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German Pages 160 Year 2012
ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 25
ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 25 HERAUSGEGEBEN VON LOTHAR GALL IN VERBINDUNG MIT PETER BLICKLE ELISABETH FEHRENBACH JOHANNES FRIED KLAUS HILDEBRAND KARL HEINRICH KAUFHOLD HORST MÖLLER OTTO GERHARD OEXLE KLAUS TENFELDE
VON DER STÄNDISCHEN ZUR BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT VON LOTHAR GALL 2., aktualisierte Auflage
OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 2012
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2012 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Tel.: 0 89/4 50 51-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Titelbild: Bildungsrunde der Biedermeierzeit; Holzstich von Gubitz um 1840, ullstein bild - Archiv Gerstenberg Umschlagentwurf: Dieter Vollendorf Satz: Schmucker-digital, Feldkirchen b. München Druck und Bindung: Grafik+Druck GmbH, München Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 ISBN 978-3-486-71276-6 eISBN 978-3-486-71414-2
Vorwort
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Vorwort Die „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ soll für die Benutzer – Fachhistoriker, Studenten, Geschichtslehrer, Vertreter benachbarter Disziplinen und interessierte Laien – ein Arbeitsinstrument sein, mit dessen Hilfe sie sich rasch und zuverlässig über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse und der Forschung in den verschiedenen Bereichen der deutschen Geschichte informieren können. Geschichte wird dabei in einem umfassenden Sinne verstanden: Der Geschichte der Gesellschaft, der Wirtschaft, des Staates in seinen inneren und äußeren Verhältnissen wird ebenso ein großes Gewicht beigemessen wie der Geschichte der Religion und der Kirche, der Kultur, der Lebenswelten und der Mentalitäten. Dieses umfassende Verständnis von Geschichte muss immer wieder Prozesse und Tendenzen einbeziehen, die säkularer Natur sind, nationale und einzelstaatliche Grenzen übergreifen. Ihm entspricht eine eher pragmatische Bestimmung des Begriffs „deutsche Geschichte“. Sie orientiert sich sehr bewusst an der jeweiligen zeitgenössischen Auffassung und Definition des Begriffs und sucht ihn von daher zugleich von programmatischen Rückprojektionen zu entlasten, die seine Verwendung in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer wieder begleiteten. Was damit an Unschärfen und Problemen, vor allem hinsichtlich des diachronen Vergleichs, verbunden ist, steht in keinem Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch einer zeitübergreifenden Festlegung ergäben, die stets nur mehr oder weniger willkürlicher Art sein könnte. Das heißt freilich nicht, dass der Begriff „deutsche Geschichte“ unreflektiert gebraucht werden kann. Eine der Aufgaben der einzelnen Bände ist es vielmehr, den Bereich der Darstellung auch geographisch jeweils genau zu bestimmen. Das Gesamtwerk wird am Ende rund hundert Bände umfassen. Sie folgen alle einem gleichen Gliederungsschema und sind mit Blick auf die Konzeption der Reihe und die Bedürfnisse des Benutzers in ihrem Umfang jeweils streng begrenzt. Das zwingt vor allem im darstellenden Teil, der den heutigen Stand unserer Kenntnisse auf knappstem Raum zusammenfasst – ihm schließen sich die Darlegung und Erörterung der Forschungssituation und eine entsprechend gegliederte Aus-
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Vorwort
wahlbibliographie an –, zu starker Konzentration und zur Beschränkung auf die zentralen Vorgänge und Entwicklungen. Besonderes Gewicht ist daneben, unter Betonung des systematischen Zusammenhangs, auf die Abstimmung der einzelnen Bände untereinander, in sachlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die übergreifenden Fragestellungen, gelegt worden. Aus dem Gesamtwerk lassen sich so auch immer einzelne, den jeweiligen Benutzer besonders interessierende Serien zusammenstellen. Ungeachtet dessen aber bildet jeder Band eine in sich abgeschlossene Einheit – unter der persönlichen Verantwortung des Autors und in völliger Eigenständigkeit gegenüber den benachbarten und verwandten Bänden, auch was den Zeitpunkt des Erscheinens angeht. Lothar Gall
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Inhalt
Inhalt Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort des Verfassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.
Enzyklopädischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts: Formprinzipien und Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die dynamischen Kräfte: Aufklärung, wirtschaftlicher Wandel und soziale Bewegung . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bedeutung der Französischen Revolution und der Reformzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesellschaftliche Zielvorstellungen und Utopien . . . 5. Die frühe bürgerliche Gesellschaft: Struktur und Entwicklungstendenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Alte und neue Führungsschichten . . . . . . . . . . . 7. Alte und neue Konfliktlinien . . . . . . . . . . . . . . 8. Die „soziale Frage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die frühe bürgerliche Gesellschaft als eigenständiger Typus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung . . . . . . .
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1. Der Begriff der Moderne und die Konzeption der Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formprinzipien und Gestalt der ständischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Theorie und Begriffsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strukturwandel der Öffentlichkeit und Entwicklung des Vereinswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einfluß und Auswirkungen der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
6. Die Bedeutung der Reformzeit . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Entwicklung einzelner gesellschaftlicher Gruppen a) Der Adel (81) – b) Das Bürgertum (83) – c) Die bäuerliche Bevölkerung (87) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Soziale Frage und sozialer Protest: Die Unterschichten . 9. Die Rolle der Bildungsrevolution im gesellschaftlichen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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0. Allgemeine und übergreifende Darstellungen . . . . 1. Der Begriff der Moderne und die Konzeption der Modernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formprinzipien und Gestalt der ständischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Theorie und Begriffsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strukturwandel der Öffentlichkeit und Entwicklung des Vereinswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einfluß und Auswirkungen der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Bedeutung der Reformzeit . . . . . . . . . . . . 7. Die Entwicklung einzelner gesellschaftlicher Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Soziale Frage und sozialer Protest: Die Unterschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die Rolle der Bildungsrevolution im gesellschaftlichen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Themen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort zur 2. Auflage
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Vorwort zur 2. Auflage In den vergangenen rund zwanzig Jahren seit dem ersten Erscheinen dieses Bandes ist zwar eine Fülle von einzelnen Aspekten des Themas vertiefend und zugleich weiter differenzierend behandelt worden, der Ausgangspunkt und die jeweiligen Grundpositionen haben sich jedoch kaum verändert. Auf der einen Seite stehen Arbeiten, die Bürgertum im 19. Jahrhundert im Wesentlichen, bei aller Differenzierung im Einzelnen, unter einem modernisierungstheoretischen Ansatz betrachten. Bürgertum wird vor allem als Akteur in dem von Max Weber präsentierten Konzept der „Vergesellschaftung“ gesehen. Daher müsse es in erster Linie darum gegehen, Bürgertum „nicht als soziale Formation, sondern als Ensemble habitueller Praxen und Wertsysteme zu erforschen“ [A. SCHULZ, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert. München 2005, 59]. Und auf der anderen Seite solche, die es, konkret sozialgeschichtlich vorgehend, aus dem allmählichen Herauswachsen aus der ursprünglich ständisch gegliederten stadtbürgerlichen Gesellschaft interpretieren und dem damit unmittelbar verbundenen Entstehen einer ganz neuen, übergreifenden sozialen Schicht [vgl. zur Vorgeschichte a. M. MAURER, Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1660–1815). Göttingen 1996]. Beide Ansätze hatten, einander opponierend, aber auch wechselseitig voneinander profitierend, ursprünglich ihren jeweiligen geographischen Ausgangspunkt in Bielefeld beziehungsweise in Frankfurt am Main. An sie knüpften im Weiteren familienbiographische, generationshistorische und geschlechtergeschichtliche Forschungen zur bürgerlichen Familie und Untersuchungen zu bürgerlichen Werten und kulturellen Praktiken an [beispielsweise G. BUDDE, Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Göttingen 2009; M. HETTLING/S.