 .1991, BArch B 138/71690 . 203 Goroncy, Robert: „Einführende Worte zu ‚Ranking der Hochschulen‘“ (22 .10 .1987), S . 1, BArch B 138/56835 . 204 So etwa in Konnerth/Reissert (2011), S . 178 . 205 Vgl . Schneider-Amos (1978) sowie v . a . Westdeutsche Rektorenkonferenz (1980b) . 206 Vgl . Westdeutsche Rektorenkonferenz (1980b), S . 12–17 . 202

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Insbesondere unter den Rektoren nahm diese Skepsis in den Folgejahren noch weiter zu, da sie nach den Signalen aus dem Wissenschaftsrat und den Bundesministerien die Befürchtung hegten, dass eine Offenlegung ihrer „Betriebszahlen“ zu einer Verringerung der staatlichen Hochschulfinanzierung führen werde . Die WRK wurde daher in der Rankingfrage zum bedeutendsten Opponenten des Wissenschaftsrates und Gegner jedweder Hochschulrankings .207 So äußerten die Rektoren in einer Stellungnahme vom Juli 1986 grundsätzliche Zweifel an der Messbarkeit von Forschungsund Lehrqualität, bewerteten aber gleichwohl die gebräuchlichen Indikatoren auf ihre Aussagekraft und Tauglichkeit, um zu demonstrieren, dass ihre ablehnende Haltung auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fuße und keineswegs den Versuch darstelle, Missstände zu verbergen, wie ihnen nicht nur von Heinz Heckhausen, dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrates in den Jahren 1985 bis 1987, unterstellt wurde .208 Die Universitäten, äußerten die Rektoren, seien zu komplex und die Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Fachbereichen einer Hochschule in der Regel zu groß, als dass sie als Ganzes bewertet werden könnten . Allenfalls ein Vergleich auf Fachbereichsebene sei nach der noch ausstehenden Entwicklung eines praktikablen Kriterienkatalogs möglich, doch selbst dies sei „nur ausnahmsweise möglich und sinnvoll“ und dürfe nicht zu Versuchen führen, aus den Ergebnissen in den einzelnen Fachbereichen auf die Qualität der gesamten Hochschule zu schließen .209 Zudem hinterfragten sie den Nutzen von Hochschulrankings, da der Schwache schließlich nicht dadurch stärker werde, dass man ihm (und anderen) seine Schwächen vor Augen führe . Bisweilen entgingen der WRK jedoch auch die vom Ministerium mit den Hochschulranglisten verbundenen Zielsetzungen, wie aus einem Argument ihres Generalsekretärs Christian Bode hervorgeht, das dieser während einer Besprechung im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft gegen Rankings ins Feld führte . Bode bemerkte, dass es zu keiner Änderung der Rangverteilung komme, wenn als Folge der ersten Rankingrunde sämtliche Universitäten erfolgreiche Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lehre und Forschung ergriffen .210 Offenkundig war ihm nicht bewusst, dass ein solches „Ergebnis“ durchaus im Interesse des Bundesministeriums liegen musste . Den Vorschlag des Wissenschaftsrates, nach dem Vorbild der britischen Rektorenvereinigung selbst ein Ranking durchzuführen, um eigene Qualitätsstandards festlegen zu können, wiesen die Rektoren im Übrigen mit der Bemerkung zurück, dass dies ebenso problematisch sei „wie die Erstellung eines Restaurantführers durch einen GaststätVgl . Sietmann (1987), S . 20 . Vgl . Westdeutsche Rektorenkonferenz (1987), S . 41–46 . Rankings erfüllten laut Heckhausen stets dann ihren Zweck, wenn sie den Hochschulen „unter die Haut“ gehen; Heckhausen (1988), S . 34 . 209 „Stellungnahme des 149 . Plenums der Westdeutschen Rektorenkonferenz zur Beurteilung und Entwicklung der Ansätze zur Leistungsbewertung und -messung von Hochschulen“, in: Westdeutsche Rektorenkonferenz (1989b): 201–205, S . 202 . 210 Vgl . Swatek, Dieter: „Ranking-Besprechung mit Herrn St[aatssekretär Bissing] am 3 .6 .1987“ (11 .6 .1987), S . 2, BArch B 138/56835 . 207 208

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tenverband“, also mit anderen Worten ein externer, neutraler Schiedsrichter zu den Vorbedingungen eines von allen Teilnehmern für legitim betrachteten Wettbewerbs gehöre .211 Die kooperative Zusammenarbeit der Rektoren wäre freilich bedeutend erschwert worden, wenn die WRK dem Drängen nachgegeben hätte . Die teils scharfe Kritik aus den Reihen des Wissenschaftsrates und der christlich-liberalen Regierungskoalition am Verhalten der WRK, die das Thema Ranking mit ihren Forderungen nach weiteren theoretischen Vorarbeiten in endlosen Methodendiskussionen ersticken zu wollen schien, wich erst gegen Ende des Jahrzehnts der Einsicht, dass das Vorgehen der Hochschulvertreter als rational zu bezeichnen war, da diese darüber im Unklaren gelassen worden waren, ob und gegebenenfalls welche politischen Konsequenzen aus der Platzierung der einzelnen Hochschulen zu erwarten waren .212 Sie mussten in Anbetracht der klammen Staatskassen vielmehr davon ausgehen, dass Hochschulrankings kaum Gewinner, wohl aber (finanzielle) Verlierer produzieren würden . Daher führte auch die „Seelenmassage à la Wissenschaftsrat“, wie Klaus Hüfner den neuen, versöhnlichen Umgangston nach dem Wechsel an der Führungsspitze des Beratungsgremiums im Jahre 1987 bezeichnete, nicht zu einer Offenlegung evaluationsrelevanter Hochschuldaten .213 Statt Ranglisten zu erstellen, die nach Ansicht des Wissenschaftsrates, nicht aber der WRK, zu „einer leistungssteigernden Stärkung des Wettbewerbs zwischen Hochschulen“214 führen würden, regten die Universitätsrektoren an, die Selbstdarstellung der Hochschulen zu verbessern und regelmäßig umfangreiche Informationen zu veröffentlichen, womit sie zumindest der politischen Forderung nach mehr Transparenz entgegenkamen . Im Gegenzug verlangten die Rektoren jedoch einen besseren Schutz vor zukünftigen Hochschulrankings . Ähnlich dem Beipackzettel eines Medikaments wollte die WRK die Herausgeber der Hochschultabellen dazu verpflichten, den Rangreihen ausführliche Erläuterungen zur Seite zu stellen und mögliche „Gegenindikatoren“ zu benennen . Außerdem sollte der „Produzent der Information davon ausgehen, daß er (de facto) dafür haftbar gemacht wird, wenn der Verwender der Information daraus falsche Schlußfolgerungen zieht“, was zeigt, dass Rankings als Bedrohung wahrgenommen wurden, die aufgrund ihrer Informationsreduktion „vorhersehbare Schäden“ anrichten .215 An den Universitäten ließ – denn auch sie beobachteten die internationale Entwicklung genau – die ohnehin geringe Bereitschaft, evaluationsrelevantes Datenmaterial bereitzustellen, weiter nach, als die Folgen der ersten britischen und niederländischen Hochschulrankings bekannt wurden . Dazu gehörten finanzielle Einbußen für

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Hummel (1989b), S . 248 . Vgl . Turner (2001), S . 190 . Hüfner (1988), S . 26 . Westdeutsche Rektorenkonferenz (1987), S . 41 . Alewell (1989b), S . 34 .

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

die schlechtplatzierten Hochschulen, die Schließung von Studiengängen sowie die Entlassung von Lehrpersonal und eine politische Diskussion, ob die (im deutschen Hochschulsystem seit Humboldt geradezu als sakrosankt betrachtete) Einheit von Forschung und Lehre aufgegeben und erfolglose Universitäten zu reinen Lehranstalten degradiert werden sollten .216 Die Furcht vor ähnlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik führte dazu, dass Rankings nicht zu mehr Transparenz führten, wie von ihren Befürwortern erhofft, sondern zu einer unternehmensähnlichen Öffentlichkeitsarbeit der Hochschulen, die nur noch solche Daten preisgeben wollten, die nicht gegen sie verwendet werden konnten . Dies wurde augenfällig, als das Sekretariat der Westdeutschen Rektorenkonferenz den Universitäten Mitte der 1980er Jahre im Auftrag der OECD Fragebögen zukommen ließ, von denen lediglich ein Drittel bearbeitet zurückgesandt wurde . Dagegen lag die Rücklaufquote bei den österreichischen Hochschulen, denen die OECD-Fragebögen zeitgleich übermittelt worden waren, die jedoch im Unterschied zu den bundesdeutschen Hochschulen nur über wenig Erfahrungen mit Hochschulrankings verfügten, rund doppelt so hoch . Fünf der kontaktierten deutschen Hochschulen begründeten ihre Verweigerung sogar ausdrücklich damit, dass sie bereits in der Vergangenheit an vergleichbaren Projekten partizipiert und dabei einen ungünstigen Eindruck gewonnen hätten .217 Der Bildungsforscher Hüfner vermutete seinerzeit wohl zu Recht, dass darüber hinaus die Angst vor möglichen finanziellen Einbußen, die die Offenlegung der „Betriebszahlen“ theoretisch zur Folge haben konnte, als Grund zu nennen sein dürfte . An den Universitäten wurde „die Koppelung von Lehrleistungen mit der Zuteilung von Ressourcen“ mehrheitlich abgelehnt, was der Meinung des langjährigen Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes, Hartmut Schiedermair, entsprach .218 Er befürchtete, dass andernfalls der Geschäftstüchtige begünstigt und jegliches Abweichen von der Norm bestraft würde .219 Außerdem bezweifelte er, dass die Qualität der deutschen Hochschullehre verbesserungswürdig sei, wie vom Wissenschaftsrat behauptet . Nicht nur unter den Rektoren, auch unter den Professoren befanden sich die Befürworter von Hochschulrankings eindeutig in der Unterzahl . Nicht wenige Wissenschaftler gingen sogar, wie etwa der Augsburger Jurist Hans Jürgen Sonnenberger, davon aus, dass eine Effizienzermittlung wenigstens in nicht-empirischen Fächern gänzlich unmöglich sei und die Gefahr bestehe, „daß in Zukunft generell von der wissenschaftlichen Forschung Nachweise für ihre Existenzberechtigung verlangt werden“ .220 Die Evaluationsforscher unter den Hochschullehrern – Betriebswirtschaftler gehörten

