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German Pages 361 [412] Year 1926
Iwan Jakowlewitsch Korostovetz
VON CINGGIS KHAN ZUR SOWJETREPUBLIK EINE KURZE GESCHICHTE DER MONGOLEI UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER NEUESTEN ZEIT VON
IWAN JAKOWLEWITSCH KOROSTOVETZ FRÜHEREM KAISERLICH RUSSISCHEN GESANDTEN IN PEKING UND URGA
UNTER MITWIRKUNG VON
DR. IUR. ET PHIL. ERICH HAUER FRÜHEREM DOLMETSCHER DER KAISERLICH DEUTSCHEN GESANDTSCHAFT IN PEKING PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT BERLIN
MIT 38 ABBILDUNGEN, EINER ÜBERSICHTSKARTE DER MONGOLEI UND EINEM GELEITWORT VON PROF. DR. OTTO FRANKE-BERLIN
BERLIN UND LEIPZIG 1926
WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG / J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG / GEORG REIMER ι KARL J . TRÜBNER / VEIT & COMP.
Druck TOO Walter de Gruyter & Co., Berlin W 10.
Vorwort. I w a n Jakowlewitsch Korostovetz, Kaiserlich Russischer Geheimer Rat a. D., hatte seine diplomatische Laufbahn nachdem üblichen Vorbereitungsdienste im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten zu St. Petersburg bei der russischen Gesandtschaft in Peking begonnen. Nachdem er in den Jahren 1899 bis 1902 Chef der diplomatischen Kanzlei des russischen Oberstkommandierenden, des Admirals Alexejew, in Port Arthur gewesen war, führte er mit den chinesischen Behörden die dem Boxeraufstande folgenden Verhandlungen über die russische Okkupation der Südmandschurei und wurde im Jahre 1905 Sekretär des Bevollmächtigten Grafen Witte auf der Friedenskonferenz zu Portsmouth, die den russisch-japanischen Krieg beendete. Seine Erinnerungen an diese Konferenz hat der Herr Verfasser in englischer Sprache niedergelegt in einem 1920 erschienenen Buche „Pre-War Diplomacy", das 1923 unter dem Titel „Ein Blatt aus der Geschichte der russischen Diplomatie" auch in russischer Sprache veröffentlicht worden ist. Von 1907 bis 1912 ist Exzellenz Korostovetz Kaiserlich Russischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Peking gewesen und hat dann als anerkannte Autorität in allen Fragen des Fernen Ostens die in diesem Buche beschriebenen Verhandlungen mit den Mongolen in Urga geführt. Der Herr Verfasser hat mich gebeten, die Namen folgender Herren zu nennen, die ihn mit Material unterstützt haben: General D. L. Horwath (früher Generaldirektor der Chinesischen Ostbahn), General Iwan Tonkich (früher im Generalstabe), Legationsrat W. Grawe, Legationssekretär Mitrofanow und Generalkonsul Ν. T. Kölessow (früher bei der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft in Peking), Wirklicher Staatsrat 0. von Klemm, Oberst A. Tatarinow und Oberst Τ. A. Bykow (früher Militärattaches in Peking), Baron von Stael-Holstein (Professor an der Pekinger Universität), Graf A. Bennigsen, Dr. Stefan Ruzicka, Dr. R. Hoselitz, Mr. H. C. Wilcox (Secretary of The China Association, London) und Herrn Β. Lewin. Meine eigene bescheidene Mitwirkung hat sich darauf beschränkt, eine einheitliche Rechtschreibung der mongolischen, mandschurischen und chinesischen Eigennamen und Wörter durchzuführen, soweit mir das möglich gewesen ist, einige Ergänzungen hinzuzufügen und die Drucklegung zu überwachen. Berlin, den 16. Mai 1926.
Erich Hauer.
IV
Geleitwort·
Geleitwort. Der freundlichen Aufforderung des Herrn Korostovetz, seinem Buche einige Worte mit auf den Weg zu geben, komme ich schon deshalb gerne nach, weil es mir eine Freude ist, das Werk nach Überwindung mannigfacher Schwierigkeiten nunmehr in deutscher Sprache gedruckt zu sehen. Die deutsche Literatur ist nicht reich an Schriften über die Mongolei, ihre Völker und ihre Geschichte. Und doch bieten jene endlosen Steppen- und Berglandschaften Inner-Asiens genug des Wissenswerten, um ein genaueres Studium vollauf zu lohnen. Noch liegt über der frühesten Geschichte des Landes bis zum 12. Jahrhundert ein undurchdringliches Dunkel; was wir aus den chinesischen Quellen darüber erfahren, ist unklar und widerspruchsvoll, zudem zieht es nur die Randgebiete in den Lichtkreis der Berichte; was weiter im Innern nach Norden und Westen zu bis an die Waldgebirge des heutigen Sibirien vor sich ging, bleibt unseren Blicken verborgen. Jahrtausende hindurch haben die Chinesen mit den rastlosen Scharen gekämpft, die immer wieder über den Berg- und Wüstengürtel hinweg in die fruchtbaren Niederungen eindrangen, plünderten und raubten und dann wieder verschwanden, oder aber auch blieben, seßhaft wurden und Staaten gründeten. Bis in die Urzeit hinauf reichen die sagenhaften Meldungen über jene kriegsfrohen Völker, die stärker als irgend ein anderes Element bestimmend für die Schicksale des chinesischen Reiches geworden sind. Was aber die Waffen nicht oder jedenfalls nicht dauernd vermocht, das hat die Lehre Buddhas in ihrer tibetisch-hierarchischen Form in der Mongolei vollbracht: sie hat die verwegenen Kriegsvölker völlig unterjocht und in stumpfe, willenlose Knechte verwandelt. Neben den Chinesen sind es natürlich die Nachbarn auf der anderen Seite, die Russen, gewesen, die am frühesten und nachhaltigsten mit den Völkern der Mongolei in Beziehungen kamen. Mehr als fünf Jahrhunderte hindurch haben sich diese Beziehungen politischer, wirtschaftlicher und religiöser Art beständig erhalten, zwar oft unterbrochen, aber durch die Natur der Dinge selbst immer wieder neu geknüpft und neu belebt. Sie haben angedauert bis in unsere Tage, ja sie dauern trotz aller Veränderungen der Verhältnisse auch heute noch fort, und während der letzten fünfzehn Jahre haben sie sogar eine besonders bewegte Gestalt angenommen. Niemand war berufener, diesen Abschnitt innerasiatischer Geschichte darzustellen, als ein Russe, und unter den Russen niemand berufener als Herr Korostovetz. Durch jahrelange diplomatische Tätigkeit in Peking mit den Verhältnissen der chinesischen Regierung vertraut gemacht, wurde er im September 1912 vom Ministerium des
Geleitwort.
V
Äußeren in Petersburg als Bevollmächtigter nach Urga entsandt, um dort mit den Mongolen, die eben um ihre Unabhängigkeit von China rangen, unmittelbare Verhandlungen zu führen und einen Vertrag zwischen ihnen und Rußland zustande zu bringen. Acht Monate hindurch ist er dann einer der Hauptträger der hin und her schwankenden Entwicklungen in dem russisch-chinesischmongolischen Drama mit allen seinen wildbewegten, blutigen Ereignissen gewesen, bis die kommende große Katastrophe in Europa die entscheidende Wendung brachte. In schlichter Form, bei der aber die Wucht des Geschehens um so stärker wirkt, hat Herr Korostovetz über alles berichtet, auch über das, was sich nach seinem Abgange und nach dem großen russischen Umstürze weiter in der Mongolei begeben hat, die frühere Geschichte des Landes und die Schilderung seiner Bewohner geben dafür den Hintergrund ab. Man wird vielleicht nicht überall mit den Auffassungen des Verfassers übereinstimmen, und namentlich der Deutsche wird Einwendungen zu erheben haben gegen manches, was über die politische Haltung Deutschlands gesagt wird, dafür wird man aber der tröstlichen Erkenntnis teilhaftig, daß in der asiatischen Politik Rußlands von der Zentrale aus mit nicht weniger Unkenntnis, Planlosigkeit und Zerfahrenheit gehandelt worden ist als in der europäischen des Deutschen Reiches. Die tiefgründigen Pläne, die man sich gegenseitig zuschrieb, waren aus der sonderbaren Überschätzung der politischen Fähigkeiten des Gegners erwachsen, sie waren schmeichelhafter für die Maske des einen als für die Menschenkenntnis des anderen. Quantilla prudentia regitur orbis! Ich habe Herrn Korostovetz' Buch mit vielem Nutzen und großem Genuß gelesen, es hat schlummernde Erinnerungen geweckt an die Zeit vor drei Jahrzehnten, wo ich selbst die Mongolei in ihren östlichen, geschichtlich interessantesten Teilen von der großen Mauer Chinas bis zu den Quellflüssen des Amur durchwandert habe, und ich zweifle nicht, daß jeder, der Sinn hat für die immer stärker anschwellende Flut des Geschehens in Asien, über das man so selten etwas Zuverlässiges hört, auch ohne jene Erinnerungen denselben Genuß und denselben Nutzen davon haben wird. Möchten recht viele unserer Landsleute sich beides verschaffen. B e r l i n , im Juni 1926.
O. Franke.
Inhaltsverzeichnis. Seite
K a p i t e l I. Die Mongolen. Ihre älteste Geschichte von Cinggis Khan bis Tamerlan und Hubilai Khan. Die Beziehungen der Mongolei zum Abendlande K a p i t e l II. Die Äußere Mongolei im 16. und 17. Jahrhundert K a p i t e l III. Die Mongolei unter der Herrschaft der Mandschudynastie K a p i t e l IV. Die reinkarnierten Heiligen von Urga K a p i t e l V. Die Ereignisse in Chinesisch-Turkestan und das Vordringen Rußlands in Mittelasien. Der Vertrag von Liwadia K a p i t e l VI. Die topographische und administrative Einteilung der Mongolei K a p i t e l VII. Die frühesten Beziehungen Rußlands zur Mongolei und zu China K a p i t e l VIII. Die Einnahme von Albasin und der Vertrag von Nertschinsk. Die Verträge von Kiachta, Kuldscha, Aigun, Tientsin und Peking K a p i t e l IX. Charakter und Sitten der Mongolen K a p i t e l X. Recht und Gesetzgebung der Mongolen K a p i t e l XI. Der Anteil Rußlands am mongolischen Handel . K a p i t e l XII. Der Umsturz in Urga und die Unabhängigkeitserklärung der Äußeren Mongolei K a p i t e l XIII. Rußlands Politik in Peking während des Übergangsstadiums der Äußeren Mongolei K a p i t e l XIV. Die Instruktion des Ministerpräsidenten Kokowzew über Rußlands Aufgaben in der Mongolei. Die Ereignisse in Tibet K a p i t e l XV. Ankunft in Urga. Die Hauptstadt der Mongolei K a p i t e l XVI. Die mongolischen Fürsten. Die russischen Instrukteure K a p i t e l XVII. Der Lamaismus und seine Tempel. Besuch beim Hutuktu von Urga K a p i t e l XVIII. Die russisch-mongolischen Verhandlungen in Urga. Der Vertrag von Urga vom 3. November 1912 K a p i t e l XIX. Das Leben in Urga. Die Goldgewinnung in der Mongolei K a p i t e l XX. Die Frage des Uriyanghai-Gebietes K a p i t e l XXI. Die Klöster und Schulen von Urga. Der Lamaismus und sein Pantheon K a p i t e l XXII. Folgen des russisch-mongolischen Abkommens K a p i t e l XXIII. Staatswirtschaft und Haushalt der Mongolei K a p i t e l XXIV. Kämpfe der Mongolen gegen die Chinesen in der Westmongolei . . . K a p i t e l XXV. Schriftwechsel zwischen Peking und Urga. Mongolisch Neujahr in Urga K a p i t e l XXVI. Russische Truppen in Uliyasutai und Urga. Der weitere Verlauf der russisch-chinesischen Verhandlungen in Peking. Prinz Kung und die monarchistische Restauration K a p i t e l XXVII. Russische Verteidigungsmaßnahmen gegen China. Einsetzung eines Stadtrats für die russische Handelsniederlassung in Urga K a p i t e l XXVIII. Buddhistische Feste in Urga. Zwiespalt der Fürsten und neue Instruktionen aus Petersburg K a p i t e l XXIX. Die mongolische Sprache und Literatur K a p i t e l XXX. Abkühlung der russisch-mongolischen Beziehungen. Der weitere Verlauf der Verhandlungen mit Peking K a p i t e l XXXI. Die Privataudienz beim Hutuktu K a p i t e l XXXII. Abreise von Urga und Audienz beim Zaren
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K a p i t e l XXXIII. Die rechtliche Begründung der Lage in der Mongolei K a p i t e l XXXIV. Das Dreimächteabkommen von Kiachta vom 25. Mai 1915 K a p i t e l XXXV. Die Folgen des Weltkrieges und der russischen Revolution auf die Stellung Rußlands in der Mongolei K a p i t e l XXXVI. Die Besetzung Urgas durch chinesische Truppen. Die Diktatur des Barons von Ungern-Sternberg und sein Sturz. Einrichtung einer Sowjetregierung in Urga K a p i t e l XXXVII. Die Kämpfe der-Weißgardisten und Bolschewisten in der westlichen Mongolei K a p i t e l XXXVIII. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau und Peking K a p i t e l XXXIX. Sowjetpropaganda in China. Die russisch-chinesischen Verhandlungen und Zeichnung des Abkommens vom 31. Mai 1924 K a p i t e l XL. Die Äußere Mongolei unter der Vormundschaft Sowjetrußlands . . . . . . K a p i t e l XLI. Nachrichten aus Urga bis Ende September 1925. Absichten chinesischer Generäle auf die Innere Mongolei A n h a n g . Die Verfassungsurkunde der Mongolischen Völksrepublik
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Errata, Seite 4 6
Zeile 2 v. u. 13 v. u.
Steht Soll s t e h e n Boyenka Boyenhu von denen der bekannte Kutschu von denen der bekannte Kutschum stammte, der gemeinsam mit stammte. Letzterer wurde von Jermak Sibirien unterworfen hat Jermak, dem Eroberer Sibiriens, besiegt 30 19 v. u. Mas Was 30 22 v. u. grenzte grenzt 47 •2v, U. Boyenka Boyenhu 65 .17 v. o. Kolzow Kolzo 67 1 v. u. Die Mursy-Tataren Die Mursy (Häuptlinge) der Tataren 83 23 v. o. Armursana Amursana 108 Fußnote Archimandriten Palladius und Hya- Archimandriten Hyakinth Bitschukinth Bitschurin, Gurij und Pallarin, Gury und Palladius Kafarow dij Karafow Schaposchnikow Sepotschnikow Saponikow Sapojnikow Swetschnikow, Swetschnikow Swetschnikow 123 14 v. o. Regierunserklärung Regierungserklärung 125 9 v. o. Barga und Barga in 12 v. u. Barga mit Hulun Buir Barga (Hulun Buir) 126 Von Anfang der Seite 126 bis zum Ende des Kapitels XII sollte der den offiziellen Bericht der russischen Regierung enthaltende Text als Fußnote zu Seite 123 stehen. 161 5 v. o. gegenwärtige letzte 10 V. 0. 167 Für(streiche Für-) 10 V. 0. 177 Zerempylows Zerempylos 186 4 V. 0. Dieser Badmajew Badmajew 182 11 u. 14 v. o. Prokowski Pokrowski 197 Fußnote Salonjew Solowjew 195 25 v. o. Schtschekin Schtschobkin 34 v. o. Schtschekins Schtschobkins 210 34 v. o. sagte Sasonow hatte Sasonow gesagt 210 36 y. o. der Minister erklärte hatte der Minister erklärt 234 12 v. u. Durasso Durassow 240 21 v. o. Sair Usu Sain Usu 272 8 v. o. letzthin letzten 275 Er Fußnote Ich Sein Mein 1» 276 5 v. u. dem das 20 v. o. Diese Eisenbahnkonvention wurde 277 Diese Konvention ist K o r o e t o v e t z , Mongolei. b
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10 V. 0. 20 V. u.
Steht hatten Ernennung Kosins
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21 V. 0. 17 V. 0.
hat nichts unternommen gründeten eine Grenzbank
303 309
16 5 31 4 2 1 7 10 11 8 19
Tschikoisk und Menzisk Ostrukow Febmaar 1922 werden wird nehmen unterstützt wird handeln dieses Jahres Gesterg
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V. 0. V. 0. V.
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V. 0. V. 0. V. 0. V. 0. V. 0. V.
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Soll stehen haben Ernennung eines Beamten des russischen Finanzministeriums, des Herrn Kosin, tat nichts gründeten anstatt der Nationalbank eine Grenzbank Tschikoi und Menzinsk Ostroukow Februar 1921 wurden wurde nahmen untantützte wurde handelten vergangene» Jahres Gostorg oder Staats ha ndekorgaoisation
Zur Aussprache der mongolischen Wörter. Für sämtliche mongolische Wörter ist — mit Ausnahme einiger schon eingebürgerter Schreibweisen wie Khan und Noor — die Orthographie der mongolischen Schriftsprache zugrunde gelegt worden. Wie im Englischen und Französischen weicht diese von der heutigen Aussprache erheblich ab. So wird ζ. B. das in der Schriftsprache sira geschriebene und äira gesprochene Wort („gelb") heute in der Ostmongolei chiära, im Norden und Westen aber Sara gelesen. Die Form der Schriftsprache ist in Klammern auch hinter moderne Formen gestellt worden. Es lauten ei wie langes offenes e in Reh, See. c außer vor i wie ts oder deutsches ζ, ζ. B. cagan „weiß" = tsagan; vor i aber wie tsch, ζ. B. Cinggis = Tschinggis. h auch im Anlaut wie deutsches ch in Dach, Buch oder russisches x. j außer vor i wie ds oder italienisches ζ in zona, zinco; vor i aber wie dsch oder englisches j in Jim. s stets stimmlos, aber vor i wie sch. δ wie sch. w „ englisches w. y „ deutsches j in Jahr.
Verdeutschung einiger häufiger Wörter. aimak arban balgasun barun (baragun) beile beise bulak cagan ein wang daba (dabagan) durben (dürben) gool
Stamm, zehn, Stadt, rechts, westlich. Prinz 3. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung, Prinz 4. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung, Quelle, weiß. Prinz 1. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung, Bergübergang, Gebirgspaß, vier, Fluß.
Verdeutschung einiger häufiger Wörter.
gun(g) gün wang gurban hada hara hoäun (hosigun) hubilgan huduk hutuktu jasak jun khan (hagaa) kure (küriye) merge η muren (müren) noor (nagor) noyan obo ola (agola) sain secen (cecen) sira sume (süme) tologai ulan usu(n)
Herzog. Prinz 2. Ranges der mandschurischen Hofrangordnung. drei. Felsen. schwarz. Banner. Wandlung, Reinkarnation. BranmexL Heiliger. Administrator. linkSj östlich. König. Klosterstadt. klug. Strom. See. Gebieter, Fürst. Grenzmahl in Form eines geheiligten Steinhaufeiis. Gebirge, Berg. gut. weise. gelb.Tempel. Kopf, Kuppe. rot. Wasser, Fluß. E. H.
Kapitel I. Der Begriff „Mongole". Die eigentlichen Mongolen. Älteste Geschichte der Mongolei, Temüjin (Cinggis Khan), sein Leben und seine Kämpfe. Die Mongolen auf der historischen Bühne. Die Feldzüge und Eroberungen Cinggis Khans und seiner Unterführer. Die Eroberung Chinas. Das mongolische Joch in Rußland und die Goldene Horde. Die Ereignisse nach dem Tode Cinggis Khans. Batu und sein Nachfolger Tamerlan. Hubilai Khan. Der Aufstieg de£ mongolischen Reiches und sein Untergang. Beziehungen der Mongolei zum Westen.
Im Abendlande ist man gewohnt, unter dem Worte „Mongolen" zwei ganz verschiedene Dinge zu verstehen: einmal eine Menschenrasse von vielen Völkern und dann ein einzelnes dazu gehöriges Volk. Mongolen im weiteren Sinne nennt die Völkerkunde die Bewohner des nördlichen Asiens vom Stillen Ozean bis Tibet hin und die der gelben Rasse angehörigen Eingeborenen von Tibet, den Himalayaabhängen, Indochina, China, Formosa, Japan und seinen Naehbarinseln sowie Teilen des malaiischen Archipels und unterscheidet zwischen Nordmongolen (Tungusen, Mandschus, Mongolen im engeren Sinne, Japanern und Liu-kiu) und Südmongolen (Chinesen, Tibetern, Siamesen, Annamiten usw.). Wir werden uns hier nur mit den Mongolen im engeren Sinne beschäftigen. Die Heimat der eigentlichen Mongolen, die sogenannte Mongolei, erstreckt sich von Sibirien im Norden bis zur Großen Mauer Chinas im Süden, von der Mandschurei und Daurien im Osten bis zum Altai und den Quellen des Irtysch, dem T'ien-shan und Ostturkestan im Westen. Im Zentrum dieses Gebietes liegt die Wüste Gobi. Ausläufer der Mongolen finden sich im Süden über die Große Mauer hinaus bis zum Kukunoor-Gebiet, in Turkestan, im Gebiet von Semiretschensk, in Alaschan, Semipalatinsk und im südlichen Teile des Gouvernements Tomsk. Das Gebiet nördlich von der Gobi, vom Altai Tangnu und dem SayanGebirge im Westen bis zur Mandschurei im Osten, heißt Kalka, mit den Hauptdistrikten Urga, Uliyasutai und Kobdo. Nordwestlich von der Gobi, zwischen dem T'ien-shan und dem Altai, liegt die Dsungarei. Die mongolische Bevölkerung zerfällt in drei Zweige: Ostmongolen, Westmongolen (ölet oder Kalmücken) und Burjäten. Zu den Ostmongolen gehören die Kalka, die Sara-Mongolen südlich der Gobi, längs und nordöstlich der Mandschurei, und die Siraigol in Tanggut und Nordtibet. Die Westmongolen sind die von uns so genannten Kalmücken, die sich selber Ölet, Oirat, Dürben Oirat oder Monggol Oirat nennen. Das Wort Kalmücke ist verstümmelt aus Halimak, wie sich die Wolgakalmücken gelegentlich genannt haben. Der Name ist verK o r o e t o v e t z , Mongolei,
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Kapitel Ι.
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mutlich tatarischen Ursprungs und noch unerklärt. Die Oirat, d. h. die Nahen oder Verwandten, zerfallen in die vier Stämme der Dsungaren, Torgot, Hosot und Dürbet. 1650 ließen sich die Torgot an der Wolga nieder, 1673 folgten ihnen die Dürbet, 1675 die Hosot. 1771 kehrte ein großer Teil dieser Mongolen ins chinesische Reich zurück. Die Zahl der Wolgakalmücken belief sich nach russischen Schätzungen vor dem Kriege auf 107 000. Die Burjäten haben sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts am Baikalsee niedergelassen. Endlich sind noch zu nennen die Hazära und die vier Aimaks, die in Afghanistan zwischen Herat und Kabul als Hirten nomadisieren. Ihre Sprache zeigt zwar persischen Einfluß, ist aber mongolisch und steht dem Westmongolischen nahe. Die einzige Quelle für die früheste Geschichte der Mongolen und ihrer Vorfahren sind die großen chinesischen Reichsannalen, die von der abendländischen Forschung noch nicht genügend erschlossen worden sind. Nach der 1662 von dem mongolischen Edlen Sanang Secen Hungtaiji vollendeten Geschichte der Ostmongolen und ihres Fürstenhauses, zu deren Ausarbeitung der Verfasser sieben mit Namen bezeichnete mongolische Geschichtswerke benutzt hat, wird die Abstammung der Mongolenfürsten völlig phantastisch auf die Könige von Tibet zurückgeführt und in den drei ersten Kapiteln eine apokryphe Urgeschichte zusammengefabelt. Im vierten Kapitel wird dann von einem Volke Bide*) erzählt, aus dessen Fürstengeschlecht, der Familie Borjigen, Yesügei Bagatur entsprossen war. Dieser Yesügei traf eines Tages, als er mit zwei Brüdern die Spur von weißen Hasen im Schnee verfolgte, einen Wagenzug des Stammes Tatar und raubte von diesem ein Mädchen, ögelen Eke, die er zu seiner Gattin machte. Im Jahre 1162 wurde ihm von ögelen Eke ein Knabe unter merkwürdigen Zeichen geboren (nach der übereinstimmenden Erzählung der chinesischen und muhammedanischen Schriftsteller hielt der Knabe bei seiner Geburt ein Stück geronnenes Blut in der Hand). Da diese Geburt mit dem Einbringen des gefangenen Temüjin zusammentraf, nannten die Eltern den Knaben Tegri yin ökkükeen Temüjin, d. h. „Von Gott gegebener Temüjin". Dieser Temüjin ist der spätere Kaiser Cinggis Khan. Als Temüjin dreizehn Jahre alt geworden war, nahm Yesügei ihn mit auf Brautschau, um unter den Verwandten seiner Schwäger eine passende Braut für ihn auszusuchen. Auf dem Heimwege wurde er von den Tatar bei einem Festessen vergiftet, so daß die ganze Last der Erziehung auf die Mutter allein fiel. Unaufhörliche Fehden mit den feindlichen Stämmen der Taijigut u. a. füllten die nächsten Jahre, bei denen der junge Fürst häufig in die äußerste Not geriet, andererseits aber seinen Charakter stählen lernte und den Grund legte für die Unbeugsamkeit und Grausamkeit, die später den großen Eroberer kennzeichneten. Im Jahre 1189, als Temüjin 28 Jahre alt war, wurde er auf der Grasfläche am Flusse Kerülen von den Arulat als Khan anerkannt. „Von diesem Tage ließ sich", erzählt Sanang Secen, „drei Morgen nacheinander, ein bunter Vogel in Lerchengestalt auf einem viereckigen Steine vor dem Hause nieder und rief: „Cinggis, l
) Bide bedeutet im Mongolischen „wir".
a
Kapitel I.
cinggisl" Daher erhielt Temüjin den Namen Sutu Bogda Cinggis Khan, unter welchem er in allen Gegenden berühmt wurde. Darnach sprang jener Stein plötzlich von selbst auseinander, und aus der Mitte desselben kam das Siegel, Has-bao 2) genannt, zum Vorschein. Dieses Siegel hatte in der Länge und Breite die Größe einer Spanne, und auf der Rückseite sah man eine Schildkröte, auf deren Rücken zwei Drachen sich ineinander schlangen; die Figuren des Siegels waren wie künstlich eingegrabene erhabene Arbeit. Gleich darauf erhob Cinggis Khan die ursprünglich am Onon aufgepflanzte, neunzipflige weiße Fahne und die gewöhnlich auf Deligün Buldaga aufgepflanzte, schwarze vierzipflige Fahne seines Schutzgeistes und ward der Herrscher der 400 000 des Volkes Bide. Und der Herrscher sprach: „Dieses Volk Bide, das tapfer und trotzig, ungeachtet meiner Leiden und Gefahren, sich anhänglich mir anschloß, das mit Gleichmut, Freud und Leid die Stirn bietend, meine Kräfte vermehrte, — ich will, daß dieses, einem edlen Kristall ähnliche Volk Bide, welches bis zum Ziele meines Strebens in jeder Gefahr die größte Treue erwies, den Namen Küke Monggol führen und von allem, was sich auf der Erde bewegt, das erhabenste sein soll!" Von der Zeit an wird dieses Volk Küke Monggol genannt." 3 ) Küke Monggol bedeutet die blauen, d. h. die östlichen Mongolen, da Blau im Fünferzyklus die Farbe des Ostens ist. Der Name Monggol geht vielleicht auf mong „trotzig" und gool „Wesenheit" zurück, doch ist das nioht sicher; jedenfalls ist er ursprünglich der Name keines Einzelstammes gewesen und erst von Cinggis Khan als Ehrenname der ganzen Nation aufgebracht worden. Die Mongolen sind also eigentlich die von Temüjin geeinten Nachbarstämme des Volkes Bide, die Arulat, Taijigut, Tatar, Naiman, Kerait und Merget. Jedenfalls beginnt mit der Erhebung des jungen Temüjin zum Cinggis Khan erst die wirkliche Geschichte der Mongolen. Ungefähr um dieselbe Zeit gründete Cinggis Khan * am Flusse Orhon seine Hauptstadt Karakorum, unweit deren später das Kloster Erdeni Juu errichtet worden ist. Nachdem Cinggis Khan seine Herrschaft in der nordöstlichen Mongolei aufgerichtet hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit den Nachbarn zu. Im Jahre 4207 griff er das Reich der Tangguten (Si-Hia) an, dessen Herrscher sich ihm 1209 unterwarf. Hierauf sicherte er sich mittels diplomatischer Verhandlungen und Verträge gegen das Reich der Kara-Kidan, das die Gebiete des heutigen Chinesisch-Turkestan, Kuldscha und Teile von Semiretschensk umfaßte, und ging gegen China vor, wo damals im Norden die fremde Kindynastie der Dschurdschen und im Süden die einheimische Sungdynastie regierte. Als 1210 der Kinkaiser seine Thronbesteigung Cinggis Khan als einem Vasallen anzeigte, sandte Cinggis Khan an Stelle der üblichen Huldigungsadresse dem Kaiser die Forderung zu, er solle ihm seine Ergebenheit zum Ausdruck bringen. Da dies selbstverständlich abgelehnt wurde, erschien Cinggis Khan im folgenden Jahre an der Spitze einer großen Reiterarmee im nordchinesischen Reiche der Dschurdschen. 2
) „Nephrit-Kostbarkeit", d. h. Reichssiegel. ) Sanang Secen, Geschichte der Ostmongolen, übersetzt von I. J. Schmidt. St. Petersburg 1829, S. 71. a
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Kapitel Ι.