-L. HOFFMANN (Hrsg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2000; R. HABERMAS, Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850). Göttingen 2000.] Eine Synthese zwischen beiden Ansätzen ist bisher kaum versucht worden. Hans-Ulrich Wehler hat im Gegenteil als lange Zeit dirigierendes Haupt der Bielefelder Schule nicht nur, seiner Art entspre-
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Vorwort zur 2. Auflage
chend, die Unvereinbarkeit beider Ansätze jeweils scharf betont, sondern immer wieder herauszuarbeiten versucht, dass der von der Stadtgeschichte ausgehende, angeblich streng empirisch und sozialgeschichtlich vorgehende Ansatz in Wahrheit die eigentlich dynamischen Kräfte, die er als „die neuen Bürgerlichen“ bezeichnete, weitgehend ausklammere, nämlich die kleine Minderheit „kapitalistischer Unternehmer“ und die bildungsbürgerliche Intelligenz der „freien“ Berufe. Das Argument der Vertreter der Frankfurter Schule, dass der hier behauptete angebliche Gegensatz zwischen altem und neuem Bürgertum empirisch gar nicht nachzuweisen sei, im Gegenteil, dieses „neue“ Bürgertum sich im Zuge des Wandels der äußeren Umstände Schritt für Schritt kontinuierlich und gleichsam organisch aus dem „alten“, noch ständisch fundierten „alten“ Bürgertum entwickelt habe, wurde als eine ideologisch begründete Position beiseitegeschoben. Die weitere Forschung ist dem hier angelegten, weit ins grundsätzliche reichenden Gegensatz, bewusst oder unbewusst, insofern aus dem Weg gegangen, indem sie sich, den übergreifenden, prinzipiellen Fragen ausweichend, auf einzelne Komplexe konzentrierte. Ins Zentrum rückte dabei vielfach die Erforschung bestimmter Berufsgruppen im Kontext ihrer fortschreitenden Professionalisierung, wobei jeweils herausgearbeitet wurde, wie und in welchem Ausmaß hier spezielles Fachwissen und daraus resultierendes soziales Prestige den neuen Typus des „Bürgers“ kreierte, dessen Mentalität und politische und soziale Grundhaltung mehr und mehr stilbildend für die neue Form von „Bürgerlichkeit“ wurde [vgl. dazu im Einzelnen die mehr als zwanzig Bände umfassende Biefelder Publikationsreihe mit dem Obertitel „Bürgertum“]. Diese Arbeiten, die im Rahmen eines vergleichend angelegten Professionalisierungsansatzes des Bielefelder Sonderforschungsbereiches erarbeitet und präsentiert wurden, waren sehr verdienstvoll und erweiterten unsere Kenntnisse in Bezug auf einzelne Gruppen erheblich, so in Bezug auf die Ärzte, die Rechtsanwälte, die Journalisten, die Architekten und die Ingenieure als Repräsentanten der „freien“ Berufe, auf die evangelischen Pfarrer, auf Richter und Staatsbeamten im engeren Sinne als Funktionsträger und Mitglieder der „verstaatlichten Intelligenz“, dann auch, sehr viel seltener, auf die Vertreter der Unternehmerbourgeoisie. Dabei wurde jedoch weitgehend außer Acht gelassen oder doch in den Hintergrund gedrängt, dass es sich bei all diesen Berufen als Vertretern des „neuen Bürgertums“ mit Ausnahme der Unternehmer – und gerade hier liegen die Verhältnisse sehr viel komplizierter – um Reprä-
Vorwort zur 2. Auflage