Vgl . „Ranking bleibt umstritten“, in: Deutsche Universitätszeitung 44, no . 4 (1988), S . 5 . Vgl . Hüfner (1986b), S . 13 . Schreiben Hartmut Schiedermairs an das Bundesministerium für Bildung und Forschung vom 10 .10 .1991, BArch B 138/71692 . 219 Vgl . Schiedermair (1985) . 220 Frackmann (1987), S . 230; vgl . Sonnenberger (1977) . 216 217 218

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Mehr Wettbewerb wagen?

ebenso zu ihrer Gruppe wie Psychologen, Biologen und Geografen – nahmen folglich eine Außenseiterrolle ein und mussten sich bisweilen den Vorwurf unwissenschaftlichen Arbeitens gefallen lassen, das obendrein die Freiheit von Forschung und Lehre gefährde . Für den Juristen Christian Flämig, der über viele Jahre universitätsrechtliche Neuerungen im publizistischen Hausorgan des Hochschulverbandes kommentierte, stand beispielsweise außer Zweifel, dass Ranglisten zu einer Beweislastumkehr führen würden, da die Politik fortan die Hochschulen für dort herrschende Missstände verantwortlich machen, Sanktionen gegen Professoren schlecht platzierter Hochschulen verhängen und Ranglisten trotz ihrer zweifelhaften Aussagekraft als „absolut verläßliche Daten“ betrachten würde .221 Flämigs Ausführungen zeigen, dass Rankings zunächst seltener als Wettbewerbsdenn als Instrument staatlicher Bildungsplanung angesehen wurden, die im Verlauf der 1970er Jahre vom Zauberwort zum Menetekel geworden war . Nicht nur Flämig befürchtete nämlich, dass Hochschulranglisten „zu einem der egalitären Ideologie verpflichteten Steuerungsmittel der Gleichbehandlung“ werden könnten, also statt einer Differenzierung eine (weitere) Nivellierung der Hochschulen drohe .222 Wiederholt wurde in der Frühphase der Rankingdiskussion daher die Frage aufgeworfen, ob der Staat, der Wettbewerbslogik entsprechend, die in den Ranglisten erfolgreichen Universitäten mit zusätzlichen Mitteln bedenken oder aber, dem Gleichheitspostulat folgend, „kompensatorische Maßnahmen“ zugunsten der schlechtplatzierten Hochschulen treffen solle respektive werde .223 Freilich verlor die letztgenannte Annahme vor allem ab dem Bonner Regierungswechsel von 1982 zunehmend an Plausibilität, nachdem Bundeskanzler Helmut Kohl den Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ geprägt hatte, blieb aber im Rahmen des Möglichen, zumal die Hochschulpolitik als Angelegenheit der Bundesländer nur bedingt durch den Wechsel der Bundesregierung beeinflusst werden konnte .224 Ein Konnex zwischen Rankings und Wettbewerb wurde allerdings auch in den späten 1980er Jahren keineswegs von sämtlichen Bildungsforschern hergestellt, die in ihnen aufgrund der potentiell hohen Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten des Staates auch ein „Relikt zentraler Planungseuphorie der 60er und 70er Jahre“ zu erblicken vermeinten .225 Dies zeugte von einem speziellen Wettbewerbsverständnis, das (obwohl nicht expressis verbis in den Texten zu finden) den freien Markt zu einer Vorbedingung für Wettbewerb erklärte . Erst später wurden Formen „quasimarktwirtschaftlicher Steuerung des Hochschulsystems“, durch die (beispielsweise) der Staat Marktbedingungen

Flämig (1978), S . 34 . Flämig (1977), S . 334 . Sietmann (1987), S . 20 . Kohl, Helmut: „Rede auf dem 31 . Bundesparteitag der CDU in Köln“ (25 .5 .1983), , S . 6; letzter Zugriff: 4 .5 .2018 . 225 Frackmann (1988), S . 139 f . 221 222 223 224

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

simuliert, von Bildungsforschern treffend als „künstliche Wettbewerbe“ bezeichnet .226 Für den neoliberalen Wirtschaftswissenschaftler Ulrich van Lith, in dessen bildungswissenschaftlichen Schriften der 1980er Jahre das Wort Markt weit häufiger als der Begriff Wettbewerb zu finden war, stellten Hochschulrankings stets dann ein Instrument administrativer Lenkung dar, wenn der in seinen Augen unsinnige Versuch einer „Definition bundeseinheitlicher Standards für die Messung der Effizienz von Hochschulen in Forschung und Lehre“ und der Staat gleichzeitig zum „Schiedsrichter“ und zur prämienvergebenden Instanz gemacht wurde .227 Während neoliberale Wettbewerbsbefürworter eine Zunahme staatlicher Detailsteuerung befürchteten, waren zudem Stimmen vernehmbar, die vor einer Beschränkung des staatlichen Handlungsspielraums bei einer indikatorgesteuerten Hochschulfinanzierung warnten . So beklagte der langjährige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrates Reimar Lüst die in seinen Augen risikobehaftete Entwicklung, „Forschungsleistungen für die Ministerialbürokratie zu quantifizieren“, die aus den Kennzahlen falsche Schlüsse und folgenschwere Konsequenzen für die zukünftige Mittelzuweisung ziehen könnte .228 Stattdessen riet Lüst zu einer Orientierung am „System Althoff “, das bei Fehlentwicklungen ein rasches Gegensteuern erlaubt habe . In diesem Punkt bekam Lüst Zustimmung vom SPD-Bildungsexperten Peter Glotz, der „das System der Kultur- und Wissenschaftspolitik“ ebenfalls „etwas mehr auf die Tradition […] Althoffs“ ausgerichtet haben wollte, obwohl er mit leichter Untertreibung hinzufügte, dass es in der Bundesrepublik wohl „nicht mehr viele Friedrich Althoffs“ gebe .229 Dass ein solches Ordnungskonzept, das seinerzeit zwar erfolgreich, aber nicht mit dem demokratischen und erheblich komplexeren Hochschulsystem des ausgehenden 20 . Jahrhunderts kompatibel war, aus der Versenkung geholt wurde, zeigt die Verunsicherung angesichts einer im linken politischen Lager befürchteten „neoliberalen Wende“ und der auch innerhalb der SPD zunehmend als gescheitert betrachteten Bildungsplanung der 1960er und 70er Jahre .230 Mitte der 1980er Jahre waren Hochschulrankings bereits so weit verbreitet, dass die Deutsche Universitätszeitung von den „in Mode kommenden ‚Ranglisten‘“ sprechen konnte .231 Dieser „Mode“ unterwarf sich die DUZ im Oktober 1984 schließlich selbst, Turner (2001), S . 189 . Vgl . Bogumil, Jörg (u . a .): „Formwandel der Staatlichkeit im deutschen Hochschulsystem – Umsetzungsstand und Evaluation neuer Steuerungsinstrumente“ (2011), in: , S . 6; letzter Zugriff: 4 .5 .2019 . 227 Lith (1985), S . 8 . 228 Zit . nach: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (1982), S . 41; vgl . zu Reimar Lüst: Nolte (2008) . 229 Glotz (1982), S . 22–23 . 230 Vgl . Kapitel VI .1 . Ironischerweise gehörte die SPD im Kaiserreich zu den vehementesten Gegnern des „Systems Althoff “ . 231 Altenmüller (1985), S . 15 . „Es vergeht kaum eine Woche, in er in den Medien nicht von neuen Rankinglisten, Befragungen über die Reputation von Hochschulen […] und bildungspolitischen Debatten 226

