Von Cinggis Khan zur Sowjetrepublik: Eine kurze Geschichte der Mongolei unter besonderer Berücksichtigung der neuesten Zeit [(Unveränd. Nachdr. d. Ausg. 1926). Reprint 2019 ed.] 9783110834260, 9783110024975


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German Pages 361 [412] Year 1974

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Vorwort
Geleitwort
Inhaltsverzeichnis
Errata
Zur Aussprache der mongolischen Wörter
Kapitel I. Die Mongolen. Ihre älteste Geschichte von Ginggis Khan bis Tamerlan und Hubilai Khan. Die Beziehungen der Mongolei zum Abendlande
Kapitel II. Die Äußere Mongolei im 16. und 17. Jahrhundert
Kapitel III. Die Mongolei unter der Herrschaft der Mandschudynastie
Kapitel IV. Die reinkarnierten Heiligen von Urga
Kapitel V. Die Ereignisse in Chinesisch-Turkestan und das Vordringen Rußlands in Mittelasien. Der Vertrag von Liwadia
Kapitel VI. Die topographische und administrative Einteilung der Mongolei
Kapitel VII. Die frühesten Beziehungen Rußlands zur Mongolei und zu China
Kapitel VIII. Die Einnahme von Albasin und der Vertrag von Nertschinsk. Die Verträge von Kiachta, Kuldscha, Aigun, Tientsin und Peking
Kapitel IX. Charakter und Sitten der Mongolen
Kapitel X. Recht und Gesetzgebung der Mongolen
Kapitel XI. Der Anteil Rußlands am mongolischen Handel
Kapitel XII. Der Umsturz in Urga und die Unabhängigkeitserklärung der Äußeren Mongolei
Kapitel XIII. Rußlands Politik in Peking während des Übergangsstadiums der Äußeren Mongolei
Kapitel XIV. Die Instruktion des Ministerpräsidenten Kokowzew über Rußlands Aufgaben in der Mongolei. Die Ereignisse in Tibet
Kapitel XV. Ankunft in Urga. Die Hauptstadt der Mongolei
Kapitel XVI. Die mongolischen Fürsten. Die russischen Instrukteure
Kapitel XVII. Der Lamaismus und seine Tempel. Besuch beim Hutuktu von Urga
Kapitel XVIII. Die russisch-mongolischen Verhandlungen in Urga. Der Vertrag von Urga vom 3. November 1912
Kapitel XIX. Das Leben in Urga. Die Goldgewinnung in der Mongolei
Kapitel XX. Die Frage des Uriyanghai-Gebietes
Kapitel XXI. Die Klöster und Schulen von Urga. Der Lamaismus und sein Pantheon
Kapitel XXII. Folgen des russisch-mongolischen Abkommens
Kapitel XXIII. Staatswirtschaft und Haushalt der Mongolei
Kapitel XXIV. Kämpfe der Mongolen gegen die Chinesen in der Westmongolei
Kapitel XXV. Schriftwechsel zwischen Peking und Urga. Mongolisch Neujahr in Urga
Kapitel XXVI. Russische Truppen in Uliyasutai und Urga. Der weitere Verlauf der russisch-chinesischen Verhandlungen in Peking. Prinz Kung und die monarchistische Restauration
Kapitel XXVII. Russische Verteidigungsmaßnahmen gegen China. Einsetzung eines Stadtrats für die russische Handelsniederlassung in Urga
Kapitel XXVIII. Buddhistische Feste in Urga. Zwiespalt der Fürsten und neue Instruktionen aus Petersburg
Kapitel XXIX. Die mongolische Sprache und Literatur
Kapitel XXX. Abkühlung der russisch-mongolischen Beziehungen. Der weitere Verlauf der Verhandlungen mit Peking
Kapitel XXXI. Die Privataudienz beim Hutuktu
Kapitel XXXII. Abreise von Urga und Audienz beim Zaren
Kapitel XXXIII. Die rechtliche Begründung der Lage in der Mongolei
Kapitel XXXIV. Das Dreimächteabkommen von Kiachta vom 25. Mai 1915
Kapitel XXXV. Die Folgen des Weltkrieges und der russischen Revolution auf die Stellung Rußlands in der Mongolei
Kapitel XXXVI. Die Besetzung Urgas durch chinesische Truppen. Die Diktatur des Barons von Ungern-Sternberg und sein Sturz. Einrichtung einer Sowjetregierung in Urga
Kapitel XXXVII. Die Kämpfe der-Weißgardisten und Bolschewisten in der westlichen Mongolei
Kapitel XXXVIII. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau und Peking
Kapitel XXXIX. Sowjetpropaganda in China. Die russisch-chinesischen Verhandlungen und Zeichnung des Abkommens vom 31. Mai 1924
Kapitel XL. Die Äußere Mongolei unter der Vormundschaft Sowjetrußlands
Kapitel XLI. Nachrichten aus Urga bis Ende September 1925. Absichten chinesischer Generäle auf die Innere Mongolei
Anhang. Die Verfassungsurkunde der Mongolischen Volksrepublik
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Von Cinggis Khan zur Sowjetrepublik: Eine kurze Geschichte der Mongolei unter besonderer Berücksichtigung der neuesten Zeit [(Unveränd. Nachdr. d. Ausg. 1926). Reprint 2019 ed.]
 9783110834260, 9783110024975

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Iwan Jakowlewitsch Korostovetz

VON CINGGIS KHAN ZUR SOWJETREPUBLIK EINE KURZE GESCHICHTE DER MONGOLEI UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER NEUESTEN ZEIT

VON

IWAN JAKOWLEWITSCH KOROSTOVETZ FRÜHEREM KAISERLICH RUSSISCHEN GESANDTEN IN PEKING UND URGA

UNTER MITWIRKUNG VON

DR. IUR. ET PHIL. ERICH HAUER FRÜHEREM DOLMETSCHER DER KAISERLICH DEUTSCHEN GESANDTSCHAFT IN PEKING PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT BERLIN

MIT 38 ABBILDUNGEN, EINER ÜBERSICHTSKARTE DER MONGOLEI UND EINEM GELEITWORT VON PROF. DR. OTTO FRANKE-BERLIN

BERLIN UND LEIPZIG 1926

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG / J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG / GEORG REIMER / KARL J. TRÜBNER / VEIT «: COMP.

Unveränderter photomechanischer Nachdruck 1974

ISBN 3 11 002497 7 1926/74

by Walter de Gruyter Öc Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag,

Verlagsbuchhandlung — Georg Heimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 Printed in the Netherlands Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopic, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vorwort. 1 wan Jakowlewitsch Korostovetz, Kaiserlich Russischer Geheimer Rat a. D., hatte seine diplomatische Laufbahn nachdem üblichen Vorbereitungsdienste im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten zu St. Petersburg bei der russischen Gesandtschaft in Peking begonnen. Nachdem er in den Jahren 1899 bis 1902 Chef der diplomatischen Kanzlei des russischen Oberstkommandierenden, des Admirals Alexejew, in Port Arthur gewesen war, führte er mit den chinesischen Behörden die dem Boxeraufstande folgenden Verhandlungen über die russische Okkupation der Südmandschurei und wurde im Jahre 1905 Sekretär des Bevollmächtigten Grafen Witte auf der Friedenskonferenz zu Portsmouth, die den russisch-japanischen Krieg beendete. Seine Erinnerungen an diese Konferenz hat der Herr Verfasser in englischer Sprache niedergelegt in einem 1920 erschienenen Buche ,,Pre-War Diplomacy", das 1923 unter dem Titel „Ein Blatt aus der Geschichte der russischen Diplomatie" auch in russischer Sprache veröffentlicht worden ist. Von 1907 bis 1912 ist Exzellenz Korostovetz Kaiserlich Russischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Peking gewesen und hat dann als anerkannte Autorität in allen Fragen des Fernen Ostens die in diesem Buche beschriebenen Verhandlungen mit den Mongolen in Urga geführt. Der Herr Verfasser hat mich gebeten, die Namen folgender Herren zu nennen, die ihn mit Material unterstützt haben: General D. L. Horwath (früher Generaldirektor der Chinesischen Ostbahn), General Iwan Tonkich (früher im Generalstabe), Legationsrat W. Grawe, Legationssekretär Mitrofanow und Generalkonsul N. T. Kolessow (früher bei der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft in Peking), Wirklicher Staatsrat 0 . von Klemm, Oberst A. Tatarinow und Oberst T. A. Bykow (früher Militärattaches in Peking), Baron von Stael-Holstein (Professor an der Pekinger Universität), Graf A. Bennigsen, Dr. Stefan Ruzicka, Dr. R. Hoselitz, Mr. H. C. Wilcox (Secretary of The China Association, London) und Herrn B. Lewin. Meine eigene bescheidene Mitwirkung hat sich darauf beschränkt, eine einheitliche Rechtschreibung der mongolischen, mandschurischen und chinesischen Eigennamen und Wörter durchzuführen, soweit mir das möglich gewesen ist, einige Ergänzungen hinzuzufügen und die Drucklegung zu überwachen. B e r l i n , den 16. Mai 1926.

Erich Hauer.

IV

Geleitwort

Geleitwort. Der freundlichen Aufforderung des Herrn Korostovetz, seinem Buche einige Worte mit auf den Weg zu geben, komme ich schon deshalb gerne nach, weil es mir eine Freude ist, das Werk nach Überwindung mannigfacher Schwierigkeiten nunmehr in deutscher Sprache gedruckt zu sehen. Die deutsche Literatur ist nicht reich an Schriften über die Mongolei, ihre Völker und ihre Geschichte. Und doch bieten jene endlosen Steppen- und Berglandschaften Inner-Asiens genug des Wissenswerten, um ein genaueres Studium vollauf zu lohnen. Noch liegt über der frühesten Geschichte des Landes bis zum 12. Jahrhundert ein undurchdringliches Dunkel; was wir aus den chinesischen Quellen darüber erfahren, ist unklar und widerspruchsvoll, zudem zieht es nur die Randgebiete in den Lichtkreis der Berichte; was weiter im Innern nach Norden und Westen zu bis an die Waldgebirge des heutigen Sibirien vor sich ging, bleibt unseren Blicken verborgen. Jahrtausende hindurch haben die Chinesen mit den rastlosen Scharen gekämpft, die immer wieder über den Berg- und Wüstengürtel hinweg in die fruchtbaren Niederungen eindrangen, plünderten und raubten und dann wieder verschwanden, oder aber auch blieben, seßhaft wurden und Staaten gründeten. Bis in die Urzeit hinauf reichen die sagenhaften Meldungen über jene kriegsfrohen Völker, die stärker als irgend ein anderes Element bestimmend für die Schicksale des chinesischen Reiches geworden sind. Was aber die Waffen nicht oder jedenfalls nicht dauernd vermocht, das hat die Lehre Buddhas in ihrer tibetisch-hierarchischen Form in der Mongolei vollbracht: sie hat die verwegenen Kriegsvölker völlig unterjocht und in stumpfe, willenlose Knechte verwandelt. Neben den Chinesen sind es natürlich die Nachbarn auf der anderen Seite, die Russen, gewesen, die am frühesten und nachhaltigsten mit den Völkern der Mongolei in Beziehungen kamen. Mehr als fünf Jahrhunderte hindurch haben sich diese Beziehungen politischer, wirtschaftlicher und religiöser Art beständig erhalten, zwar oft unterbrochen, aber durch die Natur der Dinge selbst immer wieder neu geknüpft und neu belebt. Sie haben angedauert bis in unsere Tage, ja sie dauern trotz aller Veränderungen der Verhältnisse auch heute noch fort, und während der letzten fünfzehn Jahre haben sie sogar eine besonders bewegte Gestalt angenommen. Niemand war berufener, diesen Abschnitt innerasiatischer Geschichte darzustellen, als ein Russe, und unter den Russen niemand berufener als Herr Korostovetz. Durch jahrelange diplomatische Tätigkeit in Peking mit den Verhältnissen der chinesischen Regierung vertraut gemacht, wurde er im September 1912 vom Ministerium des

Geleitwort.

V

Äußeren in Petersburg als Bevollmächtigter nach Urga entsandt, um dort mit den Mongolen, die eben um ihre Unabhängigkeit von China rangen, unmittelbare Verhandlungen zu führen und einen Vertrag zwischen ihnen u n d Rußland zustande zu bringen. Acht Monate hindurch ist er dann einer der Hauptträger der hin und her schwankenden Entwicklungen in dem russisch-chinesischmongolischen Drama mit allen seinen wildbewegten, blutigen Ereignissen gewesen, bis die kommende große Katastrophe in Europa die entscheidende W e n d u n g brachte. In schlichter Form, bei der aber die W u c h t des Geschehens um so stärker wirkt, h a t Herr Korostovetz über alles berichtet, auch über das, was sich nach seinem Abgange und nach dem großen russischen Umstürze weiter in der Mongolei begeben hat, die frühere Geschichte des Landes und die Schilderung seiner Bewohner geben dafür den Hintergrund ab. Man wird vielleicht nicht überall mit den Auffassungen des Verfassers übereinstimmen, und namentlich der Deutsche wird Einwendungen zu erheben haben gegen manches, was über die politische Haltung Deutschlands gesagt wird, dafür wird man aber der tröstlichen Erkenntnis teilhaftig, daß in der asiatischen Politik Rußlands von der Zentrale aus mit nicht weniger Unkenntnis, Planlosigkeit und Zerfahrenheit gehandelt worden ist als in der europäischen des Deutschen Reiches. Die tiefgründigen Pläne, die man sich gegenseitig zuschrieb, waren aus der sonderbaren Überschätzung der politischen Fähigkeiten des Gegners erwachsen, sie waren schmeichelhafter für die Maske des einen als für die Menschenkenntnis des anderen. Quantilla prudentia regitur orbis! Ich habe Herrn Korostovetz' Buch mit vielem Nutzen u n d großem Genuß gelesen, es hat schlummernde Erinnerungen geweckt an die Zeit vor drei Jahrzehnten, wo ich selbst die Mongolei in ihren östlichen, geschichtlich interessantesten Teilen von der großen Mauer Chinas bis zu den Quellflüssen des Amur durchwandert habe, und ich zweifle nicht, daß jeder, der Sinn hat für die immer stärker anschwellende Flut des Geschehens in Asien, über das m a n so selten etwas Zuverlässiges hört, auch ohne jene Erinnerungen denselben Genuß und denselben Nutzen davon haben wird. Möchten recht viele unserer Landsleute sich beides verschaffen. B e r l i n , im Juni 1926.

O. Franke.

Inhaltsverzeichnis. Seite

K a p i t e l I. Die Mongolen. Ihre älteste Geschichte von Ginggis Khan bis Tamerlan und Hubilai Khan. Die Beziehungen der Mongolei zum Abendlande K a p i t e l I I . Die Äußere Mongolei im 16. und 17. Jahrhundert K a p i t e l I I I . Die Mongolei unter der Herrschaft der Mandschudynastie K a p i t e l IV. Die reinkarnierten Heiligen von Urga K a p i t e l V. Die Ereignisse in Chinesisch-Turkestan und das Vordringen Rußlands in Mittelasien. Der Vertrag von Liwadia K a p i t e l VI. Die topographische und administrative Einteilung der Mongolei K a p i t e l V I I . Die frühesten Beziehungen Rußlands zur Mongolei und zu China . . . . K a p i t e l V I I I . Die Einnahme von Albasin und der Vertrag von Nertschinsk. Die Verträge von Kiachta, Kuldscha, Aigun, Tientsin und Peking K a p i t e l I X . Charakter und Sitten der Mongolen K a p i t e l X . Recht und Gesetzgebung der Mongolen K a p i t e l X I . Der Anteil Rußlands am mongolischen Handel K a p i t e l X I I . Der Umsturz in Urga und die Unabhängigkeitserklärung der Äußeren Mongolei K a p i t e l X I I I . Rußlands Politik in Peking während des Übergangsstadiums der Äußeren Mongolei K a p i t e l X I V . Die Instruktion des Ministerpräsidenten Kokowzew über Rußlands Aufgaben in der Mongolei. Die Ereignisse in Tibet K a p i t e l X V . Ankunft in Urga. Die Hauptstadt der Mongolei K a p i t e l X V I . Die mongolischen Fürsten. Die russischen Instrukteure K a p i t e l X V I I . Der Lamaismus und seine Tempel. Besuch beim Hutuktu von Urga K a p i t e l X V I I I . Die russisch-mongolischen Verhandlungen in Urga. Der Vertrag von Urga vom 3. November 1912 K a p i t e l X I X . Das Leben in Urga. Die Goldgewinnung in der Mongolei K a p i t e l X X . Die Frage des Uriyanghai-Gebietes K a p i t e l X X I . Die Klöster und Schulen von Urga. Der Lamaismus und sein Pantheon K a p i t e l X X I I . Folgen des russisch-mongolischen Abkommens K a p i t e l X X I I I . Staatswirtschaft und Haushalt der Mongolei K a p i t e l X X I V . Kämpfe der Mongolen gegen die Chinesen in der Westmongolei . . . Kapitel XXV. Schriftwechsel zwischen Peking und Urga. Mongolisch Neujahr in Urga K a p i t e l X X V I . Russische Truppen in Uliyasutai und Urga. Der weitere Verlauf der russisch-chinesischen Verhandlungen in Peking. Prinz Kung und die monarchistische Restauration K a p i t e l X X V I I . Russische Verteidigungsmaßnahmen gegen China. Einsetzung eines Stadtrats für die russische Handelsniederlassung in Urga K a p i t e l X X V I I I . Buddhistische Feste in Urga. Zwiespalt der Fürsten und neue Instruktionen aus Petersburg K a p i t e l X X I X . Die mongolische Sprache und Literatur Kapitel XXX. Abkühlung der russisch-mongolischen Beziehungen. Der weitere Verlauf der Verhandlungen mit Peking K a p i t e l X X X I . Die Privataudienz beim Hutuktu K a p i t e l X X X I I . Abreise von Urga und Audienz beim Zaren

1 13 21 32 41 49 59 71 88 96 108 118 127 132 141 152 159 168 183 189 199 207 214 220 226 233 239 245 251 255 260 265

VIII

Inhaltsverzeichnis. Seite

K a p i t e l X X X I I I . Die rechtliche Begründung der Lage in der Mongolei K a p i t e l X X X I V . Das Dreimächteabkommen von Kiachta vom 25. Mai 1915 K a p i t e l XXXV. Die Folgen des Weltkrieges und der russischen Revolution auf die Stellung Rußlands in der Mongolei K a p i t e l X X X V I . Die Besetzung Urgas durch chinesische Truppen. Die Diktatur des Barons von Ungern-Sternberg und sein Sturz. Einrichtung einer Sowjetregierung in Urga K a p i t e l X X X V I I . Die Kämpfe der-Weißgardisten und Bolschewisten in der westlichen Mongolei K a p i t e l XXXVIII. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau und Peking K a p i t e l X X X I X . Sowjetpropaganda in China. Die russisch-chinesischen Verhandlungen und Zeichnung des Abkommens vom 31. Mai 1924 K a p i t e l XL. Die Äußere Mongolei unter der Vormundschaft Sowjetrußlands K a p i t e l XLI. Nachrichten aus Urga bis Ende September 1925. Absichten chinesischer Generäle auf die Innere Mongolei A n h a n g . Die Verfassungsurkunde der Mongolischen Volksrepublik

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Errata. Soll s t e h e n Steht Boyenka Boyenhu von denen der bekannte Kutschu von denen der bekannte Kutschum stammte, der gemeinsam mit stammte. Letzterer wurde von Jermak, dem Eroberer Sibiriens, Jermak Sibirien unterworfen hat besiegt 30 Was 19 v. u. Mas 30 22 v. u. grenzte grenzt 2 v. u. 47 Boyenhu Boyenka 65 17 v. o. Kolzo Kolzow 67 Die Mursy-Tataren Die Mursy (Häuptlinge) der Tataren 1 v. u. 83 23 v. o. Armursana Amursana 108 Fußnote Archimandriten Palladius und Hya- Archimandriten Hyakinth Bitschukinth Bitschurin, Gurij und Pallarin, Gury und Palladius Kafarow dij Karafow Schaposclinikow Sepotschnikow Saponikow Sapojnikow Swetschnikow, Swetschnikow Swetschnikow 123 14 v. o. Regierunserklärung Regierungserklärung 125 9 v. o. Barga und Barga in 12 v. u. Barga mit Hulun Buir Barga (Hulun Buir) 126 Von Anfang der Seite 126 bis zum Ende des Kapitels XII sollte der den offiziellen Bericht der russischen Regierung enthaltende Text als Fußnote zu Seite 123 stehen. 161 5 v. o. gegenwärtige letzte 167 10 v. o. Für(streiche Für-) 10 v. o. 177 Zerempylos Zerempylows 186 4 v. o. Dieser Badmajew Badmajew 11 u. 14 v. o. Prokowski Pokrowski 197 Fußnote Salonjew Solowjew 195 25 v. o. Schtschobkin Schtschekin 34 v. o. Schtschekins Schtschobkins 210 34 v. o. sagte Sasonow hatte Sasonow gesagt 210 36 v. o. der Minister erklärte hatte der Minister erklärt 234 12 v. u. Durasso Durassow 240 2 1 V. 0 . Sair Usu Sain Usu 272 8 v. o. letzthin letzten 275 Fußnote Ich Er Mein Sein 71 276 5 v. u. dem das 20 v. o. 277 Diese Konvention ist Diese Eisenbalinkonvention wurde K o r o s t o v e t z , Mongolei. b 00 to

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Zeile 2 v. u. 13 v. u.

X

Errata.

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Zeile V. 0. V. u.

V. V. V. V. V. V. V. V. V. V. V. V. V.

Steht hatten Ernennung Kosins

0. 0.

hat nichts unternommen gründeten eine Grenzbank

0. 0. 0. u. u. 0. 0. 0. 0. 0. u.

Tschikoisk und Menzisk Ostrukow Februar 1922 werden wird nehmen unterstützt wird handeln dieses Jahres Gesterg

Soll s t e h e n haben Ernennung eines Beamten des russischen Finanzministeriums, des Herrn Kosin, tat nichts gründeten anstatt der Nationalbank eine Grenzbank Tschikoi und Menzinsk Ostroukow Februar 1921 wurden wurde nahmen unterstützte wurde handelten vergangenen Jahres Gostorg oder Staatshandelsorgani-

Zur Aussprache der mongolischen Wörter. Für sämtliche mongolische Wörter ist — mit Ausnahme einiger schon eingebürgerter Schreibweisen wie Khan und Noor — die Orthographie der mongolischen Schriftsprache zugrunde gelegt worden. Wie im Englischen und Französischen weicht diese von der heutigen Aussprache erheblich ab. So wird z. B. das in der Schriftsprache sira geschriebene und §ira gesprochene Wort („gelb") heute in der Ostmongolei chiära, im Norden und Westen aber Sara gelesen. Die Form der Schriftsprache ist in Klammern auch hinter moderne Formen gestellt worden. Es lauten ei wie langes offenes e in Reh, See. c außer vor i wie ts oder deutsches z, z. B. cagan „weiß" = tsagan; vor i aber wie tsch, z. B. Ginggis = Tschinggis. h auch im Anlaut wie deutsches ch in Dach, Buch oder russisches x. j außer vor i wie ds oder italienisches z in zona, zinco; vor i aber wie dsch oder englisches j in Jim. s stets stimmlos, aber vor i wie sch. § wie sch. w „ englisches w. y ,, deutsches j in Jahr.

Verdeutschung einiger häufiger Wörter. aimak arban balgasun barun (baragun) beile beise bulak cagan ein wang daba (dabagan)) durben (dürben) n) gool

Stamm. zehn. Stadt. rechts, westlich. Prinz 3. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung. Prinz 4. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung. Quelle, weiß. Prinz 1. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung. Bergübergang, Gebirgspaß, vier. Fluß.

Verdeutschung einiger häufiger Wörter.

gun(g) gün wang gurban hada hara hoSun (hosigun) hubilgan huduk hutuktu jasak jun khan (hagan) kure (küriye) mergen muren (müren) noor (nagor) noyan obo ola (agola) saín secen (cecen) sira sume (süme) tologai ulan usu(n)

Herzog. Prinz 2. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung. drei. Felsen. schwarz. Banner. Wandlung, Reinkarnation. Brunnen. Heiliger. Administrator. links, östlich. König. Klosterstadt. klug. Strom. See. Gebieter, Fürst. Grenzmahl in Form eines geheiligten Steinhaufens. Gebirge, Berg. gut. weise. gelb. Tempel. Kopf, Kuppe. rot. Wasser, Fluß. E. H.

Kapitel I. Der Begriff „Mongole". Die eigentlichen Mongolen. Älteste Geschichte der Mongolei, Temüjin (Cinggis Khan), sein Leben und seine Kämpfe. Die Mongolen auf der historischen Bühne. Die Feldzüge und Eroberungen Cinggis Khans und seiner Unterführer. Die Eroberung Chinas. Das mongolische Joch in Rußland und die Goldene Horde. Die Ereignisse nach dem Tode Cinggis Khans. Batu und sein Nachfolger Tamerlan. Hubilai Khan. Der Aufstieg des mongolischen Reiches und sein Untergang. Beziehungen der Mongolei zum Westen.

Im Abendlande ist man gewohnt, unter dem Worte „Mongolen" zwei ganz verschiedene Dinge zu verstehen: einmal eine Menschenrasse von vielen Völkern und dann ein einzelnes dazu gehöriges Volk. Mongolen im weiteren Sinne nennt die Völkerkunde die Bewohner des nördlichen Asiens vom Stillen Ozean bis Tibet hin und die der gelben Rasse angehörigen Eingeborenen von Tibet, den Himalayaabhängen, Indochina, China, Formosa, Japan und seinen Nachbarinseln sowie Teilen des malaiischen Archipels und unterscheidet zwischen Nordmongolen (Tungusen, Mandschus, Mongolen im engeren Sinne, Japanern und Liu-kiu) und Südmongolen (Chinesen, Tibetern, Siamesen, Annamiten usw.). Wir werden uns hier nur mit den Mongolen im engeren Sinne beschäftigen. Die Heimat der eigentlichen Mongolen, die sogenannte Mongolei, erstreckt sich von Sibirien im Norden bis zur Großen Mauer Chinas im Süden, von der Mandschurei und Daurien im Osten bis zum Altai und den Quellen des Irtysch, dem T'ien-shan und Ostturkestan im Westen. Im Zentrum dieses Gebietes liegt die Wüste Gobi. Ausläufer der Mongolen finden sich im Süden über die Große Mauer hinaus bis zum Kukunoor-Gebiet, in Turkestan, im Gebiet von Semiretschensk, in Alaschan, Semipalatinsk und im südlichen Teile des Gouvernements Tomsk. Das Gebiet nördlich von der Gobi, vom Altai Tangnu und dem SayanGebirge im Westen bis zur Mandschurei im Osten, heißt Kalka, mit den Hauptdistrikten Urga, Uliyasutai und Kobdo. Nordwestlich von der Gobi, zwischen dem T'ien-shan und dem Altai, liegt die Dsungarei. Die mongolische Bevölkerung zerfällt in drei Zweige: Ostmongolen, Westmongolen (Ölet oder Kalmücken) und Burjäten. Zu den Ostmöngolen gehören die Kalka, die Sara-Mongolen südlich der Gobi, längs und nordöstlich der Mandschurei, und die Siraigol in Tanggut und Nordtibet. Die Westmongolen sind die von uns so genannten Kalmücken, die sich selber Ölet, Oirat, Dürben Oirat oder Monggol Oirat nennen. Das Wort Kalmücke ist verstümmelt aus Halimak, wie sich die Wolgakalmücken gelegentlich genannt haben. Der Name ist verK o r o s t o v e t z , Mongolei.

1

2

Kapitel I.

mutlich tatarischen Ursprungs und noch unerklärt. Die Oirat, d. h. die Nahen oder Verwandten, zerfallen in die vier Stämme der Dsungaren, Torgot, Hosot und Dürbet. 1650 ließen sich die Torgot an der Wolga nieder, 1673 folgten ihnen die Dürbet, 1675 die Hosot. 1771 kehrte ein großer Teil dieser Mongolen ins chinesische Reich zurück. Die Zahl der Wolgakalmücken belief sich nach russischen Schätzungen vor dem Kriege auf 107 000. Die Burjäten haben sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts am Baikalsee niedergelassen. Endlich sind noch zu nennen die Hazära und die vier Aimaks, die in Afghanistan zwischen Herat und Kabul als Hirten nomadisieren. Ihre Sprache zeigt zwar persischen Einfluß, ist aber mongolisch und steht dem Westmongolischen nahe. Die einzige Quelle für die früheste Geschichte der Mongolen und ihrer Vorfahren sind die großen chinesischen Reichsannalen, die von der abendländischen Forschung noch nicht genügend erschlossen worden sind. Nach der 1662 von dem mongolischen Edlen Sanang Secen Hungtaiji vollendeten Geschichte der Ostmongolen und ihres Fürstenhauses, zu deren Ausarbeitung der Verfasser sieben mit Namen bezeichnete mongolische Geschichtswerke benutzt hat, wird die Abstammung der Mongolenfürsten völlig phantastisch auf die Könige von Tibet zurückgeführt und in den drei ersten Kapiteln eine apokryphe Urgeschichte zusammengefabelt. Im vierten Kapitel wird dann von einem Volke Bide x ) erzählt, aus dessen Fürstengeschlecht, der Familie Borjigen, Yesügei Bagatur entsprossen war. Dieser Yesügei traf eines Tages, als er mit zwei Brüdern die Spur von weißen Hasen im Schnee verfolgte, einen Wagenzug des Stammes Tatar und raubte von diesem ein Mädchen, Ögelen Eke, die er zu seiner Gattin machte. Im Jahre 1162 wurde ihm von Ögelen Eke ein Knabe unter merkwürdigen Zeichen geboren (nach der übereinstimmenden Erzählung der chinesischen und muhammedanischen Schriftsteller hielt der Knabe bei seiner Geburt ein Stück geronnenes Blut in der Hand). Da diese Geburt mit dem Einbringen des gefangenen Temüjin zusammentraf, nannten die Eltern den Knaben Tegri yin ökküksen Temüjin, d. h. „Von Gott gegebener Temüjin". Dieser Temüjin ist der spätere Kaiser Cinggis Khan. Als Temüjin dreizehn Jahre alt geworden war, nahm Yesügei ihn mit auf Brautschau, um unter den Verwandten seiner Schwäger eine passende Braut für ihn auszusuchen. Auf dem Heimwege wurde er von den Tatar bei einem Festessen vergiftet, so daß die ganze Last der Erziehung auf die Mutter allein fiel. Unaufhörliche Fehden mit den feindlichen Stämmen der Taijigut u. a. füllten die nächsten Jahre, bei denen der junge Fürst häufig in die äußerste Not geriet, andererseits aber seinen Charakter stählen lernte und den Grund legte für die Unbeugsamkeit und Grausamkeit, die später den großen Eroberer kennzeichneten. Im Jahre 1189, als Temüjin 28 Jahre alt war, wurde er auf der Grasfläche am Flusse Kerülen von den Arulat als Khan anerkannt. „Von diesem Tage ließ sich", erzählt Sanang Secen, „drei Morgen nacheinander, ein bunter Vogel in Lerchengestalt auf einem A r i e r e c k i g e n Steine vor dem Hause nieder und rief: „Cinggis, Bide bedeutet im Mongolischen „wir".

Kapitel I.

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cinggis!" Daher erhielt Temüjin den Namen Sutu Bogda Cinggis Khan, unter welchem er in allen Gegenden berühmt wurde. Darnach sprang jener Stein plötzlich von selbst auseinander, und aus der Mitte desselben kam das Siegel, Has-bao 2 ) genannt, zum Vorschein. Dieses Siegel hatte in der Länge und Breite die Größe einer Spanne, und auf der Rückseite sah man eine Schildkröte, auf deren Rücken zwei Drachen sich ineinander schlangen; die Figuren des Siegels waren wie künstlich eingegrabene erhabene Arbeit. Gleich darauf erhob Cinggis Khan die ursprünglich am Onon aufgepflanzte, neunzipflige weiße Fahne und die gewöhnlich auf Deligün Buldaga aufgepflanzte, schwarze vierzipflige Fahne seines Schutzgeistes und ward der Herrscher der 400 000 des Volkes Bide. Und der Herrscher sprach: „Dieses Volk Bide, das tapfer und trotzig, ungeachtet meiner Leiden und Gefahren, sich anhänglich mir anschloß, das mit Gleichmut, Freud und Leid die Stirn bietend, meine Kräfte vermehrte, — ich will, daß dieses, einem edlen Kristall ähnliche Volk Bide, welches bis zum Ziele meines Strebens in jeder Gefahr die größte Treue erwies, den Namen Küke Monggol führen und von allem, was sich auf der Erde bewegt, das erhabenste sein soll!" Von der Zeit an wird dieses Volk Küke Monggol genannt." 3 ) Küke Monggol bedeutet die blauen, d. h. die östlichen Mongolen, da Blau im Fünferzyklus die Farbe des Ostens ist. Der Name Monggol geht vielleicht auf mong „trotzig" und gool „Wesenheit" zurück, doch ist das nicht sicher; jedenfalls ist er ursprünglich der Name keines Einzelstammes gewesen und erst von Cinggis Khan als Ehrenname der ganzen Nation aufgebracht worden. Die Mongolen sind also eigentlich die von Temüjin geeinten Nachbarstämme des Volkes Bide, die Arulat, Taijigut, Tatar, Naiman, Kerait und Merget. Jedenfalls beginnt mit der Erhebung des jungen Temüjin zum Cinggis Khan erst die wirkliche Geschichte der Mongolen. Ungefähr um dieselbe Zeit gründete Cinggis Khan am Flusse Orhon seine Hauptstadt Karakorum, unweit deren später das Kloster Erdeni Juu errichtet worden ist. Nachdem Cinggis Khan seine Herrschaft in der nordöstlichen Mongolei aufgerichtet hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit den Nachbarn zu. Im Jahre 1207 griff er das Reich der Tangguten (Si-Hia) an, dessen Herrscher sich ihm 1209 unterwarf. Hierauf sicherte er sich mittels diplomatischer Verhandlungen und Verträge gegen das Reich der Kara-Kidan, das die Gebiete des heutigen Chinesisch-Turkestan, Kuldscha und Teile von Semiretschensk umfaßte, und ging gegen China vor, wo damals im Norden die fremde Kindynastie der Dschurdschen und im Süden die einheimische Sungdynastie regierte. Als 1210 der Kinkaiser seine Thronbesteigung Cinggis Khan als einem Vasallen anzeigte, sandte Cinggis Khan an Stelle der üblichen Huldigungsadresse dem Kaiser die Forderung zu, er solle i h m seine Ergebenheit zum Ausdruck bringen. Da dies selbstverständlich abgelehnt wurde, erschien Cinggis Khan im folgenden Jahre an der Spitze einer großen Reiterarmee im nordchinesischen Reiche der Dschurdschen. 2

) „Nephrit-Kostbarkeit", d. h. Reichssiegel. I Sanang Secen, Geschichte der Ostmongolen, übersetzt von I. J. Schmidt. St. Petersburg 1829, S. 71. 3

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Eine bei der Belagerung von Tai-t'ung 1212 erlittene Wunde nötigte ihn zwar zur Umkehr, doch erneuerte er 1213 den Angriff und eroberte die Provinzen nördlich vom Gelben Flusse. Im nächsten Jahre wurde die Hauptstadt Peking im Sturm genommen und geplündert; der Kinkaiser floh nach K'ai-feng-fu, der Hauptstadt der Provinz Honan, und die Mongolen drangen bis Schantung und Schansi vor. Während der Khan in die Mongolei zurückkehrte, eroberte sein General Muhuli im Jahre 1217 das Land nördlich vom Gelben Flusse. Im folgenden Jahre schlug Cinggis Khan einen Aufstand der Tangguten nieder, machte sich Liaotung und Korea tributpflichtig und vernichtete das Reich der KaraKitai. Nachdem der General Cepe Noyan schon 1217 die Dsungarei und Ostturkestan durchzogen hatte und über Kaschgar und Hotan bis zum Pamir gelangt war, gab ein Zerwürfnis mit dem Schah Muhammed von Hwörezm dann den willkommenen Anlaß zur Offensive gegen Westturkestan und die heute zu Rußland gehörigen Gebiete Mittelasiens, darunter Buchara und Khiwa. Während Cinggis Khans Lieblingssohn Cagatai von den Quellen des Irtysch 1219 nördlich des Balkasch-See vorging, marschierte der älteste Sohn Juci von Kaschgar über Usch und Kokand in das Yaxartestal. Mit dem vereinigten Heere zerstörte der Khan die reiche Stadt Buchara und Samarkand, die blühende Hauptstadt von Hwärezm unter Dschalal-ad-din, dem Sohne und Nachfolger Schah Muhammeds. Über den Oxus zogen die Mongolen nach Balch, dem alten Baktra, weiter. Von dort aus brach Tului, der jüngste Sohn, zur Eroberung Persiens auf, die er 1120— 24 durchführte. Er nahm 1221 Merw, zog durch den Kaukasus über Tebriz nach Tiflis und kam 1222 bis zum Dnjepr unweit Kiew. Als er im folgenden Jahre über Kasan an der Wolga durch die Kirgisensteppe zurückkehrte, war damit ganz Südrußland unterworfen. Der Khan selbst hatte 1221 den Hindukusch überschritten, 1222 die Reste der Hwärezmier am Indus besiegt und das Punschdab bis Lahore verwüstet, als ihn innere Unruhen zur Aufgabe der beabsichtigten Eroberung Indiens und zur Rückkehr nach der Mongolei zwangen. Dort hatten sich bei den Kämpfen, welche die mongolischen Generale am oberen Huang-ho gegen die Dschurdschen führten, die Tangguten auf die Seite des Feindes gestellt. Gegen sie wurde 1226 eine Strafexpedition unternommen, gelegentlich deren die Provinz Kansu gründlich verheert wurde. Während der Vorbereitungen zu einem Zuge ins Innere Chinas, angesichts der unbezwungenen Festung T'ung-kuan am Knie des Gelben Flusses, starb Cinggis Khan 1227 an einer plötzlichen Krankheit im Alter von 66 Jahren. Es wird berichtet, daß er noch auf dem Totenbette die Direktiven für die Fortführung des Feldzuges gegen China entworfen hätte. Das von Cinggis Khan durch Eroberungen gegründete Reich trug einen ausgesprochen militärischen Charakter. Die Beziehungen zu den unterworfenen Völkern kamen in der Erhebung von Abgaben für den Unterhalt der „Horde", oder richtiger des Heeres, zum Ausdruck. Da der Khan die Unfähigkeit seiner Gehilfen in Sachen der inneren Verwaltung genau kannte, übertrug er diese Geschäfte einem Emigranten aus dem Reiche der Kin, Yelu Ch'u-ts'ai. Dieser Staatsmann organisierte den administrativen und finanziellen Teil und verstand

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sogar im Heere einige Reformen nach dem Muster der chinesischen Armee durchzuführen. Im allgemeinen war der Krieg mit den Chinesen für die Mongolen eine gute Schule, sowohl hinsichtlich des Staatsaufbaus als auch des Heeres. Yelu Ch'u-ts'ai erfreute sich eines großen und wohltuenden Einflusses auf Cinggis Khan, indem er ihn zu friedlicher Tätigkeit anhielt und seinem maßlosen Temperament Schranken setzte. Auf Anregung Yelu Ch'u-ts'ais wurde das Staatsarchiv eingerichtet. Der Erfolg der mongolischen Eroberungen ist nicht so sehr der zahlenmäßigen Stärke der Heere, als der militärischen Begabung der Führer zu verdanken. Cinggis Khan selbst war ein hervorragender Stratege, seine Führer zeichneten sich zum größten Teil durch Kenntnisse in militärischen Angelegenheiten und durch die Fähigkeit aus, die jeweilige Lage zu ihren Gunsten auszunutzen. Die Feldzüge Cinggis Khans waren keineswegs, wie so oft behauptet wird, systemlose, spontane Überfälle einer wilden, undisziplinierten Reiterei, die lediglich die Vernichtung des Gegners im Auge hatte, sondern streng durchdachte Operationen einer organisierten Armee, deren Strategie und Taktik gemeinsam mit der Kriegserfahrung und dem kriegerischen Fanatismus urwüchsiger Nomaden den Sieg verbürgten. Ehe die mongolischen Heerführer sich zu einem Feldzuge rüsteten, studierten sie den künftigen Kriegsschauplatz sowie den Charakter und die politische Organisation der Völker, mit denen sie Krieg führen wollten. Dies geht besonders aus der Beschreibung der Feldzüge gegen Rußland, Polen und Ungarn hervor. Nach mongolischer Sitte wurden dem ältesten Sohne Juci entlegene Gebiete zugeteilt, die Stammesanteile, d. h. die Mongolei, erbte der jüngste Sohn Tului. Juci erhielt die Kiptschak-Steppe bei der Quelle des Flusses Syr-Darja, Khiwa, den Kaukasus und die russischen Gebiete mit der Krim. Juci starb jedoch, bevor noch die Teilung vorgenommen wurde, und die Länder gingen an seine Erben über. Im Jahre 1229 versammelten sich die Fürsten zu einem Reichstage (Kurultai oder Huruldan genannt) am Flusse Kerülen, um den neuen Khan zu wählen. Die Wahl fiel auf den dritten Sohn Ügetei, den Cinggis Khan selbst zum Nachfolger bestimmt hatte. Bei dieser Versammlung wurde beschlossen, eine 30 000 Mann starke Armee zur Eroberung der nördlich vom Kaspischen und Schwarzen Meere gelegenen Gebiete zu entsenden. Die Führung der Armee wurde dem Neffen Ügetei's, Batu, übertragen, dem ein Fürst namens Subutai zur Seite gestellt wurde, der schon am ersten Feldzuge nach Rußland teilgenommen hatte. Batu, Jucis Sohn, brach 1237 von seinem Reiche Kiptschak auf und zog vom Ural her durch ganz Rußland, ging südlich Kasan über die Wolga und marschierte nach Nishnij-Nowgorod, Rjäsan, Moskau (1238) und Kiew (1239), überall die Herrschaften der Großfürsten, unter die das Land Ruriks geteilt war, vernichtend und das Zarenreich der Bulgaren zerstörend. Von Kiew brach er 1241 in vier Scharen auf. Er selbst wählte mit dem Hauptheere den kürzesten Weg von Wolhynien über die Karpathen in das Herz von Ungarn, während rechts von ihm Prinz Baidar durch Polen und Schlesien auf Wien, links Prinz Hadan durch

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Siebenbürgen nach der Puszta und der General Subutai durch die Walachai zur unteren Donau zogen. Der Zielpunkt für alle war Budapest. Die nördliche Kolonne eroberte Südpolen, Galizien, Masowien, Kujawien; Lublin, Krakau und Sandomir wurden in Asche gelegt, ebenso das von den Einwohnern verlassene Breslau. Am 9. April 1241 traten den Mongolen auf der Wahlstatt bei Liegnitz der Piastenherzog Heinrich II. mit 30 000 Mann und die Ritter des Deutschen Ordens unter ihrem Landmeister Poppo von Osterna entgegen. Die Mongolen mußten ihren Sieg mit so blutigen Verlusten erkaufen, daß sie sich nach Mähren wandten, wo Baidar bei der Belagerung von Olmütz fiel. Batu hatte inzwischen den König Bela von Ungarn vergeblich in Budapest belagert. Nachdem die Kolonne aus Schlesien zu ihm gestoßen war, gewann er bei Miskolcz einen entscheidenden Sieg über das Heer der Ungarn und brannte das eroberte Budapest nieder. Nun zog Hadan von Arad heran, und an der Spitze aller Kräfte brach Batu über Gran gegen Wien auf, als die Nachricht vom Tode des Groß-Khans ihn zur Umkehr zwang und zur Wahl des Nachfolgers in die Mongolei zurückrief. Batu sah nun von weiteren Eroberungen ab und befaßte sich mit der Organisation der von ihm in den Wolgasteppen gegründeten Großen oder Goldenen Horde, die eine militärische Organisation erhielt. Zur Hauptstadt der Horde wurde die von muselmännischen Architekten erbaute Stadt Sarai an der Wolga erhoben. Batu nahm seinen Sitz in Sarai und regierte von dort aus über das in Fürstentümer und Teilfürstentümer geteilte Rußland. Im übrigen mischte er sich wenig in die bestehende Verwaltung und begnügte sich mit der Erhebung von Abgaben, wie es die mongolischen Eroberer mit den unterworfenen Völkern gewöhnlich taten. Der Bruder Batus, Orda Itschen, erhielt die Kirgisische Steppe zum Besitz und errichtete seine Residenz in der Stadt Laganak. Dieses Gebiet wird von russischen Geschichtschreibern als die „Blaue Horde" bezeichnet, während die Muselmänner sie die „Weiße" nennen. Der Khan Orda Itschen verlieh seinem jüngsten Bruder Schtscheibani für die im Feldzuge gegen Rußland bewiesene Tapferkeit ein besonderes Teilfürstentum am oberen Laufe des Ural bis zum Flusse Syr-Darja. Später dehnte sich die Blaue Horde nach Norden aus und bildete die Basis für die sibirischen Khane, von denen der bekannte Kutschu stammte, der gemeinsam mit Jermak Sibirien unterworfen hat. Damit waren drei Linien der Nachkommen Jucis entstanden. Die russischen Fürsten waren verpflichtet, sich bei der Goldenen Horde und in Karakorum vorzustellen, den Khanen zu huldigen und ihnen Tribut und Geschenke darzubringen. Nicht genehme Fürsten wurden von den Khanen einfach abgesetzt und eingesperrt. Überhaupt war das ganze Verhalten der Mongolen den russischen Vasallenfürsten gegenüber äußerst roh: der geringfügigste Ungehorsam und die leiseste Nichtachtung wtirden mit dem Tode bestraft. So wurde der Großfürst Jaroslaw von Wladimir (1238—46) nach der mongolischen Residenz beschieden, um sich wegen gegen ihn erhobener Anschuldigungen zu rechtfertigen, und auf Geheiß Kaiser Güyük Khans hingerichtet. Dasselbe Schicksal ereilte im Jahre 1286 den Fürsten Michael von Tschernigow,

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den Batu Khan hinrichten ließ, weil er sich weigerte, die mongolischen Götterbilder anzubeten. Augenzeuge dieses Ereignisses war der päpstliche Gesandte, der Franziskanermönch Johann von Piano Carpini, der sich gerade zu jener Zeit in Karakorum aufhielt. Im Jahre 1319 wurden der Großfürst von Twer, Michael, und sein Sohn Dmitrij hingerichtet. Im übrigen schenkten die Mongolen auch einigen Fürsten ihr Vertrauen, wie z. B. dem Nowgoroder Fürsten Alexander Newskij, den sie zum Herrscher der südlichen Provinzen mit der Residenz in Kiew einsetzten. Ungeachtet ihres rohen Verhaltens den Fürsten gegenüber mischten die Mongolen sich nicht in die inneren russischen Angelegenheiten und begnügten sich mit der Vereinnahmung der Kontributionen, deren Beitreibung anfangs Pächtern überlassen wurde; später wurden sie von den Fürsten direkt abgeliefert. Es sei hier das wohlwollende Verhalten der Mongolen der christlichen Religion und der Geistlichkeit gegenüber hervorgehoben. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts wurde ihr von Üsbek Khan (1312—42) das Privileg erteilt, keine Kontributionen bezahlen zu brauchen. Die russischen Fürsten hatten dagegen nicht nur die Kontributionen zu zahlen, sondern auch Heerfolge zu leisten und der Horde Soldaten zu stellen. So findet sich in den Annalen die Nachricht, daß zur Zeit der Regierung Hubilai Khans eine Abteilung russischer Leibgarde in Peking erschienen ist. Während der Regierung Temürs, des Enkels Hubilai Khans, bestand ebenfalls eine russische Leibgarde, der ein Stück Land nördlich von Peking zugeteilt worden war. Diese Leibgarde ergänzte sich aus russischen Gefangenen, welche die mongolischen Fürsten nach der Residenz des Kaisers schickten. Der allmähliche Verfall der Mongolenherrschaft hatte seinen hauptsächlichen Grund in den inneren Streitigkeiten und Zwistigkeiten der Mongolen. Auf die Weigerung des Moskauer Fürsten Dmitrij, die Kontributionen zu zahlen, zog Mamai Khan gegen ihn ins Feld und wurde bei Kalka (an der Mündung der Nepriadwa in den Don) vollkommen geschlagen. Einige Jahre darauf verwüstete jedoch Tochtamisch Khan abermals die russischen Länder, steckte Moskau in Brand und zwang Dmitrij zum Gehorsam. Allerdings mußte Tochtamisch sich vor Timur zurückziehen, der gegen Rußland ins Feld zog und bis Orel vorstieß. Im Jahre 1408 fielen die Mongolen unter der Anführung Tochtamischs wieder über Rußland her, kamen bis Moskau und zwangen den Großfürsten Wassilij I. (1389—1425) zur Zahlung von Kontributionen. Für die Eintreibung der Abgaben aus den russischen Fürstentümern entsandten die Khane besondere Beamte, Baskak genannt. In der Folge errangen die russischen Fürsten das Recht, ihre eigenen Beamten zur Eintreibung der Abgaben zu entsenden. Von den Abgaben befreit war nur die Geistlichkeit, die als Zeichen hierfür besondere Zettel oder Jarlik (Orders) erhielt, Darchanji (Schenkurkunden) genannt. Den größten Einfluß in der Horde hatten die sogenannten Temniks, d. h. Führer von Truppenteilen zu 10 000 Mann. Im Laufe der Zeit stieg die Macht dieser Temniks so weit, daß sie die hauptsächlichste Rolle in Verwaltungsangelegenheiten spielten und die Khane nach ihrem Ermessen ernannten.

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Dem im Jahre 1255 verstorbenen Batu folgte dessen Sohn Sartak, der aber bald starb. Danach bestimmte der Großkhan Möngke zum Nachfolger Sartaks den unmündigen Ulakci und zur Regentin die älteste der Frauen Batus, Borakcina. Nach dem Tode Ulakcis ging der Thron auf Batus Bruder Berke über. Unter Berke wurde eine Registrierung der unterworfenen Völker zur Erhebung der Abgaben vorgenommen. Während der Herrschaft dieses Khans, der 1283 den Islam annahm, begann eine starke Verbreitung des muhammedanischen Glaubens. Die Voraussetzung hierfür war schon insofern gegeben, als das Muhammedanertum bereits im bulgarischen Zarenreich an der Wolga verbreitet gewesen war. Außerdem bekannten sich die Polowzy, die sich mit den Tataren verschmolzen hatten, ebenfalls zum Islam. Berke zwang indessen seine Untertanen nicht zum Übertritt, wie er überhaupt sich durch Toleranz auszeichnete. Unter seiner Herrschaft wurde in Sarai im Jahre 1261 eine russische Gemeinde gegründet 4 ). Nach dem Tode Berkes begannen in der Horde Unruhen. Der Temnik Nogai, der Enkel Jucis, der den Süden Rußlands verwaltete, riß die Macht an sich und unterstützte der Reihe nach verschiedene Prätendenten auf dem Thron der Khane 5 ). Die Ordnung wurde erst unter dem Khan Üsbek wiederhergestellt, der durch seine Grausamkeit gegen die unterworfenen Völker bekannt ist. Unter ihm verschärfte sich die Verfolgung der russischen Fürsten, die für jede Regung der Unabhängigkeit aufs strengste bestraft wurden. Die auf Befehl des Khans zu Hofe gekommenen Fürsten wurden den verschiedensten Erniedrigungen ausgesetzt, und es kam öfter vor, daß diese Besuche mit Folter und Hinrichtung endeten. Üsbek war verheiratet mit einer Tochter des byzantinischen Kaisers Andronikos des Jüngeren und trat in ein verwandtschaftliches Verhältnis zu dem ägyptischen Sultan. Seine Schwester Kontschaku verheiratete er mit dem russischen Fürsten Jurij Danilowitsch und gestattete ihr den Übertritt zum christlichen Glauben. Dem Khan Üsbek folgte im Khanat Dschanibek, der von den Geschichtsschreibern als der Gutherzige bezeichnet wird. Seine Frau Taidula wurde vom Metropoliten Alexei von der Blindheit geheilt und nahm infolgedessen oft die Russen in Schutz. Dschanibek wurde von seinem Sohne Berdibek im Jahre 1357 erwürgt; letzterer herrschte jedoch nur zwei Jahre, wonach ein häufiger Wechsel der Khane einsetzte, jedesmal von blutigen Unruhen begleitet. Der Urheber dieser Unruhen war der Temnik Mamai, durch seine unglücklichen militärischen Operationen gegen den russischen Großfürsten Dmitrij Donskoi bekannt. Nach der für ihn katastrophalen Schlacht auf dem Kulikower Felde im Jahre 1380 floh Mamai nach Kafu und starb dort; die Verwaltung der Horde ging auf Tochtamysch über, der mit Unterstützung Tamerlans®) die Blaue und die Goldene Horde in seinen Händen vereinigte. 4

) Siehe A History of the Mongols von J. Curtin. ) Von diesem Temnik N o g a i leiten die Tataren ihre Bezeichnung „Nogaijen", wie sie sich auch nennen, ab. Nogai bedeutet „Hund". 6 ) Tamerlan (verstümmelt aus Timur Lenk, „der Lahme Temür") war ein Nachkomme Cagatais, des Lieblingssohnes Cinggis Khans. Er bemächtigte sich im Jahre 1369 der Herr4

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Tochtamysch unternahm im Jahre 1382 einen neuen Feldzug und zerstörte einige Fürstentümer. In dem darauffolgenden Kampfe mit Tamerlan wurde Tochtamysch besiegt, worauf Tamerlan die russischen Gebiete seinem Reiche angliederte. Tamerlan ernannte selbst die Khane der Horde; diese Khane, die keine eigene Partei in Sarai hatten, verloren jedoch bald die Gewalt, um so mehr als Tochtamysch und dessen Temniks, die sich als die rechtmäßigen Verwalter der besetzten Gebiete ansahen, die Unruhen unterstützten. Sieger in diesen inneren Zerwürfnissen blieb der Temnik Edigei, der im Jahre 1417 Tochtamysch erschlug. Nach dem Tode dieses Khans wurde die Abhängigkeit der russischen Fürsten ständig schwächer und ging allmählich in den Austausch von Gesandtschaften und Darbringung von Geschenken über. Diese ungewisse Lage währte bis zur Thronbesteigung des Khans Achmed, der die Bedeutung der Horde heben und die Gewalt über Rußland wiederherstellen sollte. Im Jahre 1416 führte er sein Heer gegen die Stadt PerijaslaweRjäsanski, wurde jedoch geschlagen und zum Rückzüge gezwungen. Der Khan Achmed schloß im Jahre 1480 zum Kampfe gegen Rußland, das damals Iwan III. zum Zaren hatte, ein Bündnis mit dem polnischen König Kasimir. Letzterer konnte jedoch dem Khan nicht helfen, da er mit der Verteidigung des litauischen Podoliens beschäftigt war, das er vor dem Einfall des Verbündeten Moskaus, des Khans von Perekop, Mengli Girei, zu schützen hatte. Das russische Heer und die tatarische Horde stießen an den Ufern des Flusses Ugra zusammen. Der Zar konnte sich aber zu keinem Angriff entschließen und zog sich zurück. Die Horde ging ebenfalls zurück, da die Nachricht eintraf, daß der Swenigorodsker Wojewode und der Krimsche Thronfolger Nur Dewlet Sarai bedrohten. Khan Achmed mußte schließlich Sarai verlassen, was zum Verfall der Goldenen Horde führte. Die Söhne Achmeds hielten sich noch in Astrachan und gründeten das Astrachanische Zarenreich, verfügten jedoch nicht mehr über die nötige militärische Macht, um Rußland gefährlich zu werden. Dieses Zarenreich wurde von Iwan dem Grausamen im Jahre 1554 erobert. Noch vor dem Zerfall der Goldenen Horde entstand das Zarenreich von Kasan, das bis zum Jahre 1552 bestanden hat, als es von Moskau ebenfalls unterworfen wurde. Viel länger hielt sich das Khanat der Krim, wo seit Tochtamysch die Dynastie der Girei herrschte. Dieses Zarentum wurde erst unter Katharina II. im Jahre 1783 Rußland angegliedert. Kehren wir nun zu den Ereignissen zurück, die in der Mongolei nach dem Tode Cinggis Khans vor sich gingen. Auf dem Reichstage des Jahres 1229, der Ugetei zum Großkhan erhoben hatte, schworen die Fürsten, alle künftigen Großkhane nur aus dessen Geschlecht zu wählen. Diese Regel wurde jedoch bald umgangen, was zu Streitigkeiten im Hause Cinggis Khans führte. Auf demselschaft in Samarkand, legte sich den Titel des Großkhans bei und erweiterte seinen Machtbereich auf die Kiptschaker Horde bis zum Flusse Indus. Tamerlan ist bekannt nicht so sehr durch seine Eroberungen als durch seine Grausamkeit. So ließ er nach der Einnahme Isfagonas die Einwohner köpfen und aus 70 000 Menschenschädeln eine Pyramide errichten.

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ben Reichstage wurden Expeditionen gegen die Perser und Kiptschaken beschlossen. Im Laufe von zwei Jahren wurde Persien, die asiatische Türkei, Grusien und Rußland erobert. Die Mongolen versuchten, über Ägypten in Afrika vorzudringen, erlitten jedoch in Palästina eine Niederlage und mußten sich zurückziehen. Der hauptsächlichste Feldzug wurde unter der Führung des Ügetei selbst gegen China, in welchem, wie bereits erwähnt, die Kindynastie der Dschurdschen herrschte, unternommen. Im Jahre 1230 überschritt Ügetei mit seinem Bruder Tului an der Spitze des Heeres den Huangho und trat mit den Chinesen in offenen Kampf, der mit der Besetzung Nord- und Mitlelchinas und dem Sturze der Dynastie Kin endete. Die Unterwerfung Chinas fand im Jahre 1234 durch den General Subutai ihren Abschluß, der zu diesem Zwecke mit der den Süden Chinas beherrschenden Dynastie Sung in ein Bündnisverhältnis trat. Nun kam Südchina an die Reihe, und die Mongolen begannen einen Kampf, der erst unter dem dritten Nachfolger Ügeteis, Hubilai Khan, zu Ende ging, der das gesamte China unterwarf und zum Begründer der Yüandynastie wurde. Die Regierungszeit Hubilais wird als die Blütezeit der mongolischen Macht angesehen. Er war der Beherrscher eines Riesenreiches, das sich auf die Hälfte von Europa und fast ganz Asien erstreckte. Mit dem Thronwechsel begannen 1260 aber Zwistigkeiten im Hause Cinggis Khans, da die Verwandten sich den Titel des Großkhans streitig machten. Diese Zwistigkeiten führten gemeinsam mit der Degenerierung der nachfolgenden Monarchen sehr rasch zum Niedergang der mongolischen Dynastie. Im Jahre 1370 wurde Tohon Temür, der achte Nachfolger Hubilais, aus China vertrieben, wo die einheimische Dynastie Ming, deren Begründer der frühere Buddhistenmönch und Bandenführer Chu Yüanchang war, die Herrschaft übernahm. Unter den Ursachen, welche zum Falle der mongolischen Dynastie beitrugen, wird von den Historikern die außerordentliche Emission von Papiergeld hervorgehoben, insbesondere während der Regierung Hubilai Khans. Dies brachte eine Geldkrise und eine allgemeine Verarmung mit sich, da das Geld vollkommen seinen Wert einbüßte. Der letzte Kaiser der Mongolendynastie Yüan floh nach der Mongolei. Sein Nachfolger nannte sich bereits nicht mehr Kaiser von China, sondern nur Khan. Etwa zwei Jahrzehnte hindurch versuchten die mongolischen Khane die Herrschaft über China wieder zurückzuerobern, indem sie die Grenzprovinzen überfielen: diese Versuche blieben jedoch erfolglos, da in der Mongolei selbst ständig Zwist und Streitigkeiten herrschten. Die mongolischen Feldzüge verhalfen, wie einst die Kreuzzüge, zu einer Annäherung zwischen dem Osten und dem Westen. Europa, Byzanz, Persien und Indien suchten mit dem fernen China und der Mongolei bekannt zu werden; wagehalsige Reisende und Abenteurer erschienen in Peking und Karakorum. Nicht an letzter Stelle standen unter diesen Reisenden katholische Missionare, die von religiösem Eifer und der Hoffnung geleitet wurden, die heidnischen Massen des fernen Ostens zum christlichen Glauben zu bekehren. Papst Innozenz IV. schickte den schon genannten Franziskaner Johann von Piano Carpini mit einem Briefe an den Großkhan ab. Dieser verließ zu-

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sammen mit dem Portugiesen Laurentius, dem Böhmen Stephan und dem Polen Benedikt 1245 Lyon, wo das große Kirchenkonzil tagte, und erreichte über Breslau, Krakau und Kiew Sarai, die Residenz Batus, der ihn unter sicherem Geleit weitersandte. Im Jahre 1246 langte er in Karakorum an, wo gerade die Wahl Güyük Khans zum Großkhan stattgefunden hatte. Nach Erledigung ihres Auftrages kehrten diese ersten Missionare, die überall gute Aufnahme gefunden hatten, mit einem Antwortschreiben des Großkhans an den Papst 1247 zurück. Piano Carpini wurde zum Erzbischof erhoben und verfaßte dann einen ausführlichen Bericht über seine Reise. Der Papst hatte in seinem Briefe, unter Berufung auf die ihm von Gott verliehene geistliche Macht, den Zorn Gottes auf das Haupt des Großkhans herabbeschworen wegen der Vernichtung der christlichen Völker und ihn ermahnt, Buße zu tun und sich zum Christentum zu bekehren. Darauf antwortete Güyük Khan: „Wenn ihr Frieden wollt, du Papst und ihr Kaiser und Könige, so zögert nicht, zu uns zu kommen, und ihr werdet Antwort vernehmen! In euren Briefen heißt es, daß wir uns taufen lassen und Christen werden müßten. Wir antworten kurz, daß wir nicht einsehen, warum wir dies tun sollten. Ihr Bewohner des Westens glaubt, daß nur ihr Christen daseid, und verachtet alle andern. Aber wißt ihr denn, wem Gott seine Gunst zuwenden wird ? Wir beten Gott an, und mit seiner Stärke werden wir die ganze Welt von Osten nach Westen erobern!" Dieser Missionsversuch Innozenz' IV. hätte also leicht einen zweiten Mongoleneinfall nach Europa zur Folge haben können. Auch König Ludwig I X . von Frankreich, der Heilige, wollte die Mongolen zum Christentum bekehren und schickte 1249 einen Dominikaner, Andreas von Longjumeau, an den Hof des Großkhans, der aber seinen Auftrag nicht ausrichten konnte, weil er kurz nach dem Tode Güyük Khans in Karakorum eintraf. Darauf schickte Ludwig der Heilige den Niederländer Wilhelm Ruysbroek (Rubruquis), einen Franziskaner, mit vier Begleitern nach der Mongolei. Nach einem kurzen Aufenthalte in der Residenz Batus an der Wolga kam er an den Hof Möngke Khans in Karakorum, wo er sich 1253—55 aufhielt. A m Hofe des Großkhans trafen sie viele Europäer, Armenier, Sarazenen und Nestorianer verschiedener Nation, mußten sich aber überzeugen, daß die Bekehrung der Mongolen zum Christentum geringe Aussichten habe und daß der Großkhan nur aus allgemeiner religiöser Toleranz den Christen, wie allen anderen Bekenntnissen, sein Wohlwollen erzeige. Zur gleichen Zeit, im Jahre 1254, befand sich am Mongolenhofe auch König Haithon I. von Kleinarmenien, der schon 1246 seinen Bruder Sempad zu Güyük geschickt hatte und jetzt sein Reich durch gute Beziehungen zum Großkhan vor Hulagus Scharen sichern wollte. Sein Bericht enthält recht wunderliche Dinge, unter anderem eine Beschreibung der Taufe Möngke Khans. Einen weiteren Bericht über den Hof des Großkhans zu dieser Zeit hat uns der Araber Ibn Batuta hinterlassen. Es ist bekannt, daß am Hofe Möngke Khans in Karakorum nestorianische Christen wohnten und daß bereits im 13. Jahrhundert in Peking päpstliche

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Legate waren, die sich des Schutzes der mongolischen Monarchen erfreuten. Im Jahre 1269 sandte Hubilai Khan eine Delegation zum Papst mit dem Auftrage, diesen um Zusendung von Gelehrten und Meistern zur Aufklärung der Mongolen zu bitten. Die Angelegenheit wurde durch Entsendung zweier Dominikanermönche erledigt, die im übrigen nicht bis in die mongolische Residenz kamen. Papst Innozenz IV. und König Ludwig der Heilige von Frankreich unternahmen ebenfalls erfolglose Versuche, Missionare in die Mongolei zu schikken. Dagegen erreichte der Franziskaner Johann von Montecorvino Peking im Jahre 1294 kurz nach dem Tode Hubilai Khans, wurde von dessen Nachfolger Temür (Ch'eng-tsung) freundlich aufgenommen und entfaltete eine eifrige Predigertätigkeit, die dem katholischen Glauben bald Verbreitung verschafft haben muß, trotz der Feindschaft, die ihm die Nestorianer bewiesen. Denn Montecorvino erbaute schon 1299 in Peking eine Kirche und begann eine Übersetzung des Neuen Testamentes ins Mongolische. Zu seiner Unterstützung traf im Jahre 1303 Bruder Arnold aus Köln ein, und 1307 ernannte der Papst Clemens V. Montecorvino auf Grund seiner Erfolge zum Erzbischof von Peking und päpstlichen Legaten. Ihm wurden dann die Diözesen von Zaitun, Almaliq, Sarai, Tana, KafTa und Kumuk unterstellt, für die neue Bistümer geschaffen wurden. Montecorvino starb im Jahre 1328. Der von Papst Johann X X I I . 1333 zu seinem Nachfolger in China ernannte Franziskaner Nicolaus, der vordem Professor an der Pariser Universität gewesen war, scheint auf der Reise, die er zu Lande über Amaliq, die Hauptstadt der Reiches Cagatai, antrat, verunglückt zu sein. In Erwiderung einer vom Kaiser von China gekommenen Gesandtschaft schickte Papst Benedikt XII. den Minoriten Johann von Marignola aus Florenz nach China. Dieser verließ mit zwei Brüdern 1338 Avignon, reiste über Konstantinopel nach Sarai an der Wolga, durchquerte Ostturkestan, wo er sich längere Zeit in Hami aufhielt, und erreichte 1342 Peking. Er blieb am Kaiserhofe bis 1346 und trat dann vom Hafen Zaitun aus die Rückreise zu See an, berührte Indien und langte 1353 weder in Europa an. Die später noch vom Papste ernannten Bischöfe von Peking haben die Reise in ihr Wirkungsgebiet gar nicht mehr angetreten. So wurden für diesen Posten noch designiert durch Urban V. 1369 der Bischof Kosmas von Sarai und 1370 Wilhelm du Prat, ein französischer Magister der Theologie. Die Bemühungen der römischen Kirche, am Hofe der Mongolenkaiser festen Fuß zu fassen und das katholische Christentum in China und der Mongolei zu verbreiten, sind schließlich ohne Erfolg geblieben. Ein interessantes Dokument für die Zunahme europäisch-asiatischer Beziehungen bildet die Beschreibung der Reise nach China, welche der venezianische Kaufmann Marco Polo hinterlassen hat. Entgegen früheren Urteilen, die das Buch als einen Roman ansahen, der in großsprecherischer Übertreibung weit von der Wahrheit abweicht, hat genauere Kritik später in vielen Punkten seine Zuverlässigkeit erwiesen. Im Jahre 1260 reisten die Brüder Nicolo und Maffeo Polo aus Venedig, die sich in Handelsgeschäften zu Konstantinopel aufhielten, über die Krim und nördlich des Kaspischen Meeres nach Buchara, wo

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sie drei Jahre blieben. Als zu dieser Zeit der dortige Mongolenherrscher Hulagu eine Gesandtschaft an seinen Bruder, den Großkhan Hubilai, abfertigte, schlössen die beiden Venezianer sich dieser an und waren die ersten Europäer, die auf dem Landwege über Karakorum, das inzwischen seine Bedeutung verloren hatte, die neue Residenz Peking erreichten, wo sie von Hubilai Khan ehrenvoll aufgenommen wurden. Bei ihrer Abreise gab ihnen der Großkhan einen Brief an den Papst mit. Als die beiden Polo 1269 wieder in Venedig angelangt waren, konnten sie den Brief nicht übergeben, da der päpstliche Stuhl nach dem Tode Clemens IV. längere Zeit unbesetzt blieb. Da die Brüder Polo Hubilai Khan versprochen hatten, an seinen Hof zurückzukehren, traten sie 1271 ihre zweite Reise an, auf die Nicolo seinen 17jährigen Sohn Marco mitnahm. Nach einer dreieinhalbjährigen Reise über Land langten sie in der kaiserlichen Sommerresidenz Shang-tu bei Dolonnor an. Die Rückreise traten die Polo 1292 vom Hafen Zaitun zur See an, erreichten Persien und kamen durch Armenien und über Trapezunt 1295 wieder nach Venedig. Bei dem Seegefecht von Curzola geriet Marco Polo 1298 in die Gefangenschaft des Genuesen, und im Kerker zu Genua diktierte er seinem Leidensgenossen Rusticciano da Pisa seine Erinnerungen in französischer Sprache. Er starb 1323. Marco Polo hat zuerst von China und der Mongolei den Schleier hinweggezogen, der für Europa bisher über diesen Ländern gelegen hatte, und hat durch seine Reisebeschreibungen den Anstoß gegeben zu den Erkundungsfahrten, welche die Völker Europas nach dem fernen Osten unternommen haben 7 ).

Kapitel II. Die Äußere Mongolei oder Kalka im 16. und 17. Jahrhundert. D a s Eindringen des B u d dhismus. Der Dschebdsun D a m b a Hutuktu. Der Kampf der Mongolen m i t den Mandschus. Die Mongolen während der Herrschaft des Kaisers K'ang Hi. Die politische Rolle des H u t u k t u s Undur Gegen bei der Unterwerfung der Mongolen durch die Mandschudynastie. Der Kampf der Mandschus m i t den Dsungaren und die Niederlage Galdan Khans.

Nach der Vertreibung der Mongolen aus China unternahmen die Chinesen selbst Feldzüge nach der Mongolei, die jedoch meist erfolglos blieben. Die Mongolen versuchten ihrerseits die angrenzenden chinesischen Gebiete anzugreifen, doch hatten diese Versuche keine ernste Bedeutung, da die Nomaden infolge ihrer Zersplitterung in einzelne Stämme und Fürstentümer nicht imstande waren, gegen das starke chinesische Heer erfolgreich aufzutreten. Zum letzten Male wurde die Mongolei in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Dayan Khan vereinigt. Doch auch dieser Khan führte wieder eine Zersplitterung der Mongolei herbei, indem er das Land an seine elf Söhne verteilte. Die älteren 7 ) Näheres über die Feldzüge und Eroberungen der Mongolen und die Beziehungen der Mongolei zum Westen enthält die Zusammenstellung von Prof. F. E. A. Krause-Heidelberg „Die Epoche der Mongolen" in den Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen zu Berlin von 1924, der eine Reihe der vorstehenden Tatsachen und Ausführungen entlehnt worden sind.

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Söhne erhielten die südlichen Gebiete, die jüngeren dagegen die nördliche Mongolei, wobei Kalka in den Besitz des elften Sohnes Geresanja überging. Obgleich die altern Fürsten Anspruch auf eine Vormachtstellung erhoben, wollten die jüngeren ihre Macht nicht anerkennen. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts erstarkte die Macht des Reiches der CaharMongolen unter Lindan Khan so weit, daß sie sogar China tributpflichtig machten und zu einem Bündnis nötigten. Als aber Lindan Khan darauf von den Mandschus vertrieben wurde, schlössen sich die Stämme des Reiches Cahar den Mandschus an. Auch die südwestlichen Mongolen wurden fast ohne Widerstand China einverleibt. Die nördliche Mongolei oder Kalka blieb noch längere Zeit selbständig; bis heute behandelt der Kalka jeden anderen Mongolen geringschätzig, da er nur sich als den wahren Mongolen ansieht. Vor seinem Tode teilte Geresanja sein Land unter seine sieben Söhne; den Osten verwaltete der dritte Sohn Unugu, den Westen der fünfte Sohn Amin Dural, von dem die Fürsten des Tusiyetu-Khanats der nördlichen Kalka abstammen. Die vier Hauptfürstentümer der Kalka zerfielen bald in kleinere Fürstentümer, die von unabhängigen Herrschern regiert wurden. Letztere teilten noch bei Lebzeiten ihre Länder unter ihren Söhnen, Verwandten oder bevorzugten Tributpflichtigen, was zu einer noch größeren Zersplitterung des Landes führte. Ohne jegliche politische Macht und staatliche Organisation waren die Fürstentümer nur durch Familientradition und gemeinsame Religion miteinander verbunden, was die Grundlage einer gewissen nationalen Einheit bildete. Jeder Fürst verfügte nach eigenem Ermessen über sein Land und seine Tributpflichtigen. Rechtsprechung, Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgten lediglich auf Grund von Traditionen und persönlichen Interessen. Zwar wurde über gemeinsame Angelegenheiten auf dem Huruldan (Reichstag) verhandelt, doch waren die dort gefaßten Beschüsse nicht unbedingt maßgebend. Bis zum Regierungsantritt Dayan Khans gehörten die Mongolen dem Schamanentum an, und der Buddhismus war nur in der Sekte der „Rotmützen" vertreten. Unter dem Nachfolger Dayan Khans verbreitete sich der Lamaismus der „Gelbmützen", die sog. Gelbe Lehre, die anfänglich aus der Dsungarei in das Fürstentum des Tusiyetu Khans gekommen war. Zu ihrer Verbreitung trug auch der Verkehr mit den Ölet bei, die bereits Anhänger dieser Religion waren. Dieser neue Glaube, der die Wiedergeburt lehrte, ein ganzes Pantheon von Bodhisattvas und Heiligen, Dämonen und Teufeln sowie einen prunkvollen Kult mit sich brachte, wurde von den abergläubischem Mongolen gern angenommen. Die religiösen Formen dieses entarteten Buddhismus entsprachen dem Geschmack der Nomaden, auch blieb die neue Religion mit ihrem Mönchwesen und Klosterkult nicht ohne tiefen Einfluß auf das Volk und seine weitere geschichtliche Entwicklung. Indem der Buddhismus große Mengen der Steppenbewohner als Zölibatäre in die Klöster trieb und den Hang zu geistlicher Beschaulichkeit, d. h. zum Dolce far niente, hervorrief, hat er den alten kriegerischen Geist der Mongolen gebrochen und sie aus kühnen Reitern und Eroberern zu frommen Pfaffen und friedlichen Hirten gemacht.

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Die mongolischen Chroniken bringen die Einführung des Lamaismus mit einem Ereignis in Verbindung, das an die Geschichte des russischen Großfürsten Wladimir von Kiew erinnert, der seine griechische Religion aus Byzanz erhalten hat. Demzufolge soll Tümengken, ein Sohn des Kalka-Fürsten Unugu, sich für den Lamaismus entschieden haben, weil er dessen Vorzüge gelegentlich eines Disputs der Lehrer der Gelben Lehre mit den Rotmützen erkannt haben wollte. Außerdem hatte die Feierlichkeit und die theatralische Aufmachung des lamaischen Gottesdienstes mit seinem Gesang und Fanfarengeschmetter großen Eindruck hinterlassen. Der Dalai Lama Tibets wurde von der Wahl Tümengkens in Kenntnis gesetzt und verlieh ihm den Ehrennamen Sain Noyan, d. h. „guter Fürst", was die Zuneigung des Fürsten zum Lamaismus erheblich steigerte. Einer andern Version zufolge soll der älteste Sohn des oben erwähnten Fürsten, Abatai, nachdem er die Dogmen der Gelben Lehre kennengelernt hatte, den Wunsch geäußert haben, den Dalai Lama zu sehen, und sich zu diesem Zwecke nach Kuku Hoton zum Altan Khan der Tümet begeben haben, wo der Großlama als Gast weilte. Das Prestige Tibets als religiös-kultureller Mittelpunkt war in den Augen der Mongolen jener Zeit sehr bedeutend. Abatai Khan besuchte den Dalai Lama, der ihn als Hubilgan (Wiedergeborenen) erkannte und ihm ein Stückchen der Reliquien Buddhas überreichte. Nach seiner Rückkehr nach Kalka im Jahre 1586 errichtete Abatai das erste buddhistische Kloster der Mongolei, Erdeni Juu, am Flusse Orhon. Der religiöse Eifer der Kalka fand in Tibet lebhaften Anklang, und es wurden Mönche nach der Mongolei entsandt, die durch Predigten und Förderung der Schriftkunde die Gelbe Religion verbreiten sollten. So ist von ihnen der heilige Kandschur in mongolischer Sprache herausgegeben worden. Gleichzeitig wurden aus den Spenden der Fürsten und des Volkes Tempel und Klöster errichtet. Die tibetischen Lehrer verschmähten kein Mittel, um neue Anhänger ihrer Religion zu werben; so erhielt z. B. jeder, der die buddhistischen Gebete erlernt hatte, eine Kuh oder ein Pferd x). Mit der Verbreitung des Buddhismus, welcher die Bildung einer neuen Kaste von Mönchen oder Lamas zur Folge hatte, tauchte auch die Frage der Organisation einer eigenen kirchlichen Hierarchie auf. Tibet war zu weit entfernt und schwer zu erreichen, außerdem fürchteten die Mongolen, daß sich der Einfluß der tibetischen Geistlichkeit zu stark geltend machen könnte. Zuerst hofften sie, der Dalai Lama würde sich dazu bewegen lassen, nach Urga überzusiedeln. Aber die mongolische Gesandtschaft, die nach Lhasa zum Oberpriester gekommen war, vermochte letzteren nicht dazu zu überreden; daher beschlossen die Mongolen, ihren eigenen Hubilgan zu ernennen. Die Wahl traf den fünfjährigen Sohn des Tusiyetu Khans Gombo Dorji, der 1640 unter dem Namen Lobsang Damba Dschamdsan als Mönch ordiniert, zum Gegen („Erleuchteten") ausgerufen und zum Klosterabte ernannt wurde. Der Dalai Lama bestätigte die Ordination, proklamierte ihn zum Hubilgan, d. h. zum Wiedergeborenen, wonach ihm göttliche Ehrenbezeugungen zuteil wurden, und verlieh ihm den Mongolische Chronik „Erdeni yin erihe" (d. h. „Juwelenkranz"), von A. Posdnejew.

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Ehrentitel Dschebdsun Damba Hutuktu. Im Jahre 1650 unternahm der Hutuktu eine Reise nach Tibet, von wo er gelehrte Lamas mitbrachte, welche Klöster einrichten und die kirchlichen Gebräuche regeln sollten. An die zweite Reise des Hutuktus nach Tibet knüpft sich folgende Legende: Als er nach Lhasa kam, soll er den Pantschen Lama (den zweiten Hohenpriester neben dem Dalai Lama) nicht mehr lebend angetroffen haben. Sein Wunsch, die heiligen Lehren dennoch zu vernehmen, war aber so stark, daß er den Großlama zum Leben erweckte, worauf dieser noch zwanzig Jahre lebte 2). Die Verbreitung des Buddhismus in Kalka fiel mit dem Einzüge der Mandschus in China zusammen. Anfang des 17. Jahrhunderts richtete der künftige Begründer der Tai-Ts'ing-Dynastie T'ai-tsung, nachdem er die Reste der Dschurdschen-Stämme zwischen der Mongolei und dem Stillen Ozean vereinigt hatte, seine Bestrebungen gegen China. Die südlichen Mongolen schlössen sich zuerst dem immer mächtiger werdenden Nachbar an. Einige Stämme wie die Korcin, Aohan, Naiman, Sunit, Abaga und Ujumucin, waren bereits Vasallen des Mandschus geworden, als die Kalka eine Annäherung zu den Mandschus erstrebten. Der erste Fürst war der Cecen Khan, dem der Tusiyetu Khan und der Jasaktu Khan folgten. Sie besuchten den Mandschukaiser T'ai-tsung, brachten Geschenke und boten ihm einen Freundschaftsvertrag an. Dieser Schritt wurde von dem Wunsche geleitet, das Wohlwollen der aufkommenden Großmacht zu gewinnen und sich den Schutz des Mandschuherrschers zu sichern. Währenddessen stießen die Mandschus bei ihren Expansionsbestrebungen mit den Cahar zusammen, welche die Grenzen des chinesischen Reiches verteidigten. Im Jahre 1634 vertrieb T'ai-tsung den letzten Cahar-Khan Lindan. Damit endete das Reich Cahar. Lindan Khan starb auf der Flucht, seine Gemahlin ergab sich den Mandschus und sein Sohn Ejei wurde nach Mukden mitgenommen und mit einer Tochter T'ai-tsungs vermählt. Der Rest des CaharVolkes wurde den Bannern einverleibt. Am 15. Mai 1636 proklamierte sich der mandschurische Eroberer zum ersten Kaiser der Tai-Ts'ing-Dynastie ( n i c h t zum Kaiser von China!) und nahm einen neuen Jahresnamen an: Ch'ung Te, mongolisch Degedü Erdemtü genannt, d. h. „Erhebung der Tugend". Der chinesische Kaiser Ch'ung Cheng vermochte den Mandschus keinen Widerstand zu leisten, weil das ganze chinesische Reich vom Bürgerkrieg durchwühlt war. Die Eroberungspläne der Mandschus erfuhren zudem eine Unterstützung durch Zerwürfnisse innerhalb der Regierung und den Verrat chinesischer Truppenführer. Im Jahre 1644 zog der *Rebellenführer Li Tze-ch'eng gegen Peking, um den Kaiser zu stürzen. Der im entscheidenden Augenblick von allen Anhängern verlassene Kaiser Ch'ung Cheng erhängte sich, als ein treuloser Eunuch den Rebellen die Tore geöffnet hatte und das Gesindel die Hauptstadt plünderte. So endete die chinesische Dynastie Ming, die 276 Jahre bestanden hatte, und wurde von der mandschurischen Dynastie Ts'ing abgelöst. 2

) Mongolische Chronik „Erdeni yin erihe", A. Posdnejew, S. 164.