Eine bei der Belagerung von Tai-t'ung 1212 erlittene Wunde nötigte ihn zwar zur Umkehr, doch erneuerte er 1213 den Angriff und eroberte die Provinzen nördlich vom Gelben Flusse. Im nächsten Jahre wurde die Hauptstadt Peking im Sturm genommen und geplündert; der Kinkaiser floh nach K'ai-feng-fu, der Hauptstadt der Provinz Honan, und die Mongolen drangen bis Schantung und Schansi vor. Während der Khan in die Mongolei zurückkehrte, eroberte sein General Muhuli im Jahre 1217 das Land nördlich vom Gelben Flusse. Im folgenden Jahre schlug Cinggis Khan einen Aufstand der Tangguten nieder, machte sich Liaotung und Korea tributpflichtig und vernichtete das Reich der KaraKitai. Nachdem der General Cepe Noyan schon 1217 die Dsungarei und Ostturkestan durchzogen hatte und über Kaschgar und Hotan bis zum Pamir gelangt war, gab ein Zerwürfnis mit dem Schah Muhammed von Hwarezm dann den willkommenen Anlaß zur Offensive gegen Westturkestan und die heute zu Rußland gehörigen Gebiete Mittelasiens, darunter Buchara und Khiwa. Während Cinggis Khans Lieblingssohn Cagatai von den Quellen des Irtysch 1219 nördlich des Balkasch-See vorging, marschierte der älteste Sohn Juci von Kaschgar über Usch und Kokand in das Yaxartestal. Mit dem vereinigten Heere zerstörte der Khan die reiche Stadt Buchara und Samarkand, die blühende Hauptstadt von Hwärezm unter Dschalal-ad-din, dem Sohne und Nachfolger Schah Muhammeds. Über den Oxus zogen die Mongolen nach Balch, dem alten Baktra, weiter. Von dort aus brach Tului, der jüngste Sohn, zur Eroberung Persiens auf, die er 1120— 24 durchführte. Er nahm 1221 Merw, zog durch den Kaukasus über Tebriz nach Tiflis und kam 1222 bis zum Dnjepr unweit Kiew. Als er im folgenden Jahre über Kasan an der Wolga durch die Kirgisensteppe zurückkehrte, war damit ganz Südrußland unterworfen. Der Khan selbst hatte 1221 den Hindukusch überschritten, 1222 die Reste der Hwärezmier am Indus besiegt und das Punschdab bis Lahore verwüstet-^ als ihn innere Unruhen zur Aufgabe der beabsichtigten Eroberung Indiens und zur Rückkehr nach der Mongolei zwangen. Dort hatten sich bei den Kämpfen, welche die mongolischen Generale am oberen Huang-ho gegen die Dschurdschen führten, die Tangguten auf die Seite des Feindes gestellt. Gegen sie wurde 1226 eine Strafexpedition unternommen, gelegentlich deren die Provinz Kansu gründlich verheert wurde. Während der Vorbereitungen zu einem Zuge ins· Innere Chinas, angesichts der unbezwungenen Festung T'ung-kuan am Knie dea Gelben Flusses, starb Cinggis Khan 1227 an einer plötzlichen Krankheit im Alter von 66 Jahren. Es wird berichtet, daß er noch auf dem Totenbette die Direktiven für die Fortführung des Feldzuges gegen China entworfen hätte. Das von Cinggis Khan durch Eroberungen gegründete Reich trug einen ausgesprochen militärischen Charakter. Die Beziehungen zu den unterworfenen Völkern kamen in der Erhebung von Abgaben für den Unterhalt der „Horde", oder richtiger des Heeres, zum Ausdruck. Da der Khan die Unfähigkeit seiner Gehilfen in Sachen der inneren Verwaltung genau kannte, übertrug er diese Geschäfte einem Emigranten aus dem Reiche der Kin, Yelu Ch'u-ts'ai. Dieser Staatsmann organisierte den administrativen und finanziellen Teil und verstand
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sogar im Heere einige Reformen nach dem Muster der chinesischen Armee durchzuführen. Im allgemeinen war der Krieg mit den Chinesen für die Mongolen eine gute Schule, sowohl hinsichtlich des Staatsaufbaus als auch des Heeres. Yelu Ch'u-ts'ai erfreute, sich eines großen und wohltuenden Einflusses auf Cinggis Khan, indem er ihn zu friedlicher Tätigkeit anhielt und seinem maßlosen Temperament Schranken setzte. Auf Anregung Yelu Ch'u-ts'ais wurde das Staatsarchiv eingerichtet. Der Erfolg der mongolischen Eroberungen ist nicht so sehr der zahlenmäßigen Stärke der Heere, als der militärischen Begabung der Führer zu verdanken. Cinggis Khan selbst war ein hervorragender Stratege, seine Führer zeichneten sich zum größten Teil durch Kenntnisse in militärischen Angelegenheiten und durch die Fähigkeit aus, die jeweilige Lage zu ihren Gunsten auszunutzen. Die Feldzüge Cinggis Khans waren keineswegs, wie so oft behauptet wird, systemlose, spontane Überfälle einer wilden, undisziplinierten Reiterei, die lediglich die Vernichtung des Gegners im Auge hatte, sondern streng durchdachte Operationen einer organisierten Armee, deren Strategie und Taktik gemeinsam mit der Kriegserfahrung und dem kriegerischen Fanatismus urwüchsiger Nomaden den Sieg verbürgten. Ehe die mongolischen Heerführer sich zu einem Feldzuge rüsteten, studierten sie den künftigen Kriegsschauplatz sowie den Charakter und die politische Organisation der Völker, mit denen sie Krieg führen wollten. Dies geht besonders aus der Beschreibung der Feldzüge gegen Rußland, Polen und Ungarn hervor. Nach mongolischer Sitte wurden dem ältesten Sohne Juci entlegene Gebiete zugeteilt, die Stammesanteile, d. h. die Mongolei, erbte der jüngste Sohn Tului. Juci erhielt die Kiptschak-Steppe bei der Quelle des Flusses Syr-Darja, Khiwa, den Kaukasus und die russischen Gebiete mit der Krim. Juci starb jedoch, bevor noch die Teilung vorgenommen wurde, und die Länder gingen an seine Erben über. Im Jahre 1229 versammelten sioh die Fürsten zu einem Reichstage (Kurultai oder Huruldan genannt) am Flusse Kerülen, um den neuen Khan zu wählen. Die Wahl fiel auf den dritten Sohn Ügetei, den Cinggis Khan selbst zum Nachfolger bestimmt hatte. Bei dieser Versammlung wurde beschlossen, eine 30 000 Mann starke Armee zur Eroberung der nördlich vom Kaspischen und Schwarzen Meere gelegenen Gebiete zu entsenden. Die Führung der Armee wurde dem Neffen Ügetei's, Batu, übertragen, dem ein Fürst namens Subutai zur Seite gestellt wurde, der schon am ersten Feldzuge nach Rußland teilgenommen hatte. Batu, Jucis Sohn, brach 1237 von seinem Reiche Kiptschak auf und zog vom Ural her durch ganz Rußland, ging südlich Kasan über die Wolga und marschierte nach Nishnij-Nowgorod, Rjäsan, Moskau (1238) und Kiew (1239), überall die Herrschaften der Großfürsten, unter die das Land Ruriks geteilt war, vernichtend und das Zarenreich der Bulgaren zerstörend. Von Kiew brach er 1241 in vier Scharen auf. Er selbst wählte mit dem Hauptheere den kürzesten Weg von Wolhynien über die Karpathen in das Herz von Ungarn, während rechts von ihm Prinz Baidar durch Polen und Schlesien auf Wien, links Prinz Hadan durch
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Siebenbürgen nach der Puszta und der General Subutai durch dieWalachai zur unteren Donau zogen. Der Zielpunkt für alle war Budapest. Die nördliche Kolonne eroberte Südpolen, Galizien, Masowien, Kujawien; Lublin, Krakau und Sandomir wurden in Asche gelegt, ebenso das von den Einwohnern verlassene Breslau. Am 9. April 1241 traten den Mongolen auf der Wahlstatt bei Liegnitz der Piastenherzog Heinrich II. mit 30 000 Mann und die Ritter des Deutschen Ordens unter ihrem Landmeister Poppo von Osterna entgegen. Die Mongolen mußten ihren Sieg mit so blutigen Verlusten erkaufen, daß sie sich nach Mähren wandten, wo Baidar bei der Belagerung von Olmütz fiel. Batu hatte inzwischen den König Bela von Ungarn vergeblich in Budapest belagert. Nachdem die Kolonne aus Schlesien zu ihm gestoßen war, gewann er bei Miskolcz einen entscheidenden Sieg über das Heer der Ungarn und brannte das eroberte Budapest nieder. Nun zog Hadan von Arad heran, und an der Spitze aller Kräfte brach Batu über Gran gegen Wien auf, als die Nachricht vom Tode des Groß-Khans ihn zur Umkehr zwang und zur Wahl des Nachfolgers in die Mongolei zurückrief. Batu sah nun von weiteren Eroberungen ab und befaßte sich mit der Organisation der von ihm in den Wolgasteppen gegründeten Großen oder Goldenen Horde, die eine militärische Organisation erhielt. Zur Hauptstadt der Horde wurde die von muselmännischen Architekten erbaute Stadt Sarai an der Wolga erhoben. Batu nahm seinen Sitz in Sarai und regierte von dort aus über das in Fürstentümer und Teilfürstentümer geteilte Rußland. Im übrigen mischte er sich wenig in die bestehende Verwaltung und begnügte sich mit der Erhebung von Abgaben, wie es die mongolischen Eroberer mit den unterworfenen Völkern gewöhnlich taten. Der Bruder Batus, Orda Itschen, erhielt die Kirgisische Steppe zum Besitz und errichtete seine Residenz in der Stadt Laganak. Dieses Gebiet wird von russischen Geschichtschreibern als die „Blaue Horde" bezeichnet während die Muselmänner sie die „Weiße" nennen. Der Khan Orda Itschen verlieh seinem jüngsten Bruder Schtscheibani für die im Feldzuge gegen Rußland bewiesene Tapferkeit ein besonderes Teilfürstentum am oberen Laufe des Ural bis zum Flusse Syr-Darja. Später dehnte sich die Blaue Horde nach Norden aus und bildete die Basis für die sibirischen Khane, von denen der bekannte Kutschu stammte, der gemeinsam mit Jermak Sibirien unterworfen hat. Damit waren drei Linien der Nachkommen Jucis entstanden. Die russischen Fürsten waren verpflichtet, sich bei der Goldenen Horde und in Karakorum vorzustellen, den Khanen zu huldigen und ihnen Tribut und Geschenke darzubringen. Nicht genehme Fürsten wurden von den Khanen einfach abgesetzt und eingesperrt. Überhaupt war das ganze Verhalten der Mongolen den russischen Vasallenfürsten gegenüber äußerst roh: der geringfügigste Ungehorsam und die leiseste Nichtachtung wurden mit dem Tode bestraft. So wurde der Großfürst Jaroslaw von Wladimir (1238—46) nach der mongolischen Residenz beschieden, um sich wegen gegen ihn erhobener Anschuldigungen zu rechtfertigen, und auf Geheiß Kaiser Güyük Khans hingerichtet. Dasselbe Schicksal ereilte im Jahre 1286 den Fürsten Michael von Tschernigow,
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den Batu Khan hinrichten ließ, weil er sich weigerte, die mongolischen Götterbilder anzubeten. Augenzeuge dieses Ereignisses war der päpstliche Gesandte, der Franziskanermönch Johann von Piano Carpini, der sich gerade zu jener Zeit in Karakorum aufhielt. Im Jahre 1319 wurden der Großfürst von Twer, Michael, und sein Sohn Dmitrij hingerichtet. Im übrigen schenkten die Mongolen auch einigen Fürsten ihr Vertrauen, wie ζ. B. dem Nowgoroder Fürsten Alexander Newskij, den sie zum Herrscher der südlichen Provinzen mit der Residenz in Kiew einsetzten. Ungeachtet ihres rohen Verhaltens den Fürsten gegenüber mischten die Mongolen sich nicht in die inneren russischen Angelegenheiten und begnügten sich mit der Vereinnahmung der Kontributionen, deren Beitreibung anfangs Pächtern überlassen wurde; später wurden sie von den Fürsten direkt abgeliefert. Es sei hier das wohlwollende Verhalten der Mongolen der christlichen Religion und der Geistlichkeit gegenüber hervorgehoben. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts wurde ihr von Üsbek Khan (1312—42) das Privileg erteilt, keine Kontributionen bezahlen zu brauchen. Die russischen Fürsten hatten dagegen nicht nur die Kontributionen zu zahlen, sondern auch Heerfolge zu leisten und der Horde Soldaten zu stellen. So findet sich in den Annalen die Nachricht, daß zur Zeit der Regierung Hubilai Khans eine Abteilung russischer Leibgarde in Peking erschienen ist. Während der Regierung Temürs, des Enkels Hubilai Khans, bestand ebenfalls eine russische Leibgarde, der ein Stück Land nördlich von Peking zugeteilt worden war. Diese Leibgarde ergänzte sich aus russischen Gefangenen, welche die mongolischen Fürsten nach der Residenz des Kaisers schickten. Der allmähliche Verfall der Mongolenherrschaft hatte seinen hauptsächlichen Grund in den inneren Streitigkeiten und Zwistigkeiten der Mongolen. Auf die Weigerung des Moskauer Fürsten Dmitrij, die Kontributionen zu zahlen, zog Mamai Khan gegen ihn ins Feld und wurde bei Kalka (an der Mündung der Nepriadwa in den Don) vollkommen geschlagen. Einige Jahre darauf verwüstete jedoch Tochtamisch Khan abermals die russischen Länder, steckte Moskau in Brand und zwang Dmitrij zum Gehorsam. Allerdings mußte Tochtamisch sich vor Timur zurückziehen, der gegen Rußland ins Feld zog und bis Orel vorstieß. Im Jahre 1408 fielen die Mongolen unter der Anführung Tochtamischs wieder über Rußland her, kamen bis Moskau und zwangen den Großfürsten Wassilij I. (1389—1425) zur Zahlung von Kontributionen. Für die Eintreibung der Abgaben aus den russischen Fürstentümern entsandten die Khane besondere Beamte, Baskak genannt. In der Folge errangen die russischen Fürsten das Recht, ihre eigenen Beamten zur Eintreibung der Abgaben zu entsenden. Von den Abgaben befreit war nur die Geistlichkeit, die als Zeichen hierfür besondere Zettel oder Jarlik (Orders) erhielt, Darchanji (Schenkurkunden) genannt. Den größten Einfluß in der Horde hatten die sogenarmten Temniks, d. h. Führer von Truppenteilen zu 10 000 Mann. Im Laufe der Zeit stieg die Macht dieser Temniks so weit, daß sie die hauptsächlichste Rolle in Verwaltungsangelegenheiten spielten und die Khane nach ihrem Ermessen ernannten.
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Dem im Jahre 1255 verstorbenen Batu folgte dessen Sohn Sartak, der aber bald starb. Danach bestimmte der Großkhan Möngke zum Nachfolger Sartaks den unmündigen Ulakci und zur Regentin die älteste der Frauen Batus, Borakcina. Nach dem Tode Ulakcis ging der Thron auf Batus Bruder Berke über. Unter Berke wurde eine Registrierung der unterworfenen Völker zur Erhebung der Abgaben vorgenommen. Während der Herrschaft dieses Khans, der 1283 den Islam annahm, begann eine starke Verbreitung des muhammedanischen Glaubens. Die Voraussetzung hierfür war schon insofern gegeben, als das Muhammedanertum bereits im bulgarischen Zarenreich an der Wolga verbreitet gewesen war. Außerdem bekannten sich die Polowzy, die sich mit den Tataren verschmolzen hatten, ebenfalls zum Islam. Berke zwang indessen seine Untertanen nicht zum Übertritt, wie er überhaupt sich durch Toleranz auszeichnete. Unter seiner Herrschaft wurde in Sarai im Jahre 1261 eine russische Gemeinde gegründet 4 ). Nach dem Tode Berkes begannen in der Horde Unruhen. Der Temnik Nogai, der Enkel Jucis, der den Süden Rußlands verwaltete, riß die Macht an sich und unterstützte der Reihe nach verschiedene Prätendenten auf dem Thron der Khane 5 ). Die Ordnung wurde erst unter dem Khan Üsbek wiederhergestellt, der durch seine Grausamkeit gegen die unterworfenen Völker bekannt ist. Unter ihm verschärfte sich die Verfolgung der russischen Fürsten, die für jede Regung der Unabhängigkeit aufs strengste bestraft wurden. Die auf Befehl des Khans zu Hofe gekommenen Fürsten wurden den verschiedensten Erniedrigungen ausgesetzt, und es kam öfter vor, daß diese Besuche mit Folter und Hinrichtung endeten. Üsbek war verheiratet mit einer Tochter des byzantinischen Kaisers Andronikos des Jüngeren und trat in ein verwandtschaftliches Verhältnis zu dem ägyptischen Sultan. Seine Schwester Kontschaku verheiratete er mit dem russischen Fürsten Jurij Danilowitsch und gestattete ihr den Übertritt zum christlichen Glauben. Dem Khan Üsbek folgte im Khanat Dschanibek, der von den Geschichtsschreibern als der Gutherzige bezeichnet wird. Seine Frau Taidula wurde vom Metropoliten Alexei von der Blindheit geheilt und nahm infolgedessen oft die Russen in Schutz. Dschanibek wurde von seinem Sohne Berdibek im Jahre 1357 erwürgt; letzterer herrschte jedoch nur zwei Jahre, wonach ein häufiger Wechsel der Khane einsetzte, jedesmal von blutigen Unruhen begleitet. Der Urheber dieser Unruhen war der Temnik Mamai, durch seine unglücklichen militärischen Operationen gegen den russischen Großfürsten Dmitrij Donskoi bekannt. Nach der für ihn katastrophalen Schlacht auf dem Kulikower Felde im Jahre 1380 floh Mamai nach Kafu und starb dort; die Verwaltung der Horde ging auf Tochtamysch über, der mit Unterstützung Tamerlans 6 ) die Blaue und die Goldene Horde in seinen Händen vereinigte. ) Siehe A History of the Mongols von J . Gurtin. ) Von diesem Temnik N o g a i leiten die Tataren ihre Bezeichnung „Nogaijen", wie sie sich auch nennen, ab. Nogai bedeutet „Hund". ·) Tamerlan (verstümmelt aus Timur Lenk, „der Lahme Temür") war ein Nachkomme Cagatais, des Lieblingssohnes Cinggis Khans. E r bemächtigte sich im Jahre 1369 der Herr4
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Tochtamysch unternahm im Jahre 1382 einen neuen Feldzug und zerstörte einige Fürstentümer. In dem darauffolgenden Kampfe mit Tamerlan wurde Tochtamysch besiegt, worauf Tamerlan die russischen Gebiete seinem Reiche angliederte. Tamerlan ernannte selbst die Khane der Horde; diese Khane, die keine eigene Partei in Sarai hatten, verloren jedoch bald die Gewalt, um so mehr als Tochtamysch und dessen Temniks, die sich als die rechtmäßigen Verwalter der besetzten Gebiete ansahen, die Unruhen unterstützten. Sieger in diesen inneren Zerwürfnissen blieb der Temnik Edigei, der im Jahre 1417 Tochtamysch erschlug. Nach dem Tode dieses Khans wurde die Abhängigkeit der russischen Fürsten ständig schwächer und ging allmählich in den Austausch von Gesandtschaften und Darbringung von Geschenken über. Diese ungewisse Lage währte bis zur Thronbesteigung des Khans Achmed, der die Bedeutung der Horde heben und die Gewalt über Rußland wiederherstellen sollte. Im Jahre 1416 führte er sein Heer gegen die Stadt PerijaslaweRjäsanski, wurde jedoch geschlagen und zum Rückzüge gezwungen. Der Khan Achmed schloß im Jahre 1480 zum Kampfe gegen Rußland, das damals Iwan III. zum Zaren hatte, ein Bündnis mit dem polnischen König Kasimir. Letzterer konnte jedoch dem Khan nicht helfen, da er mit der Verteidigung des litauischen Podoliens beschäftigt war, das er vor dem Einfalt des Verbündeten Moskaus, des Khans von Perekop, Mengli Girei, zu schützen hatte. Das russische Heer und die tatarische Horde stießen an den Ufern des Flusses Ugra zusammen. Der Zar konnte sich aber zu keinem Angriff entschließen und zog sich zurück. Die Horde ging ebenfalls zurück, da die Nachricht eintraf, daß der Swenigorodsker Wojewode und der Krimsche Thronfolger Nur Dewlet Sarai bedrohten. Khan Achmed mußte schließlich Sarai verlassen, was zum Verfall der Goldenen Horde führte. Die Söhne Achmeds hielten sich noch in Astrachan und gründeten das Astrachanische Zarenreich, verfügten jedoch nicht mehr über die nötige militärische Macht, um Rußland gefährlich zu werden. Dieses Zarenreich wurde von Iwan dem Grausamen im Jahre 1554 erobert. Noch vor dem Zerfall der Goldenen Horde entstand das Zarenreich von Kasan, das bis zum Jahre 1552 bestanden hat, als es von Moskau ebenfalls unterworfen wurde. Viel länger hielt eich das Khanat der Krim, wo seit Tochtamysch die Dynastie der Girei herrschte. Dieses Zarentum wurde erst unter Katharina II. im Jahre 1783 Rußland angegliedert. Kehren wir nun zu den Ereignissen zurück, die in der Mongolei nach dem Tode Cinggis Khans vor sich gingen. Auf dem Reichstage des Jahres 1229, der Ügetei zum Großkhan erhoben hatte, schworen die Fürsten, alle künftigen Großkhane nur aus dessen Geschlecht zu wählen. Diese Regel wurde jedoch bald umgangen, was zu Streitigkeiten im Hause Cinggis Khans führte. Auf demselschaft in Samarkand, legte sich den Titel des Großkhans bei und erweiterte seinen Machtbereich auf die Kiptschaker Horde bis zum Flusse Indus. Tamerlan ist bekannt nicht so sehr durch seine Eroberungen als durch seine Grausamkeit. So ließ er nach der Einnahme Isfagonas die Einwohner köpfen und aus 70 000 Menschenschädeln eine Pyramide errichten.
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ben Reichstage wurden Expeditionen gegen die Perser und Kiptschaken beschlossen. Im Laufe von zwei Jahren wurde Persien, die asiatische Türkei, Grusien und Rußland erobert. Die Mongolen versuchten, über Ägypten in Afrika vorzudringen, erlitten jedoch in Palästina eine Niederlage und mußten sich zurückziehen. Der hauptsächlichste Feldzug wurde unter der Führung des Ügetei selbst gegen China, in welchem, wie bereits erwähnt, die Kindynastie der Dschurdschen herrschte, unternommen. Im Jahre 1230 überschritt Ügetei mit seinem Bruder Tului an der Spitze des Heeres den Huangho und trat mit den Chinesen in offenen Kampf, der mit der Besetzung Nord- und Mittelchinas und dem Sturze der Dynastie Kin endete. Die Unterwerfung Chinas fand im Jahre 1234 durch den General Subutai ihren Abschluß, der zu diesem Zwecke mit der den Süden Chinas beherrschenden Dynastie Sung in ein Bündnisverhältnis trat. Nun kam Südchina an die Reihe, und die Mongolen begannen einen Kampf, der erst unter dem dritten Nachfolger Ügeteis, Hubilai Khan, zu Ende ging, der das gesamte China unterwarf und zum Begründer der Yüandynastie wurde. Die Regierungszeit Hubilais wird als die Blütezeit der mongolischen Macht angesehen. Er war der Beherrscher eines Riesenreiches, das sich auf die Hälfte von Europa und fast ganz Asien erstreckte. Mit dem Thronwechsel begannen 1260 aber Zwistigkeiten im Hause Cinggis Khans, da die Verwandten sich den Titel des Großkhans streitig machten. Diese Zwistigkeiten führten gemeinsam mit der Degenerierung der nachfolgenden Monarchen sehr rasch zum Niedergang der mongolischen Dynastie. Im Jahre 1370 wurde Tohon Temür, der achte Nachfolger Hubilais, aus China vertrieben, wo die einheimische Dynastie Ming, deren Begründer der frühere Buddhistenmönch und Bandenführer Chu Yüanchang war, die Herrschaft übernahm. Unter den Ursachen, welche zum Falle der mongolischen Dynastie beitrugen, wird von den Historikern die außerordentliche Emission von Papiergeld hervorgehoben, insbesondere während der Regierung Hubilai Khans. Dies brachte eine Geldkrise und eine allgemeine Verarmung mit sich, da das Geld vollkommen seinen Wert einbüßte. Der letzte Kaiser der Mongolendynastie Yüan floh nach der Mongolei. Sein Nachfolger nannte sich bereits nicht mehr Kaiser von China, sondern nur Khan. Etwa zwei Jahrzehnte hindurch versuchten die mongolischen Khane die Herrschaft über China wieder zurückzuerobern, indem sie die Grenzprovinzen überfielen: diese Versuche blieben jedoch erfolglos, da in der Mongolei selbst ständig Zwist und Streitigkeiten herrschten. Die mongolischen Feldzüge verhalfen, wie einst die Kreuzzüge, zu einer Annäherung zwischen dem Osten und dem Westen. Europa, Byzanz, Persien und Indien suchten mit dem fernen China und der Mongolei bekannt zu werden; wagehalsige Reisende und Abenteurer erschienen in Peking und Karakorum. Nicht an letzter Stelle standen unter diesen Reisenden katholische Missionare, die von religiösem Eifer und der Hoffnung geleitet wurden, die heidnischen Massen des fernen Ostens zum christlichen Glauben zu bekehren. Papst Innozenz IV. schickte den schon genannten Franziskaner Johann von Piano Carpini mit einem Briefe an den Großkhan ab. Dieser verließ zu-
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sammen mit dem Portugiesen Laurentius, dem Böhmen Stephan und dem Polen Benedikt 1245 Lyon, wo das große Kirchenkonzil tagte, und erreichte über Breslau, Krakau und Kiew Sarai, die Residenz Batus, der ihn unter sicherem Geleit weitersandte. Im Jahre 1246 langte er in Karakorum an, wo gerade die Wahl Güyük Khans zum Großkhan stattgefunden hatte. Nach Erledigung ihres Auftrages kehrten diese ersten Missionare, die überall gute Aufnahme gefunden hatten, mit einem Antwortschreiben des Großkhans an den Papst 1247 zurück. Piano Carpini wurde zum Erzbischof erhoben und verfaßte dann einen ausführlichen Bericht über seine Reise. Der Papst hatte in seinem Briefe, unter Berufung auf die ihm von Gott verliehene geistliche Macht, den Zorn Gottes auf das Haupt des Großkhans herabbeschworen wegen der Vernichtung der christlichen Völker und ihn ermahnt, Buße zu tun und sich zum Christentum zu bekehren. Darauf antwortete Güyük Khan: „Wenn ihr Frieden wollt, du Papst und ihr Kaiser und Könige, so zögert nicht, zu uns zu kommen, und ihr werdet Antwort vernehmenl In euren Briefen heißt es, daß wir uns taufen lassen und Christen werden müßten. Wir antworten kurz, daß wir nicht einsehen, warum wir dies tun sollten. Ihr Bewohner des Westens glaubt, daß nur ihr Christen daseid, und verachtet alle andern. Aber wißt ihr denn, wem Gott seine Gunst zuwenden wird ? Wir beten Gott an, und mit seiner Stärke werden wir die ganze Welt von Osten nach Westen erobern!" Dieser Missionsversuch Innozenz' IV. hätte also leicht einen zweiten Mongoleneinfall nach Europa zur Folge haben können. Auch König Ludwig IX. von Frankreich, der Heilige, wollte die Mongolen zum Christentum bekehren und schickte 1249 einen Dominikaner, Andreas von Longjumeau, an den Hof des Großkhans, der aber seinen Auftrag nicht ausrichten konnte, weil er kurz nach dem Tode Güyük Khans in Karakorum eintraf. Darauf schickte Ludwig der Heilige den Niederländer Wilhelm Ruysbroek (Rubruquis), einen Franziskaner, mit vier Begleitern nach der Mongolei. Nach einem kurzen Aufenthalte in der Residenz Batus an der Wolga kam er an den Hof Möngke Khans in Karakorum, wo er sich 1253—55 aufhielt. Am Hofe des Großkhans trafen sie viele Europäer, Armenier, Sarazenen und Nestorianer verschiedener Nation, mußten sich aber überzeugen, daß die Bekehrung der Mongolen zum Christentum geringe Aussichten habe und daß der Großkhan nur aus allgemeiner religiöser Toleranz den Christen, wie allen anderen Bekenntnissen, sein Wohlwollen erzeige. Zur gleichen Zeit, im Jahre 1254, befand sich am Mongolenhofe auch König Haithon I. von Kleinarmenien, der schon 1246 seinen Bruder Sempad zu Güyük geschickt hatte und jetzt sein Reich durch gute Beziehungen zum Großkhan vor Hulagus Scharen sichern wollte. Sein Bericht enthält recht wunderliche Dinge, unter anderem eine Beschreibung der Taufe Möngke Khans. Einen weiteren Bericht über den Hof des Großkhans zu dieser Zeit hat uns der Araber Ibn Batuta hinterlassen. Es ist bekannt, daß am Hofe Möngke Khans in Karakorum nestorianische Christen wohnten und daß bereits im 13. Jahrhundert in Peking päpstliche
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Legate waren, die sich des Schutzes der mongolischen Monarchen erfreuten. Im Jahre 1269 sandte Hubilai Khan eine Delegation zum Papst mit dem Auftrage, diesen um Zusendung von Gelehrten und Meistern zur Aufklärung der Mongolen zu bitten. Die Angelegenheit wurde durch Entsendung zweier Dominikanermönche erledigt, die im übrigen nicht bis in die mongolische Residenz kamen. Papst Innozenz IV. und König Ludwig der Heilige von Frankreich unternahmen ebenfalls erfolglose Versuche, Missionare in die Mongolei zu schikken. Dagegen erreichte der Franziskaner Johann von Montecorvino Peking im Jahre 1294 kurz nach dem Tode Hubilai Khans, wurde von dessen Nachfolger Temür (Ch'eng-tsung) freundlich aufgenommen und entfaltete eine eifrige Predigertätigkeit, die dem katholischen Glauben bald Verbreitung verschafft haben muß, trotz der Feindschaft, die ihm die Nestorianer bewiesen. Denn Montecorvino erbaute schon 1299 in Peking eine Kirche und begann eine Übersetzung des Neuen Testamentes ins Mongolische. Zu seiner Unterstützung traf im Jahre 1303 Bruder Arnold aus Köln ein, und 1307 ernannte der Papst Clemens V. Montecorvino auf Grund seiner Erfolge zum Erzbischof von Peking und päpstlichen Legaten. Ihm wurden dann die Diözesen von Zaitun, Almaliq, Sarai, Tana, Kaffa und Kumuk unterstellt, für die neue Bistümer geschaffen wurden. Montecorvino starb im Jahre 1328. Der von Papst Johann X X I I . 1333 zu seinem Nachfolger in China ernannte Franziskaner Nicolaus, der vordem Professor an der Pariser Universität gewesen war, scheint auf der Reise, die er zu Lande über Amaliq, die Hauptstadt der Reiches Cagatai, antrat, verunglückt zu sein. In Erwiderung einer vom Kaiser von China gekommenen Gesandtschaft schickte Papst Benedikt X I I . den Minoriten Johann von Marignola aus Florenz nach China. Dieser verließ mit zwei Brüdern 1338 Avignon, reiste über Konstantinopel nach Sarai an der Wolga, durchquerte Ostturkestan, wo er sich längere Zeit in Hami aufhielt, und erreichte 1342 Peking. Er blieb am Kaiserhofe bis 1346 und trat dann vom Hafen Zaitun aus die Rückreise zu See an, berührte Indien und langte 1353 wieder in Europa an. Die später noch vom Papste ernannten Bischöfe von Peking haben die Reise in ihr Wirkungsgebiet gar nicht mehr angetreten. So wurden für diesen Posten noch designiert durch Urban V. 1369 der Bischof Kosmas von Sarai und 1370 Wilhelm du Prat, ein französischer Magister der Theologie. Die Bemühungen der römischen Kirche, am Hofe der Mongolenkaiser festen Fuß zu fassen und das katholische Christentum in China und der Mongolei zu verbreiten, sind schließlich ohne Erfolg geblieben. Ein interessantes Dokument für die Zunahme europäisch-asiatischer Beziehungen bildet die Beschreibung der Reise nach China, welche der venezianische Kaufmann Marco Polo hinterlassen hat. Entgegen früheren Urteilen, die das Buch als einen Roman ansahen, der in großsprecherischer Übertreibung weit von der Wahrheit abweicht, hat genauere Kritik später in vielen Punkten seine Zuverlässigkeit erwiesen. Im Jahre 1260 reisten die Brüder Nicolo und Maffeo Polo aus Venedig, die sich in Handelsgeschäften zu Konstantinopel aufhielten, über die Krim und nördlich des Kaspischen Meeres nach Buchara, wo
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sie drei Jahre blieben. Als zu dieser Zeit der dortige Mongolenherrscher Hulagu eine Gesandtschaft an seinen Bruder, den Großkhan Hubilai, abfertigte, schlossen die beiden Venezianer sich dieser an und waren die ersten Europäer, die auf dem Landwege über Karakorum, das inzwischen seine Bedeutung verloren hatte, die neue Residenz Peking erreichten, wo sie von Hubilai Khan ehrenvoll aufgenommen wurden. Bei ihrer Abreise gab ihnen der Großkhan einen Brief an den Papst mit. Als die beiden Polo 1269 wieder in Venedig angelangt waren, konnten sie den Brief nicht übergeben, da der päpstliche Stuhl nach dem Tode Clemens IV. längere Zeit unbesetzt blieb. Da die Brüder Polo Hubilai Khan versprochen hatten, an seinen Hof zurückzukehren, traten sie 1271 ihre zweite Reise an, auf die Nicolo seinen 17jährigen Sohn Marco mitnahm. Nach einer dreieinhalbjährigen Reise über Land langten sie in der kaiserlichen Sommerresidenz Shang-tu bei Dolonnor an. Die Rückreise traten die Polo 1292 vom Hafen Zaitun zur See an, erreichten Persien und kamen durch Armenien und über Trapezunt 1295 wieder nach Venedig. Bei dem Seegefecht von Curzola geriet Marco Polo 1298 in die Gefangenschaft des Genuesen, und im Kerker zu Genua diktierte er seinem Leidensgenossen Rusticciano da Pisa seine Erinnerungen in französischer Sprache. Er starb 1323. Marco Polo hat zuerst von China und der Mongolei den Schleier hinweggezogen, der für Europa bisher über diesen Ländern gelegen hatte, und hat durch seine Reisebeschreibungen den Anstoß gegeben zu den Erkundungsfahrten, welche die Völker Europas nach dem fernen Osten unternommen haben 7 ).
