Von der Nationalerziehung zur Weiterbildung: 150 Jahre Erwachsenenbildung im Spiegel ausgewählter Forschungsfragen 9783412308018, 9783412033804


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Von der Nationalerziehung zur Weiterbildung: 150 Jahre Erwachsenenbildung im Spiegel ausgewählter Forschungsfragen
 9783412308018, 9783412033804

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Joachim Η. Knoll und Klaus Künzel (Herausgeber) Von der Nationalerziehung zur Weiterbildung

Joachim Η . Knoll und Klaus Kiinzel (Herausgeber)

Von der Nationalerziehung zur Weiterbildung 150 Jahre Erwachsenenbildung im Spiegel ausgewählter Forschungsfragen

1980 in Kommission bei

BÖHLAU VERLAG KÖLN WIEN

C I P - K u r z t i t e l a u f n a h m e der D e u t s c h e n Bibliothek

Von der Nationalerziehung zur Weiterbildung: 150 J a h r e E r w a c h s e n e n b i l d u n g im Spiegel ausgew. F o r s c h u n g s f r a g e n / Joachim H . Knoll u. Klaus Künzel (Hrsg.). - Köln, Wien: Böhlau [in Komm.], 1980. ISBN 3 - 4 1 2 - 0 3 3 8 0 - 4 N E : Knoll, J o a c h i m H . [Hrsg.]

G e d r u c k t mit U n t e r s t ü t z u n g der R u h r - U n i v e r s i t ä t B o c h u m

Copyright © 1980 by Verlag H a n s Richarz, Sankt Augustin Alle Rechte vorbehalten O h n e schriftliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es nicht gestattet, das W e r k u n t e r V e r w e n d u n g mechanischer, elektronischer und a n d e r e r Systeme in i r g e n d e i n e r Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere vorb e h a l t e n sind die R e c h t e der Vervielfältigung - auch von Teilen des W e r k e s - auf p h o t o m e c h a n i s c h e m o d e r ähnlichem Wege, der tontechnischen W i e d e r g a b e , d e s Vortrags, der F u n k - und Fernsehsendung, der Speicherung in D a t e n v e r a r b e i t u n g s a n l a g e n , d e r Übersetzung und der literarischen o d e r anderweitigen Bearbeitung. G e s a m t h e r s t e l l u n g : H a n s Richarz Publikations-Service, Sankt Augustin Printed in G e r m a n y ISBN 3 412 0 3 3 8 0 4

INHALT

Joachim Η . Knoll und Klaus Künzel Einleitung 1. Lexikalische Aspekte Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort: Stichwort:

Volksaufklärung oder Volksbildung (1827) Bildung (1835) Erziehung (1846) Deutsche Volksbildungsvereine (1909) Freies Volksbildungswesen (1923) Erwachsenenbildung (1930) Volksbildung (1932) Erwachsenenbildung (1932) Die Volkshochschulbewegung (1933) Volksbildungswesen, Erwachsenenbildung (1934) Erwachsenenbildung (1941) Volksbildung, Volksbildungswerk (1941) Erwachsenenbildung (1962) Erwachsenenbildung (1964) Erwachsenenbildung (1971) Erwachsenenbildung (1972) Erwachsenenbildung (1973)

2. Pädagogisch-systematische Aspekte Ernst Krieck, Philosophie der Erziehung Wilhelm Flitner, Das Problem der Erwachsenenbildung Eduard Spranger, Die Bedeutung der wissenschaftlichen Pädagogik für das Volksleben Peter Petersen, Allgemeine Erziehungswissenschaft Robert Peers, Some Applications of Educational Theory to Adult Education Wilhelm Flitner, Plan einer deutschen Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung Hohenrodter Bund (Hrsg.), Protokoll der 7. Besprechung vom 22.3.1926 Erich Weniger, Zur Geistesgeschichte und Soziologie der pädagogischen Fragestellung Martinus J. Langeveld, Einführung in die theoretische Pädagogik Rudolf Lochner, Phänomene der Erziehung

..

3. Bildungspolitische Aspekte

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Α. Erwachsenenbildung in Gesetzen, Verfassungen etc Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung im Saarland vom 8. April 1970 Erstes Gesetz zur Ordnung und Förderung der Weiterbildung im Lande Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 1974

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B. Erwachsenenbildung in Parteiprogrammen Die Kölner sozialpolitischen Beschlüsse, 1894 Grundzüge der Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, 1867 Deutschnationale Volkspartei, 1920 Sozialdemokratische Partei, 1921 Deutsche Zentrumspartei, 1922 Das Berliner Programm der C D U mit Beschlüssen des Hamburger Parteitages, 1971 Aktionsprogramm Kulturpolitik für die Legislaturperiode 1974—1978 der CSU, 1974 Zweiter Entwurf eines ökonomisch-politischen Orientierungsrahmens für die Jahre 1975-1985 der SPD, 1975 Stuttgarter Leitlinien einer liberalen Bildungspolitik der FDP, 1972

135 135

C. Pläne und Konferenzen a) Nationalerziehung Peter Villaume, Abhandlung über die Frage: Worin bestand bei den Atheniensiern, den Lacedäminiern und den Römern die öffentliche Erziehung? b) Die Reichsschulkonferenz von 1920 Carl Richard Wegener, Volkshochschule und freies Volksbildungswesen c) Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung.... Weiterbildung

142 142 142 148 148 153 153

4. Lernpsychologische Aspekte E.L. Thorndike, Adult Learning Eduard Spranger, Zur Psychologie der Bildsamkeit des Erwachsenen Günter Böhme, Psychologie der Erwachsenenbildung 5.L. Pressey und R.G. Kuhlen, Education Through the Life Span Nancy Bay ley, Learning in Adulthood: The Role of Intelligence Rolf H . Monge, Learning in the Adult Years: Set or Rigidity Carl Eisdorfer, New Dimensions and a Tentative Theory Hans Löwe, Einführung in die Lernpsychologie des Erwachsenenalters

157 163 168 174 178 188 198 205 212

6

136 137 138 138 139 139 140 140

5. Didaktisch-methodische Aspekte Eugen Rosenstock, Grundsätze über eine Bildungsstätte für erwachsene Arbeiter Adademie der Arbeit: Lehrplan des zehnten Lehrgangs Eduard Weitsch, Die Frage der Lehrmittel in der Volkshochschule Wolfgang Pfleiderer, Formen und Methoden der Erwachsenenbildung Robert Peers, The Lecture versus the Tutorial Method Deutscher Volkshochschulverband, Methodik der Erwachsenenbildung im Ausland ,Entrainement Mental' Hans Tietgens und Josef Weinberg, Gesichtspunkte der Lernplanung und Lernorganisation Erdmann Harke u.a. (Hrsg.), Ansatzpunkte für eine effektive Gestaltung und Organisation des Bildungs- und Erziehungsprozesses in der Erwachsenenqualifizierung Oskar Negt, Prinzipien der exemplarischen Reorganisation des Lehrstoffs

219 229 234 237 244 250 252 258

269 276

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Einleitung Es entspricht allgemeinem Brauchtum, wissenschaftliche Veröffentlichungen mit dem Hinweis auf die sie kennzeichnenden Motive, Funktionen und Grenzen einzuführen. Wir sind der Auffassung, daß gerade das in Mode gekommene „Reader"-Schrifttum solcher Klarstellungen bedarf, nicht zuletzt weil es sich durch die zeitsparende, rationelle Art der Herstellung oft stärker an aktuellen Informationsbedürfnissen ausrichtet als an den mittelfristigen Bedarfsprognosen der jeweiligen Forschungsbranche. Erziehungswissenschaft und Weiterbildungsforschung machen hierin keine Ausnahme. Andererseits liegt es nicht im Sinne von Quellentexten und Dokumentensammlungen, zu eng dem wissenschaftsstrategischen Konzept der einschlägigen Grundlagenforschung zu folgen. Hier wird auch das Interesse derer zu berücksichtigen sein, die mangelnde Gelegenheit zur Benutzung des ständig komplexer werdenden Literaturapparates durch gezielte Verwendung repräsentativer Anthologien teilweise zu kompensieren versuchen. Motive dieser Art kennzeichnen nicht nur den engagierten „Laien", sondern dürfen durchaus auch jenen zugeschrieben werden, die sich im Rahmen eines Primär- oder Zusatzstudiums auf eine hauptberufliche Tätigkeit in der Weiterbildung vorbereiten. Daß für diesen Personenkreis trotz wachsender Anstrengungen bislang keine befriedigenden Studienbedingungen geschaffen worden sind, dürfte hier im Hinblick auf die Versorgung mit wissenschaftlicher Einführungs- und Basisliteratur kaum angezweifelt werden können. In der Weiterbildung sind die Veröffentlichungen des Deutschen Volkshochschulverbandes speziell auf die Zielgruppe der haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter von Volkshochschulen gerichtet worden, obgleich der Großteil der Materialien ebenso sinnvoll als Studienhilfe und Leitfäden allgemeiner Art eingesetzt werden können. Für die bislang erschienenen „Reader" zur Weiterbildung - hier darf auch an den von J.H. Knoll betreuten Band „Lebenslanges Lernen" erinnert werden - galt sowohl der Grundsatz bildungspolitischer und forschungskonzeptioneller Aktualität als auch der Gesichtspunkt synoptischer Eindringlichkeit und Ausgewogenheit. Spezifische Fragestellungen konnten, soweit wir sehen, mit Ausnahme personen- und institutionskundlicher Sammlungen, nicht das Interesse von Autoren und Verlegern finden. Wir beanspruchen nicht, mit dem hier vorgelegten Konzept gänzlich neue Wege gegangen zu sein und müssen anerkennen, daß durch die Multifunktionalität dieser Darbietungsform Einschränkungen hinsichtlich seiner systematischen Stringenz, inhaltlichen Vollständigkeit und methodischen Konsequenz in Kauf genommen werden müssen. Wie bei vergleichbaren Zusammenstellungen, ist auch hier der Leser nicht davon befreit, Anregungen, die der Band geben will, zu verfolgen sowie ergänzende Literatur heranzuziehen, die wir aus technischen Gründen vernachlässigen mußten. Jede Anthologie ist dem Vorwurf ausgesetzt, sie habe - subjektiv gesehen - „Wesentliches" ausgelassen und „Unwesentliches" berücksichtigt. Der Ehrgeiz, einen allseitig wohlgefälligen Reader

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zu komponieren, hat uns nicht angeleitet, die stupende Gelehrsamkeit monographischer Arbeiten zur Erwachsenenbildung durch eine handliche Materialsammlung zu ersetzen. Die hier vorgelegte Zusammenstellung wird nur mit Gewinn zu lesen sein, wenn auch weiterführendes Schrifttum hinzugezogen wird. Auch wird der Leser auf Veröffentlichungen eingestimmt, die in absehbarer Zeit intensiver auf die Geschichte der Erwachsenenbildung eingehen werden. Ausgangspunkt und Strukturprinzip gleichermaßen war für uns die Tatsache, daß die Verfügbarkeit neuaufgelegten historischen Quellenmaterials in der Erwachsenenbildung stark von den gerade herrschenden Legitimationsinteressen der erwachsenenpädagogischen Forschung bzw. von der jeweils akuten bildungspolitischen Konstellation abhängig ist. Als für die deutsche Erwachsenenbildung kennzeichnend können dabei drei Motive herausgestellt werden. Zunächst läßt sich die Tendenz beobachten, wie zum Zwecke einer geschichtlichen Herleitung und Profilierung ihres Selbstverständnisses Träger und Institutionen ihre Vergangenheit mit Hilfe programmatischer Texte zu erschließen versuchen. Des weiteren kann festgestellt werden, daß die historische Rückbesinnung gerade auf didaktisch-methodischem Gebiet verbreitet ist, wo „unaufgebbare" bzw. „überzeitlich relevante" Einsichten dem curricularen Entscheidungskontext ein höheres Maß an langfristiger Perspektive vermitteln soll. Schließlich muß an ein drittes Moment geschichtlicher Orientierung erinnert werden, bei dem die aktuellen Entwicklungssorgen und Praxisprobleme der Weiterbildung zeitgeschichtlich dimensioniert und die nach dem Wendepunkt von 1960 eingetretenen Veränderungen programmatischer und bildungspolitischer Natur in Gestalt von Interpretations- und Argumentationspaketen in den Zusammenhang einer speziellen Reformabsicht eingebracht werden. Mit jedem dieser Ansätze teilen wir die Betonung der geschichtlichen Komponente erwachsenenpädagogischer Phänomene. Was den verschiedenen Grad der unmittelbaren Verwendbarkeit historiographischer Aussagen angeht, so spielte dieser Gesichtspunkt für uns nur eine untergeordnete Rolle. Aufschiußreich erschien uns zunächst der Hinweis auf die Kontinuität der Fragen und Lösungsversuche, die sich im Laufe der historischen Entwicklung von Nationalerziehungsplänen über Volksbildung zur Weiterbildungspragmatik abzeichneten. Ihre Vergegenwärtigung in theoretischen Modellen und wissenschaftlichen Klärungsversuchen, aber auch im Spiegel konversationslexikalischer Abhandlungen, stand im Zentrum der von uns umrissenen Problemstellung. Auf einen Nenner gebracht, möchten wir die historische Akzentuierung unseres Quellenbandes wie folgt verstanden wissen: als ein Versuch, konstitutive Fragen der Erwachsenenbildungsforschung, wie begriffsgeschichtlich-lexikalische, bildungspolitische, pädagogisch-systematische, didaktische und lernpsychologische Perspektiven historisch zu dimensionieren, mit ihrer Hilfe nicht nur die Geschichtlichkeit eines sozio-kulturellen Phänomens herauszustellen, sondern gleichzeitig die zeitspezifischen Ansätze wissenschaftlicher Deutungsversuche an ihnen aufzuzeigen. Es lag daher durchaus nicht in unserer Absicht, eine Sammlung der „ergiebigsten" und neuesten Beiträge zu einer Theorie der Weiterbildung abzudrucken, vielmehr ging es uns darum, in 10

fünf ausgewählten - und ergänzungsbedürftigen - Teilbereichen der Erwachsenenbildung auf die historische Struktur ihrer Theorieaspekte hinzuweisen. Wenn die textliche Zusammenstellung darüber hinaus den Zusammenhang zwischen „offiziellem" Aufgabenverständnis der Volks- bzw. Weiterbildung, ihrer Selbsteinschätzung durch maßgebliche Exponenten und der die pädagogische Realität zu erfassen versuchenden erziehungswissenschaftlichen Theorie zu belegen vermag, wäre damit ein weiteres, uns wesentlich erscheinendes Ziel erreicht worden. Ein Wort soll noch den Kriterien gelten, die hier der getroffenen Auswahl zugrundeliegen. Zunächst war prinzipiell davon Abstand zu nehmen, erwachsenenpädagogische „Bestseller" erneut abzudrucken. Dies gilt sowohl für die einzelnen Themenbereiche, von denen der lexikalische, lernpsychologische und pädagogisch-systematische Aspekt bisher nur selten berücksichtigt worden ist, als auch ζ. T. für die Texte selbst, wobei der Eingeweihte hier und da dennoch Bekanntes antreffen dürfte. Das zweite Auswahlkriterium war durch die generelle historische Linie vorgegeben. Soweit der thematische Schwerpunkt es erlaubte, sind Phänomene und Tatbestände des 19. Jahrhunderts mit einbezogen, wobei eine kontinuierliche Geschichtsschreibung freilich weder beabsichtigt noch möglich war. Ohne taktische Bescheidenheit bekennen wir, daß man über das „Exemplarische", auf das es uns ankam, streiten kann, wie selbstverständlich der Leser dieser Dokumentation nicht aus der Pflicht entlassen ist, die historischen Arbeiten zur Erwachsenenbildung gleichsam parallel zu lesen. Der spezielle Ausgangspunkt unserer Überlegungen, die Geschichte der Weiterbildung im Spiegel ihrer wissenschaftlichen Deutungsversuche zu betrachten, war bis zu einem gewissen Grad auch dafür verantwortlich zu machen, daß mitunter ein dritter Gesichtspunkt unsere Aufmerksamkeit beschäftigte: die internationale Perspektive des erwachsenenpädagogischen Problems. Es dürfte wohl unstrittig sein, daß die Internationalität in der deutschen Erwachsenenbildung unterentwickelt ist und daß sich nur wenige Erwachsenenpädagogen mit Themen befassen, die den eigenen Umkreis bundesrepublikanischer Erwachsenenbildung überschreiten, was indes für die Mehrzahl vergleichbarer Länder zutreffen dürfte. Es ist kein Zufall, daß die Entstehung des komparatistischen Zweigs der Erziehungswissenschaft eng mit der historischen Methode verknüpft ist und von ihren „klassischen" Vertretern noch in den fünfziger Jahren als „horizontales" Pendant zum „vertikal-chronologischen" Ansatz der Geschichtswissenschaft aufgefaßt wurde. Gerade die vergleichende Perspektive hat ihren heuristischen Wert für eine erziehungswissenschaftliche Theorienbildung neuerdings verstärken können. Verglichen mit Themenstellungen aus dem schulpädagogischen und bildungsökonomischen Bereich, wo sich der internationale Zugang immer stärker durchsetzt, ist für die Weiterbildung der methodologische Zusammenhang zwischen komparatistischer Datenerhebung und Theoriebildung noch recht unerforscht. Soweit internationale Perspektiven in einschlägigen Publikationen aufgezeigt werden, dienen sie oft dem schlichten Gedankenaustausch, einem „ZurKenntnis-nehmen" ohne Konsequenzen und Konzept. Dennoch bleibt die erste 11

Voraussetzung für eine auch international dimensionierte Wissenschaft von der Erwachsenenbildung ein solch „bescheiden" anmutendes Eingehen auf Vorgänge und Tatbestände des Auslands, deren pädagogische Problemlösungen nicht selten die Diskussion im eigenen Lande befruchten können. Wir denken hier besonders an das Beispiel der Professionalisierung, das in den anglo-amerikanischen Ländern momentan von Motiven der „Deprofessionalisierung" beeinflußt wird, ein Vorgang, der sich auf der Argumentationslinie derer befindet, die hierzulande ihr Votum für eine „gemäßigte" Form der Professionalisierung durch Zusatzstudiengänge abgegeben haben. Internationalen Charakter mußte dieser Quellenband darüber hinaus durch die Einbeziehung des lernpsychologischen Aspekts erhalten, denn bekanntlich ist die amerikanische Forschung wesentlich früher auf lernstrukturelle und altersspezifische Leistungsprobleme des Erwachsenenalters eingegangen als dies in Deutschland der Fall war. Speziell anhand dieses Aspektes läßt sich zeigen, wie eng die erwachsenenpädagogische „Grundlagenforschung" geistigen und politischen Zeitströmungen unterworfen ist und gewisse nationalspezifische Ausformungen erhält, wenn, wie im Deutschland der zwanziger Jahre, das wissenschaftliche Interesse eingebunden ist in die Zucht völkischnationaler Verantwortung und kultureller Reformgeistigkeit. Das von den Vertretern der Neuen Richtung verkörperte volkspädagogische Denken erwies seine prägende Kraft auch hinsichtlich der Verschmelzung von Erwachsenenbildung und systematischer Erziehungswissenschaft, wo der Volks- und Gemeinschaftsbegriff zentrale Bedeutung gewann. Ein Blick auf den englischen Beitrag zu diesem Thema mag auch hier verdeutlichen, wie klar die wissenschaftstheoretischen, didaktischen und methodischen Erträge der deutschen Erwachsenenbildung zwischen 1910 und 1933 auf ein geistiges Notstandsprogramm hinauslief, das überholt erscheinen mußte, wenn die zeitgeschichtlichen Rahmenbedingungen sich verändert hatten. So kann letztlich nicht übersehen werden, daß der politische und kulturelle Krisenzustand nach dem Zusammenbruch von 1918 die Ausbildung einer Wissenschaft von der Erwachsenenbildung als Explikationsrahmen gesellschaftlicher, didaktischer und lernpsychologischer Tatbestände über den unmittelbaren volkspädagogischen Motivationszusammenhang hinaus nicht zugelassen hat. Deren verspäteter Anschluß an den anglo-amerikanischen Entwicklungsstand ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die frühe Einengung des erwachsenenpädagogischen Forschungsfelds auf jene Fragen, die nach heutigem Verständnis mit den Mitteln der Erwachsenenbildung überhaupt nicht zu lösen waren. Daß diese Einsicht nicht bereits in den zwanziger Jahren verbreitet war, scheint u. a. daran gelegen zu haben, daß die politischen, sozialen und sozial-psychologischen Begründungs- und Wirkungsformen erwachsenenpädagogischer Arbeit - mit Ausnahme vielleicht von Leopold von Wieses Ansatz - jenseits der Peripherie wissenschaftlichen Nachdenkens lag und der Erkenntnisrahmen der oft beschworenen „Volksforschung" infolge konzeptioneller und methodologischer Mängel denkbar eng gesteckt war. Wie die Wissenschaft von der Erwachsenenbildung schrittweise den vielen ungestellten und ungelösten Fragen der Erwachsenenbildung nachzugehen und ihr Instrumenta12

rium entsprechend zu präzisieren beginnt, stellt ein Vorgang dar, dem sich dieser Textband verbunden fühlt, auch wenn seine angemessene Würdigung noch viele Korrekturen und Ergänzungen nötig machen wird. Joachim H. Knoll Klaus Künzel

13

1.

LEXIKALISCHE ASPEKTE

In einem ersten Zugang sollen uns wesentlich erscheinende Beiträge aus allgemeinen Lexika (Staatslexikon, Politisches Handwörterbuch, Reallexikon etc.) und aus den pädagogischen Lexika vorgestellt werden. Dabei hat uns ein doppeltes Interesse geleitet. Einmal soll dadurch deutlich werden, wie sich in der geschichtlichen Abfolge die Definitionen, die Inhalte, die Arbeitsweisen und Ausbildungsmodalitäten in der Erwachsenenbildung gewandelt haben, und sodann kann darüber hinaus auf das je für gültig erachtete Bildungsverständnis - über die Erwachsenenbildung hinaus geschlossen werden. Wir folgen hier bedingt dem Prinzip der Geistesgeschichte, wie es Hans-Joachim Schoeps im Anschluß an Dilthey, Groethuysen und Wach entwickelt hat und als dessen wichtigste Kategorie für das methodische und materiale Vorgehen der Begriff „Zeitgeist-Forschung" eingeführt wird. Die Geistesgeschichte im Sinne von Zeitgeistforschung kann sich - wie Schoeps nachgewiesen hat - bis auf Anfänge am Beginn des 19. Jahrhunderts (Brandes) rückbeziehen und hat sich zumal in den letzten Jahren als methodisches Prinzip auch in anderen Disziplinen (ζ. B. Geschichtswissenschaft) durchgesetzt. Wir folgen allerdings Schoeps nur insoweit als die Zeitgeistforschung einen Aspekt geschichtlicher Wirklichkeit deutlicher zu profilieren vermag. Die darüber hinausgehende Absicht, die Geistesgeschichte im Sinne von Zeitgeistforschung als integrative Wissenschaft, als eine verschiedene Disziplinen zusammenfassende Wissenschaft zu verselbständigen, teilen wir nicht, zumal das methodische Vorgehen inzwischen auch von anderen Wissenschaften (ζ. B. Geschichtswissenschaft, Erziehungswissenschaft) übernommen wurde. Der Zeitgeistforschung geht es vor allem darum, jene Dokumente, man könnte sie „Mikrodokumente" nennen, aufzuspüren, die als Emanationen des Zeitgeistes ausgegeben werden können. In diesem Sinn befragt die Zeitgeistforschung weder den „Held in der Geschichte", noch die „Haupt- und Staatsaktionen", sie möchte vielmehr das je typische Gegenwartsbewußtsein aus den gewissermaßen durchschnittlichen, für die jeweilige Bewußtseinslage signifikanten Materialien erschließen. Dilthey, Groethuysen und Wich haben dieser Richtung sowohl theoretisch als zum Teil auch praktisch zu entsprechen versucht. Um ein Beispiel zu geben: Für die Geschichte der Wilhelminischen Ära erscheinen der Zeitgeistforschung Äußerungen der Gymnasiallehrer, der Professoren, der Richter in Autobiographien, in Reden, in Grabpredigten, in Ansprachen an Abiturienten usw. maßgeblicher als etwa die Äußerungen der über ihre Zeit hinausweisenden und damit zugleich auch zeitgeistmäßig „untypischen" Theoretiker. Kommt hinzu, daß ein bestimmter Zeitgeist seine Zeit und Stunde haben muß, um sich durchsetzen zu können. Auch hierzu ein Beispiel, das Schoeps im forscherischen Vollzug selbst gegeben hat: Die Vorläufer Spenglers, Vollgraff und Lasaulx, haben in der Mitte des 19. Jahrhunderts organologisch motivierte Untergangsprophetien formuliert, die denen Spenglers bis in Einzelheiten hinein ähnlich sind. Ihnen an die Seite treten gleichlautende Äußerungen von J. Burckhardt und Donso Cortes. Der Zeitgeist des 19. Jahrhunderts hat den Geschichtspessimismus nicht akzeptiert, erst Spengler hit jene Bereitschaft vorgefunden, sich auf Zivilisationskritik und Kulturpessimismus, auf Untergangsstimmung einzustellen. Schoeps hat - unterstützt etwa von dem vormaligen Chef-Lektor der Brockhaus-Enzyklopädie, Karl Pfannkuch, auch von dem „Altlektor" des Droemer-Verlages, Fritz Bolle - unter jenen Quellen, die der Zeitgeistforschung hilfreich sein können, die Lexika genannt; er deutet sie als die Indikatoren des jeweiligen Kenntnis- und Bewußtseinszustandes, meint also solchermaßen, daß sich aus den Lexika auf den Zeitgeist schließen ließe, daß die Lexika, freilich im Verbund mit anderen Dokumenten, allgemeine Aussagen über die Wirklichkeit, über die Alltäglichkeit des Bewußtseins ermöglichten. In der Tat läßt sich anhand von Lexika belegen, welche Aspekte der Wirklichkeit einer Lexikon-Redaktion belangvoll erscheinen; das beginnt bei den Schlagworten und endet bei dem Umfang, den man den Schlagworten zumißt. Hier wird gewissermaßen auf ein vermutetes Interesse hin geplant. Es muß in diesem Zusammenhang indes eines bedacht werden: In den Reallexika (Brockhaus, Meyer, Herder) sind die Beiträge nicht gekennzeichnet, wenngleich sich im konkreten Einzelfall auch belegen ließe, aus „welcher Ecke" und von welcher 17

Konzeption her der jeweilige Artikel kommt. In den pädagogischen Handbüchern und Lexika wird in der Regel der jeweilige Autor benannt und solchermaßen wohl auch kenntlich gemacht, daß hier eine Einzelansicht zur Sprache kommt. Da wir selbst sowohl an Reallexika wie auch an pädagogischen Handbüchern mitgewirkt haben, wissen wir sehr wohl, daß bei aller angestrebten und vermeintlichen „Objektivität" subjektive Einschätzungen und Pointierungen nicht zu unterdrücken sind. Im übrigen scheinen heutige Lexika stärker auf individuelle, auch prononcierte Darlegungen Wert zu legen. Was könnte nun die lexikalische Uberschau leisten? Sie könnte in unserem Fall belegen, wann erstmals „Erwachsenenbildung" oder „Volksbildung" oder auch „Nationalerziehung" in einem Lexikon namhaft gemacht und damit als für die Zeit bedeutsam ausgewiesen wird. Sie könnte ferner den Bedeutungswandel signalisieren, den ein Begriff in der geschichtlichen Entwicklung durchlaufen hat. Sie kann auch Positionen kenntlich machen, die gegenwärtig sich in einem Widerstreit befinden. Wir haben in dem ersten Kapitel die beiden Lexika-Typen, von denen wir bislang gesprochen haben, in Beispielen aneinandergereiht. Wirbeginnenmit Beiträgen aus dem Staatslexikon von Rotteck-W'eicker, und schon hier muß einiges von dem zurückgenommen werden, was wir vorab gesagt haben. Das Staatslexikon, fraglos repräsentativ für das bürgerlich-liberale Reformstreben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, verpflichtet sich nicht auf die Anonymität der Autoren; Rotteck und Welcker haben sich besonders den Aspekten zugewandt, in denen das Verhältnis von Staat und Erziehung resp. Bildung hervortritt. Rotteck handelt über „Bildung" und „Erziehung" und auch der von Scheidler verfaßte Artikel über „Pädagogik" scheint weitgehend von den Herausgebern inspiriert. Wir wollen nicht in eine Paraphrasierung der Einzelbeiträge eintreten, das würde schließlich der Intention eines Reader zuwiderlaufen, aber es sei zumindest an diesen Beirägen deutlich gemacht, daß bereits in der damaligen Situation über Nationalerziehung, Volksbildung, über Erziehung und Bildung erheblich unterschiedlich argumentiert wurde. Die politische Emanzipation, die durch die Freiräume der Steinschen Städteordnung von 1808 eingeleitet wurde und die den politisch versierten Bürger voraussetzte, hat zunächst ein Programm von Nationalerziehung hervorgebracht, das man als „politische Bildung" der erwachsenen Bürger bezeichnen könnte. Dieser Sprachgebrauch ist in der Folgezeit abgeklungen, und unter Nationalerziehung wird fortan die staatlich gelenkte und beaufsichtigte Bildungspolitik verstanden. Ein weiteres läßt sich für die liberale Frühphase ausmachen: Unter „Erziehung" wird der Unterricht der Unmündigen verstanden, unter „Bildung" sowohl der hier gekennzeichnete Erziehungs-Begriff wie auch die Volksbildung, die indes von unserem heutigen Verständnis abweicht. Es mag signifikant erscheinen, daß zwar im Staatslexikon von „Erziehung", „Bildung" und „Pädagogik" - übrigens erstaunlich „modern" - gehandelt wird (Bd. 5, Altona, 1837, S. 263 ff), daß aber über „Nationalerziehung" nicht berichtet wird, sondern nur unter dem Stichwort „Nationalität, Nation usw." auf „Volk, Volkstümlichkeit usw.", verwiesen wird, (Bd. 11 Altona 1841, S. 154, desgl. Bd. 9, Neue Auflage, Altona, 1847, S. 355.). Es fehlen, das sei vollständigkeitshalber hinzugefügt, Artikel über „Erwachsener", „Volksbildung", „Nationalerziehung". Hinweise finden sich freilich mehr „subkutaner" Art in den Artikeln „Bildung", „Erziehung", „Pädagogik", aus denen nachfolgend Auszüge vorgestellt werden. Eine Parallele zu dieser Eingrenzung bietet das Deutsche Staatswörterbuch (Bluntschli, Briter, Stuttgart-Leipzig, 1858) wo in Band 3 (S. 428) über Erziehung definiert wird: „Unter Erziehung verstehen wir die gesamte bewußte und absichtliche Einwirkung der mündigen Menschheit auf die noch unmündige". Welche Entfernung über ein Jahrhundert, da in dem Staatslexikon, hrsgg. von der Görres-Gesellschaft (6. Auflage, Freiburg 1959, 3. Bd.), ein eigener Artikel über Erwachsenenbildung kompetent von A. Beckel vorgetragen wird. Die anderen, von uns nachfolgend wiedergegebenen Beiträge bedürfen keiner derartigen interpretatorischen Unterstützung. Wir haben einmal lexikalische Beiträge gesammelt, die den Gedanken der Volksbildung in der Weimarer Republik ansprechen, die auch zeigen, wie schnell sich die Pädagogik den veränderten Machtsituationen staatspolitischer Bildungspolitik anzupassen vermochte, so daß deutlich wird, daß 18

die Pädagogik in der letzten Nachkriegszeit den Windungen politischer Modernität, besser vermeintlicher Modernität, gefolgt ist, und schließlich auch solche Dokumente vorgeführt, die heute wiederum dem Vorwurf ausgeliefert sind, sie fügten sich allzu geflissentlich in die Systemzwänge ein, indem sie dem Leistungs- und Qualifizierungssystem entsprächen. Freilich, die kritische Stimme wird auch in diesem Zusammenhang nicht unterdrückt. Wir wollen, wie bereits im Vorwort geschehen, darauf hinweisen, daß nicht in jedem Fall der volle Umfang eines Beitrags wiedergegeben wird, daß auch die je zeitgenössischen Kommentierungen und Literaturverweise ausgespart wurden, sofern sie für den heutigen Leser ohne besonderen Belang sind. Auch dies in gewisser Wiederholung bereits Gesagtem: Vollständigkeit konnte nicht beabsichtigt werden, wir wollen allerdings hinweisen auf einige, hier nicht vorgeführte, indes keineswegs unerhebliche Aussagen: ζ. B. Stichwort Erwachsenenbildung, in Räch, Sachwörterbuch zur deutschen Erziehungsgeschichte, Weinheim 1964, S. 49 ff; Stichwort Erwachsenenbildung, Volksbildung, in: F. Weigl, Pädagogisches Fachwörterbuch, Donauwörth 1952, S. 32 u. S. 112 ff; Stichwort Erwachsenenbildung, W. Mader, in: Handlexikon zur Erziehungswissenschaft, hrsgg. von Leo Roht, München 1976, S. 123 ff; J.H. Knoll, in: Pädagogisches Lexikon, 2 Bde., hrsgg. von W. Homey u. a., Gütersloh 1971, Bd. 1, Sp. 757 ff.; Hans Tietgens, in: G. Wehle (Hrsg.), Pädagogik aktuell, München 1973, Bd. 1, S. 52 ff; W. Strzelewicz, in: Wörterbuch der Erziehung, hrsgg. von Chr. Wulf, München 1974, S. 183 ff; M. Th. Starke, in: Handbuch pädagogischer Grundbegriffe, hrsgg. von J. Speck u. G. Wehle, München 1970, Bd. 1, S. 352 ff; Stichwort Volksaufklärung oder Volksbildung, in: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, Brockhaus, 7. Aufl., Leipzig 1827, S. 762 ff.

1.1.

Volksaufklärung

oder

Volksbildung

Aus: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, 7. Aufl., Leipzig 1827, S. 762 ff. Dieser lexikalische Aufschluß über Volksbildung gehört zu den ersten diesbezüglichen Auskünften, wobei Volksbildung als ein lebenslanger Unterrichts- und Bildungsprozeß charakterisiert wird. Im Hinblick auf den „Volksunterricht" für Erwachsene wird bereits auf so wesentliche Schlüsselworte wie „Popularität" und „Volksschriften" eingegangen. Im Rahmen dieser so verstandenen Volksbildung nimmt die Kirche eine zentrale Stellung ein. Wie etwa Volksbildung ganz aus der christlichen Morallehre heraus begriffen wird, dokumentiert wenig später das Universal-Lexikon der Erziehungs- und Unterrichtslehre (hrsgg. v. M.C. Münch, 2. Aufl., Augsburg 1845, S. 428 ff), woes etwa heißt: „Wir haben . . . schon bemerkt, daß alle menschliche Bildung nur insofern, als sie christlich ist, und sich im christlichen Leben kund giebt, wahr und heilsam sey." V o l k s a u f k l ä r u n g oder V o l k s b i l d u n g . W e n n man unter M e n s c h e n b i l d u n g überhaupt die Anleitung zur E n t w i c k l u n g der Anlagen der menschlichen N a t u r zu Kräften und zur zweckmäßigen Anwendung derselben, oder auch diese Entwicklung selbst, oder gewisse höhere schon gewonnene Grade des zweckmäßigen Kraftgebrauchs versteht,

so

leidet diese Erklärung

auch

ihre

Anwendung

auf den Begriff

der

Volksbildung, nur mit den näheren Bestimmungen, welche der Begriff Volk, im engern oder weitern Sinne genommen, nöthig macht. A u c h dem Volke, wenn man darunter die 19

sogen, untern Stände der bürgerlichen Gesellschaft versteht, darf die allgemeine Menschenbildung nicht fehlen, sowohl in formeller als materieller Hinsicht. Beide Arten der Bildung stehen in der genauesten Verbindung; die eine wird durch die andre bedingt. Formelle Bildung bezieht sich unmittelbar auf die Kräfte, besonders auf die geistigen, die materielle auf die Masse der Kenntnisse. Allgemein oder allseitig ist sie dann, wenn sie sich auf alle Kräfte und auf alle nach jenen Zwecken bestimmten wissenswerthen Kenntnisse bezieht. Gebildet ist in Hinsicht des Denk- oder Erkenntnißvermögens Derjenige im Volke, welcher von den Gegenständen, welche wesentlich mit der Bestimmung des Menschen und den Verpflichtungen der bürgerlichen, häuslichen und kirchlichen Gesellschaft zusammenhängen, richtige und klare Vorstellungen hat, oder die noch mangelnden durch eignes fortgesetztes Denken zu erlangen vermögend ist, der also über diese Gegenstände, soweit sie den Kreis seines Wirkens berühren, mit Einsicht in die Gründe derselben urtheilen kann. In materieller Hinsicht hat diese Bildung allerdings gewisse Grenzen, die aber rücksichtlich auf die allgemeine Menschenbestimmung und den bürgerlichen und häuslichen Beruf nur im Allgemeinen vorgezeichnet werden können. O d e r wer könnte wol die Frage ganz bestimmt beantworten: was und wieviel Derjenige im Volke, der gebildet heißen will, von der Naturkunde wissen soll? D a ß er ζ. B. Etwas über die Entstehung einer Sonnen- und Mondfinsterniß, über die Weltkörper überhaupt, über die Entstehung des Gewitters wisse, wird Niemand, selbst wenn er die Volksbildung ziemlich beschränkt wünscht, in Zweifel ziehen. Die tiefen Forschungen eines Newton, Leibnitz, Kant u. A . mögen immer auf den Kreis der Gelehrten beschränkt bleiben; aber was wirklich echtchristliche Wahrheit, und was leeres mit fromm klingenden

Formeln

durchspicktes

mystisches

Wortgeklingel

sei, muß auch der

Gebildete im Volke zu unterscheiden wissen; auch er muß die Hauptsache aus einer populair abgefaßten Predigt oder andern Reden auffassen, behalten und möglichst treu wiedergeben können, denn sonst hilft ihm ja das Anhören des Vortrags nichts. Er muß von den Gründen seines religiösen Glaubens Rechenschaft geben können, damit ihm nicht der Schwärmer und Mystiker Wahn und Aberglauben unter dem Namen heiligen und frommen Religionsglaubens in die Seele hineinschwatze; damit ihm nicht der Irreligiöse und der Religionsspötter die ewiggeltenden und zum sittlichen Verhalten unentbehrlichen Überzeugungen raube und ihm so zu jeder Schandthat T h o r und Thür öffne. Auch der Gebildete im Volke muß den Zweck und die Nothwendigkeit der bürgerlichen Verfassung, der obrigkeitlichen Stände in ihren Anordnungen, der Abgaben und andrer zum Zwecke des Ganzen erforderlichen Leistungen klar einsehen, um zur Schätzung der Staatsverfassung, zur Achtung der Obrigkeit und der Gesetze, und zur willigen und ungeschmälerten Einrichtung des zu Entrichtenden und zur Zufriedenheit mit seiner Lage sich durch diese Einsicht selbst erweckt und gedrungen zu fühlen. Auch er muß Das, was er Andern mündlich oder schriftlich wissen lassen will, richtig, verständlich und in einer gewissen Ordnung darstellen können, damit nicht lächerliche oder nachtheilige Irrungen entstehen. Die Gefühlsbildung anlangend, so wird man von dem Gebildeten im Volke nicht erwarten, daß er eine Symphonie kunstgemäß beurtheile; aber

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selbst Landleute sollen fühlen, was in der Bibel ein schönes Bild, welch erhabener G e d a n k e : „ G o t sprach: Es werde L i c h t ! und es ward L i c h t " , was eine schöne Melodie, eine schönes Lied, eine schöne Gegend, eine herrliche Naturscene sei, wenn sie sich auch nicht darüber in künstlichen oder empfindsamen Ausdrücken aussprechen können. In Ansehung der sittlichen Bildung gibt es wol keinen Punkt, den man als die höchste Stufe derselben für das V o l k angeben könnte. J e d e r sittlich Gebildete, auch im V o l k e , m u ß klar, bestimmt und gründlich wissen, was er soll, muß treu und gewissenhaft wollen, was er soll, und muß auch geschickt und freudig k ö n n e n , was er soll. In dieser, hier nur in dem allgemeinsten Grundrisse angedeuteten Volksbildung besteht die wahre Volksaufklärung, die nie schädlich werden kann, sondern dem Einzelnen sowohl als dem Ganzen immer heilsam und ersprießlich sein m u ß . D e r V o l k s u n t e r r i c h t in diesem Sinne wird aber nicht b l o ß in Volksschulen der J u g e n d , sondern auch in der Kirche den Erwachsenen im V o l k e ertheilt. P o p u l a r i t ä t ist ein nothwendiges Erforderniß dieser Belehrung. V o l k s s c h u l e n heißen im weitern Sinne alle für Nichtgelehrte bestimmte Unterrichtsanstalten; im engern Sinne die S c h u l e n für Kinder der untern Stände . . .

1.2.

Carl von R o t t e c k ,

Bildung.

Aus: Staatslexikon - Encyklopädie der Staatswissenschaften für alle Stände, hrsgg. von Carl von Rotteck und Cirl Welcker, Bd. 2, Altona 1835, S. 567 ff. In diesem Beitrag wird der Begriff „Bildung" im Sinne des Staatslexikon dahingehend bestimmt, daß Bildung über den Erziehungsbegriff, der nur die Erziehung der Unmündigen im Blick hat, hinausgeht, und solchermaßen ein Konzept von Volksbildung formuliert, das Jugend- und Erwachsenenbildung umgreift. Die zeitgenössischen Verweise sind ausgespart worden. Bildung, Cultur, Bildungsstufen, Bildungsanstalten,

Bildungsmittel.

„ H o m o non nascitur, sed f i t . " N i c h t schon die G e b u rt macht uns zu Menschen, sondern wir werden es erst durch die E r z i e h u n g , d . h . durch die Summe der auf K ö r p e r und Seele einwirkenden Umstände. U n d nicht n u r der e i n z e l n e

Mensch

ist solcher

Erziehung bedürftig wie empfänglich, sondern auch die V ö l k e r und N a t i o n e n s i n d es, ja die gesammte M e n s c h h e i t , als ein Ganzes betrachtet. D i e W e g e G o t t e s bei der Erziehung des M e n s c h e n g e s c h l e c h t e s

zeigt die W e l t g e s c h i c h t e und die G e -

s c h i c h t e d e r M e n s c h h e i t . D e n Gang, welchen dabei die e i n z e l n e n

Nationen

gingen, ihre theils absoluten, theils relativen V o r - und Rückschritte oder auch ihre Stillstands-Perioden lehrt und erklärt die V ö l k e r -

und S t a a t e n g e s c h i c h t e .

Die

P o l i t i k endlich benutzt die Ergebnisse solcher Geschichten und anderer Forschungen, um sich zu verdeutlichen, was Alles von Seite des S t a a t e s geschehen k ö n n e , um entweder die Cultur im edlen Sinne zu befördern, freiheitlich zu leiten, fruchtbringend zu machen und fortwährend zu erhöhen, oder auch um ihre Fortschritte zu hemmen oder zu 21

verzögern, ihren Charakter wie ihr Maß im Ganzen oder für die einzelnen Volksclassen durch Dictat und wohlberechnete Anstalt - nach subjectiven Principien oder nach Regierungs-Interessen oder nach jenen von Kasten - zu bestimmen und sich fortwährend dienstbar zu erhalten. Welche Richtung nun dabei sie zu nehmen und welche Schranken zu beobachten habe, d. h. also, was sie nicht blos thun k ö n n e , sondern was sie erstreben d ü r f e und s o l l e und durch w e l c h e M i t t e l - darüber hat sie zuvörderst das R e c h t zu befragen, jenes, das Verhältniß der Gesammtheit zu ihren Gliedern als solchen und als Einzelnen regelnde, e w i g e , v e r n ü n f t i g e R e c h t nämlich, welches nicht vom Staate a u s g e h t , sondern demselben als oberstes Gesetz g e g e b e n ist, und sodann auch die N a t u r der Dinge und der Menschen, worauf ihr zum Zweck der Bildung einzuwirken zusteht oder obliegt. Wir wollen über diesen unendlich wichtigen Gegenstand wenigstens einige der a l l g e m e i n s t e n Betrachtungen hier a u f s t e l l e n . . . K l i m a t i s c h e , ü b e r h a u p t p h y s i s c h e , Einflüsse geben dem Gang und Charakter der Volksbildung den ersten, bestimmenden Anstoß. Auch die s o c i a l e n Verhältnisse und mittelst derselben die m o r a l i s c h e n Einwirkungen, empfangen zum Theil von dorther ihre Richtung: doch nehmen sie eine gesonderte und zwar die Hauptbetrachtung in Anspruch, weil jene zwar für die Politik ein wichtiger Gegenstand der B e a c h t u n g , doch nur diese eine wirkliche A u f g a b e derselben, d . h . der B e s t i m m u n g durch menschliche Einrichtungen und Anstalten u n t e r w o r f e n , sind. Wenn wir die unendlich verschiedenen Culturzustände der Völker nebst ihren vielfach in einander greifenden Ubergängen, Abstufungen und Mischungen mit einem allgemeinen Blick überschauen; so stellen sich uns wohl, je nachdem wir einen Standpunkt nehmen, mehrere H a u p t c h a r a k t e r e oder hier und dort v o r h e r r s c h e n d e Züge der Ähnlichkeit oder der Unähnlichkeit dar und es lassen sich hiernach jene Zustände auf einige H a u p t c l a s s e n oder S t u f e n zurückführen; doch läuft dabei immer viel S u b j e c t i v e s mit unter, und philosophische Theorien, oder auch poetische Anschauungsweisen spiegeln sich nicht selten in solchen (mehr oder minder geistreich aufgefaßten oder durchgeführten) Darstellungen ab. Dahin gehört z . B . die Vergleichung der V ö l k e r - Z u s t ä n d e mit den A l t e r s - P e r i o d e n des e i n z e l n e n M e n s c h e n . A l l e r dings gibt es merkwürdige Ähnlichkeitspunkte zwischen dem Leben der Völker und jenem der Einzelnen, allerdings mögen wir auch in jenem einige Hauptcharaktere der bei dem letzten zu unterscheidenden Alters-Perioden erkennen, also der K i n d h e i t , des K n a b e n - und J ü n g l i n g s - , sodann des reif e r n M a n n e s - und endlich des G r e i s e n A l t e r s ; doch mag ein Volk Jahrtausende hindurch im Zustande der Kindheit verbleiben (wenn etwa klimatische Ursachen seinem Weiterrücken entgegenstehen oder zumal wenn seine Häupter die - schon in der ältesten Zeit erfundene - Kunst verstehen, es fortwährend in Unmündigkeit zu erhalten), während ein anderes, unter günstigem Umständen und weisern oder tugendhafteren Führern, binnen ein Paar Menschenaltern eine hohe Bildungsstufe erklimmen kann; und eben so versinkt oft eine Nation, noch bevor sie die Kräfte und Tugenden des Mannes-Alters entfaltet hat, in die trostlose Hinfälligkeit des Greises, während eine andere nach langer Kraftlosigkeit oder Ermattung 22

sich wieder verjüngt und eine neue Bahn des männlichen Thuns und Wirkens durchläuft. Auch mögen oft bei einem und demselben Volk, je nach Classen oder Ständen, verschiedene Altersstufen der Bildung zu erkennen sein; es kann die M a s s e oder etwa das Landvolk noch in der Kindheit - ein lenkbares Werkzeug in der Pfaffen Hand oder, wie in der Abgestumpftheit des Greisenalters, unempfindlich gegen das gewohnte Knechtsjoch sein, während ein g e b i l d e t e r M i t t e l s t a n d etwa in Städten (wie z . B . in Spanien) den Jünglings- und Mannesdurst nach Freiheit empfindet. Welche Altersstufe hat alsdann die G e s a m m t h e i t ? Wir sagen: Für die praktische Staatswissenschaft sind solche B i l d e r (denn mehr als B i l d e r sind es nicht) von nur geringer Bedeutung; sie dienen mehr nur zur Versinnlichung oder erleichterten Uberschauung der h i s t o r i s c h v o r k o m m e n d e n Zustände oder des in denselben Vorherrschenden, als zu wirklich tüchtigen Grundlagen vernünftiger Staats- und Rechtssysteme. Die Gesetze und Rechte nämlich, so wie sie historisch vorkommen, entsprechen zwar gewöhnlich in vielen Punkten den aus den Stufenaltern der Völker hervorgehenden verschiedenen Sinnes- und Lebensweisen, Neigungen und Bedürfnissen, auch Vorurtheilen, Gebrechen und Lastern derselben, d. h. sie sind, so wie ein natürlicher Ausfluß, so auch ein wenigstens annähernd treuer Ausdruck oder Abdruck davon; aber s i e m ü s s e n e s nicht eben sein und s ο 11 e η es auch nicht. Vielmehr ist die Aufgabeeiner v e r n ü n f t i g e n Gesetzgebung und Regierung, den Mängeln und Gebrechen eines factisch vorhandenen Zustandes e n t g e g e n z u w i r k e n und a b z u h e l f e n . Wir finden übrigens gar oft, daß Gesetz- und Rechtsysteme nicht sowohl der A u s f l u ß der - mit den' Altersstufen verglichenen - Cultur-Zustände der Völker sind, als vielmehr die eigentlich w i r k e n d e oder wenigstens m i t w i r k e n d e U r s a c h e derselben. So ist zwar über ein in der sogenannten Periode der K i n d h e i t , überhaupt der (Geistes-) U n m ü n d i g k e i t , befindliches Volk die P r i e s t e r m a c h t oder auch die S u l t a n s m a c h t leichter zu errichten, als über eines, das an Verstand und Charakter als m ä n n l i c h reif erscheint; a b e r erst durch P r i e s t e r l i s t und S u l t a n s s c h r e c k e n wird die Anlage oder Empfänglichkeit für Aberglauben oder für Furcht recht a u s g e b i l d e t und b e f e s t i g e t , ja oft zum bleibenden, oder längst dauernden G e p r ä g e der, also in ihrem natürlichen Entwicklungsgange aufgehaltenen und herabgewürdigten, Nation gemacht. Mit nichten also sind Priestertrug und Sultansschrecken die einem natürlichen B e d ü r f n i ß der Volks-Kindheit e n t s p r e c h e n d e n und dadurch g e r e c h t f e r t i g t e n Erziehungsweisen; vielmehr legen Recht und Moral denjenigen, welchen jene Kindheit leicht machte, sich f a c t i s c h zu V o r m ü n d e r n eines Volkes aufzuwerfen, die heilige (freilich selten erkannte und noch seltener erfüllte) Pflicht auf, dasselbe sofort f r e i h e i t l i c h zu regieren, d. h. seine F r e i h e i t s - F ä h i g k e i t zu ehren und mit treuem Eifer auszubilden, auf daß s o b a l d a l s m ö g l i c h die wirkliche Mündigkeit eintrete, die Bevormundung also entbehrlich werde, und auch, bis solches Ziel erreicht ist, keinen andern Befehl oder Zwang auszuüben, als wozu die Regierten oder zu Erziehenden, wenn sie vernünftig wären oder sobald sie solches geworden sind, ihre eigene Zustimmung geben müßten oder müssen. Für alle sogenannten Altersstufen der Völker also bleibt das v e r n u n f t g e m ä ß e P r i n c i p , d. h. Zweck und Richtung alles Regierens und Wesen alles 23

Rechtes, unverändert d a s s e l b e , nämlich das f r e i h e i t l i c h e ; nur muß freilich bei der A n w e n d u n g die der Verschiedenheit der Umstände entsprechende Verschiedenheit eintreten. Praktisch bedeutsamer als die Unterscheidung der Culturstufen nach den A l t e r s - P e r i o d e n , weil nämlich deutlicher, und für das wahre Gesammt-Bedürfniß bestimmender oder bezeichnender, daher auch für die Gesetzgebung maßgebender, ist der von k l i m a t i s c h e n Verhältnissen, überhaupt p h y s i s c h e n Einflüssen herrührende Unterschied der Bildung, und jener, welcher die in einem oder dem andern Volk (oder Volksciasse) vorherrschende B e s c h ä f t i g u n g oder E r n ä h r u n g s w e i s e hervorbringt. Für die höhere und edlere Bildung ist nur das g e m ä ß i g t e Klima die erlesene Heimath. Bis zu einem gewissen Grade noch läßt zwar die nachtheilige Einwirkung der Hitze und der Kälte sich überwinden; aber der äußerste Frost und die brennendste Sonne lassen keine feinere Cultur mehr aufkommen. Dann sind U f e r l ä n d e r (an Meeren oder an schiffbaren Flüssen) der Cultur günstiger als die an Wasserstraßen ärmeren Binnenländer und mäßig fruchtbarer Boden mehr als allzuüppiger oder als des Anbaues völlig unfähiger. Was aber die unter den verschiedenen Völkern vorherrschenden B e s c h ä f t i g u n g e n oder Ernährungsweisen betrifft, so stehen natürlich die blos oder meist nur vom F i s c h f a n g oder von der J a g d lebenden Horden auf der untersten Culturstufe, die V i e h z u c h t treibenden, doch noch nicht a n s ä s s i g e n Völker ( N o m a d e n im engern Sinne) um einen Grad höher, die a c k e r b a u e n d e n , also a n s ä s s i g e n Völker abermal und zwar um V i e l e s höher, und die mit dem Ackerbau auch Industrie und H a n d e l verbindenden und eben deshalb auch zur Pflege der Kunst und Wissenschaft geneigtem am höchsten. Natürlich gibt es in jeder dieser Classen wieder mancherlei Abstufungen, so wie gegenseitige Ubergänge und Vermischungen. N u r vom V o r h e r r s c h e n d e n und auch von der A n l a g e zur Bildung mehr als von der w i r k l i c h e n Bildung ist bei dieser Classification die Rede. In der Macht der Gesetzgebung und Regierung steht es sodann, die überall vorhandenen Anlagen thunlichst zu entwickeln, die den jeweils vorhandenen Verhältnissen, Bedürfnissen, Hülfsmitteln und Mängeln entsprechende oder gemäß denselben erreichbare Bildungsstufe für das Volk zu erstreben, die Hindernisse aus dem Wege zu räumen und die Bahn eines möglichst weitern Voranschreitens zu bereiten. Der eigentliche S t a a t jedoch, der da nämlich A n s ä s s i g k e i t fordert oder voraussetzt, kann kaum gedacht werden ohne A c k e r b a u und das Gedeihen des letzten ist in natürlicher und enger Wechselwirkung mit jenem der I n d u s t r i e . Darum haben wir bei den nachstehenden Betrachtungen - so wie nur bereits a l t e r s r e i f e , d.h. der Kindheit entwachsene - so auch nur bereits A c k e r b a u und G e w e r b e t r e i b e n d e Völker im Auge. Die F i s c h f r e s s e r , so wie die blos j a g e n d e n oder w e i d e n d e n Horden, überlassen wir der, a 11 e Culturstufen überschauenden, erklärenden und vergleichenden, Geschichte der Menschheit. Wir wenden uns nun zu u n s e r e r Hauptfrage: H a t u n d in w i e f e r n h a t d e r S t a a t (d.h. die Staatsgewalt) d a s Recht oder die S c h u l d i g k e i t , sich u m d i e B i l d u n g des V o l k e s , also namentlich der nachwachsenden Geschlechter, z u b e k ü m m e r n , dem24

nach befördernd oder bestimmend darauf einzuwirken? U n d , w e n n s i e e s

hat,

w e l c h e s i s t d a s P r i n c i p und welches die B e s c h r ä n k u n g oder das M a ß solches Rechtes? Ein R e c h t des Staates, sich die V o l k s - B i l d u n g z u m G e g e n s t a n d der eigenen S o r g e zu machen, muß anerkannt werden, sobald man entweder die B e f ö r d e r u n g der allgemeinen H u m a n i t ä t s z w e c k e , also namentlich die B e f ö r d e r u n g der C u l t u r , mit in den S t a a t s z w e c k aufnimmt, oder wenigstens solche B e f ö r d e r u n g als nothwendiges M i t t e l zur Erstrebung des, z w a r enger gesteckten, doch nur desto unbestreitbareren, namentlich auf Rechtsgarantie und allgemeine Sicherheit b e s c h r ä n k t e n , Staatszwecks anerkannt. In beiderlei Beziehung sprechen w i r die Staatsfürsorge für die V o l k s b i l d u n g an. O f f e n b a r ist in dem Staatszweck, wie man ihn vernünftig bestimmen muß, die B e f ö r d e r u n g aller naturgemäß - also auch vermöge der m o r a l i s c h e n N a t u r - v o n allen Staatsangehörigen sich gesetzten Z w e c k e (insofern dieselben durch gemeinschaftliches Erstreben besser als durch individuelles zu erreichen sind) m i t enthalten; und unter solchen Z w e c k e n ist keiner näher liegend oder mehr einleuchtend, als die f o r t s c h r e i t e n d e kommnung

Vervoll-

unseres Geschlechtes, die da eben den wesentlich unterscheidenden

Charakter der Menschheit gegenüber der Thierheit ausmacht. A b e r auch diejenigen, welche so idealem Z w e c k e materielle O p f e r zu bringen ungeneigt wären, müssen wenigstens anerkennen, daß schon der unmittelbare und völlig unbestrittene Staatsz w e c k , nämlich die Gewährleistung des R e c h t e s , ohne Sorge f ü r die Volksbildung sich nicht erreichen läßt. Weit wirksamer als jede Strafandrohung hält von Rechtsverletzung ab die dem G e m ü t h eingepflanzte f r e i e R e c h t s a c h t u n g ; und die durch Unterricht gebahnten Wege des r e c h t l i c h e n E r w e r b s heben die N o t h , also die mächtigste Versuchung zu Rechtsverletzungen, wie R a u b und Diebstahl, auf. D a z u k ö m m t noch im eigentlichen R e c h t s s t a a t , also zumal auch i n d e r c o n s t i t u t i o n e l l e n o d e r repräsentativen Monarchie, das hohe Interesse der B i l d u n g einer aufgeklärten ö f f e n t l i e h e n M e i n u n g , d . h . der Erziehung der Bürger zur p o l i t i s c h e n M ü n d i g k e i t , ohne welche von der H e r r s c h a f t eines G e s a m m t w i l l e n s ,

also von vernünftiger B e s c h r ä n k u n g

der

D e s p o t i e , gar keine R e d e sein kann und insbesondere die Repräsentativ-Verfassung eine leere F o r m oder gar eine unheilvolle T ä u s c h u n g ist; und endlich bedarf der Staat für sich

selbst,

d.h.

für seinen eigenen

Dienst,

sodann

für die

Interessen

der

N a t i o n a l ö k o n o m i e und für die vielen B e d ü r f n i s s e d e s V o l k e s , deren Befriedigung K u n s t und Wissenschaft voraussetzt, einer entsprechenden Anzahl von h ö h e r G e b i l d e t e n , mithin auch der Anstalten und Pflanzschulen zu deren H e r a n z i e h u n g . Diesen A n s p r ü c h e n der Staatsgewalt auf das Recht der Leitung oder A n o r d n u n g der Volkserziehung s t e h e t j e d o c h e n t g e g e n die doppelte Betrachtung, einmal, daß die Bildung, wenigstens

die h ö h e r e Bildung, keineswegs durch Befehl oder

Zwang

hervorgebracht werden, sondern nur die Frucht der selbsteigenen f r e i e n Entwicklung sein k a n n ; und d a n n , daß solche Freiheit der S e l b s t b i l d u n g , wie überhaupt die p e r s ö n l i c h e F r e i h e i t , w o v o n sie einen hochwichtigen Theil ausmacht, g a n z eigens dem Schutz des Staates anempfohlen, d. h. für jeden Einzelnen z u m H a u p t z w e c k des 25

Eintritts in den bürgerlichen Verein gehörig, mithin einem blos s e c u n d a i r e n Zweck oder gar nur einem bloßen M i t t e l niemals aufzuopfern ist. Wie läßt sich nun zwischen so widerstreitenden Ansprüchen, einerseits der Staatsgewalt oder der Gesammtheit und andererseits der Einzelnen (oder auf Familien, Gesellschaften, Gemeinden u. s. w.), die das Recht und die Klugheit befriedigende Grenze oder Scheidungslinie ziehen? Soviel ist klar: so lange der Staat nicht durch B e f e h l oder N ö t h i g u n g die von ihm gewünschte Volksbildung hervorruft, sondern blos durch z w a n g l o s e Ermunterung, Unterstützung, Darbietung von Hülfsmitteln und Errichtung von Lehranstalten, kann von Verletzung der Freiheit oder des Rechtes keine Rede sein, sondern blos von einem, nach dem Maß der Güte oder Zweckmäßigkeit jener Beförderungsmittel mehr oder weniger w o h l t h ä t i g e n , auch in sofern wirklich in der P f l i c h t der Staatshäupter, d. h. in der ihnen durch den Staatsvertrag gesetzten A u f g a b e gelegenen Wirken. Aber auch dagegen wird kein Vernünftiger etwas einwenden, daß der Staat von a l l e n E l t e r n oder V o r m ü n d e r n verlange (und solches Verlangen nöthigenfalls durch geeignete Zwangsmittel geltend mache), daß sie ihren Kindern oder Pflegbefohlenen denjenigen Grad des Unterrichts - sei es in ö f f e n t l i c h e n , sei es in P r i v a t - S c h u l e n , sei es (auf eine erweislich befriedigende Weise) im H a u s e - angedeihen lassen, welcher, je nach der allgemeinen Bildungsstufe eines Volkes, für nothwendig erkannt werden muß, um die heranwachsenden Bürger einerseits in Stand zu setzen, ihr eigenes Glück zu gründen, und andererseits für die Gesellschaft unschädlich oder ungefährlich zu machen. Hierdurch schärft der Staat den Familienhäuptern blos eine denselben schon natürlich obliegende doppelte - nämlich gegen die Kinder und gegen die Gesellschaft gehende - Rechtspflicht ein, handelt also seiner obersten Bestimmung, Schützer alles Rechtes zu sein, vollkommen gemäß und verletzt nicht nur die Persönlichkeit seiner Bürger nicht, sondern s c h i r m t dieselbe. Eben so wird es wohl angehen und wirksam fürs Gute sein, wenn der Staat zur Bedingung des V o l l g e n u s s e s aller bürgerlichen und zumal p o l i t i s c h e n Rechte den Besitz so vieler intellectueller, moralischer und technischer Bildung setze, als, abermal je nach den hier oder dort obwaltenden gesellschaftlichen Verhältnissen, zur Kenntniß und Ausübung der allgemeinen bürgerlichen Rechte und Pflichten vernünftigerweise für nöthig erachtet werden kann. Daß sodann noch für das Anerkenntniß der Befähigung zu bestimmten bürgerlichen Beschäftigungs- oder Wirkungskreisen, als zu Ausübung gewisser (im öffentlichen Interesse solche Vorsicht in Anspruch nehmender) Gewerbe, Künste und Wissenschaften, zu den verschiedenen Gattungen des Staatsdienstes, zum Lehramt u.s.w., die solchen - übrigens nur f r e i zu übernehmenden - Widmungen entsprechende besondere oder höhere Bildung zur Sicherstellung der Gesellschaft gefordert werden könne und müsse, versteht sich von selbst . . .

26

1.3.

Carl von Rotteck,

Erziehung.

Aus: Staatslexikon-Encyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, hrsgg. von Cid von Rotteck und Car/ Welcher, Bd. 4, Altona 1846, S. 499 ff. Es kann an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß sich die erste, 1834 beginnende Auflage von der nachfolgenden „neuen durchaus verbesserten und vermehrten Auflage" in den erziehungspraktischen und erziehungswissenschaftlichen Artikeln kaum unterscheidet. Kommt hinzu, daß einige, die Erwachsenenbildung betreffenden Erscheinungen, die sich jenseits des Liberalismus abzuzeichnen begannen, von den Autoren des Staatslexikons geflissentlich übersehen wurden. Die beginnenden Gesellenvereinigungen geraten nur insofern in den Blick als sie sich als Formen liberaler „Erwachsenenbildung" interpretieren lassen. E r z i e h u n g ; insbesondere P r i v a t - u n d ö f f e n t l i c h e E r z i e h u n g . Von der Erziehung überhaupt, auch von der Erziehung ganzer Völker oder Nationen, ja des ganzen Menschengeschlechts, insbesondere von Dem, was in Bezug auf solche Erziehung dem Staat oder der S t a a t s g e w a l t zu thun, zu wirken, zu erstreben möglich, sodann vernunftgemäß erlaubt, geboten oder verboten ist, haben wir in dem Artikel B i l d u n g gesprochen. Es bleibt uns nur noch ein auf die Erziehung der E i n z e l n e n - sei es ö f f e n t l i c h e , sei es P r i v a t - E r z i e h u n g - z u werfender Blick übrig. Dieser wird jedoch das - obgleich unendlich wichtige - Gebiet der E r z i e h u n g s - W i s s e n s c h a f t und K u n s t nicht berühren, weil einerseits dasselbe nach seinem Gesammtinhalt ein e i ge η es, den Staatsinteressen zwar höchst förderliches, doch zum Kreis der eigentlich p o l i t i s c h e n Wissenschaften n i c h t gehöriges Fach ausmacht ( P ä d a g o g i k ) und anderseits die ihm zwar allernächst angehörigen, doch von der Politik gleichwohl auch für sich selbst in Anspruch zu nehmenden Untersuchungen in besonderen Artikeln (namentlich in den den S c h u l e n gewidmeten) ihre Stelle finden werden. Hier wollen wir uns auf z w e i F r a g e n beschränken, wovon die eine auf den der Privat- oder der öffentlichen Erziehung zu gebenden V o r z u g , und die andere auf die Gränzen der nach Recht und Politik der Privaterziehung zu gewährenden F r e i h e i t sich bezieht. Bei der ersten Frage kommt freilich zunächst Alles darauf an, w i e b e s c h a f f e n und w o h i n g e r i c h t e t hier oder dort die Erziehungsanstalt oder Weise sei. Wir nehmen jedoch, um die Frage zu vereinfachen, eine beiderseits gleich gute, d. h. gleich aufrichtig auf's Gute gerichtete und mit den in der Regel einer und der andern zu Gebote stehenden Hilfsmitteln versehene Erziehung an. Nach dieser Voraussetzung hat nun die ö f f e n t l i c h e - überhaupt g e m e i n s c h a f t l i c h e - Erziehung (insbesonder die im eigentlichen U n t e r r i c h t bestehende) allerdings den großen Vorzug, daß sie den W e t t e i f e r erzeugt, der ein so mächtiger Sporn zur Kraftanstrengung ist, und den weitern nicht minder wichtigen, daß bei ihr in der Regel größere Hilfsmittel und tüchtigere Lehrer vorhanden sind oder sein können, als für die Privat-Erziehung zu gewinnen sind. Dagegen aber ist die Privat-Erziehung von manchen Gefahren der Verführung oder Verschlechterung frei, welche bei der öffentlichen aus der Macht des bösen Beispiels für die in fortwährend naher Berührung unter einander stehenden Zöglinge und noch mehr aus der etwa unlautern 27

Richtung Derer, welche solche Erziehung leiten, hervorgeht. Auch kann bei der öffentlichen (oder gemeinschaftlichen) Erziehung die Individualität des einzelnen Zöglings nicht hinreichend beachtet oder entsprechend behandelt werden. Ein a l l g e m e i n e s - etwa nach dem mittlem Grad der natürlichen Fähigkeiten berechnetes - Maß für den Unterricht, eine a l l g e m e i n e Methode für die übrige Erziehung finden dabei fast nothwendig statt. Daher wird der talentvollere Zögling von dem ihm möglichen rascheren Laufe zurückgehalten, und der geistig schwächere durch Überspannung entmuthigt oder entnervt; und ebenso in der moralischen Sphäre häufig bei dem Einen mehr, bei dem Andern weniger, oder überhaupt Anderes gethan, als was den Individualitäten entspräche. Doch, wie immer bei Abwägung der beiderseitigen Vortheile und Nachtheile der Ausschlag nach subjectiver Ansicht falle, und was immer für Früchte die Pädagogik dem einen oder dem andern System abzugewinnen vermöge: immer wird, was den U n t e r r i c h t , d . h . die i n t e l l e c t u e l l e , großentheils auch die t e c h n i s c h e Bildung betrifft, im Staat die ö f f e n t l i c h e (d.h. gemeinschaftliche), was aber die p h y s i s c h e und dann zumal die m o r a l i s c h e Bildung betrifft, die P r i v a t - oder h ä u s l i c h e Erziehung die vorherrschende bleiben. Nur der Staat oder in kleinerem Kreise die Gemeinde vermag die dem Bedürfniß der Mehrzahl entsprechenden Anstalten für den Unterricht zu treffen. Weitaus den meisten Einzelnen mangelt theils die Fähigkeit oder die Geneigtheit zur Selbstübernahme, theils das Vermögen zur Bestreitung der Unkosten eines genügenden Privat-Unterrichts. Auch wären so viele Privatlehrer, als da nöthig wären, gar nicht aufzutreiben. Dagegen kann der Staat oder die öffentliche Lehranstalt (wenn nicht zu u n n a t ü r l i c h e n Einrichtungen, wie etwa bei Lykurgischen, gegriffen werden soll) unmöglich das g a n z e Erziehungsgeschäft bei dem nachwachsenden Geschlecht übernehmen. Das Meiste in Bezug auf die Erziehung im e n g e r n S i n n oder auf die, abgesehen vom höhern oder niedern Schul- und vom kirchlichen Unterricht, noch weiter nöthige p e r s o n l i e h e H e r a n b i l d u n g der Jugend zu Menschen und Bürgern wird und muß im H a u s e durch die Eltern oder Vormünder oder auch fremde Privaterzieher geschehen. Schon die so hochwichtige p h y s i s c h e Erziehung ist, zumal während der so hochwichtigen oft für's ganze Leben entscheidenden K i n d e r j a h r e , fast ausschließend in der Eltern Hand. Und was das M o r a l i s c h e betrifft, so wirken Beispiel und fortwährende Geistes- und Gemüths-Berührung zwischen Eltern und Kindern mehr, als irgend Kirche und Schule vermögen. - Dem S t a a t also liegt in Bezug auf Erziehung ob, zuvörderst die dafür nöthigen ö f f e n t l i c h e n Anstalten in's Leben zu rufen und durch seine (doch nicht einseitig von der R e g i e r u n g s - G e w a l t , sondern von der g e s e t z g e b e n d e n ausgehende) Autorität zu r e g e l n und den Vollzug der darüber erlassenen Gesetze durch die Administrativ-Behörden zu besorgen, sodann aber auch die P r i v a t e r z i e h u n g z u ü b e r w a c h e n , insoweit das wahre Staatsinteresse solches fordert und das selbständige Recht der Bürger es erlaubt. Wir haben schon in dem Artikel B i l d u n g unsere Ansicht über die Gränzen des der Staatsgewalt in Beziehung auf Unterricht und Erziehung vernunftmäßig einzuräumenden 28

Rechtes ausgesprochen, und verweisen hier im Allgemeinen darauf. Solches Recht (so wie die Pflicht) beschränkt sich hiernach auf das D a r b i e t e n

der H i l f s m i t t e l

des

Unterrichts, auf die F o r d e r u n g ihrer durch das wahre Staatsinteresse gebotenen Benutzung

von Seite der Bürger, und auf das H i n t a n h a l t e n

der erkennbar

s t a a t s g e f ä h r l i c h e n oder dem R e c h t e d e r S t a a t s a n g e h ö r i g e n , namentlich ihrer F r e i h e i t , Eintrag thuenden Einwirkungen von Privaten oder Körperschaften auf das Unterrichts- und Erziehungswesen. D i e ö f f e n t l i e h e n E r z i e h u n g s a n s t a l t e n , welche der S t a a t errichtet, unterstehen natürlich auch der Leitung und Aufsicht des Staates. Aber auch die von P r i v a t e n oder von K ö r p e r s c h a f t e n errichteten unterstehen wenigstens der letzten. Der Staat hat das Recht, sich davon zu unterrichten, in welchem Geist die sich zu Erziehern der nachwachsenden Bürger und Bürgerinnen Aufwerfenden dieses hochwichtige Unternehmen ausführen. Die öffentliche Wohlfahrt und auch die heiligsten Interessen der zu Erziehenden und ihrer Angehörigen sind allzusehr bei der Art und Weise der Erziehung betheiligt, als daß der Staat ein gleichgültiger Zuschauer dabei bleiben, oder Jedem ohne Unterschied das so unendlich wichtige Geschäft überlassen könnte. Es ist dasselbe keineswegs einem gemeinen G e w e r b e zu vergleichen, für dessen Ergreifung etwa eine uncontrolirte Freiheit anzusprechen wäre (vorbehaltlich blos der allgemeinen polizeilichen und gerichtlichen Fürkehr gegen Betrug oder sonstige Rechtsverletzung); sondern es ist, wenn man es auch den Gewerben beizählen will, immer ein so wichtiges und mit den vom Staat zu schirmenden Interessen der - ohnehin schon als u n m ü n d i g die Staatsfürsorge ansprechenden - Zöglinge so innig verbundenes, daß dabei nicht minder oder wohl noch mehr, als ζ. B. für die Ausübung der H e i l k u n d e oder gar nur für die Errichtung einer F a b r i k u.s.w. eine Bürgschaft für Tüchtigkeit und Rechtlichkeit gefordert, demnach eine vorläufige U n t e r s u c h u n g , o b solche Bürgschaft vorhanden, und eine fortwährende K e n n t n i ß n a h m e von der Beschaffenheit der Anstalt als Bedingung ihrer Errichtung und Fortführung gesetzt werden kann und soll. Dieses der Staatsgewalt hier zugesprochene Recht ist freilich dem M i ß b r a u c h sehr ausgesetzt. Wir aber haben nur den guten und ehrlichen Gebrauch im Auge und setzen wie überall bei dem Anerkenntniß von Staats- oder gar von Regierungs-Rechten - voraus, einmal daß durch eine weise V e r f a s s u n g

die Staatsgewalten auf der Bahn des

vernünftigen Gesammtwillens erhalten werden, und dann, daß zur Controle ihres Wirkens das Princip der Ö f f e n t l i c h k e i t so wie jenes der f r e i e n P r e s s e bestehe. Wir fordern zugleich die höchste Achtung der Freiheit der Bürger, die ihre Kinder dieser oder jener Privat-Anstalt und Methode anvertrauen wollen. Wir wollen die Privat-Erziehungsinstitute von jeder nicht a b s o l u t u n e n t b e h r l i c h e n

Staatseinmischung

b e f r e i t w i s s e n , ohne welche Freiheit die Institute und Methoden von P e s t a l o z z i , F e l l e n b e r g , L a n k a s t e r nie gediehen und für die Menschheit lehrreich und nützlich geworden wären. Wesentlich aber ist nur Kenntnißnahme und Aufhebung von wahrer Betrügerei und Verletzung der Gesundheit und Sittlichkeit in solchen Anstalten. - Auch nehmen wir von jener polizeilichen Licenzirung und fortwährend nähern Beaufsichti-

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gung die r e i n e P r i v a t - o d e r h ä u s l i c h e Erziehung aus, demnach auch die an deren Stelle tretende, durch eigens von bestimmten Eltern oder Vormündern dazu berufene Lehrer oder Erzieher besorgte. Es waltet nämlich hier, d. h. bei der für die P r i v a t - E r z i e h u n g geforderten Freiheit ein ähnliches Verhältniß ob, wie ζ. B. bei der R e l i g i o n , d . h . es tritt dort wie hier das r e i n m e n s c h l i c h e , v o r d e m Staat schon bestehende und der Staatsgewalt nur zum S c h u t z , nicht aber zur Beschränkung anvertraute R e c h t , hier namentlich jenes der E l t e r n (oder ihrer Stellvertreter) in die Schranken gegen die Ansprüche der öffentlichen Macht. So viel versteht sich freilich von selbst, daß, wenn ein Bürger seine Kinder zu D i e b e n oder M ö r d e r n erziehen wollte, die Staatsgewalt ihm Einhalt zu thun hätte. Denn zum Rechtswidrigen kann Niemand ein Recht haben. Auch wenn - wogegen jedoch das natürliche Gefühl eine bessere Sicherstellung gewährt als die polizeiliche Aufsicht - ein Vater seinem Kinde auf eine zu Tage liegende Weise eine nothwendig oder natürlich zu desselben V e r d e r b e n , namentlich zur physischen oder moralischen Verkrüppelung führende Erziehung gäbe, wäre das Einschreiten der Staatsgewalt zur Rettung ihres jungen Schützlings

gerechtfertigt.