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sentanten des Bildungsbürgertums handelte. Die über weite Strecken im 19. Jahrhundert sowohl zahlenmäßig als auch nach seinem wirtschaftlichen und sozialen, auch politischen Einfluss noch dominierende Schicht der Handels- und Wirtschaftsbürger im weitesten Sinne, die doch lange Zeit hindurch den eigentlichen Kern des Bürgertums auch im 19. Jahrhundert bildete, blieb gleichsam außen vor. Im Weiteren freilich wurde dann mehr und mehr, teils offen, teils verdeckt, eine Art Klammer zwischen beiden Gruppierungen herausgearbeitet und betont: die „Bürgerlichkeit“. Darunter verstand man, hier nun wieder im Wesentlichen geistesgeschichtlich argumentierend, eine bestimmte Welt- und Lebensauffassung, eine Art, sich sozial und damit dann auch politisch zu verhalten bis hin zu der Form des miteinander Kommunizierens, kurz, sich als Angehöriger einer übergreifenden sozialen Schicht zu begreifen, die eines Tages, so zumindest ein Teil ihrer Wortführer, die Gesellschaft als ganze umfassen werde. Ein erheblicher Teil der Vertreter des Konzepts der „Bürgerlichkeit“ deutete die Tatsache, dass die Idee der „Bürgerlichkeit“ das eigentlich wesensbestimmende Merkmal aller Kreise der Bürgertums wurde, die Klammer, die sie alle verband, als Sieg des „modernen“, sprich des dynamischen Bildungsbürgertums. Blickt man freilich zurück auf die eigentliche Zeit des schrittweisen Übergangs von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, das ausgehende 18. und das beginnende 19. Jahrhundert, die im Zentrum dieses Buches steht, so wird man m. E. nach wie vor sagen müssen, dass dieser Übergang eben nicht, wie von den „Bielefeldern“ lange Zeit behauptet, durch dynamische, zunächst zahlenmäßig kleine Kräfte von außen vorangetrieben wurde, sondern kontinuierlich, gleichsam organisch aus der allgemein von einem Umbruch erfassten Gesellschaft der Zeit, auch und gerade des städtischen Bürgertums, erwuchs [vgl. D. HEIN/A. SCHULZ (Hrsg.), Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt. München 1996; s. a. U. DÖCKER, Die Ordnung der bürgerlichen Welt. Verhaltensideale und soziale Praktiken im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1994; H. STEKL (Hrsg.), Bürgerliche Familien. Lebenswege im 19. und 20. Jahrhundert. Wien 2000]. Wie in Frankreich und im ganzen übrigen westlichen Europa wurde auch in Deutschland das gesamte, zunächst ständisch bestimmte und geprägte städtische Handelsund Wirtschaftsbürgertum aus der bisher vorherrschenden Ordnung herausgerissen und zu selbstbestimmten Handeln nicht nur im Bereich seiner unmittelbaren Interessen, sondern auch im Hinblick auf den ganz neu zu bestimmenden Handlungsrahmen veranlasst. Dadurch entstand aus seiner Mitte eine ganz neue, alle in ihr vereinigten Kräfte ergrei-
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Vorwort zur 2. Auflage
fende Bewegung, eben das, was schon die Zeitgenossen eine neue, die bürgerliche Bewegung nannten, die schrittweise, zunächst in den Städten, an die Stelle der ständischen die bürgerliche Gesellschaft treten ließ. Diese bürgerliche Bewegung vermochte sich zwar wirtschaftlich und, vor allem in den Städten, auch sozial zunehmend durchzusetzen [vgl. M. HETTLING, Politische Bürgerlichkeit. Der Bürger zwischen Individualität und Vergesellschaftung in Deutschland und der Schweiz von 1860 bis 1918. Göttingen 1999, und M. SCHÄFER, Geschichte des Bürgertums. Eine Einführung. Köln/Weimar/Wien 2009], scheiterte jedoch mit ihrem politischen Machtanspruch auf der Ebene des von Bismarck beherrschten Preußen und dann auch im von ihm und den mit ihm verbundenen Kräften begründeten Reich. Diese im Wesentlichen auf der fortdauernden, von der preußischen und der Reichsregierung sehr gezielt und bewusst geförderten Stärke der Mächte der alten Ordnung beruhende Niederlage der bürgerlichen Kräfte, die auch von den „Bielefeldern“ nicht bestritten wurde, wurde gleichzeitig von ihnen mit großem Nachdruck auf das Defizit an „Bürgerlichkeit“ in der deutschen Gesellschaft zurückgeführt, ein Defizit, das auch und gerade im zahlenmäßig und an wirtschaftlichem und sozialen Einfluss enorm angewachsenen deutschen Bürgertum bestanden habe. Hier wurde der Begriff des Bürgers endgültig von seinem realgeschichtlichen, empirisch und sozialhistorisch beschreibbaren Fundament gelöst und zu einer idealtypischen Kategorie erhoben, die es erlaubte, als „wahren Bürger“ den zu bezeichnen, der in seinem ganzen Verhalten dem – mit inneren Selbstverständlichkeit subjektiv definierten – Ideal der Bürgerlichkeit entsprach. Damit aber war nach meiner Auffassung das Feld des empirisch Nachweisbaren und konkret Analysierbaren endgültig verlassen und an dessen Stelle ein idealtypisches Modell des „wahren Bürgers“ gesetzt, dem keine historische Wirklichkeit entsprach. Frankfurt am Main, im Dezember 2011