Kapitel II. Die Äußere Mongolei oder Kalka im 16. und 17. Jahrhundert. Das Eindringen des Buddhismus. Der Dschebdsun Damba Hutuktu. Der Kampf der Mongolen mit den Mandschus. Die Mongolen während der Herrschaft des Kaisers K'ang Hi. Die politische Rolle des Hutuktus Undur Gegen bei der Unterwerfung der Mongolen durch die Mandschudynastie. Der Kampf der Mandschus mit den Dsungaren und die Niederlage Galdan Khans.
Nach der Vertreibung der Mongolen aus China unternahmen die Chinesen selbst Feldzüge nach der Mongolei, die jedoch meist erfolglos blieben. Die Mongolen versuchten ihrerseits die angrenzenden chinesischen Gebiete anzugreifen, doch hatten diese Versuche keine ernste' Bedeutung, da die Nomaden infolge ihrer Zersplitterung in einzelne Stämme und Fürstentümer nicht imstande waren, gegen das starke chinesische Heer erfolgreich aufzutreten. Zum letzten Male wurde die Mongolei in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Dayan Khan vereinigt. Doch auch dieser Khan führte wieder eine Zersplitterung der Mongolei herbei, indem er das Land an seine elf Söhne verteilte. Die älteren 7
) Näheres über die Feldzüge und Eroberungen der Mongolen und die Beziehungen der Mongolei zum Westen enthält die Zusammenstellung von Prof. F. Ε. A. Krause-Heidelberg „Die Epoche der Mongolen" in den Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen zu Berlin von 1924, der eine Reihe der vorstehenden Tatsachen und Ausführungen entlehnt worden sind.
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Söhne erhielten die südlichen Gebiete, die jüngeren dagegen die nördliche Mongolei, wobei Kalka in den Besitz des elften Sohnes Geresanja überging. Obgleich die altern Fürsten Anspruch auf eine Vormachtstellung erhoben, wollten die jüngeren ihre Macht nicht anerkennen. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts erstarkte die Macht des Reiches der CaharMongolen unter Lindan Khan so weit, daß sie sogar China tributpflichtig machten und zu einem Bündnis nötigten. Als aber Lindan Khan darauf von den Mandschus vertrieben wurde, schlossen sich die Stämme des Reiches Cahar den Mandschus an. Auch die südwestlichen Mongolen wurden fast ohne Widerstand China einverleibt. Die nördliche Mongolei oder Kalka blieb noch längere Zeit selbständig; bis heute behandelt der Kalka jeden anderen Mongolen geringschätzig, da er nur sich als den wahren Mongolen ansieht. Vor seinem Tode teilte Geresanja sein Land unter seine sieben Söhne; den Osten verwaltete der dritte Sohn Unugu, den Westen der fünfte Sohn Amin Dural, von dem die Fürsten des Tusiyetu-Khanats der nördlichen Kalka abstammen. Die vier Hauptfürstentümer der Kalka zerfielen bald in kleinere Fürstentümer, die von unabhängigen Herrschern regiert wurden. Letztere teilten noch bei Lebzeiten ihre Länder unter ihren Söhnen, Verwandten oder bevorzugten Tributpflichtigen, was zu einer noch größeren Zersplitterung des Landes führte. Ohne jegliche politische Macht und staatliche Organisation waren die Fürstentümer nur durch Familientradition und gemeinsame Religion miteinander verbunden, was die Grundlage einer gewissen nationalen Einheit bildete. Jeder Fürst verfügte nach eigenem Ermessen über sein Land und seine Tributpflichtigen. Rechtsprechung, Kriegserklärung und Friedensschluß erfolgten lediglich auf Grund von Traditionen und persönlichen Interessen. Zwar wurde über gemeinsame Angelegenheiten auf dem Huruldan (Reichstag) verhandelt, doch waren die dort gefaßten Beschüsse nicht unbedingt maßgebend. Bis zum Regierungsantritt Dayan Khans gehörten die Mongolen dem Schamanentum an, und der Buddhismus war nur in der Sekte der „Rotmützen" vertreten. Unter dem Nachfolger Dayan Khans verbreitete sich der Lamaismus der „Gelbmützen", die sog. Gelbe Lehre, die anfänglich aus der Dsungarei in das Fürstentum des Tusiyetu Khans gekommen war. Zu ihrer Verbreitung trug auch der Verkehr mit den Ölet bei, die bereits Anhänger dieser Religion waren. Dieser neue Glaube, der die Wiedergeburt lehrte, ein ganzes Pantheon von Bodhisattvas und Heiligen, Dämonen und Teufeln sowie einen prunkvollen Kult mit sich brachte, wurde von den abergläubischen Mongolen gern angenommen. Die religiösen Formen dieses entarteten Buddhismus entsprachen dem Geschmack der Nomaden, auch blieb die neue Religion mit ihrem Mönchwesen und Klosterkult nicht ohne tiefen Einfluß auf das Volk und seine weitere geschichtliche Entwicklung. Indem der Buddhismus große Mengen der Steppenbewohner als Zölibatäre in die Klöster trieb und den Hang zu geistlicher Beschaulichkeit, d. h. zum Dolce far niente, hervorrief, hat er den alten kriegerischen Geist der Mongolen gebrochen und sie aus kühnen Reitern und Eroberern zu frommen Pfaffen und friedlichen Hirten gemacht.
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Die mongolischen Chroniken bringen die Einführung des Lamaismus mit einem Ereignis in Verbindung, das an die Geschichte des russischen Großfürsten Wladimir von Kiew erinnert, der seine griechische Religion aus Byzanz erhalten hat. Demzufolge soll Tümengken, ein Sohn des Kalka-Fürsten Unugu, sich für den Lamaismus entschieden haben, weil er dessen Vorzüge gelegentlich eines Disputs der Lehrer der Gelben Lehre mit den Rotmützen erkannt haben wollte. Außerdem hatte die Feierlichkeit und die theatralische Aufmachung des lamaischen Gottesdienstes mit seinem Gesang und Fanfarengeschmetter großen Eindruck hinterlassen. Der Dalai Lama Tibets wurde von der Wahl Tümengkens in Kenntnis gesetzt und verlieh ihm den Ehrennamen Sain Noyan, d. h. „guter Fürst", was die Zuneigung des Fürsten zum Lamaismus erheblich steigerte. Einer andern Version zufolge soll der älteste Sohn des oben erwähnten Fürsten, Abatai, nachdem er die Dogmen der Gelben Lehre kennengelernt hatte, den Wunsch geäußert haben, den Dalai Lama zu sehen, und sich zu diesem Zwecke nach Kuku Hoton zum Altan Khan der Tümet begeben haben, wo der Großlama als Gast weilte. Das Prestige Tibets als religiös-kultureller Mittelpunkt war in den Augen der Mongolen jener Zeit sehr bedeutend. Abatai Khan besuchte den Dalai Lama, der ihn als Hubilgan (Wiedergeborenen) erkannte und ihm ein Stückchen der Reliquien Buddhas überreichte. Nach seiner Rückkehr nach Kalka im Jahre 1586 errichtete Abatai das erste buddhistische Kloster der Mongolei, Erdeni Juu, am Flusse Orhon. Der religiöse Eifer der Kalka fand in Tibet lebhaften Anklang, und es wurden Mönche nach der Mongolei entsandt, die durch Predigten und Förderung der Schriftkunde die Gelbe Religion verbreiten sollten. So ist von ihnen der heilige Kandschur in mongolischer Sprache herausgegeben worden. Gleichzeitig wurden aus den Spenden der Fürsten und des Volkes Tempel und Klöster errichtet. Die tibetischen Lehrer verschmähten kein Mittel, um neue Anhänger ihrer Religion zu werben; so erhielt ζ. B. jeder, der die buddhistischen Gebete erlernt hatte, eine Kuh oder ein Pferd 1 ). Mit der Verbreitung des Buddhismus, welcher die Bildung einer neuen Kaste von Mönchen oder Lamas zur Folge hatte, tauchte auch die Frage der Organisation einer eigenen kirchlichen Hierarchie auf. Tibet war zu weit entfernt und schwer zu erreichen, außerdem fürchteten die Mongolen, daß sich der Einfluß der tibetischen Geistlichkeit zu stark geltend machen könnte. Zuerst hofften sie, der Dalai Lama würde sich dazu bewegen lassen, nach Urga überzusiedeln. Aber die mongolische Gesandtschaft, die nach Lhasa zum Oberpriester gekommen war, vermochte letzteren nicht dazu zu überreden; daher beschlossen die Mongolen, ihren eigenen Hubilgan zu ernennen. Die Wahl traf den fünfjährigen Sohn des Tusiyetu Khans Gombo Dorji, der 1640 unter dem Namen Lobsang Damba Dschamdsan als Mönch ordiniert, zum Gegen („Erleuchteten") ausgerufen und zum Klosterabte ernannt wurde. Der Dalai Lama bestätigte die Ordination, proklamierte ihn zum Hubilgan, d. h. zum Wiedergeborenen, wonach ihm göttliche Ehrenbezeugungen zuteil wurden, und verlieh ihm den 1
) Mongolische Chronik „Erdeni yin erihe" (d. h. „Juwelenkranz"), von A. Posdnejew.
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Kapitel It.
Ehrentitel Dschebdsun Damba Hutuktu. Im Jahre 1650 unternahm der Hutuktu eine Reise nach Tibet, von wo er gelehrte Lamas mitbrachte, welche Klöster einrichten und die kirchlichen Gebräuche regeln sollten. An die zweite Reise des Hutuktus nach Tibet knüpft sich folgende Legende: Als er nach Lhasa kam, soll er den Pantschen Lama (den zweiten Hohenpriester neben dem Dalai Lama) nicht mehr lebend angetroffen haben. Sein Wunsch, die heiligen Lehren dennoch zu vernehmen, war aber so stark, daß er den Großlama zum Leben erweckte, worauf dieser noch zwanzig Jahre lebte 2). Die Verbreitung des Buddhismus in Kalka fiel mit dem Einzüge der Mandschus in China zusammen. Anfang des 17. Jahrhunderts richtete der künftige Begründer der Tai-Ts'ing-Dynastie T'ai-tsung, nachdem er die Reste der Dschurdschen-Stämme zwischen der Mongolei und dem Stillen Ozean vereinigt hatte, seine Bestrebungen gegen China. Die südlichen Mongolen schlossen sich zuerst dem immer mächtiger werdenden Nachbar an. Einige Stämme wie die Korcin, Aohan, Naiman, Sunit, Abaga und Ujumucin, waren bereits Vasallen des Mandschus geworden, als die Kalka eine Annäherung zu den Mandschus erstrebten. Der erste Fürst war der Cecen Khan, dem der Tusiyetu Khan und der Jasaktu Khan folgten. Sie besuchten den Mandschukaiser T'ai-tsung, brachten Geschenke und boten ihm einen Freundschaftsvertrag an. Dieser Schritt wurde von dem Wunsche geleitet, das Wohlwollen der aufkommenden Großmacht zu gewinnen und sich den Schutz des Mandschüherrschers zu sichern. Währenddessen stießen die Mandschus bei ihren Expansionsbestrebungen mit den Cahar zusammen, welche die Grenzen des chinesischen Reiches verteidigten. Im Jahre 1634 vertrieb T'ai-tsung den letzten Cahar-Khan Lindan. Damit endete das Reich Cahar. Lindan Khan starb auf der Flucht, seine Gemahlin ergab sich den Mandschus und sein Sohn Ejei wurde nach Mukden mitgenommen und mit einer Tochter T'ai-tsungs vermählt. Der Rest des CaharVolkes wurde den Bannern einverleibt. Am 15. Mai 1636 proklamierte sich der mandschurische Eroberer zum ersten Kaiser der Tai-Ts'ing-Dynastie ( n i c h t zum Kaiser von China!) und nahm einen neuen Jahresnamen an: Ch'ung Te, mongolisch Degedü Erdemtü genannt, d. h. „Erhebung der Tugend". Der chinesische Kaiser Ch'ung Cheng vermochte den Mandschus keinen Widerstand zu leisten, weil das ganze chinesische Reich vom Bürgerkrieg durchwühlt war. Die Eroberungspläne der Mandschus erfuhren zudem eine Unterstützung durch Zerwürfnisse innerhalb der Regierung und den Verrat chinesischer Truppenführer. Im Jahre 1644 zog der Rebellenführer Li Tze-ch'eng gegen Peking, um den Kaiser zu stürzen. Der im entscheidenden Augenblick von allen Anhängern verlassene Kaiser Ch'ung Cheng erhängte sich, als ein treuloser Eunuch den Rebellen die Tore geöffnet hatte und das Gesindel die Hauptstadt plünderte. So endete die chinesische Dynastie Ming, die 276 Jahre bestanden hatte, und wurde von der mandschurischen Dynastie Ts'ing abgelöst. J
) Mongolische Chronik „Erdeni yin erihe", A. Posdnejew, S. 164.
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Dem im Jahre 1643 verstorbenen T'ai-tsung war sein neunter Sohn Fulin auf den Thron gefolgt, der unter seinem Jahresnamen Shun Chih bekannt geworden ist. Als sechsjähriger Knabe bestieg er am 30. Oktober 1644 den Drachenthron des Himmelssohnes in Peking. Obgleich die Kalka sich beeilt hatten, dem neuen chinesischen Monarchen ihre Unterwürfigkeit zu bezeugen, indem sie eine Abordnung nach Peking schickten, beteiligten sie sich an dem Aufstande des Südens gegen die Mandschus. Die Erhebung wurde angeführt vom Cecen Khan und Tusiyetu Khan, denen sich der Sunit-Fürst Tenggis anschloß, der mit einer Tochter des Kaisers verheiratet war. Die Aufständischen verheerten das Land des Barin-Stammes, erlitten jedoch eine entschiedene Niederlage und mußten sich unterwerfen. Der Krieg bewies den Mongolen die militärische Überlegenheit der Mandschus und die Unmöglichkeit, die regulären Truppen zu schlagen, welche in den langjährigen Kämpfen mit den Chinesen gestählt worden waren. Die Mandschus ihrerseits überzeugten sich von der Schwierigkeit der Kriegführung gegen weit entfernt gelegene Nomadenstämme. Gleichzeitig trug jedoch der Krieg zur gegenseitigen Annäherung der Gegner bei. Zwischen dem mandschurischen Hofe und den mongolischen Fürsten begann ein Austausch von Gesandten, und die Pekinger Regierung trat als Vermittler und Schiedsrichter in mongolischen Streitigkeiten und Zwistigkeiten auf. Nach dem Siege über die Kalka verlangten die Mandschus die Erstattung der Schäden und die Entsendung von Söhnen und Brüdern der Fürsten als Geiseln. Diese Forderung war die schwerste, da sie die Fürsten in vollständige Abhängigkeit von der chinesischen Regierung brachte. Um weiteren Überfällen auf die Innere Mongolei vorzubeugen, verbot die Pekinger Regierung den Kalka, die Weidegründe der Inneren Mongolei für sich zu benutzen, und ergriff Maßnahmen zur Begrenzung der mongolischen Gebiete. Hierzu wurde ein besonderer Beamter nach Kalka entsandt, der den Auftrag erhielt, Geiseln mitzunehmen. Als die Kalka die Erfüllung dieser Forderung verweigerten, Schloß die Pekinger Regierung den Tusiyetu Khan und den Cecen Khan vom Zutritt bei Hofe aus. Um ihre Mißgunst den genannten Fürsten gegenüber besonders zu betonen, empfingen die Mandschus mit außergewöhnlichen Ehrenbezeugungen den Sain Noyan Khan. Überhaupt unterstützte die Pekinger Regierung den Hader zwischen den einzelnen Fürsten. So wurde jeder Fürst, der den Forderungen Pekings nicht nachkam oder Widerstand leistete, bestraft und gleichzeitig ein anderer, der sich gehorsam gezeigt hatte, belohnt. Die gespannten Beziehungen zwischen den Mandschus und den Kalka währten bis zum Tode des alten Tusiyetu Khans und Jasaktu Khans. Die im Jahre 1655 zur Regierung gelangten jungen Fürsten machten Zugeständnisse und schickten die verlangten Geiseln nach Peking, wofür sie reich belohnt und in ihre Rechte eingesetzt wurden. Um die Macht der Fürsten zu untergraben, hoben die Mandschus ihre Gleichberechtigung auf, indem sie alle Fürsten dem Tusiyetu Khan und dem Mergen Noyan Khan unterstellten, welche die Verantwortung nicht nur für ihre Hosun (Banner), sondern auch für die Hosun ihrer Verwandten übernehmen mußten. Die Zahl Korostovetz,
Mongolei.
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der Fürsten wurde auf acht erhöht und außerdem eine Verordnung über die Eidesleistung und die Entrichtung von Abgaben erlassen. Die Mandschus begnügten sich nicht mit der Einschränkung des Eigenwillens der Fürsten durch strenge Maßnahmen, sondern waren auch bestrebt, durch geistliche Mittel die Fürsten an sich zu fesseln. Zu diesem Zwecke begünstigte die Pekinger Regierung die in Kalka aufgekommene religiöse Bewegung, indem sie neue Hubilgane hinschickte, Tempel und Klöster errichtete und geistliche Literatur verbreitete. Diese Politik schläferte mit der Zeit die kriegerischen Instinkte der Mongolen ein und veranlaßte sie, Befriedigung im Faulenzen des Klosterlebens und im Hokuspokus der tibetischen Metaphysik und Magie zu suchen. Die Zwistigkeiten der Kalka entstanden gewöhnlich aus der Rivalität der Fürsten, Streitigkeiten um die Thronfolge, Grenzüberschreitungen, Frauenraub usw. So entstand zu Beginn der Regierung K'ang Hi's im Fürstentum des Jasaktu Khans nach dem Tode ein Streit um die Thronfolge. Die Macht riß der Fürst Juu Mergen an sich; da er aber vom Thing nicht anerkannt wurde, verweigerte ein Teil der Vornehmen ihm den Gehorsam und ging zu den Mandschus über. Letztere stürzten Juu Mergen und machten einen der Söhne der verstorbenen Fürsten zum Oberhaupt. Nach Erledigung der Zwistigkeiten im Fürstentum des Jasaktu Khans begannen Streitigkeiten mit dem Tusiyetu Khan wegen der zu diesem übergegangenen Untertanen, was auch zu einer Intervention des chinesischen Kaisers führte. Im Jahre 1684 überfiel der Tusiyetu Khan den Jasaktu Khan und entführte dessen Geliebte. Diese Entführung hatte einen Krieg und eine Beschwerde nach Peking zur Folge. Um den Erfolg der Vermittlung sicherzustellen, wandte sich Kaiser K'ang Hi an den Dalai Lama, welcher eine besondere Abordnung mit einem Siretui (Klostervorsteher) an der Spitze zu den Kalka entsandte, während die Chinesen den Präsidenten des Hofes für die Verwaltung der Grenzmarken (Li-fan-yüan) schickten. Zur Erledigung der Streitigkeiten wurde ein Thing der Vornehmen im Fürstentume des Sain Noyan Khans Belcir einberufen. Trotz aller Bemühungen der Mandschus und Tibeter konnte eine Einigung zwischen den Fürsten nicht erzielt werden, da der Tusiyetu Khan sich weigerte, dem neuen Jasaktu Khan Sira seine Untertanen zurückzuerstatten. Die Mandschus verhielten sich im übrigen den Zwistigkeiten der Kalka gegenüber ziemlich gleichgültig und sahen darin nur ein Mittel, die unruhigen Nachbarn zu schwächen. In Peking wurde man nur dann unruhig, wenn die Zwistigkeiten auf die benachbarte südliche Mongolei übergriffen. Zu Ende des 17. Jahrhunderts befanden sich fast alle Fürsten der Kalka in ständigen Streitigkeiten und Fehden. In dieser Beziehung ist die Äußerung des Fürsten Bubei, der im Jahre 1684 zur Übergabe des Tributs nach Peking kam, sehr charakteristisch: „Die Kalka-Khane sind vollständig untätig, sie zerstören ihren Besitz und treiben die Sache aufs äußerste 3 )." s
) A. Posdnejew a. a. O. S. 182.
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Unter der Herrschaft Kaiser K'ang Hi's, der im Jahre 1662 zur Herrschaft gelangte, erlitten die Mongolen eine Reihe innerer Erschütterungen und Zwistigkeiten, die durch den Krieg mit den Dsungaren hervorgerufen wurden und den Verlust ihrer Unabhängigkeit mit der Unterwerfung unter die Oberherrschaft Chinas nach sich zogen. Weiter unten werden wir auf die Zwistigkeiten der Kalka zu sprechen kommen. Hier verweilen wir bei dem Aufstande Galdans, der alle anderen mongolischen Ereignisse in den Hintergrund drängte. Über Galdan ist bekannt, daß er Sohn des Batur Taiji war und am Hofe des Dalai Lamas zum geistlichen Stande vorbereitet wurde. Er gab jedoch die geistliche Laufbahn auf und wandte sich dem Waffenhandwerk zu; wahrscheinlich hatte er schon damals im Sinn, die Zwistigkeiten der mongolischen Stämme zur Verwirklichung seiner eigenen ehrgeizigen Pläne auszunutzen. Nachdem er die Stämme der Dsungarei vereinigt hatte, schlug er im Jahre 1676 die Fürsten der Kalka aufs Haupt, unterwarf sich im östlichen Turkestan die Stämme der ölet, Uriyanggen und Sayaten und machte sich zum Khan der Dsungarei. Er war bemüht, die Zwistigkeiten der Fürsten zu vertiefen und sie gleichzeitig auf seine Seite zu locken. Als die Fürsten seinen Lockungen nicht folgten, drang Galdan in Kalka ein, schlug die Kalka am Logoi Noor aufs Haupt und versuchte, den Hutuktu Undur Gegen gefangenzunehmen, der im Kloster Erdeni Juu lebte. Dieser Versuch mißlang, da der Hutuktu Undur Gegen Zeit hatte, zu den Sunit zu fliehen, von wo er den Kaiser um Hilfe bat. Gleichzeitig sandte Undur Gegen eine Abordnung zum russischen Gesandten Golowin, der sich in Transbaikalien befand, mit der Bitte um Aufnahme als russischer Untertan. Übrigens erschien die Abordnung bei Golowin, als die Kalka sich bereits den Mandschus ergeben hatten. Während die Kalka um das Protektorat Rußlands bemüht waren, führten die Mongolen und Barguten ihre Überfälle auf das Priamur-Gebiet weiter. Die Russen zahlten mit derselben Münze heim, d. h. sie plünderten die Barguten und wurden von ihnen mit dem Namen „Rakschas", d. h. Teufel, bedacht. Ungeachtet des Bündnisses mit den Mandschus wagte die Mehrheit des Adels nicht, den Kampf mit den Dsungaren aufzunehmen, und wanderte nach dem Norden aus. Die Fürsten des Cecen Khans flohen nach der Mandschurei, wobei einige über den Fluß Selengga setzten und sich den Russen ergaben. Einer der Fürsten des Tusiyetu Khans versuchte, den Dsungaren Widerstand zu leisten, fand jedoch keine Unterstützung und zog sich auch hinter den Kerülen zurück. Die Kalka-Fürsten wollten sich den Dsungaren nicht unterwerfen und beschlossen, sich an die Nachbarn um Hilfe zu wenden. Auf dem 1688 einberufenen Thing beantragte der Oheim des Cecen Khans, Nameila, die Unterwerfung unter die Herrschaft der Russen (Sira-Kitat) oder der Chinesen (Kara-Kitat). Der Antrag wurde vom Fürsten Kokor Daicing unterstützt, den Galdan für seine Sache hatte gewinnen wollen. Die Mehrheit des Things äußerte eich zugunsten Chinas, indem sie auf die Verwandtschaft der Religion und der Rasse hinwiesen. Die endgültige Entscheidung der Fürsten, sich den Mandschus zu unterwerfen, wurde auf Anraten des Hutuktus Undur Gegen gefaßt, der einen außerordentlich 2*
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großen Einfluß besaß als erster neugeborener Dschebdsun Damba Hutuktu. Als die Fürsten sich an Undur Gegen mit der Bitte wandten, ihnen zu sagen, ob Rußland oder China vorgezogen werden solle, antwortete der Hutuktu: „Im Norden von uns liegt das große Reich des russischen Zaren oder Sira-Kitat (Gelbe Chinesen). Seine Vertreter haben aber nicht den Glauben Buddhas und außerdem knöpft dieses Volk seine Kleidung auf der linken Seite zu: dorthin dürfen wir nicht gehen! Im Süden dagegen befindet sich die große Regierung des Kaisers von China oder Kara-Kitat (Schwarze Chinesen); dort ist der Glaube Buddhas verbreitet und was die Kleidung der Mandschus angeht, so ist sie der Kleidung der Himmelsbewohner ähnlich. Ihre Reichtümer sind den Schätzen der Drachengebieter gleich, sie besitzen eine Unzahl von Seidenbrokaten, Hadaks (Seidentücher) und Webstoffen. Wenn wir zu diesem Reiche gehen, werden wir in Frieden und ohne Mangel leben." Mit solchen Worten veranlaßte Undur Gegen die Fürsten, die Oberhoheit der Mandschus anzuerkennen und Kalka dem Kaiser von China zu unterstellen *). Der Hutuktu sandte an den Kaiser ein Gesuch, ihn zusammen mit den Sabinar (Plural von §abi „geistlicher Schüler", Benennung der Leibeigenen des Hutuktus von Urga) und den Vornehmen der östlichen und westlichen Mongolei in den chinesischen Reichsverband aufzunehmen. Seinem Beispiel folgte der Tusiyetu Khan Cihun Dorji mit 30 Fürsten, 600 Lamas und 2000 Wagen. Später schlossen sich diesem Gesuche auch die Fürsten des Cecen Khans an, mit denen fast alle ihre Untertanen kamen, welche die Gebiete von der Quelle des Kerülen bis zu den Seen Hulun und Buir bevölkerten. Kaiser K'ang Hi, der mit seinem Lager hinter der Großen Mauer stand, empfing die Kalkafürsten gnädig und stellte ihnen die Gebiete an der Grenze der Stämme Sunit, Dürben Keüket und Jalait als Weidegründe zur Verfügung. Bei der Ansiedlung der Kalka war der Kaiser bestrebt, die Stammesverbände nicht zu zersplittern und die Verwandten zusammenzuhalten. Einige der Fürsten mußten wegen Platzmangels in die früheren Weidegründe nahe der Inneren Mongolei zurückbefördert werden. Überzählige Untertanen wurden unter die Stämme verteilt. Die Ansiedlung ging unter der Leitung mandschurischer Würdenträger vor sich, welche die Stammesstreitigkeiten schlichteten und verletze Rechte wiederherstellten. Die Einmischung der Mandschus war auch dadurch hervorgerufen worden, daß die Fürsten und Vornehmen die Gelegenheit der zeitweiligen Verwirrung benutzt hatten, Untertanen und Vieh anderer in ihren Besitz zu bringen, wobei viele Banner Räubereien begingen und sogar mit Galdan in Beziehung traten. Um den Siedlern, die Haus und Hof verloren hatten, zu helfen, ließ der Kaiser in Kaigan und Kuku Hoton Kornspeicher anlegen. Gleichzeitig mit der Ansiedlung der Kalka in der südlichen Mongolei führte die Pekinger Regierung Verhandlungen mit Galdan und war bestrebt, ihn nach der Dsungarei abzudrängen. An den Verhandlungen nahm auch der Dalai Lama teil, der zwei Hutuktus zu Galdan entsandte, die aber zu Galdan übergingen, 4
) A. Posdnejew, Die Mongolei und die Mongolen, Bd. II, S. 499.