Und

schon das bloße V e r s ä u m n i ß

der zur

menschlichen und bürgerlichen Heranbildung nothwendigen Pflege, namentlich auch die Nichtbenutzung

der vom Staat zu diesem Zwecke dargebotenen

öffentlichen

Unterrichtsanstalten fordert zu entsprechender zwangsweiser Abhülfe auf. Aber weiter als diese zuvörderst auf R e c h t s - B e w a h r u n g gehende und sodann gewissermaßen o b e r v o r m u n d s c h a f t l i c h e Sorge geht die Obliegenheit, also auch die Befugniß der Staatsgewalt n i c h t . Die - wahren oder vermeinten oder angeblichen - Interessen eines b e s t i m m t e n S t a a t e s , in dessen Schooße die Kinder geboren wurden, und noch weit weniger die einer wirklich bestehenden V e r f a s s u n g oder R e g i e r u n g , wiewohl sie auf die Einrichtung der ö f f e n t l i c h e n Erziehungsanstalten naturgemäß (und in so fern von der Richtung des wahren G e s a m m t w i l l e n s , nicht aber von jener des einseitigen Regierungswillens die Rede ist, auch nicht mit Unrecht) von mehr oder minder entscheidendem Einfluß sind, dürfen in's Heiligthum der Privat- oder häuslichen Erziehung nicht störend einwirken. Das Kind wird nicht als L e i b e i g e n e r des Staates geboren, auf dessen Gebiet die Eltern sich befinden, und noch weit weniger als Leibeigener der Regierung. Es ist - in so weit irgend ein Eigenthumsrecht auf eine werdende Person stattfinden kann - ein E i g e n t h u m d e r E l t e r n

und so heilig und

unantastbar das Recht d e r S e l b s t b i l d u n g i s t auch - in so fern nicht die oben angedeutete R e c h t s l i n i e überschritten w i r d - j e n e s der E r z i e h u n g d e r e i g e n e n K i n d e r . Es wäre eine ungeheure Anmaßung, wenn die Staatsgewalt sich zwischen die vertrauliche Mittheilung unter Vater und Sohn eindrängen und den Ideengang, die Geistes- und Gemüthsrichtung vorschreiben wollte, wornach solche Mittheilung stattfinden müsse oder nicht stattfinden dürfe. In einem wohl verfaßten und w o h l regierten Staate wird übrigens, auch ohne Einschreiten der Staatsgewalt, solche Richtung weitaus in den meisten Familien eine jenen politischen Interessen gemäße sein, und die seltenen A u s n a h m e f ä l l e zur Rechtfertigung oder zum Vorwand einer gegen a l l e Eltern

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gerichteten Inquisitions-Maßregel zu nehmen, wäre nicht nur t y r a n n i s c h , sondern in der Regel selbst w i r k u n g s l o s , ja eher von einer der Absicht e n t g e g e n g e s e t z t e n Wirkung. Übrigens ist auch nicht nothwendig, daß jeder Vater sein Kind gerade zum Bürger d i e s e s bestimmten Staates, welchem er selbst zeitlich angehört, erziehe (es kann ja a u s w a n d e r n , wenn es in einem andern Staate glücklicher zu werden hofft), und noch weit weniger nothwendig, daß er es mit den etwa in diesem Staate factisch vorherrschenden b ö s e n , dem vernünftigen Recht oder der Moral widersprechenden Richtungen, Denk- und Handlungsweisen erfülle. So wie er das Recht hat, in Ansehung der R e l i g i o n oder K i r c h e das etwa in deren Schooß - nach seiner aufrichtigen Uberzeugung vorherrschende Verderbniß, als Aberglauben, Werkheiligkeit, Schwärmerei u.s.w. seinem heranwachsenden Sohne bemerklich zu machen und diesen zum Genossen seiner nach der Eingebung seines Gewissens frei angeordneten H a u s - A n d a c h t zu machen: so muß ihm auch erlaubt sein, demselben seine freie Ansicht von p o l i t i s c h e n Dingen mitzutheilen und ihn zu einer mit der eigenen übereinstimmenden R i c h t u n g in dieser nicht minder als in jeder rein menschlichen Sphäre zu erziehen. Solche Richtung, wenn sie auch eine den wirklichen Machthabern m i ß f ä l l i g e wäre, kann gleichwohl eine s e h r g u t e , und wenn sie gleichzeitig in v i e l e n Familien stattfindet (was dann jedenfalls ein Beweis von wirklich vorhandenen Mängeln der Verfassung oder der Regierung wäre), höchst wohlthätig, nämlich zu künftigen heilsamen R e f o r m e n führend sein. Kann nun der Vater (und wie wollte der Staat es hindern ohne einächt c h i n e s i s c h e s Regiment?), k a n n also und d a r f der Vater durch p e r s ö n l i c h e s Einwirken Geist und Herz seiner Kinder auf eine der eigenen Uberzeugung oder Sinnesrichtung und Neigung entsprechende Weise bilden so kann und darf er es auch thun durch einen d a z u a u f g e s t e l l t e n F r e u n d , d.h. nach selbsteigenem f r e i e n V e r t r a u e n gewählten f r e m d e n E r z i e h e r , s o wie er auch - um das obige Gleichniß fortzuführen - bei seiner H a u s - A n d a c h t d a s Gebet oder die Erbauungs-Cerimonieen entweder selbst verrichten oder durch einen Freund verrichten lassen kann. Und so können auch m e h r e r e Väter über die Wahl eines gemeinschaftlichen Lehrers oder Erziehers für ihre Kinder sich vereinigen, blos die Schranke beobachtend, daß die Erziehung weder durch die Menge der Zöglinge noch durch die unbestimmt gewähne Freiheit des Zutritts den Charakter einer h ä u s l i c h e n oder reinen Privat-Erziehung nicht verliere und jenen einer ö f f e n t l i c h e n annehme, in welch' letzterem Falle nämlich die oben für die Staatsgewalt in Anspruch genommenen Befugnisse einträten. Doch auch diese im Allgemeinen anzuerkennenden Befugnisse haben für ihre Anwendung eine durch Rechtsgebot und edlere Politik sehr eng gesteckte Gränze und die in neuer und neuester Zeit hier und dort stattgefundene Ausübung erscheint offenbar als den Geist des Tages traurig bezeichnende - Ü b e r s c h r e i t u n g derselben. Wenn nehmlich ein Staat zur Licenz-Ertheilung für Errichtung einer Erziehungsanstalt oder für Übernahme eine Lehrerstelle an derselben - nicht eben den vollständigsten Beweis der Tüchtigkeit und Sittlichkeit der Lehrer, was zu billigen wäre - sondern vielmehr nur die Probe einer von oben vorgeschriebenen, hier mit der revolutionären, dort mit der 31

reactionären Tendenz überstimmenden p o l i t i s c h e n G e s i n n u n g , ja den Beweis einer v o n j e h e r gehegten oder wenigstens geäußerten Gesinnung solcher Art verlangt, wenn er, um solches vorherrschende oder fast allein waltende Interesse auf's Sicherste und Vollständigste zu befriedigen, ganze C l a s s e n von (in jeder andern Beziehung tauglichen und achtungswerthen) P e r s o n e n wegen des auf einigen oder mehreren der ihnen Angehörigen ruhenden Verdachtes einer mißfälligen politischen Richtung von der Wahlfähigkeit zu Lehrern oder Erziehern ausschließt, wenn er etwa gegen die Summe der Bürger eines f r e m d e n (etwa einem verhaßten Verfassungs-System anhängigen oder durch Freiheitsbestrebungen bewegten) V o l k e s ( z . B . gegen alle S c h w e i z e r oder gar auch gegen alle Landeskinder, die blos einige Zeit in der S c h w e i z v e r w e i l t e n ) solche Ausschließung verhängt, und noch andere demselben Geist entflossene etwa den Rathschlägen des Hrn. von H a l l er entsprechende Maßregeln gegen die Freiheit der Erziehung trifft: so spricht er dadurch nicht nur ein demüthiges M i ß t r a u e n in die Güte des von ihm in der Politik angenommenen Princips (als welches ja in solcher Voraussetzung auch o h n e strenge Abwehr aller damit nicht harmonirenden Lehre siegreich bleiben würde) oder gewissermaßen ein S e l b s t b e k e n n t n i ß einer zur freien Zustimmung der Nation u n g e e i g n e t e n R i c h t u n g aus; sondern er verletzt auch wirklich - wie oben gezeigt worden - ein heiliges R e c h t , er verletzt nicht nur ein e i n - , sondern ein z w e i f a c h e s und d r e i f a c h e s Recht. Allernächst verletzt er das Recht der El t e r n , ihr Kind sich zum F r e u n d e zu bilden und auf eine nach ihrer Überzeugung zum Glück oder, was noch mehr ist, zur höhern Menschen- und Bürger-Würde führende Weise zu erziehen, es ζ. B. auch in einer Zeit oder in einem Lande, wo in der Kirche krasser Aberglaube und fanatischer Eifer herrscht, und im Staate der Knechtssinn, die ekelhafte Schmeichelei, die Anbetung der Machthaber, der niedrige Egoismus, die Vergessenheit der menschlichen und bürgerlichen Rechte mehr und mehr um sich greifen, zu hellen Ansichten und zu Freiheitsgedanken emporzuheben. Er verletzt weiter das Recht des K i n d e s , nicht geopfert zu werden, d . h . seinen heiligen Anspruch auf höhere und edlere Bildung nicht aufopfern zu müssen den einseitigen Interessen oder unlautern Richtungen einer nach subjectiven Zwecken strebenden Autorität. Aber er verletzt auch das Recht der G e s a m m t h e i t , d . h . des V o l k s oder der N a t i o n , welche bei etwa durch Ungunst der Umstände gehegter oder durch unlautere Tendenzen gerade in Macht stehender Persönlichkeiten oder Parteien allgemeiner gemachten V e r s c h l e c h t e r u n g des Charakters ihrer Angehörigen nur noch in der P r i v a t - E r z i e h u n g ein Mittel der Rettung, eine Hoffnung auf bessere Zeiten erblickt, während sie, wenn die durch eine etwa jener der Restaurations-Regierung in Frankreich ähnliche Tendenz der Machthaber geregelte öffentliche Erziehung nur zwei Menschenalter hindurch fortdauerte, sich zu b l e i b e n d e r Entwürdigung, Verdummung und Knechtsgesinnung verurtheilt sieht. Freilich ist diese hier angedeutete Aussicht eben das Ziel, wornach die Reactions-Partei, die Schule des Herrn v. Haller, und die theils egoistischen, theils rein knechtischen Anhänger des strengen Absolutismus streben und auf dessen Erreichung alle ihre Plane und Mittel berechnet sind; aber die aufgeklärten und edelgesinnten Regierungen werden 32

von solchem Systeme, welches die Erziehung der nachwachsenden Geschlechter zu Menschen und Bürgern der Willkür oder Gnade oder dem subjectiven Interesse, überhaupt der ausschließenden Gewalt einiger weniger Häupter oder Häuser preisgiebt, sich mit Abscheu abwenden und die dahin gerichteten Einflüsterungen oder Zudringlichkeiten böser Rathgeber mit Entrüstung zurückweisen.

1.4.

J . Tews, Deutsche

Volksbildungsvereine.

Aus: Enzyklopädisches Handbuch, Hrsgg. von W. Rein, 2. Aufl., Bd. 9, Langensalza 1909, S. 694 In den nachfolgenden, den pädagogischen Lexika entnommenen Beiträgen ist Urheberschaft und Richtung in der Regel eindeutig zu bestimmen. Sie können, da sie Anonymität in der Regel nicht üben, kaum jene Relevanz für die Zeitgeistforschung besitzen als die eher aseptisch, sich auf vermutete Interessen ausrichtenden Reallexika. Mit dem Anwachsen der Erziehungswissenschaft und der Pädagogik - und dies sowohl quantitativ als auch qualitativ - haben die Päd. Lexika in einem Maße zugenommen, daß man heute geradezu von einer Inflation sprechen kann; ein Umstand, der die Herausgeber dieses Bandes in einige Verlegenheit bringt, da eine angemessene Auswahl kaum mehr gelingen will. Am Beginn unseres Jahrhunderts war die lexikalische Kompetenz in der Pädagogik an „den Rein" und „den Nohl-Pallat" gebunden, im 19. Jahrhundert nahm etwa K.A. Schmid's „Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens" einen vergleichbaren Rang ein.

Wesen und Aufgabe der Volksbildungs-Vereine. Die Aufgaben der Volksbildungsvereine gliedern sich in agitatorische und praktische. Neue Bildungsaufgaben werden von Staat und Gemeinde gewöhnlich erst dann in die Hand genommen, wenn die öffentliche Meinung sich mit einer gewissen Lebhaftigkeit und Dringlichkeit dafür ausgesprochen hat. Neben der Presse sind es besonders die Bildungsvereine, welche für neuauftauchende Bildungsarbeiten Interesse und Verständnis zu verbreiten berufen sind. Die größeren Verbände der Bildungsvereine in Deutschland und in Österreich besitzen darum auch besondere Zeitschriften, welche Anregungen in der bezeichneten Richtung zu geben sich bemühen. Durch Flugschriften, öffentliche Vorträge und Versammlungen werden dieselben Zwecke verfolgt. So hat ζ. B. die »Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung« im Laufe der Jahre für die Einführung der Gesetzeskunde und Volksvereine zuerst Fortbildungsschulen im heutigen Sinne begründet und unterhalten. Sie haben den staatlichen und kommunalen Anstalten den Weg gebahnt, die von ihnen errichteten Schulen sind heute größtenteils durch öffentliche Lehranstalten abgelöst worden. Insbesondere haben die Vereine sich die Pflege des weiblichen Fortbildungsschulwesens angelegen sein lassen, da Gemeinde und Staat für das weibliche Geschlecht bis in die jüngste Zeit nicht in dem Umfang eintraten wie für das männliche. So verdankt die große Mehrzahl der neuerdings eingerichteten Haushaltungsschulen ihre Entstehung der Anregung und der praktischen Mitarbeit der Bildungsvereine. Bei der Fürsorge für die geistige Fortbildung der Erwachsenen waren die Bildungsvereine in Deutschland bis vor kurzem ohne jede Konkurrenz. Erst neuerdings haben 33

Gemeinde und Staat wenigstens die Errichtung von Volksbibliotheken und Lesehallen in größerem Umfange ebenfalls in die Hand genommen. Dagegen liegt die Veranstaltung von öffentlichen Vorträgen, von veredelnden Unterhaltungen und von volkstümlichen Lehrkursen noch fast ganz den Vereinen ob. Es gibt nur wenige staatliche und kommunale Institute, die zum Teil oder ganz auf diesem Gebiete arbeiten . . . Das öffentliche Vortragswesen hat sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zu einer selbständigen Lehrtätigkeit entwickelt. Viele wissenschaftlich geschulte und rednerisch begabte Kräfte wirken als Wanderredner in den Vereinen und machen sowohl die Fortschritte der Wissenschaft als auch neuere Dichtungen und Kunstwerke in den weitesten Kreisen des Volkes bekannt. Es darf als eine öffentliche Anerkennung der Wanderrednertätigkeit bezeichnet werden, daß hervorragend tüchtigen Wanderrednern... der Professortitel verliehen worden ist, ohne daß ein anderer Anlaß als die hervorragenden volkspädagogischen Verdienste dazu vorlag. Ein Teil der Wanderredner sucht die Wirksamkeit des mündlichen Wortes durch die bildliche Darstellung zu erhöhen. Das Skioptikon mit dem Lichtbilde, und neuerdings auch der Kinematograph, sind damit gewissermaßen zum Volksmuseum geworden. In größeren Städten, insbesondere in Berlin, hat man für die bildliche Darstellung wissenschaftlicher Gegenstände besondere Veranstaltungen ins Leben gerufen. Das bekannteste Institut dieser Art, das keineswegs auf geschäftlicher, sondern in erster Linie auf gemeinnütziger und pädagogischer Grundlage errichtet wurde, ist die »Urania« zu Berlin. Anstalten unter demselben Namen sind auch in anderen Städten begründet worden. Auch die stereoskopischen Darstellungen werden immer mehr in den Dienst der Verbreitung realistischen Wissens gestellt. Eine großartige Industrie ist lediglich mit der Herstellung derartiger Artikel beschäftigt. Die großen physikalischen, meteorologischen, botanischen, zoologischen und astronomischen Anstalten haben sich ebenfalls mehr oder weniger direkt in den Dienst der Volksbildungsarbeit gestellt, indem sie entweder ihre Einrichtungen immer mehr dem großen Publikum zugänglich machten, oder besondere Veranstaltungen für die Volksbelehrung schufen. Die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung veröffentlicht alljährlich ein geographisch geordnetes Verzeichnis der bekanntesten und geschätztesten Wanderredner, das in seiner letzten Ausgabe (Winter 1908) 187 Namen enthält. Ein von der Vortragsvermittlungsstelle der Gesellschaft veröffentlichtes Verzeichnis von Rednern ist nach Wissensgebieten geordnet und enthält nur solche Redner und Wanderlehrer, die in größerem Umfange als Vortragende tätig sind. Daneben gibt der »Deutsche Vortragsverband« eine Liste von Rednern heraus. Der größte Teil der Vorträge wird indessen nicht von den Wanderrednern, sondern von lokalen Kräften gehalten, und die gebildeten Kreise betrachten es vielerorts als ihre soziale Pflicht, an den Arbeiten der Volksbildungsvereine durch Übernahme von Vorträgen sich zu beteiligen. Die Volksunterhaltungsabende, die neben kurzen, Belehrung und Anregung bietenden Vorträgen den Schwerpunkt auf die Darbietung von musikalischen und deklamatorischen Gaben legen, haben sich erst in den letzten Jahrzehnten in größerem Umfange 34

entwickelt. Durch sie ist das, was gelegentliche festliche Veranstaltungen (patriotische, kirchliche, lokale und Vereinsfeste) boten, zu einer besonderen, in den Dienst der Volksbildung gestellten Einrichtung geworden. Der Erfolg der Volksunterhaltungsabende hat bewiesen, daß den weiteren Kreisen der Bevölkerung die an das Gemüt sich wendende Unterhaltung näher liegt als die den Geist in Anspruch nehmende Belehrung. Die Volksunterhaltungsabende haben in kurzer Zeit sich über die meisten Städte Deutschlands verbreitet und auch auf dem platten Lande vielfach festen Fuß gefaßt. In demselben Maße sind die Volksbildungsvereine für die Errichtung von Volksbibliotheken tätig gewesen. Den Anfang zu diesen haben gewöhnlich die nur für den Mitgliederkreis berechneten Vereinsbibliotheken gemacht. N u r wenige Bildungsvereine haben aus lokalen Gründen (weil bereits öffentliche Volksbibliotheken vorhanden waren) davon abgesehen, eine Bibliothek anzulegen. Dadurch ist in Deutschland eine große Zahl von kleinen, in ihrer Vereinzelung allerdings wenig leistungsfähigen Bibliotheken entstanden, deren Zusammenfassung in den einzelnen Ortschaften ohne weiteres das Material für große zeitgemäße Volksbibliotheken geben würde. Die Vereine sind aber in der Regel nicht geneigt, ihren Bücherbestand auch nur leihweise aus der Hand zu geben und stehen damit oft der Einrichtung moderner Leseanstalten hindernd im Wege. Das Verdienst, das sich die Bildungsvereine um die Verbreitung der populär-wissenschaftlichen und der besseren belletristischen Literatur erworben haben, kann nur von dem geleugnet werden, der diesen Arbeiten fernsteht. . . . Trotz dieser segensreichen Wirksamkeit haben die Bildungsvereine von den verschiedensten Seiten, insbesondere bei ihrem ersten Auftreten, die schärfsten Angriffe erfahren. Es ist schwer, im einzelnen zu erkennen, ob diese Kritik einen berechtigten Kern enthält, oder ob sie auf Voreingenommenheit oder die Befürchtung gewisser Kreise, ihren hergebrachten Einfluß im Volke zu verlieren, zurückzuführen ist. Es ist den Bildungsvereinen ζ. B. der Vorwurf gemacht worden, daß sie die Halbbildung im Volke fördern. Insoweit dieser Vorwurf die unvollkommene Methode und die nicht immer genügende wissenschaftliche Vorbildung der Vereinsredner betrifft, kann ihm eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden. Aber die Kritiker, von denen dieser Einwand auszugehen pflegt, gehören meist nicht zu denjenigen Personen, die geneigt und befähigt sind, durch praktische Mitarbeit die Bildungsvereine auf eine höhere Stufe zu heben, während es eine feststehende Tatsache ist, daß die Vereine lieber wissenschaftlich hochgebildete Männer zu Worte kommen lassen, als Personen, gegen deren wissenschaftliche Befähigung man Bedenken haben kann. Die frühere Zurückhaltung der Gelehrtenwelt den Bildungsvereinen gegenüber hat allerdings manche Elemente auf das Katheder der Bildungsvereine geführt, die besser im Zuhörerraum Platz gefunden hätten. Auch die Arbeitsmethode der Vereine gestattet sehr wohl kritische Einwendungen. Die Aneinanderreihung zusammenhangloser Vorträge vermag eine gründliche Ausbildung nicht zu geben. Aus einem Konglomerat von Vorträgen kann sich niemand eine Weltanschauung aufbauen. Aber es ist auch weit über das Ziel hinaus geschossen, wenn man derartige Vorträge als wertlos bezeichnet. Sie vermögen demjenigen, der schwer arbeiten muß und 35

zu einer systematischen Fortbildungsarbeit weder die Zeit noch die Mittel hat, sehr wohl über das, was die Zeit bringt und in erster Linie wissenswert ist, zu belehren und auch demjenigen, der gründlichere Belehrung sucht und die nötigen literarischen Hilfsmittel zur Hand hat und zu benutzen versteht, vielfache Anregungen zu bieten. Die größeren Bildungsvereine haben übrigens auch, wo sich ihnen die Kräfte zur Verfügung stellten, neben den einzelnen Vorträgen Vortragsreihen, die denselben Gegenstand oder verwandte Gebiete nacheinander behandeln, nicht erst neuerdings eingerichtet. Daß trotzdem die Mitteilung wissenschaftlicher Tatsachen, selbst solcher, die unmittelbar in das praktische Leben auch des Ärmsten hineinspielen, mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, und darum in den Vereinen oft mißlingt, ist nicht die Schuld dieser Körperschaften, sondern gehört auf das Schuldkonto derjenigen, welche die volle Entwicklung des Volksschulunterrichts nicht genügend gefördert, oder gar gehindert haben. Ohne die opferwillige Arbeit der Bildungsvereine würde allerdings keine sog. Halbbildung vorhanden sein, an deren Stelle aber oft gänzliche Unbildung, die denn doch noch weitaus gefährlicher ist. Uber das Maß dessen, was im Volke von den populär-wissenschaftlichen Vorträgen aufgefaßt wird, und über die Art, wie diese Kenntnisse in das wirtschaftliche und sittliche Leben des Volkes hineinwirken, ist übrigens in den gebildeten Kreisen manches Vorurteil und mancher tatsächliche Irrtum vorhanden. Es ist bisher noch nicht gelungen, irgend einen Bildungsverein als den Herd ungesunder Regungen im Volksleben nachzuweisen. Dagegen wird jeder, der sich im Volke bewegt, auf manche Persönlichkeit stoßen, die dem Bildungsverein fast den ganzen Schatz seines lebendigen Wissens verdankt. Daß die Bildungsvereine in früherer Zeit besonders aus kirchlichen Kreisen heraus starken Widerspruch erfahren haben, erklärt sich zum Teil aus der Tatsache, daß die Kirche gewohnt ist, den religiösen Glauben in Gegensatz zum Wissen zu bringen, und daß sie in der Vermehrung des Wissens oft eine Schädigung des Glaubens und des religiösen Lebens sieht. Ferner war die Kirche bis in unsere Zeit hinein die einzige Institution, die durch das lebende Wort unmittelbar zum Volke sprach. Es kann deswegen nicht Wunder nehmen, daß die Konkurrenz der Bildungsvereine ihr oft neu und ungewohnt und darum oft unbequem war. Später hat sich ein Teil der evangelischen Geistlichkeit mit der neuen Mitarbeiterschaft ausgesöhnt und diese sogar freudig begrüßt, und die katholische Geistlichkeit hat in den von ihr geleiteten Vereinen einen Teil der Bestrebungen der Bildungsvereine aufgenommen, allerdings im Zusammenhang mit konfessionellen und kirchlich-politischen Bestrebungen, nach der Anschauung des Berichterstatters nicht immer zum Vorteil der Sache. Aber auch von einer Seite, die gegen den Verdacht der Bildungsfeindlichkeit unbedingt gesichert ist, haben die Bildungsvereine häufig eine abfällige Kritik erfahren. Man hat an ihren Führern öfter eine starke Neigung zum Radikalismus auf politischem, kirchlichem und wissenschaftlichem Gebiete bemerken wollen. Tatsächlich gehörten besonders in der ersten Zeit viele Förderer der Bildungsvereine der Linken an. Der Vorwurf des Radikalismus ist aber trotzdem durchaus unbegründet. Der doktrinäre Radikalismus ist 36

viel zu sehr mit seinen agitatorischen Bestrebungen beschäftigt, um sich der mühsamen Bildungsarbeit andauernd hinzugeben. Es ist sogar als der wesentlichste Mangel aller radikalen Richtungen zu bezeichnen, daß sie die aufregende und häufig verhetzende Propaganda hinter die ruhige, stetige, aber eben darum besonders wirksame Belehrung und Aufklärung zurückstellen. Die Vertreter der Bildungsvereine dürften ihrer großen Mehrheit tatsächlich den mittleren Richtungen angehören, die sich des großen Einflusses, den ausgereifte, auf die Erkenntnis der Tatsachen begründete Anschauungen besitzen, vollauf bewußt sind. Leider halten sich in unserm vom Kastengeist noch immer stark beherrschten Deutschland die mehr rechts stehenden Vertreter von »Bildung und Besitz« oft in ganz unbegreiflicher Weise von der Berührung mit den Volkskreisen fern, die den Bildungsvereinen besonders zuströmen. Es ist also zum Teil ihre Schuld, wenn die Art, wie sie die Wissenschaft popularisieren möchten, nicht immer zur Anerkennung kommt. Das einzige wirksame Mittel, etwaige Mißstände nach dieser Richtung hin abzustellen, ist, daß alle Berufenen sich auf ihre Pflichten auf dem Gebiete der Volksbelehrung ernstlich besinnen und an den Stätten, wo die wissensdurstige Menge sich sammelt, erscheinen, und hier ohne Nebenabsichten die Verbreitung des Guten, Wahren und Schönen sich angelegen sein lassen. . . . Daß die Volksbildungsvereine sich ihrer erziehlichen Pflichten bewußt sind und ihre Aufgabe keineswegs so einseitig, wie of oft behauptet worden ist, auffassen, geht u. a. daraus hervor, daß sich in den Statuten gewöhnlich der Satz findet, daß die Vereine unter ihren Mitgliedern auch »gute Sitten« zu verbreiten bemüht sein wollen. So heißt es ζ. B. in § 1 der Satzungen des Berliner Handwerkervereins: »Der Verein hat den Zweck, allgemeine Bildung, tüchtige Berufskenntnisse und gute Sitten unter seinen Mitgliedern zu fördern.« Sie werden durch die Aufnahme dieses Programmpunktes zu Volkserziehungsvereinen und wirken als solche nach den verschiedensten Richtungen hin, insbesondere aber dadurch, daß sie geistige Bedürfnisse an die Stelle von leeren äußeren Vergnügungen und sinnlichen Genüssen zu setzen bemüht sind. Diese positive Erziehungsarbeit dürfte in den meisten Fällen wirksamer sein, als manche mit großem Eifer in Szene gesetzte Bekämpfung von Leidenschaften und Neigungen durch bloße Ermahnung und Warnung. Gewisse Unvollkommenheiten der Volksbildungsvereine wird indessen jeder, der in ihnen lebt und wirkt, unschwer erkennen. Aber um diese objektiv zu beurteilen, muß man sich daran erinnern, daß wir es hier mit Schöpfungen zu tun haben, die in ihrer großen Mehrzahl kaum ein Menschenalter bestehen. Erst in unseren Tagen haben sich aus dem Volke heraus die Organisationen gebildet, die Wissenschaft und Kunst in derselben Weise dem Volke zuführen wollen, wie ihm der Gottesglaube durch die Kirche verkündigt wird. Ob die jungen Keime sich dereinst auch zu großen, das gesamte Volksleben bewegenden und beeinflussenden Mächten entwickeln, wie die religiösen und konfessionellen Gemeinschaften, kann zur Zeit noch niemand voraussagen. Aber wer das Geistesleben des Menschen in seiner Gesamtheit ins Auge faßt, und wer die Tatsache sich vergegenwärtigt, daß immer breitere Schichten des Volkes aus der Beschränkung auf einen Teil dieses Geisteslebens herausstreben, wird eine großartige Entwicklung aller 37

freiwilligen Organisationen zur Verallgemeinerung von Kunst und Wissenschaft für wahrscheinlich halten. . . . Daß die Bildungsvereine zu den übrigen pädagogischen Institutionen in lebhaften und fruchtbaren Beziehungen stehen, mag hier wenigstens kurz angedeutet werden. In allen Bildungsvereinen findet man den Lehrerstand, insbesondere die Lehrer der Volksschulen, als Leiter, Schriftführer, Vortragende und als Mitglieder. Weniger stark beteiligt sind im Gegensatze zu den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gegenwärtig die Lehrer der höheren Schulen und die akademisch Gebildeten überhaupt. Die deutsche Volksschullehrerschaft folgt damit der von Diesterweg ausgegebenen Parole: »Der wahre Volksschullehrer erhebt sich zum Volkspädagogen.« Daß die Volksschule auch ein direktes Interesse an der Pflege der Bildungsvereine hat, leuchtet ohne weiteres ein. Denn diese Vereine fußen nicht nur auf den Ergebnissen des Volksschulunterrichts und setzen die von der Schule begonnene Arbeit fort, sondern sie tragen auch wesentlich dazu bei, die Wirksamkeit der Schule bei dem jungen Geschlechte zu erleichtern; denn wenn die Erwachsenen Freude am Wissen haben und selbst beflissen sind, ihre Bildung zu erhalten, zu erweitern und zu vertiefen, so werden sie auch die Jugend zu gleichem Streben anregen. Die Entwicklung der Schule und der Bildungsvereine geht deswegen auch im großen und ganzen parallel. Diejenigen deutschen Landesteile, die ein hochentwickeltes Volksschulwesen haben (Königreich Sachsen, Thüringen, Hessen) haben auch zahlreiche und große Bildungsvereine, während in den östlichen Provinzen Preußens mit ihrem rückständigen Schulwesen die Bildungsvereine erst neuerdings festeren Fuß fassen. . . .

1.5. R. von Erdberg, Freies A u s : Politisches Handwörterbuch, hrsgg. von

Volksbildungswesen. P. Herre,

Bd. 2., Leipzig 1923, S. 908 f.

W i r verzichten auch in diesem Beitrag auf die historischen und bibliographischen Verweise, da sie unabhängig von ihrem zeitbedingten Interesse gegenwärtige Aufmerksamkeit kaum beanspruchen können.

Volksbildungswesen, Freies. Unter der Bezeichnung „F.V." werden alle Bestrebungen zusammengefaßt, die außerhalb des staatlichen Schulwesens dem Erwachsenen die Möglichkeit zu einer Erweiterung und Vertiefung seiner Bildung geben wollen. Ein F.V. in diesem Sinne ist erst möglich in Staaten, in denen die Gleichberechtigung aller Staatsbürger anerkannt ist. Bei Völkern, in denen die Menschen sich in privilegierte Klassen scheiden, mag zwar eine fürsorgerische Bildungspflege durch eine Klasse für die andere stattfinden, über das Niveau einer Vermittelung notwendiger oder nützlicher Kenntnisse wird sie nicht hinausgehen können, weil sie sonst die Grundlage solcher Staaten, eben die Standesunterschiede, verneinen würde, womit natürlich nicht gesagt ist, daß es nicht zu allen Zeiten eine Volksbildung gegeben hat. Wie schwer ein Wandel der 38

Anschauungen sich hier vollzieht, dafür ist Deutschland ein gutes Beispiel, in dem das F.V. seinen fürsorgerischen Charakter noch lange bewahrte, als die Gleichstellung aller Staatsbürger theoretisch schon längst erreicht war. Es ist in dieser Richtung auch bezeichnend, daß die volle Erkenntnis von der Bedeutung des F.n.V.s erst mit der Einführung des Volksstaates erreicht wurde. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß in Deutschland erst seit den siebziger Jahren von einer freien Volksbildungsbewegung gesprochen werden kann. Was vorher war, beschränkte sich auf geistige Fürsorge, oft im engsten Zusammenhang mit kirchlicher Seelsorge und konnte über kleinere geschlossene Gruppen nicht hinausgehen, weil diese Arbeit ihrem Wesen nach auf engste Gemeinschaft angewiesen war und weil die Voraussetzungen zur Entfaltung einer Bewegung noch nicht gegeben waren. Sie wurden geschaffen durch die Einigung des Deutschen Reiches und durch die Erteilung des allgemeinen Wahlrechts. Die jung einsetzende Bewegung konnte sich aber auch da, wo sie sich nicht auf bereits früher bestehende Organisationen stützte, sondern ζ. T. im Gegensatz zu ihnen neue Vereinigungen als ihre Träger schuf, des fürsorgerischen Charakters nicht ganz entäußern. Das zeigte sich vornehmlich darin, daß nicht Bildung um ihrer selbst, um der zu entwickelnden Menschen willen gepflegt wurde, sondern im Interesse eines außer ihm stehenden Zweckes einer Institution, des Staates, der politischen Partei, ja selbst der Kirche. Das Moment der Erziehung war in dieser Bildungsarbeit noch vorwiegend. Je mehr sie aber Erfolg hatten, je mehr vor allem die politische Parteierziehung (die mit Bildungsarbeit wenig zu tun hat) zum Klassenbewußtsein gerade der Kreise führte, an welche die Bewegung sich wenden wollte, und zur Entfachung des Klassenkampfes führte, um so mehr mußte diese fürsorgerische, auf einen bestimmten Zweck zielende Richtung der Arbeit versagen. Wollen wir typische Vertreter dieser Richtung nennen, dann wären es der Christliche Zeitschriftenverein auf evangelischer, der Verein vom heiligen Karl Borromäus auf katholischer Seite, beide schon vor 1870 bestehend, und die Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung, 1871 gegründet. Alle drei Vereinigungen sind seit ihrem Bestehen einem Wandel unterworfen gewesen. Unter dem Drucke der äußeren Verhältnisse mußte die Bewegungsich umstellen. Das bedeutete natürlich einen langwierigen Prozeß, der sich etwa in den Jahren 1895 bis 1905 vollzog. Die Bildungspflege als Wohlfahrtspflege wurde abgelehnt und als Recht gefordert und gewährt. Nicht mehr sollte ein zugemessener Anteil an Bildung genügen, sondern jedem sollten die Möglichkeiten offen stehen, soweit zu streben, wie er verlangte. Das war in der Theorie leicht zu fordern, in der Praxis sehr schwer durchzusetzen. Für die Praxis hatte die Forderung den Erfolg, daß nun ein Uberangebot jedwede Nachfrage, woher sie immer kommen mochte und welche Art immer sie sein mochte, zu befriedigen strebte. In diesen Jahren entstand die Mehrzahl der großen Vereine und Verbände, die heute noch Träger der Bewegung sind. Diese beiden Epochen haben das gemein, daß die Träger der Bewegung in ihnen meinten, Bildung von außen an die Menschen herantragen, als eine geistige Montur, nach 39

Paulsens Wort, sie jedem anpassen zu können. Das Mittel zur Erzeugung oder zur Verbreitung von Bildung war ihnen das Wissen, aber ein Wissen, das als Tatsache von den Bildung-Besitzenden den Bildung-Bedürftigen mitgeteilt wurde, und das diese hinzunehmen hatten, da die Voraussetzungen einer Kritik an ihm ihnen fehlten. Diese zweite Epoche der freien Volksbildungsbewegung, die sich in einem extensiven Bildungsbetrieb im wesentlichen erschöpfte und neben dem nur hier und da in engeren, namentlich katholisch-konfessionellen Kreisen eine intensive Arbeit betrieben wurde, führte zu einem einseitigen Intellektualismus. Die in diesem Rahmen vorzüglich, namentlich im Wiener Volksheim arbeitende Wiener Richtung stellte als Ziel der Arbeit die Erziehung zum selbständigen Denken auf. Hatte schon vor dem Kriege, seit 1905 etwa, eine Kritik dieser extensiven Arbeit eingesetzt, so darf nach Abschluß des Krieges und nach der Evolution geradezu von dem Eintritt einer Krisis in der Bewegung gesprochen werden. Die Kulturmüdigkeit und die Kulturskepsis, die weitere Kreise erfaßt hatte, wirkten auch auf diese Bewegung zurück. Volksbildung lautete nun die Parole des Tages. Die Volkshochschulbewegung, als Volkshochschulrummel mit Recht gekennzeichnet, ging in eine Breite, die in umgekehrtem Verhältnis zur Vertiefung der Arbeit stand. Immer mehr erstarkten aber auch die Bestrebungen, der Volksbildungsarbeit erst ihre wissenschaftlichen Grundlagen zu schaffen. Die Fragen nach dem Wesen, der Methode und den Grenzen der Volksbildungsarbeit, nach ihrem Verhältnis zu den Weltanschauungen und politischen Parteien stehen heute im Vordergrunde des Interesses. Nachdem vor dem Kriege der Staat und die Gemeinden der Bewegung nur ein platonisches Interesse entgegengebracht hatten, lassen sie ihr jetzt in den möglichen Grenzen eine finanzielle und darüber hinaus eine weitgehende moralische Unterstützung zuteil werden.

1.6.

A. Heinen,

Erwachsenenbildung.

A u s : Lexikon der Pädagogik der Gegenwart, Hrsgg. vom Deutschen Institut für Wissenschaftliche Pädagogik, Bd. 1, Freiburg/Br. 1930, S. 664 ff. Fortan erscheinen in den pädagogischen Lexika die Stichworte „Erwachsenenbildung" und „ V o l k s b i l d u n g " nebeneinander, wobei die Inhalte weithin deckungsgleich erscheinen. Volksbildung wird indes historisch stärker eingegrenzt auf Erscheinungsformen im Ausgang der Wilhelminischen Ära und in der Weimarer Republik, es wird ihr eine politische, „Lebensgemeinschaft des V o l k e s " stiftende Absicht unterlegt. Von daher sind Beiträge über „Volksbildung" vielfach und intensiv mit rhetorischen Appellen und Ansprüchen versehen.

I. Wesen: Unter Menschen sind wesentlich dreierlei Verbindungen möglich: I. solche der Gewalt, deren N o r m ist die Macht des Herrn auf der einen u. die Furcht des Sklaven oder Untertanen auf der anderen Seite; 2. solche, die auf Erreichung äußerer Zwecke oder 40

Wahrung äußerer Interessen abzielen u. dem individuellen Interesse des einzelnen der Verbundenen dienen (Zweckverbände). Ihre Norm ist die Klugheit als Fähigkeit, die gesteckten äußern Ziele zu erreichen; 3. solche, die auf dem Urgefühl der Gemeinschaft beruhen u. sich in der geistigen Sphäre sublimieren zu Bindungen der Ehrfurcht, Liebe, Treue u. des wechselseitigen Vertrauens, auch unter solchen, die nicht blutsverwandt sind. Ihr Sinn ist nicht der äußere Zweck, sondern der Mensch, der in der Betätigung der geistigen Qualitäten der Ehrfurcht, Liebe u. Treue erst zu seiner vollen Menschwerdung u. Gott-Ebenbildlichkeit gelangt. Norm der dritten Art von Bindungen ist das Gewissen u. der Adel der Menschenwürde, der sich selbst in Ehren hält u. sich nicht wegwirft um äußerer Zwecke willen, der Treue hält um der Treue willen, an die er glaubt. Wo Menschen im Banne solcher »sakralen« Bindungen einander begegnen, da ist Kultur; wo diese Bindungen fraglich geworden sind, spricht man von der Kulturkrisis; wo nur noch Bindungen im Zweckverband sind, da ist kulturlose Zivilisation. Der jugendl. Mensch lebt in den sakralen Bindungen von Familie, Heimat u. Volk naiv u. unbekümmert, u. primitives Volkstum lebt ebenso naiv u. unbekümmert in den Bindungen der Arbeitsgemeinschaft u. des Staates. Ihnen genügt, daß sie sich geführt, behütet u. betraut fühlen. Anders der mündige Erwachsene. Für ihn sollen die sakralen Bindungen bewußte Verantwortung bedeuten. Aus der Krisis des Pubertätsalters soll der Mann als der bewußte Träger der Verantwortung für die Familie hervorgehen, u. zwar der Verantwortung für die wirtschaftl. Seite der Familie so gut wie für ihre Zucht u. ihr geistiges Gepräge. So kann auch der Erwachsene Bürger der Gemeinde, Glied der Heimat, Glied der Arbeitsgemeinschaft, Glied des Volkes nur in dem Maße sein, als er in der bewußten Verantwortung für diese sakralen Werte steht u. von dem Gefühle der Verantwortung sich in seinem wirtschaftl., polit. u. geistigen Tun bestimmen läßt. Man kann deshalb kurz sagen: E. ist Bildung zur Verantwortung des Vaters, des Bürgers in Gemeinde, Heimat u. Staat, u. zwar zu der dreifachen Verantwortung: für die wirtschaftl., polit. u. geistige Seite des Lebens. Muß bes. betont werden, daß verantwortl. Tun das entsprechende Können, sei es techn. oder wissenschaftl., zur Voraussetzung hat, u. daß E. sich nicht im luftleeren Raum vor Nur-Theorien oder -Ideen bewegen kann? II. Notwendigkeit: Ist E. notwendig? In einer Zeit, die dem 20jährigen u. dem letzten Mann u. der letzten Frau aus dem Volke das Vollbürgerrecht zugesprochen u. damit die volle Mitverantwortung für Leben u. Zukunft des Volkes aufgebürdet hat, erübrigt sich eine Antwort auf diese Frage. Jugendliche kann der Bildner wohl anleiten zu mitverantwortl. Tun in der elterl. Familie, in der Heimatgemeinde unter Führung der Erwachsenen. Er kann ihnen auch ein zieml. Maß von Kenntnissen u. prakt. Können vermitteln. Aber an den Erwachsenen treten Lebensfragen heran, für deren Bedeutung u. Tragweite der Jugendliche noch kein Verständnis hatte. Er hat andere Hemmungen u. Schwierigkeiten zu überwinden als der Jugendliche. Er verlangt nach letzter, endgültiger Formung seines geistigen, sittl. Seins, nach Ausprägung seiner Weltanschauung, aber auch nach der ernsten Begegnung mit der anders gearteten Weltanschauung, damit in dieser Begegnung die eigene sich kläre u. festige. Während der Jugendliche in seinen 41

Pubertätsträumen noch geistig jenseits der Wirklichkeit schwebte, muß der Erwachsene in ernstem geistigen Ringen sich diese Wirklichkeit erobern u. lernen, als Verantwortlicher darin zu stehen u. seine Funktion aus Ehre u. Freiheit auf sich zu nehmen u. handelnd u. leidend zu bejahen. Nur so kann dem verneinenden, hilflosen Radikalismus begegnet, andererseits aber auch die schöpferische Kraft geweckt werden, deren unser Volk in der Not seiner Gegenwart bedarf. Die E. stößt noch auf große Schwierigkeiten, wenn es sich bei ihr nicht um Vermittlung von Hochschulwissen an Arbeiter, Angestellte u. sonstige »geistig kleine Leute« handelt, nicht um ein geistiges Wegführen des Erwachsenen von der harten Problematik seines eigenen Alltags- u. Wirklichkeitslebens, sondern um die Überwindung der Ungeistigkeit u. Verantwortungslosigkeit dieses Wirklichkeitslebens. III. Bildner: Woher sollen die Persönlichkeiten kommen, die diese Aufgabe klar sehen u. ihr gewachsen sind? E. ist geistiger Treudienst am Volk, also Beruf u. kein Spiel; sie fordert von dem Bildner Hingabe u. harte, strenge geistige Zucht. Sie ist eine Lebensaufgabe u. kein Pöstchen. Sie fordert den ganzen Menschen u. ist deshalb nichts für den Dilettanten. Sie fordert den, der sich nicht mit einem fertigen System über die Problematik des Lebens hinwegtäuscht, sondern unablässig damit ringt; den Suchenden u. nicht den Fertigen. Sie fordert den Pädagogen, d. h. den Menschen, der sich aus Ehrfurcht u. Liebe um tiefes Verstehen müht, der selbst bereit ist, umzudenken u. umzulernen, wo seine vermeintl. Selbstsicherheit erschüttert wird. Eine andere Schwierigkeit ist das Fehlen einer Seelenkunde des Erwachsenen. Die Begegnung zwischen dem Bildner u. den Erwachsenen kann nicht mehr die gleiche sein wie zwischen dem Bildner u. unreifen, jugendl. Menschen. Unsere landläufige Vorstellung von Schule kann hier keine Anwendung finden. Ebensowenig unsere Vorstellung von der Begegnung im Vereins- u. Vortragssaal. Wenn heute unsere Psychologie in der Umbildung von einer naturwissenschaftl. zur geisteswissenschaftl. Disziplin begriffen ist, wenn wir heute schon ernstzunehmende Ansätze einer »Wissenschaft vom Menschen« sehen, die wiederum stark auf das Ursprünglich-Intuitive, auf die lebendige Idee statt der toten Abstaktion zurückgreift, so erhoffen wir davon wesentl. Hilfe für die » A n d r a g o g i k « , für die Wissenschaft der E. IV. Form: Eine Form der E. wird allmählich gefunden: das Gespräch, sei es das Rundgespräch, sei es das Gespräch vor Zeugen. Wenn Menschen wieder miteinander sprechen könnten - nicht belangloses Biertischgeschwätz, sondern von ernsten Dingen, die als gemeinsame Not auf uns allen liegen; wenn einmal Menschen verschiedener Funktionen im Wirtschaftsleben, im Staatsleben u. im geistigen Leben wieder eine gemeinsame Sprache des Geistes fänden, sich wieder in einer lebendigen Muttersprache finden u. verständigen könnten, jenseits alles toten Buchwissens u. aller Demagogenphrase, so wäre die Frage der E. auf gutem Wege. Vorläufig wird noch viel in E. dilettiert; aber es geht doch wie ein Erwachen durch die Kulturmenschheit...

42

1.7.

Volksbildung.

Aus: Lexikon der Pädagogik der Gegenwart, hrsgg. vom Deutschen Institut für Wissenschaftl. Pädagogik, Bd. 2, Freiburg/Br. 1932, S. 1211 ff.

I. Volksbildung als Notwendigkeit empfunden im Zeitalter des liberalen Individualismus zur Wissensvermittlung u. damit Ausrüstung für den »Kampf ums Dasein« des Individuums, wurde vom marxist. Sozialismus aufgegriffen in ähr.l. Sinne zum Rüstzeug für den Klassenkampf. Ausgehend von der rationalist. These »Wissen ist Macht«, wollte man das vorgebl. Wissensmonopol der Privilegierten brechen u. Wissen zum Gemeingut machen. Popularisierte Wissenschaft wurde in Form von Vorträgen in die breiten Schichten des Volkes getragen, etwas feiner, in gehobener Sprache in die Kreise des besseren Bürgertums, etwas gröber u. massiver in die Kreise der Arbeiter. Nebenher ging ein breiter Strom populärwissenschaftl. Literatur. - Es darf nicht verkannt werden, daß ein ernstes Bedürfnis vorlag, in populärer Form die Massen zu befähigen, hygienisch zu leben, Unfälle zu verhüten, rationell zu wirtschaften, sich im Zeitalter der Technik auszukennen. So ist die Popularisierung eine Notwendigkeit gewesen u. ist es noch. Aber das Sich-zurechtfinden-können in der mod. Zivilisation hat mit Bildung nichts zu tun. Ähnlich wie die Wissenschaft sollte auch die Kunst Gemeingut des Volkes werden, u. zwar die bildende so gut wie die redende. Durch Museumsführungen u. kunstgeschichtl. Vorträge suchte man dem Volk die bildende, durch Volksbibliotheken u. »volkstüml. Theatervorstellungen« die redende Kunst nahezubringen. - Das Ergebnis der Überspannung dieser Art »V.« war u. ist heute noch katastrophal. Wissenschaft u. Kunst wurde damit nicht Volkssache, sondern Massenartikel. Beide wurden industrialisiert u. damit entweiht. Die Abkehr von dem Bildungsrummel des 19. Jahrh.s erfolgte um die Jahrh.wende. Ernste Männer besannen sich darauf, daß das Volk durch Massenbetrieb nicht gebildet, sondern seinen Lebensaufgaben entfremdet wird. Sie sahen die Krisis, in die das Volk durch Industrialisierung, Politisierung u. nicht zuletzt populärwissenschaftl. Intellektualisierung hineingerissen war. Sie besannen sich, daß Kultur nur da ist, wo der Mensch oder die Menschengemeinschaft dem Ansturm der äußern Dinge geistig u. sittlich gewachsen u. überlegen ist. . . . Dringlicher wurde die Bildungsfrage, als einsichtige Menschen erkannten, daß Deutschland nur durch den Einsatz seiner gesamten sittl. Kräfte die Katastrophe des Weltkrieges werde überdauern können, u. als nach der Katastrophe das Volk berufen war, sein Schicksal auf die eigene Verantwortung zu nehmen. Da trat R. v. Erdberg in seinem grundlegenden Buch »Fünfzig Jahre Freies V.swesen« mit der Kritik an die bis dahin herrschende Form u. Tendenz der V. heran. Kultur als Adel der Seele vermittelt sich nicht durch gedächtnismäß. Aneignung von Wissen über Kultur. Man kann um Kulturgüter wissen, ohne sich zur Verantwortung bzw. Mitverantwortung für die Kultur aufgerufen zu fühlen. Die bisherigen volksbildner. Bemühungen haben nicht vermocht, das Volk zur Mitverantwortung u. Verlebendigung des Geistesgutes zu bilden. Sein Freund u. Mitarbeiter Th. Bäuerle prägte das Wort: »V. ist die Bildung des einzelnen zum Volke«. Damit war die Bildungsfrage als die Kulturfrage des Volkes schlechthin erkannt: »Was ist noch da an geistiger Substanz, das mobilisiert u. eingesetzt werden kann zur Uberwindung der Kulturkrise u. zur Verhütung eines vollständigen Zerfalls aller schicksalhaften Bindungen?«

Es handelte sich nun um die Erkenntnis der Idee »Volk«, um die Antwort auf die Frage: Was ist ein Volk?, die für alle V. Leitstern sein muß. Man mußte den Trennungsstrich ziehen zwischen Volk u. Masse, mußte sich darauf besinnen, daß Volk seiner Idee nach nicht eine Summe von Individuen ist, die durch gemeinsames Interesse zweckhaft zum »sozialen Vertrag« sich verbunden haben, sondern Gemeinschaft, die durch Treue, Ehre u. Gewissen zusammengeschlossen ist, also eine metaphys. Größe. 43

Man mußte sich besinnen, daß »Volk« organisch gegliedert ist in Familien, Berufsstände, Gemeinden, Bezirke, Volkstümer, u. daß die Besten des Volkes dazu berufen sind, diese Lebensgemeinschaften auf Ehre u. Gewissen zu nehmen. Es gilt heute, das Volk von seiner Keimzelle her, dem einzelnen u. der Familie, zu erneuern durch Weckung des Geistes der Verantwortung u. Umwandlung des verantwortungslosen Individuums zur sittl. Persönlichkeit. - V. ist also nicht das geistige Almosen, das die Intellektuellen dem »Volke« zu geben u. zu bieten haben, sondern ist das geistige Heimholen des einzelnen zum Volk u. seiner verantwortl. Funktion im Volk. Damit ist die Frage der V. als der Gewissensbildung in die religiöse Sphäre gerückt. Damit ist aber auch gesagt, daß V. nicht bloß den »Mann aus dem Volke« zum Objekt hat, sondern jede Schicht u. jeden Stand; daß sie die auseinandergerissenen, einander entfremdeten Schichten u. Glieder des Volkes zur Erkenntnis u. willensmäßigen Bejahung ihrer verantwortl. Funktion zusammenführen will. - V. will den einzelnen bilden zur bewußten Verantwortung im Wirtschaftsleben, im Staatsleben u. Kulturleben. Nur von bewußt Verantwortlichen läßt sich ja an Stelle des wirtschaftl. Chaos von heute eine Wirtschaftskultur schaffen u. das, was heute individualistisch u. klassenmäßig gegeneinander steht u. den »Kampf ums Dasein« führt, wiederum zur höh. Einheit der Lebens- u. Schicksalsgemeinschaft binden. Diese Bindung u. damit die Überwindung der Klassen ist die Funktion des Staates. Der Staat kann nur dann seine Funktion erfüllen, wenn er getragen ist von der Einsicht u. Verantwortung des mündigen Volkes, u. wenn wirklich Verantwortliche seine Führung in Händen haben. Weckung des Sinnes für echte Werte der Kunst erstrebt die V. auf ganz anderem Wege als die ehemalige Museumsführung, die nicht den Wesensgehalt der Kunst, sondern bloß einiges mehr oder weniger dilettant. Wissen über die Kunst vermittelte oder höchstenfalls zum ästhet. Genießen des Kunstwerkes anleitete. Ausgehend von der Erkenntnis des Kunstwerkes als des Symbols der kosm. Idee, will sie wiederum die Ehrfurcht vor der Welt des Symbolischen wecken u. damit jene Kraftströme erschließen, die im echten Kunstwerk sich bergen, auf literar. Gebiete erstrebt sie die innerl., gemütsmäßige Verbindung des Lesers mit dem geistig u. sittlich wertvollen Buch. Hier hat W. Hofmann in Leipzig bahnbrechend gewirkt durch Schaffung der Leipziger Bücherhallen, der Zentralstelle für volkstüml. Büchereiwesen, durch Einrichtung einer Bibliothekarschule (2jähr. Lehrgang) u. Herausarbeitung einer musterhaften Methode, Leser u. Bücherei in päd. Verbindung zu bringen. Katholischerseits sind die kirchl. V.sbestrebungen, wie sie im Zentralbildungsausschuß zusammengefaßt sind u. in den Borromäusbibliotheken vielerorts sich zeigen, beachtenswert... I I . D i e l a n d l . V o l k s b i l d u n g bedarf stofflich u. methodisch einer besondern Pflege im Gegensatz zur mehr städt. Bildung, wenn neben dem humanist, u. soziolog. Bildungsideal noch ein anderer Bildungsbegriff Platz hat, dessen Inhalt u. Umfang gemessen werden muß mit einer zu erstrebenden kleinbäuerl. Kultur.

Ein Bauer ist gebildet, wenn er zum bewußten Mitbesitz am »Erbgang der geistigen Güter der Menschheit« gelangt u. seine Lebensführung danach einrichtet.... Da für die allermeisten Volksgenossen Bildung das Gepräge wird erhalten u. behalten müssen, das 44

ihr die Kultur des eigenen Volkes, die Eigenart der Umwelt u. Erziehung u. die Besonderheit des Berufes einschränkend verleihen, so kann es sich bei dem deutschen Bauern nur um kleinbäuerl. Kultur u. Bildung handeln. Diese gibt es in der Tat u. ihre geistigen Güter sind: Gesundheit, Beruf, Gemeinschaftsleben, Heimat, Muttersprache, Natur u. Volkskunst. Die bäuerl. Kulturkreise haben indes nur insoweit Bildungswert, als sie vom Goldgrund der Religion ausgehen, von Religion durchdrungen sind u. in Religion zurückmünden. Andere Kulturgebiete als die genannten kommen für den Bildungsgang des deutschen Bauern entweder (wie Philosophie, Psychologie u. Logik) gar nicht in Betracht oder (wie Physik, Chemie, Geschichte, Erdkunde, Anstandslehre u. Turnen) nur als Hilfslehrgebiete für Berufskunde, Bürgersinn, Gesundheitslehre u. ä. Dagegen muß der bäuerlich. Volksbildner selbst mit philosoph., geschichtl., mathemat. u. naturwissenschaftl. Denken sowie mit ästhet. Einfühlung durchaus vertraut sein, ohne daß er in den genannten Wissenschaften Sepzialfachmann zu sein braucht; im Gegenteil, für kleinbäuerl. V.s-pflege wäre das nur hinderlich, während die Einstellung zu der Arbeitsweise dieser sieben Sachgebiete von den neuen preuß. päd. Akademien mit Recht auch für den Dorflehrer gefordert u. vermittelt wird: die Bildungspflege auf dem Dorfe, bedarf keines dörfl. V.samtes, sondern kann intensiv nur persönlich durch Lehrer, Pfarrer (u. Dorfarzt) vermittelt werden; anders in den mittleren u. größeren Städten, die ohne Planwirtschaft technisch nicht auskommen u. daher V.sämter gegründet haben.

1.8.

Erwachsenenbildung.

A u s : D e r G r o ß e Herder, 4. Auflage, Bd. 4, Freiburg/Br. 1932, S. 418 D e r Herder-Verlag hat zu keiner Zeit seine weltanschaulichen Präokkupationen verstellt; er schließt sich in Fragen der Erwachsenenbildung weithin der katholischen, auf jeden Fall der gruppenspezifischen Erwachsenenbildung an und folgt solchermaßen einem extensiv ausgelegten Verständnis pluralistisch verfaßter Erwachsenenbildung. Diese so rigide Eingrenzung kann übrigens gegenüber dem im gleichen Verlag veröffentlichten „ L e x i k o n der Pädagogik" nicht vorgebracht werden.

Sinn: Unter E. versteht man die Volksbildung, soweit sich diese zum eigentl. Sinn der Bildung von der Schule entwachsenen, in Leben u. Beruf stehenden Menschen geklärt hat, durch ihre methodische Besinnung auf die Pädagogik des Erwachsenen (Andragogik) daher von der Jugendbildung sich in Ziel u. Methode unterscheidet. Diese Bildungsarbeit will nicht mehr popularisierende Vermittlung der höheren wissenschaftlich-künstler. Bildungsgüter an die sozial tieferen Schichten sein, sondern ein aus der Verantwortung für das Volksganze geborener geistiger Verkehr, Begegnung u. Verständigung der Erwachsenen aller sozialen u. Bildungsschichten des Volkes zum Zwecke der tieferen Lebensgemeinschaft u. der seelisch-geistigen Durchdringung der Berufsarbeit. Neben dieser auf Besinnung u. Aufklärung, d. h. Lebensvertiefung drängenden E. werden auch andere Bemühungen um die praktische Schulung der Erwachsenen immer bedeutsamer, E. als 45

praktische Schulung für den Haushalt, für Kinderpflege, Krankenpflege, für die Erfüllung des Hauses mit gesellig-geistigem Inhalt (Musik usw.), ferner als Umschulung auf andere Berufe, in der Form des Arbeitsdienstlagers (Freiwilliger Arbeitsdienst), als Siedlerschulung usw. An dieser Stelle ist indes mehr jener erste Sinn von E. berücksichtigt. Notwendigkeit: Der Mensch, der das Pubertätsalter hinter sich hat u. vor der Aufgabe steht, in Berufsstand, Familie, Heimat u. Volk durch Mittragen der Verantwortung zu verwurzeln, sieht sich vor eine Fülle von Lebensfragen gestellt, in denen er sich ohne geistige Hilfe nicht zurechtfinden würde. In Zeiten einer lebendigen Kultur fand er diese in den überlieferten Formen von Familie, Gemeinde u. Volkstum. Im Zeitalter der individualist. Zersetzung jedoch fehlen diese überlieferten Formen. Der ständige Wechsel des gesellschaftlichen Lebens u. die Unsicherheit aller Arbeitsplätze vermehren diese seelische Not, von der nam. diejenigen betroffen sind, die als Industriearbeiter u. Angestellte in das Chaos der Großstadt hineingeworfen od. auch als bäuerl. Siedler in ein ihnen wesensfremdes Volkstum verschlagen werden. J e mehr die individualist. Denkart auch vom Bauern Besitz ergreift, desto unsicherer wird auch hier die Bindung an die Überlieferung. Es kommt hinzu, daß die moderne Demokratie die Bürger auch mit der Verantwortung für den Staat belastet. Gerade die wertvollen Menschen quälen sich nun mit den Lebensfragen herum, die täglich an sie herantreten u. Lösung durch Willensentscheidung u. Tat heischen. Sie suchen nicht zunächst Erweiterung ihrer Kenntnisse, sondern Einsicht in die Lebenszusammenhänge. Ihnen will die E. zu Hilfe kommen, die Zusammenhänge klären u. dem Ethos Richtung u. Ziel weisen. Gestaltung: O b j e k t der E. ist also nicht etwa bloß der Proletarier u. Angestellte, sondern jeder Erwachsene, der sich in der Verantwortung für seinen Lebenskreis u. seine Gemeinschaft findet u. sich wieder von überindividueller Menschenbindung erfassen lassen will. M e t h o d e ist in erster Linie das Gespräch, in dem die Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft sich zueinander hinsprechen u. um wechselseitiges Verständnis ringen. An diesen methodischen Mittelpunkt lassen sich natürlich alle andern Lehrformen angliedern, die für den Zweck des geistigen Verkehrs von Erwachsenen sinnvoll sind. Als Sinnbedeutung des Lebens ruht E. auf weltanschaulichem Grunde. Wertvoll ist aber auch die Begegnung von Erwachsenen verschiedenartiger Welt- u. Lebensanschauung, bei der es sich selbstredend nicht darum handelt, propagandistisch aufeinander einzuwirken, sondern darum, die letzte Überzeugung des andern verstehen u. achten zu lernen u. ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Damit erst wird für eine fruchtbare Arbeit am gemeinsamen Werk der Grund gelegt. Diese Gespräche sollten möglichst eingebettet sein in kürzere od. längere Gemeinschaftsformen (Wochenende, Freizeit, Schulungswoche, Arbeitslager usw.); erst diese lassen gerade im Erwachsenen die nichtintellektuellen Einsichten in das Wesen des „anderen", der sich dabei in den „Nächsten" zturückverwandelt, Fuß fassen. 46

E n t s c h e i d e n d ist die P e r s o n d e s Β i 1 d η e r s . E r ist nicht d e r polit. P a r t e i m a n n , nicht der ü b e r r e d e n d e , s o n d e r n der k o n t e m p l a t i v e , die B e s i n n u n g leitende M e n s c h . E r ist der G e g e n s p i e l e r - ja m a n k a n n s a g e n : das G e w i s s e n d e s T ä t i g e n u . d e s F ü h r e r s i m tätigen L e b e n . E r m u ß die Z u s a m m e n h ä n g e sehen, auf S a u b e r k e i t des D e n k e n s d a s g r ö ß t e G e w i c h t legen u . d a m i t die noch U n g e k l ä r t e n z u r Nachdenklichkeit anregen, sie innerlich v o n P h r a s e u . D e m a g o g i e z u befreien s u c h e n , ü b e r h a u p t die B e r ü h r u n g u. B e g e g n u n g der e r w a c h s e n e n , d . h . bereits im L e b e n gereiften M e n s c h e n z u ihrer vollen g e m e i n s c h a f t s b i l d e n d e n u . d a m i t l e b e n v e r w u r z e l n d e n K r a f t leiten.

1.9.

Die

Volkshochschulbewegung.

Aus: Handbuch der Pädagogik, hrsgg. von H. Nohlu.