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Dem im Jahre 1643 verstorbenen T'ai-tsung war sein neunter Sohn Fulin auf den Thron gefolgt, der unter seinem Jahresnamen Shun Chih bekannt geworden ist. Als sechsjähriger Knabe bestieg er am 30. Oktober 1644 den Drachenthron des Himmelssohnes in Peking. Obgleich die Kalka sich beeilt hatten, dem neuen chinesischen Monarchen ihre Unterwürfigkeit zu bezeugen, indem sie eine Abordnung nach Peking schickten, beteiligten sie sich an dem Aufstande des Südens gegen die Mandschus. Die Erhebung wurde angeführt vom Cecen Khan und Tusiyetu Khan, denen sich der Sunit-Fürst Tenggis anschloß, der mit einer Tochter des Kaisers verheiratet war. Die Aufständischen verheerten das Land des Barin-Stammes, erlitten jedoch eine entschiedene Niederlage und mußten sich unterwerfen. Der Krieg bewies den Mongolen die militärische Überlegenheit der Mandschus und die Unmöglichkeit, die regulären Truppen zu schlagen, welche in den langjährigen Kämpfen mit den Chinesen gestählt worden waren. Die Mandschus ihrerseits überzeugten sich von der Schwierigkeit der Kriegführung gegen weit entfernt gelegene Nomadenstämme. Gleichzeitig trug jedoch der Krieg zur gegenseitigen Annäherung der Gegner bei. Zwischen dem mandschurischen Hofe und den mongolischen Fürsten begann ein Austausch von Gesandten, und die Pekinger Regierung trat als Vermittler und Schiedsrichter in mongolischen Streitigkeiten und Zwistigkeiten auf. Nach dem Siege über die Kalka verlangten die Mandschus die Erstattung der Schäden und die Entsendung von Söhnen und Brüdern der Fürsten als Geiseln. Diese Forderung war die schwerste, da sie die Fürsten in vollständige Abhängigkeit von der chinesischen Regierung brachte. Um weiteren Überfällen auf die Innere Mongolei vorzubeugen, verbot die Pekinger Regierung den Kalka, die Weidegründe der Inneren Mongolei für sich zu benutzen, und ergriff Maßnahmen zur Begrenzung der mongolischen Gebiete. Hierzu wurde ein besonderer Beamter nach Kalka entsandt, der den Auftrag erhielt, Geiseln mitzunehmen. Als die Kalka die Erfüllung dieser Forderung verweigerten, schloß die Pekinger Regierung den Tusiyetu Khan und den Cecen Khan vom Zutritt bei Hofe aus. Um ihre Mißgunst den genannten Fürsten gegenüber besonders zu betonen, empfingen die Mandschus mit außergewöhnlichen Ehrenbezeugungen den Sain Noyan Khan. Überhaupt unterstützte die Pekinger Regierung den Hader zwischen den einzelnen Fürsten. So wurde jeder Fürst, der den Forderungen Pekings nicht nachkam oder Widerstand leistete, bestraft und gleichzeitig ein anderer, der sich gehorsam gezeigt hatte, belohnt. Die gespannten Beziehungen zwischen den Mandschus und den Kalka währten bis zum Tode des alten Tusiyetu Khans und Jasaktu Khans. Die im Jahre 1655 zur Regierung gelangten jungen Fürsten machten Zugeständnisse und schickten die verlangten Geiseln nach Peking, wofür sie reich belohnt und in ihre Rechte eingesetzt wurden. Um die Macht der Fürsten zu untergraben, hoben die Mandschus ihre Gleichberechtigung auf, indem sie alle Fürsten dem Tusiyetu Khan und dem Mergen Noyan Khan unterstellten, welche die Verantwortung nicht nur für ihre Hosun (Banner), sondern auch für die Hosun ihrer Verwandten übernehmen mußten. Die Zahl K o r o s t o v c t z , Mongolei.

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der Fürsten wurde auf acht erhöht und außerdem eine Verordnung über die Eidesleistung und die Entrichtung von Abgaben erlassen. Die Mandschus begnügten sich nicht mit der Einschränkung des Eigenwillens der Fürsten durch strenge Maßnahmen, sondern waren auch bestrebt, durch geistliche Mittel die Fürsten an sich zu fesseln. Zu diesem Zwecke begünstigte die Pekinger Regierung die in Kalka aufgekommene religiöse Bewegung, indem sie neue Hubilgane hinschickte, Tempel und Klöster errichtete und geistliche Literatur verbreitete. Diese Politik schläferte mit der Zeit die kriegerischen Instinkte der Mongolen ein und veranlaßte sie, Befriedigung im Faulenzen des Klosterlebens und im Hokuspokus der tibetischen Metaphysik und Magie zu suchen. Die Zwistigkeiten der Kalka entstanden gewöhnlich aus der Rivalität der Fürsten, Streitigkeiten um die Thronfolge, Grenzüberschreitungen, Frauenraub usw. So entstand zu Beginn der Regierung K'ang Hi's im Fürstentum des Jasaktu Khans nach dem Tode ein Streit um die Thronfolge. Die Macht riß der Fürst JuuMergen an sich; da er aber vom Thing nicht anerkannt wurde, verweigerte ein Teil der Vornehmen ihm den Gehorsam und ging zu den Mandschus über. Letztere stürzten Juu Mergen und machten einen der Söhne der verstorbenen Fürsten zum Oberhaupt. Nach Erledigung der Zwistigkeiten im Fürstentum des Jasaktu Khans begannen Streitigkeiten mit dem Tusiyetu Khan wegen der zu diesem übergegangenen Untertanen, was auch zu einer Intervention des chinesischen Kaisers führte. Im Jahre 1684 überfiel der Tusiyetu Khan den Jasaktu Khan und entführte dessen Geliebte. Diese Entführung hatte einen Krieg und eine Beschwerde nach Peking zur Folge. Um den Erfolg der Vermittlung sicherzustellen, wandte sich Kaiser K'ang Hi an den Dalai Lama, welcher eine besondere Abordnung mit einem Siretui (Klostervorsteher) an der Spitze zu den Kalka entsandte, während die Chinesen den Präsidenten des Hofes für die Verwaltung der Grenzmarken (Li-fan-yüan) schickten. Zur Erledigung der Streitigkeiten wurde ein Thing der Vornehmen im Fürstentume des Sain Noyan Khans Belcir einberufen. Trotz aller Bemühungen der Mandschus und Tibeter konnte eine Einigung zwischen den Fürsten nicht erzielt werden, da der Tusiyetu Khan sich weigerte, dem neuen Jasaktu Khan Sira seine Untertanen zurückzuerstatten. Die Mandschus verhielten sich im übrigen den Zwistigkeiten der Kalka gegenüber ziemlich gleichgültig und sahen darin nur ein Mittel, die unruhigen Nachbarn zu schwächen. In Peking wurde man nur dann unruhig, wenn die Zwistigkeiten auf die benachbarte südliche Mongolei übergriffen. Zu Ende des 17. Jahrhunderts befanden sich fast alle Fürsten der Kalka in ständigen Streitigkeiten und Fehden. In dieser Beziehung ist die Äußerung des Fürsten Bubei, der im Jahre 1684 zur Übergabe des Tributs nach Peking kam, sehr charakteristisch: „Die Kalka-Khane sind vollständig untätig, sie zerstören ihren Besitz und treiben die Sache aufs äußerste 3 ). u * 3

1 A. Posdnejevv a. a. O. S. 182.

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Unter der Herrschaft Kaiser K'ang Hi's, der im Jahre 1662 zur Herrschaft gelangte, erlitten die Mongolen eine Reihe innerer Erschütterungen und Zwistigkeiten, die durch den Krieg mit den Dsungaren hervorgerufen wurden und den Verlust ihrer Unabhängigkeit mit der Unterwerfung unter die Oberherrschaft Chinas nach sich zogen. Weiter unten werden wir auf die Zwistigkeiten der Kalka zu sprechen kommen. Hier verweilen wir bei dem Aufstande Galdans, der alle anderen mongolischen Ereignisse in den Hintergrund drängte. Über Galdan ist bekannt, daß er Sohn des Batur Taiji war und am Hofe des Dalai Lamas zum geistlichen Stande vorbereitet wurde. Er gab jedoch die geistliche Laufbahn auf und wandte sich dem Waffenhandwerk zu; wahrscheinlich hatte er schon damals im Sinn, die Zwistigkeiten der mongolischen Stämme zur Verwirklichung seiner eigenen ehrgeizigen Pläne auszunutzen. Nachdem er die Stämme der Dsungarei vereinigt hatte, schlug er im Jahre 1676 die Fürsten der Kalka aufs Haupt, unterwarf sich im östlichen Turkestan die Stämme der Ölet, Uriyanggen und Sayaten und machte sich zum Khan der Dsungarei. Er war bemüht, die Zwistigkeiten der Fürsten zu vertiefen und sie gleichzeitig auf seine Seite zu locken. Als die Fürsten seinen Lockungen nicht folgten, drang Galdan in Kalka ein, schlug die Kalka am Logoi Noor aufs Haupt und versuchte, den Hutuktu Undur Gegen gefangenzunehmen, der im Kloster Erdeni Juu lebte. Dieser Versuch mißlang, da der Hutuktu Undur Gegen Zeit hatte, zu den Sunit zu fliehen, von wo er den Kaiser um Hilfe bat. Gleichzeitig sandte Undur Gegen eine Abordnung zum russischen Gesandten Golowin, der sich in Transbaikalien befand, mit der Bitte um Aufnahme als russischer Untertan. Übrigens erschien die Abordnung bei Golowin, als die Kalka sich bereits den Mandschus ergeben hatten. Während die Kalka um das Protektorat Rußlands bemüht waren, führten die Mongolen und Barguten ihre Überfälle auf das Priamur-Gebiet weiter. Die Russen zahlten mit derselben Münze heim, d. h. sie plünderten die Barguten und wurden von ihnen mit dem Namen „Rakschas", d. h. Teufel, bedacht. Ungeachtet des Bündnisses mit den Mandschus wagte die Mehrheit des Adels nicht, den Kampf mit den Dsungaren aufzunehmen, und wanderte nach dem Norden aus. Die Fürsten des Cecen Khans flohen nach der Mandschurei, wobei einige über den Fluß Selengga setzten und sich den Russen ergaben. Einer der Fürsten des Tusiyetu Khans versuchte, den Dsungaren Widerstand zu leisten, fand jedoch keine Unterstützung und zog sich auch hinter den Kerülen zurück. Die Kalka-Fürsten wollten sich den Dsungaren nicht unterwerfen und beschlossen, sich an die Nachbarn um Hilfe zu wenden. Auf dem 1688 einberufenen Thing beantragte der Oheim des Cecen Khans, Nameila, die Unterwerfung unter die Herrschaft der Russen (Sira-Kitat) oder der Chinesen (Kara-Kitat). Der Antrag wurde vom Fürsten Kokor Daicing unterstützt, den Galdan für seine Sache hatte gewinnen wollen. Die Mehrheit des Things äußerte sich zugunsten Chinas, indem sie auf die Verwandtschaft der Religion und der Rasse hinwiesen. Die endgültige Entscheidung der Fürsten, sich den Mandschus zu unterwerfen, wurde auf Anraten des Hutuktus Undur Gegen gefaßt, der einen außerordentlich 9*

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großen Einfluß besaß als erster neugeborener Dschebdsun Damba Hutuktu. Als die Fürsten sich an Undur Gegen mit der Bitte wandten, ihnen zu sagen, ob Rußland oder China vorgezogen werden solle, antwortete der Hutuktu: „ I m Norden von uns liegt das große Reich des russischen Zaren oder Sira-Kitat (Gelbe Chinesen). Seine Vertreter haben aber nicht den Glauben Buddhas und außerdem knöpft dieses Volk seine Kleidung auf der linken Seite zu: dorthin dürfen wir nicht gehen! Im Süden dagegen befindet sich die große Regierung des Kaisers von China oder Kara-Kitat (Schwarze Chinesen); dort ist der Glaube Buddhas verbreitet und was die Kleidung der Mandschus angeht, so ist sie der Kleidung der Himmelsbewohner ähnlich. Ihre Reichtümer sind den Schätzen der Drachengebieter gleich, sie besitzen eine Unzahl von Seidenbrokaten, Hadaks (Seidentücher) und Webstoffen. Wenn wir zu diesem Reiche gehen, werden wir in Frieden und ohne Mangel leben." Mit solchen Worten veranlaßte Undur Gegen die Fürsten, die Oberhoheit der Mandschus anzuerkennen und Kalka dem Kaiser von China zu unterstellen 4 ). Der Hutuktu sandte an den Kaiser ein Gesuch, ihn zusammen mit den Sabinar (Plural von sabi „geistlicher Schüler", Benennung der Leibeigenen des Hutuktus von Urga) und den Vornehmen der östlichen und westlichen Mongolei in den chinesischen Reichsverband aufzunehmen. Seinem Beispiel folgte der Tusiyetu Khan Cihun Dorji mit 30 Fürsten, 600 Lamas und 2000 Wagen. Später schlössen sich diesem Gesuche auch die Fürsten des Cecen Khans an, mit denen fast alle ihre Untertanen kamen, welche die Gebiete von der Quelle des Kerülen bis zu den Seen Hulun und Buir bevölkerten. Kaiser K'ang Hi, der mit seinem Lager hinter der Großen Mauer stand, empfing die Kalkafürsten gnädig und stellte ihnen die Gebiete an der Grenze der Stämme Sunit, Dürben Keüket und Jalait als Weidegründe zur Verfügung. Bei der Ansiedlung der Kalka war der Kaiser bestrebt, die Stammesverbände nicht zu zersplittern und die Verwandten zusammenzuhalten. Einige der Fürsten mußten wegen Platzmangels in die früheren Weidegründe nahe der Inneren Mongolei zurückbefördert werden. Überzählige Untertanen wurden unter die Stämme verteilt. Die Ansiedlung ging unter der Leitung mandschurischer Würdenträger vor sich, welche die Stammesstreitigkeiten schlichteten und verletzte Rechte wiederherstellten. Die Einmischung der Mandschus war auch dadurch hervorgerufen worden, daß die Fürsten und Vornehmen die Gelegenheit der zeitweiligen Verwirrung benutzt hatten, Untertanen und Vieh anderer in ihren Besitz zu bringen, wobei viele Banner Räubereien begingen und sogar mit Galdan in Beziehung traten. Um den Siedlern, die Haus und Hof verloren hatten, zu helfen, ließ der Kaiser in Kaigan und Kuku Hoton Kornspeicher anlegen. Gleichzeitig mit der Ansiedlung der Kalka in der südlichen Mongolei f ü h r t e die Pekinger Regierung Verhandlungen mit Galdan und war bestrebt, ihn nach der Dsungarei abzudrängen. An den Verhandlungen nahm auch der Dalai Lama teil, der zwei Hutuktus zu Galdan entsandte, die aber zu Galdan übergingen, 4

) A. Posdnejew, Die Mongolei und die Mongolen, Bd. II, S. 499.

Kapitel III.

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so daß der Kampf aufs neue entbrannte. Der erste Zusammenstoß mit den Dsungaren am Flusse Urhui verlief ungünstig für die Mandschus, die sich zurückziehen mußten. Die Dsungaren verfolgten sie und näherten sich den Weidegründen von Ulan Butun, 150 Werst von Peking. Hier konzentrierten sich die Hauptkräfte der Mandschus unter der persönlichen Führung Kaiser K'ang Hi's. Angesichts der mandschurischen Übermacht suchte Galdan Frieden und versprach, sich zurückzuziehen, wenn ihm der Tusijetu Khan und der Hutuktu ausgeliefert würden. K'ang Hi traute aber Galdan nicht, lehnte das Anerbieten ab und zog vor, den Streit durch die Waffen zu entscheiden. Nach der Beschreibung der mongolischen Chronik stellte sich die 120 000 Mann zählende dsungarische Reiterei an einem Bergabhang auf und verteidigte sich nicht mit gewöhnlichen Schutzschilden und Katapulten, sondern mit Zehntausenden von zusammengebundenen Kamelen gegen die feindlichen Pfeile. Auf dem Rücken der Kamele waren filzbedeckte Kästen aufgestellt, die Schießscharten offen ließen. Hinter dieser lebendigen Wand, die als „Kamelfestung" bezeichnet wurde, schössen die Dsungaren Pfeile ab und schleuderten Speere, ohne zum Handgemenge überzugehen. Die mandschurischen Truppen hingegen wandten vornehmlich Artillerie an und zwar so erfolgreich, daß ungeachtet der Kamele die Front durchbrochen und der Feind in die Flucht getrieben wurde. Galdan setzte auf Flößen über den Sira Muren in das Land der Kesikten über und floh in die Wüste, von wo er den Kaiser um Gnade bat 5 ).

Kapitel III. Die Anerkennung der Souveränität der Mandschus seitens der Mongolen und der Reichstag zu Dolon Noor. Weitere militärische Operationen gegen die Dsungaren und der Tod Galdans. Die Lage der Kalka nach dem Kriege. Die Politik der Mandschudynastie. Die Erneuerung des Krieges mit den Dsungaren und ihre endgültige Unterwerfung durch Kaiser Yung Ch€ng. Die Innere Mongolei und die Kolonisation der Chinesen.

Nach dem Siege über die Dsungaren suchte Kaiser K'ang Hi mit der ihm eigenen Vorsicht die günstige Gelegenheit auszunutzen, um die Beziehungen zu den Kalka durch ein Übereinkommen mit den Khanen endgültig zu festigen. Zu diesem Zwecke wurde im Jahre 1691 eine Versammlung der Fürsten und Vornehmen nach Dolon Noor (chinesisch La-ma-miao, d. h. „Lamatempel") in der südlichen Mongolei einberufen, wo der Kaiser selbst im vierten Monat zusammen mit dem Hofe eintraf. Wie die Chronik sagt, fand die Versammlung in einem großen Tale statt, wo das Lager des Kaisers aufgeschlagen und sein gelbes Zelt aufgestellt war. Die Aufgabe der Versammlung bestand in der Wahl und Bestätigung der regierenden Fürsten, denen anstelle der früheren mongo*) A. Posdnejew, a. a. O. S. 216.

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lischen neue chinesische Titel gegeben wurden. Diese Umbenennung erzeugte einige Schwierigkeiten wegen der Streitigkeiten über die Feststellung der Prärogativrechte auf den Besitz von Untertanen dieses oder jenes Fürsten und auch deswegen, weil viele Fürsten nicht erschienen waren. Kaiser K'ang Hi bestätigte die Fürsten ersten und zweiten Grades, die selbständigen Stämmen vorstanden und tributpflichtig waren; sie wurden in die Listen des Hofes für die Verwaltung der Grenzmarken (Li-fan-yüan) eingetragen und die Zahl der Fürsten auf 34 erhöht. Auf einige Schwierigkeiten stieß die Bestätigung der Erbschaft des Jasaktu Khans. Da seine älteren Söhne gestorben waren, wurde der jüngste Sohn Tsewang Jab, fast noch ein Säugling, in einem Wagen in die Versammlung gebracht und in den Fürstenstand erhoben. Später erhielt Tsewang Jab eine Tochter des Kaisers zur Gemahlin. Die Anerkennung der Oberhoheit Chinas durch die Kalka wurde von religiösen Zeremonien begleitet; an dem Festessen und den Paraden nahm der Kaiser selbst teil. Zum Gedächtnis des außergewöhnlichen Ereignisses wurde in Dolon Noor der Tempel Hui-tsung-sse durch den lamaischen Erzbischof von Peking, den Dschanggiya Hutuktu, geweiht. Die Bedeutung der Versammlung von Dolon Noor als eines Aktes, der den juristischen Status der Mongolei festlegte, ist strittig. Der Meinung der Chinesen nach sollte die Versammlung die Abhängigkeit der Mongolei von China beweisen. Die Mongolen dagegen behaupten, daß solche Versammlungen periodisch einberufen würden, und daß, wenn auch in Dolon Noor dem Kaiser gehuldigt wurde, die Huldigung doch nur einen persönlichen Charakter gehabt und sich lediglich auf den Mandschukaiser bezogen hätte, in keiner Weise aber auf die chinesische Regierung; außerdem hätten sich nicht alle mongolischen Fürsten beteiligt und die Verordnungen wären nicht protokollarisch aufgenommen worden. Unterdessen hatte sich der Dsungarenkhan Galdan, nachdem er sich von der erlittenen Niederlage erholt hatte, nach der westlichen Mongolei in die Weidegründe von Hunggui Hatagun begeben und seine Untertanen die Weideplätze bis zum Fluß Orhon besetzen lassen Von hier aus führte er die Verhandlungen mit den Mandschus fort. Er bestand auf der Herausgabe der ihm unbequemen Kalka und verlangte Handelsfreiheit für die Dsungaren in China. Ende 1693 zog Galdan zwischen Kobdo und Uliyasutai umher, näherte sich langsam dem Osten und plante einen Überfall auf die Kalka. Die Mandschus bildeten ihrerseits neue Korps und stellten diese längs der Großen Mauer auf mit einer Basis in Kuku Hoton („Blaue Stadt", chinesisch Kuei-hua-ch'eng, „Stadt der Einkehr zur Kultur"). Gleichzeitig gewannen sie die kriegerischsten Kalka-Fürsten für sich, welche die mandschurische Oberhoheit noch nicht anerkannt hatten, und beauftragten sie, sich am Flusse Tola aufzuhalten und den Feind zu beobachten. Unter diesen befanden sich von den Fürsten des Tusiyetu Khans Sibtui und Gurushib und der Fürst Gendun von Hotohoi. Zu ihnen stieß noch der Fürst Tsebdun und brachte den Mandschus seine Untertanen, die auf die russische Seite übergegangen waren.

Lamaklöster bei Urga.

Eine Post- (Relais-) Station auf der Straße von Urga nach Uliyasutai,

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Bevor der Kaiser die militärischen Operationen eröffnete, versuchte er, die Dsungaren mit den Kalka zu versöhnen, und lud Galdan zu Verhandlungen ein. Dieser lehnte nicht nur ein Zusammentreffen ab, sondern beantwortete die Einladung mit der Ermordung des mandschurischen Gesandten, der zu seinem Verwandten Tsewang Rabtan entsandt worden war. Hierauf fiel Galdan an der Spitze einer zahlreichen Reiterei in das östliche Land der Kalka ein und näherte sich dem Ufer des Kerülen; gleichzeitig verbreitete er das Gerücht, daß er bei den Russen Schußwaffen gekauft hätte. Die Mandschus besaßen nämlich Gewehre, wodurch sie vor den nur mit Pfeil und Bogen bewaffneten Dsungaren im Vorteil waren. Für diesmal beschränkte sich der Zusammenstoß auf unwesentliche Vorpostengefechte, nach welchen die Gegner auseinandergingen. In größerem Maßstabe begannen die militärischen Operationen im Jahre 1696, als dem mandschurischen Bannergeneral (Tsiang-kün) Subudi befohlen wurde, aus der Mandschurei zu marschieren und die Banner truppen der Provinzen Schansi und Kansu nach dem Westen zu führen; Kaiser K'ang Hi marschierte mit der Garde auf dem mittleren Wege auf die Wüste Gobi zu. Die Mandschus hatten Artillerie in Form von Kartätschenschleudern bei sich, mußten aber die schweren Kanonen wegen der schwierigen Wegeverhältnisse zu Hause zu lassen. Nach zweimonatlichen Märschen durch die Gobi mußten die Mandschus stehen bleiben, um den unter Lebensmittel- und Wassermangel leidenden Soldaten Ruhe zu gönnen. Der anfängliche Enthusiasmus war einer Depression gewichen, besonders als die Nachricht eintraf, die sich übrigens später als falsch herausstellte, daß die Russen den Dsungaren hülfen. Der Großkanzler Isanggü und die Abteilungsführer redeten dem Kaiser zu, stehen zu bleiben und Unterstützung heranzuziehen. Ihr Zureden blieb aber ohne Erfolg. „Ich habe dem Himmel und der Erde ein Opfer gebracht", antwortete der Kaiser, „ich habe im Tempel der Vorfahren den Feldzug gegen den Feind verkündet. Wie soll ich vor die Welt treten, wenn ich zurückkomme, ohne die Feinde gesehen zu haben ? Außerdem wird der Feind, wenn unsere Truppen sich zurückziehen, mit seinen gesamten Kräften sich auf unsere westwärts marschierenden Truppen werfen, die dadurch einer großen Gefahr ausgesetzt würden." *) Als die Mandschus zum Kerülen kamen, nahmen sie eine abwartende Stellung ein und erwarteten hier Verstärkung von den Fürsten der Kalka. Der auf dem nördlichen Flußufer stehende Galdan zögerte ebenfalls und wartete auf die Ankunft der Korcin-Banner, mit deren Hilfe er rechnete. Er war von den Mandschus durch einen gefälschten Brief irregeleitet worden. Der chinesischen Chronik zufolge wollte Galdan an die Anwesenheit des Kaisers nicht glauben, bis er von einem Berghügel das Lager mit den gelben Zelten und drachengeschmückten Fahnen K'ang Hi's gesehen hatte. Das soll die Dsungaren so in Verwirrung gebracht haben, daß sie während der Nacht abzogen. Der ihnen zur Verfolgung nachgesandte General Fiyanggü erreichte die Dsungaren am Flusse Gerelci, an welchem eine Schlacht stattfand. Dank dem erfolgreichen Manövrieren der A. Posdnejew, a. a. O. S. 246.

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Chinesen erlitten die Dsungaren eine entschiedene Niederlage. Der chinesische Geschichtsschreiber erzählt über diese Schlacht: „Der General Sun Sü hatte mit dem Fußvolk der Grünen Fahne einen Hügel besetzt. Als der Feind diesen Hügel nehmen wollte und tapfer vorwärts stürmte, überfielen die mandschurischen Soldaten ihn aus unzugänglichen Stellungen. Zuerst wurde abwechselnd mit Bogen und Gewehren geschossen, darauf traten die Schildträger vor. Bei jeder Bewegung gegen den Feind wurden als Deckung Katapulte vorgeschoben. Der Feind stritt ungeachtet der Pfeile und Kugeln verzweifelt und ging bis zum Abend immer wieder vor. Alle waren erregt wie Tiger und der Wald dröhnte. Als Fiyanggu von weitem sah, daß hinter der feindlichen Front Pferde und Menschen bewegungslos standen und daraus schloß, daß dies Frauen, Kamele und Vieh seien, gab er der hinter dem Fluß verborgenen Reiterei ein Zeichen, sich durch die Front durchzuschlagen und diese unbewegliche Menge anzugreifen. Die auf den Bergen postierten Truppen erhoben das Kriegsgeschrei und machten einen Vorstoß, erst dann ward der Feind besiegt und in die Flucht geschlagen. Die Mandschus nutzten die Nacht aus und verfolgten die Flüchtlinge auf 30 Li hin (ca. 15 km); am nächsten Tage wurden die Truppen gesammelt, einige tausend Mann hingerichtet, 3000 Mann gefangen genommen und unzählige Pferde, Kamele, Rinder, Schafe, Jurten und Waffen erbeutet. Unter anderem wurde die Hatun (Königin) Anu getötet. Mit Hatun bezeichneten die Dsungaren die Gemahlin ihres Khans. Diese Hatun zeichnete sich durch Schönheit aus und war eine beherzte Streiterin. Mit kupfernem Panzer, Bogen und Pfeilen ausgerüstet, ritt sie ein merkwürdiges Tier, das ähnlich wie ein Kamel aussah, aber keins war. Die besten Krieger standen unter ihrem Befehl, nun sind auch diese den Geschossen zum Opfer gefallen." 2 ) Von den Mandschus geschlagen und den Truppen des mongolischen Fürsten Gendun verfolgt, floh Galdan mit einigen Anhängern nach Iii in der Hoffnung, dort seine Herrschaft wieder zu errichten. Während seiner Feldzüge war jedoch die Macht an Tsewang Rabtan übergegangen, der sich zum Khan gemacht hatte. Ebenso erfolglos waren seine Versuche, nach Tibet zu gehen oder in Rußland Unterkunft zu finden, außerdem hatten sich seine Truppen zerstreut. Darauf wandte sich Galdan nach Hami in der Hoffnung, Unterstützung beiseinen früheren Untertanen in Turkestan und in Kuku Noor zu finden. Letztere verleugneten jedoch ihren früheren Herrn, da sie die Unzufriedenheit der Mandschus zu erregen fürchteten. Als der Kaiser die hoffnungslose Lage seines Feindes erkannt hatte, beschloß er, den Dsungarenfeldzug zu liquidieren, und traf im Jahre 1697 in Ning-hia ein, wo er die wenigen Galdan treu gebliebenen öleten und Dsungaren durch Geschenke auf seine Seite brachte. Gerade als der Kaiser die Wiederaufnahme der Verfolgung vorbereitete, erfuhr er den Tod des Dsungarenkhans, der von seinen eigenen Leuten ermordet worden war. Die Hartnäckigkeit, mit welcher Kaiser K'ang Hi die Unterdrückung der Dsungaren verfolgte, beweist, daß er die Gefahr erkannte, die dem chinesi*) A. Posdnejew, a. a. O. S. 250.

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sehen Reiche im Falle eines Sieges Galdans drohte, welcher die Vereinigung der dsungarischen Stämme anstrebte. Nunmehr war die Gefahr überwunden und die kaiserliche Regierung begann mit dem friedlichen Ausbau ihrer Stellung in Kalka, der Ansiedlung der gefangenen Öleten und dem Rücktransport der Kalka in ihre Heimat, was äußerst kompliziert war. Während des Umherziehens in der südlichen Mongolei hatten die Kalka ihre administrative und sogar teilweise ihre Stammeseinteilung verloren, einige der Fürsten hatten sogar das Land gänzlich verlassen, wie z. B. der Verweser des Tusiyetu-Khanats, Uciton Goron, der nach Rußland ausgewandert war und dort einen besonderen Burjätenstamm der Zingolen gründete. Eine andere wichtige Sorge zur Wiederherstellung der normalen Ordnung war das Aufsuchen der abgewanderten und zerstreuten Untertanen. Die Wiederherstellung der Zinspflicht erforderte nicht geringe Anstrengungen und zog sich lange Zeit hin. Einige Stammesälteste wollten nicht zu ihren früheren Fürsten zurückkehren, da sie besssere Weidegründe gefunden hatten; einige Stämme, wie z. B. die Barguten, nahmen sogar den Kampf mit ihren Herren auf und zwangen diese, die Mandschus zu Hilfe zu rufen. In ihre früheren Gebiete kehrten zurück der Cecen Khan nach dem Kerülen, der Tusiyetu Khan zum Flusse Tola und der Jasaktu Khan in das Gebiet zwischen Jabhun und Kobdo. 3 ) Kaiser K'ang Hi verringerte die Zahl der regierenden Fürsten und setzte sie im Range herab, erweiterte jedoch die Zahl der Teilfürstentümer auf 72. Er behielt das frühere Regime bei, führte jedoch Neuordnungen ein, welche die Rechte der Fürsten einschränkten. Letztere wurden in direkte Abhängigkeit von Peking gebracht und mußten über die wichtigsten Angelegenheiten an das Li-fan-yüan (den Hof für die Verwaltung der Grenzmarken) oder sogar dem Kaiser selbst berichten. In rechtlicher Beziehung wurde den Fürsten das Recht entzogen, in Strafsachen Todesurteile zu sprechen. Ferner hatten sie nicht das Recht, selbständig Beziehungen zu ausländischen Regierungen zu unterhalten. Hierunter wurden die russischen Zaren verstanden, da Rußland der einzige fremde Nachbar Kalkas war und die Beziehungen zu diesem, sowohl politische als auch Handelsbeziehungen, sich unter K'ang Hi nicht unwesentlich entwickelt hatten. Zur Kontrolle über die Grenzbeziehungen wurde im Jahre 1721 vom Tusiyetu Khan als Kommissar Wanjil Dorji ernannt. Die Korrespondenz in mongolischen Sachen mußte in mandschurischer Sprache geführt werden. Zur Erleichterung des Gebrauches dieser Sprache wurde ein mandschurisches Wörterbuch, „Toli" („Spiegel"), herausgegeben und alle Erlasse und Verordnungen, die in mongolischen Angelegenheiten erschienen, in einem Kodex gesammelt. Zur Aufklärung der Kalka wurden außerdem Bücher theologisch-moralischen Inhalts herausgegeben, unter anderem der„Kandschur", eine Sammlung heiliger buddhistischer Schriften, die zu Anfang des 17. Jahrhunderts in die mongolische Sprache übersetzt worden war. Die Niederlage der Dsungaren und der Beschluß der Versammlung von Dolon Noor hatten die Mongolei in noch engere Abhängigkeit von China gebracht. ») Mongolische Chronik S. 308.

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Von nun an geschah kein Thronwechsel ohne die Bestätigung Pekings. Gewöhnlich wurde der älteste Sohn bestimmt. In Ermangelung eines direkten Erben ging das Ho§un (Banner) an einen der Verwandten über, wurde aber auch zuweilen einem Adoptivsohn übertragen. Von hier datiert auch die Neigung zu Peking als der Quelle der Macht und der Gnadenbezeugungen. Die Mandschus begünstigten diese Tendenz und unternahmen alles, was in ihren Kräften stand, um ihre Anziehungskraft zur Geltung zu bringen. Zu demselben Zwecke bemühte sich der Pekinger Hof, zwischen den Mandschus und den Mongolen verwandtschaftliche Beziehungen zu schaffen. So verheiratete Kaiser K'ang Hi Töchter mit Kalka-Fürsten: eine mit dem Tusiyetu-Khan und eine mit dem Sain Noyan Khan; eine dritte gab er dem Öleten-Fürsten Cering Wambo. Außerdem vermittelte er einige Heiraten zwischen mongolischen Fürsten und Chinesinnen. Diese Ehen führten gewöhnlich zur Ghinesierung der mongolischen Ehemänner, die sich dem kulturellen Einfluß ihrer Ehefrau unterwarfen. Wenn die chinesischen Prinzessinnen nach Kalka kamen, brachten sie ihre Verwandten und zahlreiche Bedienung mit sich, was ebenfalls den chinesischen Einfluß stark förderte. Gewöhnlich waren die Fürsten, nachdem sie mit den Mandschus in verwandtschaftliche Beziehungen getreten waren, bestrebt, ihren neuen Verwandten ähnlich zu sehen und deren Ansichten und Sitten sich zu eigen zu machen, wodurch sie ihr nationales Gepräge verloren. Außerdem verpflichtete die Verwandtschaft mit den Mandschus die Fürsten zu größeren Ausgaben, da das gesamte neu hinzugekommene Element vom Hosun ernährt werden mußte. Ein solcher Fürst war gezwungen, öfters nach Peking zu reisen, um die Beziehungen mit dem Hofe und der mandschurischen Welt aufrecht zu erhalten, was natürlich auch Geld kostete. Besonders teuer waren die Reisen der Hutuktus, die in Begleitung ihres Hofes und zahlreicher Lamas sowie mit einem Feldtempel und den nötigen Kultusgeräten nach Peking zogen. Obgleich die alten Fürsten, die an den Kämpfen mit den Dsungaren teilgenommen hatten, allmählich von der Szene verschwanden, hatte das doch nur einen ganz geringen Einfluß auf die Entwicklung des mongolischen Lebens, da die neuen Herren die alten Traditionen und vor allem den außerordentlichen Eifer zum Buddhismus übernahmen, der sich u. a. im Bau von Tempeln und Klöstern äußerte. Die Fürsten begnügten sich nicht mit dem erwähnten Kloster Erdeni Juu, sondern bauten auch Klöster in ihren Bannern. Kaum konnte sich Kalka von den Feldzügen mit Galdan erholen, als ein neuer Streit, wieder von den Dsungaren hervorgerufen, entbrannte. An der Spitze der Bewegung stand der bereits genannte Tsewang Rabtan, der die Herrschaft der Mandschus noch während des Kampfes mit Galdan anerkannt hatte und dann nach Iii ausgewandert war. Hier plante er unter dem Einflüsse der dsungarischen Vornehmen die Wiederherstellung der früheren Grenzen der Dsungarei. Die Dsungaren nomadisierten damals am Unterlaufe der Flüsse Kobdo, Ulankom und Kern, wo sie vermischt mit Kalkas wohnten. Tsewang Rabtan beanspruchte das Gebiet östlich von Iii bis zum Kern und Kemcik,

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worin Peking die Absicht sah, die früheren Grenzen wiederherstellen zu wollen. An die Banner der Kalkas erging der Ruf zu den Waffen und die mongolischen Truppen marschierten zum Altai, wo sie gemeinsam mit den mandschurischen Abteilungen den Dsungaren entgegentreten sollten. Es wurden auch militärische Maßnahmen gegen die den Dsungaren unterworfenen Uriyanggen getroffen. Die Mandschus verdrängten im Jahre 1717 deren Führer Hurultai und sandten größere Truppenteile unter der Führung des Generals Furdan nach Kalka. Tsewang Rabtan, der Vorbereitungen zum Einfall nach Hami traf, wurde von den Mandschus aufgehalten, die über Su-chou marschiert waren. Da Tsewang Rabtan keine Zeit fand, in Hami einzufallen, überfiel er die Mongolen des Kuku-Noor-Gebietes. Seine Tochter war mit dem Sohne des tibetischen Fürsten Latsang verheiratet, was ihm Anlaß zur Einmischung in die dortigen Angelegenheiten gab. Nach der Verwüstung des Kuku-Noor-Gebietes vereinigte Tsewang Rabtan die Oirat-Stämme und bemächtigte sich nach und nach der Gebiete zwischen dem T'ien-shan-Gebirge und Tibet. Zur Abweisung des neuen Dsungarenüberfalles entsandten die Mandschus im Jahre 1719 gegen Tsewang Rabtan zwei Armeen unter dem Oberbefehl des Mandschugenerals Galbi. Er erhielt den Auftrag, die Öleten aus Tibet zu vertreiben und einen neuen Dalai Lama einzusetzen, dessen Wahl Tsewang Rabtan als Vorwand zu Unruhen in Tibet und der Mongolei genommen hatte. Im Jahre 1720 schlugen die Mandschus die feindlichen Truppen und drängten sie auf die Nordseite des T'ien-shan. Darauf unterdrückten sie den Aufstand der Öleten und Hosot. K'ang Hi vermied es, die Verfolgung des weichenden Gegners allzuweit von der Basis auszudehnen, und rief die Armee aus der westlichen Mongolei sowie die Truppen aus Tibet und dem Kuku-Noor-Gebiet zurück; er ließ nur als Garnisonen Truppenteile in Urumci, Hami und am Altai. Nach dem Tode Tsewang Rabtans trat in der Dsungarei dank den von den Mandschus angewandten strengen Maßnahmen eine verhältnismäßige Ruhe ein. Aber schon im Jahre 1730, unter der Regierung des Kaisers Yung Cheng (1722—36), erneuerte der Dsungarenfürst Galdan Cering die Überfälle auf das hinter der Großen Mauer gelegene chinesische Gebiet; diese Überfälle veranlaßten die Pekinger Regierung, gegen Galdan Cering eine Expedition unter dem Oberbefehl des Generals Furdan zu entsenden. Zur Erleichterung des Vormarsches wurden militärische Lager in der westlichen Mongolei und eine Festung in Kobdo errichtet. Galdan Cering bemühte sich, die bei den Kalka wohnenden Öleten auf seine Seite zu bekommen, während Kaiser Yung Cheng seinerseits den Kalka eine Botschaft schickte, in welcher er sie vor dem Übertritt zu den Dsungaren warnte. Galdan Cering wartete den Vormarsch der Mandschus nicht ab, sondern schickte seine Truppen über Koschotu (zwischen Barkul und Hami), den gewöhnlichen Weg der Dsungaren, nach China und überfiel die Hosot. Der erste Zusammenstoß Furdans mit den Dsungaren am See Hotun Hurha Noor (hundert Werst von Kobdo) verlief für ihn ungünstig. Die mandschurische Vorhut, die aus Solon, Korcin, Tümet und andern Stämmen bestand, geriet in einen Hinterhalt und riß bei ihrer Flucht auch die folgenden Truppen mit sich.

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In Peking reagierte man auf die Niederlage mit der Hinrichtung der Truppenführer und bereitete die Revanche vor. Den regierenden Fürsten des JasaktuKhanats wurde befohlen, hinter die Große Mauer zurückzugehen; die Stämme des Sain-Noyan-Khanats sollten sich der russischen Grenze nähern, während am Flusse Kerülen, in der Mitte und im Westen von Kalka Wachtposten aufgestellt und in Cagan Noor und Kuei-hua-ch'eng (Kuku Hoton) unter der Führung des Generals Marsai Standlager aufgeschlagen wurden. Als Ende 1732 die Dsungaren wieder in Kalka eindrangen und das Land am Flusse Tamir plünderten, vereinigten sich dieses Mal die Fürsten der Kalka und bereiteten ihnen eine entscheidende Niederlage. Die Volksphantasie hat dieses Ereignis mit verschiedenen wunderbaren Legenden umgeben. Eine davon lautet, daß unter den Kundschaftern des Kalka-Fürsten Oering ein gewisser Tekehun war, der in 24 Stunden tausend Li (500 km) zurücklegen konnte. Er bestieg die höchsten Berggipfel, breitete sein Gewand aus und wurde dadurch einem schwarzer Adler mit entfalteten Flügeln ähnlich. So konnte er, von den Aufständischen unerkannt, die Lage bei den Dsungaren erkennen und über alles berichten. Während ihres Rückzuges überfielen die Dsungaren den Tempel Erdeni Juu, verwüsteten ihn und raubten die heiligen Buddhabilder. Hier wurden sie von den Mandschus und Kalka eingeholt und in die Flucht geschlagen. Der Chronik zufolge erreichte kaum ein Zehntel des Dsungarenheeres wieder die Heimat. Der Sieg der Mandschus machte den kriegerischen Plänen der Dsungarenfürsten ein Ende. Obgleich deren Königtum weiter bestand, hörte es dennoch auf, eine Rolle zu spielen. Für den Sieg über die Dsungaren erhielten die Fürsten der Kalka Ehrennamen und Auszeichnungen. Der kaiserliche Eidam Oering erhielt drei Kompagnien gefangener öleten, 2000 Pferde, 1000 Rinder, 5000 Schafe und 50 000 Unzen Silber. Außerdem wurde für ihn am Flusse Tamir ein Schloß erbaut. Die Truppenführer, welche nicht rechtzeitig Hilfe gebracht hatten, wurden verbannt und General Marsai hingerichtet, weil er den Truppen verboten hatte, Galdan zu verfolgen. An die Grenzen zwischen Kalka und der Dsungarei wurde der General Fujin mit der Residenz in Uliyasutai gesandt. Er wurde beauftragt, die Grenze festzusetzen und Orte für die Errichtung von Kastellen und Wachtposten auszusuchen, um das Überlaufen nach Rußland zu verhindern. Der wirtschaftliche Zustand der Mongolei, der während des Krieges gegen die Mandschus und der Feldzüge gegen Galdan stark gelitten hatte, hatte sich während des Krieges gegen die Dsungaren noch verschlimmert. Die Herden nahmen bei den häufigen und schnellen Platzwechseln zusehends ab. Die Bevölkerung verarmte durch die ständigen Bewegungen der zu verpflegenden Truppenteile, durch den Unterhalt der Kurier-Stationen und durch die unaufhörlichen Requisitionen an Kamelen, Pferden und Vieh. Willkür und Gewalt hatten in Verbindung mit der Verarmung der Bevölkerung das Räuberwesen entstehen lassen und trugen zum vollständigen Niedergange des einheimischen Handels und des Karawanenhandels zwischen Kiachta und Urga bei. Um den

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Räubern und Banditen aus dem Wege zu gehen, nahmen die russischen Karawanen ihren Weg über die Mandschurei nach Curuhaitu, Cicihar und Bedune. In der letzten Zeit, als der Krieg einen dauernden Charakter annahm, suchten die mongolischen Fürsten sich der Beteiligung an den militärischen Operationen zu entziehen und hörten mit der Werbung von Soldaten für die Mandschus auf. Einige Fürsten flohen sogar, um dem Militärdienst zu entgehen, nach Rußland; so wanderten im Jahre 1731 aus dem Cecen-Khanat 4000 Familien aus. Während der Herrschaft des Kaisers Yung Cheng trug die mandschurische Politik bezüglich der mongolischen Fürsten den früheren Charakter: Beschränkung der Rechte und Teilung der Banner. Die oberste Leitung der Stammesangelegenheiten ging vom Khan auf das Thing der Bannerfürsten über, die dem Stamme angehörten. Das Thing mußte sich zweimal im Jahre versammeln und verwaltete die inneren Angelegenheiten, d. h. die Einnahmen und Ausgaben, Naturalgefälle, Gerichtswesen usw. Zum Haupt des Things wurde ein „Cogulgan Dargan" ernannt, der von Peking bestätigt wurde. Im allgemeinen wurden die Khane (Könige) zu einfachen Fürsten herabgewürdigt, die das gleiche Stimmrecht auf dem Thing hatten, und deren Machtbereich den Grenzen des Hosun (Banners) entsprach. Die Einschränkungen trafen auch die fiskalischen Rechte der Fürsten, die Ausnutzung der Banner und die Erhebung von Abgaben. Da dies aber die Einnahmen der Fürsten einschränkte, erhielten sie vom Kaiser einen Sold, die in führender Stellung 2500 Unzen Silber jährlich, die übrigen entsprechend weniger. Auch der Bildung der Mongolen wurde Beachtung geschenkt, was sich in der Herausgabe einer mongolischen Grammatik und der Werke Tsongkhapas äußerte. Dem im Jahre 1735 verstorbenen Yung Cheng folgte Kaiser K'ien Lung. Unter diesem Monarchen wurde der Friede mit den Dsungaren geschlossen, die Truppen aus der Mongolei entfernt und Festungen am Orhon sowie in Hami und Barkul erbaut; im Jahre 1739 wurde eine Grenze gezogen zwischen den Weidegründen der Kalka und der Dsungaren vom See Ubsa zum Süden und am mongolischen Altai entlang 4 ). Im Jahre 1753 begann der öletenfürst Amursana eine Fehde mit einem der Nachkommen Tsewang Rabtans. In den Kampf mischte sich der Öleten-Khan Dawaci ein, der von den Chinesen eine Unterstützung erhalten hatte. Amursana, der die Rache Dawacis fürchtete und sich den Chinesen unterwerfen wollte, entfachte einen Aufstand. Der Bürgerkrieg wurde durch die Einmischung der muhammedanisehen Fürsten kompliziert, die als Geiseln in Peking wohnten, und zwar der Brüder Burchan-Eddin und Hoschi-Schan, die unter den Namen „Großer und kleiner Hodscha" bekannt waren. Burchan-Eddin schloß sich Amursana an, der eine Niederlage erlitt, nach Sibirien floh und dort bald starb. Burchan-Eddin floh zu seinem Bruder, der seine Auslieferung an die Chinesen verweigerte. Hierauf mußten beide Brüder nach Badachschan fliehen, wo sie im Kampfe mit dem dortigen Sultan umkamen. Nach ihrem Tode wurde das T'ien-shan-Gebiet vom chinesischen General Chao Hui besetzt. 4

) Mongolische Chronik S. 308.

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Im Jahre 1781 wurde eine neue Verordnung über die Verwaltung der Mongolei erlassen, welche die Rechte der Fürsten noch mehr einschränkte. Die höchsten Posten, wie z. B. derjenige des Bannergenerals und kaiserlichen Residenten von Uliyasutai, wurden Mandschus vorbehalten. Durch einen besonderen Erlaß wurden die Titel bestimmt, welche an die Erben übergingen. Der Unterhalt der Behörden wurde auf die Mongolen abgewälzt und auch einige Einschränkungen bezüglich der lamaischen Geistlichkeit eingeführt. (Siehe den Kodex vom Jahre 1789.) Während der Herrschaft des Kaisers Kia K'ing (1796—1821) blieb die Lage der Kalka-Fürsten unverändert, aber um die mongolisch-chinesischen Beziehungen festzustellen, wurde im Jahre 1815 ein neues Reglement veröffentlicht. Unter Kaiser Tao Kuang (1821—1851) wurden die Untertanen der Sabinar-Verwaltung in zwölf Stämme geteilt, deren Verwaltung besonderen Beamten übertragen wurde. Im Jahre 1839 wurde der Posten eines mongolischen Ambans in Urga eingeführt. Unter der Herrschaft der Kaiser Hien Feng ( 1 8 5 1 — 1862), T'ung Chih (1862—1874) und Kuang Sü (1874—1908) wurden vornehmlich Verordnungen administrativer Art erlassen, die eine Vereinigung Kalkas mit Innerchina zum Ziele hatten. W a s die Innere Mongolei betrifft, so ist ihre Vereinigung mit dem Imperium gleichen Schritt mit dem Vormarsch der Mandschus gegangen und auf keinerlei ernste Gegenwehr gestoßen, da das Land in eine große Zahl selbständiger Bezirke zerplittert war. Außerdem grenzte die Innere Mongolei an China, was natürlich die Tätigkeit der Pekinger Regierung erleichterte. Die Fürsten, welche •die Inneren Mongolen zu verwalten hatten, waren einer schärferen Kontrolle der Pekinger Behörden ausgesetzt und genossen eine geringere Selbständigkeit. Sie hatten mandschurische Bannergeneräle und Residenten in Kaigan, Jehol und Kuei-hua-ch'eng zur Überwachung. In der südlichen Mongolei war die Kopfzahl der Stämme ganz geringfügig. Deshalb brauchten die Mandschus, wenn sie den militärischen Apparat in territoriale Bezirke teilten und Banner bildeten, den Stamm nicht in verschiedene Teilfürstentümer zu zerlegen, im Gegenteil geschah es des öfteren, daß ein einzelner Stamm nur ein Banner bildete. Die inneren Mongolen werden ebenfalls von ihren Thinghäuptern verwaltet, doch haben diese nicht dieselbe Bedeutung wie bei den Kalka. Sie dürfen z. B. das Thing weder einberufen noch ihm Vorsitzen. Die Things der Inneren Mongolei werden auf Weisung von Peking einberufen und zu ihrer Eröffnung von Peking ein Würdenträger entsandt, $er den Vorsitz führt. Die südlichen Mongolen werden ebenfalls in Banner (Hosun) eingeteilt, ihre Stammesverwalter sind jedoch in Verwaltungssachen sehr beschränkt. Neben jhnen stehen besondere Beamte, welche das Gerichtswesen, d. h. die Erhebung von Abgaben und Steuern, leiten. Diese Beamten bereisen alljährlich die Weidegründe und kontrollieren die Stammesverwalter. Von den Maßnahmen, welche die Pekinger Regierung zur Schwächung der mongolischen Selbständigkeit und zur Sicherung der Inneren Mongolei getroffen hat, ist eine der wichtigsten die Besiedlung des Landes mit chinesischen

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Kolonisten. Die anfänglich aus der Überbevölkerung Chinas resultierende chinesische Auswanderung nach der Mongolei hat Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einen systematischen Charakter angenommen. In jenen Jahren regte sich in China dank der durch den Vertrag von Liwadia hervorgerufenen politischen Erkenntnisse die Befürchtung, daß Rußland auch die nördliche Mongolei annektieren wolle 5 ). Das Ergebnis der von Chang Chih-tung entfachten Agitation war eine Reihe von Regierungsmaßnahmen, welche die chinesische Auswanderung nach der Mongolei förderten. Damals wurde die Verordnung aufgehoben, welche den Chinesen verbot, ihre Frauen nach der Mongolei mitzuführen, in der Annahme, daß der mit der Familie nach der Mongolei ausgewanderte Emigrant dort bleiben und nicht zurückkehren werde. Durch diese Maßnahme wollte die Pekinger Regierung nicht so sehr die überschüssige Bevölkerung Innerchinas abschieben, als vielmehr die Grenzgebiete besiedeln, um dem Expansionsdrange Rußlands einen Damm entgegenzusetzen. Um die Übersiedlung zu erleichtern, wurden in der inneren und östlichen Mongolei Kolonisationsbüros errichtet, welche Bodenanteile bei den Bannern aufkauften und diese an die Kolonisten, in erster Linie Soldaten und Kulis, weiter verkauften. Ein Teil der Kaufsumme wurde an die lokalen Fürsten abgeführt. Die Mongolen sahen die chinesische Kolonisation, die ihr angestammtes Land bedrohte, natürlich nicht gern und versuchten, wenn auch erfolglos, den Zustrom der Siedler einzudämmen. Obgleich die chinesische Kolonisation in Kalka, die sich längs der großen Karawanenstraße von Kaigan nach Kiachta erstreckte, keinen intensiven Charakter annahm, ist dennoch die Welle der Siedler bis zur russischen Grenze gedrungen. Der Zustrom der Emigranten vergrößerte sich in dieser Richtung noch mehr, als die Gewinnung von Gold begann und für die Goldfelder chinesische Arbeiter angestellt wurden, von welchen ein Teil als Kolonisten zurückblieb. Hier muß bemerkt werden, daß die Verdächtigungen der Chinesen bezüglich der Annexionsbestrebungen Rußlands in der Mongolei niemals einen ernsten Grund gehabt haben. Die Tatsache der Rückerstattung des Iii-Gebietes kann als Bestätigung hierfür dienen. Die Einverleibung der Mongolei oder auch nur des an Sibirien angrenzenden Bezirkes gehörte nicht zu den Plänen der russischen Regierung, welche unmittelbarere Aufgaben in Rußland selbst zu lösen hatte. Außerdem haben sowohl die Moskauer als auch später die Petersburger Regierung gute Beziehungen zu China geschätzt und nicht durch problematische Vorteile in der Mongolei erschüttern wollen. Wenn die Umstände eine Einmischung der Zarenregierung in mongolische Angelegenheiten gefordert hätten, so wäre das nur zum Schutze elementarster Interessen geschehen, keineswegs aber als Konkurrent mit China in dessen politischen und kolonisatorischen Plänen. Eine Kolonisation der mongolischen Gebiete seitens Rußlands wäre bei der äußerst mangelhaften Bevölkerungsdichtigkeit Sibiriens sinnlos und den s ) Der Vertrag von Liwadia war zwischen Rußland und China im Jahre 1878 anläßlich der Rückgabe des Iii-Gebietes an China geschlossen worden. Dieser Vertrag wurde von China abgelehnt und durch den Vertrag von Petersburg im Jahre 1881 ersetzt.

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allgemeinen staatlichen Interessen zuwiderlaufend. Ein solcher Versuch würde natürlich auf Widerstand seitens der mongolischen Bevölkerung stoßen, die Rußland sowohl der Kultur als auch der Religion nach fremd ist. Die Mongolen, sogar diejenigen, welche in ständige Berührung mit den Russen kommen, sind für die Russifizierung wenig empfänglich. Von den Mongolen kennt fast niemand die russische Sprache und unsere Kaufleute sind genötigt, sich auf Mongolisch zu verständigen. Transbaikalien könnte mit seiner burjätischen, den Mongolen verwandten Bevölkerung als Bindeglied mit Kalka dienen; die Vermittlung der Burjäten hat aber bisher dank ihren seperatistischen Bestrebungen die russischmongolische Annäherung eher gehemmt.

Kapitel IV. Die reinkarnierten Heiligen von IJrga und die Wiedergeburten des Dschebdsun D a m b a Hutuktus. Die wunderbare Geburt Undur Gegens. Sein Einfluß auf Kaiser K'ang Hi. Der zweite Hutuktu Lobsang D a m b a Donmi, ein eifriger Förderer des Lamaismus. Die Verlegung der Wiedergeburt des Hutuktus von Urga nach Tibet unter Kaiser K'ien Lung. Die kurze Regierung des dritten Hutuktus. Der vierte Hutuktu Lobsang Tobdan und seine Tätigkeit zur Verbreitung des Lamaismus. Der fünfte Hutuktu Lobsang Coldan Jigmet und sein Streit mit den Chinesen. Die Untätigkeit und Zügellosigkeit des siebenten Hutuktus.

Angesichts der großen Bedeutung des Hutuktus von Urga im politischen und öffentlichen Leben der Mongolei wollen wir hier die wichtigsten Ereignisse aus der Geschichte dieses Kirchenfürsten zusammenfassen. Nach der mongolischen Legende sind die Wiedergeburten des Dschebdsun Damba Hutuktus zur Zeit des Buddhas Sakyamuni entstanden und von der Zeit an als Hubilgane (Wiedergeborene) in Indien und Tibet erschienen. Bei den Kalka erschien der erste Hubilgan im Jahre 1635, 50 Jahre nach der Einführung des Lamaglaubens und der Errichtung des ersten Klosters durch Abatai Khan. Die Geburt des ersten Dschebdsun Damba Hutuktus ist von wunderlichen Legenden umgeben. Einst sah der Enkel Abatai Khans, der Tusiyetu Khan Gombo Dorji, als er an einem von ihm errichteten ,,Obo" (Grenzmal in Form einer Steinpyramide) in den Weidegründen des Isun Jüil vorüberfuhr, unweit dieses einen ehrwürdigen Lama sitzen. Auf die Frage des Khans, was er hier tue, antwortete dieser, daß er „den Platz ehre". Nach dieser Antwort war er plötzlich verschwunden. Als bald nach dieser Begegnung die Gemahlin Gombo Dorjis schwanger wurde, prophezeite ihr der Cecen Khan die Geburt eines Sohnes, der das Geschick der Kalka leiten werde. Auf der Suche nach einem Platze zum Überwintern stieß Gombo Dorji zufällig auf das erwähnte „ O b o " und sah eine weiße Hündin, die geworfen hatte, was von ihm ein als gutes Vorzeichen aufgefaßt wurde. Es war tiefer Winter und der Boden mit Schnee bedeckt; als jedoch die Jurte des Khans aufgeschlagen wurde, wuchs neben ihr aus dem Boden eine weiße Blume und blühte. Als die Zeit der Gemahlin des Khans gekommen war, drang

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aus der Brust ihrer jungen Dienerin Milch. Die Jungfrau wurde verlegen und begann zu weinen in der Annahme, daß man sie verdächtigen werde. Die Gemahlin des Khans beruhigte sie aber und bemerkte, daß alles in Ordnung sei. Bald darauf gebar die Frau des Khans einen Sohn, hatte aber keine Milch und die Dienerin mußte Amme sein. Unterdessen schickte der Cecen Khan, der seine Prophezeiung nachprüfen wollte, Wahrsager zur Besichtigung des Neugeborenen. Diese stellten fest, daß die Verlängerung der Augen des Säuglings darauf hinweise, daß er alle zehn Länder der Welt sehen könne; auf seinem Körper seien alle Anzeichen eines Buddhas vereinigt. Als das Kind drei Jahre alt war, sagte es, ohne gelernt zu haben, tibetische Gebete her und legte eine für sein Alter ungewöhnliche Ernsthaftigkeit an den Tag. Das veranlaßte Gombo Dorji, seinen Sohn in den Dienst Buddhas zu stellen, indem er ihn zum Vorsteher eines Klosters machte. Der Cecen Khan verlieh dem Geweihten den Ehrennamen Undur Gegen („Erhabener Erleuchteter"), die Fürsten schenkten ihm einige Familien ihrer Untertanen und legten damit den Grund zur sog. Sabinar-Verwaltung (der geistlichen Verwaltung der Leibeigenen des Hutuktus). Trotz des hohen Ansehens, das der neugeweihte Undur Gegen genoß, war es notwendig, seine Autorität in den Kreisen der Gläubigen durch die Fühlungnahme mit Tibet, der Wiege des Lamaismus, zu erhöhen. Deshalb unternahm Undur Gegen im Jahre 1650 eine Reise nach Lhasa, wo er ein halbes Jahr zubrachte, in den Klöstern Potala und Taschilumbo lebte und theologische Vorlesungen hörte. Während seines Aufenthaltes in Lhasa legte er auch das Gelübde als Gedsul (die zweite Stufe des Mönchstums) ab und wurde als Wiedergeburt des heiligen Täranätha erkannt. Zu jener Zeit suchten nämlich die Mönche des Klosters einen Hubilgan, d. h. eine Wiedergeburt, des erwähnten Heiligen und der Dalai Lama hoffte, daß der Patriarch von Urga, wenn er ihm einen so hohen Titel verliehen, seinen Weisungen folgen und die Kalka seinem Einfluß unterordnen werde. Als der Dalai Lama Undur Gegen nach Kalka zurückreisen ließ, gab er ihm eine ganze Reihe von gelehrten Lamas mit, welche die Mongolen im Sinne der orthodoxen Gelugpa-Sekte unterweisen sollten. Diese Sekte war von dem berühmten Reformator und Heiligen Tsongkhapa gestiftet worden, den man den Luther des Lamaismus genannt hat und dessen Name in Tibet, in der Mongolei und bei den Kalmücken fast ebenso hoch gefeiert ist, als der des Religionsstifters Buddha Sakyamuni. Tsongkhapa ist um 1356 im Lande Amdo südlich vom Kuku Noor, dem „Blauen See", an der Stelle geboren worden, wo heute das berühmte Kloster Kumbum steht, einige Tagereisen südlich der Präfekturstadt Si-ning-fu. Er ist, wie sich das bei einem Heiligen von selbst versteht, auf übernatürliche, unbefleckte Weise von seiner Mutter empfangen worden und soll schon im dritten Lebensjahre den Entschluß gefaßt haben, Mönch zu werden. Als Jüngling wanderte er durch die chinesische Provinz Yünnan nach Lhasa, wo er eifrig das Gesetz Buddhas studierte und bald die Notwendigkeit einer Reinigung und Verbesserung des bestehenden Kultus und der Disziplin erkannte und kühn als Reformator auftrat. Seine Ansichten Korostoretz,

Hoogolei.

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und Bestrebungen erregten Aufsehen; zahlreiche Schüler sammelten sich um ihn, deren unterscheidendes Zeichen die gelbe Mütze wurde, während die Anhänger des alten Systems die rote Mütze trugen. Durch den Ruf seiner übermenschlichen Weisheit angelockt, scharten sich Tausende von Jüngern um ihn und so entstand im Jahre 1407 auf einem Berge in der Umgebung von Lhasa, wo er seine Residenz genommen hatte, das Kloster Galdan, d. h. „Paradiesesfreude", das Metropolitankloster der Gelben Kirche, dessen erster Abt er war, und als dieses die Zahl seiner Anhänger nicht mehr zu fassen vermochte, wurden im folgenden Jahrzehnt ebenfalls in der unmittelbaren Nähe von Lhasa die Klöster Brepung und Sera von zweien seiner Jünger gegründet, drei geistliche Stiftungen von so riesigem Umfange, daß sie noch heute insgesamt 30 000 gelbe Mönche fassen sollen. Im Jahre 1419 ist Tsongkhapa gestorben oder, wie seine Verehrer glauben, gen Himmel gefahren. Das unterscheidende Merkmal seines Gelugpa, d. h. Tugendsekte, genannten Ordens ist die gelbe Mütze im Gegensatz zu der älteren roten. Ala Tsongkhapa, der Sage nach, das Mönchsgelübde ablegen wollte, hatte er seine Mütze mit Blumen verschiedener Farben geschmückt, diese aber fielen sämtlich mit Ausnahme einer gelben wieder herab; deshalb soll er später die gelbe Mütze zum Kennzeichen seiner Anhänger erhoben haben. Wahrscheinlicher hat er die gelbe Farbe nicht bloß für die Kopfbedeckung, sondern auch für die Mönchskutte aus dem Grunde an die Stelle der früher in Tibet gebräuchlichen roten gesetzt, weil er aus den heiligen Schriften sah, daß Buddha selbst und seine unmittelbaren Jünger sich stets gelber Gewänder bedient hatten, und ging hierin nur auf die ältere Praxis zurück. Die wichtigste Disziplinarreform, welche sich an die Annahme der gelben Mütze knüpfte, ist das uneingeschränkte Gebot des Zölibats für die Religiösen. Auch der Kultus ist durch ihn verändert worden, namentlich hat er die Ausübung der Magie vielfach beschränkt. Ferner hat er seinen Jüngern geboten, sich zu bestimmten Zeiten behufs geistlicher Exerzitien zurückzuziehen, und während der ersten 15 Tage des lamaischen Kirchenjahres große gemeinschaftliche Gebete zu halten 1 ). Die Legenden der Chronik umgeben die Gestalt Undur Gegen's mit dem Nimbus göttlicher Vollkommenheit. Er wird nicht nur wegen seiner Verdienste um die buddhistische Religion, die er befestigt und verherrlicht hat, gefeiert, sondern auch als weiser Staatsmann und Politiker geehrt, der es verstanden hat, die Nationalinteressen der Mongolen im Kampfe mit mächtigen Nachbarn zu wahren. Die Volkssage berichtet eine ganze Reihe von phantastischen Erzählungen über die von ihm vollbrachten Wunder, welche «am Hofe des Hutuktus Leute der verschiedensten Schichten und Vermögensverhältnisse Trost und Heilung von körperlichen und seelischen Leiden gebracht haben. Undur Gegen nahm nicht nur als Geistlicher, sondern auch als weltlicher Fürst eine einflußreiche Stellung ein. Es gelang ihm, vorzügliche Beziehungen zu Peking herzustellen und die Sympathie des Kaisers und des Hofes zu erwerben. In Kalka l ) C. F . Koeppen, S. 168 fl.

Die Lamaische Hierarchie und Kirche.

2. Auflage, Berlin 1906,

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stritten sich damals der Jasaktu Khan und der Tusiyetu Khan über Untertanen; dieser Streit endigte beim Aufstande des Dsungarenkhans Galdan, dessen Truppen ins Kloster Erdeni Juu eindrangen, so daß Undur Gegen in die Weidegründe der Sunit flüchten mußte. Währenddessen war nach der Niederlage der Kalka am Ologoi Noor die Frage entstanden, an wen man sich am besten um Hilfe wenden würde: an Rußland oder an China. Bekanntlich hatte Undur Gegen die Fürsten zur Anerkennung der Mandschus überredet, womit er die besondere Sympathie des Kaisers K'ang Hi errungen hatte, der ihn mit Gnadenbezeugungen überhäufte. Auf der Versammlung von Dolon Noor im Jahre 1691 verlieh K'ang Hi Undur Gegen den Titel eines „Großlamas" und beauftragte ihn mit der Verwaltung aller Glaubensangelegenheiten der lamaischen Kirche. Während des Aufstandes Galdans wohnte der Hutuktu in Peking und verbrachte den Sommer beim Kaiser in dessen Sommerresidenz Jehol. Im Jahre 1698 erkrankte K'ang Hi gefährlich und erholte sich erst, nachdem der Hutuktu Messen für ihn gelesen hatte. Die Genesung des Kaisers wurde dem Hutuktu zugeschrieben und verstärkte seinen Einfluß auf den Monarchen noch mehr. Er wurde zu Hofe eingeladen und damit ständiger Begleiter des Kaisers, der ihn mit Ehrenbezeugungen und Aufmerksamkeiten umgab. Als die Kaiserinmutter von der ungewöhnlichen Heiligkeit und den Gaben des Hutuktus gehört hatte, wünschte sie, ihn kennenzulernen. Als Undur Gegen in den Palast kam, sah die Kaiserinmutter ihn durch ein Glasfenster an und äußerte zum Kaiser, „daß der Hutuktu herrlich sei wie der Glanz des Mondes in der Vollmondnacht". Hierauf wurde der Hutuktu in den Harem eingeladen und aufgefordert, den Frauen des Kaisers eine Predigt zu halten; letztere überrreichten ihm dann einen Kranz und ein perlengeschmücktes Gewand als Geschenk. Über den Aufenthalt Undur Gegen's in Peking werden phantastische Erzählungen überliefert, in denen er als Magier und Zauberer figuriert, Wunder tut und selbst den Kaiser in Erstaunen setzt. So fragte einst K'ang Hi den Hutuktu, warum er, da er doch die Zukunft wisse, den Einfall der Oirat und die Anerkennung der Souveränität Chinas durch die Mongolen nicht vorausgesagt hätte. Undur Gegen antwortete, daß er davor gewarnt habe und daß seine Warnung sich auf der Rückseite der von ihm dem Kaiser gesandten Statue des Buddhas Ayusi befände. Als man hierauf die Statue prüfte, entdeckte man eine Inschrift, welche besagte, daß dieser Buddha dem Kaiser überreicht werde mit dem Wunsche, die Völker zu einigen und das Glaubensbekenntnis zu verbreiten. Diese Inschrift bedeutete nach der Erklärung des Hutuktus die Unterwerfung der Kalka unter die Herrschaft Chinas und die Vereinigung der Völker unter der einheitlichen Gewalt des Kaisers. „Und ich habe dies gar nicht verstanden ! " antwortete K'ang Hi und befahl, dem Hutuktu Tee zu reichen. Als Undur Gegen seine Tasse empfangen hatte, spritzte er den Tee daraus in der Richtung nach dem Süden. „Warum schüttest du den Tee aus, den ich dir kredenzt habe ? " fragte der Kaiser. „Im Süden von hier ist ein Feuer ausgebrochen", antwortete Undur Gegen, „und ich habe es gelöscht". Sofort wurde nach3*

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geprüft. In der Tat erwies es sich, daß in einer Stadt der Provinz Kuangtung zu der Zeit ein großes Feuer ausgebrochen war und daß, als das Feuer furchtbar um sich griff, plötzlich aus nordwestlicher Richtung ein rotbrauner Regen herabgefallen war, der das Feuer gelöscht hatte 2 ). Mit dem Hinscheiden des Hutuktus Undur Gegen im Jahre 1721 ergab sich die Notwendigkeit, einen Nachfolger zu suchen. Die Wahl erforderte besondere Vorsicht angesichts der Bedeutung, die schon damals dem Wiedergeborenen von Urga in der ganzen Mongolei beigemessen wurde. Endlich wurde beschlossen, daß der neue Hutuktu in der Familie des Fürsten Dondob Dorji aus den Nachkommen des Tusiyetu Khans wiedergeboren werden müsse. Der mongolischen Chronik zufolge wurde die Wahl von Undur Gegen selbst vorgenommen, der, als er das Nahen des Todes verspürte, dem Dondob Dorji befohlen haben soll, eine Jungfrau zur Ehefrau zu nehmen, welche im Jahre des Affen oder des Hahnes geboren sei 3 ), da diese die Mutter des künftigen Hubilgans werden müsse. Der Fürst Dondob Dorji hatte seine Jugend am Pekinger Hofe verlebt. Für das zügellose Leben, das er führte, wurde er verbannt und degradiert, aber durch seine Beziehungen zum Hofe begnadigt und mit einer Tochter des Kaisers Yung Cheng vermählt. Als dem Kaiser die Weissagung Undur Gegen's gemeldet wurde, befahl er Dondob Dorji, nach Kalka zu gehen und eine Jungfrau aus dem Geschlechte der Hotohoit zu heiraten, die im Jahre des Affen geboren war. Aus dieser Ehe entsproß ein Sohn, der spätere zweite Hutuktu. Übrigens wurde seine Wahl von einem scharfen Kampfe der Parteien in Kalka eingeleitet, wo alle Fürsten auf die Erhebung ihrer Kinder zur Würde der Hubilgane Anspruch erhoben und einige von ihnen sogar nach Tibet reisten, um sich die Unterstützung des Dalai Lamas zu sichern. Im vorliegenden Falle begab sich eine besondere Gesandtschaft nach Lhasa mit dem Namen von vier Kandidaten, die von mongolischen Lamas bezeichnet worden waren. Die Wahl des tibetischen Papstes fiel, wie zu erwarten war, auf den Sohn des genannten Dondob Dorji, der auch vom chinesischen Kaiser bestätigt wurde. Als das Kind im Jahre 1728 fünf Jahre alt war, wurde es Lobsang Damba Domni genannt und einem Kloster zugeteilt. Infolge des neuen Überfalles der Dsungaren mußte der Hutuktu nach Dolon Noor fliehen, wo er bis zum Tode des Kaisers Yung Cheng verblieb. Peking besuchte der Hutuktu unter der Herrschaft des Kaisers K'ien Lung, von dem er gnädig empfangen wurde. 2

) A. Posdnejew, a. a. O. ) Die Chinesen, Japaner, Mandschus, Mongolen und Tibeter rechnen die Zeit nach einem Sechzigerzyklus, der aus den zehn Himmelstämmen und den zwölf Erdästen gebildet wird. Als Erdäste gelten bei allen diesen Völkern die zwölf Bilder des ostasiatischen Tierkreises (Maus, Rind, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund, Schwein). Als Himmelstämme nehmen die Mongolen nach dem Vorbilde der Tibeter die fünf Naturkräfte (Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser), die sie, um auf die Zahl zehn zu kommen, in je ein männliches (ere) und weibliches (eme) Element zerlegen. Das Geburtsjahr des Dschebdsun Damba Hutuktus 1635 war z. B. ein weibliches Holz-Schweine-Jahr, das folgende ein männliches Feuer-Mause-Jahr usw. Das gegenwärtige Jahr 1926 ist ein männliches FeuerTiger-Jahr. 3

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In der Jugend zeichnete sich dieser Heilige durch zügellosen Charakter aus; die Geschichte kennt zahlreiche Erzählungen von grausamen und wilden Spielen, die jedoch von den Gläubigen in Wunder umgemodelt worden sind. So ärgerte er sich einst während eines Spazierganges am Flusse Tola über einen Begleiter und befahl ohne weiteres, ihm Steine an die Füße zu binden und ihn in den Fluß zu werfen. Zur Verwunderung sämtlicher Anwesenden ging dieser Mann jedoch nicht unter, was auf eine himmlische Einmischung zurückgeführt wurde. Ein andermal befahl der Hutuktu, als er sich über einen Jünger ärgerte, diesen an den Schweif eines wilden Pferdes zu binden. Das Pferd galoppierte davon und schleppte den Jünger nach sich. Alle waren überzeugt, daß der Unglückliche umgekommen sei; aber nach einigen Tagen erschien der Knabe, als ob nichts passiert wäre. Mit den Jahren wurde Lobsang Damba Domni gesetzter und wandte sich würdiger Tätigkeit zu. Im Jahre 1739 gründete er in Urga eine Schule zum Studium der Metaphysik, Dogmatik und Geschichte des Buddhismus. Einen großen Eifer legte er in der Errichtung von Klöstern, Kapellen und Buddhastatuen an den Tag. Die Tätigkeit des Hutuktus auf dem Gebiete der Verbreitung des Lamaismus schuf ihm eiire Volkstümlichkeit, die im ständigen Zustrom von Geldopfern und Schenkungen von Hörigen Ausdruck fand. Im Jahre 1750 erreichte die Zahl der Sabinar, d. h. der Leibeigenen des Hutuktus, die Zahl 30 000. Der vom Hutuktu gewonnene Einfluß beunruhigte die Pekinger Regierung, welche zwei Vertreter nach Urga entsandte, offiziel zur Überwachung des Gesundheitszustandes des Hutuktus, tatsächlich aber zu seiner Kontrolle. Außerdem wurde zur Begrenzung des Einflusses des Hutuktus im Jahre 1754 der Posten eines Sancotba's eingeführt, d. h. eines Schatzmeisters, dem die Verwaltung der Sabinar übertragen wurde. Begründet wurde diese Maßnahme durch den Hinweis, daß der Hutuktu sich unmöglich mit weltlichen Dingen abgeben könne. Der Einfluß des Hutuktus erstreckte sich auch über die Grenzen von Kalka hinaus. Diesen Umstand nutzten wiederholt die mandschurischen Monarchen in ihren Beziehungen zu den benachbarten Stämmen der Öleten, Dsungaren, Uriyanggen und anderen aus. So wandte sich im Jahre 1718 Kaiser K'ang Hi an den Hutuktu mit der Bitte um Vermittlung, um die auf Kalka vordringenden Dsungaren abzuhalten. Der Hutuktu kam dieser Bitte nach und entsandte eine Delegation zum Dsungarenkhan Tsewang Rabtan, deren Vermittlungsgesuch jedoch erfolglos blieb. Kaiser K'ien Lung wandte sich während des Aufstandes des Fürsten Amursana an den Hutuktu. Die östlichen Kalka bewahrten unter dem Einflüsse des Hutuktus die Ruhe, während die westlichen auf Anstiften des Fürsten Cenggunjab die Kurierstationen zwischen Kaigan und Urga aushoben und die Verbindung unterbrachen. Wie schon erwähnt, verfolgte Peking den wachsenden Einfluß des Hutuktus mit Mißtrauen, ebenso wie dessen nationalistische Tendenzen, die der einigenden und zentralisierenden Politik der Mandschus zuwiderliefen. Da diese Tendenzen durch das Institut der wiedergeborenen Hubilgane unterstützt wurden,

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beschloß man, dieses Institut beizubehalten, die Wiedergeburten aber nach Tibet zu verlegen. Eine solche Verlegung erschien auch deshalb wünschenswert, weil die Wahl des Heiligen in der Mongolei ständig Intrigen und Streitigkeiten zwischen den fürstlichen Familien hervorrief. Als im Jahre 1759 der Hutuktu Lobsang Damba Domni gestorben war, beschloß Kaiser K'ien Lung, die Gelegenheit zu benutzen, um die Wiedergeburt des Hutuktus in der Mongolei aufzuheben. Die Frage wurde vom Dalai Lama entschieden, der eine Verordnung über die künftige Wiedergeburt des Dschebdsun Damba Hutuktus in Tibet erließ. Obgleich diese Verordnung einen Protest der Kalka hervorrief, mußten sie doch dem Befehl des tibetischen Oberhauptes nachkommen und seither wurde der Hubilgan von Urga in Tibet wiedergeboren. Als die Fürsten die Hoffnung, einen nationalen Hutuktu zu haben, aufgeben mußten, beschlossen sie, den fremdländischen Hubilgan, der in Tibet wiedergeboren war, zu boykottieren. Von einer geheimen Versammlung sandten sie dem chinesischen Kaiser einen Bericht, in welchem sie bewiesen, daß Urga kein passender Ort für den Aufenthalt des Heiligen sei wegen der Überfälle der Nomaden und der Anwesenheit von weltlichen Elementen und Frauen; als passender Ort wurde Dolon Noor vorgeschlagen. Dieser Versuch hatte jedoch keinen Erfolg. Der Hubilgan wurde in Tibet wiedergeboren und im Jahre 1763 nach der Mongolei gebracht. Die Legende über die Inkarnation des dritten Hutuktus besagt, daß kurz vor dem Tode seines Vorgängers der Fürst der Provinzen Litan und Kam, Danji Gombo, zum Dalai Lama gekommen sei. Der Dalai Lama riet dem Fürsten, sich mit einer Tochter des tibetischen Kalon (Minister und Berater des Dalai Lamas) zu vermählen. Dieser Ehe entsproß ein Sohn, der bald durch seine frühen Begabungen die allgemeine Aufwerksamkeit auf sich zog. So wollte man, als das Kind fünf Jahre alt wurde, ihm ein Hemd von blauer Farbe überziehen; es protestierte energisch dagegen und erklärte, daß es sich weigere, ein Kleidungsstück anzulegen, welches weltliche Leute trügen, worauf man ihm die gelbe Tracht der Lamas anlegte. Das Leben und die Herrschaft des dritten Patriarchen flössen ziemlich farblos dahin. Er ist bekannt dadurch, daß er die Lamas zum Aufsagen dreier buddhistischer Gebete verpflichtete und dem einfachen Volke die populäre Redewendung „Daß du deinem Vater erschlagen mögest!" verbot. Von ihm sind ebenfalls einige phantastische Erzählungen und Anekdoten überliefert worden. So wurde einst in Urga ein Beamter namens Schu verbannt. Er wandte sich an den Hutuktu mit der Bitte um Schutz. „Fürchte dich nicht", antwortete der Hutuktu, „dir wird kein Leid widerfahren, du wirst sogar eine Amtserhöhung erhalten". Die Prophezeiung ging in Erfüllung; der Beamte wurde freigesprochen und zum Jarguci (mongolischen Richter) ernannt. Als der Beamte nach Urga zurückkehrte, fragte er den Heiligen, warum er solche Furcht vor ihm habe. „Früher", antwortete der Gegen, „in meiner vorigen Wiedergeburt, war ich der Herr und du das Maultier, welches ich ritt. Dabei habe ich dich mit meinen Fersen angetrieben, deshalb hast du noch zwei schwarze Flecken auf

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den Rippen!" Der Beamte öffnete sein Gewand und zeigte, daß er auf den Rippen tatsächlich zwei Leberflecke hatte. Eine ebenso wunderliche Erklärung gab er in einem anderen Falle ab. Im benachbarten Kloster wohnte ein Geistlicher, der eine gute Stimme besaß, aber auch einen unmäßigen Durst; er trank einen Dombo (große Kanne) Tee in einem Zuge aus. Als man hierüber dem Heiligen berichtete, fragte er, ob jener auf dem Rücken Haare hätte, was die Lamas bestätigten. „In meiner früheren Wiedergeburt", sagte der Gegen, „war er mein Reitpferd". Der Heilige präsentierte diesem Geistlichen eine Tasse Tee, worauf er zu saufen aufhörte und menschlich trank. Dieser Heilige hatte keine Gelegenheit, seine prophetischen Gaben zur eigentlichen Anwendung zu bringen, da er im Alter von 15 Jahren starb. Nach seinem Tode begannen die üblichen Streitigkeiten der Fürsten, die zur früheren Ordnung zurückzukehren hofften, d. h. in Urga einen mongolischen Hutuktu aus ihren Geschlechtern haben wollten. Zu diesem Zwecke verbreiteten sie das Gerücht, daß der Hubilgan in der Familie des Tusiyetu Khans wiedergeboren werden würde; die Gemahlin dieses Fürsten war zudem schwanger. Die Fürsten wurden jedoch enttäuscht, da die Frau nur ein Mädchen zur Welt brachte. Währenddessen kam aus Lhasa die Nachricht, daß der Heilige dort neu erschienen sei. Es war der Sohn des ältesten Bruders des siebenten Dalai Lamas, so daß der vierte Dschebdsun Damba Hutuktu der Vetter des tibetischen Papstes war. Dieser Heilige, bekannt unter dem Namen Lobsang Tobdan, zeichnete sich durch strengen Charakter aus, was ihm den Beinamen „Doksin Düri" einbrachte, was soviel wie „strenges Gesicht" bedeutet. Er gab das Beispiel von Arbeitsamkeit und Enthaltsamkeit, verlangte von allen die Befolgung der religiösen Gebräuche und duldete keine Faulenzereien und Ausschweifungen der Lamas, die er eigenhändig mit einem Stock für diese Sünden strafte. Unter seiner Herrschaft wurden einige Tempel errichtet und aus Tibet Buddhastatuen von Manjusris, Vajrapänis, Sakyamunis und Maitreyas gebracht, sowie die Bücher des Kandschurs. Seine Frömmigkeit äußerte sich auch in anderen Formen. So rügte der Hutuktu, als er die Hinrichtung des chinesischen Ministers Shih Chung-t'ang erfuhr, den Kaiser für die Auslöschung eines Lebens und befahl ihm als Sühne die Anfertigung von 10 000 Buddhastatuen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts unternahm er eine Pilgerfahrt nach Tibet und legte in Potala, dem Kloster des Dalai Lamas, das Gelübde des Gelong (ordinierten Mönches ab). Für seine Hörigen, die bereits auf 50 000 Köpfe gestiegen waren, erließ er eine neue Verordnung über die Sabinar-Verwaltung. Dieser Hutuktu starb im Jahre 1813 auf einer Pilgerfahrt nach Wu-t'ai-shan "). Der fünfte Hubilgan, Lobsang Coldam Jigmet, kam in Lhasa unweit des Klosters Potala unter der Herrschaft des Kaisers Kia K'ing zur Welt. Die Chronik schildert ihn als einen beschränkten und willenlosen Menschen, der vollständig unter dem Einfluß der Lamas stand. Obgleich Kaiser Tao Kuang ihm Reskripte sandte, rechnete er doch wenig mit dessen Wünschen. Als der *) A. Posdnejew, a. a. O. S. 534. Wu-t'ai-shan ist ein berühmter Wallfahrtsort des Bodhisattvas Manjusri im Osten der Provinz Schansi.

