Vom Weltstaat: Hobbes’ Sozialphilosophie - Soziobiologie - Realpolitik 9783050070698, 9783050026817


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INHALT
EINLEITUNG
TEIL 1. VOM MENSCHEN
TEIL 2. VOM STAAT
TEIL 3. DIE LEVIATHANE UNTER SICH
LITERATUR
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Vom Weltstaat: Hobbes’ Sozialphilosophie - Soziobiologie - Realpolitik
 9783050070698, 9783050026817

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Thomas Möhrs Vom Weltstaat

Politische Ideen Herausgegeben von Herfried Münkler

Band 2

Die politische Ideengeschichte hat seit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West, der Transformation der Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, aber auch mit der seit dem Wegfall des klassischen Gegenbildes dringender gewordenen Fragen nach Werten und Zielen der westlichen Demokratien, nach der Möglichkeit von Gemeinwohlorientierungen usw. neue Bedeutung gewonnen. Gibt es in dem zunehmend differenzierten und segmentierten Fach Politikwissenschaft einen Bereich, in dem die verschiedenen Fragestellungen und Ansätze zusammengeführt werden, so ist dies die Geschichte der politischen Ideen sowie die politische Theorie. Insbesondere die politische Ideengeschichte erweist sich dabei als das Laboratorium, in dem gegenwärtige politische Konstellationen gleichsam experimentell an den Theoriegebäuden vergangener Zeiten überprüft, durchdacht und intellektuell bearbeitet werden können. Eine so verstandene politische Ideengeschichte ist gegenwartsbezogen, auch wenn sie sich den aktuellen politischen Problemen nur mittelbar zuzuwenden scheint. Die hier neubegründete Reihe soll ein Ort für die Publikation solcher Studien sein. Sie wird herausragende Texte zur politischen Ideengeschichte und zur politischen Theorie veröffentlichen.

Thomas Möhrs

Vom Weltstaat Hobbes' Sozialphilosophie • Soziobiologie • Realpolitik

Akademie Verlag

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Möhrs, Thomas: Vom Weltstaat: Hobbes' Sozialphilosophie, Soziobiologie, Realpolitik /Thomas Möhrs. - Berlin : Akad. Verl., 1995 (Politische Ideen; Bd. 2) Zugl.: Passau, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-05-002681-2 NE: GT

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1995 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z. 39.48 - 1 9 8 4 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck: GAM MEDIA GmbH, Berlin Bindung: Dieter Mikolai, Berlin Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Für Sarah, Mirjam, Magdalena und Matthias-Daniel

INHALT

0.

Einleitung

XIII

1. 1.1

Was ist Soziobiologie? Was ist biopolitics?

XIII XV

2. 2.1

Warum Hobbes? XVI Hobbes' Verständnis von praktischer Philosophie XXIII

3.

Aufbau, Methode und Zielsetzung der Arbeit

XXVII

TEIL 1

VOM MENSCHEN

I.

1. 1.1

Hobbes und die Soziobiologie - Vergleich zweier Menschenbilder

1.2

Der Mensch aus soziobiologischer Sicht Der Mensch: "Selbstorgansiertes System ohne übergeordneten Macher" Der Mensch als "Überlebensmaschine"

2. 2.1.

Das Scheinproblem des "Altruismus" Kin selection

1 4 4 8 10 12

2.2.

Reziproker Altruismus

3.

Der Kampf ums Dasein - Formen menschlicher Aggressivität "Was du nicht willst, daß man dir tu'..." Aggressionshemmung beim Menschen Tötungshemmung

3.1. 3.1.1 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7

5. 5.1

Der Mensch aus der Sicht von Hobbes Hobbes' "bescheidener" Materialismus Der Mensch: "zoon politikon" oder radikaler Einzelkämpfer? Der Mensch als "matter in motion" Das Streben nach Macht als anthropologische Konstante "Homo homini deus" "Gutes den Freunden - Schlechtes den Feinden" "Homo homini lupus" oder Der Krieg aller gegen alle

13

16 20 22 29 29 32 41 46 56 58 64

5.2 5.3 5.4

Zur Kritik Wider den Reduktionismus oder Die Lehre vom "transanimalischen" Menschen Der Mensch als das "Ding das denkt" - Bemerkungen zum Körper: Geist-Problem Zwischen Freiheit und Determinismus Eine Ethik ohne Grund? Der "naturalistische Fehlschluß"

80 86 103 108

6. 6.1

Naturalistisches Menschenbild und/oder Ethik? Egoismus und/oder Ethik?

125 146

5.1.1

70 72

TEIL 2

VOM STAAT

I.

"Biopolitics" oder Die Geburt des Leviathan

152

1.

Die Entstehung des Staates aus der Sicht von "Biopolitics" Hauptfaktor Bevölkerungswachstum Die Dehnbarkeit des reziproken Altruismus Exkurs: Das Naturzustand-Spiel Die Notwendigkeit verbindender Institutionen

152 152 154 160 163

1.1 1.2 1.2.1 1.3 2. 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.4 2.4.1 2.5 2.6 2.7

Die Entstehung des Staates aus der Sicht von Hobbes Die lähmende Kraft der Gleichheit Die "Gesetze der Vernunft" als Maximen einer Klugheitsethik "Prinzip Mißtrauen" oder Das notwendige Scheitern der individuellen Moral Wieso gelten die "Gesetze der Natur"? Die Notwendigkeit von Herrschaft Das "Schwert der Gerechtigkeit" als conditio sine qua non des Staates Das "prisoner's-dilemma" der Staatsgründung "Salus populi suprema lex" oder Sinn und Zweck des Staates Hobbes und "biopolitics" - ein Resümee mit Blick auf unsere Gegenwart

169 176 180 193 199 203 215 218 236 251

TEIL 3

DIE LEVIATHANE UNTER SICH

I.

Hobbes' Lehre vom "Naturzustand der Leviathane". .257

1.

Der künstliche Mensch oder Die problematische These vom "Staatsindividuum"

258

2.

Der Naturzustand der Leviathane

259

3.

Die äquivalente Geltung der "Gesetze der Vernunft" im Völkerrecht

265

Das aktuelle "Elend des Naturzustands" der Leviathane

272

Hauptfaktor Bevölkerungswachstum oder Der demographische Kollaps

275

2.

Der drohende ökologische Kollaps

287

3.

Der Ausgang aus dem "Naturzustand" - Eine universale Frage des Überlebens

299

II.

1.

4. 4.1 4.2

Die Macht der Furcht oder Gibt es eine "natürliche Vernunft" von Staaten? Das Scheitern der Alternative "Krieg" Prinzip Mißtrauen oder Das (wahrscheinliche) Scheitern universaler Öko-Pakte

305 312 321

III.

1.

2. 2.1

3.

Der "Super-Leviathan" - naive Utopie oder alternativloser "Ausgang der Not"?

338

Technische Machbarkeit versus anthropologische Unmöglichkeit?

342

Die motivationale Basis - "Prinzip Eigennutz" Exkurs: Einige alternative Ansätze zur Begründung eines universalen Ethos

362 378

Die Aufgabe der Philosophie (?)

389

Literatur Register

402 447

EINLEITUNG

1. Was ist Soziobiologie? Allgemein gesprochen ist unter "Soziobiologie" der Versuch zu verstehen, das Verhalten lebender Organismen auf der Grundlage der Darwinschen Evolutionstheorie bzw. insbesondere der Selektionstheorie (siehe dazu unten, Teil 1 Kap. I) naturwissenschaftlich zu erklären, ohne daß dabei an irgendeinem Punkt der Erklärung auf nicht-wissenschaftliche, etwa metaphysische und/oder religiöse Kategorien zurückgegriffen werden müßte. 1 Eine spezielle Variante der Soziobiologie, die sogenannte "Humansoziobiologie", versucht entsprechend, auch die Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens ebenso wie auch die "Aggressionskompetenz" des Menschen im Lichte der allgemeinen Evolutions- bzw. Selektionstheorie als im Verlauf der biologischen Evolution herausgebildete, adaptive Anpassungsleistungen an die Überlebensbedingungen der von unseren Vorfahren bewohnten "ökologischen Nischen" naturwissenschaftlich zu erklären. 2 Dabei geht es vor allem um die (höchst brisante!) Frage, ob und wenn ja in welchem Grade mit dem Einfluß genetisch-apriorischer Faktoren auf das Erkennen, Denken und Verhalten von (rezenten!) Menschen - und damit auch auf die von ihnen gebildeten Gesellschaften - gerechnet werden muß. 3 1

2

3

Vgl. dazu Wilson, 1979, S. 6; in ihrer aktuellen Form kombiniert die Soziobiologie die moderne, erheblich weiterentwickelte Darwinsche Evolutionstheorie mit den heute gegebenen "molekularbiologischen Methoden zur Gen- und Genomanalyse von Organismen aller Art" (Schubert, M., 1989, S. 352). Als "adaptiv" gilt jede Anpassungsleistung, d.h. jedes von einem Individuum ausgeprägte Merkmal, das in irgendeiner Weise zu seinem reproduktiven Erfolg beiträgt, der gleichsam als das evolutive "Grundgesetz" des Verhaltens eines jeden Organismus betrachtet wird; vgl. dazu Knapp, 1989, S. 37. Eine Reihe guter (pragmatischer) Argumente für die (analoge) Anwendung ethologischer und evolutionsbiologischer Thesen und Forschungsergebnisse auf den Menschen bieten etwa Wickler/Seibt (1977), S. 26 ff., 347 ff.; zur Frage nach der Bedeutung der Biologie für die Sozialwissenschaften siehe Flohr (1986); er führt die

XIV

Möhrs

Dabei ist Soziobiologie zunächst und primär eine biologische und damit "rein" (soweit das möglich ist) analytisch-explanative Wissenschaft, der es um die wissenschaftlich tragfähige Beschreibung und Erklärung ihres Gegenstandes (hier: des Menschen) geht; sie ist - jedenfalls was ihre seriösen Vertreter anbelangt - darüber hinaus ihrem Anliegen nach keine normative Disziplin, die kurzschlüssig von der Beschreibung des faktischen So-Seins des Menschen zu evaluativen oder gar normativen Aussagen gelangt, wie der Mensch und seine Gesellschaften beschaffen sein sollen, bzw., ob diese, so wie sie sind, "gut" oder "schlecht" sind.4 Das heißt jedoch nicht, die Thesen der Soziobiologie enthielten nicht eine Fülle von moralphilosophisch und politisch relevanten Implikationen - was eben den Versuch nahelegt, diese Implikationen auf moralphilosophischer und politiktheoretischer Ebene (nach Möglichkeit fruchtbringend) zu diskutieren.5 Aus dem Blickwinkel dieses Denk- und Forschungsansatzes ist daher eine Auffassung wie die des Hobbesinterpreten Kersting unhaltbar (und geradezu anti-hobbesianisch), wonach ein naturwissenschaftlich begründetes "allgemeingültiges Menschenbild ... für die Zwecke der Philosophie wie auch der Sozialwissenschaften gänzlich uninteressant" ist. 6 Vielmehr ist der genau gegenteiligen Überzeugung zuzustimmen:

4 5

6

"Krise der Sozialwissenschaften" nicht zuletzt darauf zurück, diese verharrten in Bezug auf ihr Erkenntnis-Objekt "Mensch" immer noch in einem unhaltbaren Dualismus, der den intelligiblen, rationalen, bewußten Menschen von seinem körperlichen und triebhaften Teil fein säuberlich trennen will (ebd., S. 1). Siehe etwa Mohr, 1987, S. 76 f.; ders., 1993, S. 19, 21 ff. So könnte die Soziobiologie zum Beispiel einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis "des Funktionierens des eigenen und fremden 'sittlichen Apparates' [leisten], dessen Funktionsweisen zu kennen etwa für die Begründung einer brauchbaren Motivationstheorie erheblich ist)" (Lay, 1991, S. 26). Zu weiteren, differenzierteren Angaben zum Fundament und den zentralen Thesen der Soziobiologie siehe unten, Teil 1 Kap. I, Abschnitte 1-4 sowie Teil 2 Kap. II, Abschnitt 1. Gute Darstellungen der grundlegenden Thesen und Ansprüche der Soziobiologie bieten Vogel, 1989, v.a. Kap. 1 und 2 (S. 16-58); Knapp, 1989, S. 35 ff.; Stöckler, 1983; Schubert, M., 1989, S. 352 ff.; Ruse, 1989, S. 205 ff.; Wuketits, 1993b, S. 156-176. Der Biologe Hubert Markl (1990, S. 381) meint, "Soziobiologie" sei lediglich die etwas modische Bezeichnung für eine ganz "normale Evolutionsbiologie der Anpassungsleistungen sozialen Verhaltens"; der Soziobiologe Wilson (1979, S. 22) bezeichnet sie als "Mischdisziplin aus Ethologie, Ökologie und Genetik". Kersting, 1992, S. 96; für ähnlich entbehrlich hält Schaefer (1993, S. 34) die anthropologische Grundlegung einer politischen Philosophie.

Vom Weltstaat

XV

"the advances of twentieth-century biology and other life sciences represent a challenge to political science that can no longer be ignored". 7

1.1 Was ist biopolitics? Im weitesten Sinne steht "biopolitics" (eine allgemein akzeptierte deutsche Übersetzung des Begriffes existiert meines Wissens noch nicht) für alle Versuche, evolutionsbiologische, ethologische und soziobiologische Konzepte, Methoden und Ergebnisse für das Studium und die Erklärung politischer Phänomene auf allen möglichen Ebenen fruchtbar zu machen. 8 Der Kerngedanke, der die hohe Relevanz der "life sciences" für die Politik- und Sozialwissenschaft nahelegt, ist der, daß wir Menschen unbestreitbar Lebewesen sind, die in den Rahmen des Natürlichen - und damit auch der natürlichen Evolution - eingebunden sind, weshalb "zumindest nicht ausgeschlossen werden [kann], daß unser Handeln, Denken, Fühlen und Wahrnehmen durch biologische Faktoren beeinflußt" wird. 9 Dies impliziert die These, daß eine "reine" behavioristische Interpretation des Menschen als (nahezu) vollständigem Kulturwesen unhaltbar ist und - sofern sie die Relevanz der Biologie für die Erklärung und Erkenntnis des Menschen leugnet einen '"kulturistische[n] Fehlschluß'" darstellt.10 Im Rahmen dieser Arbeit werden vor allem zwei Aspekte von "biopolitics" von Interesse sein: zum einen der Zusammenhang mit der Frage nach den biologischen Grundlagen menschlicher Verhaltensformen wie "Altruismus" und "Aggressivität"; zum zweiten die Frage nach den "Ursprüngen von Staat und Gesellschaft". 11

7 8

9

10 11

Wiegele, 1979, S. 7; vgl. auch ebd., S. 145-155; ähnlich argumentiert auch Kastenholz, 1992, S. 110 ff. Vgl. etwa Corning, 1974, S. 266 ff.; ders., 1976, S. 129 ff.; Somit, 1976, S. 296 ff., 313 ff.; Lorenz, 1977, S. 30 ff.; Alexander, 1979b, v.a. Kap. 1.: "The Challenge of Darwinism", S. 3-65; Flohr, 1981, S. III f.; ders., 1982, S. 197; Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 12 f.; Phocas, 1986, S. 4-20. Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 12; Phocas, 1986, S. 4; entspr. Masters, 1982/83, S. 169 f.; ders., 1983a; Alexander, 1981a, 277, 287 f., 293 ff.; ders., 1981b, S. 314323; Barner-Barry, 1983, S. 101 ff.; Hormann, 1985, S. 9 ff.; Weiler, 1986, S. 23; Falger, 1987, S. 247 f.; Tönnesmann, 1987, S. 177, 189; Patzelt, 1992, S. 18 ff. Flohr, 1982, S. 203; vgl. Tönnesmann, 1987, S. 179. Zu den verschiedenen Bereichen des komplexen Forschungsfeldes "biopolitics" siehe Flohr, 1981, S. 3 ff.; Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 18-26; zur differenzierten Analyse dieser beiden Aspekte siehe Phocas, 1986, Kap. III u. IV.

XVI

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2. Warum Hobbes? Der "Gegenstand", der im "Scheinwerferlicht" der modernen Soziobiologie und der Thesen von "biopolitics" betrachtet und auf seine mögliche Brauchbarkeit zur Lösung aktueller politischer Probleme geprüft werden soll, ist die politische Philosophie des Thomas Hobbes. Wieso aber Hobbes - "jener unkluge, koboldhafte und bilderstürmerische Extremist", als den in Leo Strauss bezeichnete; jenes "von wenigen wieder erreichte Vorbild des ganzen Zeitalters der Aufklärung", das er für Ferdinand Tönnies war? 12 Ähnlich wie etwa Bernard Gert, für den Hobbes "recht verstanden, der beste klassische Moralphilosoph ist"13, fasziniert mich der Hobbessche Rationalismus, sein Versuch eines geschlossenen Systemgebäudes, dessen "hervorstechendes Merkmal" - wie es Rainer Heger treffend formulierte "seine auf Gründlichkeit und Vollständigkeit abzielende argumentative Kohärenz bildet". 14 Einer der zentralen Gedanken dabei ist, daß konstitutiv für eine jede Ethik (wie auch für eine jede politische Theorie) das Menschenbild ist, das ihr zugrundeliegt; insofern sind Anthropologie ("Was ist der Mensch?") und Ethik ("Was soll ich tun?") notwendig miteinander verbunden.15 Denn: "Aller Wertschätzung- und Geltung liegt ein Bild vom Menschen, seiner Natur und seiner Stellung in der Welt zugrunde. Politische Ethik ist daher stets in einer Philosophischen Anthropologie fundiert". 16 Entsprechend differieren philosophische Ethikkonzeptionen je nachdem, ob ihnen ein eher positives oder negatives Bild vom "Wesen" des Menschen zugrundeliegt, ob sie dieses 12 13

14

15

16

Strauss, 1956, S.172; Tönnies, 1975, S. 236; auch für Räder (1990, S. 23) ist Hobbes "dem Projekt der Aufklärung verbunden"; ebs. Schaefer, 1993, S. 127, 142. Gert, 1983, S. 13; eine Einschätzung, die auch Gauthier in einer seiner jüngsten Arbeiten zu Hobbes (1990, S. 11) gleich zu Beginn vertritt: "That Thomas Hobbes is the greatest of English political philosophers is a commonplace claim. That he is the greatest of English moral philosophers is not a commonplace. But it is true". Heger, 1981, S. 13; siehe dazu auch Commers, 1979, S. 150 f., 160: "Hobbes was an original thinker for he crasped very well the significance of modern science in an age of dying scholasticism". Vgl. Kant, 1978 2 , VI, S. 448 ( = Logik, A 26), der hier diesen philosophischen Grundsatz zum Ausdruck bringt, indem er eben der anthropologischen Frage "Was ist der Mensch?" auch die von der Moral zu beantwortende Frage "Was soll ich tun?" unterordnet; siehe auch Knapp, 1987/88, S. 148, 304 ff.; Vollmer, G., 1986, S. 54. Schwan, 1990, S. 8; vgl. entspr. Flohr, 1982, S. 201; Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 28; Somit/Slagter, 1983, S. 30 f.

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XVII

Wesen - ob grundsätzlich "gut" oder grundsätzlich "böse" - für formbar, veränderbar, erziehbar befinden oder nicht. Eine Ethik, die für sich nicht nur den Anspruch der Wissenschaftlichkeit zurecht erheben, sondern darüber hinaus auch praktikabel sein und ein hohes Maß an sozialer Akzeptanz erzielen will, sollte daher großen Wert darauf legen, auf einer wissenschaftlich fundierten Basis, einem wissenschaftlich fundierten Bild vom Menschen aufbauen zu können, da sie ansonsten Gefahr läuft, in ihrem normativen Teil zu Ergebnissen zu gelangen, die dem Adressaten nicht gerecht werden, ihn überfordern, von ihm nicht lebbar sind.17 Diese Überlegung war der wichtigste Grund dafür, die politische Philosophie Hobbes' systematisch mit den Thesen der "modernen"18 Soziobiologie zu vergleichen. Zum einen deshalb, weil kaum ein politischer Denker so wie Hobbes eine gründlich und systematisch ausgearbeitete anthropologische Basis hat, auf der - im Horizont seiner Zeit - die spezifisch moralphilosophischen und staatstheoretischen Teile seines philosophischen Systems aufbauen. Die Anthropologie ist bei Hobbes nicht bloß als Teil seiner politischen Lehre zu betrachten, sondern mehr noch als ihr tragendes Fundament.19 Zum zweiten aber legt sich der Vergleich zwischen Hobbes und der Soziobiologie schon deshalb nahe, weil ihr Menschenbild bereits in der grundsätzlichsten Prämisse übereinstimmt: Menschen sind (potentiell rationale) Egoisten; ihre Handlungen zielen letztlich stets auf die Maximierung ihres je eigenen Nutzens. 20 Zudem betont Hobbes ausdrücklich, er wolle seine Moralphilosophie als "Wissenschaft" von dem verstanden wissen, "was im Verkehr und in der Ge17 18

Siehe dazu etwa Vogel, 1989, S. 128; ähnlich aber auch Siep, 1993, S. 302. Eine differenzierte Analyse und Bestimmung des Begriffes "modern" kann hier nicht geleistet werden, da sie - man denke nur an die lange Tradition naturalistischen Denkens (vgl. zur diesbezüglichen Kritik an der Soziobiologie etwa Bayertz, 1993, S. 141 ff.; ebs. Knapp, 1993, S. 112 f.) - in begriffs- und philosophiegeschichtliche Untiefen führen müßte, die eine eigene Monographie erforderten. Ob also die Soziobiologie wirklich in einem qualitativen Sinne als "Neuansatz" verstanden werden kann, der sich gegenüber älteren Naturalismus-Konzeptionen klar abgrenzen ließe, oder ob sie im Prinzip nur die "Neuauflage" oder den "Neuaufguß" von Altem mit heutigem begrifflichen Instrumentarium und auf der Basis heutigen empirischen Materials darstellt, dies alles muß dahingestellt bleiben. "Modern" kann also hier in naivem Sinne als "heute in Mode seiend", "en vogue" verstanden werden.

19

Vgl. dazu Schelsky, 1981, S. 45; den gleichen Stellenwert mißt auch Weiß (1980, S. 77-166) der Anthropologie in Hobbes' System bei. Fetscher (1989^, S. XX) fiat Hobbes zurecht als den "ersten modernen 'Utilitaristen'" bezeichnet; zur Einordnung von Hobbes in die Geschichte des Utilitarismus vgl. auch Trapp, 1992, S. 197 ff.

20

XVIII

Möhrs

sellschaft gut und böse ist" (Le, S. 122). Da nun aber auch die moderne Soziobiologie den Anspruch erhebt, ein objektives, wissenschaftlich begründetes Bild vom Menschen sowie den Wurzeln und Grenzen menschlicher Moralfähigkeit darlegen zu können, lag ein systematischer Vergleich beider Positionen nahe, zumal eben bereits eine oberflächliche Betrachtung prinzipielle Parallelen erkennen oder zumindest vermuten ließ. 21 Dabei drängen sich freilich spontan mehrere kritische Fragen unmittelbar auf: a) Ist der Vergleich beider Ansätze, der Vergleich einer philosophischen mit einer evolutionsbiologischen Anthropologie, überhaupt zulässig? Ich meine ja, weil der zentrale Gegenstand beider Theorien der Mensch ist, und ein Vergleich zweier Theorien über den Menschen immer statthaft sein muß und sogar wünschenswert ist - zumal dann, wenn zum einen die Perspektive beider Ansätze die gleiche ist (nämlich auf das soziale und politische Verhalten von Menschen) und man zum anderen mit moderneren Ethologen davon ausgeht, daß sich der heute lebende Mensch aus evolutiver Sicht nicht wesentlich von seinen frühen Vorfahren vor 30 bis 50.000 Jahren unterscheidet. 22 Hobbes hatte demnach bei der Erstellung seiner Anthropologie im 21

Genau in diesem Sinne stellt auch der Politikwissenschaftler Heiner Flohr (1982, S. 202) die Frage, ob denn gegenwärtige Sozialwissenschaftler aus der "Not der Vergangenheit" - daß nämlich früherer politische Denker sich ihr jeweiliges Menschenbild alleine auf der Basis "philosophische[r] Vor-Urteile" und eigener Beobachtungen zusammenbasteln mußten - "die fragwürdige Tugend biowissenschaftlicher Abstinzenz machen [müssen]" - und beantwortet diese Frage (selbstverständlich) negativ; vgl. entspr. Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 25. Und umgekehrt argumentiert Masters (1982/83, S. 178, 184 f.), es sei nicht nur sinnvoll, moderne "rational-decision-making"-Modelle mit der soziobiologischen "inclusivefitness"-Theorie in Relation zu setzen, sondern: "recent evolutionary theory can be linked to more traditional approaches in political sience as well" - und Masters (ebd., S. 178) nennt Hobbes als ersten Beispielfall für eine solche Verbindung: "Hobbes's political theory is easily translated into the terms of inclusive fitness and rational actor models"; zur Vergleichbarkeit des Hobbesschen mit dem soziobiologischen Erklärungsmodell der Moral vgl. auch Honnefelder, 1992, S. 164-167; ebs. Alexander, 1981b, S. 311; Irrgang, 1985, S. 243 ff.; McLean, 1985, S. 45-51; Tönnesmann, 1987, S. 176; Hungerland, 1989, S. 35 f., 39-45.

22

Siehe dazu etwa Mohr, 1987, S. 79; Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 232; Knapp, 1989, S. 66; Phocas, 1986, S. 98. Damit ist freilich nicht gesagt, die biologische Evolution sei beim Menschen zum Stillstand oder gar "Abschluß" gekommen, aber die Zeiträume, in denen sich signifikante biologische Merkmalsänderungen evolutiv herausbilden und durchsetzen können, sind wesentlich größer, so daß wesentliche biolo-

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XIX

wesentlichen den gleichen Menschen vor Augen wie die heutige Ethologie und Soziobiologie. 2 3 b) Mit diesem Argument ist auch der (historistische) Einwand zu entkräften, die Übertragung der Hobbesschen Theorien auf die heutige Zeit sei unzulässig oder anachronistisch, da Hobbes als Denker seiner Zeit nur aus dem und im Bezugsrahmen seiner Zeit zu verstehen sei. Da jedoch die sozialen, ökonomischen, politischen Verhältnisse Englands im 16. und 17. Jahrhundert mit den heutigen Gegebenheiten einer unauflöslich vernetzten Welt nicht mehr zu vergleichen seien, verbiete sich auch eine Übertragung der Hobbesschen Theorie. Dagegen gehe ich - auf der Basis der erwähnten evolutionstheoretischen These von der "Statik" des menschlichen Genotyps - davon aus, daß jede Anthropologie, gleichgültig wann sie geschrieben wurde, solange sinnvoll auf den heutigen Menschen bezogen werden kann, solange nicht das von ihr entworfene Bild vom Menschen aus irgendwelchen Gründen als nachweislich unzutreffend oder überholt verworfen werden kann. 2 4 Mit

23

24

gische Mutationen des menschlichen Genoms für die letzten 30 - 50.000 Jahre nicht anzunehmen sind. Mackie (1983, S. 139) vertritt die Auffassung, Hobbes' habe von "Gesetzen der Natur" als grundlegenden moralischen Regeln mit überzeitlicher Geltung gesprochen, gerade weil er von der "wesentlichen Unveränderlichkeit der menschlichen Konstitution" ausgegangen sei. Hobbes' Menschenbild würde also auch insofern mit modernen evolutionstheoretischen Überlegungen übereinstimmen, als diese eben auch von der (relativen) Statik bzw. der langfristigen Stabilität des menschlichen Geno- und Phäntyps ausgehen; auch Kodalle (1972, S. 34) weist darauf hin, Hobbes sei von der "zeitlosen Allgemeingültigkeit seiner Anthropologie" überzeugt gewesen; auch Höffe (1992, S. 16) hält die Hobbessche These von der menschlichen Konfliktnatur für "sachgerecht" und kulturunabhängig gültig. Ähnliche Überlegungen liegen auch der soziologischen Hobbes-Interpretation von Amann, 1971, S. 29 f., zugrunde; zur vergleichbaren Begründung der Aktualität der Hobbesschen Staatsphilosophie siehe auch Höffe, 1981a, S. 12; Masters (1982/83, S. 184 f.) vertritt dezidiert die Auffassung: "From the perspective of evolutionary biology, it is therefore evident that ... the great political theorists address the perennial issues of human social life". Räder (1990, S. 3) gelangt zu dem Ergebnis, "daß Hobbes nicht überholt ist, sondern daß sein Problem unter den heutigen Bedingungen wieder aufgegriffen werden muß"; Palaver (1991, S. 21), der mit seinem Vergleich zwischen Hobbes' politischer Theologie und der modernen Theorie Girards vor demselben prinzipiellen Problem steht, führt diesbezüglich aus: "Wenn trotzdem an vielen Stellen dieser Arbeit Kritik an Hobbes aus der Sicht der Theorie Girards [hier: der Soziobiologie; T.M.] geübt wird, so bezieht sich diese nicht so sehr auf Hobbes selbst, sondern auf seine Theorie, insofern sie für Fragen der Gegenwart von Bedeutung ist".

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Möhrs

Hume gesprochen: "Die Menschen sind in allen Zeiten und Orten so sehr dieselben, daß uns die Geschichte auf diesem Gebiete nichts Neues oder Fremdartiges berichtet". 25 Überdies kann man anhand der Analyse einiger Äußerungen Hobbes' durchaus plausibel nachweisen, ihm selbst sei es um mehr gegangen als um eine exklusive politische Stellungnahme zu Problemen seiner Zeit. Hier ist etwa an seine Äußerungen im Zusammenhang mit der "wahre[n] Weisheit" zu denken, die er als das "Wissen der Wahrheit in allen Dingen" definiert (Ci, S. 60). Dieses Wissen der Wahrheit - und damit die "wahre Weisheit" - setzen "feste und bestimmte Namen" (Nominalismus!) voraus, also exakte und präzise, konsensfähige Definitionen, die rational begründet sein müssen und eine klare Zuordnung zu den "Dingen" ermöglichen. Also muß die Philosophie als Wissenschaft methodisch ihren Ausgang von diesen " feste [n] und bestimmtein] Namen" nehmen, um von diesen ausgehend dann die "allgemeinen Gesetze" - insbesondere die "Gesetze der Vernunft" - zu erschließen (ebd.). 26 Hobbes geht davon aus, "die Verhältnisse der menschlichen Handlungen", also die Politik, seien prinzipiell "mit der gleichen Gewißheit" zu erkennen wie die Verhältnisse in der Geometrie und Mathematik (Ci, S. 60). 27 Insofern kann Hobbes in der Tat - ohne Machiavellis Leistung schmälern zu wollen! als der erste Politik-Wissenschaftler im Sinne unserer modernen Auffassung von methodisch vorgehender "exakter Wissenschaft" gelten, sein Hauptwerk "Leviathan" als das "erste große Werk der modernen politischen Theorie". 28

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Hume, 1984, S. 99. Hobbes kümmert sich hier in keiner Weise um die Problematik eines "hermeneutischen Zirkels", dergestalt, daß ihm in den "allgemeinen Gesetzen" notwendig das begegnen muß, was er mit den "festen und bestimmten Namen" bereits selbst vorgegebenen hat. Dabei hätte Hobbes diese Problematik eigentlich kennen müssen, da sie im Zentrum der "Idolenlehre" Francis Bacons (Novum Organum I, Aph. 39 ff.) steht - bei dem Hobbes angeblich für einige Zeit als Sekretär beschäftigt war (vehement bestritten wird die Verbindung zwischen Hobbes und Bacon allerdings von Tönnies, 1976, S. 176 ff., 196; Willms [1992, S. 15] vertritt dagegen - allerdings ohne dies zu belegen - wiederum die Auffassung, Hobbes habe bei Bacon "gelegentlich Sekretärsdienste geleistet und ihn zweifellos ebenso hochgeschätzt wie dieser ihn"; zur differenzierteren Bestimmung des Verhältnisses siehe Schumann, 1984.).

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Vgl. auch Co, S. 10 f.; Le, Kap. 5 ("Von Vernunft und Wissenschaft"; S. 32 ff.) und Kap. 9 ("Von den verschiedenen Wissensgebieten"; S. 63 ff.). Strömholm, 1991, S. 153; auch für Russell (1978, S. 566) ist Hobbes "der erste, der wirklich modern über politische Theorie schreibt" - weshalb es sich noch immer

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Die Existenz von Kriegen ("mit dem Schwert" ebenso wie "mit den Federn"!) ist nun für Hobbes ein Beleg dafür, daß diese wissenschaftlich-sichere Erkenntnis der politischen Gesetzmäßigkeiten von den Moralphilosophien bis dato noch nicht geleistet wurde. Grund: "Sie haben wohl gefallen, aber den Geist nicht erleuchtet, vielmehr durch eine schöne, den Neigungen schmeichelnde Darstellung blindlings angenommene Meinungen befestigt" (Ci, S. 61). Ihr entscheidender Fehler war es - so Hobbes -, ihren Anfang nicht wissenschaftlich-methodisch in festen und bestimmten Begriffen (bzw. N a m e n oder Definitionen) zu nehmen, nicht im "Faden der Vernunft, v o n d e m geführt man zu dem hellsten Licht hindurchdringt" (Ci, S. 6 2 ) . 2 9 W i e viele andere Denker seiner Zeit - man denke etwa an Bacon oder Descartes - war er v o m totalen Versagen der traditionellen (Moral-)Philosophie überzeugt, wobei er den Grund für diesen Mißstand vor allem im Fehlen einer geeigneten M e thode s a h . 3 0

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lohne, "ihn zu widerlegen"; vgl. auch Schaefer, 1993, S. 129; Kersting, 1994, S. 59. Eine bemerkenswert "cartesianische" Formulierung. Bedenkt man zudem, daß "De Cive" 1642, also ein Jahr nach Descartes' "Meditationes" erschien, die Hobbes als einer der ersten zur Kenntnis genommen hatte, dann erscheint die Vermutung nicht als abwegig, Hobbes' Rationalismus sei nicht unwesentlich durch Descartes geprägt worden. Vgl. zu diesem Aspekt etwa Commers (1979, S. 149), für den in Bezug auf den rationalistisch-analytischen Ansatz Hobbes "expressly a child of continental rationalism" war. Zum Verhältnis Hobbes : Descartes siehe auch Weiß, 1978, S. 170 f.; ders., 1992; Johnson, L., 1986, S. 32 ff. Dießelhorst (1988, S. 3 ff.) geht davon aus, auch die Methodik Hobbes' lasse einen starken Einfluß Descartes' vermuten. Im Hinblick auf die Methode sieht Dießelhorst die eigentliche Leistung Hobbes' darin, daß er das "methodische Programm Descartes' auf die Erkenntnis der menschlichen Gesellschaft und insbesondere des Staates übertragen [hat]". Auch Hance (1991, S. 156) macht auf diesen Aspekt aufmerksam, wonach Hobbes in der Sphäre der praktischen Philosophie das gleiche durchgeführt habe wie Descartes in der Erkenntnistheorie: "the positing, namely, of the subjective principle, the 'I', as the axiomatic foundation of philosophical truth"; vgl. entspr. Conrad, 1991, S. 87, 94; ebs. Markl, K.-P., 1985, S. 54 f. Vgl. etwa Ci, S. 61, wo Hobbes aus der Tatsache des nicht enden wollenden "Krieg[es] mit den Schwertern und ... mit den Federn" den Schluß zieht, "daß die bisherigen Schriften der Moralphilosophen zur Erkenntnis der Wahrheit nichts beigetragen haben"; zum Problem der fehlenden Methode siehe Co, S. 5; Le, S. 35 (vgl. dazu Conrad, 1991, S. 89 f.); zur Kritik an der aristotelischen Ethik vgl. Le, S. 122, 511 f., 518 f.; zum damit einhergehenden Hobbesschen Selbstverständnis als erstem Politik- und Moral-Wissenschaftler siehe Kersting, 1992, S. 40 ff.; ders., 1994, S. 59 f. Hobbes' Methoden-Verständnis hat also eine ausgesprochen pragmati-

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Demnach ist klar, was Hobbes mit seinen politischen Schriften leisten wollte: Ausgehend von festen und bestimmten Begriffen über die Natur des Menschen zu sicheren, wissenschaftlich tragfähigen Schlüssen über die allgemeinen, überzeitlichen Gesetzmäßigkeiten des menschlich-sozialen Miteinanderes, der Ethik und der Politik gelangen.31 Auch in diesem Punkt ist also eine Verknüpfung zwischen dem methodologischen Anspruch Hobbes' und dem der Soziobiologie ohne weiteres möglich. c) Es bleibt - erst recht auch für eine Konfrontation Hobbes : Evolutionstheorie - die vielfach gestellte kritische Frage, ob denn die Übertragung der auf der Ebene tierischen Lebens höchst erfolgreichen und allgemein anerkannten Ergebnisse der Soziobiologie auf den Menschen statthaft sei. 32 Dieser Kritik zufolge läßt sich das Kultur- und Geistwesen Mensch eben nicht (vollständig) auf biologische, biochemische und genetische Funktionen reduzieren, weshalb notwendig jeder Versuch der Übertragung soziobiologischer Theoreme auf den Menschen zu kurz greifen müsse. Abgesehen davon, daß von der Soziobiologie sicher nicht die erschöpfende Lösung sämtlicher anthropologischen Rätsel zu erwarten ist (Reduktionismen und Generalisierungen sind immer problematisch!), scheinen mir allerdings zwei Argumente für eine kritische Anwendung der Soziobiologie auf den Menschen zu sprechen: 1. Wenn man von der Richtigkeit der Evolutionstheorie ausgeht und davon, daß wir Menschen uns mit allen unseren Eigenschaften und Fähigkeiten "in" der Evolution befinden, sich also auch die allgemein behaupteten "spezifisch menschlichen" Eigenschaften und Fähigkeiten wie etwa "Moralität", "Sittlichkeit" und "reflexives Bewußtsein" im Verlaufe der humanen Phylogenese als Anpassungsleistungen an die Überlebensbedingungen der Umwelt herausgebildet haben, dann ist die Annahme sinnvoll bzw. legitim, auch wir Menschen "funktionierten" im Prinzip nicht anders als nach den von der Soziobiologie für die Tierwelt entdeckten Prinzipien. 2. Gerade wenn man die Fragen, ob für den Menschen die gleichen Prinzipien gelten wie für (andere) sozial lebende Tiere und damit, ob Analogisie-

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sche Dimension; seine politische Philosophie kann als "methodische Friedenswissenschaft" (Kersting, 1992, S. 43) verstanden werden. Vgl. dazu Euchner, 1982, S. 177; ebs. Kersting, 1992, S. 43. Vgl. etwa Low, 1986, S. 6 ff.; ders., 1986/87, S. 31 ff.; ders., 1992, S. 72 f.; Löw/Spaemann, 1981, S. ; Stöckler, 1983, S. 621 ff.; ders., 1986, S. 69 ff.; Knapp, 1989, S. 95-167; entsprechend auch ältere, zum Teil äußerst polemische Kritiken gegen die "klassische" deutsche Ethologe (also v.a. Konrad Lorenz und Irenäus EiblEibesfeldt) bei Schmidbauer, 1973; Pilz/Moesch, 1975; Bühl, 1976, S. 137-142.

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rungen und Homologisierungen überhaupt oder nur bedingt zulässig sind, für ungeklärt und problematisch hält, sollte man es aus heuristischen wie auch aus hermeneutischen Gründen für statthaft halten, "die am tierischen Verhalten erkannten Prinzipien probehalber auf den Menschen zu übertragen und zu testen, ob sein tatsächliches Verhalten mit dem theoretisch zu erwartenden übereinstimmt". 33 Auf einen zwar scherzhaft formulierten, aber dennoch ernst gemeinten einfachen Nenner bringt der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Biologe Hubert Markl, die Vergleichbarkeit von Tier- und Menschensozietäten: "Alles, was ich als Wissenschaftler an Bienen und Ameisen gelernt habe, hilft mir jetzt vortrefflich zur Bewältigung meiner Aufgaben als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bonn mag nicht Weimar sein, aber ein ausgewachsenes Wespennest ist es allemal". 34

2.1 Hobbes' Verständnis von praktischer Philosophie Es ist nun aber vor allem Hobbes' Verständnis von praktischer Philosophie, dem mein besonderes Interesse gilt, und ich stimme insofern der HobbesCharakterisierung Walter Euchners vollauf zu: "Hobbes ist ein früher Vertreter des Denktypus der Neuzeit, der auf politische Wirksamkeit abzielt. Die bloße Kontemplation einer ewigen Ordnung hinter der Flucht der politischen Ereignisse konnte seine Sache nicht mehr sein. Die realen politischen Zustände waren ja weniger in Ordnung denn je. Nach seiner Ansicht war es höchste Zeit, daß die Philosophen daraus Konsequenzen zogen". 35 33

Wickler/Seibt, 1977, S. 347; Bühl (1976, S. 142) schlägt vor, die Ethologie (und heute die Soziobiologie) sollte "Arbeitshypothesen, 'orientierte Feststellungen'" liefern, die "eine vielversprechende Richtung für die Hypothesensuche und -bestätigung in unseren eigenen [politikwissenschaftlichen; T.M.] Problembereichen angeben können". Dabei ist natürlich die Gefahr groß, daß man sich die beobachteten Verhaltensmuster entsprechend den theoretischen Vorgaben zurechtinterpretiert - doch in diesem kritischen, wissenschaftsethisch zentralen Punkt unterscheidet sich die Soziobiologie in keiner Weise von irgendeiner anderen (soziologischen, politologischen, philosophischen) Theorie über das menschliche Verhalten.

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Markl, 1990, S. 380; Markl ist insofern "unverdächtig", als er an anderer Stelle (1980, S. 8 f.) ausdrücklich betont, gegenwärtig sei die Biologie noch "far away ... from really understanding what went on and goes on in the evolution of animal sociality. [This] should make sober reading for those who hope to find the masterkey to an understandig of human social behavior in sociobiology". Euchner, 1982, S. 176; vgl. zu dieser Einstellung auch Hume, 1984, S. 5 ff.; zur Interpretation Schelsky, 1981, S. 321 ff,; ebs. Höffe, 1982, S. 30.; Johnson, P. J.,

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Dies besagt nun keineswegs, in dieser Arbeit werde unkritisch von der bruchlosen Konsistenz des Hobbesschen Systems ausgegangen, sein Projekt einer "Wahrheit in allen Dingen" in seinem Werk für erreicht erachtet. Vielmehr gehe ich mit etlichen Hobbes-Interpreten davon aus, daß seine Deduktion des Staates auf der Grundlage eines von allen Individuen mit begründeten Vertrages nicht gelungen bzw., daß seine Theorie in diesem Punkt in mancherlei Hinsicht inkonsistent ist. Dennoch sind es viele der Hobbesschen Gedanken - entstanden in einer schweren nationalen (und auch gesamteuropäischen!) Krise und auf diese politisierend bezogen 36 - ohne Zweifel Wert, in unserer Zeit neu überdacht zu werden, in der die "Weltpolitik im Umbruch"37 begriffen ist und deren signifikantestes Merkmal immer mehr die sich krisenhaft zuspitzende globale Bedrohung des Lebens auf unserem Planeten wird. 38 Willms' Auffassung, "Hobbes' Philosophie [sei] an Gründlichkeit des Neuanfangs unter dem Zwang einer völlig verfahrenen Situation nicht zu übertreffen"39 - bringt diesen Gegenwartsbezug der Hobbesschen Lehre auf den Punkt. Und ich halte es in der Tat für möglich, daß die Bereitschaft, die Lehren eines Philosophen des 17. Jahrhunderts heute - freilich unter Berücksichtigung veränderter Rahmenbedingungen - ernst zu nehmen und nicht nur

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1989, S. 74. Zur Kritik an diesem Verständnis von "praktischer Philosophie" siehe Kleinknecht, 1990, S. 112. Er vertritt energisch den Standpunkt, "daß die sog. praktische Philosophie nicht in der Verkündung einer Moral besteht, sondern Philosophie der Moral ist. Ethik als praktische Philosophie ist die philosophische Theorie moralischer Begriffe und Normen. Infolgedessen ist die philosophische Ethik, so wie jede andere philosophische Disziplin, nichts als reine Theorie" (Ein ähnliches Philosophie-Verständnis, das er explizit vom Hobbesschen unterscheidet, vertritt auch Kersting, 1992, S. 44). Doch wenn Ethik, da sie "keine Imperative" enthält (Kleinknecht, a.a.O., S. 116; zum Programm einer "Ethik ohne Imperativ" siehe auch Fleischer, 1987), wirklich nur Theorie und in diesem Sinne für die Praxis irrelevant ist, zu was taugt sie dann - "wie jede andere philosophische Disziplin" als zur bloßen intellektuellen Spielwiese; wozu dient sie dann - um Hobbes' Kritik aufzugreifen - als nur zur ästhetischen Erbauung bzw. dazu, "durch eine schöne, den Neigungen schmeichelnde Darstellung blindlings angenommene Meinungen [zu] befestigten]" (Ci, S. 61)? Siehe dazu Tönnies, 1975, S. 171 f.; vgl. auch Weiß, 1978, S. 167. So der Titel der Arbeit von Czempiel, 19922. Aus der Fülle der diese Diagnose stellenden Titel sei hier nur auf einige wenige verwiesen, die im dritten Teil der Arbeit ausfuhrlicher rezipiert werden: Küng, 1990; Weizsäcker, E. U., 19902; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991; Hösle, 1991; Meadows/Randers, 1992; Gore, 1992; Schönwiese, 1992. Willms, 1987, S. 261.

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historisch zu lesen, neue Perspektiven eröffnen kann. 4 0 Was aber Hobbes' grundlagentheoretische Leistung anbelangt bzw. die Tiefendimension seiner politikwissenschaftlichen Analyse, so bin ich sogar der Meinung, daß sich viele moderne Ethikkonzeptionen und politikwissenschaftliche Modelle, die sich auf die Untersuchung der Oberflächenstruktur politischer Wirklichkeit beschränken, erst wieder zu seinem Niveau emporarbeiten müssen 4 1 - wobei eben die Kenntnis und systematische Einbeziehung humansoziobiologischer Forschungsergebnisse von höchstem Wert sein kann. Im Hinweis auf die politische Zielsetzung des Hobbesschen Denkens ist die Überzeugung impliziert, daß Philosophie, vor allem Moralphilosophie und politische Philosophie nur dann praktische Bedeutung erlangen kann, wenn es ihr gelingt, "ihre Allgemeinheiten wieder einmal politisch zu fassen". 4 2

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Zum Versuch, "die Staatsphilosophie von Thomas Hobbes als unsere eigene Sache wiederzuerkennen", siehe Höffe, 1981b, S. 113. Zum Vorschlag, Hobbes mit Kategorien und Begriffen moderner Sozialforschung gewinnbringend neu zu lesen, siehe Hardin, 1991, S. 157 ff.; entspr. Taylor, 1985, S. 1 ff.; schließlich stimme ich mit Fetscher (1984, S. LXVI) vollauf überein: "Bedeutende Denker wie Thomas Hobbes müssen deshalb immer neu interpretiert werden, weil jede Zeit neue Züge an ihnen entdeckt. Zugleich aber verrät jeder Interpret mindestens ebensoviel über sich selbst wie über den Autor, dem er sich nähert - oder den er sich vielmehr anzueignen versucht" - wobei ich diesen letzten Satz für besonders zutreffend halte; vgl. entspr. Zimmermann, 1988, S. 339. Eine Einschätzung, die ich vollauf mit Patzelt (1986b, S. 8) teile; zu den Termini "Tiefenstruktur", "Oberflächenstruktur" sowie den beide Ebenen verbindenden "Transformationsprozessen" siehe Patzelt, 1992, S. 18 f. Willms, 1979, S. 181; ebenso bereits Kodalle, 1972, S. 2: "Die große Zeit der Philosophie brach fast stets dann an, wenn die politische Wirklichkeit in eine fundamentale Krise geraten war und praktische Antworten wie eine theoretische Grundlegung des Neuen verlangte, welche die bloßen Pragmatiker des Politischen nicht zu geben vermochten". Willms (1990, S. 252) hat also auch in dem Punkt recht, daß philosophisches Denken dann zur "Radikalität des Politischen" vordringen soll und muß, "wenn es des radikalen Ernstfalles ansichtig wird" - und so scheint es angebracht, daß sich Philosophie heute dem drohenden ökologischen, demographischen, ökonomischen und in der Konsequenz wahrscheinlich militärischen Ernstfall im globalen Maßstab zu stellen hat. Gerade daraus ergibt sich die "geradezu unerhörte Aktualität Hobbes'", daß er nicht nur das "Kommunikationsproblem" politisch grundsätzlich zu fassen versuchte, "sondern vor allem [aus] der vorlaufenden Einsicht in eine 'annihilatio mundi', deren Realmöglichkeit wir in der Gegenwart ansichtig geworden sind, - woraus jene neue Dimension der Unausweichlichkeit politischer Philosophie folgt" (Willms, 1990, S. 260); zur "Modernität" Hobbes' siehe

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"Philosophie bedeutet Orientierungshilfe, so sie überhaupt etwas bedeutet" diese Einschätzung teile ich mit Wissenschaftlern aus verschiedensten Fakultäten und mit unterschiedlichsten Weltbildern. 4 3 D a es aber - mit den Worten Bernard Willms' - in der Tat ein Charakteristikum unserer Gegenwart ist, daß "'Menschheit' politisch geworden ist, daß die Erde als Ganze zur allgemeinen Bezugsgröße geworden ist", insofern also "alle Politik heute objektiv Weltpolitik ist" 4 4 , muß politische Philosophie dementsprechend heute versuchen, ihre Thesen und Theorien in politischer Absicht zu universalisieren. D i e s e s unbescheidene Ziel könnte jedoch - w e n n überhaupt ehesten auf der Grundlage einer solide erarbeiteten, tragfähigen A n thropologie zu erreichen s e i n . 4 5 Und damit schließt sich gleichsam der Kreis

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auch Freund, 1982, S. 110, 118; Lay, 1991, S. 60; Kersting, 1992, S. 7 ff., 25 ff., 31; Schaefer, 1993, S. 131. Gadol, 1983, S. 413, vgl. auch S. 421 f.; zur langen Tradition des "öffentlichen Vernunftgebrauchs" vgl. v.a. Oesterreich, 1994. Die Rolle der Philosophie als "Intergrationsdisziplin" erscheint auch dem Politikwissenschaftler Flohr (1986, S. 13) als unerläßlich zur Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Probleme; ähnlich wie der Philosoph Rheinhard Low (1993, S. 79 f.) geht auch Flohr von einem Verständnis von Philosophie aus, "das sich zwar in seinen Aussagemöglichkeiten nicht durch den jeweiligen Stand der Einzelwissenschaften beschränken läßt, aber andererseits die Kenntnis des jeweiligen Standes dieser Disziplin als eine unverzichtbare Grundlage ihrer Reflexion begreift" (ebd.). Dies muß und kann nun nicht heißen, der Philosoph solle so etwa wie der "Hansdampf in allen Fakultäten" sein. Der Anspruch, sich in allen oder auch nur in mehreren biowissenschaftlichen Sparten wie der Fachmann auszukeimen, ist zweifellos als völlig unangemessen bzw. hybrid zurückzuweisen. Aber über die Basissätze der naturwissenschaftlichen Theorie, auf die er sich bezieht sowie über die diesen zugrundeliegende und sie verbindende Logik sollte der Philosoph sehr wohl gründlich informiert sein. Willms (1979, S. 187) stellt grundsätzlich fest, jede philosophische Normendiskussion - sofern sie ernsthaft an praktischer Philosophie interessiert sei - müsse notwendig "in Staatstheorie münden" (vgl. auch ebd., S. 197). Willms, 1979, S. 179; vgl. entspr. Reuter, 1993, S. 12. Ellscheid (1973, S. 977) hat sicher recht, wenn er im Zusammenhang mit der Naturund Menschenrechtsdiskussion meint, die erfolgreiche Suche nach allgemeinen Menschenrechten, deren Aufgabe der Schutz und die Sicherheit "elementarer Daseinsinteressen" sei, hänge davon ab, ob eine "allgemeine Erhellung des Wesens und der Existenz des Menschen überhaupt ..., also ... eine philosophische Anthropologie" möglich ist. Da er aber - mit Nietzsche - davon ausgeht, daß es den "Menschen schlechthin nicht gibt", verwirft er diesen Weg als aussichtslos. Doch aus der Sicht der heutigen Evolutionstheorie im Verein mit älteren, klassischen Natur-, Menschenrechts- und Politikkonzeptionen wie der von Hobbes kann womöglich

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der Argumentation: Politische Philosophie bzw. Ethik muß auf philosophischer Anthropologie aufbauen; Hobbes ist der erste der großen Staatstheoretiker, der diesem Prinzip in systematischer Weise gerecht zu werden versucht; deshalb ist es sinnvoll und legitim, seine Lehre im Lichte neuerer evolutionstheoretischer Darstellungen des Menschen einer kritischen Prüfung und Bewertung zu unterziehen - mit dem Ziel, über diese theoretische Basis hinausgehend in politischer Absicht Aussagen über die Situation des Menschen in der heutigen Welt machen zu können.

3. Aufbau, Methode und Zielsetzung der Arbeit Zwei Dinge sind es, die im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert, nicht in Frage stellen werden sollen, sondern ohne weitere Begründung als Axiome voraussetzt werden: 1. Die Kernaussagen der Evolutionstheorie treffen zu; der Mensch ist also wie jeder andere Organismus auch mit allen seinen Eigenschaften und Fähigkeiten (zumindest auch) das Produkt eines nach evolutiven Prinzipien verlaufenden, vollkommen natürlichen Anpassungsprozesses.46 Dies bedeutet auch (oder vor allem), daß im Rahmen dieser Arbeit auf eine theologische Dimension möglichst vollständig verzichtet und möglichst konsequent von der angenommenen evolutionstheoretisch-materialistischen Basis aus argumentieren werden soll. 47 2. Zum zweiten, daß die "Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden" 48 ein unhintergehbares Gebot darstellt, oder - vorsichtiger formuliert -, daß diese Permanenz menschlichen Lebens zumindest insofern im Eigeninter-

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dieser Pessimismus relativiert werden und eine Grundlagentheorie anthropologischer Konstanten ("human essentials") als möglich angenommen werden. Damit ist zum einen nicht gesagt, die Evolutionstheorie in ihrer heutigen Form sei "perfekt" oder in einem absoluten Sinne "wahr"; sie weist sicher eine Fülle von Schwächen, Lücken und auch Fehlern auf, dennoch wird hier davon ausgegangen, daß sie im Prinzip den Tatsachen entspricht. Das einschränkende "zumindest auch" soll zudem signalisieren, daß ich mir des Hypothesencharakters jener evolutionstheoretischen, bzw. humansoziobiologischen Kernthese vom "Produkt"-Charakter aller menschlichen Systemeigenschaften sehr bewußt bin. Zur Kritik an der allgemeinen Evolutionstheorie siehe v. a. Knapp, 1989, S. 47-58. Dies ist eine methodische Verzichtserklärung, mit dem weder die Berechtigung theologischer Fragestellungen, noch der mögliche individuelle "Bedarf" an Religiösem generell bestritten werden soll. Jonas, 1989, S. 36; vgl. entspr. Birnbacher, 1988, S. 206 f.; vgl. auch Höffe, 1993, S. 186 f.

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esse jedes einzelnen liegt, als es um seine eigene oder die Existenz seiner Kinder und Kindeskinder geht. 49 Zweifellos ist dieser Verzicht - ebenso wie die damit unweigerlich einhergehende Verkürzung der philosophischen Argumentation - problematisch, wobei hier vor allem an die letztlich enorme Bedeutung der theologischen Dimension für Hobbes zu denken ist50; er scheint jedoch im wesentlich aus folgenden drei Gründen als gerechtfertigt: 49

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Den abstrakten Begriff von der "Verantwortung für zukünftige Generationen" mag jemand als nicht nachvollziehbar oder - im Sinne Gehlens - als "hypertroph" bezeichnen; dieses Argument, mit dem sich die moralische Verpflichtung zur Beachtung der Interessen zukünftiger Generationen bestreiten ließe (vgl. dazu etwa Cooper, 1989, S. 494), dürfte aber versagen, wenn es um die eigene Person und um die Personen innerhalb des biogenetischen "Nahbereichs" geht. Und dieser "Nahbereich", d.h. die Ur-Interessen jedes einzelnen am Fortbestand der eigenen genetischen "Ingroup", ist heute bereits durchaus betroffen (so können wir z.B. mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß zumindest unsere Kinder den spürbaren Gefährdungen ausgesetzt sein werden, die sich im Zusammenhang mit dem zunehmenden "Ozonloch" ergeben). Die etwa im Zusammenhang mit der moralischen Gebundenheit des Hobbesschen Souveräns an die Gebote Gottes oder in der Gleichsetzung von "Gesetz der Natur" mit "Moralgesetz" und "Gesetz Gottes" sowie nicht zuletzt natürlich in der sehr breiten Diskussion des "christlichen Staat[es]" in seinem politischen Schriften deutlich wird (vgl. etwa Le, Teil III, S. 285-534; Ci, Kap. 15-18, S. 235-327; El, Teil 2, Kap. VI., VII, S. 166-188). Doch dabei ist zu bedenken, daß Hobbes' System bis zu diesen Punkten gerade ohne die Gottes-Hypothese auskommen will und kann. Aus heutiger Sicht kann man mit dem Anthropologen Christian Vogel (Vogel/Pannenberg, 1989, S. 181 f.) so argumentieren, Wissenschaft sollte möglichst weitgehend säkularisiert bzw. "entideologisiert" sein, wobei "Ideologie" als weiter Begriff eben auch die Religion umfaßt. Allerdings ist dieser Anspruch insofern höchst problematisch, als auch die Evolutionstheorie letztlich mythologischen Charakter hat (siehe dazu unten, Fußnote 53) und daher von Vogel eigentlich als "Ideologie" stigmatisiert und aus dem Bereich der Wissenschaft ausgegrenzt werden müßte. In seiner strengen Form ist Vogels Anspruch daher nicht zu halten, und es wäre angemessener, die Unmöglichkeit einer "reinen" Wissenschaft, die Unhintergehbarkeit eines "ideologischen" Fundaments anzuerkennen, dieses kenntlich zu machen und zu versuchen, die eigene, darauf aufbauende Position möglichst gut zu begründen; zur fraglichen bzw. letztlich unmöglichen Synthese von (christlicher) Theologie einerseits und Evolutionstheorie bzw. Soziobiologie andererseits sowie zur soziobiologischen Deutung des Phänomens "Religion" siehe Wickler, 1981 (zur "Evolution der zehn Gebote" auch Alexander, 1981a, S. 292 f.); Wuketits, 1989, S. 153 ff.; Vogel/Pannenberg, 1989, S. 173-193.

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1. Es kann davon ausgegangen werden, daß über beide Axiome ein weitgehender Konsens besteht. Die Evolutionstheorie ist heute als die "Grundlagentheorie der Wissenschaften" weithin akzeptiert51; die Zahl derer, Ein weiteres Argument für den möglichen Verzicht auf die nähere Auseinandersetzung mit der theologischen Dimension bei Hobbes läßt sich aus dem Umstand ableiten, daß sich ihre große Bedeutung für Hobbes weniger aus seinem (nicht sinnvoll zu bezweifelnden; siehe dazu Palaver, 1991, S. 17 f.) persönlichen Glauben erklären läßt als vielmehr aus der Tatsache, daß die für Hobbes vordergründigste Ursache für den Bürgerkrieg in England, gegen den er schrieb, eben in religiösen Zwistigkeiten lag. Das impliziert die - hier nicht zu beweisende - These, Hobbes hätte dieser theologischen Dimension weniger Beachtung geschenkt, wenn die Ursachen des Bürgerkriegs - wie übrigens auch des dreißigjährigen europäischen Krieges 1618-1648, dessen Zeitzeuge Hobbes war! - anderer Natur gewesen wären. Palavers Einschätzung, wonach das schlichte Faktum, daß "Hobbes in einer Zeit lebte, die von gewaltsamen religiösen Kriegen und Auseinandersetzungen gekennzeichnet war, ... allein schon ... die Notwendigkeit [erklärt], sich mit religiösen Fragen zu beschäftigen", trifft vollauf zu. Zur Bedeutung der theologischen Dimension für Hobbes siehe etwa Willms, 1987, S. 189-215; Weiß, 1980, S. 232-256; Schelsky, 1981, S. 284-320; Palaver, 1991 (hier insb. Teil 2, Kap. 3 u. 4). 51

Was immerhin ein so kritischer Autor wie Koslowski (1984a, S. 9, 56 f.) einräumt (vgl. in ähnlichem Sinne auch Kritiker der Evolutionstheorie wie Löw/Spaemann, 1981, S. 241, 277 f.; Low, 1986/87, S. 32; ders., 1989, S. 1160, 1166 f.; Knapp, 1989, S. 47 ff.); verschiedene Autoren wie etwa Eibl-Eibesfeldt (1989 1 4 , S. 45) sprechen in diesem Zusammenhang schlicht von der "Tatsache der Evolution"; Kadlec (1976, S. 122) geht davon aus, die "Theorie der Evolution der Lebewesen [könne] als wissenschaftlich ausreichend gesichert angesehen werden"; für Wuketits (1990, S. 162) gibt es "aus heutiger Sicht keinen ernsthaften Grund mehr", an der "Wahrheit" (!) der Evolutionstheorie zu zweifeln; vgl. entsprechend Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 19; der Soziobiologie Dawkins (1976, S. 1) ist sich dessen nicht minder sicher: "Today the theory of evolution is about as much open to doubt as the theory that the earth goes round the sun"; der Biologe Peters (1978, S. 4) versteht die Evolutionstheorie als ein echtes "Paradigma" im Kuhnschen Sinne; zur "Zuverlässigkeit der Evolutionstheorie" siehe ferner Vollmer, G., 1986, S. 95; Mohr, 1987, S. 20; Masters, 1988, S. 266 ff.; Vogel, 1988, S. 194 f.; Bayertz, 1990, S. 166 f.; ebs. Bucher, 1992, S. 20-32. Löw/Spaemann (1981, S. 242) weisen jedoch zurecht daraufhin, viele Vertreter der Evolutionstheorie ließen ihren Hypothese-Charakter völlig außer acht, man habe es im Gegenteil mit einer "dezidierten Wahrheitsüberzeugung" zu tun; vgl. entspr. Bucher, 1992, S. 30 ff. Ähnlich insistiert Bayertz (1992, S. 154) darauf, auch die Soziobiologie könne immer nur ein "Modell" ihres Gegenstandes und somit stets nur "eine mögliche Deutungsperspektive" zur Verfügung stellen. Diese Kritik ist ebenso zutreffend wie die scharfsinnige sprachanalytische Kritik von Kambartel (1989, S. 66

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die das vollständige Aussterben der gesamten Gattung Mensch wünschen, dürfte ebenfalls relativ klein sein. 5 2 2. Mit Hans Jonas 5 3 meine ich, daß auch das zweite Axiom, die moralische Gebotenheit des Überlebens der Menschheit, letztlich nur metaphysisch zu begründen ist, ebenso wie dies auch für das erste Axiom, die "Wahrheit" der Evolutionstheorie, in gleicher Weise gilt. Da aber jede metaphysische Begründung jeweils wiederum vor der Frage steht, ob sie denn wahr ist, bleibt letztlich - sofern man das intellektuelle Spiel nicht um seiner selbst Willen ad

ff.), wonach eine evolutionstheoretische Erklärung der Welt aus grammatischen Gründen unmöglich sei (eine Formulierung wie die, "man" habe homo erectus vor 70.000 Jahren "auch in Europa, China und Java" getroffen [Phocas, 1986, S. 101] ist demnach grammatischer Unsinn); möglich seien nur Feststellungen dessen was ist sowie Berichte und Erzählungen über "den unerklärlichen Übergang zu neuen Entwicklungen" wie etwa der menschlichen Sprache oder dem Bewußtsein. Mit dem "Vater" der Soziobiologie, Edward O. Wilson (1979, S. 181) sei hier darüber hinaus betont, daß selbstverständlich auch die Evolutionstheorie letztlich auf metaphysischen oder mythologischen Fundamenten aufbaut, und zwar insofern, "als die Gesetze, die [sie] hier und jetzt anführt, Gegenstände des Glaubens sind, ohne daß sie je definitiv bewiesen werden können" (vgl. entspr. Dawkins, 1978, S. 17 ff.). Mir ist dieser metaphysisch-spekulative Gehalt der Evolutionshypothese ebenso bewußt wie der Umstand, daß mittels evolutionsbiologischer Erklärungen kein negativer Gottes beweis zu führen ist; insofern lege ich also, wenn ich von vorne herein von ihrer Richtigkeit ausgehe, so etwas wie ein "Glaubensbekenntnis" ab. Weil ich aber zum einen davon ausgehe, daß es in der Philosophie keinen Ausgangspunkt gibt, dessen "Wahrheit" nach wissenschaftlichen Kriterien bewiesen oder auch nur allgemein anerkannt wäre, daher also jede Philosophie - vor allem dann, wenn sie praktisch oder praktikabel sein will - von irgendeinem nicht mehr hinterfragten Punkt ausgehen muß (vgl. dazu etwa Vollmer, 1987, S. 90 f.; ebs. Höffe, 1977, S. 28 in Bezug auf alle Versuche einer rationalistischen Ethik-Begründung; für die normative Politikwissenschaft Patzelt, 1992, S. 80 f.), und weil ich zum zweiten die Meinung von Koslowski (1984, S. 71) teile, der evolutionäre Mythos sei "erfolgreicher in der Erklärung theoretischer Phänomene" als andere "Mythen" (vgl. dazu auch Lorenzen, 1989, S. 1152), deshalb halte ich diese gleichsam "dogmatische" Vorgehensweise für vertretbar. 52

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Bühl (1976, S. 150) hält zurecht eine Entscheidung für nicht mehr rational rechtfertigbar, die "das Leben unter keinen Umständen für lebenswert" gelten lassen will. Zu einem entsprechenden "Programm" für das "Untier" Mensch siehe etwa Horstmann, 1985, S. 7 ff., 113 f. Jonas, 1989, S. 36.

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infmitum immer weiterführen will54 - ohnehin nur die nicht mehr weiter hinterfragte Entscheidung für eine Position ("Die Evolutionstheorie ist prinzipiell wahr oder sie ist prinzipiell falsch"; "Die Permanenz menschlichen Lebens ist ein absolutes moralisches Gebot oder sie ist es nicht".)- Diese zeitund platzraubende Prozedur einer "endlose[n] Begründungsesoterik"55, die letztlich ohnehin nicht zu den gewünschten positiven, absolut beweiskräftigen Ergebnissen führen kann56, glaubte ich mir sparen zu können, im Sinne der praktischen Absicht sogar zu müssen. Dies bedeutet aber vor allem in Hinblick auf die Evolutionstheorie bzw. die Soziobiologie nicht, daß ich sie in allen Einzelheiten unkritisch akzeptiere; dies ist gerade nicht der Fall (siehe dazu v.a. Teil 1 Kap. I. 5). 3. Goethes Wort, wonach es unmöglich ist, am philosophischen "Webstuhl" auch nur einen Faden zu ziehen, ohne daß sich dadurch notwendig tausend andere bewegten57, ist ohne Zweifel zutreffend. Wollte man daher in einem philosophischen Text jedem problematischen oder nicht abschließend geklärten Begriff nachspüren, ihn (womöglich auch noch in all' seinen interdisziplinären Dimensionen) detailliert anhand der - im Zweifel stets Bibliotheken umfassenden - Literatur diskutieren, liefe dies unweigerlich entweder auf die hybride Donquichotterie eines Super-Generalismus' hinaus, oder aber auf die "Atomisierung" der Beschäftigung mit philosophischen Problemen, auf ein extremes Spezialistentum, das dem der Naturwissenschaften in nichts nachstünde. Jedes philosophische Unternehmen, das auf Systemerkenntnis aus ist, den "Blick fürs Ganze" nicht vollständig verlieren und womöglich sogar nicht "zweckfrei", sondern praktisch relevant sein will, ist daher aus pragmatischen Gründen zum einen zu einer gewissen Oberflächlichkeit (und manchmal wohl auch Naivität) bei der Auseinandersetzung mit einzelnen Spezialfragen und zum anderen immer wieder zu dezisionistischen Entscheidungen in heiklen, unentschiedenen philosophischen Streitfra54 55 56

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Auch wenn allein dies - nach der Meinung von Autoren wie Kleinknecht (1990, S. 118) - "wahre" Philosophie wäre. Lesch, 1991 2 , S. 190. Als Beispiel sei etwa auf den Sammelband von Bieri (1981) verwiesen, in dem u. a. die Leib-Seele- und Materialismus-Problematik aus der Sicht analytischer Philosophie diskutiert werden. Bieri läßt von vorne herein keinen Zweifel daran aufkommen, daß die in diesem Band diskutierten Fragen, Probleme und Lösungsvorschläge "eine lange Geschichte haben. Viele der aufgeworfenen Fragen sind alt, und oft sind auch die gegebenen Antworten alt. Was manchmal neu ist, sind die Begriffe, in denen sie formuliert sind" (S. 1). Goethe, Faust I, 1922-1935.

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gen genötigt. 58 Insbesondere trifft diese Schwierigkeit auf den dritten Teil dieser Arbeit zu, in dem der Versuch unternommen wird, die in den ersten beiden Teilen erarbeitete theoretische Grundlage auf aktuelle (welt-)politische Probleme anzuwenden. Hierbei werden unvermeidlich viele Teilaspekte berührt, die vor allem aus politikwissenschaftlicher Sicht zweifelsohne wichtig sind und eine gründliche(re) Bearbeitung fordern - die im Rahmen dieser Arbeit (nicht zuletzt wegen der fehlenden politikwissenschaftlichen Kompetenz) nicht geleistet werden kann. Doch die Frage ist, ob dieses Manko notwendig als ungebührliche interdisziplinäre Grenzverletzung gesehen und mit entsprechendem Territorialverhalten quittiert werden muß, oder ob es nicht vielmehr als Einladung zu einem interdisziplinären Dialog aufgefaßt werden kann. Eine der wichtigsten Parallelen zwischen Hobbes und der modernen Soziobiologie besteht nun in dem Versuch, den Menschen und sein Verhalten nach einer einheitlichen Methode streng wissenschaftlich zu analysieren und zu erklären. Hobbes' Versuch einer politischen Wissenschaft "more geometrico", die auf die bis dahin übliche "theoretische Insuffizienz und Esoterik"59 politischer Theorie verzichten will, entspricht der Anspruch heutiger Ethologen und Soziobiologen, den Menschen wissenschaftlich aus einem einheitlichen Theorie-Prinzip zu bestimmen.60 Beide Theorieansätze versuchen, mög-

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Mit Thomas Wiegele (1979, S. XIII) bin ich mir also über folgendes völlig im Klaren: "To produce a volume which crosses disciplines is, in many respects, a frightening task. This is the case because one is continuously confronted with the all too apparent limits to one's own knowledge"; entspr. plädiert auch Lesch (1991^, S. 185) dafür, ein Ethiker könne, bevor er seine Auffassung zu einem drängenden ethischen Problem vorträgt, nicht immer warten, "bis seine Argumente nach allen Seiten wasserdicht sind"; zur Forderung nach einer '"Intrapersonen-Interdisziplinarität"' siehe auch Höffe, 1993, S. 255 ff. Kodalle, 1972, S. 7; zur Hobbesschen Methode, vor allem der Bedeutung Euklids sowie der Mathematik und Naturwissenschaft siehe Strauss, 1965, S. 132 ff.; vgl. auch Markl, K.-P., 1985; Weiß (1992, S. 1296 ff.) hebt zurecht den paradigmatischen Charakter der Methodologie bei Hobbes (und Descartes) hervor; zur Bedeutsamkeit der Hobbesschen Methodologie für die neuere philosophische Politikforschung analytischer Provenienz siehe Markl, 1985, S. 54 ff. Kerstings These (1992, S. 59), wonach "Hobbes' Methoden- und Erkenntniskonzeption heute nur noch von geistesgeschichtlichem Interesse" sei und "keine Elemente [enthalte], die in den methodologischen Diskussionen der politischen Philosophie der Gegenwart nützlich sein könnten", ist demnach unzutreffend; zu Hobbes' methodologischem Universalismus vgl. etwa Conrad, 1991, S. 94-97.

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liehst weitgehend auf Metaphysik und Esoterik zu verzichten und mit empirisch-realistischen Mitteln auszukommen.61 Methodisch möchte ich daher entsprechend dem reduktionistischen Verfahren der Naturwissenschaften vorgehen, d.h. zunächst nach möglichst einfachen, sparsamen Erklärungen suchen, die dann für die weitere Argumentation als gültig vorausgesetzt werden. Diese Methodik ist der Hobbesschen durchaus analog: Im ersten Teil der Arbeit wird es darum gehen, aus dem Vergleich zwischen Hobbesscher Anthropologie und moderner Soziobiologie ein Bild vom "Wesen" des Menschen zu entwerfen, der als Individuum de facto der kleinste "Baustein" menschlicher Sozietäten ist. Dabei wird so vorgegangen, daß zunächst die zentralen Theoreme der Soziobiologie dargestellt und erläutert werden, die dann kritisch-vergleichend auf analoge oder homologe Passagen in Hobbes' Werk "angewandt" werden. 62 Auf der Basis des auf diese Weise erarbeiteten, als tragfahig angenommenen Menschenbildes wird im zweiten Teil - ebenfalls wieder vermittels des systematischen Vergleichs zwischen Soziobiologie (bzw. "biopolitics") und Hobbes - versucht, Ursprung und Strukturmerkmale menschlicher Gesellschaften bis hin zu den modernen Staatsgebilden nachzuzeichnen. Im dritten, wesentlich problematischeren - aber für den Bearbeiter auch reizvollsten - Teil wird schließlich versucht, die bis dahin erarbeiteten Ergebnisse über das "Wesen" des Menschen, die "Tiefenstruktur" seines (politischen) Handelns sowie grundlegende Prinzipien und Mechanismen des Ursprungs und Funktionierens menschlicher Gemeinschaften auf eine übergeordnete Ebene zu übertragen bzw. in analoger Weise anzuwenden: die Ebene der Staaten unter sich. 63 Das hat unter anderem zur Folge, daß in diesem 61

Vgl. dazu die Argumentation von Vogel (Vogel/Pannenberg, 1989, S. 184 ff.), der zurecht, jedenfalls was die Erklärung theoretischer Phänomene betrifft - das naturwissenschaftliche "Prinzip der einfachsten Erklärung" als die "erfolgreichste Schiene des Erkenntnisgewinns" bewertet; zur systematischen Ausgrenzung von Metaphysik und Theologie bei Hobbes siehe Willms, 1987, S. 55-61 (wobei hier insbesondere die Interpretation der Bibelstelle Lk 19, 15-26 interessant und aufschlußreich ist; vgl. S. 57 f.); vgl. ebs. Weiß, 1980, S. 33-42.

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Es geht also nicht um die vollständige Rekonstruktion und Darstellung des Hobbesschen Systems, nicht um die soundsovielte theorien- und problemgeschichtlich orientierte, philologisch-immanente Hobbes-Exegese, sondern um die "Beleuchtung" und Diskussion zentraler Thesen Hobbes' aus einem neuen Blickwinkel und in praktischer Absicht. Hobbes wird also insofern heuristisch wie ein "Zeitgenosse" behandelt. Es geht mir hier also um "'biopolicy'" im Sinne von Flohr/Tönnesmann (1983, S. 19), um die praktische Anwendung soziobiologischer und "biopolitical" Ergebnisse

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dritten Teil die empirische Komponente gegenüber der philosophisch-begrifflichen ein eindeutiges Übergewicht erhalten muß, weil eben hier das Vorliegen der empirischen Voraussetzungen für die Theorie-Anwendung nachzuweisen ist. Was die Zielsetzung der Arbeit anbelangt, so sei vor allem darauf hingewiesen, daß mich die Beschäftigung mit Hobbes ebensowenig "selbstverständlich" - wie es Ernst Vollrath suggeriert - zu einem Plädoyer für den starken Staat geführt hat wie die Beschäftigung mit der Soziobiologie zur Verfechtung des Sozialdarwinismus.64 Mit Hobbes und der modernen Soziobiologie gehe ich davon aus, daß die Existenz einer mit realer politischer Zwangsgewalt ausgestatteten Institution notwendige Bedingung für das friedliche Zusammenleben von Menschen in größeren sozialen Verbänden ist. Ich bin zudem der Überzeugung, daß sich diese lebenspraktische Notwendigkeit heute, in einer immer "enger" werdenden Welt - Jonas' "universaler Stadt"65 - auch für das wechselseitige Verhältnis der Staaten - die wie Individuen primär an ihrer freien Selbsterhaltung interessiert sind - theoretisch nachweisen läßt und plädiere deshalb im letzten Teil der Arbeit für supranationale Institutionen mit realer politischer Zwangsgewalt als dem "unvermeidliche[n] Ausgang der Not". 66

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auf "politische Probleme, die sich aus dem Eingreifen des Menschen in seine eigene Natur und die seiner Umwelt ergeben", mit einem klaren Schwerpunkt bei "Fragen der ökologischen Bedingungen menschlicher Existenz"; zur soziobiologischen Forderung nach der "Moralphilosophie als eine[r] angewandtefnj Wissenschaft" vgl. Wuketits, 1993b, S. 47. Vollrath, 1992, S. 37. Überhaupt scheint diese Lesart der Hobbesschen Staatsphilosophie zu übersehen, daß Hobbes den "Leviathan" nicht wie Machiavelli (jedenfalls im "Principe") in erster Linie als Macht-, sondern vielmehr als Friedensinstrument gesehen hat; sein Anliegen ist in tiefstem Sinne moralisch und insofern pazifistisch, als er dem Naturzustand als Kriegszustand ein Ende bereiten will; Hannah Arendt (1985, S. 34) schrieb dazu: "... selbst Hobbes, dem das Politische sicherlich näher lag als jedem anderen Verfasser einer Politischen Philosophie ... schrieb seinen Leviathan, um den Gefahren der Politik zu wehren und so viel Frieden und Ruhe als menschenmöglich zu garantieren"; vgl. zu dieser Interpretation auch Kersting, 1992, S. 43 ff.; ebs. Forschner, 1989, S. 149; Raeder, 1990, S. 211; Neri, 1988; Schaefer, 1993, S. 24; ebs. bezeichnet Baier (1987, S. 164) zutreffend die "mediators of peace" als die "true Hobbesians". Jonas, 1989, S. 33; vgl. Gore, 1992, S. 370. Kant, 1978^, XI, S. 42, A 399. Zum zentralen Theorem des Kosmopolitismus in Kants politischer Philosophie siehe v.a. Sassenbach, 1992, S. 77-112.

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Das heißt jedoch nicht, diese sollten oder müßten notwendig die Gestalt eines "starken", autoritären oder gar totalitären Staates annehmen; ganz im Gegenteil sollten diese vernünftigerweise freiheitlich-pluralistisch konzipiert sein, dabei aber zugleich "stark" genug, die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen, die Reziprozität zwischen politischer Führung und "Bürgern" (resp. den partizipierenden Völkern und Nationen) zu gewährleisten. "Starke Staaten" im negativen Sinne sind eher für den Fall zu erwarten, daß eine möglichst bald mit politischen Mitteln zu erreichende inter-nationale Einigung auf derartige ausreichend starke "Super-Leviathane" nicht gelingt. Weiterhin sei hier betont, daß es selbstverständlich nicht der Anspruch dieser Arbeit ist und realistischerweise sein kann, eine differenzierte normative Theorie der Strukturbildung internationaler Politik auszuarbeiten; dazu bedürfte es zweifelsohne einer Fülle weiterführender, vor allem politikwissenschaftlicher Studien. Beansprucht wird nicht mehr (aber auch nicht weniger) als die theoretisch gründlich abgestützte Erarbeitung einer (zweifelsohne utopischen) Orientierungsgröße, einer sich aus den theoretischen Grundlagen folgerichtig ergebenden Zielvorgabe - was umgekehrt die These impliziert, daß praktisch-politische Philosophie auch heute noch in der Lage sein kann, eine solche (heuristische) Orientierungsfunktion zu übernehmen. Schließlich: In dieser Arbeit, deren vor allem im letzten Teil zum Tragen kommender spekulativ-utopischer Gehalt sicherlich ihren - wenn überhaupt vorhandenen - eigentlichen praktischen Wert ausmacht, kann es nicht darum gehen, philosophisch-politische Überlegungen mit zwingender Beweiskraft auszustatten. Es geht also - auch wenn ich mich dadurch als "Philosoph" diskreditieren sollte - nicht primär um "Wahrheit" in Sinne eines letztgültigen Beweises; vielmehr ist mir daran gelegen, eine möglichst hohe "konzeptuelle Überzeugungskraft" anzustreben und mit meinen Überlegungen in eine offene, hoffentlich konstruktive Diskussion einzutreten.67 67

Die sinnvolle Unterscheidung zwischen zwingender Beweiskraft und konzeptueller Überzeugungskraft, der die Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer echten, positiven Wahrheitsfindung zugrundeliegt, übernehme ich von Schwan, 1990, S. 6; vgl. entspr. Baumgartner, 1992b, S. 21; zur Differenz zwischen Wahrheit und Glaubwürdigkeit im Kontext politischer Philosophie Oesterreich, 1994, S. 40 ff. Im Sinne jener gewünschten "Überzeugungskraft" erschien es mir angemessener, bei der Formulierung von Thesen - etwa bei Übertragungen soziobiologischer Theoreme auf den Menschen, bei Analogisierungen zwischen Hobbes und der Soziobiologie sowie bei der praxisorientierten Anwendung der theoretischen Ergebnisse auf aktuelle (weltpolitische Probleme - einen eher offensiven, affirmativen Stil zu verwenden, da dieser eher geeignet ist, Anstoß zu erregen, Reaktionen zu provozieren. In diesem Punkt halte ich es also mit Nietsche (1985, II, S. 12 f.): "Vor jedem Einzel-

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Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel "Hobbes, die Soziobiologie und Erdpolitik" im Wintersemester 1993/94 von der Philosophischen Fakultät der Universität Passau angenommen wurde. Mein herzlicher Dank gilt allen Personen und Institutionen, die mich in irgendeiner Weise beim ihrem Zustandekommen unterstützt haben, insbesondere: meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Wilhelm Lütterfelds, für sehr vieles, vor allem aber für die Atmosphäre intellektueller Freiheit. Herrn Prof. Dr. Werner J. Patzelt, vornehmlich für zahlreiche Anregungen und wichtige "motivationale Schützenhilfe". Herrn Prof. Dr. Ulrich Weiß für sein wohlwollendes Interesse und zahlreiche Anregungen. Der Studienstiftung des deutschen Volkes (mit speziellem Dank an Herrn Prof. Dr. Hartmut Laufhütte). Meinem unermüdlichen "advocatus diaboli", Dr. Andreas Roser.

Meiner lieben Frau für alles, was zu schreiben den Rahmen einer Dankes-Notiz sprengen würde.

Passau, im März 1995

Der Verfasser

nen sind wir voll hundert Rücksichten: aber wenn man schreibt, so verstehe ich nicht, warum man da nicht bis an den äußersten Rand der Ehrlichkeit vortritt. Das ist ja die Erholung!". Wenn ich von einer "offenen" Diskussion spreche, dann möchte ich damit die (womöglich bodenlos naive) Hoffnung zum Ausdruck bringen, Philosophie - vor allem politische und Moralphilosophie - möge nicht nur im hermetischen Raum philosophischer Professionalität verkümmern, sondern auch darüber hinaus in einer breiteren Öffentlichkeit und vor allem auf der Ebene politischer Funktionsträger (wieder!) hörbar und - sofern sie vernünftige Argumente vorzutragen weiß - spürbar werden.

TEIL 1

VOM MENSCHEN

I. Hobbes und die Soziobiologie - Vergleich zweier Menschenbilder Wenn oben von der Akzeptanz "der" Evolutionstheorie die Rede war, so ist damit insbesondere die auf Darwin zurückgehende Selektionstheorie gemeint: Die bei jedem Individuum vorhandene Disposition zur genetischen Reproduktion, d.h. zur Reproduktion von direkten Nachkommen bei gleichzeitiger Begrenztheit der vorhandenen, überlebensnotwendigen Ressourcen innerhalb einer ökologischen Nische zwingt die Lebewesen zum (berühmt-berüchtigten) "Kampf ums Dasein". In dieser beständigen Konkurrenzsituation haben diejenigen die besten Überlebens- und damit zugleich auch Reproduktionschancen, die am besten an die in der jeweiligen ökologischen Nische herrschenden Umwelt-, d.h. Überlebensbedingungen angepaßt und insofern die "fittest" sind. 1 1

Zur Zurückweisung eines der zentralen Vorwürfe gegen die Evolutionstheorie, ihre Kernthese vom "survival of the fittest" sei schlicht tautologisch, siehe Alexander, 1979a, S. 61 ff.; Bratzier, 1984, S. 87-96; Knapp, 1989, S. 49 f.; Lorenzen, 1989, S. 1154 f. Vielleicht wäre es nützlich, sich den Darwinschen Begriff der "fitness" mit dem Begriff der "virtù" bei Machiavelli verständlich zu machen. In dessen "magischem Viereck" ist die "virtù" die Tüchtigkeit eines Menschen (Politikers), vor dem Hintergrund der unbeeinflußbaren persönlichen und situativen Voraussetzungen ("necessità"), eine sich glücklicherweise ("fortuna") ergebende Gelegenheit ("occasione") flexibel, tatkräftig und zupackend zu seinen Gunsten zu nutzen.

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Wichtig ist also die Feststellung, daß der "Motor" der Evolution die "interindividuelle Konkurrenz zwischen Artgenossen um möglichst gute Fortpflanzungschancen unter den mit steigender Populationsdichte zwangsläufig ungüstiger werdenden Bedingungen einer allgemeinen Ressourcenverknappung [ist]".2 Unter der Voraussetzung, daß diese Theorie zutrifft und ihre Grundannahmen "im Reich des Lebendigen stets erfüllt [sind]"3, besagt die Kernthese der Soziobiologie (bzw. der Evolutionären Ethik), daß der Mensch sich wie alle anderen Organismen ganzheitlich "in" der natürlichen Evolution befindet, sich in einem evolutiven Prozeß unter Anpassung an die jeweils gegebenen Umwelt- und Überlebensbedingungen allmählich entwickelt hat. Alle Eigenschaften des Menschen, auch diejenigen, die wir im allgemeinen als spezifisch menschlich bezeichnen - also vor allem theoretische und praktische Vernunft, Moralität und Sittlichkeit -, sind daher kausal auf solche evolutiven Anpassungsprozesse zurückzuführen (wenn auch womöglich nicht vollständig reduzierbar). 4 Dies bedeutet nun nicht unmittelbar, Menschen würden mit einem starren, streng deterministischen Denk-, Erkenntnis- und Verhaltensmuster geboren. Aber - so etwa der Biologe Hans Mohr - wir müssen davon ausgehen, daß unsere Antriebs- und Verhaltensstrukturen zu "einem guten Teil genetisch determiniert" sind und sich durch kulturelle Überformung und Erziehung "nicht beliebig überspielen" lassen.5 Bei seiner Geburt bringt 2

Vogel, 1989, S. 25, 74 f. Die Darwinsche Selektionstheorie ist von späteren Theoretikern modifiziert oder ergänzt worden: In der synthetischen Evolutionstheorie durch genetische und populationsgenetische Erkenntnisse; die Systemtheorie der Evolution stellt neben die "äußere Selektion" (Selektion durch umweltbedingten Selektionsdruck) die sogenannte "innere Selektion", die bei der Ontogenese der Organismen eine zentrale Rolle spielt. Die Soziobiologie verändert nun die synthetische Evolutionstheorie dahingehend, daß sie nicht mehr einzelne Lebewesen oder Gruppen von Lebewesen als die "Zielscheibe der Selektion" betrachtet, sondern sogenannte "genetische Programme". Nach der Neutralitätstheorie der molekularen Evolution müssen die meisten Veränderungen auf molekularem Niveau als "selektionsneutral" und rein zufallsbedingt betrachtet werden. Die punktualistische Evolutionstheorie geht schließlich davon aus, daß es in der Evolution jeglicher Art Phasen der (nahezu) sprunghaften und andere Phasen geringfügiger evolutiver Veränderungen gab; vgl. dazu Lorenzen, 1989, S. 1151 f.

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Lorenzen, 1989, S. 1153. Vgl. dazu etwa Vogel, 1986, S. 477, 482; ebs. Ruse, 1993, S. 161: "Altruismus ist, genauso wie unsere Hände, Augen, Zähne, Arme und Füße, eine menschliche Anpassung". Mohr, 1993, S. 2; vgl. auch Wuketits, 1989, S. 154 f.

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jeder (gesunde) Mensch ein gewisses, genetisch implementiertes "Vorwissen" über die Welt mit, in die hinein er geboren wird und das sich in angeborenen Verhaltensmustern ausdrückt. Diese "angeborenen Lehrmeister" braucht schlechterdings jeder Organismus, um in seiner spezifischen Lebensumwelt überleben zu können. Die weitere Entwicklung des Gehirns nach der Geburt erfolgt nach diesem Modell in Form eines "Frage- und Antwortspiels, wobei dem werdenden Gehirn meist die Initiative zukommt. [...] Die prinzipiellen Muster unseres Verhaltens sind in der genetischen Software vorgegeben, die Feinstruktur bildet sich im Dialog zwischen der genetischen Software und der realen Welt. Der englische Ausdruck - fine tuning - bringt den Prozeßcharakter auf den Begriff. Die Gene bereiten uns also im Prinzip auf die Welt vor, in der wir zu leben haben; nur die Feinanpassung an die aktuelle Umwelt, in der wir uns bewähren müssen, erfolgt dann im Dialog zwischen Erbgut und Umwelt" , 6 Hobbes hatte nun eine im Ansatz durchaus vergleichbare Vorstellung vom Verhältnis zwischen Angeborenem und Erworbenem beim Menschen. Im "Leviathan" (S. 22 f.) führt er diesbezüglich aus: "Ich kann mir keine andere Tätigkeit des menschlichen Geistes denken, die ihm so von der Natur aus eingepflanzt worden wäre, daß zu ihrer Ausübung nichts weiter erforderlich ist, als daß man als Mensch geboren ist und seine fünf Sinne gebrauchen kann. Jene anderen Fähigkeiten, ... die allein dem Menschen eigen zu sein scheinen, werden durch Lernen und Fleiß erworben und vergrößert, von den meisten Menschen mit Hilfe von Unterricht und Zucht gelernt und ergeben sich alle aus der Erfindung von Wörtern und Sprache". Angeboren sind dem Menschen demnach seine "fünf Sinne"7 sowie die Anlagen, diese in menschenspezifischer Weise zu gebrauchen; alles weitere, die spezifische Entwicklung der Sinne, der individuellen Anlagen und Fähigkeiten, sind dann eine Frage der Erziehung, der Sozialisation und sozio-kulturellen Überformung, des "fine tuning". 6

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Mohr, 1993, S. 21; vgl. ders., 1987, S. 84; ebs. Bühl, 1976, S. 143; Lorenz, 1977, S. 17 ff., 31 ff., zur Erläuterung des Begriffs "angeborene Lehrmeister", S. 118 ff.; Ike, 1987, S. 225; Ruse, 1993, S. 161; zur grundlagentheoretischen Bedeutung dieser Thesen für die Sozialwissenschaften siehe Patzelt, 1992, S. 18 f. Ob die Rede von jenen "fünf Sinnen" aus heutiger Sicht noch vertretbar ist und welche angeborenen Systemeigenschaften, d.h. Wahrnehmungs- und Erkenntnisstrukturen sowie Handlungs- und Verhaltensdispositionen dem Menschen näherhin zugeschrieben werden können, ist hier nicht von primärer Bedeutung, da es lediglich um die Analogisierbarkeit der Ausgangsthese vom Verhältnis zwischen Angeborenem und Erworbenen geht.

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Diese Verwandtschaft zwischen dem anthropologischen Ansatz Hobbes' und der modernen Soziobiologie wird im folgenden noch deutlicher werden, wenn im einzelnen analysiert wird, was es für Hobbes heißt, "als Mensch geboren" zu sein. Denn es ist leicht nachzuweisen, daß Hobbes sehr wohl von weiteren angeborenen oder "apriorischen" Determinanten des menschlichen Wesens überzeugt war, im Verhältnis zu denen die "fünf Sinne" rein funktionalen Charakter haben. Die wichtigsten Thesen Hobbes' lauten in diesem Zusammenhang: "So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit, der nur mit dem Tode endet" (Le, S. 75). Und: "Denn jeder verlangt das, was gut, und flieht das, was übel für ihn ist; vor allem flieht er das größte der natürlichen Übel, den Tod; und zwar infolge einer natürlichen Notwendigkeit, nicht geringer als die, durch welche ein Stein zur Erde fallt" (Ci, S. 81). Ein Vergleich der Hobbesschen Begründung für diese harten Thesen mit den zuvor zu erläuternden Theoremen der Soziobiologie ergibt, daß Hobbes weitestgehend ein überaus modernes Menschenbild hatte.

1. Der Mensch aus soziobiologischer Sicht 1.1 Der Mensch: "Selbstorganisiertes System ohne übergeordneten Macher" Es ist sinnvoll, in diesem Zusammenhang einige Aspekte der modernen Evolutionstheorie näher zu erläutern. Zunächst ist die Unterscheidung zwischen "linearer" und "nichtlinearer" Wissenschaft von grundlegender Bedeutung.8 Eine lineare Wissenschaft wie etwa die klassische Physik operiert mit dem Prinzip der starken Kausalität-. Kleine Ursache - kleine Wirkung; große Ursache - große Wirkung. Das Prinzip einer schwachen Kausalität, nach dem bereits eine extrem kleine Ursache eine extrem große Wirkung zur Folge haben kann, wird von diesem klassischen Wissenschaftsverständnis abgelehnt. Ein weiterer Grundsatz linearer ("reduktionistischer") Wissenschaft lautet, auch komplexeste Systeme ließen sich derart in Subsysteme und diese wiederum in ihre Bestandteile zerlegen, daß das Ganze (das komplexeste System) als die Summe seiner Teile - und nicht mehr! - erscheint. Dieses lineare Wissenschaftsprinzip erweist sich jedoch für eine Fülle von Phänomenen wie etwa das Wetter, die Entwicklung eines Ökosystems oder eben für die biologische Evolution als vollkommen untauglich; derartige Sy8

Vgl. dazu Lorenzen, 1989, S. 1150 ff.

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steme sind einer linearen Erklärung nicht zugänglich. Dies liegt daran, daß sämtliche energiegetriebenen Naturphänomene nach anderen, eben nach "nichtlinearen Gesetzmäßigkeiten" verlaufen. Und mit diesen nichtlinearen Gesetzmäßigkeiten versucht nun auf wissenschaftlicher Ebene eine nichtlineare, ganzheitliche, holistische oder synergetische Wissenschaft zu operieren - speziell für das nichtlineare System "Evolution" die synergetische Evolutionstheorie.9 Die zentralen Sätze des im Verhältnis zur Tradition neuartigen Naturverständnisses dieser synergetischen Wissenschaftstheorie lauten: a) Wachstumsvorgänge werden in "energiegetriebenen Systemen" sowohl durch positive als auch durch negative Rückkopplungen beherrscht, wobei positive Rückkopplungen das Wachstum fördern, negative es hemmen. 10 Indem sich in wachsenden Strukturen Einzelteile vermehren, üben sie einen "Wachstumsdruck" auf das Gesamtsystem aus ( = Wachstumsförderung)-, dem steht die Tatsache gegenüber, daß aufgrund der Begrenztheit der Ressourcen jedes Wachstum irgendwann an eine "Wachstumsgrenze" stoßen muß und so gebremst wird ( = Wachstumsbremsung). b) In energiegetriebenen Systemen kann es - je nach Anfangs- und Rahmenbedingungen - aufgrund ein und derselben nichtlinearen Gesetzmäßigkeit sowohl zu "verschiedenen Formen strenger, energieverzehrender Ordnung oder wilden, energieverzehrenden Chaos" kommen - was sowohl für die Förderung als auch die Bremsung von Wachstum gilt. Ordnung und Chaos sind mithin als "verschiedene Aspekte identischer Gesetzmäßigkeiten" zu betrachten; ihre Entstehung und Beibehaltung wird als "Selbstorganisation", d.h. als "Organisation ohne übergeordneten Macher" bezeichnet.11 Kreationistische Interpretationen des evolutiven Geschehens werden daher ausgeschlossen. Denn wenn die sich selbst organisierende Materie als Grundlage alles Seienden einschließlich ihrer selbst anzusehen ist, dann kann auf die Annahme eines übergeordneten, transzendenten, transmateriellen "Machers" verzichtet 9

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Lorenzen, 1989, S. 1151 f.; zur Betrachtung der Evolutionstheorien unter einem derartigen synergetischen Gesichtspunkt vgl. auch Bratzier, 1984, S. 68 ff.; ebenso plädiert Coming (1983, S. 55 f.) dafür, daß "es nicht mehr ... verfrüht [sei], eine vereinheitlichende These [der Evolution] vorzuschlagen". Als das Phänomen, das "in der 'progressiven' Evolution von biologischer Organisation auf allen Ebenen von zentraler Bedeutung ist", bezeichnet Corning einen "funktionale[n] Synergismus". Zur Frage der Wirksamkeit von positiven Rückkopplungen in "lebendigen Systemen" vgl. auch die diesbezüglichen Ausführungen von Lorenz, 1977 2 , S. 35-46. Zur Vereinbarkeit der Paradigmen "Evolution" und "Selbstorganisation" siehe auch Wuketits, 1993a, S. 211 f.

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werden. Diesem Verständnis von "Selbstorganisation" - und damit der synergetischen Evolutionstheorie - liegt also ein strenger philosophischer Materialismus zugrunde. 1 2 c) Eine selbstorganisierte Struktur stellt deshalb ein Ganzes dar, das nicht einfach als die Summe seiner Teile verstanden werden darf, weil sich in ihr zwar "unzählig viele Einzelteile koordiniert verhalten", diese aber "isoliert für sich" ebenso zu einer Vielfalt anderer Verhaltensweisen fähig wären. Wieso nun unter spezifischen äußeren Bedingungen von diesen potentiell vielen Verhaltensweisen in einem konkreten System nur eine oder wenige verwirklicht werden, dies ist zusätzlich zu erklären. 1 3 d) Außer dem Prinzip der starken Kausalität gilt in energiegetriebenen Systemen - insbesondere im Bereich von "Schwellenwerten" - das Prinzip der 12

Vgl. dazu Knapp, 1989, S. 90 ff., 173, 304. Auf die Frage, ob eine derartige materialistische Evolutionstheorie notwendig atheistisch sein muß, kann hier nicht näher eingegangen werden. Auf der Basis der These, daß die Spezies Mensch sich mit allen ihren Eigenschaften, Leistungen und Fähigkeiten in der Evolution allmählich entwickelt hat, kann man zwar argumentieren, daß "dann .. die Spezies durch genetischen Zufall und umweltbedingte Notwendigkeit, nicht aber von Gott geschaffen [wurde]. Die Gottheit kann man dann wohl noch in der Entstehung der letzten Bausteine der Materie, in Quarks und Elektronenschalen, suchen (Hans Küng [eigentlich war es ja bereits Leibniz; T.M.] hat den Atheisten zurecht die Frage gestellt, warum es statt nichts etwas gibt), nicht aber in der Entstehung der Arten" (Wilson, 1979, S. 9). Dieses Argument ist allerdings nicht überzeugend, da schließlich der Schöpfer der "letzten Bausteine der Materie" bereits in diesen den göttlichen Weltplan "installiert" haben könnte, was dann eine teleologische Interpretation des gesamten evolutiven Geschehens einschließlich der Menschheitsgeschichte ermöglichte. Allerdings ist Konrad Lorenz' (1989^, S. 282 ff.) Überlegung sicher nicht ganz von der Hand zu weisen, es müsse sich doch um einen "traurige[n] Gott" handeln, wenn er "den heutigen Menschen, wie er durch den Durchschnitt unserer Spezies repräsentiert wird, absichtlich so geschaffen habe".

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Vgl. Lorenzen, 1989, S. 1152; auch hier legt sich wieder ein Verweis zu Lorenz' "Rückseite des Spiegels", besonders auf seine (höchst problematische; vgl. weiter unten, Fußnote 206) Begründung des "Fulgurationismus" (a.a.O., S. 47 ff.) nahe. Allerdings fallt ein Unterschied auf: Während Lorenz von einem "Akt der Neuschöpfung", vom "Vorgang des In-Existenz-Tretens von etwas vorher nicht Dagewesene[n]" bzw. dem "schlagartig[en]" Auftreten "völlig neue[r] Systemeigenschaften" spricht, "die vorher nicht, und zwar auch nicht in Andeutungen, vorhanden gewesen waren", scheint Lorenzen in diesem Zusammenhang mehr das Problem zu beschäftigen, wieso unter bestimmten, bereits vorhandenen Möglichkeiten nur einige wenige realisiert werden. Auf die Notwendigkeit der Entstehung "neuartiger Eigenschaften" weist Lorenzen aber später (S. 1156) ebenfalls hin.

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schwachen Kausalität (in der Nähe geeigneter Schwellenwerte können bereits geringfügige genetische oder Umweltveränderungen gewaltige Wirkungen auslösen).14 Diesen Prinzipien einer nichtlinearen Evolutionstheorie muß jedoch das Darwinsche Selektionsprinzip, "das Evolutionsprinzip"15, übergeordnet werden, um eine Selbstorganisation verständlich machen zu können. Die Nichtlinearität der biologischen Evolution ergibt sich demnach aus folgenden zwei Komponenten: 1) Die Neigung zur genetischen Reproduktion (Nachkommensüberschuß) erzeugt in einer Population bzw. einer Fortpflanzungsgemeinschaft oder einem "Genpool" einen "Vermehrungsdruck". Solange keine Brems-Mechanismen wirksam werden, "wächst eine Population in ähnlicher Weise [also exponentiell; T.M.] wie Kapital mit Zins und Zinseszins". 16 2) Dem Wachstum einer solchen Fortpflanzungsgemeinschaft steht ein "Bremsdruck" entgegen, der sich aus der Erschöpfung überlebenswichtiger Ressourcen bzw. der Annäherung der Population an die "Tragekapazität" der von ihr bewohnten ökologischen Nische zunehmend verstärkt.17 Die Fortplanzungsintensität der diese ökologische Nische bewohnenden Individuen ist also insofern umweltabhängig. Nur wenn jedoch zwei weitere Bedingungen im "Reich des Lebendigen" zusätzlich immer erfüllt sind, kann es zur Evolution im Sinne Darwins kommen - und damit zu dem Phänomen, daß der "unvermeidliche Kampf ums Dasein in jeder Umwelt zum 'survival of the fittest'" führt 18 :

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Lorenzen, 1989, S. 1157. Lorenzen, 1989, S. 1152. Lorenzen, 1989, S. 1152; vgl. auch die sehr instruktiven Darstellungen bei Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 45-54. Lorenzen, 1989, S. 1152. In extremen Fällen kann diese "Bremsung" - wie etwa bei den Lemmingen - auch die Form eines demographischen Kollaps annehmen; vgl. dazu Peters, 1978, S. 10 f. Lorenzen, 1989, S. 1154; ähnlich argumentiert Hemminger, 1983, S. 19 f., 24 f.; allerdings kommt er zu dem Ergebnis, die "darwinistische Evolutionsmechanik [lasse sich] auch in ihrer modernen Form nur auf diejenigen Merkmale eines Lebewesens anwenden, die ganz oder teilweise auf Informationen aus dem Erbgut zurückgehen und die tatsächlich durch eine Anpassung an Selektionskräfte der Umwelt entstanden" (ebd., S. 29). Während nun "orthodoxe" Evolutionstheoretiker und Soziobiologen davon ausgehen, daß diese Voraussetzungen immer erfüllt sind, behauptet Hemminger, dies sei "keineswegs" der Fall.

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a) Bei der Fortpflanzung müssen "stets" Nachkommen mit neuartigen Eigenschaften entstehen. 1 9 b) Lebewesen müssen sterblich sein, denn wären sie es nicht, könnten nachfolgende Generationen keinen Platz finden, und die Evolution wäre gestoppt. Sterblichkeit ist somit eine notwendige Bedingung von Evolution. 2 0

1.2 Der Mensch als "Überlebensmaschine" Die wichtigste Modifikation, welche die Soziobiologie an der Darwinschen Selektionstheorie vornimmt, betrifft die Frage danach, wer "die ihren Nutzen maximierenden 'Subjekte' im Evolutionsspiel sind: die Individuen, die Arten, Populationen, Sozietäten oder nur die 'Keimbahnen' ... oder die 'Gene'"? 2 1 Während die klassische Ethologie (v. a. Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt) noch von der "Gruppenselektionstheorie" ausging, also davon, die "Zielscheibe" der Evolution sei die "Art", vertreten moderne Soziobiologen die Auffassung, daß die '"natürliche Auslese' zwar auf der Ebene der konkurrierenden Individuen ['bewertet'], ... jedoch auf der Ebene der 'Gene' (Erbinformationsträger) [arbeitet und wirkt]". 22 Die Begründung für diese 19

Dieses "stets" erscheint irreführend. Wenn man (etwa mit Mohr, 1987, S. 79 f.) davon ausgeht, daß sich die biologische Konstitution des Menschen in den letzten 30.000 Jahren praktisch nicht verändert hat, dann wird jedenfalls die Annahme unwahrscheinlich, mit jeder Fortpflanzung müßten neuartige Systemeigenschaflen entstehen. Was (statistisch) bei jeder Fortpflanzung entsteht, ist eine Neuanordnung des genetischen Materials bzw. geringfügige Mutationen im überlieferten genetischen Programm (Lorenz, 1983^, S. 30, spricht in diesem Zusammenhang vom "ewigen Würfelspiel der Erbänderungen"). Ob aber diese Mutationen zu Eigenschaften werden, ist dem zweiten "großen Baumeister" (Lorenz) der Evolution überlassen - der Selektion. Und diese "arbeitet" nach menschlichen Zeitmaßstäben so langsam, daß ein gravierender, signifikanter evolutionärer "Fortschritt" in den für uns überblickbaren (winzigen) Zeiträumen nicht feststellbar ist (zu evolutiven Prozessen in der menschlichen Physis siehe Bratzier, 1983, S. 229 f.).

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Lorenzen, 1989. S. 1153 f.; zu dieser These: "ohne Sterben keine Evolution", vgl. auch Mohr, 1987, S. 92 ff. Mohr bezeichnet hier die Sterblichkeit als "die unabdingbare Voraussetzung, ... eine conditio sine qua non für die Stammesentwicklung, die Phylogenie ...". Vogel, 1989, S. 17.; siehe auch Bratzier, 1984, S. 86 ff.; Lorenzen, 1989, S. 1150. Vogel, 1982, S. XXI f.; vgl. Bühl, 1976, S. 149; allerdings belegt eine Äußerung wie die von Eibl-Eibesfeldt (1986 3 , S. 220, 288 f.), wonach sich in menschlichen Gruppen "das Genom auch desjenigen [erhält], der fällt, sofern nur die Gruppe überlebt, denn die Gruppenangehörigen sind seine nahen Verwandten", daß auch die klassische Ethologie nicht weit von "Genegoismus" und "kin selection" entfernt war

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These ist sehr einfach und einleuchtend: "Da Evolution über lange Zeiträume hin konsistente und weitgehend stabile Selektionseinheiten voraussetzt, sind die kurzlebigen Individuen, die sich zudem ... nicht einmal in annähernd identischen 'Kopien' reproduzieren, als Evolutionssubstrat ungeeignet. Auch Arten, 'Rassen' oder soziale Verbände als überindividuelle Gebilde sind unter diesen Gesichtspunkten als Selektionseinheiten weitgehend untauglich. Allein die relativ stabilen Erbinformationseinheiten, die Gene, erfüllen die geforderten Voraussetzungen, sie sind langlebig und replizieren sich über hinreichend lange Zeiträume mit ausreichender Genauigkeit. Da das Prinzip der 'natürlichen Auslese' auf der strikten Grundlage der Konkurrenz der 'Phänotypen' aufbaut, können die Gene nur über ihre 'Träger', die Individuen, nicht aber über die Art, 'Rasse' oder die soziale Gruppe selektioniert werden; d.h. die Gene müssen ihren 'Trägern' zu möglichst günstigen Reproduktionschancen 'verhelfen', um damit für ihre eigene Verbreitung in den kommenden Generationen zu 'sorgen'". 23 Worauf es im Evolutionsgeschehen also "eigentlich" ankommt, ist die identische Reproduktion von Genen, nicht von "Arten" und "Rassen" und erst recht nicht von Individuen. Die Organismen als Träger dieser Gene sind dementsprechend nichts anderes als die Mittel oder eben die "Maschinen" der Gene, den evolutiven "Letztzweck" zu erfüllen. 2 4 Für Soziobiologen ist daher klar, daß auch wir Menschen "robot ve-

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- zumal dann, wenn man die "Gruppe" der Ethologen als gleichbedeutend mit dem "Genpool" der Soziobiologen betrachtet. Vogel, 1982, S. XXI f.; vgl. ders., 1993, S. 199 f. "Letztzweck" ist hier freilich nicht in einem echt teleologischen Sinne gemeint. Ob es so etwas wie einen letzten Zweck der Evolution gibt, ein übergeordnetes, transzendentes Ziel oder Telos, derartige Fragen sind für die Soziobiologie irrelevant. Das bedeutet aber nicht, daß es nicht in der Evolution - und das heißt vordergründig für die im selektiven Prozess agierenden Individuen - sehr wohl Zwecke und Ziele im teleonomen Sinn geben kann. Zur evolutionstheoretischen "Verabschiedung" der Teleologie aus der Natur siehe etwa Hassenstein, 1983, S. 70; ebs. Corning, 1974, S. 295-309 (Corning geht davon aus, die "Produkte der Evolution" müßten aufgrund der grundlegenden, durchgehenden und unausweichlichen Problematik des Überlebens "notgedrungen teleologische Systeme sein - wenn auch mehr im kybernetischen als im metaphysischen Sinne des Begriffes. D.h. daß alle komplexen organischen Systeme nach dem Modell eines sich selbst steuernden Lernsystems darstellbar sind. Als solchen müssen ihnen Systemziele zugrunde gelegt werden - Ziele, die die Struktur und das Funktionieren des Systems, einschließlich des Verhaltens, betreffen". Natürlich dürfen derartige evolutionäre "Zwecke" nicht in metaphysischem Sinne verstanden werden. Das "Wozu" der Eigenschaften, Merkmale und Leistungen jeglicher Genotypen kann in letzter Instanz nur auf den

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hicles" sind, "blindly programmed to preserve the selfish molecules known as genes". 25 Daß dieser materialistisch-mechanizistische Ansatz auch eine prinzipiell strenge mechanizistische oder deterministische Handlungstheorie impliziert, die gerade in moralphilosophischer Hinsicht eine Fülle von Problemen birgt, liegt auf der Hand - doch dazu später mehr.

2. Das Scheinproblem des "Altruismus" Mit der Auffassung vom evolutionären Ursprung des menschlichen "Moral "Verhaltens geht die Annahme einher, daß dieses "Moral"verhalten und seine "Wurzeln" für die Gattung Mensch und seine Vorfahren einen Selektionsvorteil dargestellt haben müssen. Jegliches Verhalten von Tieren und damit auch das Sozialverhalten - muß unter diesem teleonomen Gesichtspunkt betrachtet werden. Welchen "Zweck" hat eine uneigennützige, eine altruistische26 Verhaltensweise für ein Individuum? Muß der aus dem evolutionären Selektionsdruck sich notwendig ergebende inter-individuelle "Kampf ums Dasein" zwischen Artgenossen nicht vielmehr zur Ausbildung eines radikalen Egoismus führen, dergestalt, daß jedes Individuum in jeder Situation seines Lebens ausschließlich darauf bedacht ist, seinen eigenen Überlebensvorteil mit allen "Zweck" des Überlebens (des Genotyps) in der Evolution bezogen sein. Ob aber dieser "Zweck" des Überlebens selbst noch einen übergeordneten Sinn hat, einem höheren Zweck dient usw. oder ob es nicht an sich sinnlos ist, dies sind eben metaphysische Fragestellungen, die als mit empirischen Mitteln nicht beantwortbar abgelehnt werden müssen.); zum Thema vgl. Dawkins, 1976, S. 1 ff.; Kadlec, 1976, S. 12 ff.; Wilson, 1979, S. 10; Zimmer, 1979, S. 303; Vogel, 1982, S. XII f.; Meyer, 1982, S. 13, 22 f., 96 f., 100; Hassenstein, 1983, S. 70; Bratzier, 1984, S. 224 ff.; Ruse, 1986, S. 95 f.; Low, 1986/87, S. 32; Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 34 f.; ders., 1989 1 4 , S. 45 f.; Bayertz, 1987, S. 169; O'Hear, 1987, S. 17 ff. (hier insbesondere seine Auseinandersetzung mit dem sog. "Hyperselektionismus", S. 18 f.); Knapp, 1989, S. 53, 193, 199; Bucher, 1992, S. 110 ff. Ein interessanter Aspekt im Zusammenhang mit Hobbes ist der Umstand, daß der in den modernen Naturwissenschaften konsequent durchgeführte '"downfair of Aristotelian teleogism" bei Hobbes seinen Ursprung hatte; vgl. dazu Commers, 1979, S. 161 ff. 25 26

Dawkins, 1976, S. IX; vgl. auch Barash, 1981, S. 32; Wilson, 1975, S. 3. Unter "altruistisch" soll hier jenes Verhalten eines Organismus verstanden werden, daß die Fitness eines anderen Organismus auf Kosten der eigenen Fitness erhöht; vgl. dazu Mohr, 1987, S. 81; Wilson, 1979, S. 197; Vogel, 1988, S. 203; Knapp, 1989, S. 42.

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Mitteln zu sichern? Wie aber sollte es dann, wenn alle (menschlichen) Individuen radikale Egoisten sind, überhaupt zu funktionsfähigen sozialen Gemeinschaften kommen, wie zur sozialen Anerkennung anderer Individuen? Bereits Darwin hat dieses Problem klar erkannt; ihm erschien es "zweifelhaft, ob die Nachkommen der ihren Kameraden mit Wohlwollen, Uneigennützigkeit und Treue entgegenkommenden Eltern in größerer Anzahl aufgezogen wurden als die Kinder der selbstsüchtigen und treulosen Eltern desselben Stammes. Wer bereit war, lieber sein Leben zu opfern als seine Kameraden zu verraten, ... wird häufig keine Nachkommen hinterlassen haben können, die seine edle Natur erbten. ... Deshalb scheint es kaum wahrscheinlich zu sein, daß die Zahl der mit solchen Tugenden geschmückten Menschen oder der Maßstab ihrer Vortrefflichkeit durch natürliche Zuchtwahl, d.h. durch das Überleben des Geeignetsten, erhöht werden könnte".27 Wie also ist das "der Evolution letztlich zugrunde liegende Prinzip ... interindividueller Konkurrenz zwischen Artgenossen"28 mit dem Phänomen des Altruismus vereinbar? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich nahezu von selbst, wenn man die soziobiologische These vom Menschen als einer bloßen "Überlebensmaschine" zugrundelegt, ohne daß dabei das evolutionäre "Erfolgsrezept" angetastet werden müßte: "Eigennutz geht vor Gemeinnutz!". 29 Mittels der These von den Genen als den eigentlichen "Subjekten" des "Evolutionsspiels" läßt sich der auf den ersten Blick bestehende Widerspruch zwischen "altruistischem" Verhalten einerseits und dem sich aus dem "struggle for life" notwendig ergebende Egoismus als Scheinwiderspruch auflösen: Wenn für den evolutionären Prozeß letztlich das Überleben der Gene entscheidend ist, also nicht das Überleben von Individuen als deren Trägern, dann ist etwa mein "altruistisches" Verhalten im Sinne der Selektionstheorie zumindest dann verständlich, wenn mit diesem Verhalten die "Fitness" eines (nahen) Verwandten gesteigert wird, da dieser eben zu einem bestimmten Prozentsatz Träger "meiner" Gene ist; indem ich also einem (nahen)

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Darwin, 1982, S. 167; vgl. auch Singer, 1983, S. 5: "If evolution is a struggle for survival, why hasn't it ruthlessly eliminated altruists, who seem to increase another's prospects of survival at the cost of their own?"; ebenso Vogel, 1988, S. 202: "Wie kann sich auf der Basis strikter Fortpflanzungskonkurrenz, also natürlicher Selektion, überhaupt kooperatives, 'gemeinnütziges', vor allem aber 'altruistisches' Verhalten entwickeln, das ja zugunsten anderer Artgenossen auf die Maximierung des eigenen (Reproduktions-)Vorteils verzichtet"?; vgl. ders., 1989, S. 23. Vogel, 1989, S. 25. Vogel, 1989, S. 23.

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Verwandten helfe, diene ich der Überlebensstrategie meiner Gene - worauf es letztlich "ankommt". Der (phänotypische) "Altruismus" entpuppt sich somit als ein verkappter Egoismus, und zwar - da er auf den selektiven Vorteil von Genen ausgerichtet ist - als ein "Gen-Egoismus".30 Der Biologe Hubert Markl weist daher zurecht darauf hin, die Bezeichnung eines derartigen Begünstigungsverhaltens als "altruistisch" sei "keine sehr glückliche Wortwahl" und 31 "Scheinaltruismus" wäre die zutreffendere Bezeichnung. Die an dieser Stelle offen bleibende, moralphilosophisch höchst relevante Frage lautet, ob es denn neben diesem "Scheinaltruismus" auch einen "echten" Altruismus gibt, neben den (gen-)egoistischen Handlungen auch wahrhaft ««egoistische, selbst-lose. Die konsequente soziobiologische Argumentation scheint jedenfalls auf Nietzsches Ergebnis hinauslaufen zu müssen, wonach der Moralist "Handlungen [erfindet], die es nicht gibt; die unegoistischen, die heiligen". 32

2.1. Kin selection Dieses "altruistische" Verhalten, das zudem noch nach Verwandtschaftsgraden abgestuft ist33, wird von Soziobiologen als "kin selection" 30

Nicht von ungefähr lautet der Titel eines der Standardwerke der Soziobiologie (von Richard Dawkins 1976 veröffentlicht): "The selfish Gene". Auf dieser natürlichen Ebene gibt es also keinen Widerspruch zwischen Egoismus und "Altruismus". Dieser Widerspruch ergibt sich erst dann, wenn ein Verhalten gefordert wird oder faktisch vorliegt, das wirklich selbst-los ist (wenn also im anderen kein Anteil an diesem "Selbst" - in Form identischer Gene - vorläge).