L. Pallat, Bd. 1, Langensalza 1933, S. 315 ff.

In diesem Sammelband werden die damals erkennbaren Erscheinungen der Volksbildungsbewegung, resp. der Volkshochschulbewegung in den Kontext der Pädagogischen Reform rangiert. Fraglos besteht ein Zusammenhang zwischen den vielfältigen pädagogische Bewegungen am Beginn unseres Jahrhunderts: Jugendbewegung, Kunsterziehungsbewegung, Jugendbuchbewegung - wenn denn diese Pauschalierung mit Wolgist's Zustimmung erlaubt sei - , entschiedene Schulreform und die Frauenemanzipation - ein dichtes Geflecht ,emanzipatorischer' Vorgänge, das auf den Nenner „pädagogischer Bewußtheit" zu bringen wäre. Erwachsenenbildung in diesem Kontext ist ein besonderes Phänomen. Erwachsenenbildung sollte nicht in der Nähe der Schule, nicht in der Nähe des Staates, nicht in der Nähe von Systematik und Reglementierung angesiedelt sein. Diese Vorentscheidungen haben die Erwachsenenbildung für lange Zeit erheblich beeinträchtigt. D i e z w e i t e p ä d a g o g i s c h e V o l k s b e w e g u n g w a r die V o l k s h o c h s c h u l b e w e g u n g , die n u n den gleichen P r o z e ß v o n der E r w a c h s e n e n s e i t e einleitet, den die J u g e n d v o n sich aus b e g o n n e n hatte. N o c h deutlicher als bei der J u g e n d b e w e g u n g ist hier z u sehen, d a ß ihr u r s p r ü n g l i c h e s F e u e r h e u t e n u r n o c h g l i m m t , a b e r auch mit ihr w i r d m a n sich g a n z vertraut m a c h e n m ü s s e n , weil sie ebenfalls d e n t r e i b e n d e n I m p u l s d e r neuen P ä d a g o g i k b e s o n d e r s deutlich sehen läßt u n d tief in d a s allgemeine p ä d a g o g i s c h e L e b e n h i n ü b e r g e w i r k t hat, s o daß sie weit ü b e r ihren eigenen B e z i r k hinaus u n s e r e B i l d u n g s a r b e i t bestimmt. 1. W i e w a r das 1 9 1 9 ? D i e N o t unseres V o l k e s w a r d a , alle Q u e l l e n d e r K r a f t w a r e n uns g e n o m m e n , w i e F i c h t e d a s einmal in seinen R e d e n a u s d r ü c k t , G l ü c k , M a c h t , R e c h t - es blieb n u r die E r z i e h u n g ; u n d n u n k a m d a z u die R e v o l u t i o n mit ihren G e g e n s ä t z e n . D a erschien die V o l k s h o c h s c h u l e als d a s n e u e O r g a n der E r h e b u n g . M a n hat später v o n e i n e m „ V o l k s h o c h s c h u l r u m m e l " g e s p r o c h e n u n d sich lustig g e m a c h t ü b e r d e n E i f e r , d e r d a m a l s in allen g r o ß e n u n d kleinen S t ä d t e n ans G r ü n d e n g i n g - aber es w a r d o c h n u r d a s leidenschaftliche V e r a n t w o r t u n g s g e f ü h l der aus d e m K r i e g h e i m k e h r e n d e n geistigen M e n s c h e n , die d o r t d a s V o l k n e u sehen gelernt hatten u n d n u n bei d i e s e m Z u s a m m e n b r u c h aller Ideale in s o l c h e r geistigen S a m m l u n g d e s V o l k s den letzten festen G r u n d einer n e u e n Z u k u n f t sahen. D i e V o l k s h o c h s c h u l e erschien als d a s u n b e f l e c k t e u n d von allen 47

Gegensätzen und Vergangenheiten der Zeit nicht belastete Instrument, das ihre Not an der Wurzel zu fassen vermochte. Auch hier hatten die Männer, die damals mit der Arbeit begannen, kein Programm, die Tat war leichter als die Formel, und aus dem klaren Gefühl heraus konnte man nein und ja sagen. Aber wie nun dieser einheitliche Wille, so unmittelbar aus der Not der Zeit herausbrechend, sich auszusprechen versuchte, kamen die verschiedensten Ziele zu Tage. Jede lebendige pädagogische Konzentration hat als ein Organ des Lebens eine solche Mehrseitigkeit in sich, von der niemand sagen kann, welches denn nun ihr eigenster Mittelpunkt sei. Aber nun drohte dieser mehrseitige Gehalt der Bewegung der alten Zersplitterung unseres Volks zu verfallen, die sie gerade hatte überwinden wollen. Der Vorgang war genau derselbe wie in der Jungendbewegung. In dieser Gefahr fand sich dann aber auch die erste und entscheidende Einsicht: die Volkshochschule ist ein Organ der Pädagogik, und hat ihren autonomen Sinn in dem Begriff der Paideia, der Bildung eines höheren Menschentums. Die zweite wichtige Einsicht war, daß sie zwei heterogene Quellen hat: die Universitätsausdehnung, wie sie England und Amerika und die Wiener Volksbildung vertraten, und die Internatsvolkshochschule als Lebensgemeinschaft, wie sie Grundtvig in Dänemark geschaffen hatte. Ging man dort auf das Wissen und die Erziehung zur brauchbaren Leistung, wendete sich an die Erwachsenen in der Stadt, an die Masse in extensiver Arbeit, so suchte man hier geistige Kultur und Entfaltung des Menschen in seiner persönlichen Eigenart, verlegte die Volkshochschule auf das Land und wendete sich an jugendliche Menschen, mit denen in kleinen Gemeinschaften intensiv gearbeitet wurde. In der deutschen Volkshochschulbewegung gingen diese beiden sehr verschiedenen Ansätze zusammen und machten sich antinomisch in ihr geltend; ihre Gegensätze sind auch nie ganz aus ihr zu tilgen, weil sie verschiedene Funktionen vertreten. Im Kampf der heutigen Richtungen erscheinen sie als „Aufklärung" und „Bildung zum Volk". Das Zentrum der Bewegung war doch schließlich ein neuer Begriff vom Menschen und der menschlichen Kulturgemeinschaft, derselbe neue Humanismus, den wir auch in der Jugendbewegung fanden. Wie man dort nach „Menschentum" verlangte, jenseits von den Zwecken des bürgerlichen Lebens, seiner Mechanisierung und Rationalisierung, oder wie in der Fürsorgeerziehung der „Mensch", seine „Totalität" gesucht wurde, nicht bloß der „brauchbare, der Gesellschaft nicht zur Last fallende Arbeiter", so ist auch die ganze Volkshochschulliteratur erfüllt von diesem Gedanken des Menschentums, das mehr sein will als der bloß leistungsfähige Fachmann und Berufsspezialist. War in unseren Fortbildungsschulen und Berufsschulen die individuelle geistige Entfaltung und Gestaltung des Menschen aus totalen geistigen Mächten zurückgetreten zugunsten des Fachwissens, so geht die Volkshochschulbewegung umgekehrt von diesem Zentrum aus und sucht überall in dem Arbeitsleben und Gemeinschaftsleben die gestaltenden geistigen Kräfte auf, aus denen es wieder eine Seele und damit neue Formen gewinnt. Dabei bringt sie aber nun als ihren besonderen Einsatz in die Pädagogik der Gegenwart den Begriff einer Volksbildung mit, bei der nicht nur der einzelne im Volk gebildet ist, 48

sondern das Volk als solches eine Paideia hat, in der der einzelne aufwächst. Die Volksbildung ist also nicht bloß ein Organ mehr am Bau unseres Schulwesens, sie ist auch nicht bloß zur Entwicklung der Berufskräfte unseres Volkes da, auch nicht bloß ein Überfluß, den der Gebildete an den Ungebildeten abgibt, sondern - und das war die tiefe neue Einsicht - die Lage ist gerade umgekehrt: die Volksbildung und Volkskultur ist das Fundament, ohne das alle höhere Bildung auch des einzelnen in die Luft baut. Wie die Sprache unserer Dichter nur wahrhaft lebendig ist, wenn sie aus der Sprache des Volks lebt, und sonst Jargon wird, so gibt es auch keinen Ausdruck geistigen Daseins, keine Haltung und Form des Einzelnen ohne solchen Zusammenhang mit der Form und Haltung des ganzen Volkes. Nur in einem gebildeten Volksleben kommt auch der einzelne zur Einheit seiner Bildung und jenem selbstverständlichen Stil, der das Resultat solcher Einheit ist. Schon unsere triebhaften Regungen entwickeln sich dann in diesen Formen. So hatte die Volkshochschulbewegung hier einen neuen Begriff von Bildung entdeckt gegenüber dem bloßen individuellen Bildungsdasein des alten Humanismus und mußte nun versuchen, von ihm aus alle Lebensformen pädagogisch zu durchdenken. Es ergab sich als selbstverständliche Folge, daß diese pädagogische Arbeit ihr Hauptmittel nicht in der Wissensvermittlung hatte, sondern in der Lebensgemeinschaft der Volkshochschule, in der Art, wie hier ein Kreis von Menschen um einen Leiter gemeinsam arbeitet, ißt und trinkt, spielt und feiert. So erschien die Grundtvigsche Form des Internats als die ideale. In den städtischen Abendvolkshochschulen mußten sich innere Ringe bilden, Gemeinschaften von solchen, die sich zusammengehörig fühlen und das lebendige Zentrum der Schule abgaben. Die Feste und Feiern erwiesen sich hier wie in der Jugendbewegung als die große Form für die Herbeiführung des Erlebnisses der Gemeinschaft, dessen Folgen dann tief auch in die gemeinsame Arbeit hinüberwirkten. Die nahe Verbindung mit den pädagogischen Lebensformen der Jugendbewegung ist überall deutlich. Die Volkshochschule wurde denn auch die gegebene Werkstätte, in der die jungen Menschen der Jugendbewegung ihre freie Selbstausbildung gewannen, so weit sie über das bloße Jugendleben zur Aufklärung über das Leben drängten, wie umgekehrt die Volkshochschule in den früheren Führern der Jugendbewegung die lebendigsten Träger ihrer Arbeit fand. 2. Wie die Jugendbewegung über ihren historischen Ansatz hinaus einen zeitlosen Sinn hatte - die pädagogische Form der Jugendgruppe als Selbsterziehungsgemeinschaft der Jugend - so ist auch die Volkshochschule, unabhängig von der Not der Gegenwart, ein notwendiges Glied im Bildungssystem jedes Volkes und jeder Zeit. Gruber (Der Erwachsenenunterricht 1922) hat von der „Erweiterung des pädagogischen Horizonts in vertikaler Richtung" gesprochen und meint damit: das Wesen der Volkshochschule sei nicht eine Ausdehnung des Wissensbesitzes auf Stände, die bisher davon ausgeschlossen waren, in Fortsetzung des Prozesses, der von der Aristokraten- und Geistlichen-Erziehung zur Bürgererziehung fortschritt, sondern eine Ausdehnung der Erziehung auf das höhere, bisher von der Erziehung nicht erfaßte Alter. Das pädagogische Problem der Volkshochschule von hier aus angesehen ist also das Problem der Erwachsenenbildung. 49

Sobald der Mensch wach geworden ist und ein bewußtes Verhältnis zum Leben sucht, entsteht die Aufgabe, ihm eine Schulstätte zur Verfügung zu stellen, wo er in freier Arbeit und freier Entscheidung sich seine Kategorien für das Verständnis und die Führung des Lebens erwirbt. Jedes Volkserziehungswesen ist unvollständig, dem solche Organisation fehlt. Damit ergibt sich als Hauptinhalt der Arbeit auf der Volkshochschule die Besinnung auf die zentralen Lebensfragen, die Stellung des Menschen in der Welt, seine Freiheit und Abhängigkeit, den Sinn der Berufe, der Lebensformen usw. Wo die Volkshochschule nur die Fachvorlesungen der Universität nachahmt, mißversteht sie ihren Sinn. Sie ist allerdings Aufklärung, auch mit ihrer befreienden, negativen Seite, - daß die Volkshochschularbeit das oft vergessen hat und sich im Gegensatz gegen eine falsche Wissensverbreitung zu einseitig romantisch an die künstlerischen Kräfte wandte und eine organische Volkskultur aus zu einfach gesehenen Verhältnissen anstrebte, war ein Fehlen ihrer ersten Phase - aber Aufklärung heißt hier vor allem Besinnung auf die Beziehungen der Mächte des Lebens zueinander, die wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen Kräfte und Gesetze, die die menschlichen Verhältnisse und lebensformen bestimmen, und sie hat ihren Ansatzpunkt in den konkreten Lebensbedingungen und Bedürfnissen der Schüler, um ihnen zur geistigen Herrschaft über sie zu verhelfen. Das schwierigste Problem der Bewegung wurde auch hier die Frage nach der letzten Richtung, auf die die pädagogische Arbeit hinzielt, ob die Volkshochschule nur konfessionell oder politisch gebunden sich wahrhaft auswirken könne oder ob sie ungebunden, autonom pädagogisch sein solle. Die Neutralität der alten Volksbildung, die darin bestand, Fragen aus dem Wege zu gehen, die gerade die bewegenden sind, wurde bald als unfruchtbar erkannt. An ihre Stelle trat der lebendige Verkehr der verschiedenen Geister in der Auseinandersetzung der „Rundgespräche" und die Erziehung zu einer „ritterlichen Toleranz, die mit Kämpfertum wohl vereinbar ist". Die Volkshochschule erschien als der Ort der Begegnung unseres zerrissenen Volks, in der sich das Recht der Gegensätze aufklärt, und die so seiner Einheit d i e n t . . . 3. Die Volkshochschulbewegung hat auf die gesamte Volksbildungsarbeit gewirkt. Es zeigt sich hier dasselbe Verhältnis wie das von Jugendbewegung zu Jugendpflege und Jugendfürsorge. Auch hier bestanden lange vorher schon große Organisationen und Unternehmungen aller Art im Dienst der Volksbildung, wie die Volksbibliotheken, die Gesellschaft für Volksbildung, die volkstümliche Kunstpflege, Volksbühne und Volkskonzerte, die ländliche Wohlfahrtspflege mit ihren Gemeinschaftsabenden, Arbeiterbildungsvereine usw., aber auch hier ist das Entscheidende, daß der Geist der Volkshochschulbewegung in diese veralteten Organisationen hineingedrungen ist und überall neues Leben entfacht hat. A m großartigsten hat sich das in der Bewegung des B ü c h e r e i w e s e n s g e z e i g t . . . Auch hier trat an die Stelle des Massenehrgeizes der Wille zur Qualität, die Berücksichtigung der Individualität und die Herstellung der Lesergemeinschaft, und auch hier zog die neue Bewegung alle Reformbewegungen in sich hinein, die wirtschaftlichen und hygienischen so gut wie die künstlerischen und religiösen. D i e Volksbücherei ergab sich als die geeignetste Grundlage der Volkshochschule. In der 50

jungen Generation dieser Volksbüchereibewegung haben sich die ursprünglich gegensätzlichen Richtungen zu gemeinsamem Kampf verbunden. Ihre Autonomiebestrebungen, d . h . die Selbständigkeit der Volksbücherei gegenüber der wissenschaftlichen Bibliothek auf Grund ihres pädagogischen Willens, haben sich durchgesetzt, dagegen ihr eigentliches Ziel der Durchdringung Deutschlands mit Volksbüchereien nach dem Vorbild Amerikas und der skandinavischen Länder ist noch weit entfernt. 4. Von entscheidender Bedeutung war schließlich die Erkenntnis, daß man mit allem Bildungswillen in die Luft stieß, solange man die Arbeit als das eigentliche Leben des heutigen Menschen nicht miterfaßte, sondern sich nur an seine Muße oder seine soziale oder religiöse Betätigung hielt. Damit ergab sich für die Pädagogik eine großartige Erweiterung ihres Blick- und Arbeitsfeldes in der pädagogischen Durchdenkung und Durchgestaltung der Berufe und ihrer Arbeitsformen. Es entwickelt sich eine Fabrik- und Industriepädagogik, eine Militärpädagogik, eine Handwerker- und Kaufmannspädagogik usf., und eine Fülle von Aufgaben wird sichtbar, wie die pädagogische Analyse der verschiedenen Typen der Erwachsenen und ihrer Bildsamkeit, sowie aller Faktoren, die den Erwachsenen formen helfen: die Presse, der Film oder die Verhältnisse seines Lebenskreises. U n d wenn der Beruf der Frau und doch auch des Mannes nach der einen Seite immer der Vater- und Mutterberuf, der Erzieherberuf sein wird, so wurde die pädagogische Durchbildung unseres Volkes eine besondere Aufgabe der Volkshochschule, die in dem Instinkt der Hörer immer wieder die allerstärkste Resonanz fand. Von der wesentlichen Wirkung wurde der Geist der Volkshochschule endlich aber auch für die Schulpädagogik, woran man heute meist nicht denkt, obwohl eine ganze Reihe unserer führenden Pädagogen aus der Arbeit in der Volkshochschule hervorgegangen sind. Ganz entscheidend war dafür die neue Respekthaltung vor der Uberzeugung des andern, der hier als Schüler vor einem stand und doch schon erwachsen war. So ergab sich eine ähnliche Wendung wie in der Jugendbewegung, nur daß es sich hier zunächst nicht um die andere Generation, sondern um die andere Schicht handelte. Wie dort der Altershochmut, so verschwand hier der Kasten- und Bildungshochmut, wobei in beiden Fällen wohl auch die Grenze überschritten wurde, aus einem verständlichen Schuldgefühl die natürliche Rangordnung sich verkehrte und eine Verehrung der Jugend wie des Arbeiters erschien - sogar wohl auch des Gefangenen die in der Geistigkeit beider keinen echten Grund hatte und aus einer falschen Sentimentalität entsprang. Die Grundhaltung war aber richtig und führte gewissermaßen von oben her zu demselben Resultat wie die Jugendbewegung, zu einer neuen Einstellung dem andern Menschen gegenüber, ob er nun einer anderen Generation, einer anderen Schicht, einer anderen Konfession oder einem andern Volke angehörte. Ein zweites Ergebnis der Volkshochschularbeit, das in die allgemeine Schule und in die Pädagogik hinüberwirkte, war die Erkenntnis, daß das analytische Denken der Wissenschaft sich zu sehr von dem konkreten Lebensdenken entfernt hatte, um unmittelbar zugänglich und bildend zu sein. So sprach man von einem „Laiendenken" und von „Laienbildung" oder „Volksdenken", die augenscheinlich der Wissenschaft 51

gegenüber ihre eigene Bedeutung haben, und es ergab sich die Notwendigkeit, eine Vorform der Wissenschaft als „ K u n d e " zu entwickeln, die die gesunde Grundlage für alle weitere Denkarbeit darstellt und allmählich auch die Schulfächer umgestaltet. N o c h wichtiger aber wurde der neue Anschluß der Bildungsarbeit an die Wirklichkeit, der sich von hier aus anbahnte. Diese Menschen, die mitten im Kampf des Lebens stehen, fragen nach der existenziellen Bedeutung dessen, was man sie lehrt, und brauchen Gedanken, die ihnen helfen ihren Alltag zu vergeistigen. So hat die Auseinandersetzung in der Volkshochschule mehr als alles andere dazu beigetragen, die Aufhebung der humanistischen Trennung von Bildung und Wirklichkeit zu erreichen.

1.10.

Volksbildungswesen,

Erwachsenenbildung.

A u s : D e r Große Brockhaus, 15. Aufl., Leipzig 1934, Bd. 19, S. 654f. Die 15. Auflage des Großen Brockhaus war bereits vor der sog. Machtergreifung 1933 konzipiert worden. Zufolge der nach 1933 einsetzenden Reglementierung aller publizistischen Erzeugnisse war auch den Enzyklopädien auferlegt, sich den neuen weltanschaulichen Maßgaben anzuschließen. D e r Beitrag über Volksbildungswesen/Erwachsenenbildung belegt, wie man sich damals noch der Auflagen entledigen konnte, indem nach einer historischen und allgemeinen Porträtierung ein die gegenwärtigen Bedingungen berücksichtigender Appendix angefügt wurde.

Alle Bestrebungen, die den Erwachsenen aller Schichten eines Volkes die Möglichkeit zur Erweiterung und Vertiefung ihrer Bildung geben wollen, d. h. die ihre Kraft zur Beherrschung der gestellten Lebensaufgabe stärken, aber nicht eine Summe von Kenntnissen vermitteln wollen. Es scheidet sich damit von der Kinderbildung als einer Aufgabe der Schule ebenso wie von beruflicher Fortbildung und von Beschäftigungen, die einen reinen Fürsorgecharakter tragen. Volksbildungsarbeit umfaßt Volkshochschulwesen (Hochschulkurse), Volksbüchereiarbeit, Unterrichtskurse, Vortragswesen, künstlerische Bildungsarbeit, entweder in Form von Selbsttätigkeit (Volksmusikschulen, Singkreise, Laienspiele, Zeichnen und Malen) oder durch Darbietung in Konzerten, Ausstellungen u. a., ebenso die Tätigkeit der Volksbühnenverbände. Auch der Rundfunk ist hier zu nennen und der Kulturfilm. Versuche, den Spielfilm intensiver Volksbildungsarbeit dienstbar zu machen, stehen noch in den Anfängen. Seit der Nationalen Revolution 1933 erhält alle deutsche Volksbildungsarbeit ihre inhaltliche Bestimmung durch den völligen Anschluß an den neuen Staat und seine tragende Weltanschauung, in deren Dienst sie sich bewußt stellt. Auch neue Formen der Volksbildungsarbeit sind im Begriff, sich zu entwickeln, wie sie sich heute schon in der Schulungsarbeit der N S D A P und ihrer Organe in »Kraft durch Freude« und in den Arbeitslagern erkennen lassen. Die Volksbildungsarbeit soll ein Stück Führerschulung aller Zellen unseres Volkslebens sein, eine Sonderaufgabe im Rahmen der Volkserziehung. Sie wendet sich dabei nicht an den einzelnen als solchen, sondern als Glied des Ganzen und um des Dienstes am 52

Volksganzen willen. Die ihrem Wesen am besten entsprechende Arbeitsform ist die Arbeitsgemeinschaft und das Arbeitslager. Diese Volksbildung will hinausführen über das Mitgerissensein von der Bewegung, will die Volksgenossen das Ganze erfassen lehren; sie sollen die leitenden Gedanken durcharbeiten und dadurch zu einer vertieften Kenntnis der Gegebenheiten unseres polit., kulturellen und wirtschaftl. Lebens gelangen. Dabei ist trotz aller inneren Einheitlichkeit die Volksbildungsarbeit verschieden zu gestalten je nach der Landschaft, dem Beruf und der geistigen Art der zu der Arbeit sich zusammenfindenden Menschen (ζ. B. Bauernvolkshochschulen).

1.11.

Erwachsenenbildung.

Aus:. Pädagogisches Wörterbuch von Wilhelm Hehlmann, Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 1941, S. 90 f. Bereits in der ersten Auflage (Leipzig 1931, S. 50) referiert der Autor über Erwachsenenbildung, dort allerdings nur in wenigen Zeilen, wobei das Herkommen der EB, die gesetzlichen Maßgaben des Art. 148 der Weimarer Reichs Verfassung und die Formen von Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik abgehandelt werden. Es braucht nicht verschwiegen zu werden, daß Hehlminn sich meist von Opportunitätsüberlegungen leiten ließ und seine Artikel den politischen Zeitströmungen anpaßte.

Auch Erwachsenenerziehung oder Volksbildung, die Gesamtheit der Bestrebungen, die der Schule entwachsene Bevölkerung erzieherisch zu beeinflussen; in zahlreichen Kulturländern seit dem 19. J h . angebahnt und gefördert. In Deutschland wird die E. seit dem Jahre 1933 unter der Führung der N S D A P zusammengefaßt und der nationalpolitischen Gesamterziehung eingeordnet. Eine Anzahl von Volkshochschulen und Volksbildungsvereinen aus der Zeit vor der Machtübernahme besteht weiter. Daneben werden mit Unterstützung der Gemeinden in allen größeren Orten Volksbildungsstätten errichtet und von der N S D A P berufenen Leitern unterstellt. Zu den Formen der E. gehören heute neben Einzelvorträgen, Vortragsreihen und Arbeitsgemeinschaften sog. Arbeitskreise, Lehrgänge, Führungen, Besichtigungen, Lehrwanderungen und Kulturfahrten. Ziel ist die Förderung des geistigen und künstlerischen Schaffens in der Freizeit, die Erweiterung und Vertiefung des geistigen Daseins und die politische und weltanschauliche Erziehung. Träger der E.s-Arbeit ist das Deutsche Volksbildungswerk in der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude". Die gesamte Arbeit wird zusammengefaßt in der Reichsarbeitsgemeinschaft für E. und den in jedem Gau errichteten Gauarbeitsgemeinschaften für E. Die staatliche Aufsicht liegt in Händen des R E M .

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1.12.

Volksbildung,

Volksbildungswerk.

Aus: Pädagogisches Wörterbuch von Wilhelm Hehlmann, 2. Aufl. Stuttgart 1941, S. 428 f.

Volksbildung. Die Gesamtheit der Bestrebungen zur Förderung der Erwachsenenbildung außerhalb der Schule und der Berufserziehung. Die V. entstand als eine Teilaufgabe der späten Aufklärung zuerst in der ersten Hälfte des 19. Jhs., ohne zunächst eine nennenswerte Ausdehnung zu nehmen. Größeren Einfluß gewannen bald die in vielen Orten gegründeten kirchlichen Vereinigungen und Arbeiterbildungsvereine, die einen ausgesprochen sozialen Charakter trugen. Sie gerieten schließlich in Abhängigkeit von der marxistischen Bewegung und erlagen einer Bildungsideologie, die vor allem die Macht des Wissens betonte. Im Gegensatz zu ihnen bildete sich seit 1871 eine freie Volksbildungsbewegung, die jede partei- oder klassenmäßige Bindung ablehnte und ihre Ergänzung fand in der Jugend-, der Kunsterziehungs- und der Volksbüchereibewegung um die Wende des 20. Jhs. Sie mündete in die Volkshochschulbewegung kurz vor und nach dem Weltkriege ein, in deren Gefolge in zahlreichen Städten Abendvolkshochschulen, daneben aber nach dem Vorbild der dänischen, durch Grundtvig angeregten Volksbildungsbewegung auch einzelne Heimvolkshochschulen (Marktbreit am Main, Prerow) entstanden. Sie waren teils unpolitisch, teils kamen sie wiederum unter den Einfluß politischer Parteien. Die nationalsozialistische Bewegung wandte sich vor allem gegen den in der V. herrschenden Atomismus der Wissensübermittlung und führte ihren Neuaufbau aus der Überzeugung heraus durch, daß die V. zu vertiefter Anteilnahme am kulturellen und politischen Leben des Volkes und zu einer sinnvollen Lebensgestaltung im Rahmen des Ganzen führen müsse. Die alten Volkshochschulen wurden daher fast vollständig durch Volksbildungsstätten ersetzt, die dieser Aufgabe dienen. Die gesamte V.s-Arbeit ist organisatorisch zusammengefaßt im Deutschen Volksbildungswerk in der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude" und in der Reichsarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung . . . Volksbildungswerk. Deutsches, in der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude" wurde i.J. 1935 gegründet und umfaßt die Gesamtheit der Bestrebungen der Erwachsenenbildung, soweit sie nicht die fachlich-berufliche Schulung betreffen. In der Zielsetzung unterscheidet sich das V. von den Volkshochschulen früherer Zeit wesentlich. Hervorgegangen aus dem Gedanken der Feierabendgestaltung, will es nicht unzusammenhängendes Wissen vermitteln, sondern dem einzelnen unabhängig von der Schulbildung, die er genossen hat, die Mittel an die Hand geben, vertieften Anteil an dem Leben des deutschen Volkes zu nehmen und sich in selbständiger Weise mit dessen Geistesgut auseinanderzusetzen. Im Vordergrund der Arbeitsthemen stehen die Heimat und ihre Kultur sowie das deutsche Volk mitsamt seinen kulturellen Ausdrucksformen. Darüber hinaus werden alle Wissensgebiete und alle Zweige des künstlerischen Schaffens, der Wissenschaft, der Technik und der Wirtschaft in die Arbeit einbezogen, soweit sie der Gesamtaufgabe 54

dienen oder ihr nicht widersprechen. In Lehrgängen, Arbeitsgemeinschaften und Führungen werden kleine Gemeinschaften gebildet, in denen der einzelne seine Kraft entfalten kann. Organisatorisch ist das Deutsche V. ein Amt der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude" mit den Abteilungen Vortragswesen, Gestaltung der Volksbildungsarbeit, Buch- und Büchereiwesen und Kulturfahrten. Zu seinem Arbeitsbereich gehören die volksbildenden Aufgaben der DAF, die Führung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung und die Durchführung der weltanschaulich-politischen Breitenschulung im Auftrage des Hauptschulungsleiters der NSDAP...

1.13.

Erwachsenenbildung.

A u s : Lexikon der Pädagogik (Herder), Bd. 1 , 3 . Auflage. Freiburg/Br.-Basel-Wien, 1962, S. 1014 ff. In diesem Lexikon wird auch der Begriff „Volksbildung" (Verf. W. Lennartz, Bd. 4, S. 830 ff.) abgehandelt; u.a. ein Indiz dafür, daß die mit dem Beginn der 60er Jahre einsetzende realistische Wende zumal in der gruppengebundenen Erwachsenenbildung nur zögernd mitvollzogen wird. Der lexikalische Befund insgesamt ergibt, daß bis etwa in die Mitte der 60er Jahre die Rückbeziehung auf die Tradition der Erwachsenenbildung/Volksbildung der Weimarer Republik eindeutig gewesen ist. K o m m t hinzu, daß aus redaktionellen Gründen Lexika vielfach nicht in der Lage sind, aktuelle Veränderungen zu berücksichtigen.

1. A l l g e m e i n e s 1. Der B e g r i f f der E. umfaßt alle Wege und Mittel der Bildung und Erziehung, die nach der Zeit schulischer oder hochschulmäßiger Ausbildung einem Menschen zur Verfügung stehen. E. ist also derjenige Teil der Volksbildung, der unter ausdrückl. Berücksichtigung der bes. Möglichkeiten und Bedürfnisse des Erwachsenen diesem bei der Gestaltung seiner Persönlichkeit, seines Lebens, seiner Umwelt hilft. Zwar ist Hilfe bei der Selbstbildung und Selbsterziehung des Erwachsenen stets gegeben worden, aber E. als bes. Zweig der Päd. ist verhältnismäßig jung. 2. Die Frage nach der N o t w e n d i g k e i t der E. weist in mehrere Richtungen. Essentiell oder der Idee nach ist E. nicht notwendig, denn es liegt in der Idee des Erwachsenseins, die geistig-seelische Mündigkeit zu besitzen und vom Grunde einer gefestigten Persönlichkeit her mit allen Aufgaben des persönl. Lebens fertigzuwerden. Aber die existentielle oder vom konkreten Leben her gegebene Notwendigkeit der E. liegt darin, daß bei Schulentlassung die Persönlichkeitsbildung nicht abgeschlossen ist und nicht abgeschlossen sein kann, ja daß wohl nie die Persönlichkeit im endgültigen Sinne „fertig" ist; sie mag zwar so weit gefestigt sein, daß die Art und Weise und der Charakter der Arbeit an ihr selbst festliegt, nicht aber ihre konkrete Gestalt. So bestand immer und wird immer bestehen die existentielle Notwendigkeit der E. als Selbstbildung und Selbsterziehung mit oder ohne fremde Hilfe. Darüber hinaus besteht aber in neuerer Zeit eine zkzidentielle, d. h. nur aus den äußeren Umständen herrührende Notwendigkeit der E., insofern die Differenziertheit der heutigen Umwelt, die Kompliziertheit unserer 55

Lebenssituationen und die Vielfalt der einzelnen Schicksale eine solche Summe von Lebensnöten birgt, daß daraus die versch. Formen der E. notwendig werden. 3. Die A u f g a b e der E. besteht nicht eigentlich in der Vermittlung oder Bereitstellung von bloßem Wissen, ihr eigentl. Ziel ist, zur Erfüllung und Meisterung des Lebens, in einem hohen Sinne verstanden, beizutragen. Ihr Ziel ist aber nicht der Mensch gleichsam als Hochleistungsmaschine, sondern der Mensch, der seinen Beruf aus dem Ganzen der modernen Welt begreift und sich mit seinen spezifischen Anlagen und Aufgaben bewußt in dieses aus seinen Gründen und in seiner Struktur verstandene Ganze und unter Gottes Zeichen stellt. Eine wichtige Teilaufgabe der E. ist demnach die Berufshilfe, damit der Einzelne den ihm angemessenen Platz in der menschl. Gemeinschaft findet und ausfüllt; eine weitere Teilaufgabe ist die Förderung des Menschen in der Selbstbildung als der Kenntnis- und Wissensausdehnung vom jeweiligen Standort aus; sodann ist es Aufgabe der E., zu den Quellen der rechten Urteilsfindung zu führen und so ein wertendes Zurechtfinden in der Vielfalt des kulturellen Lebens zu ermöglichen, die modernen Publikationsmittel wie Radio, Film, Zeitschrift und Buch in rechter Weise als Bildungsmittel gebrauchen zu lernen und gegen ihre negativen Einflußmöglichkeiten immun zu sein; schließlich zeigt sie auch die Grundfragen und Grundentscheidungen auf, vor die der sittl. und relig. bewußt lebende Mensch im Leben gestellt wird. - Während die E. auf Entfaltung des Einzelnen in der Welt und in der Gemeinschaft zielt, fragt die Volksbildung umfassender nach den Wegen und Mitteln, die dem Volke als Ganzem zu einer adäquaten Gemeinschaftsform und zum gelebten Gemeinschaftsbewußtsein verhelfen und es Anteil haben lassen am Gang der Kultur. - Zusammengefaßt, wird man die Aufgabe der E. in der Entfaltung aller Fähigkeiten und Strebungen des Menschen, in der Weckung der mitmenschl. und sittl. Verantwortung, in der inneren Festigung und im Gewinnen einer Haltung als Persönlichkeit sehen müssen. 4. Die M e t h o d e n der E. sind nicht die der Jugenderziehung und Jugendbildung. Sie muß eigene Wege gehen, und zwar solche, die nicht so sehr zu einem festgesteckten, gleichsam genormten Bildungs- und Wissensstand streben, sondern zum Finden des je eigenen Lebensweges und zur selbstverantworteten Lösung vieler Grundfragen führen. Wissen und Können verlieren hier völlig den Zweck- und Zielcharakter, sie sind nur Mittel und Hilfen. Selbständigkeit ist also ein wesentl. method. Prinzip; ebenso die Freiheit und Flüssigkeit des Bildungsganges, der nicht nach festen Plänen, sondern möglichst geschmeidig dem persönl. Kontakt zwischen „ L e h r e r " und „Schüler" folgt. Darum bilden nicht so sehr Vortrag und Unterweisung als vielmehr Gespräch und Diskussion den method. Schwerpunkt. D a es weniger auf das Vorantreiben des Wissensstandes als auf die Vertiefung in die Grundfragen und zudem auf die Förderung des Einzelnen im Ganzen der Gemeinschaft ankommt, sollen die Bildungssuchenden möglichst nicht nach Vorbildung getrennt, sondern zusammengenommen werden, sowohl die durch Schulen weniger Gebildeten als auch die mit irgendwelchen Führungsaufgaben betrauten. Wer sich darüber klar ist, wie wenig alle schulische Bildung lebensformend ist, wie zudem das 56

eigenwillige Ich und das Milieu uns verhärten, wird der bildungshungrigste und aufgeschlossenste Erwachsene sein und als solcher berücksichtigt werden müssen. 5. Was soll die E. bei der Eigenart ihrer Arbeitsweise umgreifen? Sie muß ausgehen von dem mehr oder weniger engen Blickfeld, das der einzelne Erwachsene mitbringt. Es ist konzentrisch zu erweitern und zu vertiefen. Es gilt hier, was allg. zur Fachbildung zu sagen ist. Psychologie und Naturwissenschaften müssen zur Eigen-, Fremd- und Sachbeobachtung helfen. Nicht auf ein Vielerlei und nicht auf das Auffallende und Sensationelle darf die Aufmerksamkeit gelenkt werden, sondern auf das strukturhaft Eigenartige im Menschen-, Volks-, Staats-, Wirtschafts-, Sozial- und Innenleben. Erweiterung der Gesichtspunkte, begriffl. Klärung und Verschärfung des meist nur unklar Gewußten oder Geglaubten, Verfeinerung des Gewissens und Wertens zur rechten Urteilsfindung, Anwendung der Erkenntnisse innerhalb der eigenen Lebensbezüge, des Tuns, Unterlassens und Forderns. Klärung der eigenen Verantwortung, wie sie sich aus der Besonderheit der jeweiligen Lebensstellung ergibt. Dabei ist auch die Selbsterkenntnis, wie sie sich durch kritische Spiegelung der eigenen Art im andern, im Nächsten oder in der andern Nation ergibt, eine echte Aufgabe der E. und eines ihrer wirksamsten Mittel. 6. Die G r e n z e n der E. liegen zunächst auf Seiten des Bildungssuchenden in der eingeschränkten Bildungsfähigkeit des erwachsenen und des alternden Menschen. Auf Seiten des Erwachsenenbildners liegen die Schranken darin, daß er auch bei bestem Willen und hervorragendster Eignung die Besonderheit der individuellen Lage und der menschl.-seelischen Bedürfnisse und Nöte, die ja Ausgangspunkt und Objekt der E. sind, nie in voller Deutlichkeit zu fassen bekommt. Auf Seiten des Zieles der E. liegen die Grenzen darin, daß dem Einzelnen wohl die Mittel und Möglichkeiten der Lebenserfüllung und Lebensmeisterung an die Hand gegeben werden können, ihm aber völlig überlassen bleiben muß, was er davon annimmt, was er daraus macht und ob er überhaupt etwas daraus macht. Die persönl. Freiheit der Entscheidung gegenüber dem Bildungsgut, die in der Jugendbildung weitgehend beschnitten ist und sein muß, bildet die Voraussetzung aber auch die unerbittlichste Grenze der E.

1.14.

Erwachsenenbildung.

Aus: Das Fischer-Lexikon Pädagogik, hrsgg. von H.-H. Groothoff unter Mitwirkung von Edgar Reimers, Neuausgabe, Frankfurt/M. 1964, S. 64 ff. Der Artikel ist gegenüber der ersten Ausgabe sprachlich und inhaltlich verändert, auch wie es scheint insgesamt komprimierter angelegt. In diesem Beitrag spiegelt sich die durch das Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen (I960) eingeleitete Entwicklung hin zu einer stärkeren Systematisierung und Ausweitung des Selbstverständnisses (Freizeithilfe, Berufshilfe, Lebenshilfe) bereits wider. Es werden die unterschiedlichen Formen und Aufgaben der Erwachsenenbildung vorgestellt, und es wird breiter als in den bisherigen Darstellungen dem Bildungsverständnis und der „Bildsamkeit" nachgegangen. 57

Probleme der Abgrenzung. Jede Definition von Erwachsenenbildung ist historisch bedingt, weil die Notwendigkeit einer gesonderten Erwachsenenbildung neben der Kinder- und Jugendbildung selbst historisch-gesellschaftlich bedingt ist. Das gleiche gilt für jede Theorie der Erwachsenenbildung. Aus der feudalen bzw. bürgerlich-ständischen Gesellschaft stammt das politische Prinzip der ständischen Begrenzung und Zuteilung aller Lernmöglichkeiten. Dieses Prinzip ist verschärft worden durch die altersständische Einschränkung des organisierten Lernens in Schule und Berufsausbildung auf eine begrenzte Phase des Kindes- und Jugendalters. Auch heute ist trotz aller Demokratisierungsprozesse und Bildungsappelle das durchgehende, systematische und von Institutionen getragene Lernen für Erwachsene noch keineswegs eine soziale Norm. Die Ungebrochenheit der altersständischen Ordnung unseres Bildungswesens beweisen ungewollt alle neueren Veröffentlichungen über Begabung und Lernen, die mit kommentarloser Selbstverständlichkeit nur von Begabung und Lernen bei Kindern und Jugendlichen und nicht auch bei Erwachsenen handeln. Dabei läßt sich sehr wohl ein Zustand denken, in dem das systematische, organisierte, permanente· Lernen bei Erwachsenen so selbstverständlich ist wie bei Kindern und Jugendlichen. Bis dahin bedarf es jedoch der besonderen Konsolidierung der Erwachsenenbildung, auch wenn die Theorie der Erwachsenenbildung die Befreiung des Lernens aus der altersständischen Beschränkung zum Ziel hat. Während gewöhnlich alle theoretischen Sätze der Erziehungswissenschaft und praktischen Maßnahmen der Erziehung schon per definitionem auf ein Erziehungs-Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern oder Jugendlichen bezogen sind und sich (von allen komplexeren Zusammenhängen abgesehen) auf einen wesentlichen Alters- und Erfahrungsunterschied stützen, kann in der Erwachsenenbildung nichts auf einen solchen Unterschied gestützt werden. Erwachsener soll hier heißen, wer nach den geltenden gesellschaftlichen Normen aus den spezifischen Fürsorge- und Schonungsmaßnahmen, die jede Gesellschaft in unterschiedlichem Umfange und in unterschiedlichen Formen ihrem Nachwuchs widmet, entlassen ist und für sich und für seinen Anteil an den gesellschaftlichen Leistungen selbst aufzukommen hat. Erwachsenenbildung heißen hier ernstliche Bildungs- und Lernbemühungen von eindeutig Erwachsenen in eigens dafür bestimmten Veranstaltungen (Prototyp: Volkshochschule). In der breiten Praxis der Erwachsenenbildung gibt es allerdings viele Ubergänge zur Jugendbildung, zu den Massenmedien oder zu den Aktivitäten politischer, sozialer und kultureller Organisationen und Einrichtungen. Der Terminus Andragogik hat sich für die umgreifende Theorie der Erwachsenenbildung nicht durchgesetzt, er wird gelegentlich für die spezielle Theorie des Lehrens und Lernens bei Erwachsenen verwendet. Typen der Legitimation und des Stils. Wodurch werden Bildungsintentionen gegenüber Erwachsenen legitimiert, wenn sie nicht aus dem altersbedingten ErziehungsVerhältnis abgeleitet werden können? . . . Wenn man Veranstaltungen und Vorgänge der Erwachsenenbildung daraufhin analysiert, wie die Lehrenden und Lernenden wechselsei58

tig ihre Rollen verstehen, worin sie die Legitimation ihrer Beziehungen sehen und in welchem Stil sie miteinander kommunizieren, so lassen sich systematisch vier typische Muster des Verhältnisses zwischen den Beteiligten unterscheiden: a) Patronales Verhältnis. Es setzt das Verhältnis Erwachsener-Kind fort, indem es den lernenden Erwachsenen die Mündigkeit abspricht (Erwachsene als »große Kinder«). Offen praktiziert wurde und wird es gegenüber den niederen Ständen, dem Volk, kirchlichen Laien, Kolonialvölkem u.ä. Das patronale Verhältnis lebt vielfach in der jovialen Spielart weiter. Auch durch erfolgreiche Unterweisung wird der grundsätzliche Unterschied zwischen Lehrenden und Lernenden nicht aufgehoben. b) Missionarisches Verhältnis. Eine geschlossene Lehre mit breitem Geltungsanspruch (oft religiöser, weltanschaulicher oder politischer Art) teilt die Erwachsenen in die beiden Lager der Wissenden und der Unwissenden ein, ohne damit den Unwissenden auch auf allen anderen Gebieten die Erwachsenheit abzusprechen. - Bei erfolgreicher Unterweisung (»Bekehrung«) wird der Unterschied zwischen Lehrenden und Lernenden aufgehoben. c) Sachkompetenz-Verhältnis. Erwachsene, die auf bestimmten Gebieten besondere Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten haben, geben diese an interessierte andere Erwachsene weiter oder leiten und unterstützen deren Bildungsbemühungen kraft entsprechender Sachkompetenz. - Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Lehrenden und Lernenden wird von Anfang an nicht unterstellt. Er läßt sich auch aus der partiellen Überlegenheit des Lehrenden nicht ableiten, da allen Beteiligten bewußt ist, daß jeder der Lernenden dem Lehrenden auf anderen Gebieten überlegen sein kann. d) Gruppenpartner-Verhältnis. Erwachsene treffen sich planmäßig, um in einem Kreise ohne besonderen Lehrer gemeinsam zu arbeiten, Kenntnisse, Erfahrungen und Erlebnisse zu gewinnen und auszutauschen. Das kann von einmaligen Diskussionen bis zur sich selbst führenden Gruppe gehen, die zu konkreten Aktionen fortschreitet. Lehrende und Lernende sind nicht getrennt; zustande kommen solche Gruppen durch das Bedürfnis nach Kommunikation mit anderen Interessenten oder Betroffenen und durch die Erfahrungen von der Wirkung solcher Begegnungen oder Verbindungen. Neben dem mehr sachorientierten Lernen können besonders in diesen Gruppen die Möglichkeiten der G r u p p e n d y n a m i k bis zur Entwicklung von Selbsterfahrungsgruppen genutzt werden. Diese vier Typen treten in der Praxis selten rein auf; im konkreten Falle wird zwar ein Typus vorherrschen, aber Züge der anderen Typen werden meist beigemischt sein . . . Sozialhistorische Typen. Die vorstehenden vier Typen der Legitimation und des Stils lassen schon die bestimmten historischen Zusammenhänge erkennen, in denen die Wendung zu einer intensiven Weiterbildung bzw. Umformung der Erwachsenen neben der »natürlichen« Heranbildung der Nachwachsenden jeweils aufgetreten ist oder auftritt. Die geschichtlichen Erscheinungen der Erwachsenenbildung (die hier nicht ideographisch-chronologisch behandelt werden können) lassen sich unter eigenem Aspekt auf drei historische Grundtypen reduzieren. In ihnen werden die Unternehmun59

gen der Erwachsenenbildung unterschieden nach der gesellschaftlichen Konstellation, auf die sie bezogen oder durch die sie ausgelöst werden. a) Transitorische Erwachsenenbildung. Wenn neue politische, religiöse, wirtschaftliche oder kulturelle Lehren oder Auffassungen sich wellenförmig in relativ kurzer Zeit durchsetzen, also auch die noch anders erzogene Erwachsenengeneration erfassen, so ist das meist mit umfassenden Erwachsenenbildungsaktionen verbunden. Diese lassen sich transitorisch nennen, weil sich nach der Durchsetzung in der herrschenden Generation die Tradierung dieser Lehren und Auffassungen wieder auf die Nachwuchsbildung beschränken kann. (Beispiele: Reformation; neue Landbaumethoden im 18. Jh.; Bekämpfung des Analphabetismus in Entwicklungsgebieten.) b) Kompensatorische Erwachsenenbildung. Für Bevölkerungsgruppen, deren Bildungsmöglichkeiten in der Jugend beeinträchtigt waren, ergibt sich die Notwendigkeit des Nachholens und Ausgleichens, wenn die Lage als Mißstand erkannt wird, z.B. in größeren politisch-ökonomischen Bewegungen oder aus sozialpädagogischen Impulsen. Versuche kompensatorischer Erwachsenenbildung, die von den Unterprivilegierten selbst unternommen werden, sind meist Teil oder sogar Ausgangspunkt größerer Emanzipationsbewegungen (Beispiel: A r b e i t e r b i l d u n g s v e r e i n e im 19. Jh.). Wenn andererseits von den privilegierten Schichten solche Bemühungen ausgehen, spielt meist die Absicht mit, Bedrohungen des politisch-sozialen Systems vorzubeugen oder entgegenzuwirken (Beispiel: Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung 1871). Kompensatorische Erwachsenenbildung kann also auftreten als Instrument der politischen Emanzipation oder der liberalen bzw. konservativen Anpassung. Die Wirkung deckt sich allerdings selten mit der Intention. So spielen die ungewollten emanzipativen Auswirkungen affirmativer B i l d u n g s p o l i t i k eine entscheidende Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung. c) Komplementäre Erwachsenenbildung. In hochentwickelten Gesellschaften führt die ständige Veränderung aller Lebensumstände zu einer enorm ausgeweiteten Verantwortlichkeit aller. Auch für den emanzipierten Erwachsenen wird eine Lebensführung von verantwortlicher Zeitgemäßheit bei überdies erheblich verlängerter Lebensdauer unmöglich ohne permanente W e i t e r b i l d u n g bis ins Alter. Dabei setzt der Begriff der Weiterbildung eine grundlegende Bildung in Kindheit und Jugend voraus. Weiterbildung wird eine notwendige Ergänzung für Arbeit und Freizeit und ein entscheidendes Medium persönlicher Entfaltung und Selbstbestimmung. Auch die Darstellung dieser drei historischen Typen ist theoretisch verschärft; in der Wirklichkeit sind die Übergänge breit. So können z.B. Aktionen transitorischer Erwachsenenbildung in Entwicklungsländern durch die selbst mitbewirkten Veränderungen unmittelbar an den komplementären Typ übergehen. Andererseits muß in Verhältnissen, in denen Erwachsenenbildung längst komplementär sein sollte (auch in der Bundesrepublik) noch kompensatorische Arbeit geleistet werden (ζ. B. in der A r b e i t e r bildung). Oft wird aus falscher Einschätzung oder politischer Absicht am kompensato60

rischen Konzept festgehalten, wenn der Übergang zur komplementären Erwachsenenbildung bereits möglich i s t — Bildungsvorstellungen und Lernfähigkeit. Der D e u t s c h e A u s s c h u ß f ü r d a s E r z i e h u n g s - u n d B i l d u n g s w e s e n hat in seinem Gutachten »Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung« (1960) von der Erwachsenenbildung her beschrieben, wie sein B i l d u n g s b e g r i f f lautet: »Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln.« Dieser prozeßhafte Bildungsbegriff und die Tatsache, daß er bewußt im Zusammenhang der Erwachsenenbildung vorgetragen wurde, markieren die Abwendung von der kompensatorischen Erwachsenenbildung, die - oft ungewollt - einen statischen Bildungsbegriff der abgeschlossenen (Jugend-)Bildung impliziert. Es ist erst spät untersucht worden, welche Vorstellungen von der B i l d u n g die Bevölkerung selbst hat, welche Wertschätzung sie damit verbindet und wie sich das alles mit den Konzeptionen und der Praxis der Erwachsenenbildung verträgt. Dabei zeigte sich, daß die Mehrheit der Bevölkerung B i l d u n g s v o r s t e l l u n g e n besitzt, die wesentlich komplexer, stichhaltiger und wertbetonter sind, als bisher auch von Kennern durchweg angenommen wurde. Es lassen sich zwei Grundrichtungen unterscheiden: Die p e r s o n a l - d i f f e r e n z i e r e n d e n Bildungsvorstellungen, die in den sozial begünstigten Schichten dominieren, fassen Bildung als eine individuelle Eigenschaft oder persönliche Leistungsfähigkeit auf, die nicht an Schicht oder Klasse gebunden ist. Diesen der bürgerlichen Bildungstheorie nahestehenden, personal-differenzierenden Bildungsvorstellungen stehen die s o z i a l - d i f f e r e n z i e r e n d e n Bildungsvorstellungen gegenüber, die in den unterprivilegierten Gruppen vorherrschen. Hier wird Bildung als ein (an sich durchaus geschätztes) Kennzeichen gehobener Schichten und Positionen betrachtet, das demnach ein einzelner nicht von sich aus erwerben könne, ohne zugleich seine soziale Position grundlegend zu ändern. Nicht Bildungsfeindschaft verhindert hier eigene Bildungsaktivitäten, sondern soziale Distanz und Resignation. Der Mensch bleibt lernfähig bis zu dem Tage, an dem er sich selbst als »fertig« für das ihn noch erwartende Leben betrachtet oder sich mit seiner Lage abfindet. Dieser anscheinend sehr individuelle Entwicklungsschritt ist entscheidend determiniert von den allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnissen und Anforderungen, unter denen der Mensch lebt; das biologische A l t e r n wirkt sich unerwartet gering aus (Krankheit ausgenommen). Die L e r n f ä h i g k e i t des modernen Menschen ist bis ins Alter hochvirulent, weil ihm das Bewußtsein des Fertigseins um so ferner ist, je tüchtiger und gebildeter er ist; der Mensch ist aber zugleich irritiert von der Vielfalt der Anforderungen, entmutigt von Erfahrungen des Steckenbleibens und unsicher durch den Mangel an geistiger Übung und schulischer Ausrüstung . . .

61

1.15.

Erwachsenenbildung.

A u s : Neues Pädagogisches Lexikon, hrsgg. von H.H. Groothoff und M. Stallminn, Stuttgart, 1971, 5. Aufl., S. 293 ff.

Kreuz-Verlag

Bereits in der ersten Auflage (Pädagogische Lexikon, Stuttgart 1961, Sp. 227 ff,) hat der gleiche Autor, W. Schulenberg, den Beitrag zur Erwachsenenbildung verfaßt. Im Vergleich beider Artikel ist eine gewiß zeitbedingte Korrektur erkennbar. Der dem Erscheinen nach jüngere Artikel kann bereits die in den 60er Jahren abgelaufene Diskussion um ein neues Aufgabenverständnis berücksichtigen und die am Beginn der 70er Jahre auftretenden Kontroverspositionen herausstellen.

I. Allgemein. Begriff. Unter E. versteht man solche Weiterbildung von Erwachsenen, die - hinausgehend über den unbewußten oder gelegentlichen Zuwachs an Wissen und Können im alltäglichen Leben - veranstaltet wird, wobei jede ins frühe Erwachsenenalter reichende erste Schul- und Berufsausbildung ein Übergangsfeld zur E. bildet. So lassen sich auch Lit., Film, Funk, Theater u. ä. dazu die Tätigkeit mancher Vereinigungen, in dem Maße als E. auffassen, wie ihnen bildende Absicht innewohnt. Es ist aber ratsam, zur E.i.e.S. nur solche Veranstaltungen zu rechnen, bei denen die bildende und belehrende Absicht konstitutiv überwiegt (Prototyp heute: V H S ) . - Die Bezeichnung Andragogik ... hat sich nicht durchgesetzt. Durchgängig tritt E. auf, wenn eine Gesellsch. neue geistige, soziale, polit. oder wirtsch. Lebensformen oder -bedingungen in kurzer Frist übernehmen oder meistern muß. So waren auch frühere epochale Umwälzungen zunächst auf die Umstellung der Erwachsenen gerichtet. Wenn diese Umstellung erfolgt war (ζ. B. Christianisierung, neue Agrarmethoden), so waren solche Aktionen transitorischer E. beendet; die Weitergabe war nun wieder Sache der Kinder- und Jugendbildung. Transitorische E. steht heute in den sog. Entwicklungsländern (Alphabetisierung) noch im Vordergrund. Die moderne E. ist dagegen gekennzeichnet durch zweierlei: a) Permanenz: Bei den kurzwelligen, ständigen Veränderungen des modernen Lebens (mit erheblicher Verlängerung des Lebensalters) reicht die Jugendbildung auch im besten Falle nicht mehr als Rüstzeug für das ganze Leben aus („Education permanente" oder „lifelong leaming"besagen mehr als das zufällig-erstaunte „ M a n lernt nie aus!"). Früher hingegen mußte die Weitergabe neuer Lehren und Erkenntnisse während der Jugendbildung genügen, b) Allgemeinheit: Allein schon die sozialen und technischen Erfordernisse einer industriellen Gesellsch. lassen eine Beschränkung der E. auf bestimmte Schichten oder Gruppen nicht zu, das demokratische Prinzip fordert vollends polit. und kulturell E. für alle. Früher beschränkte sich hingegen die Auseinandersetzung mit dem neuen vornehmlich auf eine dünne Oberschicht; zu den breiten Unterschichten drang es allenfalls gefiltert oder kurzweg befohlen (dazu jedoch: sektiererische Unterströmungen). . . . Probleme und Perspektiven. In der B R D zeichnet sich eine neuerliche Kontroverse über das Grundprinzip der E. ab. Auf der einen Seite stehen die Verfechter einer pragmatisch auf den Beruf bezogenen E., die allen älteren Konzeptionen neuhumanistische, romantische oder sozialutopische Ideologisierungen vorwerfen. Die E. solle sich 62

künftig an den realen Bedürfnissen des Berufs, des Aufstiegs und der Wirtsch. orientieren, wie etwa der Bochumer Plan (J.H. Knoll u. a.), der als zentrales Bildungsprogramm der VHS eine eigene Mittlere Reife für Erwachsene entwirft. Auf der anderen Seite wird von radikal gesellsch. krit. Position gefordert, die E. solle die Unterprivilegierten der hochkapitalistischen Gesellsch. durch Bewußtmachung ihrer Lage zur Emanzipation im polit. Umsturz führen. Beide Positionen bleiben unkrit. in Vorstellungen der kompensatorischen E. befangen. Das Konzept der krit. komplementären E. setzt den Erwachsenen als permanent Lernenden, der nicht nur notgedrungen Lernprozesse nachholt (sei es für den beruflichen Aufstieg oder für eine polit. Umwälzung). Alle kompensatorischen Konzeptionen akzeptieren (oft ungewollt) die aus alten Herrschaftspraktiken stammende Doktrin, daß Erwachsene eigentlich nicht lernfähig seien, sondern nur in Ausnahmesituationen, die von oben bestimmt werden. Wenn die moderne E. dem Menschen zu seiner genuinen Lernfähigkeit als Komplement seiner Selbstverwirklichung verhilft, so nimmt sie ein unabdingbares Stück jeder auf Progression angelegten Emanzipation vorweg, mit dem polit. epochale Veränderungen einhergehen, ohne daß darum die prakt. Bedürfnisse verachtet zu werden brauchen. Gleichwohl ist das Bewußtmachen des Antagonismus zwischen Anpassung und Emanzipation in der Praxis der E. unerläßlich.

1.16.

Erwachsenenbildung.

Aus: Wörterbuch Kritische Erziehung, hrsgg. von Eberhard Rauch und Wolf gang Anzinger, Raith-Verlag, München 1972, S. 87 ff.

Am Beginn der 70er Jahre wird die Erwachsenenbildung auch wieder hinsichtlich ihrer ideologischen Funktion gesehen. Wenn auch, vielfach in abgrenzendem und oft denunziatorischem Jargon vorgebracht, hat der „kritische" Einspruch gegenüber gegenwärtiger und traditionaler Erwachsenenbildung die ganze Palette von Erwachsenenbildung wieder bewußt gemacht. So sind in der Historiographie der Erwachsenenbildung für eine lange Zeit die Aktivitäten der Arbeiterbildungsvereine zugunsten der mehr bürgerlichen Formen übersehen worden. Gewiß sind in den Versuchen, die Tradition der Arbeiterbildung in unsere Zeit zu transponieren, deklamatorische Ansprüche zu spüren, oft auch ein Verständnis von Staat und Gesellschaft, das der Realität nicht standhält.

Die historische Reminiszenz an diesen pädagogischen Bereich lautet schlicht: Vernachlässigung des >Volkes< trotz so romantisch-verschleiernder Bezeichnungen wie >VolksbildungLaienbildung< etc., nachzuschlagen in jedem gängigen Kompendium (z.B. H e r d e r , F i s c h e r , S c h o r b ) . Im Laufe des 19. Jahrhunderts kamen die Arbeiter- und Handwerkerbildungsvereine und die autoritär-sterile »extensive Erwachsenenbildung< auf (dem »Niederen» wurde häppchenweise Stoff doziert). In der Weimarer Republik mit ihren begeisterten Volkshochschulgründungen (seit 1919) wurde die »intensive Erwachsenenbildung» geschaffen (mit dem »Niederen« wurde Stoff »erarbeitet«). Diese Versuche erreichten nur die Mittelschicht (Ausnahmen ζ. B. Leipzig, Berlin). 63

Die Misere der E B heute liegt darin, daß sich an dieser Situation nichts geändert hat. Und diese bürgerliche E B muß scheitern aus folgenden Gründen: a) Ihre übergeordneten Ziele wie >HumanitätLebenshilfeKompensation< waren und sind zu verschwommen, als daß sie konkret in die Praxis umgesetzt werden konnten bzw. können; zum anderen gehen sie von einer Vorstellung von Gesellschaft aus, die entweder diese Ziele als Selbstzweck einer Oberschicht widerspruchslos konsumiert oder sie als Mittel zur Unterdrückung benutzt, d. h. von einer Gesellschaft, die verschiedene Klassen so oder so akzeptiert, sie geradezu fordert. b) Die diesen Zielen zugeordneten Inhalte erweisen sich als Verschleierung ausbeuterischer Tendenzen. Selbst bei Annahme des günstigeren Falles der noch immer idealistisch-orientierten EB, nämlich der verstärkten >BerufsförderungBerufsförderung< mit ihren kapitalistischen Abschlüssen der Industrie- und Handelskammer, des Arbeitsamtes und der Verbände dem Arbeitnehmer nur soviel an >Bildung< zugestehen wie für ihren Profit notwendig ist. Sie hat nichts anderes zum Ziele als das Vorenthalten demokratischer Grundrechte wie >EmanzipationBürgerlich-Gebildeten< zugeschnitten. Es überwiegen auf der einen Seite der stupide Lehrgang mit dem Training bestimmter Fertigkeiten zur vermeintlichen Erreichung der >Chancengleichheitinstitution< innerhalb ihrer verschiedenen Formen nicht pädagogisch-psychologisch, sondern juristisch-administrativ aufgebaut ist. Diese deutsche EB gestattet weder dem Individuum noch Gruppen der Gesellschaft die Freiheit zum Ausleben von Emotionen (wie es ζ. B. in den angelsächsischen und orientalischen Ländern weitgehend möglich ist). Sie preßt in Zwänge, die auf Traditionen beruhen, die ihrerseits wieder durch Kapital und Kirche zum Selbstzweck geprägt worden sind bzw. werden. Hinzu kommt auch heute noch eine starke Isolierung der deutschen EB. Eine Vergleichende EB< ist bisher ein Desiderat geblieben, und zwar wissenschaftlich wie praktisch, obwohl ζ. B. der Deutsche Volkshochschulverband seit einigen Jahren bemüht ist, im Rahmen der >Bildungshilfe< für Entwicklungsländer» einiges aufzuholen. Um unsere Gesellschaft auf eine klassenlose hin mit Hilfe der E B zu verändern, müßte folgendes geschehen: a) Theorie und Praxis müssen sich zielgruppenorientierter entwickeln, und zwar in bezug auf die Masse des Volkes: die Arbeiter. b) Die Lernziele und Methoden der E B müssen dementsprechend gesellschafts- wie bildungspolitisch transparent sein. c) Die E B muß kostenlos sein. Das kann jedoch nur geschehen, wenn ihre vielfältigen Institutionen vereinheitlicht und verstaatlicht werden. 64

d) Die deutsche EB muß sich solidarisieren mit der anderer Länder zu einer neuen internationalen >Arbeiterbildungvierte Säule< unseres Bildungssystems muß sich vereinigen mit der >dritten Säule< - dem Hochschulwesen um erstens Standesdünkel abzubauen, um zweitens Chancengleichheit (mit allen daraus zu ziehenden Konsequenzen) zu gewähren, und um drittens durch ein solches Groß-System der EB flächenmäßig intensiverwirken zu können.

1.17.

Erwachsenenbildung.

Aus: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim 1973, Bd. 8, S. 166 Dieser Beitrag aus dem jüngsten, noch nicht abgeschlossenen enzyklopädischen Lexikon ist von J.H. Knoll verfaßt. Für den in der Erwachsenenbildung bewanderten wird offenkundig sein, daß hier Ansichten und Meinungen vertreten werden, die wir bereits anderwärts mehrfach und ausführlicher vorgetragen haben. Es gebietet die wissenschaftlicher Fairness, auf diesen Umstand hinzuweisen.

E., der institutionalisierte Prozeß des Einwirkens auf Erwachsene zur Erlangung größerer Befähigung und vielseitiger Informiertheit. Diese Definition berücksichtigt alle Formen von E., die sich in oder durch Institutionen ereignet, wobei man „gruppenungebundene" Institutionen (Volkshochschulen) und „gruppengebundene" (konfessionelle E. gewerkschaftl. E., parteipolit. E. und E. der Wirtschaft) unterscheidet. Erwachsenenbildung ist historisch verknüpft mit philosoph., polit. und gesellschaftl. Emanzipationsprozessen. In Deutschland sind ihre publizist. Begründungen v.a. in der preuß. Reformperiode, im Vormärz (Nationalerziehungspläne), am Beginn der Bismarck-Ära und in der Weimarer Republik vorgetragen worden. Die sog. freie, d. h. die nicht gruppengebundene E. leitete bis etwa 1960 ihr Selbstverständnis aus der neuhumanist. Bildungstradition her, die Bildung als zweckfreie „Aneignung geistiger Werte" verstand. Von daher war diese Form von E. auf Totalität und Universalität fixiert und distanzierte sich von dem öffentl. Bildungswesen, d. h. lehnte für sich auch schul. Bildungsformen (systematisierte Lernabfolgen und Abschlüsse) ab. Nach dem 2. Weltkrieg markierten das Gutachten des Dt. Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen zur E. (1960), der Strukturplan der Bildungskommission des Dt. Bildungsrates (1970) und der „Zwischenbericht" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (1971) zusammen mit den Aussagen des Dt. Volkshochschulverbandes (1963 und 1966) eine Veränderung des Selbstverständnisses. Die nicht gruppengebundene E. bekennt sich nunmehr zu systematisierten Kursprogrammen mit Abschlüssen und versteht sich als Teil des öffentl. Bildungswesens. Die gruppengebundene E., die aus gruppenspezif. Emanzipationsbedürfnissen als polit. und konfessionelle E. im Zusammenhang mit Arbeiterbewegung bzw. Kulturkampf entstanden war, hat sich dieser Entwicklung angeschlossen. Heute 65

wird der Begriff „Weiterbildung" dem Begriff E. vorgezogen. In der D D R ist die Entwicklung von der E. zur Weiterbildung bereits in der Mitte der 50er Jahre eingeleitet und durch das „Gesetz über das einheitl., sozialist. Bildungssystem" (1965) abgeschlossen worden. Ε wird dort mit Erwachsenenqualifizierung gleichgesetzt, durch die die schul. Qualifizierung in Form von Komplexlehrgängen (Abschluß der 10- oder 12klassigen polytechn. Oberschule), die berufl. Qualifizierung (von der Lehrlingsausbildung bis zum Hochschulstudium, Stufenausbildung) und die kulturelle Massenarbeit (gesellschaftswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Bildung) geregelt werden. Methodisch hat sich die E. von der Einzelveranstaltung gelöst; Gruppenarbeit steht jetzt im Vordergrund. Gelegentlich wird E. auch als Bez. für die wissenschaftl. Beschäftigung mit dem Objekt E. gewählt. Hier bürgern sich allerdings „Wissenschaft von der Erwachsenenbildung" oder, in Anlehnung an den Sprachgebrauch in der D D R , „Erwachsenenpädagogik" ein.

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2. PÄDAGOGISCH-SYSTEMATISCHE ASPEKTE

Mit der allmählichen Durchsetzung des Begriffs „Erziehungswissenschaft" in der deutschen pädagogischen Literatur jüngeren Datums gewinnt ein methodologisches Problem Gestalt, in dem sich fieberhaftes Eintreten für die „rechte" Methode und Unklarheit hinsichtlich des damit zu erforschenden Gegenstandes in etwa die Waage halten. Während sich die erziehungswissenschaftliche Forschung auf wissenschaftstheoretischem Gebiet durchaus noch anderen „Handlungswissenschaften" verbunden fühlen kann, bleibt sie in der Frage, was denn nun das sie konstituierende Kriterium inhaltlicher Art sei, ziemlich allein. Daß gerade in jüngster Zeit erziehungswissenschaftliche Veröffentlichungen dem Problem der terminologischen Fixierung der Begriffe „Erziehung" und „Bildung" wieder so viele Aufmerksamkeit schenken, ist bezeichnend. Erschien die „realistische Wendung" in der Pädagogik zunächst und primär ein Problem angemessener Methode zu sein, so kann heute beobachtet werden, wie „realistische" Abgrenzungsversuche das Phänomen Erziehung dorthin zu rücken versuchen, wo es hinzugehören scheint: als Zielobjekt und Bezugsgröße einer eigenen Wissenschaft. Mit dem Titel Erziehungs Wissenschaft war seinerzeit gegenüber der Pädagogik geisteswissenschaftlicher Prägung ein methodologischer Anspruch verkündet worden; nun obliegt es ihr, als Erziehungswissenschaft den Nachweis inhaltlicher Souveränität und begrifflicher Ordnung zu erbringen. Wenn von der wissenschaftsstiftenden Funktion des erzieherischen Phänomens die Rede ist, drängt sich die Frage auf, ob und inwieweit die Subsumtion eines beliebigen pädagogischen Handlungsfelds unter „Erziehung" eine Würdigung durch die erziehungswissenschaftliche Theorie fordert. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir einige der nachfolgenden Texte aus Abhandlungen zur allgemeinen Pädagogik ausgewählt. Wer wie M.J. Langeveld das Erreichen des vollverantwortlichen, mündigen Erwachsenenseins als Endpunkt der Erziehung versteht, kann folgerichtig Erscheinungen wie die Erwachsenenbildung nicht als legitimen Bestandteil einer systematischen Pädagogik und „Erziehungs"-Wissenschaft auffassen. (Langeveld, 1965, S. 27). Wer dagegen der Erziehungsphänomenologie Lochners zuneigt und es für „unsinnig" hält, ein Ende der Erziehung „während der Lebenszeit des Menschen" anzunehmen, der wird konsequenterweise den inhaltlichen Rahmen einer Wissenschaft von der Erziehung sehr viel weiter stecken müssen. (Lochner, 1975, S. 177). Es wird angesichts der beiden konträren Auffassungen deutlich, daß die Abgrenzung der erziehungswissenschaftlichen Problemstellung mit den Mitteln begrifflicher Vorentscheidungen wenig sinnvoll erscheint, hat doch die Entfaltung der Erziehungswissenschaft in den letzten Jahren eine Fülle neuer Arbeitsbereiche mit sich gebracht, deren Legitimation zu Recht nicht terminologischen Vereinbarkeitsüberlegungen verdankt wird, sondern den aktuellen Erkenntnisdefiziten der pädagogischen Praxis entspringt. O b man infolge der immer offenkundiger werdenden Verschränktheit des pädagogischen Problembestandes mit Faktoren der gesellschaftlichen Umwelt heute besser allgemein von „Bildungsforschung" reden soll, innerhalb derer die Erziehungswissenschaft eine, wenn auch wichtige, fachwissenschaftliche Perspektive ausmacht, muß hier unberücksichtigt bleiben. Wesentlich ist, daß die Tatsache der interdisziplinären Struktur der Erziehungswissenschaft allgemein anerkannt wird. Der Umfang ihres fachübergreifenden Engagements hängt neben anderen Faktoren auch davon ab, wie stark das forschungskonstituierende Objekt ihrer jeweiligen Teildisziplin konkurrierenden „Realitäten" und dementsprechend anderen realwissenschaftlichen Zugriffen ausgesetzt ist. So wird der Erwachsene als Objekt der erziehungswissenschaftlichen Forschung im Vergleich etwa zum Schulkind infolge seiner naturgemäß komplexeren Rollendisposition ein größeres Spektrum wirklichkeitserklärender Daten erfordern, von denen die Erwachsenenbildungsforschung nur einen geringen Teil selbst zur Verfügung stellen kann. Uns scheint, daß auch aus diesem Grund die Ableitung des erziehungswissenschaftlichen Charakters der Erwachsenenbildung aus terminologischen Setzungen wenig sinnvoll erscheint, ganz zu schweigen davon, daß in neueren Fassungen des Erziehungsbegriffs dieser so stark auf allgemeine interaktions- und kommunikationstheoretische Erklärungsmodelle bezogen ist, daß die Erwachsenenbildung ohnehin >müheloS' darunterfällt.