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indem sie mehrere von Einhard Rau aufgestellte Rangreihen deutscher Hochschulen veröffentlichte, die der HIS-Mitarbeiter anhand der Stipendienvergabe der Studienstiftung des Deutschen Volkes, der DFG und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung erstellt hatte .232 Die verhalten positive Einschätzung des Autors bezüglich der Aussagekraft seiner und zukünftiger Ranglisten kontrastiert merklich mit dem offensichtlich nicht von Rau selbst gewählten Titel „Mal diese, mal jene an der Spitze“ und den Bildunterschriften, in denen es in leichter Verzerrung der präsentierten Ergebnisse heißt, dass die in Hochschulrankings zumeist schlecht platzierte Universität Bremen „bei anderen Maßstäben die Universität Köln überrunden“ könne .233 Rau selbst rechtfertigte seinen Versuch, ein Ranking der deutschen Hochschulen aufzustellen, mit dem Hinweis auf die Warnung des amerikanischen Soziologen John Shelton Reed, der Hochschulwissenschaftler zur Erstellung von Universitäts-Ranglisten aufgeforderte hatte, um zu verhindern, dass außeruniversitäre Kreise selbiges versuchten und dabei Lehrtalent mit Popularität, Qualität mit Prestige und Gelehrsamkeit mit Geschäftstüchtigkeit verwechselten . Rau sah dabei sogar ein Scheitern der Bemühungen als „sinnvolles Forschungsergebnis“ an, resümierte jedoch, dass sich Stipendien als Qualitätsindikator grundsätzlich eigneten, obwohl der akademische Mainstream begünstigt würde und der bereits 1968 von Robert Merton beschriebene Matthäus-Effekt berücksichtigt werden müsse .234 Die DUZ blieb indes auch in den Folgejahren bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Hochschulranglisten, berichtete aber dennoch ausführlich über Rankings in den USA, Großbritannien und den Niederlanden sowie die Entwicklungen in der deutschen Evaluationsforschung .235 Demgegenüber wurden Rankings in der Monatsschrift des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“ als notwendiges Element eines marktwirtschaftlich organisierten Hochschulsystems und Mittel zur Belebung des für zu schwach befundenen interuniversitären Wettbewerbs begrüßt .236 Die ablehnende Haltung der WRK und eines Großteils der Professoren, aber auch das Bundesministerium für Bildung und Wissenzu diesen Themen berichtet wird“; Woll (1988), S . 164 . Bezeichnend ist ein 1985 in der DUZ erschienener Cartoon, der einen Fernsehnachrichtensprecher darstellt, der mit folgenden Worten zitiert wird: „Das war der Tabellenstand der Bundesliga, wir kommen nun zur aktuellen Rangliste der deutschen Hochschulen“; Deutsche Universitätszeitung 41, no . 23 (1985), S . 34 . 232 Vgl . „Mal diese, mal jene an der Spitze“, in: Deutsche Universitätszeitung 40, no . 19 (1984): 15–20; die HIS (= Hochschul-Informations-System GmbH) wurde 1969 als Dienstleister für Hochschulmanagement gegründet . 233 Deutsche Universitätszeitung 40, no . 19 (1984): 15–20, S . 19 . Tatsächlich rangiert Bremen lediglich in einer der sechs Ranglisten vor Köln und ist dort als 29 . nur vier Ränge vor Köln platziert . Von einem Überrunden (eine ohnehin unpassende Formulierung im Zusammenhang mit Rankings) kann folglich kaum gesprochen werden . 234 Deutsche Universitätszeitung 40, no . 19 (1984): 15–20, S . 18 . 235 So widmete sie 1987 ein ganzes Heft dem Thema Ranking; vgl . Deutsche Universitätszeitung 43, no . 12 (1987) . 236 Vgl . Freiheit der Wissenschaft 10, no . 7 (1983); 11, no . 6 (1984); 12, no . 5 (1985); 13, no . 9 (1986) . Zum „Bund Freiheit der Wissenschaft“ vgl . Wehrs (2014) .

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

schaft, das aus Sicht des BFW zu zögerlich agierte, wurden in scharfen Worten kritisiert . Nun seien „in und zwischen den Hochschulen der Worte genug gewechselt“, hieß es etwa in einer Pressemitteilung der Professorenvereinigung aus dem Jahr 1985, und die Zeit für praktische Arbeiten an einer „Art ‚Bundesliga der Hochschulen‘“ angebrochen .237 Hochschulranglisten, die bereits als Verschlusssache in den Büros der großen Forschungsförderungsorganisationen und Wirtschaftsunternehmen lägen, sollten publik gemacht werden und Studieninteressierten als Grundlage bei der Auswahl ihrer Hochschule dienen .238 Zwei Jahre später lud der BFW den amerikanischen Sozialpsychologen Norman Bradburn zu einer Tagung nach Deutschland ein . Da bekannt war, dass Bradburn den Hochschulrankings eine „positive Rolle bei der Erhaltung und Verbesserung der Qualität der amerikanischen Universitäten“ zugesprochen hatte, konnte angenommen werden, dass in ihm ein bedeutender Fürsprecher des Tagungsmottos „weniger beschränken – mehr ranken“ gefunden worden war .239 Diesen Gefallen tat Bradburn den versammelten BFW-Mitgliedern jedoch nicht . Vielmehr sprach er zur Überraschung seiner Gastgeber die Warnung aus, dass Rankings wie „das Öffnen der Büchse der Pandora“ nicht intendierte und irreversible Folgen zeitigen könnten .240 Zwar hätten Hochschulrankings in den USA durchaus zur Belebung des interuniversitären Wettbewerbs beigetragen, so Bradburn, doch stelle sich dort angesichts der jüngsten Entwicklungen, zu denen er „Kaperversuche“ finanzstarker Universitäten sowie eine die institutionelle Vielfalt gefährdende Orientierung sämtlicher Hochschulen an den Spitzenreitern zählte, bereits die Frage, ob sie ihn nicht überhitzten . „Wenn man daran denkt, Rankings in das deutsche Hochschulsystem einzuführen“, resümierte Bradburn, „muß man ernsthaft überlegen, ob es gut ist oder nicht, den Wettbewerb zwischen den Programmen einer Universität oder zwischen den Universitäten zu steigern“ .241 Er gab zu bedenken, dass sich das bundesrepublikanische Hochschulsystem nur bedingt für die Durchführung von Rankings eigne, da Evaluationen im Unterschied zum angloamerikanischen Raum nur auf eine äußerst geringe Akzeptanz unter den Wissenschaftlern stießen und die relative Gleichwertigkeit bundesdeutscher Hochschulen die Ermittlung von Qualitätsunterschieden erschwere und zudem weniger sinnvoll erscheinen lasse . Die Ausführungen Bradburns übten einen gehörigen Einfluss auf die BFW-Mitglieder aus und stärkten die Skeptiker in den eigenen Reihen, die wie der parteilose bayerische Kultusminister Hans Maier das Problem zur Sprache brachten, dass ein geeignetes „Preisgericht“, das als neutraler Schiedsrichter einer Prestigekonkurrenz fungieren könne, kaum zu finden sei .242

237 238 239 240 241 242

Pressemitteilung des Bundes Freiheit der Wissenschaft vom 17 .9 .1985, BArch B 138/56847 . Vgl . Freiheit der Wissenschaft 11, no . 6 (1984), S . 3 . Bradburn (1987), S . 7; Kloepfer (1987), S . 14 . Bradburn (1987), S . 11 . Bradburn (1987), S . 11 . Maier (1986), S . 9 .

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Ein von allen Akteuren akzeptierter „Dritter“ des interuniversitären Wettbewerbs war nicht in Sicht . Im Sommer 1988 stellte Karl Alewell, Vizepräsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, befriedigt fest, „daß die publizistische Neugier auf immer neue sensationelle Rangreihen“ nachgelassen habe und somit die Zeit für eine nüchterne Diskussion über Anwendbarkeit, Nutzen und Gefahren von Hochschulrankings angebrochen sei .243 Der jahrelange Streit mit dem Wissenschaftsrat und dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft schien zugunsten der WRK entschieden, nachdem Jürgen W . Möllemann bekräftigt hatte, dass das von ihm geleitete Ministerium entgegen weitverbreiteter Behauptungen (und eigener, nur wenige Monate zuvor getätigter und nun verleugneter Äußerungen) die Erstellung einer „‚Bundesligatabelle‘ der Hochschulen“ nicht beabsichtige .244 Sogar in den Veröffentlichungen der Rankingexperten, die die Bildungspolitiker zunächst zu einer schärferen Gangart gegenüber den Hochschulen gedrängt hatten, wuchs das Verständnis für die skeptische Haltung der WRK und nahmen Passagen über die mit Rankings verbundenen Gefahren einen breiteren Raum ein . Auf einem 1988 abgehaltenen Symposium der WRK konnte in Folge dessen ein Konsens zwischen Rektoren, Professoren und Ministeriumsvertretern erreicht werden . Es wurde vereinbart, dass die von politischer Seite geforderte Transparenz mittels eines Hochschulberichtssystems hergestellt, Überlegungen bezüglich der Erstellung von Hochschulrankings hingegen aufgrund der als ungünstig eingestuften Spezifika des bundesdeutschen Bildungssystems nicht weiter verfolgt werden sollten . Dem Hochschulberichtssystem wurde die Aufgabe zugewiesen, in halbjährigem Abstand „Veröffentlichungen über den Leistungsstand unserer 250 Hochschulen“ herauszugeben, die den Studenten als Orientierungshilfe bei der Wahl der Hochschule dienen und Transparenz „als Wettbewerbskriterium gegenüber den Studenten, dem Beschäftigungssystem als Abnehmer, und der allgemeinen Öffentlichkeit“ herstellen sollten .245 Als einziger aktiver Teilnehmer des Symposiums hielt der Soziologe Friedhelm Neidhardt unbeirrt an Hochschulrankings fest .246 Friedhelm Neidhardt war es denn auch, der Alewells Feststellung ad absurdum führte, indem er in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Emnid eine Studentenumfrage durchführte, die im Dezember 1989 von ihrem Auftraggeber, dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, in Form von kommentierten Rankingtabellen veröffentlicht wurde und auf großes Interesse bei der Leserschaft stieß . Als „geradezu sensationell“ bezeichnete Neidhardt die Ergebnisse, und überraschend war das Resultat