Kapitel III.
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so daß der Kampf aufs neue entbrannte. Der erste Zusammenstoß mit den Dsungaren am Flusse Urhui verlief ungünstig für die Mandschus, die sich zurückziehen mußten. Die Dsungaren verfolgten sie und näherten sich den Weidegründen von Ulan Butun, 150 Werst von Peking. Hier konzentrierten sich die Hauptkräfte der Mandschus unter der persönlichen Führung Kaiser K'ang Hi's. Angesichts der mandschurischen Übermacht suchte Galdan Frieden und versprach, sich zurückzuziehen, wenn ihm der Tusijetu Khan und der Hutuktu ausgeliefert würden. K'ang Hi traute aber Galdan nicht, lehnte das Anerbieten ab und zog vor, den Streit durch die Waffen zu entscheiden. Nach der Beschreibung der mongolischen Chronik stellte sich die 120 000 Mann zählende dsungarische Reiterei an einem Bergabhang auf und verteidigte sich nicht mit gewöhnlichen Schutzschilden und Katapulten, sondern mit Zehntausenden von zusammengebundenen Kamelen gegen die feindlichen Pfeile. Auf dem Rücken der Kamele waren filzbedeckte Kästen aufgestellt, die Schießscharten offen ließen. Hinter dieser lebendigen Wand, die als „Kamelfestung" bezeichnet wurde, schössen die Dsungaren Pfeile ab und schleuderten Speere, ohne zum Handgemenge überzugehen. Die mandschurischen Truppen hingegen wandten vornehmlich Artillerie an und zwar so erfolgreich, daß ungeachtet der Kamele die Front durchbrochen und der Feind in die Flucht getrieben wurde. Galdan setzte auf Flößen über den Sira Muren in das Land der Kesikten über und floh in die Wüste, von wo er den Kaiser um Gnade bat 5 ).
Kapitel III. Die Anerkennung der Souveränität der Mandschus seitens der Mongolen und der Reichstag zu Dolon Noor. Weitere militärische Operationen gegen die Dsungaren und der Tod Galdans. Die Lage der Kalka nach dem Kriege. Die Politik der Mandschudynastie. Die Erneuerung des Krieges mit den Dsungaren und ihre endgültige Unterwerfung durch Kaiser Yung Chöng. Die Innere Mongolei und die Kolonisation der Chinesen.
Nach dem Siege über die Dsungaren suchte Kaiser K'ang Hi mit der ihm eigenen Vorsicht die günstige Gelegenheit auszunutzen, um die Beziehungen zu den Kalka durch ein Übereinkommen mit den Khanen endgültig zu festigen. Zu diesem Zwecke wurde im Jahre 1691 eine Versammlung der Fürsten und Vornehmen nach Dolon Noor (chinesisch La-ma-miao, d. h. „Lamatempel") in der südlichen Mongolei einberufen, wo der Kaiser selbst im vierten Monat zusammen mit dem Hofe eintraf. Wie die Chronik sagt, fand die Versammlung in einem großen Tale statt, wo das Lager des Kaisers aufgeschlagen und sein gelbes Zelt aufgestellt war. Die Aufgabe der Versammlung bestand in der Wahl und Bestätigung der regierenden Fürsten, denen anstelle der früheren mongo*) A. Posdnejew, a. a. O. S. 216.
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Kapitel III.
lischen neue chinesische Titel gegeben wurden. Diese Umbenennung erzeugte einige Schwierigkeiten wegen der Streitigkeiten über die Feststellung der Prärogativrechte auf den Besitz von Untertanen dieses oder jenes Fürsten und auch deswegen, weil viele Fürsten nicht erschienen waren. Kaiser K'ang Hi bestätigte die Fürsten ersten und zweiten Grades, die selbständigen Stämmen vorstanden und tributpflichtig waren; sie wurden in die Listen des Hofes für die Verwaltung der Grenzmarken (Li-fan-yüan) eingetragen und die Zahl der Fürsten auf 34 erhöht. Auf einige Schwierigkeiten stieß die Bestätigung der Erbschaft des Jasaktu Khans. Da seine älteren Söhne gestorben waren, wurde der jüngste Sohn Tsewang Jab, fast noch ein Säugling, in einem Wagen in die Versammlung gebracht und in den Fürstenstand erhoben. Später erhielt Tsewang Jab eine Tochter des Kaisers zur Gemahlin. Die Anerkennung der Oberhoheit Chinas durch die Kalka wurde von religiösen Zeremonien begleitet; an dem Festessen und den Paraden nahm der Kaiser selbst teil. Zum Gedächtnis des außergewöhnlichen Ereignisses wurde in Dolon Noor der Tempel Hui-tsung-sse durch den lamaischen Erzbischof von Peking, den Dschanggiya Hutuktu, geweiht. Die Bedeutung der Versammlung von Dolon Noor als eines Aktes, der den juristischen Status der Mongolei festlegte, ist strittig. Der Meinung der Chinesen nach sollte die Versammlung die Abhängigkeit der Mongolei von China beweisen. Die Mongolen dagegen behaupten, daß solche Versammlungen periodisch einberufen würden, und daß, wenn auch in Dolon Noor dem Kaiser gehuldigt wurde, die Huldigung doch nur einen persönlichen Charakter gehabt und sich lediglich auf den Mandschukaiser bezogen hätte, in keiner Weise aber auf die chinesische Regierung; außerdem hätten"sich nicht alle mongolischen Fürsten beteiligt und die Verordnungen wären nicht protokollarisch aufgenommen worden. Unterdessen hatte sich der Dsungarenkhan Galdan, nachdem er sich von der erlittenen Niederlage erholt hatte, nach der westlichen Mongolei in die Weidegründe von Hunggui Hatagun begeben und seine Untertanen die Weideplätze bis zum Fluß Orhon besetzen lassen Von hier aus führte er die Verhandlungen mit den Mandschus fort. Er bestand auf der Herausgabe der ihm unbequemen Kalka und verlangte Handelsfreiheit für die Dsungaren in China. Ende 1693 zog Galdan zwischen Kobdo und Uliyasutai umher, näherte sich langsam dem Osten und plante einen Überfall auf die Kalka. Die Mandschus bildeten ihrerseits neue Korps und stellten diese längs der Großen Mauer auf mit einer Basis in Kuku Hoton („Blaue Stadt", chinesisch Kuei-hua-ch'eng, „Stadt der Einkehr zur Kultur"). Gleichzeitig gewannen sie die kriegerischsten Kalka-Fürsten für sich, welche die mandschurische Oberhoheit noch nicht anerkannt hatten, und beauftragten sie, sich am Flusse Tola aufzuhalten und den Feind zu beobachten. Unter diesen befanden sich von den Fürsten des Tusiyetu Khans Sibtui und Gurushib und der Fürst Gendun von Hotohoi. Zu ihnen stieß noch der Fürst Tsebdun und brachte den Mandschus seine Untertanen, die auf die russische Seite übergegangen waren.
Eine Post- (Relais-) Station auf der Straße von Urga nach Uliyasutai,
Kamelkarawane in der Wüste Gobi.
Telegraphenstation zu Udd? auf der Pgststraße zwischen Urga und Kaigan,
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Bevor der Kaiser die militärischen Operationen eröffnete, versuchte er, die Dsungaren mit den Kalka zu versöhnen, und lud Galdan zu Verhandlungen ein. Dieser lehnte nicht nur ein Zusammentreffen ab, sondern beantwortete die Einladung mit der Ermordung des mandschurischen Gesandten, der zu seinem Verwandten Tsewang Rabtan entsandt worden war. Hierauf fiel Galdan an der Spitze einer zahlreichen Reiterei in das östliche Land der Kalka ein und näherte sich dem Ufer des Kerülen; gleichzeitig verbreitete er das Gerücht, daß er bei den Russen Schußwaffen gekauft hätte. Die Mandschus besaßen nämlich Gewehre, wodurch sie vor den nur mit Pfeil und Bogen bewaffneten Dsungaren im Vorteil waren. Für diesmal beschränkte sich der Zusammenstoß auf unwesentliche Vorpostengefechte, nach welchen die Gegner auseinandergingen. In größerem Maßstabe begannen die militärischen Operationen im Jahre 1696, als dem mandschurischen Bannergeneral (Tsiang-kün) Subudi befohlen wurde, aus der Mandschurei zu marschieren und die Bannertruppen der Provinzen Schansi und Kansu nach dem Westen zu führen; Kaiser K'ang Hi marschierte mit der Garde auf dem mittleren Wege auf die Wüste Gobi zu. Die Mandschus hatten Artillerie in Form von Kartätschenschleudern bei sich, mußten aber die schweren Kanonen wegen der schwierigen Wegeverhältnisse zu Hause zu lassen. Nach zweimonatlichen Märschen durch die Gobi mußten die Mandschus stehen bleiben, um den unter Lebensmittel- und Wassermangel leidenden Soldaten Ruhe zu gönnen. Der anfängliche Enthusiasmus war einer Depression gewichen, besonders als die Nachricht eintraf, die sich übrigens später als falsch herausstellte, daß die Russen den Dsungaren hülfen. Der Großkanzler Isanggü und die Abteilungsführer redeten dem Kaiser zu, stehen zu bleiben und Unterstützung heranzuziehen. Ihr Zureden blieb aber ohne Erfolg. „Ich habe dem Himmel und der Erde ein Opfer gebracht", antwortete der Kaiser, „ich habe im Tempel der Vorfahren den Feldzug gegen den Feind verkündet. Wie soll ich vor die Welt treten, wenn ich zurückkomme, ohne die Feinde gesehen zu haben ? Außerdem wird der Feind, wenn unsere Truppen sich zurückziehen, mit seinen gesamten Kräften sich auf unsere westwärts marschierenden Truppen werfen, die dadurch einer großen Gefahr ausgesetzt würden." x ) Als die Mandschus zum Kerülen kamen, nahmen sie eine abwartende Stellung ein und erwarteten hier Verstärkung von den Fürsten der Kalka. Der auf dem nördlichen Flußufer stehende Galdan zögerte ebenfalls und wartete auf die Ankunft der Korcin-Banner, mit deren Hilfe er rechnete. Er war von den Mandschus durch einen gefälschten Brief irregeleitet worden. Der chinesischen Chronik zufolge wollte Galdan an die Anwesenheit des Kaisers nicht glauben, bis er von einem Berghügel das Lager mit den gelben Zelten und drachengeschmückten Fahnen K'ang Hi's gesehen hatte. Das soll die Dsungaren so in Verwirrung gebracht haben, daß sie während der Nacht abzogen. Der ihnen zur Verfolgung nachgesandte General Fiyanggü erreichte die Dsungaren am Flusse Gerelci, an welchem eine Schlacht stattfand. Dank dem erfolgreichen Manövrieren der J
) A. Posdnejew, a. a. O. S. 246.
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Chinesen erlitten die Dsungaren eine entschiedene Niederlage. Der chinesische Geschichtsschreiber erzählt über diese Schlacht: „Der General Sun Sü hatte mit dem Fußvolk der Grünen Fahne einen Hügel besetzt. Als der Feind diesen Hügel nehmen wollte und tapfer vorwärts stürmte, überfielen die mandschurischen Soldaten ihn aus unzugänglichen Stellungen. Zuerst wurde abwechselnd mit Bogen und Gewehren geschossen, darauf traten die Schildträger vor. Bei jeder Bewegung gegen den Feind wurden als Deckung Katapulte vorgeschoben. Der Feind stritt ungeachtet der Pfeile und Kugeln verzweifelt und ging bis zum Abend immer wieder vor. Alle waren erregt wie Tiger und der Wald dröhnte. Als Fiyanggu von weitem sah, daß hinter der feindlichen Front Pferde und Menschen bewegungslos standen und daraus schloß, daß dies Frauen, Kamele und Vieh seien, gab er der hinter dem Fluß verborgenen Reiterei ein Zeichen, sich durch die Front durchzuschlagen und diese unbewegliche Menge anzugreifen. Die auf den Bergen postierten Truppen erhoben das Kriegsgeschrei und machten einen Vorstoß, erst dann ward der Feind besiegt und in die Flucht geschlagen. Die Mandschus nutzten die Nacht aus und verfolgten die Flüchtlinge auf 30 Li hin (ca. 15 km); am nächsten Tage wurden die Truppen gesammelt, einige tausend Mann hingerichtet, 3000 Mann gefangen genommen und unzählige Pferde, Kamele, Rinder, Schafe, Jurten und Waffen erbeutet. Unter anderem wurde die Hatun (Königin) Anu getötet. Mit Hatun bezeichneten die Dsungaren die Gemahlin ihres Khans. Diese Hatun zeichnete sich durch Schönheit aus und war eine beherzte Streiterin. Mit kupfernem Panzer, Bogen und Pfeilen ausgerüstet, ritt sie ein merkwürdiges Tier, das ähnlich wie ein Kamel aussah, aber keins war. Die besten Krieger standen unter ihrem Befehl, nun sind auch diese den Geschossen zum Opfer gefallen." 2) Von den Mandschus geschlagen und den Truppen des mongolischen Fürsten Gendun verfolgt, floh Galdan mit einigen Anhängern nach Iii in der Hoffnung, dort seine Herrschaft wieder zu errichten. Während seiner Feldzüge war jedoch die Macht an Tsewang Rabtan übergegangen, der sich zum Khan gemacht hatte. Ebenso erfolglos waren seine Versuche, nach Tibet zu gehen oder in Rußland Unterkunft zu finden, außerdem hatten sich seine Truppen zerstreut. Darauf wandte sich Galdan nach Hami in der Hoffnung, Unterstützung beiseinen früheren Untertanen in Turkestan und in Kuku Noor zu finden. Letztere verleugneten jedoch ihren früheren Herrn, da sie die Unzufriedenheit der Mandschus zu erregen fürchteten. Als der Kaiser die hoffnungslose Lage seines Feindes erkannt hatte, beschloß er, den Dsungarenfeldzug zu liquidieren, und traf im Jahre 1697 in Ning-hia ein, wo er die wenigen Galdan treu gebliebenen öleten und Dsungaren durch Geschenke auf seine Seite brachte. Gerade als der Kaiser die Wiederaufnahme der Verfolgung vorbereitete, erfuhr er den Tod des Dsungarenkhans, der von seinen eigenen Leuten ermordet worden war. Die Hartnäckigkeit, mit welcher Kaiser K'ang Hi die Unterdrückung der Dsungaren verfolgte, beweist, daß er die Gefahr erkannte, die dem chinesi2
) A. Posdnejew, a. a. O. S. 250.
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sehen Reiche im Falle eines Sieges Galdans drohte, welcher die Vereinigung der dsungarischen Stämme anstrebte. Nunmehr war die Gefahr überwunden und die kaiserliche Regierung begann mit dem friedlichen Ausbau ihrer Stellung in Kalka, der Ansiedlung der gefangenen öleten und dem Rücktransport der Kalka in ihre Heimat, was äußerst kompliziert war. Während des Umherziehens in der südlichen Mongolei hatten die Kalka ihre administrative und sogar teilweise ihre Stammeseinteilung verloren, einige der Fürsten hatten sogar das Land gänzlich verlassen, wie ζ. B. der Verweser des Tusiyetu-Khanats, Uciton Goron, der nach Rußland ausgewandert war und dort einen besonderen Burjätenstamm der Zingolen gründete. Eine andere wichtige Sorge zur Wiederherstellung der normalen Ordnung war das Aufsuchen der abgewanderten und zerstreuten Untertanen. Die Wiederherstellung der Zinspflicht erforderte nicht geringe Anstrengungen und zog sich lange Zeit hin. Einige Stammesälteste wollten nicht zu ihren früheren Fürsten zurückkehren, da sie besssere Weidegründe gefunden hatten; einige Stämme, wie ζ. B. die Barguten, nahmen sogar den Kampf mit ihren Herren auf und zwangen diese, die Mandschus zu Hilfe zu rufen. In ihre früheren Gebiete kehrten zurück der Cecen Khan nach dem Kerülen, der Tusiyetu Khan zum Flusse Tola und der Jasaktu Khan in das Gebiet zwischen Jabhun und Kobdo. 3 ) Kaiser K'ang Hi verringerte die Zahl der regierenden Fürsten und setzte sie im Range herab, erweiterte jedoch die Zahl der Teilfürstentümer auf 72. Er behielt das frühere Regime bei, führte jedoch Neuordnungen ein, welche die Rechte der Fürsten einschränkten. Letztere wurden in direkte Abhängigkeit von Peking gebracht und mußten über die wichtigsten Angelegenheiten an das Li-fan-yüan (den Hof für die Verwaltung der Grenzmarken) oder sogar dem Kaiser selbst berichten. In rechtlicher Beziehung wurde den Fürsten das Recht entzogen, in Strafsachen Todesurteile zu sprechen. Ferner hatten sie nicht das Recht, selbständig Beziehungen zu ausländischen Regierungen zu unterhalten. Hierunter wurden die russischen Zaren verstanden, da Rußland der einzige fremde Nachbar Kalkas war und die Beziehungen zu diesem, sowohl politische als auch Handelsbeziehungen, sich unter K'ang Hi nicht unwesentlich entwickelt hatten. Zur Kontrolle über die Grenzbeziehungen wurde im Jahre 1721 vom Tusiyetu Khan als Kommissar Wanjil Dorji ernannt. Die Korrespondenz in mongolischen Sachen mußte in mandschurischer Sprache geführt werden. Zur Erleichterung des Gebrauches dieser Sprache wurde ein mandschurisches Wörterbuch, „Toli" („Spiegel"), herausgegeben und alle Erlasse und Verordnungen, die in mongolischen Angelegenheiten erschienen, in einem Kodex gesammelt. Zur Aufklärung der Kalka wurden außerdem Bücher theologisch-moralischen Inhalts herausgegeben, unter anderem der„Kandschur", eine Sammlung heiliger buddhistischer Schriften, die zu Anfang des 17. Jahrhunderts in die mongolische Sprache übersetzt worden war. Die Niederlage der Dsungaren und der Beschluß der Versammlung von Dolon Noor hatten die Mongolei in noch engere Abhängigkeit von China gebracht. s
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Von nun an geschah kein Thronwechsel ohne die Bestätigung Pekings. Gewöhnlich wurde der älteste Sohn bestimmt. In Ermangelung eines direkten Erben ging das Ho§un (Banner) an einen der Verwandten über, wurde aber auch zuweilen einem Adoptivsohn übertragen. Von hier datiert auch die Neigung zu Peking als der Quelle der Macht und der Gnadenbezeugungen. Die Mandschus begünstigten diese Tendenz und unternahmen alles, was in ihren Kräften stand, um ihre Anziehungskraft zur Geltung zu bringen. Zu demselben Zwecke bemühte sich der Pekinger Hof, zwischen den Mandschus und den Mongolen verwandtschaftliche Beziehungen zu schaffen. So verheiratete Kaiser K'ang Hi Töchter mit Kalka-Fürsten: eine mit dem Tusiyetu-Khan und eine mit dem Sain Noyan Khan; eine dritte gab er dem Öleten-Fürsten Gering Wambo. Außerdem vermittelte er einige Heiraten zwischen mongolischen Fürsten und Chinesinnen. Diese Ehen führten gewöhnlich zur Chinesierung der mongolischen Ehemänner, die sich dem kulturellen Einfluß ihrer Ehefrau unterwarfen. Wenn die chinesischen Prinzessinnen nach Kalka kamen, brachten sie ihre Verwandten und zahlreiche Bedienung mit sich, was ebenfalls den chinesischen Einiluß stark förderte. Gewöhnlich waren die Fürsten, nachdem sie mit den Mandschus in verwandtschaftliche Beziehungen getreten waren, bestrebt, ihren neuen Verwandten ähnlich zu sehen und deren Ansichten und Sitten sich zu eigen zu machen, wodurch sie ihr nationales Gepräge verloren. Außerdem verpflichtete die Verwandtschaft mit den Mandschus die Fürsten zu größeren Ausgaben, da das gesamte neu hinzugekommene Element vom Hosun ernährt werden mußte. Ein solcher Fürst war gezwungen, öfters nach Peking zu reisen, um die Beziehungen mit dem Hofe und der mandschurischen Welt aufrecht zu erhalten, was natürlich auch Geld kostete. Besonders teuer waren die Reisen der Hutuktus, die in Begleitung ihres Hofes und zahlreicher Lamas sowie mit einem Feldtempel und den nötigen Kultusgeräten nach Peking zogen. Obgleich die alten Fürsten, die an den Kämpfen mit den Dsungaren teilgenommen hatten, allmählich von der Szene verschwanden, hatte das doch nur einen ganz geringen Einfluß auf die Entwicklung des mongolischen Lebens, da die neuen Herren die alten Traditionen und vor allem den außerordentlichen Eifer zum Buddhismus übernahmen, der sich u. a. im Bau von Tempeln und Klöstern äußerte. Die Fürsten begnügten sich nicht mit dem erwähnten Kloster Erdeni Juu, sondern bauten auch Klöster in ihren Bannern. Kaum konnte sich Kalka von den Feldzügen mit Galdan erholen, als ein neuer Streit, wieder von den Dsungaren hervorgerufen, entbrannte. An der Spitze der Bewegung stand der bereits genannte Tsewang Rabtan, der die Herrschaft der Mandschus noch während des Kampfes mit Galdan anerkannt hatte und dann nach Iii ausgewandert war. Hier plante er unter dem Einflüsse der dsungarischen Vornehmen die Wiederherstellung der früheren Grenzen der Dsungarei. Die Dsungaren nomadisierten damals am Unterlaufe der Flüsse Kobdo, Ulankom und Kem, wo sie vermischt mit Kalkas wohnten. Tsewang Rabtan beanspruchte das Gebiet östlich von Iii bis zum Kem und Kemcik,
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worin Peking die Absicht sah, die früheren Grenzen wiederherstellen zu wollen. An die Banner der Kalkas erging der Ruf zu den Waffen und die mongolischen Truppen marschierten zum Altai, wo sie gemeinsam mit den mandschurischen Abteilungen den Dsungaren entgegentreten sollten. Es wurden auch militärische Maßnahmen gegen die den Dsungaren unterworfenen Uriyanggen getroffen. Die Mandschus verdrängten im Jahre 1717 deren Führer Hurultai und sandten größere Truppenteile unter der Führung des Generals Furdan nach Kalka. Tsewang Rabtan, der Vorbereitungen zum Einfall nach Hami traf, wurde von den Mandschus aufgehalten, die über Su-chou marschiert waren. Da Tsewang Rabtan keine Zeit fand, in Hami einzufallen, überfiel er die Mongolen des. Kuku-Noor-Gebietes. Seine Tochter war mit dem Sohne des tibetischen Fürsten Latsang verheiratet, was ihm Anlaß zur Einmischung in die dortigen Angelegenheiten gab. Nach der Verwüstung des Kuku-Noor-Gebietes vereinigte Tsewang Rabtan die Oirat-Stämme und bemächtigte sich nach und nach der Gebiete zwischen dem T'ien-shan-Gebirge und Tibet. Zur Abweisung des neuen Dsungarenüberfalles entsandten die Mandschus im Jahre 1719 gegen Tsewang Rabtan zwei Armeen unter dem Oberbefehl des Mandschugenerals Galbi. Er erhielt den Auftrag, die öleten aus Tibet zu vertreiben und einen neuen Dalai Lama einzusetzen, dessen Wahl Tsewang Rabtan als Vorwand zu Unruhen in Tibet und der Mongolei genommen hatte. Im Jahre 1720 schlugen die Mandschus die feindlichen Truppen und drängten sie auf die Nordseite des T'ien-shan. Darauf unterdrückten sie den Aufstand der öleten und Ho§ot. K'ang Hi vermied es, die Verfolgung des weichenden Gegner» allzuweit von der Basis auszudehnen, und rief die Armee aus der westlichen Mongolei sowie die Truppen aus Tibet und dem Kuku-Noor-Gebiet zurück; er ließ nur als Garnisonen Truppenteile in Urumci, Hami und am Altai. Nach dem Tode Tsewang Rabtans trat in der Dsungarei dank den von den Mandschus angewandten strengen Maßnahmen eine verhältnismäßige Ruhe ein. Aber schon im Jahre 1730, unter der Regierung des Kaisers Yung Cheng (1722—36), erneuerte der Dsungarenfürst Galdan Cering die Überfälle auf das hinter der Großen Mauer gelegene chinesische Gebiet; diese Überfälle veranlaßten die Pekinger Regierung, gegen Galdan Cering eine Expedition unter dem Ober" befehl des Generals Furdan zu entsenden. Zur Erleichterung des Vormarsches wurden militärische Lager in der westlichen Mongolei und eine Festung in Kobdo errichtet. Galdan Cering bemühte sich, die bei den Kalka wohnenden Öleten auf seine Seite zu bekommen, während Kaiser Yung Ch&ig seinerseits den Kalka eine Botschaft schickte, in welcher er sie vor dem Übertritt zu den Dsungaren warnte. Galdan Cering wartete den Vormarsch der Mandschus nicht ab, sondern schickte seine Truppen über Koschotu (zwischen Barkul und Hami), den gewöhnlichen Weg der Dsungaren, nach China und überfiel die HoSot. Der erste Zusammenstoß Furdans mit den Dsungaren am See Hotun Hurha Noor (hundert Werst von Kobdo) verlief für ihn ungünstig. Die mandschurische Vorhut, die aus Solon, Korcin, Tümet und andern Stämmen bestand, geriet in einen Hinterhalt und riß bei ihrer Flucht auch die folgenden Truppen mit sich.