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Für die systematische bzw. allgemeine Pädagogik ist das .Problem' Erwachsenenbildung nicht nur im Zusammenhang mit deflatorischen Überlegungen bedenkenswert. Als sinn- und strukturgebendes Theoriebemühen muß ihr daran gelegen sein, durch Erweiterung des pädagogischen Realitätsbereichs den Verbindlichkeitsgrad ihrer Deutungsversuche zu erhöhen. Dies ist bislang vorwiegend als ein Problem der richtigen Methode aufgefaßt worden; Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik haben unter dem Eindruck der reformpädagogischen Bewegung erkannt, daß die Ausdehnung des menschlichen Bildungsprozesses über die gesamte Lebensdauer - auch wenn hier nicht nur .pädagogische' Gründe ausschlaggebend waren - von der Pädagogik als ,Gesamtwissenschaft' menschlicher Erziehungs- und Bildungsvorgänge zur Kenntnis genommen werden mußte. Wie wir meinen, ist dieser Sachverhalt am eindringlichsten von W. Flitner dargelegt worden, der als Erziehungswissenschaftler und Volkshochschulexponent der 20er Jahre denkbar geeignet schien, die Erwachsenenbildung dem pädagogischen Denken nahezubringen. Sein „Plan einer deutschen Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung" und der 1922 entstandene Aufsatz „Das Problem der Erwachsenenbildung" zeigen freilich auch, daß in systematischer Hinsicht die Vorstellung von einer pädagogischen Gesamtwissenschaft unter Einfluß der außerschulischen Bildung zunächst den .glücklichen' Zeitumständen verdankt werden mußte und kaum überlebensfähige Ansätze für spätere Epochen bereitgehalten hat. Ausgangspunkt seines erwachsenenpädagogischen Denkmodells war die Kritik am Volksleben der Weimarer Zeit, vorherrschendes Motiv der Wille, die durch eine entseelte Volkskultur und -sitte haltlos gewordene pädagogische Praxis durch normative und methodische Impulse zu neuem Leben zu erwecken. Die Erwachsenenpädagogik stellte sich somit dar als ,sentimentalischer' Ersatz für die einst ,naiv' gedeutete Volkskultur: ihre Leitfunktion für die Praxis der Volkshochschule entsprang dem pathologischen Befund nationaler Ungeistigkeit. Wie Flitners spätere Arbeiten sowie die anderer Systematiker zeigen, verlor die Erwachsenenbildung für die allgemeine Pädagogik in dem Maß an Attraktion wie das weitere Zeitgeschehen deutlich machte, daß es sich von erwachsenenpädagogischem Denken und Tun so gut wie gar nicht beeindrucken ließ. Wissenschaftsgeschichtlich bemerkenswert bleibt, daß die Erwachsenenbildung in ihrer damaligen Nähe zur ,Volkspädagogik' zwar einerseits unter der allgemeinen Vertrauenskrise der Wissenschaft zu leiden hatte, andererseits aber zur Mitarbeit am Wiederaufbau der geistig-nationalen Grundordnung aufgerufen war. Nur zu erklären war dieser eklatante Widerspruch durch die Tatsache, daß das Kriterium der Objektivität als Konstitutionsmerkmal der Wissenschaft abgelöst wurde bzw. werden sollte vom Prinzip der ,Verantwortung', welches die wissenschaftliche Erkenntnis in den Zusammenhang eines .revolutionären' Prozesses der geistigen und gesellschaftlichen Erneuerung stellte. Das von den Theoretikern der Neuen Richtung so oft bemühte Motiv der Gemeinschaft' gehört in diesen Zusammenhang. Die Ablehnung der soziologischen Betrachtungsweise bei führenden Vertretern des Hohenrodter Bundes zugunsten einer rationalen Kategorie der unzugänglichen Gemeinschaftsvorstellung bleibt zwar außerhalb des hier abgesteckten Rahmens, doch muß gerade der pädagogisch-systematische Ansatz davon Kenntnis nehmen, daß die Erwachsenenbildung als Aspekt der pädagogischen Theorie für einen Begriff wie ,Gemeinschaft', wie er zur Zeit des Hohenrodter Bundes in der Pädagogik an zentraler Stelle diskutiert wurde, sehr empfänglich sein mußte. Für Emst Krieck und Peter Petersen, die in unserem Kontext sowohl ihres extensiv-funktionalen Erziehungsverständnisses wegen berücksichtigt wurden als auch aufgrund des zentralen Stellenwertes, den die ,Seinsgegebenheit-Gemeinschaft' in ihrem System einnimmt, verstand sich ,Erziehung zur Gemeinschaft' (Petersen, 1924) zwar auch als das, was heute in sozialisationstheoretischer Begrifflichkeit dem Kind als ,soziokulturellem Eingliederungsobjekt' zugedacht wird, die Konsequenzen ihrer volkserzieherischen Auffassung zielten aber weiter und erfaßten auch den Erwachsenen, der nach Krieck mehreren Schichten funktionalen Erziehungsgeschehens ausgesetzt war (Krieck, 1922). Daß trotz der deutlichen Hinweise auf die pädagogische Dimension des Erwachsenseins bei Krieck und Petersen der Mensch noch unaufgeschlüsselt im Zentrum des Erziehungsdenkens steht, ja daß die biologisch, soziologisch und psychologisch greifbaren 70

Aggregatszustände und Gestaltvariationen des Menschseins in den hergebrachten Entwürfen zur Erziehungsphilosophie unbeachtet geblieben waren, zeigte Erich Weniger 1936 auf. Sein in Auszügen abgedruckter Beitrag „Zur Geistesgeschichte und Soziologie der pädagogischen Fragestellung" leistet für uns noch ein weiteres: Indem er die Verselbständigung der pädagogischen Theorie mit der reformpädagogischen Wendung zum Kind in Zusammenhang bringt und die menschlichen Lebensstufen in ihrer konkreten existentiellen Situation in je spezifischer pädagogischer Problematisierung erkennt, vollzieht er programmatisch die Hinwendung der systematischen Pädagogik zum Erwachsenen, dessen,Bildsamkeit' für ihn eine .revolutionäre' Entdeckung darstellt. Die Frage der .educability' des Erwachsenen steht auch bei Robert Peers, dem ersten englischen Professor für Erwachsenenbildung, im Zentrum seiner aus dem Jahre 1926 stammenden Ausführungen. Während Weniger bei seinem Versuch, die Abrundung der erziehungswissenschaftlichen Theorie durch die Erwachsenenbildung anthropologisch-ideengeschichtlich herzuleiten, auf den empirischen Nachweis eben jener .Plastizität' verzichten konnte, gründet sich der Peersche Ansatz sehr viel stärker auf soziologische und lernpsychologische Argumentationen, deren methodologische und inhaltliche Unzulänglichkeiten durchaus eingeräumt werden. Überhaupt verdient der Beitrag von Peers nicht so sehr Beachtung aufgrund der Fragen, die er beantwortet, als vielmehr hinsichtlich solcher, die er erstmalig aufwirft und sie erwachsenenpädagogisch problematisiert. Zu diesen Fragen gehört das in Deutschland erst viel später aufgegriffene Thema des Zusammenhangs von schulischem Lernerfolg und der Fähigkeit zu nachschulischem Bildungsengagement. Mit dem Hinweis auf die erfahrungswissenschaftliche Absicherung einer Theorie der Erwachsenenbildung setzt Peers bereits sehr früh einen für die englische Erwachsenenbildungsforschung bedeutsamen Akzent; ebensoviel Aufmerksamkeit gebührt seiner aus den positiven Erfahrungen der englischen Volksbildungsarbeit abgeleiteten Forderung nach einer durchorganisierten - zunächst .kindgemäßen', später .erwachsenengemäßen' - Struktur der menschlichen Bildungsetappen. Damit wird folgerichtig die Eingliederung erwachsenengerechter Lernformen in das öffentliche Bildungswesen zum bildungspolitischen Grundsatzthema.

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Ernst Krieck Philosophie der Erziehung'1" E s ist die erste A u f g a b e einer weiten und selbständigen Erziehungslehre, das Geheimnis der geistigen Menschwerdung z u ergründen. Ihr Wesen kann nicht erschöpft, kaum berührt sein mit der A u f g a b e der Lebensformung im Sinne einer Theorie und Technologie: Erziehung ist für die Wissenschaft nicht zuerst eine A u f g a b e , sondern eine Gegebenheit, eine U r f u n k t i o n des Geistes und der Gemeinschaft im Werden des Menschen, und als solche ist sie eine ursprüngliche geschichtsbildende Macht, eine Grundbedingung alles geistigen Seins und Wachsens. Bevor die Erziehungslehre ein System von Werten und Zielen, von Wegen und Methoden bewußter Menschenbildung aufbauen kann, muß sie die Erziehungsidee in ihrem ursprünglichen Wesen, die Erziehung auf den Stufen ihres vorbewußten und vorrationalen Wirkens erkannt haben. D i e kritische Arbeit dieses ersten Teils hat nun zur Vorbereitung solcher Erkenntnis alle wesentlichen Stücke der Pädagogik aufgelöst und ihre durchaus abgeleitete, sekundäre Existenz nachgewiesen: sie hat aufgezeigt, daß diese Pädagogik auf einem G r u n d erbaut war, der für eine selbständige Wissenschaft und gar für eine bildende Weltanschauung durchaus unzulänglich und nicht tragfähig war. Ihr Ansatzpunkt lag nicht in der Mitte, sondern an der Peripherie geistigen Lebens, in der Sphäre der bewußten Zwecktätigkeit, der Technik. D a r u m war sie auch zusammengesetzt aus lauter Positionen zweiter H a n d , aus lauter Abhängigkeiten: aus Abhängigkeit von der wissenschaftlichen Enzyklopädik, von philosophischen Systemen, insbesondere der Psychologie und Ethik, vom fatalistischen Entwicklungsbegriff und von hundert einzelnen praktischen Zielsetzungen und Methodegestaltungen. A u s dieser sekundären und zerfetzten Existenz konnte nie ein G a n z e s werden: die inneren Unmöglichkeiten und Widersprüche stellten immer wieder den Zusammenhang der Teile in Frage. Die autonome Erziehungswissenschaft erkennt die Erziehung als eine U r f u n k t i o n im Gemeinschaftsleben, genau so, wie Sprache, Religion, Recht, Kunst, gemeinsame Arbeit Urfunktionen des Gemeinschaftsoder Geisteslebens sind. U n d dieser Erkenntnis liegt notwendig die andere zugrunde: Gemeinschaft jeder Art und Stufe (Familie, Stamm, Volk) sind überindividuelle und ursprüngliche geistige Organismen, nicht aber Zweckverbände aus freier Wahl und Summierung Einzelner. Sie führen ein wirkliches, gesetzliches Eigenleben, dessen ursprüngliche Funktionen die Lebens- und Bildungssphäre für sämtliche Glieder sind. O h n e Gemeinschaft ist der Mensch nichts, kann er nicht werden und nicht wachsen. D a s Wesen und Werden der Gemeinschaft bildet das notwendige Fundament und Element für das Sein und Werden der Glieder. Eine vollkommen von außen ungeformte und unbeeinflußte, selbsttätige Entwicklung des Einzelmenschen, wie die psychologische Entwicklungslehre sie voraussetzt, ist ein D i n g der Unmöglichkeit, ein M o n s t r u m , ein * Aus: Emst Krieck, Philosophie der Erziehung. Diederichs, Jena 1922, S. 45-52.

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Ungedanke. Die wenigen Beispiele verwilderter junger Menschen, welche die Wissenschaft kennt, - ohne übrigens die Vorbedingungen der Verwilderung zu wissen - reden darüber eine nicht mißzuverstehende Sprache auch für den, der die Unmöglichkeit vereinzelten Werdens nicht aus inneren Gründen einzusehen vermöchte. Ebenso ist jede Gemeinschaft durchaus organisch verflochten in das Sein und Werden anderer Gemeinschaften: auch die geschichtliche Entwicklung der Menschheit in ihren Gemeinschaftsgebilden ist undenkbar ohne Wechselwirkung mit ihresgleichen: auch sie ist nicht erklärbar allein aus ihren Anlagen und Trieben, um so weniger, als es keinen Zustand der Einzelnen oder der Gemeinschaften gibt, der reiner Anlagezustand und nicht schon in die Umwelt verflochtener Entwicklungszustand wäre. Jede geistige, formende und bildende Einwirkung von außen aber untersteht der Erziehungsidee. Wenn somit das geistige Werden jeder Art sich aus zwei Gruppen von Faktoren zusammensetzt, so wird es von Seiten der selbstwirkenden Triebe aus Entwicklung, von Seiten der gestaltenden Einwirkungen aus aber Erziehung heißen müssen. Es handelt sich also beide Male um ein und denselben Prozeß, der unter verschiedenen Einstellungen betrachtet wird. Indem die autonome Erziehungswissenschaft also die Grundbegriffe und das System der Pädagogik auflöst, hat sie ein größeres Ganzes zu schaffen, in welchem die bewußte, planmäßige Intellektualbildung der nachwachsenden Jugend (der Unterricht im weitesten Sinne des Wortes) nur noch eine Unterabteilung ausmacht. Die Ausweitung des Ganzen erfolgt in zwei Dimensionen. Nach der Tiefe hin hat die neue Pädagogik die Erziehungsidee aus dem Mittelpunkt des geistigen Seins und Werdens zu erfassen und die großen Schichten unbewußter und unbeabsichtigter Erziehungswirkungen in ihren Bereich einzubeziehen als Unterstufen für die bewußte und zwecktätige Intellektualbildung. Nach der Breite hin hat sie die Beschränkung der Erziehungsidee auf die planmäßige Einwirkung der Älteren auf die Jugend zu zerbrechen, um das ganze Leben der Gemeinschaft wie der einzelnen Glieder in ihrer vollen Wechselbeziehung dem Geltungsbereich der Erziehungsidee zu unterstellen. Erziehung gilt fortab nicht mehr als ein einfacher, bewußten Erziehungsabsichten entspringender, eindeutiger Ablauf von einem eindeutigen Erzieher auf einen eindeutigen Zögling, auch nicht von Gruppen oder ganzen Geschlechtern von erziehenden auf Gruppen und Geschlechter erzogen werdender Menschen. An die Stelle dieses einfachen Vorgangs tritt die formende Wechselwirkung von Mensch zu Mensch, jede Art geistiger Wirkung, welche Werden, Gestaltung und Formung hervorruft oder beeinflußt, wo sie immer herstamme. Und in den Bereich der Erziehungsidee tritt auch die Gemeinschaft selbst sowohl als Objekt wie auch als Subjekt erzieherischer Tätigkeit: die Erziehung c/er Gemeinschaft als eines Lebewesens überindividueller Art wie auch Erziehung durch die Gemeinschaft. Aus dem Begriffspaar „Gemeinschaft-Glied" ergeben sich vier vollkommen gleichberechtigte Formen der Erziehung: Die Gemeinschaft erzieht die Gemeinschaft; die Gemeinschaft erzieht die Glieder; die Glieder erziehen einander; die Glieder erziehen die Gemeinschaft. Dazu kommen noch zwei Eckpfeiler als äußere Flanken 73

dieses Systems der Fremderziehung: die Gemeinschaft erzieht sich selbst; der Einzelne erzieht sich selbst. Alle diese Typen kommen im wirklichen Leben nicht als abgetrennte Gebiete vor: sie sind alle jederzeit vorhanden und wirksam, indem sie sich gegenseitig fördern oder hemmen, nebeneinanderlaufen oder sich überschneiden. Alle erziehen alle jederzeit. Und im lebendigen Erziehungsvorgang wirken nicht nur die zeitlich und räumlich einander zugeordneten Lebenskräfte: es wirken zugleich in der Tradition die latenten Kräfte der Vergangenheit und aus der Idee, dem Sollen, der Forderung die zukunftbildenden Kräfte. So verknoten sich im geistigen Werden Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart zu einem einheitlichen, wachsenden Ganzen. Zugleich endlich verknüpft sich darin Zeitliches und Ewiges zu stets neuer Schöpfung, zu unaufhörlichem Werden neuer Gestalten und Bildungen, neuer Lebens- und Kulturformen. Nach der Tiefendimension hin hat das ursprünglich funktionale Erziehungsgeschehen drei Schichten, die ebenfalls nicht glatt übereinander lagern, sondern in vielfachen Überschneidungen und Durchdringungen an allem bildenden Werk beteiligt sind, wobei nur jeweils eines der Momente vor den beiden andern als führend und charaktergebend auftritt. Die unterste Schicht erzieherischer Faktoren besteht aus den unbewußten Wirkungen, Bindungen und Beziehungen von Mensch zu Mensch. Sie bilden den Untergrund des Gemeinschaftslebens, die unmittelbarste und stärkste Bindung im organischen Gefüge, in dem und aus dem das Ganze und die Glieder wachsen. Auf diesem einheitlichen Lebensgrund beruht auch die Einheit der Vernunft, ihre bildende Funktion und damit weiterhin die Übereinstimmung der Lebensgehalte, die Harmonie in allem geistigen Werden. Die zweite Schicht erzieherischen Geschehens ist zwar schon an die bewußte Zwecktätigkeit geknüpft, also an die rational zur Bewußtheit und Form entfaltete Lebenssphäre; sie ist darum aber doch noch nicht bewußte Erziehertätigkeit Von jeder Wechselwirkung gehen auf die Beteiligten erzieherische Wirkungen aus, auch wenn diese Wirkungen weder beabsichtigt sind noch auch bewußt werden. Die Menschen werden sich darin zu gegenseitig bildenden Mächten: sie müssen sich nacheinander richten, aufeinander einstellen, ineinander fügen, und das Maß, das Ergebnis der dabei beteiligten Wirkungskräfte bestimmt die innere Form, die Bildung, die Richtung des geistigen Werdens bei allen Teilnehmern. . . . Auch diese zweite Schicht erzieherischer Faktoren hat die Pädagogik bisher weder gewürdigt noch überhaupt systematisch als solche erkannt und erforscht. Es wird für die Erziehungswissenschaft eine Aufgabe größten Ausmaßes sein, diese beiden unteren Schichten bildender Faktoren der Erziehungsidee zu unterstellen, ihre erzieherische Funktion klar zu erkennen, um sie dann durch zweckmäßige Einwirkung verstärkt zur Geltung zu bringen. U m nur ein Beispiel vorwegzunehmen: es wird Aufgabe der künftigen Pädagogik sein, dahin zu wirken, daß Verfassung, Gesetzgebung, Verwaltung, Wirtschaftsgestaltung von vornherein der Idee der Volkserziehung unterstellt werden: über ihre nächstliegende Zweckmäßigkeit hinaus werden sie den weitgesteckten Zielen einer gemeinsamen Typen- und Charakterbildung 74

im Volke bewußt dienen müssen und das kann wiederum nur geschehen, wenn die Ziele ζ. B. jeder gesetzgeberischen Maßnahme mit dem Gesamtziel der Volkserziehung und dieses wiederum mit Tradition und vorhandenen Charakteranlagen organisch und harmonisch in Einklang gebracht ist. Volkserziehung, Pädagogik des öffentlichen Lebens gibt die Grundlage ab für Erziehung und Pädagogik der Gemeinschaftsglieder, und damit wird die Erkenntnis, daß das Werden der Glieder mit dem Werden der Gemeinschaft in organischer Verbundenheit und harmonischer Wechselwirkung erfolgt, praktisch werden. Die dritte und oberste Schicht endlich besteht aus den erzieherischen Wirkungen, die aus Erziehungsabsichten, Zwecken, Methoden, Veranstaltungen und Organisationen hervorgehen. Es ist der Unterricht im weitesten Sinn, wie er bisher allein Gegenstand der Pädagogik war. Doch auch hier ist eine wesentliche Erweiterung vorzunehmen: es sind sämtliche höheren Bildungs- und Kulturformen sowohl nach ihrer Entstehung wie nach ihrer Wirkung der Erziehungsidee zu unterstellen. Und hier ist nochmals besonders stark zu betonen: diese rationale Erziehung besteht niemals abgelöst und für sich allein; sie ist stets verknüpft mit irrationalen Lebenskräften, die sie tragen und dem Ganzen organisch verbinden. Ohne sie würde jede höhere Bildung und Kultur rasch austrocknen, verdorren und absterben. Diese Dreiheit der Schichten hat nichts zu tun mit den zeitlich aneinandergereihten Abschnitten der Entwicklungskonstruktion, darum auch nicht etwa mit der Unterscheidung von Natur- und Kulturvölkern und ähnlichem. In jeder Gemeinschaft und Erziehung sind alle drei Arten notwendig wirksam; jede aber besitzt in ihrem Aufbau und Charakter ein besonderes Wert-, Mischungs- und Wirkungsverhältnis der drei und stellt demgemäß eine Sondergestalt der Menschheit oder Kultur dar. . . . Mit dieser Dreiteilung ist die Tiefengliederung der Erziehungsidee aufgezeigt. Ihre Breitengliederung ergibt ebenfalls ein dreiteiliges Kontinuum, auf dem das erzieherische Geschehen abläuft. Die Pole sind die Selbsterziehung der Gemeinschaft und die Selbsterziehung der Einzelnen. Dazwischen spannt sich das weite Gebiet der Fremderziehung, und zwar der wechselwirkenden Fremderziehung der Glieder, also des Ich und des Du, ferner die Fremderziehung jedes Gliedes durch die Gemeinschaft und endlich die Fremderziehung der Gemeinschaft durch die Glieder. Dazu tritt dann noch die Erziehung der Gemeinschaft durch andere Gemeinschaften, also durch die Wirkungsbeziehungen kultureller, wirtschaftlicher und politischer Art nach außen. I. Die Gemeinschaft besitzt als wirkliches Lebewesen, als geistiger Organismus ursprüngliche Fähigkeit zur Selbstformung, weil in ihr vorausgreifendes Gemeinbewußtsein als Ausdruck der wurzelhäften Lebenseinheit besteht und wirksam ist. Aus diesem Gemeinbewußtsein, das als Grundlage in jedem Individualbewußtsein notwendig enthalten ist, ergibt sich eine rationale Formung des Gemeinwillens, ein wirksamer Charakter und eine Tradition, die sich in allen Gestaltungen des objektiven Geistes, also in Sprache, Religion, Recht, Wirtschaft und Arbeit, Staat, Kunst und Wissenschaft kundgeben. Diese Gebilde lassen sich auf keine Weise, wie einst Rationalismus und Naturrecht meinten, aus der Zwecktätigkeit vereinter Einzelner ableiten; sie sind 75

ebensowenig, wie man seit der Romantik immer mehr annahm, Schöpfungen einer eigengesetzlichen fatalistischen Entwicklung; sie sind endlich auch nicht dadurch allein erklärbar, daß sie von schöpferischen Einzelnen allein erzeugt und von ihnen aus den Weg in die Breite der Gemeinschaft gefunden hätten. Das Gemeinbewußtsein ist verwirklicht im Bewußtsein der Glieder, wo es die allgemeingültige Basis für die individuellen Sonderungen bildet und oberhalb des Unbewußten das organische Gefüge der Gemeinschaft darstellt. 2. Jeder Einzelne hat vermöge eines vorausgreifenden, zielsetzenden Bewußtseins die Fähigkeit der Selbstformung und Selbsterziehung im Sinne dieses Ziels. Durch seine Bewußtseinsbildung wird er in das Gefüge der organischen Gemeinschaft selbst organisch eingegliedert: er muß den allgemeinen Gehalt und Typus erst in sich darstellen. Es ist aber darin als variierende, persönlichkeitsbildende Kraft stets auch der Kern seines Selbst an der Bewußtseinsbildung mitbeteiligt. Die Stärke des Selbst kann nun das Ganze so durchdringen, daß der Einzelne aus einem schöpferischen Ziel eine Lebensform und ein Werk schafft, das für das Sein der Gemeinschaft neue Möglichkeiten, für ihr Werden neue Bahnen erzeugt, Jeder Mensch durchdringt zwar bis zu einem gewissen Grad das ihm eingebildete und vermittelte allgemeine Bewußtsein mit seiner Selbstheit; im allgemeinen aber bringt er es damit nur zur individuellen Variante, zur Sondergestalt des Typs. Der schöpferische Mensch aber kann durch seine Selbstformung den Typ selbst umschaffen, erhöhen oder erweitern. Immer aber bleibt auch er in das organische Gemeinschaftsgefüge verflochten durch die gemeinartige Basis des Bewußtseins und durch die Fremderziehung, die dieses Gemeinbewußtsein erst in ihm hervorgebracht hat. Schöpferische Spontaneität und entsprechende Selbsterziehung ist aber immer nur oberhalb, nie außerhalb des Gemeinschaftsgefüges möglich . 3. Das Werden der Gemeinschaft ist die Grundlage für alle Fremderziehung der Glieder. Gemäß ihrer Grundform, ihrem Charakter und ihrer Tradition formt die Gemeinschaft das Bewußtsein und das Werden der Glieder, deren geistiges Werden durchaus undenkbar ist ohne Zusammenhang mit der Geschichte und Struktur des Ganzen. Werden und Entwicklung des Menschen in Vereinzelung bedeutet wo nicht Ungedanken, doch Verkümmerung. 4. Dem Ich tritt in seinem Werden jedes Du als erziehender Faktor entgegen und im Du, zumal in einem reifen, in dessen Bewußtsein das Gemeinbewußtsein fertig vorliegt, die Gemeinschaft selbst in konkreter Form. Eltern und Erzieher sind stets nur Vertreter, Beauftragte, Typen der Gemeinschaft. Aber auch die scheinbar willkürlichen, gesetzlosen Einzelwirkungen zwischen Erwachsenen ordnen sich jeweils dem Eigengesetz und Werden des Organismus ein, weil die dessen Grundform in ihrer Bildung und ihrem Bewußtsein notwendig in sich tragen. 5. Jeder Einzelne hat nach dem Grade seiner Selbstbestimmung und Selbsterziehung die Möglichkeit, auf die Gemeinschaft bildend zurückzuwirken, und er hat im selben Maße an ihrer ferneren Entwicklung wirkend und verantwortlich Anteil. Das Maß der

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Selbsterziehung und Selbstbestimmung macht die persönliche Würde des Menschen aus; sie bestimmt seinen Rang und seinen Wirkungsbereich. Tiefendimension und Breitendimension, Aufriß und Grundriß zusammen erschöpfen das Wesen und den Bereich der autonomen E r z i e h u n g s i d e e . . . .

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Wilhelm Flitner Das Problem der Erwachsenenbildung"" Akademische Vorlesung, gehalten am 11.11.1922. 1. Die meisten pädagogischen Systeme begleiten den Menschen bis zu dem Zeitpunkt, in dem er der Schule entwächst. So schließt Herbarts Allgemeine Pädagogik von 1806 mit dem „Ende der Jugendlehrzeit" ab1. In der Tat liegt hier ein wesentlicher Einschnitt, zumal wenn man die e z i e h e n d e Seite der Pädagogik im Auge hat. Denn biologisch gesehen ist in dieser Zeit die Geschlechtsreife vollendet, und in der sittlichen Geschichte des Menschen liegt in ihr die entscheidende Tat, mit der der junge Mensch die Verantwortung für sein moralisches Sein, wie überhaupt für sein geistiges Schicksal, selbst in die Hand nimmt. Wenn nach Herbart das Geheimnis der Erziehung dieses ist: „Zwecke des zukünftigen Menschen voraus zu wissen, welche frühzeitig statt seiner ergriffen zu haben, der künftige Mann uns einst danken wird", und wenn „Charakterstärke der Sittlichkeit" der Inbegriff aller solchen Zwecke ist, dann muß die Erziehung von innen her abgeschlossen sein, sobald der heranwachsende Mensch dieses Ziel der Sittlichkeit, und das Ziel einer eigenen Lebensaufgabe, autonom, sich selber setzt. Jede Pädagogik, die auf protestantischem Boden wächst, wird in der sittlichen Autonomie einen Zielpunkt sehen, auf den hin sie aufgebaut wird. Gewiß ist das Setzen einer eigenen Lebensaufgabe, die man selbstvertantwortlich will, nicht das Werk eines Augenblicks; ganz allmählich fängt der junge Mensch an, „das Geschäft des Erziehens an sich zu ziehen"; er erlebt Rückfälle und fehlt gegen seine bessere Einsicht, und in solchen Fällen ist sein Charakter auch noch biegsam2. Aber der Punkt kommt, wo die Erzieher der Jugend mit ihrer sittlichen Autorität ganz ausgeschaltet sind. Ich möchte die Entwicklungsstufe, die hiermit eingeleitet wird, als Adoleszenz bezeichnen3. Sie folgt der Stufe der Pubertät, setzt also die Geschlechtsreife und deren seelische Begleiterscheinungen voraus; sie schiebt sich andrerseits vor die Stufe des Juvenis, vor das Alter bestimmter männlicher oder fraulicher Wirksamkeit. Von dieser Entwicklungsstufe gilt also, was Herbart über das Ende der Erziehung sagt: der junge Mensch ist der eigentlichen Erziehung entzogen, er ist den ungestümen Ansprüchen des Lebens selber ausgesetzt. Aber mag die eigentliche Erziehung jetzt zu Ende sein, so noch nicht jene zweite Richtung pädagogischen Tuns und Geschehens, wie wir mit dem weiten Begriff der B i l d u n g bezeichnen. Es ist jenes Geschehen, das die E n t f a l t u n g des M e n s c h e n z u e i n e m w a c h e n G e i s t enthält, der sich selbsttätig in die Produktion der menschlichen Kultur hineinzustellen vermag. Dieser Prozeß der Bildung umfaßt nun das ganze Leben. Zwar kennt auch er einen entscheidenden Einschnitt, der am Ende der Jugendlehrzeit liegt. Die Jugendstufe der Bildung ist ja mit einer besonderen Aufgabe * Aus: Die deutsche Volkshochschule, hrsgg. von W . Rein, Langensalza 1923, Heft 38.

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betraut. In ihr soll der Mensch, durch Schulung und Umgang, in Verbindung gebracht werden mit der Kulturwelt, die er in ihrem Wesen noch nicht zu sehen vermag, in der er aber dereinst als mündiger Mensch sich selbständig zurechtfinden, deren Zwecke er in sich setzen, deren Produktion er an irgendeiner Stelle mit bewirken soll. Es wird gleichsam eine „Verfrühung" 4 späteren Anteils an der Kultur in der Jugendzeit veranlaßt, um später einen raschen und vollständigen Anschluß an die so unendlich mannigfache Kulturwelt mit ihren historischen Tiefen und ihren schlummernden Möglichkeiten zu gewährleisten. Das Ende dieser v o r b e r e i t e n d e n Lehrzeit liegt nun zunächst da, wo sich das Interesse des jungen Menschen verwandelt: wo aus knabenhaftem Spiel, aus Träumereien, aus dem romantischen Interesse für die Vergangenheit, für alle fernen und idealen Wirklichkeiten, wo das Hauptinteresse sich hinüberverlegt in die eigene Zeit und in die uns umgebenden Wirklichkeiten, in die der junge Mensch sich nun einzumischen trachtet. Dieser Umschwung ist in der Adoleszenz in der Regel vorauszusetzen. Aber nun schließt sich im Gebiet der Bildung eine kritische Ubergangszeit an, von der diese ganze Entwicklungsstufe ausgefüllt wird. Die Kulturwelt nämlich ist antinomisch und in innerer Bewegung. Der sich selbst mündig sprechende junge Mensch ist zwar zu einer Idealbildung, und zu dem Entschluß einer eigenen Lebensaufgabe gekommen, aber die konkrete Erfüllung dieser Aufgabe bietet sich nicht eindeutig dar; je verwickelter vielmehr die kulturellen Verhältnisse eines Volkes werden, um so mehr wird der junge Mensch in die Geisteskämpfe hineingerissen, und er muß einen Kampf beginnen, um die Gültigkeit und um die Konkretheit seines Ideals. Er kommt so mit der ganzen Antinomik im geistigen Leben seines Volkes in eine Berührung, von der sein persönliches Schicksal abhängt. Und diese Entwicklung fällt gerade in die Zeit, wo er die Einwirkung von Erziehern, Schule und Eltern von innen her überwunden hat. Er kommt also in der Adoleszenz in eine Zeit hinein, wo er der Führung in ganz besonderem Grade bedarf. Und zwar sucht er nunmehr eine Führung nach seiner eigenen Wahl, und darin liegt der innere Unterschied zur Jugendlehrzeit: er wählt sich diese Führung auf Grund s e i n e r Idealschöpfung, oder auf Grund s e i n e r Auffassung von der Kultur, wie sie ihm durch Schule und Erziehung, Umgang und Lebenserfahrung bis dahin entstanden ist. Die Adoleszenz ist also eine pädagogisch außerordentlich fruchtbare, eigengesetzliche Stufe, die ein Hauptgegenstand pädagogischer Forschung sein muß, hinler der eine große Praxis steht. Darüber täuschen uns die pädagogischen Lehrbücher oft hinweg, weil diese Praxis der Erwachsenenpädagogik meist keine ö f f e n t l i c h e Praxis war, im Unterschied zur Jugendlehrzeit. Die große Fülle von Ansprüchen, die das Schulwesen und die Fürsorge um die frühe Kindheit an die pädagogische Wissenschaft stellen, verdunkelt die Pädagogik der Adoleszenz, deren Praxis nicht dringend nach teilweise rationalen Methoden verlangte. Aber wenn die Gestalt eines Sokrates als das Urbild einer pädagogischen Natur durch die Geschichte geht, so ist offenbar doch das Bewußtsein der pädagogischen Bedeutung der Adoleszenz immer da gewesen, denn Sokrates hat doch 79

seine ganze pädagogische Kraft dem reifen Jünglingsalter zugewendet; und so befaßt sich ja auch ein bedeutender Teil pädagogischer Literatur, besonders in dem vorwissenschaftlichen Stadium unserer Wissenschaft, mit der Erwachsenenbildung, ich erinnere nur an Castiglione, Chesterfield, Fenelon, an die Fürstenspiegel, an Knigge und Garve, an Fichtes Freimaurerbriefe und Schillers ästhetische Erziehung des Menschen. Sprechen wir doch auch in einem besonders ehrenden Sinne von Schülerschaft und denken dabei an das pädagogische Verhältnis, das einen künsterlisch oder wissenschaftlich produktiven Meister mit einem jungen Erwachsenen verbindet. Und eines der pädagogisch inhaltreichsten Werke unseres Schrifttums befaßt sich mit der Reifezeit eines jungen Mannes, der sich zwar selber ausbildet nach eigenem Idealbild, der aber zugleich, mit seiner Zustimmung, entscheidend pädagogisch geführt wird, ich meine den Wilhelm Meister. Das Reifealter, wo nach dem Herbartschen Homerzitat der junge Mensch „auch anderer Rede vernehmen muß", es führt eine Summe bildender Mächte herbei, deren Rede eben zu vernehmen ist; und diese Mächte gründen neue, andersartige pädagogische Verhältnisse, als die Jugendlehrzeit sie kannte, die aber ebenfalls unter die Betrachtung der pädagogischen Wissenschaft fallen, und so tritt die Erwachsenenpädagogik selbständig und ergänzend neben die Jugendführung und bildet mit ihr zusammen erst die pädagogische Gesamtwissenschaft. 2. Die Pädagogik der Adoleszenz, so sagte ich, ist im letzten Jahrhundert, im Jahrhundert des ausgebreitetsten Schulwesens, ins Dunkel zurückgetreten, weil sie keine öffentliche Praxis hinter sich hatte. Sondern die ganze pädagogische Wirksamkeit auf diesem Gebiete spielte sich in der Stille des Privatlebens ab. Darin ist in den letzten Jahrzehnten eine Veränderung eingetreten. Die Erwachsenenbildung zieht mehr und mehr ein sozialpädagogisches Interesse auf sich und entwickelt allmählich eine öffentliche Praxis. Die Notwendigkeit eines pädagogischen Verhältnisses in der Adoleszenz, die Notwendigkeit individueller Schülerschaft ist heute größer denn je, weil die kulturellen Verhältnisse verwickelter geworden sind und sich nicht unmittelbar aus dem Leben heraus überschauen lassen. Andrerseits haben sich die Gelegenheiten vermindert, diesem Bedürfnis zu entsprechen. Denn um einmal ganz von den objektiven und den sozialen Schwierigkeiten abzusehen, es sind ja auch mit dem Massenwachstum der Bevölkerung die kultivierten Kreise nicht entsprechend gewachsen, und es sind die Menschen entweder sozial getrennt oder überlastet, die für solche Führung geeignet wären.. . . Zieht man dann weiter in Betracht, daß dank der geringen Seßhaftigkeit, des Rückgangs der Kirche und dank der geistigen Zerklüftung auch die Pfarrer und Lehrer kaum noch von Einfluß sind auf die Erwachsenen, die durch ihre Hand gegangen sind, so kann man übersehen, daß etwa gegenüber dem Zeitalter Herbarts die Stufe der Adoleszenz, diese pädagogisch so wichtige Stufe, in unserm Volk ganz unbedarft gelassen ist. Das Bedürfnis wird uns noch dringender erscheinen, wenn wir über die Stufe der Adoleszenz hinausdenken und den gesamten Bildungsprozeß des Menschen sozialpädagogisch verfolgen. Der Sinn der Jugendführung wie der Bildung in der Adoleszenz ist doch der, den Menschen in Stand zu setzen, daß er dauernd sich in der Kulturwelt zurecht finde, daß er eine dauernde und 80

gültige Auseinandersetzung mit der Kultur vollziehe. Dieses Ziel erfordert ein dauerndes Mitgehen und Wachsein gegenüber der Kultur, die doch selbst immer neue Aufgaben stellt. Eine solche Ausrüstung kann der Jugend- und Adoleszenzbildung aber nur unter einer Voraussetzung glücken: daß nämlich der Mensch in seinem ferneren Leben auf eine Umgebung treffe, die seinen Geist dauernd weiter nährt. Eine solche Umgebung kann nicht nur aus dem Umgang mit anderen geistig wachen und gebildeten Menschen bestehen. Sie muß vielmehr auch objektiven Geist enthalten, der von sich aus die Geister dauernd ernährt, objektive Lebensformen, die von der Schwankung des Subjektiven unabhängig sind. Solche objektiven Formen fanden die gebildeten Stände unseres Kulturkreises in der Geselligkeit, in Reisen, Büchern, Theater- und Musikwesen, Museen und dergleichen; eine bestimmte Sitte samt vorbereitender Lehrzeit Schloß alle diese Behälter geistigen Lebens auf. Auch die nichtgeschulten Volksschichten formten ihr Leben durch eine Sitte, die in objektiven Lebensformen eine dauernden Zustrom geistigen Gehaltes in das Leben hineinbrachte, so durch die Kircheneinrichtungen, durch Kultus, volkstümliche Geselligkeit, Arbeitssitte usw. Die Kirche hat an Wirkung eingebüßt, die Sitte ist verarmt, die kulturelle Kraft der Familie geht zurück, die Bildungsmittel gebildeter Stände haben sich zwar auf die weitesten Volkskreise ausgedehnt, aber sie werden geistig nicht erfüllt; der Geselligkeit fehlt es an Formkraft, für die Bücher fehlt das Verständnis, ebenso für Bühne, Musik, Museum. Was aber am folgenschwersten ist, es haben sich für alle diese Behälter geistigen Lebens Ersatzmittel eingeschlichen, bequem verständlich, durch betriebsamen Geschäftsgeist auf niedere Instinkte berechnet und geistig vollkommen entblutet - ein Vorgang, der in allen Industrieländern der gleiche ist. Durch diese Lage ist die Arbeit der Jugendführung überall aufs schwerste gefährdet. Die pädagogische Praxis sieht, daß sie die Fortführung ihrer Arbeit dem kulturellen Leben selbst nicht mehr überlassen kann, wie das gesund wäre, sie muß also auf Mittel eigener Art sinnen, um das, was die Menschenbildung anbaut, vor dem Abbruch durch das Leben zu bewahren. Und so ist also in den letzten Jahrzehnten das Problem der Erwachsenenbildung wieder in die pädagogische Praxis eingereiht worden. Und diese Praxis wendet sich sogleich auch an die Wissenschaft, denn sie ist im Unterschied zu früherer Erwachsenenpädagogik eine öffentliche Aufgabe geworden, die auch rationaler Elemente der Schulung bedarf, die zu Schulgründungen führt und eine besondere Lehrerbildung verlangt, die gültig sein soll für unser ganzes Volk. Die Wissenschaft wird also aufgefordert, das ganze Gebiet zu beschreiben und zu normieren, die Methoden dieser neuen öffentlichen Praxis zu entwickeln und zu begrenzen, und sie in das Ganze der pädagogischen Arbeit einzugliedern. Die Hauptfragen, die sich als Erwachsenenpädagogik zusammenfassen, sind nach unserer bisherigen Betrachtung nun die folgenden: Zunächst entsteht das Problem einer Pädagogik der Adoleszenz, also jener Entwicklungsstufe, w o zwar die Geschlechtsreife und die Autonomie erreicht sind, aber noch nicht die feste konkrete Auffassung der eigenen Lebensaufgabe, w o also einerseits die 81

Autonomie in der Wahl eines Führers, andrerseits noch die stärkste Notwendigkeit eines pädagogischen Verhältnisses besteht. Dieses Problem hat zwei Varianten, je nachdem es sich um die Bildung solcher Menschen handelt, die durch eine ununterbrochene, allgemeinbildende Schulung in die Adoleszenz hineingeführt worden sind, oder nicht. Im ersten Falle entsteht das Problem der H o c h s c h u l p ä d a g o g i k . Im zweiten Fall entsteht das Problem der Bildung von Angehörigen nichtakademischer Berufe, besonders der.Menschen, die früh in einen Wirtschaftsberuf hineingetreten sind, d. h. das Problem des f r e i e n V o l k s b i l d u n g s w e s e n s . Dieses Problem wieder darf sich nicht nur auf die Adoleszenz, es muß sich auch auf die Weiterführung der einmal geweckten Bildung erstrecken, und so entsteht als letzte die Frage der p ä d a g o g i s c h e n B e e i n f l u s s u n g d e s V o l k s l e b e n s selber. 3. W i r lassen das Problem der Hochschulpädagogik für unsere Betrachtung außer acht . . . und suchen die Kernfrage der Erwachsenenbildung im Bereich nicht stetig geschulter Berufe zu schildern . . . E r s t e n s : W i r haben vorhin in der Kompliziertheit des kulturellen Lebens einen Grund dafür gesehen, daß nach vollendeter Geschlechtsreife und nach der Gewinnung der Autonomie eine unruhvolle Ubergangszeit langsamer Klärung des vagen Bildes einer Lebensaufgabe sich noch einfügt. Diese unruhvolle und kritische, daher noch höchst bildsame Zeit ist um so länger, je entwickelter die Kultur eines Volkes ist, sie ist aber auch um so länger, je unabhängiger eine soziale Schicht ist, und je länger sie schon diese freiere Stellung in der Gesellschaft hat. Und zugleich wird diese Bildsamkeit durch eine sorgsame und systematische Schulung verlängert, weil die Kultur, je tiefer sie erschlossen wird, um so schwerer zu übersehen ist. Infolgedessen müssen die Angehörigen der Bauern- und Fabrikarbeiterschicht in der Regel ein verfrühtes Ende ihrer Bildsamkeit erfahren; ist doch bei ihnen meist auch die Pubertät mit ihren seelischen Folgen durch eine frühzeitige Männlichkeit verkürzt. So ist die Adoleszenz bei diesen Schichten in Gefahr, als pädagogisch wichtiger Zeitraum zu verschwinden. Der frühe Eintritt in das Berufsleben gibt diesen Menschen sehr früh entscheidende Lebenserfahrungen, so vor allem die Erfahrung von der Notwendigkeit einer ökonomischen Rationalität; und diese wahren, aber einseitigen Erfahrungen fügen sich zu einer Art geschlossenen Weltbildes zusammen, dem die Erfahrung geistiger Lebensgebiete fehlt. Diese Erfahrung mangelt besonders da, w o eine gehaltvolle Volkssitte, und wo die kirchlichen Lebensformen aufgelöst, und wo die Ersatzmittel geistigen Lebens bereits bekannt sind. Die Erwachsenenbildung kann also auf diesem Gebiet nicht einfach die Arbeit der Jugendpädagogik fortsetzen. Sie wendet sich vielmehr an Menschen, die der Gewohnheit regelmäßiger Schulung entwachsen sind, und die sich obendrein schon in den oft bitter harten Eindrücken der wirtschaftlichen Berufsarbeit einen festen Erfahrungskreis gesammelt haben, der dem Glauben an ein geistiges Leben einen Widerstand entgegensetzt. Auf diesem eigenen Erfahrungskreis beruht das Mißtrauen, das diese Menschen 82

gegen die Angehörigen anderer Bildungswelten haben, und mit dem der Lehrer der Erwachsenenbildung immer rechnen muß. Und so wird sich als die Eigenart der Volksbildung in der Adoleszenzstufe ergeben, daß das erste Ziel sein muß, den Menschen aus jener frühzeitigen Verhärtung zu lösen, ihn für das Sehen eines geistigen Lebens noch einmal zu erwecken. Eine solche E r w e c k u n g kann nicht bei jedem glücken; sie setzt voraus, daß die Verhärtung noch nicht vollständig war. Irgendwo muß der Drang zu zweckfreier geistiger Tätigkeit noch in dem jungen Menschen lebendig sein, er muß noch eine Sehnsucht kennen und nach einer Welt der Erkenntnis, des freien Wohlgefallens am Schönen, noch eine ethische Forderung, noch einen Funken religiöser Problematik. Nun ist der Mensch so geartet, daß diese Grundbestandteile sich immer in irgendeinem Winkel noch erhalten, und daß sie vor allem in der Adoleszenz noch nicht abgestorben sind. Und vor allem gibt es gerade im Leben des wirtschaftstätigen Menschen unserer Zeit objektive Situationen, die den einzelnen immer wieder vor Entscheidungen stellen, in ihm irgendeine Fraglichkeit geistiger Art, irgendein freies Interesse wachrufen. Solche Tore in das geistige Leben, solche Stellen einer erneuten Aufwühlung sehe ich mehrere. Zunächst einmal ist es die B e r u f s a r b e i t selbst, die ein dauerndes Interesse des Arbeitenden herausfordert. Und wenn die Übermüdung durch schwere körperliche Arbeit oder die starke Mechanisierung eines Betriebes auch stumpf macht, so habe ich doch in allen Berufsgruppen auch Menschen gefunden, die ein freies Interesse an ihrer Arbeit nehmen. Der Bauer wendet an Boden und Landschaft, Pflanze und Tier ein freies Interesse, der Arbeiter an die Maschinen, an die Fabrikorganisation, an den Produktionsgang, der arbeitsteilige Erbauer eines Mikroskops sieht sich auf die Wissenschaft hingewiesen, der Beamte mit Staat und Wirtschaft vielfach verknüpft. Ein weiterer Anlaß zur Aufwühlung ist dann die p o l i t i s c h e B e t ä t i g u n g . I s t die Betätigung auch vorwiegend interessenmäßig bestimmt und geschieht sie auch mit den bildungsfeindlichen Mitteln der Agitation und Demagogie, so stellt sie doch den jungen Menschen, zumal in politisch zerklüfteten Landstrichen, in die Qual der Entscheidung und des Forschens hinein und erweckt hier und da eine lebhafte Bildsamkeit. Und schließlich ist auch in den letzten Jahrzehnten in die Jugend fast aller Schichten, in die Bauernschaft noch am spätesten, durch die vielen Formen d e r j u g e n d b e w e g u n g e i n e Problematik hineingekommen, die schwere Krisen über die jungen Menschen bringt, aber sie zugleich nach vielen Seiten für ein pädagogisches Verhältnis reif macht. Zwar ist auch hier zunächst eine Tendenz zur bloßen Ungebundenheit, zur Auflösung von Sitte und Form tätig; darein mischt sich aber ein Bildungswille, der gerade diese Auflösung der Lebensformen schmerzlich als Verlust empfindet und in eine religiöse Fragwürdigkeit hineintreibt. In allen drei Erscheinungen, in dem fachlichen Berufsinteresse, in der politischen Regung und in der Emanzipation von der Sitte, mag die Folge einer schweren Krisis, die innere Gefährdung unserer ganzen Kultur erblickt werden, und der Politiker muß sich in seiner Weise mit diesen Tatsachen abfinden; der Pädagoge, autonom auf seinem Gebiete, wird versuchen, hinter diesen Regungen irgendwo einen Bildungswillen, irgendwo einen Ansatz zu geistigem Leben und religiösem Denken zu entdecken; er wird versuchen, von dieser Seite her den jungen 83

Menschen zu erwecken und ihn für eine erneuerte Bildungsarbeit an sich selbst, für ein neues pädagogisches Verhältnis bereit zu machen . . . Nun z u m z w e i t e n . M i t der Schulungsaufgabe, die sich auch, besonders in der heutigen Übergangszeit, auf das Mannesalter ausdehnen kann, ist die Praxis der Erwachsenenpädagogik nicht erschöpft. Es liegt im Sinn der Schulung, daß sie einen vorbereitenden Charakter hat; wenn auch der letzte Sinn der Schulung immer zugleich in ihr selber liegt, so will sie doch auch wieder die Lebensführung und L e b e n s f o r m u n g selber beeinflussen und geistig erfüllen; und von daher erhält sie ihren Inhalt. Diese Lebensformung ist nun nicht allein in die Macht des einzelnen gegeben, sie ist vielmehr an die Sitte, an Einrichtungen, an das objektivierte Volksleben geknüpft. Das Volksleben, wie es aber heute in den Städten Sitte ist bis weit in ländliche Bezirke hinein, ermangelt jedes tieferen Gehalts; es ist überall durch die Ersatzmittel geistigen Lebens verdrängt. Man kann sagen, daß das eigentliche Elend der Proletarisierung weit mehr als in der Mittellosigkeit in der Formlosigkeit besteht, mit der die meisten Volksglieder heute ihre Arbeit, ihren Alltag, wie ihren Feiertag verbringen. Diese gleiche Formlosigkeit äußert sich als ein Fehlen geistiger Bezüge im Leben ebenso in Kleinigkeiten, wie etwa beim Einnehmen einer Mahlzeit oder der Führung eines Gesprächs, wie im Größten, etwa in der Ehe oder der Haltung dem Tod gegenüber. Die Erwachsenenpädagogik wird also auch den weiteren Lebensgang derer, die sie geweckt hat, irgendwie begleiten; sie wird eine Beeinflussung der Sitte und Lebensformung, also für gewisse Menschengruppen eine Beeinflussung des Volkslebens selber, nicht vermeiden können. Wer in der Adoleszenz zu neuem geistigen Leben geweckt worden ist, wird aus der Masse heraustreten, und ein geformtes Leben wird die tiefere Bewährung seiner Bildung sein. Dabei wird es wichtig sein, daß solche Menschen nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl, nach Beruf und sozialer Stellung, nicht aus ihrem Kreise heraustreten, daß nicht etwa Gedanken sozialen Aufstiegs mit dieser pädagogischen Arbeit verbunden werden; das wäre ihr Ende; denn die Bildung, die hier entwickelt wird, sie soll ja ihre Gültigkeit gerade in diesen bestimmten Lebensumständen haben; sie würde sich in Mißbildung verkehren, wenn sie diese Wirkung verlöre. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Erwachsenenpädagogik eine Reihe von Mitteln zur Einwirkung auf das Volksleben in ihren Bereich eingliedern. Vor allem gehört dazu das volkstümliche Bücherei wesen; aber auch der Betrieb von Museen, Bühne, Musikwesen, die öffentliche Geselligkeit fallen nach einer Richtung hin unter ihre Betrachtung und in ihre Praxis. Und darüber hinaus wird die Fortdauer von persönlichen Beziehungen zu den pädagogischen Führern der Adoleszenzperiode von Bedeutung sein. Denn die geistige Welt, in der die Schüler der Erwachsenenschulen leben, wird sich bewußt gegen die Welt der geistigen Ersatzmittel stellen, und das erfordert einen dauernden Zustrom seelischer Kraft, der zunächst nur aus den pädagogischen Gemeinschaften selber, und so von diesen Lehrern und Führern, ausgehen kann, durch ihre Vermittlung aber aus dem objektiven Zusammenhang des Geisteslebens selbst gespeist werden muß. 84

Damit werden wir auf die d r i t t e Seite unseres Problems geführt, auf die Frage nach dem objektiven Bildungsgut, das in jener Erweckung des jungen Menschen, in dieser dauernden Speisung seiner Bildung, verwirklicht wird. Mit dieser Frage vor allem wendet sich nun die Praxis auch an die pädagogische Wissenschaft. Denn es ist über diesen Punkt eine öffentliche Erörterung nötig, weil ja die Erwachsenenbildung nicht mehr dem Zufall des Privatlebens überlassen ist, sondern gegenwärtig zu öffentlichen Schulen geführt hat, die sich dem sachlichen Zusammenhang unseres Bildungswesens eingliedern. Von dem Augenblick an hat die Erwachsenenbildung sich in ihrer Arbeit nicht nur vor ihren Schülern, sondern ebenso vor dem Geistesleben selbst (als vor einer objektiven Aufgabe und einem Schicksal) zu verantworten. Sofern das Geistesleben für uns Schicksal ist, entsteht eine religiöse Frage, die wir hier zurückstellen. Sofern es aber eine objektive Aufgabe ist, sucht die Erwachsenenbildung hier die wissenschaftliche Besinnung. Und von da aus gesehen, lautet ihre Frage so: Wie läßt sich der geistige Gehalt unserer Kultur in lebendige Beziehung bringen mit dem geistigen Leben aller Volksschichten, und zwar derart, daß jede Schicht ein eigentümliches Leben führt, jedoch ein solches Leben, das im allgemeinen Zusammenhang der Kultur steht, und deren geistigen Gehalt an ihrem Teil verwirklicht. Die Frage enthält also zwei Schwierigkeiten, die dem Volksbildungsproblem eigen sind. Es handelt sich offenbar um die Darstellung eines Bildungstypus, der einmal mit dem praktischen Arbeitsleben aller Kreise in Beziehung steht, der zweitens aber auch mit dem Gang der höchsten geistigen Kultur Verbindung hat. Beginnen wir mit dem ersten Moment: der Beziehung dieses Bildungstypus zur A r b e i t . Würde man der Volksbildung universitätsähnliche Ziele setzen, so würde man die Beziehung der Bildung zum Leben ganz außer acht lassen und etwas Ähnliches tun, als wenn ein Bahnhof im Stil einer gotischen Kirche errichtet wird, man würde das Gegenteil der Bildung erzeugen. Denn für die akademischen Berufe ist die Hochschulbildung verbunden mit dem Ernst des Berufslebens; Künstler, Gelehrte, Lehrer, Ärzte sind mit ihrer Lebensarbeit auf diese Bildung bezogen. Für Bauern, Arbeiter und Kaufleute gilt das nicht; für sie ist vielmehr die Welt der Bildung eine zweite Welt, neben der ihrer Arbeit 5 . Die Kluft zwischen beiden Welten ist um so größer, je mechanisierter das Berufsleben ist. Ganz im Gegensatz etwa zu dem alten Zunfthandwerker oder zur Bauernarbeit, w o diese durch Volkssitte und festes Kirchenleben geformt ist: hier herrschte eine Durchdringung des Arbeitslebens mit der geistigen Welt. Für den modernen Wirtschaftsmenschen gilt das in den einzelnen Berufen gradweis weniger. Hier tritt eine Welt der Bildung immer fremder neben den Beruf. Nun kann diese Fremdheit der zwei Welten verschiedenartig sein. Es kann vollständige Beziehungslosigkeit herrschen, und diese Gefahr würde eintreten, wenn die Volksbildung ein getreues verkleinertes Abbild der Universitätsbildung wäre. Es könnte aber auch eine Beziehung der getrennten Welten bestehen, die zwar antinomisch sein könnten, aber doch polar aneinander gebunden: und das wird das Schicksal der Volksbildung auf der heutigen Kulturstufe sein. Die Bildung eines Menschen verwirklicht sich ja nur dann, wenn nach einem bestimmten Gesetz alle Lebensäußerungen, auch die antinomischen, einheitlich durch eine geistige Welt 85

überwölbt sind. Dieses Gesetz ist die Aufgabe, die hier vorliegt. Es ist so eindeutig, wie die beiden Gegebenheiten eindeutig sind, über denen es zu wölben ist: der objektive Zusammenhang der höchsten Kultur unseres Volkes auf der einen Seite, die Wirklichkeit der Arbeitsorganisation und der Berufsverfassung auf der andern; eindeutig sind diese Gegebenheiten trotz aller Vielgestaltigkeit im einzelnen, die auch eine Vielgestalt jenes überwölbenden Gesetzes bedingt. Aber auf Grund dieser Gesetzlichkeit wird es sich ergeben, daß das Ziel der Volksbildung nicht etwa jener gelehrte Bauer ist, von dem wir in den Kalendern lesen, sondern etwa ein Landwirt, der da wurzelt in der Heimat, zugleich aber aufgeschlossen ist für die Welt, der die Technik seiner Arbeit beherrscht, zugleich diese Arbeit im Zusammenhang des Arbeitsganzen sieht, der in diese Arbeit ein gültiges Ethos hineinlegt, zugleich ein Mensch, der seine Kinder technisch wie sittlich führen kann, die Sitte formen, Haus und Gesellschaft mit ihr erfüllen, der in seiner staatsbürgerlichen Tätigkeit aus einem bloßen Interessenten zu einem Glied des Volksganzen wird. Solche Bezüge können auch die Lebensführung anderer Stände erfüllen. Und wo etwa eine mechanisierte Arbeit dieser Erfüllung eine Grenze setzt, da soll diese Grenze als solche gespürt werden, damit sich Gegenkräfte gegen sie entwickeln. Denn hinter dieser kleinen Welt des einzelnen, die vielleicht gegen eine Durchgeistigung spröde ist, soll sich der große Zusammenhang geistigen Lebens selber auftun, in dem doch jeder einzelne drinsteht, sei es auch mit seiner Not und Materialität; der Zusammenhang also des religiösen Denkens und der Geisteskämpfe. Diese zweite Welt soll also da sein, auch wenn das Leben selbst sich nicht von dieser reinen Welt aus harmonisch durchformen läßt. Daß also die beiden Welten, wo sie sich nicht harmonisch verhalten, wenigstens in ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander bezogen sind, und ernsthaft, darauf kommt es an. auf diesem Grundgedanken wird jede Didaktik der Volksbildung aufzubauen sein. Zunächst wird diese Didaktik immer die harmonische Beziehung herzustellen suchen, und erst wo die Not des Lebens dieses nicht mehr zuläßt, wird sie versuchen, gerade aus dieser Not etwas geistig Bedeutungsvolles herauszuheben; daß sie eine zweite höhere Welt ihr entgegensetzt, in der das Bewußtsein dieser Not aber niemals romantisch vergessen, sondern in der es verarbeitet wird. Es ist selbstverständlich, daß etwa der Fabrikarbeiter, wenn er geistig geweckt worden ist, eine Beziehung zur Volkswirtschaftsund Staatslehre, zur Naturwissenschaft und Technik mitbringt, und die englische Arbeiterbildung bevorzugt denn auch diese Unterrichtsgebiete; es ist aber außerdem notwendig, daß über Beruf und Staatsbürgertum hinaus der Mensch einer geistigen Erfüllung mächtig werde im Hausleben und im Umgang, und schließlich auch in der Einsamkeit, in seinem ethischen Verhältnis zu sich selbst und im religiösen Denken, und gerade auch dann, wenn eine solche innere Welt im Kontrast steht zum Tagewerk. Mag das nicht mehr innerhalb eines schulmäßigen Unterrichts erreichbares Ziel sein, so wird es auch irrationale pädagogische Wirksamkeit geben, denn es kann durch die bloße persönliche Art des Führens und durch das Schulleben eine Bindung an jene geistigen Gehalte bewirkt werden. Eine gültige Bindung wird aber immer nur da vorhanden sein, 86

wo im Einzelnen in irgendeiner Weise d e r t o t a l e Z u s a m m e n h a n g d e s g e i s t i g e n L e b e n s wirksam wird, wie ihn die Kultur darbietet. W i r berühren damit die zweite Eigenart in der Darstellung eines gültigen Bildungsgehaltes für die Volksbildung. Diese Darstellung empfing ihr Gesetz von der Beziehung zur Arbeitswelt, sei das nun eine harmonische Beziehung oder eine des Kampfes. Sie empfängt ihr Gesetz aber ebenso von dem geistigen Gesamtbestand der Kulturgemeinschaft, in der sie ein Glied ist. Die Volksbildung muß mit der Produktion von Wissenschaft und Kunst, mit Prophetie und religiösem Denken in sachlicher Berührung stehen, sie muß so weit auch mit der Hochschulbildung irgend einen gemeinsamen Boden haben, trotz typischer Verschiedenheit. Dieser gleiche Boden ist der objektive Zusammenhang der europäischen Kultur und insbesondere der Kultur unseres Volkes. Die Volksbildung, die diese Gemeinsamkeit lebendig erhält, unterscheidet sich dadurch von einer bloßen Popularisation der Bildung. Denn das tote und Lebensferne einer solchen Popularisation drückt sich durch nichts so kraß aus, wie durch die Tatsache, daß jeweils der geistige Zustand von vor 50 Jahren populär wird. Die methodisch aufgebaute Erwachsenenpädagogik dagegen soll die immer beschränkte Zahl derer, die sich ihr anvertrauen, mit dem geistigen Leben des Volkes in seiner gegenwärtigen Stufe in Beziehung bringen. Nur wenn dieser Zusammenhang ganz ehrlich gesucht wird, kann für eine wachsende Zahl von Menschen das äußere Leben von seiner Materialität, nicht nur in der Auffassung, sondern in der Weltgestaltung, erlöst werden, nur dann kann auf der anderen Seite eine Fremdheit der Hochschulbildung gegenüber dem praktischen Leben aller Volksschichten vermieden werden. Die Begegnung der beiden Bildungswelten, nicht ihre Verschmelzung, wird dann zu erwarten sein. Denn dem Typus nach werden sie verschieden bleiben; der im Wirtschaftsberuf Stehende wird etwa den Faust oder die Heldengeschichte Schillers immer anders aufnehmen als der Akademiker; dort wird es auf die Lebenswerte jener Bildungsgüter selbst ankommen, in der Universitätsbildung aber immer zugleich auf den geisteswissenschaftlichen Zusammenhang, für den der Faust und das Leben Schillers nur Belege sind. Aber jene Lebensbedeutung aller Bildungsgüter unserer geistigen Welt, sie muß der gemeinsame Faktor bleiben, der die getrennten Bildungstypen einigt und damit auch eine geistige Einheit unseres Volkes innerlich vorbereitet. Die Erwachsenenpädagogik wird gerade durch diesen Beitrag ihrer Praxis und Theorie für die Bildungslehre sehr bedeutsam werden, sie wird deren Arbeit erst abschließen und so auch für das pädagogische Studium eine Bedeutung erlangen. Sie eröffnet uns einen Ausblick auf eine Abrundung der Pädagogik, die nunmehr den gesamten Bildungsgang des Menschen umfaßt, und dieses nicht nur entwicklungspsychologisch, nach seinen Voraussetzungen, sondern auch normativ, nach seinen Zielen, denn die Pädagogik ist keine bloße Tatsachenwissenschaft, sie ist zugleich eine philosophische, eine Normwissenschaft.

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Anmerkungen: 1 Herbarts Päd. Schriften, herausgegeben von Otto Willmann und Th. Fritzsch, 1,346; 416. 2 Herbarts Päd. Schriften, herausgegeben von Otto Willmann und 1h. Fritzsch. 2,116. 3 Mit E. Schopen, Beiträge zur Erziehung der männlichen Jugend, Mainz 1914, und Charlotte Bühler, Das Seelenleben des Jugendlichen, Jena 1922. 4 Vgl. E. Spranger, Humanismus und Jugendpsychologie, Berlin 1922, S. 9. 5 Vgl. M. Scheler, Universität und Volkshochschule: Soziologie des Volksbildungswesens, herausgegeben von L. v. Wiese. München-Leipzig 1921.

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Eduard Spranger: Die Bedeutung der wissenschaftlichen Pädagogik für das Volksleben. '1' Auch abgesehen von den Inhalten des gesellschaftlichen Lebens, wie sie in Wirtschaft, Technik, Kunst und Weltanschauung erzeugt werden, erwachsen aus der Struktur der Gesellschaft, ihren Gliederungen und Schichtungen, ganz von selbst pädagogische Verhältnisse. D e r Unterschied der L e b e n s a l t e r

erzeugt immer von neuem die

abweichenden Lebensideale der Generationen. Die erwachsene möchte der Jugend ihren Stempel aufdrücken; die heranwachsende macht ihr Recht auf einen eigenen Lebensstil und freie Selbsterziehung geltend. So kämpfen zu allen Zeiten pädagogische Bewegungen mit Jugendbewegungen - oft auch durchdringen sie sich zu eigentümlichen S y n t h e s e n . . . . Im Vordergrunde der Beachtung aber steht gegenwärtig das Verhältnis der S t ä n d e und K l a s s e n zur Erziehung. Es kann nicht geleugnet werden, daß sich der Macht- und Lebenswille

einer jeden Klasse auch in einem eigentümlichen

Erziehungssystem

ausspricht. Jede will ihre Eigenart betonen und ihre Werte zur Geltung bringen. Das Verlangen nach Aufhebung der Klassenunterschiede ist nur die Form, in der sich eine aufsteigende Klasse durchsetzt: später wird auch sie ihren besonderen Typus entwickeln. In der gegenwärtigen Erziehungswirklichkeit kann man die historischen Schichten noch deutlicher erkennen: die geistlich-gelehrte, die adlige, die bürgerliche Erziehung sind nacheinander emporgewachsen, und eine proletarische verlangt nach der Herrschaft. Der Selbsterhaltungsdrang und der Geltungswille einer Klasse strömt am kräftigsten aus in ihrem Erziehungswillen. Auf einem ganz anderen Boden aber wachsen die Bestrebungen nach dem Ausgleich der geistigen Klassenunterschiede innerhalb einer Volksgemeinschaft. Dort herrscht der Sonderwille, hier sucht man nach Verständnis und Einheit. Die Gegenwart hat eine Fülle von Erziehungseinrichtungen geschaffen, deren Zweck es ist, das geistige Besitztum der Nation und der Menschheit an möglichst weite Kreise heranzubringen.

Es lebt in dieser Sozialpädagogik außer dem alten

christlichen

Liebesgeist und dem neuen Nationalgedanken nichts anderes als die werbende Kraft der geistigen Werte selbst, denen jede Abschließung nach Kasten wesensfremd ist. Die Wege dieser Wirkung werden freilich noch tastend gesucht, und dem guten Willen antwortet oft das Gegenteil.

Volksbibliotheken, volkstümliche Vorträge und

Volkshochschulen

entstehen in enger Verbindung mit den geistigen Grundrichtungen, die im Volke lebendig sind: ein N e t z von Kanälen zu ihrer geistigen Befruchtung durchzieht die Gesellschaft. Die rechten Methoden psychologischer Vermittlung und Anknüpfung freilich erschließen sich erst der feineren Erfahrung und Kritik.

* Aus: Kultur und Erziehung. Quelle & Meyer, Leipzig 1923, S. 144-150.

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Endlich übernimmt die „Gesellschaft" selbst - wenn man dieses unbestimmte Wort für die Gesamtheit freier Erziehungsgruppen anwenden darf - eine Fülle stellvertretender pädagogischer Funktionen dort, w o die Kräfte der Eltern aus Not oder Schuld versagen. Es ist, als ob ein dunkler Instinkt dahin drängte, einen Ersatz für die alten organischen Erziehungsmächte zu schaffen, die das mechanisierte Leben der Großstadt aufgelöst hat. Kinderfürsorge und alle Formen der Jugendfürsorge sind zu einem großen Arbeitsgebiet der Gegenwart geworden. Die Jugendpflege reicht auch an diejenigen Teile der Jugend heran, die zwar nicht unmittelbar gefährdet sind, aber doch eines geordneten Erziehungseinflusses außerhalb der Schule bedürfen. In all diesen sozialpädagogischen Einrichtungen offenbart sich ein mächtiger Trieb des Volkes, seine Gesundheit, Sittlichkeit und geistige Einheit gegen die Schädigungen einer hochgesteigerten Kultur zu beschützen. Die Frage aber, ob dabei ein Maximum von staatlicher Organisation wünschenswert sei, oder ob man die freien beweglichen Erziehungsmächte der gesellschaftlichen Gruppen sich auswirken lassen solle, scheidet die Geister und führt hinüber ins eigentlich p o l i t i s c h e Gebiet. ... Die innere Politik aber steht unter dem Zeichen der Zerklüftung in Parteien. Jede von ihnen hat ihr Erziehungsprogramm und einen ausgeprägten Erziehungswillen. „Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft." In dieser Spaltung liegt unsere größte Gefahr. W e n n es nicht gelingt, die Sache der Nation w i e d e r über die Sache der Partei zu s t e l l e n , so s i n d w i r v e r l o r e n . Ich bekenne, daß ich die Lage mit geringer Hoffnung ansehe. Gibt es einen Ausweg aus dieser politischen Selbstzersetzung des Volkes, so führt er über das erwähnte Erziehungsparlament, dessen Aufgabe es wäre, die Bildungsfragen aus der unmittelbaren Verflechtung mit dem Klassenkampf, den Machtgegensätzen und Wirtschaftsinteressen zu lösen. Freilich ist dabei zu erwägen, ob es eine politische Erziehung geben kann, die ganz frei ist von Parteigesichtspunkten; denn die Parteien bedeuten eben verschiedene grundsätzliche Staatsauffassungen. Es hilft nichts, diese wegzuwünschen; sie sind da und bedeuten lebendige Kräfte, denen gegenüber der Maßstab von wahr und falsch versagt. Politische Erziehung kann nicht unparteiisch, sie kann nur überparteiisch sein, und ihre Aufgabe liegt zuletzt in der Anleitung zum gegenseitigen Verstehen. Die Parteien müssen sich anerkennen lernen als geistige Mächte, die mit Notwendigkeit aus einem bestimmten sozialen und kulturellen Boden entstehen. Erst in dem bewegten Spiel dieser Kräfte liegt das G a n z e , und niemand darf vergessen, daß er von seinem Standort aus dieses Ganze nur in einer bestimmten Perspektive sieht, daß aber auch in der Haltung der anderen Gruppen ein Maß von innerer Berechtigung liegt. Staatsauffassungen sind immer zugleich auch Lebensauffassungen und Weltanschauungen. Damit erreichen wir den letzten und den höchsten Punkt; den Kampf der W e l t a n s c h a u u n g e n um die Erziehung. Die moderne Gesellschaft h a t nun einmal keine einheitliche Weltanschauung und wird sie nie wieder haben. Der eine Sinn des Lebens bricht sich in den einzelnen, in Zeiten und in Gruppen mannigfach individualisiert. Und nirgends drängen diese letzten 90

Uberzeugungen entschiedener zum Durchbruch als in der Erziehung, die dem werdenen Leben Sinn und Richtung geben will. Aber auch hier muß die große Einseitigkeit in einem höheren Bewußtsein überwunden w e r d e n . . . . Der Antagonismus der geistigen Mächte, die aus dem Volksleben geboren werden, fordert eine ihnen überlegene, höhere geistige Macht, durch die sie alle ihrem Wert und Recht gemäß zur Geltung kommen. Aber gerade dieser produktive Ausgleich ist nicht möglich ohne die Kraft der Wissenschaft, und die Widersprüche des Lebens selbst treiben über die bloße Tatsächlichkeit hinaus zu der großen ordnenden, gestaltenden und versöhnenden Macht, die in der Theorie und Besinnung liegt. Einheit und Synthese, Durchleuchtung und Beherrschung der gesellschaftlichen Erziehungsmächte ist nicht erreichbar ohne eine wissenschaftliche Pädagogik.