Alewell (1989), S . 12 . Möllemann (1989b), S . 15; vgl . Freiheit der Wissenschaft 14, no . 8 (1987), S . 5 . Möllemann (1989c), S . 144 . Vgl . Neidhardt (1989b) . Er gestand jedoch ein, dass Rankings dazu führen könnten, „daß Hochschulen ihre Berichterstattung nach Reklamegesichtspunkten selektiv und unzuverlässig betreiben“; Neidhardt (1989b), S . 113 . 243 244 245 246

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

zweifelsohne: Auf dem ersten Rang landete die kleine Universität-Gesamthochschule Siegen, gefolgt von weiteren Hochschulgründungen der 1960er und 1970er Jahre, während die großen Traditionsuniversitäten fast durchweg schlecht abschnitten . Neidhardt erklärte sich das Resultat der Umfrage aus dem „enormen Bewährungs- und Konkurrenzdruck“, dem die neugegründeten Hochschulen in den ersten Jahren ihres Bestehens ausgesetzt gewesen seien . Die Angst, bei einem möglichen Frequenzrückgang mit einer Schließung der Universität rechnen zu müssen, habe dazu geführt, dass sich „vielerorts amerikanische Verhältnisse“ entwickelt, sprich Professoren intensiv um die Gunst der Studenten geworben hätten .247 Ferner seien die jungen Hochschulen von der Politik stets bevorzugt worden und setzten ihre Prioritäten in der Lehre, während sich die Spitzenforschung auf den Großuniversitäten negativ auf den Vorlesungsbetrieb auswirke .248 Letztlich sei es daher nachvollziehbar, dass die Studenten (pro Universität wurden jeweils zwölf Studierende in den 15 untersuchten Fächern befragt) „das gängige Image“ der Hochschulen „auf den Kopf gestellt“ hatten .249 Wenngleich das Spiegel-Ranking keineswegs die erste deutsche Hochschulrangliste darstellte, kann seine Bedeutung dennoch kaum überschätzt werden, da erstmalig eine breite Öffentlichkeit mit Hochschulranglisten vertraut gemacht wurde und durch eine große Nachfrage ihr Interesse an Vergleichstabellen bekundete .250 Das Erscheinen weiterer Hochschulrankings war damit nur mehr eine Frage der Zeit und der Versuch der WRK, mit der Etablierung eines Berichtssystems ein Ende der Hochschulrankings herbeizuführen, mithin gescheitert .251 Die WRK wurde von der Veröffentlichung des Rankings überrascht und reagierte äußerst gereizt, zumal Der Spiegel sie offen attackierte und ihr Angst vor einem offenen Leistungsvergleich vorwarf .252 Von Hochschullehrern, Rankingexperten und insbesondere unter Neidhardts Kollegen aus der Soziologie wurde die Studie nicht ernst genommen, blieb sie doch weit hinter dem damals erreichten Stand der Evaluationsforschung zurück und wies zahlreiche, zum Teil gravierende methodische Mängel auf .253 Insbesondere für konservative Kritiker wie den Soziologen und Mitbegründer des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“ Erwin K . Scheuch stand zudem außer Zweifel, dass Neidhardt und die Spiegel-Redakteure, in„Welche Uni ist die beste?“, in: Der Spiegel 43, no . 50 (1989): 70–87, S . 79 . Vgl . „Welche Uni ist die beste?“, in: Der Spiegel 43, no . 50 (1989): 70–87, S . 83 . „Welche Uni ist die beste?“, in: Der Spiegel 43, no . 50 (1989): 70–87, S . 78 . Bei den Studienfächern handelte es sich um Biologie, Politik- und Sozialwissenschaften, Geschichte, Wirtschaftswissenschaften, Mathematik, Humanmedizin, Psychologie, Germanistik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik, Elektrotechnik, Erziehungswissenschaften, Jura, Physik, Chemie und Informatik . 250 Vgl . Borgwardt (2011), S . 27 . Das Interesse ließ auch in den Folgejahren nicht nach, wie die zahlreichen Anschreiben an das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft belegen; vgl . BArch B 138/71691 . 251 Das von Karl Alewell angeregte Berichtssystem wurde von Senat und Ständiger Kommission für Planungs-, Kapazitäts- und Organisationsfragen der WRK mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Datenerhebung zu aufwendig sei; vgl . Hochschulrektorenkonferenz (1991), S . 3 . 252 Vgl . „Welche Uni ist die beste?“, in: Der Spiegel 43, no . 50 (1989): 70–87, S . 76 . 253 Vgl . u . a .: Lamnek (1990), Seidel (1990), Nr . 1/2, S . 8; Schmitz (1990); Berens/Pott (1990) . 247 248 249

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dem sie „rote“ Universitäten zu den Siegern kürten, lediglich der „eigenen politischen Überzeugung“ gefolgt waren und eine objektive Qualitätsermittlung nicht beabsichtigt hatten .254 Ein neutraler Schiedsrichter im Wettstreit der deutschen Hochschulen konnte der tendenziell linksliberale Spiegel aus Sicht konservativer Wissenschaftler folglich nicht sein . Freilich erschöpften sich die Reaktionen aus Universitätskreisen nicht in Ablehnungen . Von Angehörigen der „Gewinner-Hochschulen“, wie dem ehemaligen Siegener Rektor Gerhard Rimbach sowie dem Oldenburger Universitätspräsidenten Michael Daxner wurde Neidhardt Anerkennung gezollt .255 Der unverhoffte Prestigegewinn machte es dort freilich auch einfacher, die gravierenden Mängel des Spiegel-Rankings auszublenden . Obwohl seit Mitte der 1970er Jahre Ranglisten bundesdeutscher Hochschulen veröffentlicht wurden, lösten diese zunächst keine Wettbewerbsmechanismen aus, da mit ihnen keinen spürbaren Konsequenzen für die Hochschulen verbunden waren . Weder griff der Staat belohnend oder sanktionierend ein, noch veränderte sich das Nachfrageverhalten der Studienanfänger, die entweder nicht zu den Adressaten der Rankings gehörten, oder dieselben weitgehend ignorierten, ihre Hochschule hauptsächlich nach Freizeitaspekten und Wohnortnähe auswählten oder ihren Studienplatz durch die ZVS zugewiesen bekamen . Auf der anderen Seite fehlte es den Hochschulen an Handlungsspielräumen und -fähigkeit, um auf die Rankings durch eine Umstrukturierung interner Mittelverteilungen oder Veränderungen an den Studienordnungen reagieren zu können . Eine langsame Veränderung trat erst nach 1989 ein, nachdem mit dem Spiegel erstmals ein auflagenstarkes deutsches Magazin ein Hochschulranking publiziert hatte und die großen Printmedien als neue „Dritte“ im Prestigewettbewerb der Universitäten in Erscheinung traten . Nun wurden auch breitere Bevölkerungsschichten auf Rankings aufmerksam . Zudem wurde 1989 der Einfluss der ZVS gesetzlich eingeschränkt .256 In den 1990er Jahren wurde der (im Zuge der Wiedervereinigung) in Hochschulrektorenkonferenz umbenannten WRK vonseiten der Hochschullehrer eine Mitschuld an Rankings in Zeitschriften wie Der Spiegel, Focus und Stern gegeben, da sie die Entwicklungen ignoriert und keine eigenen Anstrengungen unternommen habe .257 Auch die nunmehrige HRK selbst sah Handlungsbedarf und gründete 1994 in Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das als neutraler und kompetenter Schiedsrichter Hochschulrankings in Eigenregie durchführen sollte .