Lothar Gall
Vorwort des Verfassers
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Vorwort des Verfassers Im Rahmen der „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ ist dies ein Epochen wie auch Themen übergreifender Band. Dem entsprechend wird in ihm manches aus der Perspektive des gesamtgesellschaftlichen Strukturwandels und der sich von daher ergebenden besonderen Fragen aufgegriffen und erörtert – oft sehr verkürzt und komprimiert –, was auch Gegenstand anderer Bände ist oder sein wird. Solche Überschneidungen waren unvermeidlich, sollte der Gegenstand nicht über Gebühr skelettiert und auf die Abstraktionen einer reinen Strukturanalyse reduziert werden. Zugleich steht dieser Band in engstem Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt zum Thema „Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert“, das mit Mitteln eines Leibniz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit 1988 in Frankfurt vorangetrieben wird. Eine der zentralen Fragen dieses Projektes ist naturgemäß die nach dem Übergang von der traditionalen, der ständischen, zur modernen, zur bürgerlichen Gesellschaft. Diese Frage ist im Rahmen des Projektes unter den verschiedensten Gesichtspunkten und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder erörtert worden. Dabei haben sich für einzelne Bereiche ausgesprochene Spezialisten herausgebildet, denen ich für vielfältige Hilfe und vielfältigen Rat besonders verpflichtet bin. Ich nenne hier insbesondere Dieter Hein, Susanne Kill, Gisela Mettele, Frank Möller, Dirk Reuter, Andreas Schulz und Ralf Zerback. Ihnen wie allen anderen Mitarbeitern des Projektteams habe ich ebenso sehr zu danken wie Thorsten Maentel und Ulrich Speck, die als studentische Hilfskräfte zahllose Titel beschafft, viele Zitate verifiziert und umfangreiche bibliographische Recherchen betrieben haben. Elisabeth Fehrenbach hat als Betreuerin des Bandes im Rahmen der Reihe das Manuskript einer eingehenden Kritik unterzogen und zahlreiche Hinweise gegeben, die mir außerordentlich hilfreich waren. Auch ihr gilt mein herzlicher Dank ebenso wie Adolph Dieckmann, der diesen Band wie alle bisher erschienenen Bände der Reihe mit großer Sorgfalt lektoriert hat. Frankfurt am Main, im Dezember 1992
Lothar Gall
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Vorwort des Verfassers
Themen und Autoren
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Enzyklopädie deutscher Geschichte Themen und Autoren Mittelalter Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter (Werner Rösener) 1992. EdG 13 Adel, Rittertum und Ministerialität im Mittelalter (Werner Hechberger) 2. Aufl. 2010. EdG 72 Die Stadt im Mittelalter (Frank Hirschmann) 2009. EdG 84 Die Armen im Mittelalter (Otto Gerhard Oexle) Frauen- und Geschlechtergeschichte des Mittelalters (N. N.) Die Juden im mittelalterlichen Reich (Michael Toch) 2. Aufl. 2003. EdG 44
Gesellschaft
Wirtschaftlicher Wandel und Wirtschaftspolitik im Mittelalter (Michael Rothmann)
Wirtschaft
Wissen als soziales System im Frühen und Hochmittelalter (Johannes Fried) Die geistige Kultur im späteren Mittelalter (N.N.) Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Werner Paravicini) 3., um einen Nachtrag erw. Auflage 2011. EdG 32
Kultur, Alltag, Mentalitäten
Die mittelalterliche Kirche (Michael Borgolte) 2. Aufl. 2004. EdG 17 Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter (Arnold Angenendt) 2. Aufl. 2004. EdG 68
Religion und Kirche