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Peter Petersen Allgemeine Erziehungswissenschaft* Der Mensch ist von Ursprung her auf Gemeinschaft angelegt und von Gemeinschaft umfangen als den Mutterarmen, die ihn durchs Leben tragen und ihn ins Grab legen. Und von ihr gehen erzieherische Mächte aus im ganzen Leben in seinen hundert und tausend Gestaltungen und üben unvermerkt, aber stärker die heilsameren Wirkungen aus als alle Bildner und Kulturbeamte. Denn diese Mächte sind es, die ihn wahrhaft erziehen, in ihrer Gesamtheit ihn umfassen und d . h . eben ihn erziehen. In den Werken der überlieferten Pädagogik aber finden wir fast allerorten einen verengten Begriff von Erziehung . . . Demnach jene von uns verworfene Zäsur, wodurch Erziehung in einem gewissen Lebensalter aufzuhören scheint. Selbstverständlich weiß jeder Pädagoge darum, daß auch den Schulentlasseneri erziehende Mächte umgeben, aber keine Pädagogik geht davon aus, diese erst einmal festzustellen und in ihrem Wesen und ihrer Arbeit zu belauschen und dann bescheidentlich n a c h h e r zu fragen, was denn nun Schulerziehung zu tun habe. Erziehung ist ein allgemeiner Vorgang der Anpassung, des Hineinlebens, richtiger fast des Hineingelebtwerdens in die Gemeinschaft, ein organisches Werden durch soziale Assimilation, ein Hineinleben nicht nur in die Güter und Formen der Kulturwelt, sondern auch in ihre Werte. In diesem vollen Umfange wächst der Mensch in die Gemeinschaft hinein, und in diesem Sinne ist Erziehung ein Vorgang natürlichen Wachstums am und im Ganzen unter natürlicher Einwirkung der mannigfachsten Art. Und „ d a s g a n z e L e b e n d e s M e n s c h e n u n d d e r M e n s c h h e i t i s t E i n L e b e n d e r E r z i e h u n g " (Fr. Fröbel). Bei seiner Bildungsarbeit bedarf der Mensch des Z w a n g e s solange, bis er diese Arbeit aus erkannter Lebensnotwendigkeit oder mit Lust betreibt; es fehlt auch in der Gemeinschaft keineswegs dieser Zwang, es ist dies ein die Gemeinschaft durchwaltender Zwang, die Lebensnot als solche, dieses, daß der Mensch leben muß, und wir werden den Menschen in den Reichen der Lebensnot und unter den hier waltenden erzieherischen Einflüssen alsbald aufsuchen. Darum nur noch einiges zur Abgrenzung der Begriffe Bildung und Erziehung gegeneinander nach dem Sinne, den wir ihnen geben mußten. Alle Bildung hat die Neigung, zur Zivilisation zu erstarren, zu verflachen, am Außenwerk der Kultur hängen zu bleiben; Erziehung geht immer auf das Ganze einer Kultur. Bildung führt zur Höflichkeit, Erziehung zum T a k t : W e r in einer Gemeinschaft und von einer Gemeinschaft erzogen wurde, der besitzt wie angeboren diese Gabe des Feingefühls für den Umgang mit Menschen. Wie taktlos benehmen sich tausende Gebildete, wo der von seiner Dorfgemeinschaft und in ihren festen Sitten und Anschauungen gehaltene Bauer, wo eine schlichte Bäuerin taktvoll sind von Natur und von Wesen. Wie oft erlebte man

* Aus: Peter Petersen. Allgemeine Erziehungswissenschaft, De Gruyter, Berlin/Leipzig 1924, S. 104 ff & 242 ff.

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den Takt eines Handwerkers, eines Arbeiters, die darin manchen Gebildeten weit überlegen waren, aber immer n u r d a n n , wenn diese in ihrem Kreise unter dem nicht ableitbaren Einflüsse eines Gemeinschaftsgeistes standen. Nicht Bildung verleiht Takt, sondern das Ruhen in, die Herkunft aus einer den Menschen umfangenden und haltenden Gemeinschaft. Der intellektuell oder ästhetisch gebildete, aber aus seiner Gemeinschaft gerissene und entwurzelte Mensch ist in den Fragen des Taktes ein Rüpel gegenüber jedem Aristokraten nicht nur, sondern gegenüber j e d e m , der n i c h t entwurzelt ist. Denn das Wesen der Gemeinschaft ist es ja, daß sie Wurzelgrund für den Menschen ist, und zwar der einzige, den es für ihn gibt. Ziel der Bildung ist die voll entfaltete Individualität, die innere Freiheit des Einzelnen, Ziel der Erziehung ist und bleibt stets die Gemeinschaft und der Einzelne nur als für die Gemeinschaft, d. h. als Persönlichkeit, und zwar ein Ziel, ohne daß man darüber nachzudenken und es rational zu ergründen und lehren brauchte; sie wirkt sich selbst ohne alle wissenschaftliche Pädagogik aus in einer kraftvollen Jugenderziehung, deren Einfluß

und deren Ergebnis

nur durch Zersetzung oder gar Zerstörung dieses

erziehenden Kreises oder durch seine stete Auflockerung in Frage gezogen oder vernichtet werden kann. Für die Ausbildung zur Persönlichkeit aber ist sie unerläßlich; erst der bis zur Reife der Persönlichkeit natürlich Gewachsene ist der wahrhaft Gebildete, der Mensch der rechten Form, der recht und zu Ende gewachsene Mensch. Darum sagten wir: D o r t wo sich die Individualität mit den Zwecken der Gemeinschaft erfüllt und sich mit allen ihren Kräften Leibes und der Seele in den Dienst dieser Zwecke stellt, da entwickelt sie sich zur Persönlichkeit. Und das liefert uns auch den Schlüssel aus für den Zugang zur Frage nach dem Verhältnis von Bildung und Erziehung innerhalb des Schulwesens. Bislang waren die Schulen Bildungsanstalten; wir werden dem nicht entgegensetzen: die Schule muß hinfort eine Erziehungsgemeinschaft sein, das wäre billig und zudem halbwahr. Sondern wir werden zur Synthese fortschreiten müssen; denn Bilden und Erziehen, beide sind ja natürliche, von keiner Entwicklung in Natur und Menschheit abzulösende Urakte im Werden. Es wird also unsere Frage so lauten müssen: Wie muß diejenige Erziehungsgemeinschaft gestaltet werden, in welcher sich ein Menschenkind die für es beste Bildung erwerben kann, eine Bildung, die seinem, in ihm angelegten und treibenden Bildungsdrange angemessen ist und die ihm innerhalb dieser Gemeinschaft vermittelt wird und ihn reicher, wertvoller zur größeren Gemeinschaft zurückführt, ihn als tätiges Glied ihr wiederum übergibt. Oder kürzer: Wie soll die Erziehungsgemeinschaft beschaffen sein, in der und durch die ein Mensch seine Individualität zur Persönlichkeit vollenden kann? Und w e r soll sie innerlich beherrschen, d . h . wessen E t h o s oder welches Ethos soll sie erfüllen oder doch e n t s c h e i d e n d bestimmen? Das ist die ernste Frage, deren Beantwortung alles Folgende dienen s o l l . . . . Infolge der Wichtigkeit der gemeinsamen Überlieferung wird auch für die Erhaltung eines Volkes die Frage der Erziehung seines Nachwuchses zu einer ersten Ranges. Diese E r z i e h u n g vollzieht sich wie alle auf zwei Wegen: der stärkste und umfassendste Faktor der Erziehung ist die soziale und geistige Assimilation, d. h. die Angleichung der 93

Menschen aneinander, die sich inmitten gemeinsamer Lebenszusammenhänge von selber vollzieht. Auf diesem Wege wandert das allermeiste Kulturgut von Geschlecht zu Geschlecht, und daneben tritt in der neuesten Zeit, zuletzt den ganzen Nachwuchs erfassend, die beabsichtigte und planmäßige Erziehung durch S c h u l e n , Volksbildungseinrichtungen verschiedenster Art, usf. Auf keinen Fall ist aber die Erhaltung einer Volkskultur abhängig von der Schule, so wenig wie ihre H ö h e je davon abhängig war. V o n den Schulen hängt nur ab die Ausdehnung der kulturellen Güter, wie weit sie und wie vielen sie zugänglich sind, aber nicht die Erhaltung, noch die H ö h e einer Kultur. Wohl kein einsichtiger Deutscher wird glauben, man könne jemals ein Zeitalter wie dasjenige Wolframs oder das von Weimar und Königsberg durch Schulen herausbilden und gleichsam schaffen. Von der bisherigen Schule und ihrer Praxis dürfte eher das Gegenteil zu befürchten sein. Allein damit wird von vornherein die Aufgabe der Schule viel zu hoch gesteckt, in Wolken, die sie nie erreichen kann, noch braucht. Sollte wieder eine ähnliche Kulturhöhe erreicht werden, so wird niemand so vermessen sein zu wähnen, das sei ein besonderes Verdienst der Schulerziehung, - es sei denn, daß aus den Schulen etwas vollkommen anderes geworden sei, als sie bisher waren. Die große Bedeutung der Schule kann immerhin

darin gesehen werden, daß sie das B e w u ß t s e i n

des geistigen

Zusammenhanges innerhalb eines Volkes in immer mehr Angehörigen des Volkes weckt und diesem Bewußtsein einen Inhalt gibt. Aber schon hier stoßen wir wieder auf eine Schranke aller Schulen: sie wirken genau so gut trennend und sogar zersetzend, zerstörend in einem Volke wie aufbauend und zusammenhaltend und vereinend. Denn die bewußte Erziehung, im Gegensatz zu jener unbewußt wirkenden, verstärkt genau so gut das Trennende wie das Verbindende. Daher sei sich jedes Volk darüber klar, was es von seiner Schule will. So wie es bisher gegangen ist, hat wenig so stark wie die Schule ungewollt, denn wir wissen, daß ihre Ziele ganz anders lauteten - mitgeholfen zur Zersetzung innerhalb aller Völker. Sie fördert die Kritikfähigkeit der Staatsbürger, indem sie ihnen zugleich die Waffen der Worte und der Wissenschaft gibt, ohne ihnen mehr als eine bedenkliche Halbbildung in allen Dingen gegeben zu haben. So liefert sie die Jugend durchaus nicht nur d e n Mächten aus, welche ein Volk in ihren gemeinsamen Gütern kräftigen, sondern zugleich auch denen, welche diese Güter anfechten und zerreiben. Bevor wir demnach die Frage stellen, was denn die Schule für ein Volk bedeuten soll, gilt es sich darüber völlig klar zu sein, daß die Schule ihrem Wesen nach eine durchaus zweischneidige Waffe ist, vor allem wenn sie in falsche Hände kommt, und es gilt demnach vor allen Dingen zu wissen, daß es mit der Schulerziehung durchaus nicht allein, auch nur vor allem, getan ist. Schulmeister gewinnen keine Kriege und verlieren keine, solche Behauptungen sind kurzatmig und entstammen unverantwortlichen Reden. Soll aber die Schule ihren Dienst im rechten Sinne leisten, dann werden wir eben ganz neu und eingehend zu prüfen haben, wie sie denn arbeiten solle und was sie überliefern solle. Vorerst und ganz allgemein sei nur hier gesagt, alle Schulen sollen den Zusammenhang des Volkes stärken und bewahren helfen, sie sollen dem Zerfall und dem Untergang entgegenwirken. Dabei ist es ihnen unmöglich, mit Aussicht auf Erfolg ihre Arbeit auf 94

den g a n z e n großen Volkszusammenhang einzustellen, vielmehr muß sich jede Schule bemühen, die an ihrem O r t e bestehenden, gegebenen Beziehungen zwischen Menschen aller Kreise aufzunehmen, um die Jugend des Ortes zu ihnen in solche Beziehungen zu bringen, daß sich ein starkes Gemeinschaftsgefühl entwickelt, das seine Macht über möglichst alle dort gegebenen Lebenskreise erstreckt und sich im reiferen Alter über das ganze Volk ausdehnen k a n n . . . . Denn allzu wenige haben die volle Einstellung zu ihrem eigenen Volke. Sie sind eingestellt auf Außenwerke ihres Volkes: ihr Geschäft, ihren Beruf und Berufsstand, ihre Partei, den Staat, die Kirche, aber nirgends auf ihr Volk. Es gab ja auch bislang keine Volkserziehung. Nur Ansätze sind vorhanden, und wo es freiwillig Männer und Frauen taten im Rahmen der vorhandenen Schulen auf eigene Faust und aus dem Nicht-anders-können, aus einem inneren geistigen Getriebensein zum ganzen Volke hin. Erst wenn wir eine wahre und dann eben auch f r e i e Volkserziehung haben und das über einem reichen Stamm gesunder Familien, da wird der Aufstieg zur Menschheit für die Tausenden vorbereitet, erst dann kann jene „Umwertung aller W e r t e " geschehen, deren Schauung Nietzsche erleiden mußte, und die Züchtung des „Ubermenschen" in dem echten und nicht in dem verfälschten vulgären Sinne. . . . V o l k u n d M e n s c h h e i t . Nur durch das Volk hindurch kann die Menschheit auf uns erzieherisch einwirken, heute fast allein durch die Familie vermittelt, und das wohl immer unbewußt in einem stummen Dienst an der Menschheit, nur gelegentlich durch planmäßige Veranstaltungen der Schulen. Das Humanitätsideal der neuhumanistischen Gymnasien war nur in Teilen d e r Form, die es an den Schulen erhielt, wirklich menschheitsbildend. U n d Vertreter des Gymnasiums haben mit Recht es wieder und wieder betont, daß sie es sich zum größten Ruhme anrechneten, gerade auf den Gymnasien nationales Bewußtsein geweckt zu haben. Und es konnte ein Streit zwischen ihnen und den Oberrealschulen darüber entstehen, welche Schule wahrhaft nationaler erzöge, da die Oberrealschule mit ihrer Neigung, zu mathematischen Gymnasien zu entarten, damit einem Internationalismus dienen sollte. Aber es wäre auch verkehrt den Gymnasien und allen ähnlich gesinnten Schulen vorzuwerfen, daß sie auf absolut falschen Wege gewesen seien, wenn sie die Ideale Menschheit in v o l k s b e w u ß t e junge Seelen zu senken bestrebt waren. Ihr Weg ist nur da falsch gewesen, wo sie die Jugend von ihrem Volke ab- und dem Staate zugeführt haben, wo sie sie zu gehorsamen Dienern eines Staatsmechanismus und nicht zu freien Menschen und Volksbürgern erzogen haben; denn damit haben sie gerade die Wege gewiesen, die am weitesten abführen vom Volkstume wie von der Menschheit. Außerdem aber die schlechtesten Wege zu einem g u t e n Staat, der nicht mehr die Völker verfeindet und nicht den Weg zur Menschheit

und zu einem

menschenwürdigen

Dasein der Völker

untereinander

absichtlich verrammelt. Soll der Deutsche noch einmal die Hoffnung F i c h t e s (in der VI. Rede an die deutsche Nation) wahrmachen, daß er berufen sei, den vollkommenen Staat zu errichten, dann wird das nur möglich sein, wenn er zuvor in der Mehrheit seiner Mitbürger den Volksgedanken zu voller Lebendigkeit erweckt hat. Denn der Staat ist nur eine Form, ein Gefäß, eine Organisation, und er zeugt immer von seinem Schöpfer. D e n

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Staat aber schafft das Volk, und ein vollkommener Staat wäre Ausdruck des ganzen Volkes, und wo ist das heute der Fall, vor allem in einem nur etwas größeren Staate? O h n e dabei den Gedanken der Menschheit irgendwie zu vergessen, dürfen wir darum fordern, daß das erste sein muß die E r z i e h u n g z u m V o l k e . Die Völker sind die obersten Typen und Besonderungen der Menschheit. W e r daher in eine Volksgemeinschaft recht hineinerzogen wird, der ragt unmittelbar hinein in die Menschheit selber, und verfällt nicht Surrogaten und Falsifikaten wie Staat und Kirche, Beruf, Stellung, Geschäft. D e r ragt damit auch einzig und allein hinein in den Quellgrund des geistigen Lebens. Und so gibt es keine andere Möglichkeit für den Einzelnen, sich selber zu vollenden als in sein Volk hineinzuwachsen und dann - vielleicht - auch darüber hinaus, aber stets so, daß er sein Volk mit aufhebt in die höhere Gemeinschaft. Die Entwicklung der Individualität zur Persönlichkeit wird hier allein möglich. Denn so sagten wir früher: Individualität ist nur Einheit von selbstbewußtem Vorstellen, Wollen und Handeln. D e r Mensch muß diese Einheit als sittliche Idee erfassen und als ein Sollen demnach, ein Sollen, das die Gemeinschaft gebietet. Und dort, wo sich die Individualität mit den Zwecken der Gemeinschaft erfüllt und sich mit allen Kräften des Leibes und der Seele in den Dienst dieser Zwecke stellt, sich ihnen unterwirft, da verwandelt sich die Individualität, sie entfaltet sich zur Persönlichkeit. Und als Persönlichkeit wird der Mensch zum D i e n e r im Reiche der Werte, in den Hallen der Menschheit, und nur als Diener in diesem Reiche ist er wahrhaft frei, und sein Dienst wird ihm zu einem Genießen seiner Selbst, da er sich auslebt in all seinem Besten und ist wie ein Strom klaren und unerschöpflichen Wassers, der reine Bilder spiegelt. . . . Besäßen wir eine E r z i e h u n g z u m V o l k e , dann wäre unser Blick von Jugend auf dafür geschärft, es wäre dieses Nebeneinander uns selbstverständliche Weisheit und wir achteten es wie ein Naturgesetz. Volkserziehung fördert daher, wo sie geschieht, auch in der planvoll angelegten Arbeit der Schulen und ähnlicher Veranstaltungen, Verständnis für diese Mannigfaltigkeit der Wertungen und ihre Berechtigung, und wiederum möglichst nicht allein durch das immer unzulängliche Mittel der Belehrung, sondern durch Erlebnisse. . . .

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Robert Peers Some applications of educational theory to adult education* T h e question at issue is not whether adults can be educated, for that is beyond question; but whether adult education is merely an attempt to do extravagantly in later years what ought to have been accomplished with much greater ease in the „plastic" period. If this view is accepted, then the whole adult education movement is the outward and visible sign of a poverty and a lack of foresight which we may hope to outgrow. O n the other hand, those who are engaged in adult education claim that education must be a continuous process occupying the whole of life, and that there is no period in the development of the individual to which education, even in the narrower sense of systematic effort in the attainment of knowledge and in the interpretation of that knowledge, is inappropriate. If we accept the latter view, then, however much opportunities of education in childhood and adolescence are multiplied, the need for adult education will continue and may even increase. What is the evidence for and against these apparently conflicting views? O n the one hand, there is the somewhat rigid conception of a limited period of plasticity, based on the conclusions of physiological psychology. Against this somewhat depressing hypothesis there is the evidence of facts, as yet admittedly unrelated, and obscured by the enthusiasm of those who base upon them claims which can hardly be substantiated, but facts nevertheless. First there is the fact that a considerable number of adult students, who begin with the very serious handicap of a totally inadequate preliminary education, do actually make great progress in difficult studies, even when they come to them after a long interval during which intellectual activities have been almost completely neglected; and secondly, the fact that they appear to derive intense enjoyment from these studies. It is difficult, in these circumstances, to understand what Professor Adams means when he applies the analogy of the Law of Diminishing Returns to education after maturity. What is the return in question? If it is merely the rate at which additional knowledge is acquired, it is not important; if it is the satisfaction derived from intellectual activity, there is little doubt that that is greater in maturity than in youth; and, most important of all, if it is the power to co-ordinate and apply knowledge, it would bei difficult to maintain that this grows less, in relation to the effort expended, after the age of twenty-five. Professor Dewey has somewhere defined "plasticity" as " t h e power to learn from experience." It would be a strange irony if that power should wane just as experience is becoming richer. It is at this stage that men begin to be conscious of wider horizons. The scraps of knowledge which they carry over from their schooldays begin to be fitted into the pattern of experience, and they seek to integrate the whole in a progressive attempt to * Aus: Journal of Adult Education, London, Vol. 1, No. 1, September 1926, S. 36-49

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fathom the deeper p r o b l e m s of h u m a n destiny. It is because so little attempt has been m a d e to adapt education to this important phase of individual development, and to link it with continued education at earlier stages, that so m a n y people remain intellectually in the stage of adolescence. M r . Z i m m e r n expresses this in the following w o r d s : " I s it not time that w e applied ourselves seriously to adult education, to an education that will help u s to o u t g r o w our s c h o o l b o y qualities and habits and to b e c o m e , at last, a d u l t ? " T h i s suggests another question, namely, the quantitative aspect of the problem of the educability of adults. In turning f r o m the o r t h o d o x exponents of ecucational theory to the advocates of adult education, w e pass frequently f r o m one extreme to the other. A sublime faith in the p o w e r of education to w o r k miracles, and in the capacity of all adults to benefit b y lifelong education, has been characteristic of the adult education movement since its earliest days. This faith has descended in unbroken tradition f r o m the G o d w i n i a n belief in human perfectibility, through the U t o p i a n idealism of R o b e r t O w e n and his belief in the p o w e r of education to m o u l d the human character into any f o r m desired, and, kept alive b y the great movements of the nineteenth century - C h a r t i s m , C o - o p e r a t i o n , T r a d e U n i o n i s m - it has passed over finally into those voluntary organisations which are concerned with adult education to-day. T o what extent is this faith justified? T h e real fact is that w e k n o w scarcely anything at all about the p r o b l e m . In child and adolescent education attempts at the measurement of ability are providing valuable data u p o n which to base further investigations. In adult education we have no such aids. T h e one attempt which has been m a d e on a large scale to measure intelligence in adults, in connection with the American A r m y tests during the late war, is hardly of general use, because of the heterogeneous racial constitution of the American population. If these tests did bring out the true facts concerning the distribution of intelligence, one can only agree with the American c o m m e n t a t o r w h o regarded the result as " a s s u r e d l y depressing. P r o b a b l y never before has the relative scarcity of high intelligence been so visibly d e m o n s t r a t e d . " 1 In this country the valuable w o r k carried out b y D r . C y r i l Burt on the distribution of educational ability a m o n g s t children in the elementary schools of L o n d o n provides a useful starting point. A s s u m i n g that he has succeeded in isolating educational ability f r o m the complications introduced by environmental influences, w e k n o w , at least, that existing differences in achievement amongst adults d o not reflect innate differences in educational ability. T h e results, in diagrammatic f o r m , which he obtains f r o m the examination of a large number of children [taking the mean as the n o r m and standard deviation as the unit of classification], approximate closely to a " n o r m a l c u r v e " of distribution. H e reaches the conclusion that " t h e results are consistent with the hypothesis that, like physical stature and m a n y other anthropological features, but unlike wealth or land, educational population.

"

ability is normally

or nearly normally

distributed

among

the

2

What is n o w wanted is an attempt to correlate educational ability in childhood with capacity f o r continued education in adult life. O b v i o u s l y the latter must depend not merely u p o n innate ability, but also u p o n the extent to which ability in the individual has 98

been allowed to develop in the right way and at the right time. Closely connected with general ability is the power of concentration - will or purpose. If this is allowed to atrophy, because no ends are provided to which it may be attached, continued education after adult years have been reached will be rendered correspondingly difficult. But even supposing there were no such obstacles to continued development, it does not follow that normal distribution of educational ability would be characteristic of all age groups throughout the adult population. Since the rate of development of those below the normal would be slower, and of those above the normal faster than the normal rate of development, one would expect to find, for the later age groups, a "piling-up" on the left of the curve and increasing attenuation on the right. The conclusion to which we are driven, in the absence of any more exact investigation of the problem of the educability of adults, is that neither the rigid limits set by some educational theorists, nor the extravagant optimism of some advocates of adult education, are justified. There can be little doubt that a great deal of the effort expended by adult students to-day does, in fact, yield disproportionate results. If the necessary preparation at an earlier stage has been neglected, it may be impossible to recover the lost ground, except at a cost which would be prohibitive. The " r e t u r n " must also depend upon the capacity of the particular individual, and ability, as has been suggested, is unequally distributed throughout the adult population. But, to labour the analogy still further, it is just as possible to get diminishing returns by sowing the wrong crop as by sowing the right crop in the wrong soil. T h e education appropriate to adult life should not be regarded as a substitute for but as a continuation of the education appropriate to childhood and adolescence. This is a further argument for co-ordinating the different departments of our educational system, and for attempting to work out the principles of education, not in isolated compartments, but in relation to the whole range of education.

Anmerkungen: 1 Lothrop Stoddart, Revolt against Civilisation, p. 63. 2 C. Burt, The Distribution and Relations of Educational Abilities, p. 34.

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Wilhelm Flitner: Plan einer deutschen Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung'1"

Der wissenschaftliche Gegenstand dieser „Akademie" sind d i e E r s c h e i n u n g e n d e s V o l k s l e b e n s in v o l k s e r z i e h e r i s c h e r B e u r t e i l u n g . Dieser Gegenstand gehört in das Gebiet der Erziehungswissenschaft und ist systematisch von ihm nicht abzutrennen. Die Erziehungswissenschaft hat erst in den letzten zwei Jahrzehnten begonnen, das ganze Bereich sozialpädagogischer Fragen in die Einheit ihrer Fragestellung einzubeziehen. Sie hat sich davon freigemacht, nur die Fragen der häuslichen und schulischen Erziehung zu betrachten. Das ganze Leben der Menschheit sieht sie unter dem Gesichtspunkt der Erziehung. Damit sind die Probleme der klassischen Pädagogik wiedergefunden worden. Die frühere Verbindung der Pädagogik mit Ethik und Psychologie hat sich erweitert, die Erziehungswissenschaft steht in Wechselbeziehung des Gebens und Nehmens mit allen Wissenschaften vom Menschen. Die individuale und die kollektive Betrachtung des Menschenlebens werden darin verbunden. Die erzieherische Funktion in allen Kulturbereichen, Sinngebilden und Lebensepochen ist das einfache große Thema der Erziehungswissenschaft geworden. Diese Wissenschaft ist erst wieder im Entstehen, und zu ihrem Aufbau wird das konkrete erzieherische Denken in den mannigfachsten Bildungsstätten beitragen müssen. Die wissenschaftliche Reflexion kann das ganze Leben des Menschen nur dadurch erzieherisch sehen, daß Fragestellung und Erfahrung der pädagogisch Verantwortlichen aller Arbeitszweige in ihr vereinigt werden. Bedeutsam ist in den letzten Jahrzehnten der Einfluß der sozialen Wohlfahrts- und Erziehungspraxis für das Ganze der Erziehungswissenschaft geworden. Im Kindergarten- und Hortwesen, in der Jugendwohlfahrt, in allen Zweigen der Sozialpolitik, in der Fürsorgeerziehung und Gefängnispädagogik, im Jugendrecht, in der Inneren Mission sind Fragestellungen gefunden worden, die es erst möglich machen, die Erziehungswissenschaft wirklich auf das gesamte Leben, auf alle Altersstufen und Volksschichten, und auf alle Kulturprobleme auszudehnen. Es sind also zunächst die Praktiken wichtig geworden, die es mit der Heilung von sozialen Notzuständen, von Verwahrlosung, Armut, Entwurzelung zu tun haben. Ihnen stellt sich nun ein neuer Kreis von erzieherischen Praktiken zur Seite: Die Jugendbewegung und das freie Volksbildungswesen. Diese Praktiken gehen nicht von der akuten Notlage des einzelnen aus. Sie haben es vielmehr mit den Kräftigen, Bildsamen, Gesunden zu tun, mit einer positiven Auslese. Es findet sich nun auch bei diesen Gesunden in einer tieferen Schicht der Seele, im geistigen Leben, eine Notlage: die innere Not des bildsamen und * Aus: Hohenrodter Bund (Hrsg.), Die deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung; das 1. Jahr. Verlag Silberburg, Stuttgart 1927, S. 24-26.

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bildungsbedürftigen Menschen einer gefährlichen Zeit, der in Verkehr kommen möchte mit Erfahrenen, mit geistigen Uberlieferungen, mit geformtem Leben. Die eigentlichen Formkräfte des sittlichen Menschen stehen hier in Frage, ihre Aufrichtung in uns. In diesen Praktiken können nun Erfahrungen gemacht werden und Fragestellungen auftreten, aus denen jene s o z i a l e P ä d a g o g i k d e r N c t h i l f e w e s e n t l i c h e r g ä n z t werden kann durch eine s o z i a l e P ä d a g o g i k des E r w a c h s e n e n und der V o l k s o r d n u n g . Die Erziehungswissenschaft kann diesen Zweig nicht entbehren, wenn sie wirklich das ganze Leben des Menschen und der Menschheit erzieherisch durchdenken will. U n d dieser Zweig kann nur treiben, wenn die Erfahrung der praktisch Tätigen und Verantwortlichen mit der Forschung verbunden wird. Pädagogigik, Medizin und Politik können nicht rein gelehrtenmäßig erforscht werden. Sie sind nicht angewandte Wissenschaften, in denen es den Unterschied von Gelehrten und Technologen gibt. Die Schwierigkeit dieser Disziplinen, aber auch ihr Sinn im Leben, beruht darin, d a ß d i e w i s s e n s c h a f t l i c h e R e f l e x i o n sich hier s o w o h l auf die E r f a h r u n g eines g r o ß e n T a t s a c h e n r e i c h s a l s a u c h au f e i n e n h e l f e n d e n , h e i l e n d e n , s c h ü t z e n den W i l l e n s t ü t z t , und daß die T a t s a c h e n nur dem V e r a n t w o r t l i c h e n sich erichließen. Die neuentstehende Erziehungswissenschaft ist geradezu darauf angewiesen, daß die Erfahrung derer ihr zuströmt, die in der Erwachsenenbildung von den verschiedensten Seiten her der volkserzieherischen Verantwortung konkret ansichtig werden. Das Eigene dieser Erfahrung ergibt sich aus der Beurteilung des Volkszustandes auf seine erzieherische Gesundheit und Heilbarkeit hin, auf den Zusammenhang aller Überlieferungen, Sitten, Uberzeugungen, geistige Inhalte und Lebensaufgaben dieses Volksganzen, und auf seine Störungen. Im Denken des frühen Pestalozzi ist diese Betrachtungsweise schon vorgebildet und als Forderung ausgesprochen, die es nun, in einem weit schwieriger gewordenen Volksleben, durchzuführen gilt.

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Hohenrodter Bund (Hrsg.) Protokoll der 7. Besprechung vom 22.3.1926 E s bleibt die entscheidende Erfahrung der Volksbildungsbewegung der Nachkriegszeit, daß es möglich ist, mit innerer Zustimmung der Teilnehmenden Bildungsarbeit zu leisten, ohne daß Erzieher und Teilnehmende von gleichem Bekenntnis und von derselben politischen Denkart sind, und ohne daß die Folge der Bildungsarbeit die Bekehrung der Teilnehmer zu den Uberzeugungen des Lehrers und Erziehers ist. Katholiken vermochten Freidenkern, Humanisten vermochten kirchlich Gläubigen, Bürgerliche vermochten Proletariern erzieherisch förderlich zu sein, ohne sie aus ihrem Lager zu reißen oder auch nur sanft daraus zu entfernen. Andererseits konnten Bildungsanstalten von denselben volksbildnerischen Stellen begrüßt und als gleichsinnig arbeitend anerkannt werden, die auf Grund konfessioneller oder politischer Anfangsgebundenheit ihre Arbeit leisteten. Das einzig wesentliche war nur immer die Frage, ob echte erzieherische Arbeit getan wurde. Man sah sogar, daß wo gute Arbeit bei gebundenem Arbeitsanfang geleistet wurde, die Bildungsmittel immer reicher und offener wurden und sich den Mitteln der ungebundenen Arbeit durchaus näherten, wie auch der Kreis der Teilnehmenden weniger gleichartig blieb. Diese Entwicklung ist notwendig und begreiflich, wenn man erwägt, daß volksbildnerische (und jede sozialpädagogische) Arbeit es gar nicht damit zu tun hat, auf kürzestem und direktem Weg die kommende Generation in die Formen des herrschenden Geschlechts hereinzurufen und sie lediglich zur Fortentwicklung oder Gesunderhaltung dieser Formen anzuregen. Die reichen und starken Mittel einer solchen direkten Erziehung stehen dieser neueren Arbeit nicht mehr zur Verfügung. Die großen Krisen des Gemeinschaftslebens haben einen Schwund dieser nächsten, ersten Erziehungsmittel zur Folge; einen Schwund, der um so größer ist, je stärker die Teilnehmer und Zöglinge von den Wirkungen der Volkszerstörung betroffen sind. In solcher Lage kommt es überall, wo die Folgen des Schwindens der einfachsten Mittel bemerkt werden, darauf an, ganz andere erzieherische Wege zu gehen: die den Menschen im Sinne jener einfachsten Mittel überhaupt erst einmal erziehbar machen. Es handelt sich also um E r z i e h u n g s w e g e e i n e s N o t z u s t a n d e s . Während nun jene festen einfachen Mittel von den durchgeformten Bildungssystemen geliefert werden und demnach von Bekenntnis, ausgebildeter Weltanschauung, Willen des politischen Körpers, von allen traditionellen Mächten und ihrer Bildungsorganisation abhängig sind, handelt es sich im Notzustand um Wege und Mittel, die sich einer solchen festen Ausprägung und systematischen Ordnung nicht erfreuen. Während aber jene ausgeprägteren Mittel voraussetzen, daß eine allgemeine Bildsamkeit in der Gemeinde für sie vorhanden ist, und versagen, wo diese Bildsamkeit * Aus: Hohenrodter Bund (Hrsg.). Die deutsche Schule für Volksforschung; das 1. Jahr Verlag Silberberg, Stuttgart 1927, S. 109-112.

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durch die Gemeinde nicht mehr erzeugt wird, so haben die Mittel der Notstandspädagogik gerade dieses für sich, daß sie jene Bildsamkeit nicht nur nicht voraussetzen, sondern selber zu erzeugen, wenigstens zu befördern vermögen. Die Notstandspädagogik findet a u c h eine Bildsamkeit vor, die von jener direkteren Pädagogik der gesunden Gemeinde meist nicht gesehen, nicht befördert, ja sogar oft abgetötet wird. Die pädagogische Bewegung hat ja in der leidenschaftlichen Kritik eines ganzen Menschenalters immer neue Punkte aufgewiesen, wo diese Lage von jener direkten Pädagogik nicht erkannt, w o ein entscheidender Wechsel in der Struktur der Bildsamkeit von ihr gänzlich unbeachtet gelassen wird, und der erzieherische Mißerfolg dann auch massenweise nachzuweisen gewesen ist. Jene Mittel nun der Notstandspädagogik richten sich nicht so sehr auf eine b e s t i m m t e Gestalt kultureller Formen; die Notstandspädagogik geht ja gerade von dem V e r f a l l , von dem Nichtanerkanntsein solcher Formen aus. Sondern sie begnügt sich mit dem zwar komplizierteren, aber genügsameren Ziel: daß wirklich gesprochen werde (statt in der Phrasensprache); daß wirklich gedacht werde (statt der populären Anteilnahme an einer unübersehbar spezial gewordenen Wissenschaftlichkeit); und daß wirklich Geformtes empfunden werde (Gymnastik, emotionale Grundbildung); daß die religiöse Frage überhaupt ernst genommen, daß die Gemeinschaft überhaupt erfahren und freitätiger Gehorsam gegen sie einmal in Freudigkeit geübt werde: und ähnliches in allen Bezirken der Bildung. Aus dieser Beschränkung ihrer Aufgabe kann dreierlei klar werden: 1. Daß konfessionell und politisch verschieden Gesonnene in dieser Arbeit gut zusammengehen, einander fördern, einander fortsetzen können - die Möglichkeit der Erziehergilde, ganz verschiedene Denkarten umfassend, also eine Gemeinschaft der Erzieher selbst wird sichtbar. 2. Daß, wo diese Bildungsarbeit erfolgreich war, die Teilnehmenden in einem höheren Sinn nun erst voll bildsam werden für die besonderen Formkräfte ihres Lagers - sei es des protestantischen, des katholischen Glaubens oder der sozialistisch-humanistischen Menschheitslehre. 3. Daß dennoch die Notstandspädagogik selbst echte aufbauende und direkte Pädagogik zu werden vermag. An allen den Punkten nämlich, w o die herkömmlichen und direkt wirkenden Bildungssysteme der heutigen Wirklichkeit unseres Volkslebens, unserer Kultur und sozialen wie technischen Lage sich noch nicht angepaßt haben oder ihrer Herkunft nach sich nicht anpassen können, da wird diese Notstandspädagogik sich in die Lücken schieben und eigene Formen der Bildung schaffen. Sie ist also nicht eine bloße „Minimalpädagogik", sondern an diesen Stellen vermag sie pädagogische Aufgaben e r s t m a l i g zu lösen, Bildungsformen zu gewinnen, die alle anderen älteren Bildungssysteme sich aneignen und eingliedern müssen, wenn sie der Gegenwart gewachsen bleiben wollen. Im Haushalt der gesamten Erziehungsmittel eines Volkes ist also diese Notstandspädagogik ebensosehr Hilfe für diejenigen Oper von Volkskrisen, die sonst nicht von den älteren Bildungssystemen erreicht werden, wie sie zugleich die produktive 103

auf die jüngstentstandenen Erziehungsaufgaben gerichtete Gestalterin neuer Bildungssysteme werden kann, ohne die unser Volk zu einem Haufen oder zu einem Sammelsurium von Völkern zerfallen müßte, die lediglich in einem Staatenverband und einem gesellschaftlich-technischen Behälter zusammengehalten, aber kein lebendiges Volk mehr wären. Wir schreiben darum dem Volksbildungswesen sowie der sozialen Pädagogik, so unscheinbare Arbeitsgebiete unserer Kultur sie auch sein mögen, eine Bedeutung zu, die für die ganze Volksgestaltung wichtig ist.

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Erich Weniger Zur Geistesgeschichte und Soziologie der pädagogischen Fragestellung"' Die pädagogische Theorie e n t s t e h t . . . nach und nach, Ring um Ring, aus zwei Wurzeln, einer außerpädagogischen von der Kultur her und einer innerpädagogischen von den Bildungsmitteln her. Die pädagogische Theorie hatte ihren Höhepunkt erreicht, als sie das außerpädagogische Moment sich innerpädagogisch zu eigen machte und von der Pädagogik her Kulturkritik wurde, und so das Erziehungsziel selbst zum Gegenstand der pädagogischen Fragestellung machen konnte. Von dem außerpädagogischen Anfang der pädagogischen Fragestellung und Theoriebildung, vom Anfang der Frage aus dem Erziehungsergebnis, aus dem Erfolg im Dasein der Erwachsenen her, erklärt sich ferner die merkwürdige Tatsache, daß älter als die bewußten, theoretisch durchdachten und gewollten Erziehungssysteme und Erziehungstechniken die Theorien von Gebieten sind, die an sich nur analog der Erziehung sich bildeten, gleichnishaft als Erziehungsgebiete angesehen werden konnten. So sind die Theorien der Selbsterziehung, die doch nur ein Analogon der Erziehung ist, älter als die Theorien der Erziehungssysteme selbst und ebenso die Theorien über die Heilswege, also die Erziehung der Menschen durch Gott oder durch ein Mysterium; älter als die Theorie der Kindererziehung ist die Theorie der Erwachsenenbildung, obwohl Selbsterziehung und Erwachsenenbildung und gesonderte religiöse Erziehung des erwachsenen Menschen selbst jünger sind als jede Kindererziehung und Jugendbildung. Dann ist von diesen Theorien der Selbsterziehung und der Heilswege in der Erwachsenenbildung eine Rückübertragung auf die eigentliche Erziehung als auf das Feld der Einwirkung der älteren Generation auf die jüngere erfolgt. Beispiele sind die Erwachsenenbildung der Sophisten, die Sokratische Erziehung, die Selbsterziehungsbewegung der Stoa, aus ihnen allen wurden erst später Theorien der Jugendbildung und ferner die Rückbildung der christlichen Katechumenenerziehung auf die der Kinder in der altchristlichen Kirche der Spätantike, aber dann auch in der Reformation. Aus der humanistischen Selbstausbildung der Renaissance als einer Erwachsenenbildung wurde später eine Schulmethode; ähnlich im Neuhumanismus Humboldts und vorher schon in der Aufklärung der große Selbsterziehungsprozeß der Erwachsenen in moralischen Wochenschriften, populär-philosophischen Akademien, moralischen Romanen, während die Jugendbildung noch lange in den Händen der alten feindlichen Mächte ist, bis dann Salzmann, Basedow, Campe die Übertragung auf den Jugendunterricht durchzusetzen sich bemühen. Schließlich wird auch die Selbsterziehung der Jugendbewegung zu einer Rückübertragung ihrer Formen und Mittel auf die Schule gelangen. * Aus: Bildung und Erziehung. Münster 1936, Heft 6, Seite 363-374

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Der Weg des Christen zu Gott als Erziehung des Menschengeschlechts, der Stufengang der Einführung in die Männerbünde, Orden, Gruppen usw., der Verkehr des Philosophen oder Propheten mit seinen Jüngern als Umgang von Lehrer und Schüler, als Schule, der Kampf der Person um ihre moralische Selbstbehauptung, als Formung des Unvollkommenen durch das Vollkommene im Menschen - vielleicht sind alle diese Formen von vornherein gesehen in Beziehung auf Mängel der Jugendbildung und nun in der Besinnung der Erwachsenen, der Führenden, bewußt zu theoretischer Klarheit und Folgerichtigkeit durchgebildet, immer im Hinblick auf die Analogie. So waren sie dann schließlich verwendungsbereit für die Jugendbildung selber. Diese konnte nun aufgefaßt werden als ein auf zwei Personen aufgeteilter Selbstbildungsprozeß ( H e r b a r t , auch schon Rousseau), als ein Heilsweg der Erziehung des Menschengeschlechts oder des einzelnen Christen ( C o m e n i u s , Salzmann, der Sozialismus, auch Pestalozzi), als eine wechselseitige Bildung von gleichwertigen Personen mit einem schwächeren Partner (Berthold Otto, Grisebach, der aber die Ungleichheit des Partners völlig vergißt). Auch die Theorie der Erziehung der Erzieher ist vermutlich älter als die Theorie der Erziehung der Jugend, sie ist ja teilweise schon in diesen Selbsterziehungs- und Erwachsenenbildungstheorien enthalten. In der innerpädagogischen Theorie dagegen erwacht die Besinnung über den Erzieher verhältnismäßig spät, und der Erzieher ist zunächst gegeben, auch sich selbst gegeben und rechnet sozusagen mit sich als einer festen Wirklichkeit. N u r da, wo ein Wechsel des Erziehungssystems vor sich geht oder gefordert wird, wird die Person des Erziehers kritisch betrachtet oder ihm ein Bild des neuen Erziehers gegenübergestellt, aber anfangs eher durch Negation, in „ E m i l " zum Beispiel. Dahinter werden dann alte und neue Träger der Erziehung überhaupt konfrontiert, erst in der relativen Verselbständigung der Erziehung am Ende der Entwicklung bringt man auch die innerpädagogische Kritik und Analyse des Erziehers, der Erziehungsträger und Erziehungsmächte, und vielleicht ist erst hier die letzte Freiheit für die Pädagogik gegeben, nicht in der Freiheit der Kritik und Auswahl der Erziehungsziele, sondern in der Freiheit und Unbefangenheit der Selbstkritik der Träger der Erziehung, die sich auf das pädagogische Verhalten als das schließlich Entscheidende besinnen. Wenn man so, wie wir es taten, die Entstehung der pädagogischen Frage und der Theorie aus der Gegebenheit Erziehung betrachten will, dann wird man sich noch weiter vergegenwärtigen müssen, daß die pädagogische Theorie wohl zuerst in den Erziehungsgebieten sich bilden konnte, in denen irgendeine Theorie, eine Lehre, Gegenstand oder Mittel der Erziehung war. Da wo unabsichtliche Selbstausbildung, Gewöhnung, Vorbild und Beispiel die Mittel waren, um den Nachwuchs in den Lebenszusammenhang der Familie, der Sippe, des Volkes, der Erwachsenen einzuführen, war zunächst keine Veranlassung zu besonderer erzieherischer Besinnung, wohl aber da, wo diese Mittel nicht ausreichten, weil das Erziehungsziel in solchen selbstverständlichen Formen des Verkehrs der Generationen nicht von selber sichtbar oder erreichbar war oder wo es selber etwas Gesondertes war, etwa ausdrückliche Lehre, Wort oder außergewöhnliche Handlung, die Übung und Unterweisung voraussetzten. Also etwa die Inhalte des 106

religiösen Glaubens bedurften schon sehr früh einer ausdrücklichen Lehre, meist von einem gesonderten Stand vertreten; das Wort dieser Lehre war Gegenstand der Unterweisung, und die pädagogische Besinnung richtete sich auf die Mittel solcher Aneignung des Wortes, auf die Methode der Wortverkündung. Wenn „Schule" charakterisiert wird durch drei Momente: eine besondere methodische Bemühung, einen besonderen Träger der Erziehung als Lehrer oder Meister und eine räumlich-zeitliche Ausgliederung bestimmter Erziehungsvorgänge aus dem gewöhnlichen Umgang der Generationen, so sind zweifellos die ältesten Ansätze von Schulbildung religiös-kultischer Art zur Einführung in die religiösen Geheimlehren der Priester und Zauberer als der ersten Lehrer, und alle späteren Schulbildungen haben das Vorbild an der religiösen Unterweisung, den Säkularisationen der religiösen Schulen als Schulen der Weisheit, Wissenschaft und Technik. So sind denn die ersten innerpädagogischen Theorien - wie früher gesagt Theorien der Bildungsmittel und Rückübertragungeh von der Erziehung analogen Vorgängen des Erwachsenenlebens - dem Gegenstandsgebiet nach auf religiösem Gebiet erwachsen, und zwar da, wo der Zweck der Erziehung Einführung in einen Zusammenhang von Lehren, Glaubenssätzen, kultischen Anschauungen war, wo Theorie Gegenstand des Unterrichts wurde, wo also ausdrücklicher Unterricht in Wort und Lehre erforderlich war. Ein anderer Ausgangspunkt innerpädagogischer Besinnung zunächst wohl auch auf religiösem Gebiete - waren komplizierte Techniken als Gegenstand der Unterweisung, deren Kompliziertheit ihre Herausnahme aus den übrigen Erziehungszusammenhängen und eine besondere Methode verlangte, die ihrerseits besondere Erwägungen nötig machte, Techniken ursprünglich magischer oder sonst kultischer Art, dann säkularisiert als Denktechniken, Arbeitstechniken. Von diesen beiden Polen her, von der besonderen ausdrücklichen Theorie einer Lehre zunächst religiöser, dann weltlicher Art als Gegenstand eines besonderen Unterrichts und von der Unterweisung in besonderen Techniken, beide von Anfang an in innerer Beziehung zueinander, hat sich das pädagogische Denken bewegt und Theorien ausgebildet... Fragen wir schließlich noch, wo am ersten geschlossene pädagogische Zusammenhänge bewußter Art auf Grund pädagogischer Frage entstehen konnten, wo also relativ vollständige pädagogische Theorien sich bilden konnten, so wird man sagen können, die pädagogische Theorie entsteht nacheinander und entsprechend der Verselbständigung von Ämtern innerhalb der Gemeinschaft. Diese Ämter forderten eigene Erziehungseinrichtungen, besondere erzieherische Bemühungen, besondere Sorgfalt, auch wohl eigene Lehrkräfte, und so befassen sich die ältesten pädagogischen Theorien mit der Erziehung der Führer, Häuptlinge, Fürsten und Könige. Schriften über Fürstenerziehung, Fürstenspiegel, Prinzenführer, gehören bei den meisten Völkern zu den ältesten Bestandteilen der pädagogischen Literatur. Die Cyropädie des Xenophon ist im Alterum das bekannteste Beispiel, aber auch Piatos Staat ist eine Art Fürstenspiegel, denn es handelt sich bei ihm ja um die Erziehung der Philosophen, da die Philosophen die Könige dieses Staates sein sollen. Daran schließt sich die Erziehung der Religiösen, oft deshalb nicht früh selbständig erscheinend, weil Priesteramt und Fürstenamt noch in eins gehen, 107

zum Teil wohl mitumfaßt in der Betrachtung und Anweisung für die Heilswege und für den Gebrauch der kultischen Formen überhaupt. Nicht die allgemeine Theorie der Erziehung ist die primäre, von der dann die Theorie der einzelnen Ämter und Stände abgeleitet wird, sondern umgekehrt: erst bilden sich die Theorien der einzelnen Ämter, des Königs und der Fürsten, des Priesters, des Gelehrten, des Staatsmannes, des Kaufmannes, des Landmannes, des Handwerkers; dahinter dann die ausgebildeten pädagogischen Systeme der einzelnen Stände in der Reihenfolge ihrer Machtgewinnung und Verselbständigung, hinter den Fürsten und Rittern die Pädagogik des ritterlichen Adels, hinter dem Priester die Pädagogik des Klerus, im Ausgang des Mittelalters dann der Reihe nach die Erziehungslehren der später führenden Ämter und Schichten. Auch die Erziehungslehren des Bürgertums bilden sich aus Resten früherer ständischer Überlieferungen und aus der Berufserziehung der neuen Berufe des kapitalistischen Zeitalters, und nicht ist erst ein bürgerliches Gesamterziehungssystem da, aus dem dann die Berufe sich differenzieren. Es ist sehr charakteristisch, daß auch der Begriff Volkserziehung zuerst konzipiert wird nicht als Gesamterziehung, sondern als Erziehung eines Standes, des Standes der Geführten, Gehorchenden, Abhängigen, des Standes der Bauern, der kleinen Leute, ja geradezu als Erziehung der Leute im Stande der Armut, so noch bei Pestalozzi. Die Ausdehnung der Erziehungstheorie auf ein ganzes Volk, in der wirklich das ganze Volk gemeint ist und nicht etwa Volk nur als eine Bezeichnung für die sich als Träger des Volkstums fühlenden herrschenden Schichten, ist etwas sehr Spätes. N o c h bei Plato fehlt dieser Gedanke, und ebenso fehlt er bei Rousseau im Grunde. Bis fast auf den heutigen Tag war bei vielen Volkserziehungstheorien nicht ganz sicher, ob sie wirklich das Volk als Einheit meinen und nicht etwa bestimmte Klassen, etwa das Bürgertum oder das Proletariat, das allein Volksein beanspruchte, wie früher das Bürgertum allein Volk zu sein vorgab . . . Die pädagogischen Theorien, die sich auf der Stufe der Ämterverzweigung bilden, sind noch nicht eigentlich Theorien im modernen Sinne, die aus dem Zweifel, der Frage und der Verwunderung erwachsen, sondern sie entstehen aus der Notwendigkeit, schwierige Methoden, komplizierte Verhaltungsweisen, zum mindesten andere als die gewöhnlichen Verfahrungsweisen zu fixieren. Die eigentliche Geburtsstunde der pädagogischen Theorie aber ist die Loslösung des Menschen aus der ständischen Gebundenheit. Der Mensch wird sich seiner Persönlichkeit und Individualität bewußt. Er ist nicht einfach nur Ritter, Kleriker, Familienglied, Kaufmann, Volksgenosse, Bürger, sondern er ist zunächst einmal er selbst, mit seinem ganz persönlichen Schicksal und seiner ganz persönlichen Aufgabe, für die er einer gerade auf ihn ganz persönlich zugeschnittenen, auf seine Bedürfnisse, Ansprüche, Möglichkeiten gerichteten Erziehung bedarf. Die Erziehung soll ihn erretten vor dem einfachen Aufgehen in der Gruppe, in dem Stand. Hier wird das Vorangehen der Selbsterziehung und der eigentlichen pädagogischen Reflexion noch einmal deutlich. Ein Mensch in seinem Lebenskampf befreit sich von den überlieferten Bedingungen durch seine persönliche Leistung. N u n wendet er seine Erfahrung als Forderung an die Erziehung des Nachwuchses. Alle pädagogischen Theorien im 108

modernen Sinne sind in ihren Anfängen verknüpft mit den großen Aufklärungs- und Befreiungsbewegungen der Menschheit. Aufklärung und Erziehung sind in diesen Anfangszeiten gewöhnlich identische Begriffe. Sie meinen: den Menschen auf sich selbst stellen, auf seine Natur und seine Vernunft, sein Gewissen und seinen Willen, auf seine Freiheit und Besonderheit. So war es in Griechenland. Dort entsteht die pädagogische Theorie mit der griechischen Aufklärungsbewegung der Sophisten, die dann ihre Vollendung und Überwindung zugleich in Sokrates und Plato findet. Ebenso ist es in der Neuzeit. Das pädagogische Denken gewinnt Kraft und Selbständigkeit mit der Aufklärung in der modernen Wissenschaft und dem modernen Rechtsgefühl, so bei Locke und den moralischen Wochenschriften, Höhepunkt und Uberwindung zugleich in Rousseau und Pestalozzi, in denen die pädagogische Theorie sich von diesem Bündnis mit Aufklärung und Individualismus löst und beide zu überwinden sucht. A m Anfang steht immer die Reflexion auf den einzelnen; aber es ist nun sehr charakteristisch, daß sich die Theorie in dieser Reflexion auf den einzelnen der allgemeinsten Begriffe bedient: allgemeine Menschenbildung, der Mensch schlechthin, der Deutsche, der Gebildete wurden Erziehungsziel. Damit war aber nicht etwa das Aufgehen der einzelnen in einem Kollektivum gemeint, wie der Begriff „Allgemeine Menschenbildung" rein logisch verstanden werden müßte, sondern es war gemeint: dieser einzelne unangesehen und je nach der Kampffront, an der der Begriff gebildet wurde - seiner ständischen Zugehörigkeit, seiner konfessionellen Zuordnung usw. - ist das Ziel der Erziehung: sein Wohl, sein Interesse, seine Wirkung; aber nun nicht um seiner Sonderstellung willen, sondern das Argument war durchaus, daß um des Wohles der Gemeinschaft willen dieser einzelne zu seinem Recht kommen muß. Das geistesgeschichtliche Resultat solcher Besinnung auf die Erziehungsaufgabe gegenüber dem einzelnen, die am Anfang jeder selbständigen pädagogischen Theorie steht, war keineswegs, wie die Formulierungen vermuten lassen könnten, allgemeine Menschheitserziehung oder Volkserziehung, sondern es bildet sich in solchen Erziehungssystemen eine neue Schicht heraus, oder vielmehr solche Pädagogiken waren Ausdruck des wirtschaftlichen, sozialen, geistigen Aufkommens neuer Menschengruppen, neuer Stände, so des Bürgertums im 18. Jahrhundert, des Gebildeten im 19. Jahrhundert, des Proletariats in dem kurzen marxistischen Zwischenspiel. So konnte dann gegenüber solchen Erziehungsresultaten wieder der Anspruch des Menschen schlechthin etwa statt des Gebildeten, oder des Deutschen statt des Bürgers und des Proletariers geltend werden, und die pädagogische Revolution ist ja so seit Nietzsche vor sich gegangen: Kritik an dem Produkt früherer Einzelerzierhung und Ubergang auf den Menschen, und in diesem Fall war damit zum Beispiel der Arbeiter oder Bauer gemeint. Als letztes kommt dann die Wendung der pädagogischen Bewegung zur Gemeinschaft und zur Theorie der Gemeinschaftserziehung, die eben nicht am Anfang, sondern am Ende der Entwicklung steht und keineswegs eine Wiederherstellung der ursprünglichen Zustände der Erziehung bedeutet, sondern etwas völlig Neues, was vorher so nicht war. Nun erst bekommen Begriffe wie Gemeinschaft, Volk, Gruppe einen pädagogischen Sinn 109

gegenüber dem bloß faktischen, und in ihnen ist die frühere Epoche der Wendung an den einzelnen nicht beseitigt, sondern aufgehoben in der Rückgliederung des erzogenen einzelnen in die Gruppe. Die Theorie dieser Gemeinschaftserziehung setzt die Existenz einer Theorie der Einzelerziehung voraus. . . . Als letztes Kulturgebiet erringt sich dann das Erziehungswesen seine relative Eigenständigkeit und hebt dadurch gleichsam innerweltlich den Loslösungsprozeß von der Mitte her wieder auf. Ausdruck dafür ist eben die Verselbständigung der pädagogischen Theorie, die alle Einzeltheorien der Stände, Schulformen usw. in sich aufhebt und nun die gesamte Erziehungswirklichkeit mit ihren Teiltheorien zu ihrem Gegenstand hat und schließlich über ihre eigene Stellung im Ineinander der Theorien reflektiert. So schließt sich der Kreis in der Auseinandersetzung über das Erziehungsziel und in der Selbstkritik der Erzieher. Vollendeter Ausdruck dieser relativen Selbständigkeit der Erziehung in der pädagogischen Theorie am Abschluß der Entwicklung ist die Wendung zum Kind, mit der die moderne Pädagogik sowohl wie die Pädagogik als Wissenschaft eigentlich erst begann. Diese Wendung fehlt in der antiken Pädagogik, die sich nur an den Menschen überhaupt wandte, was dann das Christentum ins Religiöse zurückübersetzte. Rousseau steht insofern am Anfang der modernen Pädagogik und auch am Anfang der selbständigen pädagogischen Theorie. Wir sahen bereits, wie der Rückgang auf die Individualität des einzelnen, auf den Deutschen, den Gebildeten usw. faktisch doch nur die Einleitung zu neuen Formen von Standes- oder Gruppenerziehung bedeutet hat. Erst der Rückgang auf das Kind befreite nun wirklich von diesen verborgenen Bindungen. Hier erscheint die Erziehungsaufgabe als solche, nicht liberalistisch unabhängig von den menschlichen Beziehungen und Abhängigkeiten, aber mit einem eigenen Kern. Seitdem nahm alles pädagogische Denken seinen Ausgang vom Zögling, um von da aus seine Unbekümmertheit und seine Richtung zu gewinnen, und zwar heißt das nicht nur psychologisch, also mit Rücksicht auf Begabung und Neigung des Kindes, und nicht nur methodisch, obwohl es beides auch heißt, sondern wirklich (existentiell), inhaltlich Partei nehmend für das dem Erzieher anvertraute Wesen, mit ihm gehen, es führen, unangesehen aller gleichwohl in Geltung bleibenden Ansprüche. Von dieser Wendung zum Kind aus ist die Verselbständigung der pädagogischen Theorie allmählich fortgeschritten: Erst das Kind statt des Menschen oder Bürgers, dann die Jugend. Schließlich wird auch erzieherische Freiheit gegenüber dem Erwachsenen gewonnen. Seine Bildsamkeit und die Gesetze des erzieherischen Verhaltens ihm gegenüber werden erkannt und in der Volksbildung durchgesetzt. Immer ist der konkrete Mensch als Kind oder als Erwachsener gemeint, im pädagogischen Verhalten wie in der pädagogischen Theorie, nicht „der Mensch" oder irgend etwas sonst „schlechthin". Hier ist also die zeitlich letzte Frage, die im Erziehungszusammenhang auftaucht, die nach dem Erwachsenen, seiner Bildsamkeit, seinen Bildungszielen und den damit gegebenen Bildungsmitteln. Dieses Wissen um die Wandelbarkeit und mithin Bildsamkeit des Erwachsenen ist erst eine ganz neue, sehr revolutionäre Entdeckung. Das frühe Ende der 110

E r z i e h u n g mit F i r m u n g , K o n f i r m a t i o n , R e i f e p r ü f u n g , Meisterprüfung, wird aufgehoben. V o n da aus ist dann der Kreis der pädagogischen Theorie geschlossen, denn die E r z i e h u n g der Erwachsenen ist zugleich die E r z i e h u n g der Erzieher, und die Selbsterziehung wird ihr pädagogisches Mittel, und wie sie pädagogische Theorie dem G a n g des Lebens nachgeht, so wendet sie sich andererseits v o m einzelnen wieder z u den größeren Einheiten, die als O b j e k t e der E r z i e h u n g neu entdeckt werden, zur G r u p p e , z u m B u n d , zur Familie, schließlich z u m Volk. D a s Volk ist heute Gegenstand einer Volkserziehung unmittelbarer

Art g e w o r d e n , wo nun „ Volk" nicht mehr ein Bild für eine neue

ist,

seine

sondern

volle

Wirklichkeit

hat.

Damit

Gruppe

gewinnt auch die Theorie der

Erziehungswirklichkeit eine neue F o r m .

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M.J. Langeveld Einführung in die theoretische Pädagogik* D a s G e b i e t , in d e m wir - schon in der naiven E r f a h r u n g - der Erziehung begegnen, ist das des U m g a n g s zwischen Erwachsenen und Kindern. Ist es nicht das Gebiet des U m g a n g s zwischen Menschen überhaupt? D i e s e F r a g e weitet das Gebiet erheblich u n d bringt soviel hinzu, was nicht zur Erziehung gehört (obgleich es mit d e m Erziehen unter gewisse sehr allgemeine Eigentümlichkeiten jeglichen U m g a n g s mit Menschen fällt), daß wir d o c h wohl v o r w e g die E r z i e h u n g selbst näher werden bestimmen müssen, bevor wir es wagen können, ein so allgemeines Gebiet wie das jeden „ U m g a n g s " überhaupt z u betreten. D e r U m g a n g auf d e m Gebiet der E r z i e h u n g hat immerhin zwei für jedermann leicht wahrnehmbare Kennzeichen: 1. daß man in diesem U m g a n g Einfluß ausübt und 2. die Absicht, daß dieser Einfluß von Erwachsenen oder von dem, w a s sie ins Leben rufen (einer Schule, einem B u c h , einer T a g e s o r d n u n g usw.) auf Unerwachsene ausgeht. Wir lehnen daher alle P ä d a g o g i k ab, die den A u s d r u c k „ e r z i e h e n " (Erziehung) so weit faßt, daß darunter auch Erwachsene fallen als Personen, für die die W i r k u n g der Einflüsse bestimmt ist. . . . Zweifellos bleibt die unerläßliche Weiterführung dessen, was im eigentlichen Erziehungswerk begonnen w u r d e , die Arbeit an d e m und für den seelisch gesunden, aber geistiger Leitung und H i l f e bedürfenden Erwachsenen. A b e r der Erwachsene ist und bleibt selbst verantwortlich . . . , auch für die „ E r z i e h u n g " , die er „ e r f ä h r t " . U n d v o m K i n d gilt das nie. A u s d e m U m s t a n d , daß die Erziehung

beendigt ist, folgt nicht, daß ihr Ziel nun auch

völlig erreicht ist. Bei Erreichen eines bestimmten Alters stellt das Leben gesellschaftliche F o r d e r u n g e n an den jungen M e n s c h e n und setzt die G r e n z e , von den Vorrechten der E r z i e h u n g weiter zu profitieren. Was die Erziehung, die ihn immer noch teilweise vor der vollständigen Verantwortung schützte, nicht erreicht hat, muß er nun auf eigene Verantwortung selbst erwerben o d e r muß, wenn er das vernachlässigt, d a f ü r büßen. J e d o c h - der Leser halte hier mit seinem Urteil noch zurück, bis ihm beim Weiterlesen das theoretische G a n z e deutlicher vor A u g e n steht. Schon Plato hielt „ B i l d u n g " für etwas, das das ganze L e b e n dauert, „ E r z i e h u n g " für etwas, für das irgendwann einmal ein E n d e k o m m e n muß . . . Begreiflicherweise liegt in der Zeit noch eine andere G r e n z z o n e der Erziehung. In unserem G e d a n k e n g a n g versteht es sich von selbst, daß jeder Schritt in der Richtung eigener Autoritätsführung und selbständig getragener Verantwortung eine allmähliche A u f h e b u n g des Erziehungsverhältnisses bedeutet. D i e F r a g e ist dann aber, o b es gewisse Entschlüsse und gewisse sittliche Entscheidungen und H a n d l u n g e n gibt, die als Kriterium f ü r die A u f l ö s u n g des Erziehungsverhältnisses gelten können. Solche Kriterien sind * Aus: M . J . Langeveld, Einführung in die theoretische Pädagogik. Kien Verlag, Stuttgart 1965, S. 27 u. 86-89

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unverkennbar vorhanden; denn sobald der Mensch die volle Verantwortung für andere de facto auf sich zu nehmen hat und - wie wir dies wünschen - auch auf sittlicher Basis auf sich nimmt oder doch fähig ist, dies zu tun, ist er nicht länger nur mehr Zögling . . . Es besteht ein Konglomerat äußerer Kriterien, deren jedes für sich keine moralische Verantwortlichkeit begründet, mit denen uns die gesellschaftliche Praxis sehr vertraut gemacht hat, in denen wir uns aber doch noch gründlich irren können. Unterschätzung wie Überschätzung der Erwachsenheit kommen vielfach vor, besonders bei jungen Menschen in der Periode der Adoleszenz. Die Anerkennung der Selbständigkeit wird denn auch gesellschaftlich an sehr unterschiedliche, doch stets äußerlich leicht feststellbare Kriterien gebunden, die als solche für den Pädagogen nur beschränkten Wert besitzen. Die verschiedenen Formen sozialer Fürsorge, die wesentlich auf Hilfeleistung an erwachsenen und in der Gesellschaft stehenden Personen, die moralisch nicht selbständig sind (Familienfürsorge, Sorge für uneheliche Mütter usw.), hinauslaufen, sind die nächsten Analogien pädagogischer Bemühung in einer Lebensphase, in der die Erziehung als solche vorbei ist. Der Übergang zum Erwachsenseins wird schon lange zuvor in der selbständigen Wahl von Motiven, an denen sich der Zögling selber formen will, bemerkbar; im gleichen Maße, in dem man dies immer mehr dem Urteil des Zöglings überlassen kann, tritt die Selbstbildung an die Stelle einer - wenn auch noch so aktiven - Beteiligung am Erziehungsprozeß. Der weite - und vage - deutsche Ausdruck „Bildung" umschließt sowohl das eine wie das andere und faßt dadurch das Verwandte, aber wesenhaft Verschiedene in einem Wort, wenn auch keineswegs in einem Begriff zusammen. Selbstbildung vollzieht sich nämlich unter voller eigener Verantwortung; der aktive Teilnehmer am Erziehungsprozeß steht aber letzten Endes und entscheidend unter der Autorität des Erziehers. Zweifellos ist die Selbstbildung des nächsten Analogen der aktiven Teilnahme am Erziehungsprozeß, und zweifellos bestehen daher viele und treffende Analogien zwischen dem Erwachsenen, der, sich selbst bildend, „rückständige Erwachsenheit" aufholt oder seine lückenhafte Allgemeinbildung ergänzt oder sich geistige Nahrung verschafft - ζ. B. durch den Besuch von Kursen an einer Volkshochschule - , und dem Zögling, der eine Schule oder sogar eine Universität besucht, aber noch Zögling und demgemäß nur erst bedingt verantwortlich für sich selbst ist. Bedingt - zwar in einer einfachen, wenn auch tiefgreifenden, jedoch sehr klaren moralischen Entscheidung, nicht in einer mehr komplizierten, minder übersichtlichen..., bis er selber die volle Verantwortung an sich zieht, sei es, daß er zu diesem Schritt in einem Konflikt, in einer gesellschaftlichen Notlage oder aus irgendeinem anderen Grunde gebracht oder genötigt wird (Unzuständigkeit, Abwesenheit oder Tod des Erziehers und derartige Fälle mehr). Und nun wissen wir um zwei Dinge: erstens, daß man gerne Verantwortung auf sich nimmt, sobald ein starker emotionaler Drang besteht, in einer bestimmten Richtung zu handeln, und daß man nicht selten wieder ebensogern von der Verantwortung absieht, in dem Augenblick, wo die Folgen lästig werden, oder daß man hinterher entdeckt, daß man wohl zu Unrecht die Verantwortung übernommen hat, sich aber gerade dies nicht 113

eingestehen will; zweitens, daß jeder Erwachsene in zahllosen Fällen andere um Hilfe anruft, wenngleich nicht in einem vergeblichen Versuch, die Verantwortung von sich auf seine Ratgeber abzuwälzen, so doch, um mit diesen anderen zur Klarheit zu kommen über die genauen Grenzen seiner Verantwortung. In diesem Gesamtkomplex von Tatsachen zeigt es sich, daß es nicht so einfach ist, die in einem bestimmten Augenblick geforderte Erwachsenheit in allen ihren Konsequenzen zu tragen. Wir sehen dann die zögernde Erwachsenheit. Hieraus folgt, daß zwischen dem Gebiet der Erziehung und dem der Selbstbildung noch weiterreichende Analogien bestehen als die soeben genannten. Auch in den Erwachsenenbeziehungen übernehmen wir Verantwortung für andere, um ihnen dadurch eine Führung zu geben, damit sie ihre menschliche Bestimmung besser erreichen können. Aber sie bleiben dann gleichwohl selbst verantwortlich für die Führung, der sie folgen. Das kann man nun vom Kind nicht sagen. Das Kind nimmt zu einem gegebenen Augenblick zuweilen wenig, zuweilen sehr auffällig das Heft selbst in die Hand; die Erwachsenheit ist dann ziemlich sicher noch nicht in jeder Hinsicht erreicht. Aber von diesem Augenblick an muß ein beiläufiges Zurückführen unter die Erziehungsautorität doch als ein sehr ernster Eingriff verstanden werden, der besondere Motivierung erfordert. Die Erwachsenheit wird, mit anderen Worten, vom Zögling ergriffen, und wird sie nicht ergriffen, so ist irgend etwas nicht in Ordnung, und es sind Entbindungsgriffe nötig. Es sollen Umstände geschaffen werden, die dazu veranlassen, selbständig aufzutreten. „Jugend" - das wird nun auch klar - ist nicht durch einfache, z . B . gewisse milieugebundene oder sogar gesetzlich festgelegte Altersabgrenzungen zu bestimmen. Zu Recht bemerkt Andreas Flitner: „Ein 28jähriger, der einen Hof führt und drei Kinder hat, ist mit der Sozialkategorie des Jugendlichen ein für allemal nicht zu fassen, während ein beruflich, familiär und sozial noch in der Situation des Übergangs oder einer unbefriedigenden Wartezeit Befindlicher sehr wohl dieser Gruppe angehören kann." Nach unserer Auffassung findet also der Generationsübertritt da statt, wo der junge Mensch eine echte Verantwortung auf sozialem, sozialkulturellem Niveau übernimmt. Der Generationsunterschied ist ein Unterschied in angetretenen, ausgeübten und schließlich nicht mehr zu tragenden Verantwortungen. Dies alles erklärt auch Ausdrücke wie „Volkserziehung", soziale Pädagogik", „Erziehung" im Arbeitsdienst oder in der Armee; es macht auch den Zusammenhang sichtbar zwischen dem Wirken des Pädagogen (nur helfen, erwachsen zu werden) und dem des Psychotherapeuten (unvollständige Erwachsenheit und Rückfall in Verantwortungslosigkeit zu beheben). ( . . . )

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Rudolf Lochner: Phänomene der Erziehung* Wann ist der Mensch erzogen, wann gilt der Mensch als erzogen? Darüber gibt es zahlreiche vorwissenschaftliche Aussagen und Meinungen; aber die Wissenschaft scheint gegenwärtig, da die Argumente der Anthropologie und Humanbiologie sich in den Vordergrund schieben, zur Auffassung zu kommen: von einer Erzogenheit, wie man eine solche besonders stark im 18. Jahrhundert oder noch Ende des 19. Jahrhunderts vorstellte, kann beim Menschen überhaupt keine Rede sein. Die Erziehung ist ein lebenslanger Prozeß, der den Menschen, genauer, die (menschliche) Person, dauernd bewegt, ohne je zu Ende zu kommen; wenn man, wie hier ja früher geschehen, die menschliche Varianz und Formbarkeit und die daraus folgende Formungsbedürftigkeit überschaut, so wird dies zur Selbstverständlichkeit; ja noch mehr: Erziehung wird zum anthropologischen Hauptmerkmal der Spezies, ohne deren genaue Kenntnis seine Existenzform und seine Formungsbedürftigkeit nicht verständlich gemacht werden kann. Oder, anders ausgedrückt, die Persona-Genese im Rahmen der spezifisch-menschlichen Idiohominisation macht das Phänomen der Erziehung überhaupt erst nötig. Erziehung also ist gekoppelt mit naturhafter Dauerformung und kann daher nie beendet sein, es sei denn, das Leben erlischt. - So gesehen ist das zu Anfang des 20. Jahrhunderts so lebhaft erörterte Problem der „Erwachsenen-Erziehung" (heute spricht man immer noch törichterweise von Erwachsenen-„Bildung") längst zu Ende diskutiert; denn während der Lebenszeit des Menschen ein Ende seiner Erziehung anzunehmen, wäre ebenso unsinnig wie nach dem Beginn seiner Erziehung zu weit vor seiner Geburt zu suchen. Das Studium der Erziehungsvorgänge und besonders das der Wirksamkeit erzieherischer Eingriffe in das Zöglingsdasein ist zwar noch längst nicht genügend vertieft, doch hat man aber bereits erkannt, daß sogenannte „Erziehungsabschlüsse" nicht an bestimmten Jahresenden oder Altersstufen des menschlichen Werdeganges haften. Von solchen „Abschlüssen" kann nicht die Rede sein. Die Tendenzen und Notwendigkeiten der Erziehung umspannen das gesamte Leben der Person. Sie sind in sich so verschiedenartig, daß ein einheitlicher Zeitabschluß nicht erwartet werden kann. Viele von ihnen greifen naturnotwendigerweise in höhere Altersstufen hinein, und so wird das Phänomen der Andragogik in der neueren Zeit durchaus positiv gesehen. Der Mensch bleibt, und wenn auch nur in deutlichen Spurfen, erziehungsfähig bis in höhere, ja höchste Altersstufen, wenn nicht einseitige, krankhafte Anlage ihm die natürlichen Bedingungen und Möglichkeiten raubt. Daneben ist aber festzuhalten, daß der Mensch zwar zeit seines Lebens mehr oder minder erziehungsfähig ist, nicht aber in allen seinen Entfaltungsabschnitten in gleich starker Weise auf Erziehungseinflüsse reagiert. D. h., es ist sicherlich

* Aus: Rudolf Lochner, Phänomene der Erziehung. Verlag Anton Hain, Meisenheim am Glan 1975, S. 177-192

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der Grad der Erziehbarkeit auf den verschiedenen Altersstufen recht verschieden groß. Man darf ganz allgemein die beiden ersten Lebensjahrzehnte als eigentliches Erziehungsalter, darunter das erste Jahrzehnt als erzieherisches Grundalter,

kennzeichnen. Dies

stimmt auch sehr gut mit den neuen anthropobiontischen Grundeinsichten zusammen. Bei sehr vielen Menschen nimmt erst jenseits des 60. Lebensjahres oder noch später die Zugänglichkeit und Aufnahmebereitschaft für erzieherische Einflüsse ab. D e r Satz „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" muß nach den Einsichten der Gegenwart, übertragen auf das Gesamtgebiet der Erziehung, durchaus abgelehnt werden. Richtig an dem zitierten Satz ist nur, daß gewisse Erziehungsprozesse, die ζ. B . mit erhöhter Lernund Gedächtnisbereitschaft rechnen, auf frühen Altersstufen der Zöglinge bisweilen mit raschen Erfolgen rechnen können - oft freilich ohne allzu große Nachhaltigkeit der Wirkungen. Für die Beurteilung des Phänomens der Erwachsenen-Erziehung lassen sich folgende Tatsachen aufweisen: in Ländern mit starker Einwanderung gilt es z.B., „die erwachsenen Neuankömmlinge" dem Volks- und eigentlichen Kulturleben möglichst einzugliedern; mag hier auch immer ein Rest von Unerfülltheit übrig bleiben, die Aufgabe wird übernommen und durchgeführt. Die Wirtschaftsnöte unserer Zeit, die Kriegs-Katastrophen mit ihren Folgen, die weltanschaulich-politische Haltungsunsicherheit ganzer Generationen zeugen, wie selbst einseitige Begabungsarten sich in späterem Alter umstellen müssen, d. h. wie sie durch erzieherische Einflüsse der Gesellschaft gezwungen sind umzulernen, wie sie für neue Lebenslagen geradezu umerzogen werden müssen. In diesen Bereich gehören die Probleme der zunehmenden Automatisierung; allgemein gesprochen: einer rascheren Veränderung in manchen Zeitaltern muß der Einzelne, müssen ganze Volksschichten Rechnung tragen, wenn sie nicht „unter die Räder" kommen wollen. Da hält dann die Gesellschaft heute (unter anderem) den „Erwachsenen-Erzieher" bereit, damit er bei solcher Mühsal behilflich sei. Im Erwachsenenleben der Gegenwart werden mehr erzieherische Handlungen geübt, als das der Schulbank und der „Zuchtrute" entronnene Mensch zugeben will. Politische Umschulungen ζ. B. sind ebenfalls Umerziehungsversuche größten Maßstabs. Man denke nur an das deutsche Volksbeispiel als des großartigsten „Massenexperiments" in diesem Jahrhundert; wahrscheinlich müßte dieses Beispiel mit anderen, wie ζ. B. dem sowjetischen, verglichen werden (auf welch letzteres ich schon vor vielen Jahrzehnten hingewiesen habe, wenn nicht nur von Erziehung überhaupt, sondern besonders von Erwachsenen-Erziehung gesprochen worden ist). Natürlich lagen andere Versuche mehr in der Zone der Rationalität und entsprechen daher mehr echter eigentlicher Erziehung; etwa die Leistungen der sogenannten „Volkshochschulen", wie sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, ausgehend von dänischen und anderen Vorbildern, auf deutschem, englischem und amerikanischem Boden errichtet wurden. Diese Leistungen sind bereits historische Fakten; sie sind allerdings erziehungswissenschaftlich kaum noch genügend untersucht und ausgewertet. . . . Schon im 16. und 17. Jahrhundert wird in Europa gelegentlich das Problem einer ErwachsenenErziehung gesehen, aber erst mit der Auflösung der alt-ständischen Gesellschaft und vollends mit Beginn der ersten industriellen Revolution (in England vor 1800, in Zentraleuropa kaum vordem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts) wird dieses Phänomen gesehen. Besonders deutlich wird die Bemühung um eine Erweiterung der beruflich wichtigen Kenntnisse des politischen sowie ökonomischen Wissens mit dem ersten Einsatz einer Demokratisierung der Gesellschaft. Es käme sehr häufig darauf hinaus, die entweder noch ganz fehlende oder sehr mangelhafte Schulerziehung zu ersetzen oder zu ergänzen (PESTALOZZI, V O N R O C H O W usw.). Dies erhöhte sich zur Forderung einer „dauernden Erziehung" des Menschen im Hinblick auf die immer wieder feststellbaren Mängel oder das Versagen der zeitgemäß kümmerlichen schulischen Bemühungen;

116

schließlich erweitert sich der Gedanke bis zu einer education permanent um die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts. Obwohl Versuche zur Erziehung Erwachsener schon frühzeitig gemacht werden, und die Erziehungswissenschaft dies bereits um oder vor 1920 in Deutschland und England aufnimmt, bemächtigt sich die Theorie des Phänomens in der Breite und Tiefe dieser Sache erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Man beginnt zu erkennen, daß die permanente, also dauernde Erziehung des Zöglings eine Allgemeinerscheinung ist und die Verhältnisse der Kindheit- und Jugendstufe der Erziehung notwendigerweise verlängert oder fortsetzt, daß sie immer und überall statthat und eigentlich nur unter sehr entwickelter Intelligenz und bei sehr tiefgehender Früherziehung überflüssig erscheint bzw. sich in sogenannter „Selbsterziehung" fortsetzt. Das Manko einer herkömmlichen altbäuerlichen oder industriellen Schulerziehung (das ja meist gekoppelt ist mit schlechter, sozusagen primitiver „Lehrerbildung" und gleichzeitig verbunden mit einer mangelhaften Einsicht der ständisch herrschenden Schichten und Regierenden) und das Nachlassen früherzieherischer Bemühungen im Alter breiter Gesellschaftsbereiche wird aufgefangen durch bis ins höhere Alter fortlaufende erzieherische Unternehmungen. Es ist bemerkenswert, daß selbst heute noch manche Kreise sich gegen eine solche erzieherische Bevormundung des Alters zur Wehr setzen und demgemäß Regierungen und Parlamente noch nicht zur Einsicht kommen, daß man die Erwachsenen- oder Alterserziehung genau so zwangsmäßig organisieren muß wie die Kindheitsoder Jugenderziehung, und daß demgemäß auch ihre volle finanzielle Ausstattung aus mehr als einem Grund eine Notwendigkeit der Gesellschaft darstellt. Wenn L A N G E V E L D sagt, das Erwachsensein - und damit das „Ende" der Erziehung - werde erreicht, wenn der Mensch imstande sei, selbst die unbedingt erforderliche Autorität über sich selbst und das, was ihm anvertraut ist, auszuüben und außerdem andere und höhere Autoritäten an ihrem Platz anzuerkennen, so hat sich dies alles als ein Irrtum herausgestellt. Und auch die Behauptung, der Zögling sei erst ein erzogener Mensch (und damit ein Erwachsener), sofern und wie er selbst verantwortlich und anderen verantwortlich gegenüber handelt, ist längst überholt. Die Gleichung Erwachsenheit = Erzogenheit kann nicht einmal mehr für die Zeit KANTS, wo sie noch vom Philosophen selbst als Dogma verfochten wurde, als gültig anerkannt werden. Man könnte diesen Gedanken noch erweitern und vermeinen, der Mensch überhaupt als Volloder erwachsenes Wesen sei ein solches, „das sich zu sich selbst verhält", die vollerreichte „Reflexivität" also kennzeichne erst die Erzogenheit schlechtweg, aber das erscheint uns als eine philosophische Ubertreibung, die durch die phänomenalen Tatsachen des Erziehens der großen und überwiegenden Masse der Menschen nicht bestätigt werden kann . . . Als Ergebnis unserer Uberschau darf man festhalten: der Begriff (ebenso wie der der Volljährigkeit)

ist nicht

der

Mündigkeit

klargestellt; von hier aus ist auch keine

deutliche Vorstellung darüber zu gewinnen, was, wann und wie

„Erzogenheit"

gewonnen wird oder angestrebt werden kann. W e r zeitliche oder sonstige Grenzen sucht, muß beim Stand der Forschung enttäuscht sein. So sehr wir zur Einsicht neigen, daß die Erziehungsprozesse beim Menschen ein anthropologisches Grundmerkmal darstellen, und daß er ohne erzieherische Bemühung seine biontische Gestalt überhaupt nicht erreichen kann - so wenig lassen sich Aussagen darüber machen, wann im personalen Leben diese Bemühungen als genügend

und ausreichend

betrachtet werden können.