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Markl, H., 1990, S. 383; ähnlich will auch Ruse (1986a, S. 98) zwischen "altruism" im wörtlichen ("literal") und im übertragenen, metaphorischen ("metaphorical", "socalled") Sinne unterschieden wissen; vgl. entspr. Vogel, 1989, S. 34, 56; eine sehr klare Darstellung des "Altruismus"-Phänomens aus evolutionstheoretischer Sicht bietet auch Sommer, V., 1989, S. 260 ff.; ebs. Bayertz, 1993b, S. 19 ff. Nietzsche, 1985, II, S. 93; vgl. auch ebd., S. 75: "Unegoistische Handlungen sind unmöglich: 'unegoistischer Trieb' klingt mir in die Ohren wie 'hölzernes Eisen'". Nach dem Motto: Je mehr Gene das oder die potentielle(n) "Objekt(e)" meines "altruistischen" Verhaltens mit mir teilen, desto eher werde ich mich auch entsprechend verhalten. Ich bin spontan wesentlich eher bereit, mich zur Rettung meiner eigenen leiblichen Kinder, die 50 % meiner Gene tragen, in Gefahr zu begeben als für die Rettung eines Neffen, dessen Verwandtschaftskoeffizient lediglich bei 1:4 (25 %) liegt; vgl. dazu Vogel, 1989, S. 54; Singer, 1983, S. 11-15 (hier v. a. seinen Verweis auf Sidgwick); Jacobi, 1986, S. 127 f.; Ike, 1987, S. 218 f.; Knapp, 1989, S. 42 ff.; Mohr, 1987, S. 81 ff.; Wilson, 1993, S. 138 ff.; Bargatzky, 1993, S. 14

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("Verwandtschafts-Selektion") bezeichnet; die aus ihr resultierende Fitness, die eben auch die genetische Verwandtschaft einschließt, als "inclusive fitness". 34 Es geht nach dieser inclusive-fitness-These der Soziobiologen in aller Regel keinem Menschen jemals ausschließlich um die eigene Selbsterhaltung, sondern über die Steigerung seiner eigenen "fitness" hinaus stets auch um die "fitness" seiner (näheren) Verwandtschaft. Der von der Richtigkeit der soziobiologischen Theorie überzeugte Philosoph und Historiker Michael Ruse erläutert das Prinzip "kin selection" und die Abgestuftheit der daraus folgenden Bereitschaft zu altruistischem Verhalten anhand einer These von David Hume, der in seinem "Treatise on Human Nature" schreibt: "A man naturally loves his children better than his nephews, his nephews better than his cousins, his cousins better than strangers, where every thing else is equal. Hence arise our common measures of duty, in prefering one to the other. Our sense of Duty always follows the common and natural course of our passions". 35

2.2 Reziproker Altruismus Die These vom Altruismus als demjenigen Verhalten, das die "inclusive fitness" steigert, also die Summe aus individueller Fitness eines Organismus' plus der Fitness seiner genetischen Verwandtschaft, scheint leicht durch den Hinweis ad absurdum geführt werden zu können, daß längst nicht jedes altruistische Verhalten - weder im Tierreich und erst recht nicht unter Menschen ausschließlich den eigenen Verwandten zugute kommt. Doch auch dieser Einwand kann mit dem Hinweis auf einen "zweiten Weg" zurückgewiesen werden, "auf dem - diesmal primär unabhängig von genetischen Verwandtschaftsgraden, jedoch gleichfalls selektiv, was die Partner angeht - kooperatives und im Sinne der Soziobiologen 'altruistisches' Verhalten durch den unbestechlichen Mechanismus der natürlichen Selektion sich ausbreiten kann" - und dieser Weg ist der des sogenannten "reziproken

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ff.; ebs. diverse Publikationen von Ruse, hier v.a. "Taking Darwin Seriously" (1986b; ders. 1989, S. 206 ff.). Siehe zu dieser Terminologie v. a. Vogel, 1989, S. 29 ff.; Mohr, 1987, S. 81 ff.: Knapp, 1989, S. 42-46; zur Relevanz der soziobiologischen inclusive-fitness-Theorie auch für komplexe menschliche Institutionen siehe Masters, 1982/83, S. 170 ff. Ruse, 1990, S. 122; vgl. die deutsche Übersetzung in: Hume, 1978, S. 227, ähnlich S. 230 f., 232; vgl. dazu das entsprechende Schema bei Eder, 1980, S. 34; Tönnesmann, 1987, S. 188.

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Altruismus". 36 Dieser reziproke Altruismus beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit ("do ut des"; "You Scratch my back, 1*11 ride on Yours"; "Wie du mir, so ich dir"; "Tu' für andere das, was du möchtest, daß andere es für dich tun sollen"; "Was du nicht willst das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu" usw.). Ein wesentlicher Aspekt dieser Form des "Altruismus" ist, daß der zunächst unter Verzicht auf eigene mögliche Nutzenmaximierung Hilfe Gebende zu einem späteren Zeitpunkt, wenn er selbst hilfebedürftig ist, nun seinerseits der Empfänger sein kann. 37 Auf keinen Fall darf beim reziproken Altruismus der Aufwand, der für die Hilfeleistung gegenüber einem genetisch nicht Verwandten betrieben wird, summa summarum größer sein als der Gewinn ( = die Steigerung der "inclusive fitness"), den der "Altruist" aus seinem Verhalten erhält. Christian Vogel nennt als Beispiel die im Tierreich weit verbreiteten "Kommentkämpfe" zwischen Männchen einer Population: '"Kommentkämpfe [können] ohne jeden Rückgriff auf 'moralanaloge' Prinzipien der Rücksichtnahme auf den Gegner oder der 'Arterhaltung', allein auf 'eigennütziger' Basis erklärt werden ... Stellen wir uns einmal vor, es gäbe (aus welchen Gründen auch immer) eine Population reiner wandere ein 'Kommentkämpfer' und in diese Population 'Beschädigungskämpfer' ein, oder er entstünde erstmalig als genetische Mutante in dieser Population. Er würde ohne Frage aus allen Kämpfen als Sieger hervorgehen und alle umstrittenen Ressourcen ... für sich gewinnen. Sein Verhalten bringt ihm unbestreitbare Vorteile. Das ändert sich aber, wenn die große Zahl seiner Nachkommen dieselbe Taktik anwendet. Treffen nämlich zwei 'Beschädigungskämpfer' aufeinander, so erhöht sich für jeden das dann fatale Risiko einer Niederlage und seine Siegeschancen sind im Durchschnitt auf die Hälfte heruntergegangen. Es bringt immer weniger Vorteile, sich als 'Beschädigungskämpfer' zu ver36

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Vogel, 1989, S. 32; siehe auch ders., 1988, S. 207 f.; Dawkins, 1976, S. 197 f.; Barash, 1981, S. 178; Singer, 1983, S. 16 ff.; Mohr, 1987, S.82; Knapp, 1989, S. 45; Wilson, 1993, S. 141 f. Nimmt man mit Mohr an, das auch im rezenten Menschen noch wirksame Repertoire an genetisch implementierten Verhaltensdispositionen habe sich vor rund 30.000 Jahren in Anpassung an die Überlebensbedingungen des "Pleistozäns (Sammler und Jäger) und des postglazialen Neolithikums (Anfänge von Ackerbau und Viehzucht") herausgebildet, die für unsere in relativ kleinen Gruppen lebenden Vorfahren ungleich härter waren als etwa die Überlebensbedingungen in heutigen Wohlstandsgesellschaften, so erscheint dieser Reziprozitäts-Kalkül als durchaus naheliegend.

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halten, je mehr potentielle Gegner dieselbe Taktik verwenden. Das heißt: der Selektionsvorteil für 'Beschädigungskampf' hängt davon ab, wie häufig 'Beschädigungskämpfer' in der Population sind. Man spricht hier deshalb von 'häufigkeitsabhängiger Selektion'. Es wird sich hier zwangsläufig ein weitgehend stabiles Gleichgewicht von 'Kommentkämpfern' und 'Beschädigungskämpfern' einstellen, wobei erstere einen deutlich höheren Anteil stellen sollten". 3 8 Somit entpuppt sich also auch der reziproke "Altruismus" als ein Verhalten, welches letztlich die eigene "inclusive fitness" steigern soll und das folglich - nach dem Motto: "Der wahre Egoist kooperiert" - egoistisch zu nennen ist. 39 Im Vorblick auf die soziobiologische Erklärung der Genese größerer sozialer Gebilde bis hin zum modernen Staat, insbesondere aber im Hinblick auf

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Vogel, 1988, S. 208; vgl. dazu auch Wickler, 1983, S. 137: Ein weiteres Beispiel ist auch die soziale Fellpflege bei Primaten (Singer, 1983, S. 16; Dawkins, 1976, S. 179-203; Knapp, 1989, S. 45). Vogel, 1988, S. 209; hier weist Vogel auch darauf hin, die "Effizienz solcher Reziprok-Beziehungen steig[e] mit längerer Lebensdauer der Partner bei längerem sozialen Zusammenleben und persönlicher interindividueller Bekanntschaft bzw. Vertrautheit, mithin gerade unter jenen Bedingungen, die für die Primaten- und Hominiden-Evolution so kennzeichnend ist"; Barash (1981, S. 178) bestreitet energisch, dieses Handeln aus Gegenseitigkeit habe etwas mit Altruismus zu tun; vielmehr sei die Gegenseitigkeit "reine, unverfälschte Selbstsucht, da die Handlung in der Erwartung vollzogen wird, daß der persönliche Gewinn größer sein wird als die Kosten". Markl, H., (1990, S. 393 f.) spricht in diesem Zusammenhang von "Mutualismus" gemeint ist jedoch exakt dasselbe. Zum in diesem Sinne "wohlverstandenen Eigeninteresse" bzw. der "Überwindung der Ego-Präferenz" siehe auch Birnbacher, 1988, S. 48 ff. Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor allem auch die spieltheoretischen Ergebnisse zur "Prisoner's-dilemma"-Problematik bei Kliemt, 1986, sowie Axelrod, 1984; Mackie, 1983, S. 144 ff.; Arni, 1987, S. 361-367; Hegselmann, 1989, S. 8 ff.; vgl. auch Vogel, 1989, S. 17; Knapp, 1989, S. 37 f.; Masters, 1982/83, S. 170 ff.; Vollmer, G., 1993, S. 114 ff.; Irrgang, 1985, S. 234 f., 239, 244 f.: "Mit ihrer These von der genetischen Prädisposition des Verhaltens steht die Soziobiologie in [der] Tradition neuzeitlicher Begründungsversuche. Die Funktion der von Hobbes geforderten logischen Ableitung (Komposition) übernimmt die Spieltheorie"; vgl. entspr. Markl, K.-P., 1985, S. 54, 79; Vogel, 1989, S. 79 f.; geradezu pikant ist in diesem Zusammenhang Hobbes' Formulierung im "Behemoth" (S. 136), die Frage nach dem rechtmäßigen Inhaber der Souveränität sei in England während der Jahre 1647/48 "wie in einem Kartenspiel" zwischen diversen Parteien streitig gewesen.

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die Auseinandersetzung mit Hobbes' Anthropologie ist im Zusammenhang mit "kin selection" und "reziprokem Altruismus" noch auf folgenden wichtigen Aspekt hinzuweisen: Der Mensch ist von seiner Natur her eine soziales Wesen, genetisch disponiert auf das Überleben in einer (ursprünglich relativ kleinen, familiär begrenzten) Gruppe. Die Neigung zu "altruistischem" Verhalten gegenüber Verwandten und auch - allerdings in abgeschwächter Form - gegenüber Mitgliedern der erweiterten "Ingroup", ist ihm angeboren, ist ein ontogenetisches Apriori.

3. Der Kampf ums Dasein - Formen menschlicher Aggressivität Neben dem "Altruismus" ist für die soziobiologisch/ethologische Bestimmung des Menschen und daraus folgend für die Diskussion um die Möglichkeit der Begründung einer Ethik auf naturwissenschaftlicher Basis vor allem das Phänomen der Aggressivität von Bedeutung.40 Und genauso wie beim "Altruismus" ist auch die Aggressivität hinsichtlich ihres "Zwecks", ihrer teleonomen Funktion für einen Organismus zu befragen. Prinzipiell wird in der Verhaltensforschung zwischen innerartlicher und zwischenartlicher Aggressivität unterschieden, wobei unter zwischenartlicher Aggressivität in erster Linie die Verteidigung gegenüber Freßfeinden bzw. umgekehrt die Aggression gegenüber Beutetieren zu verstehen ist. 41 Im moralphilosophischen Kontext ist jedoch die Frage nach der intraspezifischen Aggressivität, also hier der menschlichen Aggressivität gegenüber Artgenossen, zweifelsohne wesentlich interessanter. Grundsätzlich ist hinsichtlich dieser innerartlichen Aggression beim Menschen wiederum auf die Voraussetzung hinzuweisen, daß der Mensch ganz40

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Wobei hier unter "Aggression" zu verstehen ist: "Eine physische Handlung oder die Androhung einer solchen, durch welche die Freiheit oder die genetische Tauglichkeit eines anderen Individuums beeinträchtigt wird"; siehe Wilson, 1979, S. 197. Gleichlautende oder sinngleiche Definitionen formulieren auch Neumann, 1974, S. 50 f.; Dawkins, 1976, S. 71 ff.; Meyer, 1982, S. 83 f.; Bratzier, 1984, S. 116 ff.; ausführlicher Eibl-Eibesfeldt 1986 3 , S. 42 ff., 98; hier weist Eibl-Eibesfeldt aber auch auf ein breiteres Spektrum menschlicher Aggressionshandlungen über die physische Gewalt hinaus hin: "Der Mensch kann seine Aggressionen direkt gegen einen Mitmenschen richten, indem er ihn schlägt oder verbal beleidigt oder verspottet. Er kann es indirekt tun, indem er ihm nachredet oder ihm eine Falle stellt. Er kann aggressiv handeln, indem er den Sozialkontakt verweigert, z.B. Gespräch oder Hilfe". Zur Unterscheidung zwischen innerartlicher und zwischenartlicher Aggression siehe Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 42 ff.; über den "Zweck" zwischenartlicher Aggressivität dürfte keine Zweifel bestehen.

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heitlich in der Evolution steht, seine Aggressivität also als eine "Systemeigenschaft" zu betrachten ist, die in irgendeiner Weise dem "Zweck" der Tauglichkeitsmaximierung dient. Als das der Evolution zugrundeliegende Prinzip, das sich notwendig aus dem Selektionsprinzip ergibt, ist aber die "interindividuelle Konkurrenz zwischen Artgenossen um möglichst gute Fortpflanzungschancen unter den mit steigender Populationsdichte zwangsläufig ungünstiger werdenden Bedingungen einer allgemeinen Ressourcenverknappung" anzusehen.42 Diesem Prinzip entsprechend ist die innerartliche Aggression als ein "Mittel" bzw. eine "Methode" zu verstehen, sich im Kampf um die umworbenen Ressourcen möglichst effektiv durchzusetzen - jedoch keineswegs als die einzige und notwendig angewandte.43 Man kann also davon ausgehen, daß auch uns Menschen eine mehr oder weniger starke "Prädisposition" zu aggressivem Verhalten angeboren ist. 44 Wenn dies auch nicht besagt, uns seien bestimmte aggressive Verhaltensweisen angeboren, so werden in der Literatur doch diverse "Klassen" bzw. "Formen" der Aggressivität unterschieden, die sich im Lichte der Prinzipien "kin selection", "inclusive fitness" und "interindividueller intraspezifischer Konkurrenzkampf" als evolutionär adaptive Verhaltensweisen erklären lassen. So kommt es zu aggressiven Reaktionen innerhalb einer Gruppe etwa bei Verletzung der Individualdistanz bzw. bei Mißachtung des Individualreviers als demjenigen Raumbezirk, den jedes Individuum jeweils als sein "Eigentum" beansprucht; aggressive Auseinandersetzungen finden um Sexualpartner statt (Paarungsrivalität) sowie zur Verteidigung des Sozialpartners; zu aggressivem Verhalten kommt es im Kampf um die Besetzung und Feststellung von Positionen in der sozialen Rangordnung (einerseits im Streben nach einer möglichst "hohen" Position, andererseits im explorativen Abgrenzen der eigenen Person nach "unten" wie nach "oben"); ablehnendes und aggressives Verhal42 43

44

Vogel, 1989, S. 25, 74 f. Vgl. dazu Wilson, 1979, S. 98 f.; vgl. auch Barash, 1981, S. 194 ff.; Meyer, 1982, S. 83 f.; Eibl-Eibesfeldt (1989 1 4 , S. 14) betont ausdrücklich, für die Ethologie gelte der "Aggressionstrieb ... nur als ein Antrieb unter vielen". Als alternative "Methode" zur Durchsetzung der eigenen Interessen kämen Formen des "Altruismus" wie etwa die Kooperation mit Gruppenmitglieder oder die soziale Hilfeleistung in Frage. Wilson, ebd., S. 102; auf eine eingehende Diskussion darüber, wie schwach oder stark diese Prädisposition ist, ob wir notwendig aggressiv sind oder auf die "Methode" der Aggressivität im Überlebenskampf verzichten können, kann an dieser Stelle verzichtet werden, da sich diese Fragen im folgenden immer wieder stellen werden.

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ten wird ferner gegenüber Gruppenmitgliedern an den Tag gelegt, die in Aussehen und Verhalten von der Norm abweichen (Außenseiterreaktion). 4 5 Zwischen verschiedenen Gruppen einer Art kommt es zu aggressiven Auseinandersetzungen um bestimmte Territorien (Territorialität 46 ) sowie im Kampf um andere begehrte Ressourcen (etwa Nahrungsmittel, Quellen, geeignete Wohngelegenheiten, Rohstoffe für Kleidung, Werkzeug und "Hausrat"); allgemein besteht die Neigung, fremden Gruppen und ihren Angehörigen gegenüber mißtrauisch zu sein und sie als potentielle Feinde zu betrachten (das "Fremdeln" kleiner Kinder; die verschiedenen Formen von Minderheitendiskriminierung sowie Rassismen, Nationalismen und Ethnozentrismen; allgemein die Neigung zur "Xenophobie"). 4 7 45

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Zu diesen Beispielen und ihrer Interpretation siehe vor allem Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 55-62, 77-94, 97-112; ders., 1989 14 , S. 88 f.; vgl. aber auch Neumann, 1974, S. 91-97; Zimmer, 1979, S. 13 ff., 152-162, 278 ff.; Barash, 1981, S. 194 ff., 202, 220 f.; sehr aufschlußreich auch die Studie von Grammer, 1988. Mohr (1987, S. 79 f.) hält es für wahrscheinlich, daß die Seßhaftwerdung unserer Vorfahren im postglazialen Neolithikum diese in der Verteidigung ihres Territoriums wesentlich aggressiver werden ließ als es noch die umherziehenden Sammler- und Jägerhorden des Paläolithikums waren, da für diese territoriale Aggression noch nicht derart lebenswichtig gewesen sei; vgl. dazu auch Lorenz, 1989^, S. 124 ff.; Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 155-183; zur weiteren Differenzierung des "'territorialen Imperativ[s]'" siehe Bühl, 1976, S. 144 f.; ders., 1974, S. 77 ff.; Seidl, 1985, S. 181-213. Siehe auch dazu Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 55-60, 78 ff., 147-157, 185, 217-225 hier definiert Eibl-Eibesfeldt den Krieg als ein "Ergebnis der kulturellen Evolution ..., wobei die Richtung dieser Entwicklung durch die Selektion bestimmt wurde". Für die Ethologie ist der Krieg "weder auf entartete, fehlgeleitete, tierische Instinkte noch auf Nekrophilie oder andere pathologische Entartungen des menschlichen Antriebslebens zurückzuführen. Es handelt sich nicht um eine funktionslose Entgleisung, sondern um eine spezifisch menschliche Form der Zwischengruppen-Aggression, mit deren Hilfe Menschengruppen um Land und Naturgüter konkurrieren"; siehe dazu auch Mohr (1987, S. 83 f.), der jedoch mehr auf die "Härte der Gruppenkonflikte" unter unseren Vorfahren im Pleistozän verweist. Wie sehr auch in heutigen sogenannten "multikulturellen" Gesellschaften das Phänomen der Xenophobie zum Tragen kommen kann, belegen Vorkommnisse wie die Rassenunruhen in Los Angeles im Frühjahr 1992 (siehe dazu Schiller/Tenbrock/Wehrmann, 1992, S. 15 ff.), die für den Redakteur eines Stadt-Magazins die Demaskierung der Parole von der multikulturellen Metropole als einen bloßen Mythos bedeutete, "ein Spitzendeckchen über dem Kadaver einer tief gespaltenen Gesellschaft"; zur Infragestellung der "melting-pot"-Idee siehe auch Phocas, 1986, S. 165 f. Aber auch die Ausschreitungen gegen Asylanten und Asylbewerber in vielen deutschen Städten im Jahr

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Zusammenfassend kann man hinsichtlich der Funktion der Aggressivität sagen, daß sie zu exakt dem gleichen "Zweck" dient wie der "Altruismus" zur Steigerung der "inclusive fitness". 48 "Altruismus" (oder Sozialität) und "Aggressivität" sind somit die beiden Seiten ein und derselben Medaille; die stabile Strategie des Überlebens ist nicht einseitig, sondern gemischt.49 Welche der beiden Strategie-Optionen ein Individuum im Einzelfall wählt, hängt von den äußeren Bedingungen ab und ist letztlich eine Frage des pragmatischen oder zweckrationalen Kalküls. Dies bedeutet jedoch nicht, die Wahl zwischen eher "altruistischem" oder eher "aggressivem" Verhalten sei völlig in das freie Belieben des je handelnden Individuums gestellt. Eine der wichtigsten, auf Freuds " Herdentrieb "Theorie zurückgehenden Einsichten der Ethologie und Soziobiologie beruht in der prinzipiellen Unterscheidung zwischen "Ingroup" und "Outgroup". Der Mensch ist von seiner "ersten Natur" her ein Kleingruppenwesen, disponiert auf das Überleben in einer überschaubar kleinen Gruppe in einer in hohem Maße als gefährlich und "feindlich" erfahrenen Umwelt. Gegenüber der eigenen Gruppe, die für das Individuum die Quelle von Hilfe und Schutz ist, hat deshalb soziales, kooperatives Verhalten einen hohen adaptiven Wert, da die erfolgreiche Maximierung der "inclusiv fitness" der eigenen "Ingroup" gleichbedeutend ist mit der erfolgreichen Maximierung des je eigenen genetischen Materials. Artgenossen, die nicht der eigenen "Ingroup" angehören, müssen jedoch zumindest als potentielle Feinde, als Schädiger der je eigenen 1991 und im Frühherbst 1992 sowie der nach wie vor hohe Stellenwert des politischen Streites um die "Asylantenfrage" scheinen starke Indizien für die Wirkkraft tief (genetisch) verwurzelter Ängste zu sein. Xenophobie und die Neigung zur Aggressivität gegenüber Fremden und Fremdem sind auch im rezenten "Menschentier" virulent - und dies um so mehr, je kritischer die je eigene Situation in der Gesellschaft gesehen wird (Zur "diskriminierende[n] Aggressionsbereitschaft" des Menschen gegenüber Gruppenfremden vgl. auch Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 25.; entspr. Tönnesmann, 1987, S. 184 f.; ebs. Werner, 1991, S. 7 ff.; Krell, 1992, S. 510.).

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Zur ausführlicheren Diskussion der "Xenophobie"-Problematik siehe die Beiträge von Meyer, Melotti, Silverman, Irwin, Tönnesmann und Flohr in Reynolds/Falger/Vine (1987). Vgl. dazu etwa Meyer, 1983, S. 61 f. Vgl. Vogel, 1989, S. 79 f.; Mohr, 1987, S. 82; ders., 1993, S. 27 ff.; Phocas, 1986, S. 188; der Sozialethiker Leinfellner (1993, S. 37) vertritt die dazu kongruente These, "Egoismus und Altruismus [seien] eben typisch komplementäre, einerseits einander ausschließende, andererseits einander ergänzende sozialökonomische Kräfte, ohne die ... Gesellschaftsformen auf die Dauer nicht existieren können".

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"inclusive fitness" angesehen werden - ihnen gegenüber ist daher ein aggressives oder zumindest ein indifferentes Verhalten prinzipiell vorzuziehen. Die Tatsache, daß die "Geschichte des Menschen, aller ethischen Reflexion und christlicher Verkündigung zum Trotz, durchsetzt, ja erfüllt [ist] von Aggression und Totschlag, von Krieg und Völkermord", kann plausibel auf diese genetisch implementierte "(kollektive) Aggressionskompetenz" des Menschen gegenüber der "Outgroup" als einem der grundlegendsten Faktoren zurückgeführt werden. 5 0

3.1 "Was du nicht willst, das man dir tu'..." - Aggressionshemmung beim Menschen Wenn es nun der tauglichkeitsmaximierende "Zweck" der innerartlichen Aggressivität ist, sich etwa in der Auseinandersetzung mit dem konkurrierenden Gruppenmitglied individuelle Vorteile verschaffen zu können, dann stellt sich in der Tat die Frage, wieso die Aggressivität als Mittel nicht immer eingesetzt wird und wieso sie nur in relativ seltenen Fällen auf die physische Vernichtung des Rivalen als der endgültigen Beseitigung des ewigen Konkurrenten abzielt. Mindestens drei Erklärungen erscheinen hier ange-

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Mohr, 1987, S. 78, 83 f.; Mohr betont hier ausdrücklich, diese angeborene "Aggressionskompetenz" stelle natürlich keinerlei "Legitimation für kulturelles Fehlverhalten" dar (ebd., S. 84): "Die Gene, dir wir im Pleistozän erworben haben, bilden kein Alibi für Barbarei, nicht einmal einen Anlaß für mildernde Umstände" (ebd., S. 105). Gleichwohl darf hier eine der Kernthesen der Soziobiologie nicht ignoriert werden, wonach jene "Aggressionskompetenz" auch im Genom des rezenten Menschen nach wie vor als ein Faktum gegeben ist, das nicht beliebig überspielt oder ausgeschaltet werden kann. Die Frage ist aber, ob sie heute auch notwendig ausgelebt werden muß. So erscheint es zwar als eine denkbare Option, die menschliche Neigung zur Aggressivität gegenüber der "Outgroup" selbst verändern oder beseitigen zu wollen; es sind jedoch grundsätzliche Zweifel angebracht, ob diese Option - ohne massive und in ihrem Erfolg völlig unkalkulierbare Manipulationen am menschlichen Genom vorzunehmen - auch realisierbar sein könnte. Einfacher und praktikabler könnte dagegen eine Strategie sein, die etwa auf der Ebene pädagogischer, sozialer und kultureller Maßnahmen auf eine neue Definition von "Ingroup" und "Outgroup" abzielt. Wenn man plausibel machen kann, daß der "Fremde" insofern Mitglied meiner "Ingroup" ist, als meine Überlebensinteressen mit den seinen notwendig verknüpft sind, dann kann die Kalkulation der Klugheit im Sinne der "inclusive fitness" zu dem Ergebnis leiten, die fitness-maximierende Strategie der Aggressivität sei weniger erfolgversprechend als die Strategie des "Altruismus", der Partnerschaft, der sozialen Kooperation.

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bracht: Zum einen steht die gegen das Gruppenmitglied gerichtete Aggressivität im Zweifel dem Prinzip der "kin selection" entgegen und damit der "Norm", nicht nur sich selbst, sondern auch den genetisch Verwandten zu möglichst optimalen "Fitness" zu verhelfen (Wenn etwa X sich gegenüber seinem Bruder Y aggressiv verhält, dann schädigt er damit auch einen Teil "seiner" Gene und damit seine eigene "inclusive fitness".). Gegenüber genetisch nichtverwandten Gruppenmitglieder steht der Neigung zur Aggression das Prinzip des "reziproken Altruismus" entgegen (Wenn X sich Y gegenüber jetzt aggressiv oder nicht-kooperativ bzw. "altruistisch" verhält, läuft X Gefahr, daß Y - oder irgendein anderes Gruppenmitglied - ihm, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt auf Hilfe angewiesen ist, ebenfalls nicht helfen wird). 51 Drittens gilt für die Aggressivität, daß sie immer mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Richard Dawkins schreibt in diesem Zusammenhang: "Why is it that animals do not go all out to kill rival members of their species at every possible opportunity? The general answer to this is that there are costs as well as benefits resulting from outright pugnacity, and not only the obvious costs in time and energy. For instance, suppose that B and C are both my rivals, an I happen to meet B. It might seem sensible for me as a selfish individual to try to kill him. But wait. C ist also my rival, and C is also B's rival. By killing B, I am potentially doing a good turn to C by removing one of his rivals. I might have done better to let B live, because he might then have competed or fought with C, thereby benefiting me indirectly". Außerdem - so Dawkins weiter - besteht schließlich auch stets die Gefahr, ich könnte etwa bei einer aggressiven Auseinandersetzung mit einem Rivalen den kürzeren ziehen, dabei verletzt oder gar getötet werden. 52 Von wesentlicher Bedeutung für die Kontrolle der Innergruppen-Aggression bzw. die effektive Dämpfung oder "Pufferung" des Aggressionstriebes sind zum einen bestimmte angeborene, aggressionshemmende Verhaltensweisen (Unterwerfungs- und Demutsgesten) sowie zum anderen das aktive Einschreiten anderer (v. a. ranghöherer) Gruppenmitglieder (Schlichtung und Intervention). 53 51

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Hinsichtlich dieser "Konkurrenz" zwischen den Neigungen zum "Altruismus" und zur Aggressivität spricht Konrad Lorenz (1983^, S. 88 ff.) vom großen "Parlament der Instinkte". Dawkins, 1976, S. 73. Vgl. zu diesen aggressionshemmenden Mechanismen Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 40 f., 54, 85 f., 113 ff., 123, 266 f.; zu den Beschwichtigungs- und Demutsgebärden

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Die Kontrolle bzw. Sublimierung oder Kanalisierung der Zwischengruppen-Aggression kann auf dem Weg über die Ritualisierung der Auseinandersetzungen (etwa in sportlichen Wettkämpfen, festgelegten Regeln der Kampffiihrung, Scheinkämpfen usw.), beim Menschen aber auch durch die friedensstiftende Vermittlung durch Dritte erfolgen. 54 3.1.1 Tötungshemmung Das moralische Gebot "Du sollst nicht töten!" ist praktisch unter allen Völkern der Erde, selbst unter ausgesprochen kriegerischen Völkern, unter Kopfjägern und Kannibalen in irgendeiner Form zu finden. Es gibt in menschlichen Gesellschaften keine generelle Erlaubnis, andere Menschen zu töten und das Töten von Menschen wird regelmäßig mit den schärfsten Sanktionen geahndet, die einer Gesellschaft zur Verfügung stehen. Eibl-Eibesfeldt geht davon aus, dieses Tötungsverbot sei alleine deshalb als zweckmäßig und vernünftig zu bezeichnen, weil "ein soziales Zusammenleben von Menschen ... ohne eine solche Regelung kaum vorstellbar" wäre. 55 Diesem Argument kann man aber nur dann folgen, wenn man eine natürliche Tötungshemmung - zumindest gegenüber nichtverwandten Artgenossen - für den Menschen ablehnt. Gäbe es nämlich eine solche funktionierende Tötungshemmung des Menschen gegenüber seinen Artgenossen, dann wären das formelle Tötungsverbot wie die Androhung von Sanktionen gleichermaßen überflüssig. Also muß man vom Fehlen eines derartigen Hemmungsmechanismus' beim Menschen ausgehen. Darüber hinaus kann man die entgegengesetzte These vertreten, daß die Kulturgeschichte des Menschen bis auf den heutigen Tag durch "gnadenlose Grausamkeit, Mord, Totschlag, Folter und Genozid" markiert ist, weil "die

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zählt er hier (S. 113 f.) das Sich-kleiner-Machen durch Kniefall, Verbeugung, Kopfeinziehen, ferner akustische Signale wie Klagelaute und Schmerzensschreie sowie als das wichtigste freundlich und milde stimmende Signal das Lächeln; Konrad Lorenz (1956, S. 698) weist bereits früh darauf hin, hinsichtlich des "Prinzip[sJ der Hemmungsauslösung [sei] die Analogie zu bestimmten, menschlichen Verhaltensweisen ... offensichtlich". Als Beispiel nennt er das Bibelwort (Mt. 5,39): "Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin" woraus Lorenz folgert: "Nicht, damit Dein Gegner Dich nochmals schlage, sollst Du ihm die Wange bieten: Damit er das nicht könne, sollst Du es tun!" Siehe Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 245-263. Eibl-Eibesfeldt, 1989 14 , S. 113.

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Neigung zum Quälen und Töten von Artgenossen beim Homo sapiens besonders ausgeprägt ist".56 Wie deckt sich aber diese Meinung mit der Auffassung von Konrad Lorenz, der niemals gefunden hat, "daß das Ziel der Aggression die Vernichtung der Artgenossen sei, wenn auch durch einen unglücklichen Zufall gelegentlich im Revier- oder Rivalenkampf ... aggressives Verhalten vernichtende Wirkungen entfalten kann"? Und im Hinblick auf den Menschen fährt Lorenz fort, daß selbst "bei höchster aggressiver Erregung" in einer gewalttätigen Auseinandersetzung "die zielbildende, trieb-beruhigende Endhandlung nicht das Umbringen [des] Feindes ist".57 Aus soziobiologischer Sicht ist nun zunächst davon auszugehen, daß es im gesamten Tierreich keine generelle Tötungshemmung gegenüber Artgenossen gibt, sondern vielmehr "Mechanismen, die ein Beschädigen ausschließen, ... zumeist nur speziellen Sozialkumpanen gegenüber [wirken]".58 Das heißt, daß bei gewaltsamen Auseinandersetzungen unter sozial lebenden Tieren das Leben von Gruppenmitgliedern in aller Regel zwar geschont wird, die Mitglieder anderer Gruppen der gleichen Art jedoch sehr wohl getötet werden dürfen. 59 56

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Mohr, 1987, S. 83, 98 f.; es dürfte klar sein, daß es sich bei dieser Aggressivität in erster Linie um die "adaptive" Strategie gegenüber der "outgroup" handelt; vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 220 ff. Lorenz, 1983 2 , S. 53 f.; auch Eibl-Eibesfeldt (1986 3 , S. 113) teilt diese Auffassung, das "Töten des Artgenossen [werde] bei vielen Tieren durch angeborene Aggressionshemmungen verhindert, die genau auf die Fähigkeit zu töten abgestimmt sind". Neumann, 1974, S. 97; vgl. auch Meyer, 1982, S. 42 f.; auch Vogel (1989, S. 76) geht davon aus, es gebe zwar offensichtlich "bestimmte Verhaltensmuster ..., die unter bestimmten Umständen und bei bestimmten Arten in aller Regel verhindern, daß ein überlegener seinen unterlegenen Kontrahenten ernsthaft verletzt oder gar tötet, selbst wenn er das für sich gefahrlos tun könnte. ... nur wirken diese 'HemmMechanismen' - zumindest bei höheren sozial lebenden Wirbeltieren - zumeist nicht universal und egalitär gegenüber allen Artgenossen, sondern nur gegenüber bestimmten Artgenossen und oft nur unter bestimmten Bedingungen". Lorenz und Eibl-Eibesfeldt, die noch von der "Art" als dem Objekt der Evolution ausgingen, hatten in diesem Punkt also schlicht unrecht. Vogel (1989, S. 40 f., 121 ff.) listet eine Reihe von Beispielen für die Gültigkeit dieses Prinzips auch in menschlichen Gesellschaften auf. So verweist er etwa darauf, daß in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Stämmen "die empörendsten Grausamkeiten die Bewunderung des Stammes hervorrufen [können]"; mit John Mackie stellt er fest: "It is perfectly possible for people to combine the fmest moral sensitivity in relation to

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Wenn aber bei sozialen Tieren (einschließlich dem Menschen) keine generelle Tötungshemmung vorhanden ist, dann ist auch hinsichtlich dieser aggressiven Disposition zum Töten von Artgenossen zu fragen, "zu welchen 'Zwecken' und unter welchen Bedingungen natürliche Selektion das Töten von Lebewesen durch Lebewesen genetisch 'belohnen' kann und es auf diese Weise so variantenreich hervorbringen und verbreiten konnte".60 Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich wiederum im Lichte der "altvertrauten Grundstrategien der biogenetischen Fitneß-Maximierung", nämlich "kin selection" und "reziproker Altruismus".61 Nach diesen Prinzipien besteht zwar bei sozialen Tieren (einschließlich dem Menschen) eine Neigung zu "altruistischem" Verhalten gegenüber genetisch Verwandten und darüber hinaus Angehörigen der "Ingroup", so daß eine Aggression durch Demuts-, Unterwerfungs- und Beschwichtigungsgesten ihnen gegenüber wirksam gedämpft werden kann62; diese Neigung zum "Altruismus" - und somit die Aggressions- und Tötungshemmung - besteht jedoch nicht gegenüber "Fremden" und "Außenseitern". "Kin selection" und "reziproker Altruismus" disponieren also: "zwangsläufig in Richtung auf eine 'geschlossene Gesellschaft' unter Ausgrenzung von 'Fremden'. Daraus resultiert, in (je nach empfundener

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their fellows with extreme unhumanity towards ... human beings whom they see in some way alien to themselves and their associates"; auch das Alte Testament demonstriert fur Vogel "auf Schritt und Tritt diese 'doppelte Moral'"; so bedeute etwa '"Du sollst nicht töten' ... im alttestamentlichen Verständnis: 'Du sollst keinen Israeliten töten'"; Singer (1983, S. 111) fuhrt im gleichen Sinne aus: "Killing a member of the tribe is wrong and will be punished, but killing a member of another tribe whose path you happen to cross is laudable"; vgl. dazu auch Mohr, 1987, S. 80. Vogel, 1989, S. 62. Vogel, ebd., S. 54. Die Tötungshemmung gegenüber genetisch Verwandten ist entsprechend dieser evolutionären "Logik" eine Aggressionshemmung gegenüber den eigenen Genen. Letztlich ist also nicht die Schonung des Sozialpartners (dem eigentlichen Konkurrenten im "Kampf ums Dasein") von Bedeutung, sondern die Erhaltung des gemeinsamen genetischen Materials; die Tötungshemmung gegenüber nicht verwandten Gruppenangehörigen ergibt sich aus dem Prinzip des reziproken Altruismus: Zum einen ist es nicht "sinnvoll", ein Gruppenmitglied zu töten, das bei späterer Gelegenheit nützlich sein könnte; darüber hinaus steigt das Risiko, in einem Kampf selbst getötet zu werden, mit dem prozentualen Ansteigen der Zahl der "Beschädigungskämpfer" in einer Gruppe; vgl. dazu Vogel, 1988, S. 208; Dawkins, 1976, S. 73.

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Bedrohung) steigender Stufung, Fremdenablehnung, Fremdendiskriminierung, Fremdenhaß, Ausgrenzung 'Andersartiger', 'Devianter', die Tendenz, andere, eben Fremde, zu diffamieren oder gar zu 'dehumanisieren', kurz der 'Ostrazismus', der so oft in barbarischer Grausamkeit endet".63 Diese "Dehumanisierung" des Gegners ist nun eine spezifisch menschliche (und weithin praktizierte) Möglichkeit, das Töten von Artgenossen zu legitimieren. Wenn der Gegner ein "Teufel", ein "Vieh" oder ein "Untermensch" ist, dann besteht auch kein Anlaß, ihn wie einen Menschen zu behandeln.64 Für das Fehlen einer angeborenen Tötungshemmung gegenüber Artgenossen beim Menschen spricht auch die folgende Überlegung: Von seiner physischen Konstitution her ist er nicht mit ausgesprochenen Tötungswerkzeugen ausgestattet wie etwa spezialisierte Raubtiere (Gebiß, Klauen, Gift); deshalb - so Konrad Lorenz - "fehlen ihm ... auch jene stammesgeschichtlich entstandenen Sicherheitsmechanismen, die alle 'berufsmäßigen' Raubtiere daran hindern, ihre Fähigkeiten zum Töten großer Tiere gegen Artgenossen zu mißbrauchen".65 Dem Menschen fehlt also eine spezifische 63 64

Vogel, 1989, S. 54 f. Vgl. dazu Vogel, 1989, S. 55; sehr interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Hinweise auf die "Zementierung" dieser "doppelten Moral" in diversen Sprachen, in denen der Stammesname zugleich "Mensch" bedeutet. Nicht-Stammesmitglieder sind folglich keine Menschen und können dementsprechend wie Tiere behandelt werden; vgl. dazu Lorenz, 1956, S. 703; ders., 1989 2 1 , S. 72; Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 117 f.; Mohr (1987, S. 83 f.) verweist ausdrücklich auf die "Härte der Gruppenkonflikte", die nach seiner Darstellung in der Menschheitsgeschichte in aller Regel mit einem "Genozid" einhergingen (belegt etwa in 4. Mose 31: der Ausrottungsfeldzug der Israeliten gegen die Midianiter); vgl. dazu auch Vogel, 1989, S. 121 f. Auch in Bezug auf heutige Intergruppenkonflikte wäre es höchstwahrscheinlich äußerst aufschlußreich, das propagandistische Vokabular kriegsführender Parteien (etwa der Parteien im jugoslawischen Bürgerkrieg) in dieser Hinsicht zu untersuchen. Meyer (1983, S. 68) weist in diesem Zusammenhang völlig zurecht darauf hin, daß die "Grausamkeiten, welche von Soldaten nahezu aller zivilisierten Staaten begangen worden sind, ... auf die Wirkung jenes Prozesses der Dehumanisierung [verweisen], welcher Vertreter der 'out-group' zur lebenden Antithese der Eigengruppe macht".

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Lorenz, 1983^, S. 226; Lorenz' Auffassung, bei jedem Töten eines Artgenossen handele es sich ausnahmslos um einen Mißbrauch der natürlichen Waffen, ist freilich in evolutions"logischer" Hinsicht falsch. Das Töten eines nichtverwandten und stammesfremden Artgenossen kann im Gegenteil als ein Akt zur Steigerung der

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Tötungshemmung gegenüber Artgenossen, weil er von seiner Physis her gar nicht oder nur mit immensem Aufwand in der Lage ist bzw. war, einen Konkurrenten zu töten, der sich zudem noch durch Flucht retten oder aber - jedenfalls sofern er zur "Ingroup" zählte - durch Demuts- und Beschwichtigungsgesten wirksam an die Aggressionshemmungen des überlegenen Rivalen appellieren konnte. Dieses relative Gleichgewicht zwischen schwacher Aggressionshemmung und zum Töten wenig geeigneter körperlicher Konstitution wurde in dem Moment empfindlich gestört, als es dem Menschen gelang, künstliche Hilfsmittel in Gestalt tötlicher Waffen zu erfinden. Der Faustkeil als effizientes Tötungswerkzeug in der Hand eines Lebewesens ohne adäquate Tötungshemmung! Lorenz vergleicht die fatale Situation des Menschen mit der einer "Turteltaube" (die ebenfalls nicht mit einer Tötungshemmung ausgestattet ist), der "ein nie dagewesenes Naturspiel jählings ... den Schnabel eines Kolkraben verleihen würde". 66 Eibl-Eibesfeldt geht sogar davon aus, der Mensch habe sich mit der "Erfindung der ersten Waffe ... in einer ähnlichen Krisensituation [befunden] wie wir im Zeitalter der Atomraketen". 67 Dabei komme jedoch heute erschwerend hinzu, daß die modernen Massenvernichtungswaffen das Töten von Artgenossen zu einer vollkommen anonymen Handlung werden lassen, in der der Agierende (der Soldat, der auf einen "dunklen Fleck im Gelände" schießt; der Bomberpilot oder derjenige, der per Knopfdruck den Start einer Atomrakete auslöst) keinerlei aggressionshemmenden Reizen (Demuts-, Beschwichtigungs-, Unterwerfungsgesten, Angstschreien) mehr ausgesetzt ist. Insofern hat tatsächlich "die technische Entwicklung unsere angeborenen Hemmungen überlistet".68 Anhand der Prinzipien "kin selection" und "inclusive fitness" läßt sich nicht nur plausibel erklären, wieso der Mensch nicht mit einer generellen Tötungshemmung gegenüber Artgenossen ausgestattet ist, sondern auch, wes-

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"inclusive fitness" angesehen werden; wenn aber die Tötung eines Artgenossen in diesem Sinne tauglichkeitsmaximierend ist, dann ist sie aus evolutionärer Sicht als "gut" zu bezeichnen; siehe dazu Vogel, 1989, S. 75 f., 82 f.: "Das Töten von Artgenossen ist also keineswegs schon deshalb 'maladaptiv', 'abnorm' oder 'deviant', weil es der Arterhaltung schadet, es ist - im Gegenteil - so lange durchaus 'adaptiv', 'normal' und überhaupt nicht 'deviant', wie es die 'Gesamtfitneß' des agierenden Individuums fördert, und nur dann 'maladaptiv', wenn es der 'Gesamtfitneß' des agierenden Individuums schadet". Lorenz, 1983 2 , S. 225; vgl. Hungerland, 1989, S. 42. Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 116. Eibl-Eibesfeldt, ebd., S. 117.

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halb sogar Infantizid und Fetozid, das Töten kleiner Kinder oder Ungeborener, unter bestimmten Umständen als "adaptiv" gelten kann. Christian Vogel hält es schon deshalb für wahrscheinlich, daß "Infantizid und Fetozid ... keineswegs abnorm und deviant sein müssen", weil sie "im Tierreich so weit verbreitet sind und auch bei hochentwickelten Wirbeltieren, bei Vögeln und Säugetieren, vor allem auch bei Primaten - und natürlich auch weltweit beim Menschen - so häufig und in bestimmten, vorhersagbaren Situationen fast regelmäßig praktiziert werden". 69 Der Reproduktionserfolg eines jeden Individuums hängt letztlich nicht allein von der Quantität seiner genetischen Nachkommen ab, sondern vielmehr davon, wieviele dieser Nachkommen selbst wieder Nachkommen zeugen können. Zugleich stellen Kinder immer eine Form von "Investition" dar, die zumindest für die Mutter - mit einem hohen Energieaufwand verbunden ist. Die - zumindest für abendländische Ohren freilich höchst unmenschlich klingende - ökonomische Formel für eine evolutionär adaptive Reproduktions"Strategie" könnten also etwa folgendermaßen lauten: (1) Wer mehr Nachkommen zeugt, als er erfolgreich aufziehen kann, verschwendet Energien, die er ohne diese Kinder im täglichen Überlebenskampf effektiver bzw. nach evolutiven Gesichtspunkten "sinnvoller" einsetzen könnte. (2) Die zur Verfügung stehenden begrenzten Ressourcen sind so einzusetzen, daß die Kinder mit der höchsten " prospektive [n] Reproduktionskapazität" am meisten davon profitieren. (3) Unter widrigen Umweltbedingungen, welche die erfolgreiche "Investition" in ein Kind als aussichtslos erscheinen lassen, können deshalb selektiver Fetozid und Infantizid (der auch durch das Verlassen oder Aussetzen der Kinder erfolgen kann) durchaus '"Fitneß'-fördernd und damit adaptiv und 'normal' sein". 70 69 70

Vogel, 1989, S. 83; vgl. ders., 1993, S. 205-210. Vogel, ebd., S. 86; Vogel führt hier (S. 86-91) auch eine Reihe von konkreten Beispielen für diese im Tierreich und in menschlichen Gesellschaften weit verbreiteten Praktiken an und verweist auf differenziertere empirische Studien (u.a. Kriminalstatistiken). Hinsichtlich des adaptiven Charakters des Fetozids scheint auch ein Verweis auf das alte Abtreibungsrecht ( § 2 1 8 StGB) etwa in der Bundesrepublik angebracht: Nach diesem Recht war eine Abtreibung dann legitim, wenn entweder eine medizinische oder aber eine soziale Indikation anerkannt wurde. Was aber sind medizinische und erst recht soziale Indikationen faktisch anderes als die Feststellung von "ungünstigen Aufzuchtbedingungen", die die unerwünschten Kinder als "Fehlinvestitionen" erscheinen lassen? Aus soziobiologischer Sicht läßt sich jedenfalls die pseudo-moralische Argumentation für die Freigabe der Abtreibung bestens mit dem Kern-Theorem vom "Genegoismus" in Einklang bringen. Und man könnte sagen, daß daher in einschlägigen intellektuellen Plädoyers für die generelle

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Zusammenfassend muß man also auch für den Menschen nochmals feststellen, daß er von seiner "Natur" her nicht mit einer generellen Tötungshemmung gegenüber Artgenossen ausgestattet ist, sondern aus biologischem Blickwinkel sowohl das Töten von erwachsenen Artgenossen (Rivalen und Fremde) als auch von geborenen und ungeborenen eigenen und fremden (genetisch nicht verwandten) Kindern "im Sinne der 'Gesamtfitneß'-Maximierung der agierenden Individuen" sehr wohl "adaptiv" sein kann. 7 1 Doch mit dieser Feststellung ist selbstverständlich noch absolut nichts über die soziale und/oder moralische Rechtfertigung derartiger Verhaltensweisen ausgesagt.

Freigabe der Abtreibung in faktischer (nicht unmittelbar in moralisch-ethischer!) Hinsicht ein quasi-eugenischer Unterton mitschwingt (was auch die zum Teil massiven emotionalen Reaktionen gegen derartige Standpunkte verständlich machen könnte; vgl. etwa die Beiträge in: Bastian, 1990); Vogel, 1989, S. 87: "Die Mutter schützt sich damit vor Fehlinvestitionen und spart ihre Energie für Zeiten günstigerer Reproduktionschancen auf"; zum Thema Infantizid und Fetozid in Tierpopulationen siehe auch Meyer, 1982, S. 52-56; Neumann (1974, S. 100 ff.) hält den Fetozid vor allem deshalb für "leichter", weil "die Kindern gegenüber bestehenden Tötungshemmungen [Kindchenschema; T.M.] nur dann zum Tragen kommen, wenn die Schlüsselreizkombination, die diese Hemmungen auslöst, mit den Sinnesorganen wahrgenommen wird. Das ist aber der sich entwickelnden Leibesfrucht gegenüber nicht der Fall"; zum ebenfalls möglichen adaptiven Charakter der Tötung von nicht selbst gezeugtem Nachwuchs siehe Vogel, 1989, S. 94 f.; Wuketits, 1993b, S. 157 ff. Zur Frage, was denn diese - an Primatenpopulationen beobachteten - Verhaltensweise (Tötung nicht selbst gezeugter Kinder der "Ingroup" durch Männchen) mit dem Menschen zu tun haben, stellt Vogel fest: "Weltweit weiß man aus menschlichen Gesellschaften, daß Stiefväter [und Stiefmütter?; T.M.] für Kinder ein weit höheres Überlebensrisiko darstellen als die leiblichen Väter" (ebd. S. 95 f.; auch hier kann Vogel auf entsprechende Kriminalstatistiken verweisen); Peter Singer fragt in derselben Hinsicht: "In the difference between his [des neuen "Haremschefs"; T. M.] behavior to infants genetically related to him and his behavior toward those that are not, the langur monkey demonstrates in a brutally clear form the kind of 'altruism' that may evolve through kin selection. ... Is there a human parallel in the wicked stepparents so common in fairy tales? Or in the mass rapes that for centuries have characterized military conquests?"; Sommer (1989, S. 269 f.) verweist auf eine Studie, die das Schicksal von Stiefkindern im Schleswig-Hostein des 18. und 19. Jahrhunderts untersucht. Ergebnis: "... ihre Chancen, das 15. Lebensjahr zu erreichen, [waren] signifikant schlechter ... als die leiblicher Kinder". 71

Vgl. Vogel, 1989, S. 97.

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4. Der Mensch aus der Sicht von Hobbes 4.1 Hobbes "bescheidener" Materialismus Theoretische Grundlage der Hobbesschen Anthropologie wie auch der modernen Soziobiologie ist der philosophische Materialismus, die These also, daß es nur eine Substanz, die "Materie" gibt, während eine weitere, immaterielle Substanz wie der "Geist" bestritten wird; diese Grundannahme gilt für die moderne Soziobiologie generell, für Hobbes zumindest in dieser und für diese Welt. 72 Hobbes' Materialismus ist freilich - nach einer treffenden Bezeichnung von Ulrich Weiß - im Verhältnis zum Materialismus der Soziobiologen in seinem Anspruch außerordentlich "bescheiden".73 Hobbes geht es demnach nicht darum, der traditionellen scholastischen Philosophie einen harten monistischen Materialismus entgegenzustellen, "welcher Materie statt Geist als das metaphysische V anbietet", sondern er möchte seine Wissenschaft alleine auf die "natürliche Vernunft" stützen und dabei möglichst vollständig auf die Inanspruchnahme theologischer und metaphysischer Kategorien verzichten. Der wichtigste Grund für diese systematische Ausgrenzung ist darin zu sehen, daß der traditionelle Anspruch der katholischen Kirche, in 72

Im Hinblick auf Hobbes' Theorie von den materialistischen Grundlagen des "Geistes" und des Denkens sind vor allem seine "Einwände" gegen Descartes' Lehre vom Menschen als "denkendem Ding" aufschlußreich (in: Descartes, 1972, S. 156 ff.). Diese Kritik besagt im wesentlichen, der Schluß vom Denken auf die eigene Existenz sei zwar richtig, die Kennzeichnung dieser Existenz als rein intelligibel dagegen höchst merkwürdig. "Da könnte man ebensogut sagen: 'ich bin ein Spaziergänger', also: 'bin ich ein Spaziergang"'. Für Hobbes ist dagegen das Denken nicht von einer denkenden Materie zu trennen, weshalb er es für naheliegender hält, "daß die denkende Sache materiell, als daß sie immateriell ist". Der menschliche "Geist" ist nach Hobbes' Überzeugung "nichts anderes ... als eine Bewegung in bestimmten Teilen des organischen Körpers" (ebd., S. 161; vgl. auch den siebten Einwand, S. 166 sowie den vierzehnten Einwand, S. 174 f.). Zu Hobbes' materialistischer und mechanizistischer Theorie-Grundlage siehe Hirsch, 1981; Karskens, 1982, S. 45 ff.; Weiß, 1980, S. 33-60; Willms, 1987, S. 61-87; auf Konzepte der Vereinbarkeit von Evolutionstheorie und Theologie, wie sie etwa von Teilhard de Chardin entwickelt wurden, kann hier nicht eingehen werden; zur Diskussion dieser Problematik siehe Vogel/Pannenberg, 1989, S. 163 ff.; Wuketits, 1989, S. 154 ff.; Wickler, 1981.

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Weiß, 1980, S. 41.

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allen Fragen des Wissens verbindlich den "Standpunkt" der göttlichen Vernunft repräsentieren zu können, mit dem großen Schisma der Reformation endgültig gescheitert bzw. nicht mehr allgemein durchsetzbar war. Die Berufung auf die "göttliche Vernunft" war fortan weniger denn je geeignet, philosophische und wissenschaftliche Probleme oder solche des sozialen Zusammenlebens zu lösen, sondern eher dazu, die möglichen Konflikte zu verschärfen. 74 Um Wissenschaft betreiben zu können, will Hobbes daher alle Phänomene ausgrenzen, die nur mit dem Glauben erfaßt werden können. Gott, den Hobbes mit größter Selbstverständlichkeit als existierend, als den Weltschöpfer, die "causa prima" anerkennt (vgl. etwa Ci, S. 4, 43 ff., 96, 204, 243, 256 ff.; Le, S. 80 f., 276), der aber mit den Mitteln der menschlichen Erkenntniskraft nicht zu erfassen, der "unbegreiflich" ist (Le, S. 23), ist ausschließlich ein "Gegenstand" des Glaubens, niemals des Wissens. 75 In fundamentalem Gegensatz zu Descartes fordert Hobbes daher, Gott sollte ebenso wie jede andere traditionelle Metaphysik - aus dem Feld der Wissenschaft ausgegrenzt werden, und zwar sowohl als Gegenstand der Erkenntnis als auch als Vermittler bzw. Garant wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wissenschaft im Sinne Hobbes' hat sich daher zu bescheiden: sie muß sich von allen theologischen und kosmologischen Fragen distanzieren, da diese einen nicht tragbaren Ballast darstellen; sie muß sich auf die Erforschung und Erkenntis von ausschließlich Diesseitigem, der - im Anfang von Gott geschaffenen - empirisch erfassbaren Welt/Natur beschränken. Die primären Mittel, die der vollständig säkularen Wissenschaft zu diesem Zweck zur Verfügung stehen, sind nach Hobbes freilich die von Gott geschaffenen "causae secun74 75

Vgl. dazu Willms, 1987, S. 55 ff. Die These Kerstings (1992, S. 48 f.), wonach es in der Hobbesschen "Wirklichkeitslehre" keinen Platz mehr gebe für die "Erste Ursache der Tradition", für einen "Urgrund" bzw. ein "oberstes Seinsprinzip" ist daher zu stark. Im Hobbesschen System steht Gott sehr wohl als der "Ur-Artifex, welcher die Welt geschaffen hat", aber: "er läßt sie zumindest gegenwärtig ... in sich stehen und als selbständig gewähren" (Weiß, 1980, S. 40). Hobbes' "Trick" besteht also nicht in der prinzipiellen Leugnung von "erster Ursache", "oberstem Seinsprinzip" etc., sondern in deren systematisch-vorläufiger Suspendierung. Daß er sein säkulares, dezentriertes Programm nicht in letzter Konsequenz durchführen kann, wird besonders im Zusammenhang mit der (später zu diskutierenden) Schlüsselfrage deutlich, wieso sich der mit absoluter Machtfülle ausgestattete Souverän an die "Gesetze der Vernunft" halten soll, da Hobbes hier wiederum Gott als den letzten Geltungsgrund der Moral ins Spiel bringt. Kerstings Auffassung, wonach Hobbes' Philosophie "auf jede die Weltimmanenz aufsprengende, transzendent-göttliche Begründungsdimension [verzichte]", ist daher ebenfalls zu oberflächlich.

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dae" (also vor allem physikalische und geometrische Gesetzmäßigkeiten) und die "natürliche Vernunft" - Gottes Herrschaft über die Welt ist also vermittels dieser "Instrumente" und ihrem rechten Gebrauch durch die Menschen letztlich doch gesichert.76 Die natürliche Vernunft ist dabei - analog zur Bibelstelle Lk 19, 12-26 - als das "Pfund" anzusehen, das Gott dem Menschen gegeben hat, und mit dem dieser nun nach seinen eigenen Voraussetzungen (da der Geber in ein "fernes Land" verreist ist; vgl. Lk 19, 12/13) "wuchern" soll (Le, S. 285). 77 Hier stellt sich die Frage, ob diese Bescheidenheit nicht in mancherlei Hinsicht auch die angemessene Haltung für heutige Evolutionstheoretiker und insbesondere Soziobiologen wäre. Denn sie mögen zwar einen "wissenschaftlichen Materialismus" propagieren, sie müssen jedoch zugleich zugeben, daß dieser in seinem absoluten, monistischen Wahrheitsanspruch letztendlich "Mythologie" ist. 78 Sie mögen noch so plausibel die fitness-maximierende Funktion der Gottesvorstellung und des religiösen Glaubens erläutern79, doch damit können sie niemals einen negativen Gottesbeweis begründen. 80 Ein religiöser Mensch mag ohne weiteres akzeptieren können, daß sein 76 77

78 79

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Vgl. dazu v.a. die klare und textlich gründlich belegte Interpretation bei Weiß, 1980, S. 35-42; die inhaltlich identische Interpretation vertritt auch Willms, 1987, S. 57 ff. Zur Bedeutung dieser Bibelstelle für Hobbes' rationalistisches Selbstverständnis siehe Willms, 1987, S. 57 f.; im Einleitungsschreiben "An den Leser" in "De Corpore" (S. 3.) setzt Hobbes die natürliche Vernunft synonym mit der "Philosophie", die weder "Steine der Weisen entstehen [läßt], noch jene Kunst, die metaphysische Lehrbücher in Aussicht stellen", sondern deren Aufgabe es alleine ist, daß sie "alle Dinge der Schöpfung sorgsam durchgeht, um über ihre Ordnung, ihre Ursachen und Wirkungen die schlichte Wahrheit zu suchen und zu berichten. Die Philosophie [ = natürliche Vernunft; T. M.] ist Tochter deines Denkens und der ganzen Welt und wohnt in dir selbst". Was der "Vater" der Soziobiologie, Edward O. Wilson (1979, S. 194) auch unumwunden eingesteht. Siehe hierzu v. a. Wicklers Arbeit über die "Biologie der Zehn Gebote" (Wickler, 1981); entsprechend auch Wilson, 1979, S. 160 ff.; Alexander, 1981a, S. 292 f.; Phocas, 1986, S. 157 f.; Wuketits, 1993, S. 116. Eine Konsequenz, zu der etwa Wuketits (1989, S. 154 ff., 159 f.; 1990, S. 166; 1993a, S. 210, 215, 223) neigt; zur Kritik siehe Pieper (1990, S. 190) sowie Craemer-Ruegenberg, 1990, S. 172; sie meint, ein "Biologe, der sich des weitgehend hypothetischen Charakters der verschiedenen evolutionären Erklärungen bewußt bleibt, [werde] kaum Mühe haben, hinter dem vielen Unerkannten, hinter den Rätseln des Universums so etwas wie ein Göttliches zu erahnen (oder zum mindesten für denkbar zu halten)".

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Glaube ihn für dieses Leben "fitter" macht; die darüber hinausgehende, im schlechten Sinne metaphysische These, "Gott", "Unsterblichkeit", "Leben nach dem Tod" usw. seien nichts anderes als reine Epiphänomene, menschliche Projektionen oder geschickte "Tricks" der "egoistischen" Gene, kann dagegen nur geeignet sein, die fitness-maximierende Funktion religiösen Glaubens zu zerstören. 81 Die von Hobbes geforderte "gebührende Distanz zu allen Fragen theologischer und kosmologischer Art" 82 und allen Versuchen, diese Fragen letztgültig zu beantworten, wäre deshalb auch für Evolutionstheorie und Soziobiologie zumindest soweit angemessen, als sie Wissenschaft sein wollen und nicht Pseudoreligion oder metaphysische Weltformel. Dies bedeutet freilich nicht, daß es für Evolutionstheoretiker und Soziobiologen nicht auch legitim sein kann, die naturwissenschaftliche Basis in naturphilosophischer Absicht transzendierend, einen konsequenten, monistischen Materialismus zu vertreten und - im Bewußtsein und mit dem Eingeständnis ihres hypothetisch-spekulativen bzw. mythologischen Charakters - spekulativ eine materialistische Weltformel zu entwerfen. 83

4.2 Der Mensch: "zoon politikon" oder radikaler Einzelkämpfer? Bevor das Hobbessche Menschenbild im einzelnen dargelegt und diskutiert wird, soll an dieser Stelle - aus der Sicht von Humanethologie und Soziobiologie - auf den wohl prinzipiellsten Irrtum der Hobbesschen Anthropologie hingewiesen werden, nämlich seine Fiktion eines radikalen Einzelkämpfertums im Naturzustand. Der Mensch ist von seiner Natur her als 81

82 83

Siehe dazu den Moraltheologen Knapp (1989, S. 89 ff., 215 ff.), der völlig zurecht bezweifelt, "ob die Idee der Soziobiologie eine erhöhte Vermehrung ihrer Anhänger oder zumindest eine psychologische Befriedigung (Soziobiologie als Opium fürs Volk) ermöglicht" (ebd., S. 124); vgl. auch ders., 1987/88, S. 158; ähnlich Koslowski, 1984, S. 53, 70 ff.; Low, 1986b, S. 8; ders., 1986a, S. 67 f.; ders., 1986/87, S. 38. Mit Blick auf den dritten Teil dieser Arbeit könnte man in diesem Zusammenhang mit Hobbes (und Machiavelli!) sogar argumentieren, daß "es also in der Zeit vor der bürgerlichen Gesellschaft oder in ihrer Unterbrechung durch Krieg nichts [gibt], was einem Friedensvertrag Kraft verleihen könnte, der gegen die Versuchungen von Habgier, Ehrgeiz, Sinnenlust und anderen starken Trieben geschlossen worden war, außer der Furcht vor der unsichtbaren Macht, die jedermann als Gott verehrt und als Rächer seiner unrechten Handlungen furchtet". Weiß, 1980, S. 38. Vgl. dazu (kritisch!) Bucher, 1992, S. 108 ff.

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"familiare[s] und Kleingruppenwesen ... ursprünglich für ein Leben in individualisierten Verbänden geschaffen" 8 4 ; demnach ist jeder M e n s c h a priori ein soziales W e s e n , und die Annahme eines Zustandes, in d e m sich alle M e n schen gleichsam als Einzelkämpfer-Monaden gegenüberstehen, ist daher in fundamentalem Sinne falsch. 8 5 Hobbes' Bild, wonach die M e n s c h e n im Naturzustand "gleichsam wie Pilze ... plötzlich aus der Erde hervorgew a c h s e n und erwachsen wären, ohne daß einer d e m anderen verpflichtet wäre" (Ci, S. 161), ist ein vollständiges Zerrbild. 8 6 D i e s wird noch deutlicher, wenn man die soziobiologischen Prinzipien v o n der "kin selection" und der "inclusive fitness" zugrundelegt, denen zufolge in aller Regel kein M e n s c h jemals ausschließlich die eigene Selbsterhaltung anstrebt, sondern über die Steigerung seiner eigenen "fitness" hinaus zumindest auch diejenige seiner (näheren) genetischen Verwandtschaft. D i e Annahme eines radikal-egoistischen Individualismus für den "Naturzustand" ist daher unhaltbar, und aus soziobiologischer Sicht ist es alleine sinnvoll, v o n

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Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 28 f.; ders., 1989 1 4 , S. 16 f.; Carneiro, 1978, S. 205 f.; vgl. auch Gehlen, 1986 5 , S. 83, 87 f.; Masters, 1982/83, S. 185; Ike, 1987, S. 218 ff.; Wuketits, 1993b, S. 236 f.; "geschaffen" ist hier natürlich nicht vorschnell in einem kreationistischen Sinne zu deuten. Abgesehen davon, daß bereits Shaftesbury, Cumberland und Pufendorf - für den der Mensch ein egoistisch-soziales Doppelwesen war - diesen Fehler im Prinzip korrekt erkannten (vgl. dazu Gehrmann, 1970, S. 51 ff.; zu Shaftesburys Gegenposition zu Hobbes siehe Kliemt, 1985, S. 33-41), sind also sowohl die Interpretationen von Hönigswald (1975, S. 172), als auch von Tönnies (1912 2 , S. 199), wonach die "Nation" (Hönigswald) bzw. die "Gesellschaft" (Tönnies) ihrem Wesen nach früher als der Staat gewesen sein müssen, zumindest dahingehend zutreffend, daß es eine dem Staat vorausliegende soziale Einheit geben muß. Nur wird man heute anstatt der "Nation" oder der "Gesellschaft" eher die evolutionäre Kleingruppe, die Pluralität der "Genpools" in einer ökologischen Nische als die basale Einheit eines erst zu gründenden "Staates" ansehen. Zur Falschheit und dem "großen Zumutungswert" des Hobbesschen Radikal-Individualismus vgl. etwa Kersting, 1992, S. 72; siehe auch Meyer, 1983, S. 67; Baier, 1987, S. 157 f.; Markl, K.-P., 1985, S. 57 ff.; Markl weist zudem darauf hin, auch ein moderner Spiel- und Entscheidungstheoretiker verstricke sich in Widersprüche, wenn er "sich auf die anthropologische Position des Individualismus versteife[]"; ähnlich auch Masters (1982/83, S. 184), wobei hier besonders interessant ist, daß er die Defizite (unter anderem) der Hobbesschen Anthropologie aus evolutionstheoretisch-ethologischer Perspektive kritisiert.

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e i n e m stets (also auch "jenseits" des Naturzustandes!) das individuelle Handeln prägenden "Gen-Egoismus" zu sprechen. 8 7 Es spielt dabei keine Rolle - wie es etwa Hume behauptete 8 8 daß Hobbes den ursprünglichen inter-individuellen Naturzustand ausdrücklich als eine ahistorische Fiktion auffaßte (vgl. Le, S. 97 8 9 ). Hobbes, der davon ausgeht, wir könnten nur über die Dinge ein sicheres W i s s e n erlangen, die wir aus eigener Kraft und e i g e n e m V e r m ö g e n zu (re)konstruieren in der Lage sind (vgl. C i . , S. 6 0 f f . ; C o , S. 3 f . , 6 f . , 10 f f . 9 0 ) , setzt sich unter dieser epistemologischen Voraussetzung als Ziel, "die Natur dieses künstlichen M e n s c h e n [also des "Leviathan"; T. M . ] zu beschreiben" (Le, S. 5); dieses Ziel will er systematisch in mehreren methodischen Schritten erreichen, von denen der erste die Untersuchung v o n "Werkstoff und Konstrukteur" des Staates als Kunstprodukt ist - "beides ist der Mensch" (ebd.). 9 1 Deshalb ist die Richtig87 88 89

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Siehe etwa Vogel, 1989, S. 16 ff.; ders., 1982, S. XXI f.; Markl, H., 1990, S. 382 f.; Dawkins, 1976, S. 2. Hume, 1978, S. 236 f. Palaver (1991, S. 24) weist allerdings zurecht darauf hin, die Hobbessche Lehre vom inter-individuellen Naturzustand während der Abwesenheit einer allgemeinen Gewalt entbehre bei Hobbes "nicht jeglicher empirischen Basis", da er mit den "wilden Völkern Amerikas" sowie der englischen Gesellschaft im Bürgerkrieg immerhin einige "Beispiele für seine Hypothese" angebe (vgl. entspr. Lott, 1989, S. 91). Allerdings übersieht auch Palaver (ebs. wie Lott) hier, daß jene "wilden Völker Amerikas" gerade keinen "prä-sozialen" Naturzustand radikal vereinzelter Individuen repräsentierten. Zu dieser epistemologischen bzw. wissenschaftstheoretischen Voraussetzung siehe Hance, 1991, S. 156 f.; Kersting, 1992, S. 44-59; Willms, 1987, S. 68 ff.; Weiß, 1980, S. 77-94 (insbesondere S. 84 ff.); ders., 1992, S. 1303-1307. Dem liegt bei Hobbes der Gedanke zugrunde, wir hätten dann, wenn wir über ein "sicheres Wissen von den Grundelementen" verfügen, auch "ein sicheres Wissen von den aus ihnen zusammengesetzten komplexen Gegenständen" (Kersting, 1992, S. 51 f.). Allerdings führt dies in ein begriffliches Dilemma: Denn wenn wir nur die Dinge sicher erkennen können, die wir selbst herstellen können, es also wissenschaftliche Erkenntnis im strengen Sinne nur von Artefakten gibt, dann scheitert - jedenfalls bisher - jeder Versuch, zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis des Menschen zu gelangen. Ein "geometrisch" sicheres Wissen vom Menschen als dem Grundelement des Staates ist bisher nicht erreicht und womöglich grundsätzlich unmöglich; doch wie sollte dann - jedenfalls nach der Hobbesschen Methodologie - eine wissenschaftlich sichere Erkenntnis des Staates (vgl. etwa Ho, S. 20) möglich sein, da doch der Mensch nach Hobbes zumindest auch "Werkstoff", kleinster Baustein des Staates ist, von dem wir folglich über "sicheres Wissen" verfügen müßten? Doch der Mensch ist als "matter in motion" alleine Gegenstand physikalischer Erkenntnis, und diese ist

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keit dieser Untersuchung und Bestimmung "des" Menschen v o n größter Wichtigkeit für alle folgenden Schritte seines philosophischen Systems, weil Hobbes nur dann stringent nachweisen kann, welches die geeigneten Mittel zur Verwirklichung seines Systemziels sind: die "Wohlfahrt der Menschen" (Le, S. 37).92 Für die Konsistenz des Hobbesschen Systems ist es daher im Grunde gleichgültig, ob die Lehre v o m Menschen im Naturzustand reine Fiktion ist oder den Anspruch auf empirische Nachvollziehbarkeit erhebt; wichtig ist alleine, ob diese Lehre d e m tatsächlichen "Wesen" des Menschen gerecht wird oder nicht - und dies ist eben bei der Hobbesschen Lehre nicht der Fall, sofern sie den Menschen im Naturzustand als radikalen Einzelkämpfer beschreibt. Mit anderen Worten: Selbst wenn man berücksichtigt, daß Hobbes' nach Hobbes stets mit einem unaufhebbaren und letztlich unwägbaren Grad an Hypothetizität verbunden (vgl. Ho, S. 19. Diese skeptische Kritik ließe sich natürlich mit letzter Konsequenz auf jedes andere Beispiel für "geometrische" Erkenntnis ausweiten - etwa indem man jede derartige Erkenntnis an ein erkennendes Subjekt rückbindet und aus dessen streng wissenschaftlicher Unerklärbarkeit den logischen Letztgrund für die Hypothetizität jeder Erkenntnis ableitet). Hobbes' Wissenschaftstheorie kommt nicht um die metaphysische Voraus-Setzung von Grundprinzipien bzw. Grundbegriffen wie etwa "Materie" und "Bewegung" umhin, die in seinem System eine "nahezu transzendentalphilosophischef]" Funktion erfüllen (Kersting, 1992, S. 55; vgl. Conrad, 1991, S. 88). Das pragmatische Kriterium für die "Wahrheit" und die wissenschaftliche Tauglichkeit jener Grundbegriffe und -prinzipien, letztlich für die gesamte Methodik und politische Philosophie Hobbes', ist der praktische Nutzen, den die Menschen aus ihnen ziehen können: "Klare Wörter sind das Licht des menschlichen Geistes, aber nur, wenn sie durch exakte Definitionen geputzt und von Zweideutigkeiten gereinigt sind. Die Vernunft ist der Schritt, die Mehrung der Wissenschaft der Weg und die Wohlfahrt der Menschen das Ziel" (Le, S. 37; vgl. zu dieser Interpretation Kersting, 1992, S. 55 f.). 92

Um die allgemeine Bestimmung "des" Menschen geht es Hobbes aus folgendem Grund: "Wer eine ganze Nation zu regieren hat, muß in sich selbst lesen - nicht in diesen oder jenen einzelnen Menschen, sondern in der menschlichen Gattung" (Le, S. 7). Diese Formulierung ist freilich mißverständlich. Denn da "ich" selbstverständlich auch ein einzelner Mensch bin, wieso sollte ich dann in mir - anders als in anderen einzelnen Menschen - "in der menschlichen Gattung" lesen können? Umgekehrt: Wie sollte man anders als durch die Beobachtung einzelner Menschen, Menschengruppen und ihres Verhaltens überhaupt in der menschlichen "Gattung" lesen können? Schließlich: Wenn es nach Hobbes so etwas wie ein allgemeines "Wesen" des Menschen gibt, universelle Konstanten des "Menschlichen", wieso sollte es dann nicht möglich sein, dieses Allgemeine auch in einem anderen Menschen zu "lesen"?

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Naturzustandslehre nicht "die Ausgangssituation der menschlichen Vergesellschaftung unter der methodischen Abstraktion v o n aller Geschichte vorführen [will]", sondern mit ihr "der allgemeine Zustand unter den M e n s c h e n zur Darstellung gebracht werden [soll], der sich theoretisch ergäbe, w e n n jedes politische Steuerungsorgan v o m gesellschaftlichen Leben nachträglich fiktiv a b g e z o g e n würde" 9 3 , ändert sich am kritischen soziobiologischen Befund nichts, da die Auflösung einer Gesellschaft schlechterdings niemals auf das vereinzelte Individuum zurückführen kann; in diesem Punkt ist Hobbes' Anthropologie - wie jeder andere radikal-individualistische Ansatz - schlicht falsch. 94 93 94

Honneth, 1992, S. 17. Entsprechend ist auch die These von Wuketits, einem der eifrigsten Verfechter der Soziobiologie, wonach der Mensch "der Prototyp eines vergesellschafteten Lebewesens" sei und als "zoon politikon ... von Natur aus ... einer in der Evolution der Primaten tief verwurzelten Eigenschaft" folge, aus soziobiologischer Sicht schlicht falsch (Wuketits, 1993b, S. 105). Was Hobbes betrifft, so ließe sich die empirische Unhaltbarkeit bzw. Falschheit der Lehre vom radikal-indvidualistischen Naturzustand - unter anderem - auch am Beispiel der Sprache und ihrer hohen Bedeutung für die Hobbessche Philosophie verdeutlichen. Denn in einem radikal-individualistischen Naturzustand, in dem alle sich im Krieg mit allen befinden, alle allen stets mißtrauen müssen, kann es keine funktionierende Gemeinschaft und folglich auch keine Sprache geben, da Sozialität als Möglichkeitsbedingung der Sprachentwicklung anzusehen ist. So läßt bereits die bloße Existenz von Sprache den Schluß zu, daß Menschen von Natur aus Gemeinschafiswesen sind - was aber nicht bedeutet, sie seien Staatswesen (Vgl. dazu Kersting, 1992, S. 74 f.). Zur Sprachtheorie Hobbes' siehe auch die neue, sehr differenzierte Arbeit von Isermann, 1991; zur grundlegenden Bedeutung der Sprache in Hobbes' Lehre siehe Schelsky, 1981, S. 47-83; ebs. - insbesondere im Hinblick auf "Behemoth" - auch Willms, 1990, S. 257 ff.; ähnlich Danford, 1980; Johnson, L., 1986, S. 63 ff.; Baier, 1987, S. 164 ff.; Machamer/Sakellariadis, 1989, S. 2834; Münkler, 1994 b, S. 86 ff. Zum Aspekt der (apriorischen) kommunikativen Einstellung des Menschen als Kritik am individualistischen Konzept des Naturzustandes bei Hobbes siehe v.a. Kwon, 1991. Aus soziobiologischer Sicht kann natürlich von einen echten KommunikationsApriori nicht die Rede sein. Allerdings wird sich auch dann, wenn man die menschliche Sprache als evolutive Anpassungsleistung und damit als phylogenetisches Aposteriori versteht, die quasi-transzendentalphilosophische These verteidigen lassen, daß die Sprache als Kommunikationsmedium Bedingung der Möglichkeit größerer sozialer Entitäten ist. D.h., daß Hominidengruppen ohne Sprache bzw. die Fähigkeit zur Verständigung und Einigung zwischen verschiedenen Gruppen nicht in der Lage waren, die engen Grenzen der genetischen Ingroup in friedlicher Weise zu

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Bedeutet dies nun, daß Hobbes' gesamte politische Philosophie bereits in diesem ersten, entscheidenden Punkt gescheitert und etwa seine Kritik an Aristoteles' Lehre vom Menschen als "zoon politikon" vollkommen haltlos ist? (1) Zunächst zu letzterem: Hobbes' These gegen Aristoteles lautet, der Mensch sei zwar von Natur aus darauf angelegt, Gemeinschaft mit anderen Menschen zu suchen (Familie!; vgl. etwa Ci, S. 75 f., 141, 161, 171; Le, S. 131, 155 ff. 9 5 ), er dürfe aber keineswegs als ein auf die bürgerliche Gesellschaft hin prädeterminiertes Lebewesen angesehen werden. Hobbes weist also diese teleologische Annahme des Aristoteles zurück. Bürgerliche Gesellschaften setzten nach Hobbes vielmehr die Kategorien von Vertrag und Treue (und damit positivem Recht) voraus, die von Menschen jeweils erst erfahren und deren Geltung und Respektierung gelernt werden müssen. Hobbes: "... deshalb wird der Mensch nicht von Natur, sondern durch Zucht zur Gesellschaft geeignet" (Ci, S. 76), wobei Hobbes sich auch transzendieren. Zur apriorischen Kommunikationsgemeinschaft als ethischer Grundnorm bzw. der Möglichkeitsbedingung von Ethik überhaupt siehe Apel, 1983, S. 33 ff. 95

Insofern ist für Hobbes, der an allen diesen Stellen betont, die Familie sei als ein kleiner, natürlicher Staat zu betrachten, ohnehin klar und völlig selbstverständlich, daß Menschen stets in ursprünglichen, eben familiären Gemeinschaften lebten: "Ich bestreite daher nicht, daß die Menschen unter dem Zwang ihrer Natur einander aufsuchen"; Ci, S. 75 f., Anm.; vgl. dazu Forschner, 1989, S. 153; ähnlich Baier, 1987, S. 159 f., 163; sie weist hier zurecht darauf hin, etwa das Streben nach Ehre sei eine ausgesprochen soziale Aktivität ("social activity"), die mit der Vorstellung vom Menschen als einem generell unsozialen oder auch nur sozial indifferenten Wesen nicht zu vereinbaren sei. Hobbes' Lehre vom radikal-individualistischen Naturzustand ist daher - was die inter-individuelle Ebene betrifft! - eine rein theoretisch-methodologische, kontrafaktische Abstraktion (vgl. dazu Kersting, 1992, S. 102 f.), und der ansonsten so realistische Hobbes sieht nicht, daß er mit dieser Abstraktion einen folgenschweren methodologischen Fehler begeht - den bekanntlich bereits der Bischof Bramhall dahingehend monierte, Hobbes habe die altruistischen Gefühle vergessen, "which God himself hath imprinted in the heart of the man" (zitiert nach Hügli, 1976, Sp. 587; zur einschlägigen Kritik an Hobbes auf der Grundlage moralischer Entrüstung siehe Fetscher, 1989 3 , S. LVIII f.). Überzogen dürfte aber die (gleichsam neo-aristotelische) Interpretation des Hobbesschen Menschen als "unpolitisch" sein (Kersting, 1992, S. 16). Der Mensch strebt immer nach Macht; im "kleinen Staat" der Familie ebenso wie im großen, künstlichen Staat; insofern ist er - im Sinne der weiten Weberschen Politik-Definition - auch immer "politisch". Die strenge aristotelische Trennung von Oikos und Polis ist für Hobbes gerade nicht mehr sinnvoll.

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darüber im klaren ist, "daß die Eignung der Menschen zur Gesellschaft von Natur aus verschieden ist" (Le, S. 116). 96 Hobbes stützt sich bei seiner Kritik 96

Gleichwohl ließe sich der "Streit" zwischen Hobbes und Aristoteles schlichten, indem man den grundverschiedenen Naturbegriff bzw. den divergierenden Begriff vom "Naturzustand" beider deutlich macht. Während nämlich für Aristoteles der Naturzustand eines Wesens erst der je zu erreichende, der Zustand der höchsten Vollkommenheit, des verwirklichten Telos ist (vgl. Politik, 1252 b 30 ff.), versteht Hobbes unter "Naturzustand" umgekehrt den Zustand der Naturbelassenheit, des NichtBehandelten, Nicht-Kultivierten, Nicht-Bearbeiteten. Diese unterschiedliche Semantik von "Natur" und "Naturzustand" in Rechnung gestellt, ist Hobbes mit Aristoteles dahingehend zu versöhnen, als auch er der Überzeugung war, der Mensch könne erst im Ausgang aus dem Naturzustand, d. h. durch seine Verstaatlichung zu einem höherwertigen, "eigentlichen" und "würdigen" Mensch-Sein gelangen. Zur "zoon politikon"-Problematik bzw. zur Kritik an Hobbes' Aristoteles-Kritik siehe v.a. Wolfers, 1991, S. 54-76; ebs. Kersting, 1992, S. 13-24; Neri, 1988; Riedel, 1981; Laird, 1942/43; Tönnies, 1923; ders., 1975, S. 215 ff. Tönnies meint, in Hobbes' Theorie entstehe ein Widerspruch, wenn er zum einen die Furcht synonym setze mit der natürlichen Vernunft, und er somit maßgeblich auf der Basis dieser Furcht die menschliche Fähigkeit und Neigung zur Gesellschaftsbildung erklären wolle, andererseits aber behaupte, der Mensch sei nicht von Natur aus zur Gesellschaft fähig, sondern werde dies erst durch "Bildung (disciplina)" (ebd., S. 219). Hier ist schärfer zu differenzieren: Der Mensch ist für Hobbes - womit er völlig in Übereinstimmung mit modernen soziobiologischen Thesen steht - prinzipiell egoistisch an der Wahrung und Durchsetzung seiner je eigenen ("inklusiven"!) Interessen interessiert. Zu diesen Interessen gehört aber auch die Vermeidung von Übeln und hier natürlich primär die Vermeidung des eigenen (gewaltsamen) Todes als dem größten Übel (sofern dieser die eigenen Gen-Reproduktionschancen zunichte macht). Da alle anderen Menschen in ihrem Denken und Handeln in gleicher Weise wie ich an der Wahrung und Durchsetzung ihrer je eigenen Interessen orientiert sind, die Dinge bzw. Ressourcen, die alle oder viele begehren, jedoch begrenzt sind, so kommt es notwendig zu einer Konkurrenz- und Konfliktsituation, die Hobbes - gleichsam im Vorgriff auf Darwin treffend als (potentiellen) "Krieg aller gegen alle" bezeichnete. Individuen, die sich entsprechend ihrem egoistischen Naturell miteinander im Kriegszustand befinden, sind jedoch zunächst nicht geeignet, stabile Gesellschaftsformen jenseits von instabilen, mehr oder weniger sporadischen reinen Zweckbündnissen zu bilden. Insofern ist der Mensch von Natur aus nicht zur Gesellschaft fähig. Allerdings ist er in der Lage, das Elend seines Naturzustandes, der wesentlich geprägt ist von der mißtrauischen Furcht gegenüber allen anderen, einzusehen. Allen Individuen im Naturzustand kann nun sehr wohl ein Interesse daran zugesprochen werden, diesen Zustand der alles lähmenden, permanenten Furcht zu überwinden; diese Überwindung gelingt jedoch nur im institutionell abgesicherten Rahmen. Insofern ist die Furcht (oder der Leidensdruck), die Bull (1981, S. 721) in Übereinstimmung mit

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an Aristoteles primär auf die Stelle Pol. 1253al, wo es heißt, "daß der Staat zu den naturgemäßen Gebilden gehört und daß der Mensch von Natur ein staatenbildendes Wesen ist". Ferner behauptet Aristoteles: "Daß also der Staat von Natur ist und ursprünglicher als der Einzelne, ist klar" (Pol., 1253a25). Für Aristoteles ist aber auch klar, daß für den Menschen "Zusammenleben und Gemeinsamkeit eine schwierige Sache" sind. 97 Die soziobiologische Metakritik führt zu dem Ergebnis, daß - mit einer wichtigen Modifikation - eher Hobbes' als Aristoteles' anthropologische Grundannahme zutraf: Zwar ist der Mensch seiner "Natur" nach ein soziales Lebewesen, niemals monadischer Einzelgänger, niemals nur "skin-encapsulated ego", "distinct and separate from the rest of the world"98, - aber er ist ein Kleingruppenwesen, kein von Natur aus "staatenbildendes" Lebewesen wie etwa Bienen oder Ameisen. Der Mensch ist also ein natürliches "Oikos"-We-

Hobbes im Sinne von "rational apprehension of future insecurity" interpretiert wenn nicht das entscheidende Motiv - doch zumindest so etwas wie der entscheidende Katalysator zur Gesellschaftsbildung. Die Gesellschaftsfähigkeit, worunter die Fähigkeit zum Leben in einer Gesellschaft, die Fähigkeit zur faktischen Akzeptanz der gesellschaftlichen "Spielregeln" zu verstehen ist, kann jedoch dann einzig und allein durch die "Zucht" (milder: durch Erziehung, Bildung, "Sozialisation") bzw. die züchtigende Kraft des "Schwerts der Gerechtigkeit" (milder: durch eine sanktionsfähige Rechtsordnung) erreicht und verwirklicht werden. Und dies gilt bereits auf der Ebene der ursprünglichen Gemeinschaft einer genetischen "Ingroup". Kaum jemand wird heute noch am Scheitern der "reinen" behavioristischen Doktrin der Erziehung zweifeln bzw. daran, daß sich aus "non frustrated children" eher gesellschaftsunfähige Neurotiker entwickeln als aggressionsfreie "neue" Menschen (vgl. dazu etwa Lorenz, 1989 2 1 , S. 78 ff.; ders., 1977, S. 92; Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 284; Phocas, 1986, S. 112; aus der Sicht analytischer Philosophie Bieri, 1981, S. 31-36). Exploratives Rangordnungsstreben ist jedem Menschen angeboren; er muß seinen Platz auch in der ursprünglichen Kleingruppe erst finden und kann dies nur, in dem er seine Möglichkeiten testet und seine Grenzen erfährt. Das bedeutet freilich gerade nicht, daß man nun in's andere Extrem verfallen und behavioristische und/oder milieutheoretische oder auch ethnomethodologische Untersuchungen für obsolet erklären sollte. Gerade deshalb, weil sich die angeborenen Anlagen des Menschen durch das "fine tuning" in einer konkreten Umwelt entfalten und entwickeln, ist die Mileutheorie keineswegs überflüssig geworden, da sie eben die milieu- bzw. kulturspezifischen Wirkungen auf das natürliche "Material" näherhin untersuchen kann. 97 98

Zitiert nach Wickler/Seibt, 1977, S. 347. Ike, 1987, S. 226 f. Sinnvoller wäre es daher, vom Menschen als einem natürlicherweise stets "kin-encapsulated" Wesen zu sprechen.

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sen, jedoch kein natürliches "Polis"-Wesen"; er ist - wie Kant es formulierte - gekennzeichnet durch seine "ungesellige Geselligkeit".100 Demnach ist es zwar falsch, wenn Hobbes den Menschen als "zur Gesellschaft von Natur unfähig" charakterisiert (Ci, S. 76 Anm.), denn alleine die Tatsache, daß Menschen in (stets relativ!) stabilen Gesellschaften leben, beweist das Gegenteil. Menschen sind gesellschafts/ä/w'g; sie verfügen über natürliche "Vergesellschaftungsressourcen".101 Hobbes hat aber insofern recht, als der Mensch von Natur aus nicht zur Großgesellschaft (jenseits der genetischen Ingroup) disponiert oder gar determiniert ist. Die Herausbildung und Erhaltung größerer sozialer Gebilde bis hin zu den modernen Nationalstaaten ist deshalb kein "natürliches" Phänomen (im Sinne von naturwüchsigteleologisch, biologisch-notwendig), sondern - auch dies ein Kerngedanke Hobbes' - das Ergebnis einer stets artifiziellen, kulturellen Leistung, eben das Kunstwerk des Gemeinwesens (vgl. Le, S. 5). 102 Insofern ist jedenfalls auch das berühmt-berüchtigte Hobbessche "homo homini lupus" aus heutiger, soziobiologischer Sicht vollauf rehabilitiert: Einem hochentwickelten Sozialverhalten gegenüber den Mitgliedern der "Ingroup" korrespondiert eine massive Aggressionskompetenz gegenüber Artgenossen der "Outgroup". (2) Im Hinblick auf die prinzipiellere Frage, ob die Falschheit des radikalindividualistischen Ansatzes bei Hobbes bereits das grundsätzliche Scheitern seines Unternehmens bedeuten muß, ist zu sagen, daß die soziobiologische Prämissenkorrektur (Mensch als natürlich-apriorisches Kleingruppenwesen), die sich bei der weiteren Darstellung und Kritik der Hobbesschen Lehre in diversen Punkten als wichtig und zentrale Thesen Hobbes' massiv stützend erweisen wird, an dieser Stelle zu einem ersten Ergebnis führt: Die Resolution des Staates in seine kleinsten "Bausteine", die Suche nach seinem "Werkstoff" und "Konstrukteur" führt nicht auf das absolut vereinzelte Individuum, sondern auf Individuen, die immer schon in relativ homogenen Ur-Gemeinschaf99

Das aristotelische Proteron des Staates vor dem einzelnen Menschen läßt sich in der Tat dann, wenn man - mit Aristoteles! - annimmt, in zeitlicher Hinsicht lägen die Oikos-Strukturen natürlich jeder Polis voraus, nur aufrechterhalten, wenn man die Konsequenz zieht, der Mensch sei vor seinem Eintritt in eine Polis eigentlich gar kein Mensch - mit allen Folgen für das Verhältnis zwischen Polis-Bürger einerseits und "Barbaren" und Sklaven andererseits.

100 Kant, 1978 2 , XI, S. 37 (A 392). 101 Kersting, 1992, S. 103. Man könnte sogar sagen, daß diese "Vergesellschaftungsfahigkeit" des Menschen im Hinblick auf seinen ungeheuren evolutiven Erfolg zu seinen wichtigsten Systemeigenschaften zählt. 102 Vgl. Kliemt, 1985, S. 26 ff.

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ten lebten, den relativ kleinen, überschaubaren Familien, Sippen, Clans oder "Genpools" unserer Vorfahren, abgrenzt gegen die "Outgroups". 103 Bevor man also die Hobbessche Lehre wegen ihres unhaltbaren radikal-individualistischen Ansatzes in Bausch und Bogen verwirft, sollte untersucht werden, ob sich nicht auch ausgehend vom "Naturzustand der Kleingruppen" die Logik des Leviathans plausibel nachvollziehen läßt (was der zentrale Gegenstand von Teil 2 ist). Dabei hat dieser "Naturzustand der Kleingruppen" gegenüber dem Hobbesschen Naturzustand der Individuen den unschätzbaren Vorteil, daß er - gemäß den entsprechenden Thesen der Humanethologie, Soziobiologie und Paläontologie - empirisch ist, als historisches Faktum angesehen werden kann. 104 Zuvor jedoch zu weiteren Aspekten der Hobbesschen Lehre vom Menschen:

4.3 Der Mensch als "matter in motion" Die wohl wichtigsten Grundbegriffe im axiomatischen Teil des philosophischen Systems von Hobbes sind die Begriffe des Körpers (body, corpus), der Bewegung (motion, motus) und der Kausalität,106 Nach Hobbes' Überzeugung sind Körper/Materie oder Körperliches/Materielles die einzige Grundlage einer jeden Wissenschaft wie auch der Philosophie. So ist es kein Zufall, daß er den ersten, axiomatischen Teil seiner als dreiteilig geplanten "Elemente der Philosophie" mit "De Corpore" betitelt und hier seine "Erste 103 Zu dieser "tripartite structure" menschlicher Individuen vgl. Ike, 1987, S. 226 ff. 104 Insofern wäre für den ersten methodischen Schritt, die Resolution des Staates in seine Grundbestandteile, gerade kein "radikales Gedankenexperiment" (Kersting, 1992, S. 62) notwendig; der "natürliche Mensch", zu dem diese Resolution führt, wäre eben keine reine Fiktion, der Naturzustand keine rein "potentielle!] Erklärung" (Nozick, 1976, S. 22) für die Anfangsbedingungen der Entstehung von Staaten. Und umgekehrt müßte die Ableitung des Staates aus dem "Naturzustand" nicht mehr als reiner "Kunstgriff" oder als "creatio ex nihilo" (vgl. Räder, 1990, S. 11) erscheinen. (Am Rande: Diese Überlegungen könnten wahrscheinlich auch in der aktuellen Debatte zwischen "Liberalisten" und "Kommunitaristen" durchaus fruchtbar und weiterführend sein). 105 Zur Thematik siehe Weiß, 1980, S. 42-60; Willms, 1987, S. 71-88; Kersting, 1992, S. 63-73; zum Hobbesschen Mechanizismus - und seiner Kritik - siehe auch Bartuschat, 1981, S. 21 ff. 106 Insofern ist es angemessen, von einem "dynamischen Materialismus" (Kersting, 1992, S. 55, 66) bei Hobbes zu sprechen; zur Bedeutung der Begriffe "Körper" und "Bewegung" bei Hobbes vgl. v.a. Weiß, 1980, S. 42 ff.

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Philosophie und einige Elemente der Physik" darlegen will. 107 Die radikale, dem Alltagsdenken klar widersprechende These Hobbes', wonach alles in der Welt Seiende notwendig körperlich ist, kommt am deutlichsten in einigen Formulierungen des "Leviathan" zum Ausdruck; so heißt es etwa im massiv Aristoteles-kritischen 46. Kapitel ("Von der Finsternis auf Grund von Afterphilosophie und Überlieferungen, die ins Reich der Fabel gehören"): "Die Welt (ich meine nicht nur die Erde, nach der ihre Liebhaber weltliche Menschen genannt werden, sondern das Universum, das heißt die gesamte Masse aller bestehenden Dinge) ist körperlich, das heißt ein Körper, und besitzt die Dimensionen der Größe, nämlich Länge, Breite und Tiefe. Auch ist jeder Teil eines Körpers gleichermaßen Körper und besitzt dieselben Dimensionen, und folglich ist jeder Teil des Universums Körper, und was nicht Körper ist, ist kein Teil des Universums. Und da das Universum Alles ist, ist das, was kein Teil von ihm ist, Nichts, und folglich nirgends" (Le, S. 512 f.; vgl. entspr. auch Le, S. 30, 300 f.; Co, S. 7, 39 ff., 97 f.). ios Hobbes unterscheidet nun Akzidenzien, die alle Körper besitzen ("Universalien") von solchen, "durch die sich ein Ding von dem anderen unterscheidet" ("Singularien"; vgl. Co, S. 58). Seine Analyse der "Universalien" führt ihn auf die "Bewegung" als deren "einzige und universale Ursache" (Co, S. 59). Bewegung - von Hobbes ausschließlich als die

107 Vgl. Ci, S. 71. Diese "Elemente Philosophiae" sollten bekanntlich in der systematischen Reihenfolge "De Corpore", "De Homine", "De Cive" erscheinen. Als Grund dafür, daß sich diese systematische Reihenfolge nicht einhalten ließ, gibt Hobbes die politische Verhältnisse in England an: "Indem ich dies alles vervollständigte, ordnete, langsam und vorsichtig niederschrieb ..., traf es sich, daß mein Vaterland, einige Jahre vor Ausbruch des Bürgerkrieges, durch Erörterungen über die Rechte der Herrscher und den schuldigen Gehorsam der Bürger, die Vorläufer des nahenden Krieges, heftig aufgeregt wurde. Dies veranlaßte mich, den dritten Teil mit Zurückstellung der vorangehenden zunächst zur Reife und zum Abschluß zu bringen" (Ci, S. 71 f.); vgl. zur Systematik des Hobbesschen Programms auch Gawlick, 1959, S. XI; Weiß, 1980, S. 24-32; Willms, 1987, S. 41 ff. 108 Ein schönes Beispiel für die Konsequenz des Hobbesschen Argumentierens findet sich in Le, S. 34: "Und Wörter, durch die wir nur den Schall erfassen, nennen wir widersinnig, nichtssagend und sinnlos. Und sollte mir deshalb einer mit einem runden Viereck und Akzidenzien von Brot im Käse oder mit immateriellen Substanzen kommen, oder mit einem freien Untertanen, einem freien Willen oder irgend einer anderen Freiheit außer der des Freiseins von einem hindernden Widerstand, so darf ich nicht sagen, er befinde sich im Irrtum, sondern seine Worte seien ohne Bedeutung, das heißt widersinnig".

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Bewegung von Körpern als Ortsveränderung gemeint!109 - ist der zweite universelle Grundbegriff in Hobbes' System: Körper sind stets Körper in Bewegung ("matter in motion") und jeder Körper hält (entsprechend dem Trägheitsprinzip) seine Bewegung so lange bei, solange nicht die Bewegung eines anderen Körpers zu einer Veränderung führt. 110 Ruhe ist für Hobbes lediglich ein "Spezialfall" der Bewegung, der dann auftritt, wenn ein Körper einem anderen vorübergehend die Bewegung nimmt (vgl. Co, S. 124: "Ruhe tut schlechterdings nichts und ist von keiner Wirksamkeit; allein Bewegung teilt ruhenden Körpern Bewegung mit und nimmt sie bewegten."). Die allgemeingültige "matter-in-motion" -Formel impliziert eine entsprechend enge Auffassung von Kausalität: Die Welt ist die Gesamtheit der im Universum existierenden bewegten Körper, deren Bewegungen kausal aufeinander wirken; jede Körper-Bewegung läßt auf eine andere Körper-Bewegung als deren bewirkende Ursache schließen; jeder Zustand eines Körpers ist zugleich Wirkung als auch potentielle Wirkursache - die traditionelle ontologische Unterscheidung zwischen "Akt" und "Potenz" ist insofern - so Bernard Willms - "von Hobbes vollständig eliminiert".111 Das tatsächliche Eintreten einer Wirkung hängt ab von der Koinzidenz von Wirkursache (causa efficiens) seitens des "aktiven", affizierenden Körpers sowie materialer Ursache (causa materialis) seitens des "passiven", affizierten Körpers (vgl. dazu Hobbes' Erläuterungen in Co, S. 100 ff.). "2 Sowohl in der Annahme von Körpern bzw. Materie als der einzigen in der Welt vorkommenden "Substanz" (Hobbes vermeidet diesen Begriff) als auch im Hinblick auf die strenge Geltung des Kausalitätsprinzips ist also die Hobbessche Axiomatik mit der evolutionstheoretischen in wichtigen Grundzügen deckungsgleich. Und auch die mechanizistische "matter-in-motion"-Formel wird von heutigen Evolutionstheoretikern, Ethologen und Soziobiologen auch für den Bereich der organischen Natur ohne weiteres als im Prinzip gültig angenommen werden können. Im Hinblick auf das Kausalitätsprinzip ist dabei 109 Zur damit einhergehenden Abgrenzung vom aristotelischen Bewegungskonzept sowie dem Einfluß der Dynamik und Kinematik Galileis siehe Weiß, 1980, S. 44 ff. 110 Weiß (1980, S. 44) und Willms (1987, S. 75) bezeichnen die Verknüpfung der Axiome "Körper" und "Bewegung" zu der universellen Formel, schlechterdings alles sei "matter in motion", als die Hobbessche "Weltformel". 111 Willms, 1987, S. 77; vgl. entspr. Weiß, 1980, S. 51. 112 Zu Hobbes' Einengung des Ursache-Begriff auf "causa materialis" und "causa efficiens" im Gegensatz zur aristotelisch-metaphysischen Tradition siehe Weiß, 1980, S. 48 f.; zur "causa prima "-Problematik - und ihrer systematischen Ausgrenzung bei Hobbes - vgl. ders., ebd.; Willms, 1987, S. 75.

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freilich zu beachten, daß Hobbes wohl ausschließlich an eine streng lineare Kausalität dachte ("Je größer die Geschwindigkeit oder Größe eines bewegten Körpers ist, um so größer ist seine Wirkung auf einen anderen, den er auf seinem Wege trifft"; Co, S. 125), während aus heutiger Sicht in sehr vielen Bereichen der Natur auch mit nichtlinearer Kausalität zu rechnen ist (vgl. dazu oben, Kap. I. 1.1). Doch diese und andere 113 Differenzierungen des Kausalitäts-Prinzips kann man durchaus in Hobbes' System integrieren, ohne eine prinzipielle Änderung vornehmen zu müssen. Im Gegenteil: Das Hobbessche System kann durch die Berücksichtigung der Möglichkeit nichtlinearer Kausalzusammenhänge durchaus profitieren, da es dann nicht mehr als ein streng "determiniertes System im Sinne der modernen Systemtheorie" verstanden werden muß, der zufolge das "Verhalten" eines solchen determinierten Systems "vollständig vorausschaubar ist, da es eine genau festgelegte Zustandsfolge im Sinne einer eindeutigen Transformation durchläuft". 1 1 4 Da aber diese vollständige Vorausschaubarkeit in sozialen Systemen (besonders den von Menschen gebildeten) evidentermaßen nicht gegeben ist, nicht gegeben sein kann, da hier eben mit nicht voraussehbaren, nichtlinearen, chaotischen Wirkungen gerechnet werden muß, ist es angebracht, die Hobbessche Axiomatik in diesem Sinne zu korrigieren. Eine noch grundlegendere Parallele zwischen Hobbes und der Soziobiologie besteht nun aber in der konsequenten Einbeziehung des Menschen in den Bereich des ausschließlich Materiellen. Auch der Mensch ist - in diesem Punkt allem anderen innerweltlich Seienden absolut gleich und gleichwertig ein bewegtes Körperding (vgl. etwa den knappen Syllogismus in Co, S. 43: '"Der Mensch ist ein Lebewesen, ein Lebewesen ist ein Körper, folglich ist der Mensch ein Körper'."), das freilich "belebt" und "vernünftig" ist (Co, S. 7), wobei die Vernunft für Hobbes dasjenige Akzidens des Körpers "Mensch" ist, "um dessentwillen wir einem Körper einen bestimmten Namen beilegen" und das deshalb "das Wesen, die Essenz" des Menschen genannt wird (Co, S. 97). Das Wesen des Menschen ist die "natürliche Vernunft"; sie ist "jedem Menschen eingeboren" (Co, S. 5) 115 , aber auch sie ist ausschließlich materiell 113 Zu denken wäre hier etwa an das evolutionstheoretische Prinzip der internen "Versklavung" einzelner Systemteile zu einem bestimmten "Verhalten" durch das Gesamtsystem (den Gesamtorganismus); vgl. dazu Lorenzen, 1989, S. 1155 f. 114 Weiß, 1980, S. 52. 115 Diese These Hobbes' steht in merkwürdigem Kontrast zu der Formulierung im "Leviathan" (S. 33; vgl. S. 36), wo er ausdrücklich betont, es gebe "keine von der Natur eingesetzte rechte Vernunft"; gleichwohl sei jedoch im Naturzustand "Vernunft immer rechte Vernunft". Denn wenn die "natürliche Vernunft" jedem

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zu bestimmen, ist in keiner Weise "unkörperlich" (denn das wäre für Hobbes gleichbedeutend mit "nicht-seiend"). Auch der Mensch einschließlich seiner Vernunft ist bei Hobbes vollständig eingebunden in die strenge Kausalmechanik der "matter-in-motion"-Formel; ebenso vollständig, wie er für den Soziobiologen in die (nichtlineare!) Kausalmechanik der Evolution eingebunden ist. Und ebenso wie in den Augen heutiger Soziobiologen der Mensch eine "Überlebensmaschine" ist, die sich mechanisch entsprechend dem "egoistischen Eigeninteresse" der sie konstruierenden Gene verhält, so ist auch in Hobbes' System der Mensch ein "Automat, der auf teils allgemeine, teils individuelle Art auf die von ihm wahrgenommenen Umweltveränderungen reagiert. [...] Der Mensch ist ein durch ein aversiv-appetitives Bewegungsprogramm regulierter, auf Bewegungskontinuierung programmierter Apparat". 1 1 6 Menschen angeboren, mithin also doch "von der Natur eingesetzt^" ist, und wenn zugleich diese (natürliche) Vernunft immer "rechte Vernunft" ist, dann ist die These vom Fehlen einer von der Natur eingesetzten "rechten Vernunft" offensichtlich ebenso widersprüchlich wie die Definition des Begriffs "Gesetz der Natur" durch "Vorschrift oder allgemeine Regel der Vernunft" (Le, S. 99). Dieser Widerspruch ließe sich nur dann auflösen, wenn "rechte Vernunft" von "natürlicher Vernunft" unterschieden werden könnte - doch dagegen spricht eben die Bestimmung, "Vernunft [sei] immer rechte Vernunft" (Hervorhebung T. M.). Verwirft man jedoch diese letzte These in ihrer apodiktischen Form als unhaltbar, dann ergibt sich im Einklang mit dem Hobbesschen System die Möglichkeit, sowohl die These von der angeborenen "natürlichen Vernunft" als auch die vom Fehlen einer naturgegebenen und unter allen Umständen "rechten Vernunft" beizubehalten. Dieser Interpretation zufolge wäre die "natürliche Vernunft" solange immer zugleich die "rechte Vernunft", solange sich die Individuen im Zustand des Kriegs aller gegen alle befinden, da in diesem "jedermann von seiner eigenen Vernunft angeleitet wird" (Le, S. 99) und nur deren Urteil bzw. die "private Meinung Maßstab von Gut und Böse ist" (Le, S. 122). Diese (zwingende) Koinzidenz zwischen "natürlicher" und "rechter" Vernunft löst sich aber im staatlichen Zustand auf, wenn individuelle Meinungen und Urteile im Streit stehen und die Parteien "die Vernunft eines Schiedsrichters oder Richters, zu dessen Urteil sie beide stehen wollen, als rechte Vernunft einführen" (Le, S. 33). 116 Kersting, 1992, S. 67 f.; die Parallelisierung von Mensch und Maschine kommt am deutlichsten in der Einleitung zum "Leviathan" zum Ausdruck, wo es heißt: "Denn da das Leben nur eine Bewegung der Glieder ist, die innerhalb eines besonders wichtigen Teils beginnt - warum sollten wir dann nicht sagen, alle Automaten (Maschinen, die sich selbst durch Federn und Räder bewegen, wie eine Uhr) hätten ein künstliches Leben? Denn was ist das Herz, wenn nicht eine Feder, was sind die Nerven, wenn nicht viele Stränge, und was die Gelenke, wenn nicht viele Räder, die

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4.4 Das Streben nach Macht als anthropologische Konstante A u s der Sicht der Soziobiologie ist das "Prinzip Eigennutz", das Prinzip also, nach d e m j e d e s Individuum nahezu in jeder Situation bestrebt sein wird, seinen eigenen ("inklusiven"; siehe dazu oben Ziff. 3 . 2 ) Nutzen zu maximieren, als anthropologische Konstante universell und unaufhebbar. D i e s ist eine schlichte Feststellung, die nicht als negativ-wertende Aussage über das "Wesen" des Menschen verstanden werden muß. D i e dazu offensichtlich h o m o l o g e berühmte These Hobbes' lautet, alle Menschen strebten "infolge einer natürlichen Notwendigkeit, nicht geringer als die, durch w e l c h e ein Stein zur Erde fällt" (Ci, S. 81), nach freier Selbsterhaltung 1 1 7 , und sie verlangten zu diesem Z w e c k fortwährend und rastlos nach "immer neuer Macht" (Le, S. 75). D i e s e s allgemeine menschliche Streben nach immer mehr Macht - Nietzsches reduktionistische "Grundbegierde" 1 1 8 - läßt sich nach Kersting "ohne jede Schwierigkeit aus den systematischen Voraussetzungen seines politischen

den ganzen Körper so in Bewegung setzen, wie es vom Künstler beabsichtigt wurde?" (Le, S. 5); zur zentralen Bedeutung der Maschine-Metapher bei Hobbes sowie einigen aufschlußreichen wissenschaftshistorischen Hintergründen siehe auch Weiß, 1980, S. 52 ff. 117 Was "freie Selbsterhaltung" für Hobbes jenseits der rein physischen Dimension (vgl. dazu etwa Le, S. 95) näherhin bedeutet, wird vor allem aus seinen Äußerungen über die "Aufgabe der souveränen Vertretung" (Le, S. 255) deutlich, die nach Hobbes vor allem in der "Sorge für die Sicherheit des Volkes" besteht. Mit "Sicherheit" ist aber "nicht die bloße Erhaltung des Lebens gemeint, sondern auch alle anderen Annehmlichkeiten des Lebens, die sich jedermann durch rechtmäßige Arbeit ohne Gefahr oder Schaden für den Staat erwirbt" (ebd.). Demnach gilt das natürliche Streben der Menschen zum einen der reinen physischen Selbsterhaltung, darüber hinaus aber der Verwirklichung eines möglichst angenehmen Lebens, wobei natürlich die Bedeutung von "angenehm" bei der "große[n] Verschiedenheit der Menschen" (El, S. 97) individuell höchst unterschiedlich sein kann. 118 Nietzsche, 1985, II, S. 168. Wenig später (ebd., S. 169) findet sich eine weitere, ebenso "hobbesianich" wie darwinistisch anmutetende Formulierung: "Der Wille zur Akkumulation von Kraft ist spezifisch für das Phänomen des Lebens, für Ernährung, Zeugung, Vererbung, - für Gesellschaft, Staat, Sitte, Autorität". Ein systematischer Vergleich der Philosophie Nietzsches mit der von Hobbes - insbesondere im Hinblick auf ihre Theorien der Macht - wäre sicher außerordentlich reizvoll, kann aber hier selbstverständlich nicht geleistet werden.

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Denkens, aus dem dynamischen Materialismus und der materialistischen Psychologie des Menschen" ableiten. 119 Diese Behauptung ist jedoch aus folgenden Gründen zurückzuweisen: Hobbes' Bild von der Welt als der Gesamtheit aller bewegten und kausalmechanisch aufeinander wirkenden Körper kann zunächst als völlig frei von irgendwelchen motivationalen Aspekten bzw. von Wertintentionen angesehen werden, die irgendwelchen dieser Körper zugesprochen würden, so daß diese von sich aus zur Realisation dieser Werte "streben", ihre Bewegungen "zweckrational" steuern könnten. Nachdem irgendwann der "Erste Beweger" seinen einmaligen Anstoß gegeben hat (wobei zunächst auch offen bleibt, ob dieser Anstoß zweckrationalen oder teleologischen Charakter hat oder nicht), pflanzt sich die Bewegung im gesamten Universum von Körper zu Körper fort; diese bleiben - entsprechend den physikalischen Gesetzen - eine Zeitlang in Bewegung und verändern diese nur aufgrund der strengen kausalmechanischen Notwendigkeit (die freilich gleichbedeutend wäre mit einer völligen Beliebigkeit). Begriffe wie "Interesse", "Wollen", "Wert" oder "Zweck" sind für ein solches System nicht notwendig als bereits gegeben anzunehmen. 1 2 0 Es bedarf also - wie sich herausstellen wird: einer Fülle - zusätzlicher Grundannahmen, um von der reinen "matter-in-motion"-Formel zum bewußten Streben nach Macht beim Menschen zu gelangen. Im "Leviathan" (S. 22) führt Hobbes aus, er könne sich "keine andere Tätigkeit des menschlichen Geistes denken, die ihm so von Natur aus eingepflanzt worden wäre, daß zu ihrer Ausübung nichts weiter erforderlich ist, als daß man als Mensch geboren ist und seine fünf Sinne gebrauchen kann". Doch was dies heißt, "als Mensch geboren" zu sein, welche näheren inhaltlichen Bestimmungen diesem "matter in motion" inhärieren, dies wird von Hobbes an anderen Stellen spezifiziert. Als Mensch geboren zu sein, bedeutet demnach a priori: 1) Bedürftig zu sein (vgl. etwa Ci, S. 20 ff.; Le, S. 40 ff.). 2) Das für sich zu begehren 121 , was der Bedürfnisbefriedigung zuträglich, zu fliehen, was ihr abträglich ist (vgl. Ci, S. 81). 1 2 2 119 Kersting, 1992, S. 83. 120 Streng genommen ist für diese "matters in motion" nicht einmal das Streben selbstverständlich, "ihre Bewegung zu erhalten" (Kliemt, 1985, S. 22); ebensogut könnte man - gleichsam als buddhistische Alternative - behaupten, die bewegten Körper strebten von Anfang an danach, in den Zustand der völligen Ruhe zu gelangen. 121 Auch Kant (1978 2 , XI, S. 38, A 393/394) hat zurecht darauf hingewiesen, ohne den selbsüchtigen Grundantrieb des Menschen, ohne seine "Eigenschaften der Ungeselligkeit, woraus der Widerstand entspringt, den jeder bei seinen selbstsüchtigen An-

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3) An der Erhaltung des eigenen Lebens primär interessiert zu sein (vgl. Le, S. 95, 99). Doch bei dieser inhaltlichen Konkretion des "matter in motion" Mensch handelt es sich um - freilich höchst sinnvolle und evidente - zusätzliche Grundannahmen Hobbes', die sich eben nicht "ohne jede Schwierigkeit" aus der materialistisch-mechanizistischen Axiomatik ergeben; die nähere Kenn-

maßungen notwendig antreffen muß, würden in einem arkadischen Schäferleben, bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und Wechselliebe, alle Talente auf ewig in ihren Keimen verborgen bleiben". 122 Die Unterscheidung zwischen "appetite" und "aversion", die in mechanischer Weise das Wollen und Handeln eines jeden Menschen bestimmen, ist auch die Grundlage für Hobbes' relativistische These der Bedeutung von "gut" und "böse" im Naturzustand. Vgl. dazu etwa Le, S. 41: "Aber was auch immer das Objekt des Triebes oder Verlangen eines Menschen ist. Dieses Objekt nennt er für seinen Teil gut, das Objekt seines Hasses und seiner Abneigung böse und das seiner Verachtung verächtlich und belanglos. Denn die Wörter gut, böse und verächtlich werden immer in Beziehung zu der Person gebraucht, die sie benützt, denn es gibt nichts, das schlechthin und an sich so ist. Es gibt auch keine allgemeine Regel für Gut und Böse, die aus dem Wesen der Objekte selbst entnommen werden kann"; vgl. auch Ho, S. 22 ff.; Le, S. 110, 122. Hance (191, S. 162) weist darauf hin, Hobbes eliminiere die Begriffe "gut" und "böse" vor allem deshalb aus dem Naturzustand, weil er sie von der Sphäre der rein subjektiven Meinung scharf trennen wolle; ihm gehe es um eine MoTal-Wissenschafi, das heißt um die wissenschaftliche Begründung der inhaltlichen Bedeutung von "gut" und "böse" im fundamentalen Gegensatz zu ihrer Begründung auf der Basis subjektiver (und damit beliebiger) Maßstäbe. Die Bedeutung der Begriffe "appetite" und "aversion" für Hobbes legen wiederum eine systematische Parallelisierung zur Philosophie Nietzsches nahe, der "Lust und Unlust als Kardinal-Tatsachen ansetzen" wollte (1985, II, S. 171). Zur evolutionstheoretischen These, "moralisches/unmoralisches Verhalten [wurzele] in unseren Gefühlen von Lust/Unlust", siehe Wuketits, 1993a, S. 215; und mit Alexander (1981a, S. 280) kann man aus soziobiologischer Sicht argumentieren, sowohl das menschliche Streben nach Glück als auch die damit verbundenen Gefühle von Lust und Unlust seien funktional zu verstehen als "evolved means to an end" - nämlich der Genmaximierung. Ähnlich "hobbesianisch" argumentiert auch Phocas, 1986, S. 148 ff.; er nennt als einen der wichtigsten Faktoren für das Entstehen von Kulturen "die Zufriedenheit, die man bei gelungenen Taten verspürt. Es muß während der organischen Evolution einen Selektionsdruck gegeben haben, neuro-physiologische Satisfaktion [Lust; T.M.] bei adaptiv-positiven Erfahrungen zu registrieren, und bei entsprechenden negativen Feedbacks ein Gefühl des Mißbehagens [Unlust; T.M.] zu empfinden".