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In Peking reagierte man auf die Niederlage mit der Hinrichtung der Truppenführer und bereitete die Revanche vor. Den regierenden Fürsten des JasaktuKhanats wurde befohlen, hinter die Große Mauer zurückzugehen; die Stämme des Sain-Noyan-Khanats sollten sich der russischen Grenze nähern, während am Flusse Kerülen, in der Mitte und im Westen von Kalka Wachtposten aufgestellt und in Cagan Noor und Kuei-hua-ch'eng (Kuku Hoton) unter der Führung des Generals Marsai Standlager aufgeschlagen wurden. Als Ende 1732 die Dsungaren wieder in Kalka eindrangen und das Land am Flusse Tamir plünderten, vereinigten sich dieses Mal die Fürsten der Kalka und bereiteten ihnen eine entscheidende Niederlage. Die Volksphantasie hat dieses Ereignis mit verschiedenen wunderbaren Legenden umgeben. Eine davon lautet, daß unter den Kundschaftern des Kalka-Fürsten Oering ein gewisser Tekehun war, der in 24 Stunden tausend Li (500 km) zurücklegen konnte. E r bestieg die höchsten Berggipfel, breitete sein Gewand aus und wurde dadurch einem schwarzer Adler mit entfalteten Flügeln ähnlich. So konnte er, von den Aufständischen unerkannt, die Lage bei den Dsungaren erkennen und über alles berichten. Während ihres Rückzuges überfielen die Dsungaren den Tempel Erdeni Juu, verwüsteten ihn und raubten die heiligen Buddhabilder. Hier wurden sie von den Mandschus und Kalka eingeholt und in die Flucht geschlagen. Der Chronik zufolge erreichte kaum ein Zehntel des Dsungarenheeres wieder die Heimat. Der Sieg der Mandschus machte den kriegerischen Plänen der Dsungarenfürsten ein Ende. Obgleich deren Königtum weiter bestand, hörte es dennoch auf, eine Rolle zu spielen. Für den Sieg über die Dsungaren erhielten die Fürsten der Kalka Ehrennamen und Auszeichnungen. Der kaiserliche Eidam Oering erhielt drei Kompagnien gefangener öleten, 2000 Pferde, 1000 Rinder, 5000 Schafe und 50 000 Unzen Silber. Außerdem wurde für ihn am Flusse Tamir ein Schloß erbaut. Die Truppenführer, welche nicht rechtzeitig Hilfe gebracht hatten, wurden verbannt und General Marsai hingerichtet, weil er den Truppen verboten hatte, Galdan zu verfolgen. An die Grenzen zwischen Kalka und der Dsungarei wurde der General Fujin mit der Residenz in Uliyasutai gesandt. E r wurde beauftragt, die Grenze festzusetzen und Orte für die Errichtung von Kastellen und Wachtposten auszusuchen, um das Überlaufen nach Rußland zu verhindern. Der wirtschaftliche Zustand der Mongolei, der während des Krieges gegen die Mandschus und der Feldzüge gegen Galdan stark gelitten hatte, hatte sich während des Krieges gegen die Dsungaren noch verschlimmert. Die Herden nahmen bei den häufigen und schnellen Platzwechseln zusehends ab. Die Bevölkerung verarmte durch die ständigen Bewegungen der zu verpflegenden Truppenteile, durch den Unterhalt der Kurier-Stationen und durch die unaufhörlichen Requisitionen an Kamelen, Pferden und Vieh. Willkür und Gewalt hatten in Verbindung mit der Verarmung der Bevölkerung das Räuberwesen entstehen lassen und trugen zum vollständigen Niedergange des einheimischen Handels und des Karawanenhandels zwischen Kiachta und Urga bei. Um den
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Räubern und Banditen aus dem Wege zu gehen, nahmen die russischen Karawanen ihren Weg über die Mandschurei nach Curuhaitu, Cicihar und Bedune. In der letzten Zeit, als der Krieg einen dauernden Charakter annahm, suchten die mongolischen Fürsten sich der Beteiligung an den militärischen Operationen zu entziehen und hörten mit der Werbung von Soldaten für die Mandschus auf. Einige Fürsten flohen sogar, um dem Militärdienst zu entgehen, nach Rußland; so wanderten im Jahre 1731 aus dem Cecen-Khanat 4000 Familien aus. Während der Herrschaft des Kaisers Yung Cheng trug die mandschurische Politik bezüglich der mongolischen Fürsten den früheren Charakter: Beschränkung der Rechte und Teilung der Banner. Die oberste Leitung der Stammesangelegenheiten ging vom Khan auf das Thing der Bannerfürsten über, die dem Stamme angehörten. Das Thing mußte sich zweimal im Jahre versammeln und verwaltete die inneren Angelegenheiten, d. h. die Einnahmen und Ausgaben, Naturalgefälle, Gerichtswesen usw. Zum Haupt des Things wurde ein „Cogulgan Dargan" ernannt, der von Peking bestätigt wurde. Im allgemeinen wurden die Khane (Könige) zu einfachen Fürsten herabgewürdigt, die das gleiche Stimmrecht auf dem Thing hatten, und deren Machtbereich den Grenzen des Hoäun (Banners) entsprach. Die Einschränkungen trafen auch die fiskalischen Rechte der Fürsten, die Ausnutzung der Banner und die Erhebung von Abgaben. Da dies aber die Einnahmen der Fürsten einschränkte, erhielten sie vom Kaiser einen Sold, die in führender Stellung 2500 Unzen Silber jährlich, die übrigen entsprechend weniger. Auch der Bildung der Mongolen wurde Beachtung geschenkt, was sich in der Herausgabe einer mongolischen Grammatik und der Werke Tsongkhapas äußerte. Dem im Jahre 1735 verstorbenen Yung Cheng folgte Kaiser K'ien Lung. Unter diesem Monarchen wurde der Friede mit den Dsungaren geschlossen, die Truppen aus der Mongolei entfernt und Festungen am Orhon sowie in Hami und Barkul erbaut; im Jahre 1739 wurde eine Grenze gezogen zwischen den Weidegründen der Kalka und der Dsungaren vom See Ubsa zum Süden und am mongolischen Altai entlang 4 ). Im Jahre 1753 begann der öletenfürst Amursana eine Fehde mit einem der Nachkommen Tsewang Rabtans. In den Kampf mischte sich der Öleten-Khan Dawaci ein, der von den Chinesen eine Unterstützung erhalten hatte. Amureana, der die Rache Dawacis fürchtete und sich den Chinesen unterwerfen wollte, entfachte einen Aufstand. Der Bürgerkrieg wurde durch die Einmischung der muhammedanischen Fürsten kompliziert, die als Geiseln in Peking wohnten,, und zwar der Brüder Burchan-Eddin und Hoschi-Schan, die unter den Namen „Großer und kleiner Hodscha" bekannt waren. Burchan-Eddin schloß sich Amursana an, der eine Niederlage erlitt, nach Sibirien floh und dort bald starb. Burchan-Eddin floh zu seinem Bruder, der seine Auslieferung an die Chinesen verweigerte. Hierauf mußten beide Brüder nach Badachschan fliehen, wo sie im Kampfe mit dem dortigen Sultan umkamen. Nach ihrem Tode wurde das T'ien-shan-Gebiet vom chinesischen General Chao Hui besetzt. 4
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Im Jahre 1781 wurde eine neue Verordnung über die Verwaltung der Mongolei erlassen, welche die Rechte der Fürsten noch mehr einschränkte. Die höchsten Posten, wie ζ. B. derjenige des Bannergenerals und kaiserlichen Residenten von Uliyasutai, wurden Mandschus vorbehalten. Durch einen besonderen Erlaß wurden die Titel bestimmt, welche an die Erben übergingen. Der Unterhalt der Behörden wurde auf die Mongolen abgewälzt und auch einige Einschränkungen bezüglich der lamaischen Geistlichkeit eingeführt. (Siehe den Kodex vom Jahre 1789.) Während der Herrschaft des Kaisers Kia K'ing (179Θ—1821) blieb die Lage der Kalka-Fürsten unverändert, aber um die mongolisch-chinesischen Beziehungen festzustellen, wurde im Jahre 1815 ein neues Reglement veröffentlicht. Unter Kaiser Tao Kuang (1821—1851) wurden die Untertanen der Sabinar-Verwaltung in zwölf Stämme geteilt, deren Verwaltung besonderen Beamten übertragen wurde. Im Jahre 1839 wurde der Posten eines mongolischen Ambans in Urga eingeführt. Unter der Herrschaft der Kaiser Hien Feng (1851— 1862), T'ung Chih (1862—1874) und Kuang Sü (1874—1908) wurden vornehmlich Verordnungen administrativer Art erlassen, die eine Vereinigung Kalkas mit Innerchina zum Ziele hatten. Was die Innere Mongolei betrifft, so ist ihre Vereinigung mit dem Imperium gleichen Schritt mit dem Vormarsch der Mandschus gegangen und auf keinerlei ernste Gegenwehr gestoßen, da das Land in eine große Zahl selbständiger Bezirke zerplittert war. Außerdem grenzte die Innere Mongolei an China, was natürlich die Tätigkeit der Pekinger Regierung erleichterte. Die Fürsten, welche die Inneren Mongolen zu verwalten hatten, waren einer schärferen Kontrolle der Pekinger Behörden ausgesetzt und genossen eine geringere Selbständigkeit. Sie hatten mandschurische Bannergeneräle und Residenten in Kaigan, Jehol und Kuei-hua-ch'eng zur Überwachung. In der südlichen Mongolei war die Kopfzahl der Stämme ganz geringfügig. Deshalb brauchten die Mandschus, wenn sie den militärischen Apparat in territoriale Bezirke teilten und Banner bildeten, den Stamm nicht in verschiedene Teilfürstentümer zu zerlegen, im •Gegenteil geschah es des öfteren, daß ein einzelner Stamm nur ein Banner bildete. Die inneren Mongolen werden ebenfalls von ihren Thinghäuptern verwaltet, doch haben diese nicht dieselbe Bedeutung wie bei den Kalka. Sie dürfen ζ. B. das Thing weder einberufen noch ihm Vorsitzen. Die Things der Inneren Mongolei werden auf Weisung von Peking einberufen und zu ihrer Eröffnung von Peking ein Würdenträger entsandt, der den Vorsitz führt. Die südlichen Mongolen werden ebenfalls in Banner (Hoüsun) eingeteilt, ihre Stammesverwalter sind jedoch in Verwaltungssachen sehr beschränkt. Neben .ihnen stehen besondere Beamte, welche das Gerichtswesen, d. h. die Erhebung von Abgaben und Steuern, leiten. Diese Beamten bereisen alljährlich die Weidegründe und kontrollieren die Stammesverwalter. Von den Maßnahmen, welche die Pekinger Regierung zur Schwächung der mongolischen Selbständigkeit und zur Sicherung der Inneren Mongolei getroffen hat, ist eine der wichtigsten die Besiedlung des Landes mit chinesischen
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Kolonisten. Die anfänglich aus der Überbevölkerung Chinas resultierende chinesische Auswanderung nach der Mongolei hat Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einen systematischen Charakter angenommen. In jenen Jahren regte sich in China dank der durch den Vertrag von Liwadia hervorgerufenen politischen Erkenntnisse die Befürchtung, daß Rußland auch die nördliche Mongolei annektieren wolle 6 ). Das Ergebnis der von Chang Chih-tung entfachten Agitation war eine Reihe von Regierungsmaßnahmen, welche die chinesische Auswanderung nach der Mongolei förderten. Damals wurde die Verordnung aufgehoben, welche den Chinesen verbot, ihre Frauen nach der Mongolei mitzuführen, in der Annahme, daß der mit der Familie nach der Mongolei ausgewanderte Emigrant dort bleiben und nicht zurückkehren werde. Durch diese Maßnahme wollte die Pekinger Regierung nicht so sehr die überschüssige Bevölkerung Innerchinas abschieben, als vielmehr die Grenzgebiete besiedeln, um dem Expansionsdrange Rußlands einen Damm entgegenzusetzen. Um die Übersiedlung zu erleichtern, wurden in der inneren und östlichen Mongolei Kolonisationsbüros errichtet, welche Bodenanteile bei den Bannern aufkauften und diese an die Kolonisten, in erster Linie Soldaten und Kulis, weiter verkauften. Ein Teil der Kaufsumme wurde an die lokalen Fürsten abgeführt. Die Mongolen sahen die chinesische Kolonisation, die ihr angestammtes Land bedrohte, natürlich nicht gern und versuchten, wenn auch erfolglos, den Zustrom der Siedler einzudämmen. Obgleich die chinesische Kolonisation in Kalka, die sich längs der großen Karawanenstraße von Kaigan nach Kiachta erstreckte, keinen intensiven Charakter annahm, ist dennoch die Welle der Siedler bis zur russischen Grenze gedrungen. Der Zustrom der Emigranten vergrößerte sich in dieser Richtung noch mehr, als die Gewinnung von Gold begann und für die Goldfelder chinesische Arbeiter angestellt wurden, von welchen ein Teil als Kolonisten zurückblieb. Hier muß bemerkt werden, daß die Verdächtigungen der Chinesen bezüglich der Annexionsbestrebungen Rußlands in der Mongolei niemals einen ernsten Grund gehabt haben. Die Tatsache der Rückerstattung des Iii-Gebietes kann als Bestätigung hierfür dienen. Die Einverleibung der Mongolei oder auch nur des an Sibirien angrenzenden Bezirkes gehörte nicht zu den Plänen der russischen Regierung, welche unmittelbarere Aufgaben in Rußland selbst zu lösen hatte. Außerdem haben sowohl die Moskauer als auch später die Petersburger Regierung gute Beziehungen zu China geschätzt und nicht durch problematische Vorteile in der Mongolei erschüttern wollen. Wenn die Umstände eine Einmischung der Zarenregierung in mongolische Angelegenheiten gefordert hätten, so wäre das nur zum Schutze elementarster Interessen geschehen, keineswegs aber als Konkurrent mit China in dessen politischen und kolonisatorischen Plänen. Eine Kolonisation der mongolischen Gebiete seitens Rußlands wäre bei der äußerst mangelhaften Bevölkerungsdichtigkeit Sibiriens sinnlos und den 5 ) Der Vertrag von Liwadia war zwischen Rußland und China im Jahre 1878 anläßlich der Rückgabe des Iii-Gebietes an China geschlossen worden. Dieser Vertrag wurde von China abgelehnt und durch den Vertrag von Petersburg im Jahre 1881 ersetzt.
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allgemeinen staatlichen Interessen zuwiderlaufend. Ein solcher Versuch würde natürlich auf Widerstand seitens der mongolischen Bevölkerung stoßen, die Rußländ sowohl der Kultur als auch der Religion nach fremd ist. Die Mongolen, sogar diejenigen, welche in ständige Berührung mit den Russen kommen, sind für die Russifizierung wenig empfänglich. Von den Mongolen kennt fast niemand die russische Sprache und unsere Kaufleute sind genötigt, sich auf Mongolisch zu verständigen. Transbaikalien könnte mit seiner burjätischen, den Mongolen verwandten Bevölkerung als Bindeglied mit Kalka dienen; die Vermittlung der Burjäten hat aber bisher dank ihren seperatistischen Bestrebungen die russischmongolische Annäherung eher gehemmt.
Kapitel IV. Die reinkaraierten Heiligen von Urga und die Wiedergeburten des Dschebdsun Damba Hutuktus. Die wunderbare Geburt Undur Gegens. Sein Einfluß auf Kaiser K'ang Hi. Der zweite Hutuktu Lobsang Damba Donmi, ein eifriger Förderer des Lamaismus. Die Verlegung der Wiedergeburt des Hutuktus von Urga nach Tibet unter Kaiser K'ien Lung. Die kurze Regierung des dritten Hutuktus. Der vierte Hutuktu Lobsang Tobdan und seine Tätigkeit zur Verbreitung des Lamaismus. Der fünfte Hutuktu Lobsang Coldan Jigmet und sein Streit mit den Chinesen. Die Untätigkeit und Zügellosigkeit des siebenten Hutuktus.
Angesichts der großen Bedeutung des Hutuktus von Urga im politischen und öffentlichen Leben der Mongolei wollen wir hier die wichtigsten Ereignisse aus der Geschichte dieses Kirchenfürsten zusammenfassen. Nach der mongolischen Legende sind die Wiedergeburten des Dschebdsun Damba Hutuktus zur Zeit des Buddhas Sakyamuni entstanden und von der Zeit an als Hubilgane (Wiedergeborene) in Indien und Tibet erschienen. Bei den Kalka erschien der erste Hubilgan im Jahre 1635, 50 Jahre nach der Einführung des Lamaglaubens und der Errichtung des ersten Klosters durch Abatai Khan. Die Geburt des ersten Dschebdsun Damba Hutuktus ist von wunderlichen Legenden umgeben. Einst sah der Enkel Abatai Khans, der Tusiyetu Khan Gombo Dorji, als er an einem von ihm errichteten „Obo" (Grenzmal in Form einer Steinpyramide) in den Weidegründen des Isun Jüil vorüberfuhr, unweit dieses einen ehrwürdigen Lama sitzen. Auf die Frage des Khans, was er hier tue, antwortete dieser, daß er „den Platz ehre". Nach dieser Antwort war er plötzlich verschwunden. Als bald nach dieser Begegnung die Gemahlin Gombo Dorjis schwanger wurde, prophezeite ihr der Cecen Khan die Geburt eines Sohnes, der das Geschick der Kalka leiten werde. Auf der Suche nach einem Platze zum Überwintern stieß Gombo Dorji zufällig auf das erwähnte „Obo" und sah eine weiße Hündin, t die geworfen hatte, was von ihm ein als gutes Vorzeichen aufgefaßt wurde. Es war tiefer Winter und der Boden mit Schnee bedeckt; als jedoch die Jurte des Khans aufgeschlagen wurde, wuchs neben ihr aus dem Boden eine weiße Blume und blühte. Als die Zeit der Gemahlin des Khans gekommen war, drang
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aus der Brust ihrer jungen Dienerin Milch. Die Jungfrau wurde verlegen und begann zu weinen in der Annahme, daß man sie verdächtigen werde. Die Gemahlin des Khans beruhigte sie aber und bemerkte, daß alles in Ordnung sei. Bald darauf gebar die Frau des Khans einen Sohn, hatte aber keine Milch und die Dienerin mußte Amme Sein. Unterdessen schickte der Cecen Khan, der seine Prophezeiung nachprüfen wollte, Wahrsager zur Besichtigung des Neugeborenen. Diese stellten fest, daß die Verlängerung der Augen des Säuglings darauf hinweise, daß er alle zehn Länder der Welt sehen könne; auf seinem Körper seien alle Anzeichen eines Buddhas vereinigt. Als das Kind drei Jahre alt war, sagte es, ohne gelernt zu haben, tibetische Gebete her und legte eine für sein Alter ungewöhnliche Ernsthaftigkeit an den Tag. Das veranlaßte Gombo Dorji, seinen Sohn in den Dienst Buddhas zu stellen, indem er ihn zum Vorsteher eines Klosters machte. Der Cecen Khan verlieh dem Geweihten den Ehrennamen Undur Gegen („Erhabener Erleuchteter"), die Fürsten schenkten ihm einige Familien ihrer Untertanen und legten damit den Grund zur sog. Sabinar-Verwaltung (der geistlichen Verwaltung der Leibeigenen des Hutuktus). Trotz des hohen Ansehens, das der neugeweihte Undur Gegen genoß, war es notwendig, seine Autorität in den Kreisen der Gläubigen durch die Fühlungnahme mit Tibet, der Wiege des Lamaismus, zu erhöhen. Deshalb unternahm Undur Gegen im Jahre 1650 eine Reise nach Lhasa, wo er ein halbes Jahr zubrachte, in den Klöstern Potala und Taschilumbo lebte und theologische Vorlesungen hörte. Während seines Aufenthaltes in Lhasa legte er auch das Gelübde als Gedsul (die zweite Stufe des Mönchstums) ab und wurde als Wiedergeburt des heiligen Täranatha erkannt. Zu jener Zeit suchten nämlich die Mönche des Klosters einen Hubilgan, d. h. eine Wiedergeburt, des erwähnten Heiligen und der Dalai Lama hoffte, daß der Patriarch von Urga, wenn er ihm einen so hohen Titel verliehen, seinen Weisungen folgen und die Kalka seinem Einfluß unterordnen werde. Als der Dalai Lama Undur Gegen nach Kalka zurückreisen ließ, gab er ihm eine ganze Reihe von gelehrten Lamas mit, welche die Mongolen im Sinne der orthodoxen Gelugpa-Sekte unterweisen sollten. Diese Sekte war von dem berühmten Reformator und Heiligen Tsongkhapa gestiftet worden, den man den Luther des Lamaismus genannt hat und dessen Name in Tibet, in der Mongolei und bei den Kalmücken fast ebenso hoch gefeiert ist, als der des Religionsstifters Buddha Sakyamuni. Tsongkhapa ist um 1356 im Lande Amdo südlich vom Kuku Noor, dem „Blauen See", an der Stelle geboren worden, wo heute das berühmte Kloster Kumbum steht, einige Tagereisen südlich der Präfekturstadt Si-ning-fu. Er ist, wie sich das bei einem Heiligen von selbst versteht, auf übernatürliche, unbefleckte Weise von seiner Mutter empfangen worden und soll schon im dritten Lebensjahre den Entschluß gefaßt haben, Mönch zu werden. Als Jüngling wanderte er durch die chinesische Provinz Yünnan nach Lhasa, wo er eifrig das Gesetz Buddhas studierte und bald die Notwendigkeit einer Reinigung und Verbesserung des bestehenden Kultus und der Disziplin erkannte und kühn als Reformator auftrat. Seine Ansichten Koro8toT«tz,
Hoagolei.
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und Bestrebungen erregten Aufsehen; zahlreiche Schüler sammelten sich um ihn, deren unterscheidendes Zeichen die gelbe Mütze wurde, während die Anhänger des alten Systems die rote Mütze trugen. Durch den Ruf seiner übermenschlichen Weisheit angelockt, scharten sich Tausende von Jüngern um ihn und so entstand im Jahre 1407 auf einem Berge in der Umgebung von Lhasa, wo er seine Residenz genommen hatte, das Kloster Galdan, d. h. „Paradiesesfreude", das Metropolitankloster der Gelben Kirche, dessen erster Abt er war, und als dieses die Zahl seiner Anhänger nicht mehr zu fassen vermochte, wurden im folgenden Jahrzehnt ebenfalls in der unmittelbaren Nähe von Lhasa die Klöster Brepung und Sera von zweien seiner Jünger gegründet, drei geistliche Stiftungen von so riesigem Umfange, daß sie noch heute insgesamt 30 000 gelbe Mönche fassen sollen. Im Jahre 1419 ist Tsongkhapa gestorben oder, wie seine Verehrer glauben, gen Himmel gefahren. Das unterscheidende Merkmal seines Gelugpa, d. h. Tugendsekte, genannten Ordens ist die gelbe Mütze im Gegensatz zu der älteren roten. Als Tsongkhapa, der Sage nach, das Mönchsgelübde ablegen wollte, hatte er seine Mütze mit Blumen verschiedener Farben geschmückt, diese aber fielen sämtlich mit Ausnahme einer gelben wieder herab; deshalb soll er später die gelbe Mütze zum Kennzeichen seiner Anhänger erhoben haben. Wahrscheinlicher hat er die gelbe Farbe nicht bloß für die Kopfbedeckung, sondern auch für die Mönchskutte aus dem Grunde an die Stelle der früher in Tibet gebräuchlichen roten gesetzt, weil er aus den heiligen Schriften sah, daß Buddha selbst und seine unmittelbaren Jünger sich stets gelber Gewänder bedient hatten, und ging hierin nur auf die ältere Praxis zurück. Die wichtigste Disziplinarreform, welche sich an die Annahme der gelben Mütze knüpfte, ist das uneingeschränkte Gebot des Zölibats für die Religiösen. Auch der Kultus ist durch ihn verändert worden, namentlich hat er die Ausübung der Magie vielfach beschränkt. Ferner hat er seinen Jüngern geboten, sich zu bestimmten Zeiten behufs geistlicher Exerzitien zurückzuziehen, und während der ersten 15 Tage des lamaischen Kirchenjahres große gemeinschaftliche Gebete zu halten 1 ). Die Legenden der Chronik umgeben die Gestalt Undur Gegen's mit dem Nimbus göttlicher Vollkommenheit. Er wird nicht nur wegen seiner Verdienste um die buddhistische Religion, die er befestigt und verherrlicht hat, gefeiert, sondern auch als weiser Staatsmann und Politiker geehrt, der es verstanden hat, die Nationalintereesen der Mongolen im Kampfe mit mächtigen Nachbarn zu wahren. Die Volkssage berichtet eine ganze Reihe von phantastischen Erzählungen über die von ihm vollbrachten Wunder, welche am Hofe des Hutuktus Leute der verschiedensten Schichten und Vermögensverhältnisse Trost und Heilung von körperlichen und seelischen Leiden gebracht haben. Undur Gegen nahm nicht nur als Geistlicher, sondern auch als weltlicher Fürst eine einflußreiche Stellung ein. Es gelang ihm, vorzügliche Beziehungen zu Peking herzustellen und die Sympathie des Kaisers und des Hofes zu erwerben. In Kalka l ) C. F. Koeppen, Die Lamaische Hierarchie und Kirche. S. 168 ff.