Die Germanen (Walter Pohl) 2. Aufl. 2004. EdG 57 Das römische Erbe und das Merowingerreich (Reinhold Kaiser) 3., überarb. u. erw. Aufl. 2004. EdG 26 Die Herrschaften der Karolinger 714–911 (Jörg W. Busch) 2011 EdG 88 Die Entstehung des Deutschen Reiches (Joachim Ehlers) 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2010. EdG 31 Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert (Egon Boshof) 3., aktual. und um einen Nachtrag erw. Aufl. 2010. EdG 27 Der Investiturstreit (Wilfried Hartmann) 3., überarb. u. erw. Aufl. 2007. EdG 21 König und Fürsten, Kaiser und Papst nach dem Wormser Konkordat (Bernhard Schimmelpfennig) 2. Aufl. 2010. EdG 37 Deutschland und seine Nachbarn 1200–1500 (Dieter Berg) 1996. EdG 40 Die kirchliche Krise des Spätmittelalters (Heribert Müller) 2012. EdG 90 König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Karl-Friedrich Krieger) 2., durchges. Aufl. 2005. EdG 14 Fürstliche Herrschaft und Territorien im späten Mittelalter (Ernst Schubert) 2. Aufl. 2006. EdG 35
Politik, Staat, Verfassung
Frühe Neuzeit Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500–1800 (Christian Pfister) 2. Aufl. 2007. EdG 28 Migration in der Frühen Neuzeit (Matthias Asche)
Gesellschaft
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Themen und Autoren
Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit (Reinhold Reith) 2011 EdG 89 Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg (André Holenstein) 1996. EdG 38 Bauern 1648–1806 (Werner Troßbach) 1992. EdG 19 Adel in der Frühen Neuzeit (Rudolf Endres) 1993. EdG 18 Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit (Rainer A. Müller) 2. Aufl. 2004. EdG 33 Die Stadt in der Frühen Neuzeit (Heinz Schilling) 2. Aufl. 2004. EdG 24 Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit (Wolfgang von Hippel) 1995. EdG 34 Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300–1800 (Peter Blickle) 2., erw. Aufl. 2010. EdG 1 Frauen- und Geschlechtergeschichte 1500–1800 (N. N.) Die deutschen Juden vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (J. Friedrich Battenberg) 2001. EdG 60 Wirtschaft
Die deutsche Wirtschaft im 16. Jahrhundert (Franz Mathis) 1992. EdG 11 Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800 (Rainer Gömmel) 1998. EdG 46 Landwirtschaft in der Frühen Neuzeit (Walter Achilles) 1991. EdG 10 Gewerbe in der Frühen Neuzeit (Wilfried Reininghaus) 1990. EdG 3 Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit (Michael North) 2000. EdG 59
Kultur, Alltag, Mentalitäten
Renaissance und Humanismus (Ulrich Muhlack) Medien in der Frühen Neuzeit (Andreas Würgler) 2009. EdG 85 Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert (Notker Hammerstein) 2003. EdG 64 Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650–1800 (Anton Schindling) 2. Aufl. 1999. EdG 30 Die Aufklärung (Winfried Müller) 2002. EdG 61 Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit (Bernd Roeck) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2011. EdG 9 Lebenswelt und Kultur der unterständischen Schichten in der Frühen Neuzeit (Robert von Friedeburg) 2002. EdG 62
Religion und Kirche
Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (Olaf Mörke) 2., aktualisierte Aufl. 2011. EdG 74 Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Heinrich Richard Schmidt) 1992. EdG 12 Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Michael Maurer) 1999. EdG 51 Religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit (Hans-Jürgen Goertz) 1993. EdG 20
Politik, Staat, Verfassung
Das Reich in der Frühen Neuzeit (Helmut Neuhaus) 2. Aufl. 2003. EdG 42 Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit (Joachim Bahlcke). 2012. EDG 91 Die Landständische Verfassung (Kersten Krüger) 2003. EdG 67 Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus (Walter Demel) 1993. EdG 23 Militärgeschichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Bernhard R. Kroener)
Themen und Autoren
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Das Reich im Kampf um die Hegemonie in Europa 1521–1648 (Alfred Kohler) 1990. EdG 6 Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648–1806 (Heinz Duchhardt) 1990. EdG 4
Staatensystem, internationale Beziehungen