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Zeichnung von Körpern als "bedürftig" und "nach Selbsterhaltung strebend" ist vielmehr selbst Bestandteil der Axiomatik.123 Doch auch wenn man diese zusätzlichen anthropologischen Prämissen zugrundelegt, läßt sich Hobbes' Lehre vom Menschen als einem natürlichen Konfliktwesen oder gar als einem persönliche Macht akkumulierenden Wesen noch immer nicht als völlig konsistent nachvollziehen. Diese Konsistenz ergibt sich erst dann, wenn man als weitere, entscheidende Prämissen zum einen die Knappheit der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung, die Ressourcenknappheit akzeptiert. 124 Denn wieso sollten die Menschen nach Macht streben, wieso auf der Basis ihrer Machtmittel mit anderen Menschen konkurrieren, sie gar bekriegen, wenn die Befriedigung ihrer Bedürfnisse unproblematisch wäre? 125 Aus soziobiologischer Sicht ergibt sich die "Aggressionskompetenz" des Menschen aus dem gleichsam ontologischen Befund, daß er sich wie alle anderen sozialen Organismen auch in der Situation befindet, permanent mit Artgenossen um die nur begrenzt vorhandenen überlebensnotwendigen Ressourcen zu konkurrieren. Wie bereits erwähnt gehen Ethologen und Soziobiologen heute davon aus, daß etwa die frühen Ackerbauern und Viehzüchter des Neolithikums (also vor ca. 30 000 Jahren) in der Verteidigung ihrer Territorien und ihres Besitzes wesentlich aggressiver wurden als es noch die nicht an eine feste ökologische Nische gebundenen nomadisierenden Sammler- und Jägerhorden des Paläolithikums waren. 126 Zudem wird die für das Neolithikum 123 Heger (1981, S. 28) hat daher zurecht daraufhingewiesen, im Hobbesschen System gebe es für die Bedürftigkeits-Prämisse, aus der er den Naturzustand deduziert, "keine rationale Erklärung", so daß sie "in der Systematik seines Beweisganges 'den Status einer nicht mehr begründeten Setzung'" einnehme - ein Befund, den auch Paeschke (1989, S. 151) für "nicht zu widerlegen" hält. 124 Was etwa Hume (1978, S. 231) bereits klar erkannte - und heute gleichsam zu den härtesten Axiomen der Wirtschaftswissenschaften zählt (vgl. etwa Schmalen, 1990^, S. 19). 125 Vgl. zu dieser Argumentation Mackie, 1983, S. 137 ff. 126 Interessanterweise wies bereits Kant (1978^, XI, S. 96, [A 19]) auf diesen Umstand hin: "... es [mag] mit dem Übergange aus dem wilden Jägerleben in den ersten, und aus dem unsteten Wurzelgraben oder Fruchtsammeln in den zweiten Zustand [Ackerbau und Viehzucht; T.M.] langsam genug zugegangen sein ... Hier mußte nun der Zwist zwischen bis dahin friedlich neben einander lebenden Menschen schon anfangen ... Das Hirtenleben ist nicht allein gemächlich, sondern gibt auch, weil es in einem breit unbewohnten Boden an Futter nicht mangeln kann, den sichersten Unterhalt. Dagegen ist der Ackerbau, oder die Pflanzung, sehr mühsam, vom Unbestande der Witterung abhangend, mithin unsicher, erfordert auch bleibende Behausung, Eigentum des Bodens, und hinreichende Gewalt, ihn zu verteidigen". Im Wi-

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angenommene "Härte der Gruppenkonflikte" auf den höchst wichtigen U m stand zurückgeführt, zu dieser Zeit seien alle "günstigen ökologischen N i schen ... besetzt" und die "Tragekapazität, b e z o g e n auf die damaligen Produktionsbedingungen", erreicht g e w e s e n . 1 2 7 D i e Begrenztheit der vorhandenen, Überlebens- und reproduktionsnotwendigen Ressourcen ist in der Darwinschen Selektionstheorie ebenso eine notwendige Bedingung für die Entstehung des Daseinskampfes wie in Hobbes' System für den "Krieg aller g e g e n alle". 1 2 8 D i e permanente Bedürftigkeit des Menschen ergibt sich also unmittelbar aus seinem biologischen So-Sein; die "Maßlosigkeit" dieser Bedürftigkeit ergibt sich z u m einen aus d e m Umstand der unaufhebbaren und beständigen Abhängigkeit seines Überlebens von der Bedürfnisbefriedigung und z u m anderen aus der Tatsache, daß andere Artgenossen derselben knappen Resderspruch dazu steht freilich eine Äußerung Kants in der Schrift "Zum ewigen Frieden" (1978 2 , XI, S. 221 Anm., [B 55]). Hier heißt es nämlich: "Unter allen Lebensweisen ist das Jagdleben ohne Zweifel der gesitteten Verfassung am meisten zuwider; weil die Familien, die sich da vereinzeln müssen, einander bald fremd und sonach, in weitläufigen Wäldern zerstreut, auch bald feindselig werden, da eine jede zu Erwerbung ihrer Nahrung und Kleidung viel Raum bedarf". Beide Zitate lassen sich jedoch im Einklang mit modernen evolutionstheoretischen Überlegungen so deuten, daß die Bereitschaft zur Aggressivität gegenüber gruppenfremden Artgenossen unter Menschen in dem Maß zunahm, in dem die Tragekapazität der ökologischen Nischen erschöpft war (vgl. dazu unten, Teil 2, Kap. II 1.). 127 Mohr, 1987, S. 79 f., 83 f.; vgl. auch Schubert, 1983, S. 124; zum "Hauptfaktor Bevölkerungswachstum" in der soziobiologischen Erklärung der Entstehung von sozialen Gebilden jenseits der genetischen Ingroup siehe ausführlicher unten, Teil 2, Kap. I. 1.1. 128 Interessant sind in diesem Zusammenhang einige "evolutionistische" Formulierungen des Hobbes-Interpreten Kersting (1992a, S. 91): "Menschliches Leben ist durch Endlichkeit charakterisiert; und die Endlichkeitsbedingungen sind wesentlich Knappheitsbedingungen. Alles Wichtige ist für den Menschen knapp bemessen, nichts hat er im Überfluß: Seine Lebenszeit ist knapp bemessen, er ist sterblich; die begehrten Güter sind knapp bemessen, daher muß er mit anderen um ihre Erwerb konkurrieren und den erworbenen Besitz mit großem Kostenaufwand vor anderen sichern. Und wie die begehrten Güter ist auch die zu ihrem Erwerb und zu ihrer Sicherung unerläßliche Macht knapp bemessen; folglich muß jeder mit jedem auch um die Macht konkurrieren und die erworbene Macht gegen jeden zu verteidigen suchen. Menschen sind also von Natur aus doppelte Konkurrenten: Sie müssen um die knappen Güter miteinander konkurrieren, und sie müssen um die knappe Macht miteinander konkurrieren"; zur grundlegenden Bedeutung der Güterknappheit in Hobbes' System siehe auch Weiß, 1980, S. 142.

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sourcen ebenfalls bedürfen - woraus sich auch leicht das Konfliktpotential der Bedürftigkeit ableiten läßt. 129 Die von einem Menschen maximal erreichbare "Glückseligkeit" ist "ein ständiges Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zu einem anderen, wobei jedoch das Erlangen des einen Gegenstandes nur der Weg ist, der zum nächsten Gegenstand fuhrt. Der Grund hierfür liegt darin, daß es Gegenstand des menschlichen Verlangens ist, nicht nur einmal und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu genießen, sondern sicherzustellen, daß einem zukünftigen Verlangen nichts im Wege steht" (Le, S. 75). Somit läßt sich über den evolutionstheoretischen Aspekt der Begrenztheit der überlebensnotwendigen Ressourcen der Weg von der Permanenz der Bedürfnis-Natur des Menschen zu seiner intraspezifischen Konflikt-Natur nachzeichnen. Hobbes selbst hat dieses Prinzip klar erkannt: "Und wenn daher zwei Menschen nach demselben Gegenstand streben, den sie jedoch nicht zusammen genießen können, so werden sie Feinde und sind in Verfolgung ihrer Absicht, die grundsätzlich Selbsterhaltung und bisweilen Genuß ist, bestrebt, sich gegenseitig zu vernichten, oder zu unterwerfen" (Le, S. 95). Und auch diese zuletzt genannten Alternativen lassen sich soziobiologisch spezifizieren: "Vernichten" werde ich den Konkurrenten dann, wenn er nicht Mitglied der eigenen genetischen "Ingroup" ist; lediglich "unterwerfen" werde ich ihn, wenn er zur Ingroup gehört und somit seine Vernichtung einer Schädigung der eigenen "inclusive-fitness" gleichkäme.130 Doch mit alledem ist noch immer keine befriedigende Erklärung für die These gegeben, wieso Menschen notwendig nach immer mehr Macht streben müssen, wenn "Macht" definiert ist als die Summe der einem Menschen zur Verfügung stehenden "gegenwärtigen Mittelf] zur Erlangung eines zukünftigen anscheinenden Gutes" (Le, S. 66). Denn auf der Basis des bisher gesagten ließe sich der Mensch auch als ein "bedürftiger Körper" verstehen, der von Fall zu Fall in seiner Bedürfnisbefriedigung mit den Interessen anderer in Konflikt gerät und dann um die begehrte Ressource streitet; damit ist seine 129 Kavka (1986, S. 10 ff.) ist davon überzeugt, sowohl Hobbes' "geometrische" Methode als auch seine materialistischen, mechanizistischen und deterministischen Grundüberlegungen seien für die Schlüssigkeit seiner politischen Theorie absolut entbehrlich. So könne etwa die permanente Bedürftigkeit des Menschen vollständig aus seiner faktischen biologischen Beschaffenheit erklärt werden, ohne daß man so etwas wie Hobbes' "matter-in-motion"-Metaphysik bemühen müßte. Zur Kritik an Kavka siehe Cooper, 1989, S. 494 f. 130 Bemerkenswert ist hier aber auch der Aspekt, daß Hobbes' Menschenbild offensichtlich auch den gemeinsamen Genuß von teilbaren Gütern zuläßt, sein Mensch im Naturzustand also keineswegs der radikal asoziale Einzelkämpfer sein muß.

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"Aggressionskompetenz" erklärt, die er mit anderen sozialen Lebewesen teilt, jedoch nicht seine spezifische Neigung zur Machtakkumulation. Für diese Erklärung ist vielmehr eine weitere, ebenfalls grundlegende Annahme erforderlich, die beinhaltet, daß der Mensch nicht nur ein bedürftiger, an Selbsterhaltung interessierter, sondern darüber hinaus auch noch ein "vernünftiger" Körper ist, was die Fähigkeit zur Antizipation bzw. zu praktischer Voraussicht impliziert.131 Kersting stellt zutreffend fest, die menschliche Vernunft sei bei Hobbes nichts anderes als "ein Segment des Bewegungssystems Mensch und gänzlich in physikalistischen Begriffen rekonstruierbar". 132 Auch in diesem Punkt ist Hobbes Theorie ohne Schwierigkeiten mit der modernen Humanethologie und Soziobiologie in Einklang zu bringen. Für diese ist die menschliche Vernunft eine phylogenetische Anpassungsleistung mit dem alleinigen "Zweck", die reproduktive Tauglichkeit des "matter in motion" Mensch zu maximieren. Für Hobbes ist die Vernunft "praktisches Zukunftsbewußtsein und befähigt zu mittel- und langfristigen, direkten und indirekten Befriedigungsstrategien; sie befähigt zur Voraussicht, zur Antizipation von Folgen, zu Vorsorgehandlungen. Die Vernunft lehrt, mit Zukünftigem und Möglichem zu rechnen. Nur weil wir Vernunft haben, macht uns auch der zukünftige Hunger hungrig [vgl. Ho, S. 17; T. M.], besitzt die Bewegungsmaschine Mensch ein komplexes Kausalkonzept, das über das Reiz-Reaktions-Schema hinausgeht und auch antizipierten Bedürfnissen und Interessen, Erwartungen und Befürchtungen handlungsmotivierende Kraft verleiht". 133 Erst unter all diesen zahlreichen zusätzlichen Bedingungen wird das Argument plausibel (bzw. evident), daß der Mensch auch seine zukünftige Bedürfnisbefriedigung vorab zu sichern versucht, indem er die dafür geeigneten Mittel - und das heißt bei Hobbes eben die "Macht"134 - präventiv begehrt und akkumuliert. Und weil auch die geeigneten "Mittel[] zur Erlangung eines zukünftigen anscheinenden Gutes" ihrerseits knappe "Güter" sind, stehen die Menschen im Naturzustand einander in einem doppelten Konkurrenzverhältnis gegenüber: "Sie konkurrieren um die erstrebten Güter,

131 Auch Conrad (1991, S. 106 f.) weist auf diese "uneingestandene[] Voraussetzung[]" hin. 132 Kersting, 1992, S. 76. 133 Kersting, 1992, S. 76 f.; die gleiche Auffassung vertritt auch Hance, 1991, S. 155 f. 134 Zu einer vergleichbaren Definition von "Macht" auf der Basis ethologischer und soziobiologischer Forschungsergebnisse siehe Meyer, 1983, S. 63 ff.

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und sie konkurrieren um die Macht". 135 Es gibt - so Hobbes - im menschlichen Leben keine "Glückseligkeit", die etwa "in der zufriedenen Seelenruhe besteht" (Le, S. 75). i3* Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, daß nach Hobbes wirklich jeder Mensch, solange der Naturzustand herrscht, notwendig nach immer mehr Macht streben muß, auch wenn ihm eigentlich ein bescheiden-friedliches Leben lieber wäre. Es ist nämlich nicht alleine die "selbstische Begierde" 137 , die ihn zur Machtakkumulation treibt, sondern die Gefahr, sich durch Machtverzicht anderen, die nicht verzichten, auszuliefern. In den "Elements" (S. 97) heißt es dazu: "Andererseits, wenn wir die große Verschiedenheit der Menschen in Betracht ziehen, die von der Mannigfaltigkeit ihrer Affekte herrührt, wie manche von Eitelkeit erfüllt sind und auf Vorherrschaft und Überlegenheit über ihre Mitmenschen hoffen, und zwar nicht nur dann, wenn sie gleiche Macht besitzen, sondern auch, wenn sie minderwertig sind, so müssen wir anerkennen, daß die Menschen, die bescheiden sind und nichts anderes als natürliche Gleichheit verlangen, unweigerlich der Kraft der anderen, die versuchen werden, sie zu unterdrücken, preisgegeben sind". Nochmals: Der Zwang zur beständigen Machtakkumulation gilt im Naturzustand für alle Individuen gleichermaßen, auch wenn gleichwohl die Existenz solcher Menschen für Hobbes eine nicht bestreitbare Tatsache ist, denen wenig an Machtsteigerung und erst recht an Gewalt- und Machtanwendung liegt, die bescheiden 135 Kersting, 1992, S. 104, vgl. auch S. 91 ff. Der fitness-steigernde funktionale Wert der menschlichen Vernunft bei Hobbes kommt auch in einer Formulierung Bartuschats (1981, S. 28) zum Ausdruck, wonach in "diesem Zustand der Kollision [also dem Naturzustand; T.M.] ... fraglos derjenige besser dran [ist], der sich der Vernunft bedient, der über den in die Zukunft gehenden Weitblick verfügt, der ihn über die Unmittelbarkeit des für den Augenblick gut Erscheinenden hinweg sein und mit dem Zukünftigen die Vielfalt möglicher Reaktionen der anderen einkalkulieren läßt". Dabei ist freilich festzustellen, daß die Machtakkumulation nach Hobbes nicht unspezifisch um der Macht selbst willen angestrebt wird; vielmehr ist das Streben nach Macht immer zweckrational an die Befriedigung zumindest der elementarsten Eigeninteressen (Selbsterhaltung, Freiheit) gebunden. "Macht" ist bei Hobbes insofern ein rein funktionaler Begriff. 136 Walzer (1992, S. 363, 366, 370) begreift den Hobbesschen Gedanken vom rastlosen menschlichen Streben nach immer mehr Macht als das "Bild eines Wettrennens", das "längst zu einem zentralen Bestandteil unseres gesellschaftlichen Bewußtseins geworden [ist]. Es ist eine demokratischer, ein partizipatorischer Wettlauf, bei dem es keine Zuschauer gibt, weil jeder laufen muß" - wobei die Frage: "Aber warum rennen wir?" (ebd., S. 364) bei Walzer letztlich offen bleibt. 137 Bartuschat, 1981, S. 30.

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sind, lieber ihren Frieden haben und entsprechend im Prinzip gar nicht an j e n e m "Spiel" u m die Akkumulation v o n Gütern und Machtmitteln teilnehmen w o l l e n . 1 3 8 Aber genau hier liegt für Hobbes der Haken: "... weil es einige gibt [was sicher ebensowenig bestreitbar ist! T . M . ] , denen es Vergnügen bereitet, sich an ihrer Macht zu weiden, indem sie auf Eroberungen ausgehen, die sie über das zu ihrer Sicherheit erforderliche Maß hinaustreiben, könnten andere, die an sich gerne innerhalb bescheidener Grenzen ein behagliches Leben führen würden, sich durch bloße Verteidigung unmöglich lange halten, w e n n sie nicht durch Angriff ihre Macht vermehrten". Mit anderen Worten: Selbst der Bescheidenste ist im Naturzustand genötigt, Machtmittel anzuwenden und anzuhäufen, da er kein Interesse daran haben kann, d e m machtgierigen Nachbarn so lange tatenlos zuzusehen, bis dieser stark genug ist, ihn selbst zu überfallen, zu vernichten oder zu unterwerfen und zu versklaven (vgl. Le, S. 75; Ci, S. 68 f.; El, S. 1 2 5 ) . D i e s e Überlegung 138 Nach Hobbes kann es demnach sehr wohl auch Menschen geben, die ihr Leben "eigentlich" nach den stoischen und epikureischen Idealen der "autarkia", "ataraxia" und "apatheia" gestalten wollen (was Kersting, 1992, S. 85 f., zu Unrecht bestreitet). Aber im vorstaatlichen Zustand können sie dies nicht, weil sie Gefahr laufen, von weniger bescheidenen Menschen unterworfen oder sogar vernichtet zu werden. Eine Aufgabe des Hobbesschen Staates wäre es demnach, auch eine bescheidene, genügsame, eher philosophisch-kontemplative Existenz zu ermöglichen. Spieltheoretische Modelle des Hobbesschen Naturzustandes, die den hier agierenden Individuen auch die Möglichkeit der (prinzipiellen oder partiellen) Teilnahmeverweigerung am Macht-Spiel einräumen, verfehlen daher die Hobbessche Argumentation (vgl. Markl, K.-P., 1985, S. 70, 74 ff.). Freilich stellen diese von ihrem Wesen her eher bescheidenen Menschen (ebenso wie die im "Leviathan" [S. 228] erwähnten "einigefn] edelmütige[n]" Menschen) so etwas wie das "Ausfallstürchen" in Hobbes' radikaler Theorie vom immerwährenden Machtstreben aller Menschen dar. Streng genommen liegt hier sogar ein klarer Widerspruch vor. Doch wenn man diese wenigen, die wirklich zu einem tugendhaften oder bescheidenen Leben bereit und fähig sind, als die Ausnahmen interpretiert, die die Regel bestätigen, wird man am Hobbesschen Grundsatz weiter festhalten können. Ob dieses "Ausfallstürchen" der radikalen Machttheorie aber auch schlicht ein psychologischer Trick Hobbes' gewesen sein könnte, seine Leser mit seinen äußert harten moralphilosophischen Thesen nicht allzu sehr zu brüskieren, kann hier nicht näher diskutiert werden. 139 Zu dieser Interpretation der Hobbesschen Machttheorie siehe v.a. Cramer, 1981, S. 47 ff., 54 ff.; sehr prägnant auch Tönnies, 1976, S. 203; vgl. auch Mackie, 1983, S. 136 ff.; ebs. Forschner, 1989, S. 154; sehr hilfreich ist auch Strauss' (1965, S. 20) Unterscheidung zwischen "begehrlichem" und "vernünftigem" Streben nach Macht, auch wenn Strauss' Interpretation dieser Begriffe durchaus anfechtbar ist. Während

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Hobbes' entspricht exakt dem berühmten Diktum Machiavellis, wonach es "unvermeidlich [ist], daß ein Mann, der überall rein moralisch handeln will, unter so vielen anderen, die nicht so handeln, früher oder später zugrunde gehen muß", wo Dieses natürlich-notwendige Machtstreben eines von seinem Naturell her eher bescheidenen Menschen erscheint aber erst unter der Bedingung plausibel, daß es überhaupt mit angemessenen Erfolgsaussichten verbunden ist. Wieso sollte ein Schwacher versuchen, mit einem viel Stärkeren zu konkurrieren, wenn dies absehbar nur auf seine Vernichtung hinauslaufen würde? Wäre es dann nicht strategisch klüger, sich dem Starken zu unterwerfen, in der Hoffnung, dadurch zumindest das eigene Leben zu erhalten - wenn auch unter schwierigen Bedingungen und um den Preis der eigenen Freiheit? In diesem Zusammenhang wird die Hobbessche Lehre von der prinzipiellen psychophysischen Gleichheit aller Menschen bedeutsam. So begründet Hobbes etwa die für seine Staatsphilosophie zentrale Kategorie der gegenseitigen Furcht (siehe dazu unten, Teil 2, Kap. I. 2.2) damit, von Natur aus seien alle Menschen gleich - nämlich gleich schwach, gleich verletzlich, gleich schutzlos gegen hinterlistige oder übermächtige Aggressionen seitens anderer Menschen. Diese natürliche Gleichheit der Menschen behauptet Hobbes gleichermaßen für die "körperlichen und geistigen Fähigkeiten" (Le, S. 94). Die relative körperliche Überlegenheit eines einzelnen Menschen kann Strauss nämlich meint, das "begehrliche" Machtstreben sei immer auf das Ganze gerichtet, während das "erlaubte, vernünftige Machtstreben" sich moderater gebären würde, erscheint die umgekehrte These plausibler, daß die natürlichen, spontanen Begierden faktisch niemals auf die Totalität des überhaupt Begehrbaren gerichtet sein können; alleine das vorausschauende Nutzenkalkül leitet die Individuen im Naturzustand zu dem Schluß, sie sollten vernünftigerweise (!) "alles" begehren - entweder primär um der Vergrößerung der eigenen Macht willen, oder aber, um durch die Erfüllung ihres vernünftigen Machtstrebens die Machtentfaltung eines anderen - der im Naturzustand stets potentieller Todfeind ist - wirksam be- oder verhindern zu können. Palaver (1991, S. 40 ff.) macht in diesem Zusammenhang auf den interessanten Aspekt des "mimetischen Begehrens" bei Hobbes aufmerksam; demnach zielt die Begierde in vielen Fällen nicht direkt auf ein Objekt, sondern wird "durch das Begehren eines Rivalen vermittelt". Was der Rivale begehrt, kann zur Steigerung seiner Macht dienen; diese Machtsteigerung stellt jedoch faktisch das Anwachsen seines Bedrohungspotentials gegenüber der Machtposition der Konkurrenten dar; also ist es ihrerseits ratsam, das betreffende Objekt zu begehren, "weil der Rivale es selbst begehrt" (ebd., S. 35); vgl. zu diesem Aspekt der "präventiven Machtsteigerung" auch Honneth, 1992, S. 16 f. 140 Machiavelli, 1990, S. 91.

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nämlich leicht dadurch kompensiert werden, daß "der Schwächere ... entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen" in der Lage ist, selbst den Stärksten zu vernichten (ebd.); was aber die geistigen Kräfte anbelangt, so ist Hobbes der Meinung, "Klugheit [sei] nur Erfahrung, die alle Menschen, die sich gleich lang mit den gleichen Dingen beschäftigen, gleichermaßen erwerben" (Le, S. 94). Da aber nun - mit Hobbes - gleichzeitig davon auszugehen ist, daß alle Menschen von Natur aus darauf aus sind, sich auf Kosten der anderen Vorteile zu verschaffen (wenn auch nicht alle gleichermaßen, wie Ci, S. 80, Ziff. 4; Le, S. 95, ausdrücklich betont), deshalb hat (im Naturzustand) jeder einen berechtigten Anlaß, jeden anderen als relativ gleichstarken, gleich mächtigen Konkurrenten und potentiellen Aggressor zu fürchten (zur Diskussion und Kritik des Hobbesschen Gleichheitstheorems siehe unten, Teil 2., Kap. I. 2.1).

4 . 5 " H o m o h o m i n i deus" Die Tatsache, daß unmittelbar vor der berühmt-berüchtigten "homo homini lupus"-Formel, auf die Hobbes vielfach reduziert wurde, auch die Formel "homo homini deus" steht, ist in der Hobbes-Rezeption offenbar weitgehend unberücksichtigt geblieben.141 Dabei ist diese Formel durchaus geeignet, im Verein mit anderen Äußerungen Hobbes' (etwa über die Familie oder die an sich ihrem Wesen nach bescheidenen und friedfertigen Menschen im Naturzustand, die zum "Krieg aller gegen alle" faktisch gezwungen sind; vgl. etwa Le, S. 95, 105, 156 f.; Ci, S. 59, 68 f., 110, 141, 161; El, S. 97) die These zu widerlegen, er habe ein ausschließlich negatives Menschenbild gehabt, der Mensch sei für ihn von Natur aus prinzipiell und unwandelbar böse. Unabhängig davon, daß es für Hobbes' nicht sinnvoll ist, in Bezug auf menschliches Verhalten im Naturzustand überhaupt die moralischen Kategorien "gut" und "böse", "gerecht" und "ungerecht" zu verwenden (vgl. Le, S. 41, 122, 139; Ci, S. 67; Ho, S. 22 ff.), kennt er in seiner Anthropologie gleichwohl die prinzipielle - und im Hinblick auf das "Telos" des erst zu verwirklichenden sozialen Friedens rein funktionale - Unterscheidung zwischen den "Guten" ( = Friedfertigen) und den "Schlechten" (= Gewalttätigen, Kriegslüsternen; vgl. Ci, S. 59) und ist daher fern von jeglichen Monismen. Sein Versuch, auf der Ebene des Staates die sozialen und antisozialen Elemente der menschlichen Natur zu kombinieren, ist daher von Wrong zurecht als "dialectical" und jenseits eines vulgären Darwinismus oder auch Nietz141 Vgl. dazu Willms, 1987, S. 80.

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scheanismus bezeichnet worden. 142 Zudem wird aus dem Gesamtbild dieser Stellen zum einen deutlich, daß Hobbes die "Wolfs"-Natur des Menschen nicht für statisch und absolut hielt, sondern selbstverständlich auch die sozialen Möglichkeiten des Menschen sah143; mehr noch, daß er von den Familien als "natürlichen Staaten" ausging, also davon, daß Menschen in natürlichen Gemeinschaften leben. Leider arbeitet Hobbes diesen Gedanken, der den modernen soziobiologischen Thesen wesentlich unmittelbarer entsprochen hätte, an keiner Stelle seines Werkes differenzierter aus, sondern beharrt - "in seinem enthusiastischen Vertrauen auf die methodische Gewißheit der Geometrie"144 - auf der methodischen Grundannahme eines fiktiven Radikal-Individualismus. Dennoch wird man - aus soziobiologischem Blickwinkel - folgende These wagen dürfen: Legt man die oben (siehe Ziff. I. 1. 1) durchgeführte Prämissenkorrektur zugrunde, wonach nicht das radikal vereinzelte Individuum, sondern die Individuen in den ursprünglichen menschlichen Kleingruppen die "Bausteine" der Staaten sind145, dann kann auch der Hobbessche Mensch im Verhältnis zu den Angehörigen seines Staates (der als "natürlicher Staat" der soziobiologischen "Ingroup" entspricht) als "geneigt" gesehen werden, ihnen ein "Gott" zu sein146; im Verhältnis zu anderen Staa142 Wrong, 1984, S. 217; zur Kritik an der These von Hobbes' ausschließlich negativem Menschenbild siehe auch Johnson, P. J., 1982; ders., 1989, S. 71 f.; Willms, 1987, S. 80 f., 84 f. 143 Hobbes ist demnach kein "Psycho-Statiker", wie Räder (1990, S. 29) behauptet. 144 Markl, K.-P., 1985, S. 54 ff., 62 f. Es scheint also in der Tat so, als habe Hobbes in diesem Vertrauen die Tragfähigkeit seiner methodischen Grundannahme schlicht überschätzt. 145 Diese ursprünglichen Gruppen werden also im Sinne der resolutiv-kompositiven Methode als kleinste Bausteine der zu rekonstruierenden Staatswesen analog zu den Individuen im System Hobbes' gesetzt. Auf der Basis des "kin-selection"- bzw. des "inclusive-fitness"-Theorems wird dabei angenommen, diese Gruppen seien genau wie die Hobbesschen Individuen im Naturzustand primär an der Wahrung und Durchsetzung ihres je eigenen Nutzens interessiert, so daß die Analog-Setzung von Individuen und Gruppen auch insofern berechtigt ist. 146 Bertman (1977, S. 38) vertritt die Auffassung, Hobbes' "Gott"-Metapher im Widmungsschreiben zu "De Cive" sei primär so zu verstehen, daß der Mensch sich selbst insofern "Gott" werde, als er - analog zum Schöpfungsakt des ewigen Gottes seine natürliche Vernunft gleichfalls zur Schöpfung eines künstlichen Menschen, des sterblichen Gottes "Leviathan", nutzt: "In this manner man rises from being an to his fellow to become, in the personification of the sovereign, a God to man". Dies mag ein zutreffender Aspekt sein, doch die Formulierung in "De Cive" sagt ausdrücklich, die Bürger (!) in einer Gemeinschaft näherten sich durch

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ten (d. h. den "Outgroups") ist er dagegen der "Wolf", der auf Mißtrauen und Feindseligkeit, auf Vertreibung und Vernichtung disponiert ist. 147 Die These von der Einseitigkeit des Hobbesschen Menschenbildes dürfte damit jedenfalls erledigt sein. Hobbes' Menschenbild war weder einseitig negativ und natürlich erst recht nicht einseitig positiv; sein Menschenbild war unprätensiös, nüchtern, sachlich und realistisch - und ist nicht zuletzt deshalb nach wie vor sehr modern.

4.6 "Gutes den Freunden - Schlechtes den Feinden" Die prinzipielle Unterscheidung zwischen "deus"-Natur und "lupus"-Natur des Menschen entspricht inhaltlich exakt den soziobiologischen Theoremen von der genetischen Disposition zu altruistischem Verhalten gegenüber der "Ingroup" und zu aggressivem Verhalten gegenüber allen Artgenossen der "Outgroup". Doch es liegt natürlich auf der Hand, daß Hobbes mit den im Widmungsschreiben von "De Cive" genannten "Bürgern", die sich gegeneinander entsprechend der "Tugenden des Friedens" ("Gerechtigkeit und Liebe"; Ci, S. 59) verhalten, nicht die Individuen im Verhältnis zu ihren eigenen Familien (Sippen, Clans), ihrer genetischen "Ingroup" meint, sondern "Gerechtigkeit und Liebe, die Tugenden des Friedens", jener Ählichkeit mit Gott an, was auf einen Prozeß innerhalb der bereits konstituierten Gemeinschaft verweist. Diese Interpretation scheint auch dem englischen Originaltext (Hobbes, 1992, Bd. 2, S. II) näherzukommen, ohne daß die von Bertman vertretene These dadurch völlig von der Hand zu weisen wäre: "To speak impartially, both sayings are very true: that man to man is a kind of God\ and that man to man is an arrant wolf. The first is true, if we compare Citizens amongst themselves; and the second, if we compare cities. In the one, there is some anology of similitude with the Deity; to wit, justice and charity, the twin sisters of peace". 147 Bereits Weiß (1980, S. 135 f.) weist daraufhin, die Hobbessche Wolfs-Metapher sei insofern irreführend, als nach den Forschungsergebnissen der modernen Ethologie ein Wolf etwa im Rivalenkampf nicht in der Lage sei, einen bereits besiegten Widersacher zu töten, wenn dieser aggressionshemmende Unterwerfungsgesten zeige, wohingegen der Mensch ungleich grausamer handeln könne. Unabhängig davon, daß dieser Hinweis insofern zutrifft, als es beim Menschen keine angeborene Tötungshemmung gibt (vgl. oben, Teil 1, Kap. I. 3.1.1), wird aber die Wolfs-Metapher aus heutiger Sicht insofern wieder tragfähig, als Wolf und Mensch als Kleingruppenwesen in analoger Weise nach einem ausgeprägten Ingroup :OutgroupSchema "funktionieren". Gegenüber den Mitgliedern seiner "Ingroup" legt der Wolf ein hochentwickeltes Sozialverhalten an den Tag, während er Mitgliedern der "Outgroup" mit Aggressivität begegnet (vgl. dazu ansatzweise Irrgang, 1985, S. 243).

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eben Individuen in einem sozialen Verband jenseits der genetischen Verwandtschaft und auch bereits jenseits des inter-individuellen Naturzustandes. 1 4 8 Wie erklärt also Hobbes die Möglichkeit kooperativen, altruistischen Verhaltens zwischen Individuen im Naturzustand, w o doch eigentlich - entsprechend seiner radikal-individualistisch-egoistischen Theoriebasis - mit einer solchen kooperativen Kompetenz nicht zu rechnen sein dürfte? In den "Elements" (S. 120) spricht Hobbes in diesem Zusammenhang - und zwar in Bezug auf einen "Zeitpunkt" vor der Staatsgründung - von der "Summe der Tugend", die darin bestehe, "denen Freund zu sein, die freundschaftlichen Verkehr wollen, und furchtbar denen, die es nicht wollen". 1 4 9 Also sieht Hobbes bereits für den Naturzustand neben der "wölfischen" auch die Möglichkeit zu einer Verhaltensstrategie des friedvollen und freundschaftlichen Zusammen- und zumindest Nebeneinanderlebens. 1 5 0 Doch mit dem bloßen 148 Denn ansonsten hätte es an dieser Stelle keinen Sinn, von "Gerechtigkeit" zu reden, da Hobbes an anderer Stelle ausdrücklich betont, im Naturzustand des Krieges aller gegen alle hätten die "Begriffe von Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ... keinen Platz" (Le, S. 98). Entsprechend heißt es kurz vorher (in Anspielung auf die Bibelstelle Rom 4, 15), die Handlungen der Menschen könnten im Naturzustand niemals "Sünde" sein, bis nicht "die Menschen ein Gesetz kennen, das sie verbietet" (Le, S. 97; vgl. entspr. Le, S. 110; Ci, S. 67, 72 f.). "Homo homini deus" kann sich also nur auf Menschen beziehen, die bereits unter einem Gesetz stehen und dieses kennen. 149 Diese These könnte direkt aus Piatons "Politeia" übernommen sein, wo es heißt (332d): "Also: den Freunden zu nützen, den Feinden zu schaden, das nennt er [Simonides; T. M.] Gerechtigkeit" (vgl. auch 334b ff.). Es ist durchaus wahrscheinlich, daß Hobbes - gerade weil er kurz zuvor auf die Tugendlehre des Aristoteles eingegangen war - hier den platonischen Text im Auge hatte. Dann ist es aber bemerkenswert, daß er die vernichtende sokratische Kritik an dieser "Jedem-dasSeine-Gerechtigkeit" außer acht läßt (332d - 335e), die in ihrem Kern besagt, Gerechtigkeit müsse immer auf Besserung zielen, weshalb es nicht ihre Aufgabe sein könne, irgend jemandem - Freund oder Feind - zu schaden. Zum (gerade im Hinblick auf Piatons "Politeia" höchst interessanten) Verhältnis zwischen Hobbes und Piaton siehe Strauss, 1965, S. 135-148, 155 ff. 150 Vgl. dazu Goldenbaum, 1988, S. 413; auch sie vertritt die Auffassung, in Hobbes' System fanden bereits im Naturzustand "Unterwerfungen" statt und würden Bündnisse eingegangen; vor diesem Hintergrund erst werde seine Identifizierung des Naturzustandes mit dem Bürgerkrieg - der ja gerade nicht durch einen radikalen Individualismus geprägt war - letztlich verständlich. Und zurecht stellt Goldenbaum auch fest, Hobbes habe diese beiden Bedeutungskomponenten des Naturzustandes selbst nicht mehr reflektiert.

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Behaupten einer solchen Möglichkeit ist diese noch nicht plausibel begründet; vielmehr scheint sie auf den ersten Blick zur Kennzeichnung des Menschen als radikalem "Einzelkämpfer" in scharfem Widerspruch zu stehen. Und dieser Widerspruch entspricht wiederum exakt dem, der sich im Verhältnis zwischen Darwinscher Selektionsf/z^one und sozialer Praxis zu ergeben scheint, da in dieser eben keineswegs stets das radikal egoistische Verhalten eines jeden Individuums beobachtbar ist (siehe dazu oben, Kap. I. 2). Hobbes' drittes Gebot des Naturgesetzes (= Gebot der rechten Vernunft) lautet (modifiziert): "Sei bereit, dem zu helfen, der dir in einer früheren Situation geholfen hat!"; "Verweigere dem nicht Hilfe, der dir geholfen hat!"; "Behandle den gerecht, der dich gerecht behandelt hat!"; "Sei bereit, dir erwiesene Wohltaten zu vergelten!" (vgl. hierzu v. a. die feinen Differenzierungen im Le, S. 110 ff.; ebs. Ci, S. 97-102) usw. Bei diesem dritten Gebot handelt es sich um jene "Vorschrift der rechten Vernunft", die übersetzt in die Sprache heutiger Soziobiologen, Evolutionären Ethiker, Sozial-Ethiker und Spieltheoretiker als "reziproker Altruismus" gehandelt wird - wenngleich auffällt, daß vom "reziproken Altruismus" zumeist als von einer "altruistischen" Vorleistung gesprochen wird, während in den Hobbesschen Beispielen stets von der reziproken Vergeltung einer zuvor empfangenen Wohltat die Rede ist. "Der wahre Egoist kooperiert" - denn wenn ich demjenigen die Hilfe verweigere, der mir geholfen hat, laufe ich Gefahr, im (wahrscheinlichen) Falle meiner eigenen Hilfebedürftigkeit ebenfalls keine Hilfe zu erhalten - was ich vernünftigerweise nicht wollen kann. 151 Ob es

151 Hardin (1991, S. 156) macht explizit den Vorschlag, Hobbes mit modernen Kategorien und Begriffen als "game theorist" neu zu lesen: "Indeed, [Hobbes'] Strategie grasp is so clear that contemporary readers regularly associate game theoretic categories and ideas with Hobbes's arguments" (ebd., S. 158); zu diesem Ansatz siehe auch Gauthier, 1986; McLean, 1985, S. 49 ff; Kavka, 1986, S. 179-188; Kersting, 1992, S. 114-121; auch Vollmer, G., (1989, S. 112) gelangt in diesem Zusammenhang zu einer Folgerung, die für den "Hobbesianer" höchst interessant ist: Gesetzt den Fall, mehrere in Streit stehende Parteien kommen an einem Tisch zusammen, so "genügt es ... nicht, daß die Parteien ihre Standpunkte und Argumente vortragen; es genügt nicht, daß jeder den anderen versteht; es genügt leider auch nicht, daß alle in bester Absicht handeln; ja, es genügt nicht einmal, daß alle sehen und sich einigen, welche Lösung für alle die beste wäre. Jeder muß auch noch wissen, daß jeder gerne auf Kosten des anderen profitieren möchte; und dagegen müssen gemeinsam Vorsichtsmaßnahmen (unwiderrufliche Vorleistungen, neutrale und wirksame Kontrollen, durchsetzbare Sanktionen, voraussehbare Fallwiederholungen) getroffen bzw. einvernehmlich geschaffen werden" - ingesamt eine sehr treffende Umschrei-

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aber in einer Welt, in der das Hilfegebot nicht beachtet würde, notwendig bei einem "Kriegszustand" bleiben müßte, wie Hobbes behauptet, sei dahingestellt; sicher scheint jedenfalls, daß ohne die Aussicht auf Hilfeleistungen durch andere eine erheblich verminderte Lebensqualität erreichbar wäre. 152 bung für die Situation der Individuen im Hobbesschen Naturzustand, wenn sie die "Gesetze der Vernunft" erkannt haben. 152 Eine geradezu lehrbuchmäßige Erläuterung der Soziobiologen-These findet sich auch in den "Elements" (S. 110). Hier schildert Hobbes das Verhalten eines Menschen, der einem anderen Wohltaten erweist, "ohne irgendeinen Vertrag, sondern nur auf guten Glauben und in dem Vertrauen, das Wohlwollen und die Gunst jenes anderen zu erlangen, wodurch er sich selbst einen größeren oder doch keinen geringeren Vorteil oder Beistand verschaffen mag. Denn naturgemäß hat jeder Mensch bei allen seinen freiwilligen Handlungen es auf irgendeinen Vorteil für sich abgesehen. In diesem Falle ist es ein Naturgesetz, daß niemand jenen andern, der so seiner Güte und seiner Wohlgeneigtheit vertraut, trotz dieses Vertrauens in eine schlimmere Lage kommen läßt. Wenn er das tut, werden die Menschen nicht mehr wagen, gegenseitig einer zu des anderen Verteidigung beizutragen oder sich unter irgendwelcher Bedingung der Gunst eines andern anzuvertrauen, sondern werden lieber im äußersten und schlimmsten Zustande der Feindseligkeit verbleiben, durch welches allgemeine Mißtrauen sie nicht nur zum Krieg getrieben werden, sondern auch fürchten müssen, sich einander so weit zu nähern, um Friedensverhandlungen zu eröffnen". Soziobiologen weisen darauf hin, diese Form des reziproken Altruismus beruhe auf dem traditionellen Prinzip der Gegenseitigkeit ("do ut des"; "You Scratch my back, I* 11 ride on Yours"; "Wie du mir, so ich dir" usw.). Und einer der zentralen Aspekte jenes reziproken Altruismus ist es eben - wie oben ausgeführt -, daß der Aufwand, der für die Hilfeleistung oder einen sonstigen wohltätigen Akt gegenüber einem genetisch nicht Verwandten betrieben wird, summa summarum niemals größer sein darf als der realistischerweise "in the long run" zu erwartende Gewinn. Wieso daher die Hobbessche These, wonach alle Menschen von Natur stets ihren eigenen Vorteil erstreben, also "eudämonistische Egoisten" sind, "ein entscheidendes Selbstmißverständnis (!) neuzeitlicher Philosophie bei Hobbes" sein soll, wie Irrgang (1990, S. 51) mit Verweis auf Husserl behauptet, ist nicht einzusehen - zumal Irrgang selbst viele der soziobiologischen Thesen akzeptiert (v.a. ebd., S. 58 ff.). Ebenso wie Hobbes' These vom naturhaft stets nach dem eigenen Vorteil strebenden Mensch vor allem aus "moralischer Entrüstung" (Fetscher, 1989^, S. LVIII) widersprochen wurde, müssen sich heute Evolutionäre Ethiker und Soziobiologen u.a. mit dem Einwand auseinandersetzen, wir Menschen seien (mittlerweile) unabhängig von unseren Genen und deshalb nicht mehr notwendig auf die eigene Interessenverfolgung fixiert. Der evolutionsbiologische These, evolutionär entstandene, genetisch implementierte Verhaltensdispositionen seien auch im rezenten Menschen noch wirksam, wird aus den verschiedensten Richtung aus verschiedensten Gründen mit unterschiedlicher Vehemenz widersprochen. Es wäre ein grundsätzlicher "Erfolg" der

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In ähnlicher Weise fordert das neunte Gesetz der Natur (Ci, S. 105; entspricht dem zehnten Gesetz der Natur im Le, S. 118) wiederum die reziproke Anerkennung, "daß ein jeder die Rechte, welche er für sich verlangt, auch jedem anderen zugestehe" (Ci, S. 105, Ziff. 14). Hobbes nennt in diesem Zusammenhang "das Recht, seinen Körper zu schützen, die freie Luft zu atmen, des Wassers und aller zum Leben notwendigen Dinge sich zu bedienen" (ebd.). Nimmt man andere Äußerungen Hobbes hinzu (v.a. S. Le, 101 f.), die insgesamt besagen, niemand könne rechtmäßig den "Zweck" der Selbsterhaltung preisgeben, so ist es sicher nicht falsch, wenn man hier von unveräußerlichen Menschenrechten redet. 1 5 3 Und diese unveräußerlichen Rechte geEvolutionären Ethik/Soziobiologie, wenn allgemein anerkannt würde, daß die Reproduktion des eigenen genetischen Materials auch für rezente Menschen - bewußt oder unbewußt (wobei letzteres "natürlicher" sein dürfte) - die oberste Maxime darstellt. Und wenn das Leben aller menschlichen Individuen letztlich unter dieser Maxime steht, dann wird man die Menschen auch - genauso wie Hobbes es tut - als unverbesserliche" Egoisten bezeichnen dürfen, ohne ein ausschließlich negatives Bild von Menschen zeichnen zu müssen. Mohr ist daher vollauf zuzustimmen, wenn er schreibt (1990, S. 188): "Wir können 'lernen' und 'denken', gewiß; aber nur (!) nach Maßgabe der genetisch vorgegebenen Kapazitäten und Strategien". Zu entsprechenden, den "reziproken Altruismus" bestätigenden Ergebnissen spieltheoretischer Analysen siehe Schüßler, 1990; vgl. auch - mit ausdrücklichem Bezug auf Hobbes - Höffe, 1990, S. 285-294; Mackie, 1983, S. 144 ff.; auch Kavka, 1986, stützt seine Hobbes-Interpretation stark auf spieltheoretische Überlegungen; vgl. auch Sorell, 1986, S. IX; Hampton, 1986, S. 80-88, 150 ff., 168, 173-187, 225232; Eisenach, 1989, S. 132, 134, 138 f.; Hungerland, 1989, S. 35 ff.; Kersting, 1992, S. 102 ff., 114: "Hobbes' Naturzustandsargument und das auf ihm logisch aufbauende kontraktualistische Argument sind spieltheoretische Musterargumentationen"; vgl. ders., 1994, S. 69 ff.; ähnlich bereits Masters 1982/83, S. 178: "Hobbes's political theory ist easily translated into the terms of inclusive fitness and rational actor models"; ebs. Taylor, 1976; ders., 1985; Markl, K.-P., 1985; zur grundsätzlichen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Relevanz der Spieltheorie (neben der Entscheidungs- und Wirtschaftstheorie) siehe auch Nozick, 1976, S. 279. 153 Vgl. dazu etwa Strauss, 1965, S. 168: "Hobbes' Begründung des naturrechtlichen Anspruchs auf die Sicherung des nackten Lebens legt den Fortgang zu dem ganzen System der Menschenrechte im Sinne des Liberalismus nahe, gesetzt, daß sie ihn nicht sogar erforderlich macht"; vgl. entspr. Weiß, 1980, S. 223; Willms, 1987, S. 176, 224; sehr differenziert König, 1994, Kap. 2, S. 69-116. Kerstings These (1992, S. 160), wonach der Hobbessche Souverän "weder durch liberale Grundrechte noch durch Menschenrechte, weder durch eine vernunftrechtliche noch durch eine naturrechtliche Verfassung in seiner Herrschaftsbefugnis eingegrenzt" sei, trifft daher

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Winnen heute, in einer Zeit, da die Regierungen immer mehr daran gemessen werden, ob sie noch in der Lage sind, den ausreichenden allgemeinen Zugang zu "freie[r] Luft", Wasser und anderen existentiellen Ressourcen gewährleisten zu können, eine enorme politische Brisanz. Wie sähe Hobbes das Widerstandsrecht einer Bevölkerung, wenn die Regierung nicht mehr in der Lage ist, eine saubere, nicht-krankmachende Luft zu garantieren?154 Wichtig ist jedoch in diesem Zusammenhang vor allem die Feststellung, daß auch Hobbes sich bei seiner Begründung der Möglichkeit "altruistischen" Verhaltens im Naturzustand ausdrücklich und nahezu ausschließlich auf das Reziprozitäts-Argument stützt.155 Hobbes' Mensch im Naturzustand ist insofern nicht zu, als Hobbes sehr wohl Grenzen des Herrschaftsrechtes kennt, die genau betrachtet Grenzen der bürgerlichen Gehorsamspflicht sind. Vgl. dazu die eindeutige Aussage im "Leviathan" (S. 168): "Wenn deshalb ein Souverän einem wenn auch rechtmäßig verurteilten Menschen befiehlt, sich selbst zu töten, zu verletzen oder zu verstümmeln, Angreifern keinen Widerstand zu leisten oder auf Nahrung, Luft, Arznei oder andere lebensnotwendige Dinge zu verzichten, so hat dieser Mensch doch die Freiheit, den Gehorsam zu verweigern". Positiv gewendet bedeutet dies nichts anderes, als daß in Hobbes' System sehr wohl ein Recht auf Widerstand gegen die Staatsgewalt gibt (zum fraglichen Widerstandsrecht der Untertanen in Hobbes' System vgl. unten, Teil II, Kap. 2.6). 154 Vermutlich würde Hobbes wohl zunächst nach Alternativen zur bestehenden Regierung fragen. Motto: Selbst die schlechteste Regierung ist immer noch besser als das Zurückfallen in den Naturzustand, in den "Krieg aller gegen alle" (vgl. etwa El, S. 161; Le, S. 143 f.). Zum unveräußerlichen Recht des Individuums auf Selbsterhaltung und den sich daraus notwendig ergebenden Konflikt mit den staatlichen Rechten siehe Strauss, 1956, S. 204 f.; zur Frage, ob ökologische Gefahren geeignet sind, den demokratischen Grundkonsens berechtigterweise aufzukündigen, siehe Fetscher, 1990, S. 185 ff.: "Vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte der Demokratie kann ernstlich die Frage gestellt werden, ob die Aufrechterhaltung freiheitlicher, demokratischer Verhältnisse mit beliebigen Energiesystemen und Technologien vereinbar ist". Freilich geht es Fetscher dabei in erster Linie um die Problematik der Kernenergie, dennoch wird man diesen Satz ohne Überinterpretation auch genereller verstehen und auf andere Bereiche übertragen können; zur These, ein Staat, der die Primäraufgabe "der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen" nicht (mehr) erfüllen könne, verliere unter allen Umständen "seine Legitimität", siehe auch Hösle, 1991, S. 123; ähnlich Höffe, 1993, S. 184 ff. 155 Zur fundamentalen Bedeutung der Reziprozität für das menschliche Verhalten wie auch für diverse Rechts- und Moraltheorien siehe Gehlen, 1986^, S. 47-53; vgl. entspr. auch Baier (1987) in Bezug auf die "sociability" als dem "fünften Gesetz der Natur" (Le, S. 116 f.).

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egoistisch an der freien Erhaltung seiner selbst, an persönlichem Wohlergehen und zu diesem Zweck an der Akkumulation dafür tauglicher Mittel interessiert. Und weil er diese Zwecke auf längere Sicht am besten in Zweckbündnissen, in zweckrationaler Kooperation mit anderen verwirklichen kann, Kooperation also im wohlverstandenen Eigeninteresse liegt (vgl. etwa Ci, S. 75 f., Anm.!), deshalb kann es (theoretisch!) auch unter den Hobbesschen Menschen im Naturzustand kooperative Strategien des Verhaltens geben. Dies impliziert aber wiederum, daß Menschen überhaupt in Sozietäten leben, sozialen Kontakt mit anderen Menschen haben und eben nicht als vollkommen isolierte Mensch-Monaden denkbar sind. Auch die Möglichkeit der kooperativen Reziprozität im Naturzustand liefert daher ein gutes Argument für die prinzipielle Kritik an Hobbes' radikal-individualistischem Ansatz.

4.7 "Homo homini lupus" oder Der Krieg aller gegen alle Die beiden letzten Unterkapitel sollten zeigen, daß Hobbes' Menschenbild keineswegs rein negativ war, aber sie sollen natürlich nicht den falschen Schluß nahelegen, er habe ein überwiegend positives Menschenbild gehabt. Hobbes' Mensch im Naturzustand ist zweifelsohne in erster Linie der "Wolf", der allen anderen als potentieller Aggressor gegenübersteht und der sich von allen anderen permanent bedroht fühlt. Es wäre daher ein haarsträubender Unsinn, wollte man diese Asymmetrie des Hobbesschen Menschenbildes bestreiten oder uminterpretieren; dennoch: monistisch ist dieses Menschenbild nicht. Es mutet gleichsam wie eine frühe Vorwegnahme des Darwinschen Prinzips vom "Kampf um's Dasein", der inter-individuellen Konkurrenz um die knappen Überlebensressourcen an, wenn Hobbes schreibt: "Am häufigsten wollen die Menschen einander verletzen, weil viele denselben Gegenstand zugleich begehren, der sehr oft weder gemeinsam genossen noch geteilt werden kann. Deshalb muß der Stärkste ihn haben; und wer der Stärkste ist, das muß durch das Schwert entschieden werden" (Ci, S. 81). Im "Leviathan" wird diese Nähe zur Darwinschen Terminologie noch deutlicher. Hier heißt es: "Und wenn zwei Menschen nach demselben Gegenstand [der Überlebensressource] streben, den sie jedoch nicht zusammen genießen können, so werden sie Feinde [Konkurrenten] und sind in Verfolgung ihrer Absicht, die grundsätzlich Selbsterhaltung [inclusive-fitness-Maximierung] und bisweilen

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nur Genuß ist, bestrebt, sich gegenseitig zu vernichten [Beschädigungs- kämpfer] oder zu unterwerfen [Kommentkämpfer]" (Le, S. 9 5 ) . 1 5 6 Für H o b b e s ist es vollkommen klar (eine "natürliche Notwendigkeit"), daß die M e n s c h e n im Naturzustand jeweils versuchen werden, sich mit allen erdenklichen Mitteln g e g e n diese permanente, im Extremfall tödliche Bedrohung seitens der anderen abzusichern: "Denn jeder verlangt das, was gut ist, und flieht das, was übel für ihn ist; vor allem flieht er das größte der natürlichen Ü b e l , den Tod" (Le, S. 95). Die "erste Grundlage des natürlichen Rechts" ist daher nach Hobbes (wie auch nach Darwin f f . ) , "daß jeder sein L e b e n und seine Glieder nach Möglichkeit zu schützen suche" (ebd.). Und aus diesem primären Recht zur Selbsterhaltung folgert Hobbes, im Naturzustand müsse jeder auch das Recht darauf haben, alle erdenklichen Mittel zu d i e s e m Z w e c k einzusetzen: "in einem solchen Zustand [hat] jedermann ein Recht auf alles . . . , selbst auf den Körper des anderen" (Le, S. 99; also ist im Naturzustand auch die Tötung des Konkurrenten legitim). 1 5 7 Weil aber nach Hobbes ausdrücklich jeder im Naturzustand dieses "Recht auf alles" hat, es also keinerlei Rechtssicherheit (etwa rechtmäßiges Eigentum; vgl. Le, 156 Wie nahe Hobbes' Formulierung hier an die Logik der Darwinschen Selektionstheorie heranreicht, läßt sich auch an einer These des Hobbes-Interpreten Baumanns (1977, S. 25 f.) verdeutlichen, der den Hobbesschen Naturzustand u.a. bestimmt sieht durch "die ungünstige Beschaffenheit des natürlichen Güterpotentials: die Ressourcen entsprechen weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht der Nachfrage. Und so kommt es auf Grund von Knappheit und Verteilungsschwierigkeiten zum Krieg aller gegen alle". In der Sprache der Evolutions-, respektive Selektionstheorie: Die (bei nahezu allen Individuen vorhandene) Neigung zur Überproduktion von Nachkommen (Nachkommensüberschuß) bei gleichzeitiger Begrenztheit der vorhandenen überlebensnotwendigen Ressourcen, zwingt die Lebewesen zum "Kampf um's Dasein"; vgl. dazu etwa Lorenzen, 1989, S. 1149 f. 157 In Hobbes' "Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht" (1992, S. 47) findet sich eine interessante Variante dieser These: "Ohne Gesetz gehört jedes Ding insofern jedem Menschen, als er, ohne einem anderen Menschen Unrecht zu tun, jedes Ding, Land, Tiere, Früchte und sogar die Körper anderer Menschen nehmen, besitzen und sich daran erfreuen mag, wenn ihm seine Vernunft sagt, daß er anders nicht sicher leben kann" (Hervorhebung T.M.). Das "Recht auf alles" im Naturzustand ist demnach ein prizipielles: Im Prinzip darf ich mir alles nehmen, was meinen Interessen dient oder auch nur dienen könnte (etwa insofern, als ich durch diese Zueignung die Machtentfaltung eines anderen behindere, ohne selbst einen direkten Nutzen zu haben), ohne je ein Unrecht zu begehen; faktisch kann ich natürlich niemals alles begehren. Zur kontroversen Diskussion um das "Recht auf alles" siehe v.a. Gehrmann, 1970, S. 65-73; Cramer, 1981; Bartuschat, 1981; Freund, J., 1982; Weiß, 1980, S. 133-166.

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S. 98) geben kann, da allen alles gleichermaßen "zusteht", ist auch die Konsequenz einsichtig, daß dieser Naturzustand - in dem alle Menschen notwendig nach immer mehr Macht streben - ein Zustand permanenter Konflikte ist, ein Zustand, "der Krieg genannt wird, und zwar [ein] Krieg eines jeden gegen jeden" (Le, S. 96). Im Grunde ist damit der Zustand des "Rechts auf alles" der Zustand der völligen Rechtlosigkeit. Das Recht auf alles ist zugleich eine faktische Möglichkeit zu nichts. 1 5 8 Vor allem in moralphilosophischer Hinsicht ist aber jene ebenso berühmte wie umstrittene These Hobbes' interessant, wonach die Natur "jedem ein Recht auf alles gegeben [hat]; d.h. in dem reinen Naturzustande oder ehe noch die Menschen durch irgendwelche Verträge sich gegenseitig gebunden hatten, war es jedem erlaubt zu tun, was er wollte und gegen w e n er wollte, und alles in Besitz zu nehmen, zu gebrauchen und zu genießen, was er wollte und konnte" (Ci, 82 f.). Denn in diesem Naturzustand sind nach Hobbes sämtliche Handlungen des Menschen "jenseits von Gut und Böse", sofern diese Kategorien "menschliche Gesetze voraussetzten]" (Ci, S. 82, Anm.; vgl. auch Ci, S. 20: "Denn vor der Schaffung von Abmachungen und Geset158 Siehe dazu Kersting, 1992, S. 124 f. Zur naheliegenden Frage, ob die Hobbessche Lehre vom natürlichen "Recht auf alles" nicht insofern selbstwidersprüchlich sei, als die Anwendung dieses Prinzips auf alle Individuen im Naturzustand gerade zur Unmöglichkeit von Recht, zu einem allgemeinen Status der völligen Rechtlosigkeit führen müsse, vgl. etwa Carmichael, 1988, S. 257 ff. Mit Hobbes ist sehr sauber zu unterschieden zwischen einem theoretisch-abstrakten "Recht auf alles" und der tatsächlichen Möglichkeit, dieses Recht oder überhaupt irgendein Recht durchzusetzen. Insofern wäre Carmichael's Auffassung nicht zuzustimmen, nach der "right of nature" und "right of action" bei Hobbes deshalb nicht kongruent sein können, weil andernfalls "a closely bound prisoner would have ... no right at all". Ein noch so streng bewachter Gefangener hat immer das Recht auf Handlung (also: die Flucht; vgl. Le, S. 158), aber diesem Recht entspricht keine aktuelle Macht zur Realisierung des Rechtes. Wegen der bestehenden äußeren Hindernisse (den Ketten, den Gefängnismauern, den Wächtern) ist zwar die Freiheit dieses "matter in motion", sein "Recht auf alles" auszuüben, erheblich eingeschränkt, doch das Recht besteht nach wie vor (vgl. Le, S. 157 f.; 163 f.). Die ganze Verwirrung um das Ausmaß des natürlichen "Recht auf alles" ergibt sich vor allem aus der irrtümlichen Absolutsetzung dieses Rechts. Dabei ist das "Recht auf alles" nach der Hobbesschen Definition (vgl. Le, S. 99) von Anfang an zweckrational oder funktional reduziert auf die "Erhaltung der eigenen Natur". Es versteht sich von selbst, daß unter dieser Voraussetzung das "Recht auf alles" diejenigen Handlungen nicht einschließen kann, die gegen die "Erhaltung der eigenen Natur" und damit gegen die "Gesetz der Vernunft" - gerichtet sind oder sein können - was im Einzelfall jeweils von "eigenem Urteil und eigener Vernunft" abhängen wird.

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zen gab es bei den Menschen keine Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit, noch auch einen Wesensbegriff des allgemeinen Guten oder Schlechten, ebensowenig wie bei den Tieren" 159 ). Hobbes geht eben nicht davon aus, der Mensch sei von Natur aus "böse". 160 Hinsichtlich der menschlichen Handlungen im Naturzustand führt er im "Leviathan" (S. 97) aus: "Die Begierden und anderen menschlichen Leidenschaften sind an sich keine Sünde. Die aus diesen Leidenschaften entspringenden Handlungen sind es ebenfalls so lange nicht, bis die Menschen ein Gesetz kennen, das sie verbietet: solange keine Gesetze erlassen werden, können sie dieses Gesetz nicht kennen ...". 1 6 1 Wichtig ist allerdings, daß im Naturzustand die Anwendung jeglicher Mittel zur Selbsterhaltung insofern "rechtens" ist, als sie nicht "gegen die rechte Vernunft" sein kann (El, S. 98). Denn im Naturzustand ist durch "das Wort Recht nichts anderes bezeichnet als die Freiheit, die jeder hat, seine natürlichen Vermögen gemäß der rechten Vernunft zu gebrauchen" (Ci, S. 81). Umgekehrt kann es dann im Naturzustand auch kein "Unrecht" gegen irgend jemand geben - außer gegen sich selbst! (Ci, S. 82, Anm.). Im "Leviathan" (S. 98) heißt es in diesem Zusammenhang: "Eine weitere Folge dieses Krieges eines jeden gegen jeden ist, daß nichts ungerecht sein kann. Die Begriffe Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit haben hier keinen Platz. Wo keine allgemeine Gewalt ist, ist kein Gesetz, und wo kein Ge-

159 Eine Formulierung, die ohne eine Silbe zu verändern in jedem Lehrbuch der Soziobiologie Platz hätte. 160 Mit diesem Verzicht auf ein evaluative Bestimmung der menschlichen Natur unterscheidet sich Hobbes zumindest formal von Machiavelli, für den "im allgemeinen" galt: "Die Menschen sind undankbar, unbeständig, heuchlerisch, furchtsam und eigennützig. [...] Ohnehin wagen es die Menschen weniger, die zu verletzen, welche sie fürchten, als jene, welche sie lieben. Liebe wird bloß durch das Band des Anstandes erhalten, welches die Menschen, da sie schlecht sind, jedesmal zerreißen, wenn sie ihren Vorteil anderwärts finden" (1990, S. 95). Aus soziobiologischer Sicht hat Machiavelli mit diesem generellen Urteil natürlich Unrecht, da sich die sozialen, "altruistischen" Beziehungen zwischen Menschen nicht völlig auf kontingente und labile Anstandsregeln reduzieren lassen. Sein Verdikt gewinnt aber enorm an Plausibilität, sobald man die soziobiologische Ingroup-Outgroup-Differenzierung berücksichtigt. 161 Auch diese Formulierung dürfte Hobbes' bewußt in Anlehnung an das Paulus-Wort (Rom 4, 15) gewählt haben, wonach diejenigen nicht unter dem Gesetz - und damit der Fähigkeit zur Sünde - stehen, die das Gesetz nicht kennen; vgl. auch Le, S. 230: "Die fehlende Möglichkeit, das Gesetz zu kennen, entschuldigt völlig"; ähnlich auch Le, S. 233.

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setz ist, keine Ungerechtigkeit. Gewalt und Betrug sind im Krieg die beiden Kardinal tugenden". 1 6 2 Vor dem Hintergrund der Hobbesschen Recht-auf-alles-These erscheint es jedenfalls nicht als sonderlich überraschend, daß bereits Friedrich Engels davon ausging, die "ganze darwinistische Lehre vom Kampf ums Dasein [sei] einfach die Übertragung der Hobbesschen Lehre vom bellum omnium contra omnes und der bürgerlich-ökonomischen von der Konkurrenz, nebst der Malthusschen Bevölkerungstheorie, aus der Gesellschaft in die belebte Natur".! 63 Allerdings bestreitet er die "unbedingte Berechtigung" dieser Übertragung. Wichtiger ist ihm aber noch die Kritik an der Rückübertragung dieser Theorien aus der Natur in die menschliche Gesellschaft, die dann mit der Behauptung einhergeht, "man habe ihre Gültigkeit als ewige Gesetze der menschlichen Gesellschaft nachgewiesen". Ihm erscheint die "Kindlichkeit" dieses interpretativen Aktes so augenscheinlich, daß er "kein Wort darüber ... verlieren" will - was natürlich auch eine fragwürdige Diskursstrategie i s t . 1 6 4 162 Insofern hat Carmichael (1988, S. 267) sicher recht, wenn er darauf besteht, das natürliche Recht auf Selbsterhaltung sei "the Standard of justification par excellence" und als solches "prior to any duties of natural law". Problematisch ist allerdings in diesem Zusammenhang Hobbes' einschränkende Bemerkung, im Naturzustand könne es gleichwohl "Sünde gegen Gott und die Verletzung der natürlichen Gesetze" geben (vgl. El, S. 143, Ziff. 3). Denn erstens ist es doch höchst unwahrscheinlich, daß die Menschen im Naturzustand zu einer Erkenntnis Gottes und seiner Gebote fähig sein könnten; und zweitens wäre es - diese Erkenntnisfahigkeit vorausgesetzt - für den einzelnen doch im Zweifelsfall unvernünftig - und damit wider das natürlich Recht auf Selbsterhaltung -, wenn er den moralischen Geboten Gottes gehorchen und etwa Nächstenliebe praktizieren würde. Denn wer garantiert ihm, daß der andere dies auch tut? Die einzig denkbare Verletzung des natürlichen Gesetzes ist die Mißachtung der eigenen Selbsterhaltung als dem primären und alles andere relativierenden Prinzip. Daraus folgt, daß sich "Sünde gegen Gott" und "Verletzung des natürlichen Gesetzes" im Naturzustand nicht widerspruchsfrei nebeneinander denken lassen. Wenn jemand den Gesetzen Gottes gehorcht und sich moralisch verhält, dann verletzt er mit hoher Wahrscheinlichkeit sein natürliches Recht auf Selbsterhaltung, weil jeder andere seine Moralität als reine Schwäche ausnutzen könnte. Handelt er aber radikal egoistisch nach dem Prinzip der Selbsterhaltung, dann kann er unmöglich im Einklang mit den göttlichen moralischen Geboten leben (siehe zu diesem Problem auch unten, Kap. 1.6). 163 Marx/Engels, 1990^, S. 480; vgl. zu diesem Aspekt der Neubelebung und Aktualisierung der Lehren Hobbes' durch Darwin auch Wrong, 1984, S. 211 f.; McLean, 1985, S. 45 f. 164 Engels ist damit ein Vorläufer jener Kritiker der Ethologie und Soziobiologie des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls direkte Natur-Gesellschaft-Analogien sowie Kultur-Na-

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Kant hält die Hobbessche Lehre vom "bellum omnium contra omnes" im Naturzustand prinzipiell für richtig, möchte aber "bellum" durch "status belli" ersetzen, da eben im Naturzustand nicht "jederzeit wirkliche Feindseligkeiten herrschen", gleichwohl aber der Naturzustand "ein Kriegszustand ist, in dem jedermann wider jedermann beständig gerüstet sein muß". 165 Aber auch Hobbes hat nie behauptet, es müsse im Naturzustand notwendig zu einem Beständigen "Hauen und Stechen" kommen; sein Begriff des Krieges ist wesentlich weiter und umfaßt auch den "status belli" Kants: "Denn Krieg besteht nicht nur in Schlachten und Kampfhandlungen, sondern in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist" (Le, S. 96; vgl. entspr. Ci, S. 83 f.). Aus soziobiologischer Sicht erscheint es gleichwohl ratsam, nochmals ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß auch die Hobbessche Lehre vom "Krieg aller gegen alle" einer prinzipiellen Modifizierung bzw. Korrektur bedarf: (1) Die radikal-individualistische These vom "bellum omnium contra omnes" ist als fundamental falsche Grundannahme einer philosophischen Anthropologie zu verwerfen. Sie ist nicht nur empirisch unhaltbar, sondern - was in Teil II noch näher zu begründen ist - auch als rein theoretischabstrakter Basissatz ungeeignet, darauf eine logisch konsistente Theorie des Staates aufzubauen. (2) Menschen sind natürliche Konflikt- und Sozialwesen. Innerhalb einer Sozietät wird die Aggressionskompetenz der Menschen, die sich unmittelbar aus der Konkurrenzsituation um knappe Ressourcen ergibt, durch angeborene soziale Neigungen und - darauf aufbauende - soziale Konditionierung gleichsam "entschärft". Der vielschichtige explorative Konkurrenzkampf um die begehrten Ressourcen führt allerdings innerhalb von Sozietäten zur Ausbildung natürlicher Rangordnungen bzw. sozialer Hierarchien. 166 Das Verhältnis zwischen den urtümlichen Kleingruppen ist dagegen geprägt durch Aggressivität, die Bereitschaft zu

tur-Reduktionismen prinzipiell und kategorisch für unzulässig halten; siehe dazu Einleitung, Fußnoten 33, 52. 165 Kant, 1978 2 , VIII, S. 756 (B 135). 166 Zur differenzierten Beurteilung des Rangordnungs- und Dominanzverhaltens siehe Bühl, 1976, S. 145 f. sowie die dort angegebene ethologische Fachliteratur.

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Vernichtung und Genozid. 167 Der Naturzustand ist der Zustand des Aller-gegen-Alle-Krieges - der Genpools.

5. Zur Kritik Da die (Human-)Soziobiologie den Anspruch erhebt, Naturwissenschaft zu sein bzw., sich auf naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse zu stützen, ist es hier zunächst angebracht, auf eines der größten, wenn nicht das größte Defizit der Soziobiologie bzw. Evolutionären Ethik hinzuweisen - nämlich auf den Mangel an empirischem Material, mit dem sie die Existenz und Wirksamkeit angeborener Verhaltensdispositionen bzw. "Verhaltens-Gene" im Menschen objektiv nachweisen könnten. In diesem Zusammenhang führt Dieter E. Zimmer - alles andere als ein Gegner der Soziobiologie bzw. Evolutionären Ethik - treffend aus: "Was Empirie heute liefern kann, sind keine letztgültigen Beweise ('hier siehst du das Gen, dort entsteht ein Protein, und da verstärkt es die Synapsen eines bestimmten neuralen Regelkreises'), sondern Indizien. Das Schöne an den empirischen Wissenschaften ist, daß sie darauf ausgehen, Indizien an den Tag zu fördern, die so stark sind, daß sich ihnen auch der nicht entziehen kann, der eigentlich das Gegenteil gemeint oder erwartet oder erwünscht hätte. Aber bis dahin ist oft ein langer Weg, und bis das Ziel erreicht ist, muß man das Beste aus schwächeren Indizien machen. Dabei kommt viel Ermessen ins Spiel". 168 Selbst wenn man also von 167 Siehe dazu Mohr, 1987, S. 83 f.; Vogel, 1989, S. 97-126 (zur Bedeutung der "Blutrache" insbes. S. 110 ff. ["Blutrache ... war und ist eine Art 'Selbsthilfe' auf biogenetischer Verwandtschaftsbasis, solange es keine sozial allgemein anerkannte und/oder effektiv durchgreifende Legislative, Jurisdiktion und Exekutive gab bzw. gibt"]; zum Krieg, S. 113-126). 168 Zimmer, 1989, S. 58; siehe dazu auch ders., 1979, S. 10 f., 205 f.: "Es ist wohl richtig, daß die Evolutionsbiologie in ihrem heutigen Stand vorwiegend nur naheliegende Vermutungen äußern und nicht schwarz auf weiß beweisen kann, diese oder jene Disposition zu sozialem Verhalten sei vorgegeben und müsse als solche akzeptiert und in das Fundament jeder Gesellschaftstheorie eingebaut werden"; vgl. auch Hemminger, 1983, S. 29 f.; Hegselmann, 1989, S. 26 f.; Koslowski (1984, S. 67) hält der Soziobiologie in diesem Zusammenhang (zurecht) vor, die "Vorwegnahme von Forschungsergebnissen, die man vielleicht einmal haben wird, als bereits erwiesene, [sei] in einer Sozialtheorie von der Tragweite der Soziobiologie wissenschaftstheoretisch und vom Standpunkt einer Ethik theoretischer Freiheit aus nicht zu rechtfertigen"; allerdings räumt Koslowski auch ein, die Evolutionstheorie/Soziobiologie sei bei der Erklärung theoretischer Phänomene offensichtlich ausgesprochen erfolgreich; vgl. ebd., S. 56 f.; ähnlich argumentiert Irrgang

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der "Tatsache der Evolution" ausgeht und den Menschen ganzheitlich als ein Produkt dieser Evolution betrachtet, hat man immer noch keinen Beweis dafür, daß im heutigen Menschen angeborene Verhaltensdispositionen noch in nennenswerter Weise existent und wirksam sind, ob er sie kulturell lediglich überformt, transformiert, modifiziert oder aber im Sinne einer echten Loslösung "transzendiert" hat. Dieses (zumindest vorläufig noch bestehende) empirische Manko der Soziobiologie/Evolutionären Ethik schmälert sicher ihren (natur-)wissenschaftlichen Wert. Andererseits ist freilich mit dem Hinweis auf die Dürftigkeit des empirischen Materials weder die Falschheit der Hypothese bewiesen, menschliche Moral basiere auf genetischen Grundlagen, noch die Falschheit der Auffassung vom vor-moralischen, von Instinkten oder Instinktresten gesteuerten menschlichen Verhalten. 169 Tatsache ist aber offenbar, daß auch die Soziobiologie (zumindest was ihren derzeitigen Forschungsstand im Hinblick auf den Menschen anbelangt) im Wesentlichen eine deutende und spekulative Disziplin ist, deren theoretische Fundamente und Erklärungsansprüche rein hypothetischen Charakter tragen. In Konkurrenz zu anderen Erklärungsversuchen menschlichen Verhaltens wird man jedoch Zimmer in der Meinung zustimmen können, "die begründeten Vermutungen der Humansoziobiologen und Humanethologen [seien] von einer geradezu bestechend detaillierten Präzision". 170 Ähnlich argumentiert Gehlen, der speziell hinsichtlich der innerartlichen Aggression ("Territorialität", soziale (1985, S. 233), die "Bestimmung des Anteils der genetischen Prädisposition an der Ausbildung einer konkreten Verhaltensweise [sei] bisher nicht einwandfrei gelungen ... Allerdings sollte man daraus nicht schließen, dieser biologische Anteil am menschlichen Sozialverhalten sei als sehr gering anzusetzen"; vgl. auch Wilson, 1979, S. 192 f.; Knapp, 1989, S. 58. 169 Und mit Kant (1978, S. 85) wird man als Soziobiologe argumentieren können, es müsse "wohl erlaubt" sein, im "Fortgange einer Geschichte Mutmaßungen einzustreuen, um Lücken in den Nachrichten aufzufüllen ...: weil das Vorhergehende, als entfernte Ursache, und das Nachfolgende, als Wirkung, eine ziemlich sichere Leitung zur Entdeckung der Mittelursachen abgeben kann, um den Übergang begreiflich zu machen". Ausdrücklich hält Kant dies für den "ersten Anfang" der Menschengeschichte für möglich, auch wenn er seinerseits einräumt, mit dieser Schrift eine "bloße Lustreise" (ebd.) zu wagen. Und so wie Kant "Schritt für Schritt nachsehen [will], ob der Weg, den Philosophie nach Begriffen nimmt, mit dem, welchen die Geschichte [I. Mose Kap. II bis VI] angibt, zusammentreffe" (ebd., S. 86), so muß heute auch die Überprüfung statthaft sein, ob und wie weit der philosophisch-begriffliche Weg mit dem evolutionsbiologisch-rekonstruierenden übereinstimmt bzw. stringent und plausibel in Übereinstimmung gebracht werden kann. 170 Zimmer, 1979, S. 206.

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"Rangklassen", "raumgebundene Intoleranz" usw.) davon ausgeht, an deren Wirksamkeit könne - nach den Forschungsergebnissen der Ethologie der letzten Jahrzehnte - "kein Zweifel bestehen".171 Im gleichen, aber betont pragmatischen Sinne geht Mohr davon aus, wir müßten "damit rechnen, ..., daß im Menschen verschiedene Verhaltensstrategien vorprogrammiert sind"; und er fährt fort: "Wir müssen moralisch und politisch mit dieser Verhaltensstrategie rechnen, alles andere ist Augenwischerei und Leichtsinn, der tödliche Leichtsinn, den die Affluenz hervorbringt".172

5.1 Wider den Reduktionismus oder Die These vom "transanimalischen" Menschen Eines der am heftigsten und emotionalsten diskutierten Probleme, die sich aus der soziobiologischen Wesensbestimmung des Menschen ergeben, lautet, inwiefern der Mensch sich dann, wenn er wie jeder andere Organismus ein vollständig natürliches Evolutionsprodukt ist, wenn alle seine Systemeigenschaften Ergebnisse des evolutiven Selektionsprozesses sind und er nach wie vor genetischen Determinanten unterliegt, noch vom Tier unterscheiden läßt. Das gleiche Problem ergibt sich auch für die materialistisch-mechanizistische Wesensbestimmung durch Hobbes: Wenn sich menschliche Erkenntnis und Willensbildung kausalmechanisch erklären lassen, inwiefern sollten sie dann noch von tierischem Erkennen und "Wollen" unterscheidbar sein? Für Hobbes ist weder die menschliche "Klugheit" ein Unterscheidungskriterium zum Tier (vgl. Le, S. 22), noch der "Wille" (vgl. Co, S. 151), erst recht nicht so etwas wie eine natürliche Moral (die Könige zählen "zum Geschlecht der Raubtiere"; das römische Volk war ein "reißendes Tier"; der Mensch "ist ein Wolf für den Menschen"; Ci, S. 59), sondern alleine die "Sprache" (vgl. Ci, S. 14 f., 17 f., 92) und die "Vernunft", die hier als die Fähigkeit zur Antizipation zu verstehen ist (vgl. Ho, S. 17 17 3). 174 171 Vgl. Gehlen, 1986 5 , S. 43 ff. 172 Mohr, 1983, S. 21. 173 Zu diesem Argument und seiner zentralen Bedeutung für Hobbes' Anthropologie siehe Weiß, 1980, S. 104 f.; Freund, J., 1982, S. 110 f. 174 Zur These, Hobbes habe - im Gegensatz zu Descartes - keine grundsätzliche, qualitative Differenz zwischen Mensch und Tier angenommen, vgl. Goldenbaum, 1988, S. 413. Hungerland (1989, S. 39) sieht in Hobbes "the only philosopher even though he lived before Darwin to look at us as animals not as in the Christian view as creatures midway between the animals and the angels"; zu Darwins These, "der Unterschied zwischen den Seelen der Menschen und der höheren Tiere ... [sei] nur ein gradueller und kein prinzipieller", siehe Darwin, 1982^, S. 160.

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Für eine konsequent von ihren Grundhypothesen (!) aus argumentierenden Soziobiologie stellt sich heute in der Tat die Frage, ob Spekulationen über das "Transanimalische" im Menschen noch sonderlich sinnvoll sein können. Der Mensch mag eine Systemeigenschaft wie die "Vernunft" aufweisen, die sonst kein irdischer Organismus (in diesem Maße) besitzt. Doch inwiefern rechtfertigt dieses menschliche Spezifikum, diese nicht zu bestreitende "Besonderheit", die Bezeichnung "transanimalisch"?175 Inwiefern läßt der Umstand, daß individuelle genetische Anlagen sich in einer bestimmten Kultur entfalten und konkretisieren, durch Kultur "überformt" werden, den zwingenden Schluß zu, damit "erhebe" sich der Mensch über die Natur?176 Woher will man ein objektives Unterscheidungskriterium nehmen? Bedürfte es dazu nicht auch des berühmten "externen" Betrachterstandpunktes, der uns aber nun einmal nicht zugänglich ist? Ebensogut könnte - wenn sie könnte - die Fledermaus geltend machen, daß sie schließlich - im Gegensatz zum Menschentier - fliegen könne und über ein phänomenales Orientierungsorgan verfüge; deshalb sei sie als Fledermaus "transanimalisch".177 Die menschliche Vernunft samt ihren mannigfaltigen kulturellen "Emanationen" ist (bisher) 175 Zu den einschlägigen Argumenten ßr das "transanimalische" Wesen des Menschen siehe v.a. die knappe und übersichtliche Darstellung bei Knapp, 1989, S. 97-110. Natürlich kann man hier mit dem dialektischen Theorem vom "Umschlagen der Quantität in Qualität" operieren und argumentieren, alleine diese "vielfaltige Sonderstellung des Menschen im Reich der Lebewesen" (Knapp, 1989, S. 96; vgl. auch Bucher, 1992, S. 109 f.; aber auch die differenzierteren Überlegungen bei Lorenz, 1977, S. 212-217) rechtfertige es, ihn als eine eigenständige, gegenüber allen anderen Tieren qualitativ "höher" entwickelte Spezies zu bezeichnen, doch stellt sich dann die Frage, ob dieses Argument nicht eher der (besonderen!) menschlichen Eitelkeit zuzuschreiben ist. Aber auch diese - und damit das menschliche Selbstverständnis als "höheres" Wesen - kann schließlich als (bisher!) adaptive Anpassungsleistung erklärt werden (vgl. dazu Lay, 1991, S. 96 ff., 100 f.). 176 Bühl, 1976, S. 143. Ebensogut könnte man argumentieren, ein kunstvoll bearbeiteter, geschliffener Diamant sei kein Diamant mehr (oder gar - mit Darwin [vgl. 1982^, S. 171 ff., 185 ff.] ein zivilisierter Westeuropäer sei ein "höherwertiger" Mensch als ein amerikanischer "Wilder"). Wenn ein wesentliches Merkmal des Menschen seine "natürliche Künstlichkeit" ist, dann ist Kultur eben nicht trans-natürlich, und die behauptete "nature-nurture"-Differenzierung ist ebenso aufzugeben wie die zwischen Tier und Mensch (vgl. Phocas, 1986, S. 143). 177 Zu ähnlichen Beispielen siehe Sommer, V., 1993, S. 10; auch er fände es höchst begrüßenswert, "wenn wir nicht nur begriffen, daß der Mensch ein Tier ist ..., sondern wenn wir darüber hinaus überhaupt aufhörten mit der unseligen Trennung zwischen 'dem Menschen' und 'dem Tier'".

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eine adaptive Anpassungsleistung, die dem gleichen Zweck (im teleonomen Sinne!) dient wie das Orientierungssystem der Fledermaus - "Unser Intellekt ist ein Werkzeug". 178 Goethes Wort: "Er nennt's Vernunft und braucht's allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein"179, welches das "Problem" punktgenau trifft, lautet übersetzt in die Sprache der Soziobiologen, daß der Mensch seine '"stupende Intelligenz' nach wie vor in erster Linie dazu [verwendet], mit seinen neuen kulturellen Mitteln das alte darwinische Fitness-Rennen nur um so rasanter ... fortzusetzen".180 Weil der Mensch weiß, daß er ein Tier ist (Wer ist sich dessen bewußt, läßt dieses Wissen zu?), so ist er deshalb nicht automatisch, nicht unmittelbar seiner eigenen Tierheit enthoben, sondern bleibt was er ist: das vernunftbegabte Tier. Die Antwort der Soziobiologen auf die Frage nach dem "Transanimalischen" im Menschen muß daher konsequenterweise lauten: Ein 178 Nietzsche, 1985, II, S. 168; vgl. auch ebd., S. 178, 182: "Der Mensch als Gattung stellt keinen Fortschritt im Vergleich zu irgendeinem anderen Tier dar". 179 Faust I, 285 f.; vgl. auch Kant (1978 2 , XI, S. 354 f., A 137 ff.), der hier aus der Sicht eines moralischen "Abderitismus" argumentiert, das "Possenspiel" des Menschen "mit sich selbst auf diesem Glob" scheine von dem der Tiere lediglich dadurch unterschieden zu sein, daß die Tiere "dieses Spiel mit weniger Kosten und ohne Verstandesaufwand treiben". Auch in seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" weiß Kant hinsichtlich dem menschlichen "Tun und Lassen auf der großen Weltbühne" nicht, "was man sich von unserer auf ihre Vorzüge so eingebildeten Gattung für einen Begriff machen soll" (Kant, 1978^, XI, S. 34, A 387/388; ähnlich ebd., S. 166, A 273 ff.). Und eines seines Stammbuchblätter (AA, Bd. 12, S. 415) lautet: "Ob es vielleicht vom Stolz verführt den meisten Menschen nicht so scheinet // so ist der Mensch doch in der Tat nichts anders als ein Thier das meinet". 180 Vogel, 1986, S. 502; entspr. Wilson (1979, S. 10), für den der menschliche Geist ein Mittel des "Überlebens und der Reproduktion" ist. Dieses Problem des "unvermeidlichen Widerstreits]" zwischen dem Menschen als Natur- und als Kulturwesen war auch Kant - für den bekanntlich die Vernunft den "Übergang aus der Rohigkeit eines bloß tierischen Geschöpfes in die Menschheit" ermöglicht (1978, XI, S. 92 [A 13]) - bereits sehr bewußt. Er sieht klar, daß die Natur "ihren Zeitpunkt der Reife nicht zugleich mit dem Fortschritte der gesellschaftlichen Verfeinerung verändert, sondern ... hartnäckig ihr Gesetz [befolgt], welches sie auf die Erhaltung der Menschengattung als Tiergattung gestellet hat" (1978, XI, S. 94). Der bloße Verweis auf "jene Gabe" der Vernunft, die den Menschen "grundsätzlich vom Tier unterscheidet und die zugleich jeden Vergleich der menschlichen Gesellschaft mit Insektenstaate [sie!], Tierrudeln und Affenhorden verbietet" (Benjowski, 1990, S. 239), ist daher in dieser apodiktischen Form als reine Immunisierungsstrategie zu verwerfen.

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typologisch-definitorischer Unterschied zwischen Tier und Mensch besteht nicht; das wesentlich "Menschliche" ist nur phänomenologisch über eine "Kerndefinition" mit entsprechenden "Randunschärfen" beschreibbar. 181 Die üblicherweise - und eben auch von Hobbes - genannten wichtigsten Unterscheidungsmerkmale wie "reflexives Bewußtsein", "Sprache", "Kultur" und "Moralität" sind dann, wenn sie sich als evolutive Anpassungsleistungen funktional erklären lassen, ebenfalls bloß phänomenologischer, nicht jedoch prinzipieller Art. 1 8 2 Wenn man davon ausgeht, daß die (materialistische) Evolutionstheorie zutrifft, der Mensch - wie alle anderen Organismen auch - als "selbstorganisiertes System ohne übergeordneten Macher" ein ganzheitliches Produkt der biologischen Evolution ist, dann bleibt als konsequenter Schluß nur, daß wir folglich auch ganz und gar "Biologie" sind. Aber dies muß nun nicht bedeuten, menschliches Verhalten könnte immer und überall unmittelbar und monokausal nach einem simplen Reiz-Reaktions-Muster auf eine biologische bzw. genetische Ursache reduziert werden. Die Ursachen für ein bestimmtes menschliches Verhalten dürften vielmehr in aller Regel multikausal sein. 1 8 3 Dennoch gilt - sofern man die evolutionstheoretischen Prämissen ernst 181 Vgl. dazu Vogel/Pannenberg 1989, S. 165 ff.; Kattman, 1990, S. 66-69; Phocas, 1986, S. 137; zur Kritik Schubert, 1989, S. 356 ff. Mit Konrad Lorenz (1983, S. 216) könnte man also hier auf die "Zwischen"-Stellung des rezenten Menschen verweisen: "Das langgesuchte Zwischenglied zwischen dem Tiere und dem wahrhaft

humanen Menschen - sind wir!". 182 Vgl. etwa Ruse, 1989, S. 214: "morality is a remarkably efficient biological adaptation enabling humans to interact socially to their own best biological advantage. This is answer enough to the nature of morality"; und an anderer Stelle (ebd., S. 221) heißt es noch deutlicher: "morality is a collective illusion of the human species" (vgl. ders., 1993, S. 163 ff.). Genau diese Auffassung vertrat bereits Nietzsche, für den "Moral ein nützlicher Irrtum" war (1985, II, S. 90). Vgl. auch Alexander, 1981b, S. 311: "culture is no more or less than the outcome of inclusive-fitnessmaximizing behavior by all of the individuals who have lived during history"; ebs. Phocas, 1986, S. 133-153. 183 Als Beispiel sei nur verwiesen auf die ethologische Unterscheidung zwischen "proximate causes" und "ultimate causes" eines Verhaltens. Die Frage nach den unmittelbaren Ursachen eines Verhaltens zielt dabei eher auf eine vordergründig-phänomenolgische Verhaltenserklärung (Welches sind die unmittelbaren, in einer konkreten Situation beobachtbaren [externen und intern-physiologischen] Ursachen eines Verhaltens?), während die Frage nach den mittelbaren oder sekundären Ursachen an der Aufklärung der "Tiefendimension" bestimmter Verhaltensweisen interessiert ist (Welche evolutive Funktion erfüllt eine Verhaltensweise; inwiefern ist sie adaptiv?); siehe dazu Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 21 (sowie die dort angegebene ethologische Spezialliteratur).

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nimmt -: Auch ein Verhalten, das aus einem rationalen Diskurs oder einer gründlichen rationalen Reflexion resultiert, kann nicht in einem absoluten Sinne "frei" von biologischen Grundlagen sein; dies alleine schon deshalb, weil auch Sprache und Bewußtsein - und aus ihnen resultierend menschliche Kultur, Sitte und Moral - in einer konsequenten Evolutionstheorie als biologische Anpassungsleistungen angesehen werden müssen, deren teleonomer "Zweck" die Tauglichkeitsmaximierung ist. Vorsichtige Formulierungen wie die, die Faktizität menschlicher Kultur sowie deren Einfluß auf unser Verhalten durch "Sprache, Bräuche, Normen, durch Tradition und Erziehung" lasse nicht den Schluß zu, der Mensch sei dadurch der biologischen Betrachtung vollständig "entrückt" bzw. "Biologie spiele in unserem Sozialverhalten gar keine Rolle (mehr)" 184 , erscheinen aus dieser konsequenten Sicht als halbherzig. Daß aus dieser Sichtweise keineswegs das Monstrum eines vulgären normativen Biologismus - und in dessen Gefolge eine konservative oder gar reaktionäre und chauvinistische politische Gesinnung 185 - folgt bzw. folgen muß, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit hoffentlich deutlich werden. Ebensowenig leuchtet ein, inwiefern die konsequente evolutionstheoretische Einbeziehung des Menschen in den Bereich des Organischen notwendig auf seine völlige "Entwertung" hinauslaufen muß. Die Erde ist - seit Kopernikus (sowie Bruno, Galilei, Kepler und schließlich Newton) - nicht mehr das Zentrum des Universums, und der Mensch - spätestens seit Darwin - nicht mehr die unumstrittene "Krone der Schöpfung", seit Freud nicht einmal mehr "Herr in seinem eigenen Haus". Diese Akte der "Entzauberung" der Welt waren und sind sicher nicht geeignet, der menschlichen Eitelkeit zu schmeicheln, jener "Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: 184 Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 15; vgl. auch ebd., S. 23 f. 185 Zur Gefährlichkeit dieses in der Soziobiologie zweifellos auch implizierten Potentials siehe v.a. Benjowski, 1990, S. 237 ff.; allerdings ist dieser Beitrag auch ein Paradebeispiel für die pauschale und undifferenzierte Totalverdammung der Soziobiologie. Auch Irrgang (1985, S. 227) konstatiert den "faschistischen Charakter der Soziobiologie" - allerdings ohne diese Behauptung näher zu begründen; zu den Gefahren des "abuse of this kind of theorising" siehe auch Falger, 1987, S. 249 f.; ebs. Wuketits, 1993, S. 47 f., 56; siehe auch Vogel, 1990, S. 124 ff. Schubert, M. (1989, S. 353) behauptet zum Beispiel mit Blick auf Arbeiten von Dawkins (1976), Wilson (1979) und Wickler/Seibt (1977), sie "proklamierten die unumschränkte Herrschaft der Gene über Menschen mit zum Teil scharfen faschistoiden und antikommunistischen Implikationen". Als Beispiel für eine mit kritischer Vorsicht zu genießende Arbeit über "Biologie und Politik" sei etwa Hormann (1985) genannt (vgl. etwa seine Abrechnung mit der "Toleranz", S. 78 ff., bzw. dem "Gleichheitstraum", S. 100 ff.).

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der Distanz sich selbst gegenüber". 186 Das gleiche gilt natürlich auch für die ethologisch-soziobiologische Total-Einbeziehung des Menschen in den Bereich des Natürlich-Organischen. Aber die (Freudsche) Frage ist auch heute legitim, inwiefern eine auf (möglichen) Trugbildern und Einbildung begründete Apotheose des Menschen "wertvoller" sein sollte als ein zwar sehr bescheidenes und ohne Zweifel in mancherlei Hinsicht desillusionierendes, dafür aber sachliches und realistisches Bild dieses Lebewesens, das vor allem auch einen nüchternen und distanzierten Blick auf seine Defizite und Beschränkungen zuläßt. 187 Sollte es die primäre Aufgabe eines Menschenbildes sein - erst recht dann, wenn es Wissenschaftlichkeit beansprucht -, der Befindlichkeit des Menschen, seinem Selbstwertgefühl, seinem Selbstverständnis als "höheres Wesen" zu dienen? Exakt darauf laufen aber Argumentationen wie die von Knapp oder Koslowski hinaus, die das evolutionäre Menschen- und Weltbild in lebenspraktischer Hinsicht (oder Absicht) förmlich gegen das christliche ausspielen und zu dem - wenig überraschenden - Ergebnis gelangen, das letztere ermögliche doch eine wesentlich sympathischere Vorstellung von "Wert" und "Würde" des Menschen "als eines freien und ethisch handelnden Wesens" 188 , während das von den Soziobiologen entwickelte Menschenbild, das im unbewiesenen und unbeweisbaren Materialismus letztlich wie andere Menschenbilder auch eine metaphysische oder 186 Weber, 1988 5 , S. 546; zu diesem Aspekt der Eitelkeit vgl. auch Barash, 1981, S. 65; zu den diversen wissenschaftlichen "Kränkungen" des Menschen siehe (durchaus kritisch) Vollmer, G., 1992, insb. S. 126-132. Bereits Konrad Lorenz äußerte die Vermutung, die Menschen fürchteten die "kausale Betrachtungsweise deshalb so sehr, weil sie von der törichten Angst gepeinigt werden, restlose Einsicht in die Ursachen des Weltgeschehens könnte den freien Willen des Menschen als Illusion entlarven" (Lorenz, 1983, S. 218). 187 So plädiert auch Phocas (1986, S. 143) dafür, die "willkürliche Trennung zwischen Mensch und Tier" aufzugeben, da es für diese ohnehin "außer menschlicher Überheblichkeit keinen Anhaltspunkt" gebe. Zur "Entlarvung" der These von der menschlichen "Sonderstellung" als - freilich (bisher!) adaptivem - "Selbstbetrug" siehe auch Sommer, V., 1993, S. 7 ff.; vgl. Richards, 1986, S. 273; zum Vorschlag, einen "konsequente[n] Naturalismus" als Alternative zum "traditionellen Mittelpunktsdenken" zu setzen, siehe Vollmer, G., 1992, S. 131; drastischer argumentieren Ruse, 1986, S. 95: "We humans are modified monkeys, not the favored creation of a benevolent God, on the sixth day" (vgl. ders., 1993, S. 153) und Wuketits, 1993b, S. 9, 52, 156 ff.: "Wir Menschen sind Affen und verhalten uns auch so". 188 Knapp, 1993, S. 131-140; Koslowski, 1984, S. 70 ff.; vgl. auch Bucher, 1992, S. 109-129.

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mythische Grundlage habe, im Vergleich mit diesem (und anderen) religiösteleologischen Menschenbild so trostlos und negativ sei, daß es wesentlich weniger als diese geeignet sei, zur "Begründung eines guten Lebens in einer gerechten Gesellschaft" beizutragen.189 Wenn aber andere, "sympathischere" Menschenbilder in dieser praktischen Hinsicht mehr zu leisten vermögen (bzw. dies zumindest versprechen), wieso sollte man dann nicht ein düsteres, "allgemein verrufen[es]" 190 Menschenbild wie das Hobbessche oder soziobiologische verwerfen, auch wenn es zugegebenermaßen "erfolgreicher in der Erklärung theoretischer Phänomene" ist?191 Für die lebens- bzw. alltagspraktische Ebene scheint dieses Argument durchaus stichhaltig zu sein, da es für den einzelnen im Interesse seiner "fitness" in der Tat "besser" sein kann, an die unbeschränkte Freiheit seines Willens, die besondere Würde und evolutionäre "Spitzenqualität" seines Wesens sowie den transzendenten Sinn seines Daseins zu glauben. 192 Doch was besagt dies zum einen für die Ebene des kritischen wissenschaftlichen Diskurses? Sollten - um diese Grundfrage wieder aufzugreifen - wissenschaftliche Theorien über den Menschen in erster Linie danach bewertet werden, wie "sympathisch" sie dem Alltagsdenken sind? Soll das Projekt "Erkenne dich selbst!" von vorne herein nur auf solche Ergebnisse angelegt sein, die man erkennen will, weil man sie am leichtesten aushalten, mit dem eigenen Be-

189 Koslowski, 1984, S. 71; vgl. zur moraltheologischen Kritik am soziobiologischen Welt- und Menschenbild auch Knapp, 1989, S. 170 ff., 176 ff., 240-248, 267-301; zur entsprechend motivierten, früh einsetzenden und lange vorherrschenden negativen Rezeption der Hobbesschen Philosophie vgl. Willms, 1987, S. 15 ff., 45-52, 217 ff.; Kersting, 1992, S. 187 ff.; v. a. natürlich auch die einschlägigen Arbeiten von Mintz (1975) sowie Bowle (1951). 190 Wie Hobbes selbst in einem Brief an Godolphin einräumt (Le, S. 3). 191 Koslowski, 1985, S. 71. 192 Vgl. dazu v.a. Wickler, 1981; zum Adaptionswert von Religionen sowie den Zehn Geboten als "soziobiologischefn] Verhaltensregeln" vgl. auch Phocas, 1986, S. 157 f. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang zum einen Hobbes' Ansicht über den Ursprung der Religion, da diese mit soziobiologischen Deutungen des Phänomens prinzipiell in Einklang steht: "Furcht vor unsichtbaren Dingen ist der natürliche Keim dessen, was jedermann bei sich selbst Religion nennt" (Le, S. 81, vgl. S. 44). Und darüber hinaus wird natürlich vor dem Hintergrund des soziobiologischen Versuchs, die "Gesetze Gottes" als rein natürliche "Gesetze der Fitness-Maximierung" umzuinterpretieren, insbesondere Hobbes' umgekehrter Versuch wieder höchst aktuell, die "Gesetze der Natur" als identisch mit dem "Gesetz Gottes" zu belegen (vgl. Ci, Kap. 4, S. 114-123).

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dürfnishaushalt am besten in Einklang bringen kann? 193 Zweitens: Ist nicht die Behauptung, religiös begründete Menschenbilder wie das christliche könnten bei der "Begründung eines guten Lebens" erfolgreicher sein als das hobbistisch-evolutionistische Menschenbild, insofern höchst problematisch, als etwa dieses christliche Welt- und Menschenbild zwar sicherlich besser geeignet ist, dem einzelnen Menschen eine sympathischere, wohltuendere und damit befriedigendere Antwort auf Letzt- und Sinnfragen zu geben. Doch inwiefern muß daraus ein "gutes Leben in einer gerechten Gesellschaft" folgen? Tatsache ist, daß sich zu Lebzeiten Hobbes' nicht nur im englischen Bürgerkrieg, sondern im gesamten alten deutschen Reich (Hobbes war Zeitzeuge des Dreißigjährigen Krieges!) die Vertreter christlicher Konfessionen mit derselben Bibel in der Hand die Schädel einschlugen und auch in Frankreich die Erinnerung an die verheerenden Hugenottenkriege des 16. Jahrhunderts noch höchst lebendig war. 1 9 4 Und mit Blick auf die nahezu vollständig säkularisierten Gesellschaften von heute erscheint die Hoffnung als ausgesprochen unrealistisch, daß z.B. die christliche Ethik noch konsensfähig oder verallgemeinerbar sein sollte.«« Im Sinne der hier (vgl. oben, Kap. 4.1) gefordeten Zurückhaltung der Evolutionstheorie und der Soziobiologie in allen letztlich metaphysischen Fragen sei jedoch als Kompromiß vorgeschlagen: Wer an das "Transanimalische" im Menschen glauben will, soll dies tun; wer nicht daran glaubt, soll diesen Glauben vertreten dürfen. Denn der Streit ist im Grunde müßig, weil objektiv unentscheidbar. Gefährlich sind nur die "Extremisten": auf der einen Seite die, die den Menschen zu einer reinen Reiz-Reaktionsmaschine ohne jeglichen Entscheidungs- und Wahlspielraum machen, ihn also im schlechten Sinne radikal "vertieren" wollen. Diese Position wäre im Hinblick auf die kritische Situation der heutigen Menschheit und das damit einhergehende Erfordernis einer universalen Ethik in der Tat nur geeignet, einen lähmenden, resignativen Fatalismus zu begründen. Auf der anderen Seite ist aber auch die Extrempo193 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage von Schaefer (1993, S. 129), ob Hobbes' "volksfremder Rationalismus in Kollision mit dem Mysterium des Glaubens dem Volk damals zugemutet werden konnte". 194 Die Souveränitätslehren Montaignes und Bodins, die in diesem Punkt ohne Zweifel direkte Vorläufer Hobbes' waren, lassen sich ohne weiteres auch als philosophischtheoretische Reaktionen auf die französischen Bürgerkriege bewerten; vgl. dazu Matz, 1981 6 , S. 125 f. 195 Was das grundsätzliche Problem bei Versuchen ist, eine "internationale Ethik" auf der Basis eines christlich-naturrechtlichen Weltbildes zu begründen (vgl. Weiler, 1986, S. X).

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sition zurückzuweisen, die den Menschen vollständig "ent-tieren" und jegliche Relevanz biologischer Determinanten für unser Denken, Fühlen und Handeln kategorisch bestreiten und in ihren ethischen Entwürfen ignorieren wollen. Sie laufen Gefahr, die Selbstüberhebung des Menschen zu befördern, ihn dadurch blind zu machen für die zumindest auch vorhandenen biologischen Grundlagen bzw. Rahmenbedingungen seines Denkens und Handelns und damit jene "pathologische Sorglosigkeit" zu verstärken, mit der die Menschheit sehenden Auges und doch blindlings in ihr Verderben zu rennen droht. 196 Die heilsame Funktion der Soziobiologie könnte also hier darin bestehen, dieser gefahrlichen Selbstüberhebung entgegenzuwirken und den Menschen zu einem bescheideneren, zugleich aber auch angemesseneren Bild von sich selbst und seiner Rolle in der Welt zu verhelfen.

5.1.1 Der Mensch als das "Ding das denkt" - Bemerkungen zum Körper: Geist-Problem Der für die Etikettierung "transanimalisch" und auch "transmateriell" wichtigste Kandidat unter den menschlichen Systemeigenschaften ist ohne Zweifel das menschliche Bewußtsein, seine Fähigkeit zu rationaler Reflexion, sein "Geist". Die '"Irreduktibilität des Menschen auf bloß Materiell-Biologisches, unbeschadet seines realen Zusammenhangs mit der biologischen Gesamtevolution, [erscheint] gesichert durch das Wissen des Menschen 'von innen her' über seine Transzendentalität, seine Geistigkeit und Freiheit'". 197 Doch inwiefern läßt jenes "Wissen 'von innen her'" (dessen epistemologischer Status höchst unklar ist) von Freiheit und Transzendenz den zwingenden Schluß auf deren Realität als immaterielle "Entitäten" bzw. als transzendentale - wenngleich mit den Mitteln der theoretischen (Kantisch: spekulativen) Vernunft nicht in strengem Sinn zu erfassenden - anthropogene Eigenschaften zu?i9« Der These vom transmateriellen menschlichen Geist steht die konsequente materialistisch-naturwissenschaftliche Auffassung entgegen, wonach "das 196 Zur "Gefährlichkeit" dieser letzteren Extremposition in der Moralphilosophie siehe etwa Hungerland, 1989, S. 39, 45-48. Zur "pathologischen Sorglosigkeit" siehe Mohr, 1986, S. 8. 197 So der Theologe Karl Rahner, zitiert nach Mohr, 1987, S. 17. 198 Diese liefe im Prinzip auf einen "ontologischen Freiheitsbeweis" analog zum sog. "ontologischen Gottesbeweis" hinaus, der bekanntlich nichts beweist (zur neueren Kritik an Anselms und Descartes ontologischem Gottesbeweis siehe Mackie, 1985, S. 52-67, 69-81).

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denkende Ding etwas Körperliches sei; denn die Subjekte aller Tätigkeiten sind, wie es scheint, allein unter dem Begriff von etwas Körperlichem oder Materiellen zu denken". 1 " Dieser Hobbesschen These gegen Descartes' Lehre vom immateriellen "res cogitans" entspricht aus der Sicht heutiger (Sozio-)Biologen die Auffassung, "daß jedem Bewußtseinsinhalt ein kausaler neurophysiologischer Vorgang entspricht. [...] Geist, Seele, Bewußtsein werden als Funktionen des strikt kausal funktionierenden Zentralnervensystems, insbesondere des Gehirns, aufgefaßt. Diese 'Identitätstheorie' ist wohlbegründet. Zahllose Experimente und kontrollierte Beobachtungen haben gezeigt, wie eng in der Tat die Beziehungen zwischen Gehirnund Bewußtseinsprozessen sind. Jedermann weiß, welch ungeheure Wirkung auf das Bewußtsein von einfachen Molekülen wie Alkohol, Narkotika, Psychopharmaka ausgehen kann. Die 'Befreiung von der corticalen Kontrolle' im Rausch und die biochemische Therapie von Geisteskrankheiten ... sprechen ebenso für die Identitätstheorie wie die Erblichkeit geistig-seelischer Eigenschaften. Allem Anschein nach ist Bewußtsein ein Korrelat hoher Systemkomplexität, eine reale Systemeigenschaft". 200 199 Hobbes, Einwände 2, Co, S. 165; wenig später verstärkt Hobbes diese These nochmals: "Da also die Kenntnis des Satzes 'ich existiere' von der des anderen 'ich denke' abhängt und und wir in diesem das Denken von einer denkenden Materie nicht trennen können, scheint die Annahme, daß die denkende Substanz materiell ist, berechtigter zu sein, als die andere, daß sie immateriell ist". Zur Kontroverse bzw. dem Verhältnis zwischen Hobbes und Descartes vgl. Johnson, L., 1986, S. 32-52; Brandt, F., 1927; Tönnies, 1976, S. 187 ff.; Weiß, 1980, S. 42 ff. Zur Hobbesschen Übertragung der mechanizistischen Naturauffassung auf die Psychologie und Erkenntnistheorie sowie zu den Werk-immanenten Grenzen des Hobbesschen Materialismus siehe Tönnies, 1976, S. 189 ff., 197 ff., 208 ff. 200 Mohr, 1987, S. 14; zur "Identitätstheorie" von "Geist" und Materie siehe auch Vollmer, G., 1980, S. 21-39; ders., 1985, S. 107-111, 270 f.; zur kritischen Diskussion Bucher, 1992, S. 108 ff., 120 f. Bucher behauptet allerdings (S. 120), der Geist sei für den "Naturalismus" lediglich etwas '"an der Materie Erscheinendes', ihr Epiphänomen". Dies trifft jedoch für den Identitätstheoretiker insofern nicht zu, als für ihn der Geist nicht eine Epiphänomen "an der" Materie, sondern eine Phänomen der Materie ist. Natürlich ist die Identitätsbehauptung von "Geist" und Materie aus sprachanalytischer bzw. begriffslogischer Sicht und erst recht aus der Sicht des "common sense" nicht unproblematisch. Denn wenn "Geist" auch nur irgendwie von Materie unterscheidbar ist, dann ist die Identitätsbehauptung in letzter Konsequenz unsinnig;

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Insofern kann die konsequente Argumentation auf evolutionstheoretischmaterialistischer Basis hier in der Tat nur zu einem theoretischen Monismus führen. Doch Mohr weist auch darauf hin, daß "wir" andererseits "unerschütterlich an transzendentale Freiheit, an sittliche Verantwortung und Kreativität [glauben]" und insofern '"praktische Dualisten'" bleiben. 201 Doch ließe sich diese scheinbare Aporie nicht dadurch auflösen, daß man konsequent auch das Gefühl der Freiheit und den Glauben an Transzendenz ebenso wenn aber kein qualitativer Unterschied besteht, dann ist der Satz "Geist ist Materie" tautologisch, da er ebensoviel sagt wie "Materie ist Materie". Das Problem tritt auch dann in aller Schärfe auf, wenn man (gleichsam neo-spinozistisch) sagt, "Geist" sei nicht mit "der" Materie schlechthin identisch (Der Geist ist kein Felsklumpen), wohl aber mit einer bestimmten, hochkomplexen Form derselben. Wörter wie "Geist", "Gefühl", "Bewußtsein" müssen daher im strengen Sinne als reine sprachliche Hilfsmittel angesehen werden, mit denen verschiedene Erscheinungsformen oder Aggregatzustände ein und desselben gekennzeichnet werden - ähnlich wie gefrorenes, flüssiges und gasförmiges H2O gleichermaßen "Wasser" sind (zu diesem - problematischen - Vergleich siehe Kripke, 1981, S. 147). Und wenn mit dieser Identitätsbehauptung auch gesagt ist, in einem objektiven Sinne seien mentale Phänomene nichts anderes als Gehirnprozesse, so bedeutet dies keineswegs, diese Gehirnprozesse könnten oder gar dürften nicht weiterhin unverändert als mentale Phänomene empfunden werden (vgl. dazu und zu der weitergehenden These, "die Elimination des referentiellen Gebrauchs von 'Empfindung' aus unserer Sprache [würde] im höchsten Grade unpraktisch sein", Rorty, 1981, S. 99 ff.; ebs. Kripke [1981, S. 177], der zurecht darauf hinweist, "daß kein Identitätstheoretiker ein überzeugendes Argument gegen die intuitive Auffassung vorgelegt hat", "mentale[] Tatsachen [seien] 'ontologisch [nicht] abhängig' von physikalischen Tatsachen". Doch dies zu akzeptieren, bedeutet keineswegs, daß nun umgekehrt die intuitive Gewißheit der Unabhängigkeit mentaler Ereignisse als Beweis für die Falschheit des Materialismus gelten könnte, selbst wenn sie als Intuition unhintergehbar sein sollte. Denn wenn Intuitionen tatsächlich in diesem Sinne ein Argument darstellen sollen, was besagt dies dann - im Zeitalter der Relativitätstheorie - etwa für unser intuitives Zeitempfinden?). Bei alledem ist zudem zu bedenken, daß jede Identitätsbehauptung vor analogen Problemen - nämlich dem offensichtlich unhintergehbaren Identitätsparadox - steht; so auch die These, wonach Geist Nicht-Materie ist, da diese auf die nichtssagende Formel "Geist ist Geist" hinausläuft. Zur differenzierten Diskussion - vor allem auch der Schwierigkeiten des ontologischen Geist-Körper-Dualismus - siehe v.a. Bieri, 1981, S. 5-25, speziell zur "Identitätstheorie" S. 36-43; Rorty, 1981, S. 93 ff.; ferner Wesiack, 1981, S. 422-426; Hastedt, 1988; Putnam, 1990, S. 107-120; Carrier/Mittelstraß, 1991. 201 Vgl. Mohr, 1987, S. 17, 91; ähnlich argumentiert Richards, 1993, S. 187 f.

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wie das Bewußtsein insgesamt als phylogenetisch erworbene, adaptive Systemeigenschaft zu erklären versucht - in dem Bewußtsein freilich, den angenommenen Kausalnexus niemals vollständig erkennen zu können? "Freiheit" und "Transzendenz" wären demnach nichts anderes und nicht mehr als Aspekte des menschlichen Selbstgefihls oder Epiphänomene, die deshalb in der menschlichen Spezies bzw. im Selbst-Bewußtsein menschlicher Individuen so weit verbreitet sind und "unerschütterlich" als real angenommen werden, weil sie in hohem Maße adaptiv waren - und möglicherweise (dazu später) immer noch sind. 202 Der Hirnphysiologe Sperry geht davon aus, ein materialistischer Monismus sei letztlich nicht zu halten, da sich eine Fülle von Phänomenen "einschließlich der menschlichen Psyche" nicht auf Quantenmechanik reduzieren lasse. Sperry kommt vielmehr zu dem Ergebnis, "bewußte geistige Kräfte" seien für die Steuerung und Lenkung hirnphysiologischer Vorgänge verantwortlich, weshalb die Analyse des menschlichen Bewußtseins nicht auf einen strengen Materialismus, sondern vielmehr auf einen "Mentalismus" hinauslaufe - und damit zu einem "völlig anderen, auf der ganzen Linie idealistischeren Wertekanon". 203 Allerdings diskutiert Sperry hier nicht das Problem, wie sich die behauptete nicht-materialistische, mentale Verursachung mit der physikalischen Grundannahme von der "frappierende[nJ kausale[n] Abgeschlossenheit der physikalischen Welt" vereinbaren lassen könnte. Entweder dieses physikalische Axiom gilt, dann ist die Annahme mentaler Verursachung unhaltbar. Oder es gibt echte mentale Kausalität (etwa wie bei Descartes vermittels der Zirbeldrüse), dann ist jedoch der Satz von der kausalen Geschlossenheit physikalischer Phänomene nicht zu halten. Soll aber dennoch beides gelten, dann muß der Terminus "mental" offensichtlich doch irgendwie physikalisch-materialistisch interpretiert - oder umgekehrt die "Materie" mentalistisch umgedeutet werden. 204 Die analytische philosophische Erörterung kann hier - ähnlich wie im Zusammenhang mit der Freiheitsproblematik (siehe dazu unten, Kap. I. 5.3) auf folgendes Ergebnis hinauslaufen: Denken und Bewußtsein sind (materialistisch zu interpretierende!) Wirkungen bestimmter hirnphy202 Zum "Neuen Epiphänomenalismus" in der Leib-Seele-Diskussion siehe v.a. Hastedt, 1988, S. 164-175; speziell zum soziobiologischen Epiphänomenalismus vgl. Wilson, 1979, S. 10, 182 f.; zur Kritik siehe v.a. Knapp, 1989, S. 215 ff.; ähnlich Bieri, 1981, S. 7 f. 203 Sperry, 1985 2 , S. 16 ff., 45 ff. 204 Zitat: Putnam, 1990, S. 107. Zur entsprechenden Diskussion siehe Bieri, 1981, Teil 1; zum Scheitern des Cartesischen Modells siehe Rod, 1982^, S. 136 ff.

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siologischer Vorgänge bzw. mit solchen Vorgängen einhergehende Phänomene; ohne solche kausalen neuronalen Prozesse gibt es weder Denken noch Bewußtsein. Insofern ist (auch) der Hobbessche Mechanizismus zutreffend. Die interne Leistungsfähigkeit des Gehirns, das auf sich selbst einwirkt, in sich selbst Kausalketten auslöst, die sich in vielen Fällen nicht einfach, nicht unmittelbar und womöglich niemals vollständig auf externe Impulse bzw. "Inputs" zurückführen lassen, ist aber in seiner Komplexität ein derart herausragendes Phänomen, daß sie - emergenztheoretisch - mit dem Titel "Mentalismus" gedeutet, benannt werden kann. Der menschliche "Geist" wäre somit - letztlich aus pragmatischen Gründen - als reales Phänomen "gerettet", ohne daß man einen prizipiellen Geist:Materie-Dualismus annehmen müßte. 205 Bei alledem ist freilich der spekulative Gehalt derartiger Thesen ebenso wie die damit verbundenen begriffslogischen Schwierigkeiten stets zu beachten. Aber es scheint, daß man sich dem Phänomen des Bewußtseins oder genereller der Leib-Seele-Problematik zu einem großen Teil (wenn überhaupt) nur spekulativ nähern kann, solange die Naturwissenschaft in diesem Zusammenhang keine tragfähigen, belegbaren Ergebnisse vorzuweisen hat, sondern nach wie vor relativ ratlos der "'geheimnisvolle[n] Black box"' gegenübersteht.206

205 Dieses Ergebnis ist der These Schelers (1988^, S. 74) analog, wonach der "physiologische und der psychische Lebensprozeß ... ontologisch streng identisch" und "nur phänomenal verschieden" sind. Letztendlich wäre natürlich auch diese "Rettung" des Geistes aus der Sicht einer konsequent argumentierenden Evolutionstheorie wiederum eher als ein Sieg der menschlichen Eitelkeit zu bewerten, die nicht ertragen kann, daß der "Geist" nichts anderes sein soll als zwar höchst komplexe, aber dennoch "nur" Materie. Das alte Leib-Seele-Problem wäre demnach in erster Linie ein psychologisches. 206 Vgl. Sperry, 1985*, S. 47 ff.; ähnlich Wesiack, 1981, S. 418 f. Zu diversen emergenztheoretischen Deutungen des Leib-Seele-Problems und ihrer Kritik siehe Hastedt, 1988, S. 175-195. Hastedt nennt Sperry als "Beleg ... für einen Einzelwissenschaftler, der durch die evolutionstheoretische Perspektive das Geist-Körper-Problem emergenztheoretisch lösen will" (S. 176). Als Beispiel für eine emergenztheoretische Deutung des Leib-Seele-Problems im Rahmen der Evolutionstheorie könnte aber ohne weiteres auch Konrad Lorenz' These vom Geist als einer evolutiven "Fulguration" genannt werden (1973, S. 47 ff.). Das zentrale Problem des Fulgurationismus - wie auch der Emergenztheorie - ist jedoch, was man sich genau unter "Fulguration" bzw. "Emergenz" (und "Schicht") vorzustellen hat. Solange diese Begriffe nicht eindeutig geklärt sind, entspricht ihr wissenschaftstheoretischer

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Geradezu kurios - wenngleich irgendwie faszinierend - erscheinen aus heutiger Sicht radikal-idealistische Versuche wie der von Seibold, "apodiktische Beweise" für die "logische Unhaltbarkeit der realistischen Grundansicht" durchzuführen, deren zentrales - und stereotyp vorgetragenes Argument lautet, die Vorstellung einer Realität bzw. von Materie unabhängig vom je eigenen Bewußtsein sei performativ selbstwidersprüchlich, weil Bewußtseins- oder Denkunabhängiges schließlich gedacht werden müsse und daher eben niemals unabhängig von einem Bewußtsein überhaupt auch nur zu denken möglich sei. 207 Begriffe wie "Materie" und "Welt" sind demnach nur als Bewußtseinsinhalte widerspruchsfrei denkbar; "Welt" gibt es nur bewußtseins-immanent - und zwar notwendig in meinem Bewußtsein, da ein von mir unabhängiges Bewußtsein ebenfalls nicht widerspruchsfrei denkbar ist. Dies läuft auf die radikal-idealistische Denkfigur hinaus, daß die gesamte reale Welt "'verschwindet, wenn man das Subjekt wegdenkt' ",208 Abgesehen von der bemerkenswerten anthropozentrischen Arroganz eines solchen Ansatzes wird man der idealistischen Grundannahme auch aus materialistisch-realistischer Sicht insofern vollauf zustimmen können, als für das erkennende Subjekt die Welt in der Tat stets nur als Bewußtseinsinhalt bzw. als "Erscheinung" gegeben ist. Erkenntnis ist zudem stets selektiv, perspektivisch, interpretativ; unsere Welt ist so, wie wir sie mit den Mitteln unseres ratiomorphen Apparates und durch diese vermittelt wahrnehmen können. Wir können daher nie sagen, die Welt sei "in Wirklichkeit" genauso, wie wir sie wahrnehmen; das "Ding an sich" bleibt uns immer unzugänglich. Dennoch besagt dies selbstverständlich nicht, daß deshalb, weil wir nicht in der Lage sind, uns Bewußtseinsunabhängiges zu denken, weil es Natur "an sich" für uns nicht geben kann, unabhängig von unserem Bewußtsein nichts existiert. Wir müssen vielmehr - im Sinne der pragmatischen Rechtfertigung empiriWert dem des "Phlogiston" zur Erklärung der Brennbarkeit von Gegenständen; vgl. zu dieser Kritik Hastedt, a.a.O., S. 194, 198. 207 Vgl. die Argumentation bei Seibold, 1991, S. 7 f. 208 Seibold, 1991, S. 13. Dazu, daß diese radikale These auf einem gründlichen Mißverständnis der Kantischen Lehre beruht, wonach alle wahrnehmbare Realität in Raum und Zeit den ontologischen Status rein idealer Erscheinungen habe, vgl. Lütterfelds, 1984 sowie ders., 1991; ebs. Popper, 1980 6 , S. 13 ff. Kants Idealismus setzt demnach die normale Realismus-Einstellung des "common-sense" gerade nicht außer Kraft, sondern vielmehr als gültig und akzeptiert voraus; sein Idealismus-Konzept ist daher nicht als Alternativ-Theorie zum realistischen Selbstverständnis zu interpretieren, sondern als der Versuch, diese Realismus-Überzeugung idealistisch zu begründen und zu rechtfertigen.