Scheuch (1990), S . 76 . Vgl .: „‚Die Studenten sind Experten .‘ Die Soziologen Friedhelm Neidhardt und Erwin K . Scheuch über Uni-Ranglisten“, in: Der Spiegel 44, no . 5 (1990): 72–80 . 256 Vgl . Kapitel VI .1 . 257 Die WRK müsse „endlich selbst Kriterien […] entwickeln, nach denen Ranglisten, die den Namen verdienen, entstehen können . Oder müssen wir erst noch weitere Ranglisten im STERN, in BUNTE und NEUE REVUE über uns ergehen lassen, bis die WRK oder die DFG reagieren?“ fragte beispielsweise der Historiker Gerhard Gizler; siehe „Stimmen zur Spiegel-Rangliste der westdeutschen Hochschulen“, in: Freiheit der Wissenschaft 17, no . 1 (1990), S . 11 . 254 255

Hochschulrankings und Konkurrenz um Prestige

Die jährlich veröffentlichten CHE-Rankings konnten trotz ihrer vergleichsweise hohen methodischen Qualität das Erscheinen immer neuer nationaler und internationaler Rankings in Zeitungen und Zeitschriften nicht verhindern, da die gravierenden Mängel, die insbesondere globalen Hochschulrankings wie dem Times Higher Education Supplement oder dem Shanghai Jiatong University Ranking anhaften, zwar von Soziologen und Wirtschaftswissenschaftlern wiederholt nachgewiesen werden konnten, Studieninteressierte aber nicht davon abhielten, sich dennoch nach ihnen zu richten . Sie als den „Unfug“ zu betrachten, der sie seien, und daher nicht ernst zu nehmen, wie der ehemalige WRK-Präsident George Turner den Universitäten empfahl, war und ist deshalb für die Hochschulleitungen schwierig bis unmöglich, da sie das Verhalten der Nachfragenden nicht ignorieren können, wenn (insbesondere ausländische, aufgrund ihrer Unkenntnis der deutschen Hochschullandschaft auf Rankings zurückgreifende) Studenten und Professoren angesprochen werden sollen .258 Zudem ist sogar das von der Rektorenkonferenz selbst angeregte CHE-Ranking nicht unumstritten, da allgemein anerkannte Qualitätsindikatoren nicht gefunden werden konnten (und können) und die finanzielle Beteiligung des börsennotierten Bertelsmann-Konzerns aus Sicht der Kritiker gegen die Neutralität des CHE spricht .259 Trotz der herausragenden Bedeutung, die Rankings im Wettbewerbsdiskurs spielen, wertet die soziologische Forschung ihre Auswirkungen auf die interuniversitäre Konkurrenz als eher gering, obwohl sie zumindest in Deutschland in enger Verbindung zur Drittmittelakquise stehen, die sich zum wichtigsten Qualitätsindikator entwickeln sollte .260 Bemerkenswerterweise bestimmen die meisten Kritikpunkte der ersten Stunde bis heute den Ranking-Diskurs . So stellte sich Christian Flämig bereits 1977 die Frage nach dem neutralen „Schiedsrichter“ des Platzierungswettbewerbs und bekundete, dass es seiner Ansicht nach keine „objektive Autorität“ geben könne, die als ein solcher fungieren könne .261 Ferner wurden der hohe Verwaltungsaufwand bei der Datenerfassung, dessen Kosten in keinem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen stünden, und der Verlust intrinsischer Motivation zugunsten extrinsischer, in der Regel monetärer Anreize für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hervorgehoben . Zudem wurden eine Orientierung der Hochschulen und ihres Personals an den den Rankings zugrunde liegenden Indikatoren einerseits, die mittels einer „Salamitaktik“ und Mehrfachpublikationen zur Steigerung der Publikationen und Zitate führen könne, und an der studentischen und gesamtgesellschaftlichen Nachfrage andererseits, die Forschung und Lehre der Mode und außerwissenschaftlichen Interessen zu unterTurner (2013), S . 50 . Mittlerweile gibt es bereits Rankings von Rankings . So wurde das CHE-Ranking 2010 als bestes europäisches Hochschulranking (in Bezug auf die Umsetzung der sog . „Berliner Prinzipien“) ausgezeichnet . Freilich sind auch solche Ranking-Rankings nicht unumstritten und werden wohl eines Tages selbst gerankt werden; vgl . Hendel/Horn/Stolz (2010) . 260 Vgl . Bogumil u . a . (2013), S . 116 . 261 Flämig (1977), S . 331 . 258 259

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Mehr Wettbewerb wagen?

werfen drohe und eine Absenkung der Qualitätsstandards zur Folge haben könne, als Kritikpunkte genannt . Überdies wurden die medienwirksame Veröffentlichung unausgegorener Forschungsergebnisse, die Zunahme von Betrugsfällen, ein Verlust an institutioneller Vielfalt, sofern sich alle Hochschulen an den Bestplatzierten ausrichteten, sowie eine Verengung des Leistungsbegriffs auf seine ökonomische Komponente als negative Begleiterscheinungen der Hochschulrankings bezeichnet .262 Trotz der bis heute nicht nachlassenden Kritik begannen sich die Universitätsrankings ab den 1990er Jahren auch in der Bundesrepublik durchzusetzen . Da zunehmend weltweite Universitätsrankings ins Blickfeld gerieten, in denen sich die deutschen Universitäten gegenüber europäischen, amerikanischen und asiatischen Hochschulen zu behaupten hatten, kann von einer Globalisierung der Prestigekonkurrenz gesprochen werden . Damit einhergehend übernahmen zunehmend Akteure aus dem angloamerikanischen Raum und China die Rolle der „Dritten“ und damit Schiedsrichter im Platzierungswettbewerb . Dadurch verringerten sich für die deutschen Konkurrenzteilnehmer die Möglichkeiten, auf die Spielregeln des Wettbewerbs und die Entscheidungsfindung Einfluss zu nehmen .

Vgl . für die zeitgleiche Diskussion in den USA Dolan (1976) und zum Thema Drittmittelwettbewerb Winterhager (2015) . 262

VII.

Resümee

Die neuere deutsche Universitätsgeschichte ist von interinstitutioneller Konkurrenz geprägt . Von der allmählichen Ablösung der nepotistischen Familienuniversität durch die kompetitive Leistungsuniversität im Laufe des 18 . und 19 . Jahrhunderts bis hin zu den neoliberalen Bildungsreformen ab den 1980er Jahren veränderten sich jedoch zu wiederholten Malen die Akteure, die Prämien und das „Regelwerk“ des Wettbewerbs . Die Entstehung des Wettbewerbs unter deutschen Universitäten im 18. Jahrhundert Als Geburtsstunde einer modernen interuniversitären Konkurrenz lässt sich die Gründung der Reformuniversität Göttingen (1737) ausmachen . Ihr erster Universitätskurator Gerlach Adolph von Münchhausen versuchte die neu geschaffenen Lehrstühle mit den renommiertesten Gelehrten seiner Zeit zu besetzen und warb mit großem Erfolg auswärtige Hochschullehrer an, um Studenten anzuziehen, deren Kolleg- und Prüfungsgelder von gehöriger Bedeutung für die Universitätsfinanzen waren . Damit übte er einen Konkurrenzdruck auf die übrigen deutschen Hochschulen aus, der sich durch keinerlei staatliche und universitäre Abschottungsversuche verhindern ließ . Der Wettbewerbsgedanke breitete sich daher auf allen Universitäten des deutschsprachigen Kulturraums aus, wenngleich sich insbesondere an kleineren Selbstversorgeruniversitäten die nepotistischen Strukturen der Familienhochschulen behaupten, respektive im Zuge der mobilitäts- und wettbewerbshemmenden Karlsbader Beschlüsse zu Beginn des 19 . Jahrhunderts erneut durchzusetzen vermochten . Vor allem adelige und ausländische Studenten wurden von den frühneuzeitlichen Universitäten umworben, da erstere höhere Kolleg- und Prüfungsgelder zu bezahlen hatten und letztere zur Prestigemehrung beitrugen . Nur Inländer ließen sich schließlich durch gesetzliche Bestimmungen an die Landeshochschulen binden, weshalb ausländische Studierende als Qualitätsindikatoren angesehen werden konnten . Aufgrund ihrer stark rückläufigen Zahl wurden die Studierenden in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts zu einer besonders knappen und damit wertvollen Prämie, deren Gewinn neben der Verbesse-