117

3. BILDUNGSPOLITISCHE ASPEKTE

In diesem Kapitel soll durch Erziehungspläne, Ausschnitten aus Parteiprogrammen und aus Gesetzestexten das bildungspolitische Umfeld von Erwachsenenbildung resp. Volksbildung deutlich gemacht werden. Auch hierbei soll eine historische Dimension eingehalten werden, wenngleich diese Absicht dadurch begrenzt wird, daß etwa gesetzliche Regelungen zur Erwachsenenbildung erst seit dem Art. 148 der Weimarer Reichsverfassung vorliegen, daß sich Parteiprogramme im 19. Jahrhundert nur beiläufig auf Volksbildung beziehen und daß Erziehungspläne, wie etwa die Nationalerziehungspläne des vormärzlichen Liberalismus vorrangig auf die Jugendbildung und die Intensivierung einer politisch fermentierten Elementarbildung abheben. In den letzten Jahren, zumal in der Zeit der endenden 60er Jahre und beginnenden 70er Jahre, hat in der Erwachsenenpädagogik ein lebhaftes Interesse an bildungspolitischen Fragestellungen vorgeherrscht, was sich in einer Reihe von Sammelbänden und Dokumentationen niederschlug. Kam hinzu, daß mit dem Strukturplan der Bildungskommission des Bildungsrates, mit dem Erwachsenenbildungsgesetz von Niedersachsen (1969/70) und den ersten Berichten der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung die Erwachsenenbildung/Weiterbildung in das Zentrum bildungspolitischer Diskussionen und Reformentwürfe rangiert wurde und solchermaßen zu einem öffentlichen Gesprächsgegenstand avancierte. Wenn auch zufolge einer bildungspolitischen Kurskorrektur hin zu einer stärkeren Akzentuierung der beruflichen Bildung das öffentliche Interesse an der Erwachsenenbildung rückläufig zu sein scheint, so bleibt doch die Hoffnung, daß, ausgehend von der Reformphase am Beginn unseres Jahrzehnts, landespolitische und damit landesgesezliche Entwicklungen einsetzen, die die Erwachsenenbildung/Weiterbildung stärker in das System des öffentlichen Bildungswesens integrieren. Wollte man die gesetzliche und verfassungsrechtliche Entwicklung in Chiffren zusammenfassen, so ließe sich sagen, daß von einer weithin rechtsunverbindlichen Förderungsbereitschaft durch bildungspolitische Instanzen die Entwicklung hin zu einem rechtsverbindlichen Verpflichtungscharakter von Bund, Ländern und Gemeinden abgelaufen ist; ein Prozeß, der selbst bei mäßigerer Gangan der bildungspolitischen Reform irreversibel ist. Während die Reform des öffentlichen Schul- und Bildungswesens eigentlich, nach kleineren und vor allem inhaltlichen Reformen, deutlich mit dem Ende der 50er Jahre einsetzt - ein Indiz mag u. a. die Saarbrücker Rahmenvereinbarung sein (1960) - , ist die Erwachsenenbildung mit einer Phasenverzögerung von etwa 10 Jahren erst zum Gegenstand einer Reform geworden, an der die staatliche Bildungspolitik Anteil nahm. Das mag einmal mit der Tradition der Erwachsenenbildung zusammenhängen, die sich vielfach und ganz bewußt von Staat und öffentlichem Bildungswesen distanzierte und ihre Intensität aus dem „freien Spiel" pluralistischer Kräfte bezog. Das mag aber auch damit zusammenhängen, daß zunächst innerhalb der Teilkräfte der Erwachsenenbildung ein Verständnis über Struktur, Aufgaben, Adressaten usw. hergestellt werden mußte, wobei das Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen (1960) gewiß anregend gewirkt hat. Versuche einer neuen Zielbestimmung hat in der nachfolgenden Zeit insbesondere der Deutsche Volkshochschulverband mit der Konzeption einer „Volkshochschule neuen Typs" (1963, 1966) angestellt. Am Ende dieser hier nur schematisch zu zeichnenden Entwicklung steht dann der Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (1973), der die Erwachsenenbildung nun eindeutig, unter dem Begriff der „Weiterbildung", als Teil des öffentlichen Bildungssystems unter Beibehaltung ihres pluralistischen Charakters anerkannte. Diese Entwicklung war erst ermöglicht worden durch die im Jahre 1969 vollzogenen Grundgesetzergänzung in Art. 91 (jetzt 91 a u. b), durch die dem Bund die konkurrierende Mitwirkung an der Bildungsplanung eingeräumt wurde. Der seither, zumal in der „Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung" praktizierte „kooperative Kulturföderalismus" hat sich auch für die Weiterbildung als vorteilhaft und vereinheitlichend ausgewirkt. Die auf den Bildungsgesamtplan folgenden landesgesetzlichen Regelungen, können - auch ohne daß der Bildungsgesamtplan als rechtsverbindlich anzusehen wäre - hinter die dort aufgestellten Maßgaben kaum mehr zurück. Zwar werden Rücknahmen im Einzelfall nicht vermeidbar sein, aber

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die prinzipiellen Aussagen sind inzwischen in einen weithin unbestrittenen Konsens eingegangen. Als ein Beispiel solch landesgesetzlichen Vollzugs mag das 1. Weiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen angesehen werden. Auch hinsichtlich der Aussagen der politischen Parteien lassen sich eigentlich erst in den 20er Jahren konzisere Äußerungen wiedergeben. Natürlich ist in allen Parteien - etwa in der Wilhelminischen Ära, aber auch in der Gründungsphase politischer Parteien zwischen 1850 und 1867 - über Volksbildung und berufliche Fortbildung geschrieben und geredet worden - ζ. B. im Nachlaß von Schulze-Delitzsch, auch in dem von Fr. A. Lange, bei Bebel und Clara Zetkin ließen sich Belege in reicher Zahl finden; sie artikulieren aber meist einen persönlichen Standort und haben sich in der offiziellen Parteipublizistik nur mühsam durchsetzen können. Da wir aber ein einigermaßen gültiges Auswahlkriterium benötigen, wollen wir uns auf die Passagen in den Parteiprogrammen beschränken, die zur Erziehungs- und Bildungspolitik Stellung nehmen. Während in der Frühphase weltanschauliche Profilierungen, wir denken an den im Umkreis der preußischen Reform entstehenden Liberalismus (Humboldt, frankophile Richtung, Dahlmann, anglophile Richtung), Erziehung und Bildung unter erziehungsphilosophischer Fragestellung betrachtet wurden (Freiheit und Gleichheit im Erziehungsvollzug), gewinnt schon im vorrevolutionären Liberalismus der Staatslexika (Rotteck-Welcker) das strukturelle Interesse an Gewicht. In dieser Zeit wird intensiv der Frage nach Vorteilen und Nachteilen öffentlicher und privater Erziehung und den Grenzen des Staates bei einer öffentlichen Erziehung nachgegangen. Heute zeigt sich, daß die weltanschaulichen Fundierungen und „Traditionsreste" (H. Arendt) allenfalls noch subkutan auszumachen sind, daß ein wohltuender Pragmatismus in die bildungspolitische Diskussion eingezogen ist, daß sich die Positionen - sieht man von tagespolitischen, oft überpointierten Abgrenzungsversuchen ab - nur noch graduell unterscheiden und daß alle demokratischen Parteien der Bildungspolitik einen breiten Raum zumessen; diese Einstellung spiegelt sich auch in der dichter werdenden parteioffiziellen Literatur wider. Schließlich noch ein Hinweis auf den dritten in diesem Zusammenhang vorzutragenden Aspekt, der in Plänen den Wechsel des bildungspolitischen Bewußtseins beleuchten möchte. Hier wird einmal die Nationalerziehung in den Blick gebracht, wenn sie auch - wie vorab gesagt - nur sektoral die Volksbildung einbezieht und sich vor allem auf die Elementarbildung orientiert. Natürlich sollte dabei auch eine andere Seite mit gesehen werden. Durch die Städte-Ordnung (1808) war in den Städten den Bürgern die Möglichkeit eröffnet, an den kommunalen Angelegenheiten teilzuhaben; dazu war es erforderlich, die Menschen aus der Untertanen-Mentalität in die Bürgermentalität überzuleiten. Ein Prozeß „politischer Bildung" sollte diese Uberleitung begleiten. Politische Rechtsräume sollten mit Sachverstand ausgefüllt werden. Versteht sich, daß sich diese Form der Nationalerziehung in den Bahnen des vorgegebenen Staates und auf ihn hin vollzog. Natürlich ließen sich aus dem 19. Jahrhundert zahlreiche andere Pläne und Resolutionen vorstellen, so die Denkschrift der katholischen Bischöfe von 1848, die Leitsätze zum Thema „Volkserziehung und Sozialdemokratie" (1906) und die Stellungnahmen und Beschlüsse des Deutschen Lehrervereins in der Zeit von 1876 bis 1914. Wichtig erscheint uns der Hinweis auf die Reichschulkonferenz von 1920, deren ideeller und intellektueller Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Schwieriger würde es für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg sein, ein einzelnes und solchermaßen zentral wirksames Ereignis herauszugreifen: das Gutachten des Deutschen Ausschusses (1960), der Strukturplan (1970) und der Bildungsgesamtplan (1973). Bei dieser Zusammenstellung waren wir vor allem mit dem Problem konfrontiert, die in bereits vorliegenden Sammelbänden (Knoll/Siehert; Keim/Olhrich, Siebert usw.) versammelten Dokumente nicht einfach zu wiederholen. Auch konnte nicht das Prinzip abseitiger Originalität maßgeblich sein.

122

Α.

Erwachsenenbildung in Gesetzen, Verfassungen etc.

Daß die am 11. August 1919 verabschiedete Weimarer Reichsverfassung so dezidiert versuchte, die Entwicklung des Schul- und Bildungswesens verfassungsmäßig zu kodifizieren, mag auf dem Hintergrund der Zeitumstände verstanden werden. Den Verfassungsvätern eignete ein Perfektionismus an, der dem Gedanken zu folgen schien, daß die Stabilität eines Staates von einer intensiv ausgelegten Verfassung garantiert wird. Anders ist es nicht zu verstehen, daß in den berühmten Schulartikeln sogar inhaltliche Fragen des Unterrichts (Staatsbürgerkunde und Arbeitsunterricht) angesprochen werden, Vorschriften also, die man gemeinhin durch eigene Abkommen, Gesetze oder Erlasse regelt. Die Erwachsenenbildung kann sich in der Weimarer Republik im wesentlichen auf zwei Artikel, nämlich 142 und 148, berufen. Artikel 142: Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Artikel 148: In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums zu erstreben. Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden. Staatsbürgerkunde und Arbeitsunterricht sind Lehrfächer der Schulen. Jeder Schüler erhält bei Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung. Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden. Die Schul-Artikel der Weimarer Reichsverfasssung (142-148) hat W. Lande (Die Schule in der Reichsverfassung, Berlin 1929) auf dem Hintergrund der kontroversen Verfassungsberatungen wie folgt kommentiert (S. 94 ff.). 7. Volksbildungswesen. (Art. 148 I V ). Die Frage, was neben dem Schulwesen für die Bildung des Volkes zu tun ist, war bisher nirgend Gegenstand gesetzlicher, zumal verfassungsmäßiger Regelung. Erst die besonderen Bedingungen, unter denen die Weimarer Verfassung entstand, gaben Anlaß hierzu. Schon der Reg.Entw. (Art. 31 Abs. 3) sprach von der Bildung nicht nur der Jugend, sondern „des ganzen V o l k e s " , und ihm folgend berühren fast alle Formulierungen der Schulbestimmungen, die im V e r f A . in erster Lesung auftreten, den Gegenstand. So zuerst der Naumannsche Entwurf der Grundrechte 2 7 6 : „Volksuniversitäten sollen gefördert w e r d e n " ; konkreter der Antrag D r . Q u a r c k - D r . Sinzheimer 2 7 7 ): „ D a s Reich und die Länder haben Mittel für die Zwecke der allgemeinen Volksbildung bereitzustellen" und ähnlich die Anträge Katzenstein 2 7 8 ) und D r . C o h n 2 7 9 ) : „Reich und Länder haben Mittel zur Verbreitung allgemeiner Volksbildung bereitzustellen" (zur Verfügung zu stellen). W ä h r e n d diese Anträge in erster Lesung nicht durchdringen 2 8 0 ), wird in zweiter Lesung im VerfA. ein Antrag D r . Beyerle 2 8 1 ):

123

„Volkshochschulen sollen gefördert werden" angenommen 2 8 2 ). An Stelle dieses Satzes bringt bereits das erste Schulkompromiß 2 ' 3 ) die jetzt geltende Fassung des Abs. 4, die in zweiter 284 ) und dritter 285 ) Lesung im Plenum inhaltlich unangefochten bleibt. Der Satz, der ursprünglich dem jetzigen Art. 142, der Wissenschaft und Kunst behandelt, angefügt werden sollte 286 ), wurde, entsprechend schon dem erwähnten Antrag Beyerle, Bestandteil des jetzigen Art. 148; ein Versuch in zweiter Lesung, ihn stattdessen dem die Privatschulen behandelnden Artikel anzufügen, hatte keinen Erfolg 287 ). Die Förderung des Volksbildungswesens durch die öffentlichen Körperschaften, die der so zustande gekommene Art. 148 Abs. 4 RV. verlangt, ist eine der neuen sozial-pädagogischen Forderungen 288 ). „ V o l k s b i l d u n g s w e s e n " im Sinne des Art. 148 Abs. 4 ist ein Inbegriff von Institutionen, der in begrifflich sich ausschließendem Gegensatz zum „Schulwesen" steht 289 ). Der Gegensatz besteht nicht grundsätzlich in der Altersstufe der zu Bildenden 290 ), obwohl der Wortlaut des Art. 143 Abs. I („Bildung der Jugend") das nahe legt und praktisch in der Regel Volksbildung und Erwachsenenbildung zusammenfallen wird. Vielmehr ist entscheidend das Bildungsziel: Einrichtungen, die der Erwachsenenbildung dienen, sind „Schulen" und nicht „Volksbildung", wenn sie Schulbildung im engeren Sinne und Schulberechtigungen erstreben und sich demgemäß in äußerer und innerer Organisation den Schulen irgendwelcher Art anpassen 291 ); nur wenn sie das nicht tun, und, ohne ihr Gesetz von den Schulen herzunehmen, Bildungsarbeit betreiben, können sie rechtlich als Bestandteil des Volksbildungswesens in dem besonderen, engen Sinne des Art. 148 Abs. 4 gelten. Die als Einrichtungen des Volksbildungswesens dort beispielsweise besonders genannten „ V o l k s h o c h s c h u l e n " sind Einrichtungen, die Volksbildung vorwiegend in Form hochschulähnlicher Vorlesungen geben. F ö r d e r u n g des Volksbildungswesens durch Reich, Länder und Gemeinden verlangt die Verfassung. Zur Förderung gehören positive Maßnahmen aller Art, vor allem die geldliche Unterstützung aus öffentlichen Mitteln, aber auch Bereitstellung von Dienstgebäuden, Beurlaubung von Beamten, Gewährung steuerlicher Erleichterungen usw. Die wirksamste Form der „Förderung" ist die E i n r i c h t u n g u n d U n t e r h a l t u n g ; die Auffassung, daß das Gebot der Förderung die Führung des Unternehmens durch Dritte, Private, voraussetze 292 ), engt das Wort ein und ist mit Sinn und Entstehungsgeschichte 293 ) der Vorschrift nicht vereinbar. Wenn auch nicht, wie im Schulwesen, die Öffentlichkeit des Volksbildungswesens verfassungsmäßiges Gebot ist und private Veranstaltungen auf diesem Gebiete nicht, wie die Privatschulen, in die zweite Linie gestellt werden, so sind doch öffentliche Einrichtungen dieser Art nicht nur nicht verboten, sondern sie entsprechen gewiß am besten dem Gebot der Förderung und der Anschauung, aus der dieses Gebot entsprungen ist. ) ) ) 2 ") m) 2 ") m) 2,J ) 2M) ») 2M) 2 ")

Antr. Nr. 82, Art. 32 Abs. 9, VerfA. S. 172. Antr. Nr. 89, Art. 32 Abs. 2 Ziff. 4, VerfA. S. 173. Antr. Nr. 99, Verf. 213. Antr. Nr. 117, VerfA. S. 223. Verf.A. S. 230. VerfA. S. 531. Als Art. 145 Abs. 4 (VerfA. S. 13). Antr. L ö b e - G r ö b e r , Drucks. Nr. 566 Ziff. 3c, Bd. 337 S. 335. Vgl. die Ausführungen des Abg. Schulz Sten.Ber., Bd. 328 S. 1682 A, B. Vgl. Sten.Ber. Bd. 329 S. 2176 A. Vgl. Antr. Katzenstein Nr. 99 (VerfA. S. 213). Vgl. Antr. Dr. HeinzeundGen.Nr. 422 Ziff. 17zur2.Plenarlesung. Dazu Abg. Schu lz Sten.Ber., Bd. 328 S. 1682 A. Ablehnung ebd. S. 1716 B, C. 28s) Über das Volksbildungswesen unterrichtet v. Erdberg, Art. Volksbildungswesen, im Handw. d. Staatsw. Bd. VIIIS. 725 ff. und die dort angegebene Literatur; WeinreicH, Art. Volksbildung, im Handw. d. Kom. Wiss. Bd. 4 S. 382 ff.; G r o s s e , Art. Volkshochschulkurse, inBitters Handw. d.Pr.Verw. Bd. 2S. 977; v. Erdberg, in Handb. d. Päd. Bd. 4 S. 370 ff;Kaestner, Volkshochschule und Schulreform, in Die deutsche Schulreform, m

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Leipzig 1919 S. 64 ff.; W e g e n e r , Volkshochschule und freies Volksbildungswesen, in Die Reichsschulkonferenz in ihren Ergebnissen S. 87 ff. Daraus ergibt sich, daß Art. 148 Abs. 4 RV. über das in Art. 10 Ziff. 2 RV. zur Reichssache erklärte „Schulwesen" hinausgeht (vgl. P o e t z s c h S. 475 Anm. 5 zu Art. 148). So G i e s e S. 384 Anm. 6 zu Art. 148. - Zu eng m.E. auch A n s c h ü t z S. 388 Anm. 3 zu Art. 148. So ζ. B. die „Abendgymnasien", die nach Ziel, Organisation, Lehrplan usw. „Schulen" im Rechtssinne sind. Vgl. S i l b e r m a n n , Das Abendgymnasium, Leipzig 1928. So anscheinend M a u s b a c h , Kulturfragen S. 99. Der Antrag, den Abs. 4 dem (jetzigen) Art. 147 anzufügen, ist ausdrücklich abgelehnt worden (vgl. oben S. 95). Und zwar nach einer Polemik des Abg. S c h u l z gegen den Antrag (Sten.Ber., Bd. 328 S. 1682 A, B), in der betont wird, das in der Verfassung erwähnte Volksbildungswesen solle ja gerade das ö f f e n t l i c h e Volksbildungswesen sein, es seien gerade gemeinnützige Veranstaltungen wünschenswert, daneben bleibe das „private freie Volksbildungswesen" durch die Verfassung „in jeder Weise unberührt".

Wenn auch aus dem Art. 148 keine rechtsverbindliche Verpflichtung von Reich, Ländern und Gemeinden hergeleitet werden kann, so muß doch gesehen werden, daß die Erwachsenenbildung etwa in der institutionellen Bildungshierarchie ihre Berücksichtigung fand. So wurde im Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Preußen ein Referat für die Volkshochschulen geschaffen und andere Länder sind ähnlich verfahren. Unter die gesetzlichen Maßnahmen ist noch ein Einzelfall einzureihen. Am 31.3.1919 wurde die Volkshochschule in Hamburg als eine staatliche Institution geschaffen und der Universität an die Seite gestellt. Die Volkshochschule wird durch das Hamburgische Hochschulgesetz (6.2.1921) rechtlich abgesichert. Nach 1945 und damit rückkehrend zum föderalistischen Prinzip deutscher Bildungsund Kulturpolitik ist die Förderungsbereitschaft des Staates gegenüber der Erwachsenenbildung in die Verfassungen der Bundesländer eingegangen. Aus dem Katalog der Grundrechte im Grundgesetz läßt sich zunächst nur bedingt eine Förderung der Erwachsenenbildung herleiten, erst 1969 durch die Grundgesetz-Ergänzung in Artikel 91 (a, b) ist im Bereich der Bildungsplanung der Bund an dem konzeptionellen, ζ. T. auch am finanziellen Fortkommen der Erwachsenenbildung beteiligt. D a s erste Gesetz, das sich direkt auf die Förderung der Erwachsenenbildung bezieht, wurde 1953 in Nordrhein-Westfalen verabschiedet (Gesetz über die Zuschußgewährung an Volkshochschulen und entsprechende Volksbildungseinrichtungen vom 10.3.1959); strukturelle oder inhaltliche Neuorientierungen hatte das Gesetz nicht im Blick. 1969/70 setzt dann in den einzelnen Bundesländern ein angestrengter Gesetzgebungsprozeß ein, in dem versucht wird, über die Möglichkeiten finanzieller Hilfestellungen hinauszugreifen und das pluralistische System der Erwachsenenbildung zu einem Mehr an Kooperation und Koordination anzuleiten. Für diese Phase ist zunächst Niedersachsen beispielgebend gewesen. Es sei darauf aufmerksam gemacht, daß in der D D R die gesetzliche Basis für die Erwachsenenbildung schon durch die Verfassung von 1949 (Art. 35-38) gelegt wurde. Die revidierte Verfassung von 1968 (Präambel und Art. 25) bekräftigen die Förderungsverpflichtung. Von den Ländergesetzen zur Förderung der Erwachsenenbildung nennen wir: Bayern-Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung vom 26.6.1974. 125

Bremen-Gesetz

über Weiterbildung im L a n d e B r e m e n v o m 26.3.1974.

Hessen-Gesetz

über Volkshochschulen v o m 12.5.1970.

Niedersachsen-Gesetz Nordrhein-

z u r F ö r d e r u n g der Erwachsenenbildung v o m 13.1.1970.

West/a/en-Erstes G e s e t z zur O r d n u n g und F ö r d e r u n g der Weiterbildung im

L a n d e Nordrhein-Westfalen (1. Weiterbildungsgesetz) v o m 31. Juli 1974. Saarland-Gesetz

N r . 910 zur F ö r d e r u n g der Erwachsenenbildung im Saarland v o m 8.

April 1970. D i e Liste könnte noch ergänzt werden. N a c h f o l g e n d werden (mit K ü r z u n g e n ) zwei Gesetzestexte mitgeteilt, w o b e i das erste noch vor d e m Bildungsgesamtplan, das zweite nach d e m Erscheinen dieses Planes entwickelt wurde.

Gesetz

zur Förderung

im Saarland

Abschnitt I §1

der

Erwachsenenbildung

vom 8. April 1970 (GVB1, S. 338)

Allgemeine Vorschriften

Aufgabe der

Erwachsenenbildung

(1) Die Erwachsenenbildung im Sinne dieses Gesetzes ist Teil des allgemeinen Bildungswesens. Sie wird in ihrem Inhalt durch die Bildungsbedürfnisse der Erwachsenen und der Gesellschaft bestimmt. (2) Die Erwachsenenbildung leistet von ihrem Bildungsansatz her Dienst an der Allgemeinheit. Sie fördert das selbständige und verantwortliche Urteilen und regt zur geistigen Auseinandersetzung an. Sie steht allen Staatsbürgern ohne Rücksicht auf Vorbildung, gesellschaftliche oder berufliche Stellung, politische und weltanschauliche Zugehörigkeit offen. Dem Einzelnen ist sie bei der Bewältigung persönlicher und beruflicher Probleme behilflich. §2 Förderungsgrundsatz (1) Das Land fördert die Erwachsenenbildung nach Maßgabe dieses Gesetzes. (2) Landkreise, Städte und Gemeinden (Gemeindeverbände) sollen die Träger der Erwachsenenbildung ihres Bereiches finanziell zusätzlich zu den Zuwendungen des Landes unterstützen. § 3 Voraussetzungen für die Förderung von Einrichtungen (1) Einrichtungen können vom Land nur gefördert werden, wenn sie 1. ausschließlich der Erwachsenenbildung dienen, 2. von juristischen Personen getragen werden (Träger), 3. ihren Sitz und Arbeitsbereich im Saarland haben, 4. jedermann offenstehen und die Teilnahme freistellen, 5. Leistungen nachweisen, die nach Inhalt und Umfang eine Förderung rechtfertigen, 6. zur Offenlegung der Finanzen und ihrer Leistungen hinsichtlich Teilnehmerzahl, Thematik und Zielsetzung bereit sind, 7. nach § 5 als förderungsberechtigt anerkannt worden sind oder nach § 11 als förderungswürdig gelten. (2) Soweit Träger von Einrichtungen nicht juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, müssen sie die Anforderungen des Steuerrechts an die Gemeinnützigkeit erfüllen.

126

(3) Abweichend von Absatz 1 Nr. 2 kann Träger einer zu fördernden Einrichtung auch ein nicht rechtsfähiger Verein sein, wenn dieser nach seiner Bedeutung im öffentlichen Leben, seiner Satzung und Wirtschaftskraft Gewähr für die Verwendung der Förderungsmittel im Sinne dieses Gesetzes bietet. (4) Träger, die nicht nur in der Erwachsenenbildung tätig sind, müssen die Einrichtungen der Erwachsenenbildung als unselbständige Anstalten oder Sondervermögen mit besonderer Rechnung führen und ihnen eine Satzung geben. Die Satzung muß einen Beirat vorsehen, der bei der Aufstellung des Arbeitsplanes der Einrichtung mitwirkt und dem Träger Leiter und Mitarbeiter zur Anstellung vorschlägt. Dem Beirat müssen in überwiegender Zahl Personen angehören, die durch ihre Berufstätigkeit oder durch ihre Mitwirkung im öffentlichen Leben mit den Fragen der Erwachsenenbildung vertraut und vom Träger wirtschaftlich unabhängig sind. (5) Ausgeschlossen von der Förderung nach diesem Gesetz sind Bildungseinrichtungen, die 1. überwiegend Sonderinteressen dienen oder sich überwiegend Spezialgebieten widmen, 2. überwiegend der unmittelbaren beruflichen Ausbildung und Fortbildung dienen, 3. der Gewinnerzielung dienen oder sonst gewerblich oder in Anlehnung an ein gewerbliches Unternehmen betrieben werden. § 4 Unabhängigkeit der Erwachsenenbildung Die staatliche Förderung der Erwachsenenbildung läßt das Recht der Einrichtung auf selbständige Lehrplangestaltung unberührt. Die Freiheit der Lehre und die unabhängige Auswahl der Leiter und Mitarbeiter werden gewährleistet.

Abschnitt II §5

Staatliche Anerkennung

Voraussetzungen

und Form

der

Anerkennung

(1) Eine Einrichtung ist auf schriftlichen Antrag ihres Trägers und nach Stellungnahme ihrer Landesorganisation vom Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung als förderungsberechtigt anzuerkennen, wenn sie 1. nach § 3 Abs. 1 Nr. 1-6 gefördert werden kann, 2. wenigstens zwei Jahre besteht und in dieser Zeit ihre Leistungsfähigkeit nachgewiesen hat, 3. langfristig und pädagogisch planmäßig arbeitet, 4. nach Art und Umfang ihrer Tätigkeit die Gewähr der Dauer bietet, 5. von einer nach Vorbildung und Werdegang geeigneten, in der Erwachsenenbildung hauptberuflich tätigen Person geleitet oder beraten wird. (2) Der Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung regelt nach Anhörung des Landesausschusses (§ 16) durch Rechtsverordnung das Verfahren der Anerkennung. Die Anerkennung bedarf der Schriftform; sie kann mit Rückwirkung ausgesprochen werden, frühestens jedoch für den Beginn des Jahres der Antragstellung, wenn die Bedingungen des Absatzes 1 schon zu dem früheren Zeitpunkt erfüllt waren. (3) Die anerkannten Einrichtungen dürfen neben ihrer Bezeichnung einen Zusatz führen, der auf die staatliche Anerkennung hinweist. § 6 Widerruf der Anerkennung (1) Die Anerkennung ist zurückzunehmen oder zu widerrufen, wenn sie nach den Regeln des allgemeinen Verwaltungsrechts zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Die Entscheidung bedarf der Schriftform. (2) Das Land kann von der Rückforderung der Zuwendungen absehen, die eine Einrichtung auf Grund einer zurückgenommenen oder widerrufenen Anerkennung erhalten hat. 127

Abschnitt III

Art und Umfang der Förderung

1. Förderung staatlich anerkannter Einrichtungen §7

Anspruch

auf

Förderung

Anspruch auf Förderung nach Maßgabe der §§ 8 und 9 haben nur die Träger der gemäß § 5 anerkannten Einrichtungen. § 8 Förderung der Bildungsarbeit (1) Für die Bildungsarbeit gewährt das Land auf Antrag Zuwendungen in Höhe von mindestens 40 vom Hundert der den Einrichtungen entstandenen und vom Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung anerkannten Aufwendungen, einschließlich der Aufwendungen für nebenberuflich tätige Leiter, Lehr- und Verwaltungskräfte, soweit diese Aufwendungen weder unter § 9 noch unter § 10 fallen. (2) Heimvolkshochschulen und ähnliche Einrichtungen erhalten abweichend von Absatz 1 auf Antrag Zuwendungen, deren Höhe abhängig ist von der Zahl der Kursusteilnehmer und von der Zahl und Dauer der Veranstaltungen. (3) Die geltend gemachten Aufwendungen können nur in der Höhe anerkannt werden, die sich aus der Bewertung der Bildungsarbeit nach Inhalt, Form, Umfang und gesellschaftlicher Bedeutung ergibt. (4) Die Bewertungskriterien werden auf Vorschlag der Landesorganisation vom Landesausschuß erarbeitet und vom Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung im Einvernehmen mit dem Minister für Finanzen und Forsten durch Rechtsverordnung festgelegt. § 9 Zuwendungen zu den Personalkosten (1) Das Land gewährt auf Antrag Zuwendungen zu den Personalkosten 1. in Höhe von 60 vom Hundert der Kosten der hauptberuflich tätigen Leiter, Lehrkräfte und Berater (pädagogische Mitarbeiter), 2. in Höhe von 40 vom Hundert der Kosten der hauptberuflich beschäftigten Verwaltungskräfte. (2) Berechnungsgrundlage bildet ein Stellenschlüssel, der Inhalt und Umfang der Arbeit der Einrichtungen nach einheitlichen Kriterien berücksichtigt und stufenweise verwirklicht wird. Er wird auf Vorschlag der Landesorganisation vom Landesausschuß erarbeitet und vom Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung im Einvernehmen mit dem Minister für Finanzen und Forsten durch Rechtsverordnung festgelegt. § 10 Freiwillige Zuwendungen Das Land kann Trägern anerkannter Einrichtungen Zuwendungen für 1. die Errichtung und Einrichtung von Bauten und Räumen und 2. die Ausstattung mit Lehr- und Arbeitsmitteln gewähren. Bei Einrichtungen mit örtlichem Wirkungskreis sollen sich bei Zuwendungen für die in Nr. 1 genannten Zwecke auch die Träger und die für den Ort der Einrichtung zuständigen Gebietskörperschaften in angemessener Höhe an der Aufbringung der Kosten beteiligen. 2. Förderung nichtanerkannter Einrichtungen § 11

Gegenstand

der

Förderung

Das Land kann Trägern nicht oder noch nicht anerkannter Einrichtungen für ihre Bildungsarbeit Zuwendungen gewähren. Gehört die Einrichtung einer Landesorganisation an, so ist der Antrag über diese zu stellen. 128

3. Förderung von Landesorganisationen der Erwachsenenbildung § 12

Anerkennung

und Aufgabe der

Landesorgznisation

(1) Landesorganisationen von Einrichtungen der Erwachsenenbildung bedürfen der Rechtsfähigkeit. Ihr demokratischer Aufbau, ihre Unabhängigkeit und Selbstverwaltung müssen gesichert sein. Die Anerkennung durch den Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung erfolgt nach Stellungnahme des Landesausschusses. (2) Aufgabe der Landesorganisationen ist die Förderung von Landesaufgaben innerhalb der ihnen angeschlossenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung, insbesondere von überörtlichen pädagogischen Maßnahmen, von Entwicklungs- und Schwerpunktaufgaben, von überörtlicher Koordinierung und Zusammenarbeit. § 1 3 Gegenstand der Förderung (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten die Landesorganisationen der Erwachsenenbildung auf Antrag Zuwendungen zu den Personalkosten in voller Höhe für ihre hauptberuflich tätigen pädagogischen Mitarbeiter; Grundlage für die Gewährung der Zuwendungen bildet ein Stellenschlüssel, der Inhalt, Umfang und Bedeutung der pädagogischen Arbeit der Landesorganisation berücksichtigt. Er wird nach Anhörung des Landesausschusses vom Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung im Einvernehmen mit dem Minister für Finanzen und Forsten durch Rechtsverordnung festgesetzt. Darüber hinaus kann das Land den Landesorganisationen Zuwendungen bis zur vollen Höhe der in ihrer Verwaltung entstehenden Personal-, Sach- und allgemeinen Ausgaben gewähren. (2) Für Maßnahmen der Landesorganisationen zur Fortbildung pädagogischer Mitarbeiter stellt das Land in seinem Haushalt Mittel in Höhe von mindestens 5 vom Hundert des jährlichen Haushaltsansatzes zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus § 8 bereit. 4. Prüfung der Verwendung der Zuwendungen § 14

Prüfungsrecht

des

Landesrechnungshofes

Die Verwendung der den Trägern von Einrichtungen und den Landesorganisationen vom Land gewährten Zuwendungen unterliegt der Prüfung durch den Rechnungshof des Saarlandes. Abschnitt IV § 15

Landesausschuß für Erwachsenenbildung

Zusammensetzung

des

Landesausschusses

(1) Der Landesausschuß für Erwachsenenbildung besteht aus zwölf ordentlichen und zwölf stellvertretenden Mitgliedern, die vom Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung für vier Jahre berufen werden. Acht Mitglieder und ihre Stellvertreter werden auf Vorschlag der Landesorganisationen und der auf Landesebene tätigen Einrichtungen der Erwachsenenbildung berufen. Die übrigen Mitglieder werden im Benehmen mit den in Satz 2 genannten Landesorganisationen berufen. (2) Der Landesausschuß wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden. Er gibt sich eine Geschäftsordnung, die der Genehmigung des Ministers für Kultus, Unterricht und Volksbildung bedarf. Seine Sitzungen sind nicht öffentlich. § 16 Aufgaben des Landesausschusses (1) Der Landesausschuß fördert die Entwicklung der Erwachsenenbildung durch Gutachten, Untersuchungen und Empfehlungen. Er berät den Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung in grundsätzlichen Fragen der Erwachsenenbildung und ihrer finanziellen Förderung. Der Landesausschuß übernimmt im Interesse der Gesamtentwicklung der Erwachsenenbildung im Saarland Aufgaben der Koordinierung und der Kooperation.

129

(2) Der Landesausschuß ist zu hören, bevor auf Grund dieses Gesetzes Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften von grundsätzlicher Bedeutung erlassen werden oder über die Anerkennung von Einrichtungen der Erwachsenenbildung entschieden wird.

Abschnitt V § 17

Beurlaubung

Beurlaubung

von

Beamten

Beamte des Landes, der Gemeinden, der Gemeindeverbände und der sonstigen Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts können unter Fortfall der Dienstbezüge zum Dienst bei Einrichtungen oder Landesorganisationen der Erwachsenenbildung als hauptberufliche Mitarbeiter beurlaubt werden. Die Beurlaubungen sollen insgesamt 10 Jahre nicht überschreiten. Die oberste Dienstbehörde kann im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung, dem Minister des Innern und dem Minister für Finanzen und Forsten eine Ausnahme von Satz 2 zulassen. . . .

Erstes Gesetz zur Ordnung und Förderung der Weiterbildung im Lande Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 1974 (GV N W . . S . 769)

I. Abschnitt §1

Recht auf

Grundsätze Weiterbildung

(1) Jeder hat das Recht, die zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und zur freien Wahl des Berufs erforderlichen Kenntnisse und Qualifikationen zu erwerben. (2) Soweit Kenntnisse und Qualifikationen nach Beendigung einer ersten Bildungsphase in Schule, Hochschule oder Berufsausbildung erworben werden sollen, haben Einrichtungen der Weiterbildung die Aufgabe, ein entsprechendes Angebot an Bildungsgängen nach den Vorschriften dieses Gesetzes bereitzustellen. (3) Einrichtungen der Weiterbildung erfüllen ihre Aufgaben im Zusammenwirken mit anderen Bildungseinrichtungen. § 2 Gesamtbereich der Weiterbildung (1) Der Gesamtbereich der Weiterbildung ist gleichberechtigter Teil des Bildungswesens. (2) Einrichtungen der Weiterbildung im Sinne dieses Gesetzes sind Bildungsstätten in staatlicher oder in kommunaler Trägerschaft und anerkannte Bildungsstätten in anderer Trägerschaft, in denen Lehrveranstaltungen zur Fortsetzung und Wiederaufnahme organisierten Lernens unabhängig vom Wechsel des pädagogischen Personals und der Teilnehmer geplant und durchgeführt werden. Diese Einrichtungen decken einen Bedarf an Bildung neben Schule oder Hauptschule sowie der Berufsausbildung und der außerschulischen Jugendbildung. Als Bedarf im Sinne dieses Gesetzes gelten sowohl die Vertiefung und Ergänzung vorhandener Qualifikationen als auch der Erwerb von neuen Kenntnissen, Fertigkeiten und Verhaltensweisen. (3) Zu den Einrichtungen der Weiterbildung im Sinne dieses Gesetzes gehören nicht Bildungsstätten, die überwiegend der Weiterbildung der Mitglieder des Trägers im Bereich der freizeitorientierten und die Kreativität fördernden Bildung oder überwiegend der Weiterbildung der Bediensteten des Trägers dienen.

130

(4) Die von Einrichtungen der Weiterbildung angebotenen Lehrveranstaltungen sind für jedermann zugänglich. Bei abschlußbezogenen Lehrveranstaltungen kann die Teilnahme von bestimmten Vorkenntnissen abhängig gemacht werden. § 3 Aufgaben der Weiterbildung (1) Das von den Einrichtungen der Weiterbildung zu erstellende Angebot an Lehrveranstaltungen kann folgende gleichwertige, aufeinanderbezogene Sachvereiche umfassen: 1. Bereich der nichtberuflichen, abschlußbezogenen Bildung, 2. Bereich der beruflichen Bildung, 3. Bereich der wissenschaftlichen Bildung, 4. Bereich der politischen Bildung, 5. Bereich der freizeitorientierten und die Kreativität fördernden Bildung, 6. Bereich der Eltern- und Familienbildung, 7. Bereich der personenbezogenen Bildung. (2) Die in Absatz 1 genannten Sachbereiche sind nach dem Grundsatz der Einheit der Bildung zu planen und zu organisieren. § 4 Sicherung der Weiterbildung (1) Die Sicherstellung eines bedarfsdeckenden Angebots an Lehrveranstaltungen zur Weiterbildung soll durch Einrichtungen des Landes, der Kreise, kreisfreien Städte, kreisangehörigen Gemeinden sowie anderer Träger gewährleistet werden. (2) Das Land kann bei Bedarf Einrichtungen der Weiterbildung mit überregionaler Bedeutung errichten und unterhalten. Dies gilt insbesondere für Einrichtungen, denen ein Internat angegliedert ist. (3) Die Einrichtungen der Weiterbildung haben das Recht auf selbständige Lehrplangestaltung. Die Freiheit der Lehre wird gewährleistet; sie entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. (4) Zur Sicherung einer bedarfsgerechten Planung und Durchführung von Lehrveranstaltungen räumt der jeweilige Träger einer Einrichtung der Weiterbildung den Mitarbeitern und Teilnehmern ein Mitwirkungsrecht ein. Art und Umfang dieses Mitwirkungsrechts sind in einer Satzung festzulegen. Hierzu kann der Kultusminister eine Mustersatzung erlassen. §5 Zusammenarbeit Schulen und Hochschulen sowie Einrichtungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung und Schulen des Zweiten Bildungswegs arbeiten mit den Einrichtungen der Weiterbildung zusammen. § 6 Prüfungen (1) Einrichtungen der Weiterbildung haben das Recht, staatliche Prüfungen durchzuführen, wenn die vorbereitenden Lehrgänge den entsprechenden staatlichen Bildungsgängen gleichwertig sind. Dies gilt insbesondere für Prüfungen zum nachträglichen Erwerb von Schulabschlüssen. Die Durchführung dieser Prüfungen und der vorbereitenden Lehrgänge unterliegt der Fachaufsicht des zuständigen Ministers. (2) Der zuständige Minister bestimmt durch Rechtsverordnung, inwieweit typisierte und kombinierbare Einheiten von Lehrveranstaltungen den Erwerb von Zeugnissen und Abschlußzertifikaten in Teilabschnitten ermöglichen.

II. Abschnitt

Aufgaben des Landes

5 7 Förderung der Weiterbildung Das Land ist nach Maßgabe dieses Gesetzes zur Förderung der Weiterbildung verpflichtet. 131

§ 8 Landesinstitut für Weiterbildung (1) Das Land errichtet und unterhält ein Landesinstitut für Weiterbildung. (2) Das Landesinstitut für Weiterbildung hat die Aufgabe, die Arbeit der Einrichtungen der Weiterbildung zu unterstützen. (3) Das Landesinstitut für Weiterbildung nimmt insbesondere folgende Aufgaben wahr: 1. Fachliche Förderung der Erarbeitung von Lehrplänen für die Weiterbildung, 2. fachliche Förderung und wissenschaftliche Begleitung von Modellversuchen in den Bereichen der Weiterbildung, 3. Dokumentation der pädagogischen und organisatorischen Entwicklung in allen Bereichen der Weiterbildung, 4. Fortbildung von Mitarbeitern an Einrichtungen der Weiterbildung, 5. fachliche Förderung der Herstellung von Unterrichtsmedien für die Weiterbildung, 6. fachliche Förderung des Unterrichts im Medienverbund in der Weiterbildung. (4) Zur Wahrnehmung seiner in Absatz 3 genannten Aufgaben arbeitet das Landesinstitut für Weiterbildung insbesondere mit den Einrichtungen der Weiterbildung im Lande Nordrhein-Westfalen, mit dem Landesverband der Volkshochschulen und den anderen Landesorganisationen der Weiterbildung, mit den Schulen des Zweiten Bildungswegs, mit den Hochschulen des Landes, dem Zentrum für objektivierte Lehr- und Lernverfahren in Paderborn, dem Deutschen Institut für Fernstudien, der Zentralstelle für Fernunterricht, dem Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung, der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes und den Rundfunk- und Fernsehanstalten zusammen. (5) Einrichtungen der Weiterbildung entwickeln in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Weiterbildung typisierte und kombinierbare Einheiten von Lehrveranstaltungen, die den Erwerb von Zeugnissen und Abschlußzertifikaten in Teilabschnitten ermöglichen §10 Ausbildung An Hochschulen werden die Voraussetzungen für Forschung, Lehre und Studium auf dem Gebiet der Organisation und Didaktik der Weiterbildung geschaffen.

III. Abschnitt Einrichtungen der Weiterbildung in der Trägerschaft von Gemeinden und Gemeindeverbänden § 1 1 Errichtung und Unterhaltung von Einrichtungen der Weiterbildung (1) Kreisfreie Städte und kreisangehörige Gemeinden ab 40000 Einwohner sind verpflichtet, Einrichtungen der Weiterbildung zu errichten und zu unterhalten. (2) Kreisangehörige Gemeinden ab 40000 Einwohner können diese Aufgabe auf den Kreis übertragen. (3) Für den Bereich der übrigen kreisangehörigen Gemeinden unter 40 000 Einwohnern ist der Kreis verpflichtet, Einrichtungen der Weiterbildung zu errichten und zu unterhalten, sofern und soweit nicht mehrere Gemeinden mit zusammen mindestens 40 000 Einwohnern diese Aufgabe nach den Vorschriften des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit gemeinsam wahrnehmen. (4) Kreisangehörige Gemeinden bis zu 40 000 Einwohnern können durch den Regierungspräsidenten zur Errichtung und Unterhaltung von Einrichtungen der Weiterbildung mit dem Ziel verpflichtet werden, diese Aufgaben gemeinsam mit Gemeinden durchzuführen, die hierzu nach Absatz 1 und 3 verpflichtet sind. (5) Die Einrichtungen der Weiterbildung in der Trägerschaft von Gemeinden und Gemeindeverbänden heißen Volkshochschulen

132

§14 Personalstruktur (1) Zur personellen Grundausstattung von Einrichtungen der Weiterbildung können gehören: 1. pädagogische Mitarbeiter für Planung und Durchführung von Lehrveranstaltungen, 2. Mitarbeiter für den Verwaltungsdienst, 3. sonstige Mitarbeiter. (2) Sie sind Bedienstete des Trägers der jeweiligen Einrichtung. (3) Einrichtungen der Weiterbildung werden von einem hauptamtlichen oder hauptberuflichen pädagogischen Mitarbeiter geleitet. (4) Die Durchführung von Lehrveranstaltungen kann auch entsprechend vorgebildeten pädagogischen Mitarbeitern übertragen werden, die nebenamtlich oder nebenberuflich für die Einrichtung der Weiterbildung tätig sind. § 1 5 Sach- und Raumausstattung (1) Der Träger einer Einrichtung der Weiterbildung ist verpflichtet, die erforderlichen Räume, Einrichtungen und Lehrmittel bereitzustellen und zu unterhalten. (2) Zu diesem Zweck stellen die Träger den von ihnen unterhaltenen Einrichtungen der Weiterbildung entsprechend ausgestattete Unterrichts- und Fachräume sowie die erforderlichen Verwaltungsräume zur Verfügung. (3) Andere Einrichtungen sind gemäß § 12 Abs. 3 mitzubenutzen. §16

Zusammenarbeit

Die Träger treffen eine Regelung über die Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Einrichtungen der Weiterbildung, den kommunalen Familienbildungsstätten und Jugendbildungsstätten sowie den kommunalen Büchereien und Bildstellen und den anderen kommunalen Kultureinrichtungen

IV. Abschnitt § 22

Einrichtungen

Allgemeines

(1) Bildungsstätten anderer Träger wie der Kirchen und freien Vereinigungen werden nach Maßgabe der §§ 23 und 24 als Einrichtungen der Weiterbildung gefördert. (2) Das Angebot an Lehrveranstaltungen dieser Einrichtungen kann die in § 3 Abs. 1 genannten Sachbereiche umfassen. § 23 Anerkennungsvoraussetzungen (1) Voraussetzung für die Förderung der Einrichtungen aus Mitteln des Landes ist die Anerkennung durch den zuständigen Minister. (2) Die Anerkennung einer Bildungsstätte ist auf Antrag auszusprechen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt werden: 1. Sie muß nach Art und Umfang ihrer Tätigkeit die Gewähr der Dauer bieten. 2. Sie muß ein Mindestangebof auf dem Gebiet der Weiterbildung von 600 Unterrichtsstunden jährlich in ihrem Einzugsbereich innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen durchführen. Abweichend von Satz 1 muß eine Einrichtung der Weiterbildung mit Intematsbetrieb (ζ. B. Heimvolkshochschule) 1 500 Teilnehmertage im Jahr durchführen. 3. Sie muß ausschließlich dem Zweck der Weiterbildung dienen. 4. Ihr Angebot an Lehrveranstaltungen darf nicht vorrangig Zwecken einzelner Betriebe dienen. 5. Ihr Angebot an Lehrveranstaltungen darf nicht der Gewinnerzielung dienen. 6. Der Träger muß sich verpflichten, dem zuständigen Minister auf Anfrage Auskunft über die Lehrveranstaltungen zu geben. 133

7. Der Träger muß sich verpflichten, die Kapazitätsplanung im Benehmen mit betroffenen kommunalen Trägern aufzustellen. 8. Der Träger muß zur Kontrolle seines Finanzgebarens in bezug auf die Bildungsstätte durch den zuständigen Minister bereit sein. 9. Der Träger muß die Gewähr für die ordnungsgemäße Verwendung der Förderungsmittel bieten. 10. Die Bildungsstätte muß eine Satzung entsprechend § 17 haben. (3) Die Anerkennung ist zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. § 24 Finanzierung von Einrichtungen der Weiterbildung in inderer Trägerschift (1) Die Träger der anerkannten Einrichtungen der Weiterbildung haben Anspruch auf Bezuschussung durch das Land. (2) Für jeweils 2 400 durchgeführte Unterrichtsstunden im Jahr erstattet das Land dem Träger 60 vom Hundert der Personalkosten für einen hauptberuflich tätigen pädagogischen Mitarbeiter. Bei Einrichtungen der Weiterbildung mit Internatsbetrieb sowie bei Durchführung von Internatsveranstaltungen erfolgt die Erstattung gemäß Satz 1 auf der Grundlage von 1 500 durchgeführten Teilnehmertagen im Jahr. Die Kostenerstattung erfolgt nach einem Durchschnittsbetrag, der jährlich im Haushaltsplan festgesetzt wird. (3) Die Erstattung der Personalkosten gemäß Absatz 2 Satz 1 für einen ersten hauptberuflich tätigen pädagogischen Mitarbeiter erfolgt für die Dauer von höchstens zwei Jahren bereits dann, wenn die Durchführung von 2 400 Unterrichtsstunden im Jahr geplant wird. (4) Das Land gewährt für jede durchgeführte Unterrichtsstunde einen Zuschuß in Höhe von 60 vom Hundert des gemäß § 20 Abs. 4 festgesetzten Durchschnittsbetrages. Bei Einrichtungen mit Internatsbetrieb sowie bei Durchführung von Internatsveranstaltungen gewährt das Land einen Zuschuß zu den Kosten je Teilnehmertag in Höhe von 90 vom Hundert des gemäß Absatz 2 Satz 3 festgesetzten Durchschnittsbetrages, geteilt durch 1 500. (5) § 20 Abs. 2 und 3 findet Anwendung. (6) Lehrveranstaltungen, die nach bundesrechtlichen Regelungen mittelbar oder unmittelbar gefördert werden, dürfen auf die Zahl der durchgeführten Unterrichtsstunden oder Teilnehmertage nicht angerechnet werden. Das gleiche gilt für Lehrveranstaltungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2. Uber Ausnahmen entscheidet der Regierungspräsident. (7) § 13 Abs. 4 findet Anwendung. Der zuständige Minister regelt weiterhin durch Rechtsverordnung, welche Mindestanforderungen an Teilnehmertage, insbesondere hinsichtlich der Dauer, zu stellen sind.

134

Β.

Erwachsenenbildung in Parteiprogrammen

An anderer Stelle (siehe J.H.

Knoll,

Lebenslanges Lernen, H a m b u r g 1974) haben wir

einige grundsätzliche Äußerungen politischer Parteien, bzw. maßgeblicher Politiker vorgeführt

und dabei darauf hingewiesen,

daß die Unterschiede hinsichtlich der

Einschätzung der Erwachsenenbildung heute mehr gradueller Natur sind. In gewisser Uberzeichnung ließe sich verallgemeinernd sagen, daß bei gleicher Betonung der Erwachsenenbildung als vordringlicher und öffentlicher Aufgabe die C D U mehr auf das Prinzip der pluralistischen Erwachsenenbildung, d. h. vor allem auf die Erwachsenenbildung in freier Trägerschaft abhebt, während bei der SPD offenbar größeres Gewicht auf die Förderung kommunaler Einrichtungen gelegt wird. Dieser Sachverhalt ließe sich am Gesetzgebungsverfahren zum Weiterbildungsgesetz in Nordrhein-Westfalen ziemlich eindeutig belegen. Die frühen Parteiprogramme erbringen für unseren Zusammenhang vergleichsweise wenig, wenn man nicht den Blick auf allgemeine Aussagen zu Bildung, Erziehung und Kultur richtet. Eines darf dabei übereinstimmend festgestellt werden, daß Bildung in den Zusammenhang der je vorherrschenden politischen Uberzeugung gebracht wird, daß in der sozialistischen

Perspektive Bildung als Vehikel zur Herstellung

von

Klassensolidarität dient, in konservativ-christlicher Perspektive Stabilisierungselement der Tradition sein soll.

Die Kölner

sozialpolitischen

Beschlüsse,

1894

1. Allen auf mißverstandenem Interesse und teilweise unzweckmäßigen Ausführungsbestimmungen beruhenden Anfechtungen der gesetzlichen Sonntagsruhe gegenüber beharren wir auf deren ernster Handhabung und alsbaldiger, den Zweck des Gesetzes in vollem Umfang verwirklichender Durchführung, besonders auch für die Großindustrie. Wir sprechen die Hoffnung aus, daß die Reichs- und Staatsverwaltungen auf der in dankenswerter Weise betretenen Bahn der Gewährung ausgiebiger Sonntagsruhe für Beamte und Arbeiter fortschreiten werden. Anderseits wird gegen den Mißbrauch der Sonntagsruhe möglichst Vorsorge zu treffen sein durch Einschränkung des diesen Mißbrauch hervorrufenden und befördernden Ubermaßes von öffentlichen Lustbarkeiten sowie durch Gründung von Vereinen und Sonntagsheimen für kaufmännische Lehrlinge, Ladengehilfinnen usw. 2. Eine der Hauptaufgaben des Staates ist es, die Entwicklung berufsgenossenschaftlicher Organisationen in vollem Umfang rechtlich zu gewährleisten und zu fördern. Wir wünschen und hoffen insbesondere, daß der im Reichstag wiederholt eingebrachte Antrag des Zentrums, betreffend die eingetragenen Berufsvereine, alsbald Gesetz werde. Innerhalb dieses Rahmens erscheint uns als dringende Notwendigkeit die fachgenossenschaftliche Organisation der gewerblichen Arbeiter auf einer den Verschiedenheiten von Industrie und Handwerk angepaßten Grundlage. Als erster Schritt zur Anbahnung einer derartigen Organisation auf christlichem Boden ist freudig zu begrüßen die in einzelnen Gesellen- und Arbeitervereinen bereits durchgeführte Gliederung der Mitglieder nach 135

Fachabteilungen bzw. Fachausschüssen, eine Einrichtung, deren Verallgemeinerung lebhaft befürwortet wird. 3. Zur besseren Schulung der christlichen Arbeiter sind christlich-soziale Unterrichtskurse in den Arbeitervereinen und praktisch-soziale Kurse für besonders befähigte Arbeiter zu veranstalten. Gegenüber der massenhaft verbreiteten Volksliteratur der Sozialdemokratie erscheint die Herstellung und Verbreitung billiger belehrender Leitfäden bezüglich der wichtigsten religiösen und sozialen Fragen wünschenswert. 4. Angesichts der in bedenklichem Maße wachsenden Arbeitslosigkeit sprechen wir die Erwartung aus, daß die verbündeten Regierungen des Deutschen Reiches in Wiederaufnahme der durch die kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890 gegebenen bedeutungsvollen Anregungen auf eine durch internationale Vereinbarung ermöglichte und verbürgte Regelung der Arbeitszeit Bedacht nehmen werden. Angesichts der besonderen Gefährlichkeit des Bergbaues empfiehlt es sich, mit der Regelung der Arbeitszeit zunächst auf diesem Gebiete vorzugehen. Eine Fürsorge gegen unverschuldete Arbeitslosigkeit auf Grundlage der berufsgenossenschaftlichen Organisation wird anzustreben sein. Für größere Städte ist die Schaffung gemeindlicher Arbeitsvermittlungsstellen unter geordneter Mitwirkung auch der Arbeiter dringendes Bedürfnis. 5. Mit Rücksicht darauf, daß die gesetzlichen Kranken-, Invaliden- und Altersversicherungen der Arbeitnehmer meist unzureichend sind, wird die Gründung von freien Zuschußkassen, sei es innerhalb des Betriebes, sei es im Wege des genossenschaftlichen Zusammentritts mehrerer Betriebe im Umkreise der Gemeinde, des Kreises, des Regierungsbezirkes, der Provinz oder des ganzen Staates mit dauernder Unterstützung durch die Arbeitgeber empfohlen. 6. Auf die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der Arbeiter ist durch die Gründung und ebenso vorsichtige als selbstlose Verwaltung gemeinnütziger Bau-Gesellschaften und Bau-Genossenschaften hinzuwirken.

Grundzüge

der Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins,

1867

1. In politischer Beziehung geht der Allgemeine deutsche Arbeiterverein von folgender Erkenntnis aus: Die Deutsche Nation kann nur dann zur vollen Betätigung ihrer Kraft gelangen, wenn ihr die freie Bewegung gesichert ist, und wenn sie einheitlich zu wirken vermag. Aus diesen Gründen bekämpft der Allgemeine deutsche Arbeiterverein ebensosehr jeden despotischen Druck und jede Bevormundung von oben, wie jede bundesstaatliche Gestaltung; er will das ganze Deutschland zu einem einheitlichen und freiwilligen Volksstaate verbunden wissen. 2. In sozialer Beziehung liegt dem Streben des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins nachfolgende Erkenntnis zugrunde: Die heutige Gesellschaft ist auf die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, auf die Ausnützung der Massen zugunsten weniger gegründet. Damit wenige in schädlichem Überfluß schwelgen können, müssen Millionen im Elend verkümmern. Wahre Zivilisation ist erst vorhanden, wenn in der Gesellschaft nicht nur gesetzlich, sondern auch den tatsächlichen Bedingungen nach allen gleiche Rechte zustehen, wenn jedem die Entwicklung seiner Fähigkeiten und die Teilnahme an den Segnungen des Staates und der Gesellschaft gesichert wird. Die Grundlage des körperlichen Wohlseins und der geistigen Vervollkommnung aber sind die materiellen Verhältnisse. Aus diesen Gründen ist der Allgemeine deutsche Arbeiterverein bestrebt, an die Stelle der jetzigen Produktionsweise, unter welcher die Masse des Volkes - die Arbeiter - zugunsten des Kapitals mit einem kärglichen Lohne abgefunden werden, eine neue Produktionsweise zu setzen, durch welche eine gerechte Verteilung der durch die gemeinsame gesellschaftliche Produktion hergestellten Wertgegenstände verwirklicht wird. 136

Zur Anbahnung dieses neuen Gesellschaftszustandes verlangt der Allgemeine deutsche Arbeiterverein die Begründung von Produktiv-Assoziationen von Staatswegen nach dem Plane Ferdinand Lassalles. Da die Lage der Arbeiterklasse in allen modernen Kulturländern der Hauptsache nach dieselbe ist und nachhaltig nicht in einem einzelnen Lande zum Besseren umgewandelt werden kann, so erkennt der Allgemeine deutsche Arbeiterverein die Gemeinsamkeit der Arbeiterinteressen in allen Kulturländern. 3. Die nächsten Ziele der Agitation des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins zu den angegebenen Zwecken sind diese: a) Aufklärung der Arbeiter über ihre Klassenlage und die zu erstrebenden Ziele. b) Insbesondere Einführung des allgemeinen Wahlrechts mit direkter, geheimer Abstimmung und Diätenzahlung zum Zwecke der Beeinflussung der öffentlichen Gewalten. 4. Der Allgemeine deutsche Arbeiterverein geht von der Erkenntnis aus, daß die von Ferdinand Lassalle ihm gegebene Organisation wesentlich und unzertrennlich mit seinen Zwecken zusammenhängt. Der Gedanke dieser Organisation besteht darin, daß die Arbeiterklasse durch ganz Deutschland zu einem einheitlich zusammenwirkenden und einheitlich geleiteten agitatorischen Körper verbunden sein soll, indem nur hierdurch den Bestrebungen der Arbeiterklasse irgend welcher Erfolg gesichert werden kann . . .