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scher Erkenntnis nach Hume 209 - von einer "partiellen Isomorphie" zwischen erkennendem Subjekt und den realen Objekten der Erkenntnis ausgehen und davon, daß unsere Welt-Bilder so gut auf die - selbstverständlich als existent unterstellte - bewußtseins-unabhängige Wirklichkeit "passen", daß wir in dieser überleben können. 210 Denn die radikalisierte These eines subjektiven Idealismus' von der "Welt als Wille und Vorstellung" erweist sich gerade in praktischer Hinsicht als absurd: Der Affe, der darüber spekuliert, ob der Ast, nach dem er greift, bloßer Bewußtseinsinhalt ist oder bewußtseinsunabhängig real, wird sich seines "Idealismus"' im Zweifel ebensowenig lange erfreuen können wie der idealistische Philosoph, der mit seinem Bewußtseinsinhalt "Auto" auf bloße Bewußtseinsinhalte "Bäume" zurast.

5.2 Zwischen Freiheit und Determinismus Ein zweiter gewichtiger Einwand gegen den ethischen Mechanizismus lautet, er impliziere eine deterministische Handlungstheorie, in der kein Platz für echte menschliche Willensfreiheit sei. Da aber echte Moral nur unter dieser Bedingung der Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen denkbar sei, laufe jede materialistisch-deterministische Argumentation darauf hinaus, die Möglichkeit von Ethik und Moral schlechthin zu bestreiten. 211 Im Zusammenhang mit Hobbes stellt sich hier - unabhängig von der ein eigenes Problem darstellenden metaphysischen Komponente in Hobbes' Freiheitsheorie (vgl. v. a. Le, Kap. 21, S. 163-172) 212 - die Frage, ob nicht sein Mecha209 Vgl. dazu Kulenkampff, 1984, S. XX. 210 Vgl. dazu Vollmer, G., 1980, S. 11-17. Natürlich ist es höchst problematisch, diese These vom Passungscharakter unserer Wahrnehmungen mit einem dezidierten Wahrheitsanspruch zu verknüpfen, da wir nie mit letzter Sicherheit ausschließen können, daß ein Wahrnehmungsurteil immer nur "beobachtungsadäquat" sein kann, d.h. lediglich etwas über die Gegenstände innerhalb unserer Wahrnehmung, jedoch nichts über die Gegenstände "an sich" aussagt (vgl. dazu Putnam, 1990, S. 61 ff.). Auch das Argument, ohne eine zumindest partielle Isomorphie zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit hätten wir nicht überleben können, ist kein hinreichendes Wahrheitskriterium. Doch die Frage, die den Materialisten weit mehr interessieren muß, ist nicht die, ob es "Welt" unabhängig von unserem Bewußtsein gibt und ob wir "wahre" Aussagen über diese machen können, sondern vielmehr umgekehrt, ob "Bewußtsein" jemals unabhängig (also "frei") von "Welt" bzw. "Materie" sein kann. 211 Vgl. etwa Knapp, 1992, S. 124 f.; ders., 1989, S. 222 ff., 229. 212 Auf deren nähere Diskussion hier - wie in der Einleitung bereits begründet - verzichtet werden soll. Commers (1979, S. 149) weist aber zurecht darauf hin, Hobbes' Mechanizismus als "metaphysical closed system" basiere letztlich auf einer

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nizismus - der von manchen Forschern als die entscheidende Grundannahme seiner gesamten Philosophie angesehen wird213 - höchst inkonsequent und inkonsistent ist. Denn wenn Menschen in ihrem Handeln stets maschinengleich ihrem Selbsterhaltungstrieb gehorchen, und dies "mit einer genauso großen Notwendigkeit, mit der ein Stein zur Erde fällt" (Ci, S. 81), wie soll es dann andererseits noch möglich sein, aufgrund einer freien Entscheidung moralisch zu handeln - besonders dann, wenn dieses Handeln den Imperativen des Selbsterhaltungstriebes widersprechen sollte? Weiß setzt an dieser Stelle einen seiner prinzipiellsten Kritikpunkte an der Hobbesschen Philosophie an: Wenn der Mensch mechanizistisch determiniert ist, dann kann er nicht "frei" den Anfang einer Kausalkette setzen; kann er aber mit Hobbes diese Initiativfunktion übernehmen, dann ist seine materialistisch-mechanizistische Grundlagentheorie in ihrer radikalen Form nicht zu halten. 214 Für die Soziobiologie ergibt sich das Problem etwa dann, wenn sie die behavioristische Auffassung als falsch zurückweist, wir Menschen seien zwar in der Evolution entstanden, hätten uns aber kraft unserer Fähigkeiten zu rationalem, bewußten, planenden Handeln, kraft unserer Kultur und Sprache nahezu vollständig von unseren evolutionären Wurzeln gelöst; angeborene Verhaltensmechanismen seien auf Marginalien (bzw. "Rudimente") wie das Zusammenzucken bei einem lauten Knall, auf Greifreflexe beim Säugling u.ä. "mythical idea"; allerdings ist deshalb nicht einzusehen, inwiefern bereits damit die deterministische Sicht Hobbes' selbstzerstörerisch ("self-destructive") sein soll. Bereits Strauss, (1956, S. 180) weist darauf hin, Hobbes habe zwar einen "metaphysischen" Materialismus intentiert, sich jedoch "mit einem 'methodischen' Materialismus zufrieden ... geben" müssen; Weiß (1980, S. 33 ff., 41) sieht dagegen in der methodischen Ausgrenzung eines metaphysischen Materialismus' ebenso wie in der Ausgrenzung Gottes als der "causa prima" gerade eine der Stärken des Hobbesschen Systems; auch Willms (1987, S. 59) hält die "Ausgrenzung der Bereiche der Theologie und der Metaphysik" für die "Grundvoraussetzung von Hobbes' philosophischer Wissenschaft". 213 Vgl. etwa Commers, 1979, S. 148 ff.: "His [Hobbes'] whole philosophy was moulded in a programme of study of bodies and motion"; ähnlich Tönnies (1975, S. 237) für den die "mechanische Kausalität", die Hobbes als erster auch zur Erklärung psychischer Phänomene anwandte, das "wahre Zentrum" des Hobbesschen Rationalismus' ausmacht. 214 Weiß, 1980, S. 101 ff., 117 ff.; ähnliche Kritik äußert auch Diesselhorst, 1988, S. 45 ff.; Gehrmann, 1970, S. 12 f. Auch Kodalle weist auf den Hobbesschen "Systemwiderspruch" hin, der in der Unvereinbarkeit deterministischer Logik mit den Prämissen einer normativen Theorie bestehe (Kodalle, 1975, S. 302 f.; vgl. entspr. Goldenbaum, 1988, S. 418 f.).

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beschränkt 215 ; wenn sie also statt dessen davon ausgeht, wir seien keine reinen Kulturwesen, sondern verfügten "über mehr echte instinktive Antriebe als irgendein Tier". 2 1 6 Denn hier bleibt immer noch die Frage offen, wie weit, d.h. in welchem Maße der Mensch von seinen Trieben und angeborenen Verhaltensdispositionen determiniert bzw. beeinflußt ist. Sind die "hochentwickelten intellektuellen Fähigkeiten des Menschen nur eine Ausdehnung und Weiterentwicklung eines adaptiven Prinzips . . . , das im Tierreich weitverbreitet ist"; fungiert die menschliche Kultur "im Rahmen der Evolution ... als ein Adaptionsmechanismus von großer Wirksamkeit", so "daß die Kultur nur innerhalb des Rahmens der menschlichen biologischen Antriebe zu verstehen ist"? 21 ? 215 Siehe dazu Corning, 1974, S. 266, 268: '"Der Mensch ist Mensch, weil er keine Instinkte hat, weil er alles, was er ist und geworden ist, gelernt hat, sich erworben hat von seiner Kultur, von seiner von Menschen gemachten Umgebung, von anderen Menschen ... Wenn im Menschen noch irgendwelche Instinktreste vorhanden sein sollten, so bestehen sie möglicherweise in einer automatischen Reaktion auf ein lautes Geräusch oder in einem unwillkürlichen Zusammenzucken, wenn er den Halt verliert; im übrigen hat der Mensch keine Instinkte"1; vgl. auch Zimmer, 1979, S. 197 ff; ders., 1988, S. 60; Mohr, 1987, S. 3, 108 f.; Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 26 f.; ders. 1989 14 , S. 20; diese Überzeugung äußerte bereits Kant (1978 2 , XII, S. 699 [A 8]): "Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht". Und (ebd., S. 697 [A 2]): "Der Mensch aber braucht eigene Vernunft. Er hat keinen Instinkt, und muß sich selbst den Plan seines Verhaltens machen". Allerdings weist Kant (ebd. [A 3]) auch darauf hin, nur "Disziplin verhütef], daß der Mensch ... durch seine tierischen Antriebe von seiner Bestimmung, der Menschheit, abweiche" (Es ist hier nicht der Ort, die Konsistenz dieser Kantischen Aussagen zu überprüfen). 216 Knapp, 1989, S. 99. 217 Corning, 1974, S. 279 f.; vgl. auch Vogel, 1989b, S. 73: "Kultur ist also eine Äußerung menschlicher Natur und zugleich ein raffiniertes Instrument von biogenetischer Fitness-Maximierung". Einem Trugschluß sitzt Vogel allerdings auf, wenn er "den exponentiellen Anstieg der Wachstumskurve der menschlichen Bevölkerung" (ebd., S. 81) als Beleg für die These anführt, Zweck der Kultur sei letztlich stets die Genmaximierung. Denn das hieße ja, die kulturell am besten entwickelten Völker müßten sich auch am stärksten vermehren, was aber offensichtlich nicht der Fall ist. Dennoch hat Vogel im Prinzip recht: Kultur ist letztlich funktional rückgebunden an biologischen Erfolg. Aber in einem kulturell hochentwickelten Land wird dieser Erfolg offenbar eher über die Qualität der Nachkommen erreicht, während in einem kulturell minder entwickelten Land eine Quantitäts-Strategie zum Zuge kommt, die im wesentlichen für die Bevölkerungsexplosion verantwortlich ist (vgl. dazu Vogel selbst, 1989b, S. 90 f.; siehe auch unten, Teil III, Kap. II. 1.). Es scheint also so,

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Umgekehrt: Wenn von der Unabhängigkeit oder Freiheit des Menschen von seiner "ersten Natur" die Rede ist, was ist dann unter "Freiheit" zu verstehen? Handelt es sich um eine absolute Freiheit, kraft derer sich der Mensch auch "gegen die Gene" entscheiden und verhalten kann, oder handelt es sich lediglich um eine relative Freiheit, die es dem Menschen zwar erlaubt, in einer bestimmten Situation frei unter gegebenen Handlungsalternativen zu wählen, wobei er jedoch stets soweit determiniert bleibt, als er seine Wahl niemals "gegen seine Gene" treffen kann? Sind Freiheit und Determinismus, zwischen denen in der Tat eine "kaum zu leugnende Spannung" besteht, insofern miteinander vereinbar?218 Eine der in diesem Zusammenhang am häufigsten vertretenen Thesen, wonach wir hinsichtlich unserer moralischen Entscheidungen weitgehend frei von unseren angeborenen Verhaltensdispositionen sind, und zwar auch von einer so grundlegenden Disposition wie der zum abgestuften Altruismus ("We should all agree that each of us is bound to show kindness to his parents and spouse and children, and to other kinsmen in a less degree; and to those who have rendered services to him, and any others whom he may have ... called friends; and to neighbours and to fellow-countrymen more than others; and perhaps we may say to those of our own race more than to black or yellow men, and generally to human beings in proportion to their affinity to ourselves" 219 ) versucht der australische Moralphilosoph Peter Singer in seiner Arbeit "The expanding circle" anhand des folgenden Beispiels zu belegen: S. denkt daran, mit 500 Dollar eine wohltätige Organisation, die einem notleidaß eher das langsamere Bevölkerungswachstums Indikator für eine Hochkultur ist als umgekehrt. 218 Vgl. dazu Rheinwald, 1990, S. 197; Rheinwald diskutiert in ihrem Aufsatz einige "Vereinbarkeitsthesen" von Hume bis Moore und verteidigt diese - in modifizierter Form - gegen moderne Kritiken. Eine sehr ähnliche Vereinbarkeitstheorie vertritt auch der Hirnforscher Sperry, 1985 2 , S. 57 ff. Er geht davon aus, unser Gehirn habe uns "sehr großzügig mit den geistigen Kräften und Fähigkeiten zur Entscheidung über unser eigenes Handeln [ausgestattet]" und uns insofern "jede Menge freien Willen [verschafft]"; dies bedeute jedoch keineswegs, "daß es Gehirnprozesse gibt, die ohne vorausgegangene Ursache ablaufen". Menschliche Freiheit reduziert sich auch nach diesem Modell auf die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Entscheidungs- und Handlungsalternativen. Freiheit ist dann nur ein anderes Wort für Flexibilität. Zu Fragen der Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus in der Ethik siehe auch die diesbezüglichen Beiträge in: Pothast, 1978, S. 135-265; ebenso Mortensen, 1989, S. 281 ff.; Helsper, 1989, S. 287 ff. 219 Henry Sidgwick, The Methods of Ethics, zitiert nach Singer, 1983, S. 23; zu diesem Prinzip des "we first!" vgl. auch ebd., S. 29 ff.

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denden Stamm in Indien helfen will, zu unterstützen. Mit diesen 500 Dollar könnte S. auch andere Dinge tun: Sich selbst neue Kleider oder eine neue Stereoanlage kaufen; seiner Familie einen schöneren Urlaub ermöglichen oder das Geld gewinnbringend für seine Kinder anlegen. Da es der Familie materiell gut geht, wären die 500 Dollar zur Linderung der Not in Indien (moralisch) effektiver; umgekehrt könnte S. mit diesem Geld das Glück ("happiness") seiner selbst und seiner Familie steigern. Diese geschilderten Fakten - so Singer - können nun lediglich sagen, welche Optionen S. in diesem Fall hat (nämlich das Geld entweder nach Indien zu schicken oder es in irgendeiner Form seiner Familie zukommen zu lassen was aus soziobiologischer Sicht naheliegend wäre). Sie können jedoch nichts darüber aussagen, wie S. sich in diesem Fall entscheiden soll. "The facts do not tell me what I value. Do I value helping strangers in India above a little extra comfort or luxury for myself and my family? The gap between facts an values lies in the inability of the facts to dictate my choice". Konsequenterweise kommt Singer dann zu dem Ergebnis, auch die von der Soziobiologie behaupteten angeborenen Verhaltensdispositionen könnten in keiner Weise seine moralische Entscheidung beeinflussen, selbst wenn er die Thesen der Soziobiologie als zutreffend betrachtet: "I will, however, have genes that prompt me to look after myself and my immediate family. Suppose that I can see no reason to doubt the cogency of this view of evolution. How will this information affect my decision? Do I immediately say: 'Oh well, it's just too bad for the Indians, but since my altruism is genetically limited to my kin, I'll use the money on a family holiday'? Of course not. Information about my genes does not settle the issue, because I, and not my genes, am making the decision". 220

220 Vgl. Singer, 1983, S. 75 ff.; ähnlich gelagert ist das Argument von Patzig (1984, S. 681 f.), der für seine Person "bekennt", an der weiteren Ausbreitung des Gen-Pools, aus dem er stammt, "vollkommen uninteressiert" zu sein. Wenn er für seine Kinder sorge, so deshalb, weil er ihnen "persönlich zugetan" sei, bzw. die generelle elterliche Sorgepflicht als Motiv für sein Verhalten ausreiche. Man mag zwar Patzig zugestehen, daß sein Gen-Pool für ihn keinen bewußten Wert darstellt und es auch keine moralischen Verpflichtungen gegenüber Genen geben kann; das ändert aber nichts an der Tatsache, daß er, wenn er für seine Kinder sorgt, sich faktisch so verhält, daß sein Gen-Pool davon profitiert. Das moralische Gebot, für die eigenen Kinder zu sorgen, ist gleichsam vollständig kompatibel mit den sich aus dem Prinzip "kin selection" ergebenden "Imperativen" (vgl. zu diesem Argument Vollmer, G., 1993, S. 126 f.). Und die Frage ergibt sich eben, ob das moralische Gebot, für die eigenen Kinder zu sorgen, lediglich eine kulturelle Überformung der natürlichen,

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Doch was sagt dieses Beispiel über die "Wirksamkeit" unserer angeborenen Verhaltensdispositionen aus - die Singer zwar als gegeben annimmt, die er aber für beliebig beherrschbar und übergehbar anzusehen scheint? Zumindest soviel, daß wir offensichtlich nicht unter allen Umständen und notwendig entsprechend der genetischen Propensität handeln müssen, wir also nicht die vollkommen abhängigen "Sklaven" unserer Gene sind und ein strenger genetischer Determinismus unseres jeglichen Verhaltens und all unserer Handlungen somit unzutreffend ist. Entsprechend scheinen wir zumindest eine relative Freiheit des Menschen von seiner "ersten Natur" annehmen zu können. Dies würde es auch erlauben, an der Möglichkeit von uneigennützigem, echt-altruistischem Verhalten festzuhalten - womit man auch dem Argument begegnen könnte, das "Prinzip Eigennutz" sei deshalb zur Begründung einer Handlungstheorie oder gar Ethik untauglich, weil es sowohl begrifflich als auch empirisch immunisiert sei; begrifflich deshalb, weil es nicht abgrenzbar, empirisch, weil es nicht falsifizierbar sei. Doch dies gelingt im vorliegenden Beispiel nur dann, wenn man nicht so weit geht, auch diese "altruistische" Spende von 500 Dollar als letztlich egoistisch zu bezeichnen, da durch die "großherzige" Tat das soziale Ansehen oder auch "nur" das Selbstwertgefühl des Spenders derart gesteigert wird, daß damit die finanzielle Einbuße mehr als ausgeglichen wird. Argumentiert man derart radikal221 (oder konsequent), dann stellt sich wiederum das Problem der fehlenden Abgrenzbarkeit und Falsifizierbarkeit. Für die begriffliche Abgrenzbarkeit des "Prinzip Eigenvormoralischen Verhaltensdisposition ist, die dann vice versa sehr wohl als die biologische Wurzel jener moralischen Norm verstanden werden könnte. Auch Fukuyamas Versuch, (mit Hegel) die menschliche Freiheit durch den Hinweis zu retten, alleine der Mensch könne "sich in einen Kampf werfen, nur um zu zeigen, daß er sein Leben verachtet und daher mehr als eine komplizierte Maschine oder ein 'Sklave seiner Leidenschaften' ist" (Fukuyama, 1992, S. 212), kann nicht überzeugen. Denn aus soziobiologischer Sicht wird man die vermeintliche "LebensVerachtung" leicht als funktionelles Verhalten im Interesse der jeweiligen "inclusive fitness" interpretieren können. Als echtes Gegenbeispiel könnte nur derjenige gelten, der sich - "nur um zu zeigen, daß er sein Leben verachtet" - gegen seine eigene Ingroup in die Schlacht wirft. Doch die Frage ist, ob wir einen solchen Akt als den Beweis seiner "spezifisch menschliche[n] Würde" (ebd.) anerkennen würden oder nicht viel eher als die Tat eines wahnsinnigen, wider-natürlichen Verbrechers (Raskolnikoffs Gewissensnöte in Dostojewskis "Schuld und Sühne" illustrieren diese Situation geradezu paradigmatisch). 221 Zuletzt müßte man so weit gehen, auch dem Selbstmörder oder dem, der sich für wildfremde Menschen opfert, die eigennützigen Motive seines Handelns nachzuweisen (siehe dazu Wilson, 1993, S. 133 ff., 146 ff.).

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nutz" wird man dann gleichsam nur noch prinzip-immanent argumentieren können, etwa derart, daß ein "harter" Eigennutz, der als ein Extrempol ausschließlich die eigenen Interessen verfolgt, ohne je auf die Interessen und Bedürfnisse anderer Rücksicht zu nehmen, von einem ausgesprochen "weichen" Eigennutz als dem anderen Pol zu unterscheiden sei, der - letztlich raffinierter - die Interessen und Bedürfnisse anderer neben den eigenen stets mit zu berücksichtigen bereit ist. Ein weiteres - ebenfalls prinzip-immanentes Abgrenzungskriterium könnte auch die Unterscheidung zwischen kurzfristig und langfristig kalkulierender, spontan-gefühlsmäßiger und rationaldurchreflektierter Interessenverfolgung sein - was auf die "klassische" Unterscheidung zwischen wohlverstandenem und bloß vermeintlichem Eigennutz hinausliefe. Doch mit alledem hätte man natürlich kein Abgrenzungskriterium für das "Prinzip Eigennutz" als Prinzip angegeben. Nicht minder heikel ist das Problem der empirischen Überprüfbarkeit der Eigennutz-Hypothese. Wenn aufgrund dieser Hypothese anzunehmen ist, daß der Asket ebenso wie der Hedonist, der sich aufopfernde Altruist und "Heilige" ebenso wie der egoistischste Handlungsutilitarist jederzeit eigennützig handelt, dann ist jeder empirische Test, der die Falschheit der Grundannahme nachweisen könnte, per definitionem bereits ausgeschlossen. Doch damit würde sich - etwa nach den Kriterien des "kritischen Rationalismus" das "Prinzip Eigennutz" als immunisierte und damit wissenschaftlich unbrauchbare Hypothese erweisen. Diese logische Schwäche muß zugestanden werden! Will man dennoch am "Prinzip Eigennutz" festhalten, so muß man dafür andere Gründe angeben als logische Konsistenz, Widerspruchsfreiheit und empirische Überprüfbarkeit. Etwa den Grund, daß es letztlich keinem Prinzip anders ergehe: So wären z.B. auch die Hypothesen, jedes menschliche Handeln sei (auch) uneigennützig oder alle menschlichen Handlungen und Gedanken seien von "Gott" inspiriert, ebenfalls nicht fallibel. Und schließlich stellt sich auch für das kritisch-rationalistische "Dogma" von der zu fordernden Falsifizierbarkeit jeder Hypothese - also auch der fallibilistischen - selbst die Frage, ob und wodurch sie denn falsifiziert werden könnte. Wegen dieses offensichtlich unausweichlichen begründungstheoretischen Dilemmas müsse man notwendigerweise den Begründungsregreß einmal abbrechen, weil man schließlich irgendwo anfangen müsse - insbesondere dann, wenn man praktische Philosophie machen wolle. 222 "Prinzip Eigennutz" wäre demnach als heuristische Grundannahme, als reine Arbeitshypothese zu 222 Siehe zu dieser Argumentation etwa Vollmer, G., 1986, S. 65; ders., 1987, S. 90 f.; Höffe 1977, S. 28; zur geschilderten Kritik am "Prinzip Eigennutz" siehe etwa Etzioni, 1993, S. 110 ff.

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verstehen, von der ausgehend man zusieht, wie weit man damit kommt, wobei als "Erfolgskriterium" (bzw. "auto-utilitaristisches Wahrheitskriterium") ausschließlich der praktische Nutzen gelten könnte - "an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen". 223 Doch zurück zum Ausgangsproblem, der Frage nämlich, ob durch Singers Beispiel wirklich die so selbstverständlich reklamierte vollständige Unabhängigkeit von den natürlichen Verhaltensdispositionen - und damit der Eigennutz-Determiniertheit - nachgewiesen ist. Wandelt man dieses Beispiel nur ein wenig ab, so scheint diese Unabhängigkeitsbehauptung unweigerlich ins Wanken zu geraten: Denn wie würde sich S. etwa entscheiden, wenn er vor der Wahl stünde, den notleidenden Indern 5.000 Dollar zu spenden und dafür auf den Familienurlaub, die neue Stereoanlage, die neuen Kleider usw. gänzlich zu verzichten? Selbstverständlich könnte er sich auch in diesem Fall für die noble Tat entscheiden, aber (diese Vermutung erscheint statthaft) höchstwahrscheinlich würde es ihm bereits erheblich schwerer fallen. 224 Und wie würde schließlich die Wahl zwischen den Optionen ausfallen, entweder einem notleidenden Stamm in Indien oder aber der eigenen notleidenden Familie 500 Dollar zukommen zu lassen? Die Antwort könnte etwa lauten: "Natürlich (!) helfe ich in diesem Fall mit dem Geld meiner Familie!" Und wir würden die umgekehrte Reaktion, nämlich die Bevorzugung fremder Personen vor der eigenen notleidenden Familie, als unverständlich und geradezu unmoralisch be223 Natürlich verdiente auch diese Korrelation von "Wahrheit" und Nutzen eine eingehendere Betrachtung und Diskussion; doch diese kann vor allem aus technischen sowie aus methodisch-pragmatischen Gründen hier nicht durchgeführt werden. 224 Selbst wenn die Person S. sich in diesem Fall gegen die Spende und für den Familienurlaub entscheiden würde, wäre damit noch nicht die Existenz der moralischen Autonomie widerlegt. Denn schließlich hätte sich S. ja auch anders entscheiden können, als er sich schließlich entschieden hat und er hätte auch anders gehandelt, wenn er sich anders entschieden hätte. Die Entscheidungsfreiheit war somit in der Form eines "hätte können" gegeben. Vgl. dazu Rheinwald, 1990, S. 196 f.; sie sieht dieses "Anders-Handeln-Können" (wenn man sich anders entschieden hätte) als "notwendig und hinreichend für menschliche Freiheit" an und will u.a. mit diesem Argument die Vereinbarkeit von Determinismus und Freiheit begründen. Doch was ist das für eine "Freiheit", die immer nur im Nachhinein als eine "möglich gewesene" behauptet wird? Wird mit solchen Behauptungen ("Natürlich hätte ich mich auch anders entscheiden können, aber der Urlaub mit meiner Familie war wichtig, weil ich das ganze Jahr über zuwenig Zeit für meine Familie hatte; weil ...") nicht kaschiert, daß man - aus genetischen oder sonstigen "Gründen" - bei seiner Entscheidung eben doch nicht frei war?

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werten. Singers Beispiel ist deshalb ungeeignet, die These von der beliebigen Beherrschbarkeit bzw. Übergehbarkeit der angeborenen Verhaltensdispositionen und damit der absoluten menschlichen Willensfreiheit plausibel zu begründen. 225 Bei dem Versuch, in dieser Problematik einer Lösung näherzukommen, könnte das in der Evolutionstheorie so bezeichnete "Versklavungsprinzip" hilfreich sein. 226 Das Gehirn ist demnach insofern "versklavt", als seine Leistungen streng deterministisch immer unter der Maxime der (inklusiven) Tauglichkeitsmaximierung stehen. Wie das Gehirn dieser deterministischen Vorgabe bzw. diversen genetischen Verhaltens"richtlinien" gerecht wird, bleibt mehr oder weniger seiner "freien" Entscheidung, dem Bewußtsein überlassen, das sich damit auch als das menschliche Vermögen zur sehr großer Entscheidungs- und Handlungsflexibilität beschreiben läßt. Damit lassen sich Denken, Entscheiden und Handeln nicht streng mechanistisch auf äußere Sinnesreizungen zurückführen, sondern vielmehr ist davon auszugehen, daß diese äußeren Reize im Gehirn auf (mindestens) gleichwertige "Dialogpartner" treffen, die ihrerseits kausale Wirk-Kraft besitzen. 227 Auch der Hirnphysiologe Sperry geht davon aus, die auf "reduktionistischen Irrtümern" beruhenden "Nichts-anderes-als"-Dualismen könnten dadurch aufgelöst werden, daß man die "emergenten Eigenschaften des bewußten Erlebens statt mit der äußeren Welt oder subjektiven Eindrücken oder Empfindungsmustern mit dem inneren Gehirncode in Einklang zu bringen [sucht]". Inwiefern mit diesem Verweis auf die wichtige Rolle jenes "inneren Gehirncodes" für den Kausalnexus des Denkens, Entscheidens und Handelns die "materialistische Doktrin" im strengen Sinne ad absurdum geführt werden kann, ist allerdings alles andere als klar. Denn mit kausal wirkenden, hirnimmanenten genetischen Vorgaben könnte der Materialismus durchaus leben - weil sie ihn eher bestätigen als widerlegen. 228 Und dies 225 226 227 228

Vgl. dazu Hegselmann, 1989, S. 25 ff. Siehe dazu Lorenzen, 1989, S. 1155. Zu dieser Interpretation siehe Sperry, 1985 2 , S. 98. Sperry, 1985^, S. 55 f.; ähnlich dürftig ist auch Sperrys Abwehrversuch des Materialismus und der '"psychophysischen Identitätstheorie", der sich auf sein "neu konzipierte^] Konzept" stützt, demzufolge "geistige Phänomene 'anders als, mehr als und nicht reduzierbar auf neurale Vorgänge [sind] - obwohl sie aus bestimmten Vorgängen in den Nerven- und vielleicht auch Gliazellen und anderen physikochemischen Prozessen bestehen" (Hervorhebung T.M.). Nur erfahrt man an keiner Stelle, was denn nun dieses "Andere" des Bewußtseins positiv und substantiell sein soll. Geradezu verfänglich sind weiterhin Äußerungen wie die, der "Geist beweg[e] die Materie im Gehirn in ganz ähnlicher Weise wie ein Organismus die Organe und

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würde vor allem in Bezug auf eine derart naturwissenschaftlich begründete moralphilosophische Handlungstheorie gelten. Denn wenn man auch zu dem Ergebnis kommt, bestimmte Bewußtseinsphänomene seien nicht streng deterministisch zu interpretieren, so ist dieses Ergebnis eben nicht ohne weiteres auf den Bereich der konkreten Handlungen zu übertragen. Für diese gilt vielmehr, daß sie gleichsam doppelt determiniert sind: Einmal durch bestimmte externe, auf das Gehirn kausal wirkende Ursachen und zum anderen durch die dem menschlichen Bewußtsein zugesprochenen eigenen Kausalfunktionen. 229 Neben die mentalistische Interpretation des Bewußtseins würde also eine um so strengere deterministische Interpretation des Verhaltens treten. Allerdings scheint in diesem Zusammenhang die Überlegung Sperrys durchaus plausibel zu sein, "völlige Freiheit von jeder Kausalität hätte ein sinnloses, dem Zufall überlassenes Chaos zur Folge und wäre genauso schlimm wie der mechanische Determinismus, wenn nicht schlimmer".230 Denn insbeZellen bewegt, aus denen er besteht, oder ein Molekül bei einer chemischen Reaktion den Weg seiner eigenen Atome, Elektronen und Elementarteilchen lenkt" (ebd., S. 92). Denn dieser Analogie zufolge ist Sperrys "Mentalismus" nur zu retten, wenn man auch den Organismus und das Molekül in der chemischen Reaktion ebenfalls mentalistisch zu deuten bereit ist. Ist man dagegen umgekehrt eher geneigt, Organismen und Moleküle samt ihren Eigenschaften eher materialistisch zu interpretieren, dann sollte man dies - der Analogie entsprechend - auch im Falle des "Geistes" tun. Schließlich wird der ganze höchst nebulöse Charakter der Bewußtseinstheorie Sperrys in seiner seltsamen Unterscheidung zwischen "Mentalismus:Ja, Dualismus:Nein" deutlich (ebd., S. 105-136), wobei hier insbesondere die Auseinandersetzung mit Poppers Indeterminismus (ebd., S. 116 ff.) interessant und aufschlußreich sind. 229 Vgl. auch dazu Sperry, 1985 2 , S. 95: "In einem neuen, von Grund auf veränderten Bild des kausalen Determinismus im Verhalten kommt die Erkenntnis zum Ausdruck, daß alle subjektiven, geistigen Erscheinungen einschließlich subjektiver Werte innerhalb des Entscheidungsprozesses eine Kausalfunktion als solche besitzen und nicht nur bloße Korrelate oder Aspekte einer sich selbst genügenden Gehirnphysiologie sind". 230 Sperry, ebd., S. 95. Diese Interpretation liefe auf eine ähnliche Theorie der Freiheit hinaus, wie sie bereits Descartes in seiner vierten "Meditation" dargelegt hat: "Um frei zu sein, brauche ich nämlich keineswegs die Indifferenz der Wahl eines der beiden Entgegengesetzten. Im Gegenteil, je mehr ich mich der einen Seite zuneige - sei es nun, weil ich eine evident begründete Einsicht in das Wahre und Gute der Sache habe oder weil Gott in meinem Innersten mein Denken so lenkt -, um so freier wähle ich diese Seite" (1986, S. 149). So ist für Descartes die Indifferenz der Entscheidung gleichbedeutend mit Unfreiheit. Analog kann man auch im Hinblick auf die genetische Determiniertheit des Menschen argumentieren: Er ist in allen seinen Hand-

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sondere aus moralphilosophischer Perspektive erschiene es als zumindest bedenklich, in vielen Fällen aber wohl sogar als moralisch verwerflich, wenn jemand die Frage: "Warum hast du X getan?", nur mit einem Achselzucken beantworten könnte. Versucht der Befragte jedoch, seine - womöglich gegen geltende Gesetze verstoßende - Handlung mit Argumenten zu rechtfertigen wie: "Weil die Bedingungen y und z vorlagen", so gibt er damit Gründe für seine Handlung und für die ihr vorausgehende Entscheidung an, die diese in einem mehr oder minder entscheidenden Maße beeinflußten bzw. kausal verursachten. Doch inwiefern kann dann diese Entscheidung noch in einem absoluten Sinne als "frei" gelten? Beantwortet man diese letzte Frage mit dem Argument: "Ich war deshalb frei, weil ich mich auch völlig anders hätte entscheiden und anders hätte handeln können", so stellt man damit eine bloße Freiheitsbehauptung auf. Auf diese Behauptung könnte man aber ohne weiteres erwidern, daß dann, wenn die betreffende Person die Handlung X nicht getan hätte, eben andere Gründe vorgelegen hätten, die er bei einer allfälligen Rechtfertigung der Unterlassung von X als (mit) ursächlich für die andere Entscheidung angeben würde. Auch mit dem "Ich hätte auch anders gekonnt"Argument ist somit kein Freiheitsbeweis erbracht. Gegen einen strengen Determinismus (dergestalt, daß wir in unserem Verhalten ebenso ausschließlich von natürlichen Trieben und Begierden bzw. genetischen "Programmanweisungen" bestimmt und gesteuert sind wie Tiere oder - noch krasser - Roboter) verwahren sich selbst "orthodoxe" Soziobiologen wie etwa David Barash, für den wir zwar einerseits "Überlebensmaschinen" sind bzw. "Produkte der Evolution und daher die denkenden, fühlenden, schwitzenden Verkörperungen von Genen in Wechselwirkungen mit Umwelten", der jedoch andererseits darauf hinweist, "Gene [seien] lediglich Blaupausen", die "die direkte Leitung ihrer Angelegenheiten aufgegeben haben". Überhaupt rede die Soziobiologie "selbstverständlich ... nicht von einem genetischen Determinismus, sondern eher von einem genetischen Einfluß. Das ist der Unterschied zwischen: eine Kugel auf ein Ziel abfeuern (Determinismus) und einen Papierflieger (Einfluß) in einen starken Wind werfen". Determistisch ist für Barash die Soziobiologie lediglich inso-

lungen insofern determiniert, als Ziel dieser Handlungen die Förderung der "inclusive fitness" ist. Wie aber dieses Ziel in den höchst variantenreichen Situationen des Lebens erreicht wird, dies ist der freien Wahl des Handelnden überlassen. Gerade in der enormen Bandbreite der menschlichen Handlungsmöglichkeiten, in seiner Variabilität ist daher sein eigentliches Spezifikum auszumachen, nicht jedoch in seiner absoluten "Freiheit", verstanden als die totale Indifferenz der Entscheidung.

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fern, als sie "gewisse Grenzen beschreibt, die uns von der natürlichen Welt gesetzt wurden, in der wir leben". 231 Einen strengen Determinismus scheint man zudem - jedenfalls dann, wenn man das Überleben der Menschheit zumindest als notwendige Voraussetzung für das eigene Überleben und das der persönlichen Nachkommen als ein erstrebenswertes Ziel betrachtet - aus rein pragmatischen Gründen ablehnen zu müssen (freilich ohne ihn auf diese Weise letztgültig widerlegen zu können). Denn die stärkste Behauptung dieser deterministischen Freiheitsinterpretation lautet, wir seien zwar frei, doch nur, "um unsere Tauglichkeit und die unserer stillen genetischen Reiter zu maximieren". 232 Freiheit ist reduziert auf Handlungsflexibilität bzw. auf die Wahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, die alle auf das übergeordnete Ziel der Fitness-Maximierung hin orientiert sein müssen. Eine Ethik, die dem Menschen wirklich gerecht werden wollte, müßte also dies akzeptieren und die "Illusion der Willensfreiheit" 233 endgültig verabschieden. Der sich aus heutiger Sicht zunehmend aufdrängende, empirisch äußerst gehaltvolle Einwand gegen diese Reduzierung der menschlichen Freiheit auf die bloße Wahl- und Entscheidungsfreiheit lautet nun: Wir Menschen sind in unserem Handeln offensichtlich nicht nur dazu frei, unsere "fitness" zu maximieren, sondern auch zu dem totalen Gegenteil, nämlich unsere "fitness" zu minimieren und so - etwa durch thermonukleare Kriege oder durch die irreversible Zerstörung unserer ökologischen Lebensgrundlagen - das selbstverschuldete Ausscheiden aus dem evolutiven "Wettbewerb" zu bewerkstelligen. In der bisherigen Evolution des Menschen haben sich etwa die genetisch implementierten Verhaltensdispositionen zu abgestuftem Altruismus, Intergruppenaggressivität, Territorialität und Xenophobie die längste Zeit als stabile und damit adaptive Strategien der Fitnessmaximierung erwiesen. Sind 231 Barash, 1981, S. 32, 40, 52 f., 260 f.; ähnlich Alexander, 1979a, S. 65; ebs. Tönnesmann, 1987, S. 179. Abgesehen davon, daß die Rede von den "gewissen Grenzen" sehr unklar ist, stellt sich hier die Frage, ob wir in Barashs Verständnis dann so etwas wie "moralische Papierflieger" sind und was dann von einer moralischen "Autonomie" des Menschen noch übrigbleiben kann. Auch Dawkins (1976, S. 215), der ansonsten radikal dafür plädiert, wir seien "gene machines" und als solche ausschließlich auf die Erhaltung unserer "Konstrukteure" programmiert, äußert am Ende seines Buches "The Selfish Gene" die überraschende, weil gar nicht deterministische These: "We are built as gene machines and cultured as meme machines, but we have the power to turn against our creators. We, alone on earth, can rebel against the tyranny of the selfish replicators". 232 Barash, 1981, S. 226. 233 Vollmer, G., 1986, S. 91; vgl. ders., 1992, S. 132.

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wir nun auf diese Strategien unhintergehbar determiniert, auch wenn sie sich für die heutigen Überlebensbedingungen zunehmend als inadäquate Ausrüstung oder gar als Fehlanpassungen erweisen? 2 3 4 Sind wir also dazu determiniert, in diesem Spannungsverhältnis zwischen den Überlebensbedingungen der modernen Welt und unserer "ersten Natur" zerrieben zu werden, weil zu einer rationalen Bewältigung dieser Spannung und zu einer Vernunft-gesteuerten Anpassung unseres Verhaltens an die heutigen Bedingungen schlicht und ergreifend die Freiheit der Möglichkeit fehlt? 2 3 5 Sind wir also "entweder intellektuell oder emotional nicht dazu imstande, die von [uns] selbst geschaffene Welt zum Wohl aller Menschen zu gestalten" oder - wie es Konrad Lorenz kurz vor seinem Tod resignierend befürchtete - schlicht "zu dumm zum Überleben"? 23 6 Gegen diese fatalistischen Sichtweisen erscheint es bereits aus pragmatischen Gründen als sinnvoller, im Hinblick auf die angenommenen genetischen Determinanten eine gewisse Hierarchie - analog zu Lorenz' "Parlament der Instinkte" 237 - anzunehmen. Etwa dergestalt, daß als die ober234 Vgl. dazu Hemminger, 1983, S. 54 f.; als Beispiele für solche "Fehlanpassungen" nennt Hemminger etwa die männliche Intergruppenaggressivität im Zusammenhang mit den modernen Massenvernichtungswaffen oder den Widerspruch zwischen dem angeborenen Drang zur Wahrung und Verteidigung einer gewissen Individualdistanz und dem diese Distanz permanent störenden Leben in einer Massengesellschaft; vgl. zu dieser Thematik auch Mohr, 1987, S. 84 f., 103 f. 235 In Anbetracht der Langsamkeit der biologischen Evolution im Gegensatz zur rasanten Veränderung der Umweltbedingungen wäre es für den strengen Deterministen auch nicht sinnvoll, seine Hoffnung auf die biologische Anpassung des menschlichen "Verhaltensprogramms" an die veränderten Überlebensbedingungen zu setzen (vgl. dazu Vogel, 1986, S. 501 f.). Auch das spekulative "Argument", schließlich sei es doch möglich, daß der Mensch auch zur Bewältigung der heute anstehenden Probleme "programmiert" sei, ist nicht sehr standfest. Zum einen unterstellt es der "blinden" und "opportunistischen" Evolution doch so etwas wie ein teleologisches Prinzip (die Evolution "sorgt" für das Überleben der Menschheit); zum zweiten erscheint ein solches "genetisches Programm für das 21. Jahrhundert" angesichts der nach wie vor von Kriegen, nationalen Egoismen und Zwistigkeiten, Umweltzerstörung, Intoleranz und allen möglichen Formen diskriminierender "Ismen" bestimmten Situation der Menschheit als blauäugige Illusion; siehe dazu auch Knapp, 1989, S. 172 ff. 236 Oder gar - was auf dasselbe hinausliefe - "Zum Überleben zu tüchtig?" (Brügge, 1990, I, S. 117); vgl. Hemminger, 1983, S. 105 f.; Lorenz, 1989, (Spiegel-Interview), S. 255. 237 Lorenz, 1983 2 , S. 88 ff.; vgl. entspr. Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 232 f.; interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Lenk (1993, S. 307 ff.)

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ste bzw. fundamentale Maxime das Prinzip der Selbsterhaltung (bzw. der "inclusive fitness") "herrscht", während andere Determinanten wie etwa die Neigung zu Aggressivität, Territorialität und Xenophobie einerseits, aber auch zu Altruismus, Hilfsbereitschaft und Opfermut andererseits, als nachrangig und gleichsam abgeleitet anzusehen wären. Dieses Modell läßt den Fall einer Determinanten-Kollision zu, in dem etwa die (im Stammhirn implementierte) Neigung zur Xenophobie (vermittelt durch die neocortikale Rationalität) mit der Ober-Maxime der Selbsterhaltung in Konflikt geraten und deshalb - nach mehr oder weniger hartem "Ringen" - entwertet wird bzw. bei der individuellen Entscheidungsfindung unberücksichtigt bleiben kann. Insofern wäre also ein Handeln gegen eine bestimmte genetisch implementierte Neigungsstruktur denkbar, ohne daß dadurch die Ober-Maxime verletzt würde. 238 Die Nachteile dieses Modells sind zum einen wiederum die fehlende empirische Absicherung und zum zweiten, daß es wiederum eine Instanz voraussetzt bzw. notwendig macht, die sowohl den Fall der Determinanten-Kollision konstatieren können muß, als auch ein (begründetes) Urteil in diesem "Streit der Gene" fällen soll. Also muß man dem menschlichen Bewußtsein doch insofern eine gewisse Unabhängigkeit zugestehen, als es sich selbst zum Gegenstand werden kann, zu sich selbst gleichsam auf Distanz gehen und die in ihm - auf untergeordneter Ebene - ablaufenden Prozesse reflektieren und bewerten kann. Aber auch mit dieser Annahme unterschiedlicher Stufen der Komplexität und der Selbstbezüglichkeit des Bewußtseins wäre immer noch kein prinzipieller Freiheitsbeweis erbracht, da eben auch die selbst-reflektorische und selbst-kritische Leistung des menschlichen Bewußtseins ohne Widerspruch als "im Dienste" der fitness-Maximierung angesehen werden könnte. 239 über die drei verschiedenen, "relativ unabhängige[n] Teile" des menschlichen Gehirns (Stammhirn, Althirn, Neocortex) sowie deren unterschiedliche Funktionsweisen und "Zuständigkeiten" für das menschliche Denken und Handeln. 238 Vgl. dazu Kliemts Interpretation der Hobbesschen Lehre von den "sich gegenseitig kontrollierenden Leidenschaften", den aggressiven (Habgier, Ruhmsucht u.ä.) einerseits und den zum Frieden disponierenden (v.a. die Furcht vor dem Tod) andererseits: "Alle diese Leidenschaften gemeinsam bilden gleichsam eine spontane Oberflächenstruktur menschlicher Verhaltensweisen, die, obschon äußerlich wechselnd, dennoch stetig auf die zugrundeliegende Tiefenstruktur des natürlichen Strebens nach Selbsterhaltung zurückverweist und letztlich auch mit diesem Streben in Harmonie gebracht werden kann". 239 Andererseits: Verdient nicht diese menschen-spezifische reflektorische Fähigkeit, im Konfliktfall aufgrund rational-distanzierter Kalkulation entscheiden zu können, wel-

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Diese Interpretation des Freiheitsproblems scheint nun mit Hobbes' Freiheitstheorie weitgehend übereinzustimmen. Denn der geht davon aus, die Empfindungen in uns seien nichts anderes als "Bewegungen" (motions), die durch externe - ebenfalls bewegte - Objekte hervorgerufen wurden; diese Empfindungen rufen als Wirkungen im affizierten Subjekt wiederum andere Bewegungen hervor, die Hobbes kennzeichnet als Strebung, "die aus Neigung zu oder Abneigung von dem bewegenden Objekt besteht". Die Namen dieser spezifischen Bewegungen lauten nach Hobbes "Lust oder Unlust" (Le, S. 41). Abgesehen von den dem Menschen angeborenen Trieben und Abneigungen (vgl. Le, S. 40) wie Nahrungstrieb, Ausscheidungstrieb, Selbsterhaltungstrieb und Fortpflanzungstrieb (die sich natürlich auf einen "genetischen Selbsterhaltungstrieb" reduzieren lassen), handeln Menschen demnach vollkommen mechanisch aufgrund der Wirkung externer "inputs" auf jene angeborenen, genetisch implementierten Richtlinien oder Vorgaben des Verhaltens. Lassen sich die "inputs" unter die Rubrik "inclusive-fitness-fördernd" subsumieren, reagiert der affizierte Organismus mit einem entsprechenden Begehren; scheitert die Subsumtion, reagiert der Organismus mit mehr oder weniger starker Ablehnung, je nachdem als wie wenig förderlich oder wie sehr schädlich der betreffende "input" bewertet wird. Aber damit ist keineswegs bereits darüber entschieden, wie genau, in welcher Weise der nach diesem Modell affizierte Organismus auf den "input" reagiert, mit welcher Handlung er diesem "antwortet". Worin besteht die dem jeweiligen "input" entsprechende Umsetzung von Begehren bzw. Ablehnung? Hügli/Lübcke weisen zurecht darauf hin, Hobbes leugne den freien Willen des Menschen nicht prinzipiell; aber: "Es ist streng genommen nicht der Wille, der frei ist; frei sind Handlungen und Menschen", sofern ihnen keine externen Hindernisse entgegenstehen.240 Der Wille - so Hobbes' che von zwei (oder mehr) konfligierenden Neigungen im Hinblick auf die je eigene inclusive-fitness-Maximierung besser ist, eine eigene Bezeichnung - etwa die einer derivativen Entscheidungsfreiheit? 240 Hügli/Lübcke 1991, S. 257; vgl. dazu die Formulierung Le, S. 163: "Endlich kann von der gewöhnlichen Verwendung des Wortes Willensfreiheit nicht auf die Freiheit des Willens, des Verlangens oder der Neigung geschlossen werden, sondern auf die Freiheit des Menschen, die darin besteht, daß er bei der Verfolgung dessen, was er will, nach dem er verlangt und wozu er neigt, auf kein Hindernis stößt"; Tönnies (1975, S. 226 f.) geht in diesem Zusammenhang sogar davon aus, die Vorstellung von der Freiheit des Willens müsse für Hobbes selbstwidersprüchlich gewesen sein. Frei sind Handlungen, sofern ihnen keine äußeren Hindernisse entgegenstehen; der Wille als eine Form der Begehrung ist dagegen für Hobbes eine Bewegung, die ih-

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nüchterne Feststellung - "ist ... die Neigung, die beim Überlegen am Schluß überwiegt" (Le, S. 47); eine Neigung aber ist nichts anderes als eine Bewegung, die durch eine andere Bewegung kausal verursacht ist. Also ist der Wille niemals in dem Sinne frei, daß er Ursache- oder grundlos wäre. Freiheit ist für Hobbes zunächst "(um sie zu definieren) nichts anderes als die Abwesenheit von allem, was die Bewegung hindert" (Ci, S. 170), womit "nach der eigentlichen Bedeutung des Wortes die Abwesenheit von äußeren Hindernisse^]" (Le, S. 99, 163 f.) gemeint ist. Entsprechend interpretiert Kodalle im Unterschied zu Tönnies und Horkheimer - die Freiheitsproblematik bei Hobbes so, daß er Freiheit generell als Freiheit von etwas bestimmt (im Gegensatz zur Freiheit zu etwas).241 Dieser Freiheitsbegriff ist aber sehr wohl mit einer bestimmten Form des Determinismus vereinbar, denn er schließt eben nicht aus, daß es eine Fülle kausaler Ursachen gibt, aus der sich eine Handlung ableiten läßt; und ebensowenig schließt dieser Freiheitsbegriff so etwas wie die "innere Notwendigkeit" einer Handlung aus (vgl. Le, S. 164). Menschen sind also determiniert, immer im Sinne ihrer freien Selbsterhaltung (Hobbes) bzw. ihrer "inklusiven Fitness" (Soziobiologie) zu handeln; sie sind jedoch (relativ) frei bei der Auswahl der dazu tauglichen Mittel - sofern keine äußeren Hindernisse entgegenstehen. In "foro interno" sind demnach Menschen niemals frei; sie besitzen jedoch unterhalb der deterministische Grund-Maxime jenen enormen Grad an Verhaltensflexibilität, der maßgeblich für ihren überwältigenden evolutiven Erfolg verantwortlich ist. rerseits wieder von anderen Bewegungen - Begehrungen und Befürchtungen mechanizistisch verursacht ist (vgl. Le, S. 286). 241 Vgl. dazu die Interpretation von Carmichael (1988, S. 266), der unter "'right' of nature - as the absence of external impediments" ausdrücklich "the absence of any claim to rule others by right of natural superiority" verstanden wissen will. Die der Freiheit entgegenstehenden, sie alleine hemmenden "äußeren Hindernisse" können demzufolge nur in den gegen meine Person gerichteten Herrschaftsansprüchen anderer Individuen bestehen. Unter der Voraussetzung, alle Menschen seien von Natur aus psychophysisch derart gleich, daß niemand seine Herrschaftsansprüche erfolgreich durchsetzen kann, ergeben sich dann für die individuelle Freiheit folgende Alternativen: Entweder die ursprüngliche Freiheit bleibt unangetastet bestehen, da die entgegenstehenden externen Hindernisse in Gestalt fremder Herrschaftsansprüche machtlos sind, oder aber - was wahrscheinlicher und Hobbes-adäquater sein dürfte die natürliche Freiheit löst sich ebenso wie das natürliche Recht praktisch in Nichts auf, da ihr im Naturzustand immer und überall - nämlich in Gestalt der anderen, nach immer mehr Macht strebenden Individuen! - "externel impediments" entgegenstehen (Alexander, 1981a, S. 277: "For humans a principal 'predator' is clearly other groups of humans ...").

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Insofern ließe sich - paradoxerweise - sogar sagen, wir seien zur Freiheit determiniert, bzw. frei, weil wir determiniert sind. 242 In "De Cive" (S. 214) findet sich eine in diesem Zusammenhang höchst interessante Formulierung zur bürgerlichen Freiheit: "Die Freiheit der Bürger besteht nicht in der Freiheit von den Staatsgesetzen [...]. Da aber sämtliche Bewegungen und Tätigkeiten der Bürger durch Gesetze niemals fest umschrieben werden, noch bei ihrer Mannigfaltigkeit umschrieben werden können, so muß es notwendigerweise Unzähliges geben, das weder geboten noch verboten wird, sondern das der einzelne nach seinem Ermessen tun oder lassen kann". 243 Überträgt man diese Aussage auf die prinzipielle Freiheitsproblematik und in die Sprache der Soziobiologie, so könnte die Formulierung folgendermaßen lauten: "Die Freiheit der Menschen besteht nicht in der Freiheit von der natürlichen Determination zur inclusive-fitness-Maximierung. Da aber sämtliche Bewegungen und Tätigkeiten der Menschen durch diese Grund-Maxime niemals fest umschrieben werden, noch bei ihrer Mannigfaltigkeit umschrieben werden können, so muß es notwendigerweise Unzähliges geben, das weder verboten noch geboten ist, sondern das der einzelne nach seinem Ermessen tun oder lassen kann". In Sinne dieser Interpretation der "Freiheit" weist auch Leo Strauss im Rahmen einer Kritik an Schmitts Hobbes-Interpretation darauf hin, daß "'Kultur' immer etwas voraussetzt, das kultiviert wird: Kultur ist immer Kultur der Natur. Das bedeutet ursprünglich: die Kultur bildet die natürlichen 242 Zu Vorschlägen der Vereinbarkeit von Determinismus und Freiheit siehe auch Rheinwald, 1990; speziell aus soziobiologischer Sicht vor allem Barash, 1981, S. 265 ff. Zu den genannten Kritikpunkten siehe v.a. die Publikationen von Low, Spaemann, Knapp, Kuhlmann, Vossenkuhl, Koslowski, Bayertz. Zur Mechanizismus/Materialismus-Problematik siehe u.a. Irrgang, 1990, S. 35. 243 Insofern wäre also Kodalles' Interpretation des Hobbesschen Freiheitsbegriffs einseitig. Für Hobbes bedeutet Freiheit zugleich Freiheit von etwas - nämlich von äußeren Hindernissen der Bewegung einschließlich gesetzlicher Vorschriften -, und Freiheit zu etwas - nämlich zu allen Handlungen, denen keine äußeren Hindernisse, einschließlich gesetzlicher Verbote, entgegenstehen. Die vielfach kritisierte Hobbessche Lehre von der Bedingtheit des menschlichen Willens, die gleichbedeutend sei mit einer Vernichtung der Willensfreiheit, ist etwa für Schopenhauer (1991, Bd. III, S. 531; vgl. auch Bde. III, S. 431 ff.; IV, S. 185) "so deutlich bewiesen und außer Zweifel gestellt, daß sie zu den vollkommen demonstrirten Wahrheiten beizuzählen ist: daher nur Unwissenheit und Rohheit von einer Freiheit in den einzelnen Handlungen des Menschen, einem libero arbitrio indifferentiae, zu reden fortfahren konnte". Zur Diskussion der "Willensfreiheit" bei Hobbes siehe auch Paeschke, 1989, S. 118 f., Tönnies, 1912 2 , S. 169 ff.

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Anlagen aus; sie ist sorgfältige Pflege der Natur - einerlei ob des Erdbodens oder des menschlichen Geistes -; sie gehorcht eben damit den Anweisungen, welche die Natur selbst gibt". 244 Alles in allem ergibt sich aber auch für die Freiheitsproblematik, daß der Streit um absolute Freiheit oder Determinismus für eine praktische, politische Philosophie, erst recht aber für die politische Praxis im Grunde ebenso müßig ist wie alle metaphysischen Fragen. Wichtig ist allein, ob die menschliche Wahlfreiheit ausreicht, ob das Spektrum seiner Handlungsmöglichkeiten groß genug ist, um den in ihrer Quantität und Qualität neuen Herausforderungen gerecht zu werden, mit denen er heute in zunehmendem Maße konfrontiert wird. Mit dieser Konzeption von Freiheit ist der prinzipielle Determinismus sehr wohl zu vereinbaren: Der Mensch ist determiniert auf die Genmaximierung - und er ist frei bei der Verwirklichung dieses Zwecks.

5.3 Eine Ethik ohne Grund? Mit der fraglichen bzw. fragwürdigen Gleichsetzung/Nicht-Unterscheidung zwischen Mensch und Tier bzw. der materialistisch-mechanizistischen Wesensbestimmung auch des Menschen geht eine weitere Schwierigkeit eines jeden ethischen Naturalismus' einher, wobei hier auf einen wichtigen Unterschied zwischen Hobbes' Anthropologie und den Lehren der Soziobiologie hinzuweisen ist. Einer der zentralen Einwände gegen die Evolutionäre Ethik/Soziobiologie lautet nämlich, sie erkläre sich mit ihrem totalen Verzicht auf jegliche Transzendenz selbst für ethisch inkompetent, da sie nicht in der Lage sei, die Frage schlüssig zu beantworten, wieso Menschen sich überhaupt moralisch verhalten sollen.245 Die Beantwortung der Frage nach dem letzten Grund des moralischen Sollens mit dem Verweis auf den außermoralischen Fakten-Wert des Überlebens ("Wir sollen moralisch handeln, um zu überleben") setzt sich dieser Kritik zufolge dem Vorwurf des "naturalistischen Fehlschlusses" aus. In diesem Zusammenhang lautet einer der klassischen Einwände, mit dieser Antwort sei die "Unhintergehbarkeit des Wörtchens gut" 246 verletzt. Denn die Frage, im Hinblick worauf denn die inclusive-fitness-Maximierung "gut" sei, könne der soziobiologische Empirist entweder nur tautologisch beantworten oder aber mit dem Verweis auf ein anderes, höherwertiges "Gut" - doch dann könne die "inclusive-fitness-maximierend" eben nicht inhaltlich gleichbedeutend mit "gut" (im moralischen Sinne) sein. 244 Strauss, 1965, S. 166. 245 Vgl. dazu die Kritik Löws am "Biologismus", 1993, S. 71 f.; ders., 1986/87, S. 36. 246 Low, 1992, S. 72; vgl. Moore, 1984, S. 36.

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Ein weiterer zentraler Einwand besagt schließlich, eine naturalistische Ethik-Konzeption lasse ausschließlich die Begründung hypothetischer Imperative und einer bloßen "Klugheitsethik" oder dianoetischen Ethik zu, was aber auf die völlige Beliebigkeit ethischer Normen - und damit auf die Unmöglichkeit inter-individueller und sogar dauerhafter intrasubjektiver normativer Verbindlichkeit - hinauslaufen müsse. 247 Diese Einwände treffen insofern zu, als ein Soziobiologe die Frage nach dem Geltungsgrund moralischer Normen nicht im Sinne einer - was immer das sein mag - "echten" Letztbegründung beantworten kann. Seine "letzte" Antwort auf die Frage, wieso sich ein Mensch moralischen Normen entsprechend verhalten sollte, wird in der Tat lauten, daß er dies (zumindest in der Regel) tun sollte, weil es längerfristig in seinem eigenen (inklusiven!) Interesse ist - doch diese Antwort impliziert eben alle genannten Schwierigkeiten. Diese sind insofern im Rahmen einer naturalistisch-empiristischen EthikBegründung unvermeidbar und auch weitgehend unaufhebbar bzw. theoriekonstitutiv.248 Umgekehrt - und diese Möglichkeit scheint oft übersehen zu werden - kann aber auch der Soziobiologe den "echten" Ethiker ebenfalls fragen, welche bessere Antwort er denn auf die zentrale Frage zu geben weiß, wieso sich Menschen moralisch verhalten sollen. Der "letzt"begründende Verweis auf transzendente oder transzendentale, ewig gültige und unveränderliche moralische Werte 249 ist ebenso wenig überzeugend wie der auf den Willen und die Gebote Gottes. Zum einen deshalb, weil in beiden genannten Fällen die letzte Zuflucht in den höchst problematischen Bereich der Metaphysik führt 250 - was nicht nur aus wissenschaftstheoretischen Gründen ein erheblicher Makel ist. 251 Zum zweiten aber deshalb, weil es überhaupt nicht einleuchtet, in247 Vgl. dazu v. a. Kuhlmann, 1993, S. 90 f., 95 f.; zur Kritik an der von Kuhlmann favorisierten transzendental-pragmatischen Diskursethik siehe unten, Teil 3, Exkurs. 248 Vgl. zu dieser Auffassung Lütterfelds, 1992, S. 196 f. 249 Vgl. etwa Low, 1986a, S. 63 ff. Dabei ist die transzendentale Argumentation aus soziobiologischer Sicht - analog zur Evolutionären Erkenntnistheorie - sogar im Prinzip akzeptabel; zurückzuweisen ist allerdings ihr Letztbegründungsanspruch. 250 Bereits Kant (1978 2 , XI, S. 183 [A 510/511]) war sich darüber im Klaren, daß "wir uns selbst unvermeidlich in Widersprüche verfangen, wenn wir einen einzigen Schritt aus der Sinnenwelt in die intelligible tun wollen"; vgl. entspr. Hume, 1984, S. 121. 251 Natürlich ist auch die evolutionistisch-materialistische These, wonach es jenseits der empirischen Faktenwerte keine transzendenten, an sich seienden Normen oder einen moralische Gesetze aussprechenden Gott gibt, ebenfalls "metaphysisch", da sie hinsichtlich jener Sphäre des Meta-Physischen die positive Feststellung trifft, es gebe

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wiefern etwa mit dem Verweis auf den Willen Gottes oder transzendente Werte eine gelungene Letztbegründung für die Geltung moralischer Normen gegeben ist. Denn wieso sollte man sich entsprechend dem Willen Gottes verhalten? Wieso sollte man sich - ihre Existenz kontrafaktisch unterstellt - in seinem Handeln an transzendenten moralischen Werten orientieren? Das willkürliche Abbrechen des Diskurses an dieser Stelle ("Gott ist die letzte Instanz!"; "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen!") ebenso wie tautologische Antworten wie die: "Weil dies gut ist!", können jedenfalls ebensowenig befriedigen wie die Antworten des Soziobiologen und sind diesen auch insofern gleich"wertig". Was schließlich den Relativismus-Vorwurf gegen eine empiristisch begründete Klugheitsethik anbelangt, so könnte der Soziobiologe ebenfalls mit den gleichen Mitteln kontern: Gerade der Versuch, eine Ethik auf transzendente Werte und Normen oder den "Willen Gottes" zu begründen, führt zu einem (unversöhnlichen) Ethik-Relativismus, da im Streit der Kulturen, Weltbilder und religiösen Überzeugungen über derartige Werte - im Hinblick auf ihren ontologischen Status ebenso wie im Hinblick auf ihre Inhalte und ihre hierarchische Ordnung - gerade kein Konsens besteht und zumal unter den liberal-pluralistischen Bedingungen moderner Gesellschaften - auch nicht möglich scheint. 252 Die auf der Grundlage der soziobiologischen Thesen am plausibelsten erscheinende nicht-metaphysische Antwort auf die zuletzt gestellten Fragen lautet: Du solltest dich dem "Willen Gottes'Vden "transzendenten Werten" entsprechend verhalten, weil dies längerfristig in deinem eigenen (inklusiven!) Interesse ist. 253 sie gar nicht. In diesem Punkt steht also wiederum eine metaphysische Meinung gegen eine andere. Und da es offensichtlich kein objektives, wissenschaftlich tragfähiges Kriterium gibt, eine dieser Thesen als überlegen oder "wahrer" zu bewerten, müssen sie insofern als gleichwertig" angenommen werden. Welcher der Thesen man persönlich zustimmt, dies hängt letztlich vom subjektiven Befinden darüber ab, welche Alternative man für plausibler (oder auch für persönlich "lebenswerter") hält. 252 Die Zeitalter der Kreuzzeuge, der Inquisition und - mehr noch - der europäischen Religionskriege und konfessionellen Bürgerkriege sprechen Bände. Und Hobbes hat in seinem "Behemoth" (S. 30, 56 f., 58, 60 ff., 93 f., 97 f., 136 f., 144) sehr zurecht an mehreren Stellen auf die groteske Situation hingewiesen, daß sich die Bürgerkriegsparteien in England mit derselben Bibel in der Hand gegenseitig die Schädel einschlugen, beide gleichermaßen für sich beanspruchend, die Bibel richtig auszulegen und deshalb "Gott mit uns!" sei. 253 Vgl. hierzu Hobbes' Ausführungen zur "Bedeutung von ewigem Leben, Hölle, Seligkeit, künftiger Welt und Erlösung in der Schrift" im 38. Kapitel des "Leviathan" (S. 341 ff.). Bekanntlich beantwortet auch Hobbes die Frage, warum Menschen (und

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Akzeptiert man diese Überlegung, so verliert auch Horkheimers Kritik an Hobbes und den folgenden Naturrechts-Theoretikern weitgehend ihren Grund, er habe im Zusammenhang mit seinem Menschenbild und dem "Naturzustand" zu Unrecht an eine "absolute und abschließende Wahrheit" geglaubt. 254 Denn zumindest das "Prinzip Eigennutz", die Bestimmung des Menschen als notwendig nach immer mehr "Macht", nach "inclusive-fitness"Maximierung strebendem Lebewesen, dürfte heute (nicht nur) aus soziobiologischer Sicht mit guten Argumenten als eine "Wahrheit" zu vertreten sein, die zumindest bisher als "absolut und abschließend" gelten kann. Dabei ist im Zusammenhang mit Hobbes ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß er in keiner Weise so etwas wie einen normativen Biologismus predigte oder gar als Vorläufer des "Sozialdarwinismus" gesehen werden müßte. 255 unter diesen vorzüglich der mit absoluter Gewalt ausgestattete Souverän) sich moralisch verhalten sollen, letztlich theologisch: "Weil dies dem Willen Gottes entspricht". Mit der Erklärung, die natürlichen "Gesetze der Vernunft", das Moralgesetz und das göttliche Gesetz seien identisch, verankert Hobbes die Geltung von Vernunft- und Moralgesetz letztlich in dieser transzendenten, metaphysischen Ebene (Siehe dazu Kodalle, 1972, S. 54 ff.; ähnlich Bertman, 1977, S. 27 f.). Auf diese Weise kann er im Gegensatz zur modernen Soziobiologie die Frage: "Wieso soll der Mensch moralisch handeln?", in traditioneller Weise letztbegründet beantworten, ohne in die Aporien des evolutiven ethischen Naturalismus zu geraten; doch es ist klar, daß mit der Kategorie "Gott" letzten Endes sein materialistisches Weltbild gesprengt ist und so seine Letztbegründung für denjenigen hinfallig wird, der die Existenz eines Gottes bestreitet und einen konsequenten Materialismus vertritt. Entsprechend kommt auch Weiß (1980, S. 38) zu dem Ergebnis, "Gott [sei] nicht religiös, wohl aber epistemologisch ein viel zu ungenaues Fundament, als daß er das Axiom für ein System zu liefern vermöchte, das immerhin eine 'philosophia vera (id es accurata)' zu sein beansprucht". Weiß erläutert hier sehr differenziert Hobbes' Versuch, den innerweltlichen Materialismus und Mechanizismus mit der Existenz Gottes als nichtmaterieller Substanz zu vermitteln. Gott ist demnach als causa prima und sui als der Ur-Artifex anzusehen, der die "zweiten", physikalischen Ursachen und die Vernunft "angestoßen" hat, jedoch nun nicht mehr direkt in das Weltgeschehen eingreift, sondern eben nur indirekt vermittels jener von ihm ursprünglich geschaffenen Prinzipien (vgl. ebd., S. 33-42; zum Verhältnis von vollständig säkularisierter Wissenschaft zur Theologie und zu Gott vgl. ebd., S. 232-256). 254 Horkheimer, 1930, S. 56 f. 255 Strömholm (1991, S. 154) macht zurecht darauf aufmerksam, Hobbes' Lehre von den "Gesetzen der Natur" und dem "natürlichen Recht" der Menschen habe "nichts mit einem normativen System zu tun", sondern sei vielmehr als die Darstellung von Naturgesetzen im Sinne der Naturwissenschaften zu verstehen. In diesem Sinne ist Hobbes weit weniger "Naturalist" als etwa Locke, für den die Funktion des Gesell-

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Der Staat war für Hobbes gerade der Ausweg aus einem Naturzustand, den er als "einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz" bezeichnete (Le, S. 96). 256 Erst im Staat, dessen primäre und zugleich wichtigste Aufgabe gerade darin besteht, das freie Ausleben des "Wesens" seiner Untertanen zu bändigen, ihre "Natürlichkeit" durch seine Künstlichkeit zu mäßigen und so den gewaltsamen, brachialen "Krieg aller gegen alle" zu verhindern, ist nach Hobbes ein wahrhaft menschen-würdiges Dasein möglich, in dem er sogar die Möglichkeit der Annäherung an eine "Ähnlichkeit mit Gott" (Ci, S. 59) gegeben sieht. Hobbes' Lehre von der Menschen-Natur und dem Naturzustand des "Krieges aller gegen alle" ist daher mit jeglichem normativen Biologismus unvereinbar. 257 In moralphilosophischer Hinsicht läßt sich diese mechanizistische Grundlagentheorie bei Hobbes und der modernen Soziobiologie nach alledem in einem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammenfassen: Unhintergehbar und absolut stabil ist einzig und allein das "Prinzip Eigennutz", oder - mit Hobbes - das Streben nach freier Selbsterhaltung; im Hinblick auf dieses Prinzip gibt es keine absolute Freiheit irgendeines Organismus, einschließlich des Menschen. Deshalb erscheint es auch als sinnvoll, dieses "Prinzip Eigennutz" zur Basis einer pragmatischen Ethik zu machen, die an realer praktischer Umsetzbarkeit interessiert ist und sich nicht als "reine" Theorie, als bloßes intellektuelles Spiel verstehen will. Beiden Theorieansätzen, dem Hobbesschen wie dem soziobiologischen, ist gemeinsam, daß sie bei einer Intention des Menschen ansetzen, die "die schlechthin fundamentalste [ist], die nicht mehr zur Disposition, zur Veränderung steht und in diesem Sinne problemlos ist". 25 « schaftsvertrages darin besteht, "die durch das Naturrecht gesetzte Ordnung aufrechtzuerhalten" (Strömholm, 1991, S. 186). 256 Zurecht weist daher Kersting (1992a, S. 29 f., 37, 43, 45, 127 f., 148-159) wiederholt darauf hin, Hobbes' "Leviathan" sei in erster Linie ein "Friedensinstrument". 257 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Wrong, 1984, S. 212 f. Zur These, der Mensch sei in Hinsicht auf einen natürlichen Lebensvollzug ein "mangelhaftes Wesen" siehe - neben Gehlen - Bartuschat, 1981, S. 24 f. Bartuschat trifft hier eine sinnvolle Unterscheidung zwischen bloßer Lebens- und Selbsterhaltung, wobei letztere - mit Hobbes - in erster Linie auf freie Selbstentfaltung hin angelegt sei (ebd., S. 26). Die auf Gehlen zurückgehende "Mängelwesen"-Theorie ist aus heutiger Sicht freilich nicht mehr haltbar - schon alleine aus dem Grund, daß der Mensch das mit Abstand "erfolgreichste" Produkt der Evolution ist, was vor allem auf seine "natürliche Künstlichkeit" zurückzuführen ist. 258 Höffe, 1982, S. 40.

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5.4. Der "naturalistische Fehlschluß" Die Argumentationen der letzten drei Unterkapitel haben bereits weitgehend die Weichen für die folgende Auseinandersetzung mit der These vom "naturalistischen Fehlsschluß" gestellt, deren Ergebnis lautet, daß eine konsequent argumentierende naturalistische Ethik diesen "Fehlschluß" zwar nicht vollständig verwerfen, aber doch erheblich relativieren muß. Der naturalistische Fehlschluß tritt - wie oben bereits angedeutet - in zwei Varianten auf: (1) Die Gleichsetzung einer empirisch bestimmbaren Größe wie "inclusivefitness-maximierend" mit "gut" verletzt die Unhintergehbarkeit dieses Wortes. Zum einen tritt hier die - ebenfalls bereits erwähnte - Schwierigkeit auf, daß es dem naturalistisch-empiristischen Ethiker unmöglich ist, eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben, im Hinblick worauf denn die "inclusive-fitness-Maximierung" "gut" sei. Diese Antwort wird notwendig tautologisch ausfallen ("Die inclusive-fitness-Maximierung ist gut zur inclusive-fitness-Maximierung.") oder aber die Identitätsbehauptung von "gut" und "inclusive-fitness-maximierend" insofern ad absurdum führen, als eine Antwort wie etwa: "Die inclusive-fitness-Maximierung ist gut, weil sie dem Telos der Natur gemäß ist", eben besagen würde, die "inclusive-fitness-Maximierung" sei nur noch in Relation zu höherwertigen, teleologischen Gut "gut", jedoch keinesfalls selbst identisch mit "gut". Natürlich führt - um an das Beispiel anzuknüpfen - auch die Identifizierung von "gut" mit "dem Telos der Natur gemäß" wiederum in die gleichen Schwierigkeiten. Die Definition von "gut" durch irgendeine andere (natürliche) Eigenschaft führt also notwendig immer in das "MünchhausenTrilemma", entweder nichtssagend-zirkulär zu sein, den Begründungsregreß willkürlich abbrechen oder aber ihn ad infinitum fortsetzen zu müssen. Schließlich ist auch Moore's Argument: "Falls gut als etwas anderes definiert wird, ist es unmöglich zu beweisen, daß eine andere Definition falsch ist, oder eine solche auch nur abzuweisen", offensichtlich nicht von der Hand zu weisen. 259 Die Definitionen "gut = inclusive-fitness-maximierend" und "gut = dem Telos der Natur gemäß" sind insofern gleichwertig und lassen jedenfalls wenn man annimmt, "inclusive-fitness-maximierend" und "dem Telos der Natur gemäß" seien nicht ebenfalls bedeutungsgleich - die Frage völlig offen, was nun "gut" tatsächlich bedeutet. 260 259 Moore, 1984, S. 42. 260 Zur Bedeutung von Moores Argument der "offenen Frage" vgl. Mackie, 1983, S. 74 ff.

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Aber das heißt nun gerade nicht, man könne oder müsse sich mit der noch unbefriedigenderen Tautologie Moores ("daß gut gut ist, und damit ist die Sache erledigt"261) zufrieden geben; dies tut kein Naturalist, und erst recht tut es kein Idealist. Die Frage, was "gut" inhaltlich "letztlich" bedeutet, muß von jedem Ethiker - sofern er keinen intuitionistischen oder emotivistischen Relativismus begründen will (den moralischen "homo-mensura"-Satz), sondern an der Begründung von intersubjektiv bzw. allgemein gültigen Normen interessiert ist! - positiv beantwortet werden. 262 Und für die moderne Soziobiologie besteht das übergeordnete - freilich nicht das einzige -, "letzte" Gute - in Übereinstimmung mit Hobbes - für jeden Menschen und für jeden Staat primär in seiner je eigenen freien Selbsterhaltung.263 Die nächste Frage, im Hinblick worauf und wieso überhaupt denn die freie Selbsterhaltung "gut" sei, muß jedoch zurückgewiesen werden, da es hierauf keine befriedigende, widerspruchsfreie Antwort gibt ("Die freie Selbsterhaltung ist gut, weil sie dem Grundbedürfnis eines jeden Menschen entspringt", ist ebenso tautologisch wie die Antwort: "weil es dem Plane Gottes mit dem Menschen entspricht". Beides heißt letztlich: "Die freie Selbsterhaltung ist gut, weil sie gut ist" - und damit ist die Sache erledigt.). 264 261 Moore, ebd., S. 36; zur Diskussion um das Wort "gut" in der angelsächsischen Metaethik seit Moore siehe Riedinger, 1984, v.a. S. 25-29; ebs. Mackie, 1983, S. 7279. 262 Vgl. zur Rolle der Intuition bzw. Evidenz bei Moore Riedinger, 1984, S. 36 ff. 263 In Anlehnung an einen Vorschlag von Vollmer (1993, S. 124) könnte man die freie Selbsterhaltung somit als die axiologische "'Supernorm[]'" einer Evolutionären Ethik bezeichnen. 264 Auch Rawls' "Theorie der Gerechtigkeit" geht von einer "Theorie des Guten" aus, die das "Gute" inhaltlich bestimmt als "die Befriedigung vernünftiger Bedürfnisse" (1991®, S. 113). Natürlich könnten auch idealistische Ethiker genau die gleiche Argumentation für sich in Anspruch nehmen und etwa schlicht behaupten: "Gut ist, was der Idee des Guten entspricht - und damit ist die Sache erledigt". Aber: Dies wird ein "echter" Idealist im Zweifel nicht tun, da ihm am theoretischen Nachweis der Wahrheit seiner Lehre gelegen ist. Der Naturalist kann sich dagegen damit begnügen, ob seine Theorie in der Praxis funktioniert. Ihm muß es nicht primär um "letztbegründete" theoretische Wahrheit gehen, sondern um Plausibilität, "konzeptuelle Überzeugungskraft" und Praktikabilität (vgl. zu dieser Argumentation auch Vollmer, G., 1993, S. 109 f.). Und die These dürfte nicht abwegig sein, daß die Selbsterhaltungs-Antwort auf die Frage nach dem Bedeutungsinhalt von "gut" insofern plausibler ( = Beifall verdienender) ist als jede (sonstige) Metaphysik, als sie in einem allgemeinen und rationalen Diskurs beste Aussichten hätte, Mehrheiten für sich zu gewinnen.

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D e n Vorwurf schließlich, mit dieser verweigerten Antwort den Begründungsrekurs willkürlich abzubrechen, kann man ebenfalls akzeptieren, da das "Münchhausen-Trilemma" ohnehin - wie bereits dargelegt - auch in dieser Hinsicht unumgänglich ist. 2 6 5 So stehen sich also auch im Streit um die inhaltliche(n) Bedeutung(en) von "gut" letztlich wiederum mehr oder weniger gut begründete Meinungen (kritisch-rationalistisch formuliert: Zur Bewährung anstehende Hypothesen) gegenüber, deren philosophisch-theoretische Defizite sich prinzipiell die Waage halten. Die (teleonome) Zweckhaftigkeit der je eigenen freien Selbsterhaltung bzw. inclusive-fitness-Maximierung ist aber intuitiv derart gewiß, geht gleichsam automatisch mit der subjektiven Selbstgewißheit der eigenen Existenz einher, daß sie als (nahezu) allen menschlichen Individuen gemeinsames "Gut-an-sich" angesehen werden kann. 2 6 6 Objektiv stellt diese axiomatische Annahme der freien Selbsterhaltung als "Gut-an-sich" - mit Jo-

265 Zur "Einsicht in die Unvermeidbarkeit des Münchhausen-Trilemmas in allen Bereichen", siehe Vollmer, G., 1993, S. 108 f.; zu den Schwierigkeiten ethischer Normenbegründungen vgl. auch Lay, 1991, S. 25 ff. In ähnlicher Weise macht auch der Pragmatiker Stachowiak (1983, S. 348) darauf aufmerksam, man benötige bei der Begründung von Wertmaßstäben in einer praxisorientierten, normativen Forschung neben "normativem Wissen" auch "normative Vergewisserungen", wobei es sich bei letzteren um "die Gewinnung von Handlungsantizipationen nach Kriterien handelt, die mit der Notwendigkeit und Wünschbarkeit künftiger Lebensumstände für die Entscheidungsbetroffenen zusammenhängen". Derartige normative Vergewisserungen - so betont Stachowiak - könnten ohne eine gewisse "Basis-Axiologie", "in denen irgendwie das zweifelnde Weiterfragen ein je jetztzeitliches Ende findet", nicht praktisch wirksam werden. Und die von ihm vorgeschlagen ethischen BasisAxiome einer normativen Wissenschaft lauten - parallel zu Hobbes! -: "menschliche Lebenssicherung" und "Daseinsentfaltung"; vgl. entspr. Patzelt, 1992, S. 80 f. 266 Vgl. die analoge Argumentation bei Jonas, 1989, S. 154. Aus der Sicht Moores könnte man dagegen natürlich einwenden, daß dann, wenn die Allgemeinheit des Zweckes "inclusive fitness" intuitiv gewiß ist, auch die Formel "gut ist gut" nicht zu einem relativistischen moralischen "homo mensura" fuhren müßte, da sich eben alle Menschen aufgrund ihrer "Wesens"-Gleichheit unter "gut" intuitiv Gleiches oder Ahnliches vorstellen. Dieses Argument trifft prinzipiell zu, doch es ist zu vermuten, daß die Formel: "gut ist, was dem wohlverstandenen inklusiven Eigeninteresse dient", gegenüber der Formel: "gut ist gut", einen gewissen Verständlichkeits- oder Nachvollziehbarkeitsbonus hat - vor allem, wenn man bedenkt, daß die Adressaten einer auf Praxis angelegten Ethik in aller Regel keine Philosophen, keine in abstraktem Denken geschulten Intellektuellen sind; vgl. zu dieser These Arni, 1987, S. 359; ebs. Vollmer, G., 1987, S. 92 f.

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nas - freilich eine "letzte metaphysische Wahl"267 dar, doch diese kann mit guten Gründen vertreten werden. Gegenüber einem - nicht minder metaphysischen sowie überdies höchst theoretisch-abstrakten und kontrafaktischen radikalen Nihilismus sind dies vor allem psychologische, lebenspraktische Gründe (kann es - außer Amokläufern - "praktizierende Nihilisten" geben?). Gegenüber einer traditionellen Werte- und/oder religiösen Metaphysik hat aber die freie Selbsterhaltung den Vorteil, als "Gut-an-sich", als "Norm, die immer schon faktisch ist"268, ungleich evidenter, nachvollziehbarer, lebensnäher zu sein, so daß sie (nahezu) wie ein empirisches Faktum behandelt werden kann. 269 Ein weiterer Einwand im Zusammenhang mit der Unhintergehbarkeit des Wörtchens gut lautet, die Bedeutung von "gut" würde durch die Gleichsetzung mit "inclusive-fitness-maximierend" völlig relativiert. Denn wessen "inclusive-fitness-Maximierung" ist dann als "gut" zu bewerten? Meine? Deine? Die meiner Familie, meiner "Nation", meiner "Rasse"? Oder gar die der "Menschheit"?270 Wenn aber meine "guten" Handlungen, die moralisch "gut" sind, weil sie meine "inclusive-fitness" fördern, die fitness eines ande267 Jonas, 1989, S. 155. 268 Weiß, 1980, S. 177. Der ganze Streit um die Trennung zwischen Tatsachen und Normen wäre also hier hinfällig, weil die ontologische Kluft gar nicht besteht: Die Norm ist und muß nicht erst irgendwie und irgendwoher deduziert werden. 269 Immerhin scheint das "Prinzip Eigennutz" als Basissatz einer Wissenschaft so einleuchtend, innovativ und erfolgreich zu sein, daß es etwa in Gestalt des amerikanischen Ökonomen Gary S. Becker, der den Menschen konsequent als einen rational kalkulierenden, stets an der eigenen Nutzenmaximierung orientierten "homo oeconomicus" sieht, einen Nobelpreis erhielt. Becker, der diese Prinzipien ausdrücklich nicht nur im Rahmen der neoklassischen Wirtschaftstheorie, sondern in nahezu allen menschlichen Lebensbereichen für anwendbar hält, möchte dabei ausdrücklich völlig auf ethische Kategorien verzichten (zu Beckers Theorie siehe Heuser, 1992, S. 31; zum "auf die Verwirklichung seiner Interessen bedachte[n] Individuum" als der "zentralefn] analytische[n] Kategorie" der modernen ökonomischen Theorie siehe auch Hartwig, 1987, S. 155 ff.; Gentz, 1993, S. 92 f., 106; zur Bedeutung des "homo oeconomicus" in den Sozialwissenschaften siehe auch den - diesbezüglich höchst kritischen - Beitrag von Schubert, 1983, S. 111 ff.). Zum Argument der "vergleichsweise geringe[n] Begründungslasten" einer unmittelbar auf das (rationale) Eigeninteresse gestützten Ethik vgl. auch Arni, 1987, S. 357 f. 270 Dieser Einwand trifft natürlich auch einen naiven Militarismus, der "gut" schlicht mit "nützlich" synonym setzt, da sich eben auch hier die Frage nach der Bezugsgröße aufdrängt, d.h. danach, wessen Nutzen denn gemeint ist.

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ren Menschen einschränken, sind dann meine "guten" Handlungen zugleich aus der Perspektive des anderen oder gar "objektiv" - moralisch schlecht? Löst sich dann nicht die Bedeutung von "gut" auf? Oder muß man ebenso viele Bedeutungen von "gut" zulassen wie es zu fördernde "inclusive-fitnessEinheiten" gibt? Aber auch hier bliebe vom intersubjektiven Bedeutungsgehalt des Wörtchens "gut" praktisch nichts mehr übrig, da es gleichsam "atomisiert" würde. Die Antwort auf diese Fragen kann mit Hobbes und der Soziobiologie nur lauten, daß sie sich nicht eindeutig beantworten lassen, sondern die Antwort davon abhängt, welche soziale Bezugsgröße wer vor Augen hat. Mit Blick auf die gleichsam unterste Ebene - also die Ebene des "Naturzustandes" der hominiden Kleingruppen - lautet die Antwort klar und unmißverständlich: Ausschließlich meine "inclusive-fitness-Maximierung", also die Gesamtfitness meines Genpools bzw. meiner "Ingroup", ist "gut". Es liegt auf der Hand, daß man - mit Hobbes (vgl. Le, S. 97) - auf dieser Ebene noch keine moralischen Kategorien gelten lassen kann. Auf dieser Ebene des "Naturzustandes" gibt es nur einen rein funktionalen Begriff von "gut": Gut ist alles, was der Gesamtfitness "meines", d.h. des je eigenen Genpools zuträglich ist - und das kann unter bestimmten Umständen auch für die Tötung des eigenen Nachwuchses gelten, und es gilt - auf dieser Ebene! - prinzipiell für die Diskriminierung, Bekämpfung und gegebenenfalls die Ausrottung genetisch fremder Artgenossen. Die Kennzeichnung derartiger Verhaltensweisen als "gut" mag aus heutiger Sicht vordergründig sehr wohl "offensichtlich unserem Sprach- und Denkgebrauch [widersprechen]"271, doch darf dabei zum einen nicht übersehen werden, daß wir hier den "Naturzustand" des "Krieges aller gegen alle" der ursprünglichen Hominiden-Kleingruppen vor Augen haben, es sich hier also eben nicht um eine "moralische", sondern um eine rein funktionale Bedeutung von "gut" handelt. Zum zweiten sollte man sich aber überlegen, ob derartige Verhaltensweisen in unserer heutigen Welt - die nach wie vor geprägt ist von Nepotismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, nationalen Ressentiments und Spannungen, alten und neuen Nationalismen, Rassismen, Tribalismen, Ethnozentrismen usw. 272 - tatsächlich so sehr "unserem Denkund Sprachgebrauch" - zumal unter kritischen Lebensbedingungen - widersprechen. Widerspricht es tatsächlich unserem Denk- und Sprachgebrauch, das Töten eines feindlichen Soldaten oder auch von Zivilpersonen im einem "gerechten" Krieg als "gut" oder zumindest als moralisch legitim zu be271 Low, 1985, S. 37 ff.; ders., 1986/87, S. 35 ff. 272 Vgl. dazu Phocas, 1986, S. 165 f.; Wuketits, 1993b, S. 187 ff.

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zeichnen? 273 Widerspricht es tatsächlich unserem allgemeinen Denk- und Sprachgebrauch, das Töten des eigenen Nachwuches bei ungünstigen Aufzuchtbedingungen - in Deutschland nannte man das bis zur Novellierung des § 218 StGB "soziale Indikation" - ebenfalls für moralisch unbedenklich oder zumindest vertretbar zu erklären? Widerspricht es unserem allgemeinen Denkund Sprachgebrauch, daß die Art und Weise des Wirtschaftens etwa im reichen Westeuropa das Elend in anderen Ländern der Erde (zumindest mit) verursacht hat, es prolongiert und zum Teil massiv verschärft? Muß man nicht mit Hobbes auch an die Adresse heutiger "echter" Moralphilosophen die kritische Frage richten, was sie zur Verbesserung der menschlichen Praxis in ihrem moralischen Sinne beizutragen haben. Gleichen nicht unsere Denk- und Sprechgewohnheiten jenen "blindlings angenommenen Meinungen", die durch "schöne, den Neigungen schmeichelnde Darstellung" der diversen Moralphilosophien befestigt werden, die aber praktisch völlig unfruchtbar sind (vgl. Ci, S. 61)? Die Antwort auf die Frage, wessen "inclusive-fitness-Maximierung" als "gut" gelten soll, ändert sich aber, sobald sich die soziale Bezugsgröße ändert: "Denn befinden sich die Menschen in dem Zustand, in dem sie kein anderes Gesetz kennen als ihre eigenen Triebe, so kann es keine allgemeine Regel für gute und böse Handlungen geben. In einem Staat ist dieser Maßstab aber falsch: nicht der Trieb von Privatleuten, sondern das Gesetz, das Willen und Trieb des Staates darstellt, ist der Maßstab" (Le, S. 519; vgl. auch ebd., S. 41, 98). Und der normative Maßstab des Gesetzes - und damit des Souveräns - ist nach Hobbes bekanntlich "salus populi" (Le, S. 255; Ci, S. 205 f.). Insofern ist mit Hobbes der "naturalistische Fehlschluß" auf der Ebene des inter-individuellen Naturzustandes prinzipiell abzulehnen - und zwar nicht, weil er hier den Schluß vom Sein auf ein moralisches Sollen für möglich hält, sondern weil moralisches Sollen auf dieser Ebene überhaupt noch nicht angenommen werden kann. Auf dieser Ebene ist die Befriedigung des inklusiven Eigeninteresses im rein faktisch-funktionalen Sinne "gut", im moralischen Sinne jedoch "jenseits von Gut und Böse". Dies ändert sich auf der Ebene des Staates prinzipiell; nun werden per Gesetz Dinge (Eigentum!) für werthaft und damit für moralisch relevant erklärt.274 Erst auf dieser Ebene ist es für 273 Und selbst wenn dies "unserem" - d.h. Löws - Denk- und Sprachgebrauch widersprechen sollte, was sagt dies etwa im Hinblick auf den serbischen Nationalisten oder den bosnischen Moslem, der das Töten seiner Feinde nicht nur für moralisch legitim, sondern für geboten hält? 274 Sie werden auf diese Weise zu "institutionellen" Tatsachen (im Unterschied zu "natürlichen" Tatsachen) im Sinne Searles (vgl. dazu Mackie, 1983, S. 83 ff., 101-

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Hobbes sinnvoll, Begriffe wie "gerecht" und "ungerecht", "gut" und "böse" zu verwenden275; für das Verhältnis der Individuen (bzw. Kleingruppen) auf der Ebene des vorstaatlichen Naturzustandes aber gilt, daß "keine Handlung ungerecht sein [kann]" (Le, S. 110).276

104). Institutionelle Tatsachen haben die Eigenschaft, daß man einmal über sie sprechen kann, indem man sie aus einer externen Position heraus beschreibt; zum anderen besteht aber auch die Möglichkeit, innerhalb des Rahmens jener Institutionen und ihrer Regeln und Bestimmungen zu reden, wobei ihre faktische Geltung unterstellt wird. In diesem Fall repräsentieren Dinge (für uns) Werte, und aus ihrem Sein "folgt" ihre moralische Relevanz. Mackie nennt als Beispiele für solche institutionelle Tatsachen das Schachspiel und die soziale Institution des Versprechens. Hobbesianisch gewendet: Schließt A mit B einen Vertrag und verspricht auf diese Weise eine zukünftige Leistung, so ist die Verweigerung der Erfüllung dieser Leistung dann nicht widerspruchsfrei möglich, wenn die objektive Geltung der institutionellen Tatsache "Versprechen" in einer Rechtsgemeinschaft - der A und B angehören - gesetzlich festgelegt ist. A hat diese objektive Geltung mit der Abgabe seines Leistungsversprechens anerkannt. Die Möglichkeit, daß A tatsächlich die Erfüllung seines Versprechens in betrügerischer Absicht verweigern kann, ändert nichts daran, daß objektiv die Verpflichtung zur Erfüllung bestehen bleibt. Dies gilt nicht, wenn etwa die Rechtsordnung, innerhalb deren Geltungsbereiches A und B sich befinden, die Institution "Versprechen" oder "Vertrag" nicht regelt, oder wenn sich A und B im Naturzustand befinden, in dem das jederzeit berechtigte Mißtrauen gegenüber jeglichem Versprechen streng genommen zur völligen Unmöglichkeit der Existenz institutioneller Tatsachen führen muß, sofern eine Institution "sich auf ein von vielen Menschen praktiziertes, ziemlich regelmäßiges Verhalten [gründet]" (Mackie, 1983, S. 102; vgl. auch Hume, 1978, S. 233). Im Hobbesschen Naturzustand hat demnach sogar die "Institution" "Betrug" keinen Platz. Diesen Umstand hat Hobbes selbst offensichtlich nicht völlig klar erkannt. Er schreibt zwar (Le, S. 110 f.), daß "die Gültigkeit von Verträgen ... erst mit der Errichtung einer bürgerlichen Gewalt [beginnt]" (Hervorhebung T.M.), doch dies impliziert, daß es auch im Naturzustand Verträge geben kann - wenn auch diese nicht viel wert sind (vgl. Le, S. 104 f., 110). Eine Fülle weiterer Beispiele könnte hier angeführt werden, so etwa die "institutionellen Tatsachen" "Nation", "Volk", "Heimat" usw. (vgl. Tönnesmann, 1987, S. 186 f.). 275 Ähnlich argumentiert später auch Kant: "Ehe die Vernunft erwachte, war noch kein Gebot oder Verbot, und also noch keine Übertretung" (1978 2 , XI, S. 92). 276 Vgl. dazu Weiß, 1980, S. 147, 155, 174 ff., 199 f.

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(2) D e r Schluß von einem Sein auf das moralische Sollen ist aus begriffslogischen wie auch aus moralischen Gründen kategorisch abzulehnen ("There is no w a y from is to ought"). 2 7 7 D i e s e m Satz ist aus soziobiologischer Sicht (!) insofern zuzustimmen, als es nicht sinnvoll ist, von einem "an sich" werthaften Sein außer dem eigenen (und d e m der kontingenten "Ingroup") zu sprechen. 2 7 8 Deshalb kann aus der Feststellung eines bloßen empirischen Faktums auch nicht der unmittelbare Schluß f o l g e n , dieses Faktum solle sein (So folgt aus d e m Faktum, daß es in der gesamten Menschheitsgeschichte kulturinvariant Fetozide, Infantizide, Minderheiten-Pogrome und Genozide gab und gibt, selbstverständlich nicht, diese sollten sein.). 277 Vgl. Hume, 1978, S. 211 ff.; zur näheren Erläuterung und Diskussion des Humeschen Arguments siehe Mackie, 1983, S. 79-97. 278 Auf die An-sich-Wertphilosophie eines Thomas von Aquin oder eines Nicolai Hartmann kann hier nicht eingegangen werden. Spielt man die Humesche Variante des naturalistischen Fehlschlusses (Kein Schluß vom Sein auf das Sollen) mit dem "Prinzip Eigennutz" durch, so kommt man zu einem merkwürdigen Ergebnis: Vorausgesetzt wird, daß jedem Organismus - also auch jedem Menschen - die genetisch-faktische Neigung innewohnt, den eigenen (inklusiven) Nutzen zu maximieren. Humes Argument lautet nun, Dinge und Sachverhalte seien nicht an sich werthaft und auch die noch so häufige Gewünschtheit eines Gegenstandes oder eines Sachverhaltes lasse nicht den Schluß zu, dieser Gegenstand oder Sachverhalt sei an sich wünschenswert. Vielmehr sind Werte "Projektionen von Bedürfnissen und Wünschen von Menschen auf Dinge und Sachverhalte" (Knapp, 1989, S. 157 f.). Für den Fall des genetisch implementierten "Prinzip Eigennutz" bedeutet dies, daß aus seinem genetischen Sein nicht auf sein Sollen geschlossen werden darf; vielmehr ist der "Wert" des "Prinzip Eigennutz" und damit der je eigenen Tauglichkeitsmaximierung - wiederum abhängig von Projektionen menschlicher Wünsche und Bedürfnisse. Abgesehen davon, daß man dann Sätze wie: "Aus der Tatsache, daß ich meine Selbsterhaltung permanent wünsche, folgt in keiner Weise, daß sie wünschenswert ist", als zutreffend gelten lassen müßte, scheint sich in diesem Punkt die Katze in den Schwanz zu beißen. Wenn man nämlich annimmt, menschliche Wünsche und Bedürfnisse zielten in aller Regel auf die Realisierung von Interessen ab, das grundlegendste Interesse eines jeden Menschen beinhalte jedoch die je eigene Selbsterhaltung, die wiederum - soziobiologisch ebenso wie hobbesianisch - als die fundamentale Möglichkeitsbedingung der je eigenen Tauglichkeitsmaximierung anzusehen sei, dann läuft die These, die Tauglichkeitsmaximierung sei nicht an sich ("intrinsisch"), sondern nur als Projektion menschlicher Wünsche und Bedürfnisse wertvoll, auf den merkwürdigen Satz hinaus: Ob die eigene Tauglichkeitsmaximierung gut ist, hängt letztlich davon ab, ob sie als gut für die eigene Tauglichkeitsmaximierung bewertet wird oder nicht.

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Dennoch gerät jeder naturalistische Ethiker in erhebliche begriffliche Schwierigkeiten, wenn er den naturalistischen Fehlschluß in dieser Variante uneingeschränkt akzeptiert. So vertritt etwa der Freiburger Biologe Hans Mohr die These, der "naturalistische Fehlschluß vom Sein auf das Sollen [werde] in der biologischen Ethikdiskussion strikt vermieden" und die "Evolutionäre Ethik" lasse insofern "Raum für ein Transzendieren unserer biologischen Verhaltensdeterminanten durch Vernunft".279 Mohr fordert im Sinne dieses "Transzendierens" mit Vehemenz die Rückbesinnung auf die "idealistische Ethik unserer abendländischen Tradition" seit Piaton280 und meint, im Kantischen "kategorischen Imperativ" (Naturgesetz-Variante), habe die "autonome Moral ihren höchsten Ausdruck" gefunden. 281 Demnach hätte also die "autonome Moral" ihren höchsten Ausdruck in einem (weitestgehend) inhaltsleeren moralischen Idealismus gefunden?282 Der Kern der diesbezüglichen Kritik an Kant besagt, daß keine Ethik letztlich auf empirische, natürliche, faktische Werte als Basis des Geltungscharakters der von ihr begründeten Normen verzichten kann. Eine "reine" deontologische Ethik, wie von Kant intendiert, steht immer vor dem Problem, das von ihr geforderte "Gute" inhaltlich konkretisieren und dabei auf durchaus empirisch zu bestimmende Werte wie die "fremde Glückseligkeit" oder die "eigene Voll279 Mohr, 1987, S. 77; vgl. ders., 1993, S. 22; ders. 1986, S. 4 ff. 280 Mohr, 1986a, S. 70; auch Höffe (1993, S. 260 f., 266) vertritt die Auffassung, vonnöten für die Etablierung und Durchsetzung der heute geforderten ökologischen Gerechtigkeit sei nicht "eine neue Moral", sondern eine Rehabilitierung der kritischen Urteilskraft im Sinne Kants (und Machiavellis). 281 Mohr, 1986b, S. 4 f.; vgl. ders., 1987, S. 178. 282 Zur grundlegenden Kritik an der Leerheit bzw. "deduktiven Unergiebigkeit" des kategorischen Imperativs siehe v.a. Scheler, 1916; vgl. auch Jonas, 1989, S. 167 ff.; ebs. Lay, 1991, S. 29 ff.: Siep, 1993, S. 292 ff.; aus soziologischer Sicht Luhmann, 1993, S. 135 f.; Schnoor (1989) kommt in seiner überaus gründlichen und differenzierten Analyse der verschiedenen Varianten des "kategorischen Imperativs" zwar einerseits zu dem Ergebnis, dieser sei "keineswegs 'leer', wie so oft behauptet worden ist", andererseits beurteilt er jedoch seine "Beurteilungswirkung" ebenso wie seinen "Wert als Kriterium" als "zu gering" und "enttäuschend" (Schnoor, a.a.O., S. 196). Auch Hösle (1991, S. 81) führt entsprechend aus, das eigentliche Problem einer Ethik liege nicht in der Begründung von Normen, sondern vielmehr in der "Durchsetzung eines entsprechenden Handelns; und hier, auf der Motivationsebene, liegt der eigentliche Grund, warum gewisse Aspekte der Kantischen Ethik merkwürdig obsolet erscheinen". Zur Unabdingbarkeit empirischer Grundlegung jeder Moral siehe Lütterfelds, 1992, S. 196-205; ders., 1993c, S. 28 f.; Ruse, 1986, S. 107 ff.; vgl. ders., 1990, S. 111-117; Richards, 1986, S. 281-286.

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kommenheit" zurückgreifen zu müssen. 283 Ellscheid vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, "die schärfste methodologische Trennung von Sein und Sollen [führe] nicht zu einer Auflösung der zwischen diesen Bereichen bestehenden dialektischen Verflechtungen".284 Das Dilemma der kantisch283 Es ist immerhin bemerkenswert, daß eine von Kants Varianten des "kategorischen Imperativs" auf den Menschen als "Zweck an sich selbst" rekurriert, sein "rein" formales Moralprinzip also eine durchaus materiale Grundlage hat. Und wenn Kant wie Bayertz (1993c, S. 333) in seiner Kritik der Evolutionären Ethik betont - sich sehr wohl dessen bewußt war, "daß menschliches Handeln stets unter empirischen Rahmenbedingungen steht und von natürlichen Determinanten gesteuert wird" (Hervorhebungen T. M.), so stellt sich unmittelbar die Frage, inwiefern dann die rein formale Trennung der empirischen Frage "von der normativen Frage nach der Richtigkeit des Handelns" noch sinnvoll sein kann. Wie kann man davon ausgehen, menschliches Handeln sei stets von empirischen Faktoren bedingt und gesteuert und zugleich für das moralische Handeln verlangen, es dürfe nicht von derartigen Faktoren bedingt und gesteuert sein? 284 Ellscheid, 1973, S. 972; vgl. aus der Sicht des Evolutionären Ethikers Richards, 1993, S. 191 f.; eine ähnliche These vertritt auch Zimmerli (1990, S. 8 ff., 12), für den der naturalistische Fehlschluß lediglich besagt, daß "es nicht hinreichend ist, für eine normative Schlußfolgerung nur deskriptive Prämissen anzusetzen"; gleichwohl erkennt er an, "es [habe] etwas auf sich ... mit der Naturbasis des menschlichen Wesens und daß deswegen vielleicht die Vorstellung, eben durch diese Naturbasis moralisch zu etwas verpflichtet zu sein, richtig ... sein kann"; zur logischen Analyse des Sein-Sollen-Problems siehe v.a. Kutschera, 1977; Stuhlmann-Laiesz, 1983; vgl. ders., 1986. Stuhlmann-Laeisz' normative Voraussetzungen für die Behandlung des Problems der logischen Beziehungen von Sein und Sollen sind, daß a) ein System normfreier Aussagen keinen normativen Gehalt und b) ein System reiner Normaussagen keinen deskriptiven Gehalt hat. Damit stellt er von vorneherein sicher, daß Aussagen, die die Welt beschreiben, mit Mitteln der Logik nicht aus Aussagen, die Normen ausdrücken, ableitbar sind, denn aus Normen folgen keine Tatsachen (1986, S. 23). Das Problem dieser Argumentation ist - unter den gegebenen Prämissen nicht, daß sie unkorrekt wäre, sondern daß sie mit idealsprachlichen Voraussetzungen arbeitet. In tatsächlich verwendeten Alltagssprachen finden sich weder rein deskriptive noch rein normative Sätze. Das von Stuhlmann-Laiesz verwendete Beispiel für eine "rein" normative Aussage: "Es ist geboten, auf der rechten Straßenseite zu fahren", ist von etlichen deskriptiven Konventionen geprägt, die in diese Norm mit einfließen. Etwa der Konvention darüber, was eine Straße ist oder darüber, was "rechts" bedeutet (sofern es überhaupt etwas bedeutet), so daß eine solche Norm nur über deskriptive Verwendungserklärungen formulierbar ist, damit aber zugleich Konventionen enthält, die Einfluß auf den zum Ausdruck gebrachten normativen Gehalt hat. Ebenso ist die Rede vom "rein deskriptiven" als dem "eigentlich interessante[n] Fall" (ebd., S.25) nicht unkorrekt, sondern vielmehr unanwendbar. Was

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deontologischen Moralphilosophie ist darin zu sehen, daß sie zwar eine "reine Idee" des Sollens ausbildet, sich aus dieser aber keine inhaltlichen Konkretionen ableiten lassen. Woraus soll überhaupt - gerade innerhalb eines materialistischen Weltbildes - eine normative Folgerung letztlich abgeleitet werden, wenn nicht aus irgendeinem Sein?285 Muß nicht bereits aus logischen Gründen die letzte Grundlage einer moralischen Norm immer in einem der "Tatsachen-Werte unseres Lebens" 286 liegen, und ist nicht bereits deshalb der (Humesche) naturalistische Fehlschluß in seiner kategorischen Fassung abzulehnen? Diese Ablehnung des naturalistischen Fehlschluß hat nun nichts damit zu tun, daß man direkt bzw. unmittelbar von jedem Sein auf ein Sollen schließen könnte. Ob ein Sein sein Sollen impliziert, setzt den Akt einer mehr oder weniger bewußten Reflexion voraus, in der dem betreffenden Sein ein Wert begründet zugesprochen wird. 287 Insofern wäre es sinnvoller, statt in dogmatischer Weise vom naturalistischen FeMschluß, vom naturalistischen Kurzschluß zu sprechen. Diesen Überlegungen entspricht auch Zimmeriis Forderung nach einem ethischen "Naturalismus ohne Fehlschluß"288, worunter er eine Naturkonzeption verstanden wissen will, die erstens die "Übereinstimmung von Sein und Sollen" ermöglichen und zweitens die "Differenz von Sein und Sollen" aufrechterhalten soll. Eine solche - offensichtlich aporetische - Naturkonzeption ist nun nach seiner Meinung "gar nicht so schwer zu finden". Natur ist - so Zimmerli - "da Sollen nichts anderes ist als eine im Prinzip für alle erkennbare Optimierungsvorstellung bezüglich des Seins im Denken, der Sein-Sollen-Differenz entzogen". Die Sein-Sollen-Differenz ergibt sich demnach erst auf der Ebene des analytisch reflektierenden Bewußtseins, so daß auf dieser Ebene auch jeweils entschieden werden muß, welches natürliche

285 286 287 288

ein rein deskriptiver Fall ohne normative Einflüsse durch Sprachkonventionen und Theorien ist, dies bleibt völlig offen. Hier scheint - wie so oft - der Fall vorzuliegen, daß eine Theorie zwar konsistent ist, aber nicht klar wird, wie sie praktisch anwendbar sein sollte - "Die Theorie funktioniert eben da, wo sie funktioniert" (Goodman, 1975, S. 108). Zur entsprechenden Kritik des naturalistischen Fehlschlusses vgl. auch Wuketits, 1993a, S. 219 f.; Jonas, 1989, S. 92 ff., 153 ff. Lütterfelds, 1992, S. 200. Vgl. dazu die Argumentation für die Möglichkeit einer "normativen Politikwissenschaft" bei Patzelt, 1992, S. 79-85, 180-187, 243-252. Zimmerli, 1990, S. 18 f.

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Sein mit einem moralischen Sollen verbunden werden, in Übereinstimmung gebracht werden soll. Zimmeriis Konzeption ist mit der Hobbesschen Ethik gut zu vergleichen. 289 Denn für Hobbes ist es nicht sinnvoll, die Kategorien "gut" und "böse" auf die rein natürliche (nach Hobbes also die vor-staatliche) Ebene anzuwenden; im Naturzustand gibt es gleichsam nur Faktizität, keine (moralische) Normativität; auf dieser Ebene ist der Mensch eben noch "jenseits von Gut und Böse". Erst auf der Ebene der selbstreferentiell reflektierenden Vernunft kann es zur Trennung von Faktizität und Normativität kommen - nicht alles, was faktisch gegeben ist (etwa mein "Recht auf alles"), muß zur rational begründeten moralischen Norm werden. Hobbes' Ethik-Konzeption ist insofern rationalistisch und dezisionistisch - die Verbindung von Fakten und moralischen Normen hängt ab von Setzungsakten der praktischen, oder besser: der pragmatischen Vernunft. So dürfte etwa die Frage, ob und in welchem Sinne ein Baum im brasilianischen Regenwald "wertvoll" ist, noch vor 100 Jahren wesentlich anders zu beantworten gewesen sein als heute. Diese unterschiedlichen Antworten resultieren eben aus den divergierenden Reflexionsergebnissen darüber, welchen Wert der Baum für uns hat. Die Frage nach einem absoluten, gar "ewigen" Wert des Baumes "an sich" ist dagegen nicht sinnvoll, weil nicht beantwortbar. 290 Der Wert irgendeines Seienden ist niemals "an sich", sondern immer nur "für uns" - wobei unser Selbstwert natürlicherweise derart unmittelbar evident ist, daß er als "Wert an sich" empfunden wird. "Salus populi" und damit das Wohl jedes einzelnen! - ist der Maßstab, in dessen Licht die stratosphärische Ozonschicht moralisch relevant wird, nicht die "An-sich"Werthaftigkeit des Ozons. 291 289 Weshalb auch Zimmeriis Konzeption nicht als so originell gelten kann, wie er selbst es andeutet (vgl. ebd., S. 19 ff.). 290 Aus diesem Grund ist es auch nicht sinnvoll, von "Ansprüchen der Natur gegenüber dem sozialen Ganzen und gegenüber den Individuen" zu sprechen (Vossenkuhl, 1993, S. 7 f.). 291 Vgl. etwa Wolf, 1990, S. 631: "Eine Ausweitung des [utilitaristischen] Interessenbegriffs auf nicht-empfindende Wesen, auf ganze Spezies' oder Ökosysteme führt zu einer Überdehnung des Interessenbegriffs. Nicht die Interessen einer aussterbenden Art von Schmetterlingen sind bedroht, sondern unsere Interessen am Weiterbestehen einer seltenen Art"; vgl. entspr. auch Wuketits, 1993b, S. 231 f.; ebs. Gehlens Kritik der "Hypermoral" (Gehlen, 1986 5 , S. 79 ff., 141 ff.). Da uns nun einmal keine andere Perspektive offensteht, ist dieses anthropozentrische Element für jede Ethik unumgänglich. Auch Vossenkuhl (1993, S. 10, 12, 13), der sich "gegen alle Formen des verkappten Anthropozentrismus" ausspricht, beschreibt

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Der Einwand, aus der Ablehnung des naturalistischen Fehlschluß folge notwendig ein ethisch-moralischer Relativismus, da schließlich jeder anderer Meinung darüber sein könne, welchen Wert etwa ein Regenwaldbaum fiir ihn hat, ist aus folgenden Gründen ebenfalls wiederum spiegelbildlich zurückzuweisen: Erstens deshalb, weil das Relativismus-Argument ohne weiteres auch gegen die Verteidiger des naturalistischen Fehlschluß gewendet werden kann. Denn die Meinungen über absolute, ewige, unveränderliche Werte losgelöst von jeglichem Seienden sowie deren ebenso absolute Hierarchie gingen und gehen mindestens ebenso auseinander wie die über den Wert eines seienden Baumes - abgesehen davon, daß sie insofern selbstwidersprüchlich sind, als sie gar nicht vollständig von jedem Sein losgelöst gedacht werden können. 2 9 2 Auch die Mooresche These vom "gut ist gut, und damit ist die Natur als eine "unverzichtbare Bedingung der Moral", und führt weiter aus: "Das ist unser Anspruch an die Natur; und weil es unser unverzichtbarer Anspruch ist, sind wir gezwungen, die Natur zu schützen und zu erhalten". Und Vossenkuhls Grund für die ethische Frage nach dem, was wir heute tun dürfen und lassen sollen, ist der, daß "wir und künftige Generationen morgen menschenwürdig leben können". Es ist nicht zu sehen, inwiefern durch diese Argumente der Anthropozentrismus umgangen werden könnte (vgl. zu dieser Argumentation Nutzinger, 1989, S. 35 f.). Die Ablehnung einer Wert-an-sich-Ontologie steht freilich in fundamentalem Gegensatz zu Jonas' "Prinzip Verantwortung" (1989, S. 96-102; vgl. auch Jonas, 1991, S. 30 ff.), in dem er auf die Frage, "ob es denn so etwas wie 'Wert' überhaupt gibt" eine objektive Antwort sucht; die unbestreitbaren subjektiven Wertsetzungen sind für Jonas deshalb keine letztlich befriedigende Antwort auf die Wert-Frage, weil damit "für die Radikaltheorie noch nichts gewonnen und dem Nihilisten nichts benommen" ist (ebd., S. 101). Doch in einer rein pragmatischen Ethik muß man auf die (zumindest strittige) "objektive" Beantwortung der Wert-Frage verzichten; hier ist davon auszugehen, daß die unstrittigen subjektiven Werte als Basis für eine realistische Ethik ausreichen (können). Dies gilt vor allem für diejenigen subjektiven Werte, die zugleich - dialektisch - allgemein sind wie etwa die Werte der eigenen Existenz, des persönlichen Wohlergehens und dessen von Angehörigen und Freunden. Diese "Allgemeinheit" bestimmter Werte nötigt jedoch nicht zu einer bestimmten Ontologie, in der sie als "objektive" Werte "an sich" anzuerkennen wären (vgl. Jonas, 1991, S. 31 ff.). Der Verzicht auf die objektive Beantwortung der WertFrage ist jedoch keineswegs als Option für den radikalen Nihilismus zu verstehen, da die objektive Verneinung dieser Frage ebenso fragwürdig ist wie ihre Bejahung. 292 Denn zumindest mit ihrem eigenen Sein müssen jene transzendenten Werte ebenso wie Gott notwendig verbunden sein, wenn aus ihnen überhaupt etwas folgen soll. Aber dann könnte das Argument des "naturalistischen Fehlschlusses" - mit Moore in letzter Konsequenz auch gegen die Protagonisten einer transzendentalen und/oder idealistischen Ethik-Begründung gewendet werden, da der letzte Geltungsgrund einer

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die Sache erledigt", führt hinsichtlich der Relativismus-Problematik nicht weiter, da es in der Praxis des sozialen und politischen Alltags eben darauf ankommt, bestimmte Sachverhalte und Handlungen, Maßnahmen und Gesetze als "gut" oder "schlecht" bewerten zu können. Die Frage, weshalb etwa eine Handlung X gut sei, kann jedenfalls nicht mit "weil sie gut ist" beantwortet werden, sondern es werden dafür andere Gründe - etwa der des sozialen Nutzens - angegeben werden müssen. Doch damit befindet man sich einerseits wiederum im bereits dargestellten Begründungs- bzw. Rechtfertigungsregreß ("Im Hinblick worauf ist sozialer Nutzen gut?"), zum anderen aber stellt sich wiederum das Problem, daß "sozialer Nutzen" eine Größe ist, die zu verschiedenen Zeiten und unter unterschiedlichen Voraussetzungen höchst unterschiedlich definiert werden kann und muß. Das Relativismus-Argument bringt daher überhaupt nichts und verweist nur wiederum auf die - von Hobbes klar erkannte! - Notwendigkeit zur "Kanonisierung", zur (Mindest-)Festsetzung von allgemein als verbindlich geltenden Grundwerten und Grundnormen, die als die Eck- oder Rahmendaten für das Verhalten der in ihrem Geltungsbereich lebenden Menschen anzusehen sind. Und es dürfte auch klar sein, daß diese Grundwerte und Grundnormen ihrerseits nicht als absolut unantastbar und unabänderlich gesetzt werden dürfen, auch wenn sie - sofern sie ihre Gesellschafts-stabilisierende Funktion erfüllen sollen - eine möglichst hohe Stabilität aufweisen sollten - schließlich erfinden wir nicht mit jeder

moralischen Norm x im Sein der transzendentalen oder transzendenten Norm X läge. Aus einer Norm, deren ontologischer Status nicht irgendwie positiv zu bestimmen ist, die also nicht ist, folgt überhaupt nichts. Das Argument, nur aus einem diesseitigen, innerweltlich-empirischen Sein könne kein Sollen folgen, aus einem transzendenten Sein aber sehr wohl, wäre völlig willkürlich und verlangte wiederum ein woher zu nehmendes? - Rechtfertigungskriterium. Im Zusammenhang mit dieser Schwierigkeit einer idealistischen Verteidigung des naturalistischen Fehlschluß' ist etwa Hobbes' radikal-nominalistische Gleichsetzung des "natürlichen Gesetzes" mit dem "Moralgesetz" interessant. Insofern ist ihm der Gedanke an einen "naturalistischen Fehlschluß" fremd (vgl. Weiß, 1980, S. 173 f.). Die "Gebote der Vernunft" sind mit der menschlichen Vernunft faktisch gegeben; sie sind daher im selben Maße "ewig und unveränderlich" wie die menschliche Vernunft selbst. Daß aber die Menschen diesen natürlichen Gesetzen gemäß handeln sollen, dies hängt nach Hobbes' Überzeugung eben von dem Nutzen-Wert ab, den das entsprechende "moralische" Verhalten der Menschen für ihre je eigene freie Selbsterhaltung hat.