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Resümee

rung der ökonomischen Situation sogar über Erhalt oder Auflösung einzelner Hochschulen durch die staatlichen Unterrichtsverwaltungen entscheiden konnte . Im Laufe des 19 . Jahrhunderts entstand allmählich ein gesamtdeutsches Wettbewerbssystem, da sich das „Humboldt’sche Universitätsmodell“ in ganz Deutschland verbreitete und die wettbewerbsfeindlichen Familienuniversitäten sowie die ausschließlich der Lehre gewidmeten und durchbürokratisierten Spezialschulen ebenso verdrängte wie die kosmopolitischen und utilitaristisch-areligiösen Aufklärungsuniversitäten, die den Wettbewerb weit weniger durch konfessionelle und staatliche Grenzen eingehegt hatten als dies für die deutschen Universitäten des 19 . Jahrhunderts kennzeichnend werden sollte . Neue Konkurrenten: Der interuniversitäre Wettbewerb im Kaiserreich Im 1871 gegründeten Kaiserreich traten den Universitäten in Form der ab der Jahrhundertwende promotionsberechtigten Technischen Hochschulen und der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft neue Wettbewerber gegenüber, die mit ihnen um akademischen Nachwuchs, Studenten und staatliche sowie private Gelder konkurrierten . Der Widerstreit zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wurde von Zeitgenossen als Teil der Auseinandersetzung zwischen humanistisch-idealistischem und praktisch-utilitaristischem Bildungsideals interpretiert, in dem sich die Kräfteverhältnisse durch den „Konkurrenzkampf der Völker“ (Werner von Siemens) und vor allem nach dem Kriegsausbruch von 1914 zunehmend zugunsten letzterer verschoben . Die Gründung kommunaler Stiftungsuniversitäten versuchten die Universitätsprofessoren mehrheitlich zu verhindern, um neue Konkurrenz zu vermeiden, wie aus den Protokollen der Hochschullehrerkonferenzen deutlich hervorgeht . Die Professoren stellten in schriftlichen Gutachten und Parlamentsreden den Stiftungscharakter der in Frankfurt am Main, Dresden und Hamburg vorangetriebenen Hochschulgründungen als Bedrohung der verfassungsrechtlich garantierten Lehr- und Forschungsfreiheit dar, doch diente dies vor allem als wohlfeiles Argument gegen kommunale Konkurrenz . Die erstarkende „Nichtordinarienbewegung“ stellte zur selben Zeit die Legitimität der bestehenden Wettbewerbsordnung in Frage, da das „Mandarinentum“ der Professoren aus Sicht der Privatdozenten und Extraordinarien zu Oligopolen und Nepotismus führte . Die Kultusbehörden griffen die Unmutsbekundungen in ihrem eigenen Interesse auf, verstärkten ihre Einflussnahme auf die Lehrstuhlbesetzungen, leiteten eine Angleichung der Studien- und Prüfungsordnungen in die Wege und versuchten den interuniversitären Wettbewerb, beispielsweise durch die ab 1898 regelmäßig abgehaltenen Hochschulkonferenzen, bürokratisch kontrollier- und steuerbarer zu machen . Insbesondere vonseiten der Ordinarien wurde die enge Zusammenarbeit zwischen den Landeskultusministerien als Kartellbildung zur Beschränkung, wenn nicht sogar

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zur Eliminierung interuniversitären Wettbewerbs wahrgenommen, wohingegen die „Nichtordinarienbewegung“ in den Eingriffen des Staates ein Mittel zur Verhinderung unlauteren Wettbewerbs und somit gerade zur Durchsetzung einer legitimen Wettbewerbsordnung erblickte . Unbezwingbare Konkurrenz: Die zentralstaatliche Bildungsplanung im „Dritten Reich“ und der interuniversitäre Wettbewerb Die politischen Machthaber des NS-Staates wollten den interinstitutionellen Wettbewerb als Relikt des „liberalistischen Zeitalters“ zunächst gänzlich beseitigen und durch eine zentralstaatliche Bildungsplanung ersetzen . Nachdem die Steuerungsbemühungen des 1934 gegründeten Reichserziehungsministeriums bereits nach wenigen Semestern als gescheitert betrachtet werden mussten, begann sich jedoch die überkommene, nun freilich durch „rassische“ und weltanschauliche Kriterien überformte Wettbewerbsordnung erneut durchzusetzen . Dies war neben dem Misserfolg der behördlichen Lenkungsversuche nicht zuletzt auf Denkschriften renommierter Forscher und Wissenschaftsorganisatoren wie Max Planck und Friedrich Glum zurückzuführen, die gegenüber der Regierung die Vorteile einer Konkurrenz der Universitäten um Professoren, Studenten und Forschungsgelder herausstrichen und eindrücklich vor einer Durchbürokratisierung der Hochschulen warnten . Während sich das Reichserziehungsministerium bereits um die Mitte der 1930er Jahre wieder am Modell der „Humboldt’schen Universität“ zu orientieren begann, setzte in weiten Teilen der Staats- und Parteiführung erst im Zuge der Kriegswende 1941/42 ein Umdenken ein, als die, zum Teil auf überlegener militärtechnischer Forschung basierenden Kriegserfolge der Westalliierten sichtbar wurden, deren Wissenschaftssysteme zu Recht als konkurrenzbasiert galten . Gleichwohl blieb bis Kriegsende umstritten, ob bei Personalentscheidungen Leistungs-, oder aber politischen und „Blutkriterien“ ein Vorrang einzuräumen sei . In Rosenbergs „Hoher Schule“ und der SS-Forschungs- und Lehranstalt „Das Ahnenerbe“ entstanden den Universitäten zwei mächtige Konkurrenten um staatliche Gelder und wissenschaftliches Personal, die zeitweise sehr offensiv gegen die etablierten Hochschulen vorgingen . Mittels einer engen Zusammenarbeit zwischen den „Führer-Rektoren“ und dem Reichserziehungsministerium konnten die Universitäten einen Bedeutungsverlust zugunsten der neugeschaffenen und dezidiert nationalsozialistisch ausgerichteten Bildungseinrichtungen zwar verhindern, verloren jedoch aufgrund der als vergleichsweise unattraktiv geltenden Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten einen bedeutenden Anteil ihres wissenschaftlichen Nachwuchses an außeruniversitäre Lehr- und Forschungseinrichtungen .

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Die bundesdeutschen Nachkriegsuniversitäten zwischen etatistischem „Humboldt-Modell“ und westlich-liberalen Modellen interinstitutionellen Wettbewerbs Nach dem Erscheinen der ersten internationalen Bildungsvergleichsstatistiken, in denen die Bundesrepublik schlechter abschnitt als vergleichbare westliche Industrienationen, sowie im Zuge der zunehmenden Globalisierung des Wettbewerbs um Spitzenwissenschaftler geriet das überkommene Humboldt’sche Universitätsmodell rund zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Kritik . Zahlreiche amerikanische Gastdozenten und aus den USA zurückkehrende Professoren (unter ihnen der neoliberale Nationalökonom Friedrich August von Hayek) rieten zu Bildungsreformen, die sich am kompetitiven US-Hochschulsystem orientieren sollten . Die staatlichen und privaten Universitäten in den USA galten als Global Players und weitgehend autonome Konkurrenten um Professoren, Studenten und Finanzmittel . Obwohl auch Hans Leussink, der von 1965 bis 1969 als Vorsitzender des Wissenschaftsrates amtierte, von einer Vorbildfunktion der Vereinigten Staaten sprach, blieben sowohl an den Universitäten als auch auf politischer Ebene die Gegner wettbewerbsbasierter Reformen deutlich in der Überzahl . Die Vertreter der jungen, jedoch bereits nach wenigen Jahren höchst einflussreichen volkswirtschaftliche Disziplin der Bildungsökonomie empfahlen vielmehr eine von ihren Kritikern in Retrospektive als „bildungspolitischer Keynesianismus“ bezeichnete staatliche Bildungsplanung, um ein ökonomisch erfolgreiches und zugleich demokratisches Hochschulsystem zu schaffen . Die Etablierung der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen, die Abschaffung der Kolleggelder, die zunehmende Bürokratisierung und Verrechtlichung der Berufungsverfahren, die Verabschiedung von Landeshochschulgesetzen, durch die die Universitätsstatuten weitgehend obsolet wurden, sowie schließlich das Hochschulrahmengesetz von 1976, das die Gesamthochschule als Entwicklungsziel für sämtliche deutschen Universitäten benannte, leiteten statt einer Differenzierung eine Nivellierung der Hochschulen in die Wege und schränkten den interinstitutionellen Wettbewerb bedeutend und nachhaltig ein . Die Errichtung privilegierter Reformuniversitäten, die eigenständig über die Aufnahme von Studieninteressierten entscheiden sollten, wodurch die „besten“ Studierenden zu einer neuen Prämie universitären Wettbewerbs geworden wären, scheiterte letztendlich, da die beiden maßgeblich von Ralf Dahrendorf respektive Helmut Schelsky vorangetriebenen Hochschulprojekte in Konstanz und Bielefeld den staatlichen Egalisierungsbestrebungen zuwiderliefen und folglich nicht im Sinne ihrer Vordenker verwirklicht werden konnten . Mit den 1968 geschaffenen Sonderforschungsbereichen entstand gleichwohl eine neue Prämie im interuniversitären Wettbewerb, der die Deutsche Forschungsgemeinschaft nolens volens zu einer schiedsrichterlichen Entscheidungsinstanz und damit zum „Dritten“ in der Konkurrenz der Universitäten erhob . Zu einem bedeutenden Wettbewerbsinstrument wurden die Sonderforschungs-