2. Auflage, Berlin 1906,
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stritten sich damals der Jasaktu Khan und der Tusiyetu Khan über Untertanen; dieser Streit endigte beim Aufstande des Dsungarenkhans Galdan, dessen Truppen ins Kloster Erdeni Juu eindrangen, so daß Undur Gegen in die Weidegründe der Sunit flüchten mußte. Währenddessen war nach der Niederlage der Kalka am Ologoi Noor die Frage entstanden, an wen man sich am besten um Hilfe wenden würde: an Rußland oder an China. Bekanntlich hatte Undur Gegen die Fürsten zur Anerkennung der Mandschus überredet, womit er die besondere Sympathie des Kaisers K'ang Hi errungen hatte, der ihn mit Gnadenbezeugungen überhäufte. Auf der Versammlung von Dolon Noor im Jahre 1691 verlieh K'ang Hi Undur Gegen den Titel eines „Großlamas" und beauftragte ihn mit der Verwaltung aller Glaubensangelegenheiten der lamaischen Kirche. Während des Aufstandes Galdans wohnte der Hutuktu in Peking und verbrachte den Sommer beim Kaiser in dessen Sommerresidenz Jehol. Im Jahre 1698 erkrankte K'ang Hi gefährlich und erholte sich erst, nachdem der Hutuktu Messen für ihn gelesen hatte. Die Genesung des Kaisers wurde dem Hutuktu zugeschrieben und verstärkte seinen Einfluß auf den Monarchen noch mehr. Er wurde zu Hofe eingeladen und damit ständiger Begleiter des Kaisers, der ihn mit Ehrenbezeugungen und Aufmerksamkeiten umgab. Als die Kaiserin mutter von der ungewöhnlichen Heiligkeit und den Gaben des Hutuktus gehört hatte, wünschte sie, ihn kennenzulernen. Als Undur Gegen in den Palast kam, sah die Kaiserinmutter ihn durch ein Glasfenster an und äußerte zum Kaiser, „daß der Hutuktu herrlich sei wie der Glanz des Mondes in der Vollmondnacht". Hierauf wurde der Hutuktu in den Harem eingeladen und aufgefordert, den Frauen des Kaisers eine Predigt zu halten; letztere überrreichten ihm dann einen Kranz und ein perlengeschmücktes Gewand als Geschenk. Über den Aufenthalt Undur Gegen's in Peking werden phantastische Erzählungen überliefert, in denen er als Magier und Zauberer figuriert, Wunder tut und selbst den Kaiser in Erstaunen setzt. So fragte einst K'ang Hi den Hutuktu, warum er, da er doch die Zukunft wisse, den Einfall der Oirat und die Anerkennung der Souveränität Chinas durch die Mongolen nicht vorausgesagt hätte. Undur Gegen antwortete, daß er davor gewarnt habe und daß seine Warnung sich auf der Rückseite der von ihm dem Kaiser gesandten Statue des Buddhas Ayusi befände. Als man hierauf die Statue prüfte, entdeckte man eine Inschrift, welche besagte, daß dieser Buddha dem Kaiser überreicht werde mit dem Wunsche, die Völker zu einigen und das Glaubensbekenntnis zu verbreiten. Diese Inschrift bedeutete nach der Erklärung des Hutuktus die Unterwerfung der Kalka unter die Herrschaft Chinas und die Vereinigung der Völker unter der einheitlichen Gewalt des Kaisers. „Und ich habe dies gar nicht verstanden!" antwortete K'ang Hi und befahl, dem Hutuktu Tee zu reichen. Als Undur Gegen seine Tasse empfangen hatte, spritzte er den Tee daraus in der Richtung nach dem Süden. „Warum schüttest du den Tee aus, den ich dir kredenzt habe ?" fragte der Kaiser. „Im Süden von hier ist ein Feuer ausgebrochen", antwortete Undur Gegen, „und ich habe es gelöscht". Sofort wurde nach3*
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geprüft. In der Tat erwies es sich, daß in einer Stadt der Provinz Kuangtung zu der Zeit ein großes Feuer auegebrochen war und daß, als das Feuer furchtbar um sich griff, plötzlich aus nordwestlicher Richtung ein rotbrauner Regen herabgefallen war, der das Feuer gelöscht hatte 2). Mit dem Hinscheiden des Hutuktus Undur Gegen im Jahre 1721 ergab sich die Notwendigkeit, einen Nachfolger zu suchen. Die Wahl erforderte besondere Vorsicht angesichts der Bedeutung, die schon damals dem Wiedergeborenen von Urga in der ganzen Mongolei beigemessen wurde. Endlich wurde beschlossen, daß der neue Hutuktu in der Familie des Fürsten Dondob Dorji aue den Nachkommen des Tusiyetu Khans wiedergeboren werden müsse. Der mongolischen Chronik zufolge wurde die Wahl von Undur Gegen selbst vorgenommen, der, als er das Nahen des Todes verspürte, dem Dondob Dorji befohlen haben soll, eine Jungfrau zur Ehefrau zu nehmen, welche im Jahre des Affen oder des Hahnes geboren sei 3 ), da diese die Mutter des künftigen Hubilgans werden müsse. Der Fürst Dondob Dorji hatte seine Jugend am Pekinger Hofe verlebt. Für das zügellose Leben, das er führte, wurde er verbannt und degradiert, aber durch seine Beziehungen zum Hofe begnadigt und mit einer Tochter des Kaisers Yung Cheng vermählt. Als dem Kaiser die Weissagung Undur Gegen's gemeldet wurde, befahl er Dondob Dorji, nach Kalka zu gehen und eine Jungfrau aus dem Geschlechte der Hotohoit zu heiraten, die im Jahre des Affen geboren war. Aus dieser Ehe entsproß ein Sohn, der spätere zweite Hutuktu. Übrigens wurde seine Wahl von einem scharfen Kampfe der Parteien in Kalka eingeleitet, wo alle Fürsten auf die Erhebung ihrer Kinder zur Würde der Hubilgane Anspruch erhoben und einige von ihnen sogar nach Tibet reisten, um sich die Unterstützung des Dalai Lamas zu sichern. Im vorliegenden Falle begab sich eine besondere Gesandtschaft nach Lhasa mit dem Namen von vier Kandidaten, die von mongolischen Lamas bezeichnet worden waren. Die Wahl des tibetischen Papstes fiel, wie zu erwarten war, auf den Sohn des genannten Dondob Dorji, der auch vom chinesischen Kaiser bestätigt wurde. Als das Kind im Jahre 1728 fünf Jahre alt war, wurde es Lobsang Damba Domni genannt und einem Kloster zugeteilt. Infolge des neuen Überfalles der Dsungaren mußte der Hutuktu nach Dolon Noor fliehen, wo er bis zum Tode des Kaisers Yung Cheng verblieb. Peking besuchte der Hutuktu unter der Herrschaft des Kaisers K'ien Lung, von dem er gnädig empfangen wurde. 2
) A. Posdnejew, a. a. O. ) Die Chinesen, Japaner, Mandschus, Mongolen und Tibeter rechnen die Zeit nach einem Sechzigerzyklus, der aus den zehn Himmelstämmen und den zwölf Erdästen gebildet wird. Als Erdäste gelten bei allen diesen Völkern die zwölf Bilder des ostasiatischen Tierkreises (Maus, Rind, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund, Schwein). Als Himmelstämme nehmen die Mongolen nach dem Vorbilde der Tibeter die fünf Naturkräfte (Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser), die sie, um auf die Zahl zehn zu kommen, in je ein männliches (ere) und weibliches (eme) Element zerlegen. Das Geburtsjahr des Dschebdsun Damba Hutuktus 1635 war ζ. B. ein weibliches Holz-Schweine-Jahr, das folgende ein männliches Feuer-Mause-Jahr usw. Das gegenwärtige Jahr 1926 ist ein männliches FeuerTiger-Jahr. 3
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In der Jugend zeichnete sich dieser Heilige durch zügellosen Charakter aus; die Geschichte kennt zahlreiche Erzählungen von grausamen und wilden Spielen, die jedoch von den Gläubigen in Wunder umgemodelt worden sind. So ärgerte er sich einst während eines Spazierganges am Flusse Tola über einen Begleiter und befahl ohne weiteres, ihm Steine an die Füße zu binden und ihn in den Fluß zu werfen. Zur Verwunderung sämtlicher Anwesenden ging dieser Mann jedoch nicht unter, was auf eine himmlische Einmischung zurückgeführt wurde. Ein andermal befahl der Hutuktu, als er sich über einen Jünger ärgerte, diesen an den Schweif eines wilden Pferdes zu binden. Das Pferd galoppierte davon und schleppte den Jünger nach sich. Alle waren überzeugt, daß der Unglückliche umgekommen sei; aber nach einigen Tagen erschien der Knabe, als ob nichts passiert wäre. Mit den Jahren wurde Lobsang Damba Domni gesetzter und wandte sich würdiger Tätigkeit zu. Im Jahre 1739 gründete er in Urga eine Schule zum Studium der Metaphysik, Dogmatik und Geschichte des Buddhismus. Einen großen Eifer legte er in der Errichtung von Klöstern, Kapellen und Buddhastatuen an den Tag. Die Tätigkeit des Hutuktus auf dem Gebiete der Verbreitung des Lamaismus schuf ihm einre Volkstümlichkeit, die im ständigen Zustrom von Geldopfern und Schenkungen von Hörigen Ausdruck fand. Im Jahre 1750 erreichte die Zahl der Sabinar, d. h. der Leibeigenen des Hutuktus, die Zahl 30 000. Der vom Hutuktu gewonnene Einfluß beunruhigte die Pekinger Regierung, welche zwei Vertreter nach Urga entsandte, offiziel zur Überwachung des Gesundheitszustandes des Hutuktus, tatsächlich aber zu seiner Kontrolle. Außerdem wurde zur Begrenzung des Einflusses des Hutuktus im Jahre 1754 der Posten eines Sancotba's eingeführt, d. h. eines Schatzmeisters, dem die Verwaltung der Sabinar übertragen wurde. Begründet wurde diese Maßnahme durch den Hinweis, daß der Hutuktu sich unmöglich mit weltlichen Dingen abgeben könne. Der Einfluß des Hutuktus erstreckte sich auch über die Grenzen von Kalka hinaus. Diesen Umstand nutzten wiederholt die mandschurischen Monarchen in ihren Beziehungen zu den benachbarten Stämmen der öleten, Dsungaren, Uriyanggen und anderen aus. So wandte sich im Jahre 1718 Kaiser K'ang Hi an den Hutuktu mit der Bitte um Vermittlung, um die auf Kalka vordringenden Dsungaren abzuhalten. Der Hutuktu kam dieser Bitte nach und entsandte eine Delegation zum Dsungarenkhan Tsewang Rabtan, deren Vermittlungsgesuch jedoch erfolglos blieb. Kaiser K'ien Lung wandte sich während des Aufstandes des Fürsten Amursana an den Hutuktu. Die östlichen Kalka bewahrten unter dem Einflüsse des Hutuktus die Ruhe, während die westlichen auf AnStiften des Fürsten Cenggunjab die Kurierstationen zwischen Kaigan und Urga aushoben und die Verbindung unterbrachen. Wie schon erwähnt, verfolgte Peking den wachsenden Einfluß des Hutuktus mit Mißtrauen, ebenso wie dessen nationalistische Tendenzen, die der einigenden und zentralisierenden Politik der Mandschus zuwiderliefen. Da diese Tendenzen durch das Institut der wiedergeborenen Hubilgane unterstützt wurden,
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beschieß man, dieses Institut beizubehalten, die Wiedergeburten aber nach Tibet zu verlegen. Eine solche Verlegung erschien auch deshalb wünschenswert, weil die Wahl des Heiligen in der Mongolei ständig Intrigen und Streitigkeiten zwischen den fürstlichen Familien hervorrief. Als im Jahre 1759 der Hutuktu Lobsang Damba Domni gestorben war, beschloß Kaiser K'ien Lung, die Gelegenheit zu benutzen, um die Wiedergeburt des Hutuktus in der Mongolei aufzuheben. Die Frage wurde vom Dalai Lama entschieden, der eine Verordnung über die künftige Wiedergeburt des Dschebdsun Damba Hutuktus in Tibet erließ. Obgleich diese Verordnung einen Protest der Kalka hervorrief, mußten sie doch dem Befehl des tibetischen Oberhauptes nachkommen und seither wurde der Hubilgan von Urga in Tibet wiedergeboren. Als die Fürsten die Hoffnung, einen nationalen Hutuktu zu haben, aufgeben mußten, beschlossen sie, den fremdländischen Hubilgan, der in Tibet wiedergeboren war, zu boykottieren. Von einer geheimen Versammlung sandten sie dem chinesischen Kaiser einen Bericht, in welchem sie bewiesen, daß Urga kein passender Ort für den Aufenthalt des Heiligen sei wegen der Überfälle der Nomaden und der Anwesenheit von weltlichen Elementen und Frauen; als passender Ort wurde Dolon Noor vorgeschlagen. Dieser Versuch hatte jedoch keinen Erfolg. Der Hubilgan wurde in Tibet wiedergeboren und im Jahre 1763 nach der Mongolei gebracht. Die Legende über die Inkarnation des dritten Hutuktus besagt, daß kurz vor dem Tode seines Vorgängers der Fürst der Provinzen Litan und Kam, Danji Gombo, zum Dalai Lama gekommen sei. Der Dalai Lama riet dem Fürsten, sich mit einer Tochter des tibetischen Kalon (Minister und Berater des Dalai Lamas) zu vermählen. Dieser Ehe entsproß ein Sohn, der bald durch seine frühen Begabungen die allgemeine Aufwerksamkeit auf sich zog. So wollte man, als das Kind fünf Jahre alt wurde, ihm ein Hemd von blauer Farbe überziehen; es protestierte energisch dagegen und erklärte, daß es sich weigere, ein Kleidungsstück anzulegen, welches weltliche Leute trügen, worauf man ihm die gelbe Tracht der Lamas anlegte. Das Leben und die Herrschaft des dritten Patriarchen flössen ziemlich farblos dahin. Er ist bekannt dadurch, daß er die Lamas zum Aufsagen dreier buddhistischer Gebete verpflichtete und dem einfachen Volke die populäre Redewendung „Daß du deinem Vater erschlagen mögest 1" verbot. Von ihm sind ebenfalls einige phantastische Erzählungen und Anekdoten überliefert worden. So wurde einst in Urga ein Beamter namens Schu verbannt. Er wandte sich an den Hutuktu mit der Bitte um Schutz. „Fürchte dich nicht", antwortete der Hutuktu, „dir wird kein Leid widerfahren, du wirst sogar eine Amtserhöhung erhalten". Die Prophezeiung ging in Erfüllung; der Beamte wurde freigesprochen und zum Jarguci (mongolischen Richter) ernannt. Als der Beamte nach Urga zurückkehrte, fragte er den Heiligen, warum er solche Furcht vor ihm habe. „Früher", antwortete der Gegen, „in meiner vorigen Wiedergeburt, war ich der Herr und du das Maultier, welches ich ritt. Dabei habe ich dich mit meinen Fersen angetrieben, deshalb hast du noch zwei schwarze Flecken auf
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den Rippenl" Der Beamte öffnete sein Gewand und zeigte, daß er auf den Rippen tatsächlich zwei Leberflecke hatte. Eine ebenso wunderliche Erklärung gab er in einem anderen Falle ab. Im benachbarten Kloster wohnte ein Geistlicher, der eine gute Stimme besaß, aber auch einen unmäßigen Durst; er trank einen Dombo (große Kanne) Tee in einem Zuge aus. Als man hierüber dem Heiligen berichtete, fragte er, ob jener auf dem Rücken Haare hätte, was die Lamas bestätigten. „In meiner früheren Wiedergeburt", sagte der Gegen, „war er mein Reitpferd". Der Heilige präsentierte diesem Geistlichen eine Tasse Tee, worauf er zu saufen aufhörte und menschlich trank. Dieser Heilige hatte keine Gelegenheit, seine prophetischen Gaben zur eigentlichen Anwendung zu bringen, da er im Alter von 15 Jahren starb. Nach seinem Tode begannen die üblichen Streitigkeiten der Fürsten, die zur früheren Ordnung zurückzukehren hofften, d. h. in Urga einen mongolischen Hutuktu aus ihren Geschlechtern haben wollten. Zu diesem Zwecke verbreiteten sie das Gerücht, daß der Hubilgan in der Familie des Tusiyetu Khans wiedergeboren werden würde; die Gemahlin dieses Fürsten war zudem schwanger. Die Fürsten wurden jedoch enttäuscht, da die Frau nur ein Mädchen zur Welt brachte. Währenddessen kam aus Lhasa die Nachricht, daß der Heilige dort neu erschienen sei. Es war der Sohn des ältesten Bruders des siebenten Dalai Lamas, so daß der vierte Dschebdsun Damba Hutuktu der Vetter des tibetischen Papstes war. Dieser Heilige, bekannt unter dem Namen Lobsang Tobdan, zeichnete sich durch strengen Charakter aus, was ihm den Beinamen „Doksin Düri" einbrachte, was soviel wie „strenges Gesicht" bedeutet. Er gab das Beispiel von Arbeitsamkeit und Enthaltsamkeit, verlangte von allen die Befolgung der religiösen Gebräuche und duldete keine Faulenzereien und Ausschweifungen der Lamas, die er eigenhändig mit einem Stock für diese Sünden strafte. Unter seiner Herrschaft wurden einige Tempel errichtet und aus Tibet Buddhastatuen von Manjusris, Vajrapänis, Sakyamunis und Maitreyas gebracht, sowie die Bücher des Kandschurs. Seine Frömmigkeit äußerte sich auch in anderen Formen. So rügte der Hutuktu, als er die Hinrichtung des chinesischen Ministers Shih Chung-t'ang erfuhr, den Kaiser für die Auslöschung eines Lebens und befahl ihm als Sühne die Anfertigung von 10 000 Buddhastatuen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts unternahm er eine Pilgerfahrt nach Tibet und legte in Potala, dem Kloster des Dalai Lamas, das Gelübde des Gelong (ordinierten Mönches ab). Für seine Hörigen, die bereits auf 50 000 Köpfe gestiegen waren, erließ er eine neue Verordnung über die Sabinar-Verwaltung. Dieser Hutuktu starb im Jahre 1813 auf einer Pilgerfahrt nach Wu-t'ai-shan 4). Der fünfte Hubilgan, Lobsang Coldam Jigmet, kam in Lhasa unweit des Klosters Potala unter der Herrschaft des Kaisers Kia K'ing zur Welt. Die Chronik schildert ihn als einen beschränkten und willenlosen Menschen, der vollständig unter dem Einiluß der Lamas stand. Obgleich Kaiser Tao Kuang ihm Reskripte sandte, rechnete er doch wenig mit dessen Wünschen. Als der 4 ) A. Posdnejew, a. a. O. S. 534. Wu-t'ai-shan ist ein berühmter Wallfahrtsort des Bodhisattvas Manjusr! im Osten der Provinz Schansi.
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Hutukku die Erlaubnis, eine Pilgerfahrt nach Tibet unternehmen zu dürfen, erbat, wurde ihm gestattet, für eigene Rechnung mit einer kleinen Gefolgschaft unter der Bedingung zu reisen, daß die Reise die Bevölkerung nicht belasten würde, da „es nicht anginge, das Volk Launen zuliebe mit Abgaben zu beschweren". Die Bitte des Hutuktus, die chinesischen Händler vom Hauptstadtteil zu entfernen, worum die mongolische Bevölkerung sich schon längst bemüht hatte, wurde ebenfalls abschlägig beschieden. Letzten Endes gelang es dem Hutuktu doch, den Markt in den Westen vom Gandan-Kloster zu verlegen; diese Maßnahme rief jedoch den Unwillen der Lamas hervor, da sie die Zahl der weltlichen Besucher und infolgedessen auch die Einnahmen herabsetzte. Die Kaufleute erlitten Verluste durch die Verringerung der Zahl der Käufer. Kurzum, beide Seiten waren unzufrieden und wandten sich an das Li-fan-yüan in Peking mit einer Klage gegen den Hutuktu, der sich zu der Zeit in Peking befand. Dem Hutuktu wurde Bestechung und Nichteinhaltung des Wortes vorgeworfen; er mußte eine bedeutende Summe bezahlen, um die Angelegenheit zu unterdrücken. Der sechste Hubilgan war im Gegensatz zu seinen adligen Vorgängern der Sohn eines Maultiertreibers. Die Zeit seiner Amtsbekleidung war nur kurz bemessen. Als sechsjähriges Kind nach Urga gebracht, starb er bald an den Pocken. Der siebente Hubilgan, im Jahre 1815 bei Lhasa geboren, war ebenfalls einfacher Herkunft. Auch er kam als Kind nach Urga und geriet bald unter den Einfluß des mongolischen Cecen Khans Artasit, dem es vor allem an persönlicher Bereicherung lag. Um seinen Einfluß bei der Bevölkerung zu erhöhen, verbreitete dieser Fürst das Gerücht, daß er früher ein böser Geist gewesen sei und die gegenwärtige Form dank der tugendhaften Einwirkung des Dschebdsun Damba Hutuktus erlangt hätte. Die Schwächen des Hutuktus begünstigend, brachte er allmählich die Macht an sich und besetzte alle Hof- und Kirchenämter mit seinen Verwandten aus dem Cecen Khanat. Unter seinem Einflüsse wurde der Hof des Hutuktus bald zur Stätte von Faulheit und Laster, wo Trinkgelage der Lamas an die Stelle der Gebete, Liturgien und Predigten tratein. Diese Ausschweifungen, die das Ansehen des Hutuktus schwer schädigten, veranlaßten die vernünftigeren Mönche, sich an den mandschurischen Statthalter zu wenden, der den Befehl erließ, die lasterhaftesten Mönche wegen Nichteinhaltung der Mönchsgelübde zu vertreiben und zu bestrafen. Die infolgedessen unter der mongolischen Geistlichkeit entstandene Spaltung drohte mit ernsten Folgen, als der Tod des Heiligen im Jahre 1860 dem Konflikte ein Ende machte.
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Kapitel V. Die Ereignisse in Chinesisch-Turkestan, der Kampf der Chinesen mit Dschehangir und Wali Khan Tjurja. Der Aufstand derDunganen (chinesichen Muhammedaner). Rasch-Eddin und Jakub Beg. Das Vordringen Rußlands in Mittelasien. Die Gründung eines von Jakub Beg selbständigen Khanats. Der Kampf mit China und der chinesische Oberbefehlshaber Tso Tsung-t'ang. Die Zuspitzung der russisch-chinesischen Beziehungen und der Vertrag von Liwadia.
Im 19. Jahrhundert wurde der Kampf Chinas mit den mongolischen und tatarischen Stämmen in der westlichen Mongolei und in Turkestan fortgesetzt. Nachdem die Chinesen um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Osungarei und Kaschgarien erobert hatten, legten sie in die wichtigsten strategischen Punkte Garnisonen, ernannten ihre Hakim-Begs, d. h. Gouverneure, und führten chinesische Verwaltungsformen ein. Die nur für kurze Zeit ins Land kommenden chinesischen Beamten hatten lediglich für eine möglichst rasche Bereicherung Interesse, zu welchem Zwecke sie der Bevölkerung hohe Steuern auferlegten und weitestgehend Abgaben erhoben und Gefalle erpreßten. Außerdem mußten die Einwohner Frondienste leisten, indem sie bei der Anlage von Garnisonen die Mauern, Wälle, Kasernen und Wege zu bauen hatten. Dieses strenge Vorgehen erweckte in der Bevölkerung Erregung gegen die chinesischen Behörden, die wiederholt unter der Leitung geistlicher Führer, Hodschas genannt, in Aufstände überging. SQ wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vom Hodscha Sarym Beg in Kokand der Versuch gemacht, einen Aufstand zu provozieren. Sarym Beg war der Sohn eines muhammedanischen Fürsten, Burhan Eddin, der als Geisel nach Peking gekommen war und später sich dem Aufstande des bekannten öletenfürsten Amursana angeschlossen hatte. Der Tod hinderte Sarym Beg an der Ausführung seines Planes; bald darauf stellte sich aber sein Sohn Dschehangir Hodscha an die Spitze der Unzufriedenen, die gegen den Bannergeneral des Iii-Bezirks ins Feld zogen. Es gelang Dschehangir, bedeutende Truppen zu sammeln, die aus Kaschgarer Emigranten, Uzbeken, Kiptschaken, Karakirgisen, Sipaiern und andern bestanden, mit Hilfe derer er die Chinesen schlug und Kaschgar besetzte. Danach fanden noch Aufstände in Yarkand, Yangi-Hissar und Kotan statt, wo die Einwohner zu den Aufständischen übergingen und die chinesischen Garnisonen vernichteten. Nachdem Dschehangir die Chinesen vertrieben hatte, rief er sich zum Khan aus und organisierte eine eigene Regierung. Währenddessen brachte die Pekinger Regierung, durch die Erfolge der Aufständischen besorgt gemacht, im Jahre 1828 eine bedeutende, mit Artillerie ausgerüstete Expedition ins Feld. Beim ersten Zusammenstoß erlitten die undisziplinierten und bunt zusammengewürfelten Truppen Dschehangirs eine Niederlage; er selbst floh zum Flusse Tuyun nahe der Feste Narynsk in der Hoffnung, sich nach Rußland retten zu können. Von aller Gefolgschaft verlassen, wurde er den Chinesen ausgeliefert, die ihn nach Peking brachten und dort hinrichteten. Seine Regierungszeit währte nur neun Monate.
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Nachdem die Chinesen den Aufstand niedergeschlagen hatten, fuhren sie in ihrem Regierungssystem fort, wodurch sie neue Aufstände provozierten. An die Spitze der Aufständischen stellten sich der Khan von Kokand, Madali, und der Bruder Dschehangirs, Med Jussuf. Die Aufständischen gelangten sehr bald in den Besitz der Hauptstadt Kaschgar und vernichteten die chinesische Garnison. Die Chinesen konnten nicht damit rechnen, den Aufstand durch einen Waffengang niederzuschlagen, und machten deshalb dem Khan Madali friedliche Vorschläge, der im Jahre 1831 Unterhändler nach Peking schickte. Die Verhandlungen endeten mit der Unterzeichnung eines Abkommens, nach welchem die Kokander das Recht des freien Handels in den Hauptstädten OstTurkestans sowie die Befugnis erhielten, dort ihre „Aksakalen" oder „Handelsältesten" zu stationieren. Ihrerseits verpflichteten sich die Kokander, den aufständischen Bewegungen der Hodschas entgegenzutreten. Als Hudoyar Khan im Jahre 1846 den Thron von Kokand bestieg, wiederholten die Hodschas ihren Versuch, die Chinesen zu verdrängen. Sie benutzten die Unruhen unter den Kirgisen, um einen Aufstand zu organisieren, der unter dem Namen der „Sieben-Hodscha- Rebellion" bekannt geworden ist. Der Mangel an Einigkeit vereitelte jeden Erfolg der Bewegung, die infolgedessen bald unterdrückt wurde; der Führer der Aufständischen, Kata Tjurja, wurde gefangen genommen und die Chinesen kamen erneut nach Kaschgar. Im Jahre 1857 entbrannte ein neuer Aufstand, der vom Hodscha Ali Wali angeführt wurde. Dieser sammelte ein bedeutendes Kriegsheer, vertrieb die Chinesen und rief sich zum Khan aus. Dieser Khan zeichnete sich durch außerordentliche Grausamkeit aus. Er begnügte sich nicht mit der Erhebung von Steuern und Hinrichtungen unbequemer Leute, sondern versuchte auch, die Volkssitten und religiösen Gebräuche zu ändern, indem er die Bewohner auf dem Zwangswege zu Muhammedanern machte. Den Frauen wurden die Zöpfe abgeschnitten und ihnen verboten, sich unverschieiert zu zeigen; die Männer wurden in die Moscheen getrieben und gezwungen, Turbane zu tragen. Wali Khan trieb die Grausamkeit so weit, daß er eigenhändig die Verurteilten enthauptete. Am Ufer des Flusses Kysil-Su wurde eine Pyramide aus Schädeln errichtet, die an Umfang ständig zunahm dank den Hinrichtungen dieses blutdürstigen Despoten. Unter den Opfern Wali Khans befand sich auch der deutsche Gelehrte Schlagintweit, der hingerichtet wurde, weil er sich weigerte, dem Hodscha Briefe auszuliefern, die er aus Bombay mitgebracht hatte und die an den Khan von Kokand adressiert waren 1 ). Die Herrschaft Wali Khans währte jedoch nicht lange. Ende 1857 besetzten die Chinesen Kaschgar und errichteten erneut ihre Herrschaft im Lande. Aber auch dieses Mal währte die Ruhe nicht lange. Die chinesische Politik der Knechtung der unterworfenen Völker rief erneut einen Aufstand hervor, der unter dem Namen des Dunganen-Aufstandes bekannt geworden ist. Dunganen hießen die muhammedanischen Nachkommen der von den Chinesen im 9. Jahrhundert ') A. Kuropatkin, „Kaschgarien", S. 124.
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unterworfenen Uiguren, Der Aufstand begann im Jahre 1861 in den Provinzen Schensi und Kansu und griff von dort auf Kaschgarien über; der blutigste Akt dieses Aufstandes war die Massenhinmordung von Chinesen. An die Spitze des Aufstandes stellte sich im Jahre 1862 der Hodscha Rasch-Eddin aus Kutscha, der das Gasawat, d. h. den heiligen Krieg, gegen die Chinesen proklamierte. Die in den Festungen konzentrierten chinesischen Garnisonen wurden voneinander abgeschnitten und konnten einander nicht helfen; sie waren gezwungen, entweder umzukommen oder auf die Seite der Aufständischen überzugehen. Dort, wo die Chinesen in der Mehrzahl waren, rächten sie sich grausam an den Muhammedanern und vernichteten ebenfalls wahllos alle. Die Insurgenten besetzten Si-ning-fu, Ta-t'ung-fu und Su-chou und zerstörten Alaschan, Kobdo und Bulun-tohoi. Darauf fielen die Städte Tschugutschak, Kuldscha, Manas, Urumci, Turfan, Barkul und Hami. Am längsten hielten sich Yangi-Hissar und der Gulbak (Festung) von Yarkand. Nachdem Rasch-Eddin den Chinesen eine Reihe von Niederlagen beigebracht hatte, bemächtigte er sich Kaschgariens und rief sich 1864 zum Khan aus. Da aber Rasch-Eddin kein direkter Nachfolger der in Kaschgarien herrschenden Hodschas war, entstand bald eine ihm feindliche Partei, an deren Spitze sich Sadik Beg stellte. Dieser wandte sich an den damals in Taschkent und Kokand regierenden Alim-Kul und bat ihn, Dschehangirs Sohn Busuruk Hodscha zu senden, um ihn als rechtmäßigen Prätendenten auszurufen. Busuruk war durch seine Tugenden berühmt und unter den Muhammedanern populär, verfügte aber nicht über Führerqualitäten. Als er im Jahre 1864 vor den Toren Kaschgars erschien, wurde er von den Einwohnern aufgenommen. Unter seinen Anhängern befand sich auch Jakub Beg, der später eine so große Rolle in der Geschichte Turkestans gespielt hat. Der im Jahre 1820 geborene Mahomed Jakub Beg war der Sohn eines Einwohners der Stadt Hodschent im Khanat von Kokand, der sich mit Gebeten an Krankenlagern beschäftigte. Jakub verlor seine Eltern in früher Kindheit und wurde ein Batscha (Straßentänzer); späterhin erwarb er sich durch sein einnehmendes Äußeres und seinen regen Verstand die Gunst erst des Kokander Khans Madali und später des Taschkenter Hakim Nar-Mahommed, der sich mit seiner Schwester vermählte. Die verwandtschaftlichen Beziehungen mit dem Hakim sowie der Einiluß seiner Schwester verhalfen Jakub zum Beg in der Stadt Akmetschet, auf welchem Posten ihn die späteren politischen Ereignisse antrafen, welche die Intervention Rußlands in Mittelasien hervorriefen. Nach dem Tode Madali Khans, der im Kriege mit den Bucharen gefallen war, entbrannte im Khanat von Kokand ein Streit der Parteien wegen der Thronfolge. Der Regent von Kokand, Schir-Ali Khan, wurde nach zweijähriger Herrschaft ermordet und der Thron ging auf Murad, den Sohn Alim Khans, über. Darauf ermordete der Führer der Kiptschak-Partei, Musulman-Kul, den Murad und erhob den minderjährigen Hudoyar Khan auf den Thron; er selbst wurde Regent. Hudoyar Khan wurde von seinem Bruder Mali Khan gestürzt, der an seine Stelle trat. Musulman-Kul, der die entstandenen Unruhen zu unterdrücken versuchte, wurde von den eigenen Truppen gefangen genommen und an