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Generation eine neue Kultur inklusive einer neuen Ethik und neuer moralischer Normen. 293 Mit Nietzsche wird man heute - gerade auf der Basis evolutionstheoretischer/soziobiologischer Erkenntnisse - akzeptieren können, "daß es keine ewige Moral gibt: dies darf als bewiesen gelten. So wenig es eine ewige Art der Urteile über Ernährung gibt".294 Schließlich bietet eine Ethik, die von der Kontingenz der von ihr propagierten Normen und Richtlinien ausgeht, zudem die wichtige Möglichkeit, daß die innerhalb ihres Geltungsbereiches lebenden Menschen "ihre Vorstellungen vom Guten ihrer Lage anpassen können".295 Evolutionstheoretiker sehen in der enormen Flexibilität des Menschen eine der entscheidenden Ursachen für seinen nicht minder enormen evolutiven via adaptiver Kulturleistungen realisierten - "Erfolg"296; wieso also sollte Flexibilität, die Bereitschaft und Fähigkeit zur Anpassung an sich ändernde Bedingungen, nicht auch in der Ethik fruchtbar sein? Eine sehr deutliche Haltung gegen die Lehre vom naturalistischen Fehlschluß nimmt auch der Hirnphysiologe Sperry ein. 297 Für ihn ist der naturalistische Fehlschluß nichts weiter als ein "logisches Artefakt eines rein akademischen Ansatzes in der Philosophie". Tatsächlich verhalte es sich so, daß menschliche Werte "von Natur aus Eigenschaften der Gehirnaktivität" seien, die in keiner Weise "ein unabhängiges, vom funktionierenden Gehirn künst293 Zimmerli (1990, S. 17) geht wie selbstverständlich davon aus, "daß jede Moral nur historisch und räumlich begrenzt gilt", sich dieser objektive ethische Relativismus jedoch mit dem gleichzeitig stets erhobenen subjektiven Anspruch nach absoluten Geltung moralischer Normen sehr wohl vereinbaren lasse. Die Frage ist allerdings, ob dies auch für denjenigen gilt, der die objektive historisch-räumliche Kontingenz von Moral reflektiert - denn wie sollte derjenige, der um den kontingenten Charakter der von ihm selbst und seinem sozialen Umfeld gelebten Moral weiß, diese mit einem absoluten Geltungsanspruch verbinden? Wesentlicher differenzierter behandelt dieses problematische und widersprüchliche Verhältnis Lütterfelds, 1992b, S. 20 ff. 294 Nietzsche, 1985, II, S. 79. Natürlich ist klar, daß sich Nietzsches Ernährungs-These nur auf Eßbares beziehen kann. Ein Urteil wie: "Plutonium hat für den menschlichen Organismus keinen Nährwert", könnte zwar einen Anspruch auf absolute, ewige Geltung erheben, es könnte jedoch nicht als sinnvolles Ernährungsurteil gelten. 295 Rawls, 1991 6 , S. 114. 296 Vgl. etwa Phocas, 1986, S. 133-153; er weist hier vor allem auf den zentralen Aspekt der gegenüber der biologischen Evolution enormen Entwicklungsbeschleunigung hin, der durch die Erfindung kultureller Güter und Transmissionstechniken ermöglicht wurde, ohne daß dabei die enge Verbindung zwischen (funktionaler) Kultur und Natur aufgehoben worden sei. 297 Sperry, 1985 2 , S. 97-99.

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lieh getrenntes Dasein" führen. Sperrys Thesen über das Zustandekommen konkreter Wertvorstellungen und Wertgefiihle klingen für den Hobbes-Leser dann vertraut: "In den Gehirnprozessen wirken eintreffende Daten regelmäßig auf Werte ein und formen sie". 2 9 8 Das Wertsystem eines erwachsenen Menschen ist nach der Auffassung Sperrys demnach ebenso w i e die gesellschaftlichen Vorstellungen über das, was sein sollte, "zu e i n e m ganz w e sentlichen Teil durch den jeweils vorgefundenen Tatsachenkomplex bestimmt" . D e r von außen in das wahrnehmende Gehirn eintreffende "Fakteninput" trifft hier auf "ein reichhaltiges Instrumentarium an bestehenden Wertdeterminanten und inneren logischen Z w ä n g e n in Form v o n kombinierten angeborenen und erworbenen Bedürfnissen, Zielen, Motivations- und anderen zielgerichteten Faktoren". Deshalb ist die strikte Trennung v o n Naturwissenschaft und Wertentscheidung für Sperry auch unsinnig. 2 9 9 D i e s e Argumentation g e g e n den naturalistischen Fehlschluß läßt sich sowohl mit Hobbes' Mechanizismus vereinbaren als auch mit einer der Kernthesen der Evolutionären Ethik, wonach jedes Kind mit einer für diese Welt prinzipi298 "Wert" muß natürlich hier in einem materialen, hirnphysiologisch prinzipiell lokalsierbaren Sinn gemeint sein; etwa im Sinne einer bestimmten Struktur und Funktionsweise innerhalb des limbischen Systems. Zum Vergleich mit Hobbes siehe etwa Le, S. 11. Hier heißt es: "Ursache der Empfindung ist der äußere Körper oder das Objekt, der auf das jeder Empfindung entsprechende Organ drückt ... Dieser Druck setzt sich durch die Vermittlung der Nerven und anderer Stränge und Membranen des Körpers nach innen bis zu dem Gehirn und Herzen fort und verursacht dort einen Widerstand oder Gegendruck oder ein Bestreben des Herzens, sich davon freizumachen". Je nachdem, ob dieser "Gegendruck", die Wirkung eines Inputs im affizierten Organismus bezogen auf die Obermaxime der Selbsterhaltung als positiv oder negativ empfunden wird, reagiert dieser Organismus im Hobbesschen Modell mit Begierde oder Abneigung, Lust oder Unlust. Die Wert-theoretische Hobbessche Konsequenz aus dieser mechanizistischen Grundüberlegung lautet: "Aber was auch immer das Objekt des Triebes oder Verlangens eines Menschen ist: Dieses Objekt nennt er für seinen Teil gut, das Objekt seines Hasses und seiner Abneigung böse und das seiner Verachtung verächtlich oder belanglos. Denn die Wörter gut, böse und verächtlich werden immer in Beziehung zu der Person gebraucht, die sie benützt, denn es gibt nichts, das schlechthin und an sich so ist" (Le, S. 41); auch Tönnies (1912 2 , S. 179) führt die menschliche "Moralität" bei Hobbes auf das subjektive Empfinden zurück. 299 Eine Auffassung, mit der er sich in diametraler Entgegensetzung zu Low (1993, S. 75 ff.) befindet, für den das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Ethik nur so sinnvoll bestimmt werden kann, daß rechtfertigungsbedürftige Ergebnisse und Unternehmungen im Bereich der Naturwissenschaft sich einer philosophisch-kritischen Bewertung zu unterziehen haben.

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eil passenden Grundausstattung an Bedürfnissen, Fähigkeiten und auch "Wert"-Präferenzen geboren wird, die dann aber erst in der Kommunikation mit der jeweiligen konkreten Lebenswelt näher differenziert und geformt werden. 300 Wetzel kritisiert den naturalistischen Fehlschluß vor allem aus folgenden zwei Gründen. Zum einen deshalb, weil das strikte Gebot der Sein-SollenTrennung "formal schlecht-zirkulär" und zudem - etwa mit Blick auf die per se moralisch relevante Faktizität naturwissenschaftlich-technischer Intelligenz und ihrer Folgen - "inhaltlich ausgesprochen kontra-intuitiv" sei. 301 Zum zweiten stellt aber nach seiner Auffassung die Dimension des naturalistischen Fehlschluß', wonach Moralphilosophie nur zu moralischer Neutralität verpflichtete Meta-Ethik betreiben dürfe, "eine Art philosophischer Selbstentmannung" dar. 302 Eine betont pragmatische Haltung bezieht in dieser Frage auch Bernard Willms, der ohne Zweifel zumindest im deutschen Sprachraum einer der besten Hobbes-Kenner war. Ausgehend von der Überlegung, daß Normendiskussionen Gegenstand praktischer Philosophie sind, stellt er fest, es mache - jedenfalls wenn man den Begriff der "Praxis" ernst nehme - keinen Sinn, "nach dem 'idealen Sein' von Normen oder gar von ihnen zugrunde liegenden 'Werten' zu fragen; ein ernst genommener Praxisbegriff erledigt das Scheinproblem von Sein und Sollen. Normen 'sind' nicht, schon gar nicht 'gültig', sie werden nur und zwar geltend gemacht. Normen sind verallgemeinerte Vorstellungen von Anleitungen, die in je konkretem, von bestimmten

300 Vgl. etwa Mohr, 1993, S. 20 ff. 301 Die Bedeutung von "moralisch relevant" läßt sich eben wiederum darauf reduzieren, daß die "naturwissenschaftlich-technische Intelligenz" (positive und negative) Folgen für die freie Selbsterhaltung bzw. inclusive-fitness-Maximierung der von ihr betroffenen Individuen hat; "gut" oder "schlecht" sind Naturwissenschaft und Technik immer nur in Relation zum (einzigen) "Gut-an-sich" der (allgemeinen) freien Selbsterhaltung. 302 Wetzel, 1990, S. 607. Insofern stimmt Wetzel als Kritiker des naturalistischen Fehlschlusses mit einem seiner vehementesten Verteidiger, nämlich Reinhard Low, exakt überein, da auch dieser von den Philosophen fordert, ihre Abstinenz in praktischkonkreten Fragen aufzugeben; vgl. Low, 1993, S. 79 f.; die Auffassung, "Philosophie bedeutet] Orientierungshilfe, so sie überhaupt etwas bedeutet]", vertritt auch Gadol, 1983, S. 413, vgl. auch S. 421 f.

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Interessen angeleitetem Handeln geltend gemacht werden" 303 - eine Sichtweise des Problems, die Willms in der Tat als "Hobbesianer" ausweist.

6. Naturalistisches Menschenbild und/oder Ethik? Häufig wird von Kritikern einer empiristischen Ethik das Argument vorgetragen, jede konkrete ethische Bewertung eines Dinges, einer Handlung, eines Sachverhaltes, einer Person setzte notwendig ein bestimmtes (apriorisches) Vorwissen um die Bedeutung von "gut" voraus, das eben nicht empirisch begründbar sei. Jeder ethische Empirismus greift dieser Kritik zufolge daher zu kurz und verfehlt oder verliert das eigentliche Phänomen der Moral. 304 Eine echte Begründung von Ethik, die dem apriorischen Vorwissen der Bedeutung von "gut" und entsprechend dem eigentlichen Wesen der Moral gerecht werden soll, ist demnach nur nichtempirisch möglich, also entweder transzendentalphilosophisch oder metaphysisch bzw. religiös.305 Dieses Argument wirkt auf den ersten Blick zutreffend und schlagkräftig. Aber analog zu den Kernthesen der Evolutionären Erkenntnistheorie, wonach bestimmte menschliche Erkenntniseigenschaften ("Kategorien" im Sinne Kants) zwar ontogenetische Aprioris, jedoch phylogenetische Aposterioris sind306, läßt sich auch für unser Wertempfinden und unser intuitives Gefühl für "gut" und "böse" sagen: Es stimmt zwar, daß (moralische) Werte nicht ausschließlich Kristalisationsprodukte rein kultureller Art sind und jeder ethische Empirist in viele konkrete Bewertungen von Dingen, Handlung usw. ein bestimmtes evaluatives Vor-Wissen einbringt, das nicht vollständig als Produkt der jeweiligen Erziehung und Sozialisation erklärt werden kann und insofern vor jeder seiner persönlichen Erfahrungen liegt. Aber dieses apriorischintuitive Wissen beruht (zu einem nicht unwesentlichen Teil) auf der im Verlaufe der humanen Phylogenese erworbenen, jedem Menschen genetisch implementierten "propensity structure"; das "moralische Gesetz in uns" ist Teil unseres evolutionären Erbes. 307 In einem geschlossenen materialistischen 303 Willms, 1979, S. 185. Exakt dieses Verständnis von (moralischen) Normen steht interessanterweise auch im Zentrum des wirtschaftsethischen Ansatzes von Homann (1993, S. 46 f.). 304 Siehe etwa Kuhlmann, 1993, S. 87-95; ebs. Low, 1993, S. 75 f. 305 Zu den Möglichkeiten einer Ethikbegründung siehe Kuhlmann, 1993, S. 81. 306 Siehe etwa Vollmer, G., 1987, S. 81 ff.; Wuketits, 1987; vgl. aber auch bereits Lorenz, 1977, S. 20 ff.; zur kritischen Diskussion siehe Lütterfelds, 1987; Bieri, 1987, S. 117 ff.; Engels, E. M., 1987, 229-248. 307 So spricht etwa Eibl-Eibesfeldt (1986 3 , S. 227, 231 ff., 275) von den "uns angeborenen Gebote[n] 'Du sollst nicht töten!' und 'Du sollst nicht stehlen!'"; vgl. ent-

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Welt- und Menschenbild, das den Menschen mit allen seinen Systemeigenschaften als vollständig in die natürliche, biologische Evolution eingebunden sieht, ist eine andere Erklärung jenes (ontogenetischen) Apriori nicht möglich. Der Einwand, das genetisch-empirische Faktum einer verhaltensprägenden "propensity-structure" sei außer-, nicht- oder vormoralisch und habe mit "echter" Moral im Grunde nichts zu tun, ist daher abzulehnen, weil in einem konsequenten evolutionistisch-materialistischen Weltund Menschenbild für eine solche "echte" (also idealistische oder religiösmetaphysische) Begründung der Moral kein Platz ist. In Übereinstimmung mit diesen evolutionstheoretischen Grundannahmen steht nun Hobbes' Lehre, "die Begriffe von Gutem und Bösem, die den Willen bestimmen, [würden] selber nicht durch Denken, sondern durch Begierde und Abneigung bestimmt" (vgl. Le, S. 41; Ho, S. 20 f.). Begierde und Abneigung sind aber nach Hobbes die natürliche, mechanistisch zu erklärende Basis für die Gefühle von Lust und Unlust, die ihrerseits wieder die motivationale Basis menschlichen Handelns sind: "Und folglich ist jede Neigung, jedes Verlangen und jede Liebe von größerer oder geringerer Lust begleitet, und jeder Haß und jede Abneigung von größerer oder geringerer Unlust und größerem oder geringeren Verdruß" (vgl. Le, S. 41 ff.). 308 Jeder Mensch bezeichnet daher denjenigen Gegenstand als "gut", der seiner Lust, seinem Verlangen, seinen Interessen korrespondiert, das Objekt seiner Abneigung, seiner Unlust und Furcht dagegen als schlecht oder "böse" (vgl. Le, S. 41). spr. Wilson, 1980, S. 6; Singer, 1983, S. 3 f., 27 f.; Patzig, 1984, S. 675 f.; Vollmer, G., 1986, S. 95; Mohr, 1983, S. 12 f.; ders., 1986, S. 69 f.; ders., 1987, S. 2 f.; ders., 1993, S. 19 ff.; Masters, 1988, S. 266 ff.; Vogel, 1988, S. 194 f.; ders., 1989, S. 16 ff.; Wuketits, 1990, S. 161 ff., 193; ders., 1993a, S. 208 ff.; ders., 1993b, S. 57-86, 177-204; Bayertz, 1990, S. 166 f.; ders., 1993b, S. 14 f. In ähnlichem Zusammenhang gelangt bereits Hume (1984, S. 120) zu dieser prinzipiellen Einsicht: "Von Natur ist der menschliche Geist so geartet, daß er beim Auftreten bestimmter Charaktere, Anlagen und Handlungen unmittelbar das Gefühl der Billigung oder des Tadels empfindet". Dabei ist sowohl aus "Hobbesianischer" als auch aus soziobiologischer Sicht bemerkenswert, daß für Hume jene "Charaktere ... unsere Billigung beanspruchen, ... die zum Frieden und zur Sicherheit der menschlichen Gesellschaft beitragen", während umgekehrt die den sozialen Frieden und die Sicherheit störenden "Charaktere" unmittelbar als tadelnswert empfunden werden. 308 Vgl. Tönnies, 1975, S. 238; Carmichael (1988, S. 267) meint diesbezüglich: "For Hobbes, this constitutes a standard of sufficient moral reason, based in nature, for all questions of right and justification in civil society". Insofern ist also Hobbes' Ethik tatsächlich apriorisch; vgl. dazu auch Commers, 1979, S. 152 f.; Weiß, 1978, S. 169, 182; Koskenniemi, 1989, S. 169 f.

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Wenn man also mit Gehrmann die Besonderheit der Hobbesschen Naturrechtslehre in seinem Versuch sieht, "das Sittengesetz aus dem Naturgesetz, d. h. aus der natürlichen Triebbestimmtheit des Menschen herzuleiten" 3 0 9 , dann erscheint es nicht als abwegig, in Hobbes - zumindest in deskriptiver bzw. explanativer Hinsicht - einen frühen Vorläufer einer "Evolutionären Ethik" im modernen Sinne zu sehen. 3 1 0 Doch dieses radikal-reduktionistische Erklärungsmodell des menschlichen Verhaltens, aus der nur eine ebenso radikale relativistische Theorie der Bedeutung von "gut" und "böse" folgen zu können scheint, steht offensichtlich im Widerspruch zu Hobbes' Lehre von den ewig gültigen Gesetzen der Natur, die zudem bei Hobbes identisch sind mit dem "Moralgesetz" und dem Gesetz Gottes (vgl. z. B. Ci, S. 112, 114). Hobbes, der sich mit anderen Überlegungen nahe an die Argumentation eines ausgesprochenen Gesetzes- und Rechtspositivismus annähert ("Unter einem guten Gesetz verstehe ich nicht ein gerechtes Gesetz, denn kein Gesetz kann ungerecht sein"; Le, S. 2 6 4 3 1 1 ) , 309 Gehrmann, 1970, S. 47; vgl. die entspr. Formulierung im "Leviathan", S. 541. 310 Auf die zum Teil verblüffenden Parallelen zwischen Hobbes und der soziobiologischen These von "Prinzip Eigennutz" verweist auch Wrong, 1984, S. 212: "there is a striking similarity in Hobbes's emphasis on security or self-preservation as the dominant human motive to the Darwinian stress on survival as the sole measure of value in the world of living organisms"; für Commers (1979, S. 147) ist Hobbes alleine deshalb schon bedeutend, weil er der erste war, der menschliche Natur und Gesellschaft sowie die Regeln menschlichen Verhaltens und Erkennens konsequent als Produkte der Natur ("product of nature") betrachtete. Zur Überzeugung, daß "a kind of egoism underlies practical rationality", siehe auch Cooper, 1989, S. 492; sehr differenziert auch Kavka (1986), der zur Begründung der Hobbes-These, alle Menschen seien von Natur aus '"Predominant Egoists'", auch soziobiologische Thesen benützt. Interessant ist in diesem Zusammenhang schließlich auch Gauthiers Begründung für seine Behauptung, Hobbes sei der größte englische Moralphilosoph gewesen (1990, S. 11 ff.). Gauthier geht davon aus, die zentrale Problematik moderner, zeitgenössischer Moralphilosophie sei von "drei Dogmen" geprägt, die sie aus dem Bereich der Wirtschaft übernommen habe: 1) Wert = Nutzen; 2) Vernunft zielt auf Nutzenmaximierung; 3) Desinteresse an den Bedürfnissen anderer (siehe dazu v. a. Rawls, 1991^, S. 30 f.). Verschiedene Moralphilosophen hätten nun versucht, diese (naturalistischen) Prinzipien zurückzuweisen und Wert, Vernunft und Interesse anders zu bestimmen. Allerdings - so Gauthier - seien die "Dogmen" gleichwohl geblieben, und so scheine es der kühnere Weg ("the bolder course") zu sein, sie zu "umarmen" ("to embrace them") - und genau dies tat nach seiner Überzeugung Hobbes, auch wenn der selbst sich nicht im einzelnen darüber bewußt gewesen sei. 311 Zur Definition und Erläuterung des Begriffs "Gesetzespositivismus" in Abgrenzung zum "Naturrecht" siehe Ellscheid, 1977, S. 23 f., 25-32, 35-38, 49-52.

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gibt sich hier als Letztbegründungstheoretiker, der von der Existenz ewig gültiger, unveränderlicher Gesetze ausgeht, die jedem Positivismus vorausliegen. Doch dieser Widerspruch läßt sich dann vermeiden oder auflösen, wenn man Hobbes' Formulierungen in "De Cive" (S. 111; entspr. Le, S. 121), wonach die natürlichen Gesetze ewig und unveränderlich, die äußeren Handlungen und auch die Inhalte des positiven Rechts hingegen historisch kontingent sind, so interpretiert, daß er an eine Unterteilung moralischer Normen in Form und Inhalt dachte: Vertragsbruch, Mord, Lüge, Unmenschlichkeit usw. werden der Form nach immer als unmoralisch gelten (weil sie in einer relativ homogenen Sozietät zumindest auf lange Sicht - oder unmittelbar aufgrund einer sanktionsfähigen Rechtsordnung - immer dem "Prinzip Eigennutz" widersprechen) und sind insofern "ewig"; was aber unter Mord, Vertragsbruch, Lüge, Unmenschlichkeit usw. jeweils genau zu verstehen ist, d.h. was der konkrete Inhalt dieser Normen ist, das hängt von den wechselnden sozialen, politischen, ökonomischen, kulturellen und ökologischen Bedingungen ab. 312 Hobbes' Argument läuft über die (Streit-)Frage, wer den Inhalt der ewigen göttlichen Gesetze ( = Vernunftgesetz = Moralgesetz) verbindlich auslegen kann. Indem nun Hobbes fordert, dieses Recht solle alleine dem staatlichen Souverän zustehen, wird der Inhalt der "ewigen" Moral wiederum historisch kontingent.313 Die Behauptung, die Gesetze der Vernunft und der Moral seien 312 Zu einem entsprechenden Interpretationsversuch der Kontingenz moralischer Norminhalte aus der Sicht der Evolutionären Ethik siehe Lütterfelds, 1993c, S. 23 f., 27 f.; ähnlich auch Wuketits, 1993b, S. 236; kongruent dazu auch die wirtschaftsethischen Überlegungen bei Homann, 1993, S. 47 ff. 313 Vgl. zu dieser Interpretation auch Gehrmann, 1970, S. 103. Ähnlich argumentiert Schaefer (1993, S. 32), der Hobbessche Souverän sei stets "an den Text der Erhaltung des inneren Friedens der Gemeinschaft gebunden wie der Anwalt an die Vollmacht seines Mandanten, dessen Interessen er vor Gericht vertritt"; er habe dabei jedoch "viele Möglichkeiten des Ausdrucks". Ackerman (1976, S. 415 ff.) stellt "Two Concepts of Moral Goodness" in der Hobbesschen Ethik fest, die nicht ohne weiteres miteinander vereinbar seien: Zum einen die ewig gültigen Gesetze der Natur, die Hobbes ausdrücklich auch als Moralgzsetze bezeichnet; zum anderen aber die von staatlichen Setzungsakten abhängigen konkreten moralischen Regeln, wobei sich der Widerspruch deshalb ergebe, weil Hobbes an verschiedenen Stellen darauf insistiere, daß es vor der Staatsgründung weder "gerecht" noch "ungerecht" gebe (vgl. etwa Ci, S. 20). Doch diesen Widerspruch glaubt Ackerman mit dem Argument überbrücken zu können, das positive Recht könne an das natürliche Recht rückgebunden werden: Positive (kontingente) moralische Normen sind nur dann moralisch gerechtfertigt und legitim, wenn sie mit den ursprünglicheren moralischen Gesetzen der Natur - und damit

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unveränderlich und ewig, wird damit eigentümlich leer. Die "ewigen" Werte, Normen und Gesetze der Vernunft und der Moral werden zu reinen Hülsen (gewissermaßen zu "Formen" im Sinne des Kuchenbackens314), deren Füllung - und damit praktische Relevanz - von der Willkür, der Erkenntnisqualität und den Einsichten der jeweils zuständigen Institutionen abhängen.315 notwendig mit dem "Prinzip Eigennutz" - in Einklang stehen (vgl. Ackerman, S. 420 f.: "The concept of conventional moral goodness 'reduces' to natural moral goodness in this sense: the authorized sovereign commands an action - and thus it has conventional moral goodness - only if and only because it has natural moral goodness"). Das Problem - das auch Ackerman (ebd., S. 422 f.) sehr wohl sieht - ist dabei natürlich wieder, ob sich der Souverän tatsächlich bei seinem politischen Handeln an der "natural moral goodness" desselben interessiert ist, bzw., wessen Interessen Gegenstand seiner Handlungen sind. Ackerman's These (ebd., S. 419), wonach die Bürger bei der Staatsgründung dem Souverän lediglich die Ausübung bzw. Nutzung ("use") ihrer Rechte übertragen, dürfte dagegen die Hobbessche Intention nicht ganz treffen, da Hobbes ausrücklich betont, die Untertanen gäben ihre Rechte ab, also nicht nur deren Gebrauch. Für Hobbes wäre der Gedanke eher widersinnig, ein Individuum sollte Inhaber eines Rechtes sein, während ein anderes Individuum das Recht auf die Nutzung dieses Rechtes haben sollte. Recht und Recht auf Rechtsnutzung bzw. -ausübung fallen bei Hobbes zusammen. 314 Natürlich hinkt der Vergleich; und zwar vor allem deshalb, weil die genetischen "Formen" - gemeint ist hier vor allem die Disposition zur Ausbildung einer "Doppelmoral" entsprechend der Ingroup-Outgroup-Differenzierung - nicht als so starr angenommen werden können wie eine Kuchenform (und erst recht nicht als so unveränderlich wie geometrische Formen). Dennoch ist die Metapher nicht völlig daneben: Auch die Kuchenform läßt nahezu beliebig viele unterschiedliche Füllungen zu, doch die Form "zwingt" insofern auch den (kontingenten) Inhalt, als etwa in einer runden Kuchenform kein eckiger Kuchen gebacken oder nicht beliebig viel an Füllmasse in die Form gegossen werden kann. Auch die soziobiologische These, beim Menschen sei kein "fertiges" Verhalten, sondern nur die "Disposition für einen bestimmten Lernprozeß" genetisch festgelegt (Kuli, 1982, S. 183 f.; vgl. auch Lorenz, 1989 5 , S. 214-218), so daß jenes genetische "Vorwissen" durch das "fine tuning" einer realen Lebenswelt erst ausgeprägt und konkretisiert werden muß (vgl. Mohr, 1993, S. 3), paßt durchaus ins Bild. 315 Eine weitere Belegstelle für die Hobbessche Auffassung vom kontingenten Charakter individueller und sozialer Wertvorstellungen ist die berühmte Formulierung im Macht-Kapitel des "Leviathan" (S. 67): "Die Geltung oder der Wert eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis. Das heißt, er richtet sich danach, wieviel man für die Benützung seiner Macht bezahlen würde und ist deshalb nicht absolut, sondern von dem Bedarf und der Einschätzung eines anderen abhängig. Ein fähiger Heerführer ist zur Zeit eines herrschenden oder drohenden Krieges sehr teuer, im

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Diese Auffassung scheint auch mit den Ergebnissen der modernen Hirnforschung zu korrespondieren. So führt etwa Robert Sperry in diesem Zusammenhang aus: "Jedes Gehirn wird auf denselben Input anders reagieren und dazu neigen, dieselbe Information in ganz verschiedene Verhaltenskanäle zu lenken, je nachdem wie sein spezielles System von Wertpräferenzen aussieht. Kurz, was eine Person oder Gesellschaft hoch bewertet, bestimmt in hohem Maße, was sie tut". 316 Was aber eine Person oder Gesellschaft hoch bewertet, das hängt wiederum in hohem Maße von den äußeren sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen ab. 317 Insofern kann die Hobbessche Moralphilosophie ganz im Sinne einer dynamischen Ethik interpretiert werden, wie sie heute von Sozialethikern und Soziobiologen gefordert wird. 318 Denn für Hobbes ist - ebenso wie für jene modernen Sozialethiker - klar, daß die Inhalte bzw. der Umfang formaler Regeln ("Du sollst nicht töten" u.ä.; vgl. etwa Ci, S. 284 f.) nicht ein für allemal, ewig gültig und zeitlich unabänderlich festgelegt sind - "was aber als Diebstahl, als Totschlag, als Ehebruch und als Unrecht an einem Bürger gelten soll, hat nicht das natürliche, sondern das bürgerliche Gesetz zu bestimmen" (Ci, S. 142; vgl. auch ebd., S. 284). Im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten des Hobbesschen Versuchs einer Ethikbegründung auf der Basis des individualistischen Selbsterhaltungsprinzips erkennt demnach Hönigswald völlig zutreffend, bei Hobbes sei "das Gute ... nicht ein in sich und schlechthin bestimmtes, sondern es ist nur im Hinblick auf die Zwecke [gut], die sich ein Subjekt setzt". 319 Aber diese Interpretation der Hobbesschen Moralphilosophie im Sinne einer Unterscheidung moralischer Normen zwischen (ewiger) Form und

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Frieden jedoch nicht. Ein gelehrter und unbestechlicher Richter ist in Friedenszeiten von hohem Wert, dagegen nicht im Krieg. Und wie bei anderen Dingen, so bestimmt auch bei den Menschen nicht der Verkäufer den Preis, sondern der Käufer". Es gibt demzufolge keine inhaltlich bestimmten absoluten, ewigen, unabänderlichen Werte bestimmter Fähigkeiten und Eigenschaften (wie etwa der Tapferkeit oder der Unbestechlichkeit), sondern Wertzuschreibungen und -Vorstellungen sind abhängig vom jeweils gegebenen historisch-sozial-ökologisch-ökonomischen Kontext. Sperry, 1985 2 , S. 143; vgl. auch ebd., S. 23 f., 30 ff., S. 97 ff., S. 144 ff. Vgl. dazu etwa Markl, H., 1982, S. 647: "Diese [kulturelle] Tradition mag ... in der Tat eine Eigentümlichkeit unserer sozialen 'Natur' sein, die zwar nicht durch genetische Programme die Inhalte dieser Traditionen, wohl aber unsere Bereitschaft zur Anhänglichkeit an die durch soziales Leben vermittelten Inhalte bestimmt". Vgl. Leinfellner, 1993, S. 32 ff.; Vollmer, G., 1986, S. 65 ff.; Sperry, 1985 2 , S. 65 ff. Honigswald, 1975, S. 151 ff.

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(kontigentem) Inhalt oder Umfang ist wiederum nur dann widerspruchsfrei möglich, wenn man die These vom radikal-individualistischen Naturzustand konsequent verwirft. Denn für die in der Hobbesschen Fiktion allein auf sich gestellten Individuen, die im ursprünglichen Krieg aller gegen alle gleichermaßen mit einem Recht auf alles ausgestattet sind, kann es überhaupt keine interindividuell oder sozial gültigen moralischen Regeln geben: "Gewalt und Betrug sind im Krieg die beiden Kardinaltugenden" (Le, S. 98). Daher gibt es in diesem Naturzustand auch noch keine moralischen oder rechtlichen Tatbestände wie "Diebstahl", "Totschlag" oder "Betrug": "gerecht und ungerecht lernt man überhaupt erst in einem Staate kennen" (Le, S. 139, Anm.; vgl. auch Le, S. 131). Die "Gesetze der Vernunft" - die Möglichkeit ihrer Erkenntnis kontrafaktisch vorausgesetzt - könnten hier lediglich den Status von nicht zwingend verbindlichen Empfehlungen, konjunktivischen Imperativen haben ("Du solltest X tun, vorausgesetzt, die anderen täten es auch".). 320 Und es erscheint - das gegenseitige Mißtrauen und die Machtgier der Menschen zusätzlich unterstellt - überhaupt nicht als plausibel, wie der Ausgang aus dem Naturzustand für ein derart a-soziales Wesen selbst unter zunehmendem Leidensdruck möglich sein sollte. Denn für denjenigen, der im Naturzustand den "Gesetzen der Vernunft" gemäß handelt, können sich diese sehr rasch als die eigentlichen "Gesetze der Unvernunft" herausstellen. Wer beispielsweise im Naturzustand als erster einen Vertrag erfüllt, "gibt sich ... nur seinen Feinden preis - entgegen dem unverzichtbaren Recht auf Verteidigung seines Lebens und auf die zur Fristung seines Lebens notwendigen Mittel" (Le, S. 105; siehe zu dieser Problematik auch unten, Teil 2 Kap. I. 2.3). In "De Cive" (S. 75 ff.) deutet Hobbes an, in welchem Sinne er von "Gesetzen der Natur" reden will. Diese sind für ihn nichts anderes als die von der Vernunft als solche erkannten einzigen, notwendigen (allerdings nicht hinreichenden) Bedingungen für den Ausgang des Menschen aus dem Naturzustand. Anders formuliert: Was die Menschenvernunft als notwendige Mittel erkennt, um dem elenden Naturzustand zu entkommen, dies sind Gesetze der Vernunft. Fraglich ist aber, ob es sich hier notwendigerweise um Gesetze im moralisch-normativen Sinn handeln muß, oder ob Hobbes zunächst eher von

320 Vgl. zu dieser Interpretation Weiß, 1978, S. 174 f.: "Immerhin könnte Hobbes' eigene Deutung der leges naturales als bloße 'Schlüsse oder Lehrsätze', die das betreffen, was zur Erhaltung und Verteidigung der Menschen' [Le, S. 122; T.M.] zu einer zweckrationalen Umdeutung der unbestreitbar moralischen Terminologie anregen, anstatt noch moralische Positionen zu halten, von denen Hobbes offenbar wegkommen wollte"; vgl. auch Kliemt, 1985, S. 29; Palaver, 1991, S. 27.

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(Natur-)Gesetzen im rein faktischen Sinn ausgeht.321 Erst nach der Bewertung des staatlich-bürgerlichen Zustandes als "besser", dem Interesse aller betroffenen Individuen zuträglicher, erscheint diese normative Wendung zu einem hypothetischen Imperativ als angemessen: "Wenn wir aus dem Elend des Naturzustandes entkommen wollen, dann sollen wir uns gemäß den Gesetzen der Vernunft verhalten". 322 Doch auch diesbezüglich ist überhaupt nicht einzusehen, wie ein egoistisches Wesen, das - wie im Hobbesschen Modell - über keinerlei soziale Erfahrungen verfügen kann, zu derartigen Schlüssen kommen könnte. Wesentlich plausibler wird die Vorstellung vom Ausgang aus dem Naturzustand ebenso wie die These von der Unterteilung moralischer Normen in Form und Inhalt aber dann, wenn man das soziobiologische Modell des Naturzustands der Kleingruppen zugrundelegt. Denn nach diesem Modell kann man den Menschen als ein Lebewesen betrachten, das von Anfang an nicht ausschließlich die eigenen Interessen verfolgen kann, sondern immer - in ontogenetischer Hinsicht a priori - gewisse Regeln des sozialen Miteinanders zu beachten und zu befolgen hat und dies natürlicherweise auch tut. "Du sollst nicht töten!" wäre etwa eine dieser grundlegenden Regeln, die der Form nach unveränderlich und nahezu immer gültig sind. Der Inhalt dieser Norm ist dagegen kontingent. Während ursprünglich nur die Angehörigen der eigenen Ingroup, des eigenen Clans, der Familie, der Sippe unter den Schutz dieser Regel fielen, während sie in Bezug auf Artgenossen der Out321 Siehe dazu etwa Gehrmann, 1970, S. 10 f.; Strauss (1965, S. 24) hält diese "moralische Indifferenz" in Hobbes' Machttheorie freilich für eine "scheinbare", da das menschliche Machtsstreben als solches "immer entweder gut und erlaubt oder böse und unerlaubt" sei. Doch diese These geht offensichtlich am Hobbesschen Text vorbei. Interessant ist in diesem Zusammenhang Bayertz' wiederholt vorgetragene Kritik (zuletzt 1993c, S. 330 ff.; ders., 1993d, S. 144 ff.) an der Evolutionären Ethik, wonach diese lediglich auf evolutive Fakten verweisen könne und insofern moralphilosophisch ebenso relevant sei wie eine "Gravitationsethik", eine Ethik also, die die Geltung ihrer Normen vom physikalischen Gravitationsgesetz abhängig machen wollte. Insofern ist es in der Tat ebenso unsinnig, von einer Evolutionären "Ethik" zu reden wie es für Hobbes unsinnig war, im Hinblick auf den "Naturzustand" mit moralischen Kategorien zu operieren; vgl. Weiß, 1980, S. 173 f., 176 f. 322 Vgl. die ähnliche Interpretation bei Baumanns, 1977, S. 28 f.; ebenso Gauthier, 1990, S. 13 f.: "The right of nature is thus introduced as a rational, not a moral, conception"; auch Helsper (1989, S. 71) bezeichnet Gesetze als "teleonome WennDann-Programme".

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group nicht galt 323 , wurde der Geltungsbereich der Regel sukzessive erweitert, je größer die soziale Einheit und damit die Bezugsgröße der Norm wurde. Daß aber der Ausgang aus dem ursprünglichen Naturzustand für ein von vorne herein soziales Lebewesen, dessen genetische Vorgaben es auch zu Altruismus, Hilfsbereitschaft und der Respektierung (sanktionsfähiger) sozialer Spielregeln geneigt machen, leichter möglich ist als für den ursprünglich a-sozialen Menschen Hobbes', liegt auf der Hand. Freilich bleibt auch dann noch fraglich, ob man die hypothetischen Imperative der "Gesetze der Vernunft", die diese Menschen zum Ausgang aus dem Naturzustand leiten könnten, überhaupt als "moralisch" kennzeichnen kann oder ob es sich hier bloß um die grundlegendsten Maximen einer rein pragmatischen Klugheitsethik handelt. Dieser Auffassung ist zuzustimmen, wenn man - im Einklang mit den dargelegten soziobiologischen Theoremen - davon ausgeht, das eigentliche Motiv eines Menschen im Naturzustand, diesen unter Freiheits- und Rechtsverzicht zu verlassen, könne einzig und allein in seinem eigenen Vorteil (der als "inclusive fitness" zu verstehen ist!) bestehen. Die Kennzeichnung des Vernunftgebotes zum Ausgang aus dem Naturzustand als "moralisch" ließe sich demgegenüber nur dann rechtfertigen, wenn man etwa einen moralischen Wert wie die "Würde des Menschen" oder irgendeinen anderen transzendenten Wert als (moralisches) Motiv des menschlichen Handelns angeben könnte. Doch woher sollten im Naturzustand der "matters in motion" die Erkenntnis dieses "Wertes" und vor allem der mit ihm verbundene, nichtempirische moralische Geltungsanspruch stammen? Aus der Sicht eines materialistischen Welt- und Menschenbildes wie dem von Hobbes und der Soziobiologie erscheint die erste Variante wesentlich tragfähiger zu sein. Das "Prinzip Eigennutz" als letzter Geltungsgrund, als motivationales Fundament, läßt also in der Tat nur die Begründung einer reinen Klugheitsethik zu, deren Normen und Wertvorstellungen inhaltlich kontingent sind, und die daher niemals - im Sinne traditioneller Ethiken - einen Anspruch auf ewige und unwandelbare Geltung erheben können. Insofern hat also der Tranzendentalpragmatiker Wolfgang Kuhlmann, für den, "wenn überhaupt, dann nur eine transzendentalpragmatische Ethikbegründung möglich ist", ebenso recht wie der Moraltheologe Andreas Knapp, der die "absolute Gültigkeit einer Norm ... nur religiös [für] begründbar" hält. 3 2 4 323 Vgl. dazu Mohr, 1987, S. 79 f.; Vogel, 1989, S. 38, 41 f. 324 Kuhlmann, 1993, S. 81; Knapp, 1992, S. 134. Freilich läßt Kuhlmann (ebd., S. 87) die Möglichkeit einer religiösen Ethikbegründung deshalb nicht gelten, weil man sich dabei auf "'höhere Wahrheiten'" berufen müsse, "für deren Geltung ein intersubjektiver Nachweis nicht möglich ist". Auch Irrgang (1985, S. 241) rennt im

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Andererseits fällt jedoch in einer reinen Klugheitsethik der von Hönigswald entdeckte Widerspruch zwischen empiristischer Basis und Moralität bei Hobbes weg 325 , da auf der Basis eines geschlossenen materialistischen Weltbildes die qualitative Unterscheidung zwischen dem Prinzip Selbsterhaltung und "Sittlichkeit" im traditionellen moralphilosophischen Sinn nicht mehr möglich ist - was natürlich umgekehrt die Behauptung impliziert, daß eine andere, "echte" Ethikbegründung nicht möglich ist. Diese Auffassung ist natürlich aus der Sicht traditioneller Werteethiker, Idealisten und Verfechter transzendentaler Ethik-Konzeptionen unhaltbar. Denn wenn der Inhalt moralischer Regeln derart historisch und sozial kontingent sein soll, dann scheint man notwendig in einen radikalen moralischen Relativismus abgleiten zu müssen. Wenn die Formen der moralischen Regeln derart leer sind, dann steht es im Belieben der Macht-Habenden, festzusetzen, was moralisch gut und was schlecht sein soll. Aber dann wird Moral vollkommen beliebig und verliert sowohl ihren absoluten Geltungsanspruch als auch ihre intersubjektive Konsensfähigkeit.326 Doch zumindest ersterem wird der Hobbesianer widersprechen: Moralische Vorschriften verpflichten in einem Staat absolut, egal welchen Inhalt sie haben. Und sie verpflichten alle Individuen absolut, die in ihrem Geltungsbereich leben. Das heißt nicht, daß sich die Inhalte moralischer Regeln Grunde offene Türen ein, wenn er darauf besteht, die soziobiologische Reduktion des motivationalen Haushaltes des Menschen auf das Streben nach (inklusiver) fitness-Maximierung lasse die Rechtfertigung universeller Prinzipien der Moral, "die über reine Überlebenswerte hinausgehen", nicht zu. 325 Dieser Widerspruch besteht nach Hönigswald darin, daß Sittlichkeit und Prinzip Selbsterhaltung einander ausschließen, da unter der Voraussetzung der Geltung dieses Prinzips kein Mittel verboten sein kann - also auch nicht das unmoralische, unsittliche (Hönigswald, 1975, S. 153). Doch diese moralistische Deutung der Hobbesschen "Gesetze der Natur" und seiner Theorie vom zweckrational "Guten" erscheint im Lichte einer soziobiologischen Hobbes-Deutung als verfehlt oder zumindest als verfrüht. Auch Paeschke (1989, S. 109 f.) kommt zu dem Ergebnis, der Widerspruch im Sinne Hönigswalds entstehe nur dann, wenn man den Selbsterhaltungstrieb als "moralische Prämisse" gelten läßt. Aber nach ihrer Auffassung beantwortet Hobbes eben die Frage "danach, wie der allgemeine Friede zu bewerkstelligen sei, politisch und nicht mit dem Gebot eines Moralkodex". 326 Zur Frage, ob ein naturalistisches Menschbild bzw. eine naturalistische Ethik-Begründung notwendig zu einem ethischen Relativismus, einem ethischen "homo mensura" fuhren muß, siehe u.a. Bartuschat, 1981, S. 24; Kuhlmann, 1993, S. 81, 8795. Zur (fraglichen) Vereinbarkeit von objektivem ethischen Relativismus und subjektiv absolutem moralischen Geltungsanspruch vgl. Zimmerli, 1990, S. 17.

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nicht ändern könnten, ohne dadurch ihren absoluten formalen Geltungsanspruch zu verlieren. Gestützt ist die Geltung - und damit die Beachtung - der moralischen Regeln bei Hobbes letztlich freilich auf staatliche Macht, auf das "Schwert der Gerechtigkeit", auf die Androhung von Strafe für den Fall der Zuwiderhandlung. Man mag zwar etwa als Deontologe die Möglichkeit rigoros bestreiten, die Befolgung einer moralischen Regel aus Furcht vor Strafe könnte eine moralisch wertvolle Handlung sein, aber dies muß für den "reinen" Empiristen nicht entscheidend sein. Wichtig ist für die Praxis des sozialen Miteinanders, daß die (stets zweck-funktionale) Norm eingehalten wird - aus welchen Motiven auch immer. Aber ist dies wirklich gleichgültig? Ist nicht die Befolgung ein und derselben Norm (zumindest intuitiv) völlig anders zu bewerten, wenn sie auf Furcht oder aber auf die freie, bewußte Entscheidung einer mündigen Person gegründet ist? Diesem Einwand könnte der "reine" Empiriker entgegnen, die unterschiedlichen Handlungsmotive spielten in faktischer Hinsicht tatsächlich keine Rolle ("Ob du aus moralischer Überzeugung, aus dem Bewußtsein des moralischen Verpflichtetseins dem Unfallopfer erste Hilfe leistest oder weil du eine strafrechtliche Verfolgung wegen unterlassener Hilfeleistung befürchtest, ist praktisch nicht von Bedeutung"). 327 Allerdings muß man dann davon ausgehen, daß Normen entweder lediglich faktisch, nicht aber moralisch verpflichten, oder aber man wird in der Tat den Unterschied zwischen faktischer (positiv-rechtlicher) und moralischer Geltung - mit Hobbes - einebnen müssen. 328 Kritisch wird die empiristische Argumentation jedoch dann, wenn ein Machthaber den Formen moralischer Regeln Inhalte verleiht, die von der Mehrheit oder einem großen Teil der Untertanen (intuitiv) als unmoralisch 327 Vgl. zu diesem Argument einer "'pragmatische[n] Ethik"' Wuketits, 1993b, S. 238; ähnlich Singer, 1984, S. 283 ff.. 328 Entsprechend folgert Baumanns (1977, S. 28), ein vernünftiger Schluß wie der: "'Kein Überleben und menschenwürdiges Leben ohne Verzicht auf das natürliche ius ad omnia', [sei] zunächst ein Satz nach dem Muster 'Wer den Zweck will, will auch die Mittel'. Ein Sollen kommt in diesem Satz zunächst nicht vor, wird darin noch gar nicht gedacht. Der Satz stellt nur fest: Das Überleben- und Menschen-würdigLeben-Wollen ist logisch-zwingend gebunden an den Willen, auf das natürliche ius ad omnia zu verzichten". Um von dieser rein logisch-faktischen Ebene zu einer moralischen Norm zu gelangen, bedarf es einer zusätzlichen Bedingung, einer weiterführenden Reflexion, deren Inhalt schließlich das willentliche (dezisionistische) SichVorschreiben eines zweckrationalen Wollens ist; vgl. zu dieser Problematik bei Hobbes auch Schräder, 1975, S. 317.

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empfunden werden ("Das Töten eines neugeborenen Kindes durch die Eltern ist in keinem Fall moralisch bedenklich"; "Abtreibung ist in jedem Fall eine strafbare Handlung - Mord"). Dann wird deutlich, daß die Beliebigkeit der Moral keine totale sein kann und folglich eine reine Klugheitsethik keineswegs auf die reine Willkürherrschaft eines "moralischen" Absolutismus hinauslaufen kann. Offensichtlich setzen die "Formen" moralischer Normen ihrer kontingenten inhaltlichen "Füllung" sehr wohl gewisse Grenzen, die als moralische "Grundwerte" nicht dem historischen und sozialen Wandel unterliegen können, die "durch keine Gewohnheit und kein bürgerliches Gesetz aufgehoben werden können" (Ci, S. 111), und die daher bei der Formulierung von Ge- und Verboten stets zu beachten und zu respektieren sind, da andererseits enorme Spannungen und Widerstände - auf individueller wie auf sozialer Ebene - nicht ausbleiben können. Gleichwohl bedeutet dies keineswegs - wie z.B. von Vertretern einer transzendentalpragmatisch begründeten Diskursethik behauptet wird -, an diesem Punkt müsse jeder Versuch einer empiristischen (!) "Letztbegründung" von Ethik scheitern. 329 Denn aus heutiger Sicht, d.h. der Sicht der modernen Evolutionstheorie, ist es eben durchaus möglich, diese "moralischen Grundwerte", die jedem Individuum offensichtlich als ontogenetische Apriori innewohnen (und insofern gleichsam "transzendental" sind330), mit naturwissenschaftlichen Argumenten auf empirische Wurzeln zurückzuführen, ohne zu einer irgendwie transzendenten, metaphysischen Sphäre der ethischen Normen und Werte Zuflucht nehmen zu müssen. Ausgehend von der Überlegung, unser Wertempfinden von "Gut" und "Böse", die Geneigtheit, bestimmte Sachverhalte und Verhaltensweisen grundsätzlich als positiv oder negativ zu erfahren und zu bewerten, habe sich ebenfalls im Verlaufe der humanen Phylogenese in Anpassung an die Umwelt- bzw. Überlebensbedingungen herausgebildet, ist die These durchaus evident, daß jedem heute lebenden Individuum "Werte" a priori innewohnen, die phylogenetisch aposteriorischen Charakter haben. Und als der allgemeinste, fundamentalste und stabilste dieser anthropologischen Grundwerte gilt eben für Hobbes ebenso wie für die moderne Humansoziobiologie die (freie) Selbsterhaltung bzw. "fitness" eines Individuums, wobei dieses "Selbst" immer auch originäre soziale Dimensionen aufweist. Dennoch liegt im Zusammenhang mit jenen angenommenen "moralischen" Aprioris eines der Kernprobleme einer Ethik, die sich an den Überle329 Siehe etwa Kuhlmann, 1993, S. 87 f. 330 Zur Diskussion um dieses Verständnis von "transzendental" siehe Stegmüller, 1984, S. 30 ff.; Lütterfelds, 1987, S. 4 ff.

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bensbedingungen der heutigen Welt orientieren will und daher - was in Teil 3 dieser Arbeit näher begründet wird - notwendig auf möglichst globale Geltung abzielen muß. Denn das Nachdenken über die Inhalte jener heute geforderten globalen Ethik kann durchaus zu dem Ergebnis fuhren, jene apriorischen "Wertvorstellungen", das von Transzendentalphilosophen reklamierte "Immer-schon-Gewußte", sei aus heutiger Sicht, gemessen an den Überlebensbedingungen der heutigen Welt, als moralisch schlecht zu bewerten. Diese Konsequenz ist deckungsgleich mit der von einigen Vertretern der Evolutionären Ethik geforderten Ethik "gegen die Gene", wobei ihr zentrales Argument lautet, eine Reihe von genetisch implementierten, evolutionär höchst stabilen Verhaltensdispositionen, die bisher für unser erfolgreiches Überleben maßgeblich mit verantwortlich waren, seien heute maladaptiv geworden oder drohten es zu werden. 331 Und dies gilt eben nicht nur für bestimmte Aspekte unserer "Aggressionskompetenz", sondern auch für jene menschlichen Systemeigenschaften, denen der "bisherige unvergleichliche biologische Erfolg des Menschen über zwei Millionen Jahre hinweg" 332 zugeschrieben wird, nämlich technischer Verstand, praktische Vernunft sowie Flexibilität kultureller und wissenschaftlich-technischer Anpassungen. Auch für diese läßt sich nicht in einem absoluten Sinne behaupten, sie seien unter den heutigen Umwelt- und Überlebensbedingungen noch immer und im gleichen Maße "adaptiv" wie sie es bisher waren. 333 331 Vgl. zu dieser Argumentation v.a. Mohr, 1993, S. 22 f.; ders., 1987, S. 84 f.; Ike, 1987, S. 217 f., 232 ff.; Lenk, 1993, S. 309; aber auch bereits Lorenz, 1983, S. 234 f.; Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 201, 234: "Intoleranz gegen Außenseiter ist in unserer pluralistischen Gesellschaft keineswegs adaptiv". Das gleiche gilt natürlich auch für eine Fülle von kulturell tradierten Erklärungs- und Handlungsmodellen, dem "Überbau" der Gen-Ebene, die gleichsam als Dawkinssche "Mems" im "Genom" von Kulturen verankert sind (vgl. dazu etwa Markl, H., 1982, S. 646 ff.: "das kulturelle Erbe lastet nicht weniger lähmend auf den Menschen, als biologisches Verhaltenserbe dies tun könnte"; zu Dawkins Lehre von der kulturellen "Mem"Evolution siehe Dawkins, 1976; zur Kritik v.a. Low, 1985, S. 54 ff.; Knapp, 1989, S. 68, 123 ff. 332 Bühl, 1976, S. 151. 333 So ist es bekanntlich ein gängiger - und sicher nicht leicht von der Hand zu weisender! - Topos in der femministischen Literatur, die seit Jahrtausenden währende Dominanz der - genuin maskulinischen - technisch-progressiven Rationalität müsse unweigerlich in der totalen Selbstzerstörung der Menschheit münden; vgl. dazu z.B. Holland-Cunz, 1992, S. 238 ff., 245, 247 f.; Haug, 1992, S. 254 f.; Grubitzsch/Kaufmann, 1992, S. 227 ff.; aber auch der "Vater" der modernen Soziobiologie, E. O. Wilson, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß etwa die

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Wäre es demnach nicht angebrachter, eine wirklich neue Ethik "gegen die Gene" auch auf einer völlig neuen - oder einer altbekannten - Wertebasis zu gründen? Sollten wir uns nicht - wie es etwa der Biologe und Evolutionäre Ethiker Hans Mohr fordert 334 - auf unser kulturelles Erbe besinnen und uns endlich wahrhaft darum bemühen, eine platonische, kantische oder sonstige idealistische Ethik in die Praxis umzusetzen, ethische Ideale bewußt und konsequent zur Grundlage zumindest unseres politischen Handelns zu machen? Doch zum einen stellt sich hier das Problem, daß im Rahmen einer konsequent argumentierenden materialistischen Theorie wie der Soziobiologie, die den Menschen ganzheitlich in die biologische Evolution einbinden will, die Vorstellung von einem Handeln "gegen die Gene" unsinnig zu sein scheint. Denn dieser Theorie zufolge ist auch das menschliche Gehirn samt seinen spezifischen Systemeigenschaften wie Bewußtsein und Antizipationsfähigkeit genetische Funktion. 335 Demnach würde eine Ethik "gegen die Gene" letztlich bedeuten, die Gene müßten sich gegen die Gene, der Mensch sich gegen "den" Menschen verhalten. Doch wäre dies nicht nur unter der Voraussetzung denkbar, daß der Mensch sich von sich selbst in einem echten, qualitativen Sinne loslösen, sich selbst transzendieren könnte und somit der "neue Mensch" würde, der auch in der Lage sein könnte, die geforderte "neue Ethik" zu leben? Wenn diese Selbst-Transzendenz im Sinne einer echten Befreiung von der "tyranny of the selfish replicators" 336 , der deterministischen Herrschaft der Gene gemeint sein soll, dann ist offensichtlich das Modell eines strengen, hermetischen Materialismus' nicht zu halten. Umgekehrt wird man aber die Forderung nach einer Ethik "gegen die Gene" ebenso wie die damit einhergehende Forderung nach dem "neuen Menschen" als illusionär, phantastisch und unrealistisch verwerfen müssen, wenn man konsequent an der Richtigkeit des evolutionär-materialistischen Weltbildes und damit der Unmöglichkeit trans-materieller Wirklichkeitsphänomene festhalten will.

Neigung "unter bestimmten Umständen Krieg gegen rivalisierende Gruppen zu führen, ... durchaus in unseren Genen stecken ..., aber heute ... zum globalen Selbstmord fuhren [könnte]" (zitiert nach Zimmer, 1979, S. 132). 334 Vgl. Mohr, 1986, S. 70. 335 Siehe dazu Vollmer, G., 1986, S. 66; zur These des funktionalen Materialismus, der mentale Zustände als funktionale Zustände des Gehirns interpretiert, vgl. Bieri, 1981, S. 47-51. 336 Dawkins, 1976, S. 215; zur Kritik siehe Low, 1985, S. 56.

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D i e entscheidende Frage lautet also, ob die prinzipiell berechtigte Forderung nach einer Ethik "gegen die Gene" mit dem soziobiologischen, streng materialistischen Welt- und Menschenbild vereinbar ist. 3 3 7 Hier kann wieder auf die bereits oben (Kap. I. 5 . 2 ) im Zusammenhang mit der Freiheitsproblematik erläuterte Hypothese zurückgegriffen werden, das Prinzip der (inklusiven) Selbsterhaltung fungiere als die fundamentale und unhintergehbare Ober-Maxime unseres Verhaltens, während andere genetisch implementierte Verhaltensdispositionen wie die Neigungen zu diversen Form e n der A g g r e s s i o n oder des Altruismus dieser Basisnorm nachgeordnet sind und zu ihr in Konkurrenz treten k ö n n e n . 3 3 8 W i e bereits angedeutet, ließe diese These es zu, zumindest ein partielles Verhalten g e g e n die Gene für möglich zu halten, ohne damit das materialistische Weltbild sprengen zu müssen. D i e angeborenen Verhaltensdispositionen sind demnach keine Determinanten in einem streng mechanistischen Sinn ( W e n n der Fall a eintritt, dann muß notwendig die Handlung A folgen), sondern gleichsam Empfehlungen oder "Programmieranweisungfen]" 3 3 9 , sich in einer bestimmten Situation im Interesse der eigenen inclusive-fitness-Ma337 Berechtigt insofern, als eben vor dem Hintergrund heutigere Überlebensbedingungen, die im Zuge der Globalisierung ökologischer, ökonomischer, demographischer und militärischer Probleme auch eine Globalisierung der Lösungsversuche verlangen, etwa die Neigungen zur Ausprägung eines scharf abgrenzenden Ingroup-Outgroup-Schemas, zu territorialer Aggressivität, Xenophobie, Rassismus, Nationalismus und Ethnozentrismus in der Tat in zunehmendem Maße maladaptiv zu werden scheinen (vgl. oben, Kap. I. 5.2). Dies impliziert z.B. die praxisrelevante These, daß jeder Versuch, eine restriktive Asylanten- und generell Ausländerpolitik auf jene natürliche menschliche Disposition zur Xenophobie abstützen zu wollen, eine eklatante Form des naturalistischen Kurzschlusses darstellt, deren Ergebnisse nur kontraproduktiv sein können, da sie den realen Bedingungen und ihrem selektiven Druck nicht (mehr) entsprechen. 338 Auch in diesem Punkt läßt sich die Analogie zum Hobbesschen Denken leicht aufzeigen, da auch dieser von den "Gesetzen der Vernunft" als dem Prinzip der freien Selbsterhaltung funktional entsprechenden Verhaltensempfehlungen ausgeht, denen aber stets jene "anderen natürlichen Leidenschaften entgegenstehen], die den Menschen immer wieder zum Krieg verleiten" (Palaver, 1991, S. 27). Auch hier läßt sich also ohne weiteres die Möglichkeit der Kollision zwischen "Prinzip Eigennutz" und den in der menschlichen Natur wurzelnden hauptsächlichen Konfliktursachen Konkurrenz, Mißtrauen und Ruhmsucht (Le, S. 95; vgl. ebd., S. 131) aufzeigen; vgl. dazu die "kybernetische" Hobbes-Interpretation bei Weiß, 1980, S. 175 f. 339 Helsper, 1989, S. VII. Phänomenologisch ließe sich diese "Empfehlung" als so etwas wie das "moralische Gefühl", die "Stimme des Gewissens" oder ein "inneres Sprechen" interpretieren.

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ximierung in bestimmter Weise zu verhalten (Wenn der Fall a eintritt, dann sollte - entsprechend der genetischen "Empfehlung" - im Interesse der inclusive-fitness-Maximierung die Handlung A folgen). So dürfte es etwa ein "klarer Fall" sein, daß ein in Gefahr geratenes Mitglied der Ingroup Hilfeleistungen anderer Gruppenmitglieder gleichsam automatisch "auslöst", während dies für in Gefahr geratene Outgroup-Individuen nicht gilt. 340 Ebenso klar war in der Geschichte der Hominidenevolution (und ist offensichtlich immer noch) der Fall, auf das Eindringen von Fremden in das eigene Territorium mit aggressivem Abwehrverhalten zu reagieren341, und dies um so mehr und um so massiver, je mehr die Tragekapazität der betreffenden ökologischen Nische erschöpft ist und sich der oder die "Eindringlinge" ihrerseits als Konkurrenten und damit als (potentielle) Aggressoren zu erkennen geben. 342 Das individuelle Handeln wird in aller Regel jenen genetischen "Empfehlungen" folgen, solange diese im Sinne der inclusive-fitness-Maximierung erfolgreich bzw. adaptiv sind, solange die Fälle "klar" sind. Doch sobald dieser Erfolg ausbleibt, das Handeln gemäß der genetischen 340 In ersten Falle würde die "Stimme des Gewissens" gleichsam im Befehlston sprechen. Zum "Kleingruppenverhalten in der modernen Gesellschaft" und der damit verbundenen Tendenz zum "noninvolvement", d.h. der Neigung, sich ausschließlich um seine eigenen ("inklusiven") Angelegenheiten zu kümmern, gegenüber der Not und Hilfebedürftigkeit Fremder jedoch so weit wie irgend möglich gleichgültig zu sein, vgl. Phocas, 1986, S. 164-168; Eibl-Eibesfeldt, 1989 14 , S. 260 ff. Auch Konrad Lorenz wies in seinen "Acht Todsünden der zivilisierten Menschheit" (Lorenz, 1 9 8 9 ^ , j; 21) bereits auf dieses Phänomen hin: '"Not to get emotionally involved' ist eine der Hauptsorgen mancher [?] Großstadtmenschen. ... Je weiter die Vermassung der Menschen geht, desto dringender wird für den einzelnen die Notwendigkeit 'not to get involved', und so können heute gerade in den größten Großstädten Raub, Mord und Vergewaltigung bei hellem Tage und auf dicht belebten Straßen vor sich gehen, ohne daß ein 'Passant' einschreitet". 341 Vgl. dazu etwa Mohr, 1987, S. 77, 79 f., 83; ders., 1993, S. 20-29. Mohr weist hier auf den interessanten Aspekt hin, die territoriale Aggression habe für unsere nomadisierenden Vorfahren (Sammler und Jäger) eine relativ geringe Rolle gespielt, während sie für die seßhaften Ackerbauern und Viehzüchter seit dem Pleistozän große und größte Bedeutung erlangte. 342 Auch in anderen sprachlichen Wendungen wie: "Natürlich helfe ich einem in Gefahr geratenen Gruppenangehörigen" oder "Natürlich wehre ich mich gegen einen Eindringling, sofern der mir etwas wegnehmen will", wird die "Klarheit" dieser Beispielfälle deutlich.

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"Empfehlung" nicht mehr oder immer weniger zu Ergebnissen führt, die mehr oder weniger eindeutig unter die Rubrik "inclusive-fitness-maximierend" verbucht werden können, wird dieses Handeln "mit den Genen" problematisch. Und in manchen Fällen ist dann ein Verhalten "gegen die Gene" insofern denkbar, als einer genetischen "Empfehlung" nicht Folge geleistet, sondern ihr zuwider gehandelt wird. Ein möglicher Fall wäre etwa der, daß der erforderliche Aufwand zur Abwehr der Immigration fremder Gruppen und Individuen so hoch wird, daß er nahezu alle Kräfte der ursprünglichen Ingroup längerfristig in Anspruch nimmt und deren sonstige Lebensfiinktionen in existentiell bedrohlicher Weise lähmt. In diesem Fall ist ein Verhalten denkbar, das der genetischen "Empfehlung" zur Aggressivität gegenüber eindringenden Fremden nicht folgt, sondern die Immigration akzeptiert und sich um einen modus vivendi mit den neuen Mitbewohnern der betreffenden ökologischen Nische bemüht, wobei vorauszusetzen ist, daß die maximale Tragekapazität dieser Nische dadurch nicht in einem Maße überlastet wird, die das Überleben aller gefährden würde. Dies wäre ein Beispiel für eine mögliches partielles Verhalten "gegen die Gene", das jedoch zugleich - auf prinzipiellerer bzw. fundamentalerer Ebene - ein Verhalten im Sinne der inclusivefitness-Maximierung und damit "mit den Genen" wäre. 3 4 3 Das materialistische Weltbild wäre dadurch jedoch nicht gesprengt. Die Parallele zur grundlegenden politischen Problemstellung Hobbes' liegt hier auf der Hand. Seine Individuen im Naturzustand befinden sich in einem doppelten Konkurrenzkampf um die knappen überlebensnotwendigen Ressourcen und um die Mittel zur Akkumulierung der individuellen Macht, durch welche wiederum die Fitness im Kampf um die Überlebensressourcen gesteigert werden soll. 344 Dabei sind alle Individuen natürlicherweise dazu geneigt, den anderen als potentiellen Todfeinden stets mit Mißtrauen und (zumindest) der Bereitschaft zur Aggression, zum "Krieg mit dem Schwert" zu begegnen. Jeder, der mit einem anderen in irgendeiner Weise ¡^Konkurrenz tritt, ist Immigrant in einen fremden Machtbereich, und die natürliche Reaktion ist die der aggressiven Abwehr. Doch weil diese Situation bei der Knappheit der von allen begehrten Ressourcen und Machtmittel notwendig ständig gegeben ist, muß jedes Individuum im Hobbesschen Naturzustand praktisch seine ganze Kraft in die Abwehr solcher Immigranten investieren: "In einer solchen Lage ist für Fleiß keine Raum, da man sich seiner Früchte nicht sicher sein kann; 343 Somit könnte die bloße Existenz stabiler und sicherer Gesellschaftsformationen jenseits der ursprünglichen "Ingroup" als Beweis für die Möglichkeit eines (partiellen) Verhaltens "gegen die Gene" interpretiert werden. 344 Vgl. dazu Kersting, 1992, S. 91 ff., 104.

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und folglich gibt es keinen Ackerbau, keine Schiffahrt, keine Waren, die auf dem Seeweg eingeführt werden können, keine bequemen Gebäude, keine Geräte, um Dinge, deren Fortbewegung viel Kraft erfordert, hin- und herzubewegen, keine Kenntnis von der Erdoberfläche, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine Literatur, keine gesellschaftlichen Beziehungen, und es herrscht, was das Schlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes - das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz" (Le, S. 96). 345 Und in dieser Situation steht dem Menschen im Hobbesschen Modell die Option offen, sich gegen seine natürlichen Neigungen zu Mißtrauen und Aggressivität ( = "gegen die Gene") zu verhalten, doch nur, um gerade durch diese Negation zugleich dem grundlegendsten Interesse an freier Selbsterhaltung zu entsprechen. 346 Auch dieses Modell ist mit dem materialistischen Weltbild vereinbar. Der Mensch - determiniert auf das Streben nach freier Selbsterhaltung (als der UrBewegung dieses Körpers) - verhält sich als "matter in motion" entsprechend seinen Willensentschlüssen, wobei der Wille die "Neigung [ist], die beim Überlegen am Schluß überwiegt" (Le, S. 47). Nach wie vor bleiben für den Menschen als Körperding jene äußeren Objekte, die ihm Gegenstände seiner Begierde oder Abneigung sind, kausalmechanisch wirksam. 347 Aber im Naturzustand des Krieges aller gegen alle ist jene "Neigung, die beim Überlegen am Schluß überwiegt", niemals frei von äußeren Hindernissen. Diese liegen in Gestalt anderer Menschen vor, deren Wille auf dieselben Objekte gerichtet ist - eine Situation, die sich zumindest bei knappen und überlebenswichtigen Ressourcen notwendig permanent einstellt.348 Die Bewegung des "matter in motion" Mensch verfällt daher im Naturzustand sukzessive in den Zustand der Ruhe - oder besser: der nahezu vollständigen Lähmung -, weil ihm durch die 345 Vgl. dazu Frankena, 1972, S. 139. 346 Vgl. Baier, 1987, S. 161 f.: "[Hobbes'] whole account of morality is of a 'correction' of natural passions, one which can be reasonably expected to satisfy them better (on balance and over time), than they otherwise would have been. So the cultivation of his virtues must be both sometimes against and yet in the end in line with our natural passions". 347 Weiß (1980, S. 128) vertritt dagegen die Auffassung, durch die "im Machtbegriff aufscheinende menschliche Subjektivität" erhalte der "Hobbessche[] Materialismus (bzw. Physikalismus) einen neuen und widersprüchlichen Charakter", da der Mensch als nach Macht strebendes "Subjekt gegen Natur" gestellt sei, sich gegenüber der Welt - in die er als Körper-Maschine eigentlich vollständig kausalmechnanisch integriert sein müßte - ausgrenze, sich die anderen Körper disponibel mache und nach seinem Maßstab bestimme. 348 Vgl. Willms, 1987, S. 142.

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beständigen gegenläufigen Bewegungen anderer Menschen-Körper die eigene Bewegung weitgehend genommen wird (vgl. Co, S. 124). Ein Ding aber, das still liegt, "ohne daß es von etwas anderem bewegt wird", liegt nach Hobbes "für immer still" (Le, S. 13); und für den Menschen gilt, daß sein "fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht", d.h. seine spezifische Bewegung, "nur mit dem Tode endet" (Le, S. 75; vgl. auch die Darstellung des menschlichen "Wettrennens" in El, S. 77) - der Mensch ist nur, indem der strebt. Dem Tod als dem maximum malum des Aufhörens jeder Bewegung eines Menschen steht diesem Modell zufolge als höchstes erreichbares (primum) bonum die freie Selbsterhaltung gegenüber 349 , wobei "frei" nur die Freiheit von äußeren Hindernissen (also die eigene Bewegungen hemmenden Bewegungen anderer Körper 350 ) bedeutet (vgl. Le, S. 99, 163). Zwischen diesen beiden "Polen" des maximum malum und des primum bonum läßt sich ohne weiteres das Bild eines Lebensqualitäts-Kontinuums vorstellen; und es liegt nahe, daß der Zustand der weitgehenden Bewegungslähmung während des herrschenden "Kriegs aller gegen alle" von allen betroffenen "matters in motion" als "einsam, armselig, ekelhaft, tierisch" erfahren wird, eben weil dieser Zustand dem maximum malum der völligen Bewegungslosigkeit ( = Tod) bedenklich nahe liegt. Problematisch ist freilich die - im zweiten Teil näher zu erörternde - Frage, wie dieser Zustand der allgemeinen Bewegungslähmung überwunden werden bzw., woher die Bewegung stammen kann, die geeignet ist, die fast erstarrten Menschen-Körper (wieder) in Bewegung zu versetzen, zumal diese von Hobbes theoretisch in radikaler Weise als Individuen gesehen werden. Anders als die (illusionäre) Hoffnung auf den wahrhaft "neuen Menschen", der die Schattenseiten seiner "ersten Natur" qualitativ transzendiert, hat jedenfalls das Hobbessche wie auch das soziobiologische Modell nicht zuletzt den Vorteil, mit dem "Prinzip Eigennutz" einen "letzten" Geltungsgrund angeben zu können (gleichsam das "Ich-will-meine-inklusiven-Interessenverwirklichen-Apriori"), dessen motivationale Kraft auch von idealistischen Ethikern nicht prinzipiell bestritten wird. 351 Daß Menschen in aller Regel 349 Vgl. dazu Weiß, 1980, S. 151 ff. 350 Und da eben darunter gerade auch die Bewegungen anderer Menschen-Körper fallen, ist Hobbes' physikalistische Freiheitsdefinition durchaus konsequent; zur Kritik vgl. Weiß, 1980, S. 147, 154. 351 So geht bekanntlich auch Kant (1978, XI, S. 144, [A 233/234]) mit größer Selbstverständlichkeit davon aus, die "Absicht auf Glückseligkeit" - und zwar die je eigene! - sei der Zweck, "den alle Menschen natürlicher Weise haben"; auch in seiner "Kritik der praktischen Vernunft" (1978 3 , VII, S. 145 [A 60]) heißt es: "Alle Mate-

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Egoisten sind, die danach streben, ihre eigenen (inklusiven!) Interessen möglichst weitgehend zu realisieren, ist in ihren Augen eine triviale Tatsache, die eben - wenn nicht überhaupt der Hauptgrund menschlicher Unmoral bestenfalls geeignet ist, als der Geltungsgrund einer reinen Klugheitsethik zu fungieren. 352 Da aber im Rahmen einer konsequent argumentierenden Soziobiologie, die Aggressivität und Altruismus, soziales und unsoziales Verhalten gleichermaßen als letztlich (gen-)egoistisch interpretiert, nur die Begründung einer solchen Klugheitsethik möglich ist, während jeder Versuch, eine im traditionellen Sinne "echte" Ethik zu begründen und darüber hinaus auch auf die allgemeine (!) Beachtung und Praktizierung ihrer Normen zu hoffen, als illusionär und unrealistisch erscheint353, ist es aus dieser Sicht nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen sinnvoll, "wie es einem intellektuellen Bewohner einer Sinnenwelt geziemt, [sich] innerhalb der Grenzen dieser eingeschränkt zu halten"354, sich mit einem realen Geltungsgrund zu begnügen und alle Hoffnung genau auf die Geltung jener "absoluten und abschließenden" Wahrheit eines Hobbes, also auf die ubiquitäre Geltung des "Prinzip Eigennutz" zu stützen, das als anthropologisch-konstante motivationale Basis der kleinste (und zugleich größtmögliche) gemeinsame Nenner einer praktikablen (Klugheits-)Ethik im globalen Rahmen sein könnte.355

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rie praktischer Regeln ... dreh[t] sich insgesamt um das Prinzip der eigenen Glückseligkeit"; vgl. auch die Formulierung der "Metaphysik der Sitten" (Kant, 1978^, VIII, S. 515 [A 13]). Vgl. Kuhlmann, 1993, S. 81, 87-95; zur These von der Inkommensurabilität von "Prinzip Klugheit" und "Moral" siehe auch Frankena, 1972, S. 38 ff. Vgl. dazu Wuketits' harsche Thesen zum "Elend der idealistischen Ethik" (Wuketits, 1993b, S. 42-49); ähnlich Leinfellner, 1993, S. 43, 49 f., 52-56. Auch wenn man diese Thesen nicht in ihrer Radikalität teilt und zugesteht, die konsequente Befolgung der Normen einer "echten" Ethik sei einzelnen Menschen möglich, so wird man doch auch zugeben müssen, daß die konsequente Praktizierung "echter" Moral ein solch hohes Maß an Selbstdisziplin, an Selbstreflexion und der Fähigkeit zur Selbst-Distanzierung voraussetzt, das eben nur wenige Ausnahmepersönlichkeiten für sich zu realisieren in der Lage sind. Größte Skepsis ist daher gegenüber der Forderung angebracht, ein solch hoher, idealistischer Maßstab müsse ausnahmslos auf alle Menschen angewendet werden, müsse für alle Menschen in gleicher Weise gelten. Kant, 1978 2 , XI, S. 185 (A 514/515). Vgl. dazu Mohr, 1993, S. 30. Weitere Analogien zu Hobbes liegen auf der Hand so etwa in Fetschers Interpretation des Hobbesschen Denkansatzes: "Die Menschen streben von Hause aus nach dem für sie Nützlichen, davon können sie nicht abgebracht werden und das muß daher von den politischen Denkern im Ansatz berück-

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sichtigt werden" (Fetscher, 19893, S. XX); auch Weiß (1980, S. 139 Anm.) plädiert sehr deutlich dafür, "der Egoismus [müsse] bei Hobbes als immerwährende menschliche Situation - und damit als stets sich stellendes und zu lösendes Problem! - in seiner Gewichtigkeit stehengelassen werden". Völlig kongruent argumentiert der "Biopolitiker" Phocas (1986, S. 110 f.): "Das Gruppenleben lohnt sich erst durch die friedliche Kooperation. Allerdings muß man nach wie vor davon ausgehen, daß jeder den eigenen Vorteil suchen wird. Dieses Verhalten wird sich auch nicht ausmerzen lassen, denn das Streben nach Vorteil ist genau jene evolutionäre Triebkraft, die die Adaption und damit Überleben und Reproduktion bewirkt. Versuche von Idealisten, einen aggressionslosen Menschen zu 'züchten', werden zwangsläufig scheitern". Dieser Hinweis auf die Faktizität und Unhintergehbarkeit des (inklusiven! - was nicht oft genug betont werden kann) "Prinzip Eigennutz" ist wohl in der Tat das beste Argument dafür, es auch als fundamentales Prinzip der Ethik zu setzen (vgl. Frankena, 1972, S. 40 ff.). Baier (1987, S. 158) weist darüber hinaus auf den wichtigen Aspekt hin, wonach die minimalistische Hobbessche Ethik-Konzeption mit nahezu allen anderen Ethik-Konzeptionen kommensurabel sei: "It will then be seen as a morality for all the peace-loving, religious or atheist, for people of all temperaments, sociable or unsociable"; entspr. Weiß, 1980, S. 170; Hungerland, 1989, S. 49; zu Hobbes' Programm "minimaler Rationalität" vgl. auch Räder, 1990, S. 12 f. Arni (1987, S. 357 f.) macht zurecht darauf aufmerksam, alle "Moralsysteme (Systeme moralischer Normen)", hätten - sofern sie anerkannt und praktikabel sein wollen - "den Interessen der Individuen, an die sie gerichtet sind, Rechnung zu tragen". Der Vorteil einer unmittelbar auf das Eigeninteresse gestützten, minimalistischen Klugheitsethik "ganz in der Tradition von Hobbes und Hume"! - könnte nach Arni vor allem darin bestehen, daß diese im Unterschied zu "fiktiven Vertrags- und Diskurskonstruktionen" wegen ihres evidenten Charakters weniger mit "sperrigen Begründungsproblemen" belastet sei. Als Beleg für diese Hobbes-Interpretation kann auf dessen Argumentation im Zusammenhang mit der Frage verwiesen werden, woher die Autorität der Bibel stamme (Le, S. 298 f.). Hobbes meint, diese Autorität könne man nicht positiv beweisen, da wir schließlich kein Wissen von deren göttlicher Provenienz hätten. "Wenn schließlich nach unserem Glauben gefragt wird, so kann, da die einen aus diesem, die anderen aus jenem Grund zum Glauben finden, keine für alle gültige, generelle Antwort gegeben werden". Die nach Hobbes einzig richtige Frage, durch welche Autorität die Worte der Schrift zu Gesetzen erhoben werden, beantwortet er nicht theologisch, sondern naturrechtlich: "Soweit sie nicht von den Gesetzen der Natur abweichen, sind sie unbezweifelbar das Gesetz Gottes und tragen ihre Autorität in sich, für alle Menschen leserlich, die Vernunft besitzen. Dies ist aber keine andere Autorität als die jeder anderen Morallehre, die mit der Vernunft übereinstimmt, deren Vorschriften keine erlassenen, sondern ewige Gesetze sind" (Hervorhebung T.M.).

6.1 Egoismus und/oder Ethik? Gerade im Zusammenhang mit Hobbes ist es aber wichtig, an dieser Stelle auf ein mögliches schwerwiegendes Mißverständnis hinzuweisen, das sich in dem Verdacht äußern könnte, auf der Basis des "Prinzip Eigennutz" ließen sich nur solche Normen begründen, die dem menschlichen Egoismus im engeren Sinne entsprechen. Da aber dieser Egoismus in aller Regel auf die kurzfristige, spontane Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse und Begierden abziele, müßten auch die dem Egoismus entsprechenden "moralischen" Normen zu reinen Synonymen für die kurzfristigen Maximen individuellen Handelns verkommen; "Prinzip Eigennutz" sei demnach nur als Grundlage der "Moral des Dschungels" geeignet, und inter-individuelle Verbindlichkeit und Stabilität ethischer Normen seien auf diese Weise gerade nicht begründbar.356 Dies ist nicht notwendig der Fall! Vielmehr läßt sich mit Hobbes zeigen, daß ein aus dem "Prinzip Eigennutz" (bzw. dem Prinzip der freien Selbsterhaltung) deduzierter Normenkodex durchaus mit einem idealistisch begründeten Normenkodex gleichlautend sein kann (vgl. Le, Kap. 14, 15; Ci, Kap. 2, 3; El., Kap. ). 3 5 7 Das erste Gesetz der Natur: "Suche Frieden und halte ihn ein" (Le, S. 100), entspringt dem (egoistischen) Wunsch nach einer gesicherten Möglichkeit der freien Selbsterhaltung; aus diesem ersten Gesetz Höchst interessant ist in diesem Zusammenhang auch der jüngste Versuch Höffes (1992, S. 22 f.), die universale Geltung der Menschenrechte auf "Vorteilsüberlegungen" zu stützen, die den "Charakter von Klugheitsregeln [haben] und ... keine darüber hinausreichende Moral [verlangen]". Höffe geht zwar - im behaupteten Unterschied zu Hobbes - davon aus, das ursprünglichste, "(relativ) transzendentale" Interesse aller Menschen ziele darauf, "ein handlungsfähiges Wesen zu sein", doch er räumt auch ein - und hier wohl wieder im Einklang mit Hobbes -, selbst der, der "nicht sonderlich am Leben hängt, [habe] - bewußt oder unbewußt - deshalb ein Interesse daran, weil er andernfalls weder etwas begehren noch sein Begehren zu erfüllen trachten kann"; entsprechendes gilt auch für Vossenkuhls Vorschlag, die ökologische Ethik konsequent zu "entmoralisieren, weil moralisierende Argumente sich mit Schuldzuschreibungen zufrieden geben und stigmatisieren, aber nicht bessern"; allerdings äußert sich Vossenkuhl auch skeptisch gegenüber spiel- oder evolutionstheoretischen "Modellen für rationale Egoisten" (Vossenkuhl, 1993, S. 14, 18).

356 Vgl. dazu etwa Kuhlmann, 1993, S. 87-95. 357 Zur Frage, ob demnach die "Vernünftigkeit aufgeklärter egoistischer Klugheit" ein geeignetes "Motiv für Moralität" sein könne, siehe Mackie, 1983, S. 242-247; Frankena, 1972, S. 37 ff.; vgl. auch Fetscher, 19893, S. LH ff.

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leitet Hobbes den gesamten weiteren Katalog der "Gesetze der Vernunft" ab, der wie ein traditioneller Tugendkatalog gelesen werden kann und in der klassischen Formulierung der "Goldenen Regel" mündet: "Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris" (Le, S. 100, 120 f.; vgl. zur weiteren Diskussion unten, Teil II, K a p . I. 2.3).358

Doch diese Deduktion ist nur dann stringent, wenn "Eigeninteresse" nicht im Sinne einer kurzfristigen, momentanen Bedürfnisbefriedigung verstanden wird, sondern stets als das längerfristig den "Saldo" kalkulierende, zukünftige Vor- und Nachteile antizipierende Interesse an freier Selbsterhaltung und darüber hinaus dem "commodious living" (vgl. Le, S. 116 f., 122). 359 Ohne diese Fähigkeit zur Antizipation, ohne die Fähigkeit, die Bereitschaft und den Willen zur Entwicklung langfristiger Perspektiven wäre "Moral" als Medium zur friedlichen Regelung und Stabilisierung intersubjektiver Beziehungen unmöglich (vgl. Le, S. 82 f.).360 Diese Unterscheidung ist auch aus spieltheoretischer Sicht höchst bedeutsam, da sie fundamentale Konsequenzen für die rationalen Strategien der an einem "Spiel" beteiligten Individuen hat. Während nämlich in einem nur einmal stattfindenden Spiel das rationale Klugheitskalkül eines jeden beteiligten Individuums zu dem Ergebnis führt, die eigenen Interessen seien am optimalsten durch eine nichtkooperative Strategie bei gleichzeitiger Kooperationsbereitschaft der anderen Beteiligten zu erreichen, kann die "Klugheit" der Strategie bei einem iterativen bzw. repititiven sog. "Superspiel" völlig anders definiert werden; in einem solchen "Superspiel" kann es sich auf lange Sicht als klug erweisen, eine Verallgemeinerbarkeits-Strategie etwa im Sinne des "Kategorischen Imperativs" oder eines Regelutilitarismus' 361 zu verfolgen und sich dementsprechend kooperativ zu verhalten - solange und soweit die anderen dies ebenfalls tun und damit die Reziprozität des "Altruismus" gewahrt ist. 362 Die rationale Begründung für die Wahl einer kooperativen 358 Vgl. zu dieser Interpretation Baier, 1987, S. 160 f. 359 Zur Bedeutung dieser gleichsam eudämonistischen Komponente in Hobbes' EthikKonzeption siehe v.a. Baier, 1987; zur "Per-Saldo-Kalkulation" vgl. Kliemt, 1985, S. 206 f.; Hampton, 1986, S. 80 ff.; ähnlich auch Sorell 1986, S. 99. 360 Vgl. zur Bedeutung der menschlichen "Zukünftigkeit" in Hobbes' System Willms, 1987, S. 86 f., 128, 133; Kersting, 1992, S. 102 ff. 361 Siehe dazu Hoerster, 1977 2 , Kap. II, S. 41-115, 123 ff. 362 Vgl. dazu Hegselmann, 1989; ebs. Axelrod, 1984; Kliemt, 1985, S. 194 ff.; ders., 1986; ders., 1991, S. 183 ff.; Schüssler, 1991; Markl, K.-P., 1985, S. 65 ff.; McLean, 1985, S. 30 ff., 38 ff.; Ostrom, 1985; Arni, 1987, S. 361 ff.; Schüssler, 1990; Opp, 1991; Springer, 1993, S. 18 ff.; zur spieltheoretischen Analyse der Hobbesschen Moraltheorie siehe Mackie, 1983, S. 144-151; Taylor, (1985, v.a. S. 21-

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Verhaltensstrategie kann also in einem solchen "Superspiel" sehr wohl auf moralische Kategorien wie das "Pflichtbewußtsein" oder das "Prinzip der Fairneß" verzichten. Diese spieltheoretische Konzeption ist der Hobbesschen Argumentation kongruent. Hobbes will den Nachweis erbringen, daß es gerade die Praxis des 27) definiert die Situation der Hobbesschen Individuen im Naturzustand als "Abstandsspiel", "in dem der Nutzen jedes Spielers gleichzeitig mit seiner eigenen Auszahlung und dem Abstand zwischen seiner und der des anderen ansteigt" (S. 22). Das besondere an dieser Situation ist nach Taylor, "daß hier ... für jeden die Versuchung der Abweichung von gegenseitiger Kooperation größer ist als im ursprünglichen Gefangenendilemma" (ebd.). Allerdings könnte hier im Zusammenhang mit der oben bereits erwähnten Tendenz zum "non-involvement" (vgl. Fußnote 340) der schwierige Fall eintreten, daß sich "altruistisches" Verhalten gegenüber hilfebedürftigen Fremden auch auf lange Sicht "nicht rechnet", da die Reziprozität des eigenen Sozialverhaltens in einer anonymisierten Massengesellschaft zu unsicher ist. Das Risiko, in einem "altruistischen" Akt selbst zuviel zu riskieren, d.h. mehr zu investieren, als man selbst auch auf längere Sicht an individuellem Nutzen zurückerhalten mag, kann dann in der zweckrationalen Kalkulation eines Individuums den Ausschlag geben - zumal dann, wenn gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist, aus der Kooperationsverweigerung irgendwelche negativen Folgen erwarten zu müssen. Doch dies bedeutet keineswegs, Menschen in einer anonymisierten Massengesellschaft wären prinzipiell in irgendeiner Weise "unmoralischer" als etwa die Einwohner einer ländlichen Gemeinde, die das Phänomen des "non-involvement" (in diesem Ausmaß) noch nicht kennen, bzw. in der permanente "Trittbrettfahrer" und Kooperationsverweigerer noch damit rechnen müssen, als solche entlarvt und sozial stigmatisiert zu werden (zur Bedeutung jenes '"moralistischen Zorns"' in rezenten Naturvölkern siehe etwa Phocas, 1986, S. 109 f., 128; Eibl-Eibesfeldt, 1989 14 , S. 256 f., äußert die Vermutung, die Neigung zur Korruption sei in den "Führungsschichten der anonymen Gesellschaften" deshalb größer als in individualisierten Verbänden, weil für ranghohe Individuen die Masse der Untergebenen hier im Regelfall persönlich unbekannt und zudem die Tarnung sozialer Mängel viel leichter möglich sei; vgl. dazu Hobbes' pro-monarchisches Argument [Le, S. 147], in einer Demokratie oder Aristokratie trage der allgemeine soziale Wohlstand "zum Privatvermögen eines korrupten oder ehrgeizigen Menschen weniger bei als oftmals ein hinterlistiger Rat, eine verräterische Handlung oder ein Bürgerkrieg".). Im Hinblick auf das im Rahmen dieser Arbeit (Teil III) primär interessierende global-ökologische "Superspiel" führt diese Überlegung jedoch zur zentralen Frage, ob prinzipiell jeder Spielteilnehmer bei langfristiger Kalkulation seines individuellen (inklusiven!) Nutzens zum Ergebnis kommen kann, die pro-ökologische Strategie sei auf jeden Fall vorzuziehen, auch wenn dies kurz- und mittelfristig mit Verzichtsleistungen verbunden sein müßte.

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immer nur auf die Realisierung der unmittelbaren Zwecke abzielenden kurzsichtigen Egoismus ist, die das allgemeine Elend des Naturzustandes heraufbeschwört und sich daher auf lange Sicht für alle Individuen in hohem Maße als ebenso unvernünftig wie unklug erweist (vgl. Le, S. 94 ff.). 3 6 3 Hobbes ist sich dabei zum einen völlig über jenen Tatbestand im klaren, der in der Wirtschafts- wie auch in der modernen Spieltheorie als "Diskontierung künftiger Vorteile" bezeichnet wird, über jenes Phänomen also, daß Menschen dazu neigen, Vorteile und Gewinne, die erst in Zukunft zu erwarten sind, nur mit einem verringerten Wert zu veranschlagen, wobei diese Diskontrate mit der zunehmenden zeitlichen Entfernung des erwarteten Vorteils wächst - "Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach". 3 6 4 Hobbes: "Denn alle Menschen sind von Natur aus mit bemerkenswerten Vergrößerungsgläsern ausgestattet, nämlich ihren Leidenschaften und ihrer Eigenliebe, durch die jede kleine Abgabe als große Belastung erscheint, aber es fehlen ihnen die Ferngläser, nämlich Wissenschaft von der Moral und vom Staate, um von ferne die elenden Zustände zu sehen, die über ihnen hängen und ohne diese Abgaben nicht abgewendet werden können" (Le, S. 144). Zugleich ist aber bereits für Hobbes ein unhintergehbares Faktum, was Hume später in die Worte faßte: "Es gibt also keinen Affekt, der fähig ist, die eigennützige Neigung im Zaum zu halten, außer dieser Neigung selbst, wenn man ihr nämlich eine neue Richtung gibt". 365 Und diese "neue Richtung" versucht Hobbes dem menschlichen Egoismus zu geben, indem er ihm die Per363 Vgl. dazu Kersting, 1992, S. 70 f. Kersting weist hier zurecht darauf hin, der "psychologische Subjektivismus als moralphilosophische Basistheorie [verlange es], alle moralrelevanten Empfindungen und Einstellungen egozentrisch zu rekonstruieren". Das Hobbessche Beispiel: "Die Verachtung eines guten Rufs nennt man Schamlosigkeit" (Le, S. 45), bezeichnet Kersting dann aber als "Verzerrung unserer moralischen Überzeugungen", da "schamloses Verhalten jetzt nicht mehr moralisch verwerflich, sondern unklug" sei (vgl. entspr. Honnefelder, 1992, S. 165 ff.). Ob allerdings zur Begründung für diese Kritik die bloße Behauptung ausreichen kann, die "Bereiche des Mentalen und des Moral-Normativen sperrten] sich heftig gegen jede szientistisch motivierte Reduktion", darf bezweifelt werden; zur These, Hobbes hätte als die größte Gefahr für das menschliche Überleben den "ungezügelten Egoismus der Individuen" angesehen, vgl. auch Vossenkuhl, 1993, S. 7. 364 Vgl. McLean, 1985, S. 39 f.; Taylor, 1985, S. 26 f. 365 Hume, 1978, S. 236. Und im gleichen Sinne äußert sich Kant, wenn er das Argument, die "Menschen mit ihren selbstsüchtigen Neigungen [seien] einer Verfassung von so sublimer Form" wie der Republik nicht fähig, mit dem Argument zurückweist, die Natur komme dem Menschen diesbezüglich "gerade durch jene selbstsüchtige Neigung [] zu Hülfe" (vgl. Kant, 1978 2 , XI, S. 223 ff., A 59/B 60 ff.).

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spektive der langfristigen Friedenssicherung und der dazu erforderlichen Verhaltensrichtlinien eröffnet. Die Hobbesschen "Gesetze der Vernunft" sind demnach Strategeme zur langfristigen und gesicherten Verwirklichung der egoistischen menschlichen Motive: "Diese Weisungen der Vernunft werden von den Menschen gewöhnlich als Gesetze bezeichnet, aber ungenau. Sie sind nämlich nur Schlüsse oder Lehrsätze, die das betreffen, was zur Erhaltung und Verteidigung des Menschen dient..." (Le, S. 122). 366 Hans Mohr bezeichnet es als das "ethische Dilemma unserer Zeit", daß der heute objektiv bestehenden Notwendigkeit eines universalen Ethos unsere "evolutionär entstandene Neigungsstruktur (propensity structure)" entgegenstehe, die unsere Moralfähigkeit begrenze und sich zudem durch kulturelle Anpassungsleistungen "nicht beliebig überspielen" lasse. 367 Exakt dieses ethische Dilemma sieht auch Hobbes, wenn er schreibt: "Denn die natürlichen Gesetze wie Gerechtigkeit, BiUgkeit, Bescheidenheit, Dankbarkeit, kurz, das Gesetz, andere so zu behandeln wie wir selbst behandelt werden wollen, sind an sich, ohne die Furcht vor einer Macht, die ihre Befolgung veranlaßt, unseren natürlichen Leidenschaften entgegengesetzt, d'e uns zu Parteilichkeit, Hochmut, Rachsucht und Ähnlichem verleite11." (Le, S. 131, 137 f.). Dieses Dilemma markiert in Hobbes' System den Punkt des Übergangs von der Anthropologie (einschließlich der Lehre vom Naturzustand) zur Staatsphilosophie, zur Lehre von "den Ursachen, der Erzeugung und der De366 Vgl. dazu Willms, 1987, S. 143. 367 Mohr, 1987, S. 84; vgl. Ike, 1987, S. 216 ff.; bereits Eibl-Eibesfeldt (1986 3 , S. 231, vgl. auch S. 274) ging davon aus, daß "Angeborenes beharrlich ist und der Modifikabilität einen größeren Widerstand entgegensetzt als Erworbenes"; dadurch werde "ein Druck erzeugt, der uns drängt, den kulturellen Normenfilter mit dem biologischen in Einklang zu bringen". Immer dann - so Eibl-Eibesfeldt -, wenn eine kulturelle Norm im Widerspruch zu einem angeborenen Gebot steht, wird dies zu Gewissenskonflikten fuhren. So hält er z.B. ein kulturelles Tötungsgeboi für unvereinbar mit der "biologischen Norm 'Du sollst nicht töten!'" und entsprechend für unvereinbar mit unserem Gewissen. Dabei übersieht er jedoch zum einen die natürlich beschränkte Geltung jener "biologischen Norm" auf die eigene (zumeist freilich bereits "elargierte") Ingroup; zum anderen aber ist Eibl-Eibesfeldt an dieser Stelle merkwürdig einäugig. Denn wie steht es etwa mit der angeborenen Neigung zu Xenophobie und Aggressivität gegenüber Fremden im Gegensatz zu kulturell verordneter Toleranz? Muß sich nicht auch hier das "Gewissen" mahnend zu Wort melden und darauf drängen, den "kulturellen Normenfilter" wieder mit dem biologischen in Einklang zu bringen? Doch liefe nicht genau dies auf eine der augenfälligsten Manifestationen des von Mohr konstatierten ethischen Dilemmas unserer Zeit hinaus?

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finition eines Staates" (Le, S. 131) - die im folgenden den diesbezüglichen Thesen von "biopolitics" gegenübergestellt und in deren Licht diskutiert werden soll.

TEIL 2

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I. "Biopolitics" oder Die Geburt des Leviathan 1. Die Entstehung des Staates aus der Sicht von "Biopolitics" 1.1 Hauptfaktor Bevölkerungswachstum Moderne Ethologen und "Biopolitiker" gehen davon aus, eine der zentralen Ursachen für die Ausdehnung ursprünglicher, für jedes Individuum, jedes Mitglied der "Ingroup" noch überschaubarer sozialer Gebilde (Sippe, Clan) sei in der Aus- oder auch Überlastung der Tragekapazität einer ökologischen Nische im Zuge des BevölkerungsWachstums zu sehen.1 Innerhalb dieser ursprünglichen Gruppen galt bereits immer das (soziobiologische) Prinzip, "daß das einzelne Gen in der Gruppe am meisten profitiert, und zur 1

Vgl. etwa Phocas, 1986, S. 114 ff.; Flannery, 1972, S. 405 ff.; Flohr/Tönnesmann, 1983; Hines, 1983, S. 71; Eibl-Eibesfeldt, 1989 14 , S. 252-268; ders., 1986 3 , S. 147-225; Eder, 1980, S. 63 ff.; Schmid, J., 1993, S. 36 f.; vgl. auch die Überlegungen des Biologen Markl, H., 1982, insbes. S. 658 ff.; interessant und aufschlußreich auch Freund, W. S. (1982, S. 694 f.), der die "demographische Verdichtung auf begrenzter Fläche" als ursächlich für die Evolution von '"Humanklumpen'" (= Städten) erachtet.

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Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft bedarf es wiederum der Kooperation, d. h. der Reziprozität mit allen ihren Folgen". 2 Hubert Markl macht am Beispiel der IKung-Buschleute auf den wichtigen Umstand aufmerksam, daß es freilich keineswegs so etwas wie einen natürlichen anthropologischen "Mechanismus" gibt, der die Menschen gleichsam mit naturgesetzlicher Notwendigkeit dazu zwingt, die Bevölkerung zielstrebig bis zur Aus- oder Überlastung der von einer Gruppe bewohnten ökologischen Nische anwachsen zu lassen; vielmehr sei von einer Bevölkerungszuwachsrate von lediglich 0,1 Prozent pro Jahr während der Steinzeit auszugehen (heute: global ca. 1,73 Prozent). 3 Diese Reproduktionsstrategie änderte sich jedoch während der sog. "'neolithische[n] Revolution'" - also im Übergang vom nomadisierenden Sammler- und Jägerdasein zur Seßhaftigkeit und der Umstellung auf Ackerbau und Viehzucht - "sehr rasch und dramatisch".4 Die Frage, wieso denn die ursprüngliche, durchaus erfolgreiche Lebensweise überhaupt umgestellt wurde, läßt sich mit Markl so beantworten, daß die Sammler- und Jägergruppen der Steinzeit eben doch keine "völlig konstante Bevölkerungsdichte, also Nullwachstum" erreichten (wofür vor allem der Konkurrenzdruck gegenüber anderen, prosperierenden Gruppen verantwortlich war), daß also "auch eine Bevölkerungszuwachsrate von weniger als einem tausendstel Prozent pro Jahr und eine Verdoppelungszeit von einigen Zehntausenden von Jahren dazu führt, daß sich die Population des Homo sapiens von etwa 2 Millionen vor 100 000 Jahren bis vor 10 000 Jahren auf das annähernd Zehnfache vermehren mußte: Selbst das fast bei Null liegende Wachstum der Steinzeit führte also, wenn diese Epoche nur lange genug dauerte, unweigerlich zu einem Bevölkerungsdruck, der sich den ökolo2 3

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Phocas, 1986, S. 103, 110 f.; entspr. Markl, H., 1982, S. 649 ff. Markl, H., 1982, S. 654 ff., S. 630; zur Wachstumsrate der heutigen Weltbevölkerung vgl. Freund, W. S. 1982, S. 679 f.; Schmid, 1982 2 , S. 34, 36; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 78; Domrös/Tomala, 1991, S. 7; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 45-55; Gruhl, 1992 2 , S. 236 f. Markl, H., 1982, S. 657; die Vorstellung vom "raschen" und "dramatischen" revolutionären Wechsel der Lebensform ist freilich vor dem Hintergrund evolutionärer Zeitdimensionen zu verstehen; d.h. diese "Revolution" umschreibt einen "jahrtausendelangen Prozeß ..., der zudem in den einzelnen Erdteilen und Klimazonen sehr unterschiedlich ablief" (Smolla, 1982, S. 561; vgl. entspr. Freund, W. S. 1982, S. 678 f.; Eder, 1980, S. 50 f.; Phocas, 1986, S. 114); zur Bedeutung und Entwicklung dieser "Zäsur" vgl. auch Eder, 1980, S. 39-67; Smolla, 1982, S. 543563; Godelier, 1982, S. 24 f.; Phocas, 1986, S. 114 ff.; Ike, 1987, S. 222 f.

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gischen Tragekapazitätsgrenzen nähern und diese zu spüren bekommen muß ".5 Während jener "neolithischen Revolution" wurden die Menschen - notgedrungen - zunehmend seßhaft und gingen dazu über, relativ fest umgrenzte kleinere Territorien effizienter zu nutzen, was zu Nahrungsumstellung, anderen Arbeitsweisen (zunehmende Arbeitsteilung!) und nicht zuletzt auch zu einem anderen Umgang mit Kindern führte (da diese nun nicht mehr über lange Zeit und große Strecken getragen werden mußten). Diese Faktoren im Verein mit dem in der Landbauwirtschaft erheblich anwachsenden Bedarf an Arbeitskräften 6 waren Anlaß dafür, "daß die neolithischen Menschen ihre Zuwachsbeschränkung aufgaben oder den Zuwachs doch weniger scharf kontrollierten". Der daraus resultierende wachsende Bevölkerungsdruck trieb die ständige Verbesserung und Intensivierung von Ackerbau und Viehzucht voran; die dadurch steigenden Nahrungserträge hatten ihrerseits wiederum positive Rückkopplungswirkungen auf das Bevölkerungswachstum usw.: "Der dynamische Teufelskreis produktiver Innovation, daraus resultierenden Bevölkerungszuwachses und davon erneut angetriebenen Eifers zu weiteren Verbesserungen der Produktivität ist das Schwungrad, das die Geschichte der letzten zehntausend Jahre angetrieben hat und auf das auch die heutige Menschheit auf Gedeih und Verderb geflochten scheint".7

1.2 Die Dehnbarkeit des reziproken Altruismus Diese Darstellungen machen den (nichtlinearen!) Wachstumsprozeß leicht nachvollziehbar, der eine ehemals kleine, überschaubare face-to-face-Gruppe bis zu den Grenzen der Belastbarkeit der von ihr bewohnten ökologischen Nische anwachsen ließ. Was Markl jedoch bei seiner Darstellung weitgehend außer acht läßt, ist die Frage nach den Intergruppenkonflikten8, die eben dann 5 6 7 8

Markl, H., 1982, S. 658 ff. Siehe dazu Markl, H., 1982, S. 658 f.; Zeier, 1982, S. 669 f.; Eder, 1980, S. 45 f. Markl, H., 1982, S. 658 f.; vgl. Flannery, 1972, S. 405 f.; Smolla, 1982, S. 547 f.; Phocas, 1986, S. 119 f.; Ike, 1987, S. 223. Zur Frage nach der "Friedfertigkeit" der ursprünglichen, nomadisierenden Gruppen unserer Vorfahren führt Markl (ebd., S. 654) aus, einerseits dürften zwar territoriale Streitigkeiten und Krieg eher selten gewesen sein, man dürfe aber andererseits nicht annehmen, "diese Leute [wären] immer friedlich, keineswegs: tödlicher Streit (z. B. um Frauen) kommt vor, ebenso gibt es blutige Fehden. Die Häufigkeit von Mord und Totschlag liegt in einer Größenordnung, wie wir sie von besonders berüchtigten Großstädten kennen"; zur Entlarvung der Lehre von "friedlichen Wilden" als purer

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unausweichlich eintreten bzw. sich dramatisch verschärfen müssen, wenn die Tragekapazität einer ökologischen Nische durch mehrere sie bewohnender, genetisch nicht verwandter Gruppen total erschöpft ist, die überlebenswichtigen Ressourcen zunehmend knapper werden, und zugleich weder die weitere territoriale Expansion, noch die Vertreibung, Flucht oder Vernichtung einer oder mehrerer der Konkurrenzgruppen möglich ist, da zum einen alle erreichbaren ökologischen Nischen bereits besetzt sind und zugleich angenommen werden kann, daß die Stärke der unter relativ gleichen Überlebensbedingungen in einer Nische lebenden Gruppen annähernd gleich ist. Interessanterweise arbeitete bereits Immanuel Kant diesen Gedanken in seiner Schrift "Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte" von 1785 deutlich heraus und erkannte ihn klar als konstitutives Element zur Gründung größerer Gemeinwesen: "Ein Boden, von dessen Bearbeitung und Bepflanzung ... der Unterhalt abhängt, erfordert bleibende Behausungen; und die Verteidigung desselben gegen alle Verletzungen bedarf einer Menge einander Beistand leistenden Menschen. Mithin konnten die Menschen bei dieser Lebensart sich nicht mehr familienweise zerstreuen, sondern mußten zusammen halten, und Dorfschaften ... errichten, um ihr Eigentum gegen wilde Jäger, oder Horden herumschweifender Hirten, zu schützen".9 Nimmt man nun an, die "erste Natur" des Menschen, seine genetisch implementierte Neigung zur Ausbildung (relativ) starrer Ingroup-OutgroupStrukturen sowie die damit einhergehende Neigung zu Aggressivität gegenüber Angehörigen fremder, genetisch nicht verwandter (!) Gruppen habe für lange Zeit die friedliche Beilegung von Konflikten und die Ausbildung von Formen der Kooperation verhindert, dann ist auch die Vorstellung gut nachIllusion oder "freundliche[m] Mythos" siehe v.a. Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 97-146 (zur Innergruppenaggression), S. 147-225 (zur Intergruppenaggression); Eibl-Eibesfeldt weist hier (ebd., S. 221) auch auf das Phänomen hin, kriegerische Intergruppenkonflikte seien um so wahrscheinlicher, "je dichter das Gebiet bevölkert ist"; vgl. entspr. Wiegele, 1979, S. 136 ff.; Seidl, 1985, S. 198 f., 200-213. Entspr. betont Mohr (1987, S. 79-83; vgl. ders., 1993, S. 23 ff.) immer wieder, die Seßhaftwerdung im Neolithikum habe unter anderem dazu geführt, daß die "Ackerbauern und Viehzüchter ... in Verteidigung ihres Territoriums und ihres Besitzes vermutlich um einiges aggressiver [wurden] als die Jäger- und Sammlerhorden des Paläolithikums, bei denen territoriale Aggression keine so lebensentscheidende Rolle spielte. Der biblische Brudermord dürfte die Härte und die Tendenz der Konflikte richtig beschreiben: Kain, der Ackerbauer, erschlug Abel, den Viehzüchter"; vgl. entspr. Vogel, 1989, S. 73-126; Seidl, 1985, S. 181 ff.; Falger, 1987, S. 242 ff. 9

Kant, 1978, XI, S. 95-98 (A19 - A22).

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vollziehbar, daß diese Situation für alle beteiligten Gruppen - und damit, da sie noch nicht besonders stratifiziert waren, für die Mehrheit, wenn nicht für die Gesamtheit ihrer Mitglieder - immer härter werden mußte, da die Ressourcenknappheit zusammen mit der damit einhergehenden Zuspitzung der Konkurrenzsituation, die gleichbedeutend war mit der zunehmenden Bedrohung der Gruppensicherheit durch (mögliche) feindliche Übergriffe seitens der Konkurrenten, zu einer massiven Verschlechterung der Lebensqualität und damit der Reproduktionschancen führen mußte. Auf lange Sicht mußte dies im Ergebnis - wenn nicht zum evolutiven "Aus" - zu einem für alle beteiligten Gruppen unerträglichen, nach alternativen Anpassungsstrategien verlangenden (selektiven) Leidensdruck führen. 10 In diesen Überlegungen ist die These impliziert, daß zwischen Gruppen, die gemeinsame genetische Wurzeln (Ahnen) hatten und eine ökologische Nische nur aufgrund von Abspaltungen ("Filialen"-Bildung) getrennt bewohnten11, die Bereitschaft zur Kooperation in kritischen Situationen auf der Basis postarchaischer "politischer"12 Systeme und neuer "Law-and-Order-Instanzen" relativ leichter (wiederhergestellt werden konnte, wofür vor allem der Umstand spricht, daß diese Gruppen über die (vielleicht entscheidende) Möglichkeit der kommunikativen Verständigung verfügten. 13 Diese Konstellation wird jedoch hier aus methodischen Gründen nicht weiter verfolgt, da 10 11 12

13

Vgl. Eder, 1980, S. 63-67. Vgl. Eder, 1980, S. 44 f.; Phocas, 1986, S. 116; Ike, 1987, S. 222 f. Wobei unter "Politik" hier und im folgenden dasjenige menschliche Handeln verstanden wird, "das auf die Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit, v.a. von allgemein verbindlichen Regelungen und Entscheidungen, in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt" (Patzelt, 1992, S. 14). Vgl. Eder, 1980, S. 57-62, 68 ff., 82 f.; zum "Ordnungsprinzip" in ethnisch homogenen Gesellschaften vgl. auch Bargatzky, 1993, S. 14 ff. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen Hubert Markls (1990, S. 386 ff.) zur "Dialektik von Ordnung und Chaos in sozialen Systemen". Er geht dabei von dem in Tiersozietäten zu beobachtenden Phänomen aus, daß relativ geschlossene, homogene soziale Verbände (Ingroups) bisweilen aufgebrochen werden und es zu "Mitgliederaustausch, zu Gruppenvermischung" kommt. Diese vordergründige Störung einer sozialen Ordnung führt er evolutionslogisch darauf zurück, daß der "Zustand zunehmend perfektionierter spezialisierter Ordnung, also Angepaßtheit, ... steigende Opportunitätskosten durch Verlust flexibler Anpassungsfähigkeit an neue Herausforderungen mit sich [bringt], Optimierung der Perfektion führt zu perfekter Erstarrung". Demnach kann es unter Umständen also sehr wohl im Sinne der wohlverstandenen "inclusive-fitness" sein, die Grenzen der eigenen "Ingroup" nicht zu starr werden zu lassen.

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sich zum einen auch für diese Gesellschaften irgendwann die Situation ergeben mußte, mit (ebenbürtigen) fremden Gesellschaften in Konkurrenz treten zu müssen, und zweitens diese Situation genetisch nicht verwandter Konkurrenz-Gruppen sowohl im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Hobbesschen "Naturzustand" und seinem Gesellschaftsvertragstheorem als auch hinsichtlich der in Teil III dieser Arbeit zu diskutierenden Situation der heutigen Staatenwelt die weitaus interessantere ist. 14 Setzt man nun voraus, Menschen seien (ab einer bestimmten Stufe ihrer kognitiven Entwicklung) zumindest in dem Sinne vernunftbegabt, daß sie zukünftige Ereignisse und Verhältnisse sowie positive (nützliche) und negative (schädliche) Handlungsfolgen antizipieren können, und unterstellt man zusätzlich - als eine der wichtigsten menschlichen Anpassungsleistungen! - die Möglichkeit zur kommunikativen Verständigung zwischen den konkurrierenden (nicht-verwandten!) Gruppen als bereits gegeben15, dann stellen sich für die betreffenden Sozietäten in diesem Modell des ZwischengruppenNaturzustandes mindestens die folgenden zwei grundsätzlichen Alternativen des Handelns: A) Wenn in einer überlasteten ökologischen Nische z.B. 15 in jeglicher Hinsicht relativ gleich starke, genetisch nicht verwandte Gruppen ansässig sind, sollte jede Gruppe versuchen, sich mit (mindenstens) einer der anderen zu verbünden, um dritte aus dem Gebiet vertreiben oder aber sie vernichten zu können. Diese Strategie erscheint spontan als naheliegend. Nimmt man jedoch weiter an, daß die ursprünglich relativ kleinen Zweckbündnisse der Schwachen sich bald anderen Zweckbündnissen von einigen mehr Schwachen gegenübersehen konnten, die nun ihrerseits überlegen waren und damit Zweckbündnisse einer noch größeren Zahl heraufbeschwörten usw., dann ließe sich durchaus ein sehr einfaches - und ohne zusätzliche Annahmen sicher nicht haltbares - Modell konstruieren, in dem unsere modernen Staatsge14

15

Zumal davon auszugehen ist, daß nahezu alle heute existierenden (größeren) Nationen "- allemal in Europa - ... letzten Endes Mischvölker [sind]", während es den homogenen, "monokulturellen Nationalstaat" schlechterdings nicht (mehr) gibt; vgl. Krell, 1992, S. III, 1; zur entsprechenden Kritik am Mythos der ethnisch homogenen Nation und des Nationalstaates siehe auch Glotz, 1990; Walther, 1994, S. 48; Wehler, 1994, S. 25 f. Aus soziobiologischer Sicht kann also das in der modernen transzendentalpragmatischen Diskursethik (Apel, Kuhlmann) verwendete Theorem vom " Sprach-Apriori" in der Ethik insofern akzeptiert werden, als die Sprache - als stammesgeschichtliches Aposteriori! - in der Tat eine "Bedingung der Möglichkeit" einer Ethik jenseits der genetischen Ingroup ist.

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bilde nichts anderes sind als die vorläufigen Endstadien jenes Progresses der Vergrößerung von Zweckbündnissen zur Abwehr oder Bekämpfung anderer Zweckbündnisse.16 B). Die Gruppen sollten versuchen, sich mit allen anderen Gruppen zu arrangieren, um etwa ihre ökologische Nische mit vereinten Kräften oder in garantiert friedfertiger Separiertheit17 effektiver nutzen zu können, die Grenzen der ökologischen Nische auszudehnen, eine zusätzliche ökologische Nische zu erobern u.ä. Unabhängig davon, welche der Lösungsalternativen man für realistischer oder auch (etwa ethologisch oder paläontologisch) besser belegbar erachtet, bedeutet dies jedenfalls für die anthropologische Grundlagentheorie, daß sich bereits auf dieser Stufe der Evolution von Gesellschaften ein starres, streng mechanistisches Ingroup-Outgroup-Schema insofern als maladaptiv hätte erweisen müssen, als es jede Form eines kooperativen, reziprok-altruistischen Miteinanders unter genetisch nicht verwandten Menschengruppen a priori unmöglich gemacht hätte (was im Modell das nicht akzeptable Ergebnis D) bedeutet hätte). Bereits auf dieser Stufe war also der Mensch als das flexibelste aller Tiere "gefordert", einen "kulturellen Überbau zur Kontrolle auch der uns angeborenen Verhaltensweisen zu schaffen", der dem selektiven Druck der neuen Überlebensbedingungen entsprach.18 Kultur ist also folglich ihrer16

17

18

Ein ähnliches Modell entwickelte bereits Robert Nozick (1976, S. 25-38) unter Bezugnahme auf den Lockeschen Naturzustand des Krieges aller gegen alle, aus dem sich zunächst reine "Schutzbündnisse" entwickeln, die exklusiv ihre Mitglieder vor Übergriffen schützen sollen; siehe dazu auch Schüßler, 1990, S. 301; zu Nozicks Ansatz vgl. auch Kersting, 1994, S. 292-320. Zudem steht dieses ZweckbündnisModell durchaus im Einklang mit der evolutionstheoretischen, bzw. ethologischen Kernthese, wonach "Soziale Kooperation ... immer eine Eigenschaft [ist], die darauf ausgelesen ist, die Fähigkeit von Gruppen zur Konkurrenz mit anderen Wettbewerbern zu verbessern" (Markl, H., 1990, S. 385 f.); vgl. Alexander, 1979b, S. 294; ders., 1981a, S. 271-279, 288-293; Giesen, 1980, S. 88 f., 99; Falger, 1987, S. 245 f. Eibl-Eibesfeldt (1986 3 , S. 222) weist auf die Möglichkeit hin, unter den in einer ökologischen Nische lebenden Gruppen könne sich allmählich ein "Gleichgewichtszustand" einpendeln, was in aller Regel dazu führe, daß die Intergruppenkonflikte "immer mehr zu einem unblutigen Ritual der Grenzmarkierung" werden; zur dazu kongruenten "Balance-of-Power-Hypothesis" siehe v.a. Alexander, 1981a, S. 273 ff. Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 201; Eder (1980, S. 50 ff.) spricht daher zurecht davon, die Errungenschaften des Neolithikums hätten vor allem zu einer "kognitiven Revolution" geführt, in der die "Möglichkeiten, moralisch zu lernen, strukturell erwei-

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seits als Adaptionsleistung zu verstehen, die unter dem Einfluß eines entsprechenden Selektionsdruckes allmählich evolvierte. 19 Die ursprüngliche "Ingroup" der Kernfamilie oder des Clans mußte auf dieser Stufe der Evolution künstlich erweitert bzw. - im Sinne Gehlens "elargiert" werden. Dies bedeutet nicht zuletzt, daß unsere Vorfahren sich bereits auf dieser Ebene des "ersten" Zusammenschlusses nicht genetisch verwandter Gruppen in strengem Sinne partiell "gegen ihre Gene" verhalten mußten; es bedeutet jedoch nicht, durch diese Ingroup-Elargierung wäre das fundamentale, genetisch implementierte Ingroup-Outgroup-Schema auf kulturellem Wege vollständig außer Kraft gesetzt worden. Vielmehr läßt der "Prozeß der kulturellen Pseudospeziation", in dem sich "Menschen voneinander abschlössen], als wären sie Vertreter verschiedener Arten"20, darauf schließen, jenes fundamentale Schema, dem eine ebenso fundamentale anthropologische Verhaltensdisposition entspricht, sei in den ersten Gesellschaften lediglich überformt bzw. - im Mehrsinn des Wortes - "aufgehoben" worden, im Verhältnis zwischen den neu entstandenen Sozietäten bestehe es jedoch in gleicher - oder sogar verschärfter - Weise weiter.

19

20

ter[t]" worden seien; entsprechend bezeichnet Gehlen (1986-\ S. 87 f.) die ursprüngliche "Überformung der naturalen biologischen Daten" wie sie in hominiden Kleingruppen und "Aufzuchtfamilie[n]" der Prähistorie gültig gewesen sein mögen, als "eine der ganz frühen und hohen Kulturleistungen des Menschen"; vgl. auch Wilson, 1993, S. 143. Vgl. Phocas, 1986, S. 133 ff.; Lorenz, 1977, S. 226 f.; Kliemt, 1985, S. 183 f.; Wuketits, 1993b, S. 115-125. Dies impliziert natürlich auch die These, daß Kultur niemals etwas Statisches, Endgültiges ist, sondern stets Kultur im Wandel (vgl. Welsch, 1992). Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 203; dabei ist freilich Vogels Kritik am Konzept der "Pseudospeziation" insofern zutreffend, als die "Dehumanisierung" des Fremden keineswegs als notwendige Bedingung für die Überwindung einer "angeborenen Tötungshemmung" gesehen werden darf (Vogel, 1989, S. 122 f.); zweifellos sind jedoch "Pseudospeziation" und "Dehumanisierung" hilfreiche und wirksame Mittel, die Aggressionsbereitschaft gegenüber Gruppenfremden zu erleichtern und zu steigern (vgl. Phocas, 1986, S. 164 f.; er weist auch auf den interessanten Aspekt hin, der "heute real existierende ideologische Fanatismus, der kritikunzugänglich ist, [habe] viele Elemente dieses ursprünglichen Ethnozentrismus übernommen".); interessant sind in diesem Zusammenhang auch Flohrs Ausführungen zu den biologischen Grundlagen sozialer Vorurteile (Flohr, 1987, S. 190 ff., 197-204); vgl. auch Wuketits, 1993b, S. 187-194.

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1.2.1 Exkurs: Das Naturzustand-Spiel Aus humanethologischer und soziobiologischer Sicht - was hier ausdrücklich betont sei! - ist die Annahme am wahrscheinlichsten, daß unsere Vorfahren Gruppenkonflikte vornehmlich in äußerst aggressiver Weise austrugen. Es ist ein Faktum, daß die "Geschichte der Menschheit ... bis heute die Geschichte der erfolgreichen Eroberer [ist] "21, also entsprechend auch die Genese der modernen Staatswesen in aller Regel auf Akte der Eroberung, Unterwerfung, Annektion usw. zurückzuführen sein dürfte. Gleichwohl wäre es - gerade im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der Philosophie Hobbes' - sehr reizvoll und möglicherweise aufschlußreich, z.B. das "Naturzustand-Spiel" zwischen 15 Gruppen etwa nach folgendem Modell einer entscheidungs- bzw. spieltheoretischen Modellanalyse zu unterziehen: Das Naturzustand-Spiel

1. Äußere Bedingungen: In einer ökologischen Nische leben 15 Menschengruppen. Die Tragekapazität der ökologischen Nische ist erschöpft. Die Gruppen konkurrieren um die knappen und zunehmend knapper werdenden Ressourcen. Die Ressourcen werden aufgrund der Konkurrenzsituation nicht optimal genutzt, manche können gar nicht erschlossen werden. Dies bedeutet für alle Gruppen gleichermaßen eine zunehmende, massiv spürbare Verschlechterung der Überlebensbedingungen. Die ökologische Nische ist insofern für die Gruppen "hermetisch", als alle benachbarten ökologischen Nischen bereits ihrerseits von Gruppen besetzt sind, die so stark sind, daß der Versuch einer Expansion von allen Gruppen als zu hohes Risiko angesehen werden muß.