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bereiche freilich erst „nach dem Boom“ und einer nach kompetitiven Gesichtspunkten vorgenommenen Verfahrensreform (1977) . Auf dem Weg zu „Entrepreneurial Universities“: Wettbewerbsstrategien der 1980er Jahre Im Zuge der kompetitiven bildungspolitischen „Wende“ von 1982/83 gab das nun CDU-geführte Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft die Losung „Wettbewerb statt Bürokratie“ aus, da die staatliche Bildungsplanung angesichts der andauernden „Überfüllung“ der Hochschulen, hoher Kosten, einer langen Durchschnittsstudiendauer im internationalen Vergleich und den daraus resultierenden Finanzierungsengpässen als gescheitert betrachtete wurde . Die Regierung Kohl förderte die Entwicklung von Evaluationstechniken und Hochschulrankings, um Qualitäten und Mängel der einzelnen Universitäten sichtbar zu machen und einen Reputationswettbewerb zu ermöglichen . Rektoren und Professoren betrachteten die Aussagekraft von Hochschulranglisten als gering und befürchteten darüber hinaus, dass Rankings vor allem Verlierer produzierten, denen finanzielle Einbußen oder eine Verwandlung in reine Lehranstalten drohten . Daher entwickelte sich die Rankingfrage im Laufe der 1980er Jahre zu einem zentralen Streitthema zwischen den Universitäten, der Westdeutschen Rektorenkonferenz und den Gewerkschaften einerseits sowie dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, dem Wissenschaftsrat und der Professorenvereinigung „Bund Freiheit der Wissenschaft“ andererseits . 1988 brachte einen Konsens, da Wissenschaftsrat und Bundesministerium von ihrer Forderung nach Hochschulranglisten abrückten, die aufgrund einer konstatierten relativen Gleichwertigkeit bundesdeutscher Universitäten und dem geringen Handlungsspielraum der Hochschulen als nicht praxistauglich angesehen wurden . Bereits das Folgejahr machte diese Einigung allerdings wertlos, da die Massenmedien in das Geschehen eingriffen und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel ein Hochschulranking publizierte, das trotz gravierender methodischer Mängel von Studieninteressierten und ihren Eltern mit großem Interesse aufgenommen wurde und eine Reihe weiterer Hochschulrankings zur Folge hatte . Neben der Rankingfrage beschäftigte sich das Bundesbildungsministerium mit einer Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, die die konkurrenzhemmenden Bestimmungen beseitigen und die Handlungsspielräume und Rechte der Universitäten erweitern sollte . Das erneuerte Hochschulrahmengesetz von 1985 gab die Gesamthochschule als Entwicklungsziel zugunsten eines kompetitiven Nebeneinanders unterschiedlicher Hochschulformen auf und erleichterte die Drittmittelforschung durch den Wegfall zahlreicher bürokratischer Hemmnisse erheblich, um den Wettbewerb der Universitäten um Finanzmittel zu ermöglichen respektive zu stärken . Eine zweite Novellierung im Jahr 1989 sollte die Befugnisse der Zentralstelle für die Vergabe von

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Studienplätzen einschränken und die Universitäten an der Auswahl der Studienbewerber beteiligen . Aufgrund gegenläufiger Bestimmungen in den Landeshochschulgesetzen und den nach wie vor hohen Studierendenzahlen zeitigte dies jedoch zunächst kaum Auswirkungen auf den interinstitutionellen Wettbewerb . Verglichen mit den neoliberalen Reformen in Großbritannien und den USA nehmen sich die bildungspolitischen Neuerungen in der Bundesrepublik bescheiden aus . Eliteuniversitäten, Studiengebühren und die finanzielle Förderung von Privatuniversitäten durch den Staat stießen in Deutschland bis ins liberal-konservative Lager hinein auf breite Ablehnung . Gleichwohl konnten sich konkurrenzbasierte Ordnungsvorstellungen durch die Enttabuisierung von Begriffen wie Elite und Selektion sowie die enge Verknüpfung von Wettbewerb und Freiheit im Unterschied zu den 1960er Jahren dauerhaft behaupten, so dass bereits vor der Wiedervereinigung die Grundlagen für den im Rahmen von Exzellenzinitiative, Bologna-Reform und New Public Management viel beschriebenen Paradigmenwechsel in der deutschen Bildungspolitik gelegt wurden . Das Konkurrenzprinzip in der deutschen Universitätsgeschichte Der Überblick über mehr als 200 Jahre deutscher Universitätsgeschichte zeigt, dass auch in den Wissenschaften stets um Einfluss und Profit gekämpft wurde . Prämien eines interuniversitären Wettbewerbs waren Objekte, die sich direkt oder mittelbar in Kapital verwandeln ließen und die Position der Hochschulen im Wissenschaftsgefüge stärkten . So gesehen blieben die Grundprämien des interinstitutionellen Wettbewerbs seit der Spätaufklärung dieselben . Bereits die Aufklärungsuniversität Göttingen konkurrierte mit ihren Schwesterinstitutionen um Macht und Geld, während die Gewinnung von herausragenden Professoren, Studierenden und Prestige dafür lediglich Mittel zum Zweck darstellten . Als Instrumente, um die genannten primären Ziele zu erreichen, kann man sie freilich ebenfalls als Prämien der Konkurrenz bezeichnen . In allen untersuchten Epochen waren kompetitive Praktiken zu beobachten, wurde die interinstitutionelle Konkurrenz von Zeitgenossen beschrieben und als Movens für eigenes Handeln oder das anderer benannt . Ohne Berücksichtigung interinstitutioneller Konkurrenz würde der deutschen Universitätsgeschichte daher eine bedeutende Komponente fehlen . Gleichwohl lässt sich die Bedeutung von Konkurrenz für die Entwicklung der Universitäten nicht exakt bestimmen, da, wie bereits Friedrich August von Hayek feststellte, die Leistung des Wettbewerbs „nicht empirisch nachgeprüft werden kann“ .1 Zudem wurde und wird die interuniversitäre Konkurrenz sehr unterschiedlich wahrgenommen . Wiederholt zeigten Umfragen und Äußerungen,

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Hayek (1969), S . 250 .

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dass nicht nur die Intensität der Konkurrenz unterschiedlich bewertet, sondern bereits die Frage, ob überhaupt von einem Wettbewerb unter den Universitäten gesprochen werden kann, uneinheitlich beantwortet wurde . Als monokausale Erklärung für die Entwicklung des deutschen Hochschulsystems kann interuniversitäre Konkurrenz folglich nicht dienen . Dies hieße zudem, den Austausch zwischen den Universitäten auf Geschäftsbeziehungen eines „akademischen Kapitalismus“ zu verkürzen und den Idealismus der dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf eine (Selbst-)Täuschung zurückzuführen . Da das deutsche Bildungswesen von Etatismus und Föderalismus geprägt war (und ist), begegneten sich die Universitäten im Übrigen nicht nur als Konkurrenten, sondern ebenso als „lachende Dritte“ einer Konkurrenz unter den deutschen (Bundes-) Ländern . Überdies konnten die (Landes-)Kultusministerien nur dann als neutrale Schiedsrichter der interuniversitären Konkurrenz auftreten, wenn es sich um einen Interessengegensatz zwischen ihren Landeshochschulen handelte und die Konkurrenztriade nicht um einen weiteren Akteur in Form einer Unterrichtsverwaltung eines zweiten Landes erweitert wurde . Die „Dritten“ des Wettbewerbs unter den deutschen Universitäten waren daher seltener die Kultusministerien als vielmehr ein in der Regel nicht näher definierbares Publikum (wie etwa Studieninteressierte und deren Eltern oder die imaginierte Gelehrtenrepublik), um dessen Gunst die Hochschulen zum Beispiel durch Werbeschriften oder bei repräsentativen Jubiläumsfeierlichkeiten buhlten . Ferner zeigte sich, um erneut von Hayek zu zitieren, dass der Wettbewerb „ein ziemlich widerstandsfähiges Gewächs ist, das in der unerwartetsten Weise wieder auftaucht, wenn man es zu unterdrücken versucht“ .2 Staatlichen Maßnahmen zur Eliminierung des interuniversitären Wettbewerbs war allenfalls ein begrenzter Erfolg beschieden, da sich die Konkurrenz oftmals lediglich auf andere Gebiete verlagerte, um neue Prämien geführt wurde, oder nach gewisser Zeit erneut zum Durchbruch gelangte . Das macht die nicht erst seit der kompetitiven bildungspolitischen „Wende“ artikulierten Ängste verständlich, dass sich ein einmal „entfesselter“ Wettbewerb kaum wieder eindämmen lasse . Allerdings kann keineswegs von einer linearen Zunahme interinstitutioneller Konkurrenz gesprochen werden . Vielmehr wechselten Phasen hohen Konkurrenzdrucks, wie etwa im ausgehenden 18 . Jahrhundert, mit Zeiten von nur schwach ausgeprägtem Wettbewerb, wie etwa in den 1960er Jahren . Je begrenzter die Prämien und je größer die Autonomie und der Handlungsspielraum der Universitäten waren, desto intensiver war der interinstitutionelle Wettbewerb . Ferner ist festzustellen, dass die Universitäten vornehmlich dann in Konkurrenz traten, wenn sie monokratisch, also etwa durch einen starken Universitätskurator, „Führerrektor“ oder Universitätspräsidenten, geführt wurden und somit die Verantwortung in den Händen einer Person lag, zu deren Tätigkeiten primär Managementaufgaben gehörten . Bestimmten hingegen

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Hayek (1969), S . 261 .