19. und 20. Jahrhundert Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1800–2000 (Josef Ehmer) 2004. EdG 71 Migrationen im 19. und 20. Jahrhundert (Jochen Oltmer) 2010. EdG 86 Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Frank Uekötter) 2007. EdG 81 Adel im 19. und 20. Jahrhundert (Heinz Reif) 1999. EdG 55 Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert (Andreas Gestrich) 2. Aufl. 2010. EdG 50 Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert (Christoph Bernhardt) Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (Lothar Gall) 2., aktual. Aufl. 2012. EdG 25 Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert (Günter Schulz) 2000. EdG 54 Die Arbeiterschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Gerhard Schildt) 1996. EdG 36 Frauen- und Geschlechtergeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Gisela Mettele) Die Juden in Deutschland 1780–1918 (Shulamit Volkov) 2. Aufl. 2000. EdG 16 Die deutschen Juden 1914–1945 (Moshe Zimmermann) 1997. EdG 43 Pazifismus im 19. und 20. Jahrhundert (Benjamin Ziemann)
Gesellschaft
Wirtschaft Die Industrielle Revolution in Deutschland (Hans-Werner Hahn) 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2011. EdG 49 Die deutsche Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Wilfried Feldenkirchen) 1998. EdG 47 Ländliche Gesellschaft und Agrarwirtschaft im 19. Jahrhundert (Clemens Zimmermann) Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Ulrich Kluge) 2005. EdG 73 Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert (Toni Pierenkemper) 2., um einen Nachtrag erw. Auflage 2007. EdG 29 Handel und Verkehr im 19. Jahrhundert (Karl Heinrich Kaufhold) Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert (Christopher Kopper) 2002. EdG 63 Banken und Versicherungen im 19. und 20. Jahrhundert (Eckhard Wandel) 1998. EdG 45 Technik und Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Christian Kleinschmidt) 2007. EdG 79 Unternehmensgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Werner Plumpe) Staat und Wirtschaft im 19. Jahrhundert (Rudolf Boch) 2004. EdG 70 Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Gerold Ambrosius) 1990. EdG 7
Kultur, Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert (Hans-Christof Kraus) Kultur, Alltag und Mentalitäten 2008. EdG 82
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Themen und Autoren
Kultur, Bildung und Wissenschaft im 20. Jahrhundert (Frank-Lothar Kroll) 2003. EdG 65 Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert (Andreas Schulz) 2005. EdG 75 Lebenswelt und Kultur der unterbürgerlichen Schichten im 19. und 20. Jahrhundert (Wolfgang Kaschuba) 1990. EdG 5 Religion und Kirche
Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (Gerhard Besier) 1998. EdG 48 Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Gerhard Besier) 2000. EdG 56
Politik, Staat, Verfassung
Der Deutsche Bund 1815–1866 (Jürgen Müller) 2006. EdG 78 Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (Elisabeth Fehrenbach) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2007. EdG 22 Politik im deutschen Kaiserreich (Hans-Peter Ullmann) 2., durchges. Aufl. 2005. EdG 52 Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft (Andreas Wirsching) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2008. EdG 58 Nationalsozialistische Herrschaft (Ulrich von Hehl) 2. Aufl. 2001. EdG 39 Die Bundesrepublik Deutschland. Verfassung, Parlament und Parteien (Adolf M. Birke) 2. Aufl. mit Ergänzungen von Udo Wengst 2010. EdG 41 Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (Ralf Pröve) 2006. EdG 77 Militär, Staat und Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Bernhard R. Kroener) 2011. EdG 87 Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989/90 (Axel Schildt) 2007. EdG 80 Die Sozialgeschichte der DDR (Arnd Bauerkämper) 2005. EdG 76 Die Innenpolitik der DDR (Günther Heydemann) 2003. EdG 66
Staatensystem, internationale Beziehungen
Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815–1871 (Anselm Doering-Manteuffel) 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2010. EdG 15 Deutsche Außenpolitik 1871–1918 (Klaus Hildebrand) 2. Aufl. 1994. EdG 2 Die Außenpolitik der Weimarer Republik (Gottfried Niedhart) 2., aktualisierte Aufl. 2006. EdG 53 Die Außenpolitik des Dritten Reiches (Marie-Luise Recker) 1990. EdG 8 Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1990 (Ulrich Lappenküper) 2008. EdG 83 Die Außenpolitik der DDR (Joachim Scholtyseck) 2003. EDG 69 Hervorgehobene Titel sind bereits erschienen. Stand: (Januar 2012)