21

Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 220; vgl. entspr. Mohr, 1987, S. 83; Flannery, 1972, S. 405, 407 ff.; Carneiro, 1978, S. 207 f.; Alexander, 1981a, S. 275 f.; Cohen, 1984, S. 299; Jacobi, 1986, S. 50; Phocas, 1986, S. 125 ff.; Lay, 1991, S. 141 f.

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2. Innere Bedingungen Alle Gruppen sind relativ gleich stark (an Mitgliedern, Waffen, Werkzeugen, Nahrungsmitteln, Verfügungsgewalt über Ressourcen usw.). Es werden keine "Zufälle" (Naturkatastrophen, Seuchen o.ä.) angenommen, die eine der Gruppen im Verhältnis zu ihren Konkurrentinnen signifikant schwächen oder stärken könnten. Oberste Maxime jeder Gruppe ist die je eigene Nutzenmaximierung (i. S. v.: "Verbesserung der Überlebens- und Reproduktionsbedingungen"). Es bestehen bisher keinerlei verwandtschaftliche, geschäftliche, "politische" oder sonstige Beziehungen zwischen den Gruppen. Die Gruppen treten nach außen geschlossen mit einheitlicher Strategie auf. In jeder Gruppe gibt es drei paritätisch besetzte, untereinander friedfertige Parteien: a)

Partei A ist die Partei der "Falken". Sie optiert für den Versuch einer gewaltsamen Vertreibung oder Vernichtung von mindestens einer, möglichst aller Konkurrenz-Gruppen, um so die Voraussetzung für die Maximierung der eigenen Überlebens- und Reproduktionschancen zu schaffen.

b)

Dem widerspricht die Partei B der "Tauben". Diese Partei tritt für eine offensive Strategie der friedfertigen Kooperation zwischen möglichst allen Gruppen ein, da auf diese Weise zum einen die umkämpften Ressourcen effizienter genutzt werden könnten, zum anderen aber mit vereinten Kräften eine Expandierung der ökologischen Nische durchaus im Bereich des Möglichen wäre. Die aggressive Falken-Strategie wird als nicht realisierbar und selbstmörderisch abgelehnt.

c)

Die C-Partei der "Strategen" behauptet, nur eine Mischstrategie könne sinnvoll sein. Die Falken-Strategie erscheint den "Strategen" in mehrfacher Hinsicht als zu riskant: Zum einen deshalb, weil ein Angriff auf eine der Konkurrenz-Gruppen mit einer (totalen) Niederlage enden könnte; zum zweiten deshalb, weil auf jeden Fall der Krieg mit einer der anderen Gruppen wegen der relativen Kräftegleichheit mit einem hohen Blutzoll verbunden wäre, so daß man am Ende eines Krieges auch als Sieger so stark geschwächt wäre, daß man nun wiederum eine

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leichte Beute für eine der anderen Gruppen sein könnte. Die TaubenStrategie ist aber in den Augen von Partei C ebenfalls nicht erfolgversprechend, da die einseitige Friedfertigkeit und Kooperationsbereitschaft lediglich eine Schwächung der eigenen Position darstellen könnte, was - bei der stets zu unterstellenden Kriegsbereitschaft der anderen Gruppen - nur selbstzerstörerisch wäre. Partei C schlägt daher vor, sich - wenn möglich - mit (mindestens) einer der anderen Gruppen zu verbünden, um dann gemeinsam (zunächst) mindestens eine der anderen Gruppen zu vertreiben oder zu vernichten.

3. Bewertungs-Skala der möglichen Ergebnisse Die Bewertungs-Skala der durch die verschiedenen Strategien erreichbaren Ziele im Hinblick auf die Nutzenmaximierung der je eigenen Gruppe ist für alle Parteien aller Gruppen gleich: A)

Als optimales Ergebnis wird die Vertreibung oder Vernichtung aller konkurrierenden Gruppen angesehen.

B)

Das nächstbeste Ergebnis besteht in der Vertreibung oder Vernichtung von möglichst vielen Konkurrentinnen. In diesem Fall wäre es allerdings günstiger,

aa)

weiterhin mit den verbleibenden Gruppen zu konkurrieren, da dadurch die Möglichkeit von Ergebnis A offenbleibt, als

bb)

mit diesen Gruppen dauerhaft zu kooperieren.

C)

Die Aufteilung der ökologischen Nische unter wenige Gruppen ist die drittbeste Lösung.

aa)

In diesem Fall wäre es am günstigsten, mit (mindestens) einer der anderen Gruppen zu kooperieren, um auf diese Weise das Ergebnis B anstreben zu können.

bb)

Weniger günstig wäre es, wenn weiterhin alle Gruppen miteinander konkurrierten.

cc)

Noch ungünstiger wäre es, mit allen verbliebenen Konkurrentinnen zu kooperieren, da dadurch Ergebnis C aa unwahrscheinlich würde.

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dd)

Am ungünstigsten wäre es, wenn die anderen Gruppen verbündet gegen die eigene Gruppe konkurrierten, da dies die Wahrscheinlichkeit von Ergebnis E erheblich erhöhen müßte.

D)

Um noch eine Stufe schlechter wäre ein Ergebnis, daß alles beim Alten beließe, da dies gleichbedeutend wäre mit gar keiner Lösung. Die Festschreibung des elenden "Naturzustandes" kann nicht akzeptiert werden.

E)

Die eigene Vertreibung oder Vernichtung ist die schlechteste Lösung.

4. Spielfrage: Welche Verhaltensstrategie ist kurz-, mittel- und langfristig flir die einzelnen Gruppen zweckrational (also im Sinne der Inclusive-fitness-Maximierung") optimal? Die sich bietenden Möglichkeiten der Kombination verschiedener Strategien der verschiedenen Gruppen sind jedenfalls bereits in diesem eher einfachen Modell so zahlreich (45! Möglichkeiten = 1,196 x 10 56 ) daß man tatsächlich die gigantischen Zeiträume der Evolution bräuchte, um in der Praxis das auf lange Sicht "optimale" Ergebnis zu finden. Umgekehrt ist daher die Wahrscheinlichkeit groß, daß die Evolution der menschlichen Gesellschaftsformationen bisher nur suboptimale Lösungen hervorgebracht hat.

1.3 Die Notwendigkeit verbindender Institutionen In beiden oben genannten Fällen (A und B) bleibt allerdings fraglich, wie das Verhältnis der beteiligten Gruppen nach der Erreichung des unmittelbaren gemeinsamen Zwecks ihres Bündnisses aussehen könnte. Denn auch für das Innenverhältnis jener unter dem Druck der äußeren Überlebensbedingungen entstandenen menschlichen Zweckgemeinschaften jenseits der ursprünglichen kin-Begrenzung kann angenommen werden, die genetisch implementierten Dispositionen zu Aggressivität gegenüber Outgroup-Individuen seien zwar (temporal) in einem gewissen Maße überformt, relativiert, "entschärft" worden, während soziale, "altruistische" Dispositionen unter Reziprozitäts-Gesichtspunkten "elargiert" werden mußten; dabei seien jedoch die grundsätzlichen, "natürlichen" Spannungen zwischen den Ur-Gruppen nach wie vor (latent) vorhanden geblieben22, was beim Auftreten geeigneter Anlässe zum 22

Zum Phänomen des Kleingruppenverhaltens auch in modernen Gesellschaften vgl. etwa Phocas, 1986, S. 164 ff.

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Rückfall in aggressive oder zumindest nicht-kooperative Formen des Intergruppenkonfliktes führen konnte - oder sogar mit mechanischer Notwendigkeit führen mußte. Und dies gilt natürlich insbesondere für jene "Gesellschaften", deren Mitgliedsgruppen nicht aufgrund gemeinsamer genetischer Wurzeln durch ein "natürliches Band der Sympathie" verbunden waren. Dabei ist zudem zu bedenken, daß der mit der zunehmenden Größe und Komplexität der Verbände wachsende Grad an Anonymität auch die aggressionsbeschwichtigende Wirkung durch das "Band der persönlichen Bekanntschaft" innerhalb er Gruppe zunehmend geringer bzw. weniger verläßlich werden ließ. D.h., die Stabilität eines sozialen Gefüges - und damit die "individuelle" Sicherheit der Mitgliedsgruppen - nahm mit dessen zunehmender Größe und Komplexität ab, weil die "Bedingung der Vertrautheit" zwischen Fremden nicht gegeben war und auch nicht problemlos hergestellt werden konnte.23 Entsprechend liegt auch die Vermutung nahe, daß jene Zweckbündnisse sehr labil waren und in aller Regel dann wieder auseinanderfielen, wenn der gemeinsame Zweck (etwa: die Abwehr oder Vernichtung eines gemeinsamen Feindes; der erfolgreiche Abschluß einer gemeinsamen Jagd), der zugleich den "Wert" des Bündnisses definierte, erreicht war. 24

23 24

Vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1989 14 , S. 252 ff. Vgl. Alexander, 1981a, S. 283 f.; ebs. Giesen, 1980, S. 88. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang natürlich nach wie vor auch Gehlens massive Kritik an einer (universalistischen) "Hypermoral". Er geht von der Existenz angeborener Verhaltensdeterminanten ("Physiologischefn] Tugenden") aus, worunter er "einige Sozialregulationen versammeln" will, die in ihrer "arterhaltenden Zweckmäßigkeit" entweder "nachweislich instinktiv verwurzelt oder doch leibnahe sind" (Gehlen, 1986 5 , S. 55; es versteht sich mittlerweile von selbst, daß der Begriff der "arterhaltenden Zweckmäßigkeit" hier sinnvollerweise durch "inclusive-fitnessFörderung" ersetzt werden sollte.). An den Beispielen des "Kindchenschemas" und dem Verpflichtungsgefühl gegenüber Notleidenden weist Gehlen darauf hin, die durch diese Schemata jeweils ausgelöste Disposition zur Hilfsbereitschaft seien "ohne Zweifel auf Nahsicht eingestellt, auf anschauliche Situationen ... - oder anders gesagt, unsere zuverlässigen Sozialregulationen bewegen sich zunächst einmal innerhalb des Radius unserer Sinne" (ebd.). Die evolutionäre Wurzel dieser primären Begrenztheit der Sozialregulationen auf den Radius der eigenen Sinne sieht Gehlen in jenem "ursprünglichen Sippen-Ethos oder von Verhaltensregulationen [Gehlen spricht auch von ehemals gültigen "naturalen biologischen Daten"; T.M.] innerhalb der Großfamilie" (ebd., S. 83, 87 f.). Diese primäre Begrenztheit läßt sich aber - so Gehlen - auf zweierlei Weise erweitern ("elargieren"):

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Das Modell, wonach moderne Staatswesen einfach das notwendige evolutionäre Produkt eines beständigen, primär aus ökologischen und demographischen Faktoren resultierenden Anpassungsdruckes konkurrierender Zweckbündnisse sind, ist alleine deshalb zu simpel. Es kann zwar plausibel ein grundlegendes Motiv für den Zusammenschluß von Menschengruppen zu größeren (Ad-hoc-)Verbänden angeben, doch hinsichtlich der Frage, wie es zur Herausbildung dauerhafter, stabiler "Trans-kin"-Gesellschaftsformationen kam, hat es nur einen begrenzten Erklärungswert. Die entscheidende Frage lautet hier, wie jene Zweckbündnisse ihr Innenverhältnis regelten, das in dem Maße problematischer werden mußte, in dem die Zahl der Mitglieder stieg und in dem absehbar war, daß der zum Zusammenschluß motivierende übergeordnete Zweck nur langfristig erreichbar bzw. bewahrbar sein konnte. Anders formuliert: Der von den externen Bedingungen ausgehende Zwang zur längerfristigen Kalkulation im Verein mit der immer größer werdenden Mitgliederzahl und damit Unüberschaubarkeit jener Zweckbündnisse - spieltheoretisch darstellbar als iteratives, zeitlich unbegrenztes n-Gruppen-Superspiel - bei gleichbleibendem "Prinzip Eigennutz" jedes Einzelmitglieds25 (als beständiger zentrifugaler Kraft) nötigte sehr bald a) Durch "Entdifferenzierung der auslösenden Schemata". D.h., daß durch eine nachlassende Präzision der auslösenden Merkmale die in das Schema einbezogenen "Reizgestalten" an Zahl zunehmen und sich das ausgelöste Hilfe- und Pflegeverhalten schließlich auch auf einen außermenschlichen Bereich ausdehnt (etwa auf Tierbabys bzw. generell auf notleidende Tiere). b) Durch weitergehende "Abstraktheit von den Sinnen" kann der "AuslöseMechanismus" derart in einen mentalen Bereich "höhergelegt" werden, daß die "Bedingung der anschaulichen Anwesenheit" des Auslöse-Objekts wegfallen kann das Resultat sind "Verpflichtungsgeflihle gegenüber unsichtbaren Partnern" (ebd., S. 56). Diese Ausdehnung des Verpflichtungsgefühls läßt nun einerseits darauf schließen, daß unsere "Sozialregulationen" erweiterbar und "weltoffen" sind; umgekehrt weist Gehlen aber auch zurecht darauf hin, die massenhafte Ausdehnung der potentiellen Verpflichtungsgefühle (etwa heute auf notleidende Menschen in aller Welt) gehe mit einer Verminderung der "Zuverlässigkeit der Reaktion" einher, die bis hin zur "Abstumpfung nun auch gegen leibhaft gegenwärtige[s] Leiden" führen kann (ders., ebd., S. 56 ff., 59; vgl. auch S. 154 f.; zu dieser "Abstumpfungs"-These vgl. auch Lorenz, 1 9 8 9 ^ , S. 21). Zudem hält Gehlen insbesondere die Hilfeverpflichtung gegenüber dem notleidenden "Fremdling" für "ungewöhnlich störbar", da sie "vor allem durch [angeborene] Gefühle der Feindseligkeit und Aggressivität sofort gehemmt" werden. 25

Siehe dazu etwa Alexander, 1981a, S. 278: "It is relevant that efforts to cause changes in the behavior of populations only work when the individuals in the population

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dazu, die internen Verhältnisse des Bündnisses mittels geeigneter Institutionen so zu reglementieren, daß im Ergebnis die "Stabilität und Sicherheit" des Bündnisses selbst gewährleistet war. 26 Es ist in der Tat eine ebenso schlichte wie einleuchtende Feststellung, "daß der Regelungsbedarf einer Gesellschaft mit ihrer zunehmenden Komplexität und Arbeitsteilung ansteigt".27 Als geeignet können Institutionen und Reglementierungen des sozialen Lebens dann gelten, wenn alle Mitgliedsgruppen bei der rationalen Bewertung ihrer "individuellen" prisoner's-dilemma-Situation zu dem Ergebnis kommen (können), daß die Akzeptanz der Institutionen und die Befolgung der von ihnen erlassenen Regeln auf längere Sicht den maximal erreichbaren Nutzen gewährleisten.28 In größeren, weitgehend bereits "anonymen" Verbänden erfolgte die Integration und Bindung der Menschen aus ethologischer Sicht vornehmlich über "bandstiftende Riten" (gemeinsame Kulte, Feste, Spiele, Jagdzüge, Heiratsbeziehungen usw., aber auch über ritualisierte Regeln zur Ahndung von Ver-

26

27 28

regard them as personally advantageous: It has to be to the individual's advantage to reduce family size, conserve fuel, or treat his neighbor right; or it has to be to his disadvantage not to do so"; vgl. auch Giesen, 1980, S. 99 f. Vgl. Eder, 1980, S. 83 ff.; de Vos, 1991, S. 397; zur Unabdingbarkeit von Institutionen vgl. Gehlen, 1986 5 , S. 95-102. "Stabilität und Sicherheit" von Gesellschaftsformationen sind nach Auffassung des Sozialethikers Leinfellner (1993, S. 34 f., 3843, 47 f.) die fundamentalen "Ur-Werte" einer jeden menschlichen Sozietät. Und entsprechend ist es seiner Meinung nach die Hauptaufgabe einer jeden Ethik (und damit auch politischen Philosophie), zur Erhaltung oder Herstellung der Stabilität und Sicherheit einer erfolgreichen Gesellschaftsordnung beizutragen; vgl. Kliemt, 1985, S. 188 f. Patzelt, 1992, S. 20. So ist auch nach Leinfellner (1993, S. 40 ff.) eine Gesellschaft dann "erfolgreich" (also stabil und sicher), wenn sie ihren Mitgliedern ein ausreichendes Maß an "sozialem Plus" bieten kann (vgl. zu diesem "surplus"-Aspekt der Stabilisierung staatlich organisierter Gesellschaften auch Eder, 1980, S. 95 f.; Wuketits, 1993b, S. 150, 216; Wurm, 1991, S. 20; ähnlich, allerdings wesentlich profaner - und nüchterner -, auch Gehlen (1986 5 , S. 108), der hier mit Cecil Rhodes schlicht feststellt: "Das Empire ... ist eine Magenfrage".); vgl. auch Kliemt, 1985, S. 28: "Für die Einzelindividuen entsteht die natürliche Verpflichtung zum Verzicht auf ein unbeschränktes Streben nach Gütern erst, wenn der Verzicht selbst machtsteigernd wirkt, also die Chance zur Selbsterhaltung des einzelnen erhöht"; Phocas (1986, S. 154 ff.) formuliert den gleichen Gedanken unter Verwendung des "Schlüsselbegriff[s]" der Reziprozität, was ebenfalls auf die Formel hinausläuft: "Gehorsam und Loyalität für Wohlstand und Sicherheit".

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gehen und zur Beilegung von Streitigkeiten29) bzw. über "gemeinsame Symbole und Anliegen" (Zwecke), wobei betont wird, hierbei würden "die gleichen gruppenbildenden Mechanismen herangezogen wie in der Familie" - genetisch nicht-verwandte Mitglieder einer Sozietät werden zu Brüdern und Schwestern erklärt, der Herrscher ist der "Landesvater", das gemeinsame Territorium ist das "Vaterland", Volksfeste werden nach dem Muster von Familienfesten aufgebaut usw. 30 Dieser positiven Strategie der Herstellung eines Wir-Gefühls in einer Sozietät, die darauf abzielt, die familiäre Vertrautheitsbedingung künstlich auf die gesamte Gruppe auszudehnen, korrespondiert auf der anderen Seite eine starke negative Strategie, die eigene Gruppe etwa mittels der Bildung oder Propagierung von Feindbildern zu definieren und dadurch gegen andere Gruppen klar abzugrenzen (Pseudospeziation!). Das Verbundenheitsgefühl innerhalb einer Gruppe resultiert in dieser Hinsicht aus der einigenden Kraft der Furcht vor Aggressionen seitens des Gegners bzw. Feindes. 31 Für das Thema dieser Arbeit sind aber jene originär "politischen" Institutionen von zentraler Bedeutung, die zur Befriedigung des wachsenden Regelungs- und Ordnungsbedarfes in anonymen Groß-Verbänden geschaffen werden mußten, wobei hier vor allem an verschiedene Formen institutionalisierter Führerschaft zu denken ist wie das Häuptlingtum oder den "Rat der Alten" bis hin zu "Präsidenten, Generalsekretäre[n] und Bundeskanzlerin]" sowie an die Einführung positiver, sanktionierbarer Rechtsordnungen.32 Dabei gilt für diese Institutionen der politischen Führung in gleicher Weise wie für alle anderen, das soziale Leben ermöglichenden und regelnden Institutionen, daß sie einen grundsätzlich funktionalen Charakter haben und nur dann und nur solange legitimiert sind, als sie ihren originären Zweck erfüllen. Die durch die Institutionalisierung begünstigte "Statik und Starrheit" der Führerschaft, die in vielen Fällen in einer Verselbständigung jener Institutionen, einer weitgehenden Loslösung von ihrem eigentlichen Zweck mündete, kennzeichnet Phocas daher zurecht als eklatante gesellschaftliche Fehlentwicklung: "Die Geschichte der Politik, der Verteilung der Macht, der Frage nach der besten gesellschaftlichen Organisation überhaupt, 29 30 31

32

Vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 124-238, 252-268; Phocas, 1986, S. 121 f. Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 254 f.; vgl. Mohr, 1987, S. 81 f.; ders., 1993, S. 25 f.; Vogel, 1989, S. 54 ff. Vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 254 ff.; zu spezifischen "Grenzzeichen" wie "Tätowierungsmuster, Körperbemalung, Körperdeformation, Schmuck ... in summa: durch die 'Kultur'" siehe auch Phocas, 1986, S. 164 f. Vgl. Phocas, 1986, S. 121-133.

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ist die Geschichte eines mangelnden Gleichgewichts. Die Wechselwirkung von Führerschaft und Sozialität, der Grad der Reziprozität, ist das Hauptproblem jeder Diskussion um Macht gewesen und ist es noch immer". 3 3 Für den Vergleich dieser evolutionstheoretischen Überlegungen zur Genese moderner Staatswesen mit der Philosophie Hobbes' ist es nun nicht erforderlich, die in der Ethologie unterschiedenen einzelnen Phasen und Faktoren dieses Prozesses differenziert darzustellen. 34 Wichtig ist die zentrale These, wonach im "einst auf Kleingruppenebene begonnene[n] Prozeß der Bildung sozialer und politischer Strukturen ... nach vielen Jahrtausenden die Organisationsebene des Staates geschaffen war" 35 , was die These impliziert, die Ebene des Staates habe sich über mehrere "Stufen" 36 im Prinzip aufgrund derselben evolutiven "Gesetze" herausgebildet wie jede "niedrigere" Organisationsform menschlicher (trans-kin-)Sozietäten vorher: Hauptfaktor Überbevölkerung; dadurch bedingt Überlastung der Tragekapazität ökologischer Nischen;

33

34 35 36

Phocas, 1986, S. 154 ff., 157-163, 169-178. Phocas plädiert daher für die Rückkehr zur funktionellen Führerschaft - und damit zur Reziprozität - durch Pluralismus (ebd., S. 169 ff.). Vgl. dazu vor allem Phocas, 1986, Kap. IV und V; Flannery, 1972. Patzelt, 1992, S. 160. Phocas (1986, S. 121-124; entspr. Flannery, 1972, S. 401-404, 421-424; ebs. Carneiro, 1978, S. 206 f.; vgl. auch die differenzierte Gesellschaftstypologie bei Giesen, 1980, S. 130-214) nennt als Entwicklungsschritte nach dem Auftreten von Seßhaftigkeit, Ackerbau und Bevölkerungsvermehrung: 1. Individualisierte Familienverbände mit informeller Führerschaft und gemeinsamen Zeremonien (heute noch bei Aborigines, Buschmanngesellschaften sowie einigen Eskimo- und Indianer-Gruppen). 2. Aus mehreren Familiengruppen bestehende Stämme mit immer noch relativ schwacher und informeller Führerschaft, integriert durch Zeremonien und Riten sowie die Verehrung (gemeinsamer) Ahnen. 3. Nach genealogischen Gesichtspunkten stratifizierte Gesellschaften mit institutionalisierter Führung (Trennung zwischen Häuptling/Priester und Volk), in der die "face-to-face relationship" verloren ist. 4. Der Staat. Diese Organisationsform ist im wesentlichen gekennzeichnet durch eine starke, (zumeist) zentralisierte und von professionellen Eliten ausgeübte Führung/Regierung, die ein Gewaltmonopol beansprucht sowie durch weitgehende Arbeitsteilung und soziale/wirtschaftliche Stratifikation; wichtige Integrationsfaktoren sind zudem eine einheitliche positive Rechtsordnung sowie auch eine staatliche Religion bzw. ein legitimierender Mythos.

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dadurch bedingt Verschlechterung Reproduktionsbedingungen;

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der

Überlebens-

und

dadurch bedingt Verschärfung der Konkurrenzsituation und des Intergruppenkonfliktes; dadurch bedingt Verschärfung des Leidensdruckes und - wenn aggressive Strategien (Vertreibung, Unterwerfung, Genozid) auch längerfristig nicht erfolgreich waren - Notwendigkeit zur Suche und allmählichen Entwicklung alternativer (also kooperativer, sozialer, politischer) Lösungsstrategien.37

2. Die Entstehung des Staates aus der Sicht von Hobbes Bei der Analyse der Hobbesschen Staats-Deduktion aus der Sichtweise der Soziobiologie (bzw. von "biopolitics") ist zunächst nochmals auf jenen Punkt zu rekurrieren, der oben (Teil 1, Kap. I. 4.2) als prinzipiellster Fehler seiner anthropologischen Grundlagentheorie gekennzeichnet wurde - seine Fiktion des Naturzustandes als dem eines radikal-individualistischen Einzelkämpfertums. Diese Fiktion wurde als fundamentaler anthropologischer Irrtum zurückgewiesen. Der "biopolitics"-Theoretiker Phocas weist demnach zurecht darauf hin, diese radikal-individualistische Fiktion der Gesellschaftstheoretiker seit Hobbes sei alleine deshalb unhaltbar, weil es "nie einen Moment gegeben [habe], in dem alle Menschen völlig frei und 'unbeherrscht' waren". 38 Phocas, der sich bei seiner Analyse politischen Verhaltens systematisch an soziobiologischen Thesen orientiert, übersieht jedoch, daß sich diese Naturzustands-Fiktion bereits auf der auch von ihm als evolutionäres Faktum angenommenen Ebene der ursprünglichen Kleingruppen durchaus plausibel vertreten ließe - womit auch das Modell des Gesellschaftsvertrags zumindest als theoretische Möglichkeit rehabilitiert wäre. Denn es mag zwar zutreffen, daß 37

38

Entspr. äußert Phocas (1986, S. 115) die Vermutung, auch die "dritte umwälzende Phase, nämlich die industrielle Revolution" sei "aus ähnlichen Gründen" entstanden wie die des Neolithikums: "Die Bevölkerung Europas wuchs von 120 Millionen im Jahre 1700 auf über 450 Millionen im Jahre 1914. Interessant dabei ist, daß die Reihenfolge die folgende war: erst expandierte die Bevölkerung, dann wurde das noch freie Ackerland unter den Pflug genommen, und dann erst setzte die Industrialisierung ein"; vgl. auch ebd., S. 121 f., 124-133; ebs. Flannery, 1972, S. 399 ff. Phocas, 1986, S. 112.

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"unsere genetische Disposition zur Sozialität derart stark und einsichtigerweise von Vorteil ist, daß die Idee des Gesellschaftsvertrages rapide an Erklärungswert verliert" 39 , doch dies gilt eben nur für den Binnenbereich der ursprünglichen, durch die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen "Genpool" definierten und abgegrenzten "Ingroup". Die einzelnen homogenen Gruppen in einer ökologischen Nische untereinander haben sich dagegen in aller Regel in einem ursprünglichen Verhältnis der Aggressivität befunden, das plakativ durchaus als "Krieg aller gegen alle" bezeichnet werden kann. 40 Entsprechend ist auch Hobbes' These aus dem "Leviathan" (S. 131; vgl. entspr. El, S. 126), wonach "dort, wo die Menschen in kleinen Familien zusammenlebten, ... gegenseitiges Rauben und Plündern ein Gewerbe [war] und weit davon entfernt, als naturrechtswidrig angesehen zu werden", bestens mit der soziobiologischen These von der Ingroup-Outgroup-Differenz des Verhaltens und der "Härte der Gruppenkonflikte" zu vereinbaren. Phocas berücksichtigt demnach die für das Verständnis der Soziobiologie so wichtige Unterscheidung zwischen "Ingroup" und "Outgroup" zu wenig. Ähnlich voreilig argumentiert daher auch Service, wenn er den Hobbesschen Ansatz (u. a.) deshalb für nur bedingt interessant hält, weil Hobbes' individualistischer Gesellschaftsvertrag die wesentlichsten politischen Probleme verfehle: "the relation of groups to each other within a society itself as a feature of statecraft, and the related conduct of the society itself in foreign affairs". 41 Eine derartige Argumentation läuft - salopp gesagt - Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Zudem ist sich der nüchterne und sachliche Theoretiker Hobbes selbst über den fiktionalen Charakter seines individualistischen Naturzustandstheorems ebenso im klaren (Le, S. 97) wie über das historische Faktum, daß der durch den Einsatz "natürliche[r] Kraft" gegründete '"Staat durch Aneignung'" gegenüber dem "politischen ... 'Staat durch Einsetzung'" (Le, S. 145; Ci, S. 130, 161) als der bei weitem häufigere Fall anzusehen ist. 42 So betont Hobbes 39 40

41 42

Phocas, 1986, S. 113. Vgl. zur soziobiologischen These von der "Härte der Gruppenkonflikte" v. a. Mohr, 1987, S. 83 f.; ders., 1993, S. ; ebs. Vogel, 1989, S. 73 ff. 106 f., 110-126; aber auch Phocas, 1986, S. 125 f. Mohr und Vogel verwenden beide als Beispiel die biblische Erzählung vom Genozid an den Midianitern (4. Mos 31); ebenso geeignete Beispiele sind natürlich auch die von den weißen Kolonialisten begangenen Genozide etwa an der afrikanischen oder amerikanischen Urbevölkerung. Service, 1978, S. 23. Der Möglichkeit einer "natürlichen" Staatsgründung durch Eroberung, Unterwerfung, Annektion usw. bei Hobbes wird in der Hobbes-Rezeption relativ wenig

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etwa im Schlußkapitel des "Leviathan", es gebe "kaum einen Staat auf der Welt, dessen Anfänge mit gutem Gewissen zu rechtfertigen sind" (Le, S.

539).43

Beachtung geschenkt (eine der Ausnahmen bildet etwa Goldenbaum, 1988, S. 418. Sie meint, die Einarbeitung der "natürlichen Staatsgründung" im Leviathan sei im Zusammenhang mit dem Sieg Cromwells als Versuch der nachträglichen theoretischen Legitimierung des Patrimonialstaates zu bewerten - was sicher eine interessante These ist.). Dies liegt wohl darin begründet, daß die - vor allem in moralphilosophischer Hinsicht - reizvollere kontraktualistische Alternative auf Voraussetzungen aufbaut, die mit der "natürlichen" Staatsgründung nicht vereinbar sind. Die wichtigste dieser Voraussetzungen ist die der psycho-physischen Gleichheit aller Menschen (siehe dazu weiter unten, Kap. 2.1). Nur mittels dieser Gleichheits-Unterstellung läßt sich die Möglichkeit bestreiten, im Naturzustand könnte es zu einer stabilen politischen (Friedens-)Ordnung kommen, ohne daß die betroffenen Individuen einen "Gesellschaftsvertrag" abgeschlossen hätten. Fällt das individualistische Gleichheitsargument weg, so verliert auch das kontraktualistische Argument bei Hobbes seine Konsistenz. 43

Vgl. dazu Lott, 1989, S. 97 f. Damit ist natürlich auch eine der Kernthesen Kodalles, (1972, S. 70 f.; ähnlich auch Euchner, 1982, S. 180), zumindest zum Teil zurückzuweisen, wonach die Hobbessche "Vertragstheorie" zentral für seine Staatskonstruktion sei. Die Vertragstheorie ist alleine für eine Alternative der Staatsgründung bei Hobbes - die "konstitutive" oder "politische" - von derart zentraler Bedeutung. Doch diese Konzentration auf die "politische" Staatsgründung läßt womöglich die Variante der "natürlichen" Staatsgründung bei Hobbes allzusehr außer acht. Für die "Logik des Leviathan" braucht es im Grunde keinen Vertrag. Vgl. dazu die Überlegungen von Tönnies (1975, S. 224 f.), der im Hinblick auf die beiden Weisen der Staatsgründung bei Hobbes zu dem Ergebnis kommt, "daß mit Wahrscheinlichkeit alle empirischen Staaten auf einen solchen [natürlichen] Ursprung zurückzuführen sein möchten, daß also ein vernunftgemäß eingerichtetes Gemeinwesen, d. h. eine wahrhafte Aufhebung des Naturzustandes in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sei, aber gedacht werden müsse als aus vernünftiger Einsicht und aus bewußten Verträgen ... hervorgehend". Eine merkwürdige Interpretation der "naturwüchsigen" Staaten bei Hobbes bietet Schräder, 1975, S. 311. Zutreffend stellt er fest, nach Hobbes könne es "auf Grund der natürlichen Ungleichheit der Menschen im 'Naturzustand'... oder durch Eroberung und Gewalt" zu solchen "natürlichen" Staaten kommen. Dann behauptet Schräder jedoch, Hobbes "bestreitet] nicht allein deren Stabilität, sondern behauptet] zudem, daß jedes Mitglied eines natürlichen Staates grundsätzlich in der Gefahr lebt, durch das Tun der Anderen eines gewaltsamen Todes zu sterben, und die Einzelnen sich deshalb im Zustand beständiger Furcht voreinander befinden". Offensichtlich verwechselt Schräder hier die Hobbessche Beschreibung des vorstaatlichen inter-individuellen Naturzustandes mit dem Zustand einer Gesellschaft nach der natürlichen Staatsgründung. Auch im na-

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Doch der Moralphilosoph und Moralist Hobbes konnte und wollte sich die (vordergründig) religiös begründeten englischen und europäischen Wirren und Schrecken seiner Zeit unmittelbar vor Augen - nicht damit abfinden, nur die Gewalt könnte das einzige menschliche Mittel zur langfristigen Konfliktbewältigung, nur der Krieg das taugliche Mittel zum Frieden sein. Seine Philosophie ist "methodische Friedenswissenschaft"44, seine rationalistische Konzeption des Gesellschaftsvertrag der Appell eines "politischen Moralisten"45 an seine Zeitgenossen, ihre Probleme mit anderen Mitteln als denen des Krieges zu lösen; sein (kontrafaktischer) Gesellschaftsvertrag das Mittel, das er ihnen als potentiell zu diesem Zweck geeignet anbietet. Mit welch geringem theoretischen Aufwand Teile der Hobbesschen Lehre aus soziobiologischer Sicht aktualisierbar sind, sei beispielhaft an einer Passage aus dem 30. Kapitel des "Leviathan" ("Von der Aufgabe der souveränen Vertretung"; S. 255-270) demonstriert, wo Hobbes unter anderem ausführt, diejenigen, die "durch unvermeidbare Zufälle" zur eigenen Ernährung unfähig seien oder es würden, sollten "auf Grund staatlicher Gesetzgebung wenigstens mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werden", während die "körperlich Kräftigen ... zur Arbeit zu zwingen [sind]. Und um die Entschuldigung, sie könnten keine Arbeit finden, unmöglich zu machen, sollten Gesetze bestehen, die alle Gewerbezweige wie Schiffahrt, Ackerbau, Fischerei und alle Arten von Manufakturen fördern, die Arbeit benötigen. Wächst die Menge armer, aber kräftiger Leute immer noch, so müssen sie in unterbesiedelte Länder verpflanzt werdenJ46] Dort dürfen sie aber nicht die Menschen, die sie antreffen, türlichen Staat gibt es für die einzelnen Untertanen kein "Recht auf alles" mehr; es existieren staatliche Gesetze, an die sich alle zu halten haben, sofern sie nicht mit dem "letzten verbliebenen Wolf" in Konflikt geraten wollen. Prinzipiell ist aber die "natürlich" begründete Herrschaft bei Hobbes ebenso legitim wie die "politisch" begründete, sofern sie von der (ausdrücklichen oder passiven) Zustimmung der Beherrschten abhängt (vgl. Le, S. 155, 536 f.). Sowohl im natürlichen als auch im konstitutiven Staat gibt es für die Untertanen nach Hobbes eine (relative) Sicherheit des Rechts, die jeden Staat vom Naturzustand positiv unterscheidet. 44 45

46

Kersting, 1992a, S. 43. Der hier natürlich nicht im Kantischen Sinne negativ zu verstehen ist als ein Mensch, "der sich seine Moral so schmiedet, wie es der Vorteil des Staatsmanns sich zuträglich findet" (Kant, 1978 2 , XI, S. 233 [B 77, 78; A 72]). Hobbes hatte stets das Wohl des Ganzen, nicht primär das des Herrschers im Blick - wenngleich er sah, daß "salus populi" und das Wohl des oder der Herrschenden einander bedingten. Walzer (1992, S. 82) leitet aus dieser Stelle eine Recht auf Auswanderung ab, was eine euphemistische Lesart ist, da sich aus dem Wortlaut ("müssen ... verpflanzt werden"; org.: "they are to be transplanted into countries not sufficiently inhabited"

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ausrotten, sondern sie müssen sie zwingen, enger zusammenzuwohnen und nicht weite Teile des Landes zu durchstreifen, um zu sammeln, was sie finden, sondern sich jedes Fleckchens mit Geschick und Arbeit anzunehmen, damit es ihnen in der entsprechenden Jahreszeit ihre Nahrung gibt" (Le, S. 264; Hervorhebung T.M.). Vieles ist an dieser Äußerung interessant: Zum einen natürlich der Aspekt der staatlichen "Sozialhilfe"; sodann der Gedanke der staatlichen Ankurbelung der Wirtschaft - beides macht deutlich, daß Hobbes' Staat kein reiner "Nachtwächterstaat" sein sollte, er also auf keinen Fall als Vorläufer dieser Spielart des Liberalismus angesehen werden kann; vielmehr machen es solche (und viele andere) Thesen Hobbes' verständlich, wieso (ausgerechnet) Karl Marx ihn als einen "der ältesten Ökonomen und orginellsten Philosophen Englands" zu schätzten wußte. 47 Im Zusammenhang mit der hier primär interessierenden Frage nach dem Ursprung des Staates sind aber vor allem die siedlungspolitischen Aspekte des Zitates bemerkenswert. Zunächst ist hier auf die soziobiologisch nicht ohne weiteres nachvollziehbare Forderung hinzuweisen, die von Emigranten angetroffenen Ureinwohner einer ökologischen Nische dürften nicht ausgerottet werden, sondern man müsse sie nur zu engerem Zusammenleben zwingen. Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil diese - zweifellos auf die Praxis der europäischen Kolonialisten in Übersee (v. a. Amerika) zielende48 - Forderung

47 48

[Hobbes, 1992, Bd. III/l, S. 335; Hervorhebung T.M.]) eher auf eine Auswandemngspflicht oder aber ein Aussiedlungsrecht der Souveräne schließen läßt. Marx, 1983 30 , Bd. I, S. 396. Vgl. dazu Walzer, 1992, S. 85; interessanterweise interpretiert Walzer diese Passage des "Leviathan" als eine "Verteidigung der europäischen Kolonisierung und der mit ihr verbundenen 'Nötigung' von Jägern und Sammlern", ohne Hobbes' moralischen Appell, auf die Ausrottung der Ureinwohner zu verzichten, näher zu beachten. Walzers Interpretation ließe sich eher mit einer anderen Formulierung aus dem "Leviathan" stützen, wo es über die "Kinder eines Staates", die "Pflanzungen oder Kolonien" heißt: "Sie bestehen aus einer Anzahl von Menschen, die unter einem Anführer oder Gouverneur vom Staat ausgeschickt worden waren, um ein fremdes Land zu besiedeln, das entweder vorher unbewohnt war oder durch Krieg menschenleer gemacht wurde" (Le, S. 195; Hervorhebung T.M.); aber auch hier ist nicht - zumindest nicht direkt - die Rede davon, jenes zu besiedelnde Land dürfte durch die Kolonisten selbst (oder ihnen vorausgeschickte Truppen) gezielt "menschenleer" gemacht werden. Willms (1987, S. 183) betont diesbezüglich ausdrücklich, "daß Hobbes' 'Leviathan' keineswegs imperialistische Züge hat indem Sinne, daß er es etwa den 'Leviathanen' auferlegt, das Staatsgebiet zu erweitern"; die "Außenpolitik" des Leviathan umfasse "in militärisch-strategischem Sinne ...

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auch auf der Basis von Hobbes' eigener Anthropologie nicht schlüssig zu sein scheint, da man schließlich annehmen muß, daß jene Emigranten, die sich in einem fremden Territorium ansiedeln wollen, sich gegenüber den bis dahin das Land besitzenden Nomaden im Naturzustand befinden. In diesem Naturzustand, in dem "nichts ungerecht sein kann" (Le, S. 98), ist aber die von Hobbes geforderte Norm, auf die Ausrottung jener Ureinwohner zu verzichten, nicht (notwendig) gültig; vielmehr haben die Emigranten der Hobbesschen Naturzustands-Theorie zufolge gegenüber den Ureinwohnern - wie diese gegenüber ihnen - ein Recht auf alles, inklusive ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihres Lebens (Le, S. 99). Gewalt und Betrug sind im Krieg die beiden Kardinaltugenden (Le, S. 98)! Der Grund dafür, warum die Emigranten das Leben der Ureinwohner verschonen sollten - und umgekehrt -, kann also weder in der Hobbesschen, noch in der soziobiologischen Urzustandstheorie in einer entsprechenden, allgemein geltenden moralischen Norm liegen, da es eine solche im vor-staatlichen - und damit zugleich vor-moralischen - Naturzustand schlechterdings nicht gibt. Inwiefern ist also diese Hobbessche Emigrations-Schilderung aus soziobiologischer Sicht zu aktualisieren? Zunächst kann die Situation des Staatswesens, aus dem die Emigration erfolgt, als die einer überlasteten ökologischen Nische interpretiert werden, in der sich aufgrund des weiteren Bevölkerungswachstums ein solcher innerer Druck aufgebaut hat, daß die Abwanderung sich besonders für solche Menschen als (letzte) Alternative anbietet, die in der sozialen Rangordnung an niedriger Stelle stehen (nicht von ungefähr sind es bei Hobbes arme Menschen, die emigrieren).49 Bemerkenswert ist dabei, daß immer nur Verteidigung". Aber auch diese These vom rein defensiven Verteidigungsstaat ist mit der Hobbesschen Naturzustandslehre nicht notwendig vereinbar. Denn wenn gilt, daß "jeder Souverän ... das gleiche Recht [besitzt], seinem Volk Sicherheit zu verschaffen, das jedem einzelnen Menschen zur Verfügung steht, um für die Sicherheit seines eigenen Körpers zu sorgen" (Le, S. 269), dann umfaßt dieses natürliche Recht auch das Recht "auf den Körper eines anderen" (Le, S. 99). Wenn sich die Staaten untereinander im Naturzustand des Krieges aller gegen alle befinden (vgl. Le, S. 97 f.), dann gleicht der rein defensive Verteidigungsstaat dem Menschen, der bescheiden ist und "nichts anderes als natürliche Gleichheit verlang[t]", und der sich genau deshalb "unweigerlich der Kraft der anderen, die versuchen werden, [ihn] zu unterdrücken, preisgegeben [ist]" (El, S. 97; vgl. Le, S. 75; Ci, S. 68 f.). Zur Frage, ob das Hobbessche Naturzustandstheorem auch auf die Ebene der "Leviathane unter sich" (analog) übertragen werden kann, siehe unten, Teil III, Kap. I. 1., 2., 3. 49

Dieser Prozeß - der Migration unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen eines überbevölkerten Landes in (potentiell) reichere Gebiete - setzt sich nach Hobbes fort,

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es sich bei der geschilderten Gesellschaft bereits um eine weitgehend stratifizierte handelt, eine Gesellschaft also, die bereits eine "hohe" evolutionäre Entwicklungsstufe erreicht hat, während die Menschen in jenen "unterbesiedelte[n] Länder[n]" (gemeint ist Amerika; vgl. Le, S. 97) noch auf der vergleichsweise "niedrigen" Stufe des Nomadentums leben. Die bereits an die seßhafte Lebensform gewöhnten Emigranten besiedeln nun in ihrem Zielland Territorien, die Teile von (weit größeren) Jagd- und Weiderevieren der Ureinwohner sind. Hobbes' Formulierung von den " unterbesiedelte [n] Länder[n]" kann also insofern als höchst einseitig gelesen werden, als die ökologischen Nischen dieser Länder zwar für eine seßhafte, feste Territorien effizient ausnutzende Lebensform als unausgelastet erscheinen mögen, während für die nomadisierenden Gruppen jedoch die Grenzen der Tragekapazitäten bereits erreicht sein können. Das Argument: "Dieses Land ist doch groß genug für uns alle!", dürfte demnach in aller Regel auf einer rein ethnozentristischen Sichtweise beruhen. Zwischengruppenkonflikte waren (und sind) in dieser Situation des Aufeinanderprallens verschiedener Lebensweisen natürlich unausweichlich, und diese wurden (und werden) in aller Regel mit unerbittlicher Härte und dem Ziel ausgetragen, die Konkurrenten entweder zu vernichten oder zu vertreiben oder aber, derartige Versuche anderer Gruppen wirksam und auf Dauer abzuwehren. Der von Hobbes erwähnte Zwang gegenüber den Ureinwohnern, das Nomadendasein aufzugeben, "enger zusammenzuwohnen" und "sich jedes Fleckchens mit Geschick und Arbeit anzunehmen", muß sich aber aus soziobiologischer Sicht keineswegs unmittelbar aus einer offensiven Eroberungs, Vertreibungs- und Unterdrückungspraxis seitens der Emigranten ergeben, sondern kann umgekehrt schlicht aus der Tatsache resultieren, daß die Nomadengruppen - selbst mit vereinten Kräften - nicht in der Lage sind, die Eindringlinge wieder zu vertreiben, die ihre angestammten Reviere besetzten und ihre gewohnte Lebensform durch ihr bloßes Dasein und die gewaltsame Verteidigung der besetzten Territorien unmöglich machten. Für den Fall, daß "bis die ganze Welt von Bewohnern überfüllt [ist]", so daß man sagen kann, Hobbes habe den aufgrund des beständigen Bevölkerungswachstums stets zunehmenden selektiven Druck innerhalb ökologischer Nischen als ursächlich für die Besiedelung der gesamten Erde angesehen. Völlig kongruent dazu argumentiert Kant, 1978^, XI, S. 97 f. (A 20 ff.); ders., 1978 2 , XI, S. 219-222 (BA 52-57,58). Auch aus soziobiologischer Sicht wird man der These zustimmen können, daß "Migration eine der ältesten Konflikt- und Kriegsursachen überhaupt und wiederum eine typische Konflikt- und Kriegsfolge [ist]" (Krell, 1992, S. 1).

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die Tragekapazität der nun in Streit stehenden ökologischen Nischen für die nomadisierende Lebensweise vollständig erschöpft ist, es also auch keine Ausweichmöglichkeiten mehr gibt, bleiben den Ureinwohnern in dieser Situation nur die Optionen, sich dem Druck zu beugen und die Lebensweise umzustellen, oder aber das evolutive "Aus" (Hobbes' moralischer Appell an die Eroberer, auf eine Ausrottung der Ureinwohner zu verzichten, der mit seiner eigenen anthropologischen Grundlagentheorie im Widerspruch steht, ist also aus soziobiologischer Sicht als "Empfehlung" an die Ureinwohner zu lesen, im Interesse der Selbsterhaltung sei es klug, sich dem übermächtigen Druck nicht um jedem Preis zu widersetzen und "enger zusammenzuwohnen"). Doch diese Situation kann noch nicht als jener Hobbessche "Naturzustand" angesehen werden, in dem für alle Gruppen in einer überlasteten ökologischen Nische die Überlebensfrage gleichermaßen prekär geworden ist, und in dem keine Gruppe darauf hoffen darf, durch den Einsatz aggressiver, kriegerischer Mittel einen nennenswerten Vorteil erringen zu können. Notwendige Bedingung für das Eintreten eines solchen Zustandes ist - neben dem Bevölkerungswachstum und den fehlenden Ausweichmöglichkeiten -, die relative Machtparität jener Gruppen.

2.1 Die lähmende Kraft der Gleichheit Hobbes Theorem von der psychophysischen Gleichheit der Menschen (vgl. Le, S. 94, 117 f.; Ci, S. 79 f., 84, 101, 166, 177, 237 f.; El, S. 96 f.) ist eine der wesentlichsten Grundannahmen seiner Staatsphilosophie. Diese zentrale Bedeutung der Gleichheitsannahme ergibt sich aus Hobbes' vor allem daraus gezogener Folgerung, der dauerhafte und sichere Ausgang aus dem Naturzustand sei allein auf der Basis individuell-moralischer Einsichten und Verhaltensregeln unmöglich und - wenn überhaupt - nur auf institutioneller Basis erreichbar. So betont er etwa in den "Elements" (S. 125), "die Menschen [blieben] trotz dieser Gesetze [gemeint sind die "Gesetze der Vernunft"; T.M.] doch im Kriegszustand, bis sie Sicherheit gegeneinander haben".50 50

Zur Bedeutung des Gleichheitstheorems für die Lehre Hobbes siehe v.a. Weiß, 1980, S. 142 ff.; Kliemt, 1985; Schelsky, 1981, S. 333-339; Willms, 1987, S. 134 f.; Palaver, 1991, S. 25 f.; Kersting, 1992a, S. 110 ff.; zur differenzierten philosophischen Kritik siehe Zimmermann, 1988, S. 340-352. Daß Hobbes der Möglichkeit von reinen Zweckbündnissen im Naturzustand wenig Aufmerksamkeit schenkt, ist theoretisch konsequent. Er sieht wohl, daß sich mehrere Schwache zusammentun können, um einen Starken zu besiegen, aber dies ist für

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Natürlich kann auch Hobbes' Gleichheitstheorem einer ersten Überprüfung aus soziobiologischer Sicht nicht standhalten: D i e v o n Hobbes behauptete inter-individuelle Gleichheit aller Menschen ist eine höchst theoretische, zu der es in der sozialen Realität niemals eine Entsprechung gab, nicht gibt und nicht g e b e n kann; das Gleichheitstheorem ist als anthropologische Grundannahme nicht minder abstrakt und nicht minder falsch als die These v o m interindividuellen Naturzustand der Einzelkämpfer. Soziobiologisch gewendet: W i e in nahezu allen Tier-, vor allem auch Primatensozietäten, so bilden sich auch in Menschengesellschaften natürliche "Herrschafts"Ordnungen aus, soziale Hierarchien, in denen die einzelnen Individuen durch exploratives Rangordnungsstreben ihren Platz entsprechend ihrer "Tauglichkeit" finden müss e n . 5 1 U n d so gilt auch für unsere Gattung, daß der weitaus größte Teil ihrer Vertreter danach strebt "sich zu unterwerfen" (Nietzsche), während andere sich unter wechselnden externen Voraussetzungen und aufgrund verschiedenster persönlicher Fähigkeiten und Eigenschaften im Konkurrenzkampf u m die ihn nur ein Argument für die prinzipielle Gleichheit aller Menschen - die letztlich darin besteht, daß "der Schwächste stark genug [ist], den Stärksten zu töten - entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen, die sich in derselben Gefahr wie er selbst befinden" (Le, S. 94). Die von Hobbes intendierte Stabilität und Sicherheit eines Gemeinwesens können jedoch auf der Basis bloßer Zweckbündnisse nicht erreicht werden (vgl. Le, S. 132: "Auch der Zusammenschluß einer kleinen Anzahl von Menschen gibt ihnen diese Sicherheit nicht, denn bei kleinen Zahlen verleihen kleine Zunahmen auf der einen oder der anderen Seite eine so große Übermacht, daß sie genügt, zum Sieg zu führen und deshalb zu einem Angriff ermutigt" . Hier könnte freilich wieder das bereits erwähnte Modell Nozicks ansetzen, wonach die heutigen Staaten sich im Progress ständig sich vergrößernder "Schutzbündnisse" herausbildeten.).

51

Auch für die Spieltheorie (zumindest deren klassische Variante) spielt die Grundannahme von der prinzipiellen Gleichheit der Menschen insofern eine zentrale Rolle, als sie - genau wie Hobbes - davon ausgeht, daß sich Menschen als rationale Wesen in Entscheidungssituationen auch rational verhalten (können), wobei die zu treffende Entscheidung stets auf die Eigennutz-Maximierung zielt. Doch auch für die neueren Ansätze innerhalb der Spieltheorie, denen an einer "realistischen Theorie menschlicher Interaktion" gelegen ist, und die deshalb nicht mehr davon ausgehen, das Menschen "vollständig rational handeln" (vgl. dazu Kliemt, 1991, S. 183 f.), ist Hobbes ein durchaus angemessener und kongruenter Diskussionspartner, da er in einer (zumindest potentiell) irrationalen menschlichen Leidenschaft - der Furcht vor zukünftigem Übel - einen der Hauptbeweggründe für rationales Handeln erkennt. Vgl. Phocas, 1986, S. 41-48; Wiegele, 1979, S. 71-94; Eibl-Eibesfeldt, 1986 2 , S. 61 f., 104-108; ders., 1989 1 4 , S. 101-lu6; Tönnesmann, 1987, S. 181 f.; Grammer, 1988, S. 63-84, 194-199.

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höheren "Ränge" in einer Sozietät als geeigneter, besser angepaßt und in diesem Sinne als "mächtiger" erweisen. 52 Wohl trifft es zu, daß niemand "seine besseren natürlichen Fähigkeiten oder einen besseren Startplatz in der Gesellschaft verdient [hat]. Doch das ist natürlich kein Grund, diese Unterschiede zu übersehen oder gar zu beseitigen". 53 "Gleichheit" mag es - als (sinnvolles) Postulat - im abstrakt-philosophischen, vor allem natürlich im moral- und rechtsphilosophischen Sinne geben, niemals jedoch im Hobbesschen Sinne einer prinzipiellen faktischen Gleichheit der natürlichen Anlagen, Eigenschaften und Fähigkeiten. Aus soziobiologischer Sicht sind die Menschen zwar in der Hinsicht gleich, daß sie alle "natürlich" nach Fitness-Maximierung streben, doch sie divergieren zum Teil erheblich hinsichtlich ihres Anpassungsniveaus an die von ihnen bewohnte ökologische Nische. 54 Diese natürliche Ungleichheit bzw. Verschiedenheit der Individuen in einer Hominidenpopulation bedeutet aber nun keineswegs, die von Natur aus bescheideneren, weniger aggressiven oder einfach psycho-physisch schwächeren Individuen müßten notwendig zu hilflosen Objekten der Unterwerfung, Versklavung und Ausbeutung seitens der "Stärkeren" werden (wie etwa Le, S. 105, 121 suggeriert). Dagegen spricht zum einen wiederum die starke natürliche (genetisch implementierte) Neigung zu sozialem, "altruistischem" Verhalten gegenüber Mitgliedern der Ingroup; zum anderen aber ist davon auszugehen, daß die "Macht" der Ranghohen in ursprünglichen Sozialgemeinschaften weniger aus der Anwendung von Gewalt resultiert(e) als aus der (ausdrücklichen oder passiven) Zustimmung bzw. Anerkennung seitens der Rangniedrigeren, "Beherrschten". 55 Die natürlichen Ungleichheiten sind 52 53 54

55

Was selbstverständlich hier in einem rein faktischen, nicht in einem moralisch-evaluativen Sinn gemeint ist! Rawls, 1991 6 , S. 122. In diesem Sinne kann ja auch Hobbes gegen seine kontrafaktische Gleichheits-Annahme gelesen werden. Denn wenn er - etwa in den "Elements" (S. 97; vgl. auch Le, S. 52 f., 55, 79) - von der großen "Verschiedenheit" der Menschen spricht oder vom Unterschied zwischen den "Guten" und "Schlechten" im Naturzustand (Ci, S. 59), dann kann man daraus schließen, auch für ihn seien die Menschen im Naturzustand nicht als absolut gleich zu verstehen. Diese Auffassung - die im übrigen wesentlich "humaner" erscheint als jegliche Gleichmacherei - steht jedenfalls vollauf im Einklang mit (im Grunde trivialen) humanethologischen, soziobiologischen Thesen, wonach es eben in jeder sozial lebenden Spezies individuelle Charakter-, Begabungsund Konstitutionsunterschiede gibt sowie auch die "geborenen" Führungs- und Unterordnungsnaturelle. Vgl. dazu Godelier, 1982, S. 18 ff.; Phocas, 1986, S. 121 ff.; Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 101 ff.

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in einer auf Stabilität angelegten Gesellschaft so zu koordinieren, daß - je nachdem, welchen Gerechtigkeitsbegriff man zugrundelegt - entweder der Gesamtnutzen maximiert wird oder der Durchschnittsnutzen oder so, "daß diese Unterschiede auch den am wenigsten Begünstigten zugute kommen" 56 ; eklatante Verletzungen dieses Prinzips führen notwendig zu sozialen Spannungen und Destabilisierung. Im Gegensatz zur Hobbesschen These von der inter-individuellen Gleichheit ist es aber aus soziobiologischer Sicht durchaus nicht von vorne herein unsinnig, von der Möglichkeit einer relativen Gleichheit der in einer ökologischen Nische lebenden Gruppen auszugehen, die sich etwa in Mitgliederzahl, Verfügungsgewalt über Ressourcen, Besitz an Werkzeug, "Hausrat" und Waffen ausdrücken ließe. 57 Für den Fall der Überlastung der Tragekapazität einer ökologischen Nische, der für die sie gemeinsam bewohnenden Gruppen eine allgemeine Verschlechterung der Überlebensbedingungen bedeuten würde, könnte aber die relative Machtparität zwischen diesen Gruppen ("Balances-of-Power"-Konstellation) sehr wohl zu einer Situation führen, die dem Hobbesschen "Naturzustand" entspricht - zumal dann, wenn alle erreichbaren "fremden" ökologischen Nischen besetzt und ebenfalls ausgelastet sind, so daß auch Flucht und Abwanderung keine realistischen Optionen mehr sein können. 58 Auf dieser Ebene der in einer überlasteten ökologischen Nische miteinander konkurrierenden Kleingruppen erscheint dann auch Hobbes' Kennzeichnung des Naturzustandes als einem, "der Krieg genannt wird, und zwar ... Krieg eines jeden gegen jeden" (Le, S. 96), als durchaus nachvollziehbar. Solange die Menschen die natürliche Verhaltensstrategie der Ingroup-Outgroup-Differenzierung radikal nach dem Gesichtspunkt der genetischen Verwandtschaft beibehalten, ist das Verhältnis der kin-Gruppen in einer überlasteten ökologischen Nische geprägt durch Konkurrenz und Mißtrauen 59 , da 56 57

58 59

Rawls, 1991 6 , S. 123. Vgl. Phocas, 1986, S. 117, 130; Mohr, 1993, S. 24, Anm.; Alexander (1981a, S. 275) behauptet sogar, diese "Balances-of-Power"-Situation "may as well exist between tiny New Guiney tribes as between nuclear powers". Vgl. Mohr, 1987, S. 83 f., 91 f.; Phocas, 1986, S. 117-121. Die Parallele der grundlegenden "Elemente" des menschlichen Wesens bei Hobbes (Konkurrenz, Mißtrauen und Ruhmsucht; Le, S. 95) zu den Grundbestimmungen des Menschen aus der Sicht der Ethologie bzw. Soziobiologie sind in der Tat verblüffend. Denn "Konkurrenz" kann gleichsam ohne Übersetzung in den soziobiologischen Wortschatz übernommen werden, "Mißtrauen" mit den Prinzipien der "Territorialität" und "Individualdistanz" erläutert und "Ruhmsucht" sehr angemessen als "Rangordnungsstreben" interpretiert werden.

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jeder sich in der prekären Situation befindet, "daß, wenn jemand ein geeignetes Stück Land anpflanzt, einsät, bebaut oder besitzt und ein Angreifer nur die Macht eines einzelnen zu fürchten hat, mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß andere mit vereinten Kräften anrücken, um ihn von seinem Besitz zu vertreiben und ihn nicht nur der Früchte seiner Arbeit, sondern auch seines Lebens und seiner Freiheit zu berauben. Und dem Angreifer wiederum droht die gleiche Gefahr von einem anderen" (Le, S. 96). Die anderen sind stets als potentielle Aggressoren zu betrachten, was notwendig zu einer weitgehenden Lähmung der Handlungsmöglichkeiten jeder der Gruppen führt, da keine es sich leisten kann, irgendeiner der Konkurrenzgruppen eine Blöße zu bieten, weshalb die Absicherung der eigenen Gruppe nach außen einen Großteil der Energien und Mittel verschlingen muß. Die Aussichten auf Steigerung des reproduktiven Erfolges bzw. der Genpool-Fitness durch Sicherung und Mehrung des materiellen Lebensstandards nehmen in dieser Situation sukzessive ab, da - mit den Worten Hobbes' - in "einer solchen Lage ... für Fleiß kein Raum [] ist, da man sich seiner Früchte nicht sicher sein kann" (Le, S. 96). Der Mensch als "matter in motion", dessen Leben Hobbes mit einem "Wettrennen" vergleicht (El, S. 76 f.), dessen "Glückseligkeit ... ein ständiges Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zu einem anderen [ist], wobei jedoch das Erlangen des einen Gegenstandes nur der Weg ist, der zum nächsten Gegenstand führt" (Le, S. 75), ist in dieser Lage mit einer solch übermächtigen Fülle an äußeren Hindernissen seiner Bewegungsfreiheit konfrontiert, daß diese de facto nahezu vollständig negiert wird. Das "Recht auf alles" im Naturzustand verkehrt sich in dieser Situation der Enge und Ressourcenverknappung in eine Möglichkeit zu (fast) nichts. Folgerichtige Konsequenz: "das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz" (Le, S. 96). Somit läßt sich auch aus soziobiologischer Sicht für die Möglichkeit eines derart elenden "Naturzustandes" hominider Kleingruppen in einer überlasteten ökologischen Nische argumentieren, wodurch Hobbes' Lehre zumindest in diesem Punkt weitgehend rehabilitierbar zu werden scheint.

2.2 Die "Gesetze der Vernunft" als Maximen einer Klugheitsethik Hinsichtlich einer solchen Situation ist seitens der konkurrierenden Gruppen gerade wegen der Kräftegleichheit auch die - allmählich und unter zunehmendem Leidensdruck sich einstellende - Einsicht in das permanente Scheitern einer gewaltsamen Lösung als möglich zu unterstellen (vgl. Ci, S. 84). Diese

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Einsicht, daß sich der Weg des Krieges letztlich überhaupt nicht rechnet, verweist auf die Notwendigkeit - wobei "Not" zu betonen ist -, einen anderen Weg der Problemlösung zu suchen - eben den des Arrangements, der Kooperation, des Zusammenschlusses: '"ungeachtet all ihrer Zweckmäßigkeit wird Kooperation nicht deshalb auf den Weg gebracht, weil die Individuen kooperieren wollen, sondern weil sie es müssen'". 60 Doch die Einsicht in das dauerhafte Scheitern aller Versuche, sich durch den Einsatz von Gewaltmitteln aus dem Elend des Naturzustandes zu befreien, ist nach Hobbes nur einer der Aspekte, die auf die Notwendigkeit der friedlichen Lösung verweisen. Denn "das Schlimmste von allem", was der Naturzustand für alle hervorbringt, ist nach Hobbes die "beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes" (Le, S. 96); diese Furcht vor dem "maximum malum" kennzeichnet Hobbes als die wichtigste der Leidenschaften, "die die Menschen friedfertig machen" (Le, S. 98; hinzu kommen "das Verlangen nach Dingen, die zu einem angenehmen Leben notwendig sind und die Hoffnung, sie durch Fleiß erlangen zu können"; vgl. Le, S. 76). 61 Und Hobbes betont bereits im 1. Kapitel von "De Cive" (S. 79), "daß der Ursprung der großen und dauernden Verbindungen der Menschen nicht von gegenseitigem Wohlwollen, sondern von gegenseitiger Furcht ausgegangen ist", wobei er unter "'Furcht' jedes Voraussehen von kommendem Unheil" verstanden wissen will (ebd., Anm.). Hobbes kann also insofern als ein früher Theoretiker der "Heuristik der Furcht" gelesen werden, die bekanntlich das Zentrum von Jonas' "Verantwortungsethik" bildet.62 60 61

62

Kliemt, 1985, S. 186 f. Zurecht bezeichnet Strauss (1956, S. 187) die Furcht vor dem gewaltsamen Tod als die "mächtigste aller Leidenschaften" bei Hobbes; vgl. ders., 1965, S. 25 ff.; entspr. auch Tönnies, 1975, S. 215 f.; Kodalle (1972, S. 38) geht im gleichen Sinne davon aus, die Furcht vor dem gewaltsamen Tod sei "Grundlage und Ausgangspunkt aller Reflexionen zur Staatsgründung" in Hobbes' System. Zur immensen Bedeutung der Furcht bei Hobbes vgl. auch Baumanns, 1977, S. 29 f.; ebs. Bull, 1981, S. 721 f.; Willms, 1987, S. 127-138, 141. Zur Rolle der "Heuristik der Furcht" in der "Verantwortungsethik" siehe Jonas, 1989, S. 8, 63 ff., 391 ff., 412. Zur massiven Kritik an der "Heuristik der Furcht" als einem ethischen Prinzip, das seinerseits "im wahrsten Wortsinn existenzgefährdend" sein und daher "aus guten Gründen verantwortungslos genannt" werden könne, siehe Roser, 1990, S. 34 f. Rosers Kritik trifft insofern zu, als die Jonassche These, die "Unheilsprophezeiung [werde] gemacht, um ihr Eintreffen zu verhüten" (Jonas, 1989, S. 218), in der Tat sowohl durch das Eintreten als auch durch das Ausbleiben des prophezeiten Unheils bestätigt würde; der Bestätigungsfall einer solchen Prophezeiung läßt sich also insofern tatsächlich "nur widersprüchlich formulie-

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Furcht, die Einsicht in das Versagen der Gewalt und der Wunsch nach einer Verbesserung der Lebensqualität bringen also den Hobbesschen Menschen dazu, nach alternativen Möglichkeiten und Auswegen aus dem Elend des Naturzustandes zu suchen. Und das Instrument, das ihm dazu zur Verfügung steht und ihn zu den geeigneten Mitteln und Wegen aus dem Naturzustand leitet, ist - als eine der "Fähigkeiten des Geistes" (Le, S. 32) - seine Vernunft. Generell versteht Hobbes unter "Vernunft ... nichts anderes als Rechnen, das heißt Addieren und Subtrahieren, mit den Folgen aus den allgemeinen Namen, auf die man sich zum Kennzeichnen und Anzeigen unserer Gedanken geeinigt hat" (Le, S. 32). Diese Formulierung verweist zum einen auf die Existenz der Sprache als unabdingbarer Voraussetzung des Vernunftgebrauchs. Analog zu den "biopolitics"-Thesen zur Genese von Staaten ist also auch bei Hobbes die Rolle der Sprache bzw. die Möglichkeit zu irgendeiner Form kommunikativer Verständigung als conditio sine qua non beim Ausgang des Menschen aus dem Naturzustand zu betonen. Ohne die Sprache - nach Hobbes "die edelste und nützlichste aller Erfindungen" (Le, S. 24) - "hätte es unter den Menschen weder Staat noch Gesellschaft, Vertrag und Frieden gegeben - nicht mehr als unter Löwen, Bären und Wölfen" (ebd.). 63 Hobbes kann also auch als ein Vorläufer der modernen transzendentalpragmatischen Diskursethik angesehen werden, und zwar insofern, als auch er die Sprache als Möglichkeitsbedingung von Ethik betrachtete

ren". Doch diesem Einwand könnte man noch mit dem Argument begegnen, die Unheilsprophezeiung zerfalle eben in zwei Teile: Zum einen ihren eigentlichen Inhalt das prophezeite Unheil der eben dann bestätigt wäre, wenn das Unheil tatsächlich eintritt ("Wir haben's euch ja gesagt"), zum anderen aber ihren ethischen Zweck die Verhütung des Unheils der dann und solange erfüllt wäre, als das Unheil nicht eintritt oder nachweislich abgewendet ist. Stärker wäre in diesem Zusammenhang das Argument der "self-fullfilling-prophecy": Die Unheilsprophezeiung trägt selbst da sie geeignet ist, ihre Adressaten in eine irrationale Furcht zu versetzen - zum tatsächlichen Eintreten des Unheils bei (Die Drohung mit dem nuklearen Krieg führt zu einem nuklearen Präventivschlag, durch den der anderen Partei die Führung eines Krieges unmöglich gemacht werden soll.).

63

Diese "Heuristik der Furcht" im Sinne Hobbes' könnte - da man ihre "Gültigkeit" aus soziobiologischer Sicht auch für den rezenten Menschen unterstellen kann - auch für heutige Politik möglicherweise ein entscheidendes Kriterium sein. Hobbes geht überdies davon aus, daß "wahr und falsch ... Attribute der Sprache [sind], nicht von Dingen. Und wo es keine Sprache gibt, da gibt es weder Wahrheit noch Falschheit" - und auch keine Ethik resp. "Moral" (Le, S. 27 f.).

Vom Weltstaat (zur modernen [Exkurs]).64

183 Diskursethik

siehe

auch

unten,

Teil

3,

Kap.

III.

2.1

D o c h in dieser Formulierung steckt zudem bereits ein gravierendes Problem, an d e m wiederum die Unhaltbarkeit des radikal-individualistischen Naturzustandstheorems Hobbes' aufgezeigt werden kann: D e n n woher sollten in diesem Naturzustand jene "allgemeinen Namen" stammen, auf die man sich zuvor hätte einigen können, zumal "es keine von der Natur eingesetzte rechte Vernunft gibt" (Le, S. 33; vgl. S. 36)? "Allgemeine Namen" als die festen Größen, mit denen die Vernunft operieren kann, sind bereits Institutionen, die

64

Hobbes unterscheidet sich allerdings von modernen Transzendentalpragmatikern und Diskursethikern (vgl. etwa Apel, 1983, S. 34; Kuhlmann, 1993, S. 96 ff.) vor allem dadurch, daß er keine "ideale Kommunikationsgemeinschaft" annimmt, in der jeder Teilnehmer die anderen als "gleichberechtigte Partner voraussetzt"; vielmehr geht Hobbes von der "der menschlichen Natur angeborenen Ehrbegierde" (Ci, S. 182; vgl. Le, S. 133) aus und mißt der Funktion der Sprache als "Waffe", als Werkzeug des Krieges hohe Bedeutung zu. So zählt er etwa die Funktion der Sprache, "sich gegenseitig zu verletzen" (Le, S. 25 f.) ausdrücklich zu den Arten ihres Mißbrauchs. An anderer Stellen stellt er fest, die "Lehre von Recht und Unrecht [werde] mit Feder und Schwert ständig umstritten" (Le, S. 79), und im Widmungsschreiben zu "De Cive" (S. 61) wertet er es als Zeichen des Scheiterns der "Schriften der Moralphilosophen", daß bis zu seiner Zeit "der Krieg mit den Schwertern und der Krieg mit den Federn kein Ende" genommen habe. Zudem betont Hobbes das menschliche "Privileg des Widersinns", dem niemand mehr ausgesetzt sei als "die Professoren für Philosophie" (Le, S. 34 f.; Hobbes erweist sich also auch insofern als ein würdiger Vorfahre modernen evolutionstheoretischen Denkens, als dem Menschen etwa in der Evolutionären Erkenntnistheorie aufgrund seiner Möglichkeit zur höchst komplexen bewußtseinsimmanenten Vorstellung der "außen" bestehenden Wirklichkeit das "Privileg des Glaubens an reinen Unsinn" [Lorenz] zugesprochen wird.); vgl. zu diesem Aspekt der Sprache bei Hobbes auch Palaver, 1991, S. 27; Boulding (1986, S. 187 f.) bezeichnet Hobbes dieser Haltung wegen als "a precusor or a pioneer, at least, in the tradition of Critical Rationality itself". Zu Hobbes' Kritik am Übereinstimmungsprinzip vgl. seine Überlegungen in "De Cive" (S. 86). Eine sehr vergleichbare Kritik an der modernen Diskurs- oder auch Beratungs-Ethik äußert auch Wetzel, 1990, S. 608 f. Zur zentralen Bedeutung der Sprache bei Hobbes siehe Schelsky, 1981, S. 47-83; vgl. ebs. Isermann, 1991; die neueste kritische Arbeit zu Hobbes' individualistischer Konzeption des Naturzustandes und der Bedeutung der Sprache als Kommunikationsmittel hat Kwon (1991) vorgelegt.

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soziale Gemeinsamkeiten bzw. einen sozialen Grundkonsens voraussetzen den es aber in Hobbes' Naturzustand per definitionem nicht geben kann. 65 Dieses Problem wird vor allem dann bedeutsam, wenn Hobbes nach jenen probaten "Gesetzen der Vernunft" fragt, die den Weg zum Ausgang aus dem Naturzustand zeigen sollen. So stellt Hobbes zu Beginn des Kapitels über "Das natürliche Gesetz in bezug auf Übereinkommen" (Ci, S. 85) zunächst den Mißstand fest, der Begriff "natürliche Gesetze" würde zwar von vielen Schriftstellern gebraucht, dies aber in völlig unterschiedlicher Bedeutung. Der Nominalist Hobbes fordert dagegen ein "Verfahren, welches mit Definitionen beginnt, die keinen Raum zum Streit übrig lassen" (Ci, S. 85). 66 Nach einer Kritik am Übereinstimmungsprinzip macht Hobbes dann den "aristotelischen" Vorschlag, allein das Urteil der "rechten Vernunft" als Maßstab für die Definition eines "natürlichen Gesetzes" gelten zu lassen: "Das Gesetz ist daher gleichsam die rechte Vernunft, die (da sie ebensogut einen Teil der menschlichen Natur ausmacht wie andere Vermögen oder Zustände der Seele) auch die natürliche heißt. Das natürliche Gesetz ist also, um es zu definieren, das Gebot der rechten Vernunft" (Ci, S. 86). Doch eine der wesentlichen Fragen ist hier gerade, was unter "rechter Vernunft" zu verstehen ist, und ob dieser Begriff nicht ebenso fragwürdig, vage und schillernd ist wie der vom "natürlichen Gesetz"? Gibt es ein sicheres Kriterium für das Erkennen eines "rechten" Vernunfturteils (eigentlich ein Pleonasmus, da es im Hobbesschen Sinne kein "unrechtes" Vernunfturteil geben kann; vgl. Le, S. 33) oder ist das einzige Kriterium für die rechte Vernunft die subjektive Meinung Hobbes'? Doch wird nicht damit die Bedeutung des Begriffs "rechte 65

Baier (1987, S. 165 f.) weist daher völlig zurecht daraufhin, bereits die Sprachfahigkeit weise die Hobbesschen Menschen als Sozialwesen aus, der Ausgang aus dem Naturzustand setze also bereits kommunikative Strukturen voraus: "those who can escape from the Hobbesian State of nature must already have a common language". Wenn aber Sprache immer soziale Institution ist, dann ist es unsinnig, von einer Sprache zu reden, die "konsequent ... subjektiv - daß heißt vom einzelnen auf sich selbst bezogen" sein könnte (Willms, 1987, S. 140).

66

Hobbes übersieht hier völlig, daß es gerade die Einigung auf eine einheitliche Begriffsbestimmung, eine konsensfähige Definition ist, die problematisch sein kann (vgl. zu diesem Einwand Willms, 1979, S. 185). Denn abgesehen davon, daß in philosophischen Grundsatzfragen kaum je derartige Definitionen gefunden werden dürften, die über die Grenzen verschiedener, zum Teil extrem divergierender philosophischer Standpunkte hinweg allgemein akzeptiert würden, besteht ein weiteres Problem solcher Axiome natürlich darin, daß der sie betreffende Konsens jederzeit leicht zerbrechen kann - dann etwa, wenn neue, andere, bisher nicht bekannte oder nicht berücksichtigte Aspekte hinzukommen.

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Vernunft" erneut vollkommen kontingent und beliebig und damit ungeeignet zur Begründung einer intersubjektiv geltenden Ethik? 67 Ist dann nicht Hobbes selbst einer von denen, "die sich für klüger als alle anderen halten" und "nichts anderes wollen, als daß die Dinge nach keines anderen Vernunft als ihrer eigenen entschieden werden sollten" (Le, S. 33)? 6 8 Der Hobbessche Erläuterungsversuch (Ci, S. 86, Anm.) kann nicht überzeugen. Es leuchtet zwar ein, daß im Naturzustand, dann also, wenn es noch keine gleichsam institutionalisierte "rechte Vernunft" in Form der bürgerlichen Gesetze gibt, "die eigene und wahre Schlußfolgerung" jedes einzelnen das Kriterium für die "rechte Vernunft" sein soll, doch damit ist das Problem nur verlagert - denn was heißt "wahre Schlußfolgerung"? Hobbes: Es ist diejenige Schlußfolgerung, die "aus wahren, richtig geordneten Grundsätzen schließt". Aber was hat man sich darunter (jeweils) vorzustellen? Wenn es 67 68

Zur entsprechenden Kritik an jedem Versuch einer empirischen Begründung von Ethik vgl. Kuhlmann, 1993, S. 87 ff. Welche Kriterien Hobbes für die Festigkeit einer Definition annahm, ergibt sich z.B. aus dem 1. Kapitel von "De Corpore", in dem Hobbes seine Begriffsbestimmung von "Philosophie" erläutert. Demnach ist "Philosophie ... die rationelle Erkenntnis der Wirkungen oder Erscheinungen aus ihren bekannten Ursachen oder erzeugenden Gründen und umgekehrt der möglichen erzeugenden Gründe aus den bekannten Wirkungen" (S. 6). Rationale Erkenntnis aber ist nichts anderes als "Berechnung", d.h. "entweder die Summe von zusammengefügten Dingen finden oder den Rest erkennen, wenn eins vom andern abgezogen wird" (ebd.). Philosophie, deren "größte Bedeutung" für Hobbes darin besteht, "daß wir die vorausgeschauten Wirkungen zu unserem Vorteil nutzen und auf Grund unserer Erkenntnis nach Maß unserer Kräfte und unserer Tüchtigkeit absichtlich zur Förderung des menschlichen Lebens herbeiführen können" (S. 9; Hervorhebungen T.M.), zerfallt in die beiden Hauptteile "Natur- und ... Staatsphilosophie", letztere in die Unterabteilungen "Ethik" und "Politik" (S. 13). Hobbes ist sich nun sehr wohl darüber im klaren, daß es "vielleicht einige gibt, denen die oben entwickelte Begriffsbestimmung der Philosophie nicht behagt" (ebd.), er ist jedoch zugleich (und eigentümlicherweise) davon überzeugt, die von ihm "gegebene Begriffsbestimmung [sei] mit der Auffassungsweise aller Menschen im Einklang" (ebd.) - also auch mit mit der Auffassungsweise derer, denen diese Begriffsbestimmung "nicht behagt"? Aus der Sicht der modernen Soziobiologie wird man Hobbes zumindest insofern zustimmen können, als die Grundbegriffe seiner Staatsphilosophie: "Furcht und freie Selbsterhaltung", tatsächlich "mit der Auffassungsweise aller Menschen" in Einklang stehen; Hobbes und die Soziobiologie erheben also gleichermaßen den Anspruch, Aussagen über anthropologische Konstanten oder Universalien treffen zu können. Zur Hobbesschen Begriffsbestimmung der Philosophie siehe auch Kodalle, 1972, S. 8 ff.; Machamer/Sakellariadis, 1989, S. 15 f., 21 f.

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keine Einigkeit über jene "wahren Grundsätze" gibt, wie soll es dann eine eindeutig bestimmbare "rechte Vernunft" geben? Wenn jedoch die "rechte" Vernunft auf bereits allgemein anerkannte Namen rekurrieren kann, auf die man sich zuvor geeinigt hat (Le, S. 32), dann löst sich das Problem des Naturzustandes gleichsam auf, da seine Lösung in jenen anerkannten Namen bereits gegeben ist; die "allgemeinen Namen" setzen voraus, wofür sie eigentlich erst eingeführt werden sollen. Die einzige - und aus soziobiologischer Sicht einzig konsequente "Zuflucht" kann Hobbes in seinem Prinzip des radikal-egoistischen Utilitarismus im Naturzustand finden. Demnach lautet der oberste Grundsatz: Gut ist, was mir nützt (soziobiologisch übersetzt: "was meine inclusive-fitness steigert"). Nach Hobbes ist daher jegliche Handlung im rechten Sinne vernünftig, die diesen persönlichen, individuellen Nutzen fördert. Und daher kann - entsprechend dem soziobiologischen Theorem vom "reziproken Altruismus" unter Umständen auch der "selbstlose", soziale, "altruistische" Akt gegenüber Dritten bei gleichzeitigem Verzicht auf die unmittelbare eigene Nutzenmaximierung sehr wohl ein Akt der "rechten Vernunft" sein. Hobbes spricht hier - gleichsam in Vorwegnahme spieltheoretischer Ergebnisse - von der "Torheit der Menschen, welche ihre Pflichten gegen andere, die zur Erhaltung ihres eigenen Lebens nötig sind, nicht einsehen" (Ci, S. 86, Anm.; Hervorhebung T.M.), was natürlich die eigentümliche - aber eben konsequente - moralphilosophische Deutung des Begriffs "Pflicht gegen andere" impliziert, daß diese ihren Geltungsgrund nicht etwa im "Zweck-an-sich"Status des "anderen", sondern letztlich im Eigeninteresse des Handelnden selbst hat. Dieses reduktionistische Argument steht auch im Einklang mit der Hobbesschen Formulierung, wonach das "natürliche Gesetz ... das Gebot der rechten Vernunft in betreff dessen [ist], was zu einer möglichst langen Erhaltung des Lebens und der Glieder zu tun und zu lassen ist" (Ci, S. 86 f.; Hervorhebung T.M.). Noch deutlicher wird diese reduktionistische Auffassung von der "rechten Vernunft" im Naturzustand im "Leviathan", wo es heißt: "Das natürliche Recht ... ist die Freiheit eines jeden, seine eigene Macht nach seinem Willen zur Erhaltung seiner eigenen Natur, das heißt seines eigenen Lebens, einzusetzen und folglich alles zu tun, was er nach eigenem Urteil und eigener Vernunft als das zu diesem Zweck geeignetste Mittel ansieht" (Le, S. 99; Hervorhebung T.M.).& 69

Vgl. auch die Formulierungen Ci, S. 81: "Durch das Wort Recht ist nichts anderes bezeichnet als die Freiheit, die jeder hat, seine natürlichen Vermögen gemäß der rechten Vernunft zu gebrauchen. Daher ist die erste Grundlage des natürlichen Rechts, daß jeder sein Leben und seine Glieder nach Möglichkeit zu schützen su-

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Und in der Naturzustandssituation des Krieges aller gegen alle, die für alle gleichermaßen die zunehmende Verelendung bedeutet, und in der keiner sicher sein kann, "die Zeit über zu leben, die die Natur dem Menschen gewöhnlich einräumt, wie stark und klug er auch sein mag" (Le, S. 99), gelangt die Vernunft auf ihrer Suche nach jenen geeigneten Mitteln nach Hobbes notwendig zu einer ersten "Regel der Vernunft: Jedermann hat sich um Frieden zu bemühen, solange dazu Hoffnung besteht" (Le, S. 99; Ci, S. 85) - und zwar "zu seinem eigenen Besten" (El, S. 100). Diese rational-egoistische Überlegung enthält nach Hobbes das "erste und grundlegende Gesetz der Natur, nämlich: Suche Frieden und halte ihn ein" (Le, S. 100). Aus dieser Grundlage leitet er alle weiteren "Gesetze der Natur" als Mittel zur Herstellung des von allen gewünschten Friedenszustandes ab (vgl. Le, S. 100-120) und faßt schließlich die Liste jener "Gesetze" in der "Goldenen Regel" zusammen: "Füge einem anderen nicht zu, was du nicht willst, daß man dir zußge" (Le, S. 120 f.; vgl. Le, S. 100). Hobbes' "Wissenschaft von diesen Gesetzen", von der er selbstbewußt behauptet, sie sei die "wahre und einzige Moralphilosophie" (Le, S. 122), ist also zu reduzieren auf das wohlverstandene, langfristig kalkulierende Eigeninteresse jedes Individuums im elenden Naturzustand; seine Ethik ist (jedenfalls bis zu diesem Punkt) der Prototyp einer naturalistischen Klugheitsethik und damit auch ein paradigmatisches Vorbild für eine moderne "Evolutionäre Ethik", in der "Prinzip Eigennutz" als letzter Geltungsgrund jeder positiven Norm fungieren soll. 70

70

che", und Ci, S. 83: "Die Natur hat allen alles gegeben. Daraus ersieht man auch, daß im Naturzustande der Nutzen der Maßstab des Rechtes ist" - "und der Moral", könnte man hinzufügen. Die Behauptung von Braungart (1981, S. 50-54), wonach der "psychologische Egoismus" bei Hobbes nicht widerspruchsfrei mit seiner ebenfalls vertretenen Ethik der "Goldenen Regel" zu vereinbaren sei, ist daher zurückzuweisen. Merkwürdig ist auch seine These, Hobbes begründe zwar das erste Gesetz der Natur egoistisch, die aus diesem samt und sonders abgeleiteten weiteren "Gesetze der Natur" dagegen nicht. Denn wenn alle natürlichen Gesetze letztlich nur im Hinblick auf das erste Gebot der Natur Gültigkeit erlangen können, dieses aber ein Gebot des (im Hobbesschen Sinne wohlverstandenen!) Egoismus ist, dann sind letztendlich alle Gesetze funktional rückgebunden an das individuelle (inclusive!) Eigeninteresse; vgl. Weiß, 1980, S. 168 f. Sobald man berücksichtigt, daß jedes Eigeninteresse immer inklusives Eigeninteresse ist, kommt man nicht mehr in die Verlegenheit, zeigen zu müssen, unter welchen Umständen "moralische Gründe Vorrang vor den 'dictates of self-interest' haben" (Braungart, a.a.O., S. 56).

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Allerdings kann die soziobiologische Prämissenkorrektur des Hobbesschen Naturzustandes (statt Naturzustand der Individuen ist ein Naturzustand der Kleingruppen anzunehmen) auch in diesem Punkt die Hobbessche Theorie aktualisieren und erheblich stärker machen. Denn die Frage ist doch, wieso die Menschen im ursprünglichen Naturzustand, dem gemäß der Hobbesschen Methodologie keinerlei soziale Erfahrung vorausliegen kann, die schiere Möglichkeit und darüber hinaus auch noch den Nutzen sozialer Lebensformen, kooperativer Praktiken, politischer Einigung einsehen könnten und sollten. Wenn Hobbes die Darstellung der geeigneten Prinzipien zum Ausgang aus dem Naturzustand als Versuch kennzeichnet, "die Menschen zu erinnern an das, was sie schon wissen oder doch aus ihrer eigenen Erfahrung wissen können" (El, S. 35; Hervorhebung T. M.), dann verwickelt er sich bereits aus dem einfachen Grund in Widersprüche, daß es diese Erinnerung an "bessere Zeiten" im ursprünglichen inter-individuellen Naturzustand schlechterdings nicht geben kann. 71 Und wenn zudem nach Hobbes "nicht einmal die Menschen" davon Kenntnis besitzen, "was für ihre Selbsterhaltung gut ist" (Le, S. 13), dann liegt die Vermutung nahe, der Ausgang aus dem Naturzustand müsse eher mechanizistisch als rationalistisch erklärt werden. Doch diese "Mechanik" des Ausgangs aus dem Naturzustand ist evidentermaßen nicht gegeben (und wäre zudem anti-hobbesianisch), weil weder Erfahrung noch Furcht, noch deren Zusammenspiel alleine irgendeinen Ausweg aus dem Naturzustand sichtbar werden lassen können. Wenn Menschen nicht in der Lage sind, eine zukünftige Lage zu antizipieren, die sich von ihren negativen Erfahrungen und ihrer ebenfalls in die Zukunft gerichteten Furcht qualitativ unterscheidet und als "besser" angesehen wird, dann führen Erfahrung und Furcht zu gar nichts. Die Hobbessche "Vernunft" hat demnach den Charakter oder die Funktion eines "deus ex machina", der "ex nihilo" vollkommen neue, bisher gänzlich unbekannte Wege aufzeigt - und dies auch noch mit letztlich überzeugender Kraft. Es liegt nahe, einen derartig mystischen Vernunftbegriff in einem materialistischen System wie dem von Hobbes mit Hobbes als "widersinnig" zurückzuweisen (vgl. Le, S. 34 ff.). Aus der Sicht einer konsequent argumentierenden Evolutionstheorie ist es nun zunächst wichtig, nochmals zu betonen, daß selbstverständlich die "Vernunft" (ebenso wie die Sprache) ihrerseits als ein Produkt der biolo71

Insofern trifft also Humes (1978, S. 231) Einschätzung zu, die "Idee der Rechtsordnung [könne] nicht als natürliche Triebfeder angesehen werden, die imstande wäre, die Menschen zum rechtschaffenen Handeln gegeneinander zu bewegen. Die Tugend des Rechtsinnes, so wie sie von uns verstanden wird, wäre rohen und wilden Menschen niemals in den Sinn gekommen".

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gischen Evolution, eine - keineswegs teleologisch-notwendige!72 - Anpassungsleistung an die schwierigen Überlebensbedingungen unserer Vorfahren zu verstehen ist (doch auch mit Blick auf die Lehre Hobbes' läßt sich sehr wohl die These vertreten, zumindest die hier interessierende spezifische Form der politischen Vernunft sei in erster Linie das Ergebnis des zunehmenden Leidensdruckes, dem sich die Menschen im Naturzustand ausgesetzt sehen "Aus der Furcht wird die Vernunft".73). Der wahrscheinlich wichtigste Aspekt dieser Anpassungsleistung ist der, daß die Vernunft-Erkenntnis des Friedensgebotes zum einen die Fähigkeit des Menschen voraussetzt, über sich selbst und seine Situation nachzudenken, sich selbst zum Gegenstand zu werden und zum anderen, sich - zunächst zumindest gedanklich - über bestimmte genetische Verhaltensdispositionen hinwegsetzen zu können, die bis dahin sein natürliches Verhalten in einer ähnlich "mechanizistischen" Weise bestimmt haben dürften, wie wir dies heute noch bei (anderen) Tieren beobachten können. Doch diese natürlichen Verhaltensdispositionen - deren wichtigste hier die zur scharfen Trennung zwischen genetischer Ingroup und Outgroup ist - erwiesen sich an einem "Punkt"74 der Evolution als nicht mehr tauglich; sie führten den Menschen in eine Sackgasse; es drohte ihm das evolutive "Aus". 72

73 74

Auf die antiteleologische These von der "Blindheit", bzw. "Ziellosigkeit" der biologischen Evolution sowie die Diskussion um den "hyperselektionistischen Fehlschluß" (O'Hear) kann hier nicht näher eingegangen werden; vgl. dazu Wuketits, 1993b, S. 126-155; Corning, 1974, S. 295-309; Dawkins, 1976, S. 1 ff.; Kadlec, 1976, S. 12 ff.; Wilson, 1979, S. 10; Zimmer, 1979, S. 303; Löw/Spaemann, 1981; Vogel, 1982, S. XII f.; Meyer, 1982, S. 13, 22 f., 96 f., 100; Hassenstein, 1983, S. 70; Bratzier, 1984, S. 224 ff.; Ruse, 1986, S. 95 f.; Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 34 f.; ders., 1989 1 4 , S. 45 f.; Bayertz, 1987, S. 169; O'Hear, 1987, S. 17 ff.; Knapp, 1989, S. 193-202. Umgekehrt macht freilich die Behauptung ebensowenig Sinn, wonach die Hoffnung, "daß die Evolution einen 'besseren' Menschen aus uns machen würde, nicht berechtigt [sei]" (Wuketits, 1993b, S. 150), da in der "blinden" Evolution objektive Verbesserungen ebenfalls nicht auszuschließen sind. So falsch es also (möglicherweise) ist, der Evolution eine Tendenz zur notwendigen "Vervollkommnung" anzudichten, sie "historizistisch" zu interpretieren, so falsch ist (möglicherweise) die gegenteilige Behauptung, sie führe notwendig nicht zu objektiven Verbesserungen. Die Verbindung mit einem dezidierten Wahrheitsanspruch ist für beide Behauptungen gleichermaßen problematisch. Willms, 1987, S. 138 (Hervorhebung T.M.). Wenn hier von einem "Punkt" oder einem "Moment" in der Evolution die Rede ist, so ist darunter natürlich ebensowenig ein bestimmter, exakt datierbarer Zeitpunkt zu

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Jene merkwürdige Fähigkeit des Hobbesschen Menschen, im ursprünglichen Naturzustand auf der Basis von Erfahrung und Furcht eine zukünftige Situation seiner selbst zu entwerfen, an die er keine Erinnerung haben kann, weil er sie nie erfahren hat 75 , kann also mittels der soziobiologischen Prämissenkorrektur als ein Trugschluß entlarvt werden, der eben auf dem bereits mehrfach geschilderten prinzipiellsten methodischen Fehler der Hobbesschen Anthropologie beruht: Menschen sind von Natur aus soziale, Gruppen bildende Lebewesen; ihrem aggressiven Potential einerseits korrespondiert ein freilich prinzipiell stets auf die genetische "Ingroup" (Familie, Sippe, Clan) restringiertes - "altruistisches" Potential, die Bereitschaft zu "Wohlwollen, Fairneß, Wohltätigkeit und Ehrlichkeit".76 Und unter dieser Voraussetzung, daß die Hobbessche Lehre vom "Naturzustand" erst auf der Ebene der Kleingruppen unserer Vorfahren - hier allerdings höchst plausibel! - anzuwenden ist, ergibt sich hinsichtlich der menschlichen Vernunft ein anderes Bild: In einer Situation, in der sich im "Krieg aller gegen alle" befindende, gleich starke Gruppen die Tragekapazität der von ihnen bevölkerten ökologischen Nische so weit ausgelastet oder bereits überlastet haben, daß dieser Naturzustand gerade im Verhältnis zu früheren, in der Erinnerung nachvollziehbaren Situationen von allen Gruppen als "elend" erfahren wird, braucht es keine Vernunft, die als "Schein des Himmelslichts" praktisch "aus dem Nichts" eine neue, bessere Situation entwirft, hervorzaubert. Die Leistung der Vernunft besteht hier nicht darin, soziale Tugenden wie Wohlwollen, Fairneß, Wohltätigkeit und Ehrlichkeit erst zu erfinden, sondern darin, diese Prinzipien, die im Bereich der jeweiligen ursprünglichen Ingroup schon immer praktiziert wurden, nun in einem erweiterten Rahmen vorzustellen, den Bereich ihrer Geltung künstlich auszudehnen und dann auf der Basis von Grundsätzen zu einer Übereinkunft zu gelangen, "die freie und vernünftige Menschen in ihrem

75 76

verstehen wie unter dem "raschen Wandel" der Bevölkerungsentwicklung während der "neolithischen Revolution"; vgl. dazu oben, Teil 2, Kap. I. 1.1. Denn nach Hobbes können "wir keine Einbildung von etwas haben, wovon wir nicht zuvor ganz oder teilweise eine Empfindung hatten" (Le, S. 19). Mackie, 1983, S. 143. Es ist also keineswegs so, daß sich die Menschen im "elenden" Naturzustand "auf eine andere, nicht-elementare Seite ihres Wesens" besinnen müßten, um dem Naturzustand zu entkommen (vgl. Baumanns, 1977, S. 26). Die sozial-altruistische "Seite" ist dem Menschen nicht minder elementar als die "wölfische" (vgl. dazu etwa Höffe, 1992, S. 16 f.). Insofern sind Hobbes und Rousseau durchaus in einer Theorie zusammenzufassen: Der Mensch ist dem Menschen beides - "lupus" und "deus" gleichermaßen.

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eigenen Interesse in einer anfänglichen Situation der Gleichheit zur Bestimmung des Grundverhältnisses ihrer Verbindung annehmen würden".77 Dabei ist jedoch erneut der Hinweis wichtig, daß sich dieser selektive "Zwang" zur Künstlichkeit erst auf einer bestimmten Stufe der evolutionären Bedingungen der Gattung Mensch einstellte. Erst unter dem Druck von Bevölkerungswachstum und Ressourcenverknappung sowie dem dauerhaften Versagen der natürlich-ursprünglichen Verhaltensmechanismen entwickelte sich der Mensch gleichsam über sein biologisches Potential hinaus (ohne sich je von dieser Basis wirklich zu lösen!); erst ab dieser Stufe gilt die (aristotelische) Aussage, daß der Mensch "biologisch als potentieller Mensch geboren, aber erst durch Kultur ... zum Menschen [wird]".78 Der Mensch "muß sich zu dem, was er schon ist, erst machen"^, diese Formel trifft erst 77

Rawls, 1991 6 , S. 28 (zur Kritik an Rawls "unrealistic premises" aus der Sicht von "biopolitics" siehe Corning, 1976, S. 151 f.; Höffe, 1977, S. 20-28, 33-37; Bender, 1988, S. 92-102; Kühn, 1992, S. 21 ff.). Mit dieser soziobiologischen Prämissenkorrektur ließe sich also der von Autoren wie Macpherson (1967, S. 39 f.) reklamierte Widerspruch zwischen Anthropologie und Staatsbegründung bei Hobbes weitgehend auflösen; vgl. auch Wrong, 1984, S. 205. Ähnliches gilt für den von Habermas (1978, S. 71) festgestellten Widerspruch, Hobbes müsse "aus der menschlichen Triebnatur die Normen einer Ordnung ableiten, deren Funktion doch gerade die Erzwingung eines Verzichts auf die primäre Befriedigung der Triebe ist". Aus soziobiologischer Sicht stellt Habermas' Einwand eine unzulässige Verkürzung des menschlichen Trieb-Potentials auf die "negativen", den Menschen zu Aggressivität disponierenden Anlagen dar. Tatsächlich ist die politische Ordnung bei Hobbes nicht aus diesen Potentialen abzuleiten, sondern zum einen aus der individuellen Furcht vor Unterwerfung oder Vernichtung, zum zweiten aus der dem Menschen ebenso "natürlichen" Veranlagung zu sozialer Gemeinschaft und Kooperation und schließlich aus der zweckrationalen Einsicht, daß die Überwindung der "Konkurrenzbarriere" im je eigenen (langfristigen) Interesse ist (Markl, H., 1990, S. 394; ähnlich argumentiert auch - mit Verweis auf Hume - Mackie, 1983, S. 142). Die "Inkompatibilität von Triebnatur und der aus ihr deduzierten Verzichtserklärung auf ihre Befriedigung" (Paeschke, 1989, S. 157) gilt nach der soziobiologischen Prämissen-Korrektur nur noch in stark relativierter Form. Insofern ist mit dieser Korrektur auch dem Einwand von Commers (1979, S. 157 f.) Rechnung getragen, wonach die deduktive Ableitung des Staates bei Hobbes völlig inkonsistent und eher auf dessen intuitive Idee zurückzuführen sei. Commers hat aber völlig recht, wenn er Hobbes entgegenhält: "In order to stay within the boundaries of his programm, Hobbes should have provided for a consistent construction of social motion, that ought to be based in some way, on individual motion, a forteriori on his psychomechanics".

78 79

Freund, W. S., 1982, S. 110. Vgl. Plessner, 1965 2 , S. 309.

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dann zu, wenn die "natürliche", vorkulturelle Selbsterhaltung aufgrund der veränderten Überlebensbedingungen in höchstem Maße problematisch oder prekär geworden ist - wobei man freilich (wiederum neo-aristotelisch) darüber streiten kann, ob und inwiefern es sich bei unseren "vor-kulturellen" Vorfahren überhaupt bereits um "Menschen" handelte. Man kann also - mit Plessner - argumentieren, die "Künstlichkeit" des Menschen entspringe notwendig der "Exzentrizität" seines Wesens und sei insofern "natürliche Künstlichkeit"; doch gleichwohl ist diese Exzentrizität selbst als adaptive Anpassungsleistung an einen selektiven Überlebensdruck zu verstehen, der die Menschen auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung "nötigte", die (tierische) Form der "zentralistischen Organisation" aufzugeben. 80 Die Anpassungsleistung der Vernunft ist pragmatisch-funktional, ist rationalisiertes, strategisches Kalkül81: Sie wendet die Erinnerung und die Kenntnis der Prinzipien eines funktionierenden sozialen Gefüges (insoweit reflexiv) auf die zunächst fiktive größere Gruppe, die vorgestellte "Allgemeinheit" an (also projektiv), wobei diese Fiktion gegenüber der gegenwärtigen, "elenden" Situation als "besser" bewertet wird, da sie mit einer positiven Erinnerung gleichgesetzt wird (wobei sich reflexives und projektives Denken überschneiden). Und wenn aus diesem Entwurf des projektiven Denkes vieler Subjekte ein entsprechendes Handeln folgt, nämlich der friedliche Zusammenschluß zu einer übergeordneten, institutionell abgesicherten Gemeinschaft zum Zwecke des je eigenen guten Lebens, dann liegt "poietischer Subjektivismus" im Sinne Willms' vor. Doch bis zu diesem Schritt ist es noch ein weiter Weg. 80 81

Zu dieser Begrifflichkeit der philosophischen Anthropologie vgl. Plessner, 1965^, S. 237 ff., 249 ff., 288-293, 316. Zur Interpretation der Vernunft bei Hobbes als ausschließlich pragmatisch-zweckrational bzw. "rein instrumental" vgl. etwa Cramer, 1981, S. 52; Kersting, 1992a, S. 75 ff.; Hance, 1991, S. 159; ähnlich Apel, 1983, S. 39. Er geht davon aus, der Begriff "Rationalität" werde heute "eher im Sinne eines wertneutralen und jederzeit für beliebige Zwecke instrumentalisierbaren Vermögens des logischen Schließens bzw. des mathematischen Kalküls verstanden - so wie dies schon bei Thomas Hobbes als Basis der theoretischen und praktischen Vernunft unterstellt wurde". Allerdings hat Apel insofern Unrecht, als die Hobbessche "rechte Vernunft", sofern sie ein Individuum zur Erkenntnis der "natürlichen Gesetzen" führt, niemals "wertneutral" ist, sondern immer orientiert am höchsten individuellen Wert der freien Selbsterhaltung. Die Unhintergehbarkeit dieses evolutiven "Prinzip Eigennutz" unterstellt, erscheint es aber auch nicht als sinnvoll, wenn Apel die Hobbessche Vernunft mit Luther ausschließlich als die "Hure" verstehen will, die sich stets "in den Dienst des egoistischen Selbstinteresses" zu stellen bereit ist (ebd.).

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2.3 "Prinzip Mißtrauen" oder Das notwendige Scheitern der individuellen Moral Das "zweite Gesetz der Natur", das Hobbes - da er sich auf eine Konkurrenzsituation um begrenzte Ressourcen bezieht - folgerichtig aus dem grundlegenden ersten Vernunftgesetz deduziert, beinhaltet eine erste konkretere Regel, von deren allgemeiner Befolgung die Herstellung des sozialen Friedens zu erwarten wäre: "Jedermann soll freiwillig, wenn andere ebenfalls dazu bereit sind, auf sein Recht auf alles verzichten, soweit er dies um des Friedens und der Selbstverteidigung willen für notwendig hält, und er soll sich mit soviel Freiheit gegenüber den anderen zufrieden geben, wie er anderen gegen sich selbst einräumen würde" (Le, S. 100). Dieser Rechtsverzicht erfolgt nach Hobbes entweder nur faktisch als "leinfacher] Verzicht ... wenn man sich nicht darum kümmert, wem der Vorteil daraus zufällt", oder aber formell in Gestalt einer "Übertragung, wenn man beabsichtigt, den Vorteil einer gewissen Person oder Personenmehrheit zukommen zu lassen" (Le, S. 100). Wer aber willentlich ein Recht übertragen hat, der ist - so Hobbes - "verpflichtet oder gebunden, diejenigen, zu deren Gunsten er dieses Recht übertragen oder aufgegeben hat, nicht an der Wahrnehmung des daraus entspringenden Vorteils zu hindern, und er soll - es sei seine Pflicht - seiner eigenen willentlichen Handlung nicht entgegenhandeln" (Le, S. 100 f.). 82 Bei alledem gilt jedoch nach wie vor die unhintergehbare (soziobiologische) Grundregel der Reziprozität, wonach auch der Gegenstand dieser willentlichen Handlung eines Menschen letztlich ein "Gut für ihn selbst" ist (Le, S. 101) bzw., "Motiv und Zweck, um derentwillen Rechtsverzicht und Rechtsübertragung eingeführt worden sind, nichts anderes als die Sicherheit der Person hinsichtlich ihres Lebens und der Mittel [ist], das Leben 82

Hobbes' Argumentation (vgl. auch Le, S. 111) mutet wie die Vorwegnahme eines der Kantischen Anwendungsbeispiel des "kategorischen Imperativs" an (siehe etwa Kant, 1978 2 , VII, S. 29 [BA 18, 19], 52 f. [BA 53 ff.]), nämlich das Beispiel des gegebenen Versprechens. Die Maxime, Versprechen (vertragliche Verpflichtungserklärungen) nicht halten zu wollen, ist nach Kant deshalb selbstwidersprüchlich, weil die verallgemeinerte Praxis dieser Maxime dazu fuhren müßte, daß es die Institutionen "Vertrag" und "Versprechen" irgendwann überhaupt nicht mehr geben könne; aber genau dies könne gerade derjenige nicht wollen, der aus dem Versprechens- oder Vertragsbruch einen Profit ziehen will. Zur gründlichen Analyse der Kantischen Argumentation und ihrer Kritik siehe Schnoor, 1989, S. 129-152; auch Schnoor weist darauf hin (S. 144), bereits Hobbes habe sich "ganz in dieser Richtung" geäußert; zur "Antizipation" der Kantischen Moralphilosophie durch Hobbes siehe auch Boulding, 1989, S. 184.

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so erhalten zu können, daß man seiner nicht überdrüssig wird" (Le, S. 101 f.). Und weil deswegen auch davon auszugehen ist, daß im Naturzustand niemand auf die Idee kommen wird, einseitig auf sein "Recht auf alles" zu verzichten (da er damit gegen die Grund"pflicht" zur freien Selbsterhaltung verstoßen könnte, wäre ein solcher Akt höchst vernunftwidrig83), kann die Idee der Übertragung von Rechten von vorne herein nur auf Wechselseitigkeit angelegt sein, und diese "wechselseitige Übertragung von Recht nennt man Vertrag" (Le, S. 102).84 Und so gelangt Hobbes sehr folgerichtig zu der Überlegung, diese Rechtsidee könne nur dann überhaupt Sinn machen, wenn als drittes Gesetz der Vernunft gilt: "Abgeschlossene Verträge sind zu halten" (Le, S. 110; vgl. Ci, S. 97; El, S. 107: "das Gesetz der Natur, ... daß sich jeder des Rechts usw. entäußern sollte, [wäre] völlig vergeblich und wirkungslos, wenn es nicht auch ein Gesetz derselben Natur wäre, daß jeder Mensch verpflichtet ist, an den Verträgen, die er schließt, festzuhalten und sie zu erfüllen".). Es ist nun nicht erforderlich, die Deduktion sämtlicher weiteren "Gesetze der Vernunft" (vgl. Le, S. 110-120) im einzelnen zu verfolgen, da der Ansatzpunkt zum zentralen Einwand gegen diese "Tugendlehre" in der hypothetischen Formulierung des zweiten Gesetzes der Vernunft bereits gegeben ist: Jedermann soll freiwillig auf sein Recht auf alles verzichten, wenn andere ebenfalls dazu bereits sind. Und wenn nicht? Dann "besteht für niemanden Grund, sich seines Rechts zu begeben, denn dies hieße eher, sich selbst als Beute darbieten - wozu niemand verpflichtet ist - als seine Friedensbereitschaft zeigen" (Le, S. 100). In gegenseitigen Verträgen, in denen die eine Partei den Vertrag nicht sofort erfüllt, müßte die andere Partei auf die spätere Erfüllung seitens der Gegenpartei vertrauen können (vgl. Ci, S. 90). Die Frage ist aber, inwiefern ein solches Vertrauen im Naturzustand (der egoistischen Individuen ebenso wie der "ego" istischen Kin-Groups) gerechtfertigt und dementsprechend ein Aus83

84

Streng genommen müßte sich jedes Individuum im Naturzustand auch jeglichen "einfachen Verzicht" im Sinne Hobbes verbieten, da jeder Gegenstand, auch wenn er von einem Individuum nicht unmittelbar zur eigenen Selbsterhaltung gebraucht wird, doch einem anderen zur Steigerung seiner Macht - und damit seiner Bedeutung als Feind - dienen könnte. Zur differenzierten Darstellung, Analyse und Diskussion der Hobbesschen Vertragslehren siehe v.a. Diesselhorst, 1988, §§ 8-13; ähnlich auch Braungart, 1981, S. 53 f.; Bartuschat, 1981, S. 31 f.; Willms, 1987, S. 146-151; Kersting, 1992a, S. 141148; zur paradigmatischen Funktion der biblischen Bundesidee für Hobbes siehe Kodalle, 1972, S. 70-92.

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druck der rechten Vernunft sein kann - zumal im Zustand des Krieges eines jeden mit jedem Betrug und Gewalt von Hobbes als die beiden "Kardinaltugenden" bezeichnet werden (siehe Le, S. 98 85 ). Aus demselben Grund leuchtet es auch nicht ein, wieso jemand, der im Naturzustand verbal "sein Recht aufgegeben oder übertragen hat", dadurch "verpflichtet oder gebunden" sein sollte, und inwiefern ein Handeln gegen die eigene Aussage als "Ungerechtigkeit oder Unrecht" gelten könnte (Le, S. 100 f.). Im Naturzustand des Krieges aller gegen alle muß es vielmehr eine Tugend sein, viel zu versprechen und nichts zu halten. Wenn also Hobbes das Prinzip "pacta sunt servanda!" zum Gesetz der Vernunft erklärt, dann stellt sich sogleich die Frage, ob dieses Gesetz im Naturzustand nicht etwas verlangt, was dem obersten "Prinzip Eigennutz" zumindest potentiell stets widerspricht. Da es nämlich im Naturzustand keinerlei Rechtssicherheit gibt, niemand also jemals wissen und sicher darauf vertrauen kann, daß der andere den geschlossenen Vertrag auch einhalten wird, wäre es - gemessen am Prinzip Eigennutz - sogar unvernünftig (und damit wider das oberste Gesetz der Natur), wenn irgendjemand sich unbedingt an die vertraglichen Vereinbarungen halten würde. Die Logik dieser Argumentation läßt sich - spieltheoretisch gedacht - so weit zuspitzen, daß im Hobbesschen Naturzustand jeder stets darauf aus sein muß, zuerst vom anderen die Erfüllung des Vertrages (kontrafaktisch unterstellt, hier könnte es derartige "institutionelle Tatsachen" überhaupt geben) zu erwarten und zu verlangen, um dann eventuell die Möglichkeit zu nutzen, ihn zu seinem eigenen Vorteil zu betrügen. Im Naturzustand ist daher keineswegs notwendig derjenige "besser dran", der sich "der Vernunft bedient" 86 , sondern schlicht derjenige, der es am geschicktesten versteht, Machtmittel zu akkumulieren. Natürlich sieht Hobbes dieses Problem, etwa wenn er in "De Cive" (S. 91) ausführt, auf Vertrauen basierende Verträge verlören im Naturzustand immer dann ihre Gültigkeit, wenn "berechtigte Furcht" bestehe, die andere Seite könnte betrügen. Und die Berechtigung zu dieser Furcht ist im Naturzustand

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Im Widerspruch dazu steht Hobbes' Forderung in den "Elements" (S. 125 f.), sich auch im Krieg der Grausamkeit zu enthalten, da diese "gegen das Naturgesetz" sei. Allerdings schwächt Hobbes diese Forderung durch die Bemerkung ab, die Furcht könne "das Gegenteil geboten erscheinen [lassen]" (El, S. 126). Doch wenn der Naturzustand gekennzeichnet ist durch die permanente und beständig wachsende "Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes" (Le, S. 96), dann muß auch die Grausamkeit im Naturzustand immer als geboten erscheinen. Bartuschat, 1981, S. 28.

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in Grunde immer gegeben, so daß es hier keine Basis für gegenseitiges Vertrauen und damit eben auch keinerlei Rechtssicherheit geben kann. 87 Entsprechend argumentiert Hobbes in den "Elements" (S. 125, Ziff. 1), im Naturzustand - als dem Zustand der völligen Rechtsunsicherheit - könnte es schließlich passieren, daß "einer ... seiner natürlichen Neigung folgt und jene Naturgesetze bricht". Deshalb - so Hobbes weiter - bleibe den anderen "keine andere Sicherheit der Selbstverteidigung ... als die Vorbeugung. Und aus diesem Grunde bleibt jedem einzelnen sein Recht - ob er nun friedlich gesinnt sei oder nicht - das zu tun, was er für gut hält, als ein notwendiges Mittel zu seiner Selbsterhaltung". Auch der Friedfertige und Bescheidene ist in diesem Naturzustand faktisch genötigt, Machtmittel zu akkumulieren und sich aller Mittel des Krieges zu bedienen, wenn er nicht das Opfer eines weniger friedfertigen und bescheidenen Konkurrenten werden will - eine Logik, die aus soziobiologischer Sicht auch für den Naturzustand der Kleingruppen im Neolithikum durchaus als gültig angenommen werden kann. Dieses ("prisoner's-")Dilemma ergibt sich auch für das Friedensgebot als dem grundlegendsten Vernunftgesetz: Denn alle Menschen im Naturzustand könnten zwar möglicherweise zu der Vernunfterkenntnis gelangen, der Frieden wäre für jeden einzelnen "gut" (= nützlich). Ebenso könnten sie einsehen, alle Mittel, die zum Frieden führen und ihn erhalten, wären ebenfalls gut. Deshalb ist es logisch richtig, Verhaltensweisen, die - zumindest nach Hobbes' Überzeugung88 - Bedingungen der Möglichkeit des Friedens sind (Billigkeit, Treue, Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft usw.), als im moralischen Sinne "gut", als moralische "Tugenden" zu bezeichnen, die von allen Menschen - letztlich stets im Hinblick auf ihr "wohlverstandenes Eigeninteresse" - praktiziert werden sollten. Aber genau hier liegt der Haken. Wenn nämlich das oberste Gebot im 87 88

Vgl. dazu Boulding, 1989, S. 184 ff.; siehe auch Hösle, 1991, S. 89. Die er nur unter der quasi-transzendentalphilosophischen Voraussetzung verallgemeinern kann, daß alle Menschen a priori prinzipiell mit den gleichen natürlichen Anlagen zur Ausbildung der Vernunft ausgestattet sind. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Annahme sinnvoll, die verschiedensten Menschen könnten bei ihren Überlegungen, welche generellen Handlungsstrategien dem Frieden dienen und welche nicht (dient der Krieg dem Frieden oder nicht?), zu den gleichen Ergebnissen gelangen, die dann zurecht "allgemein" genannt werden könnten. Deshalb ist Hobbes' These aus dem "Dialog" (S. 162) höchst problematisch, wonach es "so viele Arten Vernunft wie Menschen gibt"; denn wenn dies der Fall ist, dann wird es natürlich fraglich, wie die Menschen im Naturzustand auf der Basis einer vernünftigen Entscheidung, die notwendig eine gemeinsame, allgemeine sein muß, zum Ausgang aus ihrer elenden Situation finden sollten.

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Naturzustand lautet, die eigene Selbsterhaltung zu befördern, dann können Verhaltensweisen wie Bescheidenheit, Barmherzigkeit u s w . , eben ein tugendhaftes Verhalten, im Hobbesschen Naturzustand des Krieges aller g e g e n alle durchaus als vernunft-widrig angesehen werden, da ein Individuum im Z w e i fel genau durch dieses Verhalten die Blöße bietet, in die der machthungrige Nachbar stoßen kann. 8 9 Inwiefern können aber solche (potentiell) vernunftwidrigen Verhaltensweisen noch als "gut" gelten und v o n irgend jemandem praktiziert werden sollen? Im Naturzustand wird die Tugend zur Untugend, die Moral z u m Kapitalverbrechen an sich selbst - et vice versa; im Naturzustand wäre es unvernünftig, sich vernünftig zu verhalten - womit die paradoxe Struktur der Hobbesschen Naturrechtskonzeption deutlich markiert ist (abgesehen davon, daß "Tugend" und "Untugend" streng g e n o m m e n überhaupt keine Kategorien des Naturzustandes sein k ö n n e n ) . 9 0 89

So gerät zum Beispiel das in "De Cive" (S. 105) genannten zehnte "Gesetz der Natur", das Gebot der "Billigkeit", in der Naturzustands-Situation unweigerlich mit dem obersten Gebot der Selbsterhaltung in Konflikt. Das Billigkeits-Gebot fordert nämlich, man dürfe bei der "Verteilung des Rechts" niemanden bevorzugen, sondern müsse alle gleich behandeln. Die Forderung nach der uneingeschränkten Gleichbehandlung aller "verletzt" aber einerseits das evolutionäre Prinzip der "kin selection" und dürfte bereits deshalb praktisch nicht leicht zu realisieren sein; zum anderen aber steht jede zu "billigem" Verhalten bereite Gruppe stets vor der Frage, ob die anderen sich reziprok verhalten werden oder nicht. Es erscheint tatsächlich auch aus heutiger Sicht als fraglich, ob dieses "Gesetz" mehr ist als ein idealistischer Wunsch. Denn das Phänomen der "Vetternwirtschaft", des Nepotismus, prägt die gesamte Politik-Geschichte der Menschheit dermaßen, daß ein dagegen gerichtetes Vernunft-Urteil als naiv anmutet; vgl. dazu z.B. Vogel, 1989, S. 27-37; Wuketits, 1993b, S. 189 f., 214 f.

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Vgl. dazu Tönnies, 1975, S. 230; Kodalle, 1972, S. 50 f., 52 ff.; Weiß, 1980, S. 179 ff.; Cramer, 1981, S. 57; Sorell, 1986, S. 96 f., 111 ff. Ein entsprechendes Ergebnis ergibt sich auch aus Hobbes' handlungstheoretischer Grundüberlegung, wonach der Wille eines Menschen Ursprung seiner Handlungen ist (Ci, S. 124; vgl. auch El, S. 90, Ziff. 6). Ursächlich für den Willen eines Menschen sind wiederum die beiden Grundmotive Hoffnung und Furcht. Hoffnung (auf einen größeren Vorteil oder ein kleineres Übel) und Furcht (vor einem größeren Übel oder einem kleineren Vorteil) legitimieren den Menschen im Naturzustand - wie oben dargelegt -, sich vernünftigerweise gegen die "Gesetze der Vernunft" zu verhalten; vgl. dazu v. a. Le, S. 46 f.; hier kommt Hobbes zu dem klaren Ergebnis, der Wille sei nicht "vernünftige Neigung", sondern schlicht "die Neigung, die beim Überlegen am Schluß überwiegt" - gleichgültig, ob sie nun rational oder irrational ist. Zur Problematik der Willensfreiheit bei Hobbes vgl. Hönigswald, 1971, S. 136 ff.; Tönnies, 1975, S. 226 ff.