Deutschnationale Volkspartei, 1920 16. Erziehung. Die Erziehung soll zur geistigen Einheit der Nation führen. Wir können stolz sein auf die Leistungen der deutschen Schule. Nicht fest genug aber wurde der Wille, nicht sicher genug das Nationalgefühl ausgebildet. Stärker als bisher müssen wir zu bewußtem Deutschtum und lebendiger Staatsgesinnung Willen und Charakter formen. Die stärkste Grundlage der Willens- und Charakterbildung sind ein lebensvoller, wahrhaft christlicher Religionsunterricht und ein vom vaterländischen Geist erfüllter Geschichtsunterricht, die sich nur auswirken können, wenn die Schule das Gepräge einer einheitlichen Weltanschauung trägt. Deshalb ist grundsätzlich die Bekenntnisschule der Simultanschule vorzuziehen. Für das Gelingen des Erziehungswerkes ist volle Gewissensfreiheit der Lehrenden und der Erziehungsberechtigten Vorbedingung. 17. Schulwesen. Es bleibt unveräußerliches Recht der Eltern, über die Schulgattung zu bestimmen, der sie ihre Kinder zuführen wollen. Deshalb ist auch die freie Entwicklung der Privatschulen zu sichern. Für die Erziehung in den ersten Schuljahren ist eine gemeinsame Grundschule einzurichten. Auf diese bauen sich die sonstigen Schularten auf, die mit zweckmäßigen Lösungen des Ubergangs und Aufstiegs zu einem innerlich verbundenen Gesamtschulwesen gestaltet werden. In diesem Sinne treten wir für die Einheitsschule ein. Es sind Einrichtungen zu treffen, die die Vorteile der Aufstiegsmöglichkeiten einschließlich des Fortbildungs- und Fachschulwesens nicht nur den großen Städten, sondern auch dem Lande und den kleineren Städten zuteil werden lassen. Diese Neugestaltung unseres Schulwesens darf nicht zu einer Verflachung unseres Bildungswesens, zu einer Herabsetzung der Lernziele oder zur Aufgabe der Eigenart unserer höheren Schulen führen. 18. Lehrerbildung, Schulaufsicht. Alle Lehrer sollen ihre Allgemeinbildung auf einer der höheren Schulen erwerben. Bei der Erziehung des heranwachsenden Geschlechts wirkt die Frau als gleichwertiges Glied der Volksgemeinschaft mit. Die staatliche Schulaufsicht ist Sache von Fachleuten. 19. Hochschulen. Den deutschen Universitäten und Hochschulen ist ihre einzigartige, geschichtlich gewordene Stellung, insbesondere ihre unbeschränkte Lehrfreiheit, zu erhalten. Das 137

Selbstverwaltungsrecht der Dozenten und Studenten ist auf der Grundlage der bewährten akademischen Freiheit zu wahren. Die Bildungsziele und Aufnahmebedingungen sollen nicht herabgesetzt werden. Studierende deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Abstammung haben auf ihre Einrichtungen das erste Anrecht. Die Volkshochschulen sollen sich in erster Linie an Verstand und Herz zur Vertiefung und Bereicherung deutscher Art und deutschen Wesens wenden. 20. Jugendpflege. Stärker als bisher wollen wir in unserer Jugend Stählung des Körpers, sittliche Erstarkung und deutsche und staatsbürgerliche Gesinnung gepflegt wissen. Darum ist die Jugendpflege weit mehr als bisher zu fördern und der gesunden Jugendbewegung jede Freiheit zu gewähren. 21. Kunst. Echte Kunst wächst auf dem Boden eines lebendigen Volkstums. In seiner Kunst schaut ein Volk sich selbst und wird sich seines wahren Wesens bewußt. Die Kunst soll allen Volkskreisen zugänglich sein und für die nationale Erziehung fruchtbar werden.

Sozialdemokratische Partei, 1921 Kultur- und Schulpolitik. Recht aller Volkgsgenossen an den Kulturgütern. Oberstes Erziehungsrecht der Volksgemeinschaft. Religion ist Privatsache, Sache innerer Uberzeugung, nicht Parteisache, nicht Staatssache: Trennung von Staat und Kirche. Ausgestaltung der Schule zur weltlichen Einheitsschule. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lernmittel und der Verpflegung in den Schulen. Umwandlung der Schulen in Lebens- und Arbeitsgemeinschaften der Jugend mit weitgehender Selbstverwaltung. Gemeinsame Erziehung beider Geschlechter durch beide Geschlechter. Mitarbeit pädagogisch hervorragend begabter Laien, verantwortliche Mitwirkung der Eltern an der Schulerziehung und Schulaufsicht durch Elternräte. Erziehung des heranwachsenden Menschen in der Familie, in der Schule und der freien Jugendbewegung zum bewußten Glied der sozialen Volks- und Menschheitsgemeinschaft, zu den Idealen der Republik, der sozialen Pflichterfüllung und des Weltfriedens. Jugendhilfe (als selbständiges, öffentliches Arbeitsgebiet mit eigenen beamteten Organen), beginnend mit dem werdenden Kind und endend mit dem Eintritt der Volljährigkeit. Bildungsstätten für erwachsene Volksgenossen als freie Arbeitsgemeinschaften zum Aufbau einer lebendigen Volkskultur.

Deutsche Zentrumspartei, 1922 20. Das freie Volksbildungswesen beansprucht tatkräftige Unterstützung. Von aller behördlichen Bevormundung und Gleichmacherei ist abzusehen; vielmehr ist die freie Entfaltung der Volkskräfte und die Volksbildungsarbeit der religiösen und kulturellen Vereinigungen zu fördern. 21. Die mit öffentlichen Mitteln bedachten Theater, Galerien und ähnlichen Kulturstätten müssen sich in erster Linie der Pflege volkstümlicher Kunst widmen. Sie haben die hohe Aufgabe, der Volkskultur zu dienen und nicht dem Luxusbedürfnis einer kleinen Schicht. Das Theaterwesen ist reichsgesetzlich zu regeln. 22. Unbeschadet der Würdigung des Kinematographen als Belehrungs- und Unterhaltungsmittel ist den schweren sittlichen und kulturellen Gefahren des öffentlichen Kinotheaters durch entschiedene Maßnahmen der Gesetzgebung und Verwaltung zu begegnen. 23. Eine leistungsfähige, ihrer Verantwortung bewußte Presse ist für die Volksaufklärung und Volkserziehung unentbehrlich. Die dazu erforderliche Freiheit und Unabhängigkeit muß ihr nach jeder Richtung hin sichergestellt werden . . . 138

24. Weitgehende Förderung gebührt den Pflegestätten und den Werbemitteln der deutschen Kultur in den besetzten Gebieten und im Ausland. N a c h 1 9 4 5 sind in n a h e z u allen P a r t e i p r o g r a m m e n H i n w e i s e auf B i l d u n g s p o l i t i k - u n d in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g d a n n a u c h auf die E r w a c h s e n e n b i l d u n g - z u finden. Ä u ß e r u n g e n liegen v o r v o n der C D U 1 9 4 6 , 1 9 5 3 , 1 9 7 1 , v o n der C S U 1 9 5 4 , 1 9 7 1 , 1 9 7 4 , v o n der F D P 1 9 5 3 , 1 9 7 2 , 1 9 7 4 , von der S P D 1 9 5 2 , 1 9 5 4 , 1 9 5 9 ( G o d e s b e r g e r P r o g r a m m ) , 1 9 7 6 ( O r i e n t i e r u n g s r a h m e n 1 9 8 5 ) . A u f die P a r t e i p r o g r a m m e k l e i n e r e r , h e u t e z u m T e i l nicht m e h r existierender Parteien ( K P D , 1 9 5 3 ; D e u t s c h e Partei, 1 9 5 3 ) braucht hier nicht e i n g e g a n g e n z u w e r d e n . V o n den v i e r h e u t e im B u n d e s t a g v e r t r e t e n e n P a r t e i e n liegen u n t e r a n d e r e m die f o l g e n d e n A u s s a g e n v o r .

Das Berliner Programm der CDU mit Beschlüssen des Hamburger Parteitages, 1971 Erwachsenenbildung 39. Die öffentlichen und freien Träger der Erwachsenenbildung sind in den Ländern gesetzlich abzusichern; ihre hauptamtlichen Mitarbeiter sollen einander gleichgestellt werden. Die Erwachsenenbildung soll nicht nur dem beruflichen Fortkommen, sondern auch denjenigen dienen, denen es auf ihre persönliche und gesellschaftspolitische Bildung, auf eine Weiterbildung im Interesse der Erziehungsaufgabe in der Familie, auch unabhängig von einem Arbeitsverhältnis, und auf eine entsprechende Gestaltung der wachsenden Freizeit ankommt. Durch gesetzliche Regelung ist die Möglichkeit eines in festen Zeitabständen zu gewährenden Bildungsurlaubs von mindestens 7 Tagen zu gewährleisten. Beim Besuch von Bildungseinrichtungen über einen längeren Zeitraum muß der Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer gesichert bleiben. W i r sehen in der nachgewiesenen Leistung im Arbeitsprozeß eine Qualifizierung für das Studium, die der rein intellektuellen Schulausbildung gleichwertig ist. Wir befürworten deshalb die Einrichtung und den Ausbau eines Bildungsweges in zentralen O r t e n , der den Erwerb wissenschaftlicher Fähigkeiten und exemplarischen Wissens bei Fortsetzung der Berufstätigkeit erlaubt. Dieser Bildungsweg darf nicht eine schematische Übertragung des traditionellen Schulwissens sein. Er schließt mit einer Prüfung ab. Ein Bundesfernsehstudienprogramm muß auch der beruflichen und allgemeinen Erwachsenenbildung dienen.

Aktionsprogramm Kulturpolitik für die Legislaturperiode 1974-1978 der CSU, 1974 E . Erwachsenenbildung, Jugendarbeit und Sportförderung I. Erwachsenenbildung und Büchereiwesen D e r Erwachsenenbildung k o m m t im Hinblick auf die individuelle Selbstverwirklichung und die Sicherung beruflicher Mobilität verstärkte Bedeutung zu. Die C S U hat dieser Bedeutung mit der Verabschiedung eines Erwachsenenbildungsgesetzes Rechnung getragen. Schwerpunkte der künftigen Arbeit werden sein: - Verstärkte finanzielle Förderung über die im Gesetz vorgesehene Mindestforderung hinaus, - angemessene finanzielle Förderung der Büchereien durch den Freistaat Bayern,

139

-

organisatorische Weiterentwicklung des Büchereiwesens in enger Zusammenarbeit mit den gemeinnützigen Trägern, gegebenenfalls durch eine entsprechende gesetzliche Regelung.

II. Jugendarbeit Die C S U bekennt sich in vollem Umfange zu einer Vielfalt von Formen und Organisationen und damit zur Pluralität in der Jugendarbeit. Jugendarbeit stellt aber auch eine öffentliche Aufgabe dar und darf nicht wegen ihrer besonderen Struktur ein Randbereich des Erziehungs- und Bildungswesens und staatlicher wie kommunaler Förderungspolitik bleiben. Die C S U bekennt sich deshalb zu den jugendpolitischen Zielsetzungen, die die Staatsregierung im Jugendprogramm für die nächsten Jahre zusammengefaßt hat. Die C S U wird die in der mittelfristigen Finanzplanung für das Jugendprogramm vorgesehenen Mittel in Höhe von mehr als 200 Mio DM voll befürworten.

Zweiter

Entwurf

eines ökonomisch-politischen Orientierungsrahmens 1975-1985 der SPD, 1975

für die

Jahre

82.

Weiterbildung: Weiterbildung soll gleichwertiger Teil des Bildungssystems sein. Sie hat die Aufgabe, gesellschaftliche und individuelle Bildungsforderungen neben und nach der Ausbildung in Schule und Hochschule in allen Bereichen, insbesondere in der beruflichen und politischen Bildung, zu erfüllen. Bund, Länder und Gemeinden sollen gemeinsam mit den freien Trägern ein koordiniertes Weiterbildungssystem als 4. Bereich des Bildungswesens ausbauen. Die Gemeinden bzw. Kreise sind verpflichtet, ein Grundangebot für die Weiterbildung zu machen. Dabei kommt den Volkshochschulen eine besondere Bedeutung zu. Die einzelnen Kurse sollen in einem Baukastensystem aufeinander bezogen und miteinander kombinierbar sein. Die Ausbildungsgänge, die zu formalen Abschlüssen führen, werden standardisiert. Dadurch wird das Weiterbildungssystem überregional durchlässig und mit anderen Systemen verknüpfbar. Auch die Kapazitäten der allgemeinbildenden und berufsbildenden Institutionen sind für die Weiterbildung zu nutzen. Das Verbundsystem ist auf das Bildungs- und Weiterbildungsangebot der Medien zu erstrecken. Ein gesetzlich geregelter Bildungsurlaub soll langfristig allen Berufstätigen mehrfach in ihrem Arbeitsleben die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen ermöglichen. Für die Weiterbildung sind öffentliche Bibliotheken und Mediotheken unerläßlich.

Stuttgarter

Leitlinien einer liberalen Bildungspolitik

der FDP, 1972

1. Ziele der Weiterbildung In einer sich immer rascher entwickelnden Welt ist Weiterbildung eine öffentliche Aufgabe. Der Staat hat zu gewährleisten, daß der einzelne sein Recht auf Weiterbildung tatsächlich wahrnehmen kann. Weiterbildung umfaßt alle organisierten Lernprozesse Erwachsener nach Abschluß der Erstausbildung. Sie schließt eine dreifache Zielrichtung in sich. Dabei kommt keiner dieser Zielrichtungen nach Auffassung der F.D.P. institutionelle oder curriculare Eigenständigkeit zu. Weiterbildung muß den Berufstätigen auf dem modernen Kenntnis- und Leistungsstand halten, der für eine verantwortungsbewußte Berufsausübung unerläßlich ist.

140

Weiterbildung muß jedem Einzelnen die Möglichkeiten geben, sich über seinen gegenwärtigen Berufs- und Wissensstand hinaus zu qualifizieren, versäumte Abschlüsse nachzuholen oder einen anderen Beruf anzustreben. Weiterbildung muß außerdem ein Angebot schaffen, von dem jeder für seine informativen und kommunikativen Bedürfnisse oder auch für Bedürfnisse einer aktiven Freizeitgestaltung freien Gebrauch machen kann. In keinem dieser Teilbereiche darf Weiterbildung nur Instrument der Anpassung an veränderte Situationen sein. Weiterbildung muß vielmehr den Bürger zu Kritik, Kontrolle, Selbstbestimmung und aktiver Mitbestimmung in allen Lebensbereichen befähigen, nicht zuletzt im ständig wachsenden Bereich der Freizeit. Eine Weiterbildung, die ausschließlich dem wirtschaftlichen Bedarf dient oder die lediglich neue technisch-instrumentelle Fertigkeiten vermittelt, fördert nicht die Beteiligung möglichst vieler Bürger an den für die gesellschaftliche Entwicklung wichtigen Entscheidungsprozessen. Voraussetzung für jede Weiterbildung ist eine Integration der politischen, allgemeinen und beruflichen Inhalte. Thematisch sollte Weiterbildung sich auf jeweils konkrete Lebenssituationen und die damit zusammenhängenden Probleme beziehen. Solche Probleme ergeben sich in sehr verschiedener F o r m , beispielsweise für Arbeiter, die am Fließband arbeiten, oder für Eltern, die Kinder im Vorschulalter haben. Durch die gesellschaftliche und technische Entwicklung ändern sich die Arbeitsinhalte und die Organisation von Arbeit in zunehmendem Maße. Die F . D . P . fordert daher, daß man einer regelmäßigen Fortbildung Rechnung trägt. In Bereichen mit staatlichen Prüfungsordnungen ist diese Fortbildung verbindlich zu machen, in anderen Bereichen besteht zumindest ein Fortbildungsrecht. F o r t b i l d u n g ist sowohl leistungsergänzend als auch Hilfe und Instrument für den einzelnen, Einsicht in die Zusammenhänge zu gewinnen, die seine Situation bestimmen und verändern. Sie muß durch bezahlte Freistellung von beruflicher Tätigkeit für die Fortbildungsveranstaltungen gewährleistet werden. Darüber hinaus hat jeder einzelne das Recht auf W e i t e r b i l d u n g . Sie umfaßt den freiwilligen Erwerb weiterer Qualifikationen ebenso wie die Möglichkeit, nicht wahrgenommene Bildungsgänge nachzuholen. W i e für die anderen Bereiche des Bildungswesens gilt auch für den Bereich der Weiterbildung das Prinzip der öffentlichen Verantwortung. Die Lernziele der Fort- und Weiterbildung werden von Kommissionen festgelegt, die ebenso zusammengesetzt sind, wie die entsprechenden Kommissionen des Sekundarbereichs II. Diese Kommissionen beschließen auch über die Formen der Lernkontrollen. Dies bedeutet zugleich die staatliche Anerkennung der erworbenen Abschlüsse. N e b e n diesen gesellschafts- und arbeitsplatzbezogenen Ausbildungsgängen und -inhalten muß auch Raum bleiben für Inhalte, die nicht durch Leistungsanforderungen gekennzeichnet sind. H i e r geht es um aktives und produktives, spielerisches und schöpferisches Verhalten des einzelnen, um seine Bedürfnisse nach Informationen und Kommunikationen, nach Wirkungs- und Entscheidungsfeldern. Die im Bereich der Weiterbildung Tätigen müssen befähigt werden, zur Verwirklichung dieser Ziele beizutragen. Deshalb müssen Möglichkeiten zu zusätzlicher Qualifikation für diejenigen geschaffen werden, die in der Weiterbildung verantwortlich tätig sein wollen.

141

C. a.

Pläne und Konferenzen

Nationalerziehung

Das Problem der Nationalerziehung muß auf dem Hintergrund der Französischen Revolution und dessen, was man die Revolutionspädagogik genannt hat, gesehen werden. Neben Condorcets „Bericht und Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens" (1792) gehört in diesen Zusammenhang vor allem Michel Lepeltiers „Plan einer Nationalerziehung" (1794). In Deutschland ist es vor allem Peter Villaume (1746-1825), der das Konzept einer Nationalerziehung vorträgt, durch das in Jugend- und Erwachsenenalter Solidarität und Engagement gegenüber dem Staat eingepflanzt und verstärkt werden soll. Der Erziehungshistoriker H. König (Zur Geschichte der Nationalerziehung in Deutschland im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, Berlin 1960, S. 375) schreibt über Villaume: „P.V. ist einer der wenigen Deutschen, der am Ende des 18. Jahrhunderts den demokratischen Patriotismus konsequent in seinen Schriften entwickelt. D i e Erziehung zum demokratischen Patriotismus wird zum Hauptanliegen seiner Bemühungen um eine Nationalerziehung, deren wichtigster Grundsatz ist: ,Das Vaterland umgebe allenthalben seine Bürger und sei beständig um s i e ' " . Freilich greift Villaume über diesen Aspekt in der Einzelausfächerung seines Planes hinaus und gibt dezidierte Anweisungen für die Unterrichtsgestaltung im Elementarbereich (bis hin zu Fragen der sexuellen Aufklärung). Aber die Einzelmaßnahmen stehen doch mit König unter dem Grundsatz: „Villaumes Idealbild eines Staates ist das einer lebendigen Demokratie, in der die Erziehung des Einzelnen und der Gesamtheit von der Geburt bis zum Tode ausgerichtet ist auf die Tätigkeit für das Vaterland." (S. 399). Für die Erwachsenenbildung folgt daraus, daß sie angelegt sein müsse auf eine Verstärkung des „vaterländischen Bewußtseins" und auf jene Kenntnisvermittlung, die den Bürger instandsetzt, die ihm angebotenen politischen Betätigungsräume angemessen und sachkundig auszufüllen. Das vaterländische Bewußtsein der erwachsenen Bevölkerung sollte sich an nationalen Festlichkeiten, an staatlicher Symbolik und Sinnbildhaftigkeit entwickeln. Peter Villaume Abhandlung über die Frage: Worin bestand bei den Atheniensiem, den Lacedämoniern und den Römern die öffentliche Erziehung? Kann aus der Vergleichung ein Plan genommen werden, der zu unseren Sitten und unserer Regierungsverfassung paßt? (1793)"" Wir haben uns bemüht, den Menschen z u bilden; jetzt wollen wir sehen, was sich f ü r die Bildung des Bürgers tun läßt. O b wir gleich, wie wir es schon bemerkt haben, dem spartanischen Freistaate nicht Aus: Helmut König (Hrsg.), Schriften zur Nationalerziehung in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Volk und Wissen, Berlin 1954.

142

in allen Stücken nachahmen können, so werden wir doch in den Veranstaltungen der Alten manches Nützliche finden, wovon wir Gebrauch machen. Ich will mich bei der körperlichen Erziehung nicht aufhalten, weil ich davon schon gesprochen habe. Daher verweise ich hier bloß auf das, was ich bei der moralischen Bildung von der Erziehung für den Staat gesagt habe. Das Erste und Wichtigste wird sein, dem Bürger begreiflich zu machen, daß er nicht für sich allein da ist, weil er nicht allein sich erhalten kann und des Beistandes seiner Mitmenschen und der bürgerlichen Gesellschaft bedarf, um sein Leben und sein Wohlsein zu behaupten. Also ist er ein Teil des Staates, und sein besonderes Wohlsein kann nur bei dem allgemeinen Flor, bei der allgemeinen Sicherheit des Ganzen Bestand haben. Aus diesem Grunde muß der Bürger in allen Fällen erst für das allgemeine Wohl sorgen, ehe er mit Erfolg an sein Privatwohl denken kann. Unsere Schulen sollen in dieser Absicht den Zustand des einsam lebenden und sich selbst überlassenen Menschen mit dem größten Nachdruck schildern, woraus sich dann die unendlichen Vorteile, die wir der bürgerlichen Gesellschaft zu verdanken haben, ergeben werden. Unsere Schulen werden die notwendigen Folgen aus der bürgerlichen Verbindung, die neuen Verhältnisse und die Bedürfnisse, welche daraus erwachsen, sorgfältig auseinandersetzen. Dann werden sie die Gesetze, die Staatsverfassung, die Einrichtung der Obrigkeiten, den Grund der verschiedenen bürgerlichen Anstalten, die Verhältnisse der mannigfaltigen Teile des Staates gegeneinander und bürgerlichen und politischen Bedürfnisse der Nation und der Regierung deutlich erklären. Die Staatsbewohner vieler Länder leben mehrenteils in der tiefsten Unwissenheit der ganzen Staatseinrichtung, haben von den Gesetzen keinen anderen Begriff, als daß es willkürliche Verordnungen desjenigen sind, den sie den Souverän nennen. Und mancher Souverän, den ein solcher Irrtum schmeichelt, weil er ihm die Prüfung seiner Verordnungen erspart, nährt denselben, macht ihn sich zunutze und gibt von seinen Befehlen keinen anderen Grund und keinen Beweggrund zur Beobachtung derselben als seinen gnädigen Willen. Die guten Bürger sehen es als ein Recht an, welches der Fürstenwürde wesentlich anklebt, nach Belieben Gesetze zu machen, Gesetze aufzuheben, zu erklären und zu ändern und den einen daran zu binden, den andern aber davon loszusprechen, ohne andere Gründe als ihr Wohlgefallen, ihren gnädigen Willen. Die Abgaben und die Schätze des Staates sind in den Augen der guten Leute nichts anderes als das Eigentum der Fürsten, wobei diese nichts als zu genießen und dann und wann auszuspenden zu tun haben, alles aber nach ihrem Belieben. Sie glauben, die armen Verblendeten, daß Recht und Gesetze schweigen müssen, sobald ihr Fürst spricht. Ist es bei solcher Denkungsart der Menschen befremdend, daß jedermann nur darauf bedacht ist, die Gesetze ohne Gefahr zu übertreten, sich von dem Zwange derselben loszumachen, sich von den Pflichten zu befreien und dem Druck der Abgaben sich zu entziehen? Unterrichten wir unsere Bürger nicht besser, so können wir darauf rechnen, daß auch sie nicht besser denken und handeln werden, daß wir keine Bürger mehr, sondern lauter widerspenstige Einsassen haben werden, jederzeit bereit, sich, sobald sie nur können, der Erfüllung ihrer Pflichten zu entwinden. Lehren reicht nicht zu; das Herz muß gewonnen werden, die Kräfte müssen sich durch die Gewöhnung unter das Joch des Gesetzes beugen, wenn die Bildung der Moralität gelingen soll. Das Vaterland, der Staat sind moralische Wesen, die nicht in die Sinne faüen; man muß also Mittel finden, sie einigermaßen zu verkörpern, damit die jungen Bürger sie mit ihren Sinnen fassen und sich daran recht fest hängen können. Athen, Lacedämon, Rom schrieben die Kinder sogleich nach der Geburt derselben in die öffentlichen Register der Bürger ein und nahmen von ihren jungen Bürgern den Eid der Treue, sobald diese aus der Kindheit traten und in die Reihe der Bürger aufgenommen wurden. Also fühlten sich die Bürger unter der leitenden und schützenden Hand des Staates, sobald als sie ihr eigenes Dasein fühlten. Bei uns aber ist es ganz anders. Die Kirche hält die Verzeichnisse, die Kirche schreibt die neugeborenen Einsassen ein; wenn der Staat Volkslisten braucht, wendet er sich an die Kirche; er bekommt von den Kirchenregistern Abschriften, keine Originale; und seine Verzeichnisse, die er auf Glauben annimmt, bekommt er einigermaßen heimlich, ohne daß es das Volk weiß. Die Kirche nimmt den Menschen in Beschlag, sobald er in die Welt tritt; der Staat kommt erst nach, und kaum

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weiß es jemand, daß er sich darum bekümmert. Die Kirche verzeichnet namentlich, einzeln; der Staat fordert nur Summen, woraus man vermutet, daß er an den einzelnen nicht denkt und nur auf die Masse, das heißt auf seine Macht sieht, was schon ein sehr schlimmer Argwohn ist, der allen Patriotismus, wenn auch welcher entstehen wollte, niederschlagen kann. Wenn der Einsasse einen Schein braucht, um seine Geburt, seine Erbrechte oder andere Ansprüche zu beweisen, so geht er nicht an den Staat, denn der Staat weiß von seiner persönlichen Existenz nichts und bekümmert sich um seine Rechte und sein Wohlsein nicht; er nimmt also zu der Kirche seine Zuflucht, und so erscheint ihm die Kirche als seine Pflegemutter, seine Wohltäterin, als die Beschützerin seines Daseins und seiner Rechte. Er huldigt ihr und hängt sich an sie, weil er ihr diesen wichtigen Dienst verdankt. Denn das weiß er nicht, daß die Kirche ebensowenig als der Staat sein Wohlsein und seine Person zur Absicht bei ihrer Bemühuing hat.Seine ersten öffentlichen Huldigungen gehen gleichfalls an die Kirche; bei seinem Eintritte ins bürgerliche Leben leistet er nicht dem Staate, sondern der Kirche den Eid der Treue. Die Kirche ist es, die ihm den Eingang in die bürgerliche Gesellschaft öffnet, die ihm in die Gesellschaft zu treten verwilliget, ihn von ihrer besonderen Obhut entläßt und den Gesetzen des Staates erlaubt, sich nunmehr des Jünglings anzunehmen, ihn wegen seines Verhaltens zur Verantwortung zu ziehen und ihn zum Dienste des Staates aufzufordern. Der Staat nimmt von den Einwohnern nur dann erst den Eid der Treue und die Huldigung, wenn diese in die bürgerlichen oder militärischen Dienste und Würden treten, oder wenn sie das, was man das Bürgerrecht nennt, wider ihren Willen gewinnen müssen, um in eine Handwerksgilde aufgenommen zu werden und, durch Betreibung eines Gewerbes, ihr Brot erwerben zu können. Auf diese Art gewinnt es das Ansehen, als ob der Huldigungseid mehr den Dienst oder die Gilde als den Staat beträfe. Kann man sich nun bei so bewandten Umständen wundern, daß wir so viel treue Anhänger der Kirche und so wenig Anhänger des Staates haben? Besonders aber, wenn wir bedenken, daß es so viel Einwohner gibt, welche nimmermehr eine förmliche Verbindlichkeit gegen letztere übernehmen ; wogegen die Kirche niemand entwischen läßt, und, um ja keinen zu verfehlen, sich sogar von dem weiblichen Geschlecht huldigen läßt. Wir müßten also, wenn wir Bürger haben wollen, nach dem Beispiel der alten Republiken im N a m e n des Staates und durch dessen Abgeordnete N o t i z von der Geburt, dem Leben, dem T o d e und jeder rechtlichen Handlung aller Bürger, eines jeden insbesondere, nehmen. Sobald der Jüngling das männliche Alter zu der von den Gesetzen bestimmten Zeit erreicht hat, muß der Staat die Huldigung von ihm nehmen, und zwar nicht, wie es zu geschehen pflegt, in dem verborgenen Winkel irgendeines Stadthauses, sondern in einem politischen Volksfeste, unter dem Aufzug der öffentlichen Feierlichkeit, in Gegenwart der versammelten Bürger, entweder auf einem großen Platz innerhalb der Städte oder auf einem Marsfelde. Hier muß man den angehenden Bürgern nicht allein die Pflichten, sondern auch die Rechte der Bürger kürzlich vorhalten, und dann werden sie ihren Bürgereid feierlich schwören. Die älteren Bürger, welche von Pflicht wegen der erhabenen Feierlichkeit beiwohnen, erinnern sich dabei des Tages, wo sie selbst unter ähnlichen Umständen ihre Gelübde an das Vaterland ablegten;, und es wäre nicht undienlich, sie durch eine kurze, an sie gerichtete Ermahnung daran zu erinnern. Dies ist das einfache und natürliche Mittel, welches ich vorzuschlagen habe, um die Vergessenheit starker Eindrücke zu verhüten und die Rührung der ersten Verbindungsfeier zu erneuern und zu verewigen. In der Tat, wenn sich diese Eindrücke alle Jahre bei der Anhörung der feierlichen Eide der neuen Bürger erneuern, so ist es fast unmöglich, sowohl die ersten Eindrücke, die man in der Jugend empfangen hat, als auch die Verbindlichkeiten, die man dabei übernahm, zu vergessen. U m diese Eindrücke desto kräftiger zu machen, sollte man vielleicht den Zutritt zu dieser Feierlichkeit der Jugend nicht eher erlauben, als bis sie selbst dabei ihre Gelübde sprechen sollte, damit dieses Fest ihr dann etwas ganz Neues wäre. Wir haben unsere jungen Bürger in den Schulen, bei den Spielen, bei den Übungen und bei der Arbeit aneinander gewöhnt, nun ist es die Zeit, wo wir sie dem Staat und dem Vaterlande näher bringen müssen. Deswegen wollen wir sie früh zu den Versammlungen der Nation zulassen, denen

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sie als Zuschauer beiwohnen können, nur vielleicht das Fest der Einweihung der jungen Bürger ausgenommen. Unsere Absicht ist, daß sie sich an die Nation gewöhnen und hängen. Es ist bei unseren großen Staatskörpern . . . unmöglich, die ganze Nation in unsere Volksversammlungen zusammenzurufen, und es stünde zu besorgen, daß wir durch unsere Versammlungen den Nationalgeist erstickten, indem wir den Publikgeist zu erwecken gedächten; denn es könnte kommen, daß wir statt der Vaterlandsliebe nur die Liebe zu dem Wohnort und den Einwohnern desselben erregten; woraus dann bedenkliche Spaltungen entstehen möchten. Also ist es wohl notwendig, in den Volksversammlungen und bei allen Nationalfeierlichkeiten den Geist höher als auf die sichtbaren Gegenstände und zu der ganzen Nation zu erheben, um die Gefühle auf die ganze Nation zu lenken. In dieser Absicht sollen in jeder Versammlung die Symbole der ganzen Nation, das Wappen des Staates und einer jeden Provinz erscheinen, um das Ganze vorzustellen. In den großen Städten, wo dergleichen Einrichtung keine Schwierigkeiten macht, wäre es vielleicht gut, Repräsentanten des Staates und der großen Teile desselben zu haben. Die kleinen Städte und die Dörfer könnten sich mit Nachbarn vereinigen, um dem Publikgeist die größtmögliche Ausdehnung zu geben und die Einschränkung auf den Geburtsort zu verhüten. Dergleichen Vorkehrungen müßten auch bei den patriotischen Festen stattfinden. In den Schulen wird alles im Namen des Vaterlandes verfügt und vollzogen werden, und die wichtigen Auftritte unter dem Vorsitz der Obrigkeit und durch ihre Vermittlung geschehen. Die Obrigkeit führt die Aufsicht über die Schulen, sie sieht nach den Fortschritten der Jugend in der Geistes- und Sittenbildung, sie wohnt den Prüfungen bei, nicht als Zuschauer, auf eine Einladung, sondern als Direktor, welcher das Examen verordnet, Rechenschaft fordert, die Jugend prüft, die Fortschritte der Kinder und die Methoden der Lehrer beurteilt. Sie entscheidet über die Anstalten, rügt die Mißbräuche und Vernachlässigungen, stellt sie ab, erteilt Tadel und Beifall, lobt den Fleiß, bestimmt, erkennt die Preise zu und teilt sie aus, alles im Namen und unter Genehmigung des Staates. Auf diese Art wollen wir unsere zukünftigen Bürger lehren, sich immer unter der Leitung, dem Schutze, der Aufsicht des Vaterlandes zu fühlen und allenthalben dessen Macht und Wohltaten zu sehen. D i e Jugend hat auch ihre patriotischen Feste so wie die Bürger, und es ist gleichfalls der Staat, der sie gibt, der sie anordnet und die Aufsicht dabei führt. Bei seiner Freude, welche das Vaterland ihm gewährt, fühlt der Jüngling und der Knabe, daß das Vaterland ihn liebt, wie eine gute Mutter ihn lieben wurde, und sich bestrebt, ihn glücklich zu machen. Er dankt es ihm in seinem Herzen, nimmt sich der Wohlfahrt des Vaterlandes an, gehorcht ihm mit Freuden und faßt den Entschluß, ihm mit Treue und Eifer zu dienen und, wenn es die Umstände erfordern, willig O p f e r zu bringen. Volksfeste, besonders für die Jugend, kosten dem Staat wenig. Pflanzet eine Stange auf einem grünen Platze, sagt Rousseau, und saget, daß es ein Volksfest gibt, so habet ihr ein Volksfest. Die Jugend wird noch weniger Umstände fordern; denn sie ist immer bereit, sich lustig zu machen. Schon lange hat sich unsere junge Mannschaft bei ihren Spielen in dem Gebrauch der Waffen geübt. Sobald sie nun aus der Kindheit getreten ist und ihre patriotischen Gelübde getan hat, tritt sie in ganzem Ernst unter das Gewehr, nicht mehr zur bloßen Übung, sondern zum Dienst; unsere jungen Bürger sind wahre Soldaten; sie beziehen die Wachen, besetzen die Posten, wachen die Nächte durch, gehen Patrouillen, um die öffentliche Sicherheit zu erhalten. Hier gibt es weder Ausnahmen noch Vorrechte; der junge Prinz steht in Reih und Glied neben dem Schneiderburschen, und beide lösen einander ab. U m stets erfahrene Krieger zu haben, kann der Staat einem Teil seiner jungen Mannschaft erlauben, zur Übung in fremde Kriegsdienste zu gehen, wenn er das Glück hat, selbst in keinen Krieg verwickelt zu sein. Niemand aber wird, ohne besondere Erlaubnis von der Obrigkeit erhalten zu haben und ohne die unverbrüchliche Zusage, auf den ersten Befehl zurückzukommen, fremde Dienste nehmen.

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N u n komme ich auf die religiöse Erziehung. Sparta, R o m , Athen hatten eine religiöse Erziehung. Wir wollen ihnen, aber mit Behutsamkeit, nachahmen. Der Gesetzgeber, welcher die Wirksamkeit religiöser Gefühle und Gesinnungen kennt, wird sich die Hilfe nicht versagen, die er daraus für das Wohl des Vaterlandes und der Bürger nehmen kann. Derjenige aber, welcher die Gefahren des Aberglaubens und des Fanatismus kennt, wird auch dabei Vorsicht brauchen, um sich und den Staat davor zu verwahren. Die Religion ist nicht für Gott da, noch weniger aber für die Priester oder die Kirche, ihre einzige Bestimmung ist das Wohl des Staates und die Glückseligkeit der einzelnen, außerdem ist sie gar nichts. Lehren, D o g m e n , Glauben, Kirche und Priesterschaft sind nur Mittel, nicht Zweck; zur Unterscheidung der Parteien sollen sie auch nicht dienen, weil keine Religionsparteien sein müssen; Gott bedarf weder unserer Dienste noch unserer Gebete und Anbetung, viel weniger noch unserer kirchlichen Zeremonien und Formulare. Dies ist ein Grundsatz, den der Gesetzgeber bei seiner Anordnung der Religion und religiösen Erziehung im Staate nicht aus den Augen lassen darf. Die Priester muß er bei seinen Entwürfen nicht zu Rate ziehen, weil die Priester bloße Diener der Volksreligion, wie sie ist, nicht aber Meister, weder der Religion noch in der Religion sind. Der Gesetzgeber muß das Volk kennen, um die Religionsanstalten danach einzurichten und es unvermerkt von dem Aberglauben zur vernunftmäßigen Religion zu führen. Also werden ihm die Grundlehren der Religion folgende sein: die Tugend hochschätzen und beobachten, das Vaterland, die Gerechtigkeit, die Menschheit lieben. Dies sind die einzigen notwendigen D o g m e n , weil sie einzig und allein das Gemeinwohl und die Privatglückseligkeit befördern. Alle übrigen Lehren haben nur insofern einen Wert, als sie diesen Grundlehren zur Stütze dienen. Die Religion wird also nicht entscheidend, nicht befehlsweise vorgetragen, nicht auf Glauben angenommen werden; der Lehrer muß untersuchungsweise vortragen, und die Zuhörer werden prüfen und wählen. N i e m a n d hat ein Recht, andern seine Uberzeugung aufzudringen und auf sein Wort den Glauben zu befehlen, weil ein jeder seine Vernunft für sich hat und weil kein Lehrer weder unfehlbar ist noch dartun kann, daß er die echte Wahrheit besitze. In diesem Stücke vor allen Dingen müssen wir von den Alten, unsern Mustern, abgehen und das Beispiel aller Völker, die vor uns gewesen sind, verwerfen, obgleich dieses Beispiel durch einen allgemeinen und immerwährenden Brauch gleichsam geheiligt ist. Wir müssen es dem großen Haufen der Feinde der Vernunft und Aufklärung nicht nachbeten, daß das Volk keiner vernunftmäßigen Uberzeugung fähig ist; das ist nicht wahr. Volk und Jugend haben auch Vernunft, und man muß nur das Volk und die Jugend vernunftmäßig behandeln, ihnen die Lehren gehörig vortragen, sie auf Nachdenken führen, und dann werden sie vernünftig genug denken, um die einleuchtenden Beweise zu fassen, auf welchen die wichtigsten Religionsgrundsätze beruhen. Ist es denn so schwer, einzusehen, daß ein Gott, Schöpfer der Welt, existiert, daß er weise, gerecht, gütig, mächtig ist, daß man Gerechtigkeit und Tugend ausüben muß, wenn man eine dauerhafte Glückseligkeit genießen will? Mysterien, tiefe Geheimnisse, Entscheidungen über den Willen und die Natur Gottes sind freilich etwas anderes. Wir brauchen sie aber nicht, und wir wollen unsere Lehrer bitten, uns damit zu verschonen, bis daß sie diese Herrlichkeit selbst verstehen. Bis dahin, was sollten wir mit leeren Worten machen? Einige Zeremonien werden wir wohl brauchen, um auf die Sinne Eindruck zu machen; sie müssen aber voller Würde und besonders einfach sein, um nicht die Religion zu einem Gaukelspiel der Sinne zu machen. Keine Geheimnisse, wir können dergleichen nicht brauchen; keinen tiefen, verborgenen Sinn; keine geheime Wunderkraft. Das Volk muß nicht in die Verlegenheit kommen, seine Priester zu fragen, was es tun soll und was das bedeutet, was es tut. N o c h weniger muß man ihm vorschwatzen dürfen, daß es durch Beobachtung sinnloser Gebräuche die Gunst des höchsten Wesens erschleichen oder sich von der Beobachtung der Pflichten und der Tugend loskaufen und seine Unbesonnenheiten gutmachen könne . . .

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Die Nationalerziehung findet später in der 48er Revolution verstärkten Auftrieb, wobei auch die Aspekte der Erwachsenenbildung („Fortbildung im männlichen Alter") stärker in den Vordergrund rangiert werden (siehe dazu H. König, Programme zur bürgerlichen Nationalerziehung in der Revolution von 1848/49, Berlin 1971.) K.A. Schmids Enzyklopädie (Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens, Band IV, Gotha 1866, S. 80 ff) handelt in der Mitte der 50er Jahre das Stichwort „Nationalbildung" und „Nationalerziehung" im Sinne Villaumesab, wenn der Autor u. a. formuliert: „Bildung in nationaler Lebensweisheit darf als keine leere Decoration für das Leben erscheinen, als kein putzendes Beiwerk, dessen man allenfalls entrahten kann. Der Betrieb dieser Unterweisungen muß allen Ernstes geschehen wie in den niederen so in den höheren Schulen. In den letzteren dürfte manches Vaterländische über den Studien des sogenannten classischen Alterthums nicht in den Hintergrund weichen sollen. Dem muß gesteuert werden! Des eigenen Volkes natürliche und sittliche Weise gehe allem anderen vorauf und alles andere werde für das nationale Leben nur zu einem Mittel, dasselbe zu erhöhen und zu veredeln. Werden die oberen Schichten der gelehrten Schulen ein Interesse an Pflege nationaler Bildungsgüter noch mehr als jetzt zeigen, so werden die niederen Schulen nicht dahinten bleiben."

147

b. Die Reichsschulkonferenz

von

1920

D i e R e i c h s s c h u l k o n f e r e n z v o n 1 9 2 0 ist die d r i t t e v o n drei K o n f e r e n z e n , auf d e n e n schulische

Innovationen

angeregt,

vorbereitet

oder

eingeleitet

wurden.

Die

erste

K o n f e r e n z v o n 1 8 9 0 , auf A n r e g u n g W i l h e l m s I I z u s a m m e n g e r u f e n , b e f a ß t e sich v o r allem m i t F r a g e n d e r s t a a t s b ü r g e r l i c h e n E r z i e h u n g u n d d e r N e u o r d n u n g des

gymnasialen

S c h u l w e s e n s , d i e z w e i t e , 1 9 0 0 d u r c h g e f ü h r t e , stellte die R e c h t s g l e i c h h e i t d e r u n t e r s c h i e d lichen g y m n a s i a l e n S c h u l f o r m e n h e r ; die R e i c h s s c h u l k o n f e r e n z v o n 1 9 2 0 h a t d e r a r t i g h a n d g r e i f l i c h e A u s w i r k u n g e n w o h l n i c h t g e z e i t i g t . D o c h sind auf ihr p ä d a g o g i s c h e u n d b i l d u n g s p o l i t i s c h e A n r e g u n g e n e n t w i c k e l t w o r d e n , die z u m Teil e r s t n a c h 1 9 4 5 in das b i l d u n g s p o l i t i s c h e A l l t a g s r e p e r t o i r e e i n g e g a n g e n sind. K o m m t h i n z u , d a ß d u r c h die W e i m a r e r R e i c h s v e r f a s s u n g h i n s i c h t l i c h des S c h u l w e s e n s bereits einige V o r e n t s c h e i d u n g e n k o d i f i z i e r t w a r e n , die die S c h u l e auf die n e u e Staatlichkeit h i n o r i e n t i e r t e n . D i e sich v e r s t ä r k e n d e V o l k s b i l d u n g s b e w e g u n g ist a u c h i m R a h m e n d e r R e i c h s s c h u l k o n f e r e n z hinlänglich berücksichtigt w o r d e n .

Carl Richard Wegener, V o l k s h o c h s c h u l e u n d freies V o l k s b i l d u n g s w e s e n * D e r Ausschuß für Volkshochschule und freies Volksbildungswesen trat am 15. und 16. Juni unter dem Vorsitz von D r . Reinhard S t r e c k e r , Präsident des Landesamtes für Bildungswesen in Darmstadt, und D r . R o b e r t v. E r d b e r g , Referent im preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, zusammen. R e k t o r H e i n e n vom Katholischen Volksverein in München-Gladbach, der erste Berichterstatter, stellte seine Ausführungen über Volkshochschule in einen großen Rahmen soziologischer Betrachtung. Die Kultur eines Volkes wurzelt im organisch wachsenden Volkstum. Dieses wurde vom absolutistischen Staat dadurch zerstört, daß er das Individuum zum unmittelbaren O b j e k t des Staates, zum „ U n t e r t a n e n " machte. D e r Individualismus, der den Absolutismus ablöste, hat dann die mechanische Staatsidee desselben beibehalten. D e r Staat wurde ihm zur Gesellschaft vertragsmäßig verbundener Individuen. Beide Standpunkte lassen den Gedanken der G e m e i n s c h a f t , des schicksalverbundenen Volkes, in Verfall geraten. D i e Bildung wurde durch diese Entwicklung immer weitergehend rationalisiert; die ökonomisch-technischen Umwälzungen in der Industrie, dann auch in der Landwirtschaft, brachten einen rational-technisierten Menschentyp hervor. Der mammonistische Trieb im Menschen ist ein unfruchtbarer; er läßt die schöpferischen und die gemeinschaftbildenden Kräfte in Verfall geraten. Die Volksbildung muß eben diese Kräfte, aus denen lebendiges Volkstum erwächst: Familiensinn, Gemeinschaftsgeist, Volksgeist, wieder erwecken. Denn dieses Volkstum bildet die eigentliche irrationale Grundlage des Staates. D e r Staat lebt aus ihm, erhält aus ihm das Recht auf Dasein und seinen letzten höchsten Sinn. Nicht der Staat macht das Volkstum, sondern das Volkstum macht den Staat. V o n diesen Voraussetzungen aus ergibt sich dem Referenten die Bestimmung der Volksbildungsarbeit: sie hat V o l k s t u m zum Inhalt. Weckung jener schöpferischen Kräfte, nicht Mitteilung von Wissen ist ihr Ziel. Wissen ist lediglich Mittel zu diesem

* Aus: Die Reichsschulkonferenz in ihren Ergebnissen, hrsgg. vom Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht, Leipzig o.J. (1921), S. 87 ff.

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Zweck. Sie will nicht Wissenschaft popularisieren und weder der Hochschule noch der Parteischule Konkurrenz machen. Die Volkshochschule muß L e b e n s g e m e i n s c h a f t sein. Sie bedarf mehr als jede andere Schule der leitenden Persönlichkeit. Als ihre Träger kommen in erster Linie die Berufsverbände in Frage. Aufgabe des Staates ist vor allem: Wachsenlassen! Der zweite Berichterstatter, Dr. v. E r d b e r g , definierte das freie Volksbildungswesen als die freie Tätigkeit der Gesellschaft, durch welche jedem Erwachsenen die Möglichkeit geboten werden soll, seine Bildung außerhalb des staatlich organisierten Schulwesens zu erweitern und zu vertiefen. Uber die Bildung des einzelnen hinaus ist die Weckung und Pflege eines k u l t u r e l l e n E i n h e i t s b e w u ß t s e i n s Ziel des freien Volksbildungswesens. Beides kann nur erreicht werden durch innere Auseinandersetzung des einzelnen mit den Kulturwerten, die ihm gemäß sind. Die Mittel der freien Volksbildungsarbeit sind Volkshochschulen, Volksbibliotheken und ein mit ihnen verbundenes Vortragswesen, Veranstaltungen zum Zwecke der Massenbildung und engere Gemeinschaften mit volkserzieherischem Charakter (Heimvolksschulen). In der Volkshochschule sollen nicht in erster Linie Kenntnisse vermittelt, sondern Erkenntnisse erarbeitet werden. Sie wendet sich an alle, die dazu berufen sind, nicht nur empfangend am geistigen Leben Anteil zu haben, sondern dieses geistige Leben selbst mitzutragen und zu gestalten. Die Volkshochschule ist eine Hochschule, weil sie zu geistiger Selbständigkeit erziehen will. Als Hochschule kann sie sich nur an eine A u s l e s e wenden. Sie ist V o l k s - h o c h s c h u l e , weil diese Auslese aus allen Schichten des Volkes erfolgen muß. Ihre Methode ist gekennzeichnet durch die A r b e i t s g e m e i n s c h a f t , in welcher sich nicht geistig Gebende und geistig Nehmende gegenüberstehen, sondern unter Führung wissenschaftlicher Fachmänner wirklich gemeinsam gearbeitet wird. Neben der Volkshochschule, welche auf dem Prinzip einer Selbstauslese eines verhältnismäßig kleinen, nach V e r t i e f u n g seiner Bildung strebenden Volksteiles aufgebaut ist, soll die mehr extensiv arbeitende Bildungsarbeit durchaus erhalten werden. Aber auch diese muß sich ihrer bisherigen Form entledigen, um der Gefahr, Halbgebildete zu züchten, sicherer zu entgehen. Der Vorschlag v. Erdbergs, den er gelegentlich dieser Tagung erstmalig aussprach, ist, das Vortragswesen in organischem Zusammenhang mit den Volksbibliotheken neu aufzubauen. W o eine Bücherei zweckentsprechend arbeitet, verfügt sie nicht nur über eine genaue Kenntnis der Bedürfnisse ihrer Leser, sie hat auch die Möglichkeit, ihre Leser nach ihren Interessen für verschiedene Wissensgebiete und nach dem Grade ihrer Aufnahmefähigkeit zu gliedern und zu Gruppen zusammenzufassen. So können die vielen, die für die Volkshochschule die Berufung noch nicht haben, denen es zunächst vielmehr darauf ankommt, aus beruflichen und wissenschaftlichen Gründen ihre K e n n t n i s s e zu erweitern, befriedigt werden. So können die wilden Vortragsunternehmungen und ihre planlose Benutzung eingedämmt werden. Eine direkte Beeinflussung von Massen ist nur dort erlaubt und sinngemäß, wo es sich um solche Kulturwerte handelt, bei denen es in erster Linie auf eine gefühlsmäßige Erfassung ankommt oder deren Wirkung durch Einstellung auf die Massenseele vertieft werden kann (dramatische Kunst, Musik, Kino). Hier bleiben auch die Aufgaben der Volksaufklärung, der Lebensreform, der Bekämpfung der Schundliteratur usw. bestehen. . . . Der dritte Berichterstatter, Georg Engelbert G r a f , lehnte seine grundsätzlichen Ausführungen an die Praxis der sozialistischen Heimvolkshochschule in Schloß Tinz bei Gera, deren Leiter er ist, an. Die heutigen Volksbildungseinrichtungen sind, vom sozialistischen Standpunkt aus gesehen, nur Palliativmittel oder Notbehelfe, entweder nämlich Stütztpfeiler eines baufälligen oder Rüstbalken eines künftigen menschlichen Kulturgebäudes. Denn das sozialistische Bildungsideal ist ein umfassendes Gesamtbildungswesen, das den Menschen von seiner Kindheit bis zur Erwachsenheit organisch eingliedert und jeden, der will und kann, ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Stellung im Gesellschaftsleben, an allen Werten der Kultur teilnehmen läßt. Diese Möglichkeit würde erst eine durchgeführte sozialistische Gesellschaftsordnung bieten. Von besonderem Interesse waren die Ausführungen des Redners über Ziel und Art der sozialistischen Heimvolksschule, die Schüler und Lehrer auf längere Zeit zu einer geschlossenen Lebens-, Arbeits- und Kulturgemeinschaft vereinigt. Ihrem ganzen Charakter nach und wegen ihrer ethischen Einstellung und Wirkung kann sie nur auf 149

eine bestimmte, in sich geschlossene Weltanschauung gegründet sein. Das erfordert Unabhängigkeit von Staat und Gemeinde in finanzieller Fundierung und organisatorischer Verwaltung. Die Bereitstellung und Ausstattung zweckentsprechender Gebäude soll jedoch möglichst von Staat und Gemeinde übernommen werden. Was Ziel und Methode der Volksbildungsarbeit betrifft, so darf das Ziel weder in Richtung fachlicher Berufsausbildung noch in der Schaffung popularisierender Miniaturuniversitäten erblickt werden. Bewußte Synthese von Vergangenheitserfahrungen und Gegenwartserfordernissen soll eine neue Generation erziehen helfen, die von Kultur- und Menschheitsverantwortlichkeit erfüllt ist. Nicht „Aufstieg der Begabten", sondern Wachstum und Entfaltung von Persönlichkeit durch geistige Schulung ist das die Methode bestimmende Ziel der Volksbildungsarbeit. Neben der extensiven Methode der Wissenserweiterung auf ganz bestimmten Gebieten pflegt die Heimvolksschule in ganz besondererWeise die i n t e n s i v e M e t h o d e , in deren Mittelpunkt das Erleben einer Weltanschauung steht. Hier tritt an Stelle der zentrifugalen Tendenz in der Wahl und Anordnung des Stoffes die zentripetale. Im Gegensatz zu der bisher üblichen muß gefordert werden, daß Geschichte, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre und Naturwissenschaft im Mittelpunkt zu stehen haben. Es ist notwendig, über die verschiedenen Auffassungen innerhalb der umstrittenen Probleme möglichst objektiv zu berichten, damit ein selbständiges Urteilen ermöglicht wird . . . Die Besprechung bewegte sich im wesentlichen um folgende Fragen: Berechtigung des Namens „Volkshochschule"; Prinzip der Auslese oder Massenbeeinflussung; Wissensvermittlung oder Wesensbildung; öffentlicher, neutraler oder privater, politischer Charakter der Volkshochschule; staatliche Unterstützung. Die Berechtigung der Bezeichnung „Volkshochschule" wurde im allgemeinen anerkannt. N u r von einer Seite wurde verlangt, statt dessen „Volksfortbildung" zu sagen. Es wurde darauf hingewiesen, daß das Wort „Volkshochschule" bereits in die Verfassung aufgenommen sei und betont, daß der Begriff Volk nicht gleichbedeutend mit dem Begriff Arbeiter sei. Weitgehende Ubereinstimmung herrschte darüber, daß die Volkshochschule eine direkte Massenwirkung nicht zu erstreben habe, sondern sich an irgendeine Auslese wende. N u r ein Redner setzte sich für Beeinflussung der M a s s e ein, welche mit Fanatismus nach Bildung verlange. Halbbildung sei immer noch besser als gar keine Bildung. Es gelte, gleichsam Bildungsbakterien unter die Masse zu streuen. Dieser Standpunkt wurde von anderer Seite als das Verhängnis der früheren freien Volksbildungsarbeit bezeichnet. Man dürfe nicht noch einmal in den Irrtum dieser früheren Epoche verfallen, daß man Mißstände des Arbeiterlebens durch Massenbildungsbetrieb beheben könne. Vielmehr gelte es jetzt, die wenigen einzelnen, die Vorläufer der „großen Wandlung" herauszufinden. Es sei die wahre Schicksalsfrage der Volksbildung, ob man den Mut habe, diese Grenzen der Volksbildung zu sehen. Drei bis fünf vom Hundert der Bevölkerung sind das „Volk im V o l k e " , an das die Volksbildungsarbeit sich wendet. In der Frage, wie sich die Volksbildung zur Weltanschauungsfrage zu stellen habe, herrschte weitgehendste Übereinstimmung darüber, daß in der Tat bloße Wissensvermittlung nicht das Ziel sein könne. Die Vermittlung von Kenntnissen ist zwar unumgänglich, aber nur als Mittel zu höherem Zweck: zu selbständiger Gewinnung einer begründeten, durchgeführten Welt- und Lebensauffassung. Freilich fehlte es nicht an Warnern vor einer Ubertreibung des Antiintellektualismus und einer einseitigen Betonung des emotionalen Faktors. Der Volksbildner darf nicht in einseitigerWeise zum charakterbildenden „Seelsorger" werden. Dieses Moment kann in geschlossenen Anstalten mehr in den Vordergrund treten, die Lebens- und Gesinnungsgemeinschaften darstellen; beherrschend muß aber auch hier der Gesichtspunkt sein, daß es sich um Aneignung wissenschaftlicher Einsichten, nicht um Gemütsbildung handelt. Die Vertreter solcher Volkshochschulen, die in erster Linie einen einheitlichen (konfessionellen, völkischen, sozialistischen) Gesinnungscharakter jeder Volkshochschule forderten, standen hier denjenigen gegenüber, welche zwar für den einzelnen Lehrer und Hörer die Vertretung und Gewinnung eines bestimmten Standpunktes forderten, der Volkshochschule als solcher aber eine paritätische Grundlage zuwiesen. Weitgehende Berücksichtigung auch

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des sozialistischen Standpunktes w u r d e als Mittel, die noch vielfach beiseite stehende Arbeiterschaft zu gewinnen, empfohlen . . . Die L e i t s ä t z e , welche von H o f m a n n - L e i p z i g , W i l h e l m - E ß l i n g e n und G e r b e r - H a m b u r g als K o m m i s s i o n ausgearbeitet und nach eingehender Besprechung angenommen wurden, enthalten folgende G r u n d g e d a n k e n . Das letzte Z i e l d e r V o l k s b i l d u n g s a r b e i t l i e g t darin, die Vorbereitung f ü r das Entstehen einer wirklichen Volksgemeinschaft zu sein. So weit die Pflege des Verstandeslebens in Betracht k o m m t , kann es sich nicht bloß um Weitergabe von Kenntnissen handeln, sondern in erster Linie d a r u m , eine Hilfe zur geistigen Selbständigkeit darzureichen. Die Volksbildungsarbeit setzt die Verschiedenartigkeit der Strömungen innerhalb der geistigen Grundanschauungen im deutschen Volke als eine Tatsache voraus und geht von ihr aus. Sie glaubt, daß durch Einsicht in das Wesen und die Entstehung dieser Verschiedenartigkeit aus dem N e b e n - und Gegeneinander ein gegenseitiges Verständnis erwächst, dessen Frucht das W e r d e n einer starken geistigen Einheit in unserem Volke sein kann. Die Aufgabe kann n u r gelöst werden durch intensive und individualisierende Bildungsarbeit, und eine entsprechende Methode. Die V o l k s h o c h s c h u l e ist einmal die Stätte, w o die aktivsten Menschen aus allen Kreisen und Schichten in engster Arbeitsgemeinschaft mit geistig geschulten Menschen treten, u m an der Vertiefung und D u r c h b i l d u n g ihres eigenen Wesens, ihrer eigenen Welt- und Lebensanschauung zu arbeiten, und u m schließlich, als letztes Ziel, zur Gestaltung des neuen Kulturgehaltes der Z u k u n f t zu gelangen. Eine zweite F o r m der Volkshochschule steht auf dem Boden einer bestimmten Gesinnungsgemeinschaft; sie wird in der Regel den Charakter der Heimvolkshochschule tragen. D e r V o l k s b ü c h e r e i wird insbesondere die Aufgabe zugewiesen, als vom Wertbewußtsein erfüllte Mittelstelle zwischen Schrifttum und Gesellschaft zu wirken, um auf diese Weise der Anarchie auf dem Gebiete des Schrifttums entgegenzutreten. Die Arbeit der Bücherei wird unterstützt durch ein intensives Vortragswesen, das geistige Hilfen z u r fruchtbaren Benutzung des Büchermaterials bringt und das eine Brücke zur Volkshochschule im inneren und höchsten Sinne bildet. D e n M a s s e n v e r a n s t a l t u n g e n werden diejenigen Bildungsgüter zugewiesen, deren höchste W i r k u n g durch gemeinsames Erleben zeitlich und räumlich geeinter Menschen erreicht wird. D a z u gehören: Volkskonzerte, Volksbühnen, kinematographische V o r f ü h r u n g e n und Volksfeste, sowie auch solche Vorträge, die durch Einwirkung auf Phantasie u n d G e m ü t zu wirken suchen. S t a a t u n d G e m e i n d e sollen die Volksbildungsarbeit mit finanziellen und sonstigen Mitteln (Hergabe von Schulräumen und ähnlichem) unterstützen, o h n e Einfluß auf den Geist der Arbeit zu beanspruchen. D u r c h den Vorsitzenden D r . S t r e c k e r - D a r m s t a d t w u r d e n die Leitsätze des Ausschusses dem Plenum vorgetragen.

L e i t s ä t z e des A u s s c h u s s e s 4 über Volkshochschule und freies Volksbildungswesen. 1. Die Volksbildungsarbeit der Gegenwart hat durch die seelische, geistige und sittliche N o t unseres Volkes besondere Bedeutung gewonnen. Das Bewußtsein dieser Bedeutung verträgt sich durchaus mit der Einsicht in die G r e n z e n , die dieser Arbeit heute, auch aus inneren G r ü n d e n , gesetzt sind. 2. Das letzte Ziel der Volksbildungsarbeit liegt darin, die Vorbereitung f ü r das Entstehen einer wirklichen Volksgemeinschaft zu sein. Soweit die Pflege des Verstandeslebens in Betracht k o m m t , kann es sich nicht bloß u m Weitergabe von Kenntnissen handeln, sondern in erster Linie d a r u m , eine Hilfe z u r geistigen Selbständigkeit darzureichen. 3. Die Volksbildungsarbeit setzt die Verschiedenartigkeit der Strömungen innerhalb der geistigen Grundanschauungen im deutschen Volke als eine Tatsache voraus und geht von ihr aus. Sie glaubt,

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daß durch Einsicht in das Wesen und die Entstehung dieser Verschiedenartigkeit aus dem Nebenund Gegeneinander ein gegenseitiges Verständnis erwächst, dessen Frucht das Werden einer starken geistigen Einheit in unserem Volke sein kann. 4. Die Aufgabe kann nur gelöst werden durch intensive und individualisierende Bildungsarbeit. Es liegt in deren Wesen, daß sie von den sozialpsychologischen Gegebenheiten des Volkslebens der einzelnen Volksreise und -schichten ausgeht. Es ist unmöglich, eine solche Arbeit mit Mitteln zu leisten, die selber aus dem Kulturverfall hervorgehen. 5. Zum Volksbildner ist nur geeignet, wer selber ein tiefes Verhältnis zu den Bildungsgütern besitzt, in innerer Beziehung zum Volkstum steht und die Fähigkeit der Einfühlung in den Einzelmenschen hat. Außerdem ist die Gewinnung einer durch die Eigenart der Aufgabe geforderten Methode und Technik notwendig. Alle diese Erfordernisse sind nicht von vornherein mit der Zugehörigkeit zu einem der vorhandenen Lehrer- und Erzieherberufe gegeben. 6. Bei der Durchführung einer solchen Volksbildungsarbeit gliedert sich das Volksbildungswesen in Volkshochschule, Volksbüchereien mit Vortragswesen, Massenveranstaltungen und engeren oder weiteren Gemeinschaften mit volkserzieherischem Charakter. 7. Die Volkshochschule ist einmal die Stätte, wo die aktivsten Menschen aus allen Kreisen und Schichten in engste Arbeitsgemeinschaft mit geistig geschulten Menschen treten, um an der Vertiefung und Durchbildung ihres eigenen Wesens, ihrer eigenen Welt- und Lebensanschauung zu arbeiten, und um schließlich, als letztes Ziel, zur Gestaltung des neuen Kulturgehaltes der Zukunft zu gelangen. Eine zweite Form der Volkshochschule steht auf dem Boden einer bestimmten Gesinnungsgemeinschaft; sie wird in der Regel den Charakter der Heim Volkshochschule tragen. 8. Die Volksbücherei hat allen denjenigen zu dienen, die durch das gedruckte Wort die Förderung suchen, die ihnen die Volksbildungsarbeit geben soll. Insonderheit hat sie die Aufgabe, als vom Wertbewußtsein erfüllte Mittelstelle zwischen Schrifttum und Gesellschaft zu wirken, um auf diese Weise der Anarchie auf dem Gebiete des Schrifttums entgegenzutreten. Die Arbeit der Bücherei wird unterstützt durch ein intensives Vortragswesen, das geistige Hilfen zur fruchtbaren Benutzung des Büchermaterials bringt und das eine Brücke zur Volkshochschule im engeren und höchsten Sinne bildet. Dieses Vortragswesen - welches die volkstümliche Bücherei um ihrer selbst willen braucht - , wird zweckmäßigerweise entweder von der Büherei selbst entwickelt, oder in engste organisatorische und personale Verbindung mit ihr gebracht. 9. In den Massenveranstaltungen sollen d i e Bildungsgüter ermittelt werden, deren höchste Wirkung durch gemeinsames Erleben zeitlich und räumlich geeinter Menschen erreicht wird. Dazu gehören: Volkskonzerte, Volksbühnen, kinematographische Vorführungen und Volksfeste, sowie auch solche Vorträge, die durch Einwirkung auf Phantasie und Gemüt zu wirken suchen. 10. Bei den engeren und weiteren Gemeinschaften mit erzieherischem Charakter handelt es sich um eine Erziehungsarbeit in der Richtung auf bestimmt geschaute Zwecke. Sie bilden darum Gesinnungsgemeinschaften. 11. Staat und Gemeinde sollen die Volksbildungsarbeit mit finanziellen und sonstigen Mitteln (Hergabe von Schulräumen und ähnlichem) unterstützen, ohne Einfluß auf den Geist der Arbeit zu beanspruchen.

152

c. Bildungsgesamtplan

der Bund-Länder-Kommission

für

Bildungsplanung

Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung ist auf der Grundlage der Ergänzung des Grundgesetzes in Art. 91 ins Leben gerufen worden. Sie hat die Vorschläge der Bildungskommission des Bildungsrates - hier insonderheit den Strukturplan (1970) - in eine Form gebracht, die den bildungspolitischen Entscheidungsprozeß befördern konnte. Der Bildungsplan hat aus Gründen finanzieller Restriktionen auch wegen der in Sondervoten vorgebrachten Einwände gegenüber einzelnen Empfehlungen bislang keine bundeseinheitliche Durchsetzung erlangt. Es zeigt sich indes, daß die seither entwickelten landesgesetzlichen Maßnahmen zur Weiterbildung weitgehend an den Vorschlägen des Bildungsgesamtplanes orientiert sind. Wir kürzen den Abschnitt „Weiterbildung" vor allem dort, wo der vorgegebene „Zeitplan" durch die seitherige Entwicklung bereits überholt ist.

Weiterbildung* Ausbau und Organisation eines Weiterbildungssystems Ziele: Förderung

des A u f -

und A u s b a u s eines W e i t e r b i l d u n g s s y s t e m s

zu einem H a u p t b e r e i c h

des

Bildungswesens als öffentliche A u f g a b e , auch w e n n der einzelne für seine persönliche W e i t e r b i l d u n g selbst die Initiative erbringen m u ß . B u n d , L ä n d e r und G e m e i n d e n sorgen i m R a h m e n

ihrer

Zuständigkeit für ein ausreichendes, den m o d e r n e n E r k e n n t n i s s e n entsprechendes A n g e b o t an B i l d u n g s m a ß n a h m e n . D i e n i c h t - ö f f e n t l i c h e n (freien) T r ä g e r werden bei entsprechender Leistung gleichberechtigt an allen M a ß n a h m e n und E i n r i c h t u n g e n s o w i e an der öffentlichen F ö r d e r u n g beteiligt. Schaffung eines breit gefächerten Bildungsangebotes in der W e i t e r b i l d u n g . D i e zahlreichen Initiativen und Aktivitäten der verschiedenen Bildungsträger k o m m e n dieser F o r d e r u n g entgegen. E s m u ß j e d o c h durch eine institutionalisierte Z u s a m m e n a r b e i t ein M i n d e s t m a ß an S y s t e m a t i k und Ü b e r s i c h t l i c h k e i t sichergestellt sein. D i e B e r e i c h e der beruflichen, allgemeinen und politischen Bildung sind im Z u s a m m e n h a n g zu sehen. E i n e derartige K o n z e p t i o n steht nicht im W i d e r s p r u c h z u r pluralistischen S t r u k t u r der T r ä g e r politischer Bildung.

Maßnahmen: (1) A u f b a u , A u s b a u und F ö r d e r u n g eines leistungsfähigen W e i t e r b i l d u n g s s y s t e m s müssen von dem bereits Bestehenden ausgehen und unter öffentlicher V e r a n t w o r t u n g das A n g e b o t an B i l d u n g s m a ß n a h m e n erweitern. D a s gilt b e s o n d e r s , wenn im R a h m e n der E i n f ü h r u n g des Bildungsurlaubs eine verstärkte N a c h f r a g e nach Weiterbildungsveranstaltungen auftritt. ( 2 ) ö r t l i c h e K o o r d i n a t i o n der W e i t e r b i l d u n g , gegebenenfalls auf der G r u n d l a g e einer gesetzlichen R e g e l u n g unter W a h r u n g der R e c h t e der k o m m u n a l e n Selbstverwaltung. D i e k o m m u n a l e Selbstverwaltung ergreift Initiativen zur Z u s a m m e n a r b e i t und zur A b s t i m m u n g , soweit nicht anderslautende Landesregelungen bestehen.

* Aus: Bildungsgesamtplan, Bd. I, Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung. Stuttgart 1973, S. 59 ff.

153

Es sollen lokal-regionale Kooperationsgremien gebildet werden, in denen alle Stellen, die Weiterbildung betreiben (auch Hochschulen, Fachschulen, Einrichtungen des derzeitigen Zweiten Bildungsweges, Betriebe, Umschulungszentren, Bibliotheken, Bildstellen und Arbeitsämter), zusammenarbeiten, um die Programme gegenseitig abzustimmen. Etwa halbjährlich sollen Weiterbildungsverzeichnisse auf lokal-regionaler Ebene in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Kooperationsgremien erstellt werden. Bund, Länder und Gemeinden sollen ihre Zuwendungen an Weiterbildungsorganisationen und -einrichtungen von deren Mitarbeit in lokal-regionalen Kooperationsgremien abhängig machen. (3) Errichtung von „Kontaktstellen für wissenschaftliche Weiterbildung" in Gesamthochschulen oder Hochschulregionen. Sie vermitteln Teilnehmer, Lehrkräfte und Räume. Ihre Aktivität erstreckt sich insbesondere auf - Zusammenarbeit mit den übrigen Einrichtungen der Weiterbildung zur Deckung der allgemeinen Nachfrage nach wissenschaftlicher Weiterbildung - Veranstaltungen außerhalb der Hochschulen für Hochschulabsolventen in einem Spezialfach: dargeboten z . B . durch Berufsverbände in Verbindung mit entsprechenden Facheinrichtungen (Krankenhäusern, Forschungseinrichtungen, Modellschulen usw.) - systematisch und auf gewisse Dauer angelegte Studien innerhalb der Hochschulen für Hochschulabsolventen (Kontaktstudiengänge). (4) Bildung von Koordinationsgremien der Weiterbildungsorganisationen von überregionaler Bedeutung auf Landesebene. (5) Abstimmung der Kriterien zur Fernunterrichtskontrolle zwischen den auf Bundesebene bestehenden öffentlichen Einrichtungen. (6) Errichtung einer zentralen Einrichtung zur Förderung und Dokumentation der Curriculumforschung und -entwicklung im Bereich der Weiterbildung, soweit nicht das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung zuständig ist. (7) Einsetzung einer ständigen Kommission (Arbeitsgruppe) für institutionelle Bildungsförderung. Ihr sollen Vertreter des Bundes, der Länder, der Bundesanstalt für Arbeit und der Kommunalen Spitzenverbände angehören. Die Kommission soll sich mit folgenden Fragen befassen: - Koordinierung der öffentlichen Finanzierung von Einrichtungen der Weiterbildung - Erarbeitung von einheitlichen Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Mittel . . . Curricula für die Weiterbildung

Ziele: Einführung erwachsenenspezifischer Curricula im Bereich der Weiterbildung.

Maßnahmen: (1) Entwicklung von Curricula, die zur Verwendung in einem „Baukastensystem" geeignet sind. Die einzelnen Kurse sollten aufeinander bezogen und miteinander kombinierbar sein. Das gilt insbesondere für diejenigen Bereiche der Weiterbildung, in denen formale Abschlüsse erreicht werden sollen, wie ζ. B. beim Nachholen von Abschlüssen der beiden Sekundarbereiche oder beim Erwerb von beruflichen Qualifikationen. Dieses System eignet sich auch für Angebote im Rahmen des Bildungsurlaubs. (2) Angebot gleichwertiger Baukasteneinheiten für Vollzeit- und Teilzeitunterricht einschließlich des Medienunterrichts. Die Austauschbarkeit der Lerneinheiten soll durch Mindeststandards und Anerkennungsverfahren gesichert werden. Die gegenseitige Anerkennung der Abschlußzertifikate durch die verschiedenen Träger einschließlich der öffentlichen Weiterbildungsstätten (ζ. B. Abendgymnasien, Fachschulen) ist zu gewährleisten.