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Hudoyar ausgeliefert, der ihn hinrichten ließ. Hudoyar selbst wurde darauf von dem Kiptschaken Alim-Kul gestürzt, der den Thron Said Beg, dem Sohne Mali Khans, übergab. Diese Ereignisse gingen während der militärischen Operationen vor sich, welche Rußland in Mittelasien zur Unterdrückung der von der einheimischen Bevölkerung hervorgerufenen Unruhen unternahm. Die Expansion Rußlands nach Innerasien begann zur Regierungszeit Peters des Großen, der sich von Norden einen Weg nach Indien bahnen wollte. Eine zu diesem Zwecke im Jahre 1717 nach Turkestan entsandte militärische Expedition schlug fehl: die unter dem Befehl des Fürsten Bekowitsch-Tscherkaski stehende russische Abteilung wurde von den Chiwaern in die Wüste gelockt und vollkommen aufgerieben. Ebenso erfolglos war die Expedition, die Zar Paul im Jahre 1800 auf Anraten des Ersten Konsuls Napoleon Bonaparte nach Turkestan schickte, um der englischen Herrschaft in Indien einen Schlag zu versetzen. Die Armee, welche von Orenburg ausging, geriet infolge schlechter Verpflegung und mangelnder Transportmittel (Verlust der Kamele) bald in Auflösung und war gezwungen, unter großen Verlusten den Rückzug anzutreten. Ermutigt durch ihre Erfolge, unternahmen die Bucharen und die Chiwaer öfter Angriffe auf die russische Grenze, schleppten Gefangene fort und raubten das Vieh. Zur Bestrafung dieser Nomaden wurde im Jahre 1839 eine Abteilung unter dem Kommando des Generals Perowski ausgeschickt. Die Expedition blieb jedoch fruchtlos infolge der schlechten Organisation, des Mangels an Transportmitteln und der Schwierigkeit, die Verbindung mit der Operationsbasis aufrecht zu erhalten. Bedeutend erfolgreicher war der Feldzug, den derselbe Perowski 1847 unternahm. Für den Transport der Munition und der Lebensmittel wurde auf dem Wasserwege vom Aralsee den Syr-Darja entlang eine Verkehrsstraße eröffnet, was die Operationen sehr erleichterte. Die russische Armee brachte den Einwohnern der Länder Kokand und Ghiwa einige schwere Niederlagen bei und eroberte die Städte Dschulek und Akmetschet, von denen die letztere den Namen „Fort Perowski" erhielt. Zur Verteidigung gegen die Angriffe der Nomaden und zur Befestigung der russischen Herrschaft wurden am SyrDarja Fortifikationen errichtet und im Jahre 1854 die Stadt Wjernij gegründet. Die Versuche des Khans Nasrülla von Kokand — hauptsächlich im Jahre 1853, als Rußland durch den Krimkrieg abgelenkt war —, die gegen ihn errichtete Verteidigungslinie zu durchbrechen, waren erfolglos. Inzwischen brach im Khanat ein Bruderkrieg aus, der unter Beihilfe des Emirs von Buchara, Muzaffar-Eddin, mit der Absetzung Nasrullas und der Wiedereinsetzung Hudoyar Khans endete. Die damit verknüpften Unruhen riefen die Einmischung Rußlands herbei, das unter General Tschernjajew eine Expedition ausschickte, die im Jahre 1865 die Städte Tschimkent und Taschkent einnahm. Den Grund zu einer neuerlichen Einmischung, diesmal in die Angelegenheiten von Buchara, bot Rußland die auf Befehl des Emirs erfolgte Verhaftung und Einkerkerung des russischen politischen Agenten Struwe. Die Strafexpedition unter dem Kommando der Generale Kaufmann und Bomanowski endete
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mit der Flucht des Emirs Muzaffar-Eddin und der Eroberung der Stadt Samarkand im Jahre 1868. Die Begründung der russischen Herrschaft am Mittellaufe des Flusses Sarewschan und die Gründung der Stadt Krasnowodsk am Kaspischen Meere durch General Stoljetow stärkte die Position Rußlands und trug viel zur Beruhigung der Gegend bei. Doch die Friedensperiode war nicht von langer Dauer. Die feindseligen Handlungen Hudoyar Khans führten eine abermalige Intervention Rußlands in Kokand herbei und die Entsendung einer Expedition im Jahre 1875 unter der Leitung des Generals Skobelew. Die bucharische Armee erlitt eine schwere Niederlage und Hudoyar Khan mußte auf den Thron verzichten, worauf das Khanat von Rußland annektiert und in vier Distrikte aufgeteilt wurde: Fergana, Sarewschan, Syr-Darja und Amu-Darja. Der bald danach gegen Chiwa unternommene Feldzug war durch die Weigerung des Emirs Said Mohammed Rachim Bagadur verursacht worden, die russischen Kriegsgefangenen (über 20 000 Mann), welche als Sklaven behandelt wurden, freizulassen. Außerdem diente Chiwa den kirgisischen, turkmenischen, tekinischen, karakalpakischen und anderen Räuberbanden der Nomaden als Operationsbasis und Asyl bei ihren unaufhörlichen Angriffen auf russisches Gebiet. Die unter Führung General Kaufmanns ausgerüstete Expedition ging in drei Kolonnen von Orenburg, von Turkestan und vom Kaukasus her vor. Ungeachtet aller Schwierigkeiten des Feldzuges in der wasserlosen Wüste kam die Kolonne des Generals Werewkin nach Chiwa. Der Emir ergriff mit seinem ersten Minister Diwan Beg die Flucht und die Stadt wurde vom Bruder des Emirs, Ata Dschan Tjurja, dem General Kaufmann übergeben. Die Einnahme Chiwas setzte dem weiteren Widerstande der turkmenischen Stämme ein Ende und erleichterte die Aufgabe Rußlands in Mittelasien. Die vollkommene Unterwerfung Turkestans wurde 1880 durch General Skobelew vollzogen, der den Tekinern eine gewaltige Niederlage beibrachte und ihre Hauptfestung Geok-Tepe eroberte. Die Bevölkerung der Oase Merw unterwarf sich, die Fruchtlosigkeit des Kampfes einsehend, der russischen Herrschaft und beteuerte dem Oberbefehlshaber der russischen Armee, General Alichanow, ihren Gehorsam. Als die russischen Truppen unter dem Oberbefehl des Generals Tschernjajew, wie schon gesagt, auf Tschimkent marschierten, wandte sich Alim Kul, um die Russen abzuwehren, nach Taschkent, traf jedoch hier auf eine feindliche Partei mit Jakub Beg an der Spitze, der eine gewisse Kampfesroutine mit den Russen bereits erworben hatte. Zu dieser Zeit trafen in Taschkent Gesandte aus Kaschgar von Sadik Beg ein mit der Bitte, ihnen Busuruk Khan zu senden. Die darauf entstandene Konkurrenz zwischen Sadik Beg und Busuruk Khan endete, wie schon gesagt, mit der Flucht Sadiks und rückte Jakub Beg an die erste Stelle. Er wurde zum Oberbefehlshaber ernannt und machte sich an die Organisation der Streitkräfte, deren Kern die Einwohner von Andischan waren. Währenddessen rief die Einsetzung Busuruks und seine Ansprüche auf ganz Kaschgarien den Widerstand Rasch-Eddin Hodschas, der das Gebiet im Osten
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von Aksu beherrschte, und des Regenten von Yarkand, Abdur Rachman, hervor, die Truppen nach Kaschgar schickten, um Busuruk zu vertreiben. Jakub Beg schlug die Gegner Busuruks und gelangte im Jahre 1865 in den Besitz der Zitadelle von Kaschgar. Später belagerte er die Stadt Yangi-Hissar, die unter dem Oberbefehl des chinesischen Residenten stand. Jakub Beg bot ihm das Leben für die Übergabe der Festung, der tapfere Verteidiger zog es aber vor, die Festung in die Luft zu sprengen und zusammen mit der Garnison umzukommen. Dieses Ereignis fiel mit dem Tode des Khans von Kokand, Alim-Kul, zusammen, der bei der Einnahme von Taschkent im Jahre 1865 durch den General Tschernjajew im Kampfe gegen die Russen fiel. Sein Nachfolger Said Khan floh nach Dschisak und seine Truppen riefen einen gewissen Bil-Bachtschi zum Khan aus. Er hielt sich auch nicht lange und wurde zur Flucht gezwungen, um sich vor Hudoyar zu retten. Zur selben Zeit erschienen in Kaschgar der Bruder des Busuruk, Kata Tjurja, der Kaschgar während des Aufstandes der Hodschas verwaltete, BikMahommed, der Befehlshaber der Taschkenter Truppen und Mirza-Achmed- KuschBeg, der frühere Hakim Taschkents, um sich Jakub Beg entgegenzustellen. Während Jakub Beg mit der Belagerung von Yangi-Hissar beschäftigt war, entführten die in den Dienst Busuruks übergangenen Kiptschaken diesen nach Kaschgar, wo sie den Jakub für abgesetzt erklärten. Jakub versuchte die Stadt mit Gewalt zu nehmen; als dies nicht gelang, trat er in Verhandlungen mit dem Anführer der Kiptschaken, Bik-Mahommed, worauf letztere kampflos abzogen und die Stadt mit Busuruk verließen. Bald darauf setzte Jakub Busuruk ab und erhob an seiner Stelle Kata Tjurja zum Khan, ließ ihn aber, als er sich nach kurzer Zeit mit ihm überworfen hatte, ermorden und machte Busuruk von neuem zum Khan. Im Jahre 1867 hatte Jakub schon die Gebiete von Kaschgar, Yarkand und Hotan unter seine Herrschaft gebracht. Darauf gelang es ihm, seinen letzten Gegner Rasch-Eddin zu vernichten und f Aksu sowie Kuldscha zu besetzen. Dadurch lenkte er den Argwohn Rußlands auf sich und brachte dessen Einmischung zustande. Zur Sicherung der Ordnung an der Grenze entsandte die russische Regierung unter der Leitung Kolpakowskis eine militärische Expedition nach Kuldscha. Mit den Dunganen schloß Jakub einen Vertrag ab, um die Grenze zwischen ihnen nnd Kaschgarien festzusetzen. Bald aber waren diese mit den Abmachungen unzufrieden. Sie überschritten die Grenze und begannen Feindseligkeiten, •wurden aber 1869 von Jakub geschlagen, der die Städte Turfan und Urumci besetzte und 1872 auch Manas eroberte. Aber durch die Unterdrückung der Dunganen erleichterte er nur den Chinesen ihre Aufgabe. Als Jakub auf diese Weise seine Gegner beseitigt und die Städte Kaschgar, Yarkand, Hotan, Aksu, Kutscha und Sarikol besetzt hatte, wurde er zum Herrn von T'ien-shan-Nan-lu und bildete ein selbständiges Khanat. Zuerst nahm «r den Titel „Atalik-Ghazi" — Verteidiger des Glaubens —an, später „Badulet" — der Glückliche. Auch Rußland, England und die Türkei erkannten den neuen asiatischen Machthaber als Emir an und sandten spezielle Missionen und Agenten
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zur Feststellung der Grenzangelegenheiten zu ihm. An der Spitze der englischen Mission befand sich Sir Douglas Forsith. Im Jahre 1872 unterzeichnete Oberst Kaulbars mit Jakub Beg ein Übereinkommen, welches die Beziehungen Rußlands zum neuen Khanat regelte. Inzwischen hatten der Dunganenaufstand und die Eroberung von Turkestan durch Jakub Beg Pekings Ruhe gestört und die chinesische Regierung raffte sich zu militärischen Operationen auf. Der Zustand in West-China war schlimm genug: die Bevölkerung war zerstreut oder ermordet, die Städte, Dörfer und Klöster standen in Ruinen. Verkehr und Handel waren unterbrochen und das ganze Land verwüstet. Zum Oberbefehlshaber der chinesischen Armee wurde der Generalgouverneur der Provinz Kansu, Tso-Tsung-t'ang, ernannt, der bei der Rückeroberung der von Jakub Beg besetzten Gebiete eine seltene Ausdauer und Energie an den Tag legte. Im Jahr 1871 besetzte er die Stadt Su-chou. Die Besetzung hatte die Hinrichtung der Führer und ein Massaker der gesamten muhammedanischen Bevölkerung zur Folge. Der Mangel an militärischer Ausrüstung und Lebensmitteln hielten die weiteren Erfolge der Chinesen auf, die aber nach uralter Sitte zur Versorgung der Armee die Soldaten Ackerbau treiben ließen. Diese Maßnahme erforderte viel Zeit und Kräfte, besonders angesichts der Verwüstungen im Lande. Im Jahre 1876 drang Tso Tsung-t'ang bis Hami vor; nach zwei Jahren waren Ti-hua ( = Urumci) und Manas besetzt. Die Einwohner dieser Städte wurden ebenfalls erbarmungslos niedergemacht, obgleich sie kapituliert hatten. Der plötzliche Tod Jakub Begs im Jahre 1877 durch Vergiftung erleichterte die Aufgabe der Chinesen, die rasch die Hauptstadt Aksu und dann Yarkand, Kotan und Kaschgar eroberten. Jakub Beg hinterließ drei Söhne, Bik-Kuli Beg, Tschak-Kuli Beg und Hakim Kata Tjurja. Tschak-Kuli Beg wurde aber bald von seinem ältesten Bruder ermordet und Bik-Kuli Beg zum Alleinherrscher ernannt. Doch auch er war gezwungen, das Land als Flüchtling nach Fergana zu verlassen. Kaschgarien wurde von den Chinesen besetzt und zur Provinz Sinkiang gemacht. Nach der Niederschlagung des Aufstandes der Dunganen erneuerte die chinesische Regierung ihre Forderungen gegenüber Rußland betreffs der Rückerstattung von Kuldscha. Mit den diesbezüglichen Verhandlungen wurde der chinesische Gesandte in Rußland, Ch'ung-hou, betraut. Im Jahre 1879 unterzeichnete Ch'ung-hou in Liwadia (Krim), wo sich der Außenminister Giers damals aufhielt, den Vertrag über die Rückerstattung des Iii-Bezirkes, über Grenzregelungen bei Tarbagatai und über die Errichtung einiger neuer Konsulate im westlichen China. Der Vertrag bestätigte das durch frühere Übereinkommen festgesetzte Recht Rußlands auf zollfreien Handel in der Mongolei und die Besitzungen Rußlands im südwestlichen Iii-Bezirk. Einige von Ch'ung-hou zugelassene Abweichungen von seinen Instruktionen erregten den Unwillen der Pekinger Regierung, welche die Ratifizierung der Vertrages ablehnte. Ein anderer Anlaß zur Unzufriedenheit war die Weigerung der russischen Regierung, den nach Turkestan geflohenen Dunganenführer Boyenka auszuliefern. Gegen Ch'ung-hou traten chinesische Zensoren mit Anklageschrif-
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ten auf. Besonders scharf ging der bekannte Gegner der Ausländer, Mitglied der Hanlin-Akademie Chang Chih-t'ung vor, der spätere Vizekönig von Hukuang, der Ch'ung-hou des Landesverrates beschuldigte. In seiner Kritik des Vertrages von Liwadia verwies der genannte Zensor auf die Notwendigkeit, sich den Plänen der Russen in der Mongolei zu widersetzen, die ein Pufferstaat Chinas sei. Die Folge dieser Angriffe war eine Anklage wegen Landesverrats und die Verurteilung Ch'ung-hou's zum Tode. Durch die Verweigerung der Ratifikation des Vertrages und die Verurteilung Ch'ung-hou's spitzten sich die Beziehungen Rußlands zu China immer mehr zu. Es entstand die Gefahr des Bruches und sogar des Krieges, zu welchem die Chinesen von der chauvinistischen Partei und der deutschen Diplomatie angetrieben wurden; letztere dachte dadurch Rußland vom Balkan abzulenken. Die Kriegslust der Chinesen veranlaßte Rußland, ebenfalls Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen: es wurden einige Teile der Irkutsker Militärbezirke mobilisiert und in chinesischen Gewässern russische Kriegsschiffe konzentriert. Doch bald gewann in Peking die Partei der gemäßigten Politik die Oberhand; zur Beilegung des russisch-chinesischen Konfliktes wurde der bekannte Staatsmann mann Li Hung-chang hinzugezogen. Dieser wandte sich um Rat an den englischen General Gordon, der eine bedeutende Rolle bei der Unterdrückung des Taiping-Aufstandes in Südchina gespielt hatte. Gordon, der den Zustand der chinesischen Truppen gut kannte, machte die Pekinger Regierung auf die Gefahr eines Zusammenstoßes mit Rußland aufmerksam und riet, im Notfalle Kuldscha zu opfern. Zur Besänftigung der Chinesen trugen ebenso England und Frankreich bei, denen ein Krieg und ein allzu großes Erstarken Rußlands im Fernen Osten sehr ungelegen war. Wie dem auch sei, Peking entschloß sich zu einem Kompromiß, indem es sich bereit erklärte, Ch'ung-hou zu begnadigen und die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Im Jahre 1881 wurde der Petersburger Vertrag geschlossen, der chinesischerseits vom chinesischen Gesandten Marquis Tseng und russischerseits vom Außenminister Giers unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag war im wesentlichen eine Wiederholung desjenigen von Liwadia. Er regelte die Grenzfragen und den russisch-chinesischen Handel. Rußland gab an China das Iii-Gebiet zurück, während China sich verpflichtete, die Besatzungskosten zu erstatten.
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Kapitel VI. Topographische Sonderheiten der Mongolei. Zahl und Zusammensetzung der'Bevölkerung in Kalka. Khane, Jasaks und Taijis. Aimak und HoSun. Rechte und Pflichten der Fürsten. Die zentralen und lokalen Verwaltungsstellen. Aimak-Kongresse oder Culgan. Das Vorherrschen der Geistlichkeit. Sabinar-Verwaltung. Militärische Posten und die russischmongolische Grenze. Die Innere Mongolei und ihre Stämme.
Die Mongolei erstreckt sich über ein Gebiet von 1 300 000 Quadratmeilen und hat eine Bevölkerung von rund 5 Millionen Seelen. Im Norden grenzt die Mongolei an Sibirien, im Westen geht die Grenze über den südlichen Altai am Schwarzen Irtysch entlang und biegt dann nach Süden um; sie läuft den Tarbagatai-Bezirk entlang, durchquert im Südwesten die Wüste der Dsungarei und die Gobi und erreicht die Große Mauer im Departement Su-chou der Provinz Kansu. Im Südosten geht die Grenze längs der Großen Mauer, welche den Norden der Provinz Kansu umsäumt, und läuft weiter am Flusse Sira-Muren, dem Oberlaufe des Huang-ho. Im Nordwesten bildet der Altai die natürliche Grenze, der dort Sailugem genannt wird, im Norden das Sayan-Gebirge. Am nordöstlichen Ausläufer des Sailugem stehen die mit ewigem Schnee bedeckten Berge des Harkir-Gebirges, südwestlich vom See Ubsa. Der andere Abhang desselben Bergrückens, Tangnu-Ola, vereinigt sich im Osten mit den Sayan- und Hanggai-Bergen. Im Südosten von den Sayanbergen erstreckt sich die die Mongolei im Nordosten begrenzende Kentei-Kette mit ihren Schneegipfeln. Die östliche Grenze der mongolischen Hochebene wird durch das Große Hing-an-Gebirge gebildet; der die mongolische Hochebene im Süden und Westen umgebende Altai zieht sich in südlicher Richtung auf 1 500 Werst hin und verzweigt sich nach Südosten hin in einige Bergketten. Die hauptsächlichsten Schneegipfel des südlichen Altai sind: Batur-Hair-Khan, Mungke-Dsatsu-Bogda, Ischy-Bogda' und Dsatsu-Ikchy-Bogda. In ihrem südöstlichem Teile geht die Kette in einen einzigen Bergrücken über, der in der Wüste Gobi etwa 200Werst von der nördlichen Wendung des Huang-ho, des Gelben Flusses, endet. In der nordwestlichen Mongolei gibt es außer den Abhängen des nördlichen und südlichen Altai, den Sayan- und Kenteibergen, ein selbständiges Bergland Hanggai. Es besteht aus einem von Nordwesten nach Südosten gehenden langen Bergrücken, der sich vom Flusse Harkir bis zum oberen Lauf des Flusses Ogin Gool auf etwa 1000 Werst hinzieht und teilweise bis zu 10 000 Fuß aufsteigt. Im Hanggai ist der hauptsächlichste Schneegipfel der Bogda Ola oder Ocir Wani im Osten von Uliyasutai, der etwa 12000 Fuß mißt. Die hauptsächlichste Ebene der östlichen Mongolei ist die Wüste Gobi, welche sich von Südwesten nach Nordosten hinzieht und 1000 Werst lang und 500 Werst breit ist; sie erstreckt sich von Sinkiang und Kansu fast bis zum See Buir Noor. Die Wüste Gobi ist mit Gras bewachsen und von felsigen Höhenzügen, Salzvorkommen und kleinen Sandinseln durchquert. Hier und da stößt man auf Salzseen. Die andere Wüste im Südwesten vom Altai ist sandiger. Die Länge der Großen Gobi von den Ufern des Flusses Huang-ho bis zum Flusse
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Yarkand-Darja beträgt 2 300 Werst, die Breite 600 Werst. Im westlichen Teil der Wüste erstreckt sich die Bergkette T'ien-shan, die sich über die Schneelinie erhebt. Die nordwestliche Mongolei ist stärker bewässert als die östliche. Hier ziehen sich die Flüsse Yenissei, Irtysch, Selengga und Orhon hin, die alle in den Ozean münden, während die übrigen Flußsysteme kontinentale Bassins bilden. Der obere Lauf des Yenissei wird gebildet durch den Zusammenstrom der Flüsse Hua-Kem und Bei-Kem und heißt in den Grenzen der Mongolei Ulu-Kem. Die Selengga nimmt unter dem Namen Eder ihren Anfang im Hanggai-Gebirge, mündet in den Baikal-See und wird nach dem Zusammenstrom mit dem Orhon schiffbar. Die hauptsächlichsten Zuströme der Selengga sind Orhon, Tola, Kerülen und Onon. Das Gebiet der Selengga erstreckt sich von Uliyasutai bis Urga in die Gebiete der Khanate des Tusiyetu Khans und des Sain Noyan Khans. Die Tola fließt von Südwesten durch die Stadt Urga und mündet in den Orhon, der unweit von Kiachta sich mit der Selengga vereinigt. Vom westlichen Abhang des südlichen Altai fließt der Schwarze Irtysch, der in den See Zaißan mündet, nachdem er sich mit Urtschum und Kabu vereinigt hat. Von dort nimmt auch der Fluß Urunggu, der in den See Ulunggur mündet, seinen Anfang. Von übrigen unwesentlichen Flüssen sind zu nennen Tes, Sabhun, Baidarik, Narin Gool, Arguin Gool, Onggin Gool, Tuin Gool, Taca Gool. Der See Koso Gool wird mit der Selengga durch den Fluß Egin Gool verbunden; der See Ubsa wird durch die Flüsse Tes, Narin und Harkir gespeist. In den See Kara Usu mündet der Fluß Kobdo. Dieser See wird durch den Fluß Conharaikci mit dem See Durga Noor verbunden, der durch einen Nebenfluß mit dem Sabhun in Verbindung steht. Letzterer bildet zusammen mit dem Flusse Kunggui den See Airik Noor, der mit dem See Kirgis Noor in Verbindung steht. In der Ebene zwischen dem Hanggai und dem südlichen Altai liegt eine Reihe weniger bedeutender Seen wie Cagan Noor, welcher den Fluß Baidarik aufnimmt, der See Jirgalangtu, der von dem Flusse Narin Gool gebildet wird, das Orok Noor mit dem Flusse Tuin Gool, das Buir Cagan Noor mit dem Flusse Taca Gool, das Cigein Noor mit dem Flusse Arguin Gool, das Olu Noor mit dem Flusse Onggin Gool und das Dalai Noor mit dem Kerülen *). Kalka 2) oder der Osten der Äußeren Mongolei, welcher den Gegenstand unserer Beschreibung bildet, erstreckt sich auf dem nördlichen Teile der mongolischen Hochebene zwisohen den Hanggai-Bergen im Westen und dem Großen Hing-an-Gebirge im Osten. Die nördliche Grenze berührt Sibirien, die südliche die Wüste Gobi. Der nördliche Teil von Kalka ist bergig und mit Wäldern bedeckt; die Flußebenen sind reich an Weidegründen. Das Gelände senkt sich in der Richtung zum Baikal und zur Flußeböne des Amur. Die Steppen des südlichen Kalka sind arm an Vegetation und Wasser und nehmen, sich der Gobi nähernd, selbst den Charakter einer Wüste an. 1 ) Vgl. Matussowsky, Geographische Beschreibung des chinesischen Kaiserreichs. Petersburg 1883. 2 ) Das Wort Kalka bedeutet „Schild" und wird sowohl für das Land als auch für dessen Bewohner gebraucht.
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Die Bevölkerung Kalkas beträgt nach der Zählung von 1918 600 000 Seelen. Bei der Unvollkommenheit der mongolischen Statistik ist kaum anzunehmen, daß die Zahl der Wirklichkeit entspricht. Die Bevölkerung ist wahrscheinlich zahlreicher; die Mehrzahl der Forscher schätzt sie auf eine Million und mehr. Der deutsche Mongoleireisende Hermann Consten schätzt die Bevölkerimg der Mongolei sogar auf 3 Millionen (500 000 Jurten) 8 ). Im englischen „The China Year Book" für 1925 wird die Bevölkerung der ganzen Mongolei auf 2 Millionen geschätzt und die der äußeren Mongolei auf 600 000. Obgleich wir keine Angaben aus früheren Zählungen besitzen, besteht doch Grund zu der Annahme, daß der Zuwachs der Bevölkerung nur ein ganz geringer ist und den Abgang nicht deckt, d. h. daß die Bevölkerung ständig abnimmt. Etwas besser steht es in der Inneren Mongolei, aber auch dort ist der Zuwachs nur gering. Dies wird durch allgemeine wirtschaftliche Gründe bewirkt wie auch durch die Lama-Religion, welche fast die Hälfte der Bevölkerung zu Mönchen macht und von der Ehe ausschließt. Außerdem wirken ungünstige Epidemien und die antihygienische Lebensführung nebst Schnaps und Syphilis europäischer Herkunft gegen die Zunahme der Bevölkerung. Was die Schätzung der Bevölkerung nach Jurten oder Feuerstellen anlangt, so wird diese vom Mongoleiforscher Maiski in Kalka auf 125 000 geschätzt 4 ). In ethnographischer Beziehung stehen die Kalka, von denen fast eine halbe Million gezählt wird, an erster Stelle unter allen Mongolen. Die Grundlage des inneren Aufbaus der Mongolei ist die Teilung in Ho§un oder „Banner", die zu Aimak oder „Stämmen" vereinigt werden. Insgesamt werden in der Äußeren Mongolei einschließlich des Kobdo-Bezirks 115 Hoäun gezählt. In Kalka selbst gibt es 85 Hoäun, die 4 Aimaks bilden: die Khanate des Cecen Khans, des Tusiyetu Khans, des Sain Noyan Khans und des Jasaktu Khans. Das größte Hoäun ist das Banner des Dalai Coinhor Wang des SainJMoyan-Aimaks mit einer Bevölkerung von 25 000 Seelen. Die durchschnittliche Bevölkerungszahl eines Hoäun beträgt 4000 Seelen. Was die Dichtigkeit der Bevölkerung angeht, so beträgt sie bei den Kalka durchschnittlich 0,46 Einwohner pro Quadratwerst; der dichtest bevölkerte Aimak ist der des Sain Noyan Khans. B e v ö l k e r u n g von K a l k a ( ö s t l i c h e Mongolei). Aimak Einwohner Jurten Cecen Khan 101675 25 524 Tusiyetu Khan 98152 20 828 Sain Noyan Khan 111 112 25 750 Jasaktu Khan 70151 16 382 Sabinar (geistliche )-Verwaltung 70 387 —— Einzelne Hutuktus 22 636 4 869 Kobdo-Bezirk 50100 Darhaten u. ehemalige kaiserliche Besitzungen 16 000 Zusammen 540 213 93 343 a 4
) Hermann Consten, Weideplätze der Mongolen. ) A. Maiski, Die heutige Mongolei. 1921.
I. Band, Berlin 1919. 4*
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Von den 115 Bannern der Äußeren Mongolei sind 13 geistliche Fürstentümer, an deren Spitze jeweils Hubilgane oder wiedergeborene Heilige stehen. Der größte Teil der Hubilgane besitzt kein Territorium, hat aber Abgabepflichtige oder Leibeigene, welche „Sabi" (Mehrzahl Sabinar) d. h. „Jünger" genannt werden. Die Zähl der Sabinar des Hutuktus von Urga beträgt 100 000 Mann, die in ganz Kalka verstreut sind. Die hauptsächlichsten Hutuktus nach dem Dschebdsun Damba Hutuktu von Urga sind: der Dschanggiya Hutuktu, (der in Dolon Noor residierende lamaische Erzbischof von Peking), der Tschala Handeja Hutuktu und der Delobin Gegen, die in der westlichen Mongolei ihren Wohnsitz haben, der Lamain Gegen oder Erdeni Bandida Hutuktu, der Kandschur Gegen, der Mindschur Gegen, der Ilaguksan Hutuktu, der Mergen Noyan Hutuktu, der Cing Sujuktu Nomun Khan, der Naru Pantschen Hutuktu, der Dsaya Bandida Hutuktu, der gewöhnlich Dsain Gegen genannt wird, der Naran Hutuktu, der Erdeni Noyan Hutuktu, der Kanbo Hutuktu und der Sabi Siretu Hutuktu 6 ). Sozial werden die Mongolen eingeteilt in: „Taiji", d. h. Edle oder Adlige, in „Hara" (Hara Kümün, d. h. „Schwarze Menschen", nach einem chinesischen "Schriftausdruck für „Plebejer") d. h. gewöhnliche Leute, zu denen auch die „Albatu" gehören, d. h. die Leibeigenen, in „Hamjilga", d. h. das Hofgesinde der Fürsten und der Taiji, in Freie (Somun = Wehrpflichtige) und in Mönche- (Hobrog, Lamas, Bandi). Prozentual entfallen nach der Zählung von 1918 auf die Taijis 6%, auf die Leibeigenen -23%, auf die Freien 26% und auf die Mönche 45 %. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß der geistliche Stand etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmacht. Übrigens bilden die Lamas in einigen Bannern, wie ζ. B. beim Joriktu Beise 70% der Bevölkerung! Das Übergewicht der Geistlichen ist damit zu erklären, daß die Mongolen bis heute die Sitte aufrecht erhalten, einen öder zwei ihrer Söhne dem geistlichen Stande zu weihen. Der mongolische Knabe wird, ohne daß von seinen Wünschen Notiz genommen wird, in ein Kloster gesteckt. Nach einem kurzen Aufenthalt im Kloster zur Erlernung der Schrift und der Grunddogmen der Gelben Lehre leistet der junge „Bandi", d. h. Novize, das Mönchsgelübde und wird damit Mitglied der mächtigen Lama-Korporation. Trotz der vom Mönchsgelübde bedingten Einschränkungen ist die Stellung der Lamas dennoch eine privilegierte im Vergleich zu den übrigen Bevölkerungsschichten. Die Lamas sind frei von allgemeinen Abgaben und sogar von der· Arbeit, wenn man den Kirchendienst und die Ausführung der religiösen Handlungeil ausnimmt; sie sind eigentliche Parasiten, die auf Rechnung der übrigen Schichten leben. Außerdem hat der im Kloster wohnende Lama die Möglichkeit, eine gewisse Bildung zu erlangen, so daß die Klöster beim Mangel von Städten die Zentren des geistigen und kulturellen Lebens sind. Im Jahre 1918 wurden in Kalka 2648 Klöster (darunter auch Nonnenklöster) und Kapellen *) Insgesamt werden in China, Tibet und der Mongolei 160 Hubilgane gezählt, von denen· auf die Mongolei ca. 100 entfallen. Die Hubilgane werden je nach der Heiligkeit in drei Stufen geteilt. Alle Hubilgane werden auch Gegen genannt, was „Erleuchteter" bedeutet, d. h. Heiliger.
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gezählt. Jedes Ho5un hat sein Hauptkloster, das einem bestimmten Gebiete vorsteht. Das Kloster besteht gewöhnlich aus einigen Kapellen, die verschier denen buddhistischen Gottheiten geweiht sind, und um welche sich die Wohn' gebäude der Lamas und die Schulen der Novizen gruppieren. Die Lamas leben auch außerhalb der Klöster in eigenen Wohnungen und besuchen das Kloster nur an Festtagen und zum Gottesdienst. Im Kloster Erdeni Juu sind ζ. B. 1500 Lamas, von denen nur etwa ein Drittel dort wohnen; die übrigen leben in sögenannten Hoäan. Im Hofe des Hoäan, das, wie alle mongolischen Wohnstätten, von einem spitzen Bretterzaune umgeben ist, sind Jurten verstreut. Ältere Lamas bewohnen gewöhnlich ein Hoäan für sich und haben nur einige Bandi und Hobrog bei sich. Des öfteren befindet sich neben dem Kloster das Lager des Jasaks, das aus einem Baising, d. h. einem Anwesen mit Jurten und Scheunen, besteht, das ebenfalls von einem Zaune umgeben ist. Hier wohnt der Fürst im Winter ; den Sommer über zieht er umher. Wenn der Fürst das Winterquartier verläßt, folgen ihm gewöhnlich seine Untertanen. In der Nähe einiger Klöster haben sich Handelszentren gebildet, in welchen Chinesen, Burjäten und Russen wohnen; die Zahl der letzteren ist jedoch gering. Als Käufer figurieren in diesen Handelszentren die Lamas und Pilger. Bei der Eroberung Chinas im 17. Jahrhundert hatten die Mandschus den Mongolen keinerlei Tribut auferlegt und sie nur verpflichtet, gegebenenfalls Hilfe truppen zu stellen und für die Regierung Kurierlinien zu unterhalten sowie Wachtstationen an den Grenzen der eigenen Weidegründe zu errichten. Nach den Statuten des Li-fan-yüan in Peking erheben die Jasaks und Taijis, welche erbliche Würden haben, jährlich von jeder Familie nach der Menge des Viehs Abgaben, wobei das Maß der Abgabe im Falle der Darbringung von Geschenken an den Hof, von Reisen zum Culgan usw. sich erhöht. Bis zuletzt war die Abgabepilicht das Zeichen des Leibeigenschaft. Der Fürst konnte über den Leibeigenen nach seinem Ermessen verfügen, ihn ζ. B. verkaufen oder einem andern Fürsten schenken. Die Abgabepflichtigen taten Dienst im Lager ihres Fürsten und zahlten Abgaben und Zins. Außerdem erhielt jeder Fürst eine bestimmte Anzahl von „Hamjilga", d. h. Hofgesinde, zu seiner persönlichen Bedienung. Gegenwärtig sind die Formen der Leibeigenschaft so verschwommen, daß die Leibr eigenen sich wenig von den Freien unterscheiden, ja sogar in einigen Fällen eine bessere Stellung haben, weil sie nicht der Militärpflicht unterliegen. Außer den bereits aufgezählten Bevölkerungsschichten gibt es noch „Butaci", d. h. ^Bastarde". Die Banner stehen unter der Leitung der ältesten Erbkhane und Jasaks des Fürstengeschlechtes. Früher waren die Fürsten Lehnsherren und hatten neben administrativen teilweise politische Rechte; diese haben jedoch mit der Errichtung der nationalen Regierung in Urga und besonders nach dem revolutionären Umschwung ihre frühere Bedeutung verloren. An Fürstenhäusern gibt es bei den Kalka 150 Geschlechter, nach der Zahl der Banner; für das älteste und Cinggis Khan am nächsten Verwandte gilt die Familie des Tusiyetu Khans.