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Dies bedeutet schließlich vor allem, daß es selbst dann, wenn alle Individuen zur Vernunft kommen, die "Gesetze der Natur" erkennen und die Notwendigkeit ihrer Befolgung einsehen, dennoch nicht zum Ausgang aus dem Naturzustand kommen wird, weil niemand je sicher sein kann, ob nicht irgendein anderer seine Bereitschaft zum Rechtsverzicht nur vortäuscht. Die Lösung des Naturzustands-Problems auf der Basis individueller Moral muß daher notwendig scheitern.91 91

Zu der grundsätzlichen Überlegung siehe Bartuschat, 1981, S. 29 f.; Höffe, 1981b, S. 115 ff.; zum Scheitern der natürlichen Selbsterhaltung siehe v.a. Hobbes' eigene Äußerungen in Le, S. 105; Ci, S. 90 f.; El, S. 104.; Gehrmann, 1970, S. 55 ff.; Weiß, 1980, S. 167 ff.; Höffe, 1981b, S. 126; Mackie, 1983, S. 139 f.; Kodalle, 1972, S. 38; ebenso Gauthier, 1990, S. 13-22; Forschner, 1989, S. 155: "Hobbes glaubt (zu Recht) nicht an die Möglichkeit einer gleichzeitigen, dauerhaften und verläßlichen generellen Selbstdisziplinierung der Menschen durch Vernunftargumente"; zur Notwendigkeit "moralischer Institutionen" siehe auch Kliemt, 1985; zum Zusammenhang von Mechanizismus und Künstlichkeit in "De Corpore" und der Einleitung zum "Leviathan" siehe Commers, 1979, S. 147 ff. Mit diesem Hinweis auf die zur Friedenssicherung gegebene Notwendigkeit der Begründung sozialer Herrschaft ist freilich nicht gesagt, es könnte unter Menschengruppen keinerlei vor-staatliche Formen der Konfliktkontrolle geben (vgl. dazu Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 245-272). Die These lautet jedoch, daß alle diese vorstaatlichen Formen - vornehmlich im Zuge der zunehmenden Ressourcenknappheit und entsprechenden Verschlechterung der Überlebens- und Reproduktionsbedingungen - letztlich zum Scheitern verurteilt sind. Schräder (1975, S. 310 f.) geht aus von Hobbes' Definition der Vernunft als dem richtigen Rechnen mit allgemeinen, anerkannten Namen und Begriffen; das Ergebnis einer fehlerfreien Rechnung gilt als "wahr". "Wahrheit" und "Falschheit" sind aber für Hobbes Attribute der Sprache, nicht von Dingen (vgl. Le, S. 27 f.). Wenn aber dies der Fall ist, dann muß es möglich sein, die Wahrheit und Falschheit von Sätzen (bzw. Rechenoperationen) interessefrei einzusehen und auf diesem Wege "zwischen allen der Vernunft fähigen Individuen Übereinstimmung" zu erzielen. Letztlich sind auch die Operationen der Vernunft auf den je eigenen Vorteil ausgerichtet, so daß zuletzt Vernunft und Klugheit wieder zusammenfallen müssen; zunächst führt Vernunft jedoch - anders als die vergleichsweise kurzsichtige Klugheit - eine abstrakte, den eigenen Vorteil nicht direkt anstrebende Rechenoperation durch, die gerade durch ihre Abstraktheit geeignet ist, von allen ohne persönliches Risiko mitvollzogen zu werden. Der problematische Punkt ist jedoch unweigerlich dann erreicht, wenn alle beteiligten Individuen eine durchgeführte rationale Operation als fehlerfrei und damit als "wahr" anerkannt haben und nun die praktische Umsetzung im Sinne der Klugheit jedes Individuums erfolgen soll. Denn mit diesem Schritt müßte die abstrakte, risikolose Ebene verlassen werden, und jedes Individuum wäre wieder auf

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Wenn es also für den einzelnen im Naturzustand alles andere als vernünftig wäre, sich den "Gesetzen der Vernunft" gemäß zu verhalten, da er sich "hiermit nicht den Frieden, sondern nur einen sicheren und frühzeitigeren Untergang bereiten" würde (Ci, S. 110), inwiefern kann es dann noch sinnvoll sein, von natürlichen Gesetzen zu reden, die - Befehlscharakter tragend für irgendein Individuum gelten, irgendwen zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten könnten (vgl. Le, S. 203 f.)?

2.3.1 Wieso gelten die "Gesetze der Natur"? Um den Gesetzes-Status der natürlichen Gebote der Vernunft verteidigen zu können, nimmt Hobbes eine formale Differenzierung zwischen der Geltung jener Gesetze "in forum internum" und "in forum externum" vor. Demnach entwickeln diese Gebote im Naturzustand zwar keine reale Verbindlichkeit; sie sind hier im Grunde "keine eigentlichen Gesetze, sondern Eigenschaften, die die Menschen zu Frieden und Gehorsam hinlenken" (Le, S. 205; vgl. Ci, S. 114, Ziff. 33); gleichwohl verpflichten sie aber "immer und überall innerlich oder vor dem Gewissen [in foro interno; T. M.]" (Ci, S. I I I ) . 9 2 Dies bedeutet, daß diese "Gesetze" der Natur unabhängig von ihrer Konkretion in positiven staatlichen Normen in foro externo nicht unmittelbar und unbedingt verpflichtend sind. 93 Doch auch dieser Lösungsversuch hilft nicht aus dem Geltungs-Dilemma heraus. Denn auch für dieses "Gewissen", das demnach den Menschen im Naturzustand stets sagen soll, welches Handeln im Naturzustand gemäß den Geboten der rechten Vernunft eigentlich besser und welches schlecht wäre, stellt sich im Naturzustand jederzeit die Frage, ob das betreffende Individuum dem Urteil seines Gewissens auch tatsächlich folgen soll, oder ob nicht genau

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sein Mißtrauen zurückgeworfen, ob der oder die anderen jene praktische Umsetzung des "wahren" Vernunftschlusses ebenfalls mitvollziehen werden. Es reicht offensichtlich nicht, das Gute zu wissen, um das Gute zu tun. Interessant wäre ein Untersuchung dieser Stelle im Zusammenhang mit dem Hobbes drohenden Atheismus-Vorwurf; so weist etwa Schräder (1977, S. 579; vgl. auch ders., 1975, S. 318) darauf hin, die Gesetze der Natur seien deshalb "in foro interno" verpflichtend, da sie "Ausdruck des Willens Gottes" seien. Zur DoppelungsProblematik der Hobbesschen Ethik in Naturrecht und positives Recht siehe Ackerman, 1976; zur Problematik der Geltung der Naturgesetze "in foro interno" und ihrem "Schweigen in foro externo" vgl. auch Gehrmann, 1970, S. 56-61. Vgl. zu dieser Interpretation Euchner, 1982, S. 179; ähnlich Schräder, 1975, S. 317; Strömholm, 1991, S. 154.

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dies wiederum auf die unvernünftige - und damit dem ersten Gesetz der Natur widersprechende - Selbstaufopferung hinauslaufen könnte. Schließlich könnte man die kritische These an diesen Überlegungen Hobbes' derart zuspitzen, daß man das Gewissen selbst als unvernünftig bezeichnet, weil es die rigorose Durchsetzung der eigenen Interessen hemmen kann. Abgesehen davon ist Hobbes' Rekurs auf das "Gewissen" als einer allen Individuen im Naturzustand zu Gebote stehenden normativ-moralischen Instanz bereits deshalb merkwürdig, weil er an anderer Stelle betont, es gebe "keine von der Natur eingesetzte rechte Vernunft" (Le, S. 33; Hervorhebung T.M.). Die Differenzierung zwischen "forum internum" und "forum externum" fuhrt nach Hobbes im Naturzustand notwendig dazu, daß im Verhältnis der Individuen untereinander "die Gesetze schweigen"; d.h., sie existieren zwar nach wie vor, "verpflichten" auch jedes Individuum in foro interno, können aber nicht praktisch realisiert werden, weil ihre allgemeine Beachtung nicht garantiert werden kann. Doch damit ist die Frage nicht beantwortet, inwiefern dann im Naturzustand sinnvollerweise noch von "Gesetzen der Vernunft" die Rede sein sollte, wenn ihre Befolgung im Zweifelsfall unvernünftig sein kann. Sie können jedenfalls nicht mehr "Gesetze" im dem Sinne sein, daß sie Befehlscharakter tragen und zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen rechtmäßig verpflichten können, sondern lediglich so etwas wie bloße hypothetische Imperative der kalkulierenden Vernunft ("Wenn du Frieden willst, solltest du dich so und so verhalten - unter der Voraussetzung, daß die anderen dies ebenfalls tun und du sicher sein kannst, daß sie dich nicht täuschen"). 94 Sämtliche "Gesetze der Vernunft" sind demnach gleichsam stets im Konjunktiv zu lesen: Sie gelten zwar "in foro interno" und sollten vernünftigermaßen auch "in foro externo" gelten; hier "schweigen" sie jedoch, solange die Reziprozität ihrer Beachtung nicht gesichert ist. Und wann sollte dies eingedenk der Erkenntnis, daß "das Band der Worte viel zu schwach ist, um den Ehrgeiz, die Habgier, den Zorn und die anderen menschlichen Leidenschaften ... zu zügeln" (Le, S. 105; vgl. ebd., S. 228) - im Naturzustand je möglich sein? Demnach hätte Diesselhorst mit seiner massiven Kritik an Hobbes recht, dieser lasse "die im Gewissensphänomen sich meldende personale Verantwortlichkeit" außer acht, bzw. weise ihr lediglich eine "dem Leben dienende Nützlichkeitsfunktion" zu. Deshalb könne er auch nicht den Geltungsgrund der "natürlichen Gebote", "insbesondere auch nicht den Geltungsgrund der Treuepflicht bei Verträgen" angeben; insofern hält es Diesselhorst für

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Vgl. Weiß, 1980, S. 173; Kliemt, 1985, S. 24.

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"merkwürdig", daß Hobbes die Gebote der Vernunft für "schlechthin verbindlich" erkläre. 95 Aus soziobiologischer Sicht ist diese Kritik in zweierlei Hinsicht gleichsam zu "entschärfen": Zum einen ist die Hobbessche Reduktion des menschlichen Gewissens auf eine lebensdienliche Nützlichkeitsfunktion in Rahmen eines strikten materialistischen Systems als die einzig konsequente Argumentationsstrategie anzuerkennen. Wenn alle menschlichen Systemeigenschaften letztlich auf (mehr oder minder) adaptive Anpassungsleistungen an kontingente vergangene Überlebensbedinungen zurückführbar sein sollen, dann muß dies konsequenterweise auch für jene "moralische" Systemeigenschaft gelten, die wir "Gewissen" nennen.96 Zum zweiten übersieht Diesselhorst, daß Hobbes zwar davon spricht, die "natürlichen Gesetze [verpflichteten] in foro interno", jedoch lediglich "zu dem Wunsch, daß sie gelten mögen". Ausdrücklich sagt Hobbes aber, sie verpflichteten "in foro externo, das heißt zu ihrer Anwendung, nicht immer" (Le, S. 121; vgl. auch Ci, S. I I I ; Hervorhebung T.M.). Hobbes erläutert diese Einschränkung, indem er auf die Unvernunft desjenigen verweist, der im Naturzustand den natürlichen Geboten entsprechend handeln will, sich jedoch damit "nur den anderen zur Beute darbieten und seinen sicheren Ruin herbeiführen" würde (Le, S. 121; vgl. Ci, S. 110). In diesem Fall wäre eben das Befolgen der natürlichen Gebote selbstwidersprüchlich und - paradox - eine Verletzung der ersten Gebote der Vernunft. 97 Das ändert jedoch nach Hobbes nichts an der "Verbindlichkeit" der natürlichen Gesetze in foro interno, sofern sie dem vernünftigen Eigeninteresse jedes Menschen entsprechen bzw. in praxi dann entsprechen würden, wenn jeder ihnen gemäß handelte. Jeder einzelne ist nach Hobbes kraft seiner Gabe der Vernunft - das heißt der Fähigkeit zu rational kalkulierender Antizipation künftiger Zustände - in der Lage zu erkennen, daß die allgemeine Praxis jener natürlichen Regeln der Vernunft zu einer Verbesserung des eigenen Lebens führen würde. Insofern ist nicht nur das Gewissen, sondern sind auch sämtliche "Gesetze der Vernunft" - nicht weniger die

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Diesselhorst, 1988, S. 47. Vgl. zu dieser Überlegung Ruse, 1993, S. 161 f., 163 ff. Das "Gewissen" ist demnach erklärbar als die subjektive Furcht, bei einem unsozialen Verhalten ertappt oder eines solchen Verhaltens im Nachhinein überführt zu werden. Die "genegoistische" Funktion dieser menschlichen Systemeigenschaft liegt auf der Hand. Ein Umstand, der offensichtlich auch Bartuschat (1981, S. 28) völlig entgeht.

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"Gesetze der Moral" und damit auch das "Gesetz Gottes" - letztlich praktischegoistische Nützlichkeitsregeln.98 Aus soziobiologischer Sicht kann hier wiederum für Hobbes argumentiert werden, daß die Menschen im Naturzustand (der konkurrierenden Kleingruppen in einer überlasteten ökologischen Nische) nicht nur die Notwendigkeit des Friedens als Bedingung einer Verbesserung der Lebensqualität einsehen können, sondern als soziale Lebewesen zudem sowohl ein natürliches Bedürfnis nach Frieden und Sicherheit haben als auch die "Gesetze der Vernunft" im Binnenbereich der eigenen Ingroup bereits immer (auch) praktizierten. Dieser natürlichen menschlichen "Friedenssehnsucht", die etwa Eibl-Eibesfeldt dem Menschen zuspricht", entspricht im Hobbesschen System der mehr oder minder stark ausgeprägte - Wunsch jedes Individuums im Naturzustand, die Gesetze der Vernunft mögen nicht nur "in foro interno" (in der Ingroup), sondern auch "in foro externo" (zwischen den Gruppen) gelten. Hobbes argumentiert auch dann im Einklang mit der Soziobiologie - mehr sogar als mit seiner eigenen radikal-individualistischen Grundprämisse! -, wenn er "Billigkeit, Gerechtigkeit, Dankbarkeit" usw. als menschliche "Eigenschaften" kennzeichnet, "die die Menschen zu Frieden und Gehorsam hinlenken" (S. 205). Im Verhältnis zur Ingroup sind diese "Eigenschaften" bereits immer funktionierende - und somit de facto "geltende" - "Gesetze" des sozialen Zusammenlebens; hier ist es adaptiv, der "Stimme des Gewissens" zu folgen. Im Verhältnis zur Outgroup aber "schweigen" diese Gesetze. 100 Zwischen den Gruppen in einer überlasteten ökologischen Nische schweigen diese Gesetze genau deshalb, weil "reziproker Altruismus" zwar als eine adaptive Strategie des Verhaltens auch unter nichtverwandten Partnern möglich und im Sinne des längerfristig kalkulierten Eigeninteresses "vernünftig" sein kann-, 98

Schräders (1977, S. 579) These, der Verpflichtungscharakter der "laws of nature" "in foro interno" sei auf den "Ausdruck des Willens Gottes" zurückzuführen und deshalb "moralisch" verpflichtend, ist demnach keineswegs zwingend; aus soziobiologischer Sicht kann sie jedenfalls widerspruchsfrei zurückgewiesen werden. Vgl. zur entspr. Hobbes-Interpretation Weiß, 1978, S. 174 f.; ähnlich Kliemt, 1985, S. 27. 99 Vgl. etwa Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 272 ff. 100 Auch Hume (1972, S. 29) erweist sich mit der These als ein Urahne der Soziobiologie, im Falle des Zusammenschlusses mehrerer Familien, in deren Binnenbereich bereits "bestimmte Normen als unentbehrlich" akzeptiert waren, erweitere "sich der Bereich der Regeln, die Frieden und Ordnung sichern, bis an die äußerste Grenze jener Gemeinschaft, sie verlieren aber ihre Geltung einen einzigen Schritt darüber hinaus, da sie dann gänzlich nutzlos werden".

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zugleich ist aber davon auszugehen, daß dieses "mutualistischef] Zusammenwirken ... besonders durch 'Betrug' gefährdet [ist], also durch einseitige Vorteilnahme durch einen überlegenen oder einfach rücksichtslosen Partner, der den anderen nach erfolgter Zusammenarbeit um den Lohn seiner Mühen bringt". 101 Und die "Gesetze der Vernunft" schweigen so lange, bis "die Menschen schließlich des regellosen gegenseitigen Hauens und Stechens müde" geworden sind (Le, S. 245), bis die äußeren Bedingungen des Naturzustandes, der zunehmende Leidensdruck, die Furcht vor dem gewaltsamen und frühen Tod, die Einsicht in das Scheitern gewaltsamer Versuche des Entkommens und die Hoffnung auf eine Verbesserungen der je eigenen Lebensverhältnisse den vernünftigen Wunsch dominant werden lassen, diese Gesetze des Friedens und der Sicherheit sollten auch in einem weiteren Rahmen über die ursprünglichen Grenzen der genetischen Ingroup hinaus gelten (vgl. Le, S. 245). Doch die Realisierung dieses vernünftigen Wunsches ist aus soziobiologischer (und spieltheoretischer) Sicht nicht minder problematisch als aus der Sicht von Hobbes.

2.4 Die Notwendigkeit von Herrschaft Es spricht demnach für den Realitätssinn Hobbes', wenn er sämtliche Vernunft-Erwägungen wieder in Zweifel zieht, indem er dem Menschen die (allgemeine) Fähigkeit und vor allem den Willen abspricht, sich alleine aufgrund moralischer Einsicht gemäß diesen "Geboten der rechten Vernunft" zu verhalten (Ci, S. 110, Ziff. 27; vgl. Le, S. 105, 120 f.). Seine Überlegungen laufen also auf die entscheidende Problematik hinaus, wie die Menschen sich selbst in eine Lage versetzen können, in der die Befolgung der "Gebote der Vernunft" nicht mehr "bloß eine ehrwürdige Form der Dummheit" 102 wäre, sondern ein Gebot der (langfristig kalkulierenden) Klugheit. 101 Markl, H., 1990, S. 394; vgl. entspr. Mohr, 1987, S. 3 f. Die Formulierung Markls stimmt inhaltlich exakt mit Hobbes' Behauptung überein, im Naturzustand sei auch derjenige, der eigentlich mit einem bescheidenen Dasein zufrieden wäre, gezwungen, nach immer mehr Macht zu streben, da er sich ansonsten einem nicht bescheidenen Nachbarn ausliefern würde (vgl. etwa Le, S. 75; El, S. 97, 125); entspr. argumentiert - auf einer höheren Ebene - auch Gehlen, 1986~\ S. 103: "... die Sicherheit eines Staates und seiner Bevölkerung wird nicht etwa erst durch feindliche Absichten anderer bedroht, sondern bereits durch mögliche feindliche Absichten, ja nicht etwa nur durch etwas so Psychologisches wie Absichten, sondern durch objektive Entwicklungen verschiedenster, meist unvorhersehbarer Art". 102 Nietzsche, 1985, II, S. 81.

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Die für die Realisierung der Vernunftgesetze erforderliche Sicherheit - so Hobbes' Erkenntnis - ist alleine dadurch erreichbar, "daß jeder sich geeignete Hilfe verschafft, damit der Überfall des einen auf den anderen so gefährlich werde, daß beide es für sicherer halten, die Gewalt zu unterlassen statt anzuwenden" (Ci, S. 125).103 Diese Schutzbündnisse müssen nach Hobbes zudem zahlenmäßig so groß sein, "daß eine geringe Zahl Menschen [und Machtmittel! T.M.] mehr auf Seiten des Feindes für die Erlangung des Sieges von keiner erheblichen Bedeutung für [sie] ist" (ebd.). Es stellt sich aber - auf der Grundlage des Hobbesschen Menschenbildes erneut und unerbittlich die Frage, wie derartige pragmatische, zweckrationale Gemeinschaften im radikal-individualistischen Zustand des Krieges aller gegen alle, in dem niemand niemandem trauen kann und darf, überhaupt je entstehen können sollten. Ferner ist das Problem zu lösen, wie der Bestand dieser zweckrationalen Institutionen auch über die Erreichung eines unmittelbar gesetzten Zweckes hinaus zu sichern ist, da ohne diese Bestands-Sicherung gemäß dem Wesen der Menschen stets die Gefahr besteht, daß ein solches, eher lockeres Zweckbündnis nach Erreichung des Zweckes eher früher als später wieder zerfällt - mit der inakzeptablen Konsequenz, daß die ehemals im Zweckbündnis friedlich koexistierenden Individuen sich wieder feindlich gegenüberstehen müßten (vgl. Ci, S. 126; Le, S. 132 f.). Hobbes berühmte Folgerung aus seinen Annahmen über das Wesen des Menschen und das "Schicksal" der "Gesetze der Vernunft" im Naturzustand lautet bekanntlich, ein dauerhafter Friede unter Menschen sei nur möglich, "wenn die einzelnen ihren Willen dem Willen eines einzelnen, d.h. eines Menschen oder einer Versammlung so unterwerfen, daß dieser Wille für den Willen aller einzelnen gilt, soweit er etwas über das zum gemeinsamen Frieden Notwendige bestimmt" (Ci, S. 128). Der kollektiven Unterwerfung unter die Macht eines anderen liegen zwei Motive zugrunde: Erstens der Wunsch nach effektiver Selbsterhaltung (und in der Folge einem "guten Leben"); zweitens aber die Furcht vor dem Scheitern der Selbsterhaltung. Demnach ist der Letzt-Grund, warum Menschen sich in eine staatliche Rechtsordnung fügen, obwohl dies gleichbedeutend ist mit dem Verlust der absoluten Freiheit, für Hobbes nichts als der reine - freilich wohlverstandene, langfristig kalkulierende - Eigennutz, der Wunsch der Menschen im Naturzustand, "dadurch für ihre Selbsterhaltung zu sorgen und ein zu-

103 Klarer kann man das Prinzip des "Kalten Krieges" nach 1945 kaum ausdrücken; vgl. Kersting, 1992b, S. 159 f.; ebs. Schaefer, 1993, S. 23 f.

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friedeneres Leben zu führen" (Le, S. 131). 1 0 4 Der Hobbessche Staat entspringt aus der "Logik kalkulierter Selbsterhaltung". 105 104 Vgl. entspr. Hume, 1972, S. 45 f. Für Paeschke (1989, S. 113 f.) ergibt sich aus dieser Überlegung ein fundamentaler Widerspruch bei Hobbes, der auch durch die verschiedenen staatstheoretischen, auf die Herstellung von Kohärenz angelegten Interpretationsansätze, etwa durch Schmitt, Schelsky, Willms, Kodalle und Hönigswald, nicht behoben werden könne: "die Menschen schließen sich der Verfolgung ihrer Interessen wegen zum Staat zusammen, der die Ermöglichung dieser Interessenverfolgung als souveräne Gewalt gegen sie durchsetzt". Doch genau diese paradoxe zweite Bestimmung, der Staat solle die Interessen seiner Bürger gegen sie durchsetzen, ist zu eng. Denn zunächst wird jeder Untertan erwarten, der von ihm mit konstituierte Staat werde seine j e eigenen Interessen für ihn durchsetzen. Nur diese individualistische Sichtweise vom einzelnen Untertanen her ist Hobbes-adäquat. Daß diese Durchsetzung immer zu Lasten der Interessen Dritter gehen muß, ist einer der Belege dafür, daß der "Naturzustand" auch im Staat nicht negiert ist und nicht negiert werden kann, da sich an der Konfliktnatur des Menschen nichts ändert. Als Gegenleistung für den Freiheitsverzicht seiner Untertanen steht der Staat in erster Linie dafür ein, daß diese nun gegeneinander (!) Sicherheit haben. Dieses Paradox der Hobbesschen Freiheitstheorie: "Nur indem du die (totale) Freiheit aufgibst, kannst du (sichere) Freiheit gewinnen", liegt demnach in der Natur des Menschen begründet und ist kein Denkfehler im Hobbesschen System. Gehlen (1986^, S. 96) hat diese Hobbessche Erkenntnis als "unser Lebensgesetz" bezeichnet: "Verengung der Möglichkeiten, aber gemeinsamer Halt und gemeinsame Abstützung; Entlastung zu beweglicher Freiheit, aber innerhalb begrenzter Gefüge". Auch Kodalles Behauptung (1972, S. 59), die Hobbessche Staatskonstruktion bräche aufgrund dieses besagten Widerspruches in sich zusammen, wenn sie nicht durch eine "theologische Komponente" abgesichert werde, d.h. dadurch, daß die Gesetze der Natur und die Gesetze Gottes identisch sind, erscheint nicht als zwingend. Die Gesetze der Natur, verstanden als von der pragmatischen Vernunft "ermittelte" Regeln für ein kluges Verhalten, sind im Verband mit der menschlichen Furcht vor Leid, Elend und gewaltsamem Tod stark genug, auch prinzipielle Todfeinde zur Kooperation zu zwingen. 105 Höffe, 1981b, S. 120; entspr. Service, 1978, S. 22; Räder, 1990, S. 4; zum individuellen Eigennutz als Basis staatlichen Handelns siehe auch Ackerman, 1976, S. 420 f. Die Aufspaltung des menschlichen Reflexionsvermögens in die (im Naturzustand letztlich dysfunktionale) "partikulare Reflexion der Klugheit" im Gegensatz zur "allgemeinefn] Reflexion der Vernunft" (Höffe, 1981b, S. 124; vgl. Weiß, 1980, S. 174 ff.) kann daher in diesem Punkt als aufgehoben betrachtet werden. So stellt etwa Höffe (1982, S. 48) zutreffend die "Konvergenz von Vernunft und Klugheit" in Hobbes' Theorie fest. Die praktische Realisierung der "Gesetze der Vernunft" ist bei Hobbes in sozialpragmatischer Absicht gleichbedeutend mit der auf das wohlver-

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Im grundlegenden, demokratischen Akt der (politischen!) Staatsgründung schließt "jeder Mann ..., in Erwägung des Vorteils für seine eigene Sicherheit und Verteidigung, mit jedem anderen einen Vertrag" (El, S. 142, Ziff. 2; Hervorhebung T.M.) mit dem Inhalt: "Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, daß du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst" (Le, S. 134; vgl. Ci, S. 127 f). "Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, ... jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken" (Le, S. 134). ioe In diesem Sinne geht später auch Kant in seiner "Kritik der reinen Vernunft" davon aus, "die endlosen Streitigkeiten einer bloß dogmatischen Vernunft [nötigten], endlich in irgend einer Kritik dieser Vernunft selbst, und in einer Gesetzgebung, die sich auf sie gründet, Ruhe zu suchen; so wie Hobbes behauptet: der Stand der Natur sei ein Stand des Unrechts und der Gewalttätigkeit, und man müsse ihn notwendig verlassen, um sich dem gesetzlichen Zwange zu unterwerfen, der allein unsere Freiheit dahin beschränkt, daß sie standene Eigeninteresse zielenden Klugheit eines jeden Individuums; zum Verhältnis zwischen "Vernunft" und "Klugheit" bei Hobbes siehe die differenziertere Analyse bei Schräder, 1975, S. 310 ff. Auch er kommt zu dem Ergebnis, der Gesellschaftsvertrag markiere in Hobbes' System den Punkt, "an dem Vernunfterkenntnis und das durch Klugheit geleitete Interesse konvergieren" (ebd., S. 310). In philosophiegeschichtlicher Hinsicht ist der Hinweis von Hance (1991, S. 156) interessant, die Degradierung ("demotion") der Klugheit von einer Primärtugend zur bloßen "mnemonic capacity" bzw. "unreliable form of assosiative knowledge", die der Mensch mit den Tieren teile, stelle einen radikalen Wandel des menschlichen Selbstverständnisses dar. 106 Zur Problematik, ob der Naturzustand logisch den "Leviathan", also die institutionelle Absicherung des "Staates" zur Folge hat, siehe Paeschke, 1989, S. 95. Sie bestreitet die Folgerichtigkeit dieser Konsequenz, da im Friedensschluß doch ganz offensichtlich die menschlichen Aggressionsneigungen der Vernunft untergeordnet würden und daher eine diese Aggressionsneigungen zügelnde, institutionalisierte Macht überhaupt nicht mehr erforderlich sei (vgl. die ähnliche Argumentation bei Tönnies, 1975, S. 232 f.). Die Frage ist natürlich, was von der besagten zügelnden Kraft der Vernunft zu halten ist. Kommt man zu dem Ergebnis - und auch dies dürfte im Verlauf der humanen Evolution das Ergebnis eines langwierigen und überaus leidvollen Erfahrungsprozesses gewesen sein -, daß sich auf der Basis der (individuellen) Vernunft allein kein stabiles soziales Gebilde jenseits der Grenzen der biogenetischen "Ingroup" errichten und erhalten läßt, dann gelangt man über einen erneuten Reflexions- und Projektionsschritt wiederum zur "Notwendigkeit des Leviathans" (Macpherson, 1967, S. 39 f.).

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mit jedes anderen Freiheit und eben dadurch mit dem gemeinen Besten zusammen bestehen können".107 Abgesehen davon, daß man mit Hobbes wohl nicht von einem "Stand des Unrechts" im Naturzustand reden kann, sondern eher von einem "Stand der Rechtsunmöglichkeit", trifft Kant hier punktgenau das Grundparadox der Hobbesschen Staatsphilosophie: Freiheit ist nur dadurch zu erhalten, daß man sie (teilweise) aufgibt. 108 Und radikaler noch als Hobbes, der durchaus von der Möglichkeit praktizierter "echter" Moral bzw. der Möglichkeit der Entwicklung des Menschen zur "Ähnlichkeit mit Gott" im Staat ausgeht (Ci, S. 59) 109 , behauptet Scho107 Kant, 1976 2 , IV, S. 640 [B 780, 781; A 752, 753], 108 Diese Dialektik der Freiheit, die sich selbst erst durch einen gewissen Selbstverzicht ermöglicht, erkennt auch Baumanns (1977, S. 29) im Hinblick auf den interindividuellen Naturzustand bei Hobbes: "Die Selbstbefreiung muß also nicht nur selbsttätige Befreiung, sie muß auch partielle Befreiung vom eigenen Selbst sein. Freiheit muß durch Betätigung von Freiheit gegen Freiheit erworben werden"; ähnlich bereits Gehlen, 1986 5 , S. 95 ff.; vgl. auch Kliemt, 1985, S. 28. 109 Wie könnte Hobbes diese merkwürdige Behauptung rechtfertigen, im Staat könnten sich die - nach wie vor miteinander konkurrierenden! - Menschen "durch Gerechtigkeit und Liebe, [den] Tugenden des Friedens", jener "Ähnlichkeit mit Gott" annähern? Möglicherweise könnte hier das Prinzip weiterhelfen: Man leistet sich nur die Moral, die man sich leisten kann. Unter der Voraussetzung, daß jeder staatliche Versuch, seine Bürger zu moralischer Güte zu erziehen, notwendig scheitern muß, wenn er ihnen ein materiell sorgenfreies, angenehmes Leben nicht in ausreichendem Maß bieten oder in Aussicht stellen kann, erscheint umgekehrt der Schluß als nachvollziehbar, die Bürger könnten dann, wenn ihre Primärinteressen nach persönlicher Sicherheit und einem angenehmen Leben befriedigt sind, auch viel eher bereit sein, eine "höhere" Moral zu akzeptieren, sich eine höherwertige, die Ebene des kruden "Prinzip Eigennutz" transzendierende, "gottähnlichere" Moral zu leisten - mit Brecht: erst kommt das Fressen, dann die Moral! Siehe zu dieser Problematik Strauss, 1956, S. 196 f. In diesem Zusammenhang erscheint es auch sinnvoll, auf einen Punkt aufmerksam zu machen, der vor allem in der wissenschaftlichen Diskussion der Rawlsschen "Theorie der Gerechtigkeit" im Verhältnis zur eher hobbesianischen Gesellschaftsphilosophie zu Mißverständnissen führt (Vgl. etwa Schaber, 1990, S. 157 ff. [Buchbesprechung von Gauthier, 1986]): Während es Rawls und den sich an seine Lehre anlehnenden Theoretikern letztlich um die Begründung einer gerechten Gesellschaft geht, ist dies bei Hobbes gerade nicht, zumindest nicht primär der Fall. Hobbes geht es um die Begründung einer Gesellschaft, die zunächst ausreichend stabil ist, in ausreichendem Maße persönliche Sicherheit gewährleistet und insofern ausreichend funktionstüchtig ist. Eine gerechte Gesellschaft im absoluten Sinne ist für den Hobbesianer - wenn nicht aufgrund der angenommenen Unhintergehbarkeit der men-

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penhauer: "Der Staat ist, wie gesagt, so wenig gegen den Egoismus überhaupt und als solchen gerichtet, daß er umgekehrt gerade aus dem sich wohl verstehenden, methodisch verfahrenden, vom einseitigen auf den allgemeinen Standpunkt tretenden und so durch Aufsummirung gemeinschaftlichen Egoismus Aller entsprungen und diesem zu dienen allein da ist, errichtet unter der Voraussetzung, daß reine Moralität, d.h. Rechthandeln aus moralischen Gründen, nicht zu erwarten ist; außerdem er selbst ja überflüssig wäre". 1 1 0 Die Hobbessche Staatsgründung basiert konsequent auf der zentralen (soziobiologischen) Prämisse: Alle Menschen streben von ihrer Natur, ihrem "Wesen" her stets nach Maximierung ihren persönlichen bzw. "inklusiven" Nutzens. Insofern hat Bartuschat recht, wenn er sagt, für Hobbes stehe das "Gute an sich" im Prinzip der freien Selbsterhaltung fest; die bürgerlichen Gesetze seien letztlich nur Mittel, die ihrerseits wieder diejenigen Mittel festlegen, die zur Erreichung jenes "Guten an sich" erforderlich und tauglich sind. 111 Auch Gauthier gelangt bei seiner Analyse der Hobbesschen Moraltheorie zu dem Ergebnis, dieser habe erfolgreich die reelle Möglichkeit von Moral nachgewiesen; diese Hobbessche Moral sei aber "minimal": "it represents the weakest of constraints on natural maximizing behavior - that set by considerations of mutual advantage". 112 Anders formuliert: "Die Gesetze der Natur können ja nur dadurch dem Frieden dienen, daß sie dem Eigeninteresse schlichen Konfliktnatur und der Ungleichheit ihrer persönlichen Voraussetzungen ohnehin illusionär - ein sekundäres Problem; zur "Ähnlichkeit mit Gott" durch Praktizierung der "Tugenden des Friedens" können die Menschen erst gelangen, wenn die Primäraufgabe der Begründung einer stabilen staatlichen Ordnung als dem "ersten Ursprung der Gerechtigkeit" (Ci, S. 67) erfüllt ist. Insofern sind Hobbes und Rawls auf zwei völlig verschiedenen Ebenen zu lesen, so daß ein direkter Vergleich ihrer Theorien als wenig sinnvoll erscheint. 110 Schopenhauer, 1991, Bd. I, S. 448; auch für Gehlen (1986 5 , S. 103) ist der Sinn des Staates "letzten Endes nur als rational organisierte Selbsterhaltung eines geschichtlich irgendwie zustande gekommenen Zusammenhangs von Territorium und Bevölkerung" zu bestimmen; entspr. warnt Kliemt (1985, S. 201) vor einem "'objektivistischen' Irrtum", der darin besteht, moralische Institutionen als "interesseunabhängig" begreifen zu wollen; vgl. auch Hume, 1978, S. 239: "Meiner Meinung nach steht [also] der Satz fest: Die Rechtsordnung hat nur in der Selbstsucht und der beschränkten Großmut der Menschen, im Verein mit der knappen Fürsorge, die die Natur für ihre Bedürfnisse getragen hat, ihren Ursprung". 111 Bartuschat, 1981, S. 34. 112 Gauthier, 1990, S. 22; ebenso Gehrmann, 1970, S. 48: Die "Ethik des Hobbes [ist] auf gewisse, für ein friedliches Zusammenleben unbedingt notwendige Verhaltensnormen beschränkt".

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... Beschränkungen auferlegen, wenn sie auch andererseits damit einer egoistischen Minimalforderung, dem Prinzip der Selbsterhaltung, dienen". 113 Gauthier fordert nun, darüber hinaus erscheine es moralphilosophisch als angezeigt, eine "richer morality" auf der Basis von "sympathetic interests" zu begründen, aber - und diese Einschränkung ist höchst bedeutsam: "not, of course, a fictious universal sympathy, but real particular sympathies".114 Abgesehen davon, daß dieser Forderung auch mit Hobbes - über das Gottähnlichkeits-Argument - ohne weiteres zuzustimmen ist, und abgesehen davon, daß aus ethologischer und soziobiologischer Sicht ohnehin jeder Mensch auch mit einem natürlichen Potential an sozialen Verhaltensdispositionen ausgestattet ist, die einem radikalen individuellen Egoismus entgegenwirken, ist im Hinblick auf die Individuen (bzw. Kleingruppen) im Naturzustand festzustellen, daß ihr friedliches und kooperatives Zusammenleben in der Tat zunächst sinnvollerweise auf der Basis jener (Hobbesschen) MinimalMoral organisiert werden sollte, da eine andere Basis schlechterdings nicht gegeben ist. 115 Hinsichtlich dieses von Hobbes angebotenen politischen Lösungsversuches des Naturzustands-Dilemmas auf der Basis eines Gesellschaftsvertrages sind folgende Punkte nochmals zu betonen: 1. Jegliche Staatsgewalt - sofern es sich um eine "politisch" begründete handelt! - geht nach Hobbes buchstäblich vom Volke aus. In den "Elements" 113 Braungart, 1981, S. 58; vgl. Baier, 1987, S. 158; zur minimalistischen Struktur der Hobbesschen Systemprämissen vgl. auch Höffe, 1981b, S. 118 ff. 114 Gauthier, 1990, S. 22. 115 So kommt auch der Anthropologe und Primatologe Sommer, V. (1989, S. 271) bei einer Untersuchung des "Altruismus"-Phänomens zu dem Ergebnis, es sei "klüger, solche Eigeninteressen als potentielle Konstituenten einer tragfähigen Sozialethik nutzbar zu machen, anstatt 'wirkliche' Selbstlosigkeit zu fordern, für welche die Natur keine entsprechende Pionierarbeit geleistet hat". Doch seltsamerweise schränkt Sommer diese vernünftige These sofort wieder ein, indem er sagt, diese Basis sei zur Bewältigung sozialer Konfliktfelder in der modernen Welt kaum ausreichend: "Hier sind wir gefordert, ohne Rücksicht auf natürliche Vorgaben und - wenn es sein muß - gegen natürliche Neigungen, schlichtweg andere Maßstäbe zu setzen". Allerdings stellt sich Sommer die naheliegende Frage nicht mehr, ob und wie denn solche "wahrhaft und explizit 'humanfen]'" Maßstäbe durchzusetzen und ob sie überhaupt lebbar sind - lebbarer etwa als jene "'wirkliche' Selbstlosigkeit", die zu fordern er einen Absatz zuvor als unklug dargestellt hat. Sollte man nicht konsequenterweise akzeptieren, '"daß die Menschen nun einmal sind, wie sie sind'" (wie Fest [1992, S. 20] Thomas Morus zitiert) und deshalb in Ethik wie in Politik auf derartige (!) utopische Pläne mit dem Menschen völlig verzichten?

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(S. 142) formuliert Hobbes unmißverständlich, von den drei Regierungsarten müsse die Demokratie "der Zeit nach" notwendig die erste sein, da die Ernennung eines Monarchen oder einer aristokratischen Versammlung einen Akt der Übereinstimmung bzw. Verständigung voraussetze; "diese Verständigung aber unter einer großen Menge von Menschen muß in der Zustimmung des größeren Teils bestehen, und wo die Stimmen der Majorität die Stimmen der übrigen in sich schließen, da ist tatsächlich eine Demokratie". Und auch in seinem Alterswerk "Behemoth" (S. 151 f.; vgl. ebd., S. 157) beharrt Hobbes auf der Feststellung, "daß nach Gott der Ursprung aller Gesetze im Volke lag". Für Kodalle steht daher fest, ein grundlegender demokratischer Akt stelle nicht nur die notwendige Voraussetzung für Hobbes' Staatsmodell dar, sondern vielmehr sei die Demokratie gemäß dem Hobbesschen System letztlich stets die "theoretisch geforderte Staatsform". 116 Hiergegen ist zumindest 116 Kodalle, 1972, S. 186 ff.; ebs. Schelsky, 1981, S. 327 ff.; vgl. zum Thema auch Willms, 1987, S. 162, 171, 237 f.; Hungerland, 1989, S. 46 ff.; auch Fukuyama (1992, S. 205, 215, 217 f., 222, 257) bezeichnet Hobbes - neben Locke - als einen der "eigentlichen Väter[] des Liberalismus"; noch weiter geht Baumanns (1977, S. 30), für den feststeht: "die Bestimmung von Ursprung und Zweck des Staates erfolgt bei Hobbes im Geiste des Individualismus, Liberalismus und Demokratismus - entgegen dem traditionellen Hobbes-Bild, das ihn als Ideologen der absolutistischen Monarchie verzeichnet". Diese These hat sicher einiges für sich, ist aber in dieser apodiktischen Form nicht haltbar. Zum einen deshalb, weil die Machtfülle des Leviathan und seine weitestreichenden Kompetenzen sich nur schwer mit einem ausgeprägten politischen Individualismus, Liberalismus und Demokratismus vereinbaren lassen dürften (worauf Höffe wiederholt zurecht hinweist; vgl. Höffe, 1981a, 1981b, 1982; Münkler [1992, S. 55] kritisiert die jüngste Hobbes-Arbeit von Kersting [1992] vor allem deshalb, weil dieser "Hobbes liberaler gemacht [habe], als er in Wirklichkeit war"); zum zweiten aber vor allem deshalb, weil die Bezeichnungen "Individualismus", "Liberalismus", "Demokratismus", die allesamt einen moralisierenden Beigeschmack haben, für die Individuen im Hobbesschen Naturzustand nicht angemessen sind. Ursprung und Zweck des Staates begründet Hobbes viel unpathetischer und pragmatischer im Geiste der Furcht und des Selbsterhaltungsstrebens und eben nicht im Geistes irgendeines reflektierten "Ismus". Baumanns hat daher recht, wenn er das traditionelle Hobbes-Bild vom Apologeten des antiliberalen Absolutismus oder Totalitarismus ablehnt; er schießt jedoch über das Ziel hinaus, wenn er Hobbes nun umgekehrt zum bewußten Vordenker des Liberalismus machen will (Zu diesem Gedanken siehe auch Strauss, 1956, S. 188; ders., 1965, S. 168; Weiß, 1980, S. 223 f.; Cramer, 1981, S. 61-67). Zur These, daß es "falsch ist, Hobbes vorbehaltlos zum liberalen Denker zu stempeln oder in einseitig als Apologeten einer autoritären und antiliberalen Staatstheorie zu bezeichnen", siehe v.a. Amann, 1971, S. 7 ff.). Hardin (1991, S. 174) trifft das Problem wesentlich genauer: "Hobbes's

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kritisch einzuwenden, daß Hobbes zwei Arten der Staatsgründung deutlich unterscheidet: Durch Konstitution (Vertrag) und durch bloße natürliche (väterliche/despotische) Macht (vgl. Le, S. 135; Ci, S. 129 f.). 1 1 7 Und die Vermutung liegt nahe, daß der staatskonstituierende demokratische Akt nach Hobbes eher als die Ausnahme, wenn nicht überhaupt als kontrafaktische Hypothese (mit eindeutig moralischer Zielsetzung) anzusehen ist. Den Fall einer institutiven Staatsgründung kann man sich eben nur für den Fall (fiktiv) vorstellen, daß es keine drohende Macht gibt, die ein Volk (bzw. eine Menge von Individuen) zur Unterwerfung zwingen kann, sondern den Zustand der absoluten Machtparität aller in einer ökologischen Nische lebenden Individuen (bzw. Kleingruppen). Dieser Machtparität würde bei gleichzeitiger Verknappung der überlebenswichtigen Ressourcen auch eine Parität an Todesfurcht korrespondieren, da in dieser Situation jeder gleichermaßen bedroht wäre. 118 Dieser Akt der gemeinschaftlichen Willenserklärung wird also - so Hobbes - in einem Vertrag verbindlich und verpflichtend festgelegt. Die Vertragspartner verpflichten sich darin, dem oder den Menschen, den oder die sie mit der Macht zur Sicherung des sozialen Friedens ausstatten wollen, weder aktiven noch passiven Widerstand zu leisten (Ci, S. 128, Ziff. 7; vgl. Le, S. problem is not that he is inherently antidemocratic in the sense of wanting to block or override the interests of the masses. Indeed, he is among the most egalitarian of all political philosophers. In the great Anglo-Saxon tradition, he is arguably more egalitarian than Mill and certainly more egalitarian than Locke and Hume. He is antichaos. He thinks, perhaps wrongly as it turns out, that participation is likely to be chaotic. Hence he is antiparticipation and in that sense antidemocratic". 117 Hobbes' weitere Unterscheidung im Hinblick auf die Unterwerfung "aus Furcht" (Ci, S. 129 f.) erscheint als merkwürdig: "Übrigens geschieht diese Unterwerfung unter einen andern aus Furcht entweder unter den, welchen sie fürchten, oder eine andern, von dem sie Schutz erhoffen. In der ersten Weise geschieht es von denen, welche im Krieg besiegt wurden, um dem Tod zu entgehen; in der letzten Weise von denen, die noch nicht besiegt sind, damit sie nicht besiegt werden" (ebd.). D.h.: Die im Krieg besiegten unterwerfen sich aus Furcht vor dem eigenen Tod; die noch nicht besiegten unterwerfen sich - aus Furcht vor dem eigenen Tod. In beiden Fällen ist das Motiv für die Unterwerfung letztlich dasselbe; einzig der Grad der Konkretheit der Bedrohung mag unterschiedlich sein. Aber auch dann, wenn ein Volk sich einer es bedrohenden Macht unterwirft oder einer dritten Macht, die sie vor der drohenden Macht schützen soll, ist die Todesfurcht die Basis des Unterwerfungsaktes. Zwischen beiden Staatsgründungen "aus Furcht" besteht daher kein wesentlicher Unterschied; vgl. dazu - neben der Argumentation im Le, S. 155 - Weiß, 1980, S. 191 f. 118 Zum Problem der historischen Irrealität der konstitutiven Staatsgründung siehe Tönnies, 1976, S. 16 ff.; vgl. auch Service, 1978, S. 22.

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237; zum fraglichen Widerstandsrecht der Untertanen bei Hobbes siehe unten, Kap. I. 2.6). 1 1 9 Die am Vertrag Partizipierenden übertragen zwar im Vertrag nicht ihren Willen (was nach Hobbes, Ci, S. 128, Ziff. 8, nicht möglich ist), aber jeder einzelne überträgt dem zukünftigen Souverän "das Recht auf seine Kraft und seine Fähigkeiten". Doch die Hobbessche Formulierung, wonach im Gesellschaftsvertrag "jeder einzelne Bürger all seine Kraft und Macht ... übertragen hat" (Ci, S. 129), ist nicht so zu verstehen, daß nun jeder Bürger im Hobbesschen Staat völlig kraft- und machtlos der Fremdbestimmung durch den Staat ausgeliefert wäre. Diese Deutung kann schon deshalb nicht zutreffen, weil Hobbes an anderer Stelle (vgl. Ci, S. 105; Le, S. 101 f., 262) ausdrücklich die Nichtübertragbarkeit bestimmter Rechte betont (etwa das Recht, sich gegen jegliche Gewaltanwendung oder den Versuch der Tötung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zur Wehr zu setzen). 120 Dennoch ist die Hob119 Zur logischen Struktur der Staatsgründung per Gesellschaftsvertrag der Individuen bei Hobbes und ihren Schwierigkeiten siehe etwa Kersting, 1992, S. 141-148; ders., 1994, S. 59 ff., 81 ff.; ebs. Gehrmann, 1970, S. 83-94; er meint, der Hobbessche Staatsvertrag müsse in zwei Teile getrennt werden: Zum einen den subjektiven Akt der Übergabe des Rechts auf Selbstregierung; zum zweiten den Akt der Autorisierung aller Handlungen des Souveräns durch die Gesamtheit der Untertanen. Die Widersetzung gegen eine Anordnung des Souveräns bedeute daher lediglich den "Bruch einer einseitigen und unmittelbaren Bindung des Bürgers an den Herrscher" (ebd., S. 84), nicht jedoch einen Bruch des mit den anderen Untertanen eingegangen "Grundvertrags". Diese Unterscheidung könnte aus einem Grund wichtig sein: Der Grundvertrag der staatsgründenden Individuen besagt, daß jeder die Ausübung seines "Rechts auf alles" aufgibt und einem Souverän überträgt, unter der Reziprozitäts-Bedingung, daß alle anderen dies gleichermaßen tun und sich an diesen Vertrag halten. Würde der Ungehorsam gegen eine Anweisung des Souveräns den Bruch des "Grundvertrages" bedeuten, so fiele auch die wichtigste Bedingung dieses Vertrages weg und damit wäre der ursprüngliche Naturzustand logisch (und vor allem faktisch) wiederhergestellt. Versteht man aber den Ungehorsam lediglich als Bruch des Vertrages mit dem Souverän, so bleibt der "Grundvertrag" - und damit der Staat unangetastet. Die gegenseitige Verpflichtungserklärung der Individuen im Naturzustand, ihr jeweiliges "Recht auf alles" abzugeben, ist de facto im Moment der Staatskonstitution erfüllt und "verwandelt sich also gerade durch ihre Erfüllung in eine einseitige Verbindlichkeit der Bürger gegenüber dem Souverän". Eine Auflösung des Grundvertrages - und damit der Rückfall in den Naturzustand - ist nach Hobbes nur möglich infolge einer Revolution, der Eroberung durch eine andere Macht oder aber durch die Nichterfüllung der Grundpflichten durch den Souverän, nicht jedoch durch den Ungehorsam einzelner (vgl. Le, S. 249 f., 254 f.). 120 Hier legt sich wieder der Gedanke an unveräußerliche schen System nahe (siehe oben, Teil 1, Kap. I. 4.6).

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bessche Formulierung auch in dieser scharfen Form logisch akzeptabel, da derjenige, der im Naturzustand sein "Recht auf alles" aufgibt, im Grunde alles aufgibt. 121 Unter der Reziprozitäts-Voraussetzung, daß eben dies die anderen Vertragspartner ebenfalls in gleicher Weise tun, "erlangt der, dem man sich unterwirft, eine so große Macht, daß er durch den Schrecken derselben die Willen der einzelnen zur Einheit und Einigkeit bestimmen kann" (Ci, S. 128). Und der Schreckens-Faktor jener Macht ist im Hobbesschen System vor allem deshalb nötig, weil sich auch im Staat das menschliche Wesen nicht prinzipiell ändert: Er bleibt der "Wolf", dessen Handeln primär an der Durchsetzung seiner eigenen Interessen orientiert ist, der deshalb den anderen mißtraut und versucht, sie bei jeder Gelegenheit auszustechen, um seine eigene Macht zu mehren. 122 Sehr anschaulich ist in diesem Zusammenhang Hobbes' Versuch, die Beständigkeit der menschlichen Konfliktnatur auch im Staat empirisch zu belegen (Le, S. 96 f.): "Manchem, der sich diese Dinge nicht gründlich überlegt hat, mag es seltsam vorkommen, daß die Natur die Menschen so sehr entzweien und zu gegenseitigem Angriff und gegenseitiger Vernichtung treiben sollte, und vielleicht wünscht er deshalb, da er dieser Schlußfolgerung aus den Leidenschaften nicht traut, dies durch die Erfahrung bestätigt zu haben. Er möge deshalb bedenken, daß er sich bei Antritt einer Reise bewaffnet und darauf bedacht ist, in guter Begleitung zu reisen, daß er beim Schlafengehen seine Türen und sogar in seinem Hause seine Kästen verschließt - und dies in Kenntnis dessen, daß es Gesetze und bewaffnete Beamte 121 Locke (1977, S. 262) spricht in diesem Zusammenhang vorsichtiger - oder inkonsequenter - davon, diejenigen Menschen, die sich zu einer Gesellschaft zusammenschließen wollten, müßten "alle Gewalt, die für das Ziel, um derentwillen sie sich zu einer Gesellschaft vereinigen, notwendig ist, an die Mehrheit der Gesellschaft abtreten". Doch Locke spezifiziert nicht, wieviel dieses "notwendig" etwa im Hinblick auf das natürliche Recht ist, sein eigener Richter zu sein. 122 Freund (1992, S. 118) sieht in dieser These von der Beibehaltung der menschlichen Konfliktnatur auch im Staat sogar die "Grundidee" des Hobbesschen Werkes. Somit ist Fukuyamas These (1992, S. 221) als falsch zurückzuweisen, Hobbes verlange von den Menschen, mit dem Gesellschaftsvertrag "ihren Kampf um Anerkennung auf[zu]geben". Zur Problematik der Beibehaltung der menschlichen Konfliktnatur auch im Staat siehe Paeschke, 1989, S. 117 ff.; ebs. Tönnies, 1912 2 . Tönnies geht bei seiner gesellschaftstheoretischen Hobbes-Interpretation davon aus, daß Hobbesscher Naturzustand und bürgerliche Konkurrenzgesellschaft korrelieren; auch Euchner (1982, S. 181) betont, die "Politisierung der Macht" habe nicht eine prinzipielle Wesensänderung des Menschen zur Folge, sondern lediglich dessen "Zähmung zum Zwecke der Polis-Einrichtung".

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gibt, um alles Unrecht zu verfolgen, das ihm angetan wird. Welche Meinung hat er also von seinen Mitbürgern, wenn er seine Türen verschließt, und welche von seinen Kindern und Bediensteten, wenn er seine Kästen verschließt? Klagt er da die Menschen durch seine Handlungen nicht ebensosehr an wie ich durch meine Worte?".123 Mit den Worten Adornos: "Die Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Gestalt - und wohl seit Jahrtausenden - beruht nicht, wie seit Aristoteles ideologisch unterstellt wurde, auf Anziehung, auf Attraktion, sondern auf der Verfolgung des je eigenen Interesses gegen die Interessen aller anderen".124 Das einzige verläßliche Motiv aber, warum es dabei in der Regel nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, ist nach Hobbes die Furcht vor der Macht des Leviathans (vgl. etwa Le, S. 228). 125 Insofern wird auch im Staat der "Naturzustand" nicht vollständig transzendiert oder endgültig negiert, sondern lediglich modifiziert und domestiziert; das "Prinzip Eigennutz" bleibt jedoch in jenem "Gehege" nach wie vor für das soziale Miteinander maßgebend; die menschliche Konfliktnatur ist unaufhebbar.126 123 Vgl. dazu McLean, 1985, S. 33 f. 124 Adorno, 1992, S. 53. 125 Vgl. dazu etwa die Unterscheidung zwischen "faktisch gültiger und postulierter Moral" bei Becker, 1989, S. 194. Das Merkmal - so Becker -, "welches den Unterschied zwischen faktisch gültiger und postulierter Moral bezeichnet", liegt einzig und alleine darin, daß die faktisch gültige Moralnorm eine "sanktionierte Norm" ist: Ohne (vor allem negative) Sanktionen keine moralische Gültigkeit. Deshalb kommt Becker auch zu dem (Hobbesschen) Ergebnis, "die Lösung der ethischen Probleme, um die es heute geht, [sei] auf den ganz anderen Wegen der Politik zu finden und nicht auf denen der Ethik selber", was - mit Max Weber - letztlich bedeutet, "daß moralische Konflikte nur durch Macht zu entscheiden sind und ihre politischen Lösungen nur durch Machtmittel aufrechtzuerhalten sind" (Becker, S. 197, 200 f.); ähnlich auch Gehlen, 1986-\ S. 118: "Man muß Macht haben, um überhaupt handeln zu können, zumal in der moralischen Sphäre". Die "Furcht" vor dem Leviathan (dem "sterblichen Gott") erinnert an die Verkündigung der Zehn Gebote im Alten Testament (2. Mose 20), wo es heißt: "Denn um euch zu prüfen, ist Gott gekommen; damit die Furcht vor ihm bei euch herrsche, auf daß ihr nicht sündigt!" (vgl. Wuketits, 1993b, S. 14). 126 Als "Gehege" bezeichnete Kant die bürgerliche Vereinigung, unter deren Zwang sich die Menschen alleine aufgrund der Not begeben, daß sie ohne einen solchen rechtlichen Zustand "in wilder Freiheit nicht lange neben einander bestehen können" (1978 2 , XI, S. 40, A 396). Zur prinzipiellen Unauflöslichkeit des Naturzustandes siehe v. a. Weiß, 1980, S. 139 f.: "Der Naturzustand ist nicht bloße Möglichkeit, die sich ab und zu zur Wirklichkeit menschlicher Interaktion zusammenzieht, sondern bei näherem Zusehen ist er sogar die stets präsente und als solche nie grund-

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2.4.1 Das "Schwert der Gerechtigkeit" als conditio sine qua non des Staates Wenn es in den "Elements" (S. 134) heißt: "Von jedem einzelnen der zur Einrichtung eines Gemeinwesens Zusammengetretenen anerkannte und durch die Schrift beglaubigte Verträge, ohne die Einrichtung einer vollziehenden Gewalt, bieten keine vernünftige Sicherheit für diejenigen, welche sie gemacht haben, auch sind sie keine Gesetze und lassen also die Menschen in dem Zustande der Natur und der Feindseligkeit", dann muß klar sein, daß dies in gleicher Weise auch für den Gesellschaftsvertrag selbst gilt - wenn nicht die durch ihn begründete Staatsmacht über die geeigneten Mittel verfügt, den Bestand des Staates - und damit ihrer selbst - zu garantieren. Auch für den Gesellschaftsvertrag gilt wie für alle anderen Verträge, daß sie "ohne das Schwert ... bloße Worte [sind] und ... nicht die Kraft [besitzen], einem Menschen auch nur die geringste Sicherheit zu bieten" (Le, S. 131; vgl. ebd., S. 108).

Für den nüchternen Realisten Hobbes ist klar: Die allgemeine Sicherheit ist nicht durch die vertragliche Übertragung der Macht auf einen Souverän und die allseitige Verpflichtung auf die Einhaltung bestimmter Normen und Gebote (Nicht stehlen, nicht töten, nicht rauben, nicht betrügen usw.) alleine erreichbar, sondern dieser Souverän muß auch mit einem geeigneten "Schwert der Gerechtigkeit" ausgerüstet werden. Für die Einhaltung der vom Souverän erlassenen Gesetze muß "durch Strafen gesorgt werden" können, die noch dazu so hoch sein müssen, daß aus Verstößen gegen die staatlichen Gebote "augenscheinlich ein größeres Übel als aus ihrer Unterlassung folgt" (Ci, S. 133 Ziff. 4; vgl. auch Di, S. 48 f.). 127 Grund: "die Schlechtigkeit der mensätzlich zu eliminierende Wirklichkeit des menschlichen Zusammenlebens". Hobbes weist im "Behemoth" (S. 51) auch konsequent daraufhin, das Streben nach Selbstbereicherung sei für den Privatmann durchaus eine Frage der "Klugheit". Wichtig ist hier aber auch Hobbes' (gleichsam prä-sozialistische) Überlegung, wonach das Verlangen nach übergroßem, exzessiven Reichtum verwerflich ist, da dieser mit der allzu großen - die Machtposition des Leviathan unterminierenden - Machtakkumulation eines einzelnen gleichzusetzen wäre (vgl. Ci, S. 180); zur Interpretation siehe Strauss, 1965, S. 117 ff. 127 Sicher ist diese These von der Unabdingbarkeit eines staatlichen Strafrechtes diskussionswürdig. Wenn man etwa davon ausgeht, die Menschen könnten - sofern man nur ihre "guten Triebe" in ein Übergewicht zu den "asozialen Trieben" bringen, bzw. letztere entscheidend dämpfen oder beseitigen würde - von sich aus zu einem

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schlichen Gesinnung ist allen offenbar, und die Erfahrung hat nur zu sehr gelehrt, wie wenig (bei Wegnahme der Strafe) die Menschen im Bewußtsein der getanen Versprechen ihre Pflichten einhalten" (Ci, S. 133 Ziff. 4). 1 2 8 Der Infriedfertigen und sozialen Miteinander in der Lage sein, dann erscheint die Notwendigkeit des Strafrechtes nicht als zwingend (vgl. etwa Eibl-Eibesfeldt, 1 9 8 9 ^ , S. 269-272; ähnlich argumentiert auch Kastenholz, 1992, S. 117 ff., 127 f., wobei jedoch bei ihm in eklatanter Weise das völlige Ignorieren jener anderen, nicht-sozialen Seite der Menschen-Natur sowie vor allem die Nahbereichs-Orientierung der menschlichen "Soziabilität" auffällt.). Aber in dieser behaupteten Alternative tauchen allzuviele Konjunktive auf. Hobbes' anthropologische Bestimmungen des Menschen als Konfliktwesen stehen völlig im Einklang mit den zentralen Thesen des modernen evolutionstheoretischen, soziobiologischen Menschenbildes. Unter der Voraussetzung der (weitgehenden) Richtigkeit soziobiologischer Thesen kann daher davon ausgegangen werden, daß dieses Menschenbild (weitgehend) zutreffend und somit auch Hobbes' Konsequenz von der Notwendigkeit des Strafrechtes angemessen und realistisch ist. Freilich nötigt diese These, Menschen - "einige edelmütige ... ausgenommen" (Le, S. 228; vgl. ebd., S. 108) - verhielten sich generell nicht aus moralischer Einsicht, sondern aus Furcht vor Strafe gemäß den Gesetzen (vgl. Le, S. 110), zu grundsätzlicher Skepsis im Hinblick auf die allgemeine Moralfähigkeit des Menschen. Wenn Moralität (sofern sie sich nicht auf die "Ingroup" des eigenen "Genpools" bezieht) ohne das "Schwert der Gerechtigkeit" nicht denkbar ist, dann wird es in der Tat fraglich, inwiefern überhaupt noch von "Moral" im herkömmlichen Sinne die Rede sein kann. Und es wäre naheliegend, den Begriff der Moral durch Begriffe wie "Pragmatismus", "Zweckrationalismus", "wohlverstandenes Eigeninteresse" o.ä. umzuinterpretieren. Diese Uminterpretierung des Moral-Begriffes würde es auch - ganz im Hobbesschen Sinne - erlauben, die Konfliktnatur des Menschen beizubehalten, ohne sich mit Illusionen herumschlagen zu müssen, wie die "guten" gegen die "bösen" Antriebe im Menschen durchgesetzt werden können. Denn es darf nicht übersehen werden, daß viele "gute" Entwicklungen auch in Zukunft nicht machbar sein werden ohne die Konfliktnatur des Menschen, die stets der "Motor" jeglicher Entwicklung war. So werden etwa die zur Sicherstellung des Überlebens der Menschheit erforderlichen drastischen Maßnahmen (etwa im ökologischen Bereich) nicht ohne die gezielte Aktivierung von Aggressivität realisierbar sein (Und zwar nicht in Form von Gewalt gegen Menschen, was kontraproduktiv wäre, sondern durch Proteste und geeignete Maßnahmen gegen Mißstände wie unnötige Umweltbelastungen, die Verletzung internationaler Abkommen zur Dämpfung und Bekämpfung der drohenden ökologischen oder demographischen Katastrophe usw.; vgl. dazu Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 284 ff.; ähnlich Lenk, 1993, S. 313 f.). 128 Die Modernität dieses Hobbesschen Argumentes läßt sich beispielsweise am Nobelpreis-Ökonomen Gary Becker aufzeigen. Der einzige Grund nämlich, warum Menschen sich weitgehend an die gesellschaftlichen Spielregeln halten, ist nach Becker das Maß an Wahrscheinlichkeit, bei einer Regelverletzung erwischt und bestraft zu

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haber oder die inhabende Versammlung dieses "Schwertes" gilt in der Hobbesschen Definition als "berechtigter Inhaber der höchsten Staatsgewalt" (Ci, S. 134 Ziff. 6). 129 Sehr scharf ist auch die folgende Beobachtung Hobbes', das "Recht zu strafen" ( = "Schwert der Gerechtigkeit") werde im allgemeinen in einer Gesellschaft dergestalt problemlos anerkannt, daß niemand versuche, dem zu Strafenden zu helfen - sofern "es sich nicht um ihre eigene oder naher Freunde Strafe handelt" (Ci, S. 133 Ziff. 5). Das heißt mit anderen Worten, daß Menschen dazu neigen, staatliche Gebote und Strafvorschriften dann zu unterlaufen, wenn sie den eigenen oder den Interessen von Mitgliedern der eigenen "Ingroup" entgegenstehen. Diese Beobachtung läßt sich ohne weiteres in jeder Gesellschaft nachvollziehen: Man ist geneigt, die Steuerhinterziehung des "Fremden" zu verurteilen und seine Bestrafung zu begrüßen, während man den eigenen "kleinen Betrug" als "Kavaliersdelikt" eher verharmlost und mit allen möglichen Ausreden zu rechtfertigen versucht. Eine Kritik wie die von Apel, für die das "strategisch durchkalkulierte[] Selbstinteresse" als letzter Grundlage des Rechtes niemals die Begründung einer echten Ethik zulasse, weil unter dieser Voraussetzung überhaupt nicht einzusehen sei, "warum jemand einen Vertrag ohne kriminellen Vorbehalt abschließen sollte", rennt daher bei Hobbes offene Türen ein. Apel ist hier ausdrücklich bereit, "Hobbes ... zuzugeben, daß der Gesellschaftsvertrag, der den Rechtsstaat begründet, im Interesse der Einzelnen liegt. Aber in ihrem durchkalkulierten Interesse läge es auch, unter der Voraussetzung, daß die Anderen den Vertrag halten, sich selbst bei passender Gelegenheit davon zu dispensieren, um so den parasitären Surplus-Vorteil zu genießen". 130 Mit Hobbes könnte man darauf sehr leicht antworten: "Richtig! Und eben gerade deshalb, weil die inter-individuelle Moral als Gesellschafts-Stabilisator nicht funktioniert, nicht funktionieren kann, eben deshalb braucht es das 'Schwert werden; je höher die Aufklärungsrate an Regelverletzungen - so die "hobbesianische" Logik Beckers (vgl. Le, S. 228: "Ja, sie [die Furcht; T.M.] ist einige edelmütige Menschen ausgenommen - die einzige Kraft, die die Menschen zu ihrer Einhaltung bringt, wenn ein Vorteil oder Vergnügen durch Gesetzesübertretung in Aussicht steht".) - desto eher wird das individuelle Nutzenkalkül zu dem Ergebnis fuhren, Regelbefolgung mache sich in aller Regel besser bezahlt (vgl. dazu Heuser, 1992, S. 31). 129 Zur analogen Argumentation der Kantischen Rechtsphilosophie, die von der Leerheit des universalen Rechtsanspruches ausgeht, solange dieses Recht nicht durch ein öffentliches (positives) Gesetz in einem Staat konkretisiert wird, siehe Riedel, 1993, S. 4 f. 130 Apel, 1983, S. 42.

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der Gerechtigkeit', damit die potentiellen 'Parasiten' - also die absolute Mehrheit! (vgl. Le, S. 108, 228) - bei ihrem Kalkül immer zu dem Ergebnis kommen, summa summarum sei es persönlich vorteilhafter, die Gesetze zu halten". Ähnlich - und in diesem Punkt zweifelsohne sehr Hobbes-nah - argumentiert auch John Rawls in seiner "Theorie der Gerechtigkeit": "Ohne eine gewisse Übereinstimmung darüber, was gerecht und ungerecht sei, ist es für die einzelnen Menschen offenbar schwieriger, ihre Vorhaben wirkungsvoll aufeinander abzustimmen und allseitig nützliche Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Mißtrauen und Ressentiment zerstören die gesellschaftlichen Bande, Verdacht und Feindseligkeit verführen die Menschen zu Handlungen, derer sie sich sonst enthalten würden". Und um diese Übereinstimmung bzw. die allgemeine Beachtung der aus ihr abgeleiteten Regeln und Normen zu sichern, bedarf es nach Rawls "stabilisierende^] Kräfte", die bei etwaigen Verstößen "entgegenwirken und die Ordnung wiederherzustellen suchen". 131 Soll das "Schwert der Gerechtigkeit" den sozialen Frieden nach innen garantieren, so ist es die Aufgabe des "Schwertes des Krieges", Stabilität und Sicherheit einer Gesellschaft nach außen hin zu gewährleisten (vgl. Le, S. 141). Der Auffassung Hobbes', wonach der Schutz gegen eine auswärtige Gefährdung der Gesellschaft notwendig ist, liegt die - hier freilich nicht explizierte - Überzeugung zugrunde, daß sich die Gesellschaften untereinander nach wie vor im "Naturzustand" und damit in einem "Krieg aller gegen alle" befinden.

2.5 Das "prisoner's-dilemma" der Staatsgründung Hobbes' radikal-individualistische methodologische Prämisse vom Naturzustand der ebenso egoistischen wie asozialen Einzelkämpfer wurde bereits 131 Rawls, 1991^, S. 22. Diese Hobbes-Nähe ist für den aufmerksamen Leser besonders in den einleitenden Kapiteln von Rawls "Theorie der Gerechtigkeit" sehr auffallend, obwohl - oder auch weil - Rawls sich an keiner einzigen Stelle systematisch auf Hobbes bezieht. Vielleicht liegt die Ursache dafür - wie Hardin (1991, S. 156) vermutet - darin, daß Hobbes als Vorläufer sowohl des Utilitarismus als auch des Kontraktualismus anzusehen ist, er beide Aspekte also durchaus für vereinbar hält, während heutige Kontraktualisten (wie eben Rawls) dem Utilitarismus jedoch feindlich ("with hostility") gegenüberstehen. Auch Höffe (1981a, S. 15 f.; vgl. auch ders., 1981b, S. 114 f., 127) weist darauf hin, die "international diskutierte politische Philosophie von John Rawls [sei] ohne Hobbes nicht denkbar"; ähnlich argumentiert Kersting (1992a, S. 31; vgl. ebd., S. 188), für den Hobbes' kontraktualistisches Argument "das methodische und argumentative Rückgrat des gegenwärtigen Kontraktualismus von Rawls bis Scanion und Gauthier" bildet.

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mehrfach als die Achillesferse seines gesamten philosophischen Systems gekennzeichnet. Und auch im Hinblick auf die "Geburt des Leviathan" läßt sich zeigen, daß Hobbes' Modell von der Staatsgründung per Vertrag als der notwendigen Konsequenz des menschlichen Daseins im Naturzustand auf der Basis jener radikal-individualistischen Prämisse aus mehreren Gründen inkonsistent ist: Verträge zwischen Individuen im Naturzustand verlieren - so Hobbes ihren verbindlichen Charakter, sobald der begründete Zweifel besteht, einer der Vertragspartner wolle die Vereinbarungen nicht einhalten (Le, S. 105; ein Verdacht, der im Naturzustand prinzipiell immer angebracht ist; vgl. El, S. 134, Ziff. 6). »2 Zum Zeitpunkt des Zusammentretens der staatskonstituierenden Versammlung befinden sich alle Individuen nach wie vor im Naturzustand. Der staatskonstituierende Vertrag müßte deshalb ebenfalls seine Gültigkeit verlieren, sobald ein begründeter Verdacht besteht, einzelne Vertragspartner wollten nicht erfüllen. Und wann kann man sich dessen bei der unterstellten Böswilligkeit und dem Egoismus aller oder zumindest der weitaus meisten Menschen (vgl. Ci, S. 133; Le, S. 105, 131, 211, 228) - jemals sicher sein? 133 Wenn schon der Vertrag zwischen zwei Parteien im Naturzustand immer unter dem Vorbehalt der Ungültigkeit bei "vernünftigem Verdacht" (Le, S. 105) steht, dann muß dies bei einem Vertrag zwischen vielen gleichsam in potenzierter Form gelten, da sich hier für den einzelnen die Möglichkeiten minimieren, das Verhalten jedes Vertragspartners zu beobachten. Auch die Person (oder die Personen), der sich alle anderen unterwerfen wollen, ist zunächst ein Individuum im Naturzustand, dessen oberste

132 Wobei hier das Problem unberücksichtigt bleibt, ob eine Institution wie der Vertrag nicht bereits eine (halbwegs) funktionierende soziale Gemeinschaft voraussetzt, bzw. umgekehrt, ob nicht im Hobbesschen Naturzustand solche Institutionen eigentlich gänzlich unmöglich sein müßten. 133 Vgl. dazu Höffe, 1981b, S. 127 f.; ders., 1982, S. 48. Auf der Basis spieltheoretischer Analysen kommt er zu dem Ergebnis, man stehe bei einem Vertragsabschluß eigentlich dann "am besten da, wenn man einen Vertrag abschließt, es dem Vertragspartner glaubhaft machen kann, daß man ihn halten wird, es tatsächlich aber nicht vorhat".

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Möhrs M a x i m e die eigene inclusive-fitness-Maximierung i s t . 1 3 4 M e h r noch: D i e s e s Individuum b z w . diese (relativ w e n i g e n ) Individuen behalten alleine ihr "natürliches Recht auf alles", sie sind als Souverän selbst nicht Vertragspartner, sondern verbleiben weiterhin im Naturzustand und haben daher auch nach wie vor das Recht auf Leib und L e b e n der Untertanen (vgl. Le, S. 137 f . , 2 4 8 f.). 135 D u r c h die Rechtsübertragung

seitens der Vertragspartner erhält der

Souverän eine Machtfulle, die den Vertragspartnern als so "schrecklich" erscheinen

muß, daß jeglicher Gedanke an Widerstand g e g e n sie als

aussichtslos und verderblich zu v e r w e r f e n ist. Für d e n einzelnen gibt es im Naturzustand aber keine schlimmere V o r stellung als die, ein anderer - der stets als potentieller T o d f e i n d anzuse-

134 Bartuschat (1981, S. 32 f.) scheint diese Schwierigkeit nicht zu sehen, da er zwar von der zutreffenden Erkenntnis ausgeht, das "Aufgeben des natürlichen Rechtes [bedeute] Unterwerfung"; seine Folgerung allerdings, wonach diese Unterwerfung "nur sinnvoll sein [kann] in bezug auf eine Person, die nicht auf einer Ebene mit dem natürlichen Wesen steht, also selber kein natürliches Lebewesen ist, mit dem der einzelne in potenzieller Konkurrenz steht, die vielmehr eine Institution darstellt", löst das Problem nicht. Denn gerade auf der Basis der Hobbesschen Anthropologie darf die Tatsache niemals aus den Augen gelassen werden, daß die "Institution" Staat, der "künstliche Mensch" immer an natürliche Personen als Träger der Institution gebunden sind. Daher kann die (konstitutionelle) Staatsgründung nur einem "Akt gesteigerter Reflexion" entspringen - was Bartuschat bestreitet. 135 Demnach kann es also schlechterdings keinen "Bruch des Gesellschaftsvertrages von Seiten des Herrschers" geben (Strömholm, 1991, S. 155). Eine andere Frage ist es jedoch, ob nicht der oder die Individuen, die das Amt des Souveräns bekleiden, sehr wohl als Privatpersonen am Gesellschaftsvertrag partizipieren müssen, da nach der Logik des Leviathan alle Individuen im Naturzustand ihr "Recht auf alles" auf den Souverän übertragen müssen. Streng genommen müssen also auch die zukünftigen Herrscher im Gesellschaftsvertrag ihr natürliches Recht auf die künstliche Person übertragen, die sie freilich selbst repräsentieren werden (dieser Aspekt wäre auch wichtig im Hinblick auf die Frage, ob auch der Souverän, sofern er Privatperson ist, wie jeder andere Untertan an die positiven Gesetze gebunden ist, über die er sich als Souverän hinwegsetzen kann). Wichtig ist hier zudem der Umstand, daß der Souverän als "letzter verbliebener Wolf" zwar nach wie vor ein "Recht auf alles", also auch auf Leib und Leben der Untertanen hat, diese ihm jedoch andererseits ihr Recht auf Selbstverteidigung nicht übertragen haben, es nach Hobbes sogar nicht einmal konnten (vgl. Le, S. 101 f., 107).

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hen ist! - könne eine solche Machtfülle erhalten, daß er diesem aussichtslos unterlegen ist. Da unter Menschen im Naturzustand immer das Mißtrauen angebracht ist, der andere werde seinen etwaigen Machtüberschuß rücksichtslos gegen andere (gegen mich) verwenden, kann keiner der Untertanen wollen, daß jemand in so eklatanter Weise mehr Macht hat als sie. Dieses Mißtrauen ist auch gegenüber dem Souverän - insofern er natürliche Person ist - angebracht (zumal Hobbes die "Könige zum Geschlecht der Raubtiere" rechnet; Ci, S. 59 !). Es ist deshalb wider die natürliche Vernunft, einen derart machtvollen Souverän zu wollen. 136 Und dies legt sich aus Hobbes' Formulierung vor allem deshalb nahe, weil die Machtfülle des Souveräns für die Untertanen in erster Linie Anlaß zum "Schrecken" gibt (vgl. Le, S. 134). Hobbes berühmter Nachfolger Locke schreibt diesbezüglich in seiner zweiten Abhandlung über die Regierung: "Ich gebe gern zu, daß eine bürgerliche Regierung das geeignete Heilmittel gegen die Nachteile des Naturzustandes ist, die gewiß ganz erheblich sein müssen, wenn die Menschen Richter in eigener Sache sind. [...] Aber ich möchte diejenigen, die einen solchen Einwand machen, doch bitten, sich einmal daran zu erinnern, daß auch absolute Monarchen nur Menschen sind. Wenn die Regierung also das Heilmittel für jene Übel sein soll, ... dann möchte ich doch gern wissen, ... weshalb sie besser ist als der Naturzustand, in der ein Mensch, der viele andere Menschen beherrscht, die Freiheit hat, in eigener Sache sein Richter zu sein, und mit allen seinen Untertanen tun darf, was er will, ohne daß es irgend jemandem auch nur gestattet wäre, von denjenigen, die tun, was ihnen beliebt, Rechenschaft zu fordern oder sie zu 136 Hobbes' Gegenargument (El, S. 163, Ziff. 4), wonach dieser Bedenklichkeitseinwand deshalb nicht gelten dürfe, weil es dann "auch bedenklich sein [würde], von dem allmächtigen Gott regiert zu werden, der ohne Zweifel mehr Macht über jeden Menschen besitzt, als irgendeinem Monarchen übertragen werden kann", ist natürlich vor dem Hintergrund eines modernen, rein säkularen Politikverständnisses völlig unbrauchbar. Aber auch an sich ist das Hobbessche Argument nicht schlüssig, da es eine allzu große Analogie zwischen dem irdischen Herrscher, der auch natürliche und damit unvollkommene, fehlerhafte Person ist, und dem als vollkommen gedachten Gott suggeriert. Zudem hinkt der Hobbessche Vergleich bereits deshalb, weil in seinem System die Herrschaft Gottes notwendig, während jede irdische Herrschaft kontingent ist. Menschen haben hinsichtlich der Herrschaft Got-

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kontrollieren".137 Locke trifft hier ohne Zweifel eine wesentliche Schwachstelle in der Hobbesschen Lehre. 138 Dennoch ist Hobbes sich dieses Problems durchaus bewußt, da er z. B. im "Rückblick und Schluß" des "Leviathan" auf die Kritik an seiner Lehre eingeht, wonach "es unmöglich einen Menschen geben könne, der eine ausreichende Veranlagung für alle bürgerlichen Tugenden besitze" (S. 535; vgl. auch Le, S. 146 f.). Hobbes ist allerdings der Meinung, trotz der "große[n] Schwierigkeiten", die sich aus dem Konflikt zwischen natürlicher Veranlagung des Menschen und den bürgerlichen Verhaltensrichtlinien ergeben, müsse dennoch nicht ihre generelle "Unvereinbarkeit" gefolgert werden, sondern vielmehr sei zu bedenken, daß diese Pole "durch Erziehung und Zucht ... versöhnt werden [können] und .. es bisweilen auch [werden]" (ebd.). Leider geht er an keiner Stelle näher darauf ein, wie er sich "Erziehung und Zucht" der staatstragenden Personen vorstellte bzw., ob nicht auch diese wiederum ein funktionierendes soziales System jenseits des Krieges aller gegen alle bereits voraussetzen. Daraus folgt: Die Ableitung der Staatsgründung aus der Anthropologie ist bei Hobbes weder logisch zwingend noch intuitiv völlig plausibel. Vielmehr muß man annehmen, Hobbes habe bei dem Akt der Staatsgründung einer überaus wichtigen Komponente zu wenig Beachtung geschenkt - nämlich dem (in Grunde durch nichts zu rechtfertigenden!) Vertrauen der Vertragspartner in die Gutwilligkeit des Souveräns. Nur wenn alle Vertragspartner - streng genommen wider die natürliche Vernunft - darauf vertrauen, der Souverän tes keine Wahl, hinsichtlich ihrer Unterwerfung unter einen weltlichen Souverän aber sehr wohl. 137 Locke, 1977, 11,2, § 13 (S. 207 f.). 138 Vgl. dazu Fukuyama, 1992, S. 223 f. Auch Kant nimmt in seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1978 2 , XI, S. 40 f., A 396/397) zu diesem Problem Stellung: "der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter andern seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat. [...] Er bedarf also einen Herrn, der ihm den eigenen Willen breche, und ihn nötige, einem allgemein-gültigen Willen, dabei jeder frei sein kann, zu gehorchen. Wo nimmt er aber diesen Herrn her? Nirgends anders als aus der Menschengattung. Aber dieser ist eben so wohl ein Tier, das einen Herrn nötig hat". Kant hält die Aufgabe, einen Herrscher zu finden, der zugleich Mensch und "gerecht für sich selbst" ist, für die "schwerste unter allen; ja ihre vollkommene Auflösung ist unmöglich: aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden" (sehr interessant sind in diesem Zusammenhang auch Kants Ausführungen über den "Charakter der Gattung" in seiner "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", 1978 2 , XII, S. 672690, B 313/A 315 - B 332/A 334).

Vom Weltstaat

223

werde seine Machtfülle nicht mißbrauchen, ist die Wirksamkeit des Staatsvertrages denkbar (Man stelle sich das Verfahren einmal konkret vor! W i e schwierig oder sogar unmöglich müßte sich im Hobbesschen Naturzustand der Einzelkämpfer die Suche nach dem geeigneten Souverän gestalten, der sämtliche Eigenschaften in sich vereinen müßte, die ein "guter" Herrscher haben sollte - Machtbewußtsein neben dem Bewußtsein der eigenen [dienenden] Funktion; Entscheidungsstärke neben der Weisheit, nicht mehr zu tun als zur Erhaltung v o n Sicherheit und Frieden notwendig; Härte und Güte u s w . ) . 1 3 9

139 Vgl. zu dieser Konsequenz Tönnies, 1975, S. 232: "Mithin hat der ursprüngliche [den Staat konstituierende, T.M.] Vertrag keine stärkeren Bande, die ihn halten, als ein im Naturzustande geschlossener Vertrag überhaupt. Und doch ist das Verharren in ihm für das Bestehen des politischen Zustandes, also auch für die Wirksamkeit von Gesetzen und Strafen, unumgängliche Bedingung. Es ergibt sich: über den Widerspruch, daß die Beschränkung der natürlichen Freiheit durch den Willen des Gemeinwesens mit privatrechtlichen Begriffen konstruiert wird, während andererseits die Gültigkeit privatrechtlicher Normen von dem bestehenden Gemeinwesen abhängig erscheint - über diesen Widerspruch kommt Hobbes nicht hinweg"; vgl. entspr. Schräder, 1975, S. 318; auch Kersting (1992a, S. 176) hält dieses Argument zumindest für geeignet, Hobbes' Konsequenz eines Staates mit absoluter Herrschaftsgewalt erfolgreich zu entkräften; Kliemt (1985, S. 31) verortet in diesem Punkt "die zentrale Schwäche der Hobbesschen Institutionslehre". Locke (1977, S. 265) hat später bei seiner Analyse der ursprünglichen paternalistischen Herrschaft darauf verwiesen, daß der Vater deshalb in der Großfamilie "wirklich zum Gesetzgeber und Regenten aller" werden konnte, weil er "der geeignetste für ihr Vertrauen" gewesen sei. Anders als Hobbes erkennt er also die immense Bedeutung dieses originären sozialen Empfindens. Hardin (1991, S. 171, 174 f.) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, Hobbes habe zurecht die Notwendigkeit einer Ordnungsmacht erkannt, um der "prisoner's-dilemma"-Situation des Naturzustands zu entkommen; er habe aber nicht deutlich erkannt, daß die Einsetzung einer Regierung selbst ein solches "prisoner'sdilemma" darstelle (vgl. entspr. Kliemt, 1991, S. 187 f.; Taylor, M., 1985, S. 23 ff.; Hampton, 1986, S. 189 ff.). Das Scheitern der angestrebten "Vermittlung von individueller Freiheit und politischer Herrschaft" stellt auch Baumanns (1977, S. 31) zutreffend fest. Er meint, daß ein solches Vertrauen, "nämlich dasjenige auf Einsicht und Moralität des Souveräns, ... in einer praktisch-politischen Philosophie, die wesentlich auf dem Prinzip des Mißtrauens aufgebaut ist, keinen Platz haben [sollte]. Der Satz, das eigene Interesse werde den Souverän zu liberalem Herrschen veranlassen, ist, wie Rousseau ("Du Contract Social", III, 6), bemerkt: 'une phrase très belle, et même très vraie à certains égards. Malheureusement on s'en moquera toujours dans les cours'". Für Rousseau (1977, I, 4, S. 11) ist daher das Volk, das sein natürliches Recht umsonst weggibt, schlicht ein "Volk von Wahnsinnigen; aber Wahnsinn schafft kein Recht"

224

Möhrs (zur Rousseauschen Kritik an Hobbes' Vertragstheorie siehe auch Kersting, 1994, S. 149 ff.). Noch schärfer urteilen in diesem Zusammenhang Autoren wie Euchner (1982, S. 186) und Höffe (1981a, S. 11 f.; ders., 1981b, S. 129 ff.; ders., 1982, S. 31, 33, 51 ff.), die ein völliges Versagen, eine Selbstnegation der Hobbesschen Staatsphilosophie an entscheidender Stelle konstatieren. Allerdings räumt Höffe (1981a, S. 12; vgl. auch 1981b, S. 128) ein, es sei zwar falsch, "die Friedensgarantie von einem absolutistischen Staat zu erwarten", andererseits treffe aber die Hobbessche Grundthese unbestreitbar zu, wonach "ein dauerhafter Friede nicht ohne staatliche Gewalt auskommt". Wenn man nun gegen Höffe zu dem Ergebnis kommt, aus Hobbes' Philosophie sei zwar die Forderung nach einer absoluten Souveränität abzuleiten, nicht jedoch notwendig der Popanz einer totalitär-absolutistischen Gewaltherrschaft, dann wird man auch die These vom "grundsätzlichefn] Versagen der Hobbesschen Staatstheorie" (Höffe, 1981a, S. 12) zurückweisen können. Und es fragt sich, ob das sich "tendenziell" aus dem Hobbesschen System ergebende "Monstrum" (Euchner, 1982, S. 186) nicht eher das Monstrum einiger Hobbes-Interpreten ist. Besonders deutlich wird dies in einigen Ausführungen von Höffe (1981b, S. 131 ff.). Denn einerseits wird hier behauptet, die öffentliche Gewalt werde bei Hobbes "keinerlei normative[r] Begrenzung unterworfen", der Staat stehe mit absoluter Machtkompetenz "über allen natürlichen und positiven Gesetzen" (S. 131; dies würde bedeuten, der Herrscher dürfe nach Hobbes auch das erste Natur-Gesetz der Vernunft ignorieren, was schlechterdings falsch ist [vgl. Le, S. 248]), andererseits gilt dies nach Höffe nur unter der Einschränkung, daß der Staat seine Primäraufgaben auch erfüllt: Sicherung des (guten) Lebens seiner Bürger nach innen und außen; ist dies nicht der Fall, so "entfällt logischerweise die Vertragsgrundlage" und seitens der Untertanen "endet die Gehorsamspflicht" (Höffe, 1981b, S. 132; vgl. dazu Palaver, 1991, S. 30 f.). Schließlich kommt Höffe zu dem merkwürdigen Ergebnis, der (substantielle) Hobbessche Absolutismus sei erstens "kein Selbstzweck" und zweitens "keineswegs durch und durch absolutistisch", sondern "Sowohl-Als-Auch" zwischen Absolutismus und Liberalimus einzuordnen (ebd.). Liberal sei der Staat bei Hobbes insofern, als er "in die freie Selbsterhaltung nicht eingreifen, sondern sie nur im intersubjektiven Kräftefeld sichern" solle; absolutistisch - und zwar nun plötzlich "tendentiell"! - sei dieser Staat jedoch in bezug auf die "Gewährleistung der [liberalen] Inhalte" (ebd., S. 133). Wenn aber dies "Absolutismus" bedeutet, ist dann nicht jeder demokratische Rechtsstaat - etwa wenn er auf der Basis seiner Gesetze einen Bankräuber konsequent verfolgt und aburteilt zumindest "tendentiell" absolutistisch? Wie sollte man das Verhältnis zwischen der Souveränität eines demokratischen Rechtsstaates und Terroristen und extremistischen Parteien bewerten, die diesem Staat und seiner Verfassung den Krieg erklärt haben? Wie das staatliche Gewaltmonopol? Wie die Letztinstanzlichkeit etwa des deutschen Bundesverfassungsgerichts, die anerkanntermaßen eine Durchbrechung des

Vom Weltstaat

225

Hobbes mag zwar für das Verhältnis der Untertanen zum Herrscher und dem von ihm erlassenen Gesetzen fordern, "daß keinem Menschen irgend etwas unnötigerweise gesetzlich verboten sei, was ihm nach dem Naturgesetz erlaubt war, das heißt, daß die natürliche Freiheit nicht eingeschränkt werde, außer wenn es für das Wohl der Gemeinschaft nötig ist, und daß wohlmeinende Männer [und Frauen!] nicht in die Schlingen des Gesetzes fallen, wie Gewaltenteilungsprinzips darstellt? (Es erscheint befremdlich, daß ein deutscher Hobbes-Interpret wie Kersting [1992, S. 174-186] das "Letztinstanzlichkeitsargument" scharfsinnig analysiert, dabei zu dem Ergebnis kommt, dessen Logik lasse sich weder mit Aristokratie noch mit Demokratie, sondern nur mit einer absoluten Monarchie vereinbaren, und dabei die juristisch-legislatorische Letztinstanzlichkeit etwa des BGH oder des Bundesverfassungsgerichts völlig außer acht läßt.). Bernard Willms (1992, S. 18 f.) stellt in Bezug auf das vielkritisierte Hobbessche Diktum "auctoritas non veritas facit legem" (vgl. etwa Di, S. 42 f.) völlig zurecht fest, damit sei "das Verfahren jeder regulären Gesetzgebung bis heute angesprochen: ein Gesetz wird erst zum Gesetz, 'erlangt Gesetzeskraft', wenn es auf dem regulären Weg legitimierten Verfahrens dazu gemacht worden ist"; vgl. Hungerland, 1989, S. 47. Selbst ein kaum des Hanges zum "starken Staat" zu verdächtigender Autor wie Popper (1988, S. 17) betont, in jedem Staat, also auch in der Demokratie, könne es ein "'Zuviel' der Freiheit" geben, weshalb die Staatsmacht unerläßlich bleibe, um "den Mißbrauch der Freiheit zu verhindern". Auch eine demokratische Ordnung kommt nicht umhin zu bestimmen, wer dazugehört und wer nicht, wer - im Sinn Carl Schmitts - Freund ist und wer Feind (vgl. dazu Willms, 1990, S. 266). Momente absoluter oder paternalistischer Herrschaft sind offensichtlich in keiner Gesellschaftsform gänzlich zu vermeiden (vgl. Schaefer, 1993, S. 139). Schelsky (1981, S. 328) hält es zurecht für eine der tiefen Einsichten Hobbes', "daß der Bürger nur in seinem Bewußtsein, nicht aber als wirklicher Besitzer der Macht den Staat zu tragen hat, daß Demokratie in diesem Sinne Anerkennung, nicht aber Ausübung der Macht durch das Volk ist". "Demokratie war nie Volksherrschaft, kann es nicht sein, soll es nicht sein" (Popper, 1988, S. 10) - und zumindest während einer Legislaturperiode gilt auch in einer parlamentarischen Demokratie das (Hobbessche) Repräsentationsprinzip, wonach sich die Bürger die vom gewählten Parlament verfassungsgemäß erlassenen Gesetze als ihre eigenen zurechnen lassen müssen. Ohne diese Suggestion der Identität des Willens zwischen Wählern und gewählten Repräsentanten wäre auch ein Rechtsstaat nicht denkbar (siehe dazu z.B. die Diskussionsbeiträge von Gralher und Bermbach zu: Höffe, 1982, S. 67 f. bzw. S. 72 f.). Freund (1982, S. 119) weist zudem auf den wichtigen philologisch-hermeneutischen Aspekt hin, der Begriff des "Absoluten" hätte bei Hobbes nicht jenen "ideologischen" Sinn gehabt, "den er unmittelbar vor der Französischen Revolution" angenommen hat"; Hobbes' "Absolutismus" ist dagegen mehr eine Konsequenz seiner Methodologie.

226

Möhrs

in einen Fallstrick, ehe sie sich dessen versehen" (El, S. 202), aber die Frage ist eben, welches effektive Motiv es für den Souverän geben könnte, sich an eine derartige Richtlinie fiir seine Herrschaftspraxis zu halten. Bekanntlich versucht Hobbes dieses Problem zu lösen, indem er den Souverän stets als den Gesetzen Gottes unterworfen sieht. Die Verpflichtung des Souveräns zur Einhaltung der natürlichen Gesetze und das Verbot des Machtmißbrauchs leitet Hobbes aus der Unterworfenheit des Souveräns als dem "sterblichen Gott" unter die ewige und allgegenwärtige Herrschaft des unsterblichen Gottes ab (vgl. Le, S. 220 f., 248, 255, 271).^o Und die damit einhergehende enorme Bedeutung der theologischen Dimension läßt sich zugespitzt in der These zusammenfassen, in Hobbes' System sei die Begründung von Ethik und Moral letztlich nur unter der Gottesannahme und unter Rückbindung der ethischen Normen an die göttliche Autorität möglich. Wäre der Herrscher in keiner Weise gebunden an die absoluten, immer schon gegebenen göttlichen Gesetze, wäre seitens der Individuen im Naturzustand die Machtübertragung auf eine einzelne Person oder eine Versammlung (möglicherweise) tätlicher Leichtsinn. Nur wenn alle zukünftigen Untertanen darauf vertrauen können, daß sich der Souverän in einem erforderlichen Mindestmaß an die göttliche verordneten moralischen Vorschriften halten wird, kann das Risiko einer Staatsgründung tolerabel sein. 141 D.h., daß nicht 140 Siehe dazu etwa Gehrmann, 1970, S. 99 ff.; ebs. Euchner, 1992, S. 179. Hobbes' Naturrechtskonzeption steht somit offensichtlich in unmittelbarer Nähe zu der des Thomas v. Aquin; siehe dazu Irrgang, 1990, S. 42 ff.; vgl. auch Kersting, 1992a, S. 133 ff.; Kersting stellt hier die These auf, Hobbes habe zwar das traditionelle naturrechtliche Vokabular verwandt, einem Begriff wie "Verpflichtung" jedoch einen völlig neuen Bedeutungsgehalt gegeben: "Nicht durch den Begriff der moralischen Verpflichtung läßt sich das Verhältnis zwischen dem handelnden Menschen und der Normenebene erfassen, sondern durch den Begriff der strategischen Konsequenz" (ebd., S. 133 f.). Mit dieser These widerspricht Kersting ausdrücklich der sog. "Taylor-Warrender-These", der zufolge "Hobbes Anhänger des traditionellen Naturrechts sei, die natürlichen Gesetze als Befehle Gottes verstanden habe, denen zu folgen wir moralisch verpflichtet seien, weil sie von Gott gewollt seien" (ebd., S. 199). 141 Hobbes' Lehre, wonach der Souverän nicht an die von ihm erlassenen Gesetze gebunden ist (vgl. Le, S. 137 ff.), legt das Mißverständnis nahe, der Gesetzgeber könne als Privatperson nach Belieben die von ihm in seiner legislatorischen Eigenschaft erlassenen Gesetze verletzen, ohne dafür je zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Zum einen ist aber hier zu bedenken, daß die Nichtgebundenheit der gesetzgebenden Instanz als solcher an die von ihr erlassenen Gesetze auch in modernen parlamentarischen Demokratien insofern ein schlichtes Faktum ist, als die bestehenden Gesetze jederzeit novelliert, außer Kraft gesetzt oder durch neue Ge-

227

Vom Weltstaat

nur das wohlverstandene Eigeninteresse der Individuen i m Naturzustand zur Staatsgründung führt, sondern daß d i e s e m zweckrationalen Eigeninteresse bereits bestimmte Überzeugungen, ethisch-moralische b z w . - vorsichtiger formuliert -: soziale Grundannahmen vorausliegen b z w . korrespondieren m ü s s e n - zuvorderst die, der Souverän werde seine Macht nicht auf brutale und grausame W e i s e mißbrauchen. D o c h w o h e r sollten dieser

Vertrauensvorschuß,

diese sozialen Grundannahmen im H o b b e s s c h e n Naturzustand der asozialen Einzelkämpfer herrühren, zumal sie über keinerlei soziale Erfahrungen verfüg e n können? In d i e s e m Zusammenhang ist also näher auf eine P h ä n o m e n e i n z u g e h e n , das mit d e m Titel "Hobbes' 'Piatonismus'" bezeichnet w e r d e n kann: 1)

W e n n das Handeln des Souveräns letztlich v o n seiner Furcht vor der göttlichen Strafe bestimmt ist, dann kann m a n auch d i e s b e z ü g l i c h bestenfalls noch v o n einer bedingten Freiheit reden. Frei ist der Herrscher dann nur noch, im Rahmen dessen, w a s die göttlichen Gebote zulassen, seine weltlich-legislatorische Funktion auszuüben (vgl. D i , S. 6 1 ) . 142

setze anderen Inhalts ersetzt werden können, sofern dabei die (materiellen und formalen) Richtlinien der Verfassung beachtet werden. Eine - freilich außerordentlich wichtige - Ausnahme von diesem Prinzip stellt lediglich die unbedingte Bindung der Legislative an grundlegende Normen der geltenden Verfassung selbst dar, die per definitionem nicht aufgehoben oder verändert werden dürfen (vgl. z.B. die "Ewigkeitsklausel" des Art. 79 Abs. 3 GG - die freilich durch Art. 146 GG stark relativiert wird.). Zum zweiten dürfte es auch im Hinblick auf Hobbes schlicht falsch sein, wollte man ihm unterstellen, er habe die Befolgung der jeweils geltenden Gesetze in das völlige Belieben des Souveräns gestellt. So läßt etwa die Formulierung des "Leviathan" (S. 232), wonach derjenige ein Verbrechen begeht, der "einem öffentlichen Beamten in Ausübung seiner Freiheit Widerstand leistet ..., da er ohne jeden Friedensbruch durch eine Klage sein Recht hätte bekommen können", ohne weiteres den Schluß zu, im Hobbesschen Staat könnte und sollte es durchaus so etwas wie eine Organklage gegen Amtsmißbrauch und illegitime Freiheitsbeschränkung eines Untertans seitens eines Vertreters der Souveränität geben. Diese Interpretation ist für Hobbes' System, dessen Primärziel die Gewährleistung des sozialen Friedens und - zu diesem Zweck der Rechtssicherheit ist, die einzig sinnvolle, da jeder rechtswidrige staatliche Willkürakt dem Prinzip der Rechtssicherheit widersprechen und in der Konsequenz auf eine Destabilisierung des sozialen Friedens hinauslaufen müßte. 142 Natürlich ist auch diese Überlegung wieder problematisch, da dem Souverän nach Hobbes das Recht der verbindlichen Interpretation und Auslegung des göttlichen

228 2)

Möhrs W i e s o kann H o b b e s - gerade w e n n man sein Menschenbild zugrundelegt - überhaupt davon ausgehen, ein Herrscher würde sich selbst an das "Naturrecht" und die "Gebote Gottes" gebunden fühlen? Gelten nicht die "Gesetze der Vernunft" für die Person d e s Souveräns nur insofern, als er Privatperson ist, nicht aber, sofern er "Leviathan" und damit "sterblicher Gott" ist? 1 4 3 H o b b e s vertritt die A u f f a s s u n g , der Herrscher w e r d e bereits aus wohlverstandenem Eigeninteresse und z u d e m Furcht v o r jenseitiger Bestrafung

aus

moralisch handeln (vgl. hier v . a . die

A n m . , C i , S. 138 f . ; hier heißt es: "Aber weshalb sollte e i n K ö n i g dies [nämlich 'rauben, plündern, töten'] tun? Sicherlich nicht deshalb, w e i l er e s kann, denn w e n n er nicht den W i l l e n hat, wird er e s nicht tun. Wortes (der Bibel) zusteht, er also auch hier frei nach eigenem Wissen und Gewissen - oder gemäß den eigenen Machtinteressen - agieren kann. 143 Von Bedeutung ist diese theologische Dimension in Hobbes' System vor allem auch im Hinblick auf die "Sündenfähigkeit" des Staates. Dabei ist vor allem folgende Prämisse zu beachten: "die Sünden sind eine Folge des natürlichen, kundgegebenen Willens, nicht des politischen Willens, der ein künstlicher ist" (Ci, S. 155, Ziff. 14; vgl. auch El, S. 143 f.). Deshalb gilt: 1) Wird in einer Demokratie oder Aristokratie ein Gesetz wider das Naturrecht/Gott erlassen, so sündigt nicht der Staat (der nur künstliche Person ist), sondern es sündigen die (natürlichen) Personen, die am Erlaß des Gesetzes beteiligt waren. Als künstliche Person ist der Staat überhaupt nicht fähig zur Sünde. Er kann deshalb als solche wegen einer Sünde auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Aber auch die sündigenden Personen, die ein naturrechtswidriges Gesetz beschlossen haben, sind faktisch nicht zur Rechenschaft zu ziehen, da erstens keine natürliche Person ein Recht dazu hat und zweitens niemand die dazu erforderliche Macht. Sünden von Mitgliedern der demokratischen oder aristokratischen Versammlung kann nur Gott ahnden - weshalb auch nur die Furcht vor der göttlichen Strafe geeignet sein kann, diese Versammlungen von der Sünde abzuhalten (Offenbar kam Hobbes nicht auf den Gedanken, daß eine am Gemeinwohl orientierte Versammlung doch ohne weiteres die Immunität "sündiger" Mitglieder durch Mehrheitsbeschluß aufheben könnte.). 2) Da in einer Monarchie der Staat als künstliche Person mit der das Amt innehabenden natürlichen Person zusammenfällt, mithin also auch staatlicher und natürlicher Wille, ist jedes naturrechtswidrige Handeln des Monarchen Sünde (Ci, S. 156). Im strengen Sinne kann aber auch dies nicht die "Sünde" des Monarchen als "künstliche" Person sein, da er als solcher per definitionem nicht zur Sünde fähig sein kann. Es scheint, als schwinge hier bei Hobbes so etwas mit wie die Lehre von "The king 's two bodies": Zum einen ist er natürliche Person - und als solche zur Sünde fähig; zum anderen aber ist er - in einem gewissen Sinne losgelöst von seinem natürlichen Körper - künstliche Person, die als bloße Institution nicht fähig zur Sünde ist.

Vom Weltstaat

229

Wird er zugunsten eines oder weniger alle anderen berauben wollen? Wenn er dies dem [positiven! T.M.] Rechte nach, d.h. ohne Unrecht zu begehen, tun könnte, so könnte er es doch erstens nicht moralisch, d.h. nicht ohne Verletzung der natürlichen Gesetze und ohne Unrecht gegen Gott. ... Aber selbst wenn er es moralisch dürfte oder den Eid für nichts erachtete, hätte er doch keinen Grund, die Bürger zu berauben, da er keinen Nutzen davon hätte"; vgl. El, S. 160; oder, noch knapper: "Der Zweck der Kunst ist Nutzen, und zum Vorteil der Untertanen regieren ist nichts anderes, als zum Vorteil des Herrschers regieren" [El, S. 200].). Was aber, wenn der Souverän nicht an Gott glaubt, Atheist ist oder - anders als Hobbes - konsequenter Materialist, wenn er sich selbst deshalb keineswegs als "Untertan im Reich Gottes" versteht (Le, S. 271) und von daher nichts mit dem Hobbesschen Argument anfangen kann, "das ewige Wohl [sei] dem zeitlichen vorzuziehen" (El, S. 201), oder ganz einfach nicht bereit ist, seine politische Funktion selbstkritisch zu reflektieren; wenn er - als natürliche Person mit ungeheurer Machtfülle ausgestattet - sein Primärinteresse ausschließlich darauf richtet, die eigenen kurzfristigen Machtinteressen zu fördern? Natürlich könnte man auf diesen Einwand mit Hobbes wiederum antworten, jeder Souverän, sofern ihm wirklich an der Förderung seiner eigenen Machtinteressen gelegen sei, müsse gerade das Wohl seiner Untertanen wollen, "denn der König hängt ja an seiner Macht, und was wird aus dieser, wenn seine Untertanen, durch deren Anzahl und Kraft er sich seiner Macht und jeder seiner Untertanen sich seines Vermögens erfreuen kann, vernichtet oder geschwächt werden?" (Di, S. 75 f.; eine Formulierung, aus der sich eine Art von "kategorischem politischen Imperativ" ableiten ließe; vgl. dazu auch die Argumentation El, S. 199 f.; Le, S. 143 f., 146). 144 Aber dieses Argument kann eben nicht überzeugen, wenn man von der Ignoranz eines politischen Führers ausgeht, der sich wenig darum schert, was wohl sein "wohlverstandenes" Eigeninteresse sein könnten. Daraus wird deutlich, daß 144 Vgl. zu dieser Interpretation Goldenbaum, 1988, S. 417 f.; sie meint, Hobbes' Staatskonstruktion verlange "eigentlich den nur vernünftigen Herrscher, den aufgeklärten Monarchen, der ausschließlich das Gemeinwohl zu seinem Privatinteresse macht, ... denn die Macht seiner Bürger sei seine eigene Macht". Der Souverän müßte also einsehen, daß seine Herrschaft nur dann von Dauer sein kann, wenn sie "stets auch von den subjektiven Lebensinteressen der Mehrheit getragen [wird]" (Forschner, 1989, S. 158); zur Kritik an dieser "phrase très belle" siehe Baumanns, 1977, S. 31.

230 der

Möhrs Hobbessche

Staat nur

dann gut

funktionieren

kann,

wenn

die

zu-

s a m m e n g e f a ß t e Macht der Untertanen e i n e m "guten" Herrscher ü b e r g e b e n w e r d e n kann. U n d weil die H o f f n u n g auf einen solchen guten Herrscher - g e rade auf der Grundlage des H o b b e s s c h e n Menschenbildes! - als ausgesproc h e n e m idealistisch bezeichnet werden muß, erscheint e s zumindest nicht als unsinnig, in d i e s e m Zusammenhang v o n Hobbes'

Piatonismus

zu sprechen.

Nur der "gute Herrscher", der (platonische) "Philosophenkönig" 1 4 5 ,

könnte

das gute Funktionieren eines Staatswesens gewährleisten; und gerade

weil

H o b b e s sehr w o h l w e i ß , daß der Herrscher dann, "wenn das öffentliche Intere s s e zufällig d e m privaten in die Quere kommt,

... meistens das private

vor[zieht]", da "die Leidenschaften der M e n s c h e n ... g e w ö h n l i c h mächtiger [sind] als ihre Vernunft" (Le, S. sprochenes D e f i z i t seines Systems,

146 f . ) 1 4 6 , ist es sicherlich e i n daß er sich über die

ausge-

charakterlichen

Voraussetzungen, das W e r d e n , die A u s w a h l , die Erziehung, die Bildung j e n e r staatstragenden M e n s c h e n - im Gegensatz zu Piaton! -

so w e n i g Gedanken

macht.147

145 Auf die "totalitären" Aspekte der politischen Philosophie Piatons sowie seiner These von der Notwendigkeit eines Philosophen-Königtums zur Rettung der Staaten kann hier nicht näher eingegangen werden. Wichtig ist alleine der - Piaton auch von Popper (1980^, S. 230, 266) zugestandene - Gedanke, daß der Herrscher wirklich primär an der Maximierung des Wohls seines Volkes interessiert ist. 146 Eine Formulierung, die sich für eine soziobiologische Interpretation förmlich anbietet: Auch Könige sind als natürliche Personen Kleingruppenwesen, deren Disposition zu wohltätigem, altruistischem Verhalten natürlicherweise primär auf die eigene genetische "Ingroup" gerichtet ist; diese biologische Grundlage des abgestuften Altruismus ist unhintergehbar, und jeder Versuch, die damit faktisch gegebene Grenze der Moralfähigkeit zu mißachten - selbst eines Königs - läuft "erfahrungsgemäß" Gefahr, "durch Korruption" unterlaufen zu werden (Mohr, 1987, S. 3 f.; vgl. Phocas, 1986, S. 156 f.). 147 Zur Problematik der Geltung der Gesetze der Vernunft für die Herrscher siehe auch Paeschke, 1989, S. 104 f.; Kodalle, 1972, S. 137 ff., ders., 1975; Höffe, 1982, S. 54 ff., 77; bereits Strauss (1956, S. 173 f., 183 f.) wies darauf hin, Hobbes habe keineswegs völlig mit der philosophischen Tradition gebrochen, sondern sei durchaus in einer Linie mit der sokratisch-platonisch-idealistischen Lehre zu sehen. Neu an Hobbes sei allerdings - so Strauss - der im Vergleich zu den klassischen Denkern ungleich höhere Anspruch an die politische Philosophie, die gleichsam Garant einer optimalen, "wahren" Politik sein soll. Was den Anspruch an die Funktion und Leistung der politischen Philosophie betrifft, scheint mir diese Heraushebung Hobbes' etwa gegenüber der Philosophie Piatons recht gewaltsam, da die in der "Politeia" geforderte Personalunion von Philosoph und Politiker einen un-

Vom Weltstaat

231

Dennoch rennt man bei Hobbes offene Türen ein, wollte man ihm dieses ausgesprochen idealistische Moment seiner politischen Philosophie zum Vorwurf machen. Hobbes ist Moralist 148 ; er ist - zumindest in diesem Punkt auch Idealist und sich über den utopischen Charakter und den "großen Zumutungswert" (Kersting) seines Entwurfes völlig im klaren. Zum Beleg für diese sicherlich gewagten Hobbes-Thesen sei auf seine Formulierungen am Ende des 31. Kapitels des "Leviathan" (S. 281) verwiesen, die den Schluß seiner säkularen Staatsphilosophie markieren (mit dem 32. Kapitel beginnt die speziellere Lehre "Vom christlichen Staat"). Denn hier heißt es: "Und wenn ich nun bedenke, wie sehr sich diese Lehre von der Praxis des größten Teiles der Welt, besonders des westlichen Teils, die ihre Moral von Rom und Athen gelernt haben, unterscheidet, und welch tiefe Einsichten in die Moralphilosophie von den Verwaltern der souveränen Gewalt verlangt werden, so bin ich drauf und dran zu glauben, daß meine vorliegende Arbeit so nutzlos ist wie die Politeia Piatos".149 Hobbes glaubt aber andererseits, mit seiner Schrift erstmals eine derart klare, systematische und verständliche "Wissenschaft von der natürlichen Gerechtigkeit" vorgelegt zu haben, daß seine Hoffnung nicht völlig unbegründet sei, "es möge früher oder später meine vorliegende Schrift in die Hände eines Souveräns fallen, der sie ohne Hilfe eines interessierten oder mißgünstigen Interpreten selbst überdenken wird ..., und der durch Ausübung der vollen Souveränität, indem er die öffentliche Verbreitung dieser Lehre schützt, diese spekulative Wahrheit in praktischen Nutzen verwandelt" (Le, S. 281). 150 überbietbaren Anspruch an politische Philosophie - und erst recht an die politische Praxis darstellt. 148 Vgl. zu dieser Auffassung auch Räder, 1990, S. 23: "Hobbes1 Anliegen war keinesfalls zynisch, als Rationalist wollte er zur Verbesserung der Welt beitragen, indem er seine Mitmenschen über die Grundlagen der Vernunft aufklärte und zur friedlichen Gestaltung der Welt ermahnte"; entspr. Schaefer, 1993, S. 74. 149 In der lateinischen Fassung des "Leviathan" nennt Hobbes neben der Politeia auch noch die "Utopia" von Thomas Morus und Bacons "Nova Atlantis" als Beispiele für solche "nutzlosen" Utopien. 150 Zum Gegenentwurf des Herrschers als reinem Machtpragmatiker bei Machiavelli vgl. Münkler, 1987, S. 59 ff., aber auch S. 215, wo Münkler die frühneuzeitliche These referiert, auch eine "Herrschaft im Interesse der Untertanen" sei letztlich nichts anderes als eine raffinierte Tarnung des herrscherlichen Eigeninteresses. Auch an dieser Stelle ließe sich sehr gut die hohe Plausibilität der soziobiologischen These vom "reziproken Altruismus" als modifiziertem Egoismus nachweisen. Das Ziel ist allerdings weitgehend das gleiche, da der "gute" Herrscher bei Piaton und Hobbes ebenso wie der Politik-Techniker bei Machiavelli in erster Linie Sicherheit und Sta-

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Dieser Selbsteinschätzung Hobbes' von der systematischen Konsistenz und leichten Verständlichkeit seines Entwurfs muß man natürlich keineswegs zustimmen. So gelangt etwa Paeschke bei ihrer textimmanenten Analyse des "Leviathan" zu dem Ergebnis, die im allgemeinen als grundlegend für die politische Philosophie Hobbes' geltenden erkenntnistheoretischen und anthropologischen Passagen des Textes seien "schlüssig nur im Hinblick auf das von Hobbes angestrebte Ziel der Ableitung: Die Begründung der Notwendigkeit des Staates". 151 Hobbes - so Paeschke weiter - "will eine wissenschaftliche Ableitung = Begründung der Notwendigkeit des Staates geben, weil diese ihm vorab, d.h. unbegründet, als praktische Notwendigkeit feststeht". 152 Und im Zusammenhang mit der theologischen Dimension des "Leviathan" behauptet sie, die souveräne Gewalt sei nicht kraft natürlich menschlicher Vernunft zustandegekommen, "sondern bestehfe] bereits ... als eine, auf die sich die sich ängstigenden Menschen berufen". Demnach würde also Hobbes seine Erkenntnistheorie ebenso wie seine Anthropologie vom gewünschten Ziel her (mehr oder weniger gewaltsam) konstruieren, was praktisch eine völlige Umkehrung seines methodologischen Anspruches bedeutete. 153 Doch Paeschke hat mit ihrer These - jedenfalls in dieser scharfen Formulierung - sicher Unrecht. Der Fehler liegt in ihrer Interpretation des Hobbesschen Vernunft-Begriffes, bzw. in dem, was sie sich unter der staatskonstituierenden menschlichen Vernunft vorstellt. Vernunft ist bei Hobbes nichts anderes als ein spezifisch menschliches Instrument zur Wahrnehmung seiner je eigenen Interessen. Vernunft (als die Fähigkeit zur Antizipation) leitet ihn zur Furcht; Vernunft leitet ihn zur Einsicht in das Elend des Naturzustandes; Vernunft legt ihm den Ausgang aus dem Naturzustand in seinem je eigenen Interesse nahe; Vernunft macht ihm die "Gesetze der Natur" bewußt, jene Möglichkeitsbedingungen des sozialen Friedens, die im Binnenbereich der familiären Ingroup unbewußt oder vorbewußt bereits immer

bilität eines Gemeinwesens anstreben (die vice versa Sicherheit und Stabilität ihrer eigenen Position bedeuten). 151 Paeschke, 1989, S. 58 ff. 152 Paeschke, ebd., S. 61. 153 Paeschke, ebd., S. 79; vgl. auch Wrong, 1984, S. 205 ff.; Wrong bezieht sich hier vor allem auf die Hobbes-Interpretation Macphersons; entspr. vertritt auch Markl, K.-P. (1985, S. 78) die Auffassung, in Hobbes' politikwissenschaftlichem System komme "zuerst der Zweck und erst dann die Erfindung [der passenden Axiome; T. M.]".).

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"galten" ; und Vernunft führt ihn zur Erkenntnis, dieser Friede - ebenso wie die moralischen Normen - sei ohne ein "Schwert der Gerechtigkeit" nicht zu realisieren. Der ursprüngliche Akt der Staatsgründung entspringt nach Hobbes nicht einer moralisch hochwertigen Reflexion über eine "menschenwürdiges Dasein", sondern in erster Linie aus der schieren Furcht und Verzweiflung über das Elend des je eigenen Daseins im Naturzustand. Wenn man also - wie etwa Kersting und Honnefelder155 - argumentiert, das auf der reduktionistischen Basis des Eigeninteresses beruhende Hobbessche ebenso wie das entsprechende soziobiologische Modell der Moral könne lediglich "Ursachen für faktische Geltung von Moral an[geben], nicht Gründe für ihre objektive Gültigkeit", dann ist dem aus der Sicht von Hobbes einerseits zuzustimmen. Die Summe aller individuellen Eigeninteressen reicht nicht aus, die allgemeine Geltung einer moralischen Norm {in foro externo) zu begründen; doch die notwendige zusätzliche Bedingung der Ursache für diese faktische Geltung ist nach Hobbes eben nicht irgendein transzendentes oder transzendentales Prinzip, sondern die Faktizität eines "Schwertes der Gerechtigkeit", das alleine die Macht hat, die Beachtung einer Norm zu gewährleisten. Ohne dieses Schwert bleiben moralische Begriffe wie "Menschenwürde" und "allgemeine Menschenrechte" im Zweifel leer und kraftlos, und die Menschen verbleiben nach wie vor im elenden Naturzustand.156 Nur insofern ist

154 Nur insofern hat Paeschke also recht, daß sich die Hobbesschen Individuen bei ihrem Ausgang aus dem Naturzustand auf bereits bestehende "moralische Institutionen" berufen. 155 Kersting, 1992a, S. 70 f.; Honnefelder, 1992, S. 164 ff. 156 Höffe (1992, S. 15) bezeichnet die Behauptung als trivial, daß man von einem moralischen Anspruch generell nur dort sprechen könne, "wo jemand anderer den Anspruch zu erfüllen hat", zur Beachtung dieses Anspruchs verpflichtet ist. Doch wer befindet dann aufgrund welcher Kriterien über das Bestehen eines Anspruchs und einer diesem korrespondierenden Verpflichtung? Wenn etwa - wie unlängst in Bosnien geschehen - die systematische Vergewaltigung moslemischer Frauen per Befehl verordnet wird, welchen "Anspruch" auf die Respektierung ihrer "Menschenwürde" können diese Frauen dann wem gegenüber noch geltend machen? Höffe (ebd., S. 25) macht schließlich zurecht darauf aufmerksam, selbst dann, wenn man die Menschenrechte als universale Klugheitsregeln damit begründet, daß hier wechselseitige "Freiheitsverzichte allseits vorteilhaft sind", gebe es doch immer noch einen vorstellbaren "größeren Vorteil: den einseitigen Freiheitsverzicht - freilich der anderen" ; um aber derartige parasitäre Verhaltensweisen wirksam unterbinden zu können, sei eine "Durchsetzungsmacht, als 'Schwert der Gerechtigkeit'" unabdingbar.