154

Das Baukastensystem soll die Bündelung von nacheinander oder gleichzeitig zu erwerbenden Teilqualifikationen (Zertifikaten) zu einer Gesamtqualifikation ermöglichen. Durch Intensivierung des Beratungswesens soll das Baukastensystem für den einzelnen überschaubar gemacht werden. Die Einführung eines Bildungspasses soll geprüft werden. (3) Zusammenarbeit der zu gründenden Zentralen Einrichtung, des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Zentralstelle für Curriculumforschung und -entwicklung bei der Entwicklung der Curricula für die Weiterbildung. Weiterbildungspersonal

Ziele: Verstärkung und bessere Ausbildung des Weiterbildungspersonals.

Maßnahmen: (1) Feststellung von Bestand und Bedarf an Lehrkräften, Verwaltungs- und technischem Personal sowie der auf die öffentliche Hand entfallenden Personalkosten. (2) Abstimmung von Bund, Ländern und Gemeinden über Vorbildung, Ausbildung, Qualifikation und Einstufung des Weiterbildungspersonals. (3) Als Qualifikation für hauptberufliche Lehrkräfte soll mit Ausnahme der Hochschullehrer von folgenden Voraussetzungen ausgegangen werden: - Sekundarabschluß II, abgeschlossene Hochschulbildung, Berufserfahrung und - sofern nicht vorhanden - Zusatzstudium in Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung oder - Sekundarabschluß II, abgeschlossene Berufsausbildung und mehrjährige Berufserfahrung und Zusatzausbildung in Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung - Soweit bewährte Berufspraktiker als Lehrkräfte benötigt werden, sollen eine abgeschlossene Berufsausbildung und ausreichende pädagogische Kenntnisse und Erfahrungen vorausgesetzt werden. (4) Für nebenberufliche Lehrkräfte ist eine pädagogische Zusatzqualifikation anzustreben. (5) Einrichtung von Ausbildungsgängen zum Erreichen der Qualifikationen sowohl für haupt- als auch für nebenberufliche Lehrkräfte . . .

155

4.

LERNPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE

Pädagogisch-systematische und bildungspolitische D i m e n s i o n i e r u n g der W e i t e r b i l d u n g b e r u h e n , was die p r a k t i s c h e G ü l t i g k e i t des solchermaßen strukturierten Ansatzes angeht, auf der .stillschweigenden' Prämisse, daß es E r w a c h s e n e n l e r n e n überhaupt gibt. E r s t die B e z u g n a h m e auf das N e u - und Weiterlernen des M e n s c h e n

als Teil seiner anthropogenen Verfaßtheit b z w . als N o r m a l f o r m

e r w a c h s e n e n g e m ä ß e r Lebensvollzüge läßt erziehungswissenschaftliches N a c h d e n k e n und - f o r s c h e n ü b e r den B e r e i c h des K i n d e s - und Jugendalters hinaus sinnvoll erscheinen. G l e i c h e s gilt f ü r die politischen E n t w ü r f e nachschulischer Bildungsfürsorge, die nicht m e h r wären als irrelevante, inhaltsleere Planspiele, träte nicht neben die B e r u f u n g auf die gesellschaftliche N o t w e n d i g k e i t des Gewollten

vor

allem

auch

die

Uberzeugung,

daß

sich

im

menschlichen

Aggregatzustand

, E r w a c h s e n s e i n ' organisiertes Lernen durchaus hervorbringen läßt. H i e r b e i ist zunächst u n e r h e b lich, o b die Lernfähigkeit b z w . Plastizität des E r w a c h s e n e n als a priori gegeben vorausgesetzt o d e r empirisch ermittelt wird. In der T a t kennt die G e s c h i c h t e unzählige Beispiele und F o r m e n von geplanten E i n g r i f f e n in den G e d a n k e n - und G e m ü t s h a u s h a l t des E r w a c h s e n e n , w o b e i Ü b e r l e g u n g e n hinsichtlich der Angemessenheit und E f f i z i e n z solcher L e n k u n g s v e r s u c h e nicht oder d o c h nur unwesentlich ins Kalkül gezogen wurden. B e s o n d e r s darf dies für jene M a ß n a h m e n ,präventiv' ausgerichteter V o l k s b i l d u n g gelten, die im Zeitalter rigoroser Industrialisierung und V e r m a r k t u n g des P r o d u k t i o n s f a k t o r

,Mensch'

zunächst im Sinne einer religiös-restaurativen,

später

einer

pragmatisch-technizistischen Erziehungsstrategie der herrschenden politischen K r ä f t e entsprangen. I n s o f e r n die Ziele dieser A r t von . W e i t e r b i l d u n g ' primär politisch waren, genügte der N a c h w e i s entsprechender politischer V e r h a l t e n s f o r m e n auf Seiten des betroffenen E r w a c h s e n e n k l i e n t e l s , u m deren . L e r n f ä h i g k e i t ' im nachhinein unterstellen zu k ö n n e n . M i t dem allmählichen D u r c h s e t z e n nominell entpolitisierter Lernstrategien und B i l d u n g s m o d e l le - die „ G e s e l l s c h a f t für V e r b r e i t u n g v o n V o l k s b i l d u n g " s o w i e die Universitätsausdehnung wären hier z u nennen - wurde es zusehends schwieriger, das A u s m a ß der , B i l d s a m k e i t ' des E r w a c h s e n e n m i t H i l f e v o n außerpädagogischen K r i t e r i e n a b z u s c h ä t z e n , da das beabsichtigte

Endverhalten

weitgehend in den engen R a u m positivistischer K e n n t n i s v e r m e h r u n g projiziert wurde und keine o f f e n k u n d i g e n Beweise für die Sinnfälligkeit und W i r k u n g s w e i s e der pädagogischen M a ß n a h m e abwarf. W o sich aber die B e g r ü n d u n g s m o t i v e und I n t e n t i o n e n der E r w a c h s e n e n b i l d u n g , so k ö n n t e m a n thesenartig f o r m u l i e r e n , stärker p ä d a g o g i s c h ' verinnerlichten und die Zielperspektiven der pädagogischen A r b e i t im W e i t e r b i l d u n g s b e r e i c h sich auf ein t e c h n i s c h e s ' Interesse eingrenzten, Lernziele dem R a h m e n pragmatischer S a c h z w ä n g e verhaftet blieben, in diesen ,rein pädagogischen' Regelkreis angestrebter u n d z u r Ü b e r p r ü f u n g aufbereiteter K e n n t n i s s e , Fertigkeiten und V e r h a l tensweisen m u ß t e notgedrungen die Frage nach den typischen L e r n m u s t e r n des E r w a c h s e n e n stärker in den V o r d e r g r u n d treten. Anders g e w e n d e t : M i t dem auf rationale T r a n s p a r e n z gegründeten E f f i z i e n z a n s p r u c h m o d e r n e r didaktischer E n t w ü r f e potentierte sich zwangsläufig das Interesse an grundlegenden Fragen l e r n p s y c h o l o g i s c h e r A r t , insofern die K e n n t n i s kognitiver und e m o t i o n a l e r Bewegungsabläufe als M i t t e l rationeller Lerngestaltung und Leistungsoptimierung in den didaktischen Steuerungsablauf eingehen sollte. G l e i c h w o h l darf nicht übersehen w e r d e n , daß die d i d a k t i s c h - m e t h o d i s c h e Strukturierung d e r E r w a c h s e n e n b i l d u n g beileibe nicht der einzige Impuls blieb, die lernpsychologische Fragestellung in ihrer konstitutiven B e d e u t u n g für nachschulisches L e r n e n herauszustellen. Steigende Veralterungsraten des , n u t z b a r e n ' W i s s e n s , kürzere Berufsperspektiven als F o l g e t e c h n o l o g i s c h e r , wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Schwerpunktverlagerungen s o w i e die angesichts der wachsenden Zahl s c h w e r kalkulierbarer Variablen im nachschulischen B e w ä h r u n g s f e l d des d u r c h Schule allein i m m e r weniger lebenstauglich gemachten M e n s c h e n - die Fragwürdigkeit einseitiger statischer B i l d u n g s - u n d Lernvorstellungen wird allenthalben manifest. D a s im Postulat des l e b e n s l a n g e n L e r n e n s ' unterschwellig existierende Negativbild des s c h u l e n t w ö h n t e n E r w a c h s e n e n , der v o n ständigem , V e r ' - und , N i c h t - g e n u g - L e r n e n ' in seiner seelischen und materiellen Verfassung b e d r o h t ist, l e n k t die A u f m e r k s a m k e i t

der Bildungspolitiker und , A n d r a g o g e n ' auf die

Problematik

erwachsenengerechter L e r n a n g e b o t e , deren A n g e m e s s e n h e i t nicht zuletzt auf der Basis zuverlässiger

159

Erkenntnisse über die kognitive Leistungscharakteristik des erwachsenen Menschen beurteilt werden kann. Daß in der deutschen Erwachsenenbildung im hier angesprochenen Begründungskontext Begriffe wie,Bildsamkeit' und .Lernfähigkeit' eine Zeitlang nebeneinander auftauchten und - bei unterschiedlichem heuristischen Anspruch - i n ihrer Bedeutung für die konkrete Gestaltung der Bildungsangebote durchaus vergleichbare Funktionen erfüllten, bezeichnet einen ,typisch' deutschen Sachverhalt, dem auf wissenschaftstheoretischem und didaktischem Gebiet die Auseinandersetzung zwischen Vertretern der geisteswissenschaftlichen Pädagogik einerseits und den Befürwortern einer empirisch-analytischen Erziehungswissenschaft andererseits entspricht. Die hier vorgelegten Texte sollen, was die deutschen Beiträge angeht, u. a. diesem Umstand Rechnung tragen. Sprangers Aufsatz „Zur Psychologie der Bildsamkeit des Erwachsenen" zielt in seinem Kern nicht zuletzt auf die Unterscheidung von .bildendem Lernen' und wertneutraler Aneignung .bloßen Sachwissens', das „den Menschen nicht an der Wurzel (verändern kann)". Da für ihn die menschliche Eigenschaft ,Bildsamkeit' im Kern von den Leitnormen einer antimaterialistischen, ganzheitlichen Lebensauffassung geprägt und begrenzt wird, gestaltet sich die Lernfähigkeit des Erwachsenen weniger als eine Funktion psychotechnischer Flexibilität denn als ,Ergriffenheitszustand', als sittlicher Bildungswille und Erwecktwerden aus der „dumpfen Selbstverständlichkeit des Dahinlebens und Mitmachens". In der Tradition der Sprangerschen Darlegungen steht G. Böhmes „Psychologie der Erwachsenenbildung" von 1960. Bei ihm wird Bildsamkeit als „Fähigkeit zur Entwicklung geistigseelischer Anlagen" definiert, wobei ihr Ausmaß von der Stärke der .Anlagen' abhängig ist. Insofern die Intensität des Bildungswillens vom Entwicklungsstand der spezifischen charakterprägenden Anlagen determiniert wird, ergibt sich für Böhme, daß nur der zu echter Bildung befähigt sein kann, der im Sinne der vollen Entfaltung seiner Anlagen gewissermaßen bereits gebildet ist: Schwache Anlagen und geringer Bildungswille werden als Ausdruck einer allgemeinen Charakterlabilität verstanden und als negatives Selektionsmerkmal des ,nicht-bildsamen' Erwachsenen verabsolutiert. Ohne sich mit den tieferen Ursachen schwach entwickelter Bildungsmotivation näher zu beschäftigen, kann Böhme sein Verständnis von Erwachsenenbildung, Weiterlernen und Bildsamkeit in dem Satz umreißen: „Charakterbildung ist die unerläßliche Voraussetzung für eine allgemeine, umfassende Bildung". Einig sind sich Sprangerund Böhmein der Frage nach dem Stellenwert des Lernens im eigentlichen Sinne: Nicht die intellektuelle Bewältigung von Problemmustern, die auf Verstandesebene liegen, gelten als Ziel erwachsenengemäßen Bildungserwerbs, sondern die Erkenntnis .existentieller Wahrheiten', die mittels der Vernunft aus dem unstrukturierten Tatsachengewirr der Wirklichkeit herausgelöst und reflektiert werden. Während für Spranger und Böhme das menschliche Dispositionsmerkmal,Bildsamkeit' nur zu erklären war unter Bezugnahme auf einen anthropologisch-philosophischen Orientierungsrahmen sowie nach der Maßgabe, die funktionalen Charakteristika menschlicher Lernfähigkeit ausschließlich auf dem Boden einer geisteswissenschaftlich-humanistischen Bildungsauffassung zu interpretieren, setzt der Erkenntnisanspruch der empirisch-experimentellen Lernpsychologie gerade dort ein, wo die hermeneutisch ermittelten Befunde der geisteswissenschaftlichen Psychologie und Pädagogik vor methodisch bedingten Grenzen stehen: im Bereich der psychophysiologischen Bedingungsfelder und Strukturformen des menschlichen Lernvorgangs. Wie der Beitrag von Bayley verdeutlicht, kommt der neurophysiologischen Komponente der Lernproblematik eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Allgemein einsichtig erscheint der Hinweis auf die Entsprechung kognitiver und praktischer Lernvorgänge einerseits und physiologisch aufschlüsselbarer Bedingungs- und Steuerungsabläufe im menschlichen Gehirn andererseits.,Lernfähigkeit' erscheint solchermaßen definierund testbar anhand von experimentellen Forschungsdesigns, die ursächliche Beziehungen zwischen psychischer Disposition und veräußerlichten Reaktionsmustern nachzuweisen versuchen. Daß auf die dem Lernprozeß entsprechenden endogenen Reizvorgänge immer nur mittels der zur Oberfläche gelangenden Lernsymptome geschlossen werden kann, macht die zentrale methodische Problematik testpsychologischer Verfahren aus. Besonderes Augenmerk gerade der amerikanischen Lernpsychologie gilt in diesem Zusammenhang dem Versuch, neurophysiologische Parameter des Lernphäno-

160

mens unter Verwendung verschiedener .performance tests' zu ermitteln. Erwachsenenpädagogisch bedeutsam und für unseren Kontext interessant ist die Frage nach dem Stellenwert dieser Parameter im Rahmen einer umfassenden Theorie nachschulischen Lernens. Kaum mehr umstritten ist d e r - u. a. von Löwe aufgenommene - Hinweis, wonach Lernen „ein universeller menschlicher Akt" sei und mit einseitigen anthropologischen, physiologischen oder pädagogischen Begriffsbestimmungen nicht adäquat erfaßt werden könne (Löwe, 1972). Diesen Umstand stellen auch Pressey und Kuhlen sowie Bayley in Rechnung, wenn sie darauf hinweisen, daß die zur Diagnose altersbedinger kongnitiver Leistungsvarianzen herangezogenen comprehension- und performance tests zunächst nur ein Lehrfähigkeitskriterium unter vielen isolieren können. So kann in Ubereinstimmung mit anderen Testergebnissen über die Kurzspeicherkapazität verschiedener Altersgruppen ein signifikantes Nachlassen dieser Fähigkeit mit zunehmendem Alter konstatiert werden, wobei bezüglich einer Beurteilung dieses Faktors im Blick auf die generelle Lernleistungscharakteristik des Erwachsenen man jedoch nur auf einschränkende hypothetische Formulierungen angewiesen ist. Überhaupt ist zu beobachten, daß die funktionalen Komponenten der Lernfähigkeit in Abhängigkeit von biologischen Degenerationsprozessen von der einschlägigen Literatur nur mit größter Zurückhaltung im Sinne einer autonomen Bedingungsgröße veranschlagt werden. Der in der Untersuchung von Nancy Bayley angesprochene Zusammenhang von Intelligenz, Alter und Lernfähigkeit ist hier besonders aufschlußreich. Ohne auf die im Ganzen problematische Gewichtung der im Intelligenzbegriff verkörperten genetischen und sozialen Dimensionen eingehen zu können, unterstreicht die amerikanische Psychologin die Resultate ähnlicher Längsschnittuntersuchungen, wonach den geringen negativen Abweichungen des instrumenteilen Faktors .Intelligenz' - hier definiert im Sinne der »Wechseler Adult Intelligence Scale" - Normierungen - als Lerndeterminant weit geringere Bedeutung beizumessen sei als anderen Faktoren. Dies kann umsomehr gelten, als der Erwachsene partielle Leistungseinbußen - etwa die Fähigkeit, schnelle Informationsimpulse zu verarbeiten - durch altersspezifische Lernvorteile (siehe auch den Beitrag von Eisdorfer) im Bereich der Informationsnutzung wettmachen kann. Die verstärkte Berücksichtigung .anderer', d. h. nicht alters- bzw. phasenbedingter Lerndeterminanten im Rahmen der wissenschaftlichen Erhellung des nachschulischen Lernsyndroms trägt der allgemeinen Beobachtung Rechnung, daß sowohl im Blick auf das allgemeine Lernengagement Erwachsener als auch angesichts der bedeutenden wissenschaftlich-kreativen Leistungen von Angehörigen höherer Altersgruppen eine Adoleszens-Maximum-Hypothese nicht vertreten werden kann, nach der etwa ab Beginn des 5. Lebensjahrzehnts ein merklicher Verfall der Lernfähigkeit festzustellen sei. In seinem 1928 veröffentlichten, zum großen Teil auf empirischen Erhebungen basierenden Werk „Adult Learning", von dem wir hier einen Auszug abdrucken, hat Thomdike bereits mit Nachdruck darauf hingewiesen,, ,(that) age, in itself, is a minor factor in either success or failure". Die von ihm als .essentials' bezeichneten Faktoren .capacity', .interest', .energy' und ,time' werden heute in der lernpsychologischen Diskussion nahezu einstimmig als primär exogen bedingte Variablen aufgefaßt: Lernmotivation, -initiative und -erfolg erhalten damit eine soziale Dimension, die stichhaltige Aussagen über die lernrelevante psychische Leistungsfähigkeit des Erwachsenen nur zulässig erscheinen läßt, wenn der Lembegriff in den Kausalitäts- und Interaktionszusammenhang der gesellschaftlichen Realität gestellt wird. Notwendigerweise erhalten damit Faktoren wie schulische Bildung, berufliches Tätigkeitsniveau, allgemein-individuelle .Lebenserfahrung' in ihrer Abhängigkeit von schichtenspezifischen Sozialisationsmerkmalen eine bis dato kaum wahrgenommene Bedeutung, die die bildungspolitischen Denkmodelle schulischer und nachschulischer Bildung zu einer grundlegenden Uberprüfung ihrer psychologischen und pädagogischen Prämissen zwingt. Lowes „Einführung in die Lernpsychologie des Erwachsenenalters" gebührt das Verdienst, den hier umrissenen Sachverhalt für den deutschsprachigen Raum erstmalig systematisch dargelegt zu haben. Wir haben aus diesem Grund dessen Kapitel „Zusammenfassung und Schlußfolgerungen" hier aufgenommen. Welche eminente Rolle die weitestgehend von sozialpsychologischen Faktoren beeinflußte Motivationslage des Erwachsenen in bezug auf Lernengagement und -leistung spielt, ist 161

zu einem zentralen Thema der lernpsychologisch orientierten Erwachsenenbildungsforschung geworden. Ein letzter Hinweis soll an dieser Stelle den bildungsorganisatorischen Konsequenzen gelten, die unsere - durchaus lückenhaften - Erkenntnisse über das Erwachsenenlernen aufwerfen. Thorndike hat auch in diesem Zusammenhang Wichtiges geleistet: Ausgehend von der Deweyschen Grundformel pragmatischer Pädagogik: „First the need, then the knowledge or technique to satisfy the need", plädiert er für eine Verteilung der Qualifikationsphasen im Sinne schulisch organisierter Lernepisoden über das gesamte Lebensalter hinweg, und zwar nicht durch schematischen Wechsel von Schul- und Arbeitsperioden, sondern in Form von spontan eingefügten Lernabschnitten, wenn akute Informations- und Erkenntnisbedürfnisse einen solchen Bildungs.urlaub' notwendig machen. Die Konsequenz der Thorndikeschen Argumentation liegt einmal in einer Verkürzung der schulischen Ausstattungsphase, insofern die zu vermittelnden Lernziele und Inhalte den Kontext des aktuellen Anwendungshorizontes nicht überschreiten und damit auf langfristig angelegte, mit dem Risiko prognostischer Fehleinschätzung behaftete Qualifikationen verzichtet werden kann. Zum anderen berührt Thorndike mit seinen Überlegungen die Problematik .rollengerechter' Lernsysteme für Erwachsene, die im Spannungsfeld zwischen Schule, Arbeit, Freizeit und .higher life' (Thorndike) nicht nur den mannigfachen, kaum je in .Reinkultur' auftretenden Erwartungen und Effizienzvorstellungen ihres Klienteis gerecht werden, sondern die darüber hinaus dessen objektive Bedürfnislage als oberstes didaktisches Regulativ in ihr programmatisch-methodisches Konzept eingehen lassen müssen. Vor dem Hintergrund der lernpsychologischen Kenntnislage allgemein sowie der sich daraus ergebenden Forderungen nach einer wissenschaftlich aufbereiteten Weiterbildungssystematik gewinnt die didaktische Erforschung nachschulischer Lernmöglichkeiten und -erfordernisse neuen Zuspruch. Diesem Aspekt widmet sich das abschließende Kapitel fünf.

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Ε. L. Thorndike Adult Learning* In general, nobody under forty-five should restrain himself from trying to learn anything because of a belief or fear that he is too old to be able to learn it. N o r should he use that fear as an excuse for not learning anything which he ought to learn. If he fails in learning it, inability due directly to age will very rarely, if ever, be the reason. The reason will commonly be one or more of these: H e lacks and always has lacked the capacity to learn that particular thing. His desire to learn it is not strong enough to cause him to give proper attention to it. The ways and means which he adopts are inadequate, and would have been so at any age, to teach him that thing. H e has habits or ideas or other tendencies which interfere with the new acquisition, and which he is unable or unwilling to alter. In the last case mere age may have some influence. A person's gait, posture, speech, and the like are acquired very early in life. They condition later acquisitions, and they may to some extent impose inescapable limitations. In general, teachers of adults of age 25 to 45 should expect them to learn at nearly the same rate and in nearly the same manner as they would have learned the same thing at fifteen to twenty. What that rate and manner will be depends upon the general intelligence and special capacities of the individual. Men and women of the dull half of the population will not at any age learn after the fashion of high-school pupils, who are, almost without exception, from the bright half. Individuals in this country who leave school to go to work at fourteen are in general much duller than those of the same community who leave at later ages. Those of them who return to study later in evening schools or correspondence schools are probably much brighter than those who do not so return, but their exact status is uncertain. Adult immigrants who add to the burdens of life in a strange land the work of studying in night schools are probably much above the average for adult immigrants as a whole from the race in question. The adult workers awarded scholarships for study at Bryn Mawr and similar summer schools are probably all in the top tenth of their group for intellectual ability and aspirations. If an adult class were to be divided into two sections, one expected to make rapid progress and the other expected to make slow progress, age would be practically worthless as a basis for the division. Amount of schooling, in the sense of grade reached, would be enormously better. School grade reached, plus a measure of the shortness of the time to attain that grade, plus some reasonable intelligence test, would be bener still. The provision of opportunities whereby adults can learn those things which they are able to learn and which it is for the common good that they should learn is a safe philanthropy and a productive investment for the nation. When, on the other hand, wily * Aus: Ε. L. Thorndike, Psychology and the Science of Education. Teachers College, Columbia University, New York 1962. Zuerst in: Adult Learning, Macmillan Company, New York 1928

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advertisements or over-enthusiastic propaganda seduce persons to enroll in courses for which they lack capacity, or interest, or both, there is sure to be waste and disappointment. Age, in itself, is a minor factor in either success or failure. Capacity, interest, energy and time are the essentials. Those in charge of enterprises for adult education ought to be provided with means for administering a system of admission and classification that will be even more searching and decisive than is customary in schools for the young. The variability of the applicants is likely to be wider than at any point of admission, promotion, or classification of the young. The failure to exclude incapables is more likely to degrade the instruction given to their level, because general standards to guide the instructor are lacking. Adult education suffers no mystical handicap because of the age of the students. O n the other hand, it is not freed by the nature of its clients from any of the general difficulties - of adaptation to individual differences, stimulation of interest, arrangement for economy in learning each element, and organization of the subject of study so that each element of learning shall help all the others as much as possible and interfere with them as little as possible. In particular, the argument that the adult student who takes a course voluntarily will be much more interested in study than the young student who takes it more or less by parental compulsion, so that the stimulation of interest requires far less care and skill in adult classes, is likely to be given too much weight. The adult, too, is often interested not in the day by day studying itself· but in something ulterior - in the promotion, or social advantage, or self-esteem which he gains. Adult education has an obvious handicap when, as is usually the case, its students have worked through the day and so must resist the cravings to indulge in some favorite form of rest or entertainment. In individual cases it may be undertaken at great sacrifice. O n the whole, the facts of adult learning are a strong support to those who have given time and thought and money to adult education. The facts of adult learning may also encourage industry to face changes in machinery, processes, and the like with the hope of reducing disturbances by education of the workers. The writer, at least, is sure that the hand weavers who were thrown out of work by the invention of the power loom could in most cases have been taught not only to use the power looms, but also to make them and repair them, or to be useful in whatever factory work or trades were short of employees at the time. A steady, industrious, reliable worker has qualities of body and mind and morals which are too important to be wasted because some industrial change has destroyed the value of the special work which he has hitherto performed. Public or private provision for his education for some suitable work seems highly desirable, and likely to cost less and succeed better than has been supposed. His fear of failure and of being an object of unpleasant attention or ridicule, accentuated by the depressed condition which the loss of his habitual living and life tend to produce, should be allayed or allowed for so far as possible. General awareness and acceptance of the truth about adult ability to learn, and a wider prevalence of adult education will help in this. If his new education is as one of a group in similar 164

circumstances and is provided without the imputation of inferiority to him it will be more acceptable and more successful. In some cases the change can be forseseen and the education for the new work can be provided by the old employer. Thus a railroad, when it electrifies certain sections, may educate some of its steam engineers to be motormen. This was done by the New York Central lines, and I understand that their example has been followed successfully by others. Besides these applications to existing forms of adult education, and to education as a palliative in industrial changes, there are possible applications to our general scheme of education. We may introduce these by considering the question, "What are the advantages of concentrating schooling in childhood and youth as is now so universally done?"... The answer oftenest given by those concerned with the theory or the practice of education would be that, "The mind is then much more plastic, easier to mold into desirable ways, that is, much more educable." We have seen that in so far as plasticity means ability to learn, the "much" is certainly inappropriate. If there were nothing in favor of early schooling save the greater mental plasticity of youth, in the sense of youth's greater ability to leam, we might better replace "Childhood is the time for learning" by "The time for learning anything is the time when you need it." For there are great advantages which accrue when learning satisfies some real need, benefits some cherished purpose, and is made use of at once and so is kept alive and healthy for further u s e . . . Let us now turn to the chief facts in favor of allotting a much larger fraction of schooling to adult years than present or past practice has done. They can be presented very briefly. First, a better selection of persons to be taught could be made. The abilities and interests of individuals can be better known with each year of their growth and experience. Second, a better selection of the content of instruction could be made, both for persons in their general capacity of individuals, neighbors, and citizens, and for their special duties and privileges as producers and enjoyers. In the early years, many features of history and the social sciences cannot be properly apprehended because the learners lack direct experience of certain facts of life. Vocational education of all sorts in early years is likely to be wide of the mark because the individual often does not know just what he wishes to do, or is fit to do, or can, under existing conditions, earn a living by doing. Third, a better arrangement and sequence of learning can be provided. The Dewey doctrine of "First the need, then the knowledge or technique to satisfy the need," can be applied in as thorough-going a way as is desired. The young man who is working in advertising can study salesmanship or psychology. The young woman about to be married can study domestic science. The worker who becomes interested in writing can study English composition. 165

Fourth, a loss of abilities by forgetting or of time by relearning can be prevented. Children now learn about voting in civics in grade 7 or 8, seven years before they can vote. They learn the arithmetic of notes years before they will probably have any occasion to borrow or lend money on a note. Certain facts of history and geography they learn only to have entirely forgotten them when the occasion to use them arrives. Other things being equal, the best time to learn anything is just before you have to use it. Fifth, the lag of schooling behind science and technology can be lessened. When knowledge is advancing as rapidly as it is now, too much of what we learn from ten to twenty tends to be out of date when we are forty. When civilization was more stable and the arts and sciences progressed slowly, it was in general satisfactory for one generation to use during life what is learned in its teens. A man of sixty doing only that now would be in many respects a nuisance and a danger. He would be, for example, unable to drive the commonest vehicle, or to turn on and off the commonest form of light. H e would endanger life by neglecting fundamental sanitary precautions. A large part of the social and religious beliefs of the young people of today would be quite incomprehensible to him. A progressive development of the sciences and arts needs continuous education either in school or out. Sixth, there is a real danger that, in our zeal to give young people the blessing of more abundant schooling, we may be depriving many of them of the satisfaction and instruction which comes from doing something well, measuring up to standard in some respect, accomplishing something in such a way as to earn their own self-respect. Unless the character of schooling is changed in fundamental ways, the fate of from a quarter to a third of the boys and girls of fifteen and sixteen and seventeen, if these are all retained in school, will be one of these: They will be held back in classes and slowly gain mastery of rudiments of little use to them, such as are now taught commonly in grades seven and eight. They then learn to hate learning. O r they will be forced to try to learn things which they simply cannot learn, such as algebra or Latin or economics. They then learn to fail and to expect to fail. O r they will be more humanely switched off into trade schools, where they will lead happier and more useful lives, but perhaps not so happy or useful ones as they would lead if they were engaged outright in productive labor. If they were out of school for one or two of these years, they might be glad to come back to school again five or ten years later so learn something which they really needed for labor or leisure, and might be substantially bettered. These facts in favor of delayed schooling do not make so impressive a showing or so emotional an appeal as those in favor of early schooling; and most thinkers, after surveying them, will probably still favor concentration in early years even up to about ten thousand hours or to age sixteen. The facts should, however, cure us of considering early learning as a law of nature, or as invariably superior, and of treating learning by adults as something irregular, remedial, casual, and trivial. Furthermore, if a community becomes rich enough to afford eleven thousand or twelve thousand or thirteen thousand hours of 166

schooling for all, it becomes increasingly doubtful whether years should be added on to seventeen, to eighteen, to mineteen, rather than inserted at twenty or twenty-five or thirty. The placement of schooling cannot be considered properly save in relation to two still broader matters of community arrangements. A scheme of schooling should harmonize with a scheme of productive labor (including management), a scheme of recreation, and a scheme of what is called in family budgets the "higher life." A scheme of schooling should also arrange for the distribution of schooling quantitatively and qualitatively, deciding not only how much schooling there shall be and what it shall be, but how it shall be divided amongst the population, who shall be encouraged to go to school for eight years, and who for eighteen, who of the latter shall study medicine, and who shall study law, and the like O u r theories about schooling, recreation, and the higher life are all somewhat blinded by an unscientific expectation that somebody will grow wheat and bake bread and make shoes and build railroads and manage factories by some such necessary order of nature as makes the sun shine and the rain fall. This blindness is often accompanied by a certain condescension, or even scorn, toward productive labor, which is perhaps a relic of the long centuries of idealization of the leisure class. There is a very real danger that schooling may unfit a community to produce by itself its own necessities, and lead it to depend on industrial mercenaries imported to do all the dirty work. As a psychologist, considering the intricate hierarchies of customs and traditions and checks and balances by which the instinctive tendencies of man are directed into the operations of modern industry and trade, the writer wonders that the whole apparatus does not crack with the strains to which it is subjected or explode from the passions which it harbors in its vitals. H e feels most devout thanks for his daily bread. So he looks with favor on a mixture of schooling and productive labor, and is unwilling to assume that the latter is a curse to be postponed as long as possible. He sees hope in adult schooling as a means of social health, and is ready to exchange early schooling for it nearly at par. The present quantitative distribution of schooling in our best communities is almost entirely a matter of public indiscriminate compulsion for certain early years and of entirely private volition thereafter. This seems improvable. Public welfare depends as truly on who goes to school after fifteen as on how many go to school till fifteen. The continued schooling of some individuals is so useful to the nation that it should be assured. Adult schooling is a promising means for gaining flexibility in caring for such individuals. The facts of adult ability to learn should caution us against attaching too much weight to youth in the laws and customs which decide who shall be forced or encouraged to go to school.

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Eduard Spranger Zur Psychologie die Bildsamkeit des Erwachsenen* Die Psychologie des Erwachsenen, der den »Übergang« erfolgreich vollendet hat, setzt ein, wenn ein an sich erschreckendes Phänomen auftritt, wenn nämlich der Mensch, mit dessen Seelenart sie sich beschäftigen will, von sich sagt: »Ich bin nun fertig«. Man könnte meinen, dies sei ja eben der glückliche Augenblick, um den alle Bildungsromane kreisen, der Augenblick, in dem der Mensch »sich selbst gefunden hat«. Aber das ist eine romanhafte Fiktion. Denn bis zur letzten Stunde hat niemand sich selbst ganz gefunden. Es ist damit ähnlich wie mit dem so tief bewunderten Goetheschen Satz: »Gesprägte Form, die lebend sich entwickelt.« Diese Art von Lebensdeutung, die das »Zusichselbstgekommensein« behauptet, gibt es nur im Rückblick vom hohen Alter aus. Wenn noch viel Zukunft vor einem liegt, so ist alles Wagnis, Ungewißheit. Der Mensch hat einen Lebensplan, einen Entwurf seiner selbst in die Zukunft hinein. Aber unberechenbar ist dabei der Anteil des sog. Schicksals, das diese Hoffnungen und Entwürfe häufiger zerstört als freundlich fördert. Eine bloße »dumme« (d. h. in diesen Sinnzusammenhang nicht passende) Infektionskrankheit braucht zu kommen, und der tapferste Entwurf wird abgebogen. Deshalb ist die Rede »Ich bin nun fertig« keineswegs ein erfreuliches Symptom. Vielmehr liegt darin das trübe Bekenntnis: »Aus mir kommt fortan nichts Neues. Ich bin aus dem flüssigen Aggregatzustand der Jugend in den festen des reifen Alters übergegangen. Ungewöhnliches ist von mir nun nicht mehr zu erwarten. Mindestens genüge ich mir selbst.« Natürlich kommt die Aussage »ich bin nun fertig« so kraß nur selten vor. Tritt sie wirklich auf, dann mag sie Ausdruck des naiven Selbstgefühls sein: »Es können nun keine Erziehungsversuche mehr an mir gemacht werden.« Besser wäre schon die Bedeutung: »Ich fühle mich nun in mir selbst fest und sicher. Ich habe meinen Platz in der Welt gefunden und werde da kräftig wirken.« Im allgemeinen aber fehlt das klare Bewußtsein; es wird nur dunkel empfunden: »Was mein Subjekt betrifft, so stehn da keine großen Wandlungen mehr bevor. Es beginnt jetzt die Arbeit an dem kleinen Stück Welt, das mir zugewiesen ist.« Das ist es, was man heutzutage unter Beruf versteht: eine begrenzte Aufgabe. Das ερκοΰ (die Selbstbegrenzung) im Sinne von Fritz Künkel ist festgelegt. Verrückungen dieser Grenze der eigenen Sphäre sind nicht mehr erwünscht. Man weiß, was in ihr Tag für Tag vorkommen wird. Man weiß auch, daß das »Schicksal« Störungen bringen kann. Aber es ist nicht mehr die Einstellung da: »Ich will mich und ich werde mich wandeln.« Das Objekt: die Realität, und die Verantwortungen, die sie auferlegt, sollen nun sprechen. »Ich füge mich willig ein.« * Aus: Eduard Spranger, Psychologie und Menschenbildung, in: F. Arnold (Hrsg.), Bildungsfragen unserer Zeit, Ehrenfried K l o o Verlag, Stuttgart 1953

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In Wahrheit ist diese Haltung gar nicht so passiv. Der Sinn dieser Lebensphase ist doch, daß ich mein Ich dem Stück Welt, das mich angeht, aufpräge. Seine Spuren werden in der Welt bleiben. Goethe nannte seine Werke seine »Lebensspuren«. Das Schicksal des Greises wird es sein, daß er sein Ich wieder aus der Welt zurücknehmen muß und in der Erinnerung damit beschäftigt sein wird, was es denn nun eigentlich gewesen ist. In diesem Rückgang auf das tiefere Selbst zeigt sich dann, daß irgendetwas doch aus dem Strom der Zeit gerettet worden ist. Kurz: der Sinn des reifen Alters ist die Auseinandersetzung zwischen einem einigermaßen fest gewordenen Ich und der nun ebenfalls festgewordenen Erlebnisweise der Realität, die »mich angeht«. Gerade wenn man, wie es die Entwicklungspsychologie fordert, diese Lebensstufe mit der vorangehenden vergleicht, läßt sie sich noch in anderem Lichte darstellen. Ich habe gesagt: Die Spielsphäre geht verloren. Diese Behauptung muß nachher etwas eingeschränkt werden. Zunächst soll sie erläutert werden. Es gibt zwei Hauptarten des Spieles, die durch alle Stufen der Jugendperiode hindurchreichen; ich nenne sie das Ergriffenheitsspiel und das Bedeutungsverleihungsspiel. Die Unterscheidung ist nur abstrakt-begrifflich. Das Ergriffenheitsspiel bedeutet, daß mich erlebte Weltgegebenheiten nötigen, in ihnen »aufzugehen«, mit ihnen zu jubeln und zu trauern, zu tanzen und zu schweben, mich an sie zu verlieren, von ihnen aufgesogen zu werden - sie mitzuahmen und mitzumachen. Nur wenige Beispiele: der Reiz einer Fontäne besteht darin, daß meine Seele mit ihr »mitplätschert«, ein Rhythmus fährt mir in die Glieder. Höher hinauf: eine Rolle des Soseins und Sohandelns nimmt mich suggestiv in Beschlag. - Wer kennt das nicht? Aber kein Zweifel: diese Suggestibilität nimmt im Lauf des Lebens ab. Um beim letzten Beispiel zu verweilen: ich lasse mir im reifen Stadium keine Rolle mehr aufnötigen vom »Spiel der Bilder«. Denn meine Rolle steht ja nun fest! Das Bedeutungsverleihungsspiel ist von vornherein viel geistgeborener. Denn es setzt voraus, daß ich, der Mensch, aus freier Innerlichkeit den Gegebenheiten Bedeutungen aufprägen kann, zu denen sie vielleicht nur dürftigen Stoff liefern. Ich deute Gegebenes bald so, bald so. Das Kind, das aus einem dürftigen Stab ein Steckenpferd, ein Szepter, eine Flinte, ein Schwert macht, ist wahrhaft geistiger Schöpfer, freigelassen vom Naturgeschehen, nicht nur Namengeber, sondern Charaktergeber. Wer das noch kann, ist im guten Sinne »genial«. Aber solche Genialität ist ein Vorrecht der Jugend. Sie stirbt allmählich ab, und wer sie behält, der ist ausdrücklich zum Künstler berufen. Man muß also, wenn man die Frühzeit des normalen Erwachsenenalters charakterisieren will, darauf achten, welche Ergriffenheitszustände noch vorkommen und welche Bedeutungen noch verliehen werden. 1. Beim Durchschnittsmenschen unserer Zeit bewahrt auch dann noch der Tanz seinen Reiz. Er gehört zu den ältesten Ausdrucksformen der menschlichen Natur. Bei ihm spielt schon das zweite Moment mit: das Offensein für die Wesenart des anderen Geschlechtes, die - sei es auf edler oder geringwertiger Stufe - noch lange ein erotische 169

Anziehungskraft übt. Hingegen müssen andere Formen des »erhöhten Bewußtseins« schon künstlich herbeigeführt werden. Man sucht Rauschzustände, nicht immer nur durch Alkoholgenuß, sondern auch durch rasende Schnelligkeit der Fortbewegung, durch sportliche Wettkämpfe, bei denen man schließlich sogar als Zuschauer »außer sich gerät«. Leider ist der Sinn für das Mitleben vielgestaltiger menschlicher Lebensschicksale und -Situationen durch eigenes Rollenspielen heutzutage stark abgestumpft. Das Kultische daran ist vergessen. D a s höhere Theater wird unwirksam. Als Ersatz tritt ein das Vorüberjagen prickelnder Bilder, wie beim Film, und das »Laufenlassen« des Rundfunks, das dem Kinobesuch darin ähnlich ist, daß sich unablässig Reize folgen, die in ihrer vollen Bedeutsamkeit gar nicht mehr zur Entwicklung gelangen können. Von den Jahreszeiten bewahrt allenfalls noch der Frühling eine schmelzende Kraft aufs Gemüt. Reichere Naturen bleiben auch für die eigenartige »Bedeutung« der anderen Jahreszeiten geöffnet. Endlich bewirken noch die (gemeinsamen) Hauptfeste eine spärliche Auflockerung. Man weiß, wie sehr selbst das Weihnachtsfest heute zur bloßen Hetze und zum konventionellen »Betrieb« geworden ist. Diese Feststellungen sind deshalb wichtig, weil immerhin alle noch vorhandenen Ergriffenheitszustände Ansatzpunkte liefern für Formungsmöglichkeiten. Darüber muß sich der Erwachsenenbildner klar sein, und er darf die erwähnten Momente nicht verschmähen, weil einige von ihnen von vornherein minderwertig seien. Denn von ihnen aus läßt sich noch mancherlei in den Seelen anbauen. 2. Andererseits erfolgt eine kaum überwindbare Einengung dadurch, daß die sprudelnde Fülle jugendlicher Bedeutungsverleihung nun aufhört. Der Überschuß der Innerlichkeit über den Stoff der offiziellen Welt ist versiegt. Es ist ein sehr realistischer Einschnitt, wenn der junge Mensch sagt: »Ich suche mir eine Stelle.« Denn eine Stelle ist, auf das Ganze des Menschen gesehen, immer ein gebundener Standort. Von ihm aus wird vom Erwachsenen das Leben gefühlt wie auch gestaltet. Man muß ganz Bestimmtes, Begrenztes tun. Man »geht auch noch auf«, jetzt aber in den Sonderprägungen, die man als Inhaber dieses oder jenes Berufes den Umweltgegebenheiten verleiht. D a z u gehört Denken und körperliche Kraftausgabe. Man wird dabei am Abend leiblich und geistig müde. Geistig müde werden heißt, daß nun von innen her nichts weiter aufkommt. Geht der Tag zu Neige, so hat man »sich ausgegeben«. Die Interessen schrumpfen zusammen. Der Grad dieses Schrumpfungsprozesses ist u. a. daran zu messen, o b noch etwas gelesen wird oder nicht. Bei den Männern folgt in der Regel eine recht lange Epoche, in der gar kein Bedürfnis nach Lektüre mehr besteht. Anders ist es bei den Frauen. Das wieder ist ein Symptom dafür, daß 1. eine echte Frau niemals freiwillig in ihrem Leistungsberuf völlig aufgeht; 2. daß sie innerlich ergänzungsbedürftig bleibt; 3. daß sie aus dem unklaren Drang, menschliches Leben pflegen zu müssen, dieses Leben weiter in sich hineinnimmt, um alle künftigen Entwicklungsstufen der Kinder »miterleben« zu können. - Das alles ist natürlich »idealtypisch« gesagt. Auch hier wieder ziehe ich die Folgerungen für die noch verbleibenden Bildungsmöglichkeiten. Selbst reichere männliche Naturen sind jetzt zunächst nur ansprechbar durch 170

Anknüpfung an die Spezialbedürfnisse und Spezialinteressen ihres Berufes. Von sich aus unternimmt man nicht mehr eine ganz freiwillige Fahrt in die Fülle der nicht real gelebten Lebensmöglichkeiten hinaus. Kommt das noch vor, so deutet es auf einen nicht gewöhnlichen inneren Reichtum. Aber zwei Erweiterungsmöglichkeiten von ungleichem Wert bleiben bestehen. Der Erwachsene ist einem Kreise eingefügt, den er bald resigniert als seinen ihm zugewiesenen Kreis zu betrachten sich gewöhnt In diesem Kreise will er etwas gelten, sich einen angesehenen Namen verschaffen, womöglich emporsteigen. Der gebotene Weg ist in unserer Kultur - vielleicht muß man hinzufügen: leider - die extrem sachliche Leistung. Was dazu hilft, ist willkommen. In dieser Richtung gibt es noch ein Weiterstreben, allerdings nur bei den Spannkräftigen. Es ist der Ehrgeiz, der sie weitertreibt. N o c h wertvoller ist es, wenn die bewegenden Motive nicht Ehrbedürfnis (oder Ehrgeiz) sind, sondern ein Verantwortungsbewußtsein gegenüber der zugehörigen Gemeinschaft und hinsichtlich die Sachleistung. Früher habe ich es als das eigentliche Kriterium der Realitätsgebundenheit, also der Realität selbst, bezeichnet, daß in Bezug auf sie Verantwortungen empfunden werden. Wer echte Verantwortungen kennt, ist immer dazu bereit, noch an sich selbst weiterzuarbeiten, also auch dazu, seine Sachkenntnis wie seine Weltorientierung auszudehnen. D a liegt ein fruchtbarer Ansatzpunkt für Bildungsbemühungen an Erwachsenen Obwohl ich bei meinen psychologischen Erwägungen hier weniger an die Gelehrtenbildung denke als an die Bemühungen um eine weiterführende Volksbildung, die auf die Schule und die Berufslehre folgt, läßt sich doch für diese aus den Erfahrungen an den Hochschulen etwas lernen. Dreierlei gilt nämlich auch für sie: 1. Es muß ein Bildungs wille da sein. 2. Es muß ein Erwachen aus der stumpfen Selbstverständlichkeit des Dahinlebens und Mitmachens stattfinden. 3. Der so eingeleitete Prozeß inneren Weiterwachsens oder »Werdens« muß dann aus sich selbst heraus längere Zeit fortdauern. Das »Spätlernen« bloßen Sachwissens würde ich jedoch gar nicht zu dem hier gemeinten Thema rechnen. Es ist gewiß eine schwierige Kunst, wie man fertige Kenntnisse in den Kopf nicht mehr junger Menschen hineinfüllt, in sie »überträgt«. Solange aber diese Kenntnisse nicht geeignet sind, in den Kern der Persönlichkeit einzudringen, von ihr innerlich assimiliert zu werden und ihre ganze Stellung zum Leben zu beeinflussen, handelt es sich um einen wertneutralen Unterricht, der nur den Verstand und das Gedächtnis in Anspruch nimmt. Das ist auch Lernen, aber ohne daß es dabei zu dem eigentlich bildenden Lernen des Lernens käme. Solche neutralen Kenntnisse, die man gleichsam »einkaufen« kann (Piatos Protagoras), verändern den Menschen nicht an der Wurzel. Sie zeugen daher nicht fort und werden nicht fruchtbar für die Gesamthaltung zum Dasein, auch dann nicht, wenn sie für das Fortkommen im Beruf sehr wichtig sind. Wo dies eingesehen wird, waltet aber vielfach noch eine einseitige Vorstellung von dem Sinn des Bildungsz/e/es. Unter dem Einfluß eines mißverstandenen Klassizismus schwebt uns noch das Ideal einer »geschlossenen Persönlichkeit« vor, die geradezu eine gerundete Form empfangen soll. Dies geht jedoch weit über das Vermögen menschlicher Planung 171

hinaus. Man kann in dem anderen, dem man zur geistigen Bildung verhelfen will, nur einen Werdeprozeß entbinden. Was daraus wird, ist dann Sache des individuellen Schicksals, der persönlichen Bewältigungskraft und zuletzt der Gnade. Auch hier wieder kann uns Sokrates heute noch Führer sein. Er hat nie - etwas so, wie man heute gewisse Aussprüche Goethes interpretiert - Menschen/ormung betrieben, sondern höchstens MenschenerwecAung versucht, indem er dem anderen den berühmten elektrischen Schlag erteilte. Wir wollen das so ausdrücken: Ihm hat das Ziel der offenen Persönlichkeit vorgeschwebt, das Ziel der zum Geist erweckten Persönlichkeit, die dann aus solchem Kraftzuwachs weiter an sich selbst bauen kann. Vielleicht hat es Zeiten gegeben, in denen es einen guten Sinn hatte, von der geformten, sogenannten harmonischen Persönlichkeit zu reden. In einer erschütterten Welt, unter dem Druck der industriellen Gesellschaft und ihrer vielfältigen Kollektivbildungen, geht der Kampf des einzelnen mehr darum, »offen zu bleiben« für die schnell wechselnden Lagen der Kultur und ihre sittlichen Forderungen. Selbst die Richtungskonstante »Sittlichkeit« ist nicht mehr auf so feste Formeln zu bringen, wie in Epochen alter gesicherter Lebensordnungen. Jeden Augenblick werden »Entscheidungen« notwendig, die nur von einem immer wachen Gewissen geleistet werden können. Auch unter diesem höchsten Gesichtspunkt gilt für die Bildung die Norm des »Offenbleibens«. Was wir Bildsamkeit genannt haben, wird insofern zugleich zum BildungsgeAa/t, als es darum geht, den Willen zu höheren Verwandlungen im Menschen lebendig zu erhalten. Nicht zufällig kommt jener Sokratische Grundgedanke, daß man den Menschen zur unablässigen Sorge für seine Seele aufmuntern müsse, in der positiv gerichteten neuen Existenzphilosophie wieder stärker zur Geltung. Auch dies ist ein Lehren des Lernens, aber nun des Lebenlernens, also eine viel tiefergehende Aufrüttelung als die Entbindung des bloß wissenschaftlichen Problembewußtseins. Das ganze Leben soll zum Problem, zur selbstverantwortlich ergriffenen Aufgabe werden, zu einem Bildungswillen, in dem die Ahnung eines höheren Menschentums produktiv wird. Dies alles scheint zunächst für die »weiterführende Volksbildung« zu hoch angesetzt zu sein. Aber man muß es in die konkreten Verhältnisse übertragen. Das Schicksal, Mensch zu sein, ist in den Grundzügen das gleiche, mag es sich in großen oder kleinen Verhältnissen vollziehen. »Unser Leben ist aufgeteilt in Arbeit und Nichtarbeit. In keiner dieser Hälften ist der Mensch ganz. Die Erwachsenenbildung sollte uns Mittel und Wege geben, wieder ganz zu werden.« (E. Jeangros) In diesen Worten ist die Schwierigkeit der Kunst, heute leben zu lernen, klar ausgesprochen. Die Arbeit ist in der industriellen Gesellschaft vielfach arm an Sinngehalten geworden, nicht nur für den einfachen Handarbeiter. Die freie Zeit dient der Erholung. Diese aber befreit und stärkt nicht, weil sie nichts enthält, was über den Arbeitstag einen beglückenden Schimmer verbreiten könnte. Der bekannte unselige Schnitt! Er ist vielleicht die offene Wunde der abendländischen Gesellschaft. Soziale Revolutionen haben daran nicht viel ändern können. Denn eine teilhafte (spezialisierte) oder eine maßlos summierte Arbeit bleibt nun einmal das Los einer Kultur, die geglaubt 172

hat, den Weg der objektiven Leistung, der technischen Naturbeherrschung und des wirtschaftlichen Gedeihens zum »Erlösungsweg« machen zu können. Die geträumte Erlösung ist ausgeblieben, und sie wird ausbleiben, solange es der Menschheit nicht gelingt, Gegengewichte im Innern gegen die Veräußerlichung des Daseins zu mobilisieren. Es gibt noch immer Lebensinhalte, die der Seele höhere Güter bedeuten können als das abzuleistende, halb mechanische Tagewerk. Familie, Gesinnungskreis, Umgang mit der Natur, Gartenbau, Kunst, durchgeistigte Leibespflege, ja auch politische Verantwortung lassen den Menschen seine Menschlichkeit fühlen - unter der einen Bedingung, daß die Nivellierung aller Güter auf die Ebene von Geldwerten eingedämmt wird. Darin liegt das Analogon zu jener inneren Umwälzung, die im Bereich der wissenschaftlichen Bildung gefordert wurde. Beide Male handelt es sich um die Unterwerfung des Stoffes unter den Geist. Weltfremd wäre die Meinung, daß der Erwerbswille zu verdammen sei. Aber es ist hier ähnlich wie mit dem Verlangen nach Freiheit. Die entscheidende Frage ist: »Freiheit wozu?« Parallel lautet die andere: »Geld wozu?« Dem modernen Menschen ist nämlich das Bewußtsein für die Farbigkeit der Güter verlorengegangen, die das Leben auch im engen Kreise schenkt. Alle kleiden sich in das Grau des Geldhabens. Die Bildsamkeit sollte vor allem dazu aufgerufen werden, daß der Mensch wieder empfänglich wird für Glücksgefühle, die nicht in Geld ausdrückbar sind. Aber auch der Leistungswille sollte auf andere Ziele hingelenkt werden als auf das Einträgliche allein. Wir haben in Technik und Industrie ungeheuer viel »geleistet«. Geistig-sittlich jedoch haben wir beide noch nicht bewältigt. »Zur modernen Technik sind wir noch gar nicht erzogen.« (E. Jeangros) Wir haben die gesunden Lebensordnungen noch nicht gefunden, die zu dieser Art von Arbeitswelt gehören. Der Mensch ist von ihr zerrieben worden. Letztes Ziel der Volksbildung ist, daß es wieder hergestellt werde. Aber die dazu erforderliche Bildsamkeit ist schon aufs äußerste entstellt und bedroht. Deshalb sind die Erfolge spärlich, und man muß sich mit bescheidenen Ergebnissen begnügen. Ausgleichserscheinung für Nichtbefriedigung im Beruf pflegt politischer Radikalismus, ja Fanatismus zu sein. Wir haben erfahren, daß er mehr zerstört als vorwärtshilft. Das Werden eines besseren Menschentums ist Sache stiller, geduldiger Arbeit. Sie kann nicht bei den Massen ansetzen, sondern nur beim einzelnen. Leitidee sollte dabei sein, daß jeder Berufsstand seine eigentümliche Elite haben kann. Die Aufgabe jeder echten Elite ist wiederum Menschenführung, Aufrichtung von Vorbildern, die nicht fern über der Wirklichkeit als bloße Ideen schweben, sondern unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen Gestalt empfangen können.

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Günter Böhme Psychologie der Erwachsenenbildung"' Die allgemeine Vorstellung dessen, wer als erwachsen zu bezeichnen ist, gibt schon wichtige Aufschlüsse für die Frage, wie es um die besondere Bildsamkeit der Erwachsenen bestellt ist, wird doch als erwachsen der angesehen, dem Entscheidungsfähigkeit in allen wichtigen Angelegenheiten des Lebens zuzutrauen und daher auch zuzumuten ist. Der Erwachsene ist voll verantwortlich. Das ist möglich, weil er Zusammenhänge überschauen, einschätzen, beurteilen kann. Es wird erwartet, daß er Folgen zu übersehen vermag. Vor allem wird unterstellt, daß er zum vollen Gebrauch seiner Vernunft „erwachsen" ist. Daß das in manchen Fällen eine jeder realen Grundlage entbehrende Voraussetzung ist, sei nur am Rande vermerkt. Für uns ist wesentlich, daß beim Erwachsenen offenbar das Schwergewicht ganz auf die geistige Seite verlagert ist. Dabei soll unter „geistig" die Art einer Haltung verstanden werden, die nicht so sehr bei Einzelheiten verharrt, als vielmehr auf Sinnzusammenhänge geht. Der Erwachsene versteht das Wesen der Dinge zu erfassen, er sieht das - Wesentliche. Oder sagen wir behutsamer: er soll es sehen, und in den meisten Fällen will er es auch sehen. Es beunruhigt ihn, wenn er den Zusammenhang eines Sachverhaltes nicht erkennt. Wir stehen damit wieder vor einer entscheidenden Ursache des Dranges zur Weiterbildung. Sobald das Betrachten der Oberfläche, des Äußeren nicht mehr genügt, erwacht das Verlangen, in die Tiefe zu sehen, das Eigentliche zu erkennen. Der Erkenntnisdrang verlangt Befriedigung. Zur Bildungsfähigkeit und Bildungsbereitschaft kommt der aktive Bildungswille, der in der Jugend - nach Überwindung der Pubertätserscheinungen - mächtig aufbricht und sich bis weit ins Erwachsenenalter hinein erhält, der dann meist in einer Phase der Stetigkeit und der Verarbeitung zurücktritt, um sich später erneut vernehmlich Geltung zu verschaffen. Damit sind wir der Antwort auf unsere Frage greifbar nahe. Denn nun erweist sich unverkennbar auch die Bildsamkeit des Erwachsenen. Nicht nur wäre sonst der Wille sich zu bilden gar nicht zu erklären, sondern es ist überhaupt erst die Reife des Erwachsenen, die Erreichung als dieser Lebensstufe nötig, um in die Tiefe auf das „Eigentliche" stoßen zu können. So bezieht sich in diesem Alter auch die Lernfähigkeit weniger auf Dinge und Gegenstände, die mit dem Verstand aufzunehmen, mit dem Intellekt zu bewältigen sind, sondern auf solche, die nur von der Vernunft als dem Vermögen, Gründe zu sehen - auf den Grund zu sehen aufgefaßt, ergriffen und begriffen werden können. Von der Sprache war schon einmal die Rede. Sie kann hier nochmals als Beispiel dienen. Der Erwachsene lernt wohl eine Sprache schwerer als der jugendliche Mensch, jedoch erschließt sich erst dem Erwachsenen das Wesen der Sprache, wird erst ihm der * Aus: Günter Böhme, Psychologie der Erwachsenenbildung. Ernst Reinhardt Verlag, München/Basel 1960, S. 33-38.

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Zusammenhang von Sprache und Denken deutlich, erkennt erst er jene Feinheiten der Sprache, die in ihrem Charakter selbst begründet sind. Beim Erwachsenen ist fraglos - trotz allen widerstreitenden Behauptungen - ein ausgesprochener Bildungswille anzutreffen, der ohne Bildsamkeit sinnlos wäre; er stieße ins Leere; Bildsamkeit erst gestattet ihm, sich zu bestätigen. Er ist typisch für das Erwachsenenalter, in welchem sich im allgemeinen der Lerneifer weitgehend verliert. Der Erwachsene will nicht so sehr lernen als vielmehr erkennen. Gewiß ist auch beim Kind und Jugendlichen der Erkenntnisdrang vorhanden, doch ist höhere Erkenntnis nicht möglich ohne ein gewisses Maß an - Kenntnissen, an Wissen und Erfahrung. Erst der Erwachsene bringt dafür das Rüstzeug mit. Wir stehen damit wiederum vor der Tatsache der Bildsamkeit des Erwachsenen. Denn zweifellos wirkt jede neue Erkenntnis, noch dazu wenn sie selbst erworben, besser: erobert worden, nicht also einfach als fertiges Denkprodukt entgegengenommen worden ist, bestimmend und d. h. bildend auf einen Menschen. Die Verantwortung, die dadurch allen in der Erwachsenenbildung Tätigen auferlegt ist, kann gar nicht überschätzt werden! Es ist nämlich immer wieder zu bedenken, daß auch der Erwachsene nicht fertig ist, daß vielmehr der Mensch unausgesetzt im Bildungsprozeß mitten inne steht. Auch die sogenannten festen Charaktere sind, wir sagten es schon, bildsam. Wenn sie auch bewußter Einflußnahme zuweilen erhöhten Widerstand entgegensetzen, so heißt das doch gerade bei ihnen, daß sie sich „ihr Bild selbst machen" wollen. Beim Erwachsenen kommt h i n z u , . . . daß bei ihm gemeinhin ein besonderes Anlagegebiet hervorgetreten ist, andere dagegen ganz verkümmert oder nie ausgebildet worden sind. Die Meinung mancher Psychologen, daß schon in früher Jugend Anlagegebiete als bestimmend für das ganze Leben, die ganze weitere Entwicklung klar zu erkennen seien, findet in der Erfahrung keine Bestätigung. Wie oft erweist sich als vorübergehende Neigung, was als typische Anlage erklärt wurde. Die Schwergewichte können sich im Laufe der Entwicklung mehrfach verlagern. In dieser Hinsicht lassen sich bei Kind und Jugendlichem kaum mehr als ziemlich grobe Unterscheidungen treffen. Man verkenne jedoch nicht, daß bereits das recht viel bedeutet und die Psychologie in die Lage versetzt, Fehler in der Selbsteinschätzung der Menschen zu korrigieren und die daraus resultierenden Folgen für Berufswahl und Leben zu verhindern. Beim Erwachsenen nun hat sich geklärt, was echte Anlage, was flüchtige Neigung, was schöner Schein und unbegründete Hoffnung war. Ein Anlagegebiet hat sich als beständig erwiesen. Dieses Anlagegebiet wird vom einzelnen bewußt und unbewußt gefördert. Auf diesem Gebiet und für dieses Gebiet ist er aufgeschlossen. Man beachte: er ist aufgeschlossen, nicht abgeschlossen! Hier also wird seine Bildsamkeit am größten sein, nicht etwa am geringsten, wie vielleicht vermutet werden könnte, weil er doch hierin anderen wahrscheinlich weit überlegen ist, weil hierin ihm schon vieles vertraut ist und er daher in Bezug darauf eine feste Meinung, bestimmte Ansichten und Urteile mitbringt. Er verhält sich anders. 175

Mit zunehmendem Wissen wird er, einer alten Erfahrung zufolge, immer mehr Lücken entdecken, wird nach immer größerer Vertiefung suchen, wird auch immer mehr Nachbargebiete in den Bereich seiner Bildung hineinnehmen wollen, wird offen sein für Anregungen aller Art, wird also nicht stehenbleiben wollen, wird gerade dadurch, daß er mitreden kann, im Gespräch mit anderen sich ständig weiterbilden. Aus alledem läßt sich noch ein weiterer Satz ableiten: Die Stärke der Bildsamkeit hängt ab von der Stärke der Anlagen. Starke Anlagen sind in hohem Grade bildsam, schwache Anlagen nur in geringem Grade und so fort in zahlreichen Abstufungen. Auch hier könnte zunächst das Gegenteil erwartet werden. Doch lasse man sich nicht irreführen. Starke Anlagen sind solche, die kräftig hervortreten, über andere dominieren, charakterbeherrschend sind. Sie sind damit allen Einwirkungen und Einflüssen mehr als andere ausgesetzt; sie stehen im Vordergrund und bieten mehr Angriffsfläche; sie werden ständig aufs neue erprobt. Was für ein Anlagegebiet gilt, gilt sinngemäß für den ganzen Träger von Anlagen: Ein Mensch mit starken, kräftig hervortretenden Anlagen besitzt eine stärkere Bildsamkeit als einer mit schwachen Anlagen, bei dem ständig alles unentschieden und in der Schwebe bleibt. Dieser wird leichter beeinflußbar sein. Doch zeigt sich immer wieder, daß gerade diese umrißarmen, gleichsam zerfließenden, eines zielstrebigen eigenen Willens entbehrenden Charaktere der Bildungsarbeit größten Widerstand entgegensetzen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil bei ihnen wie die ganze Willensphäre so auch der Bildungswille nur schwach entwickelt ist und sie es daher an der notwendigen eigenen Mitarbeit fehlen lassen. Kein Mensch wird gebildet, der nicht an sich selbst zu arbeiten willens ist. Beeinflußbarkeit hat, wie noch einmal betont sei, mit der Bildsamkeit als dem Ermöglichungsgrund von Bildung nichts zu tun, ja sie ist ihr eher feindlich. Labile, leicht beeinflußbare Charaktere bringen es nie zu hoher Bildung. Charakterbildung ist die unerläßliche Voraussetzung für eine allgemeine, umfassende Bildung. Damit beginnt sich der Kreis dieser Überlegungen zu schließen, und wir können mit Nachdruck den Satz wiederholen: Bildsamkeit als Fähigkeit zur Entwicklung seelischgeistiger Anlagen ist keineswegs auf das Kind und den jugendlichen Menschen beschränkt, sondern ist auch - in alterstypischer Abwandlung und in selbstverständlicher charakterbedingter Verschiedenheit - beim Erwachsenen vorhanden. Dieser Bildsamkeit nun „bedienen" sich nicht zur Zeitströmungen und allgemeine Umwelteinflüsse, auch nicht nur - wie das ja in ausgeprägter Weise in den Vereinigten Staaten zu sehen ist - die Meinungsbildner, die Propagandisten, die Werbespezialisten, die Techniker der Massenseele, vielmehr machen sie sich viele Erwachsene selbst zunutze: sie selbst suchen sich weiterzubilden, wollen Bildung erwerben. Es sind deshalb noch ein paar Sätze nötig, um, an das Gesagte anknüpfend, zu zeigen, wonach sich Bildungserwerb richtet. In der Erwachsenenbildung handelt es sich - im Gegensatz zu den Schulen mit festem Lehrplan - um freien Bildungserwerb, der keinem verbindlichen Plane folgt. Er richtet sich also zweifellos nach den persönlichen Bedürfnissen und individuellen Wünschen, die eine Auswahl aus den gebotenen 176

Möglichkeiten treffen. Diese freie Wahl hängt, wie das gar nicht anders sein kann, von den spezifischen Anlagen des Einzelnen ab. Sie können praktischer sowie ideeller Natur sein. Für den Erwerb von Bildung ist das insofern von untergeordneter Bedeutung, als mangels einer genauen Definition von Bildung (die doch unmöglich ist) ein weiter Spielraum für Wege und Methoden, sich zu bilden, gelassen ist. Der Bildungserwerb richtet sich - und das macht neben der individuellen seine allgemeine Bedingtheit aus - aber auch nach den Zeittendenzen und Zeitidealen, wobei die Mitwirkung der Umwelt bei der Ausrichtung des Bildungsstrebens erkennbar wird. Die Art des Bildungserwerbs und das angestrebte Bildungswissen sind keineswegs frei von Modeströmungen. Das ist nicht auszuschließen, wie lästig das auch einer idealistischen Betrachtungsweise sein mag. Bildung ist nicht denkbar ohne den Bezug zur Gegenwart, manche ihrer Inhalte werden nur dadurch verständlich. Was heute zum Bildungsgut gehört, kann in der Zukunft wieder ausgeschieden werden. Und schließlich wandeln sich auch ständig Sitten, Gebräuche, Gepflogenheiten, deren Beachtung jeweils von den Gebildeten erwartet wird. Damit wird nun auch noch einmal deutlich, warum die Grenzen der Bildung nicht abgesteckt werden können. Dadurch aber auch nur hält sie sich offen. Sie soll und kann nicht ein weltfremder Vorgang sein, sondern muß der Bewährung in der Welt, der Behauptung in der Umwelt und damit auch in einer bestimmten Zeit mit ihren Forderungen und Eigenheiten dienen. Sie ist auf die jeweilige Gegenwart gerichtet und kann nicht im luftleeren Raum existieren, sonst käme es dahin, daß der Gebildete der Lebensuntüchtige ist. Auf diesen Zusammenhang mit dem Leben der Zeit weist übrigens die Rede hin, daß man von einem Gebildeten sagt, er habe „Lebensart". Bildung kann sich an vielerlei entwickeln und verwirklichen. Entscheidend ist nur, daß der Durchbruch zum Wesentlichen erfolgt. Gerade an den verschiedenen Modeströmungen läßt sich vortrefflich lernen, die „Dauer im Wechsel" zu erkennen und solche Erkenntnis für die eigene Bildung wirksam werden zu lassen

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S. L. Pressey und R. G. Kuhlen Education Through the Life Span* T R A D I T I O N A L L Y , education has been concerned with a relatively brief period in childhood and youth and has centered its efforts on acquisition of the tools of literacy and acquaintance with the local culture, with perhaps some preparation for vocation. But now the " p u p i l s " may range from the two-year-old in nursery school to an octogenarian in a hobby class, and the tasks range from the tot's learning to put on his snowsuit and grandfather's use of the jigsaw to mother's Red Cross firstaid training and father's retraining program for defense industry. Fifty years ago, none of these last-mentioned individuals would have been "in school," and analogous instruction would have been received informally at home or in the neighborhood or a shop. This chapter will take the position that education has now become an important part of life at practically all ages, and if the education is to be effective, the development of a psychology of the life span that recognizes the potentialities and needs of each age is as essential as is a psychology of childhood for teaching in elementary school. The assertions will also be ventured, largely on the basis of certain matter in the previous two chapters, that the potentials of education are greater than usually assumed, that greater realization of its potentials is vital for this country in the cold war, and that for this purpose certain marked changes in education are called for.

The Growth of "Life-Span"

Education

An increasingly complex and rapidly changing world needs more education to meet its problems. A longer life with different problems at different ages calls for continuing or recurrent education and reeducation...

Three Major Psychoeducational

Problems

A s educational effort extends over the life span, and enlarges its scope at each age, threi problems that seem to be poorly handled now become increasingly important: coordination with development, adjustment to increased individual differences, and recognition of enlarged complicating social problems. It will be argued that better handling of these problems could not only result in increased educational effectiveness * Aus: S. L. Pressey und R. G. Kuhlen, Psychological Development Through the Life Span, Harper & Row, New York 1957, S. 165-212

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but could also effect savings in staff and equipment of possible great importance in the face of the rising tide of y o u n g people n o w coming into the schools.

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Chronological A g e s

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Figure 1. Growth of a Boy at a High Level of Ability (Hearvy Lines) and a Boy at a Low Level of Ability (Light Lines). (Adapted from W. C. Olson, Child Development, Boston, D. C. Heath, 1947, pp. 178, 179.) In the first place, it seems evident that a stage of education cannot effectively begin until the learner has sufficiently matured so that he is " r e a d y " for it. It also seems probable that there may be b o r e d o m with tasks that are too easy, if an educational opportunity is delayed after the learner is ready and indeed waiting for it; and when the belated subjects do come, interest may be flat. Figure 1 contrasts two boys. O n e of them appears to have had reading readiness at six (perhaps earlier) and almost leaped forward in reading from age six on, and he also did well in spelling and better than average in arithmetic. But the second b o y made almost no progress in reading or spelling until he was nine. T h e figure makes test scores in various subjects comparable b y expressing each in relation to the average scores made by children of different chronological ages. T h u s , a reading age of 10 means that the child made the score of the average 10-year-old. 179

It seems clear that the educational readiness of the first boy is three or four years ahead of the second. The aggregate of many such studies suggests that the "average" youngster is ready for the usual first grade program at about the age of six - as school entrance ages assume. But many children are not average; and an admission program which assumes that all are is ignoring the facts of development. Beginning secondary school with the seventh grade or around ages 12 or 13 (the 6-3-3 plan with elementary, junior, and senior high school or 6—4—4 plan with elementary and secondary school and junior college) has been justified on the grounds that adolescence begins at this age; and a richer and more social program for adolescent needs can then more appropriately be begun than in the ninth grade, as under the older 8-4 plan. But again a set age for almost all children neglects individual differences; though the average girl first menstruates in her thirteenth year, some girls begin as early as 10 or 11 and others not until 15 or 16. And sex differences in rate of development are substantial in the early teens, boys reaching puberty about a year and a half or two years later than girls. Educational adjustments to the beginning of adolescence thus apparently should be available over a range of ages in relation to each youngster's need, rather than introduced rigidly. Table 1. Number of Right Choices of " B e s t " Verse

Number of Right Choices 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Total Median

Grade School 6 8

High School 12 10

1 3 2 1 9

12a

22 9 7 62 3.7

3 13 17 73 78« 94 56 19 3 356 4.1

7 29 57 76