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ein Kollegialorgan wie der Senat oder die Fakultät die Geschicke der Universität und damit Personen, die sich vornehmlich der Forschung und Lehre widmeten, war die Konkurrenz unter den Hochschulen vergleichsweise schwach ausgeprägt . Fielen die Interessen der einzelnen Hochschulangehörigen mit jenen ihrer Alma Mater zusammen, so verstärkte sich getreu der „Theorie der Firma“ die interinstitutionelle Konkurrenz ebenfalls . Vor allem um die Wende vom 19 . zum 20 . Jahrhundert nahmen die Zahl und Heterogenität der Konkurrenten, Prämien und umworbenen „Dritten“ beträchtlich zu, so dass von einer deutlichen Komplexitätszunahme gesprochen werden kann . Zudem erweiterte sich das Konkurrenzgefüge in geographischer Hinsicht . Während etwa die preußischen Universitäten um 1800 vor allem innerhalb der Landesgrenzen konkurrierten, entwickelte sich im 19 . Jahrhundert ein gesamtdeutscher Wettbewerbsraum, der sich ab der Mitte des 20 . Jahrhundert über die Grenzen des Nationalstaates ausdehnte und seither zunehmend globalisiert . Dies erklärt die wachsende Bedeutung von Hochschulrankings, die (auch) einer Komplexitätsreduktion dienen sollten, sowie die zunehmende Verrechtlichung des Hochschulwesens, die nicht notwendigerweise der Eindämmung des Wettbewerbs, sondern auch einer Stabilisierung der bestehenden kompetitiven Ordnung dienen und Monopolbildungen verhindern konnte . War die interuniversitäre Konkurrenz noch um 1800 ein wenig beachtetes Nebenprodukt der akademischen Freiheiten und des Leistungsprinzips, wurde das Wettbewerbsprinzip bereits ab den 1830er Jahren als Qualitätsgarant und Alleinstellungsmerkmal des deutschen Hochschulsystems beschrieben . In die Frühzeit des zweiten Kaiserreiches fallen die ersten großen wissenschaftlichen Diskurse über die Vor- und Nachteile interuniversitären Wettbewerbs . Bemerkenswerterweise veränderten sich die Argumente für und wider seither nur marginal . Befürworter sahen in der interuniversitären Konkurrenz ein Instrument zu Motivation und dezentraler, also Freiheiten einräumender Handlungskoordination, aber auch ein Instrument zur Allokationsoptimierung, das knappe Güter bestmöglich verteilt . Kritiker erkannten darin eine Energievergeudung, da die Leistungen der „Verlierer“ bei der Prämienvergabe unberücksichtigt blieben und verloren gingen . Zudem konstatierten sie wiederholt einen Freiheiten beschränkenden Zwang zur Wettbewerbsteilnahme und zweifelten die Neutralität der prämienvergebenden Instanzen an, seien es nun die Ordinarien und Kultusbeamten in der Konkurrenz um Hochschullehrer, Forschungsförderungseinrichtungen in der Konkurrenz um Drittmittel oder die Herausgeber von Hochschulrankings in der Konkurrenz um Prestige . Des Weiteren war bereits in den Tagen des Göttinger Universitätskurators Münchhausen die Annahme verbreitet, dass der interuniversitäre Wettbewerb kurzatmig und materialistisch auf den unmittelbaren pekuniären Erfolg ausgerichtet sei und dazu beitrage, dass die Hochschulen Forschung und Lehre einem wirtschaftlichen Gewinnstreben unterordneten und sich zu „Universitätsfabricken“ entwickelten . Zudem wurde unterstellt, dass der Ungleichheiten nicht nur aufzeigende, sondern auch erst produzierende Wettbewerb die intrinsische Mo-

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tivation der Hochschulangehörigen untergrabe . Er schwäche den Gemeinschaftssinn und verleite die Verlierer, statt zum Ansporn ihrer Kräfte, zur Anwendung „unlauterer“ Wettbewerbsmethoden, um den Anschluss nicht zu verlieren . Die Gewinner des Wettbewerbs hingegen, so eine weitverbreitete Befürchtung, könnten zu stark werden, so dass Monopole eine unausweichliche Folge und das Ende des Wettbewerbs seien . Orson Welles fasste dies 1944 in einer Rezension zu Friedrich August von Hayeks antisozialistischem und wettbewerbsapologetischem Hauptwerk The Road to Serfdom mit den Worten zusammen: „The trouble with competitions is that somebody wins them“ .3

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Zit . nach: Wapshott (2011), S . 202 .

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Danksagung

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die von der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München im Wintersemester 2016/17 angenommen wurde . Die Disputation fand am 1 . Februar 2017 statt . Herzlich bedanken möchte ich bei der Erstbetreuerin meiner Dissertation, Frau Prof . Dr . Margit Szöllösi-Janze, auf deren Vorarbeiten diese Untersuchung fußt und die mich beim Verfassen der Arbeit sehr unterstützt hat . Ein herzlicher Dank gebührt auch Frau Prof . Dr . Kärin Nickelsen, die das Zweitgutachten verfasst hat, sowie Herrn Prof . Dr . Michael Hochgeschwender, der sich freundlicherweise als Drittprüfer zur Verfügung stellte . Zudem möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität und den Mitgliedern des Köln-Münchner Forschungsverbunds „Konkurrenzkulturen . Soziale Praxis, Wahrnehmung und Institutionalisierung von Wettbewerb in historischer Perspektive“ bedanken . Namentlich sei mein Münchner Arbeitskollege Herr Dr . Alexander Mayer erwähnt, dem ich viele wertvolle Anregungen verdanke und dessen Arbeit zu den Universitäten im Wettbewerb. Deutschland von den 1980er Jahren bis zur Exzellenzinitiative ebenfalls in der Pallas-Athene-Reihe des Franz Steiner Verlags erschienen ist . Der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei für die Finanzierung des Projekts „Wettbewerb zwischen Universitäten im 19 . und 20 . Jahrhundert in Deutschland“ und der Publikation dieser Arbeit gedankt . Dem Herausgebergremium der Reihe „Wissenschaftskulturen: Pallas Athene . Geschichte der institutionalisierten Wissenschaft“ gilt mein Dank für die Aufnahme dieser Arbeit . Dem Franz Steiner Verlag und insbesondere Frau Katharina Stüdemann danke ich für die freundliche und reibungslose Begleitung der Veröffentlichung .

Abkürzungsverzeichnis

AAZ ALZ BArch BASF BayHStA BDA BDI BFW BR BRD BWA CDU CSU DAAD DDR DFG DHV Diss . DUZ DVP EDV FDP GHS Habil . HIS HRG HRK H . S . IW IHK

Augsburger Allgemeine Zeitung Allgemeine Literatur-Zeitung Bundesarchiv Badische Anilin- & Soda-Fabrik Aktiengesellschaft Bayerisches Hauptstaatsarchiv Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Berufsverband der Deutschen Industrie Bund Freiheit der Wissenschaft Bayerischer Rundfunk Bundesrepublik Deutschland Bayerisches Wirtschaftsarchiv Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union Deutscher Akademischer Austauschdienst Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutscher Hochschulverband Dissertation Deutsche Universitätszeitung Demokratische Volkspartei Elektronische Datenverarbeitung Freie Demokratische Partei Gesamthochschule Habilitationsschrift Hochschul-Informations-System GmbH Hochschulrahmengesetz Hochschulrektorenkonferenz Hohe Schule der NSDAP Institut der deutschen Wirtschaft Industrie- und Handelskammer

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Abkürzungsverzeichnis

JALZ KMK KWG KWI NATO NPD NSDAP NSDDB NSDStB OECD PD REM SA SD Sdr . SFB SPD SS TH UNESCO VDI WR WRK ZVS

Jenaer Allgemeine Literatur-Zeitung Ständige Kultusministerkonferenz Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiser-Wilhelm-Institut North Atlantic Treaty Organization / Nordatlantikpakt-Organisation Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Organisation for Economic Co-operation and Development / Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Privatdozent(in) Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Sturmabteilung Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Sonderdruck Sonderforschungsbereich Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Technische Hochschule United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization / Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur Verein Deutscher Ingenieure Wissenschaftsrat Westdeutsche Rektorenkonferenz Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen

Quellenverzeichnis

A. Ungedruckte Quellen Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (BayHStA): Hofkommission Würzburg 208 . MA 53320 . MInn 23736, 23931 . MK 19557, 40628 . Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München (BAW): BWA K9/2788 . Bundesarchiv Koblenz (BArch) B 138/56834–56835, 56847, 58220, 71690–71692 . B. Internetquellen (letzter Zugriff: 24.6.2019) Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens vom 21 .1 .1935, in: . Baumgart, Peter: „Universität Würzburg (1402–1420/1582–1814)“ (18 .6 .2013), in: Historisches Lexikon Bayerns,