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auch Schmitts These zutreffend, die angehäufte Angst der Individuen "beschwörfe] den neuen Gott mehr als sie ihn schaff[e]". 157 Paeschkes Kritik trifft freilich insofern zu, als Hobbes mit den von ihm im erkenntnistheoretischen wie auch im anthropologischen Kontext gewählten grundlegenden Begriffen und Definitionen bereits in gewissem Sinne die Weichen für seine kompositive Untersuchung stellt. So führt etwa die Bestimmung des Menschen als "vereinzelt", "gleich" und "von Natur aus notwendig nach immer mehr Macht strebend", geradewegs in die Lehre vom "Krieg aller gegen alle" und über diesen in die Lehre von der Notwendigkeit des Staates. Aber: Selbst wenn man anerkennt, daß derartige ontologische Grundlegungen zu bestimmten Folgerungen und Konsequenzen und letztlich auch zur Parteinahme für eine bestimmte Gesellschafts- und Politiktheorie disponieren können, so sollte man dennoch nicht so weit gehen, die ontologische Grundposition mit der Parteinahme für ein bestimmtes Politik- und Gesellschaftsverständnis für gleichbedeutend zu erklären. 158 Ebenso unbestreitbar ist, daß Hobbes seine Lehren über den Menschen in erster Linie - abgesehen von historischen Darstellungen und Berichten - nur aus der Beobachtung der Menschen seiner Zeit, ihres Denkens und Handelns, ableiten konnte. 159 Dieses Argument ist zweifelsohne ebenso zutreffend wie der Hinweis, Hobbes sei einer von vielen gewesen, die sich dem Mythos der mathematisch-naturwissenschaftlichen Erfaßbarkeit der Wirklichkeit verschrieben haben 160 ; die Frage ist nur, ob damit auch die Anwendung der Hobbesschen Anthropologie auf andere Gesellschaftsformationen und -strukturen zu anderen Zeiten notwendig unzulässig oder heuristisch fruchtlos wer157 Schmitt, 1982, S. 52. 158 Vgl. zu dieser Argumentation Taylor, Ch., 1993, S. 105, 128 f. 159 Siehe dazu die interessanten Ausführungen von Wrong, (1984, S. 208 f.), der auf die Lebensverhältnisse der unteren Klassen im späten löten und frühen 17ten Jahrhundert als ausgesprochen aggressionsgeladen, spannungsreich und instabil verweist: '"To an anthropologist, there would be nothing very surprising about such a society, which closely resembles the Mundugumor in New Guinea in the twentieth century as described by Margaret Mead'". Seine Argumentation läuft darauf hinaus, daß Hobbes' Anthropologie bei dieser Beschaffenheit seines Beobachtungsgegenstandes gar nicht anders ausfallen konnte - womit er aber wiederum als Denker seiner Zeit gekennzeichnet sei (Vgl. zu diesem Aspekt auch Commers, 1979, S. 158: "... Hobbes exemplified two features, which are in a symbolic way highly characteristic for the time he was living in: pride and fear".); zur differenzierten Darstellung der Hobbesschen Lehre vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkrieges siehe v.a. Münkler, 1994b, S. 61 f. 160 Vgl. etwa Commers, 1979, S. 164.

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den muß. Dies ist zumindest dann nicht der Fall, wenn sich das von Hobbes beobachtete, analysierte und theoretisch verarbeitete Verhalten der Menschen seiner Zeit zu einer überzeitlichen Bestimmung des menschlichen Wesen generalisieren läßt. Und dafür spricht - wie diese Arbeit bis hierher hoffentlich deutlich machen konnte - aufgrund der soziobiologischen Befunde eine ganze Menge. 161 Gegen den von Rousseau über Marx bis hin zu Hannah Arendt erhobenen Vorwurf, Hobbes verallgemeinere in unzulässiger Weise die von ihm analysierte "Natur" des Menschen, die doch nur "als ein Reflex der kontingenten Gestalt einer bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft aufgefaßt werden dürfe", wendet daher Willms völlig zurecht ein, der Hobbessche Leviathan sei die '"Minimalkondition' jeder möglichen Gesellschaftlichkeit" und die Bedingung der Realisationsmöglichkeit von Freiheit - eine fundamentale philosophische Erkenntnis, die auch in modernen soziologischen Theorien des "Systemfunktionalismus" (etwa bei Parsons und Luhmann) oder in vertragstheoretischen Modellen von der "Qualität eines Politiksurrogats" (etwa bei Habermas und Rawls) ihre unverminderte Gültigkeit behalte. 162 Das gleiche gilt bezüglich des heuristischen Wertes jener fundamentalen Einsicht Hobbes' für die Analyse des Menschen und seines politischen Verhaltens aus soziobiologischer Sicht. Ob also Hobbes seine These von der Konfliktnatur des Menschen sowie seinem natürlichen Drang zu permanenter Machtsteigerung nur deshalb entwickelte, um zu dem von ihm gewünschten und implizit bereits vorausgesetzten Ziel gelangen zu können, erscheint nicht nur an sich als fraglich, sondern ist hinsichtlich ihrer soziobiologischen Relevanz bereits deshalb belanglos, weil dieser Hobbessche Ansatz aus soziobiologischer Sicht als zutreffend und einzig realistisch bewertet werden kann - wenn man ihn dahingehend korrigiert, daß Menschen niemals als völlig vereinzelte Individuen, als Naturzustands-Monaden angesehen werden dürfen. Mittels dieser Prämissenkorrektur ist es letztlich auch möglich, bei der Beurteilung des "prisoner's-dilemma" der Staatsgründung zu dem plausiblen Ergebnis zu kommen, das unzweifelhaft hohe Risiko des Freiheitsverzichts und der Machtübertragung auf den "Leviathan" könne unter bestimmten Umständen von allen (potentiellen) staatskonstituierenden "Einheiten" - die intern immer schon Formen von Herrschaft kannten! - als geringer bewertet werden als das Verbleiben im 161 Vgl. dazu Wrong, a.a.O., S. 211. Zur These, Hobbes habe seine politische Theorie gerade nicht primär als Analyse seiner Zeit verstanden, sondern vielmehr als politisch-theoretischen "Entwurf" eines funktionstüchtigen Sozialwesens schlechthin, siehe Amann, 1971; ähnlich auch Tönnies, 1976, S. 201 ff. 162 Willms, 1979, S. 182 f.

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Naturzustand. Wenn nämlich der Leidensdruck des Naturzustandes infolge von Überbevölkerung, Ressourcenverknappung und damit einhergehend Radikalisierung der Konflikte so übergroß wird, daß jede Möglichkeit, diesem Elend zu entkommen, von allen als bessere, positivere, vielversprechendere Alternative des Handelns gesehen wird, dann ist zuletzt das Problem der Staatsgründung - wie Kant es in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" sehr anschaulich formulierte - "selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auflösbar und lautet so: 'Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber in Geheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegen streben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnungen hätten'". 1 6 3

2.6 "Salus populi suprema lex" oder Sinn und Zweck des Staates Die Antwort auf die Frage, zu welchem Zweck die staatliche Gewalt eingerichtet wird und was ihre primäre Aufgabe (bzw. Pflicht) ist, ergibt sich aus der anthropologischen Prämisse, daß alle Menschen stets nach freier Selbsterhaltung, nach Maximierung ihrer "inclusive fitness" streben, derart zwingend, daß sie beinahe trivial wirkt: "Die Aufgabe des Souveräns, ob Monarch oder Versammlung, ergibt sich aus dem Zweck, zu dem er mit der souveränen Gewalt betraut wurde, nämlich der Sorge für die Sicherheit des Volkes. [...] Mit 'Sicherheit' ist hier aber nicht die bloße Erhaltung des Le163 Kant, 1978, S. 223 f.; kongruent argumentiert auch Hume (1978, S. 236): "Mag man den Affekt des Eigennutzes für bös oder tugendhaft halten, dies tut hier nichts zur Sache. In jedem Falle kann er nur durch sich selbst im Zaum gehalten werden. Ist er tugendhaft, so werden die Menschen durch ihre Tugend gesellig; ist er schlecht, so hat ihre Schlechtigkeit den gleichen Erfolg". Interessant - aus literarischer ebenso wie aus moralphilosophischer Sicht - wäre es auch, einmal modellhaft ein Volk von Engeln zu entwerfen, in dem es aus externen Gründen (Naturkatastrophe o.ä.) zu massiven, existentiell bedrohlichen Versorgungsengpässen kommt, die auch durch die allgemeine Beschränkung auf das Lebensnotwendigste nicht ausgeglichen werden können. Müßte in diesem Volk nicht notwendig die Sterberate massiv ansteigen (bis hin zum völligen Aussterben), weil jedes Individuum stets darauf bestehen würde, zugunsten des notleidenden Nächsten auf die Inanspruchnahme einer knappen Überlebensressource zu verzichten? Höchst unwahrscheinlich wäre jedenfalls - in einem Volk von Engeln - eine Rousseausche Entwicklung.

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bens gemeint, sondern auch alle anderen Annehmlichkeiten des Lebens, die sich jedermann durch rechtmäßige Arbeit ohne Gefahr oder Schaden für den S t a a t e r w i r b t " 164 (Le, S. 255; vgl. ebd., S. 5, 139, 164, 168; entspr. El, S. 160, 199 ff.; Ci, S. 204 ff.; Be, S. 51, 73, 110, 120, 178); und im "Dialog" sagt Hobbes als selbstbewußter Philosoph: "Ich bin einer von dem gewöhnlichen Volke und einer von der fast unermeßlichen Anzahl von Menschen, för deren Wohlergehen Könige und andere Herrscher von Gott bestimmt wurden: Gott schuf ja die Könige für das Volk, und nicht das Volk für die Könige" (Di, S. 51 f.; Hervorhebung T. M.).i65 Wrong weist jedoch zurecht darauf hin, für Hobbes sei das Staats-Ziel des "commodious living" im Verhältnis zur Aufgabe der Herstellung und Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung sekundär. 166 Eine Politik des "commodious living" ist nach der Hobbesschen Logik erst dann sinnvoll und auch opportun, wenn die inneren Verhältnisse des neu gegründeten Staates so gefestigt sind, daß etwa eine freiheitliche Gesetzgebung bzw. die Einführung von weitergehenden Partizipationsmöglichkeiten der Bürger und "Parteien" nicht zu gesellschaftlichen Unruhen führen. Umgekehrt kann man aber wohl auch sagen, der von Hobbes angenommene menschliche Wesenszug des Strebens nach Selbsterhaltung und Sicherheit sei in analoger Weise primär gegenüber dem Streben nach Ruhm und Ehre (bzw. "Anerkennung"). Sobald aber Menschen "vergesellschaftet" sind - und damit das Primärinteresse nach persönlicher Sicherheit befriedigt ist -, kann es durchaus sein, daß "men are of-

164 Fukuyama (1992, S. 223 f.) hat also Unrecht, wenn er behauptet, im Unterschied zu Locke kenne Hobbes ausschließlich ein Recht des Menschen auf "bloße physische Existenz", nicht jedoch ein Recht "auf eine angenehme Existenz mit der Möglichkeit, es zu Wohlstand zu bringen". 165 Nach Schopenhauer (1991, Bd. I, S. 448) hat Hobbes "den Ursprung und Zweck des Staats ganz richtig und vortrefflich auseinandergesetzt; wie denn auch der alte Grundsatz aller Staatsordnung, salus populi prima lex esto, denselben bezeichnet". Auch Paeschke (1989, S. 60) kommt zu dem Ergebnis, der "Zweck gerade der keiner höheren Gewalt unterworfenen Herrschaft [bestehe] bei Hobbes in einem letztlich selbstlos gedachten 'Dasein-Für' die ihr Unterworfenen". Doch diese These ist so sicher nicht haltbar, da Hobbes nicht auf die moralische Selbstlosigkeit des Herrschers setzte, sondern ausschließlich auf dessen rationale Einsicht, wonach Herrscherwohl und "salus populi" aufs Engste verknüpft bzw. höchstgradig interdependent sind (vgl. Di, S. 75 f.; Le, S. 143 f., 146; Ci, S. 138 f.); zur "Aufgabe des Staates" bei Hobbes siehe auch Bartuschat, 1981, S. 34; Gehrmann, 1970, S. 99 ff. 166 Wrong, 1984, S. 206.

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ten as much concerned with what others think of them as with the physical ... security". 167 Auch das damit angesprochene menschliche Streben nach Ruhm und Ehre in einer Gesellschaft bietet sich für eine soziobiologische Interpretation förmlich an. Hobbes hat zurecht darauf hingewiesen, Ruhm und Ehre seien wesentliche Komponenten individueller Macht (vgl. Le, S. 66 ff.). Übersetzt man nun den Hobbesschen Begriff der Macht in den soziobiologischen der sozialen Rangordnung bzw. den Platz, den ein Individuum in der sozialen Hierarchie einnimmt, so wird klar, daß das Streben nach Ruhm und Ehre, nach einem möglichst hohen Grad an Anerkennung in einer sozialen Gemeinschaft sich sehr leicht als adaptive Verhaltensweise deuten läßt, deren Ziel letztendlich wiederum darin besteht, die eigene "inclusive fitness" möglichst optimal zu gestalten. Aus soziobiologischer Sicht ist daher die These Macphersons zumindest zu relativieren, wonach Hobbes' Betonung des Strebens nach Ruhm und Ehre eher mit einer bürgerlichen als mit einer aristokratischen Gesellschaft zu vereinbaren sei, was ihn als Denker seiner Zeit ausweise. 168 Zwei weitere Aspekte sind an Hobbes' Thesen zu Aufgaben und Zweck des Staates für die soziobiologische Interpretation besonders bemerkenswert: 1.

Bereits im Motiv für die erste Staatsgründung - wohlverstandenes Eigeninteresse jedes einzelnen - wird klar, daß es Hobbes ausschließlich um funktionelle Führerschaft geht und gerade nicht um die Schaffung einer Institution um ihrer selbst willen; Hobbes' Herrschaftsmodell ist von vorne herein auf Reziprozität angelegt (vgl. dazu auch Hobbes' Erläuterung der Kriterien eines "guten Gesetzes"; Le, S. 264 f.). Eine

167 Wrong, 1984, S. 207. 168 Vgl. dazu Wrong, 1984, S. 208; zur Kritik an Macphersons Theorie, der Hobbessche Staat sei nur zur Entfaltung materieller und ideeller Kräfte des Bürgertums gedacht und geeignet, siehe Höffe, 1981a, S. 12 f.; ebs. Kersting, 1992a, S. 95-98. Auch die These von Honneth (1992, S. 20 ff., 29 ff., 274 ff.; vgl. entspr. Fukuyama, 1992, S. 203-215, 217 ff.), wonach soziale Intergruppenkonflikte nicht immer als ein Kampf um Lebens- und Überlebenschancen, sondern vielmehr als ein Kampf um reziproke Anerkennung zwischen privilegierten und minder privilegierten Gruppen zu verstehen sei, ist demnach zumindest zu relativieren, da aus soziobiologischer (wie auch aus Hobbesscher) Sicht der Grad an "Anerkennung" in einer sozialen Gemeinschaft immer auch Maßstab für die Lebens- und Überlebenschancen von Individuen und Gruppen ist. Ein "Orden oder eine Fahne, die für Anerkennung stehen", sind daher keineswegs "offensichtlich nutzlose Dinge" (Fukuyama, 1992, S. 212; vgl. ebd., S. 207), sondern können gerade deshalb, weil (und solange) sie für Anerkennung stehen, auch vom evolutionsbiologischen Standpunkt aus durchaus als nützlich gelten.

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von ihrem ursprünglichen, rein funktionellen Auftrag losgelöste, verselbständigte Herrschaftsinstitution kann mit Hobbes nur als widersinnig bezeichnet werden. 169 Unter dieser Voraussetzung wird es aber schwierig, vom Bürger in einem Staat einen unbedingten, absoluten Gehorsam gegenüber den Gesetzen zu fordern. Denn wenn sich die Gesetze eines Staates nicht - wie es Vernunft-, Moral- und Gottes-Gesetz gebieten - am "salus populi" orientieren, sondern zulasten des Volkes am kurzfristigen persönlichen Vorteil des oder der Regierenden, wenn also - mit dem Vokabular von "biopolitics" formuliert - die Reziprozität zwischen Staat und Bürgern nicht gegeben ist, dann erscheint es nur als konsequent, wenn die Bürger - mit Verweis auf die letztbegründeten Regeln der Vernunft und der Moral - diesen Gesetzen nicht gehorchen müssen. Ihren Widerstand gegen die unvernünftigen - und damit unmoralischen und "gottlosen" - Gesetze könnten sie jedenfalls sehr wohl mit vernünftigen Argumenten moralisch legitimieren. Diese Auffassung deckt sich auch mit der These Hobbes', wonach die Vorschriften der rechten Vernunft und des Naturgesetzes, die "Tugenden der Seele ... durch keine Gewohnheit und kein bürgerliches Gesetz aufgehoben werden können" (Ci, S. 111, Ziff. 29). >™ 169 Weiß (1980, S. 232 f.) hat daher mit seiner These sicher völlig recht, "Hobbes' Staat [habe] in sich keinen mehr oder weniger großen Wert. Er ist kein Gut, das in seinem Sein substanziell ein solches ist und insofern auf keine andere Ebene zurückführt, mit keiner anderen Ebene gerechtfertigt werden muß. Vielmehr besteht die einzig mögliche Legitimation staatlicher Herrschaft für Hobbes im Rekurs auf das ontologische Andere des Menschen und seiner Bedürfnisse. Der Staat gewinnt nur in diesem Rekurs den Charakter eines bonum (das als ein utile zu spezifizieren wäre). Der einige [sie!] Wert, der dem Staat in sich verbleibt, ist seine Funktion". Vgl. auch die Ausführungen von Helsper (1989, S. 7-12) zum funktionell-kontigenten Charakter von Rechtsordnungen. Dieser eindeutig funktionelle Charakter des Hobbesschen Staates entspricht auch völlig der Forderung des "biopolitics"-Theoretikers Phocas, der die Reziprozität zwischen Herrscher und Untertan als "politischefn] Schlüsselbegriff" bewertet. Folgerichtig ist der Verlust der Reziprozität dadurch, daß sich die Herrschaftsstrukturen verselbständigen, und nur noch um ihrer selbst und ihres Machterhaltes willen existieren, für Phocas das zentrale Übel, Ausdruck der eklatantesten Fehlentwicklung der politischen Geschichte überhaupt, weshalb die Wiederherstellung der Reziprozität das wichtigste Anliegen moderner Politik sein müsse (Phocas, 1986, S. 154-178). 170 Zum fraglichen Widerstandsrecht bei Hobbes siehe vor allem Mayer-Tasch, 1965; Brandt, R., 1982a, S. 154 ff.; Kliemt, 1985, S. 25; Palaver, 1991, S. 30-34; Gehrmann (1970, S. 106 ff., 115 f.) stellt zurecht fest, im Zusammenhang mit dem

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Möhrs Widerstandsrecht der Untertanen komme es zur höchst paradoxen "Tatsache verschiedener sich überschneidender Rechtssphären" (ebd., S. 107): zum einen das "Recht auf alles" des Souveräns; zum anderen das unhintergehbare Recht des einzelnen auf Notwehr gegen staatliche Angriffe auf sein Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Staat kann zwar seinen Untertanen auch dann, wenn er "die Bürger mit Raub und Mord verfolgt" (Gehrmann, 1975, S. 195) nicht Unrecht tun, verletzt jedoch gleichzeitig Naturgesetz und versündigt sich damit gegen die Gesetze Gottes. Umgekehrt begehen die gegen den Souverän opponierenden Untertanen zwar in jedem Fall ein Unrecht, da sie im "Gesellschaftsvertrag" dieses Recht aufgegeben haben, sie handeln jedoch, indem sie dem gewalttätigen Herrscher den Gehorsam verweigern und sich ihm gegebenenfalls mit allen Mitteln widersetzen, vollauf auf der Basis ihres natürlichen, unhintergehbaren Rechts auf Selbstverteidigung und damit auch im Einklang mit dem Willen Gottes. Von einer "Teillehre vom Recht auf Widerstand gegen die Staatsgewalt" bei Hobbes ist auch Baumanns (1977, S. 25) überzeugt; vgl. auch Schaefer, 1993, S. 16 f., 84. Dieses Widerstandsrecht erstreckt sich demnach zum einen auf die berechtigte Abwehr direkter Angriffe der staatlichen Autorität auf Leib und Leben von Bürgern; zum anderen aber auch auf die passive und aktive Abwehr von staatlichen Maßnahmen, durch die Leib und Leben von Bürgern mit hinreichender Sicherheit bedroht werden können. Dieses weiter gefaßte Widerstandsrecht ließe sich auch gut aus Hobbes' Theorie der Repräsentation ableiten, die er freilich vordergründig einfuhrt, um die Position des Souveräns gegenüber den Untertanen nahezu unantastbar zu machen: Wenn nämlich der Souverän als Repräsentant des Volkes anzusehen ist; dann müssen sich die Untertanen, die ihn eingesetzt und autorisiert haben, nach Hobbes alle seine Handlungen als ihre eigenen anrechnen lassen. Der Widerstand gegen irgendeine Handlung, Anweisung, Verfügung des Souveräns wäre demnach gleichbedeutend mit dem Widerstand gegen sich selbst, was für Hobbes einen Widerspruch darstellt. Es ließe sich aber auch folgendermaßen argumentieren: Die Individuen im Naturzustand übertragen ihr "Recht auf alles" auf den Souverän und autorisieren ihn bindend zu repräsentativem Handeln, um auf diese Weise die je eigene Sicherheit und die Möglichkeit des "guten Lebens" zu gewährleisten. Die Autorisierung gilt also nur soweit, als das Handeln des Souveräns dieser grundlegendsten Bedingung genügt, die Menschen überhaupt dazu bringen können, den Ausgang aus dem Naturzustand als "vernünftig" anzusehen ("Die Verpflichtung der Untertanen gegen den Souverän dauert nur so lange, wie er sie auf Grund seiner Macht schützen kann, und nicht länger"; Le, S. 171, vgl. auch S. 254). In dem Moment, wo die Handlungen des Souveräns dieser Bedingung widersprechen, können die Untertanen geltend machen, ihn für diese Handlungen nicht autorisiert zu haben und folglich auch keine eigene Autorschaft anerkennen zu müssen. Dies würde bedeuten, ursprünglich sei die Übertragung des "Rechts auf alles" immer bereits unter dem Vorbehalt erfolgt, daß die damit verfolgten subjektiven Zwecke auch verwirklicht werden (vgl. zu dieser

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Interpretation Höffe, 1981b, S. 132 ff.; entspr. Palaver, 1991, S. 31 f.; MayerTasch, 1965, S. 103-110; Fukuyama, 1992, S. 221). Auch in diesem Punkt erweist sich die Hobbessche Theorie bei näherem Hinsehen also als eigentümlich doppeldeutig. Doch diese letztere Argumentation birgt freilich ihrerseits wieder neue Probleme. Etwa das Problem, wer berechtigt ist, den Fall der herrscherlichen Autoritätsüberschreitung oder den der totalen Inkompetenz zur Erfüllung der staatlichen Primäraufgaben festzustellen. In der Hobbesschen Logik ist eine solche Instanz (außer Gott - und der spielt im Hobbesschen System keine unmittelbare politische Rolle) nicht widerspruchsfrei vorstellbar. Denn wenn der einzelne Untertan zu dieser Feststellung berechtigt wäre, dann hätte er nach wie vor ein Selbstbestimmungsrecht, daß im Zweifel über das des Souveräns hinausginge, womit sich aber die Idee der Souveränitätsübertragung auflösen würde. Setzt man jedoch eine andere Instanz etwa einen obersten Gerichtshof - ein, der den besagten Autoritätsmißbrauch bzw. die Untauglichkeit des Souveräns feststellen könnte, so würde die oberste Autorität bei diesem Gerichtshof liegen, der damit selbst zum absoluten Souverän im Hobbesschen Sinne avancierte. Doch das Problem, in welchen Fällen und ab wann der einzelne zum Widerstand gegen Handlungen des Souveräns (in diesem Falle also gegen Urteile des obersten Gerichtshofes) berechtigt wäre, würde sich lediglich verlagern, bliebe aber ungelöst. Dies ist eines der Kernargumente Hobbes' gegen die Gewaltenteilung - eine Position, die er - überblickt man seine gesamten politischen Schriften - nicht in starrer, dogmatischer Weise vertritt. So heißt es etwa im "Dialog" (S. 55), es sei "in Ordnung, daß die Könige, die dem Parlament ... Zugeständnisse machen [Zustimmung bei Steuererhebungen, T.M.], verpflichtet sind, sich daran zu halten, soweit es ihnen, ohne Unrecht zu tun, möglich ist". Und wenig später (S. 56) vertritt er sogar die Auffassung, derartige, die absolute Souveränität des Herrschers einschränkende Gesetze seien "an und für sich für den König und das Volk sehr nützlich, da sie solchen Königen Schwierigkeiten bereiten, die, um des Ruhmes der Eroberung willen, einen Teil von Leben und Besitz ihrer Untertanen darauf verwenden, andere Nationen zu bekriegen, und es dem Rest anheimstellen, sich selbst im eigenen Land durch Parteibildung zu vernichten". Souveränitäts-einschränkende Gesetze als Vorbeugung gegen Machtmißbrauch: ein geradezu klassisches Argument fiir die Gewaltenteilung (und eine naheliegende Strategie zur Milderung des "prisoner's-dilemma" der Staatsgründung!). Damit soll Hobbes freilich nicht als Theoretiker des Gewaltenteilungsprinzips "entdeckt" werden, aber es läßt sich nicht bestreiten, daß er sich der Problematik absoluter, ungeteilter Souveränität sehr wohl bewußt war, ist sie doch zentrales Thema des zweiten Teils des "Dialogs". Wäre aber umgekehrt die Herrschaft des Souveräns wirklich absolut, ohne daß es j e ein Recht auf Widerstand gäbe, dann würde sich die Idee von der Zweckrationalität der Staatsgründung in ihr Gegenteil verkehren: Es wäre für den einzelnen im Naturzustand im höchsten Grade unvernünftig und geradezu das größtmögliche Ver-

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Demokratie, Aristokratie und Monarchie sind für Hobbes prinzipiell gleichwertige Staatsformen; sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer "Angemessenheit oder Eignung für den Frieden und die Sicherheit des Volkes, dem Zweck, zu dem sie eingesetzt worden sind" (Le, S. 146). 171

An dieser Stelle ist nahtlos die Frage anzuknüpfen, welche der drei Staatsformen Hobbes' für die geeignetste hält und wieso. Seine Vorliebe für die Monarchie ist bekannt. Deshalb ist er aber noch lange keine Vertreter eines totalitären monarchischen Absolutismus. So gelangt etwa Kodalle - wie bereits erwähnt - bei seinen sehr differenzierten Hobbes-Analysen zu der Schlußfolgerung: "Die theoretisch geforderte Staatsform: Demokratie".172 Absolutistische Staatsform und Demokratie - so Kodalle - sind "in Hobbes' Augen keine sich ausschließenden Größen". Monarchie, Aristokratie und Demokratie sind insofern gleichwertig, als die prinzipielle Notwendigkeit einer höchsten Souveränität vollkommen unabhängig von der Art und Weise ist, wie sie etabliert bzw. konkretisiert wird. Ebensowenig sind für Hobbes "Herrschaft" und "Freiheit", "Macht" und "Liberalität" antinomische Begriffe. Ein Herrbrechen gegen sich selbst und die "Gesetze der Vernunft", die Herrschaft über sich selbst in diesem Sinne abzutreten. Doch diese aporetische Situation ist wohl praktisch nicht aufzulösen. Das Verhältnis zwischen "Untertan" und "Souverän" ist und bleibt stets prekär. Der sinnvollste Weg zur Milderung {nicht: zur Lösung) dieser Situation scheint freilich der zu sein, in einem gewaltenteiligen Verfassung- und Rechtsstaat auf die Idee einer absoluten, uneingeschränkten Autorität in der Praxis zu verzichten. Dieser Verzicht kann nicht absolut sein, sondern lediglich nach verschiedenen Instanzen abgestuft. Ist die letzte Stufe - der oberste Gerichtshof - erreicht, stellt sich das prinzipielle Problem wieder in aller Schärfe. 171 Insofern ist also Fukuyamas Behauptung falsch, Hobbes habe in seiner politischen Philosophie "die Doktrin der absoluten Souveränität des Monarchen [entwickelt]" (Fukuyama, 1992, S. 218; vgl. ebd., S. 222 f.). Ebenso mag es zwar zutreffen, daß insbesondere das Hobbessche "Letztinstanzlichkeitsargument" (es muß in jedem Staat eine letzte Entscheidungsinstanz geben, deren Urteil allgemein verbindlich ist) keinen "polyarchischen Souverän" zuläßt; die Behauptung ist aber unzutreffend, diese Letztinstanzlichkeit könne alleine in einer "absolute[n] Monarchie" realisiert werden (Kersting, 1992a, S. 185 f.). Für Hobbes kann diese letzte Instanz eben prinzipiell in gleicher Weise durch die aristokratische oder demokratische Versammlung verkörpert werden; vgl. zu dieser Auffassung auch Goldenbaum, 1988, S. 416 f. 172 Kodalle, 1972, S. 186; vgl. ähnlich Zimmermann, 1988, S 344-349.

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scher, der seine "Macht" richtig versteht, wird nach Hobbes stets bedenken, "daß Macht am besten durch dieselben Tugenden erhalten wird, durch die sie erlangt wurde, das heißt durch Weisheit, Demut, Klarheit der Lehre und Aufrichtigkeit im Gespräch, und nicht durch Unterdrückung der Naturwissenschaften und der Moral der natürlichen Vernunft ..." (Le, S. 531). 173 Kodalle zieht nun die Konsequenz, ein Staat, in dem die Bürger ihre Individualität - im Rahmen der notwendigen Gesetze - frei entfalten können, sollte "sich zweckmäßigerweise als Demokratie organisieren", da mit dieser Regierungsform dem "nicht mehr eliminierbaren Selbst- und Mitbestimmungsbedürfnis der Bürger" am ehesten entsprochen werden könne. Aber liegt dieser Konsequenz nicht ein allzu optimistisches Bild von der "Mündigkeit" und dem aufgeklärten Verantwortungsbewußtsein der Bürger zugrunde? Kodalle verweist denn auch zurecht auf Hobbes' diesbezügliche Bedenken "pragmatischer Art, insofern er sich am durchschnittlichen Bewußtseinsstand seiner Zeitgenossen orientierte".174 Und diese pragmatischen Überlegungen führen Hobbes eben zu der Einsicht, die Demokratie sei für seine Zeitgenossen eine zu anspruchsvolle Staatsform und demgegenüber die Monarchie in dieser historischen Situation am ehesten geeignet, den PrimärAufgaben des Staates gerecht zu werden. Dies schließt in keiner Weise aus, daß "unter Voraussetzung der skizzierten Bewußtseinsentwicklung der Subjektivität die Demokratie als empfehlenswerteste Staatsform angesehen werden muß, insofern sie dem größten Teil der Bürger Mitbestimmungsrechte einräumt". 175 Die Frage ist natürlich, wann man diese geforderte "Bewußtseinsentwicklung" als verwirklicht ansehen und - vielleicht wichtiger - wer sie feststellen kann und soll. Die feste Überzeugung, daß eine freiheitliche, pluralistische Demokratie auf der Basis eines breiten und stabilen sozialen Konsenses und allgemeinen 173 Vgl. Kodalle, 1972, S. 187. Die Frage, wie sehr in diesem Zitat wieder Hobbes' "Piatonismus" - oder handfeste Naivität oder gar raffinierte politisch-psychologische Rhetorik - zum Ausdruck kommt, sei hier nicht näher erörtert; jedenfalls steht es in offenem Widerspruch zu einer anderen Äußerung Hobbes, wonach es "doch kaum einen Staat auf der Welt [gibt], dessen Anfänge mit gutem Gewissen zu rechtfertigen sind" (Le, S. 539). Hobbesianischer wäre daher das Argument, "Herrschaft" und "Freiheit", "Macht" und "Liberalität" seien alleine deshalb nicht antinomisch, weil ihre "Kohabitation" für alle Beteiligten - also Herrscher und Volk - höchst fruchtbar sein kann. 174 Kodalle, 1972, S. 187 f. Insofern weist Kodalle völlig zutreffend darauf hin, Hobbes' pragmatische Denkweise stelle "jede statische Klassifizierung in Frage" (ebd., S. 189). 175 Kodalle, ebd., S. 188; vgl. auch Hungerland, 1989, S. 47.

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wirtschaftlichen Wohlergehens vor allem deshalb die wünschenswerteste und legitimste aller Staatsformen ist, weil sie dem Bedürfnis nach Reziprozität und funktioneller Führerschaft am ehesten entsprechen könnte176, läßt demnach nicht den Schluß zu, die Etablierung und vielleicht auch das starre Festhalten an (einer bestimmten Form) der Demokratie müsse immer und unter allen Umständen klug sein. 177 Es ist aber keine Überinterpretation der Hobbesschen Theorie, wenn man feststellt, es sei in jedem Falle unklug, eine autoritäre, antiliberale, im negativen Sinne paternalistische Herrschaft zu begründen oder aufrechtzuerhalten, wenn sie nicht oder nicht mehr nötig ist (vgl. etwa Di, S. 75 f.; Le, S. 149178). Die Behauptung von Kersting, Hobbes sei ein "entschiedener Anhänger Cäsars" als dem gleichsam paradigmatischen Despoten gewesen, ist daher zumindest überzogen, wenn nicht falsch. 179 Richtig ist alleine, daß für Hobbes - als unmittelbarem Zeitzeugen des englischen Bürgerkrieges wie auch des dreißigjährigen europäischen Krieges! jede staatliche Ordnung dem absoluten Chaos des Bürgerkrieges vorzuziehen war. Hobbes sieht das Problem deutlich: "Man mag ... aber einwenden, die Untertanen befänden sich in einer sehr elenden Lage, da sie den Begierden und anderen zügellosen Leidenschaften dessen oder derer ausgesetzt seien, die eine so unbegrenzte Macht in Händen halten" (Le, S. 143 f.), er hält aber dagegen, "daß der Zustand der Menschen nie ohne die eine oder die andere Unannehmlichkeit sein kann, und daß die größte, die in jeder Regierungsform dem Volk gewöhnlich zustoßen mag, kaum fühlbar ist, wenn man sie mit dem Elend und den schrecklichen Nöten vergleicht, die ein Bürgerkrieg oder die

176 Vgl. dazu Phocas, 1986, S. 169 ff. 177 Insofern sind Argumentationen wie die von Phocas (1986, S. 173 f.) bedenklich, die "monistischen Weltanschauungen entschieden entgegentreten]" wollen, da man bei "starren, intoleranten Ideologien nie die Gewißheit haben [könne], daß sie auch tatsächlich stimmen". Dem Argument wird man zwar an sich zweifellos zustimmen müssen, doch Phocas kommt es offenbar nicht in den Sinn, daß exakt diese Argumentation auch auf eine monistische demokratische Ideologie anwendbar sein könnte, die - ungeachtet historischer, sozialer, ökonomischer und auch ökologischer Bedingungen - ihrerseits starr, unflexibel und gegenüber jeder anderen Staatsform radikal intolerant ist. 178 Hier spricht Hobbes von den "custodes liberalitas", die "in allen großen Gefahren und Zwangslagen ... als Monarchen auf Zeit" (Hervorhebung T . M . ) eingesetzt werden - was den Umkehrschluß zumindest als legitim erscheinen läßt, daß nach der Abwehr bzw. Bewältigung jener Gefahren und Zwangslagen die monarchische Regierungsform abgelöst werden kann. 179 Kersting, 1992a, S. 17.

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Zügellosigkeit herrenloser Menschen ohne Unterwerfung unter Gesetze und unter eine Zwangsgewalt ... mit sich bringen" (Le, S. 144). 180 Hobbes hat eine Reihe von Argumenten für die Monarchie bzw. gegen die Herrschaft einer Versammlung formuliert, die zum Teil unhaltbar sind, zum Teil aber zweifellos - und zwar nach wie vor! - ihre Berechtigung haben (siehe El, S. 159 ff., Ci, S. 174 ff., Le, S. 145 ff., S. 245 ff.). Schlecht ist etwa das Argument der "Elements" (S. 165), wo Hobbes behauptet, es sei "ohne weiteres klar, daß die Meinung eines einzelnen Mannes ... nicht so veränderlich ist, wie es die Ratschlüsse einer Versammlung sind", weshalb in der Monarchie die Gesetze stabiler seien. Hier hat er offensichtlich seine eigene Anthropologie und die Lehre vom Naturzustand aus den Augen verloren. Denn gerade weil in einer Versammlung die einzelnen Mitglieder weiterhin jeweils nach ihrem eigenen Nutzen und ihrer Ehre streben, werden sich die Gesetze in der Versammlung zu wenig ändern, weil - Prinzip "Mißgunst und Eifersucht" - Neuerungen nur schwer durchsetzbar sind. Es ist sogar einer der wesentlichen Nachteile der Demokratie - und umgekehrt ein wesentlicher (theoretischer!) Vorteil einer Alleinherrschaft! -, daß sie in ihrer Entscheidungsfindung und vor allem in der Flexibilität ihrer Reaktion auf unvorhergesehene und/oder qualitativ neue Anforderungen zu großer Trägheit neigt, die - gemessen an der Dringlichkeit gewisser Probleme - in völliger Katalepsie münden kann. 181 Dabei ist natürlich klar, daß sich die geschilderten Vor- und Nachteile jeweils in ihr Gegenteil verkehren können: Der Vorteil der größeren Flexibilität kann in den Nachteil der Voreiligkeit und Willkür umschlagen 182 , der Nachteil der Langsamkeit sich als Vorteil der Gründlichkeit, Wohlüberlegtheit, Kontinuität und Berechenbarkeit entpuppen. Weitere wichtige (und gleichzeitig kontingente) Argumente Hobbes' gegen die Demokratie lauten, zum einen seien in dieser Staatsform allzuviele Ver180 Zur Interpretation dieser (höchst diskussionswürdigen) Auffassung vgl. Willms, 1987, S. 164 f. 181 Vgl. zu dieser Auffassung Jonas, 1989, S. 262 f. Nimmt man ferner an, jene "Katalepsie" lasse sich auf die konfligierenden Interessen in einer "Versammlung" zurückführen, von denen keiner ihrer Vertreter sich entscheidend durchsetzen kann, so drängt sich wiederum das Hobbessche Bild vom Menschen als "matter in motion" auf, das frei nur dann ist, wenn seine Bewegung nicht durch gegenläufige Bewegungen (sprich: andere menschliche "matters in motion") gehemmt und gehindert wird. 182 Was Kant im Hinblick auf die Autokratie als der "einfachsten" Staatsform auf die Formel bringt: "Was die Handhabung des Rechts im Staat betrifft, so ist freilich die einfachste auch zugleich die beste; aber, was das Recht selbst anlangt, die gefährlichste fürs Volk, in Betracht des Despotismus, zu dem sie so sehr einladet" (Kant, 1978 2 , VIII, S. 462 [A 210; B 240]).

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treter den Gefahren ausgesetzt, denen in der Monarchie nur einer ausgesetzt ist (Nepotismus, Korruption, Küngelei; vgl. EI, S. 164 f.); zum zweiten aber - schwerwiegender führe die zeitliche Begrenzung einer Legislaturperiode notwendig dazu, daß die Regierung - deren Vertreter als natürliche Personen nach wie vor primär ihren eigenen Vorteil im Blick haben - eine reine Gefälligkeitspolitik betreiben wird, deren opportunistische Maxime in der bloßen Machterhaltung (dem Gewinnen der nächsten Wahl) besteht (vgl. Le, S. 146 f.; hier bräuchte man also - gleichsam die Potenzierung des platonischen Kernproblems - innerhalb der Regierung eine durchsetzungsfähige Mehrheit "guter" Entscheidungsträger, was wiederum einen Nachteil gegenüber der Monarchie darstellte). 183 Dieses Argument kommt natürlich besonders dann voll zum Tragen, wenn eine demokratische Regierung sich in einer Situation befindet, in der im wohlverstandenen Eigeninteresse aller Untertanen unpopuläre Maßnahmen durchgeführt werden müßten. Tatsächlich wird aber in aller Regel nicht nach dem gefragt, was objektiv sinnvoll bzw. "gut" (im Sinne des gemeinsamen Nutzens) wäre, sondern danach, was "politisch machbar" ist. Dieser Verweis auf die politische Machbarkeit mag zu einem guten Teil mit dem Argument verteidigt werden, sie sei im Gegensatz zur "reinguten" Politik realistisch, während eine Politik nach objektiv-guten Maßstäben nur zu sozialen Unruhen führen müßte. 184 Die Frage ist aber, ob dieses Argument nicht in einer existentiell bedrohlichen Situation hinfällig wird. Wenn der Verzicht auf unpopuläre politische Maßnahmen gleichbedeutend ist mit der existentiellen Bedrohung eines Staates und seiner Mitglieder, dann dürfte die Frage nach der politischen Machbarkeit keine primäre Rolle mehr spielen. Wenn ein Staat in vielfacher Hinsicht in einer solchen existentiellen Situation des "Sein oder Nichtsein" steht, muß man dann nicht vernünftigerweise sagen, daß die "Schönwetter"-Frage nach der politischen Machbarkeit unpopulärer Maßnahmen einer am Überleben und der Erhaltung des sozialen Friedens orientierten Politik unsinnig und kontraproduktiv wird? 185 183 Zur Kritik an Hobbes' Einwänden gegen die Demokratie siehe Kodalle, 1972, S. 189; er meint, zum einen erschwerten die "prozeduralen Limitierungen" in einer Demokratie "die Möglichkeiten einer willkürlichen, durch private Interessen motivierten Bedrängung des Bürgers wesentlich", und zudem male Hobbes mit seiner Warnung vor der Demokratie als selbstsüchtig-kurzsichtigen "Herrschaft einiger Redner" allzusehr "den Teufel ... an die Wand" (siehe dazu auch Walzer, 1992, S. 430 f.). 184 In diese Richtung zielt die wiederholt vorgetragene Kritik Höffes an Hobbes' "Absolutismus" (vgl. Höffe, 1981a, S. 12 ff.; ders., 1981b, S. 129-140). 185 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Kodalles kritische Schlußüberlegung, wonach der heutige Staat "im Grunde nur noch als Funktion der modernen Indu-

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Z u d e m ist auch in dieser Frage nach der "besten" Staatsform w i e d e r u m der historische Kontext zu beachten, in d e m H o b b e s lebte und arbeitete und auf d e n er sich mit seinen politischen Schriften ausdrücklich b e z o g - d e n konf e s s i o n e l l e n Bürgerkrieg in E n g l a n d . 1 8 6 Es erscheint daher durchaus als angemessen,

seine Argumentation zugunsten der Monarchie einmal

schwer-

punktmäßig in d i e s e m Licht zu betrachten. D a n n könnte sich nämlich eine g l e i c h s a m machiavellistisch getönte - Hobbes-Interpretation ergeben, die z w a r

striegesellschaft" zu definieren sei: "Die Garantie der wirtschaftlichen Stabilität und der wohlfahrtsstaatlichen Umverteilung des Bruttosozialprodukts sind die von ihm zu erfüllenden Aufgaben; ansonsten entbehrt er jeder Rechtfertigung seiner selbst. Die Konsequenzen sind an der Geschichte ablesbar: Meistert er die ihm gestellten Aufgaben nicht, wandert auch die 'Demokratie' mit in die Abfallgrube; mit wirtschaftlicher Stagnation geht die Refaschisierung Hand in Hand" (1972, S. 194 f.). Angesichts der globalen Entwicklungen können diese Sätze, vor über 20 Jahren geschrieben, heute geradezu als Menetekel betrachtet werden. Und die Frage der Verfasser des Manifestes "Weil das Land sich ändern muß" (Dönhoff/Miegel/ Nölling/Reuter/Schmidt/Schröder/Thierse, 1992, S. 69) ist dementsprechend vollauf berechtigt: "In der Bundesrepublik brauchte sich die Demokratie bisher nur unter den Bedingungen wachsenden Wohlstandes zu bewähren. Politik konnte in verschiedenen Graden Zuwachsraten verteilen. Wurde etwa allein deshalb die Demokratie akzeptiert und stabil?". Wenn diese Frage zu bejahen ist, dann wird allerdings auch die behauptete Stabilität jener (bzw. jeder) Demokratie höchst zweifelhaft (vgl. ebd., S. 104 ff.). 186 Fetscher (1983^, S. IX) möchte mit seiner ausdrücklichen Betonung dieses historischen Kontextes der Philosophie Hobbes' die Auffassung in Frage stellen, "die den großen Denker als zeitüberlegenen Philosophen verstehen, sein Werk als für alle Zeiten gültig interpretieren möchte". Diese Sichtweise wäre allerdings - was auch Fetscher (ebd., S. IX) einräumt - in der Tat zu weit. Hobbes schreibt sicher primär in Bezug auf die politischen Verhältnisse in England zu seiner Zeit, die schließlich die Gegebenheiten sind, von denen er ausgeht, doch ist die gesamte Anlage seiner Philosophie, insbesondere die Anthropologie, viel zu prinzipiell und abstrakt als daß man sie wirklich plausibel auf England und die Engländer im 16. und 17. Jahrhundert reduzieren könnte. Auf die Selbstwidersprüchlichkeit der These Fetschers (ebd., S. X), wonach alles Denken zeitbedingt und eine diesen Zeitrahmen transzendierende Objektivität nicht möglich ist, weist Paeschke (1989, S. 130) zurecht hin. Denn zum einen würde die Akzeptanz dieser These dazu führen, daß man sich den "Klassikern" der politischen Theorie nur noch mit philosophiehistorischen und/oder philologischen Fragestellungen nähern dürfte; zum zweiten aber müßte Fetscher seine These von der Zeitbedingtheit allen Denkens ebenfalls als zeitbedingt auffassen - und folglich auf eine zeitübergreifende Verallgemeinerung derselben tunlichst verzichten.

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für Extremsituationen wie den Bürgerkrieg oder den Zustand eines Landes nach einer militärischen Intervention oder dem sonstwie verursachten unkontrollierten Zusammenbruch eines Rechtssystems die Errichtung einer machtvollen (monarchischen) Ordnung für sinnvoll erachtet, weil - dies wäre dann Hobbes' zentrales Argument für die Monarchie - diese am ehesten den sozialen Frieden und die individuelle (Rechts-)Sicherheit in einer solchen "Übergangsgesellschaft" 187 gewährleisten könnte. Für Hobbes stellte sich der innenpolitische Zustand Englands als ein solcher dar, "der in sich so unhaltbar war, daß er nur durch eine große Eindeutigkeit, nämlich die Souveränität, wieder zu stabilen, lebbaren Verhältnissen, zu einem Normalzustand als der Voraussetzung auch für die Entfaltung des Rechtssystems, ... des Friedens und der Sicherheit des Einzelnen gemacht werden konnte". 188 In einer solchen Situation, in der es gerade darum gehen muß, die miteinander kämpfenden Parteien der Bürger zu befrieden, kann für Hobbes die Forderung nach "Partizipation breiter Volksteile, am besten aller", nur kontraintuitiv sein, auch wenn es ansonsten noch so sehr zutreffen mag, daß die Verteilung der realen Macht auf viele "die Gefahr des Mißbrauchs durch einen einzelnen" minimieren kann. 189 Ist aber die Rechtssicherheit erst einmal gewährleistet, die Ordnung wiederhergestellt und stabilisiert, so gibt es keinen Grund, von einer eher restriktiv-autoritären Regierungsform nicht abzugehen - was nicht nur legitim wäre, sondern sogar im rational kalkulierten längerfristigen Eigeninteresse des Herrschers selbst liegt, der - um das allgemeine menschliche Streben nach freier (!) Selbsterhaltung wissend - damit rechnen muß, daß die Fortsetzung einer "absolutistischen" Politik dann zu Unruhe und Empörung des Volkes führen muß, wenn die objektiven Legitimationsgründe einer solchen Politik weggefallen sind. Für den Herrscher wäre es insofern sogar vernünftig, seinen Untertanen in einem geregelten Rahmen die Möglichkeit zur Partizipation und zum offenen Widerspruch gegen seine Maßnahmen zu gewährleisten, da er sich auf diese Weise zumindest zum Teil vor nicht kalkulierbarem und damit nicht kontrollierbaren Widerstand schützen könnte. So ist für Hobbes' Souverän der "beste Rat in Dingen, die nicht andere Völker betreffen, sondern nur das Wohlergehen und den Vorteil der Untertanen auf Grund von für innere Angelegenheiten geltenden Gesetzen, ... den allgemeinen Berichten und Klagen der Bevölkerung jeder Provinz zu entnehmen, die mit ihren eigenen Wünschen am besten vertraut ist, und deshalb sollten sie, wenn die Leute 187 Vgl. dazu etwa die Ausführungen von Albrecht/Hummel, 1990, S. 90 ff. 188 Willms, 1992, S. 9 f. 189 Vgl. Phocas, 1986, S. 156 f.

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nichts verlangen, was den wesentlichen Rechten der Souveränität Abbruch tut, aufmerksam beachtet werden" (Le, S. 268). Diese Aufmerksamkeit setzt aber zum einen voraus, daß die Untertanen sich überhaupt über herrschende Zustände und die damit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen des Souveräns beklagen dürfen, zum zweiten kann aber diese Aufmerksamkeit und die eventuell daraus resultierenden Abhilfemaßnahmen nur dann sinnvoll - d. h. im Eigeninteresse des Souveräns selbst - sein, wenn die Klagen offen, frei und ohne Furcht vor staatlichen Repressalien geäußert werden dürfen. 1 9 0 Mit diesem Argument geht es nicht darum, durch einige wohlwollende Korrekturen aus Hobbes einen "ganz gute[n] Liberalen etwa im Sinne gegenwärtiger Rechtfertigungen von parlamentarischer Demokratie" zu machen. 191 Hobbes' Philosophie ist in diesem Punkt streng pragmatisch auf die Situation bezogen; seine Haltung in Bezug auf die Souveränitäts-Problematik ist klar anti-demokratisch (weil anti-partizipatorisch). Doch man wird eben Hobbes nicht gerecht, wenn man seine Philosophie nur auf diese Situation verkürzt und aus ihm entweder einen starren Absolutisten oder einen reinen Bürgerkriegs-Theoretiker macht. Einen weiteren historischen Aspekt gilt es hier zu beachten, der meines Wissens bisher nicht in differenzierter Weise berücksichtigt wurde: Hobbes, der mit seinen verschiedenen Schützlingen bis 1640 bereits mehrere Reisen auf den Kontinent unternommen hatte, emigrierte 1640 nach Paris, in ein Land also, daß sich seit 1635 aktiv am dreißigjährigen Krieg beteiligte; einem europäischen Krieg, der in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß (man 190 Wenn demnach Kants Hobbes-Kritik in seiner Schrift "Über den Gemeinspruch" (1978 2 , XI, S. 143-164 [A 231-270]; vgl. dazu etwa Hirschberger, 1 9 9 1 1 3 , S. 199) in ihrem Kern lediglich darin besteht, daß der "nicht-widerspenstige Untertan ... annehmen können [muß], sein Oberherr wolle ihm nicht Unrecht tun", weshalb ein Recht auf "Freiheit der Feder - in den Schranken der Hochachtung und Liebe für die Verfassung worin man lebt" (ebd., S. 161 [A 264 f.]) zu fordern sei, dann ist diese Kritik allerdings wenig substantiell, da ein bürgerliches Recht auf Meinungsfreiheit im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der Achtung vor diesen ohne weiteres auch mit Hobbes vertretbar ist. Als Beleg für die darin implizierte These, Hobbes habe keineswegs eine rigide Zensur und die gewaltsam-despotische Unterdrückung anderer, kritischer Meinungen für wünschenswert und sinnvoll erachtet, kann auch eine Stelle aus dem "Behemoth" (S. 68) angeführt werden, wo es heißt: "Ein Staat kann Gehormsam erzwingen, aber von keinem Irrtum abhelfen noch die Herzen derjenigen änderen, die meinen, sie hätten die bessere Einsicht. Die Unterdrückung einer Lehre vereint nur und erbittert, daß heißt vermehrt sowohl die Bosheit als auch die Macht derer, die bereits daran glauben". 191 Willms, 1992, S. 34.

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denke etwa an die völlige Zerstörung und beinahe-Ausrottung Magdeburgs am 31. Mai 1631) Europa erschütterte und weite Teile des alten deutschen Reiches in ein totales Chaos versetzte. Nimmt man zudem an, die Grundprinzipien seiner politischen Philosophie seien bereits zum Zeitpunkt der Thukydides-Übersetzung (1629) vorhanden gewesen, dann erscheinen auch diese Ereignisse - neben den englischen Wirren - sehr wohl geeignet zu sein, als Folie für Hobbes' Anthropologie, seine Lehre vom "Naturzustand" und die staatsphilosophischen Konsequenzen dienen zu können, zumal sich auch der dreißigjährige Krieg (zumindest vordergründig) auf religiöse Ursachen zurückführen ließ. Mir sind zwar keine schriftlich fixierten Äußerungen Hobbes' zu diesem Krieg bekannt, doch es liegt auf der Hand, daß ihm als aufmerksamem Zeitgenossen mit europaweiten Kontakten (u. a. zu Mersenne, Descartes, Gassendi, Galilei) die Ereignisse bestens bekannt gewesen sein mußten. 192 Im Zusammenhang mit der Frage nach der für Hobbes "besten" Staatsform ist schließlich das Faktum bemerkenswert, daß Hobbes sowohl als Apologet des Totalitarismus als auch als Ahnherr des modernen Liberalismus gelesen wurde. 193 Die Ursache dafür mag sein, daß beide Regierungsformen mit dem Hobbesschen System durchaus vereinbar sind. 194 Die Staatsformen selbst sind 192 Knappe Anspielungen und Hinweise im Hinblick auf die Bedeutung der "Religionskriege in Europa" für Hobbes findet sich allerdings bei Goldenbaum, 1988, S. 412; ähnlich Gehlen, 1986 5 , S. 106 f.; Baier, 1987, S. 158; Palaver, 1991, S. 19; Baumgartner, 1992a, S. 23; deutlicher Willms, 1992, S. 9 f.; Schaefer, 1993, S. 82 ff.; Münkler, 1994b, S. 13, 40, 65 f.; auch Schelskys Interpretation (1981, S. 324), wonach "Hobbes' Politik ihren Ort in jenem Übergang des politischen Selbstbewußtseins aus dem mittelalterlichen religiösen Reichsbewußtsein in das neuzeitlich nationale Staatsbewußtsein zu finden hat", ist in diesem Zusammenhang - vor allem mit Blick auf die entsprechende epochale Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648 - höchst interessant. 193 Zur sachlichen und ausgewogenen Verteidigung Hobbes' gegen den Vorwurf, der theoretische "Vater des Totalitarismus" zu sein, siehe v. a. Kodalle, 1972, S. 25 ff.; ähnlich auch Gehrmann, 1970, S. 110 f.; ebs. Euchner, 1982, S. 182; Hungerland, 1989, S. 46 ff.; Fetscher, 1989 3 , S. LXVI; Willms, 1992, S. 29. Zur Frage, ob sich aus der Hobbesschen Anthropologie notwendig ein autoritärer Staat ergeben muß, siehe auch - gerade unter soziobiologischem Aspekt - Phocas, 1986, S. 100: "... z.B. kann aufbauend auf Hobbes' Anthropologie die Folgerung sowohl ein autoritäres wie auch ein liberales politisches System sein". 194 Der Absolutismus ist daher für Hobbes' System in keiner Weise substantiell, wie Höffe (1981b, S. 130) mit Nachdruck behauptet. Und Höffes zentraler Kritikpunkt an Hobbes (vgl. 1981a, S. 12 ff.; 1981b, S. 113 f., 129-140), wonach es diesem

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demnach bei Hobbes kontingent; es gibt nicht "die" beste Staatsform; vielmehr ist die Antwort auf die Frage nach der richtigen und "guten" Staatsform abhängig von ihrer funktionellen Eignung in Relation zu den jeweiligen äußeren (d. h. sozialen, ökonomischen, demographischen und vor allem auch ökologischen) Bedingungen - was wiederum als markanter evolutions- bzw. selektionstheoretischer Aspekt der Hobbesschen Staatsphilosophie zu kennzeichnen ist. 195

2.7 Hobbes und "biopolitics" - ein Resümee mit Blick auf unsere Gegenwart Bevor im abschließenden Teil dieser Arbeit die möglichen (oder notwendigen) Konsequenzen des Hobbesschen Denksystems für die Ebene der "Leviathane unter sich" und damit verbunden die Frage nach der möglichen aktuellen praktischen Relevanz seines Denkens diskutiert werden, seien die bisherigen Ergebnisse des Vergleichs zwischen der Lehre Hobbes' und den modernen Thesen von "biopolitics" an dieser Stelle kurz zusammengefaßt. Dabei kann nicht verschwiegen oder unterschlagen werden, daß sich hinsichtlich des "Wie" der Gründung größerer sozialer Gemeinschaften bis hin zu den modernen Nationalstaaten Parallelen zwischen den Lehren Hobbes' und den Thesen von "biopolitics" nur in rein hypothetischer Weise formulieren lassen. Dies ist wohl in erster Linie in dem Umstand begründet, daß der reale "Ausgang aus dem Naturzustand" der hominiden Kleingruppen seit der neolithischen Revolution auch für heutige Evolutions- und sich an evolutionstheoretischem Material orientierende Staatstheoretiker weitgehend im Dunkeln liegt, so daß sie - in diesem Punkt also letztlich nicht weniger

zwar gelungen sei, die abstrakte Notwendigkeit von Herrschaft zur Friedenssicherung nachzuweisen, während sein Absolutismus gerade wieder mit Notwendigkeit auf deren Zerstörung hinauslaufen müsse, trifft nur unter der Bedingung zu, daß der "Leviathan" als vollkommen statisch und unflexibel, der monarchische Herrscher als unbelehrbarer, machtversessener Starrkopf anzusehen ist. Denkt man sich den "Leviathan" jedoch als ein gleichsam elastisches Gebilde, das sich veränderten Bedingungen anpassen kann, so verliert das Argument Höffes den Grund. 195 Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Willms, 1990, S. 263, 266. Er gelangt mit Blick auf den Zustand der gegenwärtigen Welt zu dem Befand, "daß die Menschen unter Handlungsdruck stehen, daß aber für niemanden die Richtung des Handelns vorgegeben ist, es sei denn, in historisch-institutioneller Geronnenheit. Ordnung ist notwendig, aber niemand weiß, wie sie in Wahrheit aussehen soll. Folgt, daß alle Ordnung als diese kontingent ist ...".

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"mythologisch" als H o b b e s 1 9 6 - nichts anderes tun können, als auf der Basis eines möglichst gut begründeten Menschenbildes möglichst plausible Thesen über j e n e n entscheidenden Schritt in der Menschheitsgeschichte hypothetisch zu rekonstruieren. Ein wichtiger Grundkonsens zwischen den Lehren Hobbes' und den modernen Theoretikern läßt sich jedoch zweifellos dahingehend konstatieren, daß die (sich allmählich im Verlauf der biologischen Evolution herausbildende) "natürliche Künstlichkeit" des Menschen es ihm letztlich ermöglichte, seine scheiternde natürliche Selbsterhaltung durch Kultur und insbesondere durch ein spezielles Kunstprodukt - eben den Staat - abzusichern. 1 9 7 D i e s impliziert 196 Zur entsprechenden Kritik an Hobbes siehe Commers 1979, S. 150 ff.; er ist der Auffassung, sowohl Hobbes' Deduktion des menschlichen Wesens aus seinen materialistisch-mechanizistischen Prämissen, als auch seine Ableitung des Staates aus der Anthropologie sei inkonsistent. Für ihn stellt die Hobbessche Staats-Deduktion ebenso einen Mythos dar wie die These von der Konsistenz und Stringenz des Hobbesschen Denkens (ebd., S. 157), da Hobbes auf der sozio-mechanischen Ebene auf eine rein introspektive ("mere introspective") Basis und Prozedur zurückfalle, seinen Plan einer deduktiven Staats-Konstruktion jedoch völlig außer acht lasse. Sowohl in "De Cive" als auch im "Leviathan" suche der Leser vergeblich nach einer konsistenten sozio-mechanischen Konstruktion; dort könne er mit der Theorie über die natürliche "conditio humana" lediglich den "starting-point" für eine solche Konstruktion finden (ebd., S. 159). Merkwürdigerweise stellt Commers aber dann fest, natürlicher Tauschhandel zwischen Individuen, die von "appetite and aversion" mechanizistisch angetrieben seien, müsse notwendig zu einer "contemporary sociology, structural differentation of the social system" führen; einem System welches "codiflcation, evaluation, legitimation and justification" verlange (ebd.). Was aber hat Hobbes im Prinzip anderes gesagt? Auch Mackie (1983, S. 137) meint in diesem Zusammenhang, die Annahme eines ursprünglichen Gesellschaftsvertrages sei "nicht weniger mythisch als die Vorstellung eines Eingreifens von Zeus und Hermes in der Erzählung des Protagoras". 197 Zum Gelingen der politischen Problemlösung bei Hobbes siehe v.a. Weiß, 1980, S. 183-200. Auch Willms' Theorem vom "poietischen Subjektivismus" des Menschen ist hier integrierbar. Für ihn besteht die anthropologische Grundsituation - ähnlich wie für Scheler und Plessner - vor allem in der "Notwendigkeit des auslegenden Entwurfs". Die beiden Seiten der Subjektivität sind einmal das auf sich selbst bezogene, reflexive Denken, dessen Aufgabe die Selbsterkenntnis sowie die Selbstdeutung und -bewertung ist; und zum zweiten das über sich hinausgehende, projektive, entwerfende Denken, dessen Aufgabe vor allem im aktiven Entwurf von Situationen besteht. Diese doppelte Subjektivität ist dabei jeweils eingebunden in eine konkrete geschichtliche und soziale Situation, deren "Provokationen" auf das Denken einwirken (Willms, 1970, S. 13).

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als weiteren Punkt der Übereinstimmung die Behauptung, daß Menschen in aller Regel erst durch den zunehmenden selektiven Druck der sich massiv verschlechternden Überlebensbedingungen des jeweiligen Naturzustandes "zur Vernunft gebracht" wurden, d. h. zu der Einsicht, ihre Freiheit und die Realisierung ihrer Interessen könnten letztlich nur - und damit auch am besten durch den (partiellen) Freiheitsverzicht und die (partielle) Übertragung der je eigenen Souveränität verwirklicht werden. Eine weitere - vielleicht die wichtigste - Gemeinsamkeit zwischen Hobbes und "biopolitics" liegt in der Einsicht in die Notwendigkeit von Herrschaft, in das unhintergehbare Erfordernis, die Stabilität und Sicherheit menschlicher (trans-kin-)Gesellschaften durch geeignete politische Institutionen mit realer Zwangsgewalt zu garantieren, während das friedliche Zusammenleben von Menschen in anonymen Verbänden alleine auf der Basis individueller Moral als unmöglich erachtet wird. 198 Die Primäraufgaben einer politischen Ordnung (Gewährleistung von Stabilität und Sicherheit) sind nun einmal offensichtlich nicht mit den sanften Mitteln des rationalen Diskurses zu erreichen, wenn die Mehrheiten innerhalb der konfligierenden Parteien zu einem vernünftigen und "herrschaftsfreien" Diskurs nicht in der Lage bzw. nicht willens sind. Und diese mangelnde Fähigkeit und Bereitschaft wird von Hobbes wie der Soziobiologie darauf zurückgeführt, daß allen Menschen primär an der Wahrung und Durchsetzung ihrer eigenen (inklusiven) Interessen gelegen ist, während andere als Konkurrenten um knappe Ressourcen angesehen werden, denen tunlichst mit Mißtrauen begegnet werden sollte. Die genetisch implementierte Disposition zur Ausbildung eines asymmetrischen IngroupOutgroup-Verhaltensmusters ist nicht (beliebig) überspielbar; sie stellt eine der wichtigsten anthropologischen Konstanten dar. Die Entwicklung größerer funktionsfähiger sozialer Gebilde aus der ursprünglichen Familienzentriertheit stellt sich aus der Sicht der Soziobiologie und von "biopolitics" freilich als ein mühsamer und langwieriger, von Rückschlägen und Fehlversuchen gekennzeichneter, gleichwohl aber relativ kontinuierlicher evolutiver Prozeß des allmählichen Zusammenwachsens dar (etwa via Handelsbeziehungen, vertraglicher Regelung von Besitzständen, gemeinsamer Feste, Kulte, Götter u.ä.). Ad-hoc-Zusammenschlüsse auf der Basis von "Gesellschaftsverträgen" erscheinen dagegen als unwahrscheinlich. 199 198 So vertreten etwa Hügli/Lübcke (1991, S. 409) die aus soziobiologischer Sicht höchst interessante These, Hobbes habe in seiner Interpretation des Naturrechtes "nach den notwendigen Bedingungen menschlichen Lebens und Überlebens gesucht". 199 Vgl. Markl, H., 1990, S. 397.

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Andererseits muß man Hobbes zugutehalten, daß auch er von einer im Naturzustand stattfindenden Entwicklung hin zur allgemeinen Verelendung ausgegangen ist, so daß sein Gesellschaftsvertragstheorem gleichsam als Metapher für die revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen im Übergang vom Paläolithikum zum Neolithikum und deren weiterer Entwicklung bis hin zu den Nationalstaaten aufgefaßt werden kann. 200 An dieser Stelle ist auch nochmals darauf hinzuweisen, daß die Furcht allein nicht als "Kitt" einer Gesellschaft ausreichen kann, sondern hierzu die Annahme einer natürlichen Neigung zu Sympathie und Anteilnahme unerläßlich ist. 201 Ebenso wie im Rahmen von "biopolitics" die Entstehung von transkin-Sozietäten nur dann plausibel erklärt werden kann, wenn Menschen zumindest die Möglichkeit zugestanden wird, die ursprünglichen Grenzen der Ingroup - und damit die Bereitschaft zu "altruistischem" Verhalten - künstlich erweitern zu können, so ist auch Hobbes' Gesellschaftsvertragstheorem nur dann sinnvoll, wenn seinen Individuen zumindest die Möglichkeit zu Sozialität und Vertrauen zugesprochen wird. Radikal asoziale Individuen können ebensowenig jemals zu (dauerhaften) Formen der sozialen Kooperation gelangen wie evolutionäre Urgruppen mit starrem, hermetischen Ingroup-OutgroupVerhaltensmuster. Der Ausweg aus dem Naturzustand durch friedfertigen Zusammenschluß besitzt zudem aus soziobiologischer Sicht - um auch dies noch einmal ausdrücklich zu betonen - durchaus nicht die Notwendigkeit, wie sie Hobbes' 200 Vgl. dazu die These von Commers (1979, S. 149), wonach Hobbes "was the first to suggest, ... that human being and Commonwealth were the outcome of an ever ongoing process between corpuscules, leading to equilibrium"; vgl. entspr. Lott, 1989, S. 97. Diese Überlegung auf aktuelle politische Phänomene anwendend, erscheint es als durchaus plausibel und reizvoll, etwa die Mühsamkeit des bisherigen europäischen Integrationsprozesses (der sich nach den Worten Richard von Weizsäckers [1992a, S. 103] nur unter "täglichem Geächze und Gestöhne" - aber unter dem "wechselseitigen [selektiven? T.M.] Druck von Vertiefung und Erweiterung" immerhin nach vorne - bewegt), vor allem auch im Hinblick auf die (quasi-)evolutive "allmähliche Erweiterung von sechs auf zwölf Mitglieder" (ders., ebd., S. 122) in diesem Lichte zu sehen und zu bewerten. 201 Vgl. Mackie (unter Bezugnahme auf Hume), 1983, S. 139-144; Hume, 1972, S. IIIS, 27 ff., 60 ff.; ebs. Kliemt, 1985, S. 81 ff.; Johnson, P. J., 1989, S. 74 f. Interessant ist in diesem Zusammenhang wiederum Gehlens (1986-\ S. 56) These von der "Elargierung" der ursprünglich auf den familiären Nahbereich begrenzten sozialen Instinkte. Diese potentielle (!) "Weltoffenheit" des Menschen wurde bereits im 1. Teil als eine seiner womöglich wichtigsten und erfolgreichsten Systemeigenschaften gekennzeichnet.

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Kontraktualismus suggeriert. Ein Blick in die Geschichte der Menschheit beweist im Gegenteil, daß - abgesehen von ebenfalls häufigen Vernichtungsbzw. Vertreibungsfeldzügen und Genoziden - "natürliche" Staatsgründungen durch Eroberung und Annexion, durch Herstellung eines Hegeischen HerrKnecht-Verhältnisses zwischen Sieger und Besiegten 202 die weitaus häufiger gewählten Strategien waren - und sind; aber zumindest erscheint es nicht als ausgeschlossen, Menschen unter bestimmten Bedingungen auch zum Ausgang aus diesem "Naturzustand" auf der Basis friedfertiger Verhandlungen und von Verträgen und Kooperation für fähig zu halten. Auch wenn es schwierig sein dürfte, historische Beispiele anführen zu können (diskutabel wären etwa die Schweiz oder die USA 203 ), so ist doch der staatsgründende "Gesellschaftsvertrag der Gesellschaften" nicht von vorne herein als anthropologischer Nonsens zu verwerfen - und sei es primär aus pragmatischen Gründen (der Gesellschaftsvertrag als regulative Idee einer Friedenspolitik unter den Überlebensbedingungen des Naturzustandes der Gleichen). Aus der bisherigen (ausschließlichen?) Praxis der "natürlichen" Staatsgründung schließen zu wollen, Staaten könnten und sollten nur so begründet werden, liefe (möglicherweise) auf eine geradezu paradigmatische Variante des "naturalistischen Kurzschlusses" hinaus. Nach einem Ausspruch von Bernard Willms ist Hobbes' Staatsphilosophie "an Gründlichkeit des Neuanfangs unter dem Zwang einer völlig verfahrenen Situation nicht zu übertreffen". 204 Als solche "völlig verfahrenen" Situationen können aus so z iobiologischer Sicht vor allem jene angesehen werden, in denen Menschen in einer überlasteten ökologischen Nische vor den Alternativa standen, die aggressiven Formen der Austragung des Intergruppenk°nfliktes, die sich in einer solchen Lage auf lange Sicht als mala d aptiv erweisen konnten, bis zur völligen allgemeinen Erschöpfung fortzusetzen, oder aber gleichsam über den eigenen "genetischen Schatten" zu springen und kulturelle Formen des sozialen Miteinanders jenseits der ursprünglichen Ingroup-Grenzen zu entwickeln. Wenn sich aber heute die gesamte Erde - und damit die auf ihr in vielen Staaten lebenden Menschen - in einer solchen "völlig verfahrenen Situation" befindet, dann erscheint es als sinnvoll, die soziobiologisch "bereinigte" Phi-

202 Vgl. dazu Fukuyama, 1992, S. 208 f. 203 Siehe dazu Bellers/Häckel, 1990, S. 293 f., 297 f. 204 Willms, 1987, S. 261. Aber es wäre ebenso bedenklich, Hobbes nur auf diese Situationen reduzieren zu wollen, auch wenn seine Lehre hier sicherlich besonders aktuell und brisant wird.

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losophie des Thomas Hobbes auch auf diese Ebene der "Leviathane unter sich" anzuwenden. Daß aber diese Anwendung überhaupt zulässig, die Situation der Hobbesschen "Individuen" (bzw. der biogenetischen "Ingroups") mit der heutigen Situation der Staaten unter sich vergleichbar ist, die Lehren vom Naturzustand, der zunehmenden Verelendung, dem Gesellschaftsvertrag und der Notwendigkeit einer machtvollen Herrschaft des Rechts in diesem Maßstab übertragbar sind, dies soll im folgenden, abschließenden Teil ausführlich begründet werden.

TEIL 3

DIE LEVIATHANE UNTER SICH

I. Hobbes' Lehre vom "Naturzustand der Leviathane" W e n n danach gefragt wird, ob die " L o g i k des Leviathan" auch a u f die E b e n e der "Leviathane unter sich" übertragbar und somit in praktisch-philosophis c h e r Absicht w o m ö g l i c h auch auf die heutige "Weltgesellschaft" anwendbar sein könnte, dann ist zunächst zu prüfen, ob sich diese Übertragbarkeit überhaupt theoretisch in konsistenter W e i s e aus dem Hobbesschen System ableiten läßt - zumal Hobbes selbst sich über diese F r a g e n wenige Gedanken m a c h t e 1 , o d e r ob sich nicht der Vergleich zwischen den Hobbesschen Individuen im

1

Siehe dazu Willms, 1987, S. 184 ff. Diese Spärlichkeit der Hobbesschen Äußerungen zu den Themenbereichen "Völkerrecht" und "Weltfrieden" ist leicht dadurch zu erklären, daß seine politische Absicht eben in erster Linie auf die politischen Verhältnisse Englands zu Zeiten des Bürgerkrieges abzielte: "The great problem for Hobbes ... was not lack of international government but the lack of effective national government (Grover, 1989, S. 80). Doch Grover (ebd.) sieht einen weiteren Grund für Hobbes' Schweigen darin, daß für diesen als Engländer des 17. Jahrhunderts, der noch dazu ein "Parteigänger" der Tudors und Stuarts gewesen sei, die Entwicklung der Idee von einem supranationalen Souverän allzu leicht in den Verdacht der ideologischen Unterstützung päpstlicher bzw. katholisch-spanischer Hegemonialgelüste hätte geraten können.

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Naturzustand und dem Verhältnis von Staaten zueinander aus prinzipiellen logischen oder faktischen Gründen verbietet. Die wichtigsten drei der damit einhergehenden Fragen lauten, ob zum einen nach Hobbes die Staaten überhaupt - wenn auch auf einer höheren Ebene - wie Individuen behandelt werden dürfen, ob zweitens das Verhältnis dieser "Staats-Individuen" zueinander als "Naturzustand" im Hobbesschen Sinne gelten kann, und wenn dies der Fall ist, ob drittens für diese "StaatsIndividuen" im Naturzustand die gleichen oder ähnliche "Gesetze der Vernunft" gelten wie für die Hobbesschen Individuen im Naturzustand.

1. Der künstliche Mensch oder Die problematische These vom " Staatsindividuum" Die erste Frage, ob nach Hobbes die Staaten in analoger Weise wie Einzelmenschen behandelt werden dürfen, ist eindeutig zu bejahen. So zeigt etwa das Titelblatt der Erstausgabe des "Leviathan" (1651) den Souverän als eine freilich riesenhafte - menschliche Gestalt, die bei näherem Hinsehen aus einer Vielzahl einzelner Menschen zusammengesetzt ist, die als Gesamtheit den Körper des Leviathan "ausmachen".2 Entsprechend heißt es in der Einleitung zum "Leviathan": "Denn durch Kunst wird jener ... geschaffen, genannt Gemeinwesen oder Staat, ... der nichts anderes ist als ein künstlicher Mensch, wenn auch von größerer Gestalt und Stärke als der natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde" (Le, S. 5; Hervorhebung T.M.). 3 Eine Fülle weiterer Belegstellen für diese Hobbessche (bzw. originär platonische4) Sichtweise des "Leviathan" als großgeschriebenem künstlichen 2

Zur Interpretation und Kritik dieses berühmten Titelblatts siehe Brandt, R., 1982b; Willms, 1987, S. 15-20; Kersting, 1992a, S. 28-36; Münkler, 1994b, S. 50 ff.; vgl. auch Weiß, 1980, S. 211 f., 225 ff.

3

Auch Kant geht (fast) 150 Jahre später in seiner berühmten Schrift "Zum ewigen Frieden" von 1795 mit größter Selbstverständlichkeit davon aus, "Völker, als Staaten, [könnten] wie einzelne Menschen beurteilt werden ..." (Kant, 1978^, XI, S. 208 f. [BA 28-30]; vgl. auch Kants Ausführungen über das Völkerrecht in der "Metaphysik der Sitten", 1978 2 , VIII, S. 466 f. [A 215 ff.; B 245 ff.]); zu dieser Kant-Interpretation siehe Weil, 1973, S. 362 ff.

4

Bekanntlich operierte bereits Piaton mit der Metapher des Staates als dem "großgeschriebenen Menschen", an dem wegen seiner Größe besser als am einzelmenschlichen "Mikrokosmos" zu erkennen sein müßte, was Gerechtigkeit ist (vgl. Pol., 368e-369a; vgl. zu diesem ideengeschichtlichen Hinweis auch Willms, 1987, S. 184).

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259 5

Menschen, "sterblichen Go«[]" (Le, S. 134) oder als "eine Person Staat" , in der die Person des Souveräns "die Seele" ist (vgl. Le, S. 5, 171, 254, 440; Ci, S. 146), finden sich in allen Kapiteln seiner politischen Schriften, in denen er sich über die "inneren Ursachen [äußert], durch welche ein Staat sich auflöst" (also El, S. 189 ff., Ci, S. 192 ff., Le, S. 245 ff.). In all diesen Kapitel geht Hobbes von der Fiktion des Staates als "künstlichem Menschen" aus, der folglich in analog-menschlicher Weise vergänglich ist, "erkranken", "dahinsiechen" und "sterben" kann. Für Hobbes bleibt die "Ähnlichkeit des künstlichen Menschen mit dem natürlichen" sogar unter dem physiologischen Gesichtspunkt des Blutkreislaufes bestehen (vgl. Le, S. 194). Und in "De Cive" schließlich sagt Hobbes unmißverständlich, "die einmal eingerichteten Staaten [nähmen] die Eigenschaften einer menschlichen Person an" (Ci, S. 220; Hervorhebung T. M.). 6 Somit kann die erste Voraussetzung für die Übertragung der Hobbesschen Naturzustandslehre auf die Ebene der Staaten mit Hobbes als erfüllt angesehen werden.

2. Der Naturzustand der Leviathane Auch die zweite Frage, ob das Verhältnis jener "Staats-Individuen" zueinander als "Naturzustand" bezeichnet werden kann, ist mit Hobbes ausdrücklich zu bejahen. Ein guter Ansatzpunkt zum Beleg dieser Behauptung ist wiederum die "homo homini deus"-Formulierung im Widmungsschreiben zu "De Cive" (S. 59), die eben nicht nur deshalb bedeutsam ist, weil sich aus ihr ein gutes Argument gegen die These vom ausschließlich negativen Hobbesschen Menschenbild entwickeln läßt, sondern zudem - und dies erscheint im Zusammen5 6

Weiß, 1980, S. 187. Die Vergleichbarkeit von Einzelperson und Staats-Person in der Hobbesschen Theorie behauptet auch Ripstein, 1989, S. 121 ff.; vgl. auch Cohen, 1984, S. 325: "the logic of international relations ist the logic of individuals in the Hobbesian State of nature writ large". Andere Autoren wie etwa Willms bestreiten sie dagegen energisch (1989, S. 130 ff.; ders., 1987, S. 182 ff.; allerdings betont Willms an anderer Stelle, 1979, S. 186, ausdrücklich den "Subjektcharakter des Staates"; so auch Schaefer, 1993, S. 9.). Interessanterweise scheinen auch die Ergebnisse moderner Gehirnforschung eine Vergleichbarkeit von Individuum und größeren sozialen Strukturen nahezulegen oder zumindest als vertretbar erscheinen zu lassen. So geht etwa Sperry (19852, S. 62) davon aus, die "Hackordnung kausaler Entitäten, die wir ... für das Gehirn umrissen haben, ende[] nicht in der Einzelperson, sondern steig[e] weiter hinauf bis zu höheren Kontrollstufen, die Gesellschaft und Kultur einschließen".

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hang mit der hier interessierenden Fragestellung noch wichtiger - weil sie Aufschluß über Hobbes' Auffassung vom Verhältnis der Staaten untereinander gibt. Diese Bedeutung ergibt sich aus dem Kontext im Widmungsschreiben zu "De Cive", wo es heißt: "Nun sind sicher beide Sätze wahr: Der Mensch ist ein Gott für den Menschen und Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen-, jener, wenn man die Bürger untereinander, dieser, wenn man die Staaten untereinander vergleicht. Dort nähert man sich durch Gerechtigkeit und Liebe, die Tugenden des Friedens, der Ähnlichkeit mit Gott; hier müssen selbst die Guten bei der Verdorbenheit der Schlechten ihres Schutzes wegen die kriegerischen Tugenden, die Gewalt und List, d. h. die Raubsucht der wilden Tiere, zu Hilfe nehmen" (Ci, S. 59). Friedensbereitschaft und Wohlwollen nach innen - Aggressionsbereitschaft und Mißtrauen nach außen: Aus soziobiologischer Sicht fällt es nicht schwer, in Hobbes' Formulierung eine - freilich unbewußte - Vorwegnahme der ethologisch-soziobiologischen These von der Ingroup-Outgroup-Dichotomie zu erkennen. Bereits diese Formulierung deutet also im Hinblick auf das zu bestimmende Verhältnis der "Leviathane unter sich" auf einen Umstand hin, der bislang in der Hobbes-Forschung eher vernachlässigt wurde. Die meistens Forscher vertreten die Ansicht, Hobbes habe seine Lehre vom "Naturzustand" streng "ahistorisch aufgefaßt, nicht als historische Realität, er [sei] reine Konstruktion" 7 , und sie berufen sich dabei vor allem auf die Stelle im "Leviathan" (S. 97), wo Hobbes formuliert: "Vielleicht kann man die Ansicht vertreten, daß es eine solche Zeit und einen Kriegszustand wie den beschriebenen niemals gab, und ich glaube, daß er so niemals allgemein auf der Welt bestand". Insofern ist es sicher zutreffend, wenn man den inter-individuellen Naturzustand bei Hobbes als rein kontrafaktisch versteht. Dennoch geht Hobbes explizit auch von der Historizität des Naturzustandes aus - nämlich des Naturzustandes der Leviathane! 8 Denn wenige Sätze später heißt es: "Aber 7

So etwa Baumanns, 1977, S. 25; vgl. entspr. Kodalle, 1972, S. 33 ff.; Weiß, 1980, S. 139-144; Höffe, 1981b, S. 123; Fetscher, 1984, S. XXIV; Willms, 1987, S. 151; Kersting, 1992a, S. 62 f., um nur einige zu erwähnen. Münkler (1994b, S. 109 f.) ordnet dagegen Hobbes' Naturzustandstheorem in die Tradition antiker, bei den Epikuräern wie auch bei den Stoikern auffindbarer Kulturentwicklungstheorien ein, in welchen "die Anfänge der Menschheit als Zustand der Bedrohung, des ständigen Konfliktes und der Unsicherheit des Lebens gefaßt [wurden], aus dem sich die Menschheit dann im weiteren Verlauf der Geschichte Schritt für Schritt herausgearbeitet hat". Allerdings entfalle bei Hobbes jegliches evolutive Moment (Übergangsund Entwicklungsphasen); für ihn gebe es nur das harte "entweder - oder" zwischen Gesellschafts- und Natur- (d.h. K r i e g s z u s t a n d .

8

Vgl. dazu Willms, 1987, S. 184 f.; Grover, 1989, S. 79 ff.

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o b w o h l e s niemals eine Zeit g e g e b e n hat, in der sich einzelne M e n s c h e n im Zustand des g e g e n s e i t i g e n Krieges befanden, so befinden sich d o c h zu allen Zeiten K ö n i g e und souveräne Machthaber auf Grund ihrer Unabhängigkeit in ständigen Eifersüchteleien und verhalten sich wie Gladiatoren: sie richten die W a f f e n gegeneinander und lassen sich nicht aus den A u g e n - das heißt, sie haben ihre Festungen, Garnisonen und Geschütze an den G r e n z e n ihrer Reiche und ihre ständigen Spione bei ihren Nachbarn. D a s ist offensichtlich eine kriegerische Haltung". 9 Dabei ist die Feststellung wichtig, "daß H o b b e s die Staatenwelt [nicht] nur im Bild eines Rudels sich zerfleischender W ö l f e " s a h 1 0 , der Naturzustand der Leviathane nicht nur der des permanenten H a u e n s und Stechens, des nie endenden heißen Krieges aller g e g e n aller sein mußte, aber - w i e e s Kant später in seinem "Ewigen Frieden" formulierte: A l l e i n e die 9

10

Für Bull (1981, S. 720) folgt aus diesem Zitat sowie vergleichbaren Stellen in den "Elements" und "De Cive", "that all of what Hobbes says about the life of individual men in the State auf nature may be read as a description of the condition of states in relation to one another". Eine ähnliche Sicht der Dinge vertritt nach Bull nahezu die gesamte "realistische Schule" der Theorie internationaler Politik nach Hans Mergenthau (Bull, 1981, S. 717 ff.; vgl. dazu auch Falger, 1987, S. 236 ff.; ebs. Cohen, 1984, S. 302-319; vgl. aber auch Fukuyama, 1992, S. 343 f.). Die Übernahme der Hobbesschen Anthropologie in dieser "realistischen Schule" internationaler Politik muß daher durchaus nicht als "leichtfertig" abgewertet werden (So etwa Albrecht/Hummel, 1990, S. 93; ähnlich bereits Bühl, 1976, S. 142). Wenn zudem die von Hobbes behauptete anthropologische Konstante des immerwährenden Machtstrebens durch die Ergebnisse der modernen Evolutionstheorie bestätigt und erhärtet werden, dann bedeutet dies auch für die "realistische Schule", daß sie ihre Lehre auf offensichtlich tragfähigen Fundamenten aufbaute. Ob allerdings die Konzentration dieser Schule auf einen gewaltzentrierten Machtbegriff überhaupt und die daraus abgeleiteten Konsequenzen für eine "realistische" internationale Politik heute noch vertretbar sind, wird noch zu diskutieren sein. Mit Hobbes kann an dieser Stelle allerdings schon darauf verwiesen werden, nicht (militärische) Gewalt sollte unter allen Umständen im Zentrum einer realistischen Machttheorie stehen, sondern wohlverstandenes Eigeninteresse. Auch Strauss (1965, S. 167) betont gegen Carl Schmitts These von der "totalen Negation des Politischen" bei Hobbes (das "Politische" im Sinne Schmitts verstanden als "Bereitschaft zum Kampf"), nach der Hobbesschen Lehre bestehe "im Verhältnis zwischen den Nationen der Naturzustand fort"; siehe auch Räder, 1990, S. 21: "Hobbes' Anarchieproblem hat sich von einem binnengesellschaftlichen zu einem zwischengesellschaftlichen entwickelt"; Russell, 1978, S. 566 f.; vgl. entspr. Hungerland, 1989, S. 39, 49 f. Willms, 1987, S. 186 (abgesehen davon, daß dieses Bild vom Rudel sich zerfleischender Wölfe per se falsch ist).

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Existenz eines militärischen Apparates ("stehende Heere") "bedroh[t] andere Staaten unaufhörlich mit Krieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen diese an, sich einander in der Menge der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertreffen, und, indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden". 11 Eine weitere Belegstelle für die These vom Naturzustand der Leviathane findet sich im Kapitel über die "Freiheit der Untertanen" im "Leviathan" (S. 166); hier heißt es: "Die Freiheit, die so häufig in der Geschichtsschreibung und Philosophie der alten Griechen und Römer sowie in den Schriften und Reden derer gepriesen wird, die aus diesen Quellen ihr ganzes politisches Wissen geschöpft haben, ist nicht die Freiheit von Einzelmenschen, sondern die Freiheit von Staaten. Sie ist dieselbe wie die, welche jeder Mensch dann hätte, wenn es überhaupt keine bürgerlichen Gesetze und Staaten gäbe" (Hervorhebung T. M.). 12 Auch in einem seiner Spätwerke, dem "Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht" (Di, 45 f.; vgl. auch S. 58) greift Hobbes diesen Gedanken (wiederum eher beiläufig) auf: Der Philosoph (also Hobbes) fragt den Juristen (gemeint ist v.a. der Hauptvertreter der "Common-Law"-Schule, Sir Edward Coke13), welche Hoffnung es denn in Anbetracht menschlicher "Habsucht, des Neides der Heuchelei" auf einen "dauerhaften Frieden in irgendeiner Nation oder zwischen einer Nation und einer anderen" gebe. Und die Antwort des Juristen lautet: "Zwischen den Nationen darfst du einen solchen Frieden nicht erwarten, da es keine gemeinsame Macht in dieser Welt gibt, um ihre Ungerechtigkeit zu bestrafen: gegenseitige Furcht mag sie für eine bestimmte Zeit ruhig halten, aber bei jedem sichtbaren Vorteil werden sie einander überfallen".

11

Kant, 1978 2 , XI, S. 197 (BA 7,8). Und in derselben Schrift (ebd., S. 208 f., 210 [BA 30 f., 33]) führt Kant aus, in jenem "Naturzustande" als dem "freien Verhältnis der Völker" lasse sich die "Bösartigkeit der menschlichen Natur ... unverhohlen blicken".

12

Vgl. dazu Falger, 1987, S. 237 f. Natürlich legt dies spontan die Überlegung nahe, zumindest auf lange Sicht müsse sich auch diese Freiheit der Leviathane in gleicher Weise in ihr Gegenteil verkehren und zur nahezu vollständigen Lähmung ihrer Bewegungsfreiheit führen.

13

Dessen "Institutes" lange als grundlegend für das englische Rechtswesen galten; vgl. Willms, 1987, S. 98 ff.; ders., 1992, S. 10 ff.

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Was diesen "Naturzustand der Leviathane" anbelangt, ist auch ein Blick zurück auf Hobbes' geistigen "Ziehvater" Thukydides 14 aufschlußreich, der im Hinblick auf das zwischenstaatliche Mit- bzw. Gegeneinander davon ausgeht, Staaten müssten - sofern sie dazu in der Lage sind - ihre Macht ausbauen; diese Machtakkumulation nötige aber irgendwann - nämlich dann, wenn man sich genügend Feinde gemacht habe - dazu, diese Macht skrupellos zu gebrauchen. Ein mächtiger Staat hat so viele Feinde, daß er nur durch (radikale) Machtanwendung seinen Bestand gewährleisten kann. Es ist für Thukydides keine Frage - und völlig im Einklang mit der Hobbesschen Denkweise -, daß aus diesem Verhältnis "Argwohn und Entzweiung" entstehen müssen. Und weil sich die "Staatsindividuen" untereinander im Naturzustand befinden ist es - für Thukydides gleichermaßen wie für Hobbes (vgl. El, S. 99) - keine Frage, daß es "keinem zu verargen [ist], daß er für die äußerste Gefahr alles nach seinem Vorteil einrichtet". 15 Gleichwohl besteht für Hobbes zwischen dem Naturzustand der Einzelmenschen (bzw. soziobiologisch: der familiären Kleingruppen, Sippen, Clans) und dem der Staaten ein signifikanter Unterschied: Während nämlich der Naturzustand der Individuen zur allgemeinen Verelendung führt, so daß der Ausgang aus dem Naturzustand zuletzt allen Individuen in ihrem eigenen Interesse evidentermaßen als geboten erscheint, fördert der Naturzustand der Leviathane "den Fleiß ihrer Untertanen", und somit folgt aus diesem zwischenstaatlichen Krieg aller gegen alle "nicht dieses Elend, das die Freiheit von Einzelmenschen begleitet" (Le, S. 98). 16 Ohne den allgemeinen Leidensdruck ergibt sich aber in Hobbes' System nicht die "Logik des Leviathan", da die zum Ausgang aus dem Naturzustand entscheidend motivierende Furcht sich ohne diesen Leidensdruck nicht einstellt. Aufgrund dieser zu seiner Zeit (!) fehlenden Bedingung bestand für Hobbes schlechterdings keine Notwendigkeit, die "Logik des Leviathan" über den innergesellschaftlichen Bereich hinaus auch auf die zwischenstaatliche Ebene anzuwenden. 17 14 15 16 17

Zur Bedeutung des Thukydides für Hobbes und die Entwicklung seiner politischen Philosophie siehe Strauss, 1965, Kap. VI; Willms, 1987, 36 f., 49 f., 61, 132. Zitiert nach Münkler, 1987, S. 37. Siehe dazu Grover, 1989, S. 84 f., 88. Grover (1989, S. 89) hakt an diesem Punkt mit folgendem kritischen Argument ein: Wenn für Hobbes die Staaten sich untereinander in gleicher Weise im Naturzustand befinden wie die Individuen im prä-staatlichen Naturzustand, dieser Naturzustand der Individuen aber als eine unerträgliche Situation erkannt wird, müßte dann nicht konsequenterweise auch der Naturzustand der Leviathane als unerträglich dargestellt werden? Umgekehrt: Wenn dieses Unerträglichkeits-Argument für den Naturzustand

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Aber auch aus soziobiologischer Sicht besteht zwischen den "Staatsindividuen" und den Hobbesschen Individuen im Naturzustand ein wesentlicher Unterschied, der sich wiederum aus dem anthropologischen Axiom ergibt, daß Menschen immer natürliche Sozialwesen sind, also im Grunde genommen niemals in völliger Vereinzelung als "Mensch" gelten können, während Staaten (zumindest theoretisch) sehr wohl als vereinzelte Individuen vorstellbar sind. Doch dies ändert nichts am Befund der Übertragbarkeit der Hobbesschen Naturzustandslehre auf die Ebene der "Leviathane unter sich". Im Gegenteil: Zum einen kann man argumentieren, Staaten könnten zwar deshalb keine großen Einzelpersonen im Sinne Piatons sein, eben weil sie als vereinzelt existierend vorstellbar sind (was für einzelne Menschen gerade nicht gilt), es sei jedoch mehr als eine bloße Metapher, in ihnen die um ein vielfaches vergrößerten Ur-Gesellschaften der genetischen Ingroups mit identischen oder zumindest vergleichbaren (fraktalen) Strukturen zu sehen. 18 Und von diesen Ingroups wurde im zweiten Teil dieser Arbeit bereits gesagt, ihr Verhältnis zueinander könne sich unter bestimmten Voraussetzungen in der Tat zu einer Situation entwickeln bzw. zuspitzen, die dem Hobbesschen Naturzustand des Krieges aller gegen alle vollauf entspricht19; analoges kann also auch für die Staaten als den "großgeschriebenen Kleingruppen" gelten (Und heute mehr denn je in der Geschichte des internationalen Staatensystems der Leviathane nicht gilt, wieso sollte dies dann für den Naturzustand der Individuen - der doch nach Hobbes prinzipiell derselbe ist - der Fall gewesen sein? Aus der Sicht von "biopolitics" ist Grovers Problem jedoch leicht zu lösen, wenn man die externen Bedingungen des Naturzustandstheorems berücksichtigt: Der Naturzustand der Individuen (respektive Kleingruppen) darf nicht a priori als elend und unerträglich angesehen werden. Erst im Verlaufe bestimmter evolutiver Entwicklungen konnte sich eine Überlastung ökologischer Nischen ergeben, was für die sie bewohnenden Gruppen eine zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen bedeutete. Dem selektiven Druck dieser neuen Situation wurde (letztlich) mit der Schaffung der sozialen Organisationsform "Staat" in einer Weise "entsprochen", die den Leidensdruck aufhob oder zumindest auf ein erträgliches Maß linderte. Der Naturzustand der Leviathane - zu Zeiten Hobbes - entsprach also ungefähr dem Naturzustand der Kleingruppen zu einem Zeit"punkt" der Evolution, in dem die Überlebenssituation noch nicht als unerträglich erfahren wurde. 18 19

Vgl. zu diesem Ansatz Falger, 1987, S. 235 f., 240-250; Patzelt, 1992, S. 160; Carneiro, 1978, S. 206, 212-216. Weshalb die Hobbes-Kritik von Diesselhorst (1988, S. 46 f.) sich spätestens auf dieser Ebene als wenig fruchtbar erweist, die aus der mangelnden Historizität des interindividuellen Naturzustandes auf die Falschheit oder zumindest Haltlosigkeit des Theorems vom Krieg aller alle schließen will.

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drängt sich die Analogie zum Einzelmenschen zudem insofern auf, als auch die heutigen Staaten nicht in strengem Sinne isolierbar, als beziehungslose, gleichsam monadische Individuen existenzfähig und überhaupt vorstellbar sind.). 20

3. Die äquivalente Geltung der "Gesetze der Vernunft" im Völkerrecht Auch die dritte der am Anfang dieses Kapitels gestellten Fragen, ob nach Hobbes für den "Naturzustand der Leviathane" das gleiche "Naturrecht", die gleichen "Gesetze der Vernunft" gelten wie für den "Naturzustand der Individuen", ist aus Hobbes' Werk eindeutig zu beantworten. Im "Vorwort an den Leser" in "De Cive" (S. 64) führt Hobbes aus, er wolle in dieser Schrift "von den Pflichten der Menschen" handeln, wobei in diesen "sowohl die Elemente des Natur- und Völkerrechts und der Ursprung und die Macht der Gerechtigkeit ... enthalten [seien]". Und ebenfalls in "De Cive" argumentiert Hobbes im 14. Kapitel (S. 220 f.) in Bezug auf das "natürliche Gesetz", dieses könne "eingeteilt werden in das natürliche der Menschen, das allein den Namen 'das natürliche Gesetz' erhalten hat, und in das natürliche der Staaten, das das Gesetz der Völker genannt werden kann, aber gewöhnlich als Völkerrecht bezeichnet wird. Beider Vorschriften sind dieselben. [...] Und die bis jetzt behandelten Elemente des natürlichen Gesetzes und des Naturrechts können, wenn sie auf ganze Staaten oder Völker übertragen werden, auch als die Elemente der Gesetze und des Rechtes der Völker gelten" (Hervorhebung T. M.). Im "Leviathan" (S. 269) schließlich begründet Hobbes seinen Verzicht auf nähere Erläuterungen über "die gegenseitigen Pflichten der verschiedenen Souveräne, die in dem Gesetz, das man gewöhnlich Völkerrecht nennt, enthalten sind" mit dem Argument, daß "Völkerrecht und Gesetz der Natur dasselbe sind. Und jeder Souverän besitzt das gleiche Recht, seinem Volk Sicherheit zu verschaffen, das jedem einzelnen Menschen zur Verfügung steht, um für die Sicherheit seines eigenen Körpers zu sorgen". Dies impliziert natürlich auch die Konsequenz, daß für die Staats-Individuen als den (klassischen) Völkerrechtssubjekten in gleicher Weise wie für die Hobbesschen Einzelmenschen im Naturzustand das "Prinzip Eigennutz" als oberstes

20

So gelangt bereits Kodalle (1972, S. 193) zu dem Schluß, daß "sich die der Hobbesschen Philosophie zugrunde liegende politisch-gesellschaftliche Situation [heute] aufs äußerste verschärft und universalisiert [hat] ".

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Handlungsprinzip anzunehmen ist 21 , daß sie aufgrund jenes "allgemeinen Trieb[es] der gesamten Menschheit" (Le, S. 75) nach der Akkumulierung von Macht als den "gegenwärtigen Mitteln zur Erlangung eines zukünftigen anscheinenden Guts" (Le, S. 66) streben und zum Zweck des Machterhaltes alles tun dürfen, "was [sie] nach eigenem Urteil und eigener Vernunft als das zu diesem Zweck geeignetste Mittel an[sehen]" (Le, S. 99). Wenn nun alle drei zu Beginn dieses Teiles gestellten Fragen mit Hobbes positiv beantwortet werden können (Staaten können wie Individuen behandelt werden; sie befinden sich de facto untereinander im "Naturzustand"; die natürlichen "Gesetze der Vernunft" sind auf sie übertragbar), dann spricht zumindest hinsichtlich dieser theoretischen Gesichtspunkte nichts dagegen, auch die "Logik des Leviathan" auf die Ebene der Staaten unter sich für anwendbar zu halten und - sofern und soweit weitere Bedingungen ebenfalls erfüllt sind! mit Hobbes in letzter Konsequenz für die Einsetzung eines Super-Leviathan im Rahmen eines "Weltstaates" zu plädieren, im Verhältnis zu dem alle bisher vollständig souveränen Staaten zu Untertanen werden. Die Theorie des Thomas Hobbes würde nach alledem auf dieser inter-nationalen Ebene in der Tat (zumindest potentiell) "eine anhaltende praktische Aktualität" besitzen 22 , und dies muß in keiner Weise notwendig eine auf einem "ziemlich oberflächliche [n] Denkfehler" beruhende Überinterpretation Hobbes' darstellen, wie Willms energisch behauptet. 23 21

22

23

Mit Blick auf die realen (macht-)politischen Möglichkeiten der UNO im Zusammenhang mit der Umwelt-Konferenz von Rio im Juni 1992 stellt etwa Bertram (1992, S. 6) resignierend fest: "Staaten geht noch immer Eigennutz vor Allgemeinwohl; harte Interessen, nicht weiche Visionen bestimmen ihr Tun"; vgl. entspr. Werner, 1991, S. 231. Hoerster, 1977 2 , S. 136; dezidiert plädiert auch Vossenkuhl (1993, S. 18) für die Anwendbarkeit des Hobbesschen Naturzustandstheorems samt seiner staatsphilosophischen Konsequenzen auf die Ebene der Gesellschaften; vgl. Grover, 1989, S. 88; Bertman, 1989, S. 13; Hungerland, 1989, S. 49 f.; Airaksinen, 1989, S. 56 ff., 68 f.; Johnson, P. J., 1989, S. 76 f. Willms, 1987, S. 184 ff., 260 f.; vgl. ders. (ausführlicher), 1989, S. 132-140; dabei ist bemerkenswert, daß Willms sowohl die Anwendbarkeit des Hobbesschen Naturzustandstheorems als auch die Übertragung der Lehre von den "Gesetzen der Vernunft" auf die Ebene der "Leviathane unter sich" für zulässig und konsequent hält (vgl. Willms, 1987, S. 187 f.); er bestreitet jedoch die Übertragbarkeit der "Logik des Leviathan" als "absolut unmöglich"; entsprechend auch Kersting, 1992a, S. 167 ff.; vgl. Baumgartner, 1992a, S. 18 f. Eine ähnliche Kritik äußern auch Vertreter der "realistischen Schule internationaler Politik" (siehe dazu Kindermann, 1963, S. 32 f.).

Vom Weltstaat

267

Doch Willms' Argumentation ist in diesem Zusammenhang wenig stichhaltig. So ist etwa sein zentrales Argument, Nationen als Indivdiuen seien nur im Plural zu denken möglich, weshalb der Gedanke an den einen Weltstaat in sich widersprüchlich sei, letztlich nicht zwingend. Denn zum einen verlieren auch die Hobbesschen Individuen durch den Zusammenschluß zu einem künstlichen Staatswesen keineswegs vollständig ihre Individualität; auch einzelne Menschen - obschon immer "kin-encapsulated" - sind schließlich nur in pluraler Individualität zu denken möglich. Wenn aber Willms' Argument in dieser apodiktischen Form zutreffen sollte, wonach die Schmittsche "Negativität" der Individuen in einem Staat gestrichen ("by cancelling") werde müsse24, dann müßte man konsequenterweise daraus folgern, es könne im Hobbesschen Staat keine Subjekte mehr geben. Doch dieser Schluß dürfte bereits deshalb als absurd zurückzuweisen sein, weil im Hobbesschen Staat sehr wohl interindividuelle Negativität (etwa im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf sowie im Streben nach Ruhm und Ehre; vgl. Le, S. 66 f., 76 ff. 25 ) fortbesteht, ja fortbestehen soll, sofern und soweit dadurch das "salus populi" gesteigert werden kann. 26 Daß diese "Negativität" nicht mehr in der radikalen kriegerischen Form des Naturzustandes zum Austrag kommt, dies ist gerade das große Verdienst des "Leviathan" bzw. des "Friedensinstruments" seiner allgemein geltenden, sicheren und sanktionierbaren Rechtsordnung. Dabei hat Willms vollkommen recht: "a person is always and necessarily a person among other persons"27 - doch dies gilt eben auch ohne jede Einschränkung im Staat, in dem - entsprechend dem Titelbild der Erstausgabe des "Leviathan" - alle einzelnen Untertanen gleichsam als die organischen "Zellen" einer "Herrschaftsperson" gesehen werden können. Gerade deshalb würde sich die Analogie zwischen interindividuellem und zwischenstaatlichem Naturzustand mit Hobbes auch im Punkt der Souveränitäts-Übertragung insofern anbieten - wiederum: wenn und soweit weitere Voraussetzungen erfüllt sind! -, als die Staats-Individuen durch einen (partiellen) Zusammenschluß zu einer größeren politischen Einheit ebenso wie die Einzelmenschen des 24 25 26

27

Willms, 1989, S. 134. Vgl. zur These von den "Machtverhältnisse[n] als Marktverhältnisse[n]" Weiß, 1980, S. 118 ff.; ebs. auch Wrong, 1984, S. 206 ff. So war sich etwa auch Kant (1978^, XI, S. 40) über den sozialen Wert dieser "Negativität" im klaren: "Alle Kultur und Kunst, welche die Menschheit zieret, die schönste gesellschaftliche Ordnung, sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst genötigt wird, sich zu disziplinieren, und so, durch abgedrungene Kunst, die Keime der Natur vollständig zu entwickeln". Willms, 1989, S. 137; vgl. ders., 1987, S. 260.

268

Möhrs

"Naturzustandes" gerade nicht vollständig auf ihre Individualität, ihre (kulturellen) Eigenarten und Besonderheiten verzichten müßten. Im Gegenteil: Der Zusammenschluß könnte - analog zur Ebene der Hobbesschen Einzelmenschen - gerade deshalb erfolgen, weil die zur Ausprägung von Individualität erforderliche Freiheit der Bewegung und Selbstentfaltung im Naturzustand immer mehr und zuletzt fast vollständig eingeschränkt ist. Zudem wäre die kulturelle Vielfalt der Staats-Individuen als den Subsystemen eines möglichen bzw. als möglich unterstellten Super-Leviathan auch aus soziobiologischer Sicht bereits deshalb höchst erhaltenswert, weil Vielfalt und Variabilität gleichbedeutend sind mit einem Mehr an evolutiven Chancen. 28 Vor allem aber wäre jeder Versuch der Nivellierung kultureller Differenzen und "Negativitäten" bereits deshalb eine höchst unkluge und kontraproduktive Strategie zur Schaffung des Super-Leviathan, weil sie unausweichlich massivste Widerstands- und Abwehrreaktionen auslösen und damit eine unkalkulierbare Verschlechterung des inter-nationalen Naturzustandes zur Folge haben müßte. Aber: Kulturelle Vielfalt müßte selbstverständlich dort ihre Grenze finden, wo sie primär zur "Pseudospeziation" dient, wo sie sich als "kulturrassistisch" 29 erweist und darauf angelegt ist, die kulturelle Freiheit anderer zu behindern oder zu zerstören. Bleibt die Frage, ob die Vorstellung von dem einen Super-Souverän - wie Willms behauptet - mit Hobbes als denkunmöglich zu verwerfen ist, weil auch für diesen - als Individuum - seine Mehrzahl die "Denkvoraussetzung" ist. 30 Richtig ist: Es wäre logisch nicht sinnvoll, von dem einen Weltstaat als Individuum zu sprechen, wenn jedes Abgrenzungskriterium zu anderem - hier also anderen Weltstaaten - fehlte. Doch dagegen ist zum einen zu sagen, daß es mit Willms dann konsequenterweise auch "denkunmöglich" sein müßte, etwa von der "einen Erde", dem "einen Universum", der "einen Schöpfung", dem "einen Gott" usw. zu sprechen. Mehr noch, es wäre sogar schwierig, überhaupt über "Individuelles" sprechen zu können, da etwa auch eine einzelne Person in ihrer individuellen Einzigartigkeit (!) nicht gegen anderes abgrenzbar und somit nicht sinnvoll als "Individuum" zu kennzeichnen wäre. Sofern Menschen aber als einzelne Vertreter einer Gattung gegeneinander abgrenzbar sind, sind sie lediglich "einzelnes Allgemeines" und gerade nicht "individuell" (abgrenzbar wäre bestenfalls die Gattung insgesamt gegen an-

28 29 30

Vgl. dazu etwa Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 235 f., 280 f. Welsch, 1992, S. 8, 11 ff. Willms, 1987, S. 185, 260 f.; vgl. zu diesem Argument bereits Kant, 1978 2 , XI, S. 209 (BA 31).

Vom Weltstaat

269

dere Gattungen wie "die Pflanzen"). All' dies müßte allerdings für unseren Denk- und Sprachgebrauch grundlegende Konsequenzen haben. Zudem: In dem einen Weltstaat wäre es ohne weiteres möglich, andere Weltstaaten mit anderen Strukturen zu denken und zu entwerfen, die als gedankliche Projektionen durchaus zur Abgrenzung und kritischen Bewertung eines existierenden Weltstaates dienen könnten. Außerdem müßte jener eine Weltstaat - da von Menschen geschaffen - mit Hobbes auch als "sterbliches Individuum" angesehen werden, dem ein anderes Weltstaats-Individuum nachfolgen könnte, so daß sich die Pluralität jener "Personen" auf einer temporären Ebene ergeben würde. Und wenn man sich den Weltstaat - der sich kongruent zum Titelbild des Hobbesschen "Leviathan" aus den vielen "Körper" der Staaten zusammensetzte, die ihrerseits aus den vielen Körpern der Einzelmenschen bestehen - als einen spezifischen Aggregatzustand der Menschheit denkt, dann wäre es auch durchaus möglich, diesen gegen andere Aggregatzustände der Vergangenheit abzugrenzen. Schließlich kann man gegen Willms' Argumentation auch einwenden, daß selbst dann, wenn man ihm die logische "Denkunmöglichkeit" des einen Weltstaates als Individuum zugestehen würde, damit noch in keiner Weise die faktische (empirische) Unmöglichkeit eines solchen Weltstaates nachgewiesen wäre, Willms also insofern hier ein Kategorienfehler unterläuft. Gerade weil es sich bei Hobbes' Philosophie um "konkretes politisches Denken" handelt 31 , muß es immer wieder legitim sein, sein philosophisches System auf konkrete historische Situationen anzuwenden, deren Rahmenbedingungen sich freilich wesentlich von denen unterscheiden können, die Hobbes vor Augen hatte. Denn wenn Fetschers These vom "Leviathan" als einer - vorbehaltlich der veränderten historischen Rahmenbedingungen - "noch immer aktuell[en] ... [und] nützliche[n] Lektüre" 32 , und wenn Collingwoods Wort von Hobbes' Werk als "the world's greatest störe of political wisdom" 33 heute auch nur im Ansatz zutreffen soll, dann muß es erlaubt sein, Hobbes zu verstehen, indem man über ihn hinausdenkt. Willms' "Denkverbot" könnte also Gefahr laufen, die gerade von ihm als unübertrefflich betonte "Gründlichkeit des Neuanfangs unter dem Zwang einer völlig verfahrenen Situation" 34 der Hobbesschen Staatsphilosophie sträflich ungenutzt zu lassen. Ein weiteres Argument gegen die Übertragbarkeit der Hobbesschen Lehre auf das zwischenstaatliche Verhältnis besagt, die Staaten, zu denen sich die 31 32 33 34

Willms, 1987, S. 260. Fetscher, 1989 3 , S. LXIV. Collingwood, 1947, S. IV. Willms, 1987, S. 261.

270

Möhrs

dem Naturzustand entfliehenden Hobbesschen Individuen zusammenschließen, müßten lediglich groß genug, einig genug und dauerhaft genug sein, um (auch) externen Attacken widerstehen zu können. Da es jedoch für die Menschheit als Gesamtheit keine äußeren Gefahren gebe, gegen die sie sich geschlossen zur Wehr setzen müßte, bestehe sowohl logisch als auch faktisch keine Notwendigkeit zum "Weltstaat". 35 Doch auch dieses Argument kann nicht überzeugen. Denn man kann hier zwar auf einer historisch-faktischen Ebene wiederum argumentieren, für Hobbes habe jene Notwendigkeit zum Weltstaat einfach deshalb nicht bestanden, weil für ihn und zu seiner Zeit keine universale Bedrohung erkennbar, kein universaler Leidensdruck feststellbar war; doch daraus läßt sich keineswegs zwingend der Schluß auf die prinzipielle theoretische Unmöglichkeit einer solchen Notwendigkeit zum Weltstaat ableiten. Mit anderen Worten: Wenn sich die für Hobbes fehlende Bedingung einer existentiellen Bedrohtheit aller Menschen in allen Staaten zu irgend einem historischen Zeitpunkt feststellen ließe, dann würde zu diesem Zeitpunkt auch dieses zuletzt genannte Anti-Weltstaat-Argument seine Berechtigung verlieren, und nichts würde mehr gegen die Anwendung der "Logik des Leviathan" auf die "Weltgesellschaft" sprechen. Schließlich: Abgesehen davon, daß offensichtlich wenig Schwierigkeiten bestehen, die "Logik des Leviathans" theoretisch mit Hobbes auch auf die Ebene der Staaten zu übertragen, ist die Möglichkeit des "Super-Leviathan" alleine deshalb evident, weil es solche Super-Leviathane gibt bzw. gab. Denn was war etwa die ehemalige "Supermacht" des "Ostblocks" anderes als ein "Super-commonwealth" mit dem Super-Souverän in Moskau und einer Reihe ihm unterworfener Untertanen-Staaten? Dabei spielt es nach der Lehre Hobbes' keine Rolle, daß die höchste Gewalt in diesem Gebilde durch "natürlichen Kraft" erlangt wurde, es sich also um einen (despotischen) "Staat durch Aneignung" (Le, S. 135) handelte. Und dieser Super-Souverän scheiterte eben deshalb, erwies sich als "sterblicher Gott", weil er seine primären Aufgaben - salus populi suprema lex! - auf Dauer nicht zu erfüllen in der Lage war, seinen Untertanen nicht jenes "soziale Plus" vermitteln konnte, das notwendige Bedingung für die Stabilität eines Gemeinwesens ist. 36 Das Resultat dieses Scheiterns kann - am Beispiel Jugoslawiens besonders drastisch vor Augen geführt - das Zurückfallen der ehemaligen Gliedstaaten in den Naturzustand des "Krieges aller gegen alle" sein. Dies bedeutet aber 35 36

So etwa Bull, 1981, S. 726; ähnlich Willms (1989, S. 133 f.), der hier in enger Anlehnung an Carl Schmitts Hobbes-Kritik argumentiert. Vgl. zu dieser These Leinfellner, 1993, S. 35, 40 ff.; entspr. Czempiel, 1991 2 , S.

111.

Vom Weltstaat

271

nicht, ein (im Hobbesschen Sinne "institutiver" oder "politischer"; vgl. Ci, S. 130; Le, S. 135) Super-Staat - etwa die projektierten "Vereinigten Staaten von Europa" - könnte unter keinen Umständen stabil s e i n . 3 7 Mit d e m Politikwissenschaftler Patzelt sei letztlich auf den unbestreitbaren Tatbestand hingewiesen, daß es zwar "in der internationalen Politik kein M o nopol auf legitime Zwangsgewalt gibt, wie es innerhalb v o n nationalen Gesellschaften der Staat besitzt", gleichwohl aber "durch internationale Rechtssetzung und Vernetzung mittlerweile viele Strukturen - w i e die U N O , das G A T T , die EG oder die N A T O - geschaffen [sind], die zwischen Staaten für ein erhebliches Maß an Verbindlichkeit oder zumindest für die Berechenbarkeit bestimmter Verhaltensweisen sorgen. Letztlich wird dergestalt der einst auf Kleingruppenebene begonnene Prozeß der Bildung sozialer und politischer Strukturen fortgesetzt, in dem ohnehin erst nach vielen Jahrtausenden die Organisationsebene des Staates geschaffen war, und der jetzt mit ebenso ungewissen und bedrohten Erfolgsaussichten fortgesetzt wird, wie sie die Entwicklung hin z u m Staat kennzeichneten". 3 8 Diese evolutionistische Sichtweise

37

38

Als Beispiel hierfür könnte etwa auf die Vereinigten Staaten (!) von Amerika verwiesen werden, die aus der historischen Perspektive eines früheren Jahrhunderts ebenfalls als Super-Leviathan erscheinen können. Patzelt, 1992, S. 160; vgl. zu dieser Sicht der weltgeschichtlichen Entwicklung auch Engholm, in: SPD-Parteivorstand (1992a), S. 5; zu entsprechenden integrationstheoretischen Modellen im Bereich der Politikwissenschaft vgl. Bellers/Häckel, 1990, S. 293 ff., 304 f.; zu Entstehungsbedingungen und Strukturmerkmalen bereits existierender "internationaler Regime", durch die sich in der internationalen Politik der Gegenwart der Zustand einer "'regulierte^] Anarchie'" herausgebildet habe, siehe Efmger/Rittberger/Wolf/Zürn, 1990, S. 267 ff., 279; Czempiel, 1991^, S. 83 f. (als internationale Regime gelten alle "norm- und regelgeleitete Formen der internationalen Kooperation zur politischen Bearbeitung von Konflikten in verschiedenen Bereichen der internationalen Beziehungen"; vgl. ebd., S. 264; ebs. Keohane, 1982, S. 383 ff.). Carneiro (1978, S. 206, 212-216) hält es sogar für ein seit der neolithischen Revolution wirkendes "general principle of cultural development", daß "there has been a decrease in the number of autonomous political units and an increase in their size". Bedenke man - so Carneiro (ebd., S. 219), daß die Zahl der autonomen politischen Einheiten von ca. 600.000 im Jahr 1000 v.Chr. bis zum Jahr 1978 auf 157 geschrumpft sei, dann erscheine die Fortsetzung dieses Prozesses "from 157 to 1 ... not only inescapable but close at hand". Tatsache ist freilich heute im Gegenteil, daß sich nach dem Ende des Kalten Krieges und mit dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion die Zahl der "souveränen" Staaten auf der Erde stark erhöht hat und weiter erhöht (siehe dazu die Angaben bei Kogelfranz, 1993, S. 140). Auch Lübbe

272

Möhrs

hat nichts mit Historizismus im Popperschen Sinne zu tun, da der "Erfolg" jenes evolutionären Prozesses vom "Naturzustand der Leviathane" hin zur Herausbildung supranationaler Institutionen mit realer politischer Zwangsgewalt keineswegs als historisch-notwendig oder naturgesetzlich-zwangsläufig angesehen wird, sondern eben als höchst störungsanfällig, fragil und bedroht. 3 9

II. Das aktuelle "Elend des Naturzustands" der Leviathane Als eine der wichtigsten theoretischen Parallelen zwischen der Staatsgründungslehre von Hobbes und den einschlägigen Thesen von "biopolitics" wurde weiter oben betont, der in einer überlasteten ökologischen Nische sich zunehmend verschärfende Leidensdruck und die daraus resultierende Furcht vor zukünftigem Elend und verkürzter Lebensspanne bei gleichzeitiger relativer Machtparität der Individuen (respektive Kleingruppen) könnten als die wesentlichsten Faktoren angesehen werden, Menschen zum Ausgang aus dem kriegerischen "Naturzustand" bewegen zu können; ohne diese zusätzlichen, maßgeblich von den externen Überlebensbedingungen abhängenden Voraussetzungen ergibt sich die "Notwendigkeit des