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Da die Banner nach den 'Namen und Titeln der Jasaks benannt werden, ändert sich mit derenTode auch die Benennung des Ho§un. Diese Änderungen verursachen einige Verwirrung, um so mehr, als bei den Mongolen die Sitte besteht, nicht den ganzen Namen des Fürsten zu gebrauchen, sondern nur die erste Silbe, ζ. B. wird der Beile Sansarai Dorji einfach San Beile genannt. Die Mongolischen Fürsten werden mit Ausnahme der Khane (Könige) auf Grund der mandschurischen Hofrangordnung in folgende sechs Stufen geteilt: Ts'inWang, Kün-Wang, Beile, Beise, Ghen-kuo-güng und Fu-kuo-kung. Der Adel erhielt von den Mandschus keine besonderen Grade, sondern behielt den altein mongolischen Titel Taiji, d. h. „Edler". Später wurden auch die Taijis in vier Klassen eingeteilt und es wurde bestimmt, daß ein Ho§un-u-jasak, d. h. der regierende Fürst eines Banners mindestens den Rang als Taiji ersten Ranges haben müsse. Den Fürsten gleichgestellte Taijis zählen zu den privilegierten Ständen und haben einige Vorrechte in gerichtlicher und steuerlicher Beziehung. Außer den fürstlichen Titeln gibt es noch Ehrentitel wie „Erdeni" (Juwel), „Darhan" (Meister), „Tusiyetu" (Verlaß, Stütze), „Daicing" (Recke), „Daläi" (Ozean), „Batur" (Held) u. a. e ). Der Jasak ist der Herr seines Banners und der in diesem wohnenden Tributpflichtigen. Zur Verwaltung der gerichtlichen, administrativen und wirtschaftlichen Angelegenheiten des Banners hat er einen Gehilfen in Gestalt des Tusalakci Taiji. Zur Verwaltung der militärischen Angelegenheiten verwendet er den Jakirokci, der seinerseits wieder einen Gehilfen hat, Meiren-i-janggin genannt. Zu den Pflichten des Jakirokci gehört die Besichtigung der Truppen des Banners, die Aufsicht über deren Ausbildungr die Waffen, die Pferde usw. Nach dem Tode des Jasaks gehen das Ho§un und der Titel auf den ältesten Sohn über; der Jasak kann aber im Einverständnis mit Peking auch einen anderen Sohn zum Nachfolger machen. Bis zur Mündigkeitserklärung eines minderjährigen Erben verwalten die ältesten Beamten das Hoäfrm. Der größte Teil der Jasaks, sowohl der Äußeren als auch der Inneren Mongolei, fähren das Leben von Nomaden wie die einfachen Mongolen; sie befassen sich mit Viehzucht, die auch die hauptsächlichste Einnahmequelle darstellt. In dieser Beziehung bringt die Steppe mit ihren primitiven Lebensbedingungen «ine große soziale Ausgleichung mit sich. Hier und da begeben sich die Fürsten nach Urga zur Begrüßung des Hutuktus oder unternehmen auch gelegentlich weitere Pilgerfahrten. Außerdem war jeder Jasak verpflichtet, einmal im Laufe •von drei Lahren nach Peking zu reisen, um sich der chinesischen Regierung vorzustellen und in seinen Erbrechten bestätigen zu lassen. Diese „ Jisa", d. h. Vorstellung oder Meldung bei Hofe, war mit größeren Ausgaben für Reise, („Albabun" = Geschenke für den Hof, deren Umfang und Art vom Li-fan-yüan vorgeschrieben waren, und Bestechungen einflußreicher Persönlichkeiten) ver') Hier wird die Beschreibung des administrativen Aufbaus in Kalka gegeben, wie ich ihn
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bunden. Da die Fürsten sich im Notfalle der Unterstützung Pekinger Wucherer bedienten, gerieten sie oft in Schulden, die auf die Banner abgewälzt wurden. Die Eintreibung dieser Schulden wurde nachher von chinesischen Beamten ausgeführt. Bei Nichtentrichtung der Schulden wurden diese in Raten gezahlt und der Prozentsatz bis 100% jährlich erhöht; das Banner verfiel in vollständige Abhängigkeit vom Geldgeber. Infolge eines solchen Systems haben einige Fürsten ihre Banner zugrunde gerichtet und sich selbst verarmt. Wie schon oben gesagt, ist die Einteilung der Kalka in Aimaks eine historische, die in den Zeiten, als die Khane vollgültige Herrscher der Aimaks waren, begründet war. Die Mandschus haben diese historische Einteilung beibehalten, ebenso wie den Titel „Khan". Sie nahmen den Königen nur die Macht und übertrugen diese dem Bundesrat der Aimakfürsten, chinesisch „Meng", mongolisch „Culgan" genannt. Der Culgan wird alle drei Jahre einberufen, um die Angelegenheiten, welche das ganze Aimak berühren, wie ζ. B. solche wirtschaftlichen und administrativen Charakters, wichtige Prozesse und Volkszählungen zu entscheiden, wobei er nach bestimmten örtlichkeiten benannt wird: Khan Ula, Bars Hoto, Cecerlik und Bindurya Noor. An der Spitze der Culgan waren anfangs die Khane belassen worden; später wurden sie durch ernannte Fürsten ersetzt, wobei dem Culgan nur das Recht zugestanden wurde, Kandidaten namhaft zumachen. Der Vorsitz im Culgan steht demCugulgan-u-darga für den zivilen Teil und dem Tusalakci Tsiang-kün für die militärischen Angelegenheiten zu. Beide wurden aus den Fürsten des betreffenden Aimaks gewählt und von Peking bestätigt. Die Angelegenheiten, welche ganz Kalka angehen, wurden von altersher vom Huruldan, d. h. dem Reichstage, geregelt; die weniger wichtigen Fragen wurden auf dem Aimak-Bundestage erledigt, worauf die Beschlüsse dem Hutuktu zur Bestätigung vorgelegt wurden. Die höchste Instanz und das Zentralverwaltungsorgan der Mongolei in Peking, das Li-fan-yüan (der „Hof für die Verwaltung der Grenzmarken"), wurde nach der Revolution durch den „Hof für die Mongolei und Tibet" (Meng-Tsang-yüan) ersetzt. Vorsitzender des Hofes ist der mongolische Fürst Gungsang Norbu. Außer diesem Hofe gibt es noch ein „Komitee zur Wiedervereinigung der Äußeren Mongolei" unter dem Vorsitze des Kalkafürsten Noyantu. Unter der chinesischen Herrschaft war der vornehmste Vertreter Pekings in der Äußeren Mongolei der mandschurische Bannergeneral (Tsiang-kün) von Uliyasutai, der sowohl die militärischen als auch die zivilen Angelegenheiten regelte und die kaiserlichen „Residenten" (Amban) zu Gehilfen hatte. Zwei von ihnen befanden sich in Urga zur Kontrolle des Tusiyetu Khans und des Cecen Khans sowie des Sabinar-Gebietes; der eine von ihnen war ein Mandschu, der andere ein Mongole. Beide hatten denselben Rang, der Mandschu nahm jedoch eine Vorzugstellung ein und war der Vermittler in den Beziehungen der Aimak-Behörden zur Pekinger Regierung. Der mongolische Amban wurde aus der Mitte der Fürsten bestimmt, sein mandschurischer Kollege war ein Beamter eines der Pekinger Ministerien und nur nach der Mongolei abkommandiert.
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Die beiden Residenten in Uliyasutai hatten weniger Selbständigkeit ale die in Urga. Sie hatten die Aimaks des Sain Noyan Khans und des Jasaktu Khans zu verwalten. Je ein weiterer kaiserlicher Resident befand sich in Kobdo zur Verwaltung des Kobdo-Bezirks und in Sira-Sume zur Verwaltung des Altai-Bezirks. Im Yamen oder der Kanzlei eines jeden kaiserlichen Residenten gab es Unterbüros: das Büro des Jarguci oder Richters und das Jisa-Büro. Dem Büro des Jarguci unterstanden alle mandschurischen und chinesischen in der Mongolei ansäßigen „einfachen Leute", deren Interessen wahrzunehmen er verpflichtet war. Im Jisa-Büro oder „Büro des Gemeingutes" wurden Prozesse erledigt, die von oder gegen Mongolen angestrengt wurden. Als Beisitzer wurde jährlich ein Jasak von jedem Kalka-Aimak zugeteilt. Die Ambans waren die Gehilfen des Bannergenerals von Uliyasutai und verkörperten die höchste administrative und gerichtliche Gewalt, mischten sich aber nicht in die inneren Angelegenheiten der Hoäun ein. Nach der Ausrufung der mongolischen' Unabhängigkeit eind die mandschurischen und chinesischen Beamten beseitigt und durch Mongolen ersetzt worden. In administrativer Hinsicht wird die Äußere Mongolei in Kalka, die Bezirke Kobdo und Altai und das Uriyanghai-Gebiet eingeteilt7). Kalka besteht aus vier Aimaks, welche, wie schon erwähnt, 86 Hoäun bilden. Außerdem werden die Hoäun in militärischer Beziehung in sog. Somun, d. h. „Pfeile" oder Kompagnien zu 150 Reitern, eingeteilt, für welche von der als Rekruteneinheit geltenden j,Feuerstelle" der Nomaden je ein Reiter aufgestellt wird. Zum Kobdo-Bezirk gehören die Westmongolen, die Oirat. Sie werden in 16 Hoäun, die im Culgan Sain Jamyagatu vereinigt sind, und drei einzelne Hoäun eingeteilt. Das Gebiet des Culgan Sain Jamyagatu wird von den Stämmen Hoit und Dürbet, mit der Stammesuntergruppe Bait, bevölkert. In administrativer Beziehung wird er in zwei „Flügel" eingeteilt: den rechten (westlichen) und den linken (östlichen), an deren Spitze je ein Fürst steht. Die erwähnten einzelnen Hoäun gehören den Stämmen Jahacin, ölet und Minggat an. Zum Altai-Bezirk gehören zwei Hoäun des Stammes Torgut (die den Culgan Cing Seciltu bilden), ein Hoäun des Stammes Hoäot und sieben Hoäun der Altaier Uriyanggen. Bis zum Jahre 1907 bildete der Altai-Bezirk ein Ganzes mit dem von Kobdo. Er gehört jetzt nicht zur autonomen Mongolei und ist der Provinz Sinkiang angegliedert worden. Zum Uriyanghai-Bezirk, der vom mongolischen Gebiet durch eine Kette von Militärposten der Kalka längs des Bergrückens Tangnu Ola getrennt wird, gehören die Gebiete der Tangnu-Uriyanghai und Sayaten. Dieses Gebiet, das in administrativer Beziehung vom Bannergeneral von Uliyasutai abhängig war, wird in Somun geteilt, die in fünf Hoäun gruppiert sind, an deren Spitze erbliche oder gewählte Uherit, d. h. Verwalter, stehen. Der oberste von ihnen ist unter dem Namen Da Noyan bekannt. Eine besondere Stelle nehmen in Kalka zwei Verwaltungen ein; die der Sabinar ') Das Uriyanghai-Gebiet grenzt an die russischen Gouvernements Irkutsk, Tomsk und Jenisseisk.
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und die der Grenzposten. Der Sabinar-Verwaltung unterstehen die Sabinar (Leibeigenen des Hutuktus von Urga), deren unmittelbare Aufsicht dem Sancotba, d. h. dem Schatzmeister, übertragen ist. Diese Verwaltung ist entstanden aus den von Fürsten dem Heiligen von Urga geschenkten Tributpflichtigen; der Sancotba gehört zum Klerus und rangiert gleich hinter dem Culgan-Präsidenten. Die Sabinar ziehen in ganz Kalka umher; angestammtes Gebiet haben lediglich die Darhat des Uriyanghai-Bezirks. Die Sabinar werden in Otok, d. h. Stämme, geteilt, nach Proklamation der Autonomie auch in Hoäun, und haben seitdem ihre Jasaks. Sie haben keine Somun und unterliegen nicht der Militärpflicht. Zum Schutze der russisch-mongolischen Grenze wurden seinerzeit besondere Posten an der Grenze gebildet, und zwar von der Station Mandschuria bis zum Tarbagataigebiet. Zur Verfügung dieser Posten (insgesamt 71) ist eine 50 Werst breite Strecke gestellt worden, so daß jeder Posten für sich ein ziemlich großes Gebiet einnimmt. Die Linie der Posten wird in drei Bezirke eingeteilt. Von Mandschuria bis Kiachta waren es 38 Posten, von Kiachta bis Jinsilik 19 Posten und dann bis Tarbagatai 24. Einige Posten führen doppelte Namen: einen mongolischen und einen russischen, so ζ. B. entspricht das russische Kiachta dem mongolischen Bura, der russische Posten Staro-Zuruhaituisk entspricht dem mongolischen Hubuljihu. Als ich nach Urga zu den Verhandlungen kam, waren die Posten von den Mongolen bereits aufgelöst und ein Teil des Bodens an die Fürsten verteilt worden. Die Innere Mongolei zieht sich längs der Großen Mauer und der Palisaden hin (chinesisch Liu-t'iao-pien „Weidenzweigzaun"), welche unter der MingDynastie zum Schutze gegen die Einfälle der Nomaden errichtet wurden 8 ), bis zur nördlichen Biegung des Flusses Huang-ho. Die Innere Mongolei wird in 49 Hoäun geteilt, welche folgende sechs Culgän bilden: Jerim, Josotu, Jao Uda, Siling Gool, Ulan Jab und Yeke Juu(die Ordos). Ein Teil des Landes wird von Chinesen bewohnt und ist den Provinzen Tschili und Föngtien einverleibt worden; die Nomaden blieben jedoch in rechtlicher Beziehung ihren Bannerbehörden unterstellt. Als Ende des vorigen Jahrhunderts der Boden für den Bau der chinesischen Ostbahn abgesteckt wurde, mußten die Agenten der Gesellschaft Verhandlungen führen und Abkommen schließen nicht nur mit den chinesischen Behörden, sondern auch mit den Vertretern einiger mongolischer Fürsten. Zum Jerim-Verbände gehören die zehn Banner der Stämme Korcin, Dürbet, Jalait und Gorlos. Der Josotu-Verband besteht aus den fünf Bannern der Stämme Karacin und Tümet. Unter dem Drucke der chinesischen Kolonisten hat ein bedeutender Teil der Karacin die Heimat verlassen und sich im Norden der Inneren Mongolei angesiedelt, wo sie Ackerbauer geworden sind. Der Verband Jao Uda besteht aus den elf Bannern der Stämme Aohan, Naiman, Aru Korcin, Kesikten, östlichen inneren Kalka, Barin, Jarut und Ongniyot. Der Verband 8
) Der „Weidenzaun" trennt die Innere Mongolei von der Mandschurei.
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Siling Gool zerfällt in die zehn Banner der Stämme Ujumucin, Haocit, Sunit, Abaga und Abaganar. Der Verband Ulan Jab besteht aus den sechs Bannern der Stämme Urat, Dürben Keüket, Maominggan und westlichen inneren Kalka. Zum Verbände Yeke Juu oder den Ordos gehören die sieben Ordosbanner Dalat, Jungar, Hanggin, Isin, Otok, Wan und Jasak. Einige Stammesverbände, wie ζ. B. Ula Jab, Siling Gool und Yeke Juu haben der Regierung von Urga den Eid geleistet. Dieser Schritt hat jedoch keine weiteren Folgen gehabt, da die Innere Mongolei vom russisch-chinesischen Übereinkommen des Jahres 1913 ausgenommen war. Die Mongolen, die in AlaSan (westlich von der Biegung des Flusses Huangho) und im Flußbecken des Ejin Gool nomadisieren, stellen Teile zweier OiratStämme der öleten in AlaSan und Torgut längs des Ejin Gool dar, wobei ein jeder dieser Teile ein einzelnes Ho§un bildet. Einige mongolische Stammesteile waren von der Mandschudynastie dem Bestände ihrer Haustruppen einverleibt und wie diese in „Banner" (mongolisch ho§ün)9) eingeteilt worden. Diese Truppenteile unterschieden sich untereinander durch die Farben ihrer Fahnen: gelb, weiß, rot und blau, wobei jede Farbe entweder eingerahmt oder nicht eingerahmt war. Somit sind folgende Benennungen für die Banner entstanden: Kübegetü Sira = Umrändertes Gelbes, Silogun Sira = Ganz Gelbes, Silogun Cagan = Ganz Weißes, Kübegetü Cagan = Umrändertes Weißes, Silogun Ulagan = Ganz Rotes, Kübegetü Ulagan = Umrändertes Rotes, Silogun Küke = Ganz Blaues, Kübegetü Küke = Umrändertes Blaues, d. h. Banner. Diese Banner-Mongolen hatten keine erblichen Fürsten und wurden von kaiserlichen Offizieren verwaltet; sie bestanden aus den Stämmen Bargut, Cahar und Tümet. Die Barguten bevölkern den Bezirk Hulun Buir und Hailar, die Cahar nomadisieren an der Großen Mauer im Norden der Provinz Tschili und die Tümet wohnen im Bezirke von Kuku Hoton zwischen den Cahar und den Ordos. *) Kontrahiert aus dem schriftgemäßen hosigun. Das Wort bedeutet eigentlich „Schnauze, Schnabel, Vorsprung" und in übertragenem Sinne die einem spitz auslaufenden „Banner" unterstellte militärische Verwaltungseinheit.
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Kapitel VII. Die früheren Beziehungen Rußlands zur Mongolei und zu China. Die Gesandtschaften der Moskauer Regierung an Altan Khan. Tümenez und Petrow. Die Anerkennung der Souveränität Moskaus. Die Gegengesandtschaft der Mongolen mit dem tibetanischen Lama Darhan. Der Kampf Moskaus mit den Kalmücken und Kirgisen. Die Mission Gretschanins und des Bojarensohnes Kartaschow. Altan Khan leistet dem Moskauer Zaren den Eid. Streitigkeiten über das Empfangszeremoniell StarkowsundNewerows. Die Unterwerfung der Kirgisen. Altan Khan und die mongolischen Fürsten werden den Mandschus tributpflichtig. Die Beziehungen Moskaus zu den Kalmücken-Taijis. Der Kampf der Russen mit den Mandschus.
Angaben der Chronik zufolge kam im Jahre 1609 eine Kosaken-Abteilung in das Quellengebiet des Yenissei, um die dort und in der Nähe des SayanGebirges umherziehenden tatarischen Stämme mit Tribut zu belegen. Diese Stämme waren die Mati, Tuba und Yessari (die jetzigen Uriyanggen und Sayaten), welche ihren Jasak (Tribut) dem mongolischen Fürsten Altan Khan zahlten, der selbst dem Jasaktu Khan tributpflichtig war. Den Kosaken gelang es, die genannten Stämme zur Anerkennung Moskaus zu bewegen und den Tribut zu erheben. Dieser Umstand war wahrscheinlich der Grund zur Ausrüstung einer besonderen Gesandtschaft der Moskauer Regierung an Altan Khan im Jahre 1616, um diesen auf die russische Seite zu bekommen. An der Sgitze der Mission standen Tümenez und Petrow. Sie wurden vom Sohne des Khans, der in der Nähe des Sees Ubsa umherzog, empfangen, im Namen des Vaters begrüßt und mit Hammelfleisch, Milch und Pferdemilch bewirtet. Bei der Vorstellung der Gesandtschaft bei Altan Khan entstanden Mißverständnisse, da die Vollmachten mit den Instruktionen des Tobolsker Wojewoden, des Fürsten Kurakin, der die Mission ausgerüstet hatte, nicht übereinstimmten. Entsprechend den Instruktionen dieses Bojaren sollten die Gesandten als seine Vertreter auftreten und die Geschenke in seinem Namen und nicht im Namen des Zaren von Moskau darbringen. Die Gesandten jedoch erklärten, sich auf den Befehl aus Moskau stütaend, daß sie Vertreter des Zaren seien und nicht verstünden, woher die Instruktionen Kurakins kämen, da sie nicht lesen und diese nicht entziffern könnten. Die Angelegenheit wurde dadurch noch verwickelter, daß im Ergänzungsbefehl, der aus Moskau diktiert war, den Gesandten vorgeschrieben war, die Kalmücken-Stämme zu Untertanen zu machen, jedoch verboten wurde, mit China und Altan Khan in Verhandlungen zu treten, solange nicht authentische Nachrichten darüber vorlägen. Trotz der widersprechenden Instruktionen fand die Audienz statt. Die Gesandten wurden von Altan Khan gnädig aufgenommen und es wurde ihm angeboten, Untertan des Moskauer Zaren zu werden, und versprochen, daß „der große Zar ihn in seine Dienste nehmen und beschenken werde". Der Chronik zufolge machte die Mitteilung der Gesandten einen großen Eindruck auf Altan Khan, welcher erklärte, daß er mit Freuden Untertan des großen Weißen Zaren Michail Feodorowitsch werden würde ünd bereit sei, ihm den Eid zu leisten. Der erste Versuch Moskaus, mit China Beziehungen anzuknüpfen, blieb erfolglos. Die Kosaken Petrow und Jalischew kamen im Jahre 1567 in Peking an,
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doch wurden sie, da sie keine entsprechenden Vollmachten und keine Geschenke mitgebrachte hatten, vom Kaiser nicht empfangen. Die Moskauer Regierung heschloß im Jahre 1618, das Wohlwollen Altan Khans zur Herstellung von Beziehungen zu China auszunutzen und eine andere Mission mit den Kosaken lwaschko Petlin und Kysilkow an der Spitze zu entsenden. Die Gesandten begaben sich von Tobolsk über Tomsk in das Reich des Kirgisenfürsten Nogim und sodann an die Flüsse Abakan und Kemcik ins Lager Altan Khans. In der Chronik ist eine Beschreibung dieser Gesandtschaft nicht vorhanden; es ist nur bekannt, daß die Gesandten vom tibetischen Lama Darhan nach China begleitet wurden. Obwohl es ihnen nicht gelang, dem Kaiser vorgestellt zu werden, erhielten sie doch einen Brief zur Übergabe an den Moskauer Zaren. Altan Khan übenahm gern die Vermittlung zwischen Moskau und China. Er war bestrebt, in den Augen der Russen Bedeutung zu erlangen, indem er zeigte, daß er Verbindungen und Einfluß in Peking habe. Gleichzeitig hoffte er, sich Verdienste bei den Chinesen zu schaffen und gelegentlich zu erfahren, was bei den mächtigen Nachbarn vorgehe. Im nächsten Jahre wurde derselbe Lama Darhan von Altan Khan zum Zaren nach Moskau geschickt. Aus der Chronik geht hervor, daß die mongolischen Abgesandten vom Zaren empfangen wurden, dem sie einen Brief und Geschenke überreichten. Im Briefe an den Zaren meldete Altan Khan die Ankunft der Moskauer Gesandten Iwan und Andrei, die von ihm mit den Lamas Darhan und Biliktei nach China entsandt worden wären. Weiter bat der Khan um die Einführung ständiger diplomatischer und Handels-Beziehungen mit Moskau. Da der Verkehr durch die Kalmücken des Taijis Karakul bedroht wurde, bat der Khan, daß den Wojewoden von Tobolsk und Tomsk vorgeschrieben werde, Truppenteile zu gemeinsamem militärischen Vorgehen mit den Abteilungen - des Khans gegen die Kalmücken zu entsenden. In einer Unterhaltung mit den Moskauer Bojaren bezüglich seines Ranges und des Empfangszeremoniells teilte Darhan mit, daß er den höchsten geistlichen Posten, ähnlich den russischen Metropoliten, einnehme und vom Haupte der Lama-Kirche, dem Hutuktu, ernannt werde. Niemand von den Nachbarn wage es, mit dem Hutuktu Krieg zu führen, aus Ehrerbietung vor seiner geistlichen Stellung. Wenn die Lamas zum Hutuktu kämen, verneigten sie sich dreimal bis zur Erde und der Hutuktu lege seine Hände auf sie. Wenn sie sich dem chinesischen Kaiser oder einem anderen gleichgläubigen Monarchen vorstellten, so legten sie, wie der Hutuktu, die Hände auf diese. Die Mongolen glaubten an Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, und an den Hutuktu. Letzterer sei geschaffen worden gleichzeitig mit Himmel und Erde und gelte als unsterblich. Wenn sein Geist sich in den Himmel zur Vereinigung mit Gott begebe, so bleibe sein Körper auf der Erde. Nachdem er von Gott das Leben erhalten, kehre er wieder auf die Erde in Form einer Gottheit zurück, welche alle Mongolen anbeteten. In dem Antwortschreiben des Zaren, das Altan Khan im Jahre 1620 zuging, gab die Moskauer Regierung ihre Zustimmung zum gemeinsamen Vorgehen
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gegen die Kalmücken und brachte ihr Bedauern zum Ausdruck, daß sie die Bitte Altan Khans um die Zusendung einiger Gegenstände, wie eines Argamak (Vollblüters) und eines Zwerges nicht erfüllen könne, da solche zurzeit in Moskau nicht vorhanden seien. Die übrigen Geschenke des Zaren bestanden aus Brokatj Damaskus-Seide, Stoffen, silbernen Trinkgefäßen, Waffen und Edelsteinen. In einem anderen Schreiben erteilte die Moskauer Regierung Altan Khan einen strengen Verweis wegen seiner Einmischung in die Angelegenheiten der Kirgisen, die gegen Moskau gerichtet war. Die Kirgisen-Fürsten Nemek, Nomtschak, Kora u. a. galten von altersher als Tributpflichtige Moskaus und zahlten ihren Tribut in Pelzwaren, meistens Zobel, an die Wojewoden von Tomsk. Altan Khan verlangte von ihnen die Entrichtung des Jasak und verstieß damit gegen die Rechte der Moskauer Regierung. Aus der Chronik geht hervor, daß bald nach der Rückkehr der Mission Petiins der Wojewode von Tobolsk eine neue Expedition nach der Mongolei mit dem Kosakenältesten Andrei Scharygin und dem Ataman Wassilij Tümenez an der Spitze entsandte und ihnen auftrug, einen Wasserweg längs des Yenissei nach China ausfindig zu machen. Weitere Angaben über diese Expedition sind nicht auf uns gekommen. Hiernach trat eine Unterbrechung in den Beziehungen zwischen Moskau und China durch die Vermittlung der mongolischen Khane ein. Die Moskauer Regierung wollte sich auf das Studium ihrer östlichen Nachbarn beschränken und in keinerlei offizielle Beziehungen zu ihnen treten, was auch, unter anderem aus der dem Wojewoden von Tomsk, dem Fürsten Schachowski, erteilten Instruktion hervorgeht. Es wurde ihm vorgeschrieben, die Beziehungen zu Altan Khan, zu China und zu den Mongolen abzubrechen, „da diese Länder weit entfernt und die Handelsbeziehungen zu ihnen schwierig seien". Überhaupt kam man in Moskau zu der Überzeugung, daß die Beziehungen zu Altan Khan keinerlei Vorteile versprächen und daß letzterer nur Geschenke erwarte. Die Schwankungen Moskaus betreffs der Beziehungen zu der Mongolei und China sind ebenfalls aus der Befürchtung zu erklären, in die Zwistigkeiten, die in diesem Lande im Zusammenhange mit dem Vorgehen der Mandschus entstanden waren, einbezogen zu werden. Außerdem war die Aufmerksamkeit der Moskauer Regierung vom Kampfe mit den sibirischen Stämmen, den Kalmücken, Burjäten, Tungusen und besonders den Kirgisen in Anspruch genommen. Letztere suchten Unterstützung bald bei der Moskauer Regierung, bald bei Altan Khan, Im Jahre 1616 unterwarfen die Kosaken von Tomsk die Kirgisen und zwangen diese, den Jasak an Moskau zu entrichten; bald darauf schüttelten aber die Kirgisen die Herrschaft Rußlands ab und zahlten ihren Tribut an Altan Khan 1 ). Dieser Herrscher suchte, von Moskau angespornt, als Vermittler zwischen den Russen und den Kirgisen aufzutreten. Ein Übereinkommen wurde jedoch nicht erzielt; die Kirgisen bedrohten die Städte Krasnojarsk und Kusnezk und John Fr. Baddeley, Russia, Mongolia, China.
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vereinigten sich darauf mit den Kalmücken zum gemeinsamen Vorgehen gegen die Russen. Um Altan Khan zu energischerer Tätigkeit anzuregen, entsandte die Moskauer Regierung im Jahre 1636 an den oberen Yenissei eine neue Mission, der sich auch die in Moskau befindlichen Gesandten Altan Khans anschlossen. Mit der Führung der Verhandlungen wurden Stepan Gretschanin und der Bojarensohn Kartaschow betraut; letzterer wurde bei dem einflußreichen Bruder des Khans, Dayan Nojan, akkreditiert. An der Grenze wurden sie vom Schwiegersohne des Khans, Baba Tabun, empfangen, der sie in das Lager des Khans brachte. Die Audienz beim Khan wurde mit den traditionellen Streitigkeiten über das Empfangszeremoniell eingeleitet, die dadurch hervorgerufen wurden, daß der Khan sitzen blieb, als er sich nach dem Gesundheitszustande des Moskauer Zaren erkundigte. Gretschanin legte die Ansprüche der Moskauer Regierung dar und verlangte vor allem die Niederwerfung des Aufstandes der Kirgisen. Der Khan seinerseits äußerte seinen Unwillen über seine Benennung in dem Schreiben des Moskauer Botschafters als „Knecht", beschwerte sich über die Forderung, einen persönlichen Eid über die Tributpflicht zu leisten, und machte geltend, es sei nicht angebracht, daß ein Zar dem andern einen persönlichen Eid leiste. Nach langwierigem Streite wurde das kränkende Wort „Knecht" durch das Wort „Untertan" ersetzt und der Eid vom Minister des Khans, Dural Tabun, und dem Lama Dayan Mergen im Beisein des Khans darüber geleistet, daß Altan Khan sich mit seiner Familie und der ganzen Horde auf ewig zum Untertanen des Zaren Michail Feodorowitsch und der Großfürsten Alexei und Iwan Michailowitsch bekenne. Der Khan versprach, die russischen Gesandten nach China und Tibet zu bringen und bei der Unterwerfung der widerspenstigen Stämme unter Rußlands Herrschaft behilflich zu sein, jedoch unter der BeBorS»»f'j as aV-
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AUSSERE MONGOLEI (KALCHA)
nach den Originalskizzen von J.J.u.FJ. KOROSTOVETZ Maßsrab: 80Werst = lZoll(engl.) Momim
Erklärungen: δ
Camp oder Fürstenresidenz
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Stadt, tort
Wegeu.
Tempel, Kure
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