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Hutukku die Erlaubnis, eine Pilgerfahrt nach Tibet unternehmen zu dürfen, erbat, wurde ihm gestattet, für eigene Rechnung mit einer kleinen Gefolgschaft unter der Bedingung zu reisen, daß die Reise die Bevölkerung nicht belasten würde, da „es nicht anginge, das Volk Launen zuliebe mit Abgaben zu beschweren". Die Bitte des Hutuktus, die chinesischen Händler vom Hauptstadtteil zu entfernen, worum die mongolische Bevölkerung sich schon längst bemüht hatte, wurde ebenfalls abschlägig beschieden. Letzten Endes gelang es dem Hutuktu doch, den Markt in den Westen vom Gandan-Kloster zu verlegen; diese Maßnahme rief jedoch den Unwillen der Lamas hervor, da sie die Zahl der weltlichen Besucher und infolgedessen auch die Einnahmen herabsetzte. Die Kaufleute erlitten Verluste durch die Verringerung der Zahl der Käufer. Kurzum, beide Seiten waren unzufrieden und wandten sich an das Li-fan-yüan in Peking mit einer Klage gegen den Hutuktu, der sich zu der Zeit in Peking befand. Dem Hutuktu wurde Bestechung und Nichteinhaltung des Wortes vorgeworfen; er mußte eine bedeutende Summe bezahlen, um die Angelegenheit zu unterdrücken. Der sechste Hubilgan war im Gegensatz zu seinen adligen Vorgängern der Sohn eines Maultiertreibers. Die Zeit seiner Amtsbekleidung war nur kurz bemessen. Als sechsjähriges Kind nach Urga gebracht, starb er bald an den Pocken. Der siebente Hubilgan, im Jahre 1815 bei Lhasa geboren, war ebenfalls einfacher Herkunft. Auch er kam als Kind nach Urga und geriet bald unter den Einfluß des mongolischen Cecen Khans Artasit, dem es vor allem an persönlicher Bereicherung lag. Um seinen Einfluß bei der Bevölkerung zu erhöhen, verbreitete dieser Fürst das Gerücht, daß er früher ein böser Geist gewesen sei und die gegenwärtige Form dank der tugendhaften Einwirkung des Dschebdsun Damba Hutuktus erlangt hätte. Die Schwächen des Hutuktus begünstigend, brachte er allmählich die Macht an sich und besetzte alle Hof- und Kirchenämter mit seinen Verwandten aus dem Cecen Khanat. Unter seinem Einflüsse wurde der Hof des Hutuktus bald zur Stätte von Faulheit und Laster, wo Trinkgelage der Lamas an die Stelle der Gebete, Liturgien und Predigten traten. Diese Ausschweifungen, die das Ansehen des Hutuktus schwer schädigten, veranlaßten die vernünftigeren Mönche, sich an den mandschurischen Statthalter zu wenden, der den Befehl erließ, die lasterhaftesten Mönche wegen Nichteinhaltung der Mönchsgelübde zu vertreiben und zu bestrafen. Die infolgedessen unter der mongolischen Geistlichkeit entstandene Spaltung drohte mit ernsten Folgen, als der Tod des Heiligen im Jahre 1860 dem Konflikte ein Ende machte.

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Kapitel V. Die Ereignisse in Chinesisch-Turkestan, der Kampf der Chinesen mit Dschehangir und Wali Khan Tjurja. DerAufstand derDunganen (chinesichen Muhammedaner). Rasch-Eddin und Jakub Beg. Das Vordringen Rußlands in Mittelasien. Die Gründung eines von Jakub Beg selbständigen Khanats. Der Kampf mit China und der chinesische Oberbefehlshaber Tso Tsung-t'ang. Die Zuspitzung der russisch-chinesischen Beziehungen und der Vertrag von Liwadia.

Im 19. Jahrhundert wurde der Kampf Chinas mit den mongolischen und tatarischen Stämmen in der westlichen Mongolei und in Turkestan fortgesetzt. Nachdem die Chinesen um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Dsungarei und Kaschgarien erobert hatten, legten sie in die wichtigsten strategischen Punkte Garnisonen, ernannten ihre Hakim - Begs, d. h. Gouverneure, und führten chinesische Verwaltungsformen ein. Die nur für kurze Zeit ins Land kommenden chinesischen Beamten hatten lediglich für eine möglichst rasche Bereicherung Interesse, zu welchem Zwecke sie der Bevölkerung hohe Steuern auferlegten und weitestgehend Abgaben erhoben und Gefälle erpreßten. Außerdem mußten die Einwohner Frondienste leisten, indem sie bei der Anlage von Garnisonen die Mauern, Wälle, Kasernen und Wege zu bauen hatten. Dieses strenge Vorgehen erweckte in der Bevölkerung Erregung gegen die chinesischen Behörden, die wiederholt unter der Leitung geistlicher Führer, Hodschas genannt, in Aufstände überging. So wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vom Hodscha Sarym Beg in Kokand der Versuch gemacht, einen Aufstand zu provozieren. Sarym Beg war der Sohn eines muhammedanischen Fürsten, Burhan Eddin, der als Geisel nach Peking gekommen war und später sich dem Aufstande des bekannten öletenfürsten Amursana angeschlossen hatte. Der Tod hinderte Sarym Beg an der Ausführung seines Planes; bald darauf stellte sich aber sein Sohn Dschehangir Hodscha an die Spitze der Unzufriedenen, die gegen den Bannergeneral des Iii-Bezirks ins Feld zogen. Es gelang Dschehangir, bedeutende Truppen zu sammeln, die aus Kaschgarer Emigranten, Uzbeken, Kiptschaken, Karakirgisen, Sipaiern und andern bestanden, mit Hilfe derer er die Chinesen schlug und Kaschgar besetzte. Danach fanden noch Aufstände in Yarkand, Yangi-Hissar und Kotan statt, wo die Einwohner zu den Aufständischen übergingen und die chinesischen Garnisonen vernichteten. Nachdem Dschehangir die Chinesen vertrieben hatte, rief er sich zum Khan aus und organisierte eine eigene Regierung. Währenddessen brachte die Pekinger Regierung, durch die Erfolge der Aufständischen besorgt gemacht, im Jahre 1828 eine bedeutende, mit Artillerie ausgerüstete Expedition ins Feld. Beim ersten Zusammenstoß erlitten die undisziplinierten und bunt zusammengewürfelten Truppen Dschehangirs eine Niederlage; er selbst floh zum Flusse Tuyun nahe der Feste Narynsk in der Hoffnung, sich nach Rußland retten zu können. Von aller Gefolgschaft verlassen, wurde er den Chinesen ausgeliefert, die ihn nach Peking brachten und dort hinrichteten. Seine Regierungszeit währte nur neun Monate.

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Nachdem die Chinesen den Aufstand niedergeschlagen hatten, fuhren sie in ihrem Regierungssystem fort, wodurch sie neue Aufstände provozierten. An die Spitze der Aufständischen stellten sich der Khan von Kokand, Madali, und der Bruder Dschehangirs, Med Jussuf. Die Aufständischen gelangten sehr bald in den Besitz der Hauptstadt Kaschgar und vernichteten die chinesische Garnison. Die Chinesen konnten nicht damit rechnen, den Aufstand durch einen Waffengang niederzuschlagen, und machten deshalb dem Khan Madali friedliche Vorschläge, der im Jahre 1831 Unterhändler nach Peking schickte. Die Verhandlungen endeten mit der Unterzeichnung eines Abkommens, nach welchem die Kokander das Recht des freien Handels in den Hauptstädten OstTurkestans sowie die Befugnis erhielten, dort ihre „Aksakalen" oder „Handelsältesten" zu stationieren. Ihrerseits verpflichteten sich die Kokander, den aufständischen Bewegungen der Hodschas entgegenzutreten. Als Hudoyar Khan im Jahre 1846 den Thron von Kokand bestieg, wiederholten die Hodschas ihren Versuch, die Chinesen zu verdrängen. Sie benutzten die Unruhen unter den Kirgisen, um einen Aufstand zu organisieren, der unter dem Namen der „Sieben-Hodscha-Rebellion" bekannt geworden ist. Der Mangel an Einigkeit vereitelte jeden Erfolg der Bewegung, die infolgedessen bald unterdrückt wurde; der Führer der Aufständischen, Kata Tjurja, wurde gefangen genommen und die Chinesen kamen erneut nach Kaschgar. Im Jahre 1857 entbrannte ein neuer Aufstand, der vom Hodscha Ali Wali angeführt wurde. Dieser sammelte ein bedeutendes Kriegsheer, vertrieb die Chinesen und rief sich zum Khan aus. Dieser Khan zeichnete sich durch außerordentliche Grausamkeit aus. Er begnügte sich nicht mit der Erhebung von Steuern und Hinrichtungen unbequemer Leute, sondern versuchte auch, die Volkssitten und religiösen Gebräuche zu ändern, indem er die Bewohner auf dem Zwangswege zu Muhammedanern machte. Den Frauen wurden die Zöpfe abgeschnitten und ihnen verboten, sich unverschleiert zu zeigen; die Männer wurden in die Moscheen getrieben und gezwungen, Turbane zu tragen. Wali Khan trieb die Grausamkeit so weit, daß er eigenhändig die Verurteilten enthauptete. Am Ufer des Flusses Kysil-Su wurde eine Pyramide aus Schädeln errichtet, die an Umfang ständig zunahm dank den Hinrichtungen dieses blutdürstigen Despoten. Unter den Opfern Wali Khans befand sich auch der deutsche Gelehrte Schlagintweit, der hingerichtet wurde, weil er sich weigerte, dem Hodscha Briefe auszuliefern, die er aus Bombay mitgebracht hatte und die an den Khan von Kokand adressiert waren 1 ). Die Herrschaft Wali Khans währte jedoch nicht lange. Ende 1857 besetzten die Chinesen Kaschgar und errichteten erneut ihre Herrschaft im Lande. Aber auch dieses Mal währte die Ruhe nicht lange. Die chinesische Politik der Knechtung der unterworfenen Völker rief erneut einen Aufstand hervor, der unter dem Namen des Dunganen-Aufstandes bekannt geworden ist. Dunganen hießen die muhammedanischen Nachkommen der von den Chinesen im 9. Jahrhundert ') A. Kuropatkin, „Kaschgarien", S. 124.

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unterworfenen Uiguren. Der Aufstand begann im Jahre 1861 in den Provinzen Schensi und Kansu und griff von dort auf Kaschgarien über; der blutigste Akt dieses Aufstandes war die Massenhinmordung von Chinesen. An die Spitze des Aufstandes stellte sich im Jahre 1862 der Hodscha Rasch-Eddin aus Kutscha, der das Gasawat, d. h. den heiligen Krieg, gegen die Chinesen proklamierte. Die in den Festungen konzentrierten chinesischen Garnisonen wurden voneinander abgeschnitten und konnten einander nicht helfen; sie waren gezwungen, entweder umzukommen oder auf die Seite der Aufständischen überzugehen. Dort, wo die Chinesen in der Mehrzahl waren, rächten sie sich grausam an den Muhammedanern und vernichteten ebenfalls wahllos alle. Die Insurgenten besetzten Si-ning-fu, Ta-t'ung-fu und Su-chou und zerstörten Alaschan, Kobdo und Bulun-tohoi. Darauf fielen die Städte Tschugutschak, Kuldscha, Manas, Urumci, Turfan, Barkul und Hami. Am längsten hielten sich Yangi-Hissar und der Gulbak (Festung) von Yarkand. Nachdem Rasch-Eddin den Chinesen eine Reihe von Niederlagen beigebracht hatte, bemächtigte er sich Kaschgariens und rief sich 1864 zum Khan aus. Da aber Rasch-Eddin kein direkter Nachfolger der in Kaschgarien herrschenden Hodschas war, entstand bald eine ihm feindliche Partei, an deren Spitze sich Sadik Beg stellte. Dieser wandte sich an den damals in Taschkent und Kokand regierenden Alim-Kul und bat ihn, Dschehangirs Sohn Busuruk Hodscha zu senden, um ihn als rechtmäßigen Prätendenten auszurufen. Busuruk war durch seine Tugenden berühmt und unter den Muhammedanern populär, verfügte aber nicht über Führerqualitäten. Als er im Jahre 1864 vor den Toren Kaschgars erschien, wurde er von den Einwohnern aufgenommen. Unter seinen Anhängern befand sich auch Jakub Beg, der später eine so große Rolle in der Geschichte Turkestans gespielt hat. Der im Jahre 1820 geborene Mahomed Jakub Beg war der Sohn eines Einwohners der Stadt Hodschent im Khanat von Kokand, der sich mit Gebeten an Krankenlagern beschäftigte. Jakub verlor seine Eltern in früher Kindheit und wurde ein Batscha (Straßentänzer); späterhin erwarb er sich durch sein einnehmendes Äußeres und seinen regen Verstand die Gunst erst des Kokander Khans Madali und später des Taschkenter Hakim Nar-Mahommed, der sich mit seiner Schwester vermählte. Die verwandtschaftlichen Beziehungen mit dem Hakim sowie der Einfluß seiner Schwester verhalfen Jakub zum Beg in der Stadt Akmetschet, auf welchem Posten ihn die späteren politischen Ereignisse antrafen, welche die Intervention Rußlands in Mittelasien hervorriefen. Nach dem Tode Madali Khans, der im Kriege mit den Bucharen gefallen war, entbrannte im Khanat von Kokand ein Streit der Parteien wegen der Thronfolge. Der Regent von Kokand, Schir-Ali Khan, wurde nach zweijähriger Herrschaft ermordet und der Thron ging auf Murad, den Sohn Alim Khans, über. Darauf ermordete der Führer der Kiptschak-Partei, Musulman-Kul, den Murad und erhob den minderjährigen Hudoyar Khan auf den Thron; er selbst wurde Regent. Hudoyar Khan wurde von seinem Bruder Mali Khan gestürzt, der an seine Stelle trat. Musulman-Kul, der die entstandenen Unruhen zu unterdrücken versuchte, wurde von den eigenen Truppen gefangen genommen und an

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Hudoyar ausgeliefert, der ihn hinrichten ließ. Hudoyar selbst wurde darauf von dem Kiptschaken Alim-Kul gestürzt, der den Thron Said Beg, dem Sohne Mali Khans, übergab. Diese Ereignisse gingen während der militärischen Operationen vor sich, Avelche Rußland in Mittelasien zur Unterdrückung der von der einheimischen Bevölkerung hervorgerufenen Unruhen unternahm. Die Expansion Rußlands nach Innerasien begann zur Regierungszeit Peters des Großen, der sich von Norden einen Weg nach Indien bahnen wollte. Eine zu diesem Zwecke im Jahre 1717 nach Turkestan entsandte militärische Expedition schlug fehl: die unter dem Befehl des Fürsten Bekowitsch-Tscherkaski stehende russische Abteilung wurde von den Chiwaern in die Wüste gelockt und vollkommen aufgerieben. Ebenso erfolglos war die Expedition, die Zar Paul im Jahre 1800 auf Anraten des Ersten Konsuls Napoleon Bonaparte nach Turkestan schickte, um der englischen Herrschaft in Indien einen Schlag zu versetzen. Die Armee, welche von Orenburg ausging, geriet infolge schlechter Verpflegung und mangelnder Transportmittel (Verlust der Kamele) bald in Auflösung und war gezwungen, unter großen Verlusten den Rückzug anzutreten. Ermutigt durch ihre Erfolge, unternahmen die Bucharen und die Chiwaer öfter Angriffe auf die russische Grenze, schleppten Gefangene fort und raubten das Vieh. Zur Bestrafung dieser Nomaden wurde im Jahre 1839 eine Abteilung unter dem Kommando des Generals Perowski ausgeschickt. Die Expedition blieb jedoch fruchtlos infolge der schlechten Organisation, des Mangels an Transportmitteln und der Schwierigkeit, die Verbindung mit der Operationsbasis aufrecht zu erhalten. Bedeutend erfolgreicher war der Feldzug, den derselbe Perowski 1847 unternahm. Für den Transport der Munition und der Lebensmittel wurde auf dem Wasserwege vom Aralsee den Syr-Darja entlang eine Verkehrsstraße eröffnet, was die Operationen sehr erleichterte. Die russische Armee brachte den Einwohnern der Länder Kokand und Chiwa einige schwere Niederlagen bei und eroberte die Städte Dschulek und Akmetschet, von denen die letztere den Namen „Fort Perowski" erhielt. Zur Verteidigung gegen die Angriffe der Nomaden und zur Befestigung der russischen Herrschaft wurden am SyrDarja Fortifikationen errichtet und im Jahre 1854 die Stadt Wjernij gegründet. Die Versuche des Khans Nasrulla von Kokand — hauptsächlich im Jahre 1853, als Rußland durch den Krimkrieg abgelenkt war —, die gegen ihn errichtete Verteidigungslinie zu durchbrechen, waren erfolglos. Inzwischen brach im Khanat ein Bruderkrieg aus, der unter Beihilfe des Emirs von Buchara, Muzaffar-Eddin, mit der Absetzung Nasrullas und der Wiedereinsetzung Hudoyar Khans endete. Die damit verknüpften Unruhen riefen die Einmischung Rußlands herbei, das unter General Tschernjajew eine Expedition ausschickte, die im Jahre 1865 die Städte Tschimkent und Taschkent einnahm. Den Grund zu einer neuerlichen Einmischung, diesmal in die Angelegenheiten von Buchara, bot Rußland die auf Befehl des Emirs erfolgte Verhaftung und Einkerkerung des russischen politischen Agenten Struwe. Die Strafexpedition unter dem Kommando der Generale Kaufmann und Bomanowski endete

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mit der Flucht des Emirs Muzaffar-Eddin und der Eroberung der Stadt Samarkand im Jahre 1868. Die Begründung der russischen Herrschaft am Mittellaufe des Flusses Sarewschan und die Gründung der Stadt Krasnowodsk am Kaspischen Meere durch General Stoljetow stärkte die Position Rußlands und trug viel zur Beruhigung der Gegend bei. Doch die Friedensperiode war nicht von langer Dauer. Die feindseligen Handlungen Hudoyar Khans führten eine abermalige Intervention Rußlands in Kokand herbei und die Entsendung einer Expedition im Jahre 1875 unter der Leitung des Generals Skobelew. Die bucharische Armee erlitt eine schwere Niederlage und Hudoyar Khan mußte auf den Thron verzichten, worauf das Khanat von Rußland annektiert und in vier Distrikte aufgeteilt wurde: Fergana, Sarewschan, Syr-Darja und Amu-Darja. Der bald danach gegen Chiwa unternommene Feldzug war durch die Weigerung des Emirs Said Mohammed Rachim Bagadur verursacht worden, die russischen Kriegsgefangenen (über 20 000 Mann), welche als Sklaven behandelt wurden, freizulassen. Außerdem diente Chiwa den kirgisischen, turkmenischen, tekinischen, karakalpakischen und anderen Räuberbanden der Nomaden als Operationsbasis und Asyl bei ihren unaufhörlichen Angriffen auf russisches Gebiet. Die unter Führung General Kaufmanns ausgerüstete Expedition ging in drei Kolonnen von Orenburg, von Turkestan und vom Kaukasus her vor. Ungeachtet aller Schwierigkeiten des Feldzuges in der wasserlosen Wüste kam die Kolonne des Generals Werewkin nach Chiwa. Der Emir ergriff mit seinem ersten Minister Diwan Beg die Flucht und die Stadt wurde vom Bruder des Emirs, Ata Dschan Tjurja, dem General Kaufmann übergeben. Die Einnahme Chiwas setzte dem weiteren Widerstande der turkmenischen Stämme ein Ende und erleichterte die Aufgabe Rußlands in Mittelasien. Die vollkommene Unterwerfung Turkestans wurde 1880 durch General Skobelew vollzogen, der den Tekinern eine gewaltige Niederlage beibrachte und ihre Hauptfestung Geok-Tepe eroberte. Die Bevölkerung der Oase Merw unterwarf sich, die Fruchtlosigkeit des Kampfes einsehend, der russischen Herrschaft und beteuerte dem Oberbefehlshaber der russischen Armee, General Alichanow, ihren Gehorsam. Als die russischen Truppen unter dem Oberbefehl des Generals Tschernjajew, wie schon gesagt, auf Tschimkent marschierten, wandte sich Alim Kul, um die Russen abzuwehren, nach Taschkent, traf jedoch hier auf eine feindliche Partei mit Jakub Beg an der Spitze, der eine gewisse Kampfesroutine mit den Russen bereits erworben hatte. Zu dieser Zeit trafen in Taschkent Gesandte aus Kaschgar von Sadik Beg ein mit der Bitte, ihnen Busuruk Khan zu senden. Die darauf entstandene Konkurrenz zwischen Sadik Beg und Busuruk Khan endete, wie schon gesagt, mit der Flucht Sadiks und rückte Jakub Beg an die erste Stelle. Er wurde zum Oberbefehlshaber ernannt und machte sich an die Organisation der Streitkräfte, deren Kern die Einwohner von Andischan waren. Währenddessen rief die Einsetzung Busuruks und seine Ansprüche auf ganz Kaschgarien den Widerstand Rasch-Eddin Hodschas, der das Gebiet im Osten

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von Aksu beherrschte, und des Regenten von Yarkand, Abdur Rachman, hervor, die Truppen nach Kaschgar schickten, um Busuruk zu vertreiben. Jakub Beg schlug die Gegner Busuruks und gelangte im Jahre 1865 in den Besitz der Zitadelle von Kaschgar. Später belagerte er die Stadt Yangi-Hissar, die unter dem Oberbefehl des chinesischen Residenten stand. Jakub Beg bot ihm das Leben für die Übergabe der Festung, der tapfere Verteidiger zog es aber vor, die Festung in die Luft zu sprengen und zusammen mit der Garnison umzukommen. Dieses Ereignis fiel mit dem Tode des Khans von Kokand, Alim-Kul, zusammen, der bei der Einnahme von Taschkent im Jahre 1865 durch den General Tschernjajew im Kampfe gegen die Russen fiel. Sein Nachfolger Said Khan floh nach Dschisak und seine Truppen riefen einen gewissen Bil-Bachtschi zum Khan aus. Er hielt sich auch nicht lange und wurde zur Flucht gezwungen, um sich vor Hu•doyar zu retten. Zur selben Zeit erschienen in Kaschgar der Bruder des Busuruk, Kata Tjurja, der Kaschgar während des Aufstandes der Hodschas verwaltete, BikMahommed, der Befehlshaber der Taschkenter Truppen und Mirza-Achmed-KuschBeg, der frühere Hakim Taschkents, um sich Jakub Beg entgegenzustellen. Während Jakub Beg mit der Belagerung von Yangi-Hissar beschäftigt war, entführten die in den Dienst Busuruks übergangenen Kiptschaken diesen nach Kaschgar, wo sie den Jakub für abgesetzt erklärten. Jakub versuchte die Stadt mit Gewalt zu nehmen; als dies nicht gelang, trat er in Verhandlungen mit dem Anführer der Kiptschaken, Bik-Mahommed, worauf letztere kampflos abzogen und die Stadt mit Busuruk verließen. Bald darauf setzte Jakub Busuruk ab und erhob an seiner Stelle Kata Tjurja zum Khan, ließ ihn aber, als er sich nach kurzer Zeit mit ihm überworfen hatte, ermorden und machte Busuruk von neuem zum Khan. Im Jahre 1867 hatte Jakub schon die Gebiete von Kaschgar, Yarkand und Hotan unter seine Herrschaft gebracht. Darauf gelang es ihm, seinen letzten Gegner Rasch-Eddin zu vernichten und Aksu sowie Kuldscha zu besetzen. Dadurch lenkte er den Argwohn Rußlands auf sich und brachte dessen Einmischung zustande. Zur Sicherung der Ordnung an der Grenze entsandte die russische Regierung unter der Leitung Kolpakowskis eine militärische Expedition nach Kuldscha. Mit den Dunganen schloß Jakub einen Vertrag ab, um die Grenze zwischen ihnen und Kaschgarien festzusetzen. Bald aber waren diese mit den Abmachungen unzufrieden. Sie überschritten die Grenze und begannen Feindseligkeiten, wurden aber 1869 von Jakub geschlagen, der die Städte Turfan und Urumci besetzte und 1872 auch Manas eroberte. Aber durch die Unterdrückung der Dunganen erleichterte er nur den Chinesen ihre Aufgabe. Als Jakub auf diese Weise seine Gegner beseitigt und die Städte Kaschgar, Yarkand, Hotan, Aksu, Kutscha und Sarikol besetzt hatte, wurde er zum Herrn von T'ien-shan-Nan-lu und bildete ein selbständiges Khanat. Zuerst nahm «r den Titel „Atalik-Ghazi" — Verteidiger des Glaubens —an, später „Badulet" — der Glückliche. Auch Rußland, England und die Türkei erkannten den neuen asiatischen Machthaber als Emir an und sandten spezielle Missionen und Agenten

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zur Feststellung der Grenzangelegenheiten zu ihm. An der Spitze der englischen Mission befand sich Sir Douglas Forsith. Im Jahre 1872 unterzeichnete Oberst Kaulbars mit Jakub Beg ein Übereinkommen, welches die Beziehungen Rußlands zum neuen Khanat regelte. Inzwischen hatten der Dunganenaufstand und die Eroberung von Turkestan durch Jakub Beg Pekings Ruhe gestört und die chinesische Regierung raffte sich zu militärischen Operationen auf. Der Zustand in West-China war schlimm genug: die Bevölkerung war zerstreut oder ermordet, die Städte, Dörfer und Klöster standen in Ruinen. Verkehr und Handel waren unterbrochen und das ganze Land verwüstet. Zum Oberbefehlshaber der chinesischen Armee wurde der Generalgouverneur der Provinz Kansu, Tso-Tsung-t'ang, ernannt, der bei der Rückeroberung der von Jakub Beg besetzten Gebiete eine seltene Ausdauer und Energie an den Tag legte. Im Jahr 1871 besetzte er die Stadt Su-chou. Die Besetzung hatte die Hinrichtung der Führer und ein Massaker der gesamten muhammedanischen Bevölkerung zur Folge. Der Mangel an militärischer Ausrüstung und Lebensmitteln hielten die weiteren Erfolge der Chinesen auf, die aber nach uralter Sitte zur Versorgung der Armee die Soldaten Ackerbau treiben ließen. Diese Maßnahme erforderte viel Zeit und Kräfte, besonders angesichts der Verwüstungen im Lande. Im Jahre 1876 drang Tso Tsung-t'ang bis Hami vor; nach zwei Jahren waren Ti-hua ( = Urumci) und Manas besetzt. Die Einwohner dieser Städte wurden ebenfalls erbarmungslos niedergemacht, obgleich sie kapituliert hatten. Der plötzliche Tod Jakub Begs im Jahre 1877 durch Vergiftung erleichterte die Aufgabe der Chinesen, die rasch die Hauptstadt Aksu und dann Yarkand, Kotan und Kaschgar eroberten. Jakub Beg hinterließ drei Söhne, Bik-Kuli Beg, Tschak-Kuli Beg und Hakim Kata Tjurja. Tschak-Kuli Beg wurde aber bald von seinem ältesten Bruder ermordet und Bik-Kuli Beg zum Alleinherrscher ernannt. Doch auch er war gezwungen, das Land als Flüchtling nach Fergana zu verlassen. Kaschgarien wurde von den Chinesen besetzt und zur Provinz Sinkiang gemacht. Nach der Niederschlagung des Aufstandes der Dunganen erneuerte die chinesische Regierung ihre Forderungen gegenüber Rußland betreffs der Rückerstattung von Kuldscha. Mit den diesbezüglichen Verhandlungen wurde der chinesische Gesandte in Rußland, Ch'ung-hou, betraut. Im Jahre 1879 unterzeichnete Ch'ung-hou in Liwadia (Krim), wo sich der Außenminister Giers damals aufhielt, den Vertrag über die Rückerstattung des Iii-Bezirkes, über Grenzregelungen bei Tarbagatai und über die Errichtung einiger neuer Konsulate im westlichen China. Der Vertrag bestätigte das durch frühere Übereinkommen festgesetzte Recht Rußlands auf zollfreien Handel in der Mongolei und die Besitzungen Rußlands im südwestlichen Iii-Bezirk. Einige von Ch'ung-hou zugelassene Abweichungen von seinen Instruktionen erregten den Unwillen der Pekinger Regierung, welche die Ratifizierung der Vertrages ablehnte. Ein anderer Anlaß zur Unzufriedenheit war die Weigerung der russischen Regierung, den nach Turkestan geflohenen Dunganenführer Boyenka auszuliefern. Gegen Ch'ung-hou traten chinesische Zensoren mit Anklageschrif-

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ten auf. Besonders scharf ging der bekannte Gegner der Ausländer, Mitglied der Hanlin-Akademie Chang Chih-t'ung vor, der spätere Vizekönig von Hukuang, der Ch'ung-hou des Landesverrates beschuldigte. In seiner Kritik des Vertrages von Liwadia verwies der genannte Zensor auf die Notwendigkeit, sich den Plänen der Russen in der Mongolei zu widersetzen, die ein Pufferstaat Chinas sei. Die Folge dieser Angriffe war eine Anklage wegen Landesverrats und die Verurteilung Ch'ung-hou's zum Tode. Durch die Verweigerung der Ratifikation des Vertrages und die Verurteilung Ch'ung-hou's spitzten sich die Beziehungen Rußlands zu China immer mehr zu. Es entstand die Gefahr des Bruches und sogar des Krieges, zu welchem die Chinesen von der chauvinistischen Partei und der deutschen Diplomatie angetrieben wurden; letztere dachte dadurch Rußland vom Balkan abzulenken. Die Kriegslust der Chinesen veranlaßte Rußland, ebenfalls Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen: es wurden einige Teile der Irkutsker Militärbezirke mobilisiert und in chinesischen Gewässern russische Kriegsschiffe konzentriert. Doch bald gewann in Peking die Partei der gemäßigten Politik die Oberhand; zur Beilegung des russisch-chinesischen Konfliktes wurde der bekannte Staatsmann* mann Li Hung-chang hinzugezogen. Dieser wandte sich um Rat an den englischen General Gordon, der eine bedeutende Rolle bei der Unterdrückung des Taiping-Aufstandes in Südchina gespielt hatte. Gordon, der den Zustand der chinesischen Truppen gut kannte, machte die Pekinger Regierung auf die Gefahr eines Zusammenstoßes mit Rußland aufmerksam und riet, im Notfalle Kuldscha zu opfern. Zur Besänftigung der Chinesen trugen ebenso England und Frankreich bei, denen ein Krieg und ein allzu großes Erstarken Rußlands im Fernen Osten sehr ungelegen war. Wie dem auch sei, Peking entschloß sich zu einem Kompromiß, indem es sich bereit erklärte, Ch'ung-hou zu begnadigen und die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Im Jahre 1881 wurde der Petersburger Vertrag geschlossen, der chinesischerseits vom chinesischen Gesandten Marquis Tseng und russischerseits vom Außenminister Giers unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag war im wesentlichen eine Wiederholung desjenigen von Liwadia. Er regelte die Grenzfragen und den russisch-chinesischen Handel. Rußland gab an China das Iii-Gebiet zurück, während China sich verpflichtete, die Besatzungskosten zu erstatten.

Kamelkarawane in der Wüste Gobi.

Telegraphenstation zu Udde auf der Poststraße zwischen Urga und Kaigan.

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Kapitel VI. Topographische Sonderheiten der Mongolei. Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung in Kalka. Khane, Jasaks und Taijis. Aimak und Hosun. Rechte und Pflichten der Fürsten. Die zentralen und lokalen Verwaltungsstellen. Aimak-Kongresse oder Culgan. Das Vorherrschen der Geistlichkeit. Sabinar-Verwaltung. Militärische Posten und die russischmongolische Grenze. Die Innere Mongolei und ihre Stämme.

Die Mongolei erstreckt sich über ein Gebiet von 1 300 000 Quadratmeilen und hat eine Bevölkerung von rund 5 Millionen Seelen. Im Norden grenzt die Mongolei an Sibirien, im Westen geht die Grenze über den südlichen Altai am Schwarzen Irtysch entlang und biegt dann nach Süden um; sie läuft den Tarbagatai-Bezirk entlang, durchquert im Südwesten die Wüste der Dsungarei und die Gobi und erreicht die Große Mauer im Departement Su-chou der Provinz Kansu. Im Südosten geht die Grenze längs der Großen Mauer, welche den Norden der Provinz Kansu umsäumt, und läuft weiter am Flusse Sira-Muren, dem Oberlaufe des Huang-ho. Im Nordwesten bildet der Altai die natürliche Grenze, der dort Sailugem genannt wird, im Norden das Sayan-Gebirge. Am nordöstlichen Ausläufer des Sailugem stehen die mit ewigem Schnee bedeckten Berge des Harkir-Gebirges, südwestlich vom See Ubsa. Der andere Abhang desselben Bergrückens, Tangnu-Ola, vereinigt sich im Osten mit den Sayan- und Hanggai-Bergen. Im Südosten von den Sayanbergen erstreckt sich die die Mongolei im Nordosten begrenzende Kentei-Kette mit ihren Schneegipfeln. Die östliche Grenze der mongolischen Hochebene wird durch das Große Hing-an-Gebirge gebildet; der die mongolische Hochebene im Süden und Westen umgebende Altai zieht sich in südlicher Richtung auf 1 500 Werst hin und verzweigt sich nach Südosten hin in einige Bergketten. Die hauptsächlichsten Schneegipfel des südlichen Altai sind: Batur-Hair-Khan, Mungke-Dsatsu-Bogda, Ischy-Bogda und Dsatsu-Ikchy-Bogda. In ihrem südöstlichem Teile geht die Kette in einen einzigen Bergrücken über, der in der Wüste Gobi etwa 200 Werst von der nördlichen Wendung des Huang-ho, des Gelben Flusses, endet. In der nordwestlichen Mongolei gibt es außer den Abhängen des nördlichen und südlichen Altai, den Sayan- und Kenteibergen, ein selbständiges Bergland Hanggai. Es besteht aus einem von Nordwesten nach Südosten gehenden langen Bergrücken, der sich vom Flusse Harkir bis zum oberen Lauf des Flusses Ogin Gool auf etwa 1000 Werst hinzieht und teilweise bis zu 10 000 Fuß aufsteigt. Im Hanggai ist der hauptsächlichste Schneegipfel der Bogda Ola oder Ocir Wani im Osten von Uliyasutai, der etwa 12000 Fuß mißt. Die hauptsächlichste Ebene der östlichen Mongolei ist die Wüste Gobi, welche sich von Südwesten nach Nordosten hinzieht und 1000 Werst lang und 500 Werst breit ist; sie erstreckt sich von Sinkiang und Kansu fast bis zum See Buir Noor. Die Wüste Gobi ist mit Gras bewachsen und von felsigen Höhenzügen, Salzvorkommen und kleinen Sandinseln durchquert. Hier und da stößt man auf Salzseen. Die andere Wüste im Südwesten vom Altai ist sandiger. Die Länge der Großen Gobi von den Ufern des Flusses Huang-ho bis zum Flusse Korostovetz,

Mongolei.

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Yarkand-Darja beträgt 2 300 Werst, die Breite 600 Werst. Im westlichen Teil der Wüste erstreckt sich die Bergkette T'ien-shan, die sich über die Schneelinie erhebt. Die nordwestliche Mongolei ist stärker bewässert als die östliche. Hier ziehen sich die Flüsse Yenissei, Irtysch, Selengga und Orhon hin, die alle in den Ozean münden, während die übrigen Flußsysteme kontinentale Bassins bilden. Der obere Lauf des Yenissei wird gebildet durch den Zusammenstrom der Flüsse Hua-Kem und Bei-Kern und heißt in den Grenzen der Mongolei Ulu-Kem. Die Selengga nimmt unter dem Namen Eder ihren Anfang im Hanggai-Gebirge, mündet in den Baikal-See und wird nach dem Zusammenstrom mit dem Orhon schiffbar. Die hauptsächlichsten Zuströme der Selengga sind Orhon, Tola, Kerülen und Onon. Das Gebiet der Selengga erstreckt sich von Uliyasutai bis Urga in die Gebiete der Khanate des Tusiyetu Khans und des Sain Noyan Khans. Die Tola fließt von Südwesten durch die Stadt Urga und mündet in den Orhon, der unweit von Kiachta sich mit der Selengga vereinigt. Vom westlichen Abhang des südlichen Altai fließt der Schwarze Irtysch, der in den See Zaißan mündet, nachdem er sich mit Urtschum und Kabu vereinigt hat. Von dort nimmt auch der Fluß Urunggu, der in den See Ulunggur mündet, seinen Anfang. Von übrigen unwesentlichen Flüssen sind zu nennen Tes, Sabhun, Baidarik, Narin Gool, Arguin Gool, Onggin Gool, Tuin Gool, Taca Gool. Der See Koso Gool wird mit der Selengga durch den Fluß Egin Gool verbunden; der See Ubsa wird durch die Flüsse Tes, Narin und Harkir gespeist. In den See Kara Usu mündet der Fluß Kobdo. Dieser See wird durch den Fluß Conharaikci mit dem See Durga Noor verbunden, der durch einen Nebenfluß mit dem Sabhun in Verbindung steht. Letzterer bildet zusammen mit dem Flusse Kunggui den See Airik Noor, der mit dem See Kirgis Noor in Verbindung steht. In der Ebene zwischen dem Hanggai und dem südlichen Altai liegt eine Reihe weniger bedeutender Seen wie Gagan Noor, welcher den Fluß Baidarik aufnimmt, der See Jirgalangtu, der von dem Flusse Narin Gool gebildet wird, das Orok Noor mit dem Flusse Tuin Gool, das Buir Cagan Noor mit dem Flusse Taca Gool, das Cigein Noor mit dem Flusse Arguin Gool, das Olu Noor mit dem Flusse Onggin Gool und das Dalai Noor mit dem Kerülen 1 ). Kalka 2 ) oder der Osten der Äußeren Mongolei, welcher den Gegenstand unserer Beschreibung bildet, erstreckt sich auf dem nördlichen Teile der mongolischen Hochebene zwischen den Hanggai-Bergen im Westen und dem Großen Hing-an-Gebirge im Osten. Die nördliche Grenze berührt Sibirien, die südliche die Wüste Gobi. Der nördliche Teil von Kalka ist bergig und mit Wäldern bedeckt; die Flußebenen sind reich an Weidegründen. Das Gelände senkt sich in der Richtung zum Baikal und zur Flußebene des Amur. Die Steppen des südlichen Kalka sind arm an Vegetation und Wasser und nehmen, sich der Gobi nähernd, selbst den Charakter einer Wüste an. 1

) Vgl. Matussowsky, Geographische Beschreibung des chinesischen Kaiserreichs. Petersburg 1883. 2 ) Das Wort Kalka bedeutet „Schild" und wird sowohl für das Land als auch für dessen Bewohner gebraucht.

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Die Bevölkerung Kalkas beträgt nach der Zählung von 1918 600 000 Seelen. Bei der Unvollkommenheit der mongolischen Statistik ist kaum anzunehmen, daß die Zahl der Wirklichkeit entspricht. Die Bevölkerung ist wahrscheinlich zahlreicher; die Mehrzahl der Forscher schätzt sie auf eine Million und mehr. Der deutsche Mongoleireisende Hermann Consten schätzt die Bevölkerung der Mongolei sogar auf 3 Millionen (500 000 Jurten) 3 ). Im englischen „The China Year Book" für 1925 wird die Bevölkerung der ganzen Mongolei auf 2 Millionen geschätzt und die der äußeren Mongolei auf 600 000. Obgleich wir keine Angaben aus früheren Zählungen besitzen, besteht doch Grund zu der Annahme, daß der Zuwachs der Bevölkerung nur ein ganz geringer ist und den Abgang nicht deckt, d. h. daß die Bevölkerung ständig abnimmt. Etwas besser steht es in der Inneren Mongolei, aber auch dort ist der Zuwachs nur gering. Dies wird durch allgemeine wirtschaftliche Gründe bewirkt wie auch durch die Lama-Religion, welche fast die Hälfte der Bevölkerung zu Mönchen macht und von der Ehe ausschließt. Außerdem wirken ungünstige Epidemien und die antihygienische Lebensführung nebst Schnaps und Syphilis europäischer Herkunft gegen die Zunahme der Bevölkerung. Was die Schätzung der Bevölkerung nach Jurten oder Feuerstellen anlangt, so wird diese vom Mongoleiforscher Maiski in Kalka auf 125 000 geschätzt 4 ). In ethnographischer Beziehung stehen die Kalka, von denen fast eine halbe Million gezählt wird, an erster Stelle unter allen Mongolen. Die Grundlage des inneren Aufbaus der Mongolei ist die Teilung in Hosun oder „Banner", die zu Aimak oder „Stämmen" vereinigt werden. Insgesamt werden in der Äußeren Mongolei einschließlich des Kobdo-Bezirks 115 Hosun gezählt. In Kalka selbst gibt es 85 Hosun, die 4 Aimaks bilden: die Khanate des Cecen Khans, des Tusiyetu Khans, des Sain Noyan Khans und des Jasaktu Khans. Das größte Hosun ist das Banner des Dalai Coinhor Wang des SainJMoyan-Aimaks mit einer Bevölkerung von 25 000 Seelen. Die durchschnittliche Bevölkerungszahl eines Ho§un beträgt 4000 Seelen. Was die Dichtigkeit der Bevölkerung angeht, so beträgt sie bei den Kalka durchschnittlich 0,46 Einwohner pro Quadratwerst; der dichtest bevölkerte Aimak ist der des Sain Noyan Khans. B e v ö l k e r u n g von Kalka (östliche Mongolei). Aimak Einwohner Jurten Cecen Khan 25 524 101 675 Tusiyetu Khan 98152 20 828 Sain Noyan Khan 111 112 25 750 Jasaktu Khan 70 151 16 382 Sabinar (geistliche)-Verwaltung 70 387 22 636 4 869 Einzelne Hutuktus Kobdo-Bezirk 50 100 Darhaten u. ehemalige kaiserliche Besitzungen 16 000 Zusammen 3 4

) Hermann Consten, Weideplätze der Mongolen. ) A. Maiski, Die heutige Mongolei. 1921.

540 213 I. Band, Berlin 1919.

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Von den 115 Bannern der Äußeren Mongolei sind 13 geistliche Fürstentümer, an deren Spitze jeweils Hubilgane oder wiedergeborene Heilige stehen. Der größte Teil der Hubilgane besitzt kein Territorium, hat aber Abgabepflichtige oder Leibeigene, welche „Sabi" (Mehrzahl Sabinar) d. h. „Jünger" genannt werden. Die Zahl der Sabinar des Hutuktus von Urga beträgt 100 000 Mann, die in ganz Kalka verstreut sind. Die hauptsächlichsten Hutuktus nach dem Dschebdsun Damba Hutuktu von Urga sind: der Dschanggiya Hutuktu, (der in Dolon Noor residierende lamaische Erzbischof von Peking), der Tschala Handsa Hutuktu und der Delobin Gegen, die in der westlichen Mongolei ihren Wohnsitz haben, der Lamain Gegen oder Erdeni Bandida Hutuktu, der Kandschur Gegen, der Mindschur Gegen, der Ilaguksan Hutuktu, der Mergen Noyan Hutuktu, der Cing Sujuktu Nomun Khan, der Naru Pantschen Hutuktu, der Dsaya Bandida Hutuktu, der gewöhnlich Dsain Gegen genannt wird, der Naran Hutuktu, der Erdeni Noyan Hutuktu, der Kanbo Hutuktu und der Sabi Siretu Hutuktu 5 ). Sozial werden die Mongolen eingeteilt in: „Taiji", d. h. Edle oder Adlige, in „Hara" (Hara Kümün, d. h. „Schwarze Menschen", nach einem chinesischen Schriftausdruck für „Plebejer") d. h. gewöhnliche Leute, zu denen auch die „Albatu" gehören, d. h. die Leibeigenen, in „Hamjilga", d. h. das Hofgesinde der Fürsten und der Taiji, in Freie (Somun = Wehrpflichtige) und in Mönche (Hobrog, Lamas, Bandi). Prozentual entfallen nach der Zählung von 1918 auf die Taijis 6%, auf die Leibeigenen 23%, auf die Freien 26% und auf die Mönche 45%. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß der geistliche Stand etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmacht. Übrigens bilden die Lamas in einigen Bannern, wie z. B. beim Joriktu Beise 70% der Bevölkerung! Das Übergewicht der Geistlichen ist damit zu erklären, daß die Mongolen bis heute die Sitte aufrecht erhalten, einen oder zwei ihrer Söhne dem geistlichen Stande zu weihen. Der mongolische Knabe wird, ohne daß von seinen Wünschen Notiz genommen wird, in ein Kloster gesteckt. Nach einem kurzen Aufenthalt im Kloster zur Erlernung der Schrift und der Grunddogmen der Gelben Lehre leistet der junge „Bandi", d. h. Novize, das Mönchsgelübde und wird damit Mitglied der mächtigen Lama-Korporation. Trotz der vom Mönchsgelübde bedingten Einschränkungen ist die Stellung der Lamas dennoch eine privilegierte im Vergleich zu den übrigen Bevölkerungsschichten. Die Lamas sind frei von allgemeinen Abgaben und sogar von der Arbeit, wenn man den Kirchendienst und die Ausführung der religiösen Handlungen ausnimmt; sie sind eigentliche Parasiten, die aiff Rechnung der übrigen Schichten leben. Außerdem hat der im Kloster wohnende Lama die Möglichkeit, eine gewisse Bildung zu erlangen, so daß die Klöster beim Mangel von Städten die Zentren des geistigen und kulturellen Lebens sind. Im Jahre 1918 wurden in Kalka 2648 Klöster (darunter auch Nonnenklöster) und Kapellen ') Insgesamt werden in China, Tibet und der Mongolei 160 Hubilgane gezählt, von denen auf die Mongolei ca. 100 entfallen. Die Hubilgane werden je nach der Heiligkeit in drei Stufen geteilt. Alle Hubilgane werden auch Gegen genannt, was „Erleuchteter" bedeutet, d. h. Heiliger.

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gezählt. Jedes Hoäun hat sein Hauptkloster, das einem bestimmten Gebiete vorsteht. Das Kloster besteht gewöhnlich aus einigen Kapellen, die verschiedenen buddhistischen Gottheiten geweiht sind, und um welche sich die Wohngebäude der Lamas und die Schulen der Novizen gruppieren. Die Lamas leben auch außerhalb der Klöster in eigenen Wohnungen und besuchen das Kloster nur an Festtagen und zum Gottesdienst. Im Kloster Erdeni Juu sind z. B. 1500 Lamas, von denen nur etwa ein Drittel dort wohnen; die übrigen leben in sogenannten Hosan. Im Hofe des Hosan, das, wie alle mongolischen Wohnstätten, von einem spitzen Bretterzaune umgeben ist, sind Jurten verstreut. Ältere Lamas bewohnen gewöhnlich ein Hoäan für sich und haben nur einige Bandi und Hobrog bei sich. Des öfteren befindet sich neben dem Kloster das Lager des Jasaks, das aus einem Baising, d. h. einem Anwesen mit Jurten und Scheunen besteht, das ebenfalls von einem Zaune umgeben ist. Hier wohnt der Fürst im Winter; den Sommer über zieht er umher. Wenn der Fürst das Winterquartier verläßt, folgen ihm gewöhnlich seine Untertanen. In der Nähe einiger Klöster haben sich Handelszentren gebildet, in welchen Chinesen, Burjäten und Russen wohnen; die Zahl der letzteren ist jedoch gering. Als Käufer figurieren in diesen Handelszentren die Lamas und Pilger. Bei der Eroberung Chinas im 17. Jahrhundert hatten die Mandschus den Mongolen keinerlei Tribut auferlegt und sie nur verpflichtet, gegebenenfalls Hilfstruppen zu stellen und für die Regierung Kurierlinien zu unterhalten sowie Wachtstationen an den Grenzen der eigenen Weidegründe zu errichten. Nach den Statuten des Li-fan-yüan in Peking erheben die Jasaks und Taijis, welche erbliche Würden haben, jährlich von jeder Familie nach der Menge des Viehs Abgaben, wobei das Maß der Abgabe im Falle der Darbringung von Geschenken an den Hof, von Reisen zum Culgan usw. sich erhöht. Bis zuletzt war die Abgabepflicht das Zeichen des Leibeigenschaft. Der Fürst konnte über den Leibeigenen nach seinem Ermessen verfügen, ihn z. B. verkaufen oder einem andern Fürsten schenken. Die Abgabepflichtigen taten Dienst im Lager ihres Fürsten und zahlten Abgaben und Zins. Außerdem erhielt jeder Fürst eine bestimmte Anzahl von „Hamjilga", d. h. Hofgesinde, zu seiner persönlichen Bedienung. Gegenwärtig sind die Formen der Leibeigenschaft so verschwommen, daß die Leibeigenen sich wenig von den Freien unterscheiden, ja sogar in einigen Fällen eine bessere Stellung haben, weil sie nicht der Militärpflicht unterliegen. Außer den bereits aufgezählten Bevölkerungsschichten gibt es noch „Butaci", d. h. „Bastarde". Die Banner stehen unter der Leitung der ältesten Erbkhane und Jasaks des Fürstengeschlechtes. Früher waren die Fürsten Lehnsherren und hatten neben administrativen teilweise politische Rechte; diese haben jedoch mit der Errichtung der nationalen Regierung in Urga und besonders nach dem revolutionären Umschwung ihre frühere Bedeutung verloren. An Fürstenhäusern gibt es bei den Kalka 150 Geschlechter, nach der Zahl der Banner; für das älteste und Cinggis Khan am nächsten verwandte gilt die Familie des Tusiyetu Khans.

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Da die Banner nach den Namen und Titeln der Jasaks benannt werden, ändert sich mit derenTode auch die Benennung des Ho§un. Diese Änderungen verursachen einige Verwirrung, um so mehr, als bei den Mongolen die Sitte besteht, nicht den ganzen Namen des Fürsten zu gebrauchen, sondern nur die erste Silbe, z. B. wird der Beile Sansarai Dorji einfach San Beile genannt. Die mongolischen Fürsten werden mit Ausnahme der Khane (Könige) auf Grund der mandschurischen Hofrangordnung in folgende sechs Stufen geteilt: Ts'inWang, Kün-Wang, Beile, Beise, Chen-kuo-gung und Fu-kuo-kung. Der Adel erhielt von den Mandschus keine besonderen Grade, sondern behielt den alten mongolischen Titel Taiji, d. h. „Edler". Später wurden auch die Taijis in vier Klassen eingeteilt und es wurde bestimmt, daß ein Hosun-u-jasak, d. h. der regierende Fürst eines Banners mindestens den Rang als Taiji ersten Ranges haben müsse. Den Fürsten gleichgestellte Taijis zählen zu den privilegierten Ständen und haben einige Vorrechte in gerichtlicher und steuerlicher Beziehung. Außer den fürstlichen Titeln gibt es noch Ehrentitel wie „Erdeni" (Juwel), „Darhan" (Meister), „Tusiyetu" (Verlaß, Stütze), „Daicing" (Recke), „Dalai" (Ozean), „Batur" (Held) u. a. 6 ). Der Jasak ist der Herr seines Banners und der in diesem wohnenden Tributpflichtigen. Zur Verwaltung der gerichtlichen, administrativen und wirtschaftlichen Angelegenheiten des Banners hat er einen Gehilfen in Gestalt des Tusalakci Taiji. Zur Verwaltung der militärischen Angelegenheiten verwendet er den Jakirokci, der seinerseits wieder einen Gehilfen hat, Meiren-i-janggin genannt. Zu den Pflichten des Jakirokci gehört die Besichtigung der Truppen des Banners, die Aufsicht über deren Ausbildung, die Waffen, die Pferde usw. Nach dem Tode des Jasaks gehen das Hosun und der Titel auf den ältesten Sohn über; der Jasak kann aber im Einverständnis mit Peking auch einen anderen Sohn zum Nachfolger machen. Bis zur Mündigkeitserklärung eines minderjährigen Erben verwalten die ältesten Beamten das HoSsun. Der größte Teil der Jasaks, sowohl der Äußeren als auch der Inneren Mongolei, führen das Leben von Nomaden wie die einfachen Mongolen; sie befassen sich mit Viehzucht, die auch die hauptsächlichste Einnahmequelle darstellt. In dieser Beziehung bringt die Steppe mit ihren primitiven Lebensbedingungen eine große soziale Ausgleichung mit sich. Hier und da begeben sich die Fürsten nach Urga zur Begrüßung des Hutuktus oder unternehmen auch gelegentlich weitere Pilgerfahrten. Außerdem war jeder Jasak verpflichtet, einmal im Laufe von drei Lahren nach Peking zu reisen, um sich der chinesischen Regierung vorzustellen und in seinen Erbrechten bestätigen zu lassen. Diese „Jisa", d. h. Vorstellung oder Meldung bei Hofe, war mit größeren Ausgaben für Reise, („Albabun" = Geschenke für den Hof, deren Umfang und Art vom Li-fan-yüan vorgeschrieben waren, und Bestechungen einflußreicher Persönlichkeiten) ver•) Hier wird die Beschreibung des administrativen Aufbaus in Kalka gegeben, wie ich ihn im Jahre 1912 vorfand. Seither hat das Land viele Veränderungen erfahren, die politische Organisation ist aber in ihrer Grundlage dieselbe geblieben. Die angeführten Angaben sind später vom früheren Dragoman der russischen Gesandtschaft in Peking, Herrn Brunnert, vervollkommnet worden.

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bunden. Da die Fürsten sich im Notfalle der Unterstützung Pekinger Wucherer bedienten, gerieten sie oft in Schulden, die auf die Banner abgewälzt wurden. Die Eintreibung dieser Schulden wurde nachher von chinesischen Beamten ausgeführt. Bei Nichtentrichtung der Schulden wurden diese in Raten gezahlt und der Prozentsatz bis 100% jährlich erhöht; das Banner verfiel in vollständige Abhängigkeit vom Geldgeber. Infolge eines solchen Systems haben einige Fürsten ihre Banner zugrunde gerichtet und sich selbst verarmt. Wie schon oben gesagt, ist die Einteilung der Kalka in Aimaks eine historische, die in den Zeiten, als die Khane vollgültige Herrscher der Aimaks waren, begründet war. Die Mandschus haben diese historische Einteilung beibehalten, ebenso wie den Titel „Khan". Sie nahmen den Königen nur die Macht und übertrugen diese dem Bundesrat der Aimakfürsten, chinesisch „Meng", mongolisch „Culgan" genannt. Der Culgan wird alle drei Jahre einberufen, um die Angelegenheiten, welche das ganze Aimak berühren, wie z. B. solche wirtschaftlichen und administrativen Charakters, wichtige Prozesse und Volkszählungen zu entscheiden, wobei er nach bestimmten örtlichkeiten benannt wird: Khan Ula, Bars Hoto, Gecerlik und Bindurya Noor. An der Spitze der Culgan waren anfangs die Khane belassen worden; später wurden sie durch ernannte Fürsten ersetzt, wobei dem Culgan nur das Recht zugestanden wurde, Kandidaten namhaft zu machen. Der Vorsitz im Culgan steht demCugulgan-u-darga für den zivilen Teil und dem Tusalakci Tsiang-kün für die militärischen Angelegenheiten zu. Beide wurden aus den Fürsten des betreffenden Aimaks gewählt und von Peking bestätigt. Die Angelegenheiten, welche ganz Kalka angehen, wurden von altersher vom Huruldan, d. h. dem Reichstage, geregelt; die weniger wichtigen Fragen wurden auf dem Aimak-Bundestage erledigt, worauf die Beschlüsse dem Hutuktu zur Bestätigung vorgelegt wurden. Die höchste Instanz und das Zentralverwaltungsorgan der Mongolei in Peking, das Li-fan-yüan (der „Hof für die Verwaltung der Grenzmarken"), wurde nach der Revolution durch den „Hof für die Mongolei und Tibet" (Meng-Tsang-yüan) ersetzt. Vorsitzender des Hofes ist der mongolische Fürst Gungsang Norbu. Außer diesem Hofe gibt es noch ein „Komitee zur Wiedervereinigung der Äußeren Mongolei" unter dem Vorsitze des Kalkafürsten Noyantu. Unter der chinesischen Herrschaft war der vornehmste Vertreter Pekings in der Äußeren Mongolei der mandschurische Bannergeneral (Tsiang-kün) von Uliyasutai, der sowohl die militärischen als auch die zivilen Angelegenheiten regelte und die kaiserlichen „Residenten" (Amban) zu Gehilfen hatte. Zwei von ihnen befanden sich in Urga zur Kontrolle des Tusiyetu Khans und des Cecen Khans sowie des Sabinar-Gebietes; der eine von ihnen war ein Mandschu, der andere ein Mongole. Beide hatten denselben Rang, der Mandschu nahm jedoch eine Vorzugstellung ein und war der Vermittler in den Beziehungen der Aimak-Behörden zur Pekinger Regierung. Der mongolische Amban wurde aus der Mitte der Fürsten bestimmt, sein mandschurischer Kollege war ein Beamter eines der Pekinger Ministerien und nur nach der Mongolei abkommandiert.

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Die beiden Residenten in Uliyasutai hatten weniger Selbständigkeit als die in Urga. Sie hatten die Aimaks des Sain Noyan Khans und des Jasaktu Khans zu verwalten. Je ein weiterer kaiserlicher Resident befand sich in Kobdo zur Verwaltung des Kobdo-Bezirks und in Sira-Sume zur Verwaltung des Altai-Bezirks. Im Yamen oder der Kanzlei eines jeden kaiserlichen Residenten gab es Unterbüros: das Büro des Jarguci oder Richters und das Jisa-Büro. Dem Büro des Jarguci unterstanden alle mandschurischen und chinesischen in der Mongolei ansäßigen „einfachen Leute", deren Interessen wahrzunehmen er verpflichtet war. Im Jisa-Büro oder „Büro des Gemeingutes" wurden Prozesse erledigt, die von oder gegen Mongolen angestrengt wurden. Als Beisitzer wurde jährlich ein Jasak von jedem Kalka-Aimak zugeteilt. Die Ambans waren die Gehilfen des Bannergenerals von Uliyasutai und verkörperten die höchste administrative und gerichtliche Gewalt, mischten sich aber nicht in die inneren Angelegenheiten der Hoüsun ein. Nach der Ausrufung der mongolischen Unabhängigkeit sind die mandschurischen und chinesischen Beamten beseitigt und durch Mongolen ersetzt worden. In administrativer Hinsicht wird die Äußere Mongolei in Kalka, die Bezirke Kobdo upd Altai und das Uriyanghai-Gebiet eingeteilt 7 ). Kalka besteht aus vier Aimaks, welche, wie schon erwähnt, 86 Hosun bilden. Außerdem werden die Hosun in militärischer Beziehung in sog. Somun, d. h. „Pfeile" oder Kompagnien zu 150 Reitern, eingeteilt, für welche von der als Rekruteneinheit geltenden „Feuerstelle" der Nomaden je ein Reiter aufgestellt wird. Zum Kobdo-Bezirk gehören die Westmongolen, die Oirat. Sie werden in 16 Hoäun, die im Culgan Sain Jamyagatu vereinigt sind, und drei einzelne Ho§un eingeteilt. Das Gebiet des Culgan Sain Jamyagatu wird von den Stämmen Hoit und Dürbet, mit der Stammesuntergruppe Bait, bevölkert. In administrativer Beziehung wird er in zwei „Flügel" eingeteilt: den rechten (westlichen) und den linken (östlichen), an deren Spitze je ein Fürst steht. Die erwähnten einzelnen Ho§un gehören den Stämmen Jahacin, ölet und Minggat an. Zum Altai-Bezirk gehören zwei Hoäun des Stammes Torgut (die den Culgan Cing Seciltü bilden), ein Ho§un des Stammes Hosot und sieben Hosun der Altaier Uriyanggen. Bis zum Jahre 1907 bildete der Altai-Bezirk ein Ganzes mit dem von Kobdo. Er gehört jetzt nicht zur autonomen Mongolei und ist der Provinz Sinkiang angegliedert worden. Zum Uriyanghai-Bezirk, der vom mongolischen Gebiet durch eine Kette von Militärposten der Kalka längs des Bergrückens Tangnu Ola getrennt wird, gehören die Gebiete der Tangnu-Uriyanghai und Sayaten. Dieses Gebiet, das in administrativer Beziehung vom Bannergeneral von Uliyasutai abhängig war, wird in Somun geteilt, die in fünf Hosun gruppiert sind, an deren Spitze erbliche oder gewählte Uherit, d. h. Verwalter, stehen. Der oberste von ihnen ist unter dem Namen Da Noyan bekannt. Eine besondere Stelle nehmen in Kalka zwei Verwaltungen ein; die der Sabinar ') Das Uriyanghai-Gebiet grenzt an die russischen Gouvernements Irkutsk, Tomsk und Jenisseisk.

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und die der Grenzposten. Der Sabinar-Verwaltung unterstehen die Sabinar (Leibeigenen des Hutuktus von Urga), deren unmittelbare Aufsicht dem Sancotba, d. h. dem Schatzmeister, übertragen ist. Diese Verwaltung ist entstanden aus den von Fürsten dem Heiligen von Urga geschenkten Tributpflichtigen; der Sancotba gehört zum Klerus und rangiert gleich hinter dem Culgan-Präsidenten. Die Sabinar ziehen in ganz Kalka umher; angestammtes Gebiet haben lediglich die Darhat des Uriyanghai-Bezirks. Die Sabinar werden in Otok, d. h. Stämme, geteilt, nach Proklamation der Autonomie auch in Hosun, und haben seitdem ihre Jasaks. Sie haben keine Somun und unterliegen nicht der Militärpflicht. Zum Schutze der russisch-mongolischen Grenze wurden seinerzeit besondere Posten an der Grenze gebildet, und zwar von der Station Mandschuria bis zum Tarbagataigebiet. Zur Verfügung dieser Posten (insgesamt 71) ist eine 50 Werst breite Strecke gestellt worden, so daß jeder Posten für sich ein ziemlich großes Gebiet einnimmt. Die Linie der Posten wird in drei Bezirke eingeteilt. Von Mandschuria bis Kiachta waren es 38 Posten, von Kiachta bis Jinsilik 19 Posten und dann bis Tarbagatai 24. Einige Posten führen doppelte Namen: einen mongolischen und einen russischen, so z. B. entspricht das russische Kiachta dem mongolischen Bura, der russische Posten Staro-Zuruhaituisk entspricht dem mongolischen Hubuljihu. Als ich nach Urga zu den Verhandlungen kam, waren die Posten von den Mongolen bereits aufgelöst und ein Teil des Bodens an die Fürsten verteilt worden. Die Innere Mongolei zieht sich längs der Großen Mauer und der Palisaden hin (chinesisch Liu-t'iao-pien „Weidenzweigzaun"), welche unter der MingDynastie zum Schutze gegen die Einfälle der Nomaden errichtet wurden 8 ), bis zur nördlichen Biegung des Flusses Huang-ho. Die Innere Mongolei wird in 49 Hosun geteilt, welche folgende sechs Culgan bilden: Jerim, Josotu, Jao Uda, Siling Gool, Ulan Jab und Yeke Juu(die Ordos). Ein Teil des Landes wird von Chinesen bewohnt und ist den Provinzen Tschili und Fengtien einverleibt worden; die Nomaden blieben jedoch in rechtlicher Beziehung ihren Bannerbehörden unterstellt. Als Ende des vorigen Jahrhunderts der Boden für den Bau der chinesischen Ostbahn abgesteckt wurde, mußten die Agenten der Gesellschaft Verhandlungen führen und Abkommen schließen nicht nur mit den chinesischen Behörden, sondern auch mit den Vertretern einiger mongolischer Fürsten. Zum Jerim-Verbände gehören die zehn Banner der Stämme Korcin, Dürbet, Jalait und Gorlos. Der Josotu-Verband besteht aus den fünf Bannern der Stämme Karacin und Tümet. Unter dem Drucke der chinesischen Kolonisten hat ein bedeutender Teil der Karacin die Heimat verlassen und sich im Norden der Inneren Mongolei angesiedelt, wo sie Ackerbauer geworden sind. Der Verband Jao Uda besteht aus den elf Bannern der Stämme Aohan, Naiman, Aru Korcin, Kesikten, östlichen inneren Kalka, Barin, Jarut und Ongniyot. Der Verband 8

) Der „Weidenzaun" trennt die Innere Mongolei von der Mandschurei.

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Siling Gool zerfällt in die zehn Banner der Stämme Ujumucin, Haocit, Sunit, Abaga und Abaganar. Der Verband Ulan Jab besteht aus den sechs Bannern der Stämme Urat, Dürben Keüket, Maominggan und westlichen inneren Kalka. Zum Verbände Yeke Juu oder den Ordos gehören die sieben Ordosbanner Dalat, Jungar, Hanggin, Isin, Otok, Wan und Jasak. Einige Stammesverbände, wie z. B. Ula Jab, Siling Gool und Yeke Juu haben der Regierung von Urga den Eid geleistet. Dieser Schritt hat jedoch keine weiteren Folgen gehabt, da die Innere Mongolei vom russisch-chinesischen Übereinkommen des Jahres 1913 ausgenommen war. Die Mongolen, die in Alasan (westlich von der Biegung des Flusses Huangho) und im Flußbecken des Ejin Gool nomadisieren, stellen Teile zweier OiratStämme der Öleten in Alasan und Torgut längs des Ejin Gool dar, wobei ein jeder dieser Teile ein einzelnes Hosun bildet. Einige mongolische Stammesteile waren von der Mandschudynastie dem Bestände ihrer Haustruppen einverleibt und wie diese in „Banner" (mongolisch ho§ün) 9 ) eingeteilt worden. Diese Truppenteile unterschieden sich untereinander durch die Farben ihrer Fahnen: gelb, weiß, rot und blau, wobei jede Farbe entweder eingerahmt oder nicht eingerahmt war. Somit sind folgende Benennungen für die Banner entstanden: Kübegetü Sira = Umrändertes Gelbes, Silogun Sira = Ganz Gelbes, Silogun Cagan = Ganz Weißes, Kübegetü Cagan = Umrändertes Weißes, Silogun Ulagan == Ganz Rotes, Kübegetü Ulagan = Umrändertes Rotes, Silogun Küke = Ganz Blaues, Kübegetü Küke = Umrändertes Blaues, d. h. Banner. Diese Banner-Mongolen hatten keine erblichen Fürsten und wurden von kaiserlichen Offizieren verwaltet; sie bestanden aus den Stämmen Bargut, Cahar und Tümet. Die Barguten bevölkern den Bezirk Hulun Buir und Hailar, die Cahar nomadisieren an der Großen Mauer im Norden der Provinz Tschili und die Tümet wohnen im Bezirke von Kuku Hoton zwischen den Cahar und den Ordos. ») Kontrahiert aus dem schriftgemäßen hosigun. Das Wort bedeutet eigentlich „Schnauze, Schnabel, Vorsprung" und in übertragenem Sinne die einem spitz auslaufenden „Banner" unterstellte militärische Verwaltungseinheit.

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Kapitel VII. Die früheren Beziehungen Rußlands zur Mongolei und zu China. Die Gesandtschaften der Moskauer Regierung an Altan Khan. Tümenez und Petrow. Die Anerkennung der Souveränität Moskaus. Die Gegengesandtschaft der Mongolen mit dem tibetanischen Lama Darhan. Der Kampf Moskaus mit den Kalmücken und Kirgisen. Die Mission Gretschanins und des Bojarensohnes Kartaschow. Altan Khan leistet dem Moskauer Zaren den Eid. Streitigkeiten über das Empfangszeremoniell Starkows und Newerows. Die Unterwerfung der Kirgisen. Altan Khan und die mongolischen Fürsten werden den Mandschus tributpflichtig. Die Beziehungen Moskaus zu den Kalmücken-Taijis. Der Kampf der Russen mit den Mandschus.

Angaben der Chronik zufolge kam im Jahre 1609 eine Kosaken-Abteilung in das Quellengebiet des Yenissei, um die dort und in der Nähe des SayanGebirges umherziehenden tatarischen Stämme mit Tribut zu belegen. Diese Stämme waren die Mati, Tuba und Yessari (die jetzigen Uriyanggen und Sayaten), welche ihren Jasak (Tribut) dem mongolischen Fürsten Altan Khan zahlten, der selbst dem Jasaktu Khan tributpflichtig war. Den Kosaken gelang es, die genannten Stämme zur Anerkennung Moskaus zu bewegen und den Tribut zu erheben. Dieser Umstand war wahrscheinlich der Grund zur Ausrüstung einer besonderen Gesandtschaft der Moskauer Regierung an Altan Khan im Jahre 1616, um diesen auf die russische Seite zu bekommen. An der Spitze der Mission standen Tümenez und Petrow. Sie wurden vom Sohne des Khans, der in der Nähe des Sees Ubsa umherzog, empfangen, im Namen des Vaters begrüßt und mit Hammelfleisch, Milch und Pferdemilch bewirtet. Bei der Vorstellung der Gesandtschaft bei Altan Khan entstanden Mißverständnisse, da die Vollmachten mit den Instruktionen des Tobolsker Wojewoden, des Fürsten Kurakin, der die Mission ausgerüstet hatte, nicht übereinstimmten. Entsprechend den Instruktionen dieses Bojaren sollten die Gesandten als seine Vertreter auftreten und die Geschenke in seinem Namen und nicht im Namen des Zaren von Moskau darbringen. Die Gesandten jedoch erklärten, sich auf den Befehl aus Moskau stütaend, daß sie Vertreter des Zaren seien und nicht verstünden, woher die Instruktionen Kurakins kämen, da sie nicht lesen und diese nicht entziffern könnten. Die Angelegenheit wurde dadurch noch verwickelter, daß im Ergänzungsbefehl, der aus Moskau diktiert war, den Gesandten vorgeschrieben war, die Kalmücken-Stämme zu Untertanen zu machen, jedoch verboten wurde, mit China und Altan Khan in Verhandlungen zu treten, solange nicht authentische Nachrichten darüber vorlägen. Trotz der widersprechenden Instruktionen fand die Audienz statt. Die Gesandten wurden von Altan Khan gnädig aufgenommen und es wurde ihm angeboten, Untertan des Moskauer Zaren zu werden, und versprochen, daß „der große Zar ihn in seine Dienste nehmen und beschenken werde". Der Chronik zufolge machte die Mitteilung der Gesandten einen großen Eindruck auf Altan Khan, welcher erklärte, daß er mit Freuden Untertan des großen Weißen Zaren Michail Feodorowitsch werden würde und bereit sei, ihm den Eid zu leisten. Der erste Versuch Moskaus, mit China Beziehungen anzuknüpfen, blieb erfolglos. Die Kosaken Petrow und Jalischew kamen im Jahre 1567 in Peking an,

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doch wurden sie, da sie keine entsprechenden Vollmachten und keine Geschenke mitgebrachte hatten, vom Kaiser nicht empfangen. Die Moskauer Regierung beschloß im Jahre 1618, das Wohlwollen Altan Khans zur Herstellung von Beziehungen zu China auszunutzen und eine andere Mission mit den Kosaken Iwaschko Petlin und Kysilkow an der Spitze zu entsenden. Die Gesandten begaben sich von Tobolsk über Tomsk in das Reich des Kirgisenfürsten Nogim und sodann an die Flüsse Abakan und Kemcik ins Lager Altan Khans. In der Chronik ist eine Beschreibung dieser Gesandtschaft nicht vorhanden; es ist nur bekannt, daß die Gesandten vom tibetischen Lama Darhan nach China begleitet wurden. Obwohl es ihnen nicht gelang, dem Kaiser vorgestellt zu werden, erhielten sie doch einen Brief zur Übergabe an den Moskauer Zaren. Altan Khan übenahm gern die Vermittlung zwischen Moskau und China. E r war bestrebt, in den Augen der Russen Bedeutung zu erlangen, indem er zeigte, daß er Verbindungen und Einfluß in Peking habe. Gleichzeitig hoffte er, sich Verdienste bei den Chinesen zu schaffen und gelegentlich zu erfahren, was bei den mächtigen Nachbarn vorgehe. Im nächsten Jahre wurde derselbe Lama Darhan von Altan Khan zum Zaren nach Moskau geschickt. Aus der Chronik geht hervor, daß die mongolischen Abgesandten vom Zaren empfangen wurden, dem sie einen Brief und Geschenke überreichten. Im Briefe an den Zaren meldete Altan Khan die Ankunft der Moskauer Gesandten Iwan und Andrei, die von ihm mit den Lamas Darhan und Biliktei nach China entsandt worden wären. Weiter bat der Khan um die Einführung ständiger diplomatischer und Handels-Beziehungen mit Moskau. Da der Verkehr durch die Kalmücken des Taijis Karakul bedroht wurde, bat der Khan, daß den Wojewoden von Tobolsk und Tomsk vorgeschrieben werde, Truppenteile zu gemeinsamem militärischen Vorgehen mit den Abteilungen des Khans gegen die Kalmücken zu entsenden. In einer Unterhaltung mit den Moskauer Bojaren bezüglich seines Ranges und des Empfangszeremoniells teilte Darhan mit, daß er den höchsten geistlichen Posten, ähnlich den russischen Metropoliten, einnehme und vom Haupte der Lama-Kirche, dem Hutuktu, ernannt werde. Niemand von den Nachbarn wage es, mit dem Hutuktu Krieg zu führen, aus Ehrerbietung vor seiner geistlichen Stellung. Wenn die Lamas zum Hutuktu kämen, verneigten sie sich dreimal bis zur Erde und der Hutuktu lege seine Hände auf sie. Wenn sie sich dem chinesischen Kaiser oder einem anderen gleichgläubigen Monarchen vorstellten, so legten sie, wie der Hutuktu, die Hände auf diese. Die Mongolen glaubten an Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, und an den Hutuktu. Letzterer sei geschaffen worden gleichzeitig mit Himmel und Erde und gelte als unsterblich. Wenn sein Geist sich in den Himmel zur Vereinigung mit Gott begebe, so bleibe sein Körper auf der Erde. Nachdem er von Gott das Leben erhalten, kehre er wieder auf die Erde in Form einer Gottheit zurück, welche alle Mongolen anbeteten. In dem Antwortschreiben des Zaren, das Altan Khan im Jahre 1620 zuging, gab die Moskauer Regierung ihre Zustimmung zum gemeinsamen Vorgehen

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gegen die Kalmücken und brachte ihr Bedauern zum Ausdruck, daß sie die Bitte Altan Khans um die Zusendung einiger Gegenstände, wie eines Argamak (Vollblüters) und eines Zwerges nicht erfüllen könne, da solche zurzeit in Moskau nicht vorhanden seien. Die übrigen Geschenke des Zaren bestanden aus Brokat, Damaskus-Seide, Stoffen, silbernen Trinkgefäßen, Waffen und Edelsteinen. In einem anderen Schreiben erteilte die Moskauer Regierung Altan Khan einen strengen Verweis wegen seiner Einmischung in die Angelegenheiten der Kirgisen, die gegen Moskau gerichtet war. Die Kirgisen-Fürsten Nemek, Nomtschak, Kora u. a. galten von altersher als Tributpflichtige Moskaus und zahlten ihren Tribut in Pelzwaren, meistens Zobel, an die Wojewoden von Tomsk. Altan Khan verlangte von ihnen die Entrichtung des Jasak und verstieß damit gegen die Rechte der Moskauer Regierung. Aus der Chronik geht hervor, daß bald nach der Rückkehr der Mission Petlins der Wojewode von Tobolsk eine neue Expedition nach der Mongolei mit dem Kosakenältesten Andrei Scharygin und dem Ataman Wassilij Tümenez an der Spitze entsandte und ihnen auftrug, einen Wasserweg längs des Yenissei nach China ausfindig zu machen. Weitere Angaben über diese Expedition sind nicht auf uns gekommen. Hiernach trat eine Unterbrechung in den Beziehungen zwischen Moskau und China durch die Vermittlung der mongolischen Khane ein. Die Moskauer Regierung wollte sich auf das Studium ihrer östlichen Nachbarn beschränken und in keinerlei offizielle Beziehungen zu ihnen treten, was auch unter anderem aus der dem Wojewoden von Tomsk, dem Fürsten Schachowski, erteilten Instruktion hervorgeht. Es wurde ihm vorgeschrieben, die Beziehungen zu Altan Khan, zu China und zu den Mongolen abzubrechen, „da diese Länder weit entfernt und die Handelsbeziehungen zu ihnen schwierig seien". Überhaupt kam man in Moskau zu der Überzeugung, daß die Beziehungen zu Altan Khan keinerlei Vorteile versprächen und daß letzterer nur Geschenke erwarte. Die Schwankungen Moskaus betreffs der Beziehungen zu der Mongolei und China sind ebenfalls aus der Befürchtung zu erklären, in die Zwistigkeiten, die in diesem Lande im Zusammenhange mit dem Vorgehen der Mandschus entstanden waren, einbezogen zu werden. Außerdem war die Aufmerksamkeit der Moskauer Regierung vom Kampfe mit den sibirischen Stämmen, den Kalmücken, Burjäten, Tungusen und besonders den Kirgisen in Anspruch genommen. Letztere suchten Unterstützung bald bei der Moskauer Regierung, bald bei Altan Khan. Im Jahre 1616 unterwarfen die Kosaken von Tomsk die Kirgisen und zwangen diese, den Jasak an Moskau zu entrichten; bald darauf schüttelten aber die Kirgisen die Herrschaft Rußlands ab und zahlten ihren Tribut an Altan Khan x ). Dieser Herrscher suchte, von Moskau angespornt, als Vermittler zwischen den Russen und den Kirgisen aufzutreten. Ein Ubereinkommen wurde jedoch nicht erzielt; die Kirgisen bedrohten die Städte Krasnojarsk und Kusnezk und *) John Fr. Baddeley, Russia, Mongolia, China.

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vereinigten sich darauf mit den Kalmücken zum gemeinsamen Vorgehen gegen die Russen. Um Altan Khan zu energischerer Tätigkeit anzuregen, entsandte die Moskauer Regierung im Jahre 1636 an den oberen Yenissei eine neue Mission, der sich auch die in Moskau befindlichen Gesandten Altan Khans anschlössen. Mit der Führung der Verhandlungen wurden Stepan Gretschanin und der Bojarensohn Kartaschow betraut; letzterer wurde bei dem einflußreichen Bruder des Khans, Dayan Nojan, akkreditiert. An der Grenze wurden sie vom Schwiegersohne des Khans, Baba Tabun, empfangen, der sie in das Lager des Khans brachte. Die Audienz beim Khan wurde mit den traditionellen Streitigkeiten über das Empfangszeremoniell eingeleitet, die dadurch hervorgerufen wurden, daß der Khan sitzen blieb, als er sich nach dem Gesundheitszustande des Moskauer Zaren erkundigte. Gretschanin legte die Ansprüche der Moskauer Regierung dar und verlangte vor allem die Niederwerfung des Aufstandes der Kirgisen. Der Khan seinerseits äußerte seinen Unwillen über seine Benennung in dem Schreiben des Moskauer Botschafters als „Knecht", beschwerte sich über die Forderung, einen persönlichen Eid über die Tributpflicht zu leisten, und machte geltend, es sei nicht angebracht, daß ein Zar dem andern einen persönlichen Eid leiste. Nach langwierigem Streite wurde das kränkende Wort „Knecht" durch das Wort „Untertan" ersetzt und der Eid vom Minister des Khans, Dural Tabun, und dem Lama Dayan Mergen im Beisein des Khans darüber geleistet, daß Altan Khan sich mit seiner Familie und der ganzen Horde auf ewig zum Untertanen des Zaren Michail Feodorowitsch und der Großfürsten Alexei und Iwan Michailowitsch bekenne. Der Khan versprach, die russischen Gesandten nach China und Tibet zu bringen und bei der Unterwerfung der widerspenstigen Stämme unter Rußlands Herrschaft behilflich zu sein, jedoch unter der Bedingung, daß der Zar 10 000 Mann mit Feuerwaffen schicke 2 ). Nicht die letzte Rolle in den russisch-mongolischen Verhandlungen spielten die Geschenke, welche beide Seiten austauschten. Dieses Mal legten die Mongolen, wahrscheinlich infolge gemachter Versprechungen, eine besondere Gier an den Tag. Geschenke mußten nicht nur dem Khan und seinen Brüdern gegeben werden, sondern auch den Frauen des Khans, den Lamas, Ministern, Hofchargen usw. Die Witwe des früheren Khans, Cecen Hatun, schickte einen Boten, um zu fragen, ob es Geschenke gebe und was für welche. Gretschanin gab ihr vier Meter englischen Stoffes, zwei Stücke Saffianleder, acht silberne Ringe, einen Blaufuchs und einen Bettvorhang. Darauf erschien ein Lama, welcher mitteilte, daß der Khan seine Geschenke sich selbst aussuchen werde, und riet, den Khan nicht abzuweisen, sogar wenn die Russen sich von ihrer eigenen Kleidung trennen müßten. Endlich verlangte der Khan von den Gesandten die Herausgabe der Waffen, und Gretschanin mußte sich fügen, obgleich diese zum Selbstschutz notwendig waren. J)

John Baddeley a. a. O.

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Im Jahre 1638 benutzte die Moskauer Regierung die Rückkehr der Gesandten Altan Khans nach der Mongolei zur Entsendung Starkows und Newerows mit diesen, den einen zum Khan, den andern zum Lama Dayan Mergen. Angaben der Moskauer und sibirischen Chroniken zufolge begann der Empfang der Gesandten mit Streitigkeiten wegen des Vorranges, wobei weder der Khan noch die Gesandten als erste das Gespräch beginnen wollten. Bei früheren Audienzen hatte sich der Khan nach dem Gesundheitszustande des Zaren erkundigt, jetzt verlangten die Mongolen von den Gesandten, daß sie sich auch nach der Gesundheit des Khans erkundigten. Starkow weigerte sich und verwies auf die vom Khan anerkannte Vasallenabhängigkeit vom Zaren, die Mongolen verwiesen auf die Abstammung Altan Khans von Cinggis Khan. Der Streit ging in Schimpferei über und sodann in einen Faustkampf. Die Russen wurden zur Jurte hinausbefördert und die mitgebrachten Geschenke ihnen abgenommen. Schließlich wurde die Angelegenheit durch die Vermittlung des Ministers Dural Tabun und des Schwiegervaters des Khans, Bingtu Jaisang, beigelegt, welche erklärten, daß der Khan bereit sei, die Gesandten zu empfangen und das Schreiben des Zaren entgegenzunehmen. Starkow konnte sich anfangs zu einer neuen Zusammenkunft nicht entschließen, da er neue Kränkungen befürchtete, und sagte erst zu, als er erfuhr, daß der Khan das Gespräch beginnen werde. Der Khan erkundigte sich tatsächlich nach der Gesundheit des Zaren, blieb jedoch sitzen und nahm seine Mütze nicht ab. Starkow protestierte nicht und übergab das Schreiben des Zaren, welches der Khan ohne weitere Unhöflichkeiten entgegennahm. Da der Khan im vorigen Schreiben an den Zaren Nachbarvölker erwähnt hatte, die er Rußland unterwerfen wolle, wünschte Starkow zu erfahren, was für Völker dies seien, welchen Glaubens und wieviele bewaffnete Leute sie hätten. Als Starkow den Khan an sein gegebenes Versprechen, die Kirgisen zu unterwerfen, erinnerte, sagte letzterer, daß er dies nicht machen könne. Darauf ging das Gespräch auf die Entsendung einer Botschaft nach China und Tanggut (Tibet) über. Der Khan erklärte, daß diese Länder ihm teilweise bekannt seien, da seine Untertanen mit Karawanen die chinesischen Städte Segra und Bayan besuchten und Vieh gegen Silber, Damast und baumwollene Stoffe eintauschten. Der chinesische Monarch werde Tai-Ming 3 ) genannt, seine Residenz befinde sich weit von der Grenze und Ausländer würden dorthin nicht zugelassen. Das Schreiben des Zaren wurde vom Khan erst bei der Abschiedsaudienz gelesen, wobei der Khan sein Mißvergnügen darüber äußerte, daß seine Bitten nicht erfüllt worden seien. Er hatte gebeten um die Zusendung eines Arztes, eines Mönches aus Jerusalem, eines Schnelladegewehrs, einer Uhr, eines Zwerges, einer Kirchenglocke und eines Stückes Damaskus-Seide von zwei Faden Breite. Er verlangte auch, daß seine Botschafter über Rußland nach der Türkei und Persien reisen könnten, und schlug vor, die Stadt Tjumen zum Zentrum des russisch-mongolischen Handels zu machen. Zum Schluß bat der Khan Starkow, 3

) D. i. „Große Ming(-Dynastie"), die 1 3 5 8 - 1 6 4 4 regiert hat.

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Kapitel VII.

das Mißverständnis zu vergessen, und bewirtete die Moskauer Botschaft mit einem Bankett. Übrigens erwies sich die Bewirtung als schlecht, die Speisen wurden in gewöhnlichen Holzgefäßen gereicht. Als besondere Leckerei wurde Tee angeboten. Am nächsten Tage fand die Besichtigung der Geschenke Altan Khans an den Zaren statt. Sie bestanden aus Stücken Atlas, Brokat, Zobel, Biber und Tee. Währenddessen verschlimmerte sich die Lage der Russen am Yenissei im Jahre 1640 wesentlich infolge des Überganges der im Krasnojarsker Bezirk ansässigen Stämme zu den Kirgisen. Obgleich Altan Khan dem Moskauer Zaren den Treueid geleistet hatte, versuchte er doch gleichzeitig die Moskau unterworfenen Kirgisen sich selbst zu unterwerfen. Somit befanden sich die Kirgisen sowie die Alatyrzen, Kerelzen und Tubinzen, die im Bezirk Krasnojarsk ansässig waren, zwischen zwei Feuern. Diese Stämme fürchteten Altan Khan, der hinter dem Sayan-Gebirge wohnte und Überfälle längs des Flusses unternahm. Außerdem verbanden die Kirgisen mit den Tubinzen religiöse und Rassengemeinschaft sowie verwandtschaftliche Beziehungen. Die Lage Krasnojarsks war schwierig; seine Garnison bestand aus nur 350 Mann, die mit Waffen und Munition ungenügend versorgt waren. Dem Verlust von Krasnojarsk und andern Städten wurde durch die Ankunft des Wojewoden Tuchatschewski aus Moskau vorgebeugt, der Waffen und Munition mitbrachte. Er sammelte in sibirischen Städten Truppen und rückte im Jahre 1641 gegen die Aufständischen aus. Nachdem er die Kirgisen geschlagen hatte, baute Tuchatschewski die Festung Atschinsk am Flusse Tschulym, um die Nomadenstämme in Schach zu halten. Sein Nachfolger Iwan Kobilslci bereitete den Kirgisen eine neue Niederlage und nahm Geiseln mit, die er nach Tomsk schickte 4). Altan Khan befand sich zu dieser Zeit bei seinem Bruder, dem Fürsten des Karacin-Stammes, in der südlichen Mongolei und konnte seine Verbündeten, die Kirgisen, nicht unterstützen. Als er zurückkehrte, hatten die Kirgisen sich bereits Moskau unterworfen. Da wandte er sich gegen die Besiegten und zwang sie, ihm Tribut zu zahlen. Übrigens war die Aufmerksamkeit Altan Khans und der anderen mongolischen Fürsten vom Kampfe der Mandschus mit China in Anspruch genommen. In der Bestrebung, sich das Wohlwollen der Sieger zu sichern, einigten sich die Kalkafürsten, der Tusiyetu Khan Gombo, der Cecen Khan Soloi und der Jasaktu Khan Subudi, noch im Jahre 1637 mit den Mandschus; die Fürsten der Inneren Mongolei hatten sich schon an dem Feldzuge der Mandschus nach Korea beteiligt, die Oberhoheit des Mandschukaisers T'ai-tsung anerkannt und ihm zum Zeichen ihrer Unterwerfung ein Pferd, ein Kamel, Federn des Berkut (Habichts) und ein russisches Gewehr geschickt. Im Jahre 1647 bot Altan Khan dem mandschurischen Kaiser seine Freundschaft und ein Bündnis an. Die mandschurischen Eroberer herrschten damals schon in China, hatten eine neue Dynastie gegründet und nahmen das Anerbieten der mongolischen 4

) John Baddeley, Russia, Mongolia, China,

Vol. II. p. 2 0 - 1 2 0 .

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Fürsten eher als einen Ausdruck der Huldigung an. Im Jahre 1648 kamen die Fürsten Subudi und Nomun Khan nach Peking und wurden am Hofe wie Vasallen empfangen 4 ). Die Moskauer Regierung, die von inneren Angelegenheiten und vom Kampfe mit den Kalmücken und Kirgisen in Anspruch genommen war, wandte ihre Aufmerksamkeit den Mandschus erst nach der Eroberung Pekings zu, als die russischen Pioniere auf dem Flusse Amur mit Eingeborenenstämmen zusammentrafen, welche den Mandschus Tribut zahlten. Die ersten Beziehungen Moskaus zu den Mandschus datieren vom Jahre 1649, als der mandschurische Statthalter dem Zaren Alexei Michailowitsch ein Schreiben sandte, in welchem er die russischen Kaufleute aufforderte, in China den Handel aufzunehmen. Der weiteren friedlichen Entwicklung stellten sich militärische Operationen entgegen, die auf dem Amur im Zusammenhange mit dem Widerstande der Mandschus gegen die russische Kolonisation entstanden. Mit der Geschichte der Erweiterung der russischen Macht in den östlichen Grenzgebieten sind verbunden die ruhmreichen Namen der Atamans Jermak Timofejewitsch, Iwan Kolzow, Kolesnikow, Semjonow, Staduchin, Motora und Deshnew — letzterer wurde bekannt durch die Entdeckung der Beringstraße —, des Gründers von Ochotsk Schelkownikow, des Erschließers des Amur-Gebietes Wassilij Pojarkow, des Gründers von Chabarowsk, Jerofei Chabarow, des Bezwingers des Amurs, Stepanow, und einer ganzen Reihe weniger bekannter Entdecker. Die kleinen Abteilungen, mit denen sie ihre Züge unternahmen, bestanden aus früheren Soldaten, Kosaken und der gemischten Grenzbevölkerung — geflüchteten Bauern und Deserteuren, die sich mit den Moskauer Gesetzen und der Moskauer Disziplin nicht aussöhnen konnten. Diese „russischen Pizarro und Cortez", die ihrem inneren Drange nach Abenteuern und der Hoffnung auf leichten Gewinn folgten, unternahmen die Entdeckungszüge gewöhnlich aus eigener Initiative oder mit der Unterstützung der sibirischen Wojewoden. Ihre Feldzüge und Reisen hatten kein politisches Ziel; sie waren lediglich bestrebt, herrenlose Gebiete in Besitz zu nehmen, der fremdstämmigen Bevölkerung Tribut aufzuerlegen und namentlich Gold und Silber ausfindig zu machen. Wie schon im Zusammenhange mit den Beziehungen zu Altan Khan erwähnt wurde, betrachtete die Moskauer Regierung die Mongolei in der Hauptsache als Vermittlerin in der Annäherung zu China und legte keinen besonderen Wert auf die Herstellung naher Beziehungen mit den Mongolen selbst. Diese entstanden automatisch durch den Handel, der sich zwischen den sibirischen Stämmen, welche das Gebiet des heutigen Transbaikalien und der Gouvernements Irkutsk, Jenisseisk und Tobolsk bevölkerten, und den Kalkas entwickelte. Diese Beziehungen trugen übrigens einen ziemlich zufälligen Charakter infolge der weiten Entfernungen und der schwierigen Verbindung sowie des Mangels an Sicherheit und des friedlosen Zustandes der örtlichen Stämme und beschränk*) D e r Sohn Altan Khans, Lobsang K h a n , und sein Onkel Ocirtai Sain N o y a n K h a n sandten später Boten nach Moskau mit dem Angebot, die Verhandlungen über die Tributpflicht zu erneuern. Die Verhandlungen blieben jedoch ohne Erfolg. K o r o s t o v e t z , Mongolei.

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teil sich auf Tauschhandel. Die Verbindung mit den Mongolen wurde außerdem durch die Pilgerzüge der Kalmücken, Tataren, Kirgisen und Burjäten aufrechterhalten, die nach Kalka zum Hutuktu von Urga und nach Tibet zum Dalai Lama wallfahrten, wobei die Einreiseerlaubnis nach der Mongolei vom Tusiyetu Khan ausgestellt wurde. Mit diesem verkehrten auch die sibirischen Behörden im Falle von Grenzangelegenheiten, Überfällen und Übersiedlung von Mongolen auf die russische Seite. Die Übersiedlung von Mongolen auf russisches Gebiet wurde zu einer chronischen Erscheinung im 17. und 18. Jahrhundert. Die Mongolen flüchteten vor den Kriegen und Zwistigkeiten, die in Kalka vor sich gingen, und späterhin vor den Verfolgungen und Erpressungen der Pekinger Regierung. Zuweilen gab Rußland sie aus Freundschaft für China zurück, doch wurden sie auch hier und da in die russische Staatsangehörigkeit aufgenommen. Offizielle Missionen wurden zu den Kalkafürsten nur in Ausnahmefällen entsandt. So schickte die Moskauer Regierung im Jahre 1649 in die Mongolei den Gesandten Baikow, der mit dem am Flusse Orhon umherziehenden Cecen Khan Beziehungen aufnahm. Über den Cecen Khan lagen Nachrichten vom Kaufmann Moskwitin vor, der aus der Staniza Angarskaja nach der Mongolei zur Erkundung von Goldund Silbervorkommen entsandt worden war. Zu den Gründen, welche die Herstellung regelmäßiger Verbindungen mit den Mongolen hinderten, gehörte, wie schon erwähnt, die feindliche Stimmung der sibirischen Stämme, deren Befriedung besondere Anstrengungen seitens der Moskauer Regierung erforderte. In den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts wanderte ein zahlreicher Stamm von Kalmücken, der von Kirgis-Hasaken und Mongolen bedrängt wurde, nach dem südwestlichen Sibirien ein und besetzte die Gebiete um die Quellen des Irtysch, Ischim und Tobol, die Moskau zu seinem Territorium zählte. Das Erscheinen der Kalmücken war um so gefährlicher, als die durch die Eroberungen Jermaks hergestellte Herrschaft Moskaus in Sibirien sehr unsicher war. Obgleich Moskau die Eingeborenen mittels der Feuerwaffen im Schach hielt, waren die unterworfenen Stämme ständig bereit, Aufstände zu inszenieren. Die Gärungen wurden von den Nachkommen des Fürsten Kutschum unterstützt, die fortfuhren, Ansprüche auf sibirischen Boden zu erheben. Die Hoffnungen der sibirischen Eingeborenen auf Vertreibung der Moskauer Eindringlinge belebten sich mit dem Erscheinen der Kalmücken, die in der Tat Versuche zur Verdrängung der Russen unternahmen, indem sie russische Siedlungen überfielen. Im Jahre 1634 zerstörten sie die Bezirke Tarsk und Tjumen und unternahmen Überfälle am Irtysch. Im Jahre 1651 brannten die Kalmücken ein Kloster nieder, welches der Mönch Dalmat am Flusse Isset erbaut hatte, und ermordeten die Klosterbrüder. Der erste Versuch zum Frieden mit Rußland wurde im Jahre 1645 unternommen, als die Kalmücken-Taijis, d. h. Fürsten, eine Gesandtschaft nach Moskau ausrüsteten mit dem Ersuchen um Aufnahme in die russische Staatsangehörigkeit und um die Erlaubnis baten, zu Handelszwecken nach Astrachan und Ufa reisen zu dürfen. Zar Alexei Michailowitsch entsandte zu den Taijis den Hauptmann des Strelitzen-Regiments Kudrjawzew, um sie als Untertanen aufzunehmen. Die Taijis kamen am Flusse

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Or zusammen, wo ihnen Kudrjawzew das Schreiben des Zaren vorlas und ihnen anheimstellte, Überfälle auf russische Städte zu unterlassen, von Astrachan und Ufa sich in ihre früheren Nomadengebiete zurückzuziehen und zum Zeichen ihrer Treue Geiseln zu stellen. Er schlug den Taijis vor, sich mit den Russen zum Kampf gegen den Khan der Krim zu vereinigen. Hierfür würde der Zar sie belohnen und ihnen zollfreien Handel gewähren. Die Taijis antworteten, daß die Kalmückenvölker dem Moskauer Zaren keinen Gehorsam schuldeten und nicht um Aufnahme als Untertanen gebeten, sondern nur vorgeschlagen hätten, Frieden zu schließen und Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Sie weigerten sich, in entferntere Weidegebiete zu gehen, und erklärten, daß „die Erde Gottes sei, daß sie auf brachliegendem Boden nomadisierten, freie Menschen Gottes seien und nach ihrem eigenen Willen umherzögen, ohne sich nach Vorschriften zu richten. Dem Zaren Dienste leisten wollten sie nicht, wünschten jedoch auch ohne Eidschwur ihm nichts Böses" 4 ). Kudrjawzew hatte die Unvorsichtigkeit, zu erklären, daß Moskau die Kalmücken mit Gewalt zum Gehorsam zwingen und andere Nomadenstämme gegen sie aufhetzen werde. Dies erboste die Taijis so, daß sie ihn erst erschlagen wollten, sich aber erweichen ließen und ihn in entfernte Gegenden verschickten, wo er Hunger und andere Entbehrungen litt. Nachdem sie Kudrjawzew einige Monate in Gefangenschaft gehalten hatten, ließen sie ihn frei, weigerten sich jedoch, Geiseln zu stellen und die übrigen Forderungen Moskaus zu erfüllen. Im Laufe der nächsten Jahre versuchte die Moskauer Regierung, die Kalmücken zu besänftigen, welche im Jahre 1659 unter der Führung ihrer Fürsten, Nachkommen des Kutschum, Baraba zerstörten und ihre Überfälle auf die Bezirke Kasan und Samara fortsetzten, Russen und Baschkiren vernichtend. Letztere antworteten mit ebensolchen Überfällen, was den Zustand des Chaos förderte "und zu Ansammlungen von Gefangenen führte. Das Verlangen Moskaus, die Kalmücken möchten weiter wegziehen, blieb unbeachtet. Die Taijis antworteten, daß sie nie in Knechtschaft gewesen wären, niemanden fürchteten, und daß die Erde und die Gewässer Gottes seien. Die Stimmung der Kalmücken wurde etwas anders, als sie im Jahre 1657 Tinter dem Drucke des Astrachaner Wojewoden zum Zaren Boten schickten mit dem Ausdruck der Ergebenheit und der Bitte, daß ihnen gestattet würde, stromaufwärts der Wolga nördlich von Astrachan umherzuziehen, mit den Nachbarstädten Handel zu treiben, ohne Abgaben zu zahlen, und daß die Wojewoden sie in Frieden ließen; die Taijis wollten ein Gehalt ausgesetzt erhalten. Zu weiteren Verhandlungen mit den Kalmücken wurde im Jahre 1661 zum Taiji Daicing der Djak Gorochow entsandt. Daicing beklagte sich über die Überfälle der Baschkiren, bat um Gehaltszulage und versprach seine Unterstützung im Kampf gegen die Krim. Nach Daicing begab sich Gorochow zum Taiji Moncak, wo er Gesandte der Edissaner Tataren traf, die er für den Kampf mit der Krim anzuwerben suchte. Die Mursy-Tataren teilten Gorochow mit, daß der Gesandte s

) S. Solowjew, Geschichte Rußlands.

Bd. III, S. 570. 6*

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der Krim, der Aga von Asow, sie überredet hätte, auf seine Seite zu kommen, daß sie aber bereit wären, in die Dienste Moskaus zu treten, wenn ihnen ein Lohn ausgesetzt würde; sie verwiesen darauf, daß der Khan der Krim von Moskau eine jährliche Unterstützung von 40 000 Goldrubeln erhielte. Als Moncak die Eidesformel mit den Taijis unterzeichnete, sagte er: „Wie das Papier zusammengeklebt ist, so sollen die Kalmücken ewig mit den Russen vereint bleiben!" Moncak hielt sein Versprechen und beteiligte sich an dem zwischen den Tataren und den mongolischen Stämmen in den Steppen am Schwarzen Meer entstandenen Kriege auf Seiten Rußlands. Im Jahre 1664 entsandten die Tataren von Ufa und Kasan Boten zum Khan der Krim mit dem Angebot, ein Bündnis mit Moskau zu schließen. Die Neigung der tatarischen und mongolischen Stämme zur Krim ist aus der religiösen und Rassengemeinschaft zu erklären. Die Aufstände der Kalmücken unterstützten die Gärungen in den übrigen Stämmen, und die Moskauer Regierung mußte große Anstrengungen machen, um die Gewalt über sie nicht zu verlieren. Im Jahre 1662 entbrannte ein Aufstand der Baschkiren, Tscheremissen, Tataren und Werchotursker Wogulen, denen sich die Mordwinen und die Tschuwaschen und später auch die Beresower Ostjaken und Samojeden, bei denen schon längst ein Aufstand gegen Moskau vorbereitet wurde, anschlössen. Es wurde ein Überfall auf die sibirischen Städte unter dem Oberbefehl des Thronfolgers aus dem Stamme Kutschums, Dewlet Girei, geplant, der in Tobolsk die Herrschaft übernehmen und von den sibirischen Stämmen Tribut erheben sollte. Weiter wurde geplant, die Fürsten Jermak Mamrukow und Iwan Letschmanow in Beresowsk zu Herrschern auszurufen. Diese Verschwörung gelang jedoch nicht; die Anstifter wurden verhaftet und auf Befehl des Wojewoden von Beresowsk, Dawidow, hingerichtet. Übrigens wandten sich die Baschkiren des Bezirks von Ufa, welche die Schwierigkeiten eines Kampfes mit den Moskauer Soldaten erprobt hatten, im Jahre 1663 an den Wojewoden Fürsten Wolkonski mit der Bitte um Aufnahme in den Schutz des Großen Zaren. Eine ausgewählte Delegation wurde nach Moskau entsandt, wo sie dem Fürsten Dolgoruki im Kasansker Palast auf dem Koran einen Eid leisteten, dem Aufstande fern zu bleiben und in die Nomadengebiete zurückzukehren. Die baschkirische Delegation stellte sich dem Zaren vor und wurde von diesem gnädig empfangen. Trotz des Ausdrucks der Ergebenheit der Ufa-Baschkiren erhoben sich ihre sibirischen Stammesverwandten im nächsten Jahre von neuem, erschienen beim Newjanski Ostrog, brannten ein Kloster nieder und vernichteten die benachbarten Dörfer. Besonders litt die Grenzstadt Kusnezk, die von den russischen Siedlungen durch Teleuten oder Weiße Kalmücken getrennt war. Obgleich die Teleuten-Fürsten Moskau den Treueid geleistet hatten, empörten sie sich ständig und vernichteten den Kusnezk-Bezirk gemeinsam mit den Kalmücken und den Sayaner Tataren. Noch mehr hatte Krasnojarsk von den Kirgisen zu leiden, dessen Bewohner Moskau um die Zusendung von Truppen oder um die Erlaubnis baten, die Stadt verlassen zu dürfen.

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Im Jahre 1657 überfiel der Sohn Altan Khans die Kirgisen, zwang sie zur Unterwerfung und wandte sich sodann gegen die Tataren des Tomsk-Bezirks. Der Tod Altan Khans nötigte seinen Thronfolger, hinter das Sayan-Gebirge zurückzugehen und sein Stammesgebiet aufzusuchen. Die militärischen Operationen wurden im Jahre 1667 wieder aufgenommen, als Krasnojarsk vom Kalmücken-Taiji Senggi, der die Teleuten, Tubinzen und Alatyrzen aufgewiegelt und sich mit dem kirgisischen Fürsten Jerenjak vereinigt hatte, belagert wurde. Um die Kalmücken zum Frieden zu bringen, wurde ein Bojarensohn entsandt, doch verliefen die Verhandlungen ungünstig. Dann wurde beschlossen, mit Gewalt vorzugehen. Im Jahre 1674 griff der Wojewode von Tomsk, Fürst Barjatinski, die Aufständischen an und brachte ihnen eine entscheidende Niederlage bei 6 ). Am Ausgang der Regierungszeit des Zaren Michail Feodorowitsch erhoben die Chefs der Kosakenabteilungen, die sich im Wercholenski Ostrog befanden, Tribut von den Burjäten Transbaikaliens. Zur selben Zeit errichtete der aus Jenisseisk hinter den Baikal-See zur Erforschung von Silbervorkommen entsandte Ataman Kolesnikow eine Festung an der Anggara und forderte von den Burjäten ebenfalls Tribut. Da die Burjäten sich weigerten, doppelten Tribut zu zahlen, rief diese Forderung Mißstimmung hervor, die mit einem Aufstand endigte. Der Kampf mit den Burjäten währte bis zum Jahre 1655 und schloß nach der Unterwerfung dieses Stammes damit, daß Moskau in Transbaikalien festen Fuß faßte. Im Jahre 1661 wurde die Stadt Irkutsk gegründet, die zum administrativen Zentrum West-Sibiriens wurde. Währenddessen entsandte Kolesnikow, nachdem er den Tribut von Transbaikalien erhoben hatte, Kosaken zur Erkundung von Erzvorkommen in die mongolischen Gebiete. Die Abgesandten besuchten den Fürsten Turukui, der ihnen mitteilte, daß Vorkommen beim „Bogda-Khan" 7 ) in China zu finden seien, und gab ihnen als Beweis ein Stückchen Gold von 4 Solotnik und silberne Gegenstände mit. Dies erweckte das Interesse der sibirischen Wojewoden, die zur Unterstützung Kolesnikows Expeditionen bewaffneter Leute zur Besetzung der Gebiete und Unterwerfung der Stämme entsandten. Die Expeditionen gingen längs der Flüsse Anggara, Baikal, Witim, Schilka und Selengga vor; aus Jakutsk wurden Abteilungen nach dem Osten zum Ochotskischen Meere und in den Süden zum Amur entsandt. Im Jahre 1649 erreichten die Russen den Fluß Kolyma, von wo der Bojarensohn Wlasjew Soldaten und Gewerbetreibende unter der Führung von Semjonow und Motora zum Flusse Anadyr entsandte, um „tributpflichtige Leute ausfindig zu machen und diese dem Zaren zuzuführen". Aber schon im vorhergehenden Jahre hatte sich Deshnew von Kolyma-Delta ausgehend auf dem Seewege zur Entdeckung neuer Erdteile begeben. „Willenlos trieb ich mich auf dem Meere umher", schreibt Deshnew, „bis ich hinter dem Anadyr-Fluß landete." «) S. Solowjew, Die Geschichte Rußlands, Bd. III, S. 575. ') Diese mongolischen Wörter bedeuten „Heiliger Herrscher". Sie dienten zur Bezeichnung des Kaisers von China und sind die Übersetzung des chinesischen Titels Sheng-chu.

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Damit hatte Deshnew, ohne es zu wissen, das östliche Ufer Asiens umschifft und die Meerenge passiert, welche später den Namen des dänischen Seefahrers Bering erhalten hat. Während seiner weiteren Reisen traf Deshnew mit anderen Forschern zusammen, die zum Anadyr auf dem Festlande gekommen waren; es waren dies Staduchin und Motora. Sie erhoben Tribut von den Eingeborenen, die bereits einen solchen an Deshnew gezahlt hatten. Dies führte zu Konflikten zwischen beiden Parteien und veranlaßte Deshnew, die Expedition selbständig fortzusetzen. Ein Jahr vor der Expedition Deshnews, d. h. im Jahre 1647, drang die Abteilung Schelkownikows zum Delta des Flusses Ochot vor, wo sie die Festung Ochotsk errichtete. Hier mußten die Russen einen langen Kampf mit den Tungusen ausfechten, die sich weigerten, Tribut zu zahlen, wiederholt die Festung in Brand steckten und die russischen Pioniere zerstreuten, was die Entsendung von neuen Abteilungen aus Irkutsk zur Folge hatte. Die Besetzung des Amur-Gebietes wurde hervorgerufen durch dieselben Gründe, d. h. durch das Bestreben, Silbervorkommen ausfindig zu machen und Tribut von den Eingeborenen zu erheben. In Sibirien gingen schon lange Gerüchte umher, daß an der Schilka beim Fürsten Lawkai, dem Dauren, Silbervorkommen zu finden seien. Im Jahre 1643 entsandte der Wojewode von Jakutsk, Golowin, den Kosakenhauptmann Wassilij Pojarkow mit einer kleinen Abteilung dorthin. Pojarkow ging die Flüsse Aldan, Siya und Amur lang, überwinterte im Delta dieses Flusses, verlor die Hälfte seiner Leute, die in Kämpfen mit den Eingeborenen oder vor Hunger umkamen, und kehrte nach Jakutsk zurück. Die Erzählungen Pojarkows über die „Bunte Horde" (so wurde das Amur-Gebiet genannt) und noch mehr die von ihm mitgebrachten Zobelfelle ließen neue Expeditionen folgen. Im Jahre 1649 zog der alte Entdecker Jerofei Chabarow, mit Einwilligung des Wojewoden von Jakutsk, an der Spitze einer Abteilung von Soldaten und Handelsleuten die Flüsse Olekma und Amur entlang in das Gebiet des erwähnten Fürsten Lawkai, ohne auf Widerstand zu stoßen, da die Einwohner, durch Gerüchte über Kosaken in Furcht versetzt, ihre Siedlungen verlassen hatten. Dennoch gelang es Chabarow, Lawkai zu sprechen und ein Übereinkommen betreffs der Zahlung des Jasak zustandezubringen. Die begeisterten Berichte der Kosaken über die Reichtümer des Amur-Gebietes veranlaßten den Wojewoden von Jakutsk, eine zweite Expedition auszurüsten, ebenfalls unter dem Oberbefehl von Chabarow, der zu diesem Zwecke 200 Mann und zwei Kanonen zugeteilt erhielt. Diesmal wehrten sich die von Lawkai und Gugudar angeführten Dauren, und Chabarow mußte mit ihnen einen Kampf aufnehmen, der mit einem entschiedenen Siege der Russen endigte. Nachdem Chabarow die Dauren geschlagen hatte, gründete er im Osten vom Flusse Argun die Festung Albasin und erbaute zur Überwinterung den Atschanski-Ostrog (ein Blockhaus). Hier wurde er zuerst von den Dutscharen und Atschanern belagert; im Frühjahr 1652 kamen die mandschurischen Streitkräfte des chinesischen Statthalters Albagur heran. Obgleich die Mandschus über Feuerwaffen und Artillerie verfügten,

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gelang es Chabarow doch, seine Stellung zu behaupten, und die Mandschus, die mehrere hundert Mann verloren hatten, mußten sich zurückziehen. Da aber auch Chabarow bedeutende Verluste erlitten hatte, wagte er es nicht, in Albasin zu bleiben, und machte sich wieder auf den Heimweg. Während der Rückfahrt weigerte sich ein Teil der Kosaken, Chabarow zu folgen; nachdem sie sich der Waffen und Vorräte bemächtigt hatten, zogen sie stromabwärts und plünderten die Bewohner des Flußgebietes. Als man in Jakutsk die Lage im Amur-Gebiet erfuhr, sandte man an Stelle von Chabarow, der nach Moskau gereist war, Stepanow als „Beamten des Großen Flusses Amur und des neuen Dauren-Landes". Stepanow setzte die Eroberungen Chabarows stromabwärts des Amur bis zum Flusse Sunggari fort und brachte in der Zeit von 1654—1655 den Mandschus mehrere Niederlagen bei. Um das Vordringen der Russen aufzuhalten, verboten die Mandschus der am Flusse wohnenden Bevölkerung, ihre Äcker zu bestellen, und zwangen sie späterhin, an den Fluß Nonni überzusiedeln. Als im Jahre 1655 Stepanow erschien, um den Jasak zu erheben, konnte er infolge der Übersiedlung der Bewohner keine Lebensmittel auftreiben und seine Abteilungen hatte schwere Entbehrungen zu leiden 8 ).

Kapitel VIII. Die Bemühungen Moskaus um Annäherung an die Mandschus. Die Gesandten Baikow und Spafari. Der Kampf mit den Mandschus am Amur. Die Einnahme von Albasin. Die Verhandlungen Golowins und der Vertrag von Nertschinsk. Die Gesandtschaft des Grafen Sawa Wladislawitsch Ragusinski. Seine Auseinandersetzungen mit den mandschurischen Beamten und die Verlegung der Verhandlungen an die russisch-mongolische Grenze. Der Vertrag von Kiachta und seine Bedeutung für die Regelung der Grenzen und der Handelsbeziehungen. Die russisch-chinesischen Beziehungen im 18. Jahrhundert und die Schwierigkeiten wegen der Mongolen. Der Vertrag von Kuldscha. Die Angliederung des linken Amur-Ufers an Rußland durch Graf Murawjew und der Vertrag von Aigun. Die Bedeutung der Verträge von Tientsin und Peking. Der Petersburger Vertrag vom Jahre 1881 und die „Regeln für den Überlandhandel".

Die Widerstände, denen die Russen bei ihrer Expansion nach dem Osten seitens der Mandschus am Amur begegneten, veranlaßten die Moskauer Regierung, eine Annäherung an Peking zu suchen. Zu diesem Zwecke wurde im Jahre 1654 der Bojarensohn Baikow zur „Beobachtung des Handelsverkehrs und der übrigen Lebensweise" nach Peking entsandt. Die Mission Baikows zeitigte keine positiven Ergebnisse infolge der Zwistigkeiten, die zwischen ihm und den kaiserlichen Beamten wegen des Empfangszeremoniells entstanden. Die Chinesen verlangten die Übergabe des Schreibens des Moskauer Zaren noch vor der Audienz, um zu erfahren, ob darin nicht doch etwas gegen die Würde des Himmels8

) S. Solowjew, Die Geschichte Rußlands, Bd. III, S. 590.

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sohnes Verstoßendes enthalten sei. Baikow bestand auf der persönlichen Übergabe des Schreibens an den Kaiser und sagte, daß er zu des Kaisers Majestät und nicht zu seiner Umgebung entsandt sei; nach langwierigen Streitigkeiten wollten beide Seiten nicht nachgeben und Baikow reiste ab, ohne den mandschurischen Monarchen gesehen und die ihm aufgetragenen Angelegenheiten erledigt zu haben. Währenddessen ruhten die feindlichen Operationen der Mandschus am Amur nicht. Im Jahre 1658 überfielen mandschurische Truppen die Flottille des oben erwähnten Stepanow, als sie den Amur hinunterfuhr, unterhalb des Sunggari. Die Mandschus bereiteten den Kosaken eine entschiedene Niederlage; während des Zusammenstoßes fiel auch Stepanow. Darauf wurde in Moskau beschlossen, an der Schilka und dem Oberlauf des Amur Befestigungen zu errichten und von dort aus den Vormarsch zu unternehmen. Es wurden die Städte Nertschinsk am Delta des Nertsch und Albasin am Amur wieder errichtet; darauf erhoben die Kosaken wieder den Jasak von den Stämmen, die von den Mandschus als ihnen tributpflichtig angesehen wurden; einige kleinere Fürsten, die mit den Mandschus unzufrieden waren, gingen zu den Russen über. So erschien iiH Jahre 1667 der Tungusen-Fürst Gantemir, der sich den Verfolgungen der mandschurischen Beamten entziehen wollte, mit seinen Untertanen in Nertschinsk. Der Übertritt Gantemirs rief den Protest des mandschurischen Statthalters hervor, der sich an den Wojewoden von Nertschinsk, Arschinski, mit der Forderung wandte, die Flüchtlinge herauszugeben. Gleichzeitig machten die Mandschus den Vorschlag, Bevollmächtigte zu Verhandlungen zu entsenden. Arschinski schickte darauf vier Kosaken nach Peking, um über Handelsangelegenheiten zu sprechen. Die Kosaken wurden am Pekinger Hofe empfangen und brachten einen Brief des chinesischen Kaisers mit, in welchem dieser vorschlug, in Frieden und Eintracht zu leben *). Dieser Brief veranlaßte die Moskauer Regierung, im Jahre 1675 eine Gesandtschaft nach China zu entsenden unter der Führung des Dolmetschers des Ministeriums des Auswärtigen, des Griechen Spafari. Zusammen mit der Gesandtschaft wurde eine Karawane mit staatlichen und privaten Waren ausgerüstet, die zum Verkauf in der chinesischen Hauptstadt bestimmt waren. Als Spafari nach Peking kam, ersuchte er um eine Audienz beim Kaiser K'ang Hi zwecks Aushändigung des Beglaubigungsschreibens. Die Chinesen antworteten, daß das Schreiben in das Li-fan-yüan abgegeben werden müsse, und schickten den Jesuiten Ferdinand Verbiest, um die Verhandlungen zu führen. Während der Verhandlungen über die Audienz blieben die Tore des Absteigequartiers der Gesandtschaft geschlossen; man ließ niemanden zu den Russen, denen für Lebensmittel äußerst hohe Preise abverlangt wurden. Nach langem Hin und Her wurde endlich beschlossen, daß das Schreiben von den Gesandten nicht ins Li-fan-yüan, sondern in den Palast gebracht und vor den Thron gelegt werden sollte; die Hofchargen sollten es dann zum Kaiser bringen. Spafari wurde genötigt, sich dem chinesischen Zeremoniell zu unterwerfen, d. h. Kotau zu machen. S. Solowjew, Die Geschichte Rußlands, Bd. III, S. 594.

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Während der zweiten Audienz legte der Kaiser Spafari, der vor dem Throne kniete, einige Fragen über den Moskauer Zaren Alexei Michailowitsch vor, darunter, wie alt er sei und ob er schon lange Zeit regiere. Spafari antwortete, daß „der Große Zar etwa 50 Jahre alt und mit den verschiedensten Tugenden ausgezeichnet sei, und daß er bereits über 30 Jahre regiere". Darauf fragte K'ang Hi Spafari, ob der Zar Philosophie, Mathematik und Geometrie studiert hätte, und sagte, daß er selbst bei den Jesuiten Trigonometrie und Sternkunde studiere. Jesuiten übersetzten die Worte Spafaris, der Lateinisch sprach. Der Moskauer Gesandte wurde mit Ziegeltee oder, wie er sagte, „tatarischem Tee" und Süßigkeiten bewirtet. Während der Verhandlungen mit den Ministern warfen diese dem Moskauer Gesandten vor, daß die Russen unaufrichtig seien, da sie trotz der Versprechungen Baikows den Vormarsch am Amur fortsetzten. Der Moskauer Regierung wurde ebenfalls der Vorwurf gemacht, daß sie einem Untertanen des Kaisers, dem flüchtigen Fürsten Gantemir, Obdach gewährt hätte; ferner beklagte man sich, daß russische Abenteurer nach Peking gekommen wären und sich für Gesandte ausgegeben hätten; nach ihrer Zulassung sei festgestellt worden, daß sie keine Beglaubigungsschreiben mit sich führten. Solange Spafari in Peking wohnte, bemühten sich die Mitglieder der Gesandtschaft, die mitgebrachten Waren, die aus Brokat, Atlas und Samt bestanden, zu verkaufen oder gegen chinesische umzutauschen; der Handel ging jedoch schwach, da die Kaufleute und Beamten sich verabredet hatten, für die russischen Waren Unterpreise zu bieten. Was den Handelsvertrag betrifft, so wurde ein solcher nicht abgeschlossen, weil die Chinesen zuerst die Frage betreffs der Flüchtlinge und der Auslieferung Gantemirs erledigen wollten. Trotz der dem Moskauer Gesandten erwiesenen Ehrenbezeugungen wollten die Chinesen ihn dennoch zwingen, ein Antwortschreiben entgegenzunehmen, in welchem gesagt war, daß er von einem niederen zu einem höheren Monarchen gekommen sei und daß die Geschenke des Zaren Tribut, die Geschenke des Kaisers Entlohnung für Dienste seien. Die Spafari mündlich übermittelten Forderungen bestanden in der Auslieferung Gantemirs, der Einstellung der Kosaken-Überfälle am Amur und darin, daß, falls ein neuer Gesandter käme, dieser sich dem chinesischen Zeremoniell unterwerfen müsse 2). So reiste Spafari ab, ohne die Grenzfrage des Amurs geregelt zu haben. Die Pekinger Regierung sah das Amur-Gebiet als ihr Eigentum an und wollte die Moskauer Ansprüche auf das linke Ufer dieses Flusses nicht anerkennen. Endlich wandte sich der mandschurische Statthalter an den Wojewoden von Albasin, Tolbuchin, mit der Forderung, die Schiffahrt auf dem Amur einzustellen und die Kosaken zu entfernen. Im Jahre 1685 näherte sich eine bedeutende mandschurische Abteilung Albasin. Die 450 Mann starke Besatzung mit drei Kanonen und 300 Musketen mußte nach kurzem Widerstande kapitulieren. Mit den gefangenen Russen s

) S. Solovvjew, Die Geschichte R u ß l a n d s , Bd. III, S. 595.

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wurde auch der Priester Maxim Leontijew als Gefangener nach Peking gebracht. Es wurde ihnen erlaubt, ihre Heiligenbilder, Kirchenbücher und sogar eine Glocke mitzunehmen. In Peking wurden sie dem Umränderten Gelben Banner einverleibt und unter dem Namen der „Russenkompagnie" (Oros niru) im Nordosten der Tatarenstadt angesiedelt, wo sich noch heute die Gebäude der russischen Mission befinden. Da die Mandschus, ohne das Getreide abgeerntet zu haben, fortgezogen waren, schickte der Wojewode von Nertschinsk, Wlassow, Tolbuchin wieder zurück und befahl ihm, das Getreide zu ernten und Albasin wieder zu errichten. Als die Mandschus von der Wiedererrichtung Albasins erfuhren, zogen sie im nächsten Jahre mit einer Abteilung von 5000 Mann und Artillerie wieder gegen den Ort. Währenddessen kam der aus Moskau gesandte Großwürdenträger Feodor Golowin nach Transbaikalien, um mit den Mandschus Verhandlungen zu führen. Als der Kaiser von China von der Ankunft Golowins erfuhr, befahl er, die militärischen Operationen zeitweilig einzustellen. Im Frühjahr 1687 zogen sich die Mandschus von Albasin zurück und die Belagerten, die unter dem Oberbefehle Baitons standen, der an die Stelle des gefallenen Tolbuchin getreten war, konnten die Schiffahrt auf dem Amur wieder aufnehmen. Golowin sollte den Vertrag unter folgenden Bedingungen schließen: der Amur sollte die Grenze zwischen beiden Reichen bilden, wobei Albasin im Besitze Rußlands blieb. Außerdem sollte Golowin über die Streitkräfte Chinas und über dessen Kriegsbereitschaft Erkundigungen einziehen. Es wurde ihm vorgeschrieben, die Verhandlungen in freundschaftlichem Tone zu führen, einen Abbruch der Verhandlungen zu vermeiden und sich die Unterstützung der mongolischen Fürsten zu sichern, besonders diejenige Ocirtai Khans, des Enkels Altan Khans, der sich als Tributpflichtiger Moskaus bekannte und vorteilhafte Handelsbedingungen versprochen hatte. Als Golowin im Jahre 1688 nach Seleginsk kam, versuchte er mit dem Hutuktu von Urga Beziehungen aufzunehmen, zu welchem Zwecke er das Mitglied seiner Mission Korowin mit einem Schreiben und Geschenken zu jenem entsandte. Dieser Versuch Golowins fand jedoch keinen Anklang bei den Mongolen und wurde von ihnen als der Ausdruck einer gewissen Schwäche ausgelegt, vielleicht deshalb, weil ihn nur geringe Militärkräfte begleiteten. Ocirtai Khan forderte die Auslieferung der Tributpflichtigen, die an den Ufern des Baikal und bei Udinsk und Selenginsk umherzogen. Golowin lehnte ab, indem er erklärte, daß diese Stämme von alters her Rußland den Jasak gezahlt hätten und niemals Untertanen der Mongolen gewesen seien. Darauf entsandten die Mongolen eine große Abteilung gegen Golowin unter der Führung Batur Hungtaijis und versuchten, Selenginsk und Udinsk zu besetzen, wurden aber abgewiesen. Golowin beschränkte sich nicht auf diesen Sieg, sondern überfiel die Mongolen und schlug sie in die Flucht. Die Mongolen unterwarfen sich, erklärten sich schuldig und baten um die Aufnahme als russische Untertanen. Es trafen auch Gesandte vom Ocir Hutuktu sowie von zahlreichen Jasaks und Taijis ein, die den Eid leisteten und als Untertanen aufgenommen wurden.

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Im Herbst 1689 kam Golowin nach Nertschinsk, wo er bereits vom mandschurischen Gesandten erwartet wurde. An den Verhandlungen, die in lateinischer Sprache geführt wurden, beteiligten sich auf chinesischer Seite als Dolmetscher und Ratgeber von den Pekinger Jesuitenmissionaren der Spanier Pereira und der Franzose Gerbillon. In Beantwortung der Klage Golowins bezüglich des gegen Rußland begonnen Krieges erklärten die mandschurischen Würdenträger, daß die Verfolgungen chinesischer Tributpflichtiger durch Chabarow und Genossen China veranlaßt hätten, Truppen zu entsenden und die Zerstörung Albasins zu fordern. Da die Russen ihre Versprechen nicht eingehalten und Albasin wieder aufgebaut hätten, wäre China gezwungen gewesen, die militärischen Operationen wieder aufzunehmen, als deren Folge die Eroberung der Festung und die Vertreibung der Russen anzusehen sei, da Albasin und das ganze Daurien zu China gehörten. Golowin entgegnete, daß das Gebiet, wo Nertschinsk, Albasin und andere Städte gebaut seien, niemals China gehört habe, und daß die Einwohner den Jasak an die Moskauer Regierung gezahlt hätten. Die Chinesen behaupteten ihrerseits, daß Transbaikalien und der Amur dem Mongolenkhan gehört hätten, und daß die Mongolen von altersher als chinesische Untertanen gälten. Als es zur Festsetzung der Grenzen kam, begegneten die Chinesen der Forderung Golowins, die Grenze längs des Amur bis zum Meere zu ziehen, mit der wohl von den Jesuiten suggerierten Behauptung, der Amur habe sich seit Alexander des Großen Zeit im Besitze von China befunden. Golowin erklärte, daß seit der Zeit sich Verschiedenes geändert hätte und Gebiete von einem Staate zum andern übergegangen wären. Die Chinesen bestanden trotzdem auf der Grenze bis zum Baikal und drohten mit Krieg. Golowin verdächtigte die Jesuiten, daß sie den Sinn der chinesischen Forderungen entstellten und die Frage zuspitzen wollten, und ging von der lateinischen Sprache in die mongolische über; aber auch das half nichts und die Chinesen blieben bei ihrer Grenzforderung bis zum Baikal. Etwas gaben sie dennoch später nach und schlugen vor, die Grenze längs des Flusses Schilka zu ziehen unter der Bedingung, daß das linke Ufer Rußland und das rechte bis zum Flusse Onon China zufallen solle. Golowin hielt an seinen Forderungen fest und setzte die Verhandlungen mit den Jesuiten fort, welche ihn warnten, daß Kaiser K'ang Hi der Abtretung von Albasin nicht zustimmen werde, und den Vorschlag machten, die Grenze längs des Flusses Gorbiza auf dem Wege zwischen Nertschinsk und Albasin zu ziehen. Unterdessen erfuhr Golowin, daß die Burjäten, Tungusen und Onjkoten, die in Transbaikalien nomadisierten, mit den chinesischen Gesandten wegen Übertritts zum Kaiser von China verhandelten, und daß die Chinesen Vorbereitungen zum Überfalle auf Nertschinsk machten. Die Lage wurde bedrohlich und Golowin, der nur über eine Abteilung von 1000 Mann verfügte, gab nochmals nach, indem er vorschlug, die Grenze durch Albasin zu legen, jedoch unter der Bedingung, daß die Festung geschleift werde. Die Chinesen lehnten das ab und Golowin mußte ihre Forderungen annehmen. Nach dem im Jahre 1689 zu Nertschinsk (Nibtschu) unterzeichneten Vertrage mußte die Moskauer Regierung

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ihre Ansprüche auf das linke Ufer des Amur fallen lassen und Albasin räumen. Um die Jesuiten gut zu stimmen und bei der Grenzfestsetzung auf seine Seite zu bekommen, beschenkte Golowin sie mit kostbaren Pelzen, Lebensmitteln und Weinen; die Jesuiten schenkten ihm ein Bildnis des französischen Königs und ein Buch. Bald hierauf wandte sich der Dsungarenkhan Galdan, der Krieg gegen China führte, an Golowin mit dem Anerbieten, einen Bündnisvertrag zu schließen. Dieses Anerbieten wurde abgelehnt, da Rußland, trotzdem es vielfach Veranlassung hatte, mit China unzufrieden zu sein, seinen politischen Kurs nicht so scharf ändern konnte, umsomehr, als Moskau keine Komplikationen im Osten wünschte. Unter Peter dem Großen erneuerten die Dsungaren ihre Versuche, eine Annäherung an Rußland zu erstreben, wobei der Fürst Tsewang Rabtan um Aufnahme in den russischen Staatsverband bat 3 ). Der Vertrag von Nertschinsk war der erste formelle Akt, der eine Grundlage für weitere offizielle Beziehungen zwischen Rußland und China bildete. Dieser Vertrag hatte einen fast ausschließlich politischen Charakter. Der Handelsfrage ist nur wenig Raum und Beachtung geschenkt worden. Es wurde lediglich das Recht der Russen und Chinesen bestätigt, die Grenze mit Passierscheinen zu überschreiten. Außerdem erhielten die russischen Kaufleute die Erlaubnis, mit der Mongolei zollfreien Handelsverkehr zu pflegen. Da nach diesem Vertrage noch Adele Fragen ungeklärt blieben, entsandte die Moskauer Regierung im Jahre 1692 eine neue Gesandtschaft unter der Führung des Dänen Jelisarius Isbrand Ides nach Peking zum Austausch der Ratifizierungsurkunden über den Frieden zu Nertschinsk. Ides sollte die Herausgabe der sibirischen fremdstämmigen Verräter und die Freilassang der russischen Gefangenen von China fordern. Auch wurde er beauftragt, die Frage des gegenseitigen Handels zu regeln, wozu der Kaiser von China gebeten werden sollte, nach Moskau chinesische Kaufleute mit Silber zu entsenden, die russische und deutsche Waren kaufen und ihrerseits chinesische Waren, Edelsteine, Gewürze etc. mitbringen sollten. Ides hatte die traditionellen Schwierigkeiten bezüglich des Empfangszeremoniells zu bestehen, d. h. die Chinesen verlangten die Übergabe des Schreibens vor der Audienz und erteilten dem Moskauer Gesandten einen Verweis dafür, daß im Schreiben der Name des Zaren vor dem Titel des Kaisers stehe. Während der Audienz kniete der Gesandte. Trotz langen Aufenthaltes in Peking wurde ein Übereinkommen nicht erzielt. Der größte Teil der strittigen Fragen wurde nicht gelöst, darunter auch die Frage der Handelsbeziehungen. Ides gelang es übrigens, von den Jesuiten zu erfahren, daß der chinesische Kaiser friedlich gestimmt sei und die Wahrung des Friedens mit Rußland wünsche 4). Der Wunsch, den russisch-chinesischen und den mongolischen Handel zu regeln, äußerte sich in der Organisation von staatlichen Karawanen, die aus dem sibirischen „Prikas" (Verwaltung) zu Moskau im Jahre 1698 nach China *) N. Bantysch-Kamensky, Diplomatische Angelegenheiten zwischen den russischen und chinesischen Staaten von 1619 — 1792. *) S. Solowjew, Geschichte Rußlands, Bd. IV, S. 641.

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entsandt wurden. Ihnen wurden regierungsseits Kaufmannsälteste und Kommissare zum Schutze und zur Aufrechterhaltung der Ordnung beigegeben; zusammen mit ihnen reisten auch private Kaufleute und deren Angestellte. Aus Rußland und Sibirien wurden Pelzwaren, Leder, Stoffe, Manufakturwaren und Eisenprodukte geschickt, aus der Mongolei wurden Rohstoffe, Vieh und Pferde und aus China Seide, Gewürze und Stoffe und späterhin auch Tee bezogen. Die erste Bekanntschaft mit Tee wurde in Rußland gemacht, als unter den Geschenken, die Altan Khan dem Moskauer Gesandten Starkow im Jahre 1638 aushändigte, sich 200 Pack Tee befanden. Starkow bat den Khan, den Tee durch Zobelfelle zu ersetzen, da „dieses Getränk in Rußland unbekannt und ein Luxus sei". Was den Tauschhandel in den Grenzgebieten anbetrifft, so ging er unabhängig von den Handelskarawanen vor sich. Er entwickelte sich langsam und trug seinen unzuverlässigen und zufälligen Charakter dank den Verkehrsschwierigkeiten, der Unsicherheit und den Abgaben, die von den örtlichen Behörden erhoben wurden. In Erkenntnis der Bedeutung geregelter Beziehungen zu China entsandte Peter der Große im Jahre 1719 den Gardehauptmann Leo Ismailow nach Peking. Ismailow erhielt den Auftrag, einen Vertrag über zollfreien Handel in China und in der Mongolei, über die Ernennung von Gesandten und Konsuln, über die Errichtung einer Kirche für russische Kaufleute usw. zu schließen. Der Empfang Ismailows ging ohne die traditionellen Streitigkeiten über den Titel des Monarchen und das Empfangszeremoniell vor sich. Im russischen Schreiben war nur der Titel des Kaisers erwähnt, unten stand nur die Unterschrift Peters. Kaiser K'ang Hi nahm das Schreiben aus den Händen Ismailows entgegen und bemerkte,, daß „obgleich die alten Gesetze verböten, Schreiben ausländischer Gesandten entgegenzunehmen, er den russischen Imperator als gleichberechtigten Freund und Nachbarn anerkenne und, von den alten Bestimmungen abgehend, das Schreiben vom Gesandten entgegennähme." Darauf beschränkte sich die Abweichung von der chinesischen Etikette, da Ismailow trotzdem während der Audienz knien mußte. Kaiser K'ang Hi legte gewohnheitsgemäß dem russischen Gesandten einige bedeutungslose Fragen bezüglich der Mathematik, Astronomie und Musik vor und erkundigte sich, ob diese Sachen in Rußland auch studiert würden. Hierbei erklärte der chinesische Kaiser, daß er diese Wissenschaften bei den Jesuiten studiert hätte, welche bereits über 200 Jahre in China wohnten und sich mit religiösen Dingen befaßten. Überhaupt legte er nicht seinen gewöhnlichen Hochmut an den Tag und verhielt sich zuvorkommend und sogar leutselig. So erklärte K'ang Hi während des Mittagessens, zu dem Ismailow eingeladen war, auf die Kunde von den Siegen Peters des Großen, daß er mit dem Zaren in Freundschaft leben wolle, und daß, wenn zwischen Rußland und China Streitigkeiten wegen Überläufer vorkämen, dies die gegenseitige Freundschaft nicht stören dürfe. „Worum sollte man sich streiten? Rußland ist ein kaltes und weites Land. Wenn ich meine Truppen dorthin entsenden wollte, würden sie erfrieren. Unser Land ist heiß, und wenn der Zar Truppen schickte, würden sie ebenfalls um-

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kommen, während in beiden Reichen große Landflächen sind." Augenscheinlich fürchtete K'ang Hi, daß Peter der Große seine Aufmerksamkeit China schenken könnte 5 ). Trotz des Wohlwollens, das dem russischen Gesandten bewiesen wurde, lehnten die Chinesen es ab, einen Vertrag zu schließen. Auf die Frage Ismailows bezüglich des Handels antworteten die Chinesen: „Unser Kaiser treibt keinen Handel; bei euch genießen die Kaufleute ein hohes Ansehen, während bei uns sich die einfachsten Leute und die Diener damit befassen. Wir haben keinen Vorteil von eurem Handel. An russischen Waren fehlt es uns nicht, selbst wenn sie nicht von euren Leuten hergebracht würden, und das Begleiten eurer Kaufleute ist für uns mit Verlusten verbunden." 6 ) Während der Verhandlungen traf in Peking die Nachricht ein, daß einige hundert Mongolen über die russische Grenze geflüchtet wären. Die Chinesen benutzten diese Gelegenheit, um Ismailow zu erklären, daß sie nicht eher auf seine Vorschläge eine Antwort geben würden, bis die Angelegenheit wegen der Flüchtlinge geregelt sei. Ismailow mußte sich fügen und Peking verlassen. Er ließ statt seiner einen Handelsagenten oder Konsul, Lorenz Lang, die Verhandlungen weiter führen. Eine wesentliche Etappe in der Geschichte der Beziehungen Rußlands zu China und der Mongolei bedeutet die Entsendung des Gesandten Grafen Sawa Wladislawitsch Ragusinski nach Peking im Jahre 1725. Die Entsendung Ragusinskis war durch das feindliche Auftreten Chinas hervorgerufen worden, welches unter dem Vorwande von Grenzschwierigkeiten sich weigerte, die russischen Handelskarawanen passieren zu lassen, und den Handelsagenten und die Kaufleute aus Peking ausgewiesen hatte. Gleichzeitig forderten die Chinesen die Regelung der Grenzfragen und die Auslieferung der Flüchtlinge. In Irkutsk angekommen, begann Ragusinski die Grenzfrage zu studieren, wobei er feststellte, daß unter Golowin ein Teil der Grenzgebiete vom Flusse Gorbiza bis zum Flusse Uda unabgegrenzt geblieben war. Zur Prüfung der Grenze nahm Golowin die Hilfe der Feldmesser in Anspruch, die zur Herstellung einer Karte von Sibirien entsandt worden waren. Die Feldmesser sollten die Grenzgebiete bis zum Flusse Yenissei und am Sayan-Gebirge untersuchen. Ragusinski führte die Verhandlungen in Peking vom Herbst 1726 bis zum Frühjahr 1727. Während der Verhandlungen behaupteten die Chinesen, daß die Russen nach dem von Golowin geschlossenen Frieden (Vertrag von Nertschinsk) sich mongolischer Gebiete bemächtigt hätten, welche die Mongolen zurückverlangten, und legten einen Vertragsentwurf bei, nach welchem fast die Hälfte von Sibirien an China abgetreten werden sollte. Als Ragusinski sich weigerte, auf diese Forderungen einzugehen, drohten die Chinesen mit dem Abbruch der Beziehungen und suchten dem Gesandten und seinem Gefolge den Aufenthalt auf jegliche Art zu verleiden, so z. B. schickten sie ihnen Salzwasser zu trin5 ) Durch die katholischen Missionare waren die Chinesen über die politischen und militärischen Erfolge Rußlands unter der Herrschaft Peters des Großen unterrichtet worden. «) S. Solowjew, Geschichte Rußlands, Bd. IV, S. 645.

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ken. Endlich willigten die Chinesen ein, den von Ragusinski verfaßten Vertragsentwurf entgegenzunehmen, der dem Kaiser vorgelegt wurde. Als der Kaiser den Entwurf gelesen hatte, erklärte er, daß der Vertrag nicht in Peking geschlossen werden könne, sondern an Ort und Stelle studiert werden müsse, da die Grenzlegung die Unzufriedenheit der mongolischen Fürsten hervorrufen könne. Darauf wurde Ragusinski aufgefordert, sich in Begleitung von drei Ministern in das Grenzgebiet zu begeben, um mit ihnen die Fragen zu regeln 7 ). Ragusinski beschreibt seinen Aufenthalt in Peking wie folgt: „Chinesischerseits sind schwerwiegende Forderungen gestellt worden. Die Chinesen erklären, das mongolische Gebiet erstrecke sich bis Tobolsk und ginge dann bis zum Baikal und die Anggara herab, wo sie die Grenze ziehen wollen. Ihre Überläufer (Emigranten) berechnen sie auf über 6000 Mann. Während der 23 Konferenzen einigten wir uns mündlich und schrieben einen Vertragsentwurf, laut welchem jedes Reich das behalten soll, was es zur Zeit besitzt, nicht mehr und nicht w e n i g e r . . . . Ich lebte mehr als Gefangener, denn als freier Gesandter; wie aus ihren Handlungen zu ersehen ist, fürchten die Chinesen sich sehr vor dem Kriege, doch lassen sie nicht von ihrem Stolz und ihrer List. Eine derartige Unbeständigkeit habe ich zeitlebens bei keinem Volke gesehen; wahrhaftig, sie haben keine Menschenvernunft, nur Feigheit; wären die Grenzen Eurer Kaiserlichen Majestät in Ordnung, so könnte man nach eigenem Willen handeln; da sie aber sehen, daß die Grenzen offen sind, ganz Sibirien keine einzige Festung besitzt und Rußland häufig Gesandtschaften zu ihnen schickt, spornt das ihren Hochmut nur noch mehr an und, was sie auch tun, geschieht aus Furcht vor dem Kriege und nicht aus Liebe". Weiter charakterisiert Ragusinski die Chinesen folgendermaßen: er meint, daß „sie sich weder durch Festigkeit und Verstand, noch durch Tapferkeit auszeichneten, sondern lediglich durch die große Zahl ihrer Bevölkerung und übermäßigen Reichtum; zu Anfang habe China nicht so viel Gold und Silber besessen wie jetzt, das Volk aber sterbe vor Hunger. Die Chinesen seien kleinmütig wie die Juden". Seiner Meinung nach ist der Kaiser ein Despot und ein Tyrann, der die Bevölkerung unterdrückt und ausbeutet und nur auf Vergnügungen und Ansammeln von Gold bedacht ist. Ebenso ungünstig beurteilt er die Minister, die den Kaiser in Unkenntnis hielten und von den Staatsangeigenheiten abzulenken suchten. Die Verhandlungen an der Grenze in der Nähe des Flusses Bura zogen sich noch einige Monate hin und endeten mit der Unterzeichnung des Vertrages von Kiachta oder Bura im Jahre 1727. Nach gemeinsamer Besichtigung der Grenze durch Ragusinski und die chinesischen Bevollmächtigten Tschabina, Tegut und Tulischen (Vertreter des Li-fan-yüan, des „Hofes für die Verwaltung der Grenzmarken" in Peking) wurden Kommissare zur Aufstellung von Posten und Grenzpfählen entsandt. Außer den erwähnten Beamten nahmen auch mongolische Fürsten an den Verhandlungen teil, und zwar der Sain Noyan Khan Efu 8 ) 7 8

) S. Solowjew, Geschichte Rußlands, Bd. IV, S. 1137. ) Das Mandschuwort Efu bedeutet „Eidam", nämlich des Kaisers.

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Oering, der Cecen Khan Galdan, und ein Taidji des Jasaktu Khans, Rabtan. Beide Seiten überreichten einander Dokumente, welche die Grenzzeichen festlegten. Als Grenzort zwischen China und Rußland war eine Siedlung am Flusse Kiachta festgesetzt, wo auf dem nördlichen Ufer des Flusses ein russischer Posten und auf dem südlichen ein chinesischer Posten aufgestellt wurde; in der Mitte zwischen diesen beiden Punkten sollte der Grenzhandel stattfinden. Die russischen und chinesischen Kommissare, die mit der Grenzlegung beauftragt waren, hatten folgende Instruktionen erhalten: „Falls sich in der Nähe der russischen und mongolischen Gebiete irgendwelche Bergrücken oder Flüsse befinden, sollen diese als Grenzen angesehen werden; dort hingegen, wo weder Bergketten oder Hügel noch Flüsse vorhanden sind und Steppen sich hinziehen, soll das Land gleichmäßig an beide Reiche zugeteilt werden." Dank dieser recht unklaren Weisung gingen das Bassin des Yenissei und das Uriyanghai-Gebiet, welche seit Altan Khan von Moskau abhängig gewesen waren, in den Besitz Chinas über. Die Schilderung dieses historischen Ereignisses wird in dem offiziellen Bericht des Grafen Sawa Wladislawitsch Ragusinski also wiedergegeben: „Die gegenseitige Überreichung dieser Verträge fand auf folgende Weise s t a t t : die drei chinesischen Würdenträger hatten sich von ihren Sitzen erhoben und der Gesandte, der rechts stand, händigte dem angesehensten von ihnen, Cering Wang 9 ), den Hauptvertrag aus, der in russischer und lateinischer Sprache geschrieben, eigenhändig unterzeichnet und gesiegelt und vom Sekretär Glasunow beglaubigt war; gleichzeitig überreichte Cering Wang die Verträge in mandschurischer f lateinischer und russischer Sprache, die aus Peking geschickt und mit dem Siegel des Kaisers und einer Anmerkung des Li-fan-yüan versehen waren. Beigefügt war ein Schreiben, in dem auf einen Irrtum im russischen Vertrage hingewiesen wurde. Darauf verneigten sie sich gegenseitig und umarmten sich, indem sie sagten: „Möge Gott unseren Monarchen Gesundheit und Glück gewähren, den Untertanen Freude und ewigen Frieden!" Diese Worte sprachen alle anwesenden Offiziere und Führer beider Parteien nach. Einige von ihnen weinten vor Freude und die mongolischen Vertreter, deren militärisches und geistliches Gefolge über 300 Personen zählte, wunderten sich, daß die Chinesen so bald ihren Hochmut vergessen und nicht in ihrem eigenen, sondern im russischen Lager die Verträge gewechselt hätten. Darauf folgte eine Bewirtung mit Wein, Festmahle und Besuche; Geschenke wurden jedoch nicht überreicht, was beiderseits für nicht zweckmäßig erachtet wurde." Der Inhalt dieses Hauptvertrages, welcher der Gegenstand so vieler Streitigkeiten und Widerstände auf den in Peking und an der Grenze im Laufe von drei Jahren stattgefundenen 58 Konferenzen gewesen war, bestand aus nachstehenden elf Paragraphen: 1) Zwischen beiden Reichen soll ein unerschütterlicher und ewiger Friede sein. 2) Alle stattgehabten Unstimmigkeiten sollen vergessen sein und alle Überläufer sollen künftighin ausgeliefert werden. 3) Die Abgrenzung.der Gebiete 9

) Das chinesische Wort Wang bedeutet „Prinz".

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zwischen dem russischen Reiche und dem mongolischen Gebiete sollen nach der festgesetzten Beschreibung erfolgen (Vertrag von Bura). 4) Die Kaufleute sollen abgabenfrei sein und alle drei Jahre soll eine Karawane nach Peking kommen, um dort zollfreien Handel zu pflegen; der ständige Handel soll auf beiden Ufern der Kiachta und bei Nertschinsk stattfinden. 5) Ein Gesandtschaftsund Handelsgebäude sowie eine Kirche griechisch-orthodoxen Glaubens sollen auf Kosten des Kaisers von China gebaut werden, in der Kirche soll der christliche Gottesdienst zugelassen sein. Für den Gottesdienst werden vier Geistliche russischer Nationalität (im Vertrage „Lamas" genannt) und sechs Schüler zum Studium der mandschurischen und chinesischen Sprache auf Kosten des Zaren unterhalten. An der Spitze dieser Geistlichen steht der Erzbischof Antoni Platkowski. 6) Den Briefwechsel über Staatsangelegenheiten führt der russische Senat mit dem die äußeren Angelegenheiten bearbeitenden Tribunal (Li-fanyüan) oder die Grenz-Wojewoden mit dem Tusiyetu Khan. Die Kuriere gehen mit Ausweisen über Kiachta. 7) Die östlichen Gebiete des Flusses Uda und der Steinernen Berge sollen bis auf weiteres ohne Grenze bleiben. 8) Die Grenzbehörden beider Staaten sollen alle Angelegenheiten rasch und gerecht erledigen. 9) Über den Empfang und den Unterhalt der eintreffenden Gesandten und Kuriere. 10) Überläufer sollen an dem Orte, wo sie gefangen werden, hingerichtet und Personen, die eines Diebstahls überführt werden, je nach der Bedeutung des Verbrechens bestraft werden. 11) Nach Austausch dieses Vertrages sollen Abschriften von ihm an alle Grenzbewohner gegeben werden. In Ausführung des Vertrages werden russische und chinesische Kaufleute aus Urga nach Kiachta und aus Naun nach Curahaitu übergeführt werden, damit sie in den neuaufgeführten Siedlungen, jeder an seiner Grenze, Handel treiben können. — Die Anordnung der Überführung der russischen Kaufleute aus Urga nach Kiachta beweist, daß bereits zu jener Zeit, d. h. Anfang des 18. Jahrhunderts, in Urga eine russische Kolonie bestand 10 ). Im Bericht an den Zaren Peter II. über den Abschluß des Vertrages von Kiachta scheibt Sawa Wladislawitsch Ragusinski den Erfolg der Verhandlungen folgenden Gründen zu: die Chinesen waren mit seiner Ankunft sehr zufrieden, da er ihnen mitteilte, daß er gekommen sei, um den Kaiser Yung Cheng (1722— 1736) zur Thronbesteigung zu beglückwünschen. Ragusinski nimmt an, daß er anders wohl kaum in Peking Einlaß gefunden hätte. Diese Aufmerksamkeit schmeichelte dem Ehrgeiz der Chinesen und erleichterte das Zusammenkommen. Als Ragusinski noch in Sibirien war, richtete er an die Chinesen verschiedene Forderungen, die ihm eine feste Position in Peking sicherten. „Ich stellte ihnen vor, daß Rußland ihre Kränkungen bisher nur deshalb ertragen hätte, weil es drei Kriege — den schwedischen, türkischen und persischen geführt hätte, die alle siegreich geendet hätten, und jetzt einen Gesandten nach Peking schicke zur Erwerbung von Freundschaft und Wohlwollen." Der Erfolg der Verhandlungen wurde auch durch das freundschaftliche Verhalten der Jesuiten gefördert. Der russische Gesandte beschenkte die Je10

) S. Solowjew, Geschichte Rußlands, Bd. IV, S. 1139.

K o r o s t o v e t z , Mongolei.

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suiten mit Pelzwaren und sicherte sich damit die Unterstützung einflußreicher Beamter in Peking. Dank der Einmischung der letzteren gelang es, den hauptsächlichsten Widersacher, den Würdenträger Langgot, von den Verhandlungen fernzuhalten; er wurde plötzlich nach Peking abberufen. Die übrigbleibenden beiden Beamten erwiesen sich als umgänglicher. Außerdem erhielt Ragusinski die Unterstützung des mongolischen Fürsten, der von den Chinesen sehr geachtet wurde. Auf die Nachgiebigkeit der Chinesen hatte auch das Eintreffen des Tobolsker Regiments an der Grenze, der Bau der Festung auf der Tschikoiskaja Strelka und endlich die Zuverlässigkeit der tributpflichtigen Grenzeingeborenen einen großen Einfluß. Über den Handel mit China sagt Sawa Wladislawitsch Ragusinski, daß russischerseits große Mißbräuche stattgefunden hätten, die gerechte Klagen der Chinesen zur Folge hatten. So schickten die Wojewoden und Grenzbeamten ihre Leute zum Handel und zur Erledigung privater Angelegenheiten nach China, nannten sie in den Ausweisen Gesandte und verlangten entsprechenden Schutz, Verpflegung und Fahrgelegenheiten. In den staatlichen Karawanen, die Rauchwaren für den Verkauf an die Chinesen brachten, wurden oft geräucherte Zobel, d. h. gelbe Zobel, als Ersatz für schwarze Zobel gefunden. Die Zollbeamten behielten die schwarzen Zobel für sich und lieferten die weniger wertvollen gelben an den Staat ab. Ein solcher Betrug schädigte natürlich den Ruf Rußlands und diskreditierte die Russen in China u ) . Trotz der Feststellung der Grenzen durch den Vertrag von Kiachta und trotz der strengen Strafen, die auf Grenzverstöße gesetzt waren, kamen die Mongolen doch auf die russische Seite hinüber und riefen dadurch ständige Streitigkeiten zwischen den sibirischen und chinesischen Behörden hervor. Um diese Frage zu regeln und die Gesandtschaften von Golowin und Ragusinski zu erwidern, schickten die Chinesen eine Mission mit dem Würdenträger Tulischen an der Spitze, die im Jahre 1731 zur Regierungszeit der Kaiserin Anna Joanowna in Petersburg eintraf. Dies war die zweite diplomatische Mission Tulischens, der schon im Jahre 1712 von K'ang Hi nach Rußland geschickt worden war, um den Khan der Torguten zu bereden, mit seiner Horde nach China zurückzukehren. Diese Aufgabe wurde von Tulischen glänzend gelöst. Die Ankunft der Chinesen wurde von den traditionellen diplomatischen Liebenswürdigkeiten begleitet, zeitigte jedoch keinerlei Erfolg. „Der russische und der chinesische Hof", schreibt Bantysch-Kamensky, „lösten durch diese Gesandtschaft die gegenseitigen Streitigkeiten, setzten an ihre Stelle das gute Einvernehmen und ließen scheinbar keinen Platz für Mißverständnisse. Die unruhigen Mongolen aber machten den Grenzbehörden durch ihren Übertritt auf russisches Gebiet ständig zu schaffen. Zwar verzogen sie sich gelegentlich gutwillig in ihre Gebiete; es kam jedoch vor, daß sie entgegneten, sie würden, selbst wenn sie hingerichtet und ihre Körper über die Grenze geworfen werdea sollten, niemals freiwillig in die Mongolei zurückkehren. Viele der Mongolen, ja fast alle, n

) S. Solowjew, Die Geschichte Rußlaads, Bd. IV, S. 1139.

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wollten zu Rußland übergehen und, wenn die früheren 2142 Jurten nicht ausgewiesen worden wären, so hätten schon 10 000 Jurten die Grenze überschritten. Ihnen den Übertritt zu gewähren, ist unmöglich infolge des Vertrages mit den Chinesen sowie wegen der Instruktionen und auch infolge des Mangels an Menschen, da niemand da ist, der sie in Zucht hielte, und auch keine regulären Truppen vorhanden sind. Hierzu genügten fünf Infanterieregimenter und ein Dragonerregiment, dann würden alle Mongolen unter der Herrschaft Ihrer Majestät sein. Wenn künftighin der mongolische Prinz Kontaischa die Chinesen verdrängen wird, so wird es uns unmöglich sein, aus Mangel an Menschen die Überläufer abzuhalten, weil die mongolischen Gebiete groß und an Menschen reich sind, an russischen regulären Truppen jedoch nur ein Infanterieregiment und eine Kompagnie Dragoner vorhanden sind. An Tungusen und Bauern, die treu zu Rußland halten, sind nur 5000 Mann vorhanden." Die Übersiedelung der Mongolen nach Sibirien nahm besonders während der Kriege der Chinesen mit den Dsungaren zu. So siedelte im Jahre 1757 der Dsungarenfürst Amursana mit 4000 Tributpflichtigen nach Sibiren über und wurde trotz des Protestes Chinas als russischer Untertan aufgenommen. Die Forderung der Chinesen, die Überläufer auszuliefern, wurde dahin beantwortet, daß die Dsungaren ein selbständiges Volk seien und das Asylrecht in Rußland beanspruchen dürften. Außerdem verwies die russische Regierung auf den Übertritt von 20 000 Jurten der Torguten aus Rußland nach der Dsungarei, die ihm tributpflichtig gewesen waren und deren Auslieferung China verweigert hatte. Die Chinesen bestanden jedoch auf der Herausgabe Armursanas als eines Verbrechers und Verräters und behaupteten, daß die russische Weigerung einen Verstoß gegen den Vertrag bedeute. Der Hinweis darauf, daß politische Emigranten nicht gewöhnlichen Flüchtlingen gleichzustellen seien, ist von China niemals anerkannt worden und ein Gegenstand endloser Streitigkeiten geblieben. Überhaupt verhielt sich China den Beziehungen der russischen Regierung zu den Mongolen gegenüber mißtrauisch und fürchtete den Übergang dieser Stämme auf die Seite Rußlands. Deshalb war die chinesische Politik ständig bestrebt, die Zwistigkeiten zwischen Rußland und den Mongolen aufrecht zu erhalten und die Herstellung einer unmittelbaren Annäherung mit den mongolischen Stämmen zu verhindern. Sobald die Chinesen sahen, daß die Beziehungen mit den Mongolen einen zu intimen Charakter annahmen, drohten sie mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen oder trafen Maßnahmen, um dem russisch-mongolischen Handel Schwierigkeiten entgegenzusetzen. Anfang der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts spitzten sich die Beziehungen Rußlands zu China besonders wegen der Mongolen dermaßen zu, daß sogar die Möglichkeit eines militärischen Zusammenstoßes erwogen wurde. In dieser Beziehung ist die Abhandlung des Professors Müller von der Petersburger Akademie der Wissenschaften, die im Jahre 1763 verfaßt wurde, besonders interessant. Die notwendigen Maßnahmen im Falle eines Krieges mit China behandelnd empfiehlt er, sich auf die Mongolen zu stützen und den Hutuktu zu veranlassen, russischer Staatsangehöriger zu werden. In der Voraussicht der 6*

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Möglichkeit eines solchen Schrittes seitens des Hutuktus hatte die Pekinger Regierung unter dem Vorwande der Dsungarengefahr den Heiligen nach Dolon Noor versetzt. Darum sollte dem Hutuktu und seinen Anhängern Schutz vor den Chinesen angeboten und der Schutz der Religion sowie die Befreiung von Steuern versprochen werden. „Dieses Manifest", schrieb Müller, „muß an den Hutuktu, alle Khane und die übrigen einflußreichen Mongolen adressiert werden." Im Manifest sollte darauf hingewiesen werden, daß die Mongolen unter Cinggis Khan ein großes Volk gewesen wären und sich nunmehr in der Knechtschaft der Chinesen befänden; sie könnten diese Knechtschaft mit Unterstützung der Russen abschütteln. In einer andern Abhandlung vom Jahre 1764 bezeichnet Müller anläßlich der Entsendung einer Gesandtschaft nach China folgendermaßen die chinesischmongolischen Beziehungen: „Der Grund für die Unzufriedenheit der Mongolen mit den Chinesen liegt, trotzdem jene keinerlei Tribut zahlen und sogar vom chinesischen Hofe Geschenke erhalten, darin, daß das Volk unter den häufigen Reisen der chinesischen Kuriere leidet. Besonders häufig wurden diese Klagen in den Jahren 1730—1734 laut, als die Chinesen mit den Kalmücken Krieg führten. Von der Zeit an sind diese Reisen immer häufiger geworden. Wenn es gelingen sollte, die Mongolen auf die russische Seite zu bringen, so würden die Chinesen im Kalmücken-Gebiete von China abgeschnitten werden und auf alles eingehen müssen, was Rußland fordert." 12) Der Vertrag von Kiachta bestand eine geraume Zeit und diente als Grundlage für die späteren Übereinkommen mit China. Obgleich das Bedürfnis nach einem neuen Vertrage sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts bemerkbar machte, wich die von inneren Angelegenheiten in Anspruch genommene chinesische Regierung einer Wiederaufnahme der Verhandlungen aus, vielleicht aus Furcht, daß diese ähnliche Ansprüche seitens anderer Mächte zur Folge haben könnte. Die mit der Zeit entstehenden und im Vertrage nicht vorgesehenen Fragen wurden praktisch gelöst, die Unstimmigkeiten und Streitigkeiten an Ort und Stelle von den Grenzbehörden geregelt und nur in den äußersten Fällen nach Petersburg oder Peking gemeldet. Der dort nicht vorhandene diplomatische Vertreter Rußlands — die Chinesen lehnten hartnäckig die Zulassung eines solchen ab — wurde durch den Chef der russischen geistlichen Mission ersetzt, die nach dem Vertrage von Kiachta in der chinesischen Hauptstadt gegründet worden war. Auf diese Weise entstanden neben den vertragsmäßigen Anordnungen aus der Praxis entstandene Regeln und Gebräuche, die ebenso unerschütterlich waren, als wenn sie mit Hilfe von internationalen Traktaten eingeführt worden wären. Erst viel später, und zwar in den Jahren 1768 und 1792, wurden Ergänzungsabkommen zur Klarstellung einiger im Vertrage von Kiachta nicht vorgesehenen Fragen geschlossen. Das erste von diesen wurde vom bevollmächtigten Kommissar Kropotow mit dem chinesischen Amban (Residenten) und mongolischen Beamten unterzeichnet. Es ist bekannt unter dem Namen „Ergänzungsparall

) N. Bantych-Kamensky, Diplomatische Beziehungen zwischen Rußland und China S. 399.

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graphen zum Vertrage von Kiachta" und enthält Verordnungen über die Änderung der Grenze, über das gemeinsame Gerichtsverfahren der Grenzbehörden und die Verfolgung von Flüchtlingen und Verbrechern. Gericht und Strafverfahren müssen von jedem Staate nach den eigenen Gesetzen erfolgen und zwar: „Der Verbrecher des Reiches der Mitte wird mit der Peitsche, derjenige des russischen Reiches mit dem Stocke gestraft." In diesem Übereinkommen ist außerdem ein Paragraph über das Verbot der Grenzüberschreitung und über die Aufhebung der Zölle in Kiachta und Curuhaitu enthalten. Ein ähnliches privates Abkommen wurde im Jahre 1792 vom Irkutsker Gouverneur, dem General Nagil, ebenfalls mit dem Amban und den mongolischen Fürsten geschlossen. Im Vertrage ist die Rede von der Überwachung des Handels und der Kaufleute in Kiachta und von der Ergreifung von Maßnahmen gegen die Burjäten und Haryaten (mongolische Stämme), um diese in Zucht und Ordnung zu halten. Außerdem ist in ihm die gemeinsame Regelung der Grenzangelegenheiten durch russische und mongolische Beamte vorgesehen. Nach diesem Übereinkommen ging der Handel seinen geregelten Weg, ohne weitere Erörterungen hervorzurufen. Das Bedürfnis nach einer neuen Regelung des Warenaustausches und der Grenzbeziehungen machte sich erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts bemerkbar, als die Entwicklung des Handels, den Westsibirien mit den benachbarten chinesischen Gebieten Iii und Tarbagatai führte, im Jahre 1851 den Vertrag von Kuldscha nötig machte. Auf Grund dieses Vertrages, der vom russischen Bevollmächtigten, dem Obersten Kowalewski, mit dem Gouverneur des Iii-Gebietes, dem Prinzen I-shan, abgeschlossen wurde, war der zollfreie Handel zu denselben Bedingungen wie in Kiachta in den Gebieten von Iii und Targabatai gestattet. Die russischen Kaufleute erhielten das Recht, Grund und Boden zu kaufen und Häuser und Lagerräume zu Kuldscha und Tschugutschak an den für den Handel angewiesenen Stellen zu errichten. Die allgemeine Aufsicht über die russischen Untertanen und der Handel wurde Konsuln anvertraut. Handelskarawanen wurden zwischen dem 25. März und dem 25. Dezember zugelassen, wobei sie auf chinesischem Gebiete unter chinesischem Schutz und unter der Führung eines Karawan-Bakschi gehen mußten, welcher die Ordnung überwachte und dem Grenzposten seinen Ausweis vorzeigte. Beim Verkauf russischer Hammel konnte der chinesische Beamte von je zehn einen behalten und dafür ein Stück Leinwand geben 13). Das nächste Abkommen zwischen Rußland und China war der Zeit nach der im Jahre 1858 zu Aigun geschlossene Vertrag. Nach diesem Vertrage verpflichtete sich China, das linke Ufer des Amur an Rußland zurückzugeben, russische und chinesische Schiffe auf den Flüssen Amur, Sunggari und Usuri zuzulassen und den russischen Kaufleuten das Recht des Handels mit den Uferbewohnern zuzugestehen. Dieser Vertrag, der das Recht Rußlands im Amurund Usuri-Gebiet wiederherstellte, wurde russischerseits vom Generalgouverneur 18 ) Sammlung der Verträge zwischen Rußland und China von 1689 — 1881. gegeben vom Ministerium des Auswärtigen, Petersburg 1889.

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Ostsibiriens, Murawjew, und dem Beamten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten Perowski, chinesischerseits von dem Bevollmächtigten, Prinzen I-shan, und dem Divisionskommandeur Jiramingga unterzeichnet. Im selben Jahre 1858 wurde zwischen Rußland und China in Tientsin ein anderer Vertrag geschlossen, der die Hafenstädte Chinas dem russischen Handel öffnete. Dieser Vertrag, der vom Chef des russischen Geschwaders des Stillen Ozeans, dem Admiral Grafen Putjatin, mit den Würdenträgern Kuei-liang und Hua-sha-na unterzeichnet wurde, ist eine Wiederholung ähnlicher Übereinkommen, wie sie zwischen China und Frankreich sowie China und England nach den Kriegen mit diesen Staaten unterzeichnet worden waren. Im vorliegenden Falle nutzte Rußland nur die Rechte und Vorrechte aus, die den anderen Seemächten im Seehandel gehörten, wie die Erschließung einiger chinesischer Häfen und die Zulassung ausländischer Staatsangehöriger und kaufmännischer Firmen dorthin. Rußland erhielt ebenso wie die genannten Staaten das Recht, in China einen ständigen Gesandten und Konsuln zu haben, das Recht der gerichtlichen Exterritorialität, d. h. die Ausschließung der russischen Staatsangehörigen von der chinesischen Rechtsprechung, sowie das Recht des gemischten Gerichtsverfahrens. Praktisch war die Lage Rußlands dank der Meistbegünstigungsklausel der Lage der übrigen Mächte gleich. Die Punkte des Vertrages von Tientsin wurden erweitert und ergänzt in dem 1860 vom russischen Gesandten in Peking, dem Grafen Ignatjew, mit dem Prinzen Kung geschlossenen Vertrage. Der Vertrag bestätigte die territorialen Zugeständnisse, die China nach dem Vertrage von Aigun gemacht hatte. Ebenfalls bestätigt wurde das Recht Rußlands, zollfreien Handel an der Grenze und in der Mongolei zu treiben; auch wurde den russischen Kaufleuten erlaubt, mit Ausweisen der Grenzbehörden nach Kaigan und Peking zu reisen. Die Zahl der russischen Kaufleute an einem bestimmten Punkte durfte 200 Mann nicht übersteigen. Die chinesischen Kaufleute erhielten das Recht, in ganz Rußland Handel zu treiben. Ein neuer Schritt auf dem Wege der Entwicklung des Handels im westlichen China war die Eröffnung eines russischen Konsulats in Kaschgar und die Einrichtung einer monatlichen Postverbindung zwischen Kiachta und Peking. Der angeführte Vertrag wurde noch genauer geregelt in den „Regeln für den Überlandhandel", die im Jahre 1862 unterzeichnet worden sind. Dieser Vertrag wurde vom russischen Gesandten in Peking, Baljusek, mit dem chinesischen Tsungli-Yamen (Auswärtigem Amt) unterzeichnet. In ihnen war das Recht des zollfreien Handels längs der Grenze auf einer Strecke von 100 Li, d.h. 50 Werst, nach beiden Seiten der Grenze hin gestattet; in der Mongolei wurde die Richtung der Karawanen aus Rußland nach Tientsin und umgekehrt festgelegt und zwar über Kaigan, Dumba und T'ung-chou. Die aus Tientsin eintreffenden russischen Waren erfuhren eine Vergünstigung insofern, als sie nur mit % des europäischen Tarifes verzollt wurden. Dieselben Waren, die aus Tientsin in andere* Häfen übergeführt wurden, zahlten das restliche Drittel nach. Im Falle eines Transportes innerhalb des Landes wurde für sie noch ein

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Transitzoll bezahlt. Bei der Erhebung von Zöllen auf Waren, die in europäischen Tarifen angeführt sind, wurden 5% ihres Wertes erhoben. In den Häfen wurden die Russen den Regeln unterworfen, die für den ausländischen Seehandel galten. Die Rückgabe des Iii-Gebietes an China, das von russischen Truppen im Jahre 1871 infolge der dort entstandenen Unruhen besetzt worden war, hatte die Unterzeichnung des Abkommens vom Jahre 1881 zur Folge 14). Das Abkommen ist in Petersburg vom russischen Minister des Auswärtigen, Staatssekretär Giers, und dem Pekinger Gesandten von Bützow mit dem chinesischen Gesandten Marquis Tseng unterzeichnet worden. Einige Paragraphen sind der Wiederherstellung der chinesischen Regierung im Ui-Gebiet gewidmet, der Klarlegung der Rechte der russischen und chinesischen Staatsangehörigen sowie den Bedingungen der Rückerstattung der Besatzungskosten durch China (9 Millionen Rubel) und den Schadensersatz an die Einwohner. Die hauptsächlichsten Paragraphen der früheren russisch-chinesichen Abkommen, angefangen vom KiachtaVertrag, erfuhren eine Erweiterung, und zwar wurde das Recht Rußlands, Konsuln zu ernennen, auf die Städte Su-chou, Turfan, Kobdo, Uliyasutai, Hami, Urumci und Ku-ch'eng ausgedehnt. Das Recht des zollfreien Handels der Russen in der Mongolei, Iii, Tarbagatai, Kaschgar, Urumci und jenseits des T'ien-shanGebirges bis zur Großen Mauer wurde bestätigt und den Russen gestattet, Land zu kaufen und an den Orten zu bauen, wo Konsulate errichtet waren. Der Überlandhandel mußte nach den beigefügten Regeln, der Seehandel entsprechend den für den Seehandel festgesetzten Paragraphen vor sich gehen. Im Vertrage war die Einführung eines Zolltarifes vorgesehen; in diesem Falle sollten beide Seiten zu einem Übereinkommen gelangen, indem sie als Grundlage den 5% Zoll des Wertes annahmen. Endlich wurde im Vertrage das Recht der Schiffahrt der Staatsangehörigen beider Staaten auf den Flüssen Amur, Sunggari und Usuri bestätigt. Die dem Vertrage beigefügten Regeln für den Überlandhandel enthielten die genaue Regelung des russisch-chinesischen Warenumsatzes, die Rechte und Pflichten der Händler, wobei das Recht des zollfreien Handels in der Mongolei und im Gebiete des T'ien-shan-Gebirge bestätigt wurde und die Karawanenwege für die Ein- und Ausfuhr der Waren nach China bestimmt waren. Weiter waren Paragraphen über Zölle in Tientsin, Su-chou, Kuei-hua-ch'eng, Kaigan und auf den inneren Märkten enthalten, wo die russischen Waren den für den ausländischen Handel geltenden allgemeinen Regeln unterworfen sind, d. h. auch Transitzoll bezahlen. Überhaupt wurden von den nach China oder von dort her von Russen aus- oder eingeführten Waren Zölle nach dem allgemeinen Tarif des Jahres 1862 erhoben. Von den in diesen Tarifen nicht angeführten Waren sollte ein 5% Zoll ihres Wertes erhoben werden. Im Vertrage wurden die Gegenstände aufgeführt, die zur zollfreien Ein- und Ausfuhr zugelassen sind, und zwar: Gold und Silber in Barren, ausländische Münzen, Mehl und Mehlerzeugnisse, 11 ) Sammlung der Verträge zwischen Rußland und China von 1689 — 1881, herausgegeben vom Ministerium des Auswärtigen, Petersburg 1889.

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Butter, Käse, Lebensmittel, Spirituosen, Juwelier- und Teppicherzeugnisse, Heilmittel, Tabak und Kosmetik, Glas und Holz. Nicht zugelassen zur Ein- und Ausfuhr wurden Waffen, Munition, Salz und Opium. Der Petersburger Vertrag und die Regeln für den Überlandhandel waren auf eine zehnjährige Frist geschlossen und mit dem Recht für jede Seite, rechtzeitig Veränderungen anzusagen. Beide Regierungen haben sie jedoch so befriedigend gefunden, daß sie es fast 30 Jahre lang nicht für nötig gehalten haben, Änderungen zu treffen. Fiskalische Gründe veranlaßten die Pekinger Regierung im Jahre 1909, eine Revision des Vertrages zu verlangen. Die in Petersburg begonnenen Verhandlungen wurden von Anfang an durch das willkürliche Auftreten der Chinesen kompliziert, welche den zollfreien Handel in Westchina aufhoben und der Gründung von Konsulaten dort Schwierigkeiten bereiteten. Die weitere Entwicklung dieser Frage ist im Zusammenhange mit den Ereignissen beschrieben, welche Rußlands Einmischung in die mongolischen Angelegenheiten herausforderten.

Kapitel IX. Das Äußere und der Charakter der Mongolen. Lebensweise und Gewohnheiten. Kleidung und Speisen. Die mongolische Gastfreundschaft. Die Verbreitung der Krankheiten. Die Ehe und die Stellung der Frau. Hochzeitsgebräuche. Patriarchalische Sitten und lockere Geschlechtsmoral. Die Bestattung der Toten.

Das Äußere der Mongolen, besonders der südlichen und östlichen, erinnert an das der Chinesen. Beide haben dieselben breiten Backenknochen, schmalen Augen, olivfarbene Haut und schwarzes, strähniges Haar. Der Mongole hat ebenso wie der Chinese kleine Hände und Füße. Die Mongolen tragen mit Ausnahme der kahlrasierten Lamas Zöpfe, was die Ähnlichkeit der beiden Völker noch mehr verstärkt. Die südlichen Mongolen haben regelmäßige Gesichtszüge, die an den kaukasischen Typus erinnern. Trotz der jahrhundertelangen Nachbarschaft mit den Chinesen haben die Mongolen ihre sozialen und Rasseeigenheiten in reiner Kultur erhalten, so das Hirtendasein, die Lebensweise und die Sprache, und haben von den kulturell höherstehenden Nachbarn nur einige religiöse Gebräuche, die Beamtenhierarchie und Gesetzgebungen übernommen. Die Lebensauffassung des Chinesen ist durch eine Routine alter Gebräuche, Dogmen und Regeln fixiert, die von seinen Gesetzgebern, Philosophen und Weisen festgelegt sind und willkürliche Abweichungen ausschließen. Die Mongolen sind dagegen freie Söhne der Steppe, die sich nur den Forderungen der Natur, der Religion und der volkstümlichen Sitten und Traditionen unterwerfen. Die Chinesen haben keine Kasten und keine sozialen Schichten, die durch Berufe, gelehrte Grade und Dienstrang ersetzt werden. Das mongolische Volk ist dagegen in soziale Gruppen geteilt, an deren Spitze

Der Haupttempel des Gandan-Klosters bei Urga,

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erbliche Fürsten und Adelsgeschlechter stehen. Die Ähnlichkeit beider Völker äußert sich in der gemeinsamen buddhistischen Religion, dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und in dem Aberglauben, der im Urmenschentum wurzelt. So glauben die Mongolen wie die Chinesen an gute und böse Geister und an das Feng-shui, den Einfluß geomantischer Kräfte auf das Schicksal der Menschen 1 ). Der Unterschied besteht nur darin, daß die Chinesen die Verstorbenen ehren und die Ahnen vergöttern, indem sie zu deren Ehren Tempel und Denkmäler aufführen, während die Mongolen ihre Toten unbeerdigt lassen und den Hunden und Raubvögeln zum Fräße aussetzen. Trotzdem ist der Mongole religiöser als der Chinese, welcher zum Atheismus neigt. Während meiner Unterhandlungen mit den Fürsten verwiesen diese sofort auf die „Gelbe Lehre", d. h. den Lamaismus, der in ihren Augen etwas Unwiderrufliches und für den Menschenverstand Unerschwingliches ist. Das Nomadenleben, die Abhängigkeit von der Natur und das Fehlen erzwungener Arbeit hat im Mongolen den Fatalismus und die Sorglosigkeit entwickelt, die mitunter an vollständige Gleichgültigkeit den eigenen Interessen gegenüber grenzt. Der Mongole sorgt sich nur selten über die Zukunft und ist nicht bemüht, seine materielle Lage zu verbessern, indem er beides dem Schicksal überläßt. Der Mongole ist ebenso wie der Chinese selbstbewußt und liebt keine Vormundschaft, ist aber gleichzeitig gutmütig, zutraulich und faul und unterscheidet sich in dieser Beziehung vom verschlossenen, mißtrauischen und arbeitsamen Chinesen, der rastlos nach Ansammeln von Reichtümern strebt. Die nationale Verschlossenheit des Chinesen und seine Verachtung den übrigen Völkern gegenüber sind dem Mongolen fremd, der dem Ausländer gegenüber nichts von Vorurteilen weiß und sogar die Vorzüge der Europäer anerkennt. Es muß hier betont werden, daß in dieser Beziehung die Psychologie der Mongolen unter dem Einfluß der letzten Ereignisse in Kalka eine gewisse Veränderung erfahren hat. Die Abtrennung von China im Jahre 1911 schwächte die Stellung der Chinesen und stärkte das Prestige der Russen. Die Verfolgungen der Russen, die im Jahre 1918/19 bei der Wiederherstellung der chinesischen Macht (Aufhebung der Autonomie und der Verträge mit Rußland) stattfanden, lösten die entgegengesetzte Wirkung aus. Die kurze Herrschaft der russischen „Weißen Partisane" unter dem Oberbefehl des Barons von Ungern-Sternberg im Jahre 1920 hatte scheinbar das Gleichgewicht zwischen den beiden konkurrierenden Parteien wiederhergestellt. Der danach in Urga stattgehabte Umsturz und die Aufrichtung der Sowjetgewalt, welche die Verfolgung der Chinesen, der russischen Bourgeoisie und der mongolischen Fürsten aufnahm, warf die Karten endgültig durcheinander. Im Ergebnis hörten die Mongolen unter dem Einflüsse der bolschewistischen Propaganda und unter dem Eindruck, daß die Russen ungeachtet der gemeinsamen Gefahr vor den Chinesen sich gegenseitig verMit dem Ausdruck Feng-shui, d. h. „Wind und Wasser", bezeichnet man in China die geomantischen Einflüsse und Kräfte eines bestimmten Ortes. Dieser Aberglauben stützt sich auf die naturphilosophischen Spekulationen des Taoismus, der Lehre vom gesetzmäßigen Geschehen in der Natur.

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nichteten, überhaupt auf, mit dem Auslande zu rechnen. Die revolutionäre Propaganda hatte das nationale Selbstbewußtsein der Mongolen geweckt, gleichzeitig aber auch die wilden Instinkte dieser Rasse, die bis dahin von Jahrhunderte währenden sozialen und religiösen Einschränkungen gehemmt gewesen waren. Die frühere Ehrerbietung und Kriecherei vor den Höherstehenden und Älteren, besonders aber vor den Ausländern, wurde von einer allgemeinen Zügellosigkeit, die noch durch die Unbildung vertieft wurde, verdrängt und verwandelte den gutmütigen und gutwilligen Nomaden in ein besonders gefährliches Wesen. Nun will ich die Mongolen beschreiben, wie ich sie in Urga angetroffen habe. Die scheinbar seit Cinggis Khan wenig veränderte Kleidung des Mongolen ist malerisch und den Lebensbedingungen des rauhen Klimas der mongolischen Hochebene gut angepaßt. Der Mongole trägt einen Terlik, d. h. einen Rock aus Dalyamba (Baumwollstoff) oder aus Seide mit langen Ärmeln, die während der Winterfröste die Handschuhe ersetzen, breite Stoff- oder Pelzhosen und Gutul, d. h. Lederstiefel mit breiten Schäften und nach oben gebogenen Spitzen. Als Kopfbedeckung dient ein Filzhut ähnlich dem der Chinesen, der mit Fuchsoder Zobelfell ausgelegt und mit einer Feder oder roten und gelben Bändern geschmückt ist. Die Mützen der Fürsten und höheren Beamten sind ebenfalls den chinesischen ähnlich; die Amtshüte sind auch mit Rangknöpfen und Pfauenfedern geschmückt. Die Mütze bedeckt nur den Hinterkopf und wird mit Hilfe von unter dem Kinn zusammengebundenen Schnüren festgehalten. Während der Fröste stülpt sich der Mongole eine nach oben zugespitzte Mütze mit dem Pelz nach innen über, die den ganzen Kopf und den Hals bedeckt. Den Körper schützt er durch einen gelben oder weißen Schafspelz. Die Pelze reicher Leute sind mit grellfarbigem Stoff, Seide oder Wildleder überzogen. Als Erkennungszeichen dienen bei Fürsten und Beamten die Federn und Rangknöpfe auf der Kopfbedeckung, Stickereien auf der Jacke, Armspangen und lange Ketten aus Knochen, Holz, Horn, Korallen, Glas, Nephrit (Jade), u.a., ähnlich denjenigen, die von den chinesischen Mandarinen in der Kaiserzeit getragen wurden. Außerdem tragen fast alle Mongolen am Halse irgend ein Amulett, das gegen den bösen Blick oder sonstiges Unheil helfen soll. Ein Tabakbeutel, eine kurze Pfeife im Stiefelschaft, ein Messer in der Scheide, das zusammen mit dem Geldbeutel im Lederriemen getragen wird, und ein Rosenkranz vervollständigen die Kleidung des Mongolen, sowohl des Fürsten als auch des „Hara kümün", des einfachen Mannes. Die Kleidung der Mongolenfrau unterscheidet sich wenig von derjenigen ihres Gebieters: derselbe Oberrock oder Halat in Form eines breiten langen Hemdes, nur mit hohen Achselstücken, und ebensolche plumpe „Gutul" an den Füßen. Der Halat wird auf der rechten Schulter geknüpft und ist an beiden Seiten bis an die Knie geschlitzt. Er wird an der Taille mit einem seidenen Gürtel zusammengehalten. Der hauptsächlichste Unterschied der Frauenkleidung ist der komplizierte Kopfschmuck, der dem russischen „Kokoschnik" oder der Frisur der Mandschudamen ähnlich sieht und mit Nadeln und Anhängseln aus Silber, Korallen und Türkisen geschmückt ist. Um der Frisur Dauer-

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haftigkeit und Glanz zu verleihen, werden die Haare mit einer besonderen Salbe eingefettet. Vornehme Mongolendamen schmücken ihre Frisur mit Perlenketten. Die Mongolinnen lieben ebenso wie die Chinesinnen weiße und rote Schminke und bemalen sich damit ihr Gesicht. Hinsichtlich der Mode spielte in den Augen der Mongolen Peking stets die Rolle von Paris in Europa und chinesische Galanteriewaren, Seide, Stickereien, Kosmetik- und Schmucksachen finden in der Mongolei vorteilhaften Absatz. In den letzten Jahren beginnen die Mongolen und sogar die Mongolenfrauen infolge der russischen Besetzung und der Sowjetpropaganda, sich europäisch zu kleiden. Solche dem Äußeren nach europäisierte Mongolen kann man jetzt nicht nur im Auslande, sondern auch in Urga selbst antreffen. Die gewöhnliche Speise der Mongolen besteht aus Ziegeltee, der mit Fett, Mehl und Milch gekocht wird, einem Brei aus Weizen oder Hirse, Camba, d. h. geröstetem Mehl mit Butter, Käse und saurer Milch. Wohlhabendere verzehren auch Hammelfleisch und zwar immer gekocht, niemals gebraten. In der Speise sind die Mongolen nicht wählerisch und essen selbst das Fleisch krepierter Tiere. Der Mongole ißt das Fleisch mit Hilfe seines Messers, er schneidet es unmittelbar vor den Lippen mit großer Schnelligkeit und Geschicklichkeit ab. Das einzige Gemüse im mongolischen Menü ist der wilde Knoblauch. Andere Gemüse bekommt man nur in Städten dank den chinesischen Gemüsegärten. Zucker wird als Luxus betrachtet und ist nur selten beim Nomaden anzutreffen. Die hauptsächlichste Nahrung besteht aus Milch und deren Erzeugnissen. Aus der Milch der Kühe, Pferde, Ziegen und Kamele bereitet sich der Mongole Kumys, Butter, dicke Milch und weißen Käse, die unter den Namen Curem, Arul, Urum und Tarik bekannt sind, und einen Schnaps Arak oder Airak. Das Geschirr, in dem diese Erzeugnisse zubereitet und gehalten werden, wird niemals gewaschen, was natürlich die Qualität der Erzeugnisse nicht hebt. Das gebräuchlichste Geschirr ist die „Dombo", ein kupfernes Gefäß, das oben bis auf eine kleine Öffnung zum Ausgießen der Flüssigkeit zugelötet ist. Der Airak, d. h. der mongolische Milchschnaps, wird in großen Mengen konsumiert. Überhaupt haben die Mongolen eine Schwäche für Spirituosen und geben sich bei jeder Gelegenheit dem Trünke hin. Im Sommer nährt sich der Mongole hauptsächlich von Milch und Ziegeltee, was Cagan Ede genannt wird, d. h. „weiße Speise". Der Mongole ist sehr gastfreundlich und seine Jurte steht dem Reisenden — ob es ein Fürst oder ein Bettellama ist — stets offen. Die Gastfreundschaft wird teilweise durch die natürlichen Verhältnisse des Landes bedingt sowie durch die Seltenheit, ja den fast völligen Mangel an Wohnstätten. Wenn man durch die Mongolei reist und vor einer unbekannten Jurte stehen bleibt, so kann man überzeugt sein, daß man vom Wirte mit einem freundlichen „Mendu!" (Guten Tag!) oder „Ta sain bainu?" („Geht es Ihnen gut?") begrüßt wird und daß man Gastfreundschaft und sogar, wenn es Abend ist, ein Nachtlager angeboten erhält. Wenn man dies Anerbieten annimmt und keine Furcht vor der schmutzigen Jurte hat, wird man auf den Ehrenplatz, die Filzmatte neben dem Feuer, genötigt und mit Tee oder Airak bewirtet. Der Reisende ist ein Ereignis

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im eintönigen Leben der Wüste und bietet Gelegenheit, Neuigkeiten zu erfahren, da in der glücklichen Mongolei bis zur letzten Zeit noch Telegramme und Zeitungen nur ganz wenig verbreitet waren. Außer Speise und Trank wird der Mongole unbedingt Rauch- oder Schnupftabak aus seiner Tabakdose anbieten. Die Gewohnheit des Schnupfens ist in allen Schichten der Bevölkerung sehr verbreitet und selbst der ärmste Mongole erlaubt sich diesen Luxus. Die Tabakdosen werden in China aus Holz, Glas, Porzellan und verschiedenen Edelmetallen hergestellt. Eine solche Gastfreundschaft ist sehr wertvoll in einem Lande, wo es außer Fürstenresidenzen und Klöstern keine ständigen Wohnstätten gibt, von Gasthäusern gar nicht zu reden, hat aber auch ihre negative Seite, da sie die Bettelei und das Vagabundentum fördert. In der Mongolei gibt es eine zahlreiche Klasse der Bettellamas, deren ganzer Besitz aus einem Holzgefäß für die Speise, einem Messer und einem Stock zum Schutze vor den Hunden besteht. Diese Lamas verbringen ihr Leben in Pilgerfahrten und in Wanderungen zwischen Klöstern und Fürstenjurten. Dies sind typische Parasiten, welche die Menschenfreundlichkeit und die Gottesfurcht ihrer Landsleute ausnutzen. Nicht wenige von ihnen sind Spitzbuben und Pferdediebe. Das Leben in der Jurte läßt einen Schutz vor den in der Steppe wehenden Staubstürmen nur schwer zu. Dieser Umstand entwickelt im Zusammenhange mit dem großen Wassermangel der mongolischen Hochebene bei den Mongolen Unordnung und Unsauberkeit. Der Mongole wäscht sich nur dann, wenn in der Nähe ein Brunnen oder ein Fluß vorhanden ist; die Seife ist bis jetzt in seinem Haushalt eine Seltenheit. Nicht ohne Grund fügen die Chinesen, wenn sie vom Mongolen sprechen, die Bezeichnung „stinkend" hinzu. In dieser Beziehung besteht kein großer Unterschied zwischen dem „ T a i j i " (Edelmann) und dem „ H a r a " (einfachen Mann); dem einen sind kulturelle Bedürfnisse ebenso fremd wie dem andern und erst in letzter Zeit beginnen die Mongolen unter dem Einflüsse der Ausländer Zivilisation anzunehmen. Von den mongolischen Stämmen gelten die Cahar als die dem Fortschritte zugänglichsten. Die unhygienischen Lebensbedingungen fördern die Verbreitung von Krankheiten und Epidemien, wobei sich die Ansteckung durch das Zusammenleben in der Jurte, die Unmenge von Insekten und den Mangel jeglicher Vorsichtsmaßnahmen hemmungslos überträgt. Am häufigsten begegnet man Rheumatismus, Syphilis, Pocken, Krätze und verschiedenen Haut- und Augenleiden, die durch den Schmutz und den Rauch in der Jurte hervorgerufen werden. Im Falle einer ernsten Erkrankung wendet sich der Mongole an den Lama oder den Schamanen um Hilfe, die außer Arzneien durch Gebete und Beschwörungen heilen. Die Bevölkerung wendet sich überhaupt in allen wichtigen und schwierigen Fällen, wenn z. B. irgend ein Entschluß gefaßt oder eine Pilgerfahrt unternommen, ein Geschäft abgeschlossen, ein glücklicher Tag für die Hochzeit oder die Bestattung gewählt werden soll, an den Lama. Die Mongolen trauen der europäischen Medizin und den ausländischen Ärzten nicht und ziehen ihre eigenen Naturheilkundigen und Zauberer vor. Nur in äußersten Fällen, wenn

Das Aufschlagen der Jurte,

Mongolen vor ihrer Jurte.

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alle Hausmittel, Besprechungen und Zauberformeln erfolglos geblieben sind, wenden sie sich an den ausländischen Arzt. Übrigens ist auch in dieser Richtung in der letzten Zeit ein Fortschritt zu bemerken. Die Mongolen haben begonnen, die Pocken zu impfen und Diphtherie-Serum anzuwenden. Hierüber erzählte mir der Konsulatsarzt, Herr Zybiktarow. Er hatte das russisch-mongolische Krankenhaus unter sich und als einziger Arzt in Urga eine ziemlich große Praxis. Die angesehenen Mongolen wandten sich jedoch niemals an ihn und an den Hof des Hutuktus ist er auch niemals gebeten worden. Der Leibarzt des Heiligen war ein aufgeklärter tibetischer Lama. Die mongolischen Hausregeln sind weit liberaler als die chinesischen und geben der Frau eine ernstere und verantwortungsvollere Stellung in der Familie und im öffentlichen Leben. Die Einsperrung und die Unterwürfigkeit der Frau sind der mongolischen Lebensweise fremd. Die Mongolenmutter hat eine große Autorität in der Familie und ist deren hauptsächlichste Stütze. Sie pflegt die Kinder, hütet die Herden, melkt die Kühe, bereitet den Kumys, d. h. gegorene Pferdemilch, sammelt Mist, Argal genannt, rollt Wolle für Filz und versieht überhaupt die Wirtschaft; sie arbeitet im selben Maße, wenn nicht mehr, als der Mann. Die Mongolin hat auch öffentliche Pflichten, wie z. B. den Dienst in der Postbeförderung. Durch die schwere Arbeit unter ungesunden Verhältnissen wird die mongolische Frau schnell alt und verliert die Fruchtbarkeit. Die Unfruchtbarkeit der Mongolin wird auf das Reiten im Herrensitz von Kindheit an zurückgeführt. Die Sterblichkeit der Kinder ist infolge der unhygienischen Lebensweise sehr bedeutend und kopfreiche Familien sind eine Seltenheit. Ehen werden zwischen den Mongolen gewöhnlich von den Eltern geschlossen, wenn die Kinder 15 Jahre und darunter sind. Nachdem die Eltern unter sich einig geworden sind, wenden sie sich an den Lama, um zu erfahren, ob die beabsichtigte Verbindung glücklich sein würde. Wenn die Prophezeiung günstig ist, senden die Eltern des Bräutigams Brautwerber aus, um über das Kalym oder Sung (die Aussteuer) zu verhandeln, die aus Vieh, Pferden und sonstigem beweglichen Gut besteht. Vermögende Mongolen geben außerdem noch Geld und Wertsachen. Die Zahlung der Aussteuer fixiert die Ehe. Die Aussteuer der Braut wird dem Manne ausgehändigt und der Frau nur im Falle der Scheidung zurückerstattet. Am Vorabend der Hochzeit kommen die Brautwerber des Bräutigams in das Zelt der Braut mit Geschenken und verteilen sie an die in der Jurte anwesenden Verwandten und Freunde, wobei der Vater der Braut einen gekochten Hammelkopf bekommt. Sodann beginnt das Verlobungsmahl, das unter Gesang und Musik vor sich geht. Die Mongolen singen ähnlich wie die Chinesen im Diskant. Es ist dies weniger eine Melodie als eine einzelne hohe Note, die der Sänger möglichst langzuziehen bestrebt ist. Trotzdem der Gesang sich nach unseren Begriffen recht unmusikalisch anhört, lieben die Mongolen das Singen, besonders wenn sie getrunken haben. Begleitet wird der Gesang durch Spiel auf einer Geige, die mit Saiten aus Roßhaar bespannt ist, und auf einer Flöte. Die Musikanten sind gewöhnlich wandernde Hackbrettspieler. Sie singen Volks-

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balladen und Sagen, welche die Taten der Nationalhelden beschreiben und preisen. Am Tage nach dem Verlobungsmahle kommen die Brautwerber zur Braut, ziehen ihr einen roten Halat (Rock) über, „Cuba" genannt, verdecken ihr Gesicht mit dem Brautschleier und bringen sie zum Bräutigam, wobei einer von ihnen die Braut vor sich aufs Pferd setzt. Die Sitte verlangt es, daß die Hochzeitsmarschälle der Braut ihrer Wegfahrt Widerstand entgegensetzen und sogar mit den Sendboten des Bräutigams, die einen Raub simulieren, in einen Kampf treten. Die Braut ihrerseits äußert ihre Trauer durch Weinen. (Erinnerungen an die alte Raubehe). Nach der Ankunft der Braut im Zelte des Bräutigams wird sie dort wie eine verheiratete Frau frisiert. Hiernach geht man in die Jurte der Eltern, wo die Braut dem Haus-Buddhabild, dem Herde und der Mutter des Bräutigams ihre Ehrerbietung durch Verbeugungen bezeugt, wobei der Schwiegervater fehlt. Gleichzeitig liest der Lama entsprechende Gebete. Der traditionelle Teil der Trauung schließt damit, daß der Braut die „Cuba" genommen und der Halat einer verheirateten Frau umgelegt wird. Hierauf werden den Anwesenden Wein und Tabak angeboten und das Hochzeitsmahl beginnt. Einige Tage nach der Hochzeit kommt der Vater der Braut zum jungen Paar und bringt einen Hammel zum Geschenk. Die Mongolen sehen die Eheverbindung wie ein gewöhnliches ziviles Rechtsgeschäft an, wobei die Beziehungen der Eheleute hauptsächlich durch die Gebräuche geregelt werden. Untreue der Eheleute ist im Gesetz nicht vorgesehen; der Tradition nach kann der betrogene Mann vom Betrüger ein gesatteltes Pferd als Ersatz verlangen. Das chinesische Gesetz, das in der Mongolei angewandt -wurde, war dagegen sehr streng und gab dem betrogenen Gatten, wie im alten Rom, das Recht, die in flagranti ertappte Frau samt dem Liebhaber zu töten. Überhaupt sind die geschlechtlichen Beziehungen und losen Sitten der Mongolen mehr als biblisch. Die Mongolin ist durch keinerlei moralische Schranken gebunden und kann Liebesverhältnisse anknüpfen, indem sie sich nur von Neigung oder materiellen Vorteilen leiten läßt. Eine Mutter gewordene Jungfrau ist keineswegs „gefallen" und behält weiter ihre Stellung. Das außereheliche Kind wird in der Familie der Mutter erzogen, gehört jedoch dem Vater. Ehescheidungen werden ohne besondere Hindernisse für beide Seiten vollzogen. Anlaß dazu gibt ein dreifaches Weggehen der Frau vom Manne oder sein Wunsch, das Eheleben nicht mehr fortzusetzen. Bei einer solchen Freiheit der ehelichen Beziehungen sind fast alle Frauen verheiratet oder leben in wilder Ehe. Die patriarchalischen Zustände und die leichten Sitten fördern die Entwicklung der Prostitution und als deren Folge die Verbreitung von venerischen Krankheiten. Zu der Entwicklung der Prostitution hat auch das zurzeit abgeschaffte Gesetz beigetragen, das die Einreise von Chinesinnen nach der Mongolei verbot. Die nach der Mongolei kommenden chinesischen Händler, die ihre Frauen in China gelassen hatten, legten sich gewöhnlich „Kuchen" (die heutige Aussprache des schriftmongolischen Wortes keüken „Kind"), d. h. Verhältnisse, zu. Bei der Rückkehr der Chinesen in die Heimat wurden diese

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Verbindungen gelöst, die Frauen blieben in der Mongolei und füllten die Reihen der Prostituierten. Übrigens gewöhnen sich des öfteren die Chinesen an ihre ,,Kuchen", die sie mit nach China nehmen. In den Städten leben viele solcher mongolisch-chinesischen Familien. Die aus diesen Ehen stammenden Mischlinge erben gewöhnlich die Züge ihres Vaters. Die Prostitution wird auch durch die Lamas gefördert. Nur wenige von ihnen halten das Zölibat ein, die Mehrheit hält Frauen aus oder besucht die Prostituierten, was keineswegs für schimpflich gilt. In der Nähe der Klöster und der fürstlichen Standorte sind oft Jurten zu finden, in denen galante Mongolinnen wohnen 2 ). Überhaupt wird die Prostitution in der Mongolei nicht als ein soziales Übel angesehen, sondern als ein normales Gewerbe, das leicht neben dem Familienleben ausgeübt werden kann und dessen natürliche Ergänzung bildet. Oft bereiten die Eltern selbst ihre Töchter im kindlichen Alter zur Prostitution vor, indem sie ihnen entsprechende Gönner suchen. Die Ehe mit einer früheren Prostituierten ruft keinerlei Bedenken hervor. Es gibt nicht wenige Fürstinnen, die ihre Karriere in der Rolle von „Freundinnen" begonnen haben. Solche Ehen sind auch deshalb verbreitet, weil die Fürsten und Taijis gewöhnlich keine Ehen mit Frauen ihres Standes eingehen. In der Mongolei herrscht die Meinung, daß die höchste Klasse „Cagan yasu" („weiße Knochen") sei, d. h. blutsverwandt. Um nun frisches Blut zuzuführen, nimmt der Fürst oder Taiji sich eine Frau aus dem Volke, ohne von der Braut ein Attest der Jungfräulichkeit zu verlangen. Ebenso heiratet die Tochter des Jasaks (Fürsten) nicht einen Fürsten, sondern einen vermögenden Taiji oder einen einfachen Mann. Diese Sitte, die augenscheinlich in der Zeit der Blutsverwandtschaft der mongolischen Otoks (Clans) entstanden ist, hat bis heute ihre Bedeutung beibehalten und verhindert dank den gemischten Ehen die Entartung der höchsten Schicht. Wie bereits erwähnt, beerdigen die Mongolen ihre Toten nicht, sondern bringen sie auf die umliegenden Höhen oder in die Steppe, wo sie von Raubvögeln und Hunden gefressen werden. Zuweilen wird auch die Leiche in den Fluß geworfen, wenn ein solcher in der Nähe vorhanden ist. Die Hunde, die daran gewöhnt sind, sich von Leichen zu nähren, spüren schon von weitem die Beute und folgen dann bis zur Stelle der Beisetzung. In der Umgebung von Urga gibt es solch ein „Tal des Todes", das mit Knochen und Schädeln besät ist. Dieses Tal kann man nur bewaffnet aufsuchen, um sich der Hunde zu erwehren, die sich durch außerordentliche Bösartigkeit auszeichnen. In das Todestal werden zuweilen hoffnungslos erkrankte oder altersschwache Menschen gebracht, die man nicht mehr in der Jurte behalten möchte, wo sie den Lebenden hinderlich sind. Diese Unglücklichen werden auch die Beute der Hunde. Gewöhnlich wird der Sterbende aus der gemeinsamen Jurte getragen und in ein Zelt oder unter ein Schutzdach gestellt, das mit Gebetsprüchen und Hadaks (Seidentüchern) verhängt ist. Darauf wird ein Lama zur Hersprechung von Gebeten bestellt und zur Beobachtung der Seele, wie diese den Körper verläßt, um sie in das westliche Paradies des Himmels zu leiten und ein Horoskop für 2

j A. Maiski,

Die heutige Mongolei.

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die Wanderung der Seele in andere Wesen zu stellen. Den Sarira, d. h. den als Reliquien verehrten Leichen höherer geistlicher Personen und der Hubilgane gegenüber verhalten sich die Mongolen äußerst ehrerbietig. Sie werden einbalsamiert und in Tempel gestellt, wo sie Gegenstand der Anbetung bilden. Der Mongole ist seiner Natur nach Nomade und verbringt sein Leben in Wanderschaft, im Suchen nach frischen Weidegründen, in Pilgerfahrten, in Besuchen von Freunden und Verwandten. Wenn er sich zu Pferde oder zu Kamel auf den Weg macht, nimmt er keinerlei Gepäck mit sich und rechnet auf die Gastfreundschaft der Stammesverwandten. Die Umsiedlungen sind etwas komplizierter, erfordern jedoch auch keine besonderen Vorbereitungen. Der Mongole verladet die Filzdecken und das Holzgerüst der Jurte, den Hausrat und das Heiligtum auf die Kamele oder verpackt alles auf ein Gefährt, das von zottigen Ponies gezogen wird, und begibt sich so auf die Reise. Voran werden die Herden getrieben, ihnen folgen die Besitzer, von den Wachthunden begleitet, die ständige Begleiter auch des ärmsten Mongolen sind. Auf dem gewöhnlich in der Nähe eines Brunnens belegenen neuen Platze wird die Jurte aufgestellt, ein Herd zurecht gemacht, das Hausgerät ausgepackt und nach ein, zwei Stunden ist der Mongole mit einem anderen Horizont vor Augen, jedoch in denselben häuslichen Verhältnissen, bei sich zu Hause. Diese Beweglichkeit des Mongolen, die Leichtigkeit, mit der er jeden Augenblick in der grenzenlosen Wüste verschwinden kann, macht ihn unfaßbar. Die Unentschlossenheit der chinesischen Politik bezüglich der Mongolen und die von Peking stets an den Tag gelegte Nachgiebigkeit finden ihre Erklärung in der Schwierigkeit des Kampfes mit einem so schwer zu fassenden Gegner.

Kapitel X. Recht und Gesetzgebung der Mongolen. Die große Yasa Cinggis Khans. Gesetzgebung der Yüan-Dynastie. Die Gesetzgebung der Oirat-Epoche. Das Cagajaci yin Bicik. Das Mongolisch-Oiratische Reglement von 1640. Die Ergänzungen Galdan Hungtaijis. Die chinesiche Gesetzgebung. Die erste und zweite Gesetzespublikation des Li-fan-yüan.

Die mongolischen Stämme ließen sich wie andere Völker von den durch die Lebenspraxis eingeführten Sitten leiten. Erst die Vereinigung der Mongolen unter Cinggis Khan hatte im 13. Jahrhundert die Schaffung eines schriftlichen Kodex zur Folge, der das in Kraft befindliche Gewohnheitsrecht festlegte. Dieser etwa um das Jahr 1210 verfaßte Kodex ist unter dem Namen der Großen Yasa (Gesetz, Reglement) Cinggis Khans bekannt und durch eigene Entscheidungen und Edikte des Eroberers ergänzt worden. Die Edikte wurden entweder mündlich erlassen oder in Gestalt von Schriftstücken auf Holztafeln, Seidenstoff" oder Papierrollen und Steintafeln bekannt gegeben oder auch in Felsen eingehauen. An das Edikt oder „Jarlik" wurde die „Tamaga" angehängt, d . h . das Siegel des Khans.

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Die Gesetze Cinggis Khans sind als Grundlage für die spätere Gesetzgebung seiner Nachfolger verwendet worden, d. h. für die Gesetzgebung der YüanDynastie (Yüan-ch'ao-tien-ch'ang) und die Verwaltungs-Reglements der Regierungsperiode Chih Chih (1321—24). Nach der Angabe von Bitschurin, die von Prof. P. S. Popow bestätigt wird, sind die Reglements der Yüan-Dynastie ein Kodex, der für die Mongolei hergestellt wurde und sich auf die Große Yasa Cinggis Khans stützt. Der nach Hubilai Khan beginnende Zerfall des mongolischen Reiches veranlaßte die westlichen Mongolenstämme, sich von den Cinggisiden unabhängig zu erklären, welche China, die Mandschurei und die Mongolei beherrschten. Zu diesem Zwecke bildeten die in der heutigen Dsungarei ansässigen Stämme der Coros, Hoit, Hosot und Torgut zu Ende des 14. Jahrhunderts den unter der Bezeichnung Oirat bekannten Bund, der zur Schaffung eines für alle Stämme gültigen Reglements „Cagajaci yin Bicik" (Buch der Richter) führte, die Hauptrechtsurkunde der Westmongolen. Die im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts erfolgten politischen Erschütterungen, Bürgerkriege und Kämpfe mit den Mandschus und den Chinesen riefen bei einigen mongolischen Fürsten die Bestrebung hervor, sich erneut zusammenzuschließen, um äußeren. Gefahren entgegenzutreten. Auf einem zu diesem Zwecke im Jahre 1640 in der Dsungarei einberufenen Kongresse erschienen zahlreiche Hutuktus, Khane, Hungtaijis, Taijis, Jasaks, Noyans und andere Fürsten von 44 mongolischen Stämmen aus Kalka, der Dsungarei, Kuku Noor, Tibet, Sibirien, vom Ural und von der Wolga. Die von Batur Khan vom Stamme Coros geleiteten Fürsten beschlossen, einen neuen Bund zu gründen und ein Mongolisch-Oiratisches Reglement zu veröffentlichen, dem das gemeine Recht zu Grunde gelegt war. Der Sohn des erwähnten Batur Khan, Galdan, das Haupt der Oiratkonföderation, veröffentlichte in den sechziger Jahren desselben Jahrhunderts zwei Ergänzungen zum Reglement des Jahres 1640, die von der Zusammensetzung neuer Otoks (Clans) und Aimaks handeln aus Personen, die in verschiedenen Hosun wohnen, von Gericht, Überläufern, Armenversorgung u. a. Die Epoche des Oiratbundes kennt außerdem Edikte und Verordnungen des Khans Galdan in Form von Inschriften, die in Felsen eingehauen worden sind. So ist der gegenüber der Siedlung Abakansk gelegene Felsen, der an der Stelle liegt, wo die Nomaden über den Yenissei zu setzen pflegten, durch eine in altmongolischer Sprache verfaßte Inschrift bekannt geworden. Es ist ein Befehl des Khans an seine Truppen und an die Lamas über die Behandlung der Kriegsgefangenen. E r schreibt ihnen vor, die Widerspenstigen zu vernichten, die Gefügigen aber zu schonen und als Sklaven zu verwenden. Getötete Gefangene dürfen nicht unbestattet bleiben, sondern müssen der Erde übergeben werden, um die Drachen zu befriedigen. Verboten wird, Frauen und Greise zu quälen oder zu verstümmeln. Von den Rechtsdenkmälern der Kalka ist die Sammlung Kalka yin Jirum bekannt, die von Mongolen des Tusiyetu Khans und des Cecen Khans um die Mitte des 17. Jahrhunderts zusammengestellt worden ist. Diese Korostovetz,

Mongolei.

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Sammlung ist bis heute bei den Mongolen der Sabinar-Verwaltung in Kraft gewesen. Als im 17. Jahrhundert die Kalka und später die Dsungaren unterworfen worden waren, unternahm die chinesische Regierung eine Reihe militärischpolitischer Maßnahmen, um die unterworfenen Völker in eine engere Abhängigkeit zu Peking zu bringen. Zu diesen gehörte die Veröffentlichung der Verordnungen des Hofes für die Verwaltung der Grenzmarken (Li-fan-yüan) in Peking vom Jahre 1789, die unter der Bezeichnung der „Abermaligen Verordnung" mit Ergänzungen im Jahre 1815 erneut herausgegeben worden sind. Die Große Yasa Cinggis Khans enthält allgemeine Normen des Zivil- und des Strafrechts sowie administrative Verordnungen, die durch Entscheidungen Cinggis Khans und seiner Nachfolger ergänzt worden sind. Die Yasa verbietet den Fürsten, sich an irgend jemanden außer dem Khan selbst zu wenden, und bestraft Übertretungen mit dem Tode. Die Yasa schreibt selbst dem ältesten Fürsten Gehorsam gegenüber dem letzten Diener des Khans vor, wenn dieser zur Vollstreckung eines Todesurteils vom Khan entsandt wird, und gebietet den Untertanen, ihre Töchter dem Khan und dessen Söhnen als Beischläferinnen zu geben. Die Führer haben persönlich die Truppen zu besichtigen und deren Ausrüstung und Waffen zu prüfen, um für den Kriegsfall gerüstet zu sein. Nach der Yasa ist das Familienleben streng patriarchalisch. Das Familienhaupt verfügt über unbeschränkte Macht innerhalb der Familie. Obgleich die Polygamie nicht gesetzlich war, konnte der Mongole mehrere Frauen, Nebenfrauen und Sklavinnen halten. Die Kinder der Nebenfrauen sind gesetzliche Kinder und haben Teil an der Erbschaft. Der älteste Sohn erhält mehr als die jüngeren. Die Rangordnung der Kinder wird nach der Stellung der Mutter gemessen. Nach dem Tode des Vaters verfügt der Sohn über dessen Frauen mit Ausnahme der eigenen Mutter; er kann sie selbst heiraten oder sie mit anderen verheiraten. Die Yasa schreibt Duldsamkeit in der Religion vor, Ehrerbietung gegen Tempel, Priester und ältere Leute und Barmherzigkeit den Bettlern gegenüber; sie verhängt eine strenge Kontrolle über das Familien- und häusliche Leben der Mongolen. So wird z. B. verboten, Wasser mit der Hand und nicht mit einem Gefäß zu schöpfen, Kleider zu waschen, wenn sie noch nicht aufgetragen sind, sich zu betrinken, einen Unterschied zwischen reinen und unreinen Gegenständen zu machen, da im Grunde alle Gegenstände rein sind u. a. m. Die eigentümliche Ethik der Yasa tritt deutlich bei den Vergehen hervor, auf welchen Todesstrafe steht. Diese steht z. B. darauf, daß Fürsten über den Kopf des Khans hinweg sich an dritte Personen wenden, auf Nichterweisen von Hilfe während des Kampfes, auf Verlassen des Postens ohne Genehmigung des Vorgesetzten, auf Nachlässigkeit der Soldaten und Freiwilligen, auf Barmherzigkeit gegen Gefangene ohne Wissen desjenigen, der die Gefangenen gemacht hat, auf Nichtherausgabe von Sklaven oder flüchtigen Gefangenen an den Eigentümer, auf Mord, Diebstahl, falsches Zeugnis, Verrat, Ehebruch, vorsätzliche Lüge, Zauberei, Belauschung anderer, Unterstützung eines Streitenden gegen

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den anderen usw. Außerdem werden mit Todesstrafe an sich geringfügige Vergehen bedroht, wie z. B. die nicht nach hergebrachtem Brauche, sondern nach muhammedanischer Art vorgenommene Schlachtung eines Tieres, Unehrerbietigkeit gegen Ältere, Indifferenz gegen Bettler, Gier beim Essen, Betreten der Schwelle im Zelte des Heerführers, Urinieren in Wasser oder Asche u. a. m. Die Große Yasa ist durch Aussprüche und Bestimmungen Cinggis Khans (1206—29) und seiner Nachfolger ergänzt worden. Nachstehend einige Proben: „Von Grundsätzen und Strenge ist die Dauerhaftigkeit des Staates abhängig." „Die Geschäftsführung verlangt Vorsicht". „Wer sein Haus gut verwaltet, wird auch verstehen, mit einem Stamme fertig zu werden; wer es versteht, zehn Mann zu organisieren, der soll tausend und zehntausend Mann erhalten und wird verstehen, sie zu befehligen". „Ein Pferd, das bei fettem, halbfettem und magerem Leibe gut läuft, ist gut zu nennen. Dies kann aber nicht gesagt werden von einem Pferde, das nur in einer dieser Verfassungen gut laufen kann." „Kennt der Mensch sich selbst, so wird er auch andere zu erkennen wissen". „Das höchste Glück des Menschen besteht im Siege über die Feinde und darin, ihren Besitz zu rauben, ihre Diener zum Heulen zu bringen, Tränen auf ihrem Gesicht zu sehen, auf ihren fetten Pferden mit angenehmem Gange zu sitzen, den Bauch und den Nabel ihrer Frauen zum Lager zu haben, deren rosige Wangen zu bewundern und an ihren roten süßen Lippen zu saugen". Worte Kaiser Güyük Khans (1246—51): „Die Pflichten des Mongolen sind: Meinen Willen zu erfüllen, zu kommen, wenn ich rufe, zu gehen, wohin ich befehle und jeden zu erdolchen, den ich nenne". Befehl Batus: „Wer gegen die Yasa verstößt, wird enthauptet!". Die Franziskaner Johann von Piano Carpini und Wilhelm Ruysbroek (Rubruquis), welche die Mongolei im 13. Jahrhundert besucht haben, geben eine Beschreibung der damaligen Sitten und Gebräuche der Mongolen 1 ). Beide Mönche bestätigen den absoluten Charakter der Macht des Khans, die Strenge des Strafrechts, die Reinheit der Sitten und die religiöse Duldsamkeit der Mongolen sowie deren Fanatismus und Aberglauben. Piano Carpini schreibt: „Weiter haben sie ein Gesetz oder eine Sitte, den Mann oder die Frau zu töten, die sie in flagranti ertappen. Ebenso erschlagen sie ein junges Mädchen, das geschlechtlichen Verkehr pflegt, oder auch den Mann. Wenn jemand bei Diebstahl oder Raub auf einem Grundstück ertappt wird, so wird er ohne Erbarmen erschlagen, ebenso, wenn jemand ein Vorhaben aufdeckt, besonders wenn sie in den Krieg ziehen wollen. Es werden 100 Schläge auf das Gesäß verabfolgt, und zwar so starke Schläge, als sie ein Bauer mit einem dicken Knüppel führen kann. Die Kleider waschen sie nie, da sie der Meinung sind, daß Gott dann zürnt und daß es donnern würde, wenn sie zum Austrocknen aufgehängt werden. l ) Vgl. Der Bericht des Franziskaners Wilhelm von Rubruk über seine Reise in das Innere Asiens in den Jahren 1253/55. Erste vollständige Übersetzung aus dem Lateinischen von Hermann Herbst. Leipzig 1925.

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Nicht genug damit schlagen sie diejenigen, welche Kleider waschen, und nehmen sie ihnen weg." Rubruquis schreibt: „Sie strafen niemanden mit dem Tode, wenn er nicht abgefaßt worden oder nicht geständig ist. Wenn aber sehr viele gegen ihn aussagen, wird er gefoltert, um das Geständnis zu erpressen. Totschlag wird mit dem Tode bestraft, ebenso der Geschlechtsverkehr mit einer fremden Frau. Unter eigener Frau wird die Ehefrau oder die Dienerin verstanden, da die Dienerin benutzt werden kann, wie es dem Herrn beliebt. Ebenfalls mit dem Tode wird schwerer Diebstahl bestraft. Für leichten Diebstahl, z. B. den eines Hammels, schlagen sie grausam." 2 ) Die auf uns gekommenen Auszüge aus dem Cagajaci yin Bicik der Oirat sind nicht zahlreich und zeigen, daß dieses wesentlich von der Yasa abwich. Die Strafbestimmungen sind weniger hart und das ganze Reglement überhaupt humaner. Obgleich es das unbeschränkte Recht des Vaters über die Familie bestätigt, führt es dennoch eine gelindere Behandlung der Frau ein. Diese genießt die Ehren und Achtung einer Mutter und ist unantastbar als Frau des Hauses. Wenn der Sohn erwachsen ist, wird er von der väterlichen Gewalt befreit, kann sein Erbe verlangen und unmittelbarer Untertan des Fürsten werden. Die eheliche Untreue wird ebenfalls weniger streng bestraft. Ehebrüche der Frauen mit Geistlichen werden überhaupt nicht geahndet. Der des Ehebruchs Schuldige gibt dem Verletzten ein vierjähriges Pferd, die des Ehebruchs Schuldige ein dreijähriges. Wer einen Fremden bei seiner Sklavin vorfindet, kann ihm seinen ganzen Besitz nehmen, die Sklavin wird aber nicht bestraft. Wer mit der Gattin des Fürsten in Verbindung tritt, muß eine Ziege und ein Zicklein als Sühne geben. Das der Zeit nach nächste Reglement ist das Mongolisch-Oiratische Reglement vom Jahre 1640 mit den Ergänzungen Galdan Hungtaijis. Diesem Kodex liegen die Sitten der mongolischen Stämme zugrunde, obgleich sie zu dieser Zeit bereits im Verfall waren. Nach dem Reglement nomadisiert jeder Stamm auf einem bestimmten Gebiete mit seinen Unterabteilungen Aul, Hosun und Aimak, die mit näheren und entfernteren Verwandten bevölkert sind und von Stammesältesten geführt werden, die verschiedene Namen tragen. Das Reglement teilt die Mongolen in Adlige und Gemeine, in Leute höherer, mittlerer und niederer Schicht, und in Sklaven. Zu den Leuten höheren Ranges oder dem Adel gehören die Fürsten, Hungtaijis und Taijis. Die Fürsten beziehen ihre Einkünfte von den Untertanen, ihre Unantastbarkeit wird durch strenge Maßnahmen und Strafen geschützt. Zu den Leuten der mittleren Schicht gehören die Darhan, d. h. Abgabenfreie, Fahnenträger und Krieger. Die Leute der niederen Schicht sind die Handwerker, Bauern und Viehzüchter. Leute niederen Ranges zahlen bei Strafen geringere Summen. Die Sklaven, die sich aus den Kriegsgefangenen rekrutieren, nehmen die niedrigste soziale Stellung ein. In einigen Fällen wird der Sklave Sachen gleichgestellt, z. B. wird die Rettung eines Sklaven, eines Panzers und 2

) W. Rjasanowski, Gewohnheitsrechte der mongolischen Stämme, Harbin, 1924.

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der Kriegsrüstung gleich belohnt. Für die Vergewaltigung einer Sklavin muß der Schuldige ein Pferd entrichten. Nach der Auslegung des Mongolisch-Oiratischen Reglements durch den bekannten russischen Mongolologen Professor Golstunski zerfällt es in folgende Hauptstücke: 1. Verordnungen über Religion und Geistlichkeit, 2. Beziehungen der Stämme untereinander, 3. Viehzucht und Jagd, 4. Postverbindungen, 5. privatrechtliche Beziehungen, Obligationenrecht, Familienrecht, Erbrecht und Strafrecht, 6. Gerichtsbarkeit 3 ). Das Reglement beginnt mit einer Anrufung der buddhistischen Heiligen und der Häupter der lamaischen Geistlichkeit in Tibet, des Dalai Lamas und des Pantschen Erdeni Lamas. Dann wird vorgeschrieben, daß einer von zehn Menschen Gott geweiht, d. h. Mönch werden soll; doch wird Verwandten das Recht eingeräumt, den Geweihten loszukaufen, und zwar mit zehn Rindern für einen Adligen und drei Rindern für einen Gemeinen. Die Geistlichen stehen unter besonderem Gesetzesschutz und genießen verschiedene Erleichterungen und Vergünstigungen. Wer Lamas ein Gefährt zum Fahren wegnimmt, wird um ein Rind gestraft; wer ein Buddha geweihtes Pferd nimmt, um ein Pferd. Schwere Strafen stehen auf der Verletzung von Geistlichen oder eines der Geistlichkeit gehörenden Aimaks. Weiter setzt das Reglement die Beziehungen der Oiratstämme untereinander fest, wobei den Fürsten verboten wird, Gebiete zu berauben, die dem Bunde angehören. Es verteilt die Überläufer aus den Stämmen der Barguten, Burjäten und Hait zwischen den Mongolen und den Oirat und bestimmt Strafen für Nichtmeldung des Erscheinens von Feinden und das Nichterscheinen bei Alarm. Bei Alarm muß jeder zu seinem Fürsten eilen. Neben dem Kriege bestand die Hauptbeschäftigung der Mongolen in Viehzucht und Jagd. Das Vieh, das den hauptsächlichsten Besitzwert der Bevölkerung ausmachte, war auch gleichzeitig Gegenstand des Tausches. Im mongolischen Recht wird der Begriff des Eigentums durch den Ausdruck „Vieh und Besitz" wiedergegeben. Deshalb regeln im Reglement vom Jahre 1640 eine Reihe von Paragraphen die Verhältnisse dieses Wirtschaftszweiges. Auch die Jagd ist als die andere Hauptbeschäftigung der Mongolen genau geregelt. Die Einzeljagd und die Treibjagd wurden nach genauen Vorschriften betrieben und Verstöße streng bestraft. Eine bedeutende Rolle im Reglement spielen die Postverbindung und die Pferdegestellungspflicht. Die ständige Relaispost ist von Cinggis Khan in der Hauptsache für militärische Zwecke eingeführt worden als Frondienst der Untertanen. Bei dem Mangel an Straßen legte sich dieser Frondienst, d. h. der Unterhalt der Stationen, die Stellung von Kurieren, Boten, Fahrzeugen, Reitpferden, Zugtieren und Knechten als schwere Last auf die Schultern der Bevölkerung. Jede Fahrlässigkeit und Unpünktlichkeit wurde streng bestraft. So zahlte derjenige, der dem Gestellungsbefehl für Fuhren nicht nachkam, eine Buße in Vieh. 3

) K. Golstunski, Mongolisch-Oiratische Gesetze vom Jahre 1640, St. Petersburg 1880.

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Mit hoher Strafe bedroht wurde, wer einem wegen Erkrankung des Fürsten oder dessen Gattin oder wegen feindlichen Überfalles entsandten Kurier die Stellung von Pferden verweigerte. Der Sendbote durfte unterwegs keinen Schnaps zu sich nehmen, es sei denn, daß der Fürst ihm solchen anbot. Das Privatrecht enthält zahlreiche eingehende Verordnungen, besonders im Familien- und Strafrecht. Das Gebiet des Oiratbundes befand sich, wie gesagt, in Nutzung verschiedener Clans oder Geschlechter (Otok), wobei jedes Geschlecht seinen angewiesenen Platz hatte. Trotz des Familienkommunismus ist der Gedanke des individuellen Besitzes bei den Mongolen des 17. Jahrhunderts im Oirat-Reglement in bestimmter Form ausgeprägt. Der Eigentümer einer Sache hat Eigentumsrechte und für Beschädigung fremden Eigentums haftet der Täter dem Eigentümer. So hat derjenige, der verirrtes Vieh aufnimmt und es als eigenes ausgibt, dieses zurückzuerstatten und Strafe zu zahlen. Wer einen Menschen im Panzer erschlägt, kann sich den Panzer nehmen; wer einem anderen einen Helm gibt, erhält dafür 5 Rinder. Ein Gläubiger, der ein Darlehen eintreiben will, ist verpflichtet, zunächst den Schuldner dreimal in Gegenwart von Zeugen zu mahnen und den Öulengga (Vorsteher von 20 Jurten) zu benachrichtigen, und darf dann erst die Schuld eintreiben. Eine Verjährungsfrist ist im Reglement selbst nicht vorgesehen, doch läßt ein Edikt Galdan Khans die Schulden verfallen sein, die ein Jahr vor dem Tode Batur Hungtaijis, des Vaters Galdans, gemacht worden waren. Das Familienrecht ist im Reglement ziemlich genau ausgearbeitet. Zwecks Fortpflanzung des Stammes schreibt das Reglement obligatorische Ehen vor: von vierzig Jurten müssen vier jährlich ihre Söhne verheiraten. Das Mädchen wird mit 14 Jahren heiratsfähig. Bei der Verehelichung der Tochter erhalten die Eltern einen Kaufpreis und geben eine Aussteuer mit. Die Höhe des Kaufpreises und der Umfang der Aussteuer hängen von den materiellen Mitteln der Eheschließenden ab. So besteht der Preis für die Braut bei Eheschließungen der Fürsten in 30 Wertsachen, 150 Pferden und 400 Schafen. Die Aussteuer entspricht dem Kaufpreise und besteht aus Kleidern, Pelzen, Sätteln usw. Wenn das Mädchen nach dem Hochzeitsmahle stirbt, so geht ihre Aussteuer an den Bräutigam über; wenn das Hochzeitsmahl noch nicht stattgefunden hatte, hat der Bräutigam das Recht, die Hälfte des Preises zurückzufordern. Wenn die Eltern die Braut an einen anderen verheiraten, so müssen sie Strafe zahlen und der erste Bräutigam darf sich für das Strafgeld eine andere Frau kaufen. Das Familienleben ist streng patriarchalisch geregelt und sanktioniert die Polygamie. Das Familienoberhaupt besitzt die unbeschränkte Macht über Frauen und Kinder; der Sohn kann nach Erlangung des reifen Alters sein Erbe verlangen. Die Verwandtschaft wird nur auf der männlichen Linie anerkannt. Der Mann kann seine Frau entlassen oder verlassen. Die verlassene Frau kann für eine geringe Anzahl Rinder gekauft werden; der Preis ist für eine Frau aus der Schicht des Adels höher, für eine gemeine Frau geringer. Wer im Kampfe den Mann erschlägt, erhält als Belohnung dessen Frau. Wenn der Gatte seine Frau umbringt, so zahlt er Strafe wie für den Totschlag eines Sklaven.

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Wenn jemand eine fremde Frau mit deren Zustimmung entführt, so kann der Gatte seine Frau zusammen mit den Rindern des Räubers zurückführen. Das Reglement, das dem Manne die unumschränkte Gewalt über die Frau einräumt, enthält einige dem Cagajaci yin Bicik entnommene Bestimmungen, welche vor übermäßigem Despotismus des Mannes schützen. So wird derjenige, der einer Frau Haare oder die Quaste von der Mütze ausreißt, bestraft. Wer eine Frühgeburt verursacht, zahlt soviel Rinder Strafe, als das Kind Monate alt war. Der geschlechtliche Verkehr mit einer Jungfrau wird bestraft. Der Vater darf die Kinder körperlich strafen. Wenn er den Sohn oder die Schwiegertochter gerecht schlägt, so ist keine Schuld darin zu sehen; schlägt er sie aber ungerechterweise, so hat er Strafe zu zahlen. Wenn der Vater seinen Sohn erschlägt, so wird sein Eigentum konfisziert. Was die Erbfolge angeht, so sind Erben nur die Söhne; die Töchter erben nichts, sondern erhalten nur die Aussteuer. Die am meisten ausgearbeitete Abteilung des Reglements von 1640 ist die strafrechtliche. Die Strafnormen des Reglements sind, wie erwähnt, milder als die Yasa. Die Todesstrafe wird relativ wenig angewandt, in der Hauptsache für Staatsverbrechen. Todesstrafe und Ausweisung der Familie steht z. B. auf Nichtbenachrichtigung über den Feind, auf Unterlassung einer Hilfeleistung für den Fürsten und auf Felonie. Die verbreitetste Strafe ist die Vermögensbuße, die entsprechend dem Charakter des Verbrechens und der sozialen Stellung des Täters festgesetzt wird. Für einige Fälle sind vorgesehen Prügelstrafe, Anlegung von Handschellen, Konfiskation des Eigentums, Degradation und die Auslieferung des Täters an den Verletzten im Falle seiner Zahlungsunfähigkeit. Bei Golstunski sind die Verbrechen in folgende hauptsächliche Gruppen eingeteilt: Verbrechen gegen Religion und Geistlichkeit, Verbrechen gegen Staat und Gemeinschaft, Verbrechen gegen die Persönlichkeit. Zu den Verbrechen gegen die Religion gehört die wörtliche oder tätliche Beleidigung von Lamas und Geistlichen, die Beraubung eines geistlichen Aimaks usw. Diese Verbrechen werden mit hohen Strafen belegt, die von dem großen Ansehen zeugen, das die Geistlichkeit genießt. Zur Kategorie der Staatsverbrechen gehört die erwähnte Nichtbenachrichtigung über den Feind und die Unterlassung der Hilfeleistung für den Fürsten. Sie werden mit dem Tode und Ausweisung der Familie bestraft. Flucht vor dem Feinde wird mit Strafzahlung geahndet und der Schuldige erhält ein ärmelloses Frauengewand übergezogen als Zeichen von Schimpf und Schande. Schläge seitens der Fürsten werden nicht bestraft, wenn sie während der Ausführung eines Befehles des Khans fallen, selbst wenn der Betroffene daran stirbt; sie werden jedoch bestraft, wenn sie aus Hochmut erfolgen. Die Verbrechen gegen die Persönlichkeit sind sehr verschieden und werden vornehmlich durch Strafzahlungen geahndet, zuweilen auch durch Prügelstrafe ergänzt. Strafzahlungen sind zu leisten für Ermordung der Frau, eines Sklaven, einer Sklavin oder eines Überläufers; für die Weigerung, ein müdes Pferd umzutauschen, für Verweigerung eines Nachtlagers, für Vergewaltigung, Verwundung, Verstümmelung usw.

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Die Strafe wird gemildert, wenn der Totschlag im Streite oder im Spiel erfolgt ist, ebenso unabsichtliche Tötung eines Verbündeten im Kriege. Wenn ein Wahnsinniger einen Menschen erschlägt, so wird ihm die Hälfte seines Besitzes genommen. Die Ermordung eines Wahnsinnigen, der andern Schaden zugefügt hat, wird nicht bestraft. Wenn ein Mensch von einem tollen Hunde gebissen wird und stirbt, wird der Herr des Hundes mit Strafzahlung belegt: für einen Adligen sind es 9 Rinder, für einen Gemeinen weniger. Diebstahl wird sehr streng bestraft. Für Raub werden dem Schuldigen Finger und Arme abgehackt. Der dritte Raub wird mit dem Tode bestraft. In der Abteilung Diebstahl werden die verschiedensten Gegenstände mit entsprechenden Strafen aufgezählt. Besonders streng wird der Diebstahl von Vieh bestraft, das der Hauptbesitz der Nomaden ist. Am höchsten wird das Kamel bewertet, dann folgen Pferd, Rind und Schaf. Das Gericht wird in das lokale eingeteilt, das die inneren Stammesangelegenheiten schlichtet, und das Hauptgericht, das die allgemeinen Volkssachen verhandelt, z. B. das Verhältnis zwischen den öleten und den Turkestanern. Das Gericht tagt an einem bestimmten Orte in Gegenwart der Parteien. Der Kläger muß in Gegenwart von Zeugen den Beklagten dreimal vor Gericht laden und dann in Gegenwart der Zeugen dem Gericht von der Vorladung Mitteilung machen. Wenn ungeachtet einer solchen dreimaligen Ladung der Beklagte nicht erscheint, so wird er vom Gericht wegen Nichterscheinens gestraft, und zwar um ein Pferd. Nötigenfalls werden Haussuchungen vorgenommen. Die Zeugen werden in „gute", d. h. Adlige, und schlechte, wie z. B. Sklaven, eingeteilt. Die Sklavin wird zur Zeugenaussage nicht zugelassen; wenn sie jedoch das Fleisch und die Knochen des Gestohlenen bringt, wird ihre Aussage beachtet. Somit kennt das Oirat-Reglement Maßnahmen des staatlichen Zwanges zur Ausführung gerichtlicher Verordnungen, materielles Recht und Prozeßrecht. Gleichzeitig sind jedoch in der Organisation des Gerichts Spuren des Urzustandes übriggeblieben, als noch die Willkür herrschte. So spielt der Kläger die Hauptrolle bei den Gerichtsverhandlungen. Letztere beginnen mit der Aufrufung des Beklagten seitens des Klägers und mit dessen Mitteilung an das Gericht. Einige Angelegenheiten werden auch ohne Gericht erledigt nach tatsächlicher Willkür des Klägers. So muß zwar der Gläubiger in Gegenwart von Zeugen dreimal den Schuldner mahnen, darf aber dann die Schuld selbst eintreiben. Zum Vergleich des Oirat-Reglements mit der Großen Yasa sei auf einige Abweichungen hingewiesen. So empfiehlt auf dem Gebiete der Religion die Yasa Duldsamkeit, während im Reglement der Lamaismus die herrschende Religion ist und der Schamanismus verfolgt wird. Wesentlichere Unterschiede sind im Familienrecht zu finden. Die Yasa bestraft den Ehebruch mit dem Tode, während das Reglement sich auf Strafzahlung für Männer und verheiratete Frauen beschränkt und das junge Mädchen straflos läßt. In der Yasa steht Todesstrafe auf den kleinsten Vergehen, im Reglement wird sie nur in Ausnahmefällen angewandt, und das ganze System beruht auf Strafzahlungen. Gemeinsames haben die beiden Codices insofern, als in beiden die Requisition

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von Rindern eine große Rolle spielt. Sowohl die Yasa als auch das Reglement bestraft einen Menschen, der sich in einem fremden Hause verschluckt hat, und verbietet, einem Streitenden Hilfe zu leisten. Die Pflichten der Barmherzigkeit und der Gastfreundschaft werden von beiden Codices gleichmäßig vorgeschrieben. Die Vorsteher der Otoks haben die Pflicht, sich um Obdachlose zu kümmern. Wenn ein Obdachloser stirbt, wird der Schuldige streng bestraft. Wer einem Wanderer Unterkunft verwehrt, wird zur Zahlung einer dreijährigen Stute verurteilt. Wer eine Bitte, den Durst mit Pferdemilch stillen zu dürfen, abschlägt, wird um Schafe gestraft. Die Zunahme der Macht Chinas rief die Notwendigkeit hervor, die juristische Reglementierung der chinesisch-mongolischen Beziehungen genauer zu formulieren. Dies äußerte sich in der Veröffentlichung des Pekinger Hofes für die Verwaltung der Grenzmarken (Li-fan-yüan) vom Jahre 1789 4). Nachstehend die Hauptabteilungen dieses Rechtsbuches: über Würden, über Revision und Pflichten, über Hofbesuch und die Tributgeschenke, über Versammlungen und Kriegsvorbereitungen, über den Kurierdienst, über Raub, Diebstahl und Totschlag, über die Gefangennahme von Flüchtigen und verschiedene Verbrechen der Lamas und über die Entscheidung der Prozeßsachen. Die Verordnung zählt die Abgaben und Steuern auf, welche den Mongolen auferlegt werden. Obgleich alle Mongolen zum Militärdienst herangezogen werden, wurden dennoch aus einer Familie, die drei Söhne in den Krieg zu schicken hatte, nur zwei genommen. Je zehn Jurten sind einem Zehntmann unterstellt. Die Schwadron besteht aus 150 Mann, sechs Schwadronen bilden ein Regiment. Die Bevölkerung zahlt Naturalabgaben an den Fürsten in Gestalt von Vieh, die bei Tributlieferungen nach Peking, bei Reisen zum Culgan (der Fürstenversammlung), bei der Vermählung von Fürstensöhnen oder -töchtern und ähnlichen Gelegenheiten erhoben werden. Die Fürsten und ihre Untertanen erhalten bei Reisen von der Bevölkerung Postpferde und Verpflegung. Die herrschende Religion ist der Lamaismus; die Geistlichkeit genießt gewisse Vorrechte. So sind die Geistlichen vom Militärdienst befreit. Um einer Überfüllung des geistlichen Standes vorzubeugen, sind'Etats der Klöster vorgeschrieben; die Klostervorsteher dürfen überzählige Mönch nicht behalten und Wanderlamas nicht aufnehmen. Alle Lamas müssen entsprechend ihrem Range ein gelbes oder rotes Gewand tragen. Ein Lama, der ein Verbrechen begangen hat, wird dem weltlichen Gericht übergeben. Verordnungen privatrechtlichen Charakters finden sich nur wenige. Die Mongolen müssen in den ihnen zugewiesenen Gebieten nomadisieren. Wenn Fürsten ersten Ranges ihre Grenze übertreten, so zahlen sie eine Strafe von 10 Pferden, Fürsten zweiten Grades entsprechend weniger. Der Handel ist nur mit Genehmigung der fürstlichen Verwalter oder der örtlichen Beamten zulässig. Die Angehörigen desselben Clans dürfen nicht untereinander heiraten. Vor der Hochzeit muß der Mongole für seine Braut einen „Kaufpreis" bezahlen, 4 ) S. Lipowzew, Reglement des Chinesischen Li-fan-yüan vom Jahre 1789, St. Petersburg 1828.

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der beim einfachen Volk zwei Pferden, zwei Rindern und zwölf Schafen gleichkommt. Die Scheidung ist vom Manne abhängig. Die geschiedene Frau hat nicht das Recht, die ihr vom Manne gemachten Geschenke mitzunehmen, kann aber ihre Mitgift mitnehmen. Kinderlose Mongolen dürfen mit Genehmigung des Bannerfürsten fremde Kinder adoptieren. Erben sind die männlichen Nachkommen oder die Adoptivsöhne. Wenn der von einer Nebenfrau geborene Sohn als eigener Sohn erzogen wird, so darf dessen Mutter weder verheiratet noch verkauft werden, da sonst ihr an Sohnesstatt erzogenes Kind nicht als Sohn gilt. Auf das Strafsystem des Reglements hat die chinesische Gesetzgebung starken Einfluß ausgeübt. Eine bedeutende Stelle nimmt hier die Todesstrafe durch Enthauptung ein, worauf das Haupt öffentlich ausgestellt wird. Tod durch Erdrosselung und Vierteilung unter Konfiskation des Eigentums und Verkauf der Familie in die Sklaverei, Verschickung zur Zwangsarbeit nach klimatisch gefährlichen Gegenden, Körperstrafen durch Knute und Stock, Tragen des Kangs, Gefängnisstrafen, Entfernung vom Dienst und Geldstrafen sind die übrigen Strafen des Reglements. Angesichts der Entwicklung der mongolisch-chinesischen Beziehungen und der Unzulänglichkeit der vom Reglement festgesetzten juristischen Normen wurde unter Kaiser K'ien Lung eine Kommission eingesetzt, die ein neues, vollkommneres Reglement ausarbeitete, das im Jahre 1815 veröffentlicht wurde. Der Übersetzer dieses Reglements, der russische Professor Lipowzew, hat es bequemlichkeitshalber in folgende Abteilungen zergliedert: das Li-fan-yüan und dessen Organisation, Zivilrecht, Innere und Äußere Fürstentümer und Militärbezirke, Rechte und Pflichten der Fürsten, Taijis, Tabunangs u. a., erbliche Ehrenrechte, Ackerbau, Hofbesuche und Darbringung von Tribut (Albabun), Geschenke und Bewirtung, Streitkräfte und Postverwaltung, Strafrecht und Postverwaltung, Verordnungen über die Lama-Geistlichkeit, Gesetzgebung über Tibet, Beziehungen zu Rußland, Handelsverträge und Grenzverordnungen. In seinen Grundteilen enthält das zweite Reglement Gesetzesverordnungen über die Einrichtung und Verwaltung der Mongolei und Tibets, das militärische Reglement, Verordnungen über die Geistlichkeit und die Beziehungen zu Rußland. Ich werde nur einige Verordnungen anführen, die das erste ergänzen oder in den Rechtsbeziehungen zwischen Chinesen und Mongolen Neues bedeuten. Hinsichtlich der Bodennutzung berücksichtigten die Verordnungen den Schutz des Nomadenwesens und der Viehzucht. So dürfen Chinesen nur in einigen Fürstentümern der Inneren Mongolei mongolische Bodenanteile pachten oder bebauen und auch dies nur nach schriftlichem Vertrage mit Genehmigung des Bezirksvorstehers. Bei Nichtentrichtung des Pachtzinses wird den Chinesen der Bodenanteil entzogen. Bodenanteile zur Sicherstellung von Geschäftsabschlüssen zu verpfänden, ist verboten. Chinesische Kaufleute dürfen nach der Mongolei nur mit Genehmigung des Li-fan-yüan kommen. Den Chinesen ist verboten, den Mongolen Geld gegen Prozente zu leihen; bei Nichtbeachtung des Verbotes erhält der Gläubiger nur das Kapital ohne Zinsen zurück und wird selbst ausgewiesen.

Kapitel X.

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Bekanntlich sind alle diese zum Schutze der Mongolen gegen die Ausbeutung durch die Chinesen aufgestellten gesetzlichen Einschränkungen in der Praxis wenig angewandt worden, da die chinesische Regierung sehr bald ihre Politik änderte, indem sie die systematische Kolonisation der mongolischen Gebiete mit dem Ziele der ständigen wirtschaftlichen Eroberung der Mongolei in die Wege leitete. Den in der Mongolei befindlichen Chinesen ist es verboten, Mongolinnen zu heiraten. Im Falle des Verstoßes gegen dieses Gesetz wird die Ehe für ungültig erklärt und die Frau den Eltern zurückgegeben; außerdem wird beiden Schuldigen ein Rang um den Hals gehängt, eine Körperstrafe auferlegt und der Chinese nach seiner Heimat ausgewiesen. Dieses Gesetz wird auch nicht angewandt und die Chinesen leben frei mit Mongolinnen. Der Preis für eine mandschurische Braut, die ein mongolischer Fürst freit, ist von der Stellung des Vaters der Braut abhängig. Wenn es ein Fürst erster Ordnung ist, so erhält er bei der Unterzeichnung des Heiratskontraktes ein Kamel, vier Pferde und vier Schafe, vor der Heirat selbst wird eine bedeutendere Herde ausbezahlt. Der Preis sinkt mit der sozialen Stellung des Vaters der Braut. Die Verordnungen über Adoption und Erbfolge unterscheiden sich wenig von den Normen des ersten Reglements. Erbliche Taijis und Tabunangs (Adlige) sowie Söhne der Fürsten können Kinder aus ihrem oder fremdem Geschlechte adoptieren. Die Hauptfrau darf nach dem Tode des Gatten die Nebenfrauen nicht verkaufen. Erben sind die direkten Nachkommen, d. h. die Söhne der Hauptfrau und der Nebenfrauen, darauf folgen die Brüder, dann erst der Clan. Im allgemeinen enthalten beide Reglements, ungeachtet der Menge der einzelnen Verordnungen, wenig Normen des privaten Rechts und lassen das Notwendigste im bürgerlichen Verkehr unberührt. Zudem regulieren diese Normen in der Hauptsache die Beziehungen zwischen den Mongolen und den Chinesen, ohne auf die Beziehungen der Mongolen unter sich einzugehen. Dieser Umstand läßt den Schluß zu, daß in Fragen des privaten Rechtes die Mongolen nach wie vor sich von den Normen des Gewohnheitsrechtes und der früheren Gesetzeskodifikationen leiten ließen. Diese Meinung wird vom bekannten Erforscher des mongolischen Gewohnheitsrechts Dschamsaranow bestätigt, der darauf hinweist, daß die Mongolen der S abinar-Verwaltung bis auf den heutigen Tag das Kalkayin Jirum, den Kodex aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts, anwenden 5 ). ') W. Rjasanowski, Gewohnheitsrechte der mongolischen Stämme, Harbin 1924.

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Kapitel XL

Kapitel XI. Der Anteil Rußlands am mongolischen Handel. Ein- und Ausfuhrartikel. Die überwiegende Rolle der Viehzucht in der Mongolei. Die Viehausfuhr nach Rußland. Der mongolische Handel mit China. Die Passivität der russisch-mongolischen Handelsbilanz und die Vorschläge der Kaufleute von Kiachta. Die Verschlechterung der Lage infolge der russischen Revolution. Die mongolische Expedition und der „Zentro-Sojus" (Zentralverband der Verbraucher-Genossenschaft.)

Obgleich Rußland seine Beziehungen zur Mongolei, wie schon erwähnt, bereits im 16. Jahrhundert aufgenommen hatte, fand die auf gemeinsamen Interessen begründete Annäherung erst bedeutend später statt. Der größte Teil der Erforschungen und Beschreibungen der Mongolei stammen schon aus einer frühen Zeit und haben in der Hauptsache wissenschaftlichen Charakter 1 ). Dabei ist die Mongolei eines der wenigen Länder, in denen der russische Exporthandel sich infolge der Nähe und der großen Aufnahmefähigkeit des Marktes nach dem primitiven Bedürfnisse der mongolischen Bevölkerung und den Vertragsvergünstigungen frei entwickeln konnte. Wie aus der Geschichte der Beziehungen Rußlands zur Mongolei zu sehen ist, ging der russisch-mongolische Handel seine eigenen Wege und fand nur geringe organisierte Unterstützung seitens der Moskauer und späterhin der Petersburger Regierung. In Rußland wurde die Mongolei lediglich als Mittelglied in den Beziehungen zu China und als Rohstofferzeugerin angesehen. Späterhin, als man sich nach dem japanischen Kriege über die Bedeutung der Mongolei als eventuellen Pufferstaates klar geworden war, schätzte man die mongolischen Hilfsquellen richtiger ein, was unter anderem auch die Einberufung von Konferenzen und die Entsendung wissenschaftlicher und Handelsexpeditionen in dieses Land zur Folge hatte. Ende des vorigen Jahrhunderts wurden nach der Mongolei Expeditionen von A. Posdnejew, Przewalski, Potanin, Matusoswki und Grum-Grshimailo entsandt, die ausführliche und wertvolle Angaben über die Wirtschaftslage des Landes sammelten. Im Jahre 1910 wurde auf Veranlassung der Moskauer Kaufmannschaft, hauptsächlich von P. Rjabuschinski, N. Morosow, A. Konowalow und N. Kaschtanow, eine Handelsexpedition nach der Mongolei ausgerüstet. An dieser Expedition, an deren Spitze Oberst W. Popow l ) Die Geschichte des Studiums und der Erforschung der Mongolei im letzten Jahrhundert ist mit folgenden Namen eng verknüpft: M. Deguignes, Abel R6musat, Julius Klaproth, Isaak Jakob Schmidt, Karl Dietrich Hüllmann, Pater Gaubil, Carl Friedrich Koeppen, C. d'Ohsson, O. Wolf, Henry H. Howorth, Hammer-Purgstall, Henry Yule, E. Parker, Georg Huth, W.W. Rockhill, C. Jülg, Schlagintweit, CastrGn, Zwick, Edouard Chavannes, Paul Pelliot, G. J. Ramstedt. Hinsichtlich der Russen sind folgende Namen beachtenswert: die Archimandriten Palladius und Hyakinth Bitschurin, Gurij und Palladij Kafarow, Leontjew, Gorski, Timkowski. Lipowzew, Golstunski,Tschichatschew, Sapotschnikow, E. Kowalewski, Jadrinzow, Przewalski, Bretschneider, Pjassezki, Fritsche, Paderin, P. Popow, Potanin, Berezin, W. Wassiljew, Matusowski, Adrianow, Klementz, Radlow, Pjewzow, Saponikow, Roborowski, Obrutschew, Gebr. Posdnejew, D. Pokotilow, Gebr. Grum-Grschimailo, Kotwitsch, Nowizki, Bobrownikow, Koslow, S. Oldenburg, Patkanow, Rudnew, Kasnakow, Baranow, Bogolepow, Krasnow, Swetschnikow, Swetschnikow, Stepanow, Dshamsaranow u. a.

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stand, nahmen Vertreter der großen Moskauer Firmen, der Agronom I. Morosow, der Älteste der Kaufmannschaft von Tschugutschak, Sobolew, und der Vertreter des Handelsministeriums Leschkow teil. Die Expedition brach von Kiachta auf und durchzog, in verschiedene Gruppen geteilt, die Mongolei nach verschiedenen Richtungen. Sie besuchte Urga, Uliyasutai, Kobdo, Ulankom, Sain Sabi, Wang Kuren, Selengga, Kuei-hua-ch'eng und drang bis Kaigan im Süden und Biisk im Westen vor. Wie schon die früheren Expeditionen stellte auch diese ein Fallen des russischen Handels fest und gab eine Reihe von Maßnahmen zu seiner Hebung an, wie den Verkauf von russischem Tee für den mongolischen Markt, Verbilligung der rusisschen Textilwaren, Regelung des Viehund des Rohstoffhandels, bessere Organisierung der russischen Kaufleute und Gründung einer Bank. Das von der Expedition gesammelte Material ist in Buchform unter dem Titel „Die Moskauer Handelsexpedition in der Mongolei" herausgegeben worden. Auch wurde vom Handelsministerium eine Expedition unter der Führung des Professors der Tomsker Universität Bogolepow ausgerüstet, welche eine wertvolle Arbeit über die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Mongolei herausgegeben hat. Interessante Angaben wirtschaftlichen Charakters wurden im Jahre 1913 von der Expedition des Agenten des Handelsministeriums Balaban gesammelt. Sicherlich würde sich in den Archiven der Ministerien reiches Material über den russisch - mongolischen Handel wie auch eine ganze Reihe von Projekten zu seiner Entwicklung und Hebung finden. Der Warenaustausch zwischen Rußland und der Mongolei findet längs der ganzen russisch-chinesischen Grenze statt und zwar hauptsächlich über folgende Punkte: Kiachta, Hanggin-Paß, Kosch-Agatsch, Katon-Karagai und Zaißan. Die Hauptausfuhrartikel aus Rußland in die Mongolei sind: Manufakturwaren, Tuche, Juchten, Eisenwaren, Emaillegeschirr, Mehl, Zucker, Tabak, Streichhölzer, Spiritus, Wein, Petroleum und Silber in Barren. Die Mongolei führt nach Rußland aus: Rohstoffe, hauptsächlich Wolle, Leder, Pelzwaren und Felle, Wolfs-, Fuchs-, Eichhorn-, Hunde-, Bären-, Luchs-, Seebiber-, Marder-, Zobel-, Surok-, Tarbagan-(Murmeltier) und Iltisfelle, Maralhörner, Schaf und Schweinedärme, Fett und eine unbedeutende Quantität Gold, Roßhaar, Schafsfelle, gegerbte Lammfelle, Filz und Yakschweife. Eine recht wichtige Rolle im mongolischen Außenhandel spielt das Vieh — Pferde, Kamele, Rinder, Ziegen und Schafe, aus welchen der Wohlstand der Bevölkerung sich in der Hauptsache zusammensetzt. Die vornehmliche Beschäftigung der Mongolen ist die Vieh- und Pferdezucht. Das Pferd hat stets neben dem Kamele und dem Rinde, dem Yak oder Sarluk eine große Bedeutung im Haushalte der Mongolen gehabt. Eine große wirtschaftliche Bedeutung für das Leben im Lande haben auch die Ziegen und Schafe. Historischen Angaben zufolge sind früher die Viehbestände der Mongolei bedeutend größer gewesen; heutzutage befindet sich die mongolische Viehzucht im Verfall infolge der Einschränkung der Weidegründe, der Zunahme von Viehseuchen und der ungünstigen Verhältnisse im allgemeinen. Eine Menge Vieh kommt auch infolge der mangel-

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haften Fütterung, der Steppenbrände und Winterstürme um oder fällt den Raubtieren zum Opfer. Die Mongolen machen keine Heuvorräte; die Herden sind das ganze Jahr auf Grasfutter angewiesen, wobei sie des öfteren hungern müssen. Ein derartiges System trägt natürlich nicht zur Vermehrung und Hebung der Rassen bei. Da der Mongole sich hauptsächlich von Milcherzeugnissen nährt, bleibt nur ein ganz geringer Teil der Milch für die Aufzucht der Kälber und Fohlen übrig, was ebenfalls ungünstig auf das Wachstum der Tiere wirkt. In den letzten Jahren haben sich russische Kolonisten mit der Milchwirtschaft der Mongolei beschäftigt und sind mit Bannern und Fürsten diesbezüglich in Verbindung getreten; sie haben Farmen eingerichtet und neue vervollkommnete Methoden der Viehzucht eingeführt. Solche Farmen gibt es nicht nur in Kalka und der an die Mandschurei angrenzenden Mongolei, sondern auch in Bannern der Inneren Mongolei, von wo Butter und Käse nach Peking und auf andere Märkte versandt werden. Zu Anfang äußerte sich die Beteiligung Rußlands an der Entwicklung der mongolischen Viehzucht außerdem in der Viehseuchenbekämpfung durch Impfungen, die von russischen Tierärzten vorgenommen wurden. Geimpft wurden hauptsächlich die nach Rußland gehenden Herden; in letzter Zeit haben sich auch mongolische Viehbesitzer an die Tierärzte gewandt. Folgende Zahlen sind der Zählung von 1918 entnommen und geben einen Begriff von der Lage der Viehzucht in Kalka: Benennung des Aimaks

Cecen Khan Tusiyetu Khan Sain Noyan Khan Jasaktu Khan Sabinar-Verwaltung Einzelne Hutuktus Kobdo-Bezirk Darhat und die Besitzundes Patriarchen von Urga In ganz Kalka

Zahl der Pferde

Zahl der Kamele

Zahl der Rinder

125 704 186 605 224 276 93 942 114 620 34 851 102 972

17 548 52 751 41 595 17 669 24 932 9 825 25 625

122 576 143 647 275 147 96 795 196 527 38 711 89 350

29 500 892 470

1412

23 034

61 576

191 357

964 789

5 668 317

Zahl der Schafe

622 881 1 440 904 770 234 711

627 370 312 935 940 847 700

Der amerikanische Autor Goering 2 ) führt folgende Zahlen an, die nach russischen und chinesischen Quellen zusammengestellt ¿ind:

Pferde Rinder Ziegen und Schafe Kamele

Äußere Mongolei und Kalka

Innere Mongolei

10 600 000 23 300 000 31 000 000 530 000

7 000 000 10 800 000 16 500 000 85 000

Zusammen

17 600 34100 47 500 615

000 000 000 000

*) Study on Mongolia, its resources and potentialities, by Richard E. Goering, Peking 1923.

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Der deutsche Mongoleireisende Hermann Consten 3 ) setzt die Zahl der gesamten Viehbestände der Äußeren Mongolei auf 37 725 000 Stück fest, davon 20 000 000 Schafe, 7 500 000 Pferde, 10 000 000 Rinder und 225 000 Kamele und Yaks. Das mongolische Vieh und die Pferde werden nicht nur im Inlande verbraucht, sondern gehen auch in großen Partien nach Sibirien und China. Die größten Herden werden bei Urga und Wang Kure zusammengetrieben, von wo sie über die Grenze nach Rußland gehen. Ein anderes großes Zentrum für den Viehhandel ist das Darhat-Gebiet, welches das Stammgebiet des Hutuktus ist (das Flußtal Schischkita bis zum Delta des Tenggis mit dem Süd teil des Sees Kosogol). Dort ließen sich einst Kaufleute aus Tunka und Irkutsk nieder, befaßten sich mit Landwirtschaft und trieben Tauschhandel mit den Mongolen. Durch dieses Gebiet wird das Vieh aus dem Uliyasutai-Gebiet und aus dem Quellengebiet des Yenissei zum See Kosogol getrieben, wo die nach Irkutsk führenden Wege zusammentreffen. In letzter Zeit befand sich der Viehhandel im nördlichen Gebiet der Mongolei ganz in jüdischen Händen. Ein wesentlicher Ausfuhrposten sind auch die Viehzuchterzeugnisse — Leder, Därme, Horn, Knochen, Schafwolle und Kamelhaare. Die Schafschur wird mit primitiven Mitteln ausgeführt, da die Mongolen nur selten Scheren gebrauchen und gewöhnlich Haken verwenden, mit denen sie die Wolle von der Haut reißen. Auch die während des Haarwechsels ausfallende Wolle wird gesammelt. Diese Wolle ist gewöhnlich sehr schmutzig und erfordert eine gründliche Reinigung. Russische Kaufleute und Siedler haben an verschiedenen Punkten der Mongolei Lager und Wollreinigungsanstalten gegründet. Hier wird die Wolle gereinigt, verpackt und mit Karawanen nach Kaigan, Kuei-huach'eng und von dort in die Hafenstädte befördert Was die Landwirtschaft angeht, so steht sie im wirtschaftlichen Leben des Landes an zweiter Stelle, da die Mongolen, besonders die Kalka, niemals eine Neigung zu dieser Beschäftigung, die Seßhaftigkeit und dauernde Arbeit erfordert, an den Tag gelegt haben. Mit Ackerbau beschäftigen sich von altersher nur die chinesischen Siedler, indem sie von den Bauern Land pachten und mit Hilfe mongolischer Arbeiter bestellen. Die chinesischen Kolonisten bauen vor allem Weizen, Hirse und Hafer. Übrigens ist die Menge des angebauten Getreides so unwesentlich^ daß sie kaum für die lokalen Bedürfnisse ausreicht und die Mongolen sind genötigt, Getreide und Mehl aus Sibirien oder aus der Mandschurei zu kaufen. Anders ist es in der Inneren Mongolei, wo die Bewohner unter dem Einflüsse der Chinesen zum Ackerbau übergehen und überhaupt Neigung zur Seßhaftigkeit aufweisen. Bezüglich des russisch-mongolischen Handels sei noch erwähnt, daß dessen Besonderheit darin besteht, daß die Einfuhr viel größer als die Ausfuhr ist, was für Rußland eine ungünstige Handelsbilanz ergibt. Die Mongolen führen dorthin dreimal so viel ihrer Erzeugnisse aus, als sie russische Waren erhalten. *) Hermann Consten, Weideplätze der Mongolei, Berlin 1919, Band II.

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Nachstehend einige Zahlen, die eine Vorstellung von dem russisch-mongolischen Handel in der Zeit vor der Revolution geben:

1912 1913 1914 1915

Ausfuhr aus der Mongolei nach Rußland in Rubeln

Ausfuhr aus Rußland nach der Mongolei in Rubeln

10927700 8 403 000 8 427 000 11 461 000

3184000 2 689 000 4 484 000 2 429 000

Gesamtumsatz in Rubeln.

12 570000 11 092 000 12 890 000 13 890 000

Die angeführten Zahlen geben wohl kaum den wahren Umfang des russisch-mongolischen Handels wieder. Aber selbst wenn diese Zahlen um 50% erhöht werden, d. h. wenn der Umsatz mit 20 Millionen Rubeln angenommen wird, bleibt dieser im Vergleich zum Warenaustausch Rußlands mit anderen Ländern ganz unwesentlich. Das größte Handels- und Vertriebszentrum für Kalka ist Urga, wo der Jahresumsatz 35 Millionen Rubel erreicht. Neuesten Angaben des Mongoleiforschers Maiski zufolge gab es im Jahre 1918 in Urga 400 chinesische Firmen, während an russischen nur 50 gezählt wurden. Diese Zahl ist infolge der Ereignisse der letzten Jahre wesentlich zurückgegangen, da so große Firmen wie Schwezow, Kokowin und Bassow, Noskow, Stucken, Biedermann (aus Leipzig) und andere gezwungen waren, ihre Geschäfte zu liquidieren. An nächster Stelle im Engroshandel steht Uliyasutai mit 4 Millionen Rubeln Umsatz. Im Jahre 1919 gab es dort 17 chinesische und 12 russische Firmen, letztere waren jedoch ohne Beschäftigung. Weiter folgen Mai-mai-ch'eng bei Kiachta, Wang Kure, Ulankom, Hathul, Sain Sabi und einige weniger große Zentren 4). Außer dem Manufakturwaren-Engroßhandel und dem Ankauf von Rohstoffen in den hauptsächstlichsten Zentren betreiben sowohl russische als auch chinesische Firmen den Handel in den Bannern, Klöstern und Fürstensitzen, indem sie ihre Agenten und Angestellten dorthin schicken. Die Geschäftsabschlüsse werden in Silber, Ziegeltee, Tierfellen und Schafen getätigt. Eine der wesentlichen Bedingungen des mongolischen Handels ist der langfristige Kredit, da die mongolischen Erzeugnisse, Rohstoffe oder Vieh, nur zu bestimmten Jahreszeiten auf den Markt gebracht werden können, so z. B. die Wolle nur. nach der Schafschur, Felle nur im Winter und Frühjahr, Vieh und Pferde nur dann, wenn sie Grasfutter finden. Somit muß der Käufer oft lange Zeit warten, bis er den von ihm gekauften Posten Rohstoffe oder Vieh geliefert erhält. Der Mongole ist in seinem Geschmack und seinen Gewohnheiten sehr konservativ und kann sich, an eine Ware gewöhnt, nur schwer zum Kauf neuer Waren, wenn auch besserer Qualität, entschließen 6 ). *) A. Maiski, „Die heutige Mongolei". ) In der Mongolei ist dreierlei Silber im Umlauf: Gewichts-, Jamba- und Münzensilber. Das Gewichts- oder Hamburger Silber wurde von russischen Kaufleuten eingeführt und von den Mongolen hochgeschätzt, die es „weißes Silber", Cagan Menggu, nannten. Als Gewichtseinheit gilt der chinesische Liang (Tael), der aus 10 Ts'ien, 100 Fen, 1000 Li oder 10 000 Hao 5

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Eine vorherrschende Stellung im mongolischen Handel nehmen die Chinesen ein, was wohl auf ihre zahlenmäßige Stärke und Organisation und die Fähigkeit der chinesischen Kaufleute, mit den Nomaden umzugehen, zurückzuführen ist. Die Vorherrschaft der Chinesen wird auch durch die Abhängigkeit der Mongolen von der chinesischen Einfuhr gefördert. Die Chinesen führen Waren ein, welche die Mongolen dringend benötigen, und zwar Dalyamba und Cuyamba (Baumwollstoffe) und Ziegeltee. Auch Reis, Hirse, Seidenstoffe, Schnaps, Tabak, Götterbilder, buddhistische Kultgeräte, Kleider, Stiefel und Lebensmittel werden von den Chinesen eingeführt. Die Kultgeräte, d. h. Gebetsmühlen, Buddhas, Öllämpchen, Räucherbecken und verschiedene Gefäße, werden in Peking und Dolon Noor hergestellt und in großen Mengen in die Mongolei eingeführt. In letzter Zeit werden solche Kultgegenstände auch im Ausland angefertigt und nach der Mongolei geschickt. Die chinesischen Handelsgesellschaften, die sog. T'ung-ki, haben in der Mongolei ein ganzes Netz ihrer Abteilungen und Agenturen organisiert. Sie verfügen über großes Kapital und Kredite und setzen den Geldkurs und den Preis für das Silber fest; da sie die Möglichkeit haben, langfristige Kredite zu gewähren, kontrollieren sie den Warenaustausch und sind überhaupt fast uneingeschränkte Organisatoren des wirtschaftlichen Lebens im Lande. Die hauptsächlichsten chinesischen Firmen, die in der Mongolei seit langem tätig sind und über großes Kapital verfügen, sind die Ta-t'ien-k'u, T'ien-i-te und So-sun-chan. Nachstehend ein Auszug aus der Beschreibung Saizews über das chinesische Handelssystem: „In bestimmten Zeitabständen wird eine Kamelkarawane mit allem für die Bevölkerung Notwendigem ausgerüstet. Der Agent der Firma besucht seine ständigen Kunden und läßt in den Jurten eine bestimmte Menge an Waren zurück, ohne die Besitzer zu fragen, ob sie die Waren benötigen oder nicht. Wenn der Agent auf Widerspenstige stößt, die diese oder jene Ware nicht annehmen wollen, so regelt das Geschäft stets das traditionelle Geschenk. Der Agent zieht einen Topf mit Wein, irgendwelche Kleinigkeiten oder Schmuck hervor und überreicht das alles mit einer Verbeugung. Das Geschenk nicht annehmen, heißt beleidigen; mit seiner Annahme aber muß die Ware genommen werden. Der befriedigte Händler notiert alles ins Büchlein und begibt sich weiter. Bei der Zahlung vergißt er nicht, Zinsen für die verflossene Zeit anzurechnen, die öfters den Wert der Waren erreichen." 6 ) Trotz der Konkurrenz gehen die Firmen und Gesellschaften mit großer Solidarität vor und regeln die Preise entsprechend der Nachfrage und dem Angebot. Es genügt ein flüchtiger Blick auf die chinesischen Lager und Geschäfte besteht. Bei Zahlungen werden die Barren in kleinere Teile zerteilt. Die größte Unbequemlichkeit bei Zahlungen mit solchem Silber besteht darin, daß es in drei Sorten geteilt wird: schwere, mittlere und leichte Liang, wobei die Chinesen bestrebt sind, leichte Liang zu zahlen und schwere Liang einzunehmen. Die zweite Sorte ist das Jamba-Silber. So wird ein Silberbarren bestimmten Gewichts genannt. In der Mongolei gelten Jamba zu einem, zwei, fünf und zehn Liang. Die dritte Silberart ist das Silbermünzgeld russischer und chinesischer Prägung. •) Kurze Beschreibung der Mongolei von A. Saizew, Harbin 1925. K o r o s t o v e t z , Mongolei.

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in Urga, um sich klar zu werden, daß die Hegenomie dem chinesischen Handel gehört. In Urga gibt es eine Handelskammer mit Vertretern Pekinger Firmen und mit Filialen an den hauptsächlichsten Punkten der Mongolei. Der chinesische, russische und mongolische Handel wird durch Karawanen getätigt und geht über Lan-chou-fu nach Kansu, über Sui-yüan nach Schansi, über Kaigan nach Peking und Tientsin und teilweise über die Mandschurei nach Hailar oder der Station Mandschuria. Gegenwärtig bestehen regelmäßige Karawanen- oder Automobilverbindungen zwischen: Kiachta—Urga = 330 Werst; Station Mandschuria—Urga = ca. 1000 Werst, Kaigan—Urga = über 1000 Werst, Kobdo— Uliyasutai—Urga = 1500 Werst, Bjelozarsk—Uliyasutai = 550 Werst, Uliyasutai—Kaigan über Sain Usu — ca. 1600 Werst, Hailar—Urga—Kobdo—Kuch'eng und Uliyasutai—Ku-ch'eng. Wie aus den Zahlenangaben des Umsatzes zu ersehen ist, konnte der russische Handel dem chinesischen keineswegs gleichkommen. Die Passivität der russischen Handelsbilanz wurde dadurch bedingt, daß Rußland bedeutende Mengen in der Mongolei einkaufte und in Silber zahlte, welches dann als Zahlung nach China für die dort gekauften Bedarfsgegenstände ging. Im Gegensatz zu den Ghinessn vermochten die russischen Kaufleute nicht, sich zu einem gemeinsamen Vorgehen zusammenzuschließen. In Ermangelung einer Organisation und ohne Besitz hinreichenden Kapitals konnten sie mit den reichen und geeinigten chinesischen Firmen nicht konkurrieren und mußten sich mit einer untergeordneten Stellung begnügen. Das russisch-mongolische Abkommen vom Jahre 1912, welches dem russischen Handel wesentliche Vorteile gewährte, regte die Geschäftstätigkeit russischer Kaufleute an. In Irkutsk, Kiachta und Urga wurde über die russisch-mongolische Handelsfrage verhandelt. Die in Irkutsk vom dortigen Börsenkomitee einberufene Konferenz schlug eine Reihe von Maßnahmen vor, wie z. B. die Einführung der russischen Währung in der Mongolei, die Herabsetzung der Eisenbahntarife und die Abschaffung der Zölle für über Wladiwostok eingeführte Waren. Es wurde auch der Vorschlag gemacht, den Russen das ausschließliche Recht zur Gründung von Banken sowie Industrie- und Handelsunternehmungen in der Mongolei unter Ausschluß von ausländischem Kapital zu gewähren. An der zu diesem Zwecke in Urga einberufenen Konferenz beteiligten sich außer den dortigen Kaufleuten die Beamten des Handelsministeriums Balaban und Golubow und der aus Moskau erschienene Vertreter der Moskauer Exportgenossenschaft, Reschetnikow. Die Konferenz sprach sich ungefähr in demselben Sinne aus. Das Hauptinteresse konzentrierte sich auf die Frage der Dalyamba-Einfuhr (Baumwollzeug), und es wurde die Möglichkeit ihrer Erzeugung in Moskau erörtert, jedoch festgestellt, daß die russische Dalyamba minderwertiger sei als die chinesische und sich um 2 0 % teurer stellen würde. Deshalb wurde vorgeschlagen, einen Extrazoll auf chinesische Dalyamba zu legen, um sie im Preise der russischen gleichzusetzen. Die Verhandlungen fielen zusammen mit dem von den Kiachtaer Kaufleuten eingebrachten Protest gegen die im Jahre 1913 stattgefundene Aufhe-

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bung der zollfreien Zone, innerhalb deren auf einer Strecke von 50 Werst längs der Grenze der zollfreie Handel zugelassen war. In der Eingabe wurde darauf hingewiesen, daß die Aufhebung der Zone den russisch-mongolischen Tauschhandel hemmen würde, zu dessen Entwicklung u. a. das Handelsprotokoll von Urga unterzeichnet wurde. Die Kaufleute von Urga waren der Ansicht, daß es in Anbetracht der ungünstigen Handelsbilanz notwendig sei, für Rußland Bedingungen in der Mongolei zu schaffen, vermöge deren die Mongolen von uns die Waren erhalten könnten, die sie bisher aus China bezogen. Zu diesem Zwecke müßten die Zollformalitäten an der Grenze abgeschafft werden und der Transit über Wladiwostok, Harbin, Werchne-Udinsk und Kiachta gehen. Ausländische Waren, die in Rußland nicht erhältlich seien, und zwar der auf dem Karawanenwege über Kaigan und Kuei-hua-ch'eng importierte Ziegeltee sowie Reis und Seide sollten zugelassen werden. Außer Tee sollte die Einfuhr amerikanischer und japanischer Baumwollgewebe freigegeben werden. Die Kaufmannschaft von Kiachta ersuchte ferner um die Einführung von Schutzzöllen für Waren, „die vom Süden kämen", d. h. chinesische, um diese durch russische Erzeugnisse zu ersetzen. Im allgemeinen waren die Wünsche der Kaufmannschaft nicht neu; sie waren eine Wiederholung der früheren Wünsche nach Begünstigung, Schutzzöllen, Herabsetzung der Tarife usw. Obgleich diese Wünsche oft dem Prinzip der „Offenen T ü r " zuwiderliefen, das in der Mongolei angewandt werden sollte, wurde in Petersburg dennoch beschlossen, einige der von der Kaufmannschaft empfohlenen Maßnahmen zu ergreifen. Der Verfasser des Buches „Die heutige Mongolei", Maiski, schreibt, den Rückgang des russischen Handels erwähnend, diesen trotz der Vorteile des Urgaer Handelsprotokolls vom Jahre 1912 der Rückständigkeit unserer Kaufleute zu, welche die günstige Konjunktur zur Beibehaltung des mongolischen Marktes nicht hätten ausnutzen können. „Die Volkswirtschaft", sagt er, „verträgt kein Vakuum. Da der russische Handel nicht fähig war, die autonome Mongolei mit den ihr notwendigen Waren zu versorgen, erschienen in den entstandenen Breschen die Chinesen. Nachdem die erste Panik überwunden war (nach dem Abfall Kalkas und der ersten Vertreibung der Chinesen), kehrten diese auf die alten Plätze zurück und wurden von der örtlichen Bevölkerung freundlich empfangen. Und wie dies auch merkwürdig sein m a g : die russischen Kaufleute waren selbst bestrebt, den Weg für die einziehenden Chinesen zu ebnen. Da nach den von der mongolischen Regierung herausgegebenen Zollregeln die von den Chinesen eingeführten Waren mit einer 5%igen Abgabe belegt wurden, die für die russischen Firmen bestimmten Waren hingegen von der Abgabe befreit waren, verkauften russische Kaufleute gegen Entgelt ihren Namen an Chinesen. Nach Urga kamen fortwährend aus Kaigan Karawanen mit Waren, die an verschiedene russische Firmen adressiert waren; nachdem sie glücklich das mongolische Zollamt passiert hatten, luden sie in den Höfen der chinesischen Geschäfte ihre Waren ab. Zu solchem selbstmörderischen Unsinn führte die Blindheit und Gier der russischen Kleinkrämer! Wenn solche Zustände schon zu Friedenszeiten herrschten, so kann man 8»

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sich leicht vorstellen, was vorgehen mußte, als der Krieg ausbrach und die Revolution folgte. Vom Jahre 1916 an hörte die Warenausfuhr aus Rußland nach der Mongolei fast ganz auf. Gleichzeitig setzte der Sturz des Rubelkurses ein, der in der zweiten Hälfte 1917 katastrophalen Charakter annahm. Die Einfuhr aus der Mongolei nach Rußland wurde zwar fortgesetzt, die Viehausfuhr nahm sogar zu, gekauft wurde aber hauptsächlich gegen Silber und Geld, von einer Versorgung der Mongolen mit den notwendigen Lebensmitteln konnte nicht mehr die Rede sein. „Der Bürgerkrieg, der in den Jahren 1918/22 in Rußland wütete und dessen Prestige in Zentralasien stark schädigte, gab den Chinesen die Möglichkeit nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Vordringens in der Mongolei, was noch mehr die Stellung des russischen Handels im Lande erschwerte. Der chinesische Handel konnte sich wieder aufrichten, den freigewordenen Platz besetzen und nahm im Jahre 1920 eine ebenso vorteilhafte Stellung ein wie der russische Handel vor acht Jahren. Für die russischen Kaufleute in der Mongolei kamen schwere Tage. Einige Firmen versuchten noch, in verkleinertem Maßstabe Rohstoffe auszuführen, die Mehrheit der Unternehmungen geriet jedoch in eine dauernde Krise. Einige von ihnen arbeiteten, um dem endgültigen Bankrott zu entgehen, mit Chinesen oder aber trafen Übereinkommen mit ausländischen Firmen, noch andere wurden Viehlieferanten für die Mongolische Expedition 7 ). Aber alles dies waren schon von der Verzweiflung diktierte Schritte. Als ich im Jahre 1920 in der autonomen Mongolei reiste, befand sich der russische Handel im Zustande des Verfalls. Fast alle russischen Firmen waren ohne Beschäftigung, die Hosun-Filialen an vielen Stellen geschlossen und die Warenlager geräumt. Die kopflosen, vom Sturm getroffenen Kaufleute sahen sich unruhig nach allen Seiten um und suchten fieberhaft nach einer kräftigen Hand, die sie vor dem Untergange retten konnte." Der Verfasser dieser trostlosen Beschreibung erwähnt mit keinem Worte, daß die entscheidende Rolle in der Zerstörung und Vernichtung des russischen Handels das Sowjetregime gespielt hat, das alles Russische in der Mongolei verfolgte. Angaben von Augenzeugen zufolge, die im Jahre 1923 die Mongolei besuchten, haben die Verfolgungen der Chinesen und Bolschewisten alles Russische soweit vernichtet, daß eine Wiederherstellung der früheren Zustände wohl kaum möglich sein dürfte oder jedenfalls einer langen Zeit des Friedens und der Ordnung bedürfen wird. Um den Zustand des russischen Handels in der Mongolei möglichst vielseitig zu beschreiben, sei hier noch die Tätigkeit der mongolischen Expedition und des Zentro-Sojus 8 ) erwähnt. Der europäische Krieg und das durch diesen hervorgerufene Bedürfnis nach Lebensmitteln ließ den Gedanken der Ausnutzung des mongolischen Fleischmarktes für die Versorgung der russischen Armeen entstehen. Zu diesem Zwecke wurde im Jahre 1915 die sog. Mongolische Expedition unter der Leitung des bekanntet Mongoleiforschers Obersten Koslow ' ) Die von der russischen Regierung zum Ankauf von Vieh entsandte Expedition. 8 ) „Zentralverband der Verbraucher-Genossenschaften."

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zum Ankauf von Vieh in die Mongolei entsandt. Die Expedition unterstand dem Landwirtschaftsministerium und nachher dem Kommissariat für Ernährung, wobei Koslow bald durch den tierärztlichen Inspektor von Transbaikalien, Dudukalow, ersetzt wurde. Zum Ankauf von Vieh wurde Kalka in vier Bezirke geteilt und diese in kleinere Distrikte. Die Hauptverwaltung befand sich in Tschita. Der Ankauf wurde teilweise durch Genossenschaften, wie z. B. in Transbaikalien, teils unmittelbar bei den Mongolen oder durch lokale Kaufleute getätigt. In Urga, Kobdo, Hathul, Uliyasutai, Wang Kure und Sain Sabi wurden Büros aufgemacht, welche, die Ankaufsabteilung versorgten und ihre Agenten in die Bezirke entsandten. Das Vieh wurde gegen Geld, Silber, Manufaktur, Tee und Waren gekauft, zu Herden zusammengetrieben und auf verschiedenen Wegen nach Sibirien gebracht: über Zaißan und Katon-Karagai nach Semipalatinsk, über Kosch-Agatsch nach Biisk, über Hathul und Mondi nach Kultuk, über Sheltuga nach Myssowsk und über Kiachta nach Werchne-Udinsk. Unsere Tierärzte impften das von der Expedition aufgekaufte Vieh gegen Rinderpest und hielten die verdächtigen Stücke in besonderen, an der Grenze errichteten Karantänestationen zurück. Die Tätigkeit der Expedition erweiterte sich ständig; so wurden im Jahre 1915 in der Mongolei 14000 Haupt Großvieh, 1916 93 000 Haupt, 1917 80000 Haupt, 1918 50 000 Haupt Großvieh und 60 000 Schafe angekauft 9 ). Der Abschluß der Tätigkeit der Expedition steht mit den in Sibirien stattgehabten Ereignissen in Verbindung. Die Expedition war unter dem Zarenregime enstanden und setzte ihre Tätigkeit als parteilose Organisation fort; unter der Sowjetregierung versorgte sie auch das Ernährungskommissariat. Im Jahre 1918 erhielt der Bevollmächtigte der Kommission, Hey, von der Moskauer Regierung eine große Unterstützung zur Erweiterung der Ankaufsoperationen. Hey stieß jedoch auf Widerstand bei den mongolischen Behörden, welche befürchteten, daß er Propaganda treiben würde. Der Statthalter von Kobdo erhielt Befehl, keine Agenten der Sowjetregierung durchzulassen und der Bevölkerung zu verbieten, mit ihnen in Handelsverbindungen zu treten. Bald darauf wurde die Expedition im Uliyasutai-Bezirk festgehalten, worauf Hey nach Sibirien zurückkehrte. Eine andere, in der östlichen Mongolei beschäftigte Expedition wurde von Parteigängern des Atamans Semjonow überfallen, welche das angekaufte Vieh raubten. Bald nach der Einführung der Omsker Regierung in Sibirien wurde der Ankauf des mongolischen Viehs der Expedition entzogen (infolge der in der Buchhaltung entdeckten Verschleierungen) und der Irkutsker Fleischabteilung zugewiesen. Da die letztere mit dieser Aufgabe nicht zurechtkommen konnte, wurde beschlossen, im Jahre 1919 die Sache dem Zentro-Sojus als der einzig zuständigen Organisation zu übergeben. Der ganze Apparat der Expedition ging an die genannte Institution über, wobei die Moskauer Regierung den Ankaufsabteilungen ihre Kontrollagenten zuwies. Diese Kombination erwies sich auch als ungünstig, da die Mitglieder des Zentro-Sojus mit den Bedingungen des 9

) A. Maiski, Die heutige Mongolei, S. 212.

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mongolischen Handels nicht vertraut waren und kein Programm zusammenstellen konnten. Die in dieser Richtung entstandenen Meinungsverschiedenheiten wurden durch die Entwertung des Rubels und den Mangel an Mitteln für den weiteren Ankauf noch verwickelter. Der Sturz der Regierung des Admirals Koltschak und die Festsetzung der Sowjetmacht in Sibirien förderte die Lage des Zentro-Sojus in keiner Weise. Die Mongolen behielten nach wie vor ihr Mißtrauen bei und erschwerten seine Tätigkeit, besonders als sie sich überzeugt hatten, daß der Sojus sich mit politischer Propaganda befaßte. Um die Mongolen mit den Gedanken des Bolschewismus bekannt zu machen, veröffentlichten die Mitglieder der Expedition in Urga Broschüren in mongolischer Sprache. Es wurde sogar der Versuch unternommen, ein mongolisches Sowjet zu organisieren. Wegen der politischen Unterlage des Zentro-Sojus verhielten sich die Mongolen ablehnend und die Genossenschaft wurde aufgehoben. Der Zentro-Sojus litt auch unter dem in Kalka überhandnehmenden Parteigängertum. So wurde das von dem Sojus im Bezirk Kobdo gekaufte Vieh vom Ataman Kaigorodow geraubt. In Urga selbst wurden die Station und das Büro des Sojus zuerst von den Chinesen und später von den Parteigängern des Barons von Ungern-Sternberg zerstört. Das weitere Schicksal des Sojus und der Viehausfuhr nach Rußland ist mit der Errichtung der mongolischen revolutionären Regierung des Jahres 1921 in Kalka eng verbunden.

Kapitel XII. Die Entstehung der mongolischen Frage. Die Mongolen entsenden eine Delegation nach Petersburg mit der Bitte um Hilfe gegen China. Meine Unterredung mit dem chinesischen Diktator Yüan Shih-k'ai. Der Umsturz in Urga und die Erklärung der Unabhängigkeit. Die russische Berichterstattung über mongolische Angelegenheiten.

Als in China 1911 die Revolution ausbrach, erklärte die östliche Äußere Mongolei oder Kalka, ähnlich wie andere Teile des Reiches, sich für selbständig. Die Trennung von China begründeten die Mongolen damit, daß mit dem Sturze der Mandschudynastie das Vasallenverhältnis aufgehört habe zu bestehen. Übrigens hat die chinesische Revolution dem Umsturz in Urga nur einen Stoß gegeben, da der Boden für einen solchen bereits durch die auf Annexion Kalkas gerichtete Politik der Pekinger Regierung vorbereitet worden war. Die Chinesen waren schon längst bestrebt gewesen, die mongolischen Freiheiten zunichte zu machen und sich das Land einzuverleiben. Zu diesem Zwecke wurde noch Ende der siebziger Jahre mit der Kolonisation der Fürstentümer in der Ostmongolei begonnen. Die Pekinger Regierung benutzte die Verschuldung des größten Teils der Banner an chinesische Banken und Handelsfirmen, welche Darlehen gegen Verpfändung mongolischen Grund und Bodens gegeben

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hatten, und verteilte dieses Land an chinesische Kolonisten. In den besiedelten Gebieten wurde eine chinesische Verwaltung eingesetzt, wodurch sie allmählich in chinesische administrative Einheiten verwandelt wurden. Dieses System wurde zuerst im Osten der Inneren Mongolei angewandt, dann gingen die Chinesen auf Kalka über und leiteten die Kolonisation die hauptsächlichsten Poststraßen entlang, die nach Urga führen, und auf die an der russischen Grenze gelegenen Gebiete. Zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde zur Beschleunigung der Chinesierung Kalkas beschlossen, eine stärkere Zentralisation der Verwaltung der Mongolei durchzuführen, die chinesischen Garnisonen im Lande zu verstärken und besondere Maßnahmen zu treffen, wie die obligatorische Erlernung der chinesischen Sprache, die Eröffnung einer chinesischen Bank, die Gründung einer Zeitung und Propaganda unter den Mongolen für die volle Vereinigung mit China. Unter dem Einflüsse der Propaganda Pekings richtete Prinz Karacin zusammen mit einigen zu Chinesen gewordenen Fürsten der Inneren Mongolei eine Bittschrift an die Pekinger Regierung wegen Übergabe der Landesverwaltung an einen besonderen chinesischen Generalgouverneur mit der Residenz in Cicihar. Die Pekinger Regierung war daneben bestrebt, mit Hilfe der Presse die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Letztere war übrigens auch ohne diese Anregung bereit, sich über die Notwendigkeit der Verstärkung des chinesischen Einflusses in der Mongolei zu verbreiten, und verwies auf die aggressiven Pläne Rußlands, das schon längst in diesem Lande für die Trennung von China agitiere, die Mongolen mit Waffen versehe und selbst Truppen dorthin schicke; Nachrichten über russische Umtriebe in der Mongolei wurden auch in der fremden Presse, besonders der deutschen und japanischen verbreitet, die das Gespenst der russischen Annexion an die Wand malten. Der Entschluß Rußlands, die Autonomie Kalkas zu unterstützen, wurde, wie aus dem Nachstehenden zu ersehen sein wird, nicht ohne Schwankungen und erst nach erfolglosen Versuchen gefaßt, mit China auf irgendeine Weise übereinzukommen. Der Mißerfolg der russisch-chinesischen Verhandlungen, die durch die Revision des Petersburger Vertrages von 1881 hervorgerufen waren, führten zum Gedanken eines Übereinkommens mit der Mongolei als zu einem praktischen Ausweg aus der schwierigen Lage und dem einfachsten Mittel, die dort erworbenen Rechte zu wahren. Zu der Zeit wurde das Gerücht verbreitet, daß die russische Regierung die Revolution in China ausnutzen wolle, um sich der Mongolei zu bemächtigen. Dies war nicht richtig, schon deswegen, weil die Verhandlungen über die mongolischen Angelegenheiten im Frühjahr 1911, d. h. vor der chinesischen Revolution, begonnen hatten. Rußland verlangte damals von China die Beibehaltung des bestehenden Regimes in der Äußeren Mongolei, die Reduzierung der chinesischen Streitkräfte und die Einschränkung der Kolonisation. Die chinesische Regierung lehnte es ab mit der Begründung, daß diese Vorschläge die innere Verwaltung berührten. Der Vertreter Chinas in Urga und der leitende Kopf der Assimilationspolitik war der Amban oder Kaiserliche Resident Sando, der die Feindschaft der Fürsten und Geistlichkeit durch seine scharfen Maßnahmen und schroffen

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Umgang mit dem Hutuktu gegen sich hervorgerufen hatte. Die Unzufriedenheit mit den Chinesen nahm langsam zu und äußerte sich zuerst in Straßendemonstrationen und Unruhen. Die Chinesen bereiteten sich ihrerseits zum Widerstande vor und es war klar, daß sie zu den äußersten Maßnahmen schreiten würden, sobald sie genügend Militär zur Verfügung haben würden. Schon im Jahre 1908 wurde in Urga mit dem Bau von Kasernen zur Unterbringung der chinesischen Truppen begonnen. In der Voraussicht eines Zusammenstoßes beschlossen die Fürsten auf einer geheimen Konferenz unter dem Vorsitz des Hutuktus, zu handeln und sich um Hilfe an Rußland zu wenden. Das Ergebnis der Konferenz war die Entsendung einer Delegation nach Petersburg Anfang 1911, deren Mitglieder die Befürworter der russisch-mongolischen Annäherung Prinz Hangda Dorji, der Gehilfe des Sancotba (Schatzmeisters des Hutuktus) Cering Cimet, Da Lama und der Mongole der Inneren Mongolei Haisan waren. In Petersburg wollte man zuerst die Delegation nicht empfangen in der Befürchtung, Mißverständnisse mit den Chinesen hervorzurufen, und wandte sich mit einer Nachfrage über die mongolischen Delegierten nach Peking. Die russische Gesandtschaft befürwortete die Zulassung der mongolischen Delegierten, indem sie darauf hinwies, daß man schon früher Forderungen der Mongolen unterstützt und gewisse moralische Verpflichtungen übernommen hätte. In Petersburg angekommen, baten die Delegierten die russische Regierung, die Selbständigkeit der Mongolei zu unterstützen, und boten als Gegenleistung die Anerkennung des Protektorates Rußlands an. Die konkreten Wünsche der Mongolen konzentrierten sich auf die Gewährung finanzieller und militärischer Hilfe, d. h. auf Hingabe einer Anleihe und Versorgung mit Waffen. Das Ministerium des Auswärtigen, das augenscheinlich mit einer solchen Wendung der Angelegenheiten nicht gerechnet hatte, verwies die Delegierten auf die Gefahr einer Unterbrechung der politischen Verbindung mit China und riet zu einem Übereinkommen mit Peking. Übrigens wurde den Delegierten versprochen, bei der chinesischen Regierung vorstellig zu werden und diese zu veranlassen, von den für die Mongolei geplanten Maßnahmen Abstand zu nehmen. Vorläufig wurde beschlossen, den Mongolen eine geringe Menge von Waffen zum Selbstschutz zu geben und die Wache des Generalkonsulats in Urga auf 200 Mann zu erhöhen. Die mongolischen Delegierten verließen Rußland etwas enttäuscht und konnten sich erst nicht entschließen, nach Urga zurückzukehren, da sie die Rache der Chinesen fürchteten. In Peking war man natürlich damit sehr unzufrieden, daß die Mongolen sich an Rußland gewandt hatten, und wenn Rußland sich nicht für sie eingesetzt hätte, würde ihnen die Reise schlecht bekommen sein. Obgleich die Ankunft der Delegation in Petersburg einigen Eindruck hervorgerufen hatte, blieb die russische Diplomatie der Hoffnung, daß die Beilegung des chinesisch-mongolischen Konfliktes durch eine friedliche Vermittlung Rußlands herbeigeführt werden könne. Infolgedessen erhielt die Kaiserlich Russische Gesandtschaft in Peking die Weisung, Rußlands Vorschläge bezüglich der Äußeren Mongolei zu wiederholen. Ich war damals russischer Gesandter in

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Peking und mußte in diesem Sinne mit dem chinesischen Außenministerium verhandeln. In einer Note vom 28. August 1911, die an das Waiwupu adressiert war, sagte ich, daß Rußland sich zu den in der Mongolei angewandten Maßnahmen nicht gleichgültig verhalten könne, da diese den Status quo in der Mongolei bedrohten und die gutnachbarlichen Beziehungen erschütterten, und machte den Vorschlag, die Lage gemeinsam zu beraten. Das Waiwupu antwortete darauf, daß die Maßnahmen die Interessen Rußlands nicht berührten und daß dem chinesischen Residenten in Urga vorgeschrieben worden sei, von Zwangsmaßregeln abzusehen. Das Waiwupu war das später von der Chinesischen Republik in Waikiaopu umbenannte Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten in Peking. Der Gehilfe des chinesischen Außenministers, der Würdenträger Hu Wei-te, mit dem ich über diese Frage eine Aussprache hatte, erklärte, daß die Pekinger Regierung es nicht für möglich erachte, über die russischen Vorschläge zu verhandeln, da sie eine Einmischung in die innere Verwaltung Chinas darstellten. Im Interesse der Freundschaft beider Länder sei sie jedoch bereit, die Zahl der Streitkräfte in Urga einzuschränken und vorläufig von Reformen und weiterer Kolonisation Abstand zu nehmen. Im Grunde genommen war unsere Vermittlung also abgelehnt worden. In Petersburg begnügte man sich nicht mit dieser Antwort und gab, um die Chinesen zu größerer Nachgiebigkeit zu zwingen, den Mongolen zu verstehen, daß sie im Kampfe um die Autonomie auf die Unterstützung Rußlands rechnen könnten. Obgleich die Aufmerksamkeit Pekings von der in China zunehmenden revolutionären Bewegung in Anspruch genommen war, setzte die Regierung die Beobachtung der mongolischen Angelegenheiten fort und bereitete die endgültige Angliederung Kalkas vor. Im November 1911 wurde infolge des Ausbruches der Revolution in Wutschang der in der Verbannung lebende Yüan Shihk'ai zurückberufen. Der Regent Prinz Ch'un, der Bruder des verstorbenen Kaisers Kuang Sü, beauftragte ihn, die Krise zu liquidieren, eine Regierung zu bilden, und stattete ihn mit fast diktatorischen Vollmachten aus. Um sich bei der Regelung der chinesischen Angelegenheiten der Stellungnahme der Mächte zu vergewissern und, wenn möglich, deren Unterstützung zu gewinnen, besuchte Yüan Shih-k'ai gleich nach seiner Ankunft in Peking die ausländischen Gesandten, darunter auch mich. Im Gespräch über die laufenden Ereignisse verwies er darauf, daß es wünschenswert wäre, die mandschurischen Angelegenheiten beizulegen; er wies auch auf die Gärung in der Mongolei hin und äußerte die Hoffnung, daß Rußland angesichts der Freundschaft zu China die dortigen Wirrnisse nicht unterstützen werde. Ich erwiderte, daß Rußland politische und wirtschaftliche Interessen in der nördlichen Mongolei habe, daß es mit dieser historisch verbunden sei und sich ihrem Schicksal gegenüber nicht gleichgültig verhalten könne. Unsere Wünsche beschränkten sich aber auf die Erhaltung des Status quo, auf die Begrenzung der chinesischen Kolonisation und die Einschränkung der Rüstungen. Yüan Shih-k'ai entgegnete, daß die Mongolei ein Bestandteil Chinas sei, das mit ihm nach seinem Ermessen verfahren könne, daß er aber, wenn unsere Bedingungen annehmbar wären, der Regierung zu deren Annahme raten würde.

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Über die chinesische Revolution sagte er, daß er beabsichtige, die Monarchie mit allen Mitteln zu schützen, da diese Regierungsform am engsten mit Chinas Geschichte verbunden sei und am meisten seinem gegenwärtigen Entwicklungsstadium entspreche; er sei ein Diener der regierenden Dynastie und werde alle Kräfte anspannen, den gesetzlichen Kaiser zu unterstützen und die Dynastie zu bewahren. Die Republik könne seiner Meinung nach nicht bestehen bleiben, da sie keine Wurzel im Volke habe und überhaupt der nationalen Denkart ganz zuwider sei. Er gab die Möglichkeit einer Zersplitterung Chinas in einen nördlichen und einen südlichen Teil oder seinen völligen Zerfall nicht zu, da dies den Interessen der einzelnen Provinzen und Gebiete nicht entsprechen würde, die mit Menschen einer Rasse, einer Sprache und einer Religion bevölkert seien. Der Separatismus der Provinzen sei eine zeitweilige Erscheinung, die durch lokale Ursachen hervorgerufen wäre; diese könnten leicht durch Übereinkommen beseitigt werden. Er teilte nicht die Meinung T'ang Shao-yi's und anderer politischer Führer bezüglich der Notwendigkeit eines republikanischen Regimes und schrieb diese Tendenzen ausländischen Einflüssen zu Trotz des Versprechens Yüan Shih-k'ai's, die mongolischen Angelegenheiten zu regeln, zogen die chinesischen Minister die Verhandlungen bis zu dem Augenblick hin, wo die Mongolen ihre Unabhängigkeit unter der Führerschaft des Hutuktus proklamierten. Dies Ereignis fand am 18. November 1911 statt und hatte die Vertreibung der chinesischen Behörden aus Urga zur Folge. Die chinesischen Beamten und ihre Schutzwache fanden Asyl im russischen Generalkonsulat, von wo sie unter russischem Schutz über Kiachta nach China abgeschoben wurden. In die neue mongolische Regierung von Urga kamen die ältesten Aimakfürsten. Vorsitzender des neuen Ministeriums wurde der Jasaktu Khan, die inneren und äußeren Angelegenheiten erhielten Da Lama und Prinz Hangda Dorji, die Anfang 1911 als Deputierte nach Rußland gereist waren. Der Jasaktu Khan blieb übrigens nicht lange an der Spitze; er wurde bald seiner chinesischen Sympathien wegen beseitigt; man sagte, er sei vergiftet worden. Zu seinem Nachfolger wurde der junge Sain Noyan Khan ernannt, den ich noch während meines Aufenthaltes in Urga an der Spitze der Regierung erlebt habe. In Peking wurde der Umsturz von Urga mit großer Empörung aufgenommen: die Chinesen schrieben ihn den Intrigen Rußlands zu. Anfänglich legte die chinesische Regierung ihm keinerlei große Bedeutung bei, wahrscheinlich in der Hoffnung, daß die chauvinistische Bewegung bald abflauen werde und daß die Mongolen es nicht zu einem endgültigen Bruche kommen lassen würden. Der Optimismus der Chinesen ist u. a. auch daraus zu ersehen, daß im Februar 1912, fast drei Monate nach dem Sturze der chinesischen Macht in der nördlichen Mongolei, die wahrscheinlich schlecht über die Ereignisse in Urga unterrichtete neue republikanische Regierung in Nanking an die Nordmongolen T'ang Shao-yi war damals Verkehrsminister und galt als Anhänger Yüan Shih-k'ai's. Er hatte höhere Staatsposten inne und war Premierminister, Gesandter in Amerika und Minister gewesen. Nachher wurde er Mitglied der Kantoner Regierung und verschiedener Ministerien; er spielt noch gegenwärtig eine bedeutende Rolle in China.

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einen Aufruf richtete, in welchem der Sturz der Mandschudynastie und die Gründung der Republik mitgeteilt wurde, welche die fünf Völkerschaften der Chinesen, Mandschus, Mongolen, Turkestaner und Tibeter vereinige. Die Ausrufung der Autonomie der Mongolen wurde von Nanking überhaupt nicht beachtet. In Urga wurde dieser Aufruf der neuen Republik mit einer Zollbelegung der chinesischen Waren beantwortet. In der Suche nach dem Schuldigen begann die chinesische Presse gegen Rußland aufzutreten, das angeblich die Wirren in der Mongolei unterstützt hätte, um unter dem Vorwande der Vermittlung diese von China loszulösen. In Petersburg wurde dies mit der Veröffentlichung eines offiziellen Berichtes über unsere Politik in der mongolischen Frage beantwortet 2 ). Obgleich man sich in russischen offiziellen Kreisen damals für die mongolischen Angelegenheiten nur wenig interessierte, da man sie für unwesentlich hielt, hatte die Regierungserkärung vom 26. Dezember dennoch Eindruck gemacht. In den Zeitungen erschienen Artikel über die mongolische Frage, in welchen der Gedanke zum Ausdruck gebracht wurde, daß Rußland sich den Ereignissen in der Mongolei gegenüber nicht gleichgültig verhalten dürfe und eine Angliederung dieses Landes an China nicht zulassen könne. Auch unsere Gelehrten wandten sich der mongolischen Frage zu. Der bekannte Schriftsteller Fürst Uchtomski eröffnete mit einem Briefe an den Zaren die Kampagne. Er gab den Ratschlag, eine besondere Vertrauensperson zu Verhandlungen und Gewinnung von Sympathien der Mongolen für den Weißen Zaren nach der Mongolei zu entsenden, und wies darauf hin, daß unsere Konsuln nicht die genügende Autorität besäßen, um diese Aufgabe durchzuführen. Als passenden Kandidaten für diesen Posten empfahl Fürst Uchtomski den in chinesischen Diensten stehenden russischen Staatsangehörigen Baron von Groth 3 ). Letzterer war Direktor einer Goldminen-Gesellschaft in der Mongolei; er hatte die Mongolen durch seine grausamen Maßnahmen bei der Eintreibung von Schulden für die Russisch-Chinesische Bank gegen sich aufgebracht und war deshalb wohl für die Rolle eines Friedensstifters unmöglich. Fürst Uchtomski selbst war seinerzeit als außerordentlicher Gesandter in Peking gewesen und im Jahre 1896 zur Überreichung kaiserlicher Geschenke an den Hutuktu nach Urga entsandt worden. Diese Mission war jedoch verfehlt gewesen; der Fürst wollte sich bei den Besuchen nicht der mongolischen Etikette unterwerfen und reiste ab, ohne den Hutuktu gesehen zu haben. Obgleich der Vorschlag des Fürsten Uchtomski ohne Folgen blieb, hatte er scheinbar doch einigen Eindruck auf den Zaren gemacht. Auf den untertänigsten Bericht des Ministers des Auswärtigen Sasonow, in welchem empfohlen wurde „die Ereignisse in der Mongolei ruhig zu beobachten", hatte der Zar geschrieben: „Ruhig beobachten — ja, aber nicht die Gelegenheit verpassen!" -) Siehe Schluß des Kapitels. ) Bekannt geworden als Held des Romans „Briefe) die ihn nicht erreichten", der Frau Elisabeth von Heyking, der Gattin des ehemaligen deutschen Gesandten in Peking. 3

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Die erwähnte Regierungserklärung über die Mongolei hatte auch in Japan einiges Interesse hervorgerufen. Die Regierung von Tokio erinnerte Petersburg in höflicher Form an die Abkommen von den Jahren 1907 und 1909 (die Einflußsphären in der Mongolei und Mandschurei 4 )) und bat, genauer festzustellen, was Rußland unter dem Worte Mongolei verstünde. Den Japanern wurde geantwortet, daß wir unter diesem Worte den Begriff verstünden, der in unserm Abkommen mit ihnen gebraucht und erklärt werde und den Rußland auch weiterhin beibehalten werde. Diesbezüglich machte der japanische Botschafter in Petersburg, Baron Motono, unserm Außenminister einige Äußerungen bezüglich der Mandschurei und der Mongolei und gab zu verstehen, daß es wünschenswert sei, die tatsächliche Stellung Rußlands und Japans in diesen Gebieten ohne Aufschub festzustellen. Diese Andeutungen wurden von Sasonow nicht beachtet; er erklärte, daß Rußland im Fernen Osten den Frieden brauche und insbesondere angesichts der unsicheren Lage im Balkan nicht beabsichtige, die frühere Politik aufzugeben. Baron Motono bemerkte seinerseits, daß, wenn infolge gemeinsamer Tätigkeit Rußlands und Japans ein Konflikt mit China entstehen sollte, es genügend russische Truppen in den Bezirken Irkutsk und Primorsk gäbe, um die Chinesen zur Vernunft zu bringen. Soeben wurde erwähnt, daß die Ausrufung der mongolischen Unabhängigkeit in den Petersburger offiziellen Kreisen keinen Widerhall gefunden hätte. Die russische Regierung wußte, daß dies eine Zuspitzung in den Beziehungen zu China zur Folge haben würde, und glaubte auch nicht an ein mongolisches Staatswesen unter der Leitung des Hutuktus. Es bestand außerdem die Befürchtung, daß die neue mongolische Regierung, der jegliche Geldmittel fehlten, sich an Rußland wenden würde, was in keiner Weise zu den Plänen des sparsamen Ministerpräsidenten Kokowzew gehörte. Im allgemeinen wünschte Rußland die Beibehaltung der chinesischen Oberhoheit und hatte nicht erwartet, daß die Mongolen die politischen Beziehungen zu China lösen würden. Trotz des Mißtrauens zur Lage der Dinge in Urga verfaßte das russische Kriegsministerium ein großangelegtes Schema zur Organisation mongolischer Truppen unter der Leitung russischer Offiziere. Die Instruktionsabteilung sollte einem Oberst Popow anvertraut werden. Der Anfang hierzu war im Frühjahr durch die Entsendung des Rittmeisters Wassiljew und einiger Kosakenunteroffiziere nach Urga und die Ausgabe einiger hundert Stück Berdangewehre alten Musters aus dem Irkutsker Arsenal gemacht worden. In Kalka begannen unterdessen Streitigkeiten über die Zuständigkeit zwischen den östlichen und westlichen Aimaks; auch in Urga selbst machten sich verschiedene Strömungen bemerkbar. Nach dem ersten Enthusiasmus, der durch die Beseitigung und Ausplünderung der Chinesen und die Ausrufung der Unabhängigkeit hervorgerufen worden war, trat die unausbleibliche Reak*) Im russisch-japanischen Abkommen vom Jahre 1907, das in den Jahren 1909 und 1912 ergänzt wurde und über die Abgrenzung der Einflußbereiche Rußlands und Japans in der Mandschurei handelte, war enthalten, daß Rußland keine Interessen in der Inneren Mongolei habe, gleichzeitig aber eine Einmischung Japans in die Angelegenheiten der Äußeren Mongolei nicht wünsche. Die Grenzlinie des Einflußbereichs war der 118. Längengrad.

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tion ein und es kamen Zweifel über die Zukunft auf. Die chinesische Partei, stark an Zahl und geschichtlichen Traditionen, hatte sich zeitweise zurückgezogen, aber den Kampf nicht aufgegeben. Die nach dem Umsturz gebildete russische Partei hatte noch keine Zeit gehabt, zu erstarken. Gewiß, auf ihrer Seite waren der Hutuktu und seine Gattin, die Fürsten und die Lamas aber verhielten sich abwartend und nur einige selbstbewußte Mongolen waren für die Errichtung eines halbunabhängigen Gebietes unter dem gemeisamen Protektorate Chinas und Rußlands. Im Janur 1912 folgten dem Beispiel Kalkas auch Barga und ChinesischHulun-Buir, ein Teil der Mandschurei, der ebenfalls seine Unabhängigkeit proklamierte. Die Bevölkerung Bargas war mit den Maßnahmen Chinas bezüglich der Grenzziehung und der im Jahre 1906 begonnen Kolonisation unzufrieden. Diese Maßnahmen waren von der Ernennung von Taotais und der Entsendung von Truppen begleitet gewesen, was den Protest der Barguten zur Folge hatte, welche den Verlust der Selbständigkeit befürchteten. Der von den Barguten im September 1911 einberufene Nationalkongreß verlangte von den Chinesen die Abberufung der Truppen, die Einstellung der Kolonisation und die Übergabe der Verwaltung in die Hände der Barguten. Der auf dieser Grundlage entstandene Konflikt führte zur Vertreibung der chinesischen Beamten und Truppen, worauf die Barguten sich an Rußland um Hilfe wandten und sodann in Verhandlungen mit Urga traten. Angesichts der großen Bedeutung Bargas, das an die Chinesische Ostbahn grenzt, hielt es die russische Regierung für notwendig, sich in den chinesisch-bargutischen Streit einzumischen und China seine Vermittlung anzubieten. Die Verhandlungen zwischen der russischen Gesandtschaft und dem Waikiaopu endeten im Oktober 1915 mit der Unterzeichnung eines Abkommens über Barga. Nach diesem Abkommen bildete Barga mit Hulun-Buir ein selbständiges Gebiet, welches der zentralen chinesischen Regierung unterstellt war und unter der Leitung eines Fu-tu-t'ung (Generalleutnants) mit den Rechten eines aus fünf Uherit gewählten Gouverneurs steht. Zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung wurde eine Miliz eingerichtet, doch hatte China das Recht, nach vorheriger Benachrichtigung Rußlands Truppen zu entsenden. Die lokalen Einnahmen und Steuern wurden für das Gebiet selbst verwandt mit Ausnahme der Zolleinnahmen aus dem Salzmonopol, welche an den chinesischen Staat abzuführen waren. Die Chinesen und Barguten waren gleichberechtigt, die chinesische Kolonisation wurde jedoch nur mit Genehmigung der lokalen Behörden zugelassen. Der Bau von Eisenbahnen war von der Einwilligung der chinesischen Regierung abhängig 5). 5 ) Barga-Hulun-Buir (der Name rührt von den Seen Hulun Noor und Buir Noor her) ist ein Teil der Provinz Heilungkiang in der Mandschurei westlich vom Hing-an-Gebirge. Die Bevölkerung besteht aus Burjäten und öleten mit Beimischung tungusischer Stämme: Dauren, Solonen und Orotschonen. Das Gebiet ist geteilt in Schun oder die Neue Barga, die aus acht Hosun besteht, und in Hucin oder die Alta Barga, die aus neun Hosun besteht. Unter den Mandschus waren die Hosun nach dem gewöhnlichen Muster der Bannertruppen organisiert, d . h . in Gruppen, die einem Uherit unterstellt waren, eingeteilt; je zwei Hosun waren dem Golda unterstellt. Die Hosun waren in Somun geteilt zu je drei unter dem Befehl eines Hosun Janggin.

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Als die Mongolen in Urga ihre Unabhängigkeit erklärten und ihr geistliches Haupt, den Dschebdsun Damba Hutuktu, zum Khan ausriefen, hatten sich die Mongolen um Unterstützung an Rußland gewandt. Die Kaiserlich Russische Regierung antwortete mit dem Rate, liberal zu verfahren und eine Grundlage für ein Abkommen mit China zu finden. Das russische Konsulat in Urga verstand es, durch seine Vermittlung die Zerstörung der Telegraphenlinie Kaigan-Kiachta und die Beraubung der Filiale der Tai-Ts'ing-Bank in Urga zu verhindern, und erwies dem chinesischen Residenten Sando dadurch eine Unterstützung, daß es ihm behilflich war, die Mongolei über russisches Gebiet zu verlassen. Bald darauf wandte sich der von der Pekinger Regierung für die Verhandlungen mit den Mongolen ernannte Würdenträger Kuei-fang an den russischen Bevollmächtigten in Peking mit der Anfrage, ob er mit einer freundschaftlichen Vermittlung rechnen könne. Gleichzeitig wandten sich auch die Mongolen an die russische Regierung mit der Bitte, die Vermittlung zwischen ihnen und China zu übernehmen. Die Regierung des Zaren kam diesen Bitten entgegen. In der Überzeugung, daß ein Übereinkommen zwischen Chinesen und Mongolen nur möglich sei, wenn letztere ihr selbständiges Regime beibehielten, nahm die Kaiserliche Regierung an, daß dieses Übereinkommen in irgendeinem Akte Ausdruck finden müsse, der den Verzicht Chinas auf einen Vorstoß gegen dieses Regime sicherte. Bekanntlich sahen die Mongolen selbst solche Vorstöße in den drei folgenden Maßnahmen, die von der chinesischen Regierung in der Mongolei ergriffen worden waren: die Einführung einer chinesischen Verwaltung, die Aufstellung chinesischer Truppen und die Besiedlung mongolischer Gebiete mit Chinesen. Deshalb wies die Kaiserliche Regierung in ihrer Antwort an die Pekinger Regierung Kuei-fang auf die drei erwähnten Punkte hin als die wesentlichen Punkte eines möglichen Abkommens zwischen China und den Mongolen. Gleichzeitig war sich die Kaiserliche Regierung dessen bewußt, daß eine Beruhigung der Mongolen nur in dem Falle eintreten könne, wenn den Mongolen klar würde, daß die in ihrem Lande zu dessen Entwicklung getroffenen Maßnahmen sowohl von der russischen als auch von der chinesischen Regierung unterstützt würden und daß zwischen Rußland und China keine Unstimmigkeiten hinsichtlich der mongolischen Angelegenheiten beständen. Die Kaiserlich Russische Regierung war deshalb der Ansicht, daß es den Interessen sowohl Rußlands als auch Chinas und der Mongolen entspräche, wenn sie in der Mongolei der Ausführung aller notwendigen Maßnahmen sowohl administrativen als auch wirtschaftlichen Charakters ihre Unterstützung liehe. Die genannten Bedingungen, auf Grund deren Rußland bereit war, die Vermittlung zwischen China und den Mongolen zu übernehmen, worum es von beiden interessierten Seiten gebeten worden war, wurden vom Kaiserlichen Bevollmächtigten in Peking der chinesischen Regierung mit dem Zusätze mitgeteilt, daß im Falle des Einverständnisses zur Herstellung russisch-mongo-

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lischer Beziehungen unter den erwähnten Bedingungen das Bestreben der russischen Diplomatie dahin gehen werde, die Mongolen zu überzeugen, die Verbindung mit China nicht zu unterbrechen und die übernommenen Verpflichtungen einzuhalten. Vom guten Willen der chinesischen Regierung hinge es ab, die russische Vermittlung unter diesen Bedingungen anzunehmen oder abzulehnen. Rußland wünsche nicht, sich in die Kämpfe Chinas einzumischen, und habe keine aggressiven Pläne in der Mongolei, dagegen ein Interesse an der Herstellung der Ordnung in diesem Sibirien benachbarten Gebiete, in welchem es wesentliche Handelsinteressen besäße. Ein bewaffneter Kampf zwischen Chinesen und Mongolen sei unerwünscht, da durch ihn die erwähnten Interessen unweigerlich leiden würden. Hierdurch habe sich die Kaiserliche Regierung in erster Linie leiten lassen, als sie sich bereit erklärte, die schwere Aufgabe der Vermittlung zwischen China und den ihm feindlich gesinnten Mongolen zu übernehmen. Andererseits gestatteten diese wesentlichen Interessen in der Mongolei der Kaiserlichen Regierung nicht, die in diesem Lande tatsächlich bestehende Regierung zu ignorieren. Wenn die Mongolei die Verbindung mit China löse, so werde die Kaiserliche Regierung trotz ihres Bestrebens, die chinesisch-mongolischen Gegensätze beizulegen, durch die Lage der Dinge genötigt werden, mit der mongolischen Regierung geschäftliche Beziehungen aufrechtzuerhalten

Kapitel XIII. Die Ansicht des russischen Ministeriums des Äußeren über die Lage in der Mongolei. Die Revision des Petersburger Vertrages vom Jahre 1881. Der Entschluß, die Autonomie der Äußeren Mongolei anzuerkennen. Schwankungen der russischen Diplomatie.

Im Dezember 1911 erstattete ich kurz nach meiner Ankunft aus Peking dem damaligen Minister des Äußeren, S. D. Sasonow, in Petersburg einen Bericht über die mongolischen Angelegenheiten. Auf die Frage Sasonows, wie die Autonomie der Mongolei und deren Anerkennung durch China zu erreichen sei, schlug ich vor, bei den früheren Bedingungen zu bleiben, d. h. auf der Beibehaltung des Status quo, dem Verbot des Einmarsches chinesischer Truppen und der Kolonisation sowie der Anerkennung der Autonomie zu bestehen. Der Minister entgegnete, daß diese Bedingungen bereits von den Chinesen abgelehnt worden wären und daß ein Bestehen darauf nutzlos sei. Zudem seien die Mongolen zur Selbstverwaltung unfähig und würden eine Suppe einrühren, die wir auszulöffeln hätten, d. h. wir würden uns genötigt sehen, ein Protektorat einzuführen oder gar die nördliche Mongolei anzugliedern. „Ich bin gegen Annexionen", äußerte er, „umsomehr, als Rußland schon mit seinem jetzigen sibirischen Gebiet nicht fertig werden kann. Alles dies würde einen abenteuerlichen Charakter haben, uns mit China entzweien, enorme Ausgaben nach sich ziehen und endlich unsere Stellung in Europa schwächen."

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Im Zusammenhange mit den mongolischen Angelegenheiten berührte der Minister die Frage des Uriyanghai-Gebietes, wobei er bemerkte, daß eine Angliederung dieses Landes, worauf die Militärs drängten, ein Fehler sein und uns von unseren direkten Aufgaben ablenken würde. Die hauptsächlichsten Interessen Rußlands lägen auf dem Balkan und an den türkischen Meerengen und nicht am Yenissei und am Schwarzen Irtysch. Rußland müsse eine europäische und nicht eine asiatische Großmacht sein. „Aber zugegeben", fuhr der Minister fort, „daß dieses Gebiet einst von Rußland abhängig war, so haben wir zurzeit sehr wenig Veranlassung, die Grenzfrage aufzuwerfen, die doch durch den Kiachta-Yertrag vom Jahre 1727 geregelt ist, wonach die Grenze längs des Sayan-Gebirges verläuft" 1 ). Ich verwies den Minister auch darauf, daß die Expansion Rußlands in der Richtung der Mongolei auf keiner Seite Befürchtungen hervorrufen könne. Sogar unser langjähriger Gegner — England — würde wohl kaum dort sog. „britische Interessen'' vorfinden. Was Japan angehe, so seien angesichts der Einteilung der Einflußsphären durch Iswolski wohl kaum Reibungen zu erwarten. Diese Argumente fanden jedoch nicht die Gegenliebe des Ministers, der erklärte, daß dies Sophismen seien, die das politische Abenteuer nicht rechtfertigten. Ich entgegnete dem Minister, daß die Frage der Grenzregelung bereits aufgeworfen und von den Chinesen selbst erörtert worden wäre, wie ich selbst Gelegenheit hatte, mich während der Verhandlungen im Waiwupu zu überzeugen. Die Hinziehung dieser Frage wirke sich ungünstig auf die Lage unserer Farmer und Goldminensucher aus, die den Verfolgungen der örtlichen Behörden ausgesetzt seien. Angesichts dessen könnte bis zur Klärung der prinzipiellen Fragen im Gebiete irgend ein gemischtes russisch-chinesisches Regime eingeführt oder ein russischer Konsul oder Grenzkommissar ernannt werden. Der Minister entgegnete, daß dies uns zu weit führen würde und daß es vorläufig besser sei, die Grenzfrage nicht anzuschneiden. Mein Gespräch mit Sasonow wurde im Januar 1912, schon nach der Ausrufung der chinesischen Republik, erneuert. Diesmal begann der Minister selbst über die Anerkennung der mongolischen Autonomie und die Abgrenzung des Uriyanghai-Gebietes zu sprechen, indem er äußerte, daß in diesem Sinne in Peking Schritte unternommen werden würden und daß unser Bevollmächtigter Schtschekin bereits Instruktionen erhalten hätte. Ich hatte auch Gelegenheit, mit dem Vorsitzenden des Ministerrats W. N. Kokowzew (dem späteren Grafen Kokowzew) zu sprechen. Er hatte den Fernen Osten besucht und ich nahm an, daß er die Bedeutung der dortigen Ereignisse für uns besser bewerten würde. Auf die Frage Kokowzews über die Lage der Dinge in China und der Mongolei wiederholte ich das, was ich Sasonow gesagt hatte, und verwies auf die Wahrscheinlichkeit langwieriger innerer Zwistigkeiten und die wünschenswerte Ausgestaltung der Äußeren Mongolei zu einem ZwischenDas Uriyanghai-Gebirge gehört zur westlichen Mongolei und grenzt an Rußland, und zwar an die Gouvernements Irkutsk, Tomsk und Jenisseisk.

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gebiet. Für den Anfang könnte die Autonomie von Kalka anerkannt und den Chinesen mitgeteilt werden, daß wir den Petersburger Vertrag des Jahres 1881 für ein neues Jahrzehnt in Kraft zu belassen beabsichtigten. Die Verhandlungen Chinas über die Revision dieses Vertrages, der im Jahre 1911 abgelaufen war, waren im Jahre vorher auf Wunsch der Chinesen aufgenommen worden. Wir waren bereit gewesen, den Vertrag auf ein Jahrzehnt zu erneuern, jedoch unter der Bedingung der Erfüllung einiger Forderungen, wie z. B. die Erweiterung unserer Handelsbereiche in der Mongolei, die Aufhebung der 50 Werst-Zone längs der sibirischen Grenze (das Gebiet, in welchem Russen, Chinesen und Mongolen zollfrei Handel treiben konnten), die Eröffnung einiger neuer Konsulate usw. Die Chinesen bestanden auf der Unterzeichnung eines neuen Vertrages unter Aufhebung aller unserer Vorrechte in der Mongolei und vor allem des zollfreien Handels. Um den Boden für einen solchen Übergang vorzubereiten, hatten die Chinesen im Jahre 1910 unseren Handel in Westchina mit Zoll belegt und andere Einschränkungen im direkten Widerspruch zum Vertrage eingeführt. Dies hatte zur Verschärfung der russisch-chinesischen Beziehungen beigetragen und die Vorlegung ultimativer Forderungen durch unsere Pekinger Gesandtschaft zur Folge gehabt. Die Chinesen gaben nach und der Konflikt war erledigt, die Verhandlungen bezüglich der Revision wurden in Petersburg fortgesetzt. Mit der Leitung der Verhandlungen war von chinesischer Seite der Gesandte Lu Cheng-siang betraut worden 2), von unserer Seite der frühere Botschafter in Japan, Malewsky-Malewitsch. Im Vertragsentwurf, der von Malewsky zusammengestellt worden war, gaben wir unser hauptsächlichstes Vorrecht in der Mongolei, den zollfreien Handel, auf. Trotz dieses Nachgebens bestanden die Chinesen auf ihren Forderungen. Dies war die Lage der Verhandlungen, als ich anstelle Malewskys mit deren Leitung beauftragt wurde. Die Pekinger Regierung ging der gemeinsamen Besprechung der mongolischen Angelegenheiten aus dem Wege und traf gleichzeitig Maßnahmen zur gewaltsamen Unterwerfung der Mongolen. Chinesische Truppen kamen nach der westlichen Mongolei, wo ebenfalls eine separatistische Bewegung entstanden war, die Ende Januar 1912 mit der Besetzung der Stadt Uliyasutai durch die Mongolen endete. Der chinesische Gouverneur wandte sich an den russischen Konsul, Herrn Walther, um Hilfe. Letzterer nahm die chinesischen Beamten unter seinen Schutz und brachte sie in die russische Grenzstadt Kosch-Agatsch, von wo sie weiter mit der sibirischen Bahn nach China reisten. Die Stadt Kobdo wurde von den Mongolen im August desselben Jahres besetzt. Was die Innere Mongolei angeht, so hielten die meisten der dortigen Fürsten trotz der Propaganda der Kalka China die Treue, mit Ausnahme des Stammverbandes Jerim, der zu Kalka überging. Der Aufstand verbreitete sich auch auf das mandschurische Gebiet, wobei die Mongolen die Stadt T'ao-nan-fu besetzten. Da den Chinesen in der Mandschurei größere Truppenmassen zur Verfügung ,

) Lu Cheng-siang ist jetzt chinesischer Gesandter in der Schweiz.

K o r o s t o v e t z , Mongolei.

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standen, wurde der Aufstand bald mit großer Grausamkeit unterdrückt und T'ao-nan-fu wieder mit einer chinesischen Garnison belegt. Angesichts der feindlichen Absichten der Chinesen wurde unsere Gesandtschaft in Peking beauftragt, die früheren Forderungen zu wiederholen und zu betonen, daß im Falle eines weiteren Widerstandes Rußland Maßnahmen zum Schutze seiner Interessen ergreifen würde. Da auch dies, wie alles frühere, ohne Beachtung gelassen wurde, entschloß man sich in Petersburg zu einem weiteren Schritte, um die Chinesen zur Nachgiebigkeit zu zwingen. In der von Sasonow im April 1912 in der Reichsduma über die auswärtige Politik verlesenen Deklaration hieß es, daß Rußland die Erstarkung eines in militärischer Hinsicht mächtigen Staates in der nördlichen Mongolei nicht zulassen könne und deshalb eine Anerkennung der Autonomie der Kalka anstreben werde; letztere könnte nur unter der Bedingung der Beibehaltung des dortigen alten Regimes und der Nichtzulassung chinesischer Truppen und Kolonisation sichergestellt werden. Der Minister fügte hinzu, daß Rußland bereit sei, im Streite zwischen China und der Mongolei als Vermittler aufzutreten. Trotz dieser bestimmten Formulierung in der mongolischen Frage verfolgte unsere Diplomatie eine abwartende Politik in der Hoffnung, ein Kompromiß mit den Chinesen eingehen zu können, und war bestrebt, die Verhandlungsfreiheit für sich zu behalten. Ich erhielt jedenfalls solch einen Eindruck aus einem Gespräch mit dem Abteilungschef für den Fernen Osten, Kasakow. Dieser teilte mit, daß wir bereit seien, die Mongolen zu unterstützen, jedoch Verhandlungen ohne unsere Beteiligung nicht zulassen würden, was die Chinesen zum Nachgeben zwingen würde. Er fügte hinzu, daß künftighin die Anerkennung der mongolischen Regierung und die Entsendung von Instrukteuren und Truppenteilen nach Urga vorgesehen sei. Im allgemeinen waren das jedoch halbe Maßnahmen und man hoffte bei uns immer noch, daß die mongolischen Angelegenheiten aus sich selbst heraus sich regeln würden. Diese optimistische Stimmung kam während der russischen Zwischenkonferenz über die mongolischen Angelegenheiten zum Ausdruck, welche im Ministerium des Auswärtigen unter dem Vorsitz des Gehilfen des Ministers, Herrn Neratow, stattfand. Im Programm fanden sich Fragen über die Hebung des russisch-mongolischen Handels, über die Beschaffung der mongolischen Flüsse, auch Grenzfragen, die Nutzung der Bergwerke, Einrichtung von Eisenbahnen, Straßen und Telegraphenleitungen, die tierärztliche Überwachung usw. Diese Maßnahmen sahen unsere politische und wirtschaftliche Vormachtstellung in der Mongolei zwar vor, doch war es nicht* klar, ob diese Aufgaben im Einvernehmen mit China oder ohne dies gelöst werden sollten, da die Grundfrage der Beziehungen Chinas zur Mongolei und die Abtrennung der letzteren gar nicht erwähnt wurden. Der Unterschied zwischen unserm Wortgefecht und der Deklaration des Ministers des Auswärtigen in der Duma trat gleich zutage, als der Vertreter des Finanzministeriums, Lwow, mit seinen Ausführungen begann. Er äußerte, daß, bevor über die Ausnutzung der Mongolei gesprochen werde, die politische

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Lage sowie die Beziehungen Rußlands und Chinas zur Mongolei klargelegt werden müßten. Seiner Meinung nach könnten unsere Voraussetzungen nicht eintreffen, wenn wir nicht einen bestimmten Plan ausarbeiten und China dazu bringen würden, unsere Rechte in der Mongolei anzuerkennen. Obgleich die von Herrn Lwow angeregte Frage offen blieb, wurde in der nächsten Sitzung doch die Notwendigkeit erwähnt, unseren Wünschen die Form eines Handelsabkommens zu geben, indem der Rahmen des Petersburger Vertrages vom Jahre 1881 erweitert würde; es wurde sogar ein neuer Vertrag besprochen, der vom Finanzministerium eingebracht war. Über ein unmittelbares Abkommen mit den Mongolen wurde jedoch nichts erwähnt. Währenddessen zeigten die aus Peking einlaufenden Nachrichten, daß die Stimmung der dortigen Regierungskreise sich nicht änderte. Die Chinesen blieben bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber unserem Vermittlungsangebot und bereiteten sich zur Unterwerfung der Mongolei mit Gewalt vor. Denselben Eindruck hatte ich von einem Gespräch mit dem chinesischen Gesandten Lu Cheng-siang, der, wie es schien, der Tatsache der Abtrennung der Mongolei keine Bedeutung beilegte und die dortigen Ereignisse als einen „Aufstand der L a m a s " bezeichnete. Alles dies, bemerkte er, könne keine Wirkung auf die russisch-chinesischen Beziehungen ausüben. China könne natürlich einen Vorstoß gegen die historisch begründete Vasallenabhängigkeit der Mongolei nicht zulassen. Sasonows Duma-Deklaration über unsere Anerkennung der Autonomie der Äußeren Mongolei (Kalka) hielt er augenscheinlich für ein taktisches Manöver, um die Chinesen zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Was die Verhandlungen über die Revision des Vertrages vom Jahre 1881 anbetrifft, deren Leitung anstelle Malewskys mir übertragen worden war, so hielt er es für möglich, diese auf den von China vorgeschlagenen Grundlagen zu führen. Ich erschütterte ein wenig die Zuversicht des chinesischen Gesandten, indem ich ihm erklärte, daß wir angesichts der Aussichtslosigkeit der Verhandlungen unser Anerbieten zurückziehen würden. Diesen Schritt würden wir auch deshalb tun, sagte ich, weil in China ein Wechsel in der Staatsform vor sich gegangen und das Kaiserreich durch eine Republik ersetzt worden wäre, während unsere Verhandlungen mit der früheren kaiserlichen Regierung begonnen hätten. Außerdem berühre der Vertrag die Mongolei, welche sich von China losgelöst hätte und sich in einem Übergangsstadium befände. Obgleich meine Vorstellungen scheinbar Herrn Lu zu denken gaben, äußerte er dennoch mit Bestimmtheit, daß die großmütige russische Regierung die politische Anarchie in China nicht zur Schaffung von Schwierigkeiten ausnutzen werde. Er fügte hinzu, daß der neue Präsident Yüan Shih-k'ai ihm den Posten des Außenministers angeboten hätte, und daß er sofort nach seiner Rückkehr nach Peking unverzüglich die Vertragsfrage anregen und alles daran setzen werde, die zwischen uns bestehenden Streitfragen beizulegen 3 ). s ) Yüaa-Shih-k'ai, der nachher zum Präsidenten gewählt wurde, war damals der Diktator Chinas.

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Trotz der freundlichen Äußerungen des Herrn Lu war es klar, daß die neue republikanische Regierung in Peking sich vom Chauvinismus leiten lassen und die Verzögerungstaktik fortführen sowie das Bestreben zeigen werde, Zwistigkeiten zwischen uns und den Mongolen zu säen. Es konnte auch passieren, daß China sich an die Mächte um Unterstützung wenden oder die Äußere Mongolei für die Ausländer mit Gleichberechtigung im Handel öffnen werde. Beides war unerwünscht: deshalb beschloß die russische Regierung, unsere Äußerung über die Anerkennung der Autonomie mittels eines direkten Abkommens mit den Mongolen zu bestätigen. Der Entwurf eines entsprechenden Handelsvertrages war bereits vom Finanzministerium fertiggestellt worden. Der Vertrag sollte durch ein besonderes politisches Abkommen, welches die mongolische Autonomie sicherstellte, vervollständigt werden. Zur Führung der Verhandlungen mit den Mongolen sollte ein besonderer Bevollmächtigter nach Urga entsandt werden. Übrigens wollte man damals noch nicht zu diesem äußersten Mittel greifen in der Annahme, China durch die Androhung eines Abkommens mit der Mongolei zu einem Kompromiß zu zwingen. Was die Wahl des Bevollmächtigten für die Verhandlungen mit den Mongolen anbetraf, so wurde mitgeteilt, daß man im Ministerium mit mir rechne.

Kapitel XIV. Ich werde zu den Verhandlungen mit den Mongolen nach Urga entsandt. Die Instruktion des Ministerpräsidenten Kokowzew und seine Ansicht über unsere Aufgaben in der. Mongolei. Die freie Konkurenz und die „Offene Tür". Die Stimmung der Pekinger Regierung. Die Gleichheit der politischen Lage der Äußeren Mongolei und Tibets.

Das Vorhaben, die mongolische Autonomie anzuerkennen, wurde natürlich auch unserem Gesandten in Peking, Herrn Krupenski, mitgeteilt. Er hatte schon früher berichtet, daß die Chinesen die Angelegenheit nur in die Länge zögen, und befürwortete nunmehr Sonderverhandlungen mit den Mongolen, um Peking zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Ich erwähnte bereits den Abfall der westlichen Mongolen von China, erst in Uliyasutai und dann in Kobdo. Die Bewegung der westlichen Mongolen wurde in Petersburg begrüßt, da sie die in Aussicht genommene autonome Äußere Mongolei längs der Grenze Sibiriens erweiterte. Aus der vorgeschlagenen Kombination sollte die Innere Mongolei, d. h. der Südosten, ganz ausgeschieden werden. Dieser paßte nicht in den Rahmen der russischen Aufgaben und konnte zu einer ernsten Verschärfung der Beziehungen mit China und Japan führen. Außerdem waren wir mit dem letzteren durch ein Abkommen über die Einflußsphären gebunden. Nunmehr hing die endgültige Entscheidung der Frage über die Verhandlungen mit den Mongolen von unserem Ministerrat ab, d. h. eigentlich von W. N. Kokowzew. Er wußte bereits über meine Entsendung nach Urga, da er

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aber mit unserer diplomatischen Behörde bezüglich der Aufgaben Rußlands in der Mongolei nicht übereinstimmte, wurde ich zwecks Klärung dieser Frage zu ihm gerufen. Nachdem Kokowzew das diplomatische Abkommen und den Handelsvertrag in meinem Beisein studiert hatte, äußerte er, daß Rußland, da es den Mongolen gegenüber als Wohltäter auftrete und sie sogar mit bewaffneter Hand schützen wolle, einige Kompensationen und vor allem das Siedlungsrecht für Russen in der Mongolei sowie das Recht, dort Boden zu erwerben, beanspruchen dürfe. Ferner sagte der Minister, daß er, obgleich wir den zollfreien Handel gebrauchen könnten, um mit unsern Gegnern auf dem mongolischen Markte zu konkurrieren, gegen die Monopolstellung des russischen Handels sei. Die ausländische Konkurrenz wäre sogar wünschenswert, da sie unsere starre Kaufmannschaft, die an Staatsunterstützung gewöhnt sei, antreiben werde. „Wir dürfen nicht", sagte er, „die Tür in der Mongolei zuschlagen, wie wir das in der Mandschurei zu machen versucht haben". Kokowzew war für den Einschluß Bargas in die autonome Mongolei als ein von Mongolen bevölkertes und an die russische Grenze stoßendes Gebiet, das von der Chinesischen Ostbahn durchquert wird. Im Ministerium des Auswärtigen war man gegen den Einschluß Bargas, da sich dort die Stadt Hailar und die Station Mandschuria befänden, die dem ausländischen Handel offen ständen; dies könnte Reibungen mit den Mächten nach sich ziehen. Der Minister warnte mich, ich solle nicht auf größere Geldmittel für die bevorstehenden Ausgaben rechnen. Er sei Gegner einer staatlichen Wohltätigkeit und wolle nicht die Fehler wiederholen, die in Persien und in der Mandschurei begangen worden wären, wo der russische Einfluß mit vielen Millionen Volksgeldes bezahlt worden sei. Er sei bereit, den Mongolen eine Anleihe zu gewähren, jedoch unter der Bedingung der Kontrolle über die Verwendung. „Eigentlich", so schloß Kokowzew, „gibt es in dem Lande, in welches Sie gehen, weder eine Regierung, noch Finanzen, noch ein Gericht; es gibt dort keinerlei Elemente selbst des primitivsten Staates, es gibt nur ein Territorium und Hirtenstämme. Der ganze Staatsapparat muß erst geschaffen werden; ich will aber keinesfalls, daß die Ausgaben für die Organisation der Mongolei eine neue Last für den russischen Staatssäckel bilden. Sie müssen den Mongolen einschärfen, daß nicht wir sie benötigen, sondern sie uns, und daß es in ihrem Interesse liegt, die dargebotene Hilfe gegen unsere äußerst bescheidenen Forderungen anzunehmen. Wenn die Mongolen nicht mit uns gehen wollen, würden wir sie ihrem eigenen Schicksal überlassen." Dies ist das Wesentliche meiner zweimaligen Unterredungen mit Kokowzew, welche die Grundlage zu den russischmongolischen Verhandlungen, unabhängig von den mir gegebenen offiziellen Instruktionen, bildeten. Im russischen Ministerrat trafen der Entwurf des russisch-mongolischen Abkommens und meine Entsendung nach Urga auf keinen Widerstand. Die Angelegenheit wurde dem Zaren vorgetragen und Allerhöchst bestätigt. Für Reisekosten, Beschaffung von Geschenken usw. erhielt ich hunderttausend Rubel.

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Obgleich der Beschluß, mit den Mongolen zu einem Einverständnis zu gelangen, geheim gehalten wurde, drangen doch Gerüchte darüber in die Presse und in den Zeitungen erschien bald die Mitteilung, daß ein Abkommen unterzeichnet worden sei. Die durch die Aussicht einer russischen Einmischung beunruhigten Chinesen erneuten ihre Versuche, sich mit den Mongolen zu einigen. Zu diesem Zwecke wurde in Peking beschlossen, einen Fürsten der Inneren Mongolei, den Prinzen Noyantu, nach Urga zu entsenden, um Einfluß auf den Hutuktu und die Fürsten zu gewinnen 1 ). Die Mongolen verhinderten die Ankunft dieses Abgesandten, indem sie den Chinesen den Vorschlag machten, sich der Vermittlung der Russen zu bedienen. Die Bemühungen der Pekinger Regierung, chinesische Truppen auf der chinesischen und sibirischen Bahn nach der Mongolei zu schaffen, schlugen fehl, da Rußland das Passieren der Eisenbahnzone verweigerte. Inzwischen berichtete unser Gesandter in Peking über weitere Unnachgiebigkeit der Chinesen und wünschenswerte Beschleunigung des Abkommens mit den Mongolen. Nach seinen Berichten konnten die von den Chinesen zu Anfang der Revolution mit einem internationalen Syndikat begonnenen Verhandlungen über eine Anleihe günstig verlaufen und China damit die Mittel zu einer Expedition nach Urga erhalten. Zu einer energischen Haltung in der mongolischen Frage drängte uns auch das Beispiel der englischen Regierung, welche ähnliche Schritte bezüglich Tibets unternommen hatte. Das Londoner Kabinett gab der Pekinger Regierung zu verstehen, daß es eine Gleichstellung dieses Gebiets mit Innerchina nicht zulassen könne und andernfalls die von Yüan Shih-k'ai sehnlichst erwartete Anerkennung der neuen chinesischen Republik versagen werde. Der Bericht Krupenskis übte einen entscheidenden Einfluß auf meine Entsendung aus, die Anfang September beschlossen wurde. Vor der Abreise ging ich zu Minister Sasonow, um mir Instruktionen zu holen. Er war damals gerade dabei, nach England zu fahren, um den englischen Minister des Auswärtigen, Sir Edward Grey, zu besuchen. Beim Abschied fragte mich Sasonow, was ich zu unternehmen gedächte, um die Mongolen für uns zu gewinnen, da ihm deren Sympathien für Rußland zweifelhaft schienen. Ich erklärte, daß mein Plan darin bestände, die Mongolen vom beiderseitigen Vorteil eines Übereinkommens zu überzeugen. Was den Prozeß der Unterzeichnung selbst angehe, so müsse man sich mit den Unterschriften der Regierungsmitglieder und der Bestätigung durch den Hutuktu begnügen, da die in den verschiedenen Bannern verstreuten Fürsten sich nicht alle auftreiben lassen würden. Um meine Reise unauffällig erscheinen zu lassen, wurde erklärt, daß sie zur Revision des Generalkonsulats in Urga und behufs Aufklärung der zwischen ihm und dem Grenzkommissar von Kiachta vorgekommenenen Mißverständnisse unternommen werde. 1 ) Prinz Noyantu stammt aus Kalka und gehört zu den chinesierten Mongolen. Er bekleidete den Posten des Leiters des Hofes für die Mongolei und Tibet (Meng-Tsang-yüan).

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Außerdem sah ich den bekannten Mongolologen W. L. Kotwitsch. Er war eben aus der Mongolei zurückgekehrt, wohin er zu wissenschaftlichen Zwecken, und zwar zu archäologischen Ausgrabungen im Flußbett des Orhon, gereist war. Von ihm erfuhr ich, daß die chinesische Partei in Urga an Macht zunähme und aus Peking Unterstützung bekäme, während die Russen angesichts ihrer Untätigkeit die Volkstümlichkeit verlören, die sie durch den Umsturz und die Vertreibung der Chinesen erworben hätten. Kotwitsch befürwortete den Gedanken eines Abkommens mit den Mongolen, war jedoch der Meinung, daß unsere auf Frieden mit beiden Parteien gerichtete Politik, d. h. Wahrung der Freundschaft mit China und gleichzeitig Sicherstellung der Autonomie von Kalka, wohl kaum durchführbar sein werde. Oben waren Verhandlungen Englands mit China bezüglich Tibets erwähnt worden. Diese Verhandlungen sind interessant wegen ihrer Ähnlichkeit mit den russischen Verhandlungen über die Äußere Mongolei oder Kalka. Auf die Ähnlichkeit der politischen Verhältnisse in der Äußeren Mongolei und in Tibet hat übrigens der damalige englische Außenminister Sir Edward Grey in einem Gespräche mit Herrn Sasonow im September 1912 in Balmoral aufmerksam gemacht, was letzterer in seinem untertänigsten Berichte an den Zaren erwähnt hat. Ich zitiere den Wortlaut des Berichts: „Bezüglich Tibets gab mir Grey die Versicherung, daß England keine Absichten auf dieses Land habe und keine Änderung der diesbezüglich zwischen uns bestehenden Verträge erstrebe. Doch bestätigte mir Grey unter Berufung auf die uns seinerzeit mitgeteilte Note, welche er im vergangenen Jahre an China gerichtet hat, daß England das Eindringen beträchtlicher chinesischer bewaffneter Kräfte nach Tibet nicht gestatten könne und daß England, falls China trotz der ergangenen Warnung versuchen sollte, eine Armee nach Tibet zu schicken, gezwungen sein würde, eine militärische Expedition nach Tibet zu entsenden, um dies zu verhindern. Das Londoner Kabinett würde jedoch eine solche Entscheidung nicht treffen, ohne uns vorher davon in Kenntnis gesetzt zu haben. Bei dieser Gelegenheit sprach Grey auch über unsere Tätigkeit in der Mongolei und versuchte, zwischen ihr und der Lage Englands in Tibet eine Parallele zu ziehen. Ich weigerte mich, eine Ähnlichkeit in den beiden Fragen anzuerkennen, und deutete darauf hin, daß England hinsichtlich Tibets uns gegenüber durch bestimmte Abkommen gebunden sei, während wir keinerlei solche Verpflichtungen hinsichtlich der Mongolei England gegenüber übernommen hätten, wo außerdem die Engländer weder politische noch wirtschaftliche Interessen hätten. Sir Edward Grey sah offensichtlich diese Argumente ein und erwiderte darauf nichts. Ich erachtete es meinerseits für nützlich, zwecks Aufrechterhaltung der zwischen uns und England erreichten freundschaftlichen Beziehungen ihn in den allgemeinsten Grundzügen und zur rein persönlichen Information mit dem Charakter der Mission des Wirklichen Staatsrates Korostovetz vertraulich bekannt zu machen" 2). 2

) Krasny Archiv (Rotes Archiv), Bd. III, Petrograd 1923.

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Tibet war seit langem der Schauplatz eines politischen Kampfes zwischen China und der indischen Regierung, die sich dort eine Vormachtstellung sichern wollte. Merksteine in diesem Kampfe bilden die Verträge, mit welchen die interessierten Parteien ihre Rechte sicherstellen wollten. So war die TibetSikkim-Konvention vom Jahre 1890 durch die Notwendigkeit hervorgerufen worden, die indische Grenze vor Überfällen der Tibeter zu schützen. Verstöße gegen diese Konvention von seiten Tibets und englische Bestrebungen zur Festigung der Handelsrechte in diesem Lande hatten zu einem bewaffneten Zusammenstoß geführt. Die unter der Führung des Generals Mac Donald und des Obersten Younghusband nach Tibet entsandte militärische Expedition endete mit der Besetzung Lhasas und der Unterzeichnung einer Konvention, welche im Jahre 1904 die unmittelbaren Beziehungen zwischen Tibet und Indien herstellte. Im Namen Tibets unterzeichnete den Vertrag der zweite Großlama, der Pantschen Erdeni Lama (oder Taschi Lama) 3 ), da der Dalai Lama beim Eintreffen der Engländer in die Mongolei geflüchtet war. Die tibetische Regierung verpflichtete sich, die Grenzen Sikkims zu respektieren, die Städte Gyangtse, Gartog und Yatung dem Handel zu öffnen, eine Kriegsentschädigung in Höhe von 500 000 Pfd. St. zu zahlen, keiner ausländischen Macht tibetisches Gebiet zu überlassen, keine Einmischung fremder Mächte in tibetische Angelegenheiten zu dulden, keine staatlichen Einkommenquellen zu vergeben, keine Gesandten nach dem Auslande zu entsenden und keine Konzessionen zu gewähren. China protestierte gegen den Vertrag, weil er ohne seine Beteiligung geschlossen und deshalb ungültig sei. Das führte zu neuen Verhandlungen, die im Jahre 1906 mit dem englisch-chinesischen Abkommen schlössen, das später 1908 durch einen weiteren Vertrag ergänzt wurde, demzufolge China als der Souverän Tibets das Recht erhielt, dort Militär zu unterhalten. Bekanntlich verhielten sich die Tibeter in dem Bestreben, ihre nationale Abgeschlossenheit zu wahren, den Russen wie den Engländern gegenüber gleich mißtrauisch. Zur Erlangung von Nachrichten aus Tibet bedienten die Engländer sich früher sogenannter Pundits, das sind Eingeborene aus Indien, Ladak und Bhutan, die unter englischer Leitung für Spionagedienste ausgebildet wurden, indem man sie die Sprache, Religion, Sitten und Gebräuche Tibets studieren ließ. Diese Geheimagenten drangen unter der Maske von Wanderlamas, Pilgern oder Bettlern periodisch ins Land ein und berichteten der indischen Regierung, ohne den Verdacht der Ortsbehörden zu erregen. Die Handelsbeziehungen Englands zu Tibet waren unwesentlich und beschränkten sich auf den Warenaustausch an bestimmten Orten, wo englische und indische Kaufleute wohnten. Unterdessen hielt sich der nach der Mongolei geflüchtete Dalai Lama in den Klöstern von Kumbum (in der Provinz Kansu), Wu-t'ai-shan (in der Provinz Schansi) und Urga auf, wo er fast vier Jahre zubrachte. Auf dem Rückwege 3

) Der Taschi-Lama, der den geistlichen Titel Dschebdsun Pantschen Rinpotsche, d. h. „Hochwürdiger, großer, kostbarer Lehrer" führt, ist im Jahr 1882 geboren. Seine Residenz ist das Kloster Taschilumbo bei der Stadt Schigatse.

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nach Lhasa blieb der Dalai Lama im Herbst 1908 mit seinem Gefolge einige Zeit als Gast in Peking. Während seines Aufenthaltes in der chinesischen Hauptstadt wurden ihm die größten Ehrenbezeugungen erwiesen, doch blieb er unter ständiger Aufsicht der Chinesen, die alle seine Worte und Taten streng beobachteten. Ich war damals Gesandter in Peking und hatte Gelegenheit, den Papst der lamaischen Kirche zu sehen, wie die übrigen Mitglieder des diplomatischen Korps auch. Meine Begegnung mit dem Dalai Lama trug einen streng offiziellen Charakter und fand vor der Nordmauer Pekings in dem Lamatempel Huang-sse im Beisein der tibetischen Geistlichkeit und chinesischen Beamtenschaft statt. Die lebende Gottheit, in Gestalt eines hübschen braunen Jünglings mit kleinem Schnurrbart, empfing uns (d. h. mich und den Dragoman der Gesandtschaft Herrn Kolessow) in der klassischen Pose des Buddhas sitzend. Als Thron diente eine Erhöhung mit den fünf heiligen Kissen. Der kurzgeschorene Kopf des Dalai Lamas war unbedeckt; das Kostüm bestand aus einem dunkelroten Mantel, dessen Ende über die linke Schulter geworfen war und das den Hals und den rechten Arm freiließ. Irgendwelchen Schmuck oder Abzeichen habe ich nicht bemerkt. Die rechte Hand spielte mit dem Rosenkranz aus Sandelholz, die linke ruhte auf dem Knie. Wir tauschten Höflichkeiten und Erkundigungen nach der Gesundheit aus und ließen die Neugierde der chinesischen Beobachter unbefriedigt, die politische Geheimnisse zu erlauschen gehofft hatten. Darauf wurden Tee, Süßigkeiten und geweihte Nüsse gereicht. Unter dem Klerus, der den Thron umgab, befand sich auch Agwan Dorji, ein russischer Burjate, der das besondere Vertrauen des tibetischen Kirchenoberhauptes genoß. Über die Rolle dieses burjatischen Führers in der Geschichte der russisch-tibetischen Annäherung wird weiter unten die Rede sein. Nach Dorshejew, der die russische Gesandtschaft oft besuchte, interessierte sich der Dalai Lama sehr für die internationale Politik, im besonderen für England, Amerika und Rußland und deren Beziehungen zu China. Er war sehr feierlich gestimmt und beabsichtigte, in Tibet eine Reihe von Reformen einzuführen. Von den mit mir zusammen dem Dalai Lama vorgestellten Kollegen des diplomatischen Korps verdient der amerikanische Gesandte Rockhill hervorgehoben zu werden. Die während der Audienz anwesenden chinesischen Beamten waren nicht wenig erstaunt, als sie ihn mit dem Dalai Lama Tibetisch sprechen hörten. Rockhill war nicht nur als Diplomat, sondern auch als Kenner asiatischer Sprachen und Erforscher Tibets bekannt, wohin er in Gestalt eines lamaischen Pilgers eingedrungen war 4 ). Der Besuch des Dalai Lamas in Peking fiel mit dem Tode des Kaisers Kuang Sü und der Kaiserinwitwe Tz'e-hi sowie mit der Thronbesteigung des unmündigen Kaisers Süan T'ung zusammen, für den sein Vater, der Prinz Ch'un, als Prinzregent die Regierung führte. Dieses wichtige Ereignis lenkte die Aufmerksamkeit der Pekinger Regierung von Tibet und dem Dalai Lama ab und letzterer verließ unbemerkt die Hauptstadt, um nach Lhasa zurückzukehren. Bald darauf 4

burg.

) William Woodville Rockhill war eine Zeit lang amerikanischer Botschafter in PetersVgl. sein Buch „The Land of the Lamas", New York 1891.

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erneuerten die Chinesen, mit der Einschränkung ihrer Macht in Tibet unzufrieden, ihre Versuche, die frühere Stellung wiederzugewinnen und schickten zu diesem Zwecke in die Nachbarprovinz Szetschuan den energischen Generalgouverneur Chao £ r h -sün. Im Zusammenhang damit wurde ein Edikt mit dem Reformprogramm für Tibet veröffentlicht, zu dessen Durchführung Chao firh-feng (der Bruder des Generalgouverneurs) als Kaiserlicher Resident nach Lhasa bestimmt wurde. Der Dalai Lama fühlte sich von Chao Erh-feng bedroht und wandte sich an die britische Regierung um Hilfe, während die Chinesen ihrerseits die britische Regierung ersuchten, Truppen durch Indien nach Tibet führen zu dürfen. England, welches von der aggressiven Politik Chao firh-feng's Unruhen in Sikkim, Nepal und Bhutan fürchtete, lehnte ab und erklärte der Pekinger Regierung, daß es in Tibet keine Umwälzungen zulassen würde, welche die genannten Länder bedrohen könnten. Trotzdem setzten die Chinesen ihre militärischen Operationen fort. Chao Erh-feng schuf Ordnung in Szetschuan, indem er die eingeborenen Stämme unterdrückte und an die Grenzpunkte zwischen Tatsien-lu und Tschamdo chinesische Garnisonen legte. Im Jahre 1910 wurde eine 1000 Maiin starke chinesische Abteilung nach Lhasa verlegt, wo die Chinesen ihre Machtstellung wieder aufrichteten. Der Dalai Lama wartete den Vormarsch der Chinesen nicht ab; er floh nach Dardjiling in Indien und suchte Schatz bei den englischen Behörden. Dies gab der chinesischen Regierung Anlaß, die Absetzung dieses vom Schicksal heimgesuchten Hubilgans zu proklamieren. Übrigens konnten sich die Chinesen nicht entschließen, an seine Stelle einen andern einzusetzen, und so blieb das Oberhaupt der tibetischen Kirche in Indien. Als Stellvertreter des Dalai Lamas fungierte in Lhasa der bereits erwähnte zweite Großlama, der Pantschen Erdeni oder Taschi Lama. Die in China ausgebrochene Revolution, die zum Sturz der Monarchie führte, sowie die Ermordung Chao Erh-feng's riefen in Tibet Aufstände gegen die Chinesen hervor. Die chinesischen Truppen wurden von den Tibetern entwaffnet, die Garnison von den Aufständischen belagert. Im Frühjahr 1912 veröffentlichte die Pekinger Regierung mit Yüan Shih-k'ai an der Spitze einen Erlaß über die ewige Vereinigung von Tibet, der Mongolei, der Mandschurei und Turkestan mit China. Dieser Erlaß rief lebhaften Protest bei der britischen Regierung hervor, welche die Wahrung des States quo in Tibet und die Entfernung der chinesischen Truppen von dort verlangte. Trotzdem schickten die Chinesen aus Szetschuan eine Expedition nach Lhasa zur Entsetzung der dort belagerten Garnison und Wiederherstellung der erschütterten Machtstellung. Diese Expedition erfuhr aber ein Fiasko und der chinesische Resident Chung-ying mußte sich den Tibetern ergeben. Die Chinesen sahen sich genötigt, Zugeständnisse zu machen und Frieden zu schließen; im August konnte die chinesische Garnison aus Lhasa über Indien nach Hause ziehen. Gleichzeitig erklärte sich die chinesische Regierung mit der Rückkehr des Dalai Lamas nach Lhasa einverstanden, wo er in seine früheren Rechte wiedereingesetzt wurde.

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Trotz der erlittenen Niederlagen setzten die Chinesen ihre Zwistigkeiten mit England fort und blieben auf ihrem Rechte der Einmischung als Souverän in tibetischen Angelegenheiten und dem Rechte, dort Militär zu halten, bestehen. Zuguterletzt stimmten Tibet und China der Vermittlung Englands zu und im Oktober 1913 wurden im Simla die Verhandlungen zwischen den drei Regierungen aufgenommen. Sie führten sehr bald zu Reibungen zwischen den Chinesen und Tibetern bezüglich der Grenzen Tibets. Zur Bestätigung ihrer Forderungen beriefen sich die Tibeter auf einen tibetisch-chinesischen Vertrag aus dem 9. Jahrhundert, der in steinernen Gedenktafeln eingemeißelt worden war, die Chinesen hingegen auf den Status quo und auf die alte Vasallenabhängigkeit Tibets von China. Nach dem im April 1914 entworfenen Vertrage wurde Tibet in ein Äußeres und Inneres Tibet nach dem Muster der Äußeren und Inneren Mongolei eingeteilt. Zum Inneren Tibet gehörten einige Teile des westlichen Szetschuan, des mongolischen Tsaidam und Kuku Noor, das lange Zeit unter chinesischer Herrschaft gestanden hatte. China erhielt das Suzeränitätsrecht über ganz Tibet zugesichert, jedoch mit der Verpflichtung, dieses nicht zu einer chinesischen Provinz zu machen. China und Tibet verpflichteten sich, tibetische Angelegenheiten weder unter sich noch mit anderen Mächten zu behandeln. In Anerkennung der speziellen Interessen Englands im Äußeren Tibet verpflichtete sich China, keine Truppen, Beamten und Kolonisten dorthin zu schicken. Dieselbe Verpflichtung ging England ein, welches außerdem noch versprach, Tibet nicht zu annektieren. England und China behielten sich das Recht vor, ersteres in Gyangtse einen Beamten zu stationieren, der Lhasa zu besuchen berechtigt war, und letzteres, in Lhasa einen Würdenträger mit militärischem Schutz zu haben. Das Abkommen der drei Regierungen, das in die bisherige Abgeschlossenheit Tibets eine Bresche legte, war ein wesentlicher Erfolg der englischen Politik in diesem Lande. Damit sollte das Innere Tibet einen Pufferstaat im Bereich von Sinkiang bis Yünnan bilden, wo China das Recht eingeräumt wurde, seine Gewalt herzustellen, ohne die Unteilbarkeit Tibets zu gefährden. Das Äußere Tibet wurde zu einem autonomen Staate unter chinesischer Suzeränität und britischem Protektorat 5 ). Rußland hatte niemals politischen Einfluß in Tibet beansprucht und sich der Einmischung in die dortigen Angelegenheiten enthalten. Inoffizielle Beziehungen wurden mit diesem Lande durch Burjäten und buddhistische AstrachanKalmücken unterhalten, die nach Lhasa und anderen tibetischen Orten zur Anbetung der dortigen Hubilgane wallfahrten. Die offiziellen Beziehungen Rußlands zu Tibet äußerten sich im Verkehr mit dem Dalai Lama und bewegten sich in den Grenzen diplomatischer Höflichkeiten. Gewiß, nach Tibet sind von der Kaiserlichen Geographischen Gesellschaft und der Akademie der Wissenschaften Expeditionen entsandt worden; sie haben aber rein wissenschaftlichen Charakter gehabt und sind meist nach den benachbarten Gebieten von Szetschuan, Kuku Noor und Tsaidam gerichtet gewesen. Von den russischen Tibetforschern sind 5

) Peace Handbook, 1920, Vol. XII p. 39.

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die bekanntesten Prshewalsky, Potanin, Grum-Grshimailo, Pewzow, Roborowski, Beresowski, Koslow und einige Burjäten wie Dorshejew, Zybikow und Zerempylow. Obgleich Rußland, wie gesagt, nur ein geringes Interesse an den tibetischen Angelegenheiten hatte, verhielt sich die britische Regierung, die einen Monopoleinfluß in Tibet erstrebte, stets sehr mißtrauisch gegenüber den Versuchen einer russisch-tibetischen Annäherung. Sogar die Entsendung wissenschaftlicher Expeditionen rief Anfragen und Proteste seitens der englischen Diplomatie hervor. Die Nervosität der Engländer stieg besonders nach dem Erscheinen des erwähnten Burjäten Dorshejew, der auf Wunsch des Dalai Lamas in den russischtibetischen Beziehungen als Vermittler auftrat. Die durch den unglücklichen japanischen Krieg bedingte Kursänderung der russisch-fernöstlichen Politik wurde von der englischen Diplomatie dazu benutzt, die mögliche Konkurrenz Rußlands in Tibet auszuschalten. Zu diesem Zwecke wurde im Jahre 1907 das russisch-englische Abkommen über Tibet geschlossen. Kraft dieses Abkommens verpflichteten sich England und Rußland, die Oberhoheit Chinas über Tibet anzuerkennen und dessen Unantastbarkeit zu achten. Beide Parteien verpflichteten sich, mit den tibetischen Behörden nur über die chinesische Regierung zu verkehren und keine Vertreter nach Lhasa zu schicken, keine Konzessionen zu suchen, keine Expeditionen zu organisieren und überhaupt sich in die inneren Angelegenheiten des Landes nicht einzumischen. Übrigens behielt sich England das Recht des unmittelbaren Verkehrs mit Tibet durch die Konventionen vom Jahre 1904 und 1906 vor. Was die Verpflichtung angeht, keine wissenschaftlichen Expeditionen zu entsenden, so war diese gegen Rußland gerichtet, da die Engländer dank ihrer Handelsbeziehungen und der Anwesenheit ihrer Agenten an einigen Orten keiner Expedition bedurften. Die gegenwärtige Wiedergeburt des Dalai Lamas, der Dschebdsun Dschamtso Rinpotsche Nawang Lobsang, hat während seiner langjährigen Amtstätigkeit (er ist jetzt etwa 50 Jahre alt) besondere Staatsweisheit und außergewöhnliche diplomatische Fähigkeiten an den Tag gelegt. Obgleich die Verhandlungen zwischen China, England und Rußland über den politischen Status Tibets ohne die Beteiligung Lhasas geführt wurden, hat der Dalai Lama indirekt doch daran teilgenommen. In der Erkenntnis seiner politischen und militärischen Schwäche suchte er abwechselnd bald bei England Unterstützung gegen China, bald bei China Unterstützung gegen England. Zur Schwächung der aggressiven Tätigkeit der Chinesen hat der tibetische Oberpriester Volksaufstände gegen die Chinesen angezettelt und gegen die Ansprüche Englands sich durch das Gespenst der Einmischung Rußlands und durch Liebäugeleien mit Petersburg gewehrt. Obgleich der Dalai Lama schwere Schicksalsschläge zu ertragen gehabt hat, wie Flucht, wiederholte Demütigungen, Verbannung und langjähriges Umherirren in der Fremde, hat alles dies seine Bedeutung in der buddhistischen Welt nur gehoben. Der jetzige Dalai Lama ist außerdem ungewöhnlich langlebig. Gewöhnlich sind seine Vorgänger, wenn sie es nicht verstanden hatten, Peking oder der sie umgebenden Lama-Kamarilla zu gefallen, oder Selbständigkeit bewiesen, einfach ins Jenseits befördert worden. Dieser aber hat es verstanden,

Chinesisches „Hotel" an der Poststraße.

Lager des amerikanischen Bergwerkexperten Mr. Manning am Flusse Iro auf der Straße von örga nach Kiachta.

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sich gegen alle Anschläge der chinesischen Beamten und tibetischen Lamas zu schützen, und genießt verdientermaßen den Ruf des „Unverletzbaren". Die zweite Person in der tibetischen Hierarchie ist, wie bereits erwähnt, der Pantschen Erdeni Lama oder Taschi Lama, der im Kloster Taschilumbo bei Schigatze seinen Wohnsitz hat. Genau genommen ist er dem Dalai Lama im geistlichen Range gleichgestellt, doch steht er in weltlicher Beziehung unter ihm. Bisher hat der friedliebende Taschi-Lama mit seinem machthungrigen und ehrgeizigen Genossen sehr gut auskommen können. In letzter Zeit sind jedoch zwischen den beiden Wiedergeborenen ernsthafte Reibungen eingetreten, die durch persönlichen Wettstreit und dem an Heftigkeit zunehmenden Kampf zwischen der geistlichen und der weltlichen Partei hervorgerufen worden sind. Der Pantschen Erdeni Lama hat angeblich die häufigen Reisen des Dalai Lamas zur Aneignung der weltlichen und politischen Machtbefugnisse seines Kollegen ausnutzen wollen. Zudem ist der Dalai Lama das Haupt der progressiven Hofpartei Lhasas, die von der indischen Regierung unterstützt wird und die Einführung westlicher Reformen anstrebt. Gegner der Reformen und Verfechter des alten Regimes ist der Pantschen Erdeni Lama, der auch als Chinesenfreund gilt. Im Jahre 1924 spitzte sich die Lage so weit zu, daß der Pantschen Erdeni Lama es vorzog, sich wohlweislich rechtzeitig aus Tibet zurückzuziehen und unter dem Vorwande der Anbetung heiliger Stätten nach China zu gehen. Der zweite tibetische Großlama wurde mit den seinem hohen Range zukommenden Ehrenbezeugungen in China aufgenommen und blieb eine Zeitlang in China als Gast des Präsidenten der Republik. Die Chinesen unterlassen es natürlich nicht, die Konkurrenz der tibetischen Hohenpriester auszunutzen, um den inneren Kampf der Parteien in Tibet aufrecht zu erhalten und dadurch den wankenden Einfluß Pekings wieder zu kräftigen.

Kapitel XV. Mein Aufenthalt in Irkutsk. Generalgouverneur Knjasew und General Ebelow. WerchneUdinsk und Kiachta. Postfahrt in der Mongolei. Die Ankunft in Urga. Das russische Generalkonsulat und dessen Zusammensetzung. Die ersten Eindrücke. Die Hauptstadt der Mongolei. Der Marktplatz und das Gefängnis.

Ich verließ Petersburg Anfang September 1912 mit dem sibirischen Expreß über Wologda. Meine Abfahrt suchte ich möglichst unauffällig zu gestalten, da mein Auftrag vertraulichen Charakters war und man kein Aufsehen erregen wollte. Einige Tage vor meiner Abreise erkundigte sich die chinesische Gesandtschaft in Petersburg beim Außenministerium über die Gerüchte bezüglich meiner Entsendung nach Urga. Den Chinesen wurde die Antwort, daß ich mich im Auslande befände. Ich war damals tatsächlich in Frankreich, trotzdem war die Ausrede reichlich naiv, da die Chinesen natürlich die Möglichkeit hatten, meinen Aufenthalt zu erfahren. Augenscheinlich wollte man bei uns bloß pein-

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liehen Auseinandersetzungen mit der chinesischen Gesandtschaft aus dem Wege gehen. Diese Reise nach dem Osten war für mich nicht die erste und deshalb nicht neu. Die Strecke bis Irkutsk legten wir in sechs Tagen ohne Zwischenfälle zurück. Der zweite Schienenstrang der sibirischen Bahn wurde bereits gebaut und ich dachte unwillkürlich daran, daß dies wohl das beste Argument bei den Verhandlungen mit unsern östlichen Nachbarn sein werde. In Irkutsk traf ich meinen früheren Dienstkollegen N. N. Eltekow, der damals den Posten eines außerordentlichen Beamten beim Generalgouverneur Knjasew innehatte. Eltekow, mit dem mich gemeinsame Erinnerungen aus der Dienstzeit in Port Arthur verbanden, freute sich über die Nachricht, daß er mit mir nach der Mongolei als Sekretär fahren sollte. Das Leben in Irkutsk war ihm scheinbar überdrüssig geworden und er suchte neue Eindrücke. Eltekow war nicht nur Diplomat, sondern auch Künstler, und die bevorstehende Reise reizte ihn wahrscheinlich auch aus künstlerischen Gründen. Ich besuchte natürlich auch Knjasew und den Gehilfen des Oberbefehlshabers, General Ebelow (General Ewert war auf Urlaub), die ich auch in meinen Auftrag einweihte. In Knjasew fand ich einen entgegenkommenden und wißbegierigen Mann, der einen weiten Blick für Staatsaufgaben hatte. Er tat schon seit langem Dienst in Sibirien und kannte vorzüglich die lokalen Verhältnisse. Knjasew nahm mit Interesse meinen Vortrag über die mongolischen Angelegenheiten entgegen und begrüßte die Absicht, die Autonomie der Mongolei anzuerkennen, die seiner Meinung nach der wirtschaftlichen Entwicklung Sibiriens förderlich sein müsse. General Ebelow bereitete ich darauf vor, daß wir angesichts der von den Chinesen in der Westmongolei eingenommenen bedrohlichen Haltung Truppen würden dorthin schicken müssen. Ich bat ihn, die Expedition rechtzeitig vorzubereiten, damit die Truppen noch vor den Frösten nach Uliyasutai (1000 Werst westlich von Urga) kommen könnten. Ebelow nahm meine Ausführungen ziemlich gleichgültig entgegen und sprach von der Unmöglichkeit eines solchen Feldzuges im Winter, über die Schwierigkeiten unterwegs, den Mangel an Verpflegung und Futter, das strenge Klima usw. Überhaupt hatte die Unterhaltung mit Ebelow den Eindruck hervorgerufen, daß ich von den militärischen Behörden keine weitgehende Unterstützung erhalten würde. Irkutsk schien mir malerisch, doch schlecht instandgehalten wie der größte Teil unserer Provinzstädte. Die hauptsächlichste Zierde der Stadt ist die breite und wasserreiche, aus dem Baikal fließende Anggara. Die Bewohner von Irkutsk sind stolz auf ihr gesellschaftliches und geistiges Niveau und erklären es durch die Anwesenheit der Nachkommen politischer Verbannter. Ich hatte keine Gelegenheit, mich davon zu überzeugen, da ich nur einige Tage in der sibirischen Hauptstadt verbrachte und am 15. September mit Eltekow nach Werchne-Udinsk weiterfuhr. Dieses langweilige Städtchen ist an einem andern hübschen Flusse, der Selengga, gelegen und vornehmlich von Burjäten bevölkert. Die riesenbreiten Straßen, mit niedrigen Holzhäuschen zu beiden

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Seiten, Brachflächen und Plätzen, die Sandwüsten gleichen, geben der Burjätenhauptstadt ein ödes und verwahrlostes Aussehen. Während wir uns mit Tee erfrischten, sandte uns der von unserer Ankunft benachrichtigte Kreishauptmann zwei geräumige Wagen mit Dreigespannen davor. Von hier aus führt eine Poststraße nach Kiachta. Es kann auch der Flußweg auf der Selengga benutzt werden; ich zog jedoch den ersteren Weg vor, weil ich Aufenhalte vermeiden wollte. Gleich nach dem Verlassen der Stadtgrenze überschritten wir auf einer Fähre die Selengga und fuhren nunmehr durch die Hügel und Täler Transbaikaliens. Es war ein sonniger, kalter Tag, die kräftigen Pferde zogen in schnellem Trabe unsere schweren Wagen. Der Weg führte durch malerische Waldgegend mit seltenen Burjätendörfern und Siedlungen altgläubiger Russen von wohlhabendem Aussehen. Am Abend machten wir im Dorfe Obokum halt und bezogen gemeinsam mit anderen Reisenden das einzige Zimmer der Poststation. Mit Morgengrauen brachen wir wieder auf und hielten nach einer ununterbrochenen Tagereise in Selenginsk. Mit dem Namen dieser Stadt — einst eine Grenzstadt — ist die Geschichte der früheren Beziehungen Rußlands zu China und der Mongolei verbunden. Unter den Moskauer Zaren diente sie als Ausgangspunkt unserer Gesandtschaften und der kaufmännischen Karawanen, Gegendie von hier aus über Urga nach Kaigan und Peking gingen. wärtig ist sie das Zentrum des burjatischen Lamaismus. Unweit der Stadt, im Kloster am Gänse-See, wohnt das geistliche Oberhaupt unserer Lamaisten, der Kanbo Lama Gombojew. Obgleich er seine Gemeinde selbständig regiert, ist er in kirchlicher Beziehung vom Hutuktu von Urga abhängig. Überhaupt unterhält dieses mit einer Schule (Dacang) verbundene Kloster ständige Verbindung mit Urga und erhält von dort in kanonischen und hierarchischen Angelegenheiten Anweisungen. Die Vorrechte des Patriarchen von Urga äußern sich in der Verleihung von Ehrentiteln und geistlichen Verdienstabzeichen an unsere Lamaisten; so erhielt z. B. im Jahre 1889 Gombojew von ihm den Titel Maidari Nomun Khan und Mergen Kanbo Lama. Die Beziehungen von Selenginsk zu Urga werden auch durch die burjatischen, kirgisischen und kalmückischen Pilger unterhalten, deren Anzahl jährlich einige Zehntausend erreicht. Der hauptsächlichste Strom der Pilger geht nach Urga und teilweise weiter nach Lhasa, wo sie „die Heiligkeit in sich aufnehmen", d. h. den Dalai Lama anbeten, Dispute über Gottes Wort in den Dacang ausfechten und die Klöster besuchen. Auf dem Heimwege nehmen sie geistliche Bücher, Buddhabilder, Amulette, Seidentücher mit eingewebten magischen Formeln (sog. Hadaks) und überhaupt verschiedenes Zubehör des Kultus mit und lassen bedeutende Summen Geldes da. In Kiachta trafen wir erst nachts ein und begaben uns in die Villa des Grenzkommissars, Oberst Chitrowo, der von unserm Kommen unterrichtet war. Trotz der späten Stunde erwartete uns der Oberst zu Tisch und bewirtete uns mit den verschiedensten kalten Speisen und Getränken. Chitrowo unterrichtete mich über die Lage der Dinge in Urga und bemerkte, daß das Eisen geschmiedet werden müsse, so lange es heiß sei, da die durch die Versprechungen Chinas

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angelockten mongolischen Fürsten zu schwanken begännen. Er trat für den Gedanken eines russischen Protektorates über die Mongolei ein und für die allmähliche Angliederung dieses Landes an Rußland. Sloboda-Kiachta, die heutige Stadt, ist im Jahre 1727 nach dem Vertrage mit China zur Erleichterung des russisch-chinesischen Handels gegründet worden. Sie ist durch den Teehandel groß und reich geworden. Der Tee kam aus Kaigan durch die Wüste Gobi auf Kamelen und Ochsenwagen über Urga und wurde aus den Lagerhäusern in Kiachta nach Rußland und Europa ausgeführt. Der Suezkanal und die Beförderung des Tees auf dem Seewege hatten einen wesentlichen Rückgang der Karawanen zur Folge und wirkten sich auch auf die weitere Entwicklung Kiachtas aus. Gegenwärtig besteht Kiachta aus zwei Städten, dem russischen Kiachta und dem chinesischen Mai-mai-ch'eng („Handelsstadt"). In der ersteren sind gute Straßen, steinerne Gebäude, Villen und eine schöne Kathedrale mit einem kunstvollen Heiligenschrein, einem Geschenk unserer durch den Teehandel reichgewordenen Kaufmannschaft. Trotz des äußerlich guten Eindruckes und der Wohlhabenheit machte Kiachta auf mich den Eindruck eines langweiligen Nestes. Der Handel ist im chinesischen Maimai-ch'eng konzentriert, wo die chinesischen Kaufleute wohnen und die Warenspeicher liegen. Zwei Werst von Kiachta liegt das lebhafte Troizkossawsk, der Sitz unserer Behörden und der Garnison. Ich benutzte die Gelegenheit eines Ausfluges nach dort, um mir Gebrauchsgegenstände für das Leben in Urga anzuschaffen, darunter eine Zinkbadewanne, die zu den großen Seltenheiten in der mongolischen Hauptstadt gehört. Aus Kiachta fuhren wir nach zwei Tagen weiter und zwar in einem nach mongolischer Art bespannten Tarantas. Wir setzten uns bequem zwischen Kissen hin und überließen uns unserm Schicksal. Vor, neben und hinter dem Gefährt reiten Ulatschen (mongolische Kuriere). Außerdem begleitet uns ein Zug Kosaken. Die das Gefährt ziehenden Reiter riskieren fast das Leben, falls sie zu Sturz kommen. Trotzdem ist die Stimmung der Ulatschen sorglos: sie rufen sich Scherzworte zu, ohne an Gefahr zu denken. Vorn, in einem Abstand von etwa 200 Metern reitet ein Janggin (Beamter), der die Richtung und die Unebenheiten des Weges angibt. Von Reitern in buntem Halat und wunderlichen Pelzmützen umgeben, rasen wir über Höcker und Steine, werden hochgeschleudert und bemühen uns, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Unter den Ulatschen gibt es auch Frauen, die am Kopfschmuck zu erkennen sind. Die mongolischen Amazonen stehen im Schneid den Männern nicht nach. Unwillkürlich denkt man an die Vergangenheit, an die mongolischen Eroberer der Goldenen Horde. Überhaupt hinterließ die Fahrt über Berge und Steppen der Mongolei einen unauslöschlichen Eindruck, vor allem in Form von Rippenstößen. Das transbaikalische Gebiet war unbemerkt in die Mongolei übergegangen und wir waren bereits in deren Gebiet, als ich nach der Grenze fragte. Die beiden Länder Transbaikalien und Kalka bilden geographisch eigentlich eine Ganzes. Von Kiachta bis Urga sind es 300 Werst, die in zwölf Stationen gegliedert sind. Das erste Drittel des Weges ist bergig und mit Wald bedeckt, weiterhin erstrecken

Mongolische Amazone im Herrensitz.

Im Postdienst tätige Frauen und Mädchen.

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sich kahle Hügel und hügelige Ebenen. Wir setzten in einer Fähre über die Flüsse Iro und Hara und übernachteten zweimal in Jurten, die für uns auf Anordnung der mongolischen Regierung aufgestellt worden waren. Ebensolche Jurten waren auch für die Tagesrasten vorbereitet worden. Der Bretterfußboden ist mit Filzmatten ausgelegt, am Eingang steht ein mongolischer Dombo (Krug aus Kupfer) mit Ziegeltee (ein Gemisch aus Tee mit Mehl, Hammelfett und Salz). Des Nachts wird mitten in der Jurte ein Feuer angemacht, das mit Argal, d. h. getrocknetem Mist, gespeist wird. Eine halbe Werst vor der Station kommen uns die Urton-Chefs entgegen; in Paradeuniform hatten sie kniend Aufstellung genommen — so schrieb es die hiesige Etikette vor. Nach einer tiefen Verbeugung schwingen sich diese ehrbaren Leute in den Sattel und jagen voraus, um die Ankunft der hohen Würdenträger zu verkünden und die nächste Etappe vorzubereiten. Vor der Jurte werden wir das zweite Mal begrüßt und zwar mit der Darbietung von Hadaks (Seidentüchern). Eine kurze Rast, um die steifgewordenen Beine zu vertreten, eine Tasse heißen Tees — und weiter geht es auf dem grünen Teppich der Steppe, die von den Rufen der Ulatschen wiederhallte: „tatara yamar, toksil" d. h. vorsichtig, langsam! Um die Stationen weiden gekoppelte Pferde. Für unsere Reise hatte man sie bis zu tausend zusammengetrieben. Die zottigen mongolischen Pferdchen sehen nicht schön aus mit ihren großen Köpfen und kurzen Rümpfen, sind aber ausdauernd. Wenn auf den Stationen nicht genügend Pferde vorhanden waren, ritten die Mongolen in die Steppe hinaus und fingen sie mit einer lassoähnlichen Fangvorrichtung ein, die Urga heißt. Die Urton (Kurierlinien) werden von Beamten und Personen benutzt, die in Staatsgeschäften reisen oder nicht viel Zeit haben. Unsere Kaufleute und Reisenden ziehen es vor, mit eigenen Pferden zu reisen, und machen während der Reise Ruhe- und Futterpausen. In letzter Zeit sind in der Mongolei Automobile aufgekommen. Da dieses Land eine Ebene ist, erübrigen sich Straßen. Die erste Automobilverbindung wurde von einer amerikanischen Gesellschaft zwischen Kaigan und Urga im Jahre 1917 eingerichtet; gegenwärtig ist das Automobil in der Mongolei eine fast so häufige Erscheinung wie das Kamel. Unter normalen Verhältnissen legt das Automobil die Strecke zwischen Kaigan und Urga in vier Tagen zurück. Längs der Straße sind Benzinlager eingerichtet, die von Mongolen bewacht werden. Am Tage schien die Sonne recht warm, in der Nacht war es aber kalt und wir schliefen, ohne uns auszuziehen. Die schwierigste Stelle der Strecke ist der Übergang Hara Daban, wo ein Pfad zwischen dichtem Sumpfgewächs sich durchschlängelt, oft von Felsstücken und umgestürzten Baumstämmen verlegt, über welche das Gefährt getragen werden mußte. Stellenweise kommen, besondere auf Höhepunkten, die heiligen „Obo" vor, Steinhaufen als Grenzzeichen, die von den abgläubischen Mongolen zur Wohnung von Berg-, Fluß- und Waldgeistern gemacht und verehrt werden. An Opfergaben von Reisenden liegen da Zeugfetzen, Roßhaarbüschel, Knöpfe und sogar Kupfermünzen. Ebensolche OpferK o r o s t o v e t i , Mongolei.

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gaben, Spuren des Schamanenaberglaubens, hatte ich auch in Transbaikalien auf dem Wege aus Werchne-Udinsk bemerkt. Obgleich das Schamanentum, d. h. die Vergötterung der Natur, dem Buddhismus gewichen ist, haben sich seine Spuren im Volksglauben und in den Volkssitten erhalten. Die Lamas verbinden auch jetzt noch den Gottesdienst in den buddhistischen Tempeln mit der Anbetung schamanistischer Fetische und pflegen alte Sitten und Zauberformeln der Schamanen. Außer den „Obos" sind in der Mongolei keine Denkmäler des Altertums völlig erhalten geblieben. Die von Gelehrten und Reisenden beschriebenen Antiquitäten sind dem heutigen mongolischen Nomaden, der die Größe und die Macht seiner kriegerischen Vorfahren längst vergessen hat, wenig verständlich. „Der Mongole von heute", sagt Kotwitsch, „sieht verständnislos und mit abergläubischem Schrecken auf die in der ganzen Mongolei verstreuten Denkmäler der grauen Vorzeit: zahlreiche Grabsteine in Form von geometrischen Figuren aus Stein (Kreisen, Quadraten und Rechtecken), sogenannte Kereksür, Sarkophage aus stehenden steinernen Fliesen, steinerne menschenähnliche Figuren, die fast überall von irgend welchen Barbaren Mittelasiens enthauptet worden sind; mit verschiedenen Statuen geschmückte Grabsteine, ganze Alleen (bis 600 Stück) stehender Steine, die getötete Feinde, hohe Säulen und stehende Fliese mit verschiedenartigem Ornament darstellen und zuweilen mit Aufschriften versehen sind, Überreste einzelner Bauten und riesiger Städte." 1 ) Zu den Objekten der Frömmigkeit und des religiösen Kultus gehören bei den Mongolen auch die Suburgas, tibetisch Tschorten genannt. Ihre Heimat ist Indien, wo sie Stüpa genannt werden (in China „t'a", d. h. Pagode). Sie wurden über den Gräbern der nationalen Helden, Hubilgane und Lamas errichtet, die sich durch Heiligkeit hervorgetan hatten oder zum Andenken an ein bemerkenswertes Ereignis. Die Stüpa ist aus Ziegeln oder Steinen erbaut, zuweilen mit Marmor überzogen und innen nur selten hohl. Sie hat die Form eines Turmes oder einer großen Karaffe auf breitem Sockel mit Stufen. Die Spitze wird Bumba genannt und ist mit bronzenen Ringen geschmückt. Am Ufer des Iro fanden wir eine zur Hälfte vom Sande verwehte Lokomobile. Seinerzeit sollte sie nach den Goldminen der Gesellschaft „Mongolor" geschafft werden; aus irgendwelchen Gründen ist sie aber nicht hingekommen. Trotz der schwierigen Straße ist der Verkehr auf ihr recht rege; davon zeugten die uns begegnenden Ochsenwagen und Kamelkarawanen, die Tiere sind in kleine zweirädrige Gefährte eingespannt. Weiter nach Urga zu sind Anzeichen von Landwirtschaft zu bemerken in Form von Ackerflächen mit kleinen Fangtsen (Chinesenhäusern), in welchen chinesische Kolonisten wohnen. Die Ackerflächen ziehen sich nach Norden ihn, bemächtigen sich langsam des noch unberührten Bodens und drängen unmerkbar die mongolischen Weidegründe zurück. Diese Kolonisten sind die wichtigsten Pioniere der chinesischen friedlichen Eroberung, von der auch Sibirien bedroht ist. l ) W. Kotwitsch, Kurze Übersicht der Geschichte und der gegenwärtigen politischen Lage der Mongolei. Petersburg 1914.

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Unweit der Stadt erwarteten uns die mongolischen Minister, der Generalkonsul Ljuba mit den Konsulatsbeamten und die Vertreter der russischen Kolonie, die sich alle um die in der Steppe aufgeschlagenen Zelte versammelt hatten. Die Feierlichkeit des Empfanges war weniger meiner Person als der Neugierde der Bewohner zuzuschreiben. Empfangs- und Abschiedsfeste sind in der Mongolei Ereignisse, die einige Abwechslung in das monotone Leben bringen. Nach dem Austausche von Hadaks und den üblichen Komplimenten setzte ich mich mit Herrn Ljuba in den Wagen und begab mich ins Konsulat, bis wohin wir noch eine gute Stunde Fahrt hatten. Der Talkessel, in welchem Urga liegt, ist 20—40 Werst breit und erstreckt sich von Norden nach Süden. Die ihn umgebenden Hügel sind vollständig kahl und nur das südliche Massiv Bogda Ola, d. h. Heiliger Berg, ist mit altem Walde bedeckt. Auf diesem Bergrücken, der etwa 1000 Fuß hoch ist, darf kein Holz gefällt, keine Erde gegraben und nicht gejagt werden. Die Unantastbarkeit des Bogda Ola wird von berittenen Wächtern gehütet; jede Übertretung wird streng bestraft. Am Fuße der Berges fließt die rasche Tola, aus welcher die Einwohner das Wasser entnehmen, da es in der Stadt keine Brunnen gibt. Unser Konsulat ist auf Grund der Vertrages von Aigun, der mit China im Jahre 1858 vom Generalgouverneur des östlichen Sibiriens Murawjew (später Graf Murawjew-Amurski) geschlossen wurde, gründet worden. Nach diesem Vertrage gab China an Rußland das linke Ufer des Amurs und das Usuri-Gebiet zurück und bewilligte die Schiffahrt auf dem Amur, Usuri und Sunggari durch russische Schiffe. Dies war unsere Revanche für den Verlust der Festung Albasin am Amur und den Vertrag von Nertschinsk 1689, als Rußland, unter dem Drucke des Vordringens der Mandschus, auf das Amurgebiet und den Ausgang zum Stillen Ozean verzichten mußte. Den Platz für das Konsulat hatte der russische Gesandte Ignatjew ausgesucht, als er 1859 auf der Durchreise nach Peking in Urga Rast machte. Der gegenwärtige äußere Zustand des Konsulats, das am Fuße der kahlen Hügel steht, entspricht nicht den so ruhmvollen historischen Erinnerungen. E s ist eine zweistöckige Holzkaserne, weiß angestrichen, mit zwei Flügelgebäuden und einer kleinen Hauskapelle. Neben dem Hauptgebäude stehen zahlreiche Wirtschaftsgebäude, eine Schule für Dolmetscher der mongolischen Sprache, die Kaserne der Schutzwache und die Häuschen der Offiziere. Über die Verfallenheit der Gebäude täuscht ein monumentales Tor mit dem Doppeladler hinweg. Vor dem Konsulat ist ein mit Unkraut übersäter Garten, in welchem einige trockene Bäume stehen. Neben der Villa liegt der russische Friedhof, mit schiefen Kreuzen und einer verkümmerten Kapelle. Beim ersten Blick auf das Konsulat staunte ich über die Verfallenheit der Gebäude, die Verwilderung und den Schmutz, der sich anscheinend im Laufe von Jahren angesammelt hatte. Die Wanzen hatten sich dauerhaft in den hölzernen Wänden eingenistet und, sie von dort auszutreiben, hat kein Insektenpulver die Kraft. Ich unternahm übrigens keine solcherlei Versuche und siedelte schon am nächsten Tage 10*

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in den Flügel des Dolmetschers Schtscherbakow über, der auf Urlaub war. Dort hatte es sich auch Eltekow bequem gemacht. Meine nächsten Mitarbeiter bei den Verhandlungen waren Eltekow, Ljuba und der Vizekonsul Popow. Herr Ljuba ist ein Kenner der Mongolei, die er kreuz und quer bereist hat; er hat dort seine ganze Dienstzeit verbracht. Trotz des Lebens inmitten von wilden Nomaden und an den verschiedensten Ortschaften verfügte er über einen großen Vorrat an Energie und sogar einige Lebenslust. Die Zukunft der Mongolen beurteilte er negativ und hielt sie für eine aussterbende Rasse, die zu keinem Fortschritt fähig und zur Auflösung in die Nachbarvölker verurteilt sei. Die Trennung Kalkas von China unter Angliederung an Rußland erklärte er nicht für ein Erwachen nationalen Selbstbewußtseins, sondern für einen einfachen historischen Zufall. Dem Vizekonsul Popow lagen die Pflichten des Sekretärs und des Richters ob — keine leichte Aufgabe, besonders wenn der Kulturmangel und die Intrigenwirtschaft der Kolonie in Urga in Betracht gezogen wird. Popow selbst war mit seinem Aufenthalt in der Mongolei sehr zufrieden, da er Jagd und Pferde gern hatte und das eine wie die andern reichlich vorhanden waren; dagegen beklagte seine junge Gattin sich bitter über ihr Schicksal, das sie in eine solche Einöde geführt hatte. Dem Konsulate gehörten noch der genannte Schtscherbakow, der Arzt Zybyktarow, ein typischer Burjate, der Geistliche Milij Tschefranow, ein intelligenter, jedoch der Boshaftigkeit zu sehr ergebener Mensch, Dolmetscher, Schüler der Konsulatsschule und Offiziere der Schutzwache an. Von den sog. „halbofliziellen Personen", die damals in Urga wohnten, muß ich noch den früheren Angestellten der Russisch-Chinesischen Bank F. Moskwitin nennen. Er war der Berater der mongolischen Regierung, die übrigens seine Ratschläge nur selten in Anspruch nahm. Am Tage meiner Ankunft kam der Vorsitzende des Ministerrats, der Sain Noyan Khan, einer der einflußreichsten und angesehensten Fürsten, ins Konsulat zum Besuch. Dieser Würdenträger erschien in einer orangefarbenen GalaKurma (Rock) und einer pelzverbrämten, mit Pfauenfedern geschmückten Mütze. Er benahm sich einfach, aber außerordentlich würdig. Trotz seiner jungen Jahre machte er auf mich den Eindruck eines ausgeglichenen und vernünftigen Menschen, was sich späterhin auch bestätigte. Als ich ihm den Zweck meiner Reise sagte, äußerte er seine Zufriedenheit darüber, daß er einen Freund der Mongolen sähe, und fügte hinzu, daß die Fürsten, welche die Regierung bildeten, bereit seien, unverzüglich die Verhandlungen aufzunehmen. Ehe ich zur Beschreibung meines Aufenthaltes in Urga übergehe, möchte ich ein Bild dieser Hauptstadt entwerfen, wie ich sie im Jahre 1912 gesehen habe. Urga (mongolisch Küriyen, d. h. Klosterstadt; davon das chinesische K'u-lun) verdankt seinen Ursprung dem Kloster. Nach der mongolischen Chronik Erdeni yin Erihe ist das Kloster von Urga am Zusammenstrom der Flüsse Tola und Selba im Jahre 1649 vom ersten mongolischen Hutuktu Undur Gegen nach dessen Rückkehr aus Tibet, wohin er zur Bestätigung der Würden gereist war, gegründet worden. Obgleich das Kloster infolge der inneren Wirren und der Kriege mit den

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Dsungaren wiederholt von einem Ort zum andern übersiedeln mußte, ist es doch seit seiner Gründung die Residenz des Hutuktus geblieben. Urga wurde besonders bekannt als religiöses Zentrum, nachdem dort im 18. Jahrhundert eine höhere geistliche „Disputierschule" (Canit) gegründet worden war. Mit der Verlegung von chinesischen Behörden nach Urga und der Ernennung des mongolischen Gouverneurs und des mandschurischen Residenten wurde Urga auch das administrative Zentrum. Durch ein Edikt des Kaisers K'ien Lung vom Jahre 1779 wurde Urgas Stellung als Ort des mongolischen Hauptklosters endgültig festgesetzt. Das Zusammenströmen der Geistlichkeit und der Pilger zog auch Händler an und allmählich wuchs die kleine Siedlung zu einer ganzen Stadt an. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurde für den Hutuktu der GandanPalast erbaut, der auch heute noch steht, aber als Tempel dient. Die Eröffnung chinesischer Kaufläden in der Nähe des Klosters hatte Proteste der Lamas und Streitigkeiten mit den chinesischen Behörden zur Folge. Der hieraus entstandene Konflikt hat das ganze vorige Jahrhundert gedauert und ist schließlich vom Pekinger Li-fan-yüan zugunsten der chinesischen Kaufleute entschieden worden. Zurzeit ist Urga in vier Teile eingeteilt: 1. Kure (kontrahiert aus Küriye), d. i. die Stadt selbst, durch die das Flüßchen Selba fließt; hier befinden sich die Läden und Häuser der Chinesen und der Russen, der Marktplatz, die Behörden und die Residenz des Hutuktus; 2. Gandan, ein Hügel mit Klöstern, Akademien zum Studium der buddhistischen Dogmatik und Tempeln; 3. das russische Konsulatsviertel und 4. das chinesische Handelsstädtchen Mai-mai-ch'eng. Alle diese Teile liegen auf dem rechten Ufer der Tola. Am lebendigsten ist der Sahadir-Teil, d. h. der Marktplatz. Er ist eng mit Bretterbuden, Jurten und Zelten verstellt, in denen Chinesen, Mongolen, Burjäten und Russen Handel treiben. Mongolische Händler sind selten; sie verkaufen Pelze, Holzgeschirr, Sättel und Pferdegeschirr. Bettler und Krüppel treiben sich dazwischen umher. Die Mehrzahl von diesen ist obdachlos und lebt in verfallenen Laubhütten. Überhaupt ist das Bettlerwesen sehr verbreitet und wird als Ehrenberuf angesehen, der vom religiösen Bekenntnis unterstützt wird. Von den Bettlern sind viele Lamas, die von Klostergaben leben. Das Gewirr der Menschenstimmen wird untermischt vom Wiehern der Pferde, Brüllen der Rinder und Kamele, Blöken der Schafe und Ziegen, die zum Verkauf aufgetrieben sind. Auf dem Markt trifft man Vertreter fast aller asiatischen Stämme, darunter auch russische Burjäten, Kalmücken, Kirgisen, Tibeter und Tataren. Die Chinesen und Kalka-Mongolen bilden die Mehrzahl. An Chinesen wurden im Stadtbezirk etwa 25000 gezählt, an Russen nur 500. Die Chinesen wohnen in einem planmäßig angelegten Viertel. Ihre geräumigen, mit Dachziegeln gedeckten und mit großen gepflasterten Höfen versehenen Häuser heben sich vorteilhaft gegen die planlos verstreuten Holzbauten der Russen ab. Nur wenige russische Firmen haben anständige Räume. Bei der Gründung des russischen Konsulats erhielten unsere Kaufleute Bodenanteile im Zentrum zugewiesen, die nach und nach an Chinesen übergegangen sind; daher wohnten die Russen schließlich nicht in einer einheit-

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liehen Siedlung oder Faktorei, wie es geplant war, sondern inmitten von Chinesen und Mongolen. Letztere wohnen in Urga halbseßhaft in „Baising", von Holzzäunen umgebenen Anwesen, in denen Jurten und Hütten stehen. Hier und da steht neben der Jurte ein Holzhaus, mit greller Farbe überpinselt. Dies ist die Sommerwohnung, die der Besitzer zum Sommer bezieht. Im Hof des Baising sind gewöhnlich Pferde, Kamele und andere Haustiere zu sehen. Die Mongolen siedeln sich lieber in der Umgegend der Stadt an, wo mehr Raum ist und wo mehrere Jurten und Zelte aufgeschlagen werden können. Überall wiegt die graue Farbe vor wegen des Steppenstaubes und des gänzlichen Mangels an Vegetation; ein kleiner Garten ist nur vor dem Hause des früheren chinesischen Residenten (Amban). Die Stadt wird von schmutzigen Gräben durchquert, die mit Mist und Abfällen angefüllt sind. Überhaupt fehlt jede Organisation und Kultur. Das vom Kloster zwei Werst entfernte Mai-maich'eng ist nach dem Muster aller chinesischen Städte in Form eines Vierecks gebaut, das von Mauern umgeben ist. Dort sind breite, gepflasterte Straßen, Ziegelhäuser und einige Brunnen. Rings um die Stadt sind Gemüsegärten angelegt, die Urga mit Gemüse versorgen. Trotz des Durcheinanders in der Bevölkerung und des zahlreichen fremden Elementes kommen Verbrechen in Urga nur selten vor. Dies erklärt sich nicht so sehr daraus, daß es keine Verbrecher gibt, als vielmehr aus der Schwierigkeit der Flucht für den Missetäter und aus der Grausamkeit des chinesisch-mongolischen Strafgesetzbuches. Das häufigste Delikt ist der Diebstahl, besonders der Pferde- und Viehdiebstahl, auf dem Leibes- und eventuell auch Todesstrafe steht. Raub und Totschlag werden mit Gefängnis oder Todesstrafe geahndet. Für kleinere Vergehen, wie Trunksucht und Raufhändel, werden die Schuldigen körperlich gezüchtigt, zum Tragen des Kangs (eines schweren viereckigen Holzbrettes um den Hals), Gefängnis oder Vermögensbußen verurteilt. Das Gefängnis von Urga befindet sich auf halbem Wege zwischen der Stadt und dem Konsulatsviertel. Es wird vor neugierigen Blicken durch einen hohen spitzen Bretterzaun geschützt. Das Gefängnis ist außerordentlich primitiv angelegt. Der größte Teil der Gefangenen wird angekettet, um die Flucht zu verhindern. Zur Nacht kommen die Gefangenen in einen besonderen, in die Erde gegrabenen Keller, worauf die hinabführende Leiter weggezogen wird. Die Schwerverbrecher werden in massive Holzkisten gesperrt, deren Schlüssel im Yamen aufbewahrt werden. Die Größe und Form der Kiste erlaubt es dem Verbrecher nicht, aufzustehen oder gar sich auszustrecken und er ist genötigt, in gekrümmter Haltung zu verweilen. In der Kiste ist eine Öffnung für den Kopf und die Hände. Die Qualen einer solchen Art Gefängnis werden noch verschärft durch Hunger, Kälte und Schmutz, denn die Kisten werden selten gesäubert. Es ist nicht zu verwundern, daß die Folgen solcher Einkerkerung Gelenkrheumatismus, Lähmung, langsame Auflösung und Tod sind. Die zum Hungertode Verurteilten werden ebenfalls in Kisten gepackt, die irgendwo unweit des Gefängnisses aufgestellt werden. Der Eingesperrte kann unter Umständen einige Tage, ja Wochen in der Kiste leben, wenn sich eine mitfühlende Seele findet, die ihn füttert.

Pagodentor b«i Urga, durch welches die Mongolen gehn, bevor sie eine weite Reise antreten.

Gebetsbuden mit buddhistischen Malereien auf Stein bei Urga.

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Während meines Aufenthaltes in Urga befand sich im Gefängnis ein Chinese, der etwa zwei Jahre in der Kiste zugebracht hatte. Er wurde ohne besondere Beweise des Mordes beschuldigt. Diese unmenschliche Strafe ist von den Chinesen zur Vorbeugung von Fluchtversuchen eingeführt und von den Mongolen in weiterem Maße angewandt worden. Ich habe die Fürsten zu bewegen versucht, ein humaneres System der Einkerkerung einzuführen, sie entschuldigten sich aber mit dem Mangel an Mitteln für den Bau eines richtigen Gefängnisses. Die neue revolutionäre Regierung der nördlichen Mongolei hat den mongolischen Kriminalkodex etwas abgeschwächt, indem sie einige Arten der Qualen, wie das Einsperren in Kisten, die Todesstrafe durch Hunger, die Vierteilung u. a. abgeschafft hat. Wie aus Urga verlautet, ist das frühere Gefängnis durch ein besser eingerichtetes Gebäude ersetzt worden und es steht die Frage der Aufführung eines Gefängnisses zur Erörterung, das den neuzeitlichen Anforderungen der Hygiene und Menschlichkeit entspricht. Auf den Plätzen Urgas sind kleine Bretterbuden in roter Farbe zu sehen, in welchen sich sog. Kurde, d. h. Gebetsmühlen in Form von großen hölzernen Trommeln befinden, die auf vertikal gestellten Achsen angebracht sind. Auf den Trommeln sind die Gebete aufgezeichnet und innen sind sie mit engbedruckten runden Papierblättern gefüllt. Wer zu beten wünscht (und solche gibt es unter den frommen Mongolen nicht wenige), faßt den Griff der Trommel und dreht diesen, indem er sich gleichzeitig um die Trommel bewegt. Damit gelten die sämtlichen geschriebenen und gedruckten Gebete als persönlich hergesagt, allerdings unter der Voraussetzung, daß der die Gebetsmühle in Bewegung Setzende gläubig ist. Zu drehen ist die Trommel von rechts nach links, widrigenfalls das Gebet das Ziel nicht erreicht. Der Zahl der Trommeln nach zu urteilen, ist das bequeme mechanische Gebet unter den Lamaisten sehr verbreitet. Zu demselben Zweck werden Gebetsmühlen aufgestellt, die durch Wind- oder Wasserkraft bewegt werden. Über die Frömmigkeit der Mongolen kann man auch nach der Zahl der Pilger urteilen, die nach Urga zur Segnung durch den Hutuktu kommen. Die Frömmsten von ihnen legen den ganzen Weg von der Heimat an zu Fuß zurück und einige besonders Fromme bewegen sich auf dieser Pilgerwanderung, indem sie sich der Länge nach zur Erde werfen, darauf die Füße auf die Stelle setzen, wo der Kopf gelegen hat, usw. Zum Schutze der Knie legen sie besondere Lederschutzvorrichtungen an und an den Händen tragen sie kleine Bretter. Ein interessantes Schauspiel bietet eine Reihe von Pilgern, bisweilen bis zu fünfzig Mann, die irgend einen Tempel oder eine Pagode umkreisen und ihre Kotaus machen. Für dieses Niederwerfen zur Erde werden am Heiligtum gewöhnlich besondere Bretterböden eingerichtet, die durch ständige Benutzung glattpoliert und stellenweise ausgerillt sind. Der Hutuktu empfing die Pilger an bestimmten Tagen und erteilte seinen Segen, indem er die Hände ausstreckte oder die Gläubigen mit einem langen Stabe berührte, an dem ein Fähnchen befestigt war. Zuweilen wurde die Zeremonie des Segnens in seinem Auftrage von einem der Bischöfe oder Fürsten ausgeführt. Die gewöhnliche Erteilung des Segens war jedoch viel einfacher. Aus

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der Tür des Schlosses wurde eine Schnur aus Roßhaar gespannt, die rotgefärbt war und deren eines Ende über den Hofzaun hing. Das andere Ende hielt der Hutuktu in der Hand. Die knienden Pilger bemühten sich, das über den Zaun hängende Ende der Schnur zu ergreifen, um so den Segen des Heiligen zu erhalten. Eine interessante Beschreibung des gegenwärtigen Urga ist im Buche des bekannten Forschers Sven Hedin „Von Peking nach Moskau" zu finden. Das neue Urga ist auch im Buche des Amerikaners Roy Chapman Andrews beschrieben, der einer wissenschaftlichen Expedition vorgestanden hat, die im Jahre 1918 vom Amerikanischen Naturhistorischen Museum zu paläontologischen und zoologischen Ausgrabungen nach der Mongolei entsandt worden war. Die Arbeiten dieser Expedition, die auch heute noch fortgesetzt werden, haben bereits eine Menge wertvollen Materials aus der prähistorischen Epoche der Mongolei aufgedeckt, z. B. Knochen und Eier vorsintflutlicher Megalosaurier, Mammute, Dinosaurier, Plesiosaurier und anderer Tiere 2 ).

Kapitel XVI. Die Konferenz mit den mongolischen Fürsten. Sie wissen nicht, ob sie Rußland oder China vorziehen sollen. Charakteristik der Fürsten. Unsere Instrukteure und die mongolischen Truppen. Der Chef der Leibwache des Hutuktus, Toktoho Gung. Die Gründung einer mongolischen Druckerei.

Zur ersten Konferenz versammelten sich im Konsulat alle regierenden Fürsten und zwar: der erwähnte Sain Noyan Khan, der Außenminister Prinz Hangda Dorji, der Innenminister Da Lama, der Finanzminister Erdeni Wang Namsarai und der Kriegsminister Dalai Wang. Ich habe Da Lama und Hangda Dorji schon als Mitglieder der im Jahre 1911 nach Petersburg entsandten Deputation erwähnt gehabt; der Sain Noyan Khan war erst nach dem Tode des Jasaktu Khans kürzlich Minister geworden. Die Fürsten kamen beritten zur Konferenz und hatten zu dieser feierlichen Gelegenheit ihre Festkleidung angelegt. Sie wurden von zahlreichen Pferdeknechten begleitet, die im Hofe und im Vorhause sich breit machten. Von unserer Seite beteiligten sich außer mir an der Besprechung Generalkonsul Ljuba, Popow, Eltekow und der Burjate Zerempylow; letzterer war Dolmetscher des Konsulates. Ich habe ihn später wiederholt in Anspruch genommen. Dieser Burjate verkehrte am Hofe des Hutuktus und hatte einigen Einfluß auf Regierungskreise, indem er die Fürsten, von denen viele bei chinesischen Wucherern in hoher Schuld standen, mit Geld versorgte. Ich hatte schon Gelegenheit gehabt, mongolischen Fürsten zu begegnen, die nach Peking kamen, und war mit ihrer urwüchsigen Psychologie einigermaßen a

) Across Mongolian Plains, by Roy Chapman Andrews, London 1921.

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vertraut. Ich wußte, daß sie trotz der Ministertitel sich nur wenig von den gewöhnlichen Mongolen unterschieden. Die Vertreter der mongolischen Regierung, mit denen ich die Verhandlungen führen sollte, gehörten augenscheinlich zu den intelligenteren Schichten. Ihre breitknochigen, dunklen Gesichter mit den Schlitzaugen trugen den Ausdruck angespannter Aufmerksamkeit und Neugierde, als wenn vor ihnen ein Taschenspieler stünde, der ihnen seine Künste vorführte. Das Gespräch mit solchen Naturkindern mußte möglichst einfach und verständlich ohne diplomatische Kniffe und in der Bestrebung geführt werden, auf ihren gesunden Menschenverstand einzuwirken. Ich begann mit der Äußerung, daß Rußland und der Weiße Zar, der immer ein Freund der Mongolen gewesen wäre, auf die Kunde von den Schwierigkeiten, die durch die Loslösung von China entstanden wären, der Mongolei zu Hilfe geeilt seien. Die Aufgabe würde erleichtert werden, wenn die Mongolen mit uns ein Abkommen schlössen, welches die Verbindung zwischen der Mongolei und Rußland fester gestalten und letzterem die Möglichkeit geben würde, für die mongolische Autonomie einzutreten. Ich sei für die Verhandlungen ernannt worden, weil ich während meiner Dienstzeit als Gesandter in Peking Gelegenheit gehabt hätte, mit den mongolischen Angelegenheiten bekannt zu werden. Im Namen der Fürsten sprach Da Lama, ein kahlgeschorener Mönch — die übrigen Fürsten trugen Zöpfe —• von asketischem Aussehen, mit scharfen Gesichtszügen. Er äußerte, die Mongolen seien bereit, ein Abkommen mit Rußland zu schließen, möchten jedoch vorher feststellen, wie ein solches sich auf ihre Beziehungen zu China auswirken würde. Die Chinesen böten ebenfalls ein Abkommen an und wollten ihren Landsmann, den mongolischen Fürsten Noyantu, zu Verhandlungen entsenden. Die mongolische Regierung hätte sich jedoch in Erwartung weiterer Schritte Rußlands geweigert, Noyantu zu empfangen; außerdem sei sie bestrebt, nicht nur die Äußere, sondern auch die Innere Mongolei zu vereinigen, da letztere mit der ersteren eng verbunden sei. Ich erklärte, daß ich den Auftrag hätte, Verhandlungen nur über die Äußere Mongolei oder Kalka zu führen, und daß die Frage über die Innere Mongolei vorläufig nicht angeregt werden solle. Was China anbeträfe, so sei ein Abkommen der Mongolen mit diesem aller Wahrscheinlichkeit nach einer Aufhebung ihrer Unabhängigkeit gleichzustellen. Wir wollten eine Annäherung mit den Mongolen um des beiderseitigen Vorteils willen, da wir der Ansicht seien, daß die Mongolei als Pufferstaat ein Bollwerk unserer Grenze gegen chinesische Expansionen bilden könne. Der gegenwärtige Schritt Rußlands sei durch die Haltung der Pekinger Regierung bewirkt worden; von den Mongolen würde es abhängen, unser Angebot auszunutzen. Der Sain Noyan Khan, der bisher geschwiegen hatte, antwortete, daß die Mongolen die Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks zu würdigen wüßten. Meine Worte und mein Vorschlag würden dem Hutuktu unverzüglich vorgetragen werden. So endete meine erste Begegnung mit den mongolischen Ministern. Am anderen Tage machte ich einen Gegenbesuch bei den Fürsten. Der gesprächigste und liebenswürdigste von ihnen war Prinz Hangda Dorji. Er hatte

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sich in Peking und Petersburg aufgehalten, mit der abendländischen Lebensweise bekannt gemacht und gute Formen und kulturelle Gewohnheiten zugelegt. Der Einfluß Europas äußerte sich u. a. darin, daß der Fürst nach seiner Rückkehr nach Urga sich ein russisches Gespann anschaffte und ein zweistöckiges Holzhaus komplizierter Architektur bauen ließ, in welchem er übrigens nicht wohnte, sondern eine neben dem Hause aufgeschlagene Jurte bezog. Hangda Dorji befürwortete offen das russische Anerbieten. Da Lama empfing uns in seiner gelben Mönchskleidung in einer reich mit Teppichen ausgelegten Jurte. Auf dem Hausaltar vor dem Eingang standen Buddhafiguren, Kultusgeräte und brennende Öllampen. Nachdem er uns auf Kissen genötigt (Sessel gab es nicht) und Tee angeboten hatte, begann er über die Notwendigkeit der Vereinigung aller Mongolen zu sprechen. Von allen mongolischen Ministern war dieser der energischste und klügste. Außerdem hatte er den Ruf eines unbestechlichen Mannes. Trotz seiner hohen Stellung in der Hierarchie der Kirche war Da Lama ein Gegner des Lamatums und der Fürstenautokratie, in welchen er die hauptsächlichsten Übel der Mongolei erblickte. Für seine Bekämpfung der Lamas hatte er den Namen „Scholmus", d. h. Wiedergeborener des Teufels, erhalten. Nach Da Lama besuchten wir den Justizminister Namsarai Wang, der uns mit demonstrativen Äußerungen der Freude und des Dankes für die erwiesene Ehre empfing. Das Haupt der mongolischen Justiz war etwa vierzig Jahre alt, eine imposante Erscheinung. Er galt ebenfalls für einen Russophilen und erfreute sich eines besonderen Wohlwollens des Hutuktus, wie es hieß, dank des gemeinsamen Hanges zu Spirituosen. Namsarai Wang begnügte sich nicht mit der Bewirtung mit Tee, wie es die übrigen taten, sondern brach zu unseren Ehren einer Flasche Champagner den Hals. Unsere Minister-Rundreise beschlossen wir mit dem Finanz- und dem Kriegsminister, dem Tusiyetu Khan und Dalai Wang. Obgleich der Tusiyetu Khan für einen direkten Nachkommen Cinggis Khans gilt, wohnte er ärmer als seine Kameraden in einer kleinen Jurte unter rein mongolischen Verhältnissen. Angesichts der Enge in der Jurte, wo seine Familie sich aufhielt und Kinder zusammen mit jungen Ziegen umherwimmelten, hielten wir uns nicht lange auf und machten, daß wir weiter kamen. Der Tusiyetu Khan genoß den Ruf der Uneigennützigkeit, weshalb ihm auch wahrscheinlich die Finanzen anvertraut waren. Der jüngste der Minister, der Kriegsminister Dalai Wang, gehörte der Regierung wegen seiner Beteiligung am Umsturz an. Von militärischen Sachen hatte er nur geringe Ahnung, schoß jedoch gut mit dem Bogen und nähte geschickt. Die genannten Minister hatten, wie ich mich bald überzeugen konnte, alle sehr wenig Verständnis für Staatsgeschäfte mit Ausnahme von Da Lama und dem Sain Noyan Khan. Sie spielten lediglich eine passive Rolle und beschränkten sich auf die Beteiligung an den Konferenzen beim Hutuktu, wo die Beschlüsse im Zusammenhang mit den Intrigen hinter den Kulissen gefaßt wurden. Einen großen Einfluß hatte die Gattin des Hutuktus, die sog. Cagan Tara Eke, d. h. die wiedergeborene Göttin „Weiße Tara-Mutter". Von ihr werde ich noch später erzählen.

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Die laufende Arbeit wurde im mongolischen Kabinett von Unterbeamten ausgeführt, die eine gewisse Ausbildung unter dem chinesischen Regime genossen hatten. Von diesen war der hervorragendste ein Beamter des Außenministeriums, Oering Dorji, ein gewandter und arbeitsfähiger Mensch, jedoch ohne jegliche politische Richtung 1 ). Nachdem ich mich mit den Fürsten bekannt gemacht hatte, begab ich mich nach dem Lager Hujir Bulun, welches einige Werst vom Konsulat entfernt lag, um mir die mongolischen Truppen anzusehen, die von Rittmeister Wassiljew ausgebildet wurden. Er hatte bereits 800 Ceriks, d. h. Soldaten, ausgebildet, die in die westliche Mongolei geschickt worden waren. Das Lager liegt in einer Mulde unweit des Flusses Tola, der dort einige Arme bildet. Die von den Chinesen für ihre Garnison erbauten Kasernen bestehen aus einstöckigen Lehmbauten, die für eine Division berechnet waren. Augenscheinlich hatte man sich in Peking angeschickt, mit den Freiheitsgedanken der Mongolen endgültig aufzuräumen. Die Revolution hatte diese imperialistischen Pläne zerstört und die chinesischen Kasernen fanden Verwendung für die neuen mongolischen Truppen und unsere Instrukteure. Der Rittmeister Wassiljew hatte das Haus inne, welches für den chinesischen Kommandeur bestimmt gewesen war. Unsere Instrukteure hatten in den Kasernen europäische Fenster, Bretterfußböden und russische Öfen eingebaut. Die Rekruten waren gerade bei Gehübungen. Die starkknochigen Mongolen machten in ihren schweren Gutul (Lederstiefeln mit nach oben gebogener Spitze) ungeschickte Schritte, versuchten im Gleichschritt zu gehen und machten plumpe Wendungen. Das Kommando wurde von den Unteroffizieren in mongolischer Sprache gegeben. Wassiljew zeigte uns auch Übungen zu Pferde. Die Reiter waren in zerrissenen Halat (Röcken) und saßen auf halbverhungerten Gäulen, ritten jedoch recht gut. Ähnlich den amerikanischen oder australischen Cowboys verbringen sie die meiste Zeit ihres Lebens auf dem Rücken der Pferde; ihre Hauptbeschäftigung ist die Pferde- und Viehzucht. Der Mongole ist auf dem Pferde graziös und sicher: man sieht ihm an, daß dies sein Element ist; dafür macht er als Infanterist einen ziemlich hilflosen Eindruck, vielleicht deswegen, weil die Mongolen überhaupt das Gehen nicht lieben und bei jeder Gelegenheit sich aufs Roß schwingen. Der Gang des Mongolen ist gebückt, wahrscheinlich durch das Leben in der niedrigen Jurte, wo man nur selten aufrecht stehen kann. In der mongolischen Kaserne gab es weder Türen noch Fenster, die Soldaten hatten sie zu Heizzwecken verbraucht. Überhaupt sind alle Anstrengungen, den Mongolen kulturelle Gewohnheiten beizubringen, fehlgeschlagen. Die von Wassiljew gekauften emaillierten Gefäße zum Waschen der Hände wurden zerschlagen, die Handtücher zerrissen. Unsere Instrukteure beschwerten sich darüber, daß die mongolische Regierung kein Geld für den Unterhalt ') Gegenwärtig nimmt Oering Dorji den Posten des Außenministers in der mongolischen revolutionären Regierung ein. Er ist der einzige mongolische Beamte des alten Regimes, der es verstanden hat, alle politischen Erschütterungen in der Mongolei zu überleben und in der Macht zu bleiben.

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der Soldaten gebe und für die Truppen kein Interesse zeige; der Kriegsminister kümmere sich überhaupt nicht um seinen Ressort. Die Einstellung von Soldaten wurde auch dadurch erschwert, daß die Bannerbehörden keine jungen, kräftigen Leute hergaben, sondern alte Männer und Minderjährige nach Urga schickten. Der größte Teil der Rekruten leidet infolge körperlicher Unsauberkeit an Beingeschwüren und Hautkrankheiten. Überhaupt sind die Militärs nicht populär, was teilweise damit zu erklären ist, daß die Mongolen ein auf dem pazifistischen Buddhismus begründetes Vorurteil gegen das Kriegswesen haben. Diese Ansicht wird von der Geistlichkeit unterstützt, welche befürchtet, daß ihre ausschließliche Einflußstellung im Lande durch ein militärisches Regiment untergraben werden könnte. Die Mongolen sind als Kavalleristen von Jugend auf unübertroffen für plötzliche Überfälle und Erkundungsdienst sowie für den Bürgerkrieg, dagegen wohl kaum als reguläre Truppen, besonders als Infanterie, zu verwenden. Aus dem, was ich gesehen und gehört hatte, erhielt ich den Eindruck, daß die mongolischen Soldaten noch keine ernsthafte militärische Macht bilden und jedenfalls hinter den Chinesen weit zurückstehen. Deshalb wäre die Entsendung eines russischen Truppenteils in allen Beziehungen wünschenswert gewesen; der Stab des Irkutsker Bezirks stellte aber der Entsendung des Werchne-Udinsker Regiments nach Urga andauernd Hemmungen in den Weg. Außer den Soldaten Wassiljews gab es in Urga noch eine andere mongolische Abteilung, die vom Chef der Leibwache des Hutuktus, Herzog Toktoho, befehligt wurde. Die Karriere dieses früheren Hung-hu-tze („Rotbartes", d. h. Räubers) entbehrt nicht der Romantik. Toktoho stammte von den Gorlos der Inneren Mongolei. Während des russisch-japanischen Krieges erschoß er zufällig einen japanischen Offizier, der eine Patrouille führte und sich seinem Standort zu sehr genähert hatte. Die Japaner verlangten von der chinesischen Regierung die Auslieferung des Mörders. Toktoho vertrieb die zu seiner Festnahme entsandte Abteilung, bildete eine Bande und wurde Räuberhauptmann. Die mandschurischen Behörden versuchten ihn einzufangen, Toktoho aber zog sich in die Berge zurück und setzte von dort aus seine Überfälle fort. Als er es zu arg trieb, rüsteten die Chinesen eine größere Expedition aus und setzten eine bedeutende Prämie auf seine Gefangennahme. Toktoho schlug jedoch abermals die Chinesen und zog mit seiner Bande über die russische Grenze. Auf die Forderung der Chinesen, Toktoho auszuliefern, berief sich die russische Regierung darauf, daß er ein politischer Emigrant sei und deshalb nicht ausgeliefert werden könne. Dies war natürlich eine bei den Haaren herbeigezogene Begründung, aber wir hatten damals mit den Chinesen überhaupt Unstimmigkeiten bezüglich des Handelsvertrages und der Grenzangelegenheiten, in welchen Peking nicht nachgeben wollte, und wir benutzten die Gelegenheit, um einen Druck auszuüben. Als im November 1911 die Mongolei ihre Unabhängigkeit erklärt hatte, erschien Toktoho in Urga und bot den Mongolen seine Dienste an. Der Hutuktu verlieh ihm den Titel eines Gung, d. h. Herzogs, und ernannte ihn zum Chef

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seiner Leibwache. Somit wurde Toktoho ein friedlicher Bürger und ließ sich in Urga nieder, bezog ein Gehalt und ruhte auf seinen Lorbeeren aus. Die mongolische Regierung schien seine Truppe zu fürchten, die aus wilden Karacin bestand, die viel kriegerischer als die Kalka sind. Ich wollte natürlich diesen eigenartigen Freiheitskämpfer kennen lernen und begab mich zu ihm zusammen mit Popow, der Mongolisch sprach. Toktoho, ein hochgewachsener, sehniger Mann mit scharfen Gesichtszügen und unheimlichen Augen, die vom häufigen Opiumgenuß trübe geworden waren, empfing uns mit außerordentlichen Ehrenbezeugungen; er erklärte, daß er große Sympathien für die Russen hätte und daß er nie das Wohlwollen des Großen Cagan Batur (Weißen Zaren) vergessen werde, wobei er stolz auf den ihm verliehenen Stanislaus-Orden wies. Wir nahmen auf einem Divan Platz und eine hübsche Mongolin, scheinbar die Frau des Hausherrn, brachte russischen Tee in Gläsern, Konfitüren und Gebäck der Moskauer Firma Einem. Wir sprachen von den früheren Heldentaten Toktohos, der erzählte, wie er die Wachsamkeit der Chinesen und der Japaner zu täuschen gewußt und die mandschurischen Gouverneure in Schrecken versetzt hatte. Bezüglich der russisch-mongolischen Annäherung befürwortete Toktoho die Vereinigung aller mongolischen Stämme und den Anschluß der Inneren Mongolei an Kalka. Früher mag dieser mongolische Volksheld ein nicht ganz gewöhnlicher Hung-hu-tze gewesen sein, jetzt war er stark heruntergekommen und hatte von der früheren Unbändigkeit des Räubers nur die freche Prahlerei behalten. Er erwähnte u. a., daß die Chinesen zwei seiner Söhne als Geiseln im Gefängnis hielten, die wahrscheinlich umkommen würden, daß da aber „mei-yo fa-tze", d. h. nichts zu machen sei 2). Die Aufzählung der militärischen Führer Urgas würde nicht vollständig sein, wenn der Chef der mongolischen Artillerie, Hauptmann Malinowski, der auch den Titel „Tumbair" trug, ungenannt bliebe. Die Vergangenheit dieses Hauptmanns ist finster. Er erschien eines Tages „nach langen Qualen durch die Ungerechtigkeit der Menschen" (darunter fiel auch eine Gefängnisstrafe für die Unterschlagung von Staatsgeldern) in Urga. Hier hatte er es sich dank der Protektion des Konsulats bei den Mongolen als Artillerie-Instrukteur bequem gemacht. Ich weiß nicht, wieviel Malinowski von der Sache verstand; für die Mongolen war er ein unersetzlicher Mensch, da er mit großem Eifer die verschiedensten Aufträge des Hutuktus und der Fürsten ausführte. Nachdem Malinowski seine Batterie zusammengestellt hatte, veranstaltete er eine Parade, zu welcher er Mongolen, bekannte Persönlichkeiten der Stadt und uns alle einlud, um seine erzielten Erfolge bewundern zu lassen. Das Bild war tatsächlich interessant. Malinowski selbst, ein beleibter Mann mittlerer Jahre, ritt im roten Halat und einer spitzen mongolischen Mütze mit gezücktem 2

) Die Karriere Toktolios ist keine Ausnahme. In China werden oft frühere Bandenführer zu Beamten, auch Gouverneuren oder Befehlshabern gemacht. Viele der gegenwärtigen Tu-kün (Militärgouverneure), z. B. der allmächtige Marschall der Mandschurei Chang Tso-lin, haben ihre Laufbahn als Führer von Räuberbanden begonnen.

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Säbel voran. Die Batterie bestand aus vier chinesischen Falkonetten, die aufRäder mit mongolischem Vorgespann gestellt waren. Die Mannschaft war ebenfalls in roten Halat, die über die Hemden gezogen waren. Manöver und Schießen gingen nach dem Kommando Malinowskis ganz gut ab und riefen das Beifallsgeschrei der Anwesenden: „Dsa, dsa!" hervor. Unsere Offiziere beurteilten jedoch die Geschütze dahin, daß sie keinerlei militärischen Wert hätten und nur zum Salutschießen taugten. Nach der Besichtigung der Batterie gingen wir zur Eröffnung der mongolischen Druckerei, an deren Errichtung, wie merkwürdig es auch sein mag, Malinowski teilgenommen hatte. Der Hauptmann beabsichtigte, zusammen mit einem anderen Pionier in Urga eine russische Zeitung herauszugeben, wozu aus Irkutsk typographische Maschinen bereits bestellt waren. Als die Sache wegen Geldmangels scheiterte, kaufte ich die Druckerei für die Herausgabe einer mongolischen Zeitung, da eine solche damals nötig war, um den russischen Einfluß mittels des gedruckten Wortes besser fördern zu können. Ohne eigene Presse mangelte den Mongolen jede Unterrichtung über die Ereignisse und sie mußten sich mit Marktgerüchten und chinesischen Zeitungen begnügen, welche die unwahrscheinlichsten Gerüchte über Rußland brachten. Obwohl die Verwaltung der Chinesischen Ostbahn eine mongolische Zeitung herausgab, war sie doch in zu „gebildeter" Sprache und dem hier unverständlichen Dialekt der Cahar geschrieben. Zum Redakteur meiner Zeitung machte ich den Burjäten Dschamsaranow, einen gebildeten und arbeitsfähigen Menschen, der vor allem auch die Psyche der Mongolen verstand. Er war früher Lektor an der Petersburger Universität gewesen, aber wegen separatistischer Tendenzen auf administrativem Wege nach Transbaikalien verschickt worden 3 ). Den Druck der Zeitung gelang es erst im Februar zu organisieren, nachdem wir aus Petersburg die mongolischen Drucklettern erhalten hatten. Im Zusammenhang mit diesem kulturellen Anfang merkte ich mir die Einrichtung einer russisch-mongolischen Schule vor, um die Mongolen die russische Sprache erlernen zu lassen. Von den offiziellen Mongolen kannte damals niemand die russische Sprache und wir waren auf die Unterstützung fremder Burjaten angewiesen, was natürlich Unbequemlichkeiten zur Folge hatte. Die Leitung der Schule übernahm derselbe Dschamsaranow. Später machte ich den Versuch, Mongolen an die russischen Lehranstalten heranzuziehen. Die Fürsten verhielten sich jedoch mißtrauisch und erklärten, daß sie eine eigene Universität hätten und tibetische Professoren; wer seine Bildung vervollständigen wolle, könne nach Peking oder Lhasa gehen. Meine Argumente für die Nützlichkeit der Bildung begegneten außerdem dem Widerstande der Lamas. Diese widersetzten sich allem, was ihre privilegierte Stellung irgendwie erschüttern konnte und zur Aufklärung des Volkes beitrug. Sogar solch ein fortschrittlicher Mongole wie Da Lama zeigte hin und wieder eine unverständliche Halsstarrigkeit. So 3 ) Er ist ein bekannter Schriftsteller auf dem Gebiete der mongolischen Ethnographie und Sprache. Jetzt ist Dschamsaranow Mitglied der mongolischen Regierung und steht an der Spitze des Staatsarchivs.

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widersetzte er sich den Pestimpfungen des mongolischen Viehs, die von unseren Veterinären vorgenommen wurden, und zwar aus dem Grunde, weil Impfungen dem Geiste des Buddhismus nicht entsprächen, der die Zuführung von Fremdkörpern ins Blut verbiete. Nach langen Überredungen gelang es mir, die Fürsten zu bewegen, einige Knaben zur Ausbildung nach Rußland zu schicken. Die Angelegenheit konnte sich jedoch nicht recht entwickeln, da die Knaben, als sie nach Irkutsk kamen, wegen mangelnder Geldmittel nicht in unsere Lehranstalten aufgenommen wurden. Die Schule in Urga, die während meines Aufenthaltes eröffnet wurde, mußte aus demselben Grunde geschlossen werden, d. h. wegen Mangels an Geld. Damit scheiterten unsere Versuche, die junge mongolische Generation zu beeinflussen. Seither hat sich die Lage geändert, da die Sowjetregierung, um die Mongolen für sich zu gewinnen und sie zu Propagandazwecken in der Mongolei zu benutzen, ihnen die Möglichkeit der Ausbildung in Rußland gibt. Überhaupt ist bei den Mongolen unter dem Einfluß der revolutionären Ideen das Bestreben wach geworden, mit der westlichen Kultur bekannt zu werden, und viele von ihnen sind nach Amerika, Japan und Europa gegangen.

Kapitel XVII. Die Hutuktus von Urga. Deren Wahl. Der achte Dschebdsun Damba Hutuktu. Die Klöster Erdeni Juu und Amur-Bayashulangtu. Der Lamaismus und seine Tempel. Lhasa und Peking, die hauptsächlichsten Religionszentren. Mein Besuch beim H u t u k t u von Urga.

In früheren Zeiten war die Wahl des Dschebdsun Damba Hutuktus von Urga ein Ereignis von größter Bedeutung für die ganze Mongolei. Es interessierten sich für sie die mongolischen Fürsten in der Hoffnung, daß die Wiedergeburt des Heiligen in ihrer Familie stattfinden und diese nicht nur aus der Zahl der übrigen Fürstengeschlechter hervorheben, sondern auch in den Augen aller lamaischen Buddhisten zu besonderer Ehre bringen werde. Dies Interesse nahm ab, als die Pekinger Regierung aus politischen Motiven die Wiedergeburt des Dschebdsun Damba Hutuktus in Kalka verbot und nach Tibet verlegte. Wenn später die Rückkehr zur alten Ordnung in Erwägung gezogen wurde, so geschah das deshalb, weil die Wiedergeburt in Kalka billiger war, da sie nicht die Entsendung einer kostspieligen Gesandtschaft nach Tibet erforderte. Andererseits kalkulierten die Fürsten, daß es für sie selbst besser sei, eine unabhängigere und von lokalen Interessen unbeeinflußte Persönlichkeit auf dem heiligen Stuhl zu haben. Bis zum letzten Mal ist die Wahl des Dschebdsun Damba Hutuktus in Lhasa vorgenommen worden. Sie ähnelte der Wahl des Dalai Lamas, erforderte aber weniger Feierlichkeiten und galt als ein bedeutungsloseres Ereignis. Gewöhnlich wurde nach dem Tode des Hutuktus in Peking ein Dekret des Dalai

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Lamas betreffs der Wahl des Nachfolgers veröffentlicht. Die vorläufige Wahl wurde vom Dalai Lama, vom Pantschen Erdeni Lama (dem zweiten Großlama) und von zwei Tschaitschon (Würdenträgern) vorgenommen. Diese vier bestimmten nach Konferenzen mit dem mandschurischen Amban oder Kaiserlichen Residenten in Lhasa zwölf Knaben, die zehn Monate nach dem Tode des Hutuktus von Urga geboren worden waren, in der Annahme, daß in einen von diesen die Seele des Verstorbenen übergesiedelt sei. Die Knaben wurden nach Potala, dem Kloster und Schloß des Dalai Lamas, gebracht, wo sie von den Lamas untersucht wurden. Zurückbehalten wurden nur drei, welche charakteristische Buddha-Eigenschaften besaßen, wobei die Form des Schädels, Länge der Ohren, Form der Augen, Farbe der Haut u. a. in Betracht gezogen wurde. Verschiedene heimliche Einflüsse und verwandtschaftliche Beziehungen spielten hierbei natürlich nicht die letzte Rolle. Diese Prozedur wurde noch durch eine weitere Prüfung vervollständigt. Den Jungens wurden einige Gegenstände gezeigt, die dem Verstorbenen gehört hatten, z. B. Kleider, Mütze, Rosenkranz u. a. Als Wiedergeburt und Nachfolger galt derjenige Knabe, welcher auf den Rosenkranz wies. Die endgültige Wahl des Hutuktus aus den drei Hauptkandidaten wurde ebenfalls in Potala vorgenommen, und zwar vom Nomun Khan und zwei Kalon (Ministern) mit dem mandschurischen Amban. Die Namen der Kandidaten wurden auf Zettel geschrieben und in eine Bumba, d. i. eine goldene Urne getan, aus der nach einem feierlichen Hural (Gottesdienst) der Name des künftigen Hubilgans entnommen wurde. Zur Vertretung des Wiedergeborenen in der Mongolei wurde ein „Hubilgan des Geistes" gewählt; die zwei Knaben, die bei der Wahl übriggeblieben waren, wurden auch Lamas und erhielten Posten als Äbte von Klöstern. Über die Wahl wurde nach Peking berichtet, worauf ein kaiserliches Edikt nach Urga erging und den Titel des neuen Hubilgans festsetzte. Angesichts des kindlichen Alters des Schabrong, d. i. des jungen Hutuktus — er war in der Regel nicht über fünf Jahre alt — wurde er vor der Reise nach der Mongolei einige Zeit im Kloster behalten. Inzwischen kam aus Kalka eine besondere Gesandtschaft unter der Führung eines Fürsten mit einigen Taijis und nachgeordneten Beamten sowie Dienerschaft unter militärischer Eskorte. Die Karawane brachte Lebensmittel und Geschenke für den Dalai Lama und die Würdenträger der tibetischen Hierarchie mit. Nach längerem Aufenthalte in Lhasa, während dessen der neue Hubilgan das Mönchsgelübde ablegte und zum Abt ernannt wurde, kehrte die Gesandtschaft nach Urga zurück. Die Rückreise erfolgt auf demselben Wege, d. h. über Kuku Noor, nur langsamer und feierlicher. Diesmal begleitete die Gesandtschaft der mandschurische Amban als Vertreter der Pekinger Regierung und Mentor des Schabrong. An der Grenze von Kalka kamen der Gesandtschaft entgegen der Sancotba (der Schatzmeister und Chef der Sabinar-Verwaltung), Fürsten, Lamas und die Beamtenschaft. «Dem Hutuktu wurden heilige Symbole dargebracht, worauf er nach Urga geführt wurde. Hier wurde er noch einmal und noch feierlicher empfangen, wobei man ihm als Zeichen seiner Macht das

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kaiserliche Patent und das goldene Amtssiegel überreichte. Die Zeremonie wurde begleitet von Liturgien, Prozessionen und Festessen. Die Ausrüstung einer solchen Gesandtschaft war natürlich nicht billig und lag als schwere Last auf den Tributpflichtigen des Hutuktus x ). Der gegenwärtige achte Hutuktu war im Jahre 1870 in einer dem Dalai Lama nahestehenden Familie geboren worden. Damals wütete in China der Aufstand der Dunganen (chinesischen Muhammedaner), die auch Unruhen in den westlichen Bannern der Mongolei hervorgerufen hatten und sogar Urga bedrohten. Dieser Umstand verzögerte die Reise des neuen Hutuktus aus Tibet nach Urga bis zum Jahre 1874. Seine Kindheit hat er unter der Aufsicht seiner Eltern und seines Erziehers Yongson Lama verbracht; die Geschichte erzählt nichts Wunderbares aus dieser Zeit seines Lebens. Mit den Jahren begann der Hutuktu Interesse an äußeren Ereignissen zu nehmen und fand die Disziplin des Klosterlebens und der zwangweisen Abgeschiedenheit lästig. Da er im scholastischen Studium der heiligen Schriften keine Befriedigung fand, wäre er wohl den in Lamakreisen üblichen Lastern verfallen, wenn ihn nicht der gute Einfluß seiner Mutter, einer klugen und energischen Frau, davon abgehalten hätte. Der Hutuktu folgte den Ratschlägen seiner Mutter, nahm das Studium der weltlichen Wissenschaften auf und wandte sich sogar an das russische Konsulat um Rat. Leider hat es der damalige Vertreter Rußlands, ein Herr Schischmarow, nicht verstanden, die Sympathien des jungen Schabrong auszunutzen, um ihn auf die russische Seite zu ziehen, und sich mit Liebenswürdigkeiten und der Darbringung von Geschenken begnügt. Letztere bestanden hauptsächlich in europäischem Spielzeug, welches die Mongolen, wie alle Urmenschen, sehr gern haben. Nach dem Tode der Mutter verfiel der Hutuktu schlechten Einflüssen, umgab sich mit zügellosen Lamas, legte sich Weiber zu und begann ein anstößiges Leben. Um sich der beengenden Hofetikette mit den zahlreichen Zeremonien und Gebräuchen zu entledigen, verschwand er nach dem Vorbilde einiger seiner Vorgänger in die Klöster Erdeni Juu und Amur-Bayashulangtu 2 ). Hier entging er der Aufsicht seiner geistlichen Erzieher und konnte unter dem Vorwande von Zurückgezogenheit und Gebetsübungen sich der Zügellosigkeit und Gelagen hingeben. Obgleich Gerüchte über das Treiben des Hutuktus ins Volk drangen, schädigte das keineswegs sein Ansehen in den Augen der Gläubigen, die von der Makellosigkeit und der Göttlichkeit aller Handlungen des Hutuktus überzeugt waren. Mit der Zeit wurde der Hutuktu oder Bogda („Heilige"), wie man ihn in Urga nannte, ruhiger, besonders nachdem er sich unter Bruch des zum Zölibat *) A. Posdnejew, Die Mongolei und die Mongolen, Bd. I S. 552. *) Das Kloster Erdeni Juu befindet sich am Flusse Orhon im Aimak des Sain Noyan Khans nahe den Ruinen Karakorums, der alten Residenz Cinggis Khans. Das Kloster Amur-Bayashulangtu liegt ebenfalls unweit des Flusses Orhon im Hosun Gung Lobsang Haidob des Aimaks des Tusiyetu Khans. In Erdeni Juu hat der gegenwartige Dalai Lama einige Zeit verbracht, als er sich genötigt sah, vor der englischen Expedition unter Oberst Younghusband aus Lhasa zu fliehen. X o r o s t o v e t z , Mongolei.

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verpflichtenden Mönchsgelübdes mit einem jungen mongolischen Mädchen verheiratet hatte, das er nachher zur „Gemahlin des Bogda Khans" erhob. Diese Frau gewann bald einen außerordentlichen Einfluß auf den Mann, indem sie zu seiner ersten Beraterin in kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten wurde. Ihr Einfluß wurde noch weitgehender, als der Bodga erblindete und sie zu fürchten begann, daß man ihn stürzen wolle. Die ehrgeizige „Cagan Tara E k e " oder „Weiße Tara-Mutter" (die Göttin der Barmherzigkeit bei den Lamaisten) wollte allzugern die Thronfolge ihrem Sohne sichern, obgleich das dem kanonischen Rechte zuwiderlief, demzufolge die Wiedergeburt nach den angeführten Regeln in Tibet zu ermitteln war. Während meines Aufenthaltes in Urga galt am Hofe des Bogda strenge Etikette, der sich die Lamas und die Fürsten in gleicher Weise zu fügen hatten. Während frühere Hutuktus sich an wilden und grausamen Vergnügungen belustigten (so band einer von ihnen Untertanen an den Schweif von Pferden und ein anderer ließ sie mit gefesselten Händen in den Fluß werfen), sind jetzt die Sitten kultivierter geworden und der Bogda sucht auf andere Weise seine Belustigung, indem er z. B. während einer Sitzung seine Minister mit einem Wasserstrahl aus einem Syphon zu bedenken geruht. Wie wir weiter unten sehen werden, hat der Bogda nach dem Einzüge der russischen Sowjetmacht in Urga und der Errichtung der revolutionären Regierung jeglichen politischen Einfluß verloren, der an die Minister überging, die von Sowjetagenten dirigiert werden. Die Moskauer Regierung hat beschlossen, keine weiteren Wiedergeburten zuzulassen und nach dem im Jahre 1924 erfolgten Tode des Hutuktus ist sein Stuhl unbesetzt geblieben. Ich werde noch auf die Persönlichkeit des Hutuktus zurückkommen, hier nur einige Worte über die soeben erwähnten Klöster Erdeni Juu und AmurBayashulangtu. Diese Klöster werden in der ganzen Mongolei als nationale Heiligtümer verehrt und nehmen im geistlichen Leben des Volkes eine angesehene Stellung ein. „Urga und Erdeni J u u " , sagt der bekannte Mongolologe A. Posdnejew, „streiten um die Führung und es fällt schwer, die tatsächliche Führerrolle nach der Volksauffassung festzustellen; jedes rühmt sich besonderer Vorzüge und macht sein Recht auf die Führerschaft geltend. Urga ist zurzeit bevölkerter und zieht mehr Pilger an, weil die dortige Gottheit tatkräftiger und mächtiger ist und lebendiger die Einbildungskraft des Volkes zu beeinflussen weiß, als die Pagoden von Erdeni Juu. Letzteres hat aber auch bis heute noch den Vorzug wegen der dort angesammelten Menge von Heiligtümern und wird wohl seines Alters wegen über Urga immer den Vorrang haben. Alles, was es in Urga gibt, ist mit Erinnerungen an die Persönlichkeiten der verschiedenen Wiedergeburten des Dschebdsun Damba Hutuktus verbunden. Erdeni Juu beschränkt sich nicht darauf. Dieses Kloster hat ebenfalls viele stürmische Ereignisse hinter sich, die aus Aufständen resultieren, wie auch feierliche Zeremonien, an denen sich dasselbe Volk friedlich erfreute. Die Buddhabilder von Erdeni Juu sind die Zeugen vieler wichtiger Ereignisse der Kalka gewesen. Deshalb erinnert hier fast jede Säule und jeder Hügel, jede Kapelle und jeder

Das Gebäude der Goldminengesellschaft „Mongolor" in Urga.

Russische und amerikanische Goldsucher in der Nordmongolei.

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Buddha an irgend eine Persönlichkeit oder ein den Kalka nahestehendes Ereignis." 3 ) Mit dem Namen des Tempels Erdeni Juu ist übrigens folgende interessante Legende verbunden. Unter Kaiser Yung Cheng überfielen die Dsungaren im Jahre 1731 erneut Kalka, lieferten den Mongolen nahe dem Kloster Erdeni Juu eine Schlacht und wurden geschlagen. Es geht die durch offizielle Dokumente belegte Sage, daß, als die feindlichen Heere das Kloster stürmten und die Tür des Haupttempels aufrissen, die vor der großen Buddhastatue (Juu) stehende Gottheit Gombo Guru sich vorgeneigt hätte. Die erschreckten Dsungaren wagten sich nicht hinein und blieben unschlüssig stehen. Hierauf brüllten die steinernen, vor dem Tempel stehenden Löwen so drohend, daß die Krieger flüchteten, wobei sie zum größten Teil im Flusse Orhon ertranken. Der Kaiser von China verlieh aus diesem Anlasse dem Flusse Orhon den Rang eines Tusiye Gung, d. h. Herzogs ersten Ranges; gleichzeitig wurde verordnet, daß alljährlich an einem von den Astrologen festzusetzenden Tage der Fluß Opfer erhalten solle; das dem Fluß nach seinem Rang als Herzog zustehende Gehalt in Höhe von 300 Unzen Silber sollte ins Wasser versenkt werden. Eine nicht geringere Berühmtheit genießt unter den Lamaisten das Kloster Amur-Bayashulangtu, das eines der hauptsächlichsten Heiligtümer der Kalka ist. Dieses am Flusse Iben Gool gelegene Kloster ist im Jahre 1737 auf Befehl des Kaisers K'ang Hi erbaut worden, um als Gruft für den Hutuktu Undur Gegen zu dienen, der die besondere Gunst dieses Monarchen genoß. Über den Namen des Klosters sagt die Legende folgendes: als der Kaiser beschlossen hatte, das Kloster zu errichten, schickte er Kenner des Feng-shui, d. h. der Geomantik, nach der Mongolei, um einen Platz auszusuchen. Die Boten gingen den Fluß Iben Gool hinauf, kamen zum Berge Burun Khan und trafen am Fuße des Berges spielend einen Knaben und ein Mädchen. Auf die Frage nach ihren Namen erwiderten die Kinder, daß der Name des Knaben Amur, der des Mädchens Bayashulangtu heiße. Das hierauf erbaute Kloster wurde nach dem Namen dieser Kinder benannt. 4 ) Das Kloster hat etwa ein Dutzend Tempel, von denen der des Buddhas Sakyamuni der bedeutendeste ist und von einem goldenen Rezeptakel gekrönt wird, in welchem die sterblichen Reste Undur Gegens liegen. Außer den genannten Klöstern gelten als heilige Orte der Mongolei die Stadt Dolon Noor („die Sieben Seen") in der Inneren Mongolei und Wu-t'ai-shan in der Provinz Schansi. Diese Orte haben ebenfalls ihre Hubilgane. Auf dem Berge Wu-t'ai-shan werden nicht weniger als 30 Klöster, Tempel und Kapellen gezählt, wohin jährlich viele Tausende von Pilgern und Kranken kommen, da die Götter des heiligen Berges Heilkräfte ausüben sollen. Dolon Noor rühmt 3 ) A. Posdnejew a. a. O. Bd. I, S. 426 — 435. Die mongolischen Wörter Erdeni Juu bedeuten „Kostbares Götterbild". 4 ) Amur bedeutet „Wohlbehagen" und Bayashulangtu „Freude habend". Letzteres Wort ist auch die mongolische Bezeichnung des Schlangenkönigs Nanda. Vgl. A. Grünwedel, Mythologie des Buddhismus in Tibet und der Mongolei, Leipzig 1900, S. 190.

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sich des alten Klosters Sira Sume, das noch heute die Sommerresidenz des Dschanggiya Hutuktus ist, des wiedergeborenen Erzbischofs von Peking. Die Stadt ist auch berühmt durch ihre Gießereien, in welchen die Buddha-und Götterstatuen hergestellt werden für die Klöster und Tempel der Mongolei und Nordchinas. Die hauptsächlichsten religiösen und kulturellen Zentren der Mongolei sind aber seit alters Lhasa und Peking. Diese alten Residenzen haben dem Leben und der Ideologie der Mongolen einen unauslöschbaren Stempel aufgedrückt. Lhasa hat ihnen die „Gelbe Lehre" (den Lamaismus) und das theokratische System gegeben, das die zueinander in losen Beziehungen stehenden mongolischen Stämme so fest vereinigt hat und das Pantheon mit Wiedergeborenen versorgt. Potala (das Kloster und Schloß des Dalai Lamas) ist auch jetzt noch der geistige Leuchtturm, der allen rechtgläubigen Lamaisten scheint. Unter den anderen tibetischen Klöstern, in denen Hubilgane wohnen, sind am bekanntesten: Taschilumbo, Labrang, Galdan und Kumbum. Nicht minder feste Fäden verbinden die Mongolen mit Peking. Ihre kriegerischen Vorfahren hatten seinerzeit China erobert, die Kin- und die SungDynastie gestürzt und eine eigene Yüan-Dynastie gegründet (1260—1368). An der Stelle der Chung-tu („Mittlere Hauptstadt") genannten Residenz der Kin wurde eine neue Residenz errichtet, die den Namen Kambalik 5) erhielt. Der venezianische Reisende Marco Polo, der China zur Zeit des Mongolenkaisers Hubilai Khan besuchte, hat eine interessante Beschreibung der damaligen Hauptstadt, des heutigen Pekings, hinterlassen. Obgleich die Zeit die Spuren der mongolischen Herrschaft verwischt hat, lebt die Erinnerung an sie in der Geschichte, den staatlichen Behörden und zahlreichen Architekturen in Form von P'ai-lou's (Ehrenpforten), Grabstätten, Pagoden und Tempeln fort 6 ). Nach dem Sturze der Yüan setzten die Kaiser der Ming- und der MandschuDynastie aus politischen Rücksichten die Begünstigung der Mongolei fort, indem sie zur Erweiterung ihres Einflußbereiches die gemeinsame buddhistische Religion benutzten. Die Tatsache, daß die Mandschukaiser Chinas die oberste Leitung des Lamaismus übernahmen, hat die religiöse Verbindung zwischen beiden Völkern fester gestaltet und die Sympathie für Peking als das geistige Zentrum erhöht 7 ). Trotz der Kriege und inneren Erschütterungen, denen China unterworfen war, wuchs diese Sympathie dank der klugen Politik des Pekinger Hofes, die zur Stärkung des Buddhismus und gleichzeitig zur Schwächung des kriegerischen Geistes der Mongolen führen sollte. 6

) Verstümmelt aus Khan u balgasun „Stadt des Khans". •) Von den in Peking erhaltenen Wahrzeichen der Mongolenzeit sind die bekanntesten ein Teil der Stadtmauer sowie der Paukenturm und der Glockenturm, die zur Regulierung der Zeit aufgestellt waren, nebst zweien der berühmten astronomischen Instrumente des Observatoriums. ') Die angesehensten Lamaklöster Pekings sind: der Huang-sse („Tempel der Gelben Lehre"), unter Kaiser Shun Chih im 17. Jahrh. für den Peking besuchenden Dalai Lama erbaut; der Yung-ho-kung („Palast der harmonischen Eintracht"), ursprünglich ein kaiserliches Palais, in dem der spätere Kaiser Yung Cheng geboren wurde und seine Jugend verlebt hat; der Sung-shu-sse („Kloster der Zederbäume"), die Winterresidenz des Dschanggiya Hu-

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Der Umsturz in China hat natürlich die Bedeutung Pekings in den Augen der Mongolen herabgesetzt, der religiöse und moralische Reiz aber ist geblieben. Es ist daher nicht zu verwundern, daß jeder Mongole dahin strebt, die chinesische Hauptstadt zu besuchen und die hauptstädtische Kultur kennen zu lernen. Viele Mongolen kommen auch in Familien- oder Handelsangelegenheiten. Die Fürsten und wohlhabenden Mongolen lassen ihre Söhne in Peking studieren. Früher blieben die über Peking gehenden Karawanen nördlich der Stadt in einem besonderen Vororte Wai-kuan („Äußeres Absteigequartier") zur Rast. Ein anderer Standort für Karawanen war der sog. Mongolenmarkt (Li-kuan, „Inneres Absteigequartier") hinter der russischen Gesandtschaft. Heute sind die Mongolen in der ganzen Hauptstadt verstreut. Es gibt in Peking eine bedeutende mongolische Kolonie, die sich hauptsächlich aus den Lamas der Klöster zusammensetzt. Das Leben in der Hauptstadt macht die Mongolen bald zu Chinesen; sie übernehmen die Sprache, die Sitten und die Lebensweise der letzteren. Diese Erscheinung ist nicht nur bei dem einfachen Volke gang und gebe, sondern auch bei den Mitgliedern der Fürsten- und Adelsgeschlechter, besonders bei denen aus der Inneren Mongolei, da diese nahe gelegen ist. Die Chinesierung der Mongolen wird in hohem Maße durch die Ehen mit Chinesinnen gefördert, die den Erwerb von Grundbesitz in Peking und damit die Übertragung der materiellen Interessen nach China zur Folge haben. In Peking gibt es viele hochgestellte Mongolen, die sich ihrem Äußeren nach durch nichts von Chinesen unterscheiden, z. B. Prinz Amurlinggui, der Vertreter der Mongolei im Nationalrat, und Gungsan Norbu, der Vertreter des Stammesverbandes Josotu der Inneren Mongolei, Prinz Noyantu aus Kalka, Fürst Baltu, die Fürsten von Alaschan, Naiman, Barin, Karacin usw. Kehren wir zu meiner Audienz beim Hutuktu zurück. Diese Zeremonie fand am 22. September statt. Etwa um fünf Uhr nachmittags erschien im Konsulat Prinz Hangda Dorji mit einer großen Gefolgschaft von Beamten und Soldaten und einigen „Tragtiersänften" für uns. Diese Sänften haben rechts und links je eine Tragstange, die in China auf den Packsattel eines Maultiers gelegt wird. In der Mongolei hingegen werden Pferde verwandt, indem vier Reiter die beiden Stangen auf ihre Sättel nehmen. Ich stieg nicht ohne Zweifel an die Stabilität in die Sänfte und wir setzten uns erst im Schritt in Bewegung, um bald in Trab tuktus, des lamaischen Erzbischofs von Peking. Der große berühmte Lamatempel Chant'an-sse im Nordwesten der Kaiserstadt ist 1900 von europäischen Truppen dem Erdboden gleichgemacht worden als Vergeltung für die Angriffe auf die danebenliegende katholische Kathedrale. In der östlichen Kaiserstadt liegt der Mahäkäla-miao, der von allen Lamatempeln allein das Recht hatte, die Liturgie in mongolischer Sprache zu halten statt in tibetischer; mit ihm war eine mongolische Druckerei verbunden, die samt den vielen Druckplatten aus Holz 1900 zerstört worden ist. Die Lamas erhielten von der kaiserlichen Regierung Verpflegung und Gehalt; hohe Festtage und Neujahr brachten den Klöstern und Tempeln kaiserliche Zuwendungen. Die Mönche hatten auch Einnahmen aus Grundbesitz und Stiftungen mongolischer Fürsten. Mit der Errichtung der Republik sind diese Einkünfte zum Teil weggefallen, was zum Verfall der Klöster und zur Verringerung der Zahl der Lamas geführt hat. Zur Zeit leben die Mönche von freiwilligen Gaben der Gläubigen und von dem Gelde, das sie für Gottesdienste und Amtshandlungen erhalten. Einige befassen sich mit Wahrsagen und Kurpfuscherei.

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überzugehen. Mich begleiteten Ljuba, Popow, Moskwitin, der Hauptmann im Generalstab Tonkich und Eltekow, die an der Audienz teilnahmen. Die Unbequemlichkeit einer solchen Art ehrenvoller Fortbewegung besteht darin, daß das Gleichgewicht gewahrt werden muß. Wenn die Pferde sich gleichmäßig bewegen, fühlt man sich einigermaßen sicher, andernfalls sind Unannehmlichkeiten zu erwarten. Von der Kosakenschutztruppe und der mongolischen Suite begleitet durchfuhren wir Reihen berittener Soldaten, die in malerische Uniformen gekleidet waren; die blauen und grauen Röcke und die schwarzen Turbane erinnerten an die frühere Uniform der chinesischen Soldaten. Vor dem Palast des Hutuktus standen die zum Empfang hergerichteten vergoldeten Jurten, davor eine Menge Mongolen und Russen, die sich das ungewöhnliche Schauspiel ansehen wollten. Vor dem Eingange empfingen uns die Fürsten. Sie führten uns in den Hof und von dort in eine hohe Jurte, die an der Innenseite mit rotem Stoff ausgelegt war. Hier legten wir die Mäntel ab, da das am Boden angelegte Feuer Hitze ausströmte. Wir passierten eine Gruppe Bischöfe und hohe Geistliche im Galaornat und traten dann in die ebenfalls rot ausgelegte, jedoch wesentlich geräumigere Thronjurte. An der dem Eingang gegenüber gelegenen Seite saß auf den fünf symbolischen Kissen mit gekreuzten Beinen in der Stellung Buddhas der Bogda. Er trug eine Kurma aus gelbem Brokat und eine Fellmütze. Neben dem Thron bemerkte ich den Sain Noyan Khan, Bingtu Wang und andere unbekannte Fürsten. Die übrigen Minister standen mit einigen hohen Lamas in dunkelroten und orangefarbenen, an römische Togen erinnernden Mänteln und mit Mützen auf den Köpfen. Ich nahm von Zerempylow einen blauen Hadak, näherte mich dem Throne und überreichte ihn mit einer Verbeugung dem Hutuktu. Dieser antwortete mit derselben Geste, d. h. er legte in meine ausgestreckten Hände einen Hadak aus weißer Seide und wünschte mir zu meiner Ankunft Glück. Der Hutuktu hatte ein volles, etwas aufgedunsenes Gesicht, in welchem der Ausdruck der Indolenz oder Langeweile auffiel. Etwas Rätselhaftes gaben dem Gesicht die dunklen Brillen, welche die kranken Augen verdeckten. Der Sain Noyan Khan wies uns einen Berg von Kissen, die für unsere Gesandtschaft bereit lagen; mir wurde ein Stuhl angeboten. Nachdem wir uns gesetzt hatten, brachten Lamas Tischchen mit Teetassen und verschiedenen Süßigkeiten, darunter auch russischen Zucker und Moskauer Konfekt, herein. Ich wählte diesen Augenblick für eine kurze Rede, welche Zerempylow, in ehrerbietiger Haltung mit gesenktem Kopf und auf der Brust gekreuzten Armen, ins Mongolische übersetzte. Der Sinn der Rede war der, daß mich der Weiße Zar und die russische Regierung entsandt hätten, um mit den Mongolen Verhandlungen zu pflegen. Angesichts der Trennung Kalkas von China habe Rußland der Pekinger Regierung seine freundschaftliche Vermittlung zur Beilegung des chinesisch-mongolischen Konfliktes angeboten in der gleichzeitigen Bestrebung, die Chinesen zur Anerkennung der Autonomie Kalkas zu veranlassen. Da unsere Bemühungen erfolglos geblieben seien und China das russische Angebot abge-

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lehnt hätte, indem es sich den Verhandlungen entzog und auf der vollständigen Unterwerfung der Äußeren Mongolei bestand, habe Rußland beschlossen, sich unmittelbar an die Regierung von Urga zu wenden und dieser ein getrenntes Abkommen anzubieten. Letzteres sei für beide Teile von Vorteil aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Die russische Regierung hoffe, daß der Ejen Khan („Herr und König", der Titel des Hutuktus als weltlicher Herrscher) in seiner tiefen Weisheit die Lage der Dinge richtig einschätzen und unser Angebot annehmen werde, indem er seine Minister anweise, mit uns in Verhandlungen zu treten. Während meiner Rede nickte der Hutuktu mit dem Kopf, sagte wiederholt „ d s a ! " und äußerte darauf, daß er dem Cagan Batur (Weißen Zar) für die guten Absichten und die Hilfe Dank sage. Er, der Bogda, schätze die Freundschaft Rußlands hoch, glaube an das Wohlwollen der russischen Regierung und wolle ein Abkommen schließen, das beiden Seiten von Vorteil wäre und die Selbständigkeit der Mongolei schützen würde. Er werde den Ministern sofort befehlen, die Verhandlungen aufzunehmen. Der Hutuktu sprach mit hohler Stimme, in großen Pausen. Die Audienz ging im Halbdunkel vor sich, das nur vom Scheine des brennenden Feuers durchdrungen wurde, auf welchem riesige silberne Kessel kochten. Der Schein des Feuers spielte auf der unbeweglichen Gestalt des Hutuktus, den dunklen Gesichtern und grellen Mänteln der Lamas und dem roten Hintergrunde der Jurte und verlieh dieser Szene einen geheimnisvollen und phantastischen Charakter. Die Zeremonie fand ihren Abschluß in der Überreichung von Geschenken, die für mich und mein Gefolge von den Lamas feierlich hereingebracht und auf die Tische gelegt wurden. Wir erhielten Zobelfelle, Seide, Bernsteinkolliers und andere Kleinigkeiten. Unter den Geschenken waren auch Packen chinesischer Weihrauchstäbchen und Gebäck, das den Namen „Buddhafinger" trug. Nach dem Empfange bewirteten uns die Mongolen mit einem Mittagesseti im Ministerium. E s bestand aus russischer Sakuska mit Schnaps, Süßigkeiten, Pferdemilch und Ziegeltee. Als Nationalspeise wurde ein unzerteilt gekochter und auf einer riesigen Schüssel aufgetragener Hammel gereicht. Wir aßen auf mongolische Art, d. h. schnitten uns Stücke vom Hammel nach Geschmack ab und besorgten das Zerlegen mit den Fingern. Für uns waren übrigens Teller, Messer und Gabeln bereitgestellt worden. Trotz der Gastfreundschaft unserer Wirte kehrte ich mit Vergnügen in unser Konsulat zurück, um mich von den erhaltenen Eindrücken, dem Ziegeltee und den „Buddhafingern" zu erholen. A m nächsten Tage beauftragte ich Zerempylow, dem Hutuktu die aus Petersburg mitgebrachten Geschenke zu überbringen: silberne Vasen, Gefäße im russischen Stil und für die Gattin des Bogda einen großen, in Silber gefaßten Spiegel. Diese Sachen sind wahrscheinlich in die Schatzkammer des Palastes gewandert, die sich gerüchtweise durch große Vielseitigkeit auszeichnen soll. Außer Kunstwerken, Bildern, Statuen und Möbeln stehen dort die undenkbarsten Gegenstände wie ausgestopfte Tiere, physikalische und astronomische In-

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strumente, anatomische Modelle, Uhren, Samoware, Grammophone, Waffen aller Zeiten und Völker und allerhand kompliziertes Spielzeug. Alles dies sind Geschenke der Gläubigen. In letzter Zeit hatte sich die Kollektion des Hutuktus um einige Automobile bereichert. Eine besondere Schwäche hatte der Hutuktu für Tiere. Im Schloßpark weideten Rehe, Antilopen, Gazellen, Zebras, schottische Ponies, wilde Schafe usw. In Koppeln ergingen sich Fasanen, im Hofe liefen Windhunde umher. Der zoologische Garten wird durch Darbringungen der Gläubigen ständig aufgefüllt. Unter den Tieren befand sich auch ein alter Elefant, ein Geschenk der Chinesen, der besonders verehrt wurde. Bald nach meiner Abreise aus Urga starb dieser Elefant und es entstand die Frage des Ersatzes durch ein anderes Tier. Ein solches aus China zu beziehen, war wegen der gespannten Beziehungen nicht möglich, deshalb wandte man sich an die Russen und der Ankauf des Elefanten wurde Moskwitin übertragen, der sich erfolgreich seiner delikaten Aufgabe entledigte, indem er den Elefanten im Petersburger Zoologischen Garten kaufte und nicht ohne Mühe nach Urga schaffte.

Kapitel XVIII. Die Besprechungen mit den Fürsten über das Übereinkommen. Sie widersetzen sich der Oberhoheit Chinas und verlangen die Unabhängigkeit der gesamten Mongolei. Die Opposition D a Lamas und die Unterbrechung der Verhandlungen. Die Weigerung Petersburgs, die mongolischen Forderungen anzuerkennen. Die Begründung der Fürsten. Petersburg lehnt die Forderungen der Mongolen auch weiterhin ab. Versuche Chinas, das Übereinkommen zu verhindern. Die Anfrage im englischen Parlament. Die Unterzeichnung des Übereinkommens und des Handelsprotokolls.

Als am Vorabend des Verhandlungstages mir die Fürsten die Antwort auf unser Angebot schickten, stellte es sich heraus, daß die mongolischen Diplomaten ein von dem unsrigen ganz verschiedenes, eigenes Projekt zusammengestellt hatten. Der Entwurf begann mit folgender Äußerung: „Die Mongolei hat das chinesische Joch abgeschüttelt und sich zu einem selbständigen Staate unter der Herrschaft seines eigenen hohen Khans erklärt. Rußland hat als Erster diese Unabhängigkeit anerkannt und sich verpflichtet, diese zu schützen." Weiter war die Rede von der Anerkennung der „äußeren Unabhängigkeit des mongolischen Staates" anstatt der von uns gedachten Anerkennung der „inneren Autonomie der Kalka" und Anerkennung der Wahl des Hutuktus zum „Ejen Khan", d. h. zum weltlichen Herrscher, durch Rußland. Ferner erhielt der mongolische Entwurf folgende Forderungen: die Mongolei entsendet nach Petersburg ihren eigenen diplomatischen Vertreter, Rußland ernennt nach Urga einen Botschafter. Den Russen wird das Recht genommen, in der Mongolei Boden zu erwerben (hierfür war bereits das mündliche Einverständnis gegeben) und der Tauschhandel, d. h. der Handel gegen anderes als Bargeld sowie die Täti-

Per Sain Noyan Khan mit Gejnahlin und Sohn.

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gung von Kreditgeschäften wird verboten, da die Russen angeblich auf diese Weise die Mongolen schädigten. Den Russen wird verboten, in der Mongolei ohne Paß zu reisen, und den russischen Beamten wird das Recht der Benutzung der Relaispost mit unbeschränkter Zahl von Pferden entzogen und auf hundert Pferde und dreißig Kamele monatlich für eine bestimmte Strecke beschränkt. Dies war der Sinn der mongolischen Gegenvorschläge, durch welche unsere hauptsächlichsten Wünsche abgelehnt wurden. Ich hatte am Vorabend der Sitzung als Antwort auf eine Anfrage von Sasonow ein Telegramm erhalten, das mir nur geringfügige Abweichungen von dem in Petersburg verfaßten Entwurf gestattete. Die Forderung der Mongolen nach politischer Selbständigkeit und Einbeziehung der Inneren Mongolei wurden entschieden abgelehnt. Das Telegramm entschied meine Zweifel und ich erklärte den versammelten Fürsten, daß ihr Projekt unannehmbar sei, da es das Ziel unseres Abkommens, das von Sachverständigen in Petersburg sorgfältig studiert worden sei, gänzlich ändere. Ich erwähnte die im Telegramme Sasonows angeführten Gründe über die Unmöglichkeit für Rußland, schon jetzt die vollständige Unabhängigkeit der Mongolei anzuerkennen, wies auf das Beispiel Ägyptens und Marokkos hin und erklärte, daß die Vereinigung von Völkern nicht auf einmal erreicht werden könne, sondern nur mittels einer historischen Evolution. Ein Beispiel hierfür seien die Balkanstaaten, die sich der Türkenherrschaft nach und nach entledigt hätten. Bis heute seien noch zahlreiche Völker nicht vereinigt und gehörten größeren politischen Organisationen an, wie z. B. in Österreich-Ungarn, welchem Deutsche, Kroaten, Tschechen, Ungarn usw. angehörten, oder die Türkei, die verschiedene Christenvölker in sich schließe. Endlich sei das russische Transbaikalien mit Burjäten bevölkert, einem Zweige des mongolischen Stammes. Deshalb müßten die mongolischen Nationalisten, wenn sie die Vereinigung der gesamten Mongolei anstrebten, nicht nur mit China Krieg führen, sondern auch mit Rußland, da wir Transbaikalien wohl kaum der mongolischen nationalen Idee zuliebe aufgeben würden. Der Sain Noyan Khan erwiderte, daß alles das sehr überzeugend sei, daß aber die Mongolen nicht eine Autonomie erstrebten, deren Bedeutung sie nicht erfaßten, sondern die echte Unabhängigkeit, d. h. die Aufhebung der chinesischen Oberhoheit. Während des Aufenthaltes der mongolischen Deputation in Petersburg im Jahre 1911 hätten die russischen Minister angeblich positive Versicherungen im Sinne der völligen Selbständigkeit der Mongolei abgegeben und geraten, die ganze Mongolei und nicht nur Kalka zu vereinigen. Dieselbe Meinung hätten auch Graf Kokowzew, der Vorsitzende des Ministerrates, und der Kriegsminister Suchomlinow vertreten. Die jetzt von Rußland vorgebrachten Bedingungen gingen mit diesen Versprechungen auseinander. Die Belassung der chinesischen Oberhoheit käme einer Wiederherstellung der Herrschaft Chinas gleich, der Versklavung und der Teilung der Mongolei in zwei Hälften — der einen mit Anzeichen der Selbständigkeit und der anderen zur Auflösung in chinesisches Gebiet verurteilten.

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Den Sain Noyan Khan unterstützte Da Lama, der die Unmöglichkeit betonte, sich von der Inneren Mongolei loszusagen, und die Behauptung aufstellte, daß die Mongolei nunmehr ein selbständiger Staat sei, der Verträge als Gleichberechtigter abschließen könne. Ich erklärte, daß mir von Petersburger Versprechungen des Jahres 1911 nichts bekannt sei, und daß, wenn etwas in diesem Sinne gesagt worden wäre, unsere Minister eine diplomatische Beeinflussung Chinas im Auge gehabt hätten, um dieses vor Zwangsmaßnahmen gegenüber der Mongolei abzuhalten. Natürlich wolle Rußland auch die Innere Mongolei in das Übereinkommen einbeziehen, die politische Situation lasse das aber nicht zu. Wenn es uns gelänge, einen Vertrag zu schließen, so würde es den Kalka leichter fallen, nachher mit den Fürstentümern der Inneren Mongolei übereinzukommen. Rußland habe bereits erklärt, daß es die Autonomie der Mongolei anerkenne und bereit sei, ihr Schutz gegen China zu garantieren; diese Erklärung verlange aber den Abschluß eines Abkommens. Deshalb wünschte ich zu wissen, ob die mongolische Regierung bereit sei, ein solches Abkommen zu schließen, oder aber es vorziehe, die bisherige Situation beizubehalten und mit dem chinesischen Gesandten, dem Prinzen Noyantu, in Verhandlungen zu treten. Von Krupenski wußte ich, daß die Mongolen Noyantu gestattet hatten, in den Aimak des Sain Noyan Khans zu kommen. Da Lama wiederholte noch schärfer, daß die mongolische Regierung sich nicht auf eine Kombination einlassen könne, die ihre Abhängigkeit von China bestätige. Kalka ziehe es vor, mit den Chinesen Krieg zu führen, um die Unabhängigkeit zu bewahren; wenn das nicht gelänge, würde man das Schickal der südlichen Mongolei teilen, d. h. ein Vasall Pekings bleiben. Es wäre besser, daß die Mongolen alle zusammen umkämen, als zuzulassen, daß Kalka die Freiheit mit der Versklavung des Südens und Ostens bezahle. Zudem, fuhr er fort, biete das Abkommen der Mongolei keinerlei konkrete Vorteile und stelle sie zwischen Hammer und Amboß; einige meinten sogar, daß es ein versteckter Schritt zum russischen Protektorat und zur Umwandlung der Mongolei in ein Buchara oder Korea sei. Angesichts dessen müßte erwogen werden, mit wem vorteilhafter ein Bündnis einzugehen sei, mit den Russen oder mit den Chinesen ? Die Mongolen seien arm und ungebildet, aber freiheitsliebend und wollten nicht aus chinesischen Sklaven russische Sklaven werden. Die russische Regierung hege nicht im entferntesten den Wunsch, über ein Abkommen zu verhandeln, sondern verlange die unbedingte Annahme von ihr gestellter Bedingungen. Deshalb wäre er der Meinung, daß es besser sei, die Ankunft des chinesischen Gesandten Noyantu abzuwarten, seine Vorschläge zu erfahren und dann das zu wählen, was der Mongolei am vorteilhaftesten sei. Da ich sah, daß Da Lama keine Zugeständnisse machen und ein weiterer Wortwechsel unserem Ansehen nur schaden würde, sagte ich, daß ich nicht geschickt worden sei, um mit dem chinesischen Gesandten zu wetteifern, und daß ich, wenn dieser nach Urga käme, die Verhandlungen abbrechen müßte. Gleichzeitig nahm ich den auf dem Tische liegenden mongolischen Vertragsentwurf und warf ihn auf den Boden. Darauf erhob ich mich und erklärte den Fürsten,

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daß ich angesichts der beleidigenden Worte Da Lamas die Verhandlungen abbräche. Über diesen Vorfall berichtete ich nach Petersburg an den Außenminister, den ich warnte, daß angesichts der gegenwärtigen Lage die Mongolen wohl kaum alle unsere Bedingungen anstandslos annehmen würden, und daß wir, wenn der Vertrag unterzeichnet werden sollte, einige Zugeständnisse machen müßten. Ich erklärte auch, daß das Übereinkommen nicht mit den vier Hauptfürsten der Kalka geschlossen werden könne, wie es in Petersburg angenommen wurde, da die Staatsgewalt durch den Hutuktu und das Ministerkabinett repräsentiert werde, die von allen Fürstengeschlechtern anerkannt worden seien. Viele FürFürsten befänden sich in ihren Aimaks; unter ihnen wären alte und minderjährige, die nicht imstande sein würden, nach Urga zu kommen. Herr Sasonow antwortete, daß „die Schaffung eines selbständigen mongolischen Staates in den erwähnten Grenzen, d. h. mit Einbeziehung der Äußeren und der Inneren Mongolei, der russischen Regierung gleichgültig sei, da sie die Verpflichtung nicht übernehmen würde, die Ansprüche der Mongolen in dieser Richtung mit Gewalt zu unterstützen. Den Mongolen müsse klar sein, daß ohne eine wirksame Unterstützung Rußlands eine Vereinigung aller bezeichneten Teile der Mongolei unmöglich sei, und zwar in erster Linie wegen des Widerstandes Chinas. Vom russischen Standpunkt aus seien die Forderungen der Mongolen unannehmbar, die russische Regierung werde es aber natürlich nicht übernehmen, die Mongolen von der Unmöglichkeit der Vereinigung und Selbständigkeit ihres Staatswesens zu überzeugen. Der russische Entwurf sei der provisorischen Lage der Mongolei angepaßt. Wenn die Kalkas erstarkten, könnten sie künftig den Kern eines selbständigen Staates bilden, welchem die vereinigten mongolischen Stämme angehören würden." Weiter wurde ich beauftragt, den Mongolen zu verstehen zu geben, daß wir, wenn sie ohne unsere Beteiligung einen Vertrag mit China schlössen, wir diesen nicht anerkennen würden; unsere Interessen in der Mongolei gestatteten uns nicht, uns mit den Versprechungen zu begnügen, welche die Chinesen den Mongolen geben könnten, da wir überzeugt seien, daß diese Versprechungen nicht eingehalten werden würden. Endlich durfte ich die Worte „Äußere Mongolei" setzen; dadurch blieb die Grenzfrage der autonomen Mongolei offen. Die chinesisch orientierten Mongolen nutzten den Vorfall mit Da Lama dazu aus, um die Verhandlungen zu bremsen, indem sie das Gespenst der imperialistischen Pläne Rußlands heraufbeschworen. Die Seele dieser Agitation war natürlich Da Lama selbst, der ob meines Widerstandes sehr erbost war. Ich erfuhr über diese Intrigen von dem russisch orientierten Prinzen Hangda Dorji. Trotzdem siegte die russenfreundliche Partei und der Hutuktu befahl, wie verlautet auf Anraten seiner Gattin, die Verhandlungen mit den Russen fortzusetzen, und beauftragte damit den Sain Noyan Khan. Da Lama wurde auf meinen Antrag vorläufig entfernt. Nach einigen Tagen wurden unsere Verhandlungen tatsächlich wieder aufgenommen, wobei ich den Fürsten, um unnötigem Wortwechsel vorzubeugen,

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vorschlug, sofort mit der Redaktion des Übereinkommens zu beginnen. Die gemeinsame Arbeit erwies sich jedoch als ungünstig. Die Fürsten unterbrachen einander, sprangen von den Plätzen auf und gaben Zerempylow und Dschamsaranow, die als Dolmetscher fungierten, Ratschläge. Infolgedessen beauftragte ich die Herren Ljuba, Popow und Eltekow mit der Redaktion. Seitens der Mongolen kamen als Beamte der Ministerien Oering Dorji und Sui Tsi-jui, die in China gelebt und sich einige bürokratische Erfahrung zu eigen gemacht hatten. Unterdessen hatte man augenscheinlich in Petersburg begriffen, daß mit den Mongolen ein Abkommen leichter war als mit den Chinesen. Auf jeden Fall kam aus dem Ministerium ein Telegramm mit der Nachricht, daß das WerchneUdinsker Regiment mit einem Zuge Artillerie zum Marsch nach Urga und weiter nach Uliyasutai bereit sei. Mir wurde anheimgestellt, diesen Schritt auszunutzen, um die Mongolen zu veranlassen, unser Abkommen anzunehmen und die Verhandlungen mit Peking zu verhindern. Wir waren übrigens bereit, einige Wünsche der Mongolen zu erfüllen; so durfte ich den Hutuktu als „Ejen Khan", d. h. als weltlichen Herrscher, anerkennen und das Wort „Fürsten" fallen lassen und durch den Ausdruck „Nationale Regierung" ersetzen. Krupenski wurde beauftragt, den Chinesen mitzuteilen, daß die Grundlage unseres Abkommens mit ihnen nach wie vor die drei bekannten Punkte bildeten, wobei es die Frage des Baurechts von Eisenbahnen in der Mongolei nicht berühren dürfe, da wir im Falle eines Abkommens mit den Mongolen ohnehin dieses Recht von ihnen erhalten würden. Im besonderen sollte Krupenski China empfehlen, sich mit der Inneren Mongolei und Barga zu einigen und auf Repressalien und eine zwangsweise Angliederung von Barga zu verzichten. Diese Beschlüsse wurden augenscheinlich auch von politischen Ereignissen in Europa beeinflußt. Fast gleichzeitig mit dem Telegramme Sasonows ging ein Agenturtelegramm über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und den slawischen Staaten und der Wahrscheinlichkeit eines Krieges auf dem Balkan ein. Als ich erfuhr, daß die Stimmung der Machthaber von Urga wieder zu unsern Gunsten sich geändert hätte — angeblich unter dem Einflüsse der Pekinger Gerüchte über den erfolgreichen Fortgang der russisch-chinesischen Verhandlungen — bat ich die Fürsten zur endgültigen Besprechung des Abkommens in der Hoffnung, daß ich diesmal nicht auf ernsten Widerstand stoßen würde. Die Fürsten erschienen vollzählig. Sogar Da Lama erschien, entschuldigte sich wegen des Zwischenfalles und bemerkte, daß es besser sei, sich zu Anfang zu zanken und dann zu versöhnen, als umgekehrt. In Beantwortung der von den Fürsten gestellten Frage über die Beibehaltung der chinesischen Oberhoheit erklärte ich, daß Rußland, welches durch Verträge mit China gebunden sei und sich verpflichtet hätte, seine territoriale Unantastbarkeit zu wahren, die Abtrennung der Mongolei nicht anstreben könne, jedoch bereit wäre, ihre Autonomie zu unterstützen. Um die Mongolei zu halten, würde China uns nicht nur die Vorrechte belassen, die uns durch den Vertrag von 1881 zugesichert worden wären, sondern wahrscheinlich noch neue

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verleihen, wie z. B. den Bau von Eisenbahnen und die Ausbeutung von Bergwerken. In Petersburg sei man jedoch der Meinung, daß ein Separatabkommen mit den Mongolen den russischen Interessen besser dienen würde. Deshalb sei es an der Zeit, zu entscheiden, ob die Mongolei mit Rußland gehen und die Autonomie aufrecht erhalten oder mit Yüan Shih-k'ai übereinkommen, d. h. zum früheren Zustand zurückkehren wolle. Die Fürsten gaben zu, daß Yüan Shih-k'ai die Mongolen tatsächlich vor einem Abkommon mit Rußland gewarnt und ihnen außer der Unabhängigkeit allerlei Vergünstigungen versprochen hätte. Im Laufe der weiteren Verhandlungen trat wieder Da Lama auf. Er fragte unter anderem, warum wir darauf beständen, daß das Abkommen vom Hutuktu und den Fürsten unterzeichnet werden solle und nicht einfach von der mongolischen Regierung, die nach dem Umsturz an die Stelle der Fürsten getreten sei. Ich erklärte, da die Verhandlungen von den Fürsten geführt worden seien, wäre es besser, diese zu nennen, als eine anonyme mongolische Regierung. Wahrscheinlich wollte Da Lama, der keinem angesehenen Geschlecht angehörte, nicht, daß die Fürsten sich als eine Sondergruppe von der übrigen Regierung abhöben. Außerdem wollten die Fürsten in dem Abkommen erwähnt haben, daß die Mongolen die Autonomie selbst ausgerufen hätten. Um ihrem Wunsche entgegen zu kommen, wurde beschlossen, daß sie mich offiziell davon in Kenntnis setzen sollten Darauf fragten die Fürsten, warum wir im Abkommen nicht den Punkt über die Beibehaltung der Unantastbarkeit des Territoriums und die russisch-mongolische Grenze erwähnen wollten, da ohne Grenzen und Territorium das selbständige Bestehen der Mongolei eine Fiktion sei. Seine Stimme erhebend suchte Da Lama zu beweisen, daß das mongolische Territorium historischer Besitz des mongolischen Volkes sei und niemals China gehört hätte. Die Mongolen wären verbunden gewesen mit der mandschurischen Dynastie TaiTs'ing und nicht mit dem chinesischen Kaiserreiche; mit dem Sturze der Mandschu-Dynastie sei die Abhängigkeit der Mongolei erloschen. Unsere Hinweise auf das internationale Recht seien ungenau, da nach letzterem zu dem Begriffe des Staates der Monarch, das Volk und das Territorium gehörten (augenscheinlich war es hier nicht ohne Beteiligung unserer burjatischen Intellektuellen abgegangen, die sich auf Bluntschlis „Internationales Recht" stützten). Rußland x

) Mitteilung der Mongolischen Regierung an den russischen Bevollmächtigten vom 19. Oktober 1912. „In dem Bestreben, das historisch zusammengesetzte Territorium, die Religion und die eigene Lebensweise zu erhalten, hat das mongolische Volk sich von dem Ts'ingKaiserreiche losgesagt und einen selbständigen Staat gebildet; es hat das religiöse Haupt Kalkas, den Dschebdsun Damba Lama, zum Herrscher des mongolischen Volkes, der Religion und des Staates gemacht. Von diesem Ereignis möchte das hohe Ministerium die übrigen ausländischen Mächte in Kenntnis setzen. Deshalb bitten wir, indem wir hierüber den übrigen Mächten Mitteilung zugehen lassen, Sie als hohen Bevollmächtigten und Würdenträger, nach Kenntnisnahme Ihre Regierung zu informieren sowie uns darin zu unterstützen, daß chinesische Truppen nicht die mongolische Grenze überschreiten. Am vierzehnten Tage des letzten Herbstmonats des zweiten Jahres Olana Ergügdeksen („Der von Vielen Erhobene", Jahresname des Hutuktus während seiner weltlichen Herrschaft).

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wolle, ungeachtet der Tatsache des Bestehens eines mongolischen Staates, diesem das Territorium absprechen. Außerdem wünschte er zu wissen, was wir unter dem Worte „Autonomie" verständen, d. h. ob dieses die Aufhebung des Vasallenverhältnisses zu China bedeute oder ob dieses weiter bestehen bleibe. Eine solche Autonomie benötige die Mongolei nicht. Ich ließ rtiich nicht weiter in einen Streit mit Da Lama ein und beschränkte mich auf die Bemerkung, daß der von den Mongolen vorgebrachte Punkt über die Unveränderlichkeit der russisch-mongolischen Grenze von ihrem Mißtrauen zur selbstlosen Politik Rußlands zeuge, während doch Rußland alles Mögliche getan hätte, um die Mongolei unangetastet zu lassen, natürlich nur in vernünftigem Maße. Meine Bemerkung rief den Protest seitens der Fürsten hervor, die behaupteten, daß die Bemerkungen über die Grenze nicht gegen Rußland, sondern gegen die Bestrebungen Chinas gerichtet seien. Darauf bat ich, mir zu erklären, welche Teile der Inneren Mongolei für die Wiedervereinigung mit Kalka seien, da ich wüßte, daß viele der dortigen Fürstentümer sich zu China geschlagen hätten, während andere, so z. B. Gorlos und Jerim von chinesischen Truppen besetzt seien. Gegenwärtig, sagte ich, seien in K'uanch'eng-tze (Ch'ang-ch'un) in der Mandschurei die südlichen Fürsten versammelt, darunter auch der Kandschur Gegen 2 ) und chinesische Delegierte, die ein A b kommen mit Peking erörterten; deshalb müsse festgestellt werden, wer für das Bündnis mit Rußland sei, welche Fürsten sich Kalka angeschlossen hätten und ob tatsächlich ein Teil der Inneren Mongolei zu China übergegangen wäre. Der Sain Noyan Khan erklärte, daß viele Banner sich heimlich, aus Furcht vor den Chinesen, mit Kalka vereinigt hätten, ihre Zugehörigkeit aber offen bekennen würden, sobald sie von einem Abkommen mit Rußland erführen. W a s den Kongreß der Fürsten in K'uan-ch'eng-tze beträfe, so seien nur diejenigen Fürsten dorthin gegangen, deren Besitzungen an China grenzten; sie seien genötigt, die Herrschaft Chinas anzuerkennen, widrigenfalls sie das Schicksal der Fürsten von Jao Uda und Jerim ereilen würde, die wegen des Anschlusses an Kalka ihre Besitzungen verloren hätten. Aus den weiteren Erklärungen ging hervor, daß die Fürsten selbst nicht genau wußten, welche Banner Urga den Eid geleistet hatten und welche sich zu China hingezogen fühlten. Zum Schluß baten mich die Fürsten um ein Darlehen in Höhe von zwei Millionen Rubel für die mongolische Regierung. Als Sicherung wurden die Zolleinnahmen und die Bergsteuer angeboten. Ich hatte das Einverständnis W . N. Kokowzews zur Auszahlung einer Unterstützung an die Mongolen im Falle der Unterzeichnung des Abkommens und antwortete deshalb zustimmend, was meine Verhandlungspartner sichtlich erfreute, die eine so rasche Zustimmung nicht erwartet hatten. Der hauptsächlichste Opponent war nach wie vor Da Lama, der sich bemühte, die Konferenz zu sprengen. Dies schien mir um so weniger verständlich, als Da Lama einer der eifrigsten Vertreter der mongolischen Unabhängigkeit *) Einer der hauptsächlichsten, besonders geehrten mongolischen Hubilgane, d.h. Wiedergeborenen der Südmongolei.

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war, die für die Freiheit des Volkes und ein russisch-mongolisches Bündnis eintraten. Wie erwähnt, hatte er an der Deputation teilgenommen, die 1911 mit der Bitte um Unterstützung nach Petersburg gekommen war. Die Sitzungen wurden gewöhnlich im Speisezimmer, dem größten Zimmer des Konsulats, abgehalten, wo wir den Speisetisch für unsere Arbeit benutzten. Anfänglich genierte die Fürsten die ungewohnte Umgebung, nach und nach gewöhnten sie sich jedoch und ließen sich durch unsere Anwesenheit gar nicht stören. Sie schwatzten miteinander, rauchten, tranken Tee und Schnaps und fühlten sich überhaupt wie zu Hause. Besonderen Erfolg hatte bei ihnen Eltekow, der während der Konferenzen die Anwesenden zeichnete. Die Fürsten verfolgten aufmerksam seinen Bleistift und freuten sich wie die Kinder, wenn das Porträt dem Künstler gelang. Es sprachen hauptsächlich Da Lama, der Sain Noyan Khan und Prinz Hangda Dorji; die übrigen hörten zu und begnügten sich mit zustimmenden Ausrufen „dsa!". Das Gefolge der Fürsten und ihre Reitknechte hielten sich unterdessen im Vorzimmer auf und verbreiteten einen ziemlich unangenehmen Geruch. Wie viele qualvolle Stunden habe ich im Speisezimmer des Konsulats verbracht, indem ich mich bemühte, den Mongolen irgend eine einfache, für sie aber ganz unverständliche Sache zu erklären! In unserm Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten blieb man bei der Ablehnung der mongolischen Forderungen und verlangte die Unterzeichnung des in Petersburg hergestellten Entwurfes ohne irgendwelche Änderungen. Mir wurde wieder gedrahtet, daß der mongolische Gegenentwurf unannehmbar sei, da er aus der Mongolei einen unabhängigen Staat unter dem Protektorate Rußlands mache. „Wir haben nichts", hieß es im Telegramm, „von einer Anerkennung der Abtrennung der Mongolei von China erwähnt und sehen keine Vorteile in einer solchen Anerkennung, die der territorialen Unantastbarkeit Chinas zuwiderläuft und einen Protest der Mächte hervorrufen könnte." Diese scharfe Äußerung wurde etwas abgeschwächt durch ein anderes Telegramm, welches ein Gespräch Sasonows mit dem chinesischen Gesandten wiedergab. Letzterem war von unserm Minister mitgeteilt worden, daß angesichts der Weigerung Chinas, die mongolische Frage zu erörtern, Herr Korostovetz beauftragt worden sei, festzustellen, welche Beziehungen unmittelbar mit der mongolischen Regierung anzuknüpfen wären. Auf die Äußerung des chinesischen Vertreters, daß dies eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas bedeute, entgegnete der Minister, daß wir eine Umwandlung der Äußeren Mongolei in eine chinesische Provinz, die Abänderung unseres künftigen Abkommens mit der Mongolei und die Änderung ihrer politischen Struktur nicht zulassen würden. Außerdem protestierte Sasonow gegen die Entsendung von chinesischen Truppen nach der westlichen Mongolei und warnte, daß dies Rußland zwingen könne, seine Ansicht sowohl über die von der Mongolei ausgerufene Autonomie, als auch deren territoriale Ausdehnung zu ändern. Eine solche kategorische Erklärung wurde von Sasonow anscheinend abgegeben, um die Chinesen zu schrecken, aber vielleicht auch unter dem Einfluß der Meldungen unserer Konsuln in Kobdo und Uliyasutai. Diese meldeten den Vormarsch chinesischer

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Truppen und die Verbreitung von Aufrufen an die Bevölkerung seitens der Pekinger Regierung mit der Androhung von Vergeltungsmaßregen im Falle des Anschlusses an Kalka. Nach Eintreffen der Instruktionen des Ministeriums ließ ich den uns wohlgesinnten Prinzen Hangda Dorji kommen, teilte ihm mit, wie man in Petersburg die Angelegenheit ansehe, und warnte ihn, daß ein weiteres Ausweichen der Mongolen die Fortführung der Verhandlungen bedrohe. Der mongolische Würdenträger antwortete, daß trotz des Widerstandes der chinesischen Partei der Hutuktu auf der Annäherung an Rußland bestehe, und daß, so oder so, das Abkommen sogar mit den russischen Begrenzungen angenommen werden würde. Trotz des Optimismus Hangda Dorjis zweifelte ich am Erfolge- der mir übertragenen Angelegenheit, insbesondere angesichts der von Krupenski einlaufenden Mitteilungen. Er teilte mit, daß der chinesische Ministerrat mit Yüan Shih-k'ai an der Spitze beschlossen hätte, sich an Amerika und Deutschland um Hilfe gegen Rußland zu wenden und die Mongolei für den Außenhandel zu öffnen. Die Leitung der Verhandlungen mit Rußland sei den Ministern Liang Tun-yen und T'ang Shao-yi als den fähigsten und unter den Ausländern populärsten Ministern übertragen worden. Um den Hutuktu, Hangda Dorji und Toktoho als die einflußreichsten Russenfreunde umzustimmen, wäre beschlossen worden, ihnen außerordentliche Anerkennungen in Form von Titeln und Geldgeschenken zukommen zu lassen. Falls auch das nicht hülfe, sollten Truppen unter der Führung des Prinzen Noyantu in die Mongolei geschickt werden; desgleichen sei die Entsendung besonderer Friedensstifter, darunter des erwähnte Kandschur Gegen, vorgesehen worden. Letzterer hatte unserm Gesandten in Peking einen Besuch gemacht, bei dem er mitteilte, daß er nach Urga reise, um den Hutuktu zur Anerkennung der Chinesischen Republik zu bewegen. Überhaupt hatten die Chinesen Zeitungsnachrichten zufolge alle Mittel aufgeboten, um eine patriotische Bewegung in der Bevölkerung wachzurufen. Auf den Straßen Pekings wurden Protestmeetings gegen das Ränkespiel Rußlands abgehalten und die Presse rief das Volk zum Zusammenschluß und zur Verteidigung der alten Rechte Chinas in der Mongolei auf. Meine Entsendung nach Urga wurde als ein taktischer Schritt der russischen Diplomatie ausgelegt, um China zu veranlassen, die Forderungen Rußlands anzuerkennen. Gleichzeitig gingen Agenturnachrichten ein. Außer den Nachrichten über den Sieg der Koalition der Balkanstaaten über die Türkei enthielten sie auch Meldungen über Tibet und die Mongolei. Das Mitglied des englischen Unterhauses, Herr Ginnel, hatte an den Außenminister Sir Edward Grey die Anfrage gerichtet, ob die russische Regierung sich mit der britischen besprochen hätte, ehe sie Herrn Korostovetz nach Urga mit dem Auftrag entsandte, den Mongolen zu raten, sich China nicht zu unterwerfen. Sir Edward Grey hatte geantwortet, daß er von einer solchen Mission des Herrn* Korostovetz, wie sie Herr Ginnel behaupte, keine Kenntnis hätte und daß er keine Ursache habe zu der Annahme, daß Rußland gegen den Status quo der Äußeren Mongolei zu verstoßen beabsich-

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tige. Diese Anfrage gab ein charakteristisches Bild von der Abhängigkeit, in der sich die russische Ostpolitik England gegenüber befand. Was die tibetischen Angelegenheiten anbelangt, so meldeten Agenturtelegramme die Wiedereinsetzung des Dalai Lamas durch China in alle seine Rechte. Die mongolischen Fürsten, denen ich diese Nachricht mitteilte, äußerten, daß die Chinesen das Beispiel des Dalai Lamas zur Beeinflussung des Hutuktus ausnutzen wollten, indem sie zeigten, daß sie bereit seien, auch seine Schuld zu verzeihen, wenn er sich von Rußland lossage. Die Zögerungen der Mongolen hinsichtlich unserer Bedingungen währten noch einige Tage. Meldungen Ljubas, Zerempylows und Moskwitins zufolge arbeiteten die Anhänger Chinas mit voller Kraft, um die verhaßte Annäherung an Rußland zu stören, und suchten in diesem Sinne den Hutuktu und dessen Gattin zu beeinflussen. Ich hatte schon fast alle Hoffnung auf Erfolg aufgegeben, als ich erfuhr, daß unsere mongolischen Freunde gesiegt hätten. Bald darauf erhielt ich vom mongolischen Ministerium Nachricht, daß die Regierung bereit sei, den Vertrag zu schließen, und einen Tag zur Unterzeichnung zu bestimmen bitte. Die Unterzeichnung fand am 21. Oktober statt. Dieses bemerkenswerte Ereignis ging folgendermaßen vor sich. Die Fürsten kamen spät abends ins Konsulat, als ich sie gar nicht mehr erwartete. Die Verzögerung war durch die Schuld des Hofastrologen eingetreten, der eine glückliche Stunde zur Unterzeichnung ausgesucht hatte. Gerade diese Zeit hatte sich als glücklich erwiesen, was die Fürsten mir mit sichtlichem Vergnügen mitteilten. Wir machten uns sofort an den Vergleich der Texte und an die Unterzeichnung. Die Mongolen, die eine solche Prozedur zum ersten Male sahen, verhielten sich sehr ernst. Sie hörten aufmerksam zu und zeichneten sorgfältig ihre Namen mit Tusche. Darauf wurde Champagner gereicht und ich trank auf das Wohl der autonomen Mongolei und auf die russisch-mongolische Freundschaft. Die Fürsten waren gerührt, drückten mir die Hände und wiederholten fortwährend „dsa!". Der Sain Noyan Khan sagte sogar einige Worte, der Finanzminister bemerkte scherzhaft, daß dies Ereignis seit dem Einfalle der Mongolen in Rußland im 13. Jahrhundert den ersten Schritt zur Herstellung direkter Beziehungen zwischen der Mongolei und Rußland bedeute. Jetzt könnten die Mongolen für ihr Land unbesorgt sein, da Rußland und der Weiße Zar es nicht verraten würden. Im Gespräch bekannten die Fürsten, daß ihre Zweifel bis zuletzt angehalten hätten, und daß der endgültige Beschluß zur Unterzeichnung auf Verlangen des Hutuktus selbst gefaßt worden sei. Es erwies sich, daß die Zweifel unter dem Einflüsse eines Gespräches mit Herrn Larson entstanden waren, der kürzlich aus Peking eingetroffen war. Herr Larson kam nach Urga angeblich in Handelsgeschäften, war aber tatsächlich von der Pekinger Regierung entsandt worden, um die Mongolen zum Abbruch der Verhandlungen mit Rußland zu bewegen. Er hatte auch einen Auftrag von einer Kapitalistengruppe mit, die eine Konzession zum Bau einer Eisenbahn zwischen Kaigan und Urga anstrebte. Die Mongolen wiesen aber alle Angebote Larsons zurück und erklärten, daß K or os t o ve 11, Mongolei. 12

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sie Verhandlungen mit China nur nach Unterzeichnung des. Abkommens mit Rußland, und zwar als Gleichberechtigte, führen könnten. Obgleich im Abkommen vorgesehen war, daß es mit der Unterzeichnung in Kraft trete, wollte man in Petersburg die Ratifizierung durch den Hutuktu. Ich erinnerte die Fürsten daran, die einstimmig erklärten, daß eine solche Ratifikation in ihren Vollmachten vorgesehen sei. Wenn wir aber auf einen speziellen Akt beständen, so sei die mongolische Regierung im Recht, auch mit der Ratifizierung durch den russischen Zaren zu rechnen. Aus dem weiteren Gespräch sah ich, daß die Fürsten sich der Hoffnung hingaben, daß das Abkommen allerhand Gaben unsererseits in Form von Darlehen, Konzessionen und Geldern nach sich ziehen würde, um die Subsidien zu ersetzen, die sie von den Chinesen erhalten hatten. Dies konnte zu Mißverständnissen führen und ich sah mich genötigt, ihren Optimismus einzudämmen. Die Mongolen, sagte ich, beabsichtigten anscheinend, Rußland die Rolle des Ernährers und Beschützers zu übertragen und selbst sich in die Jurten zu begeben, um dort der Ruhe zu genießen. Rußland hätte es zwar übernommen, die Mongolei zu schützen, aber nur unter der Voraussetzung, daß die Mongolen selbst sich um ihren Schutz, die innere Ordnung und vor allem um ihre Finanzen kümmern würden. Die Fürsten schienen verwirrt, versprachen aber, daß die mongolische Regierung sich unsern Ratschlägen fügen werde. Darauf wurde beschlossen, in den nächsten Tagen zusammen zu kommen, um die restlichen Fragen zu besprechen. Am nächsten Tage erschien Prinz Hangda Dorji im Konsulat und gratulierte im Namen des Hutuktus zur Unterzeichnung des Abkommens. Er erzählte, daß bei Hofe große Freude herrsche, daß die Russophilen frohlockten usw. Die Chinesenfreunde, welche die Zerstörung des Aufgebauten herbeiführen sollten, seien geschlagen worden. Ich überreichte Hangda Dorji fünfzigtausend Rubel zu „Wohltätigkeitszwecken" und Geschenke für die Fürsten in Form von Uhren, goldenen Zigarettenetuis, Vasen usw. Die Annahme von Geschenken wird von den Mongolen nicht verurteilt. Der geringe Wert meiner Geschenke ließ nicht den geringsten Schatten einer Bestechung aufkommen. In Petersburg hatte man anscheinend eine so rasche Erledigang der Verhandlungen nicht erwartet und wußte im ersten Augenblick nicht, wie darauf zu reagieren sei. Als das Ministerium von der Unterzeichnung erfuhr, beschränkte es sich auf die Mitteilung, daß das Abkommen veröffentlicht und England, Frankreich und Japan zur Kenntnis gegeben werden solle. Krupenski wurde beauftragt, der chinesischen Regierung mitzuteilen, da> / //utfU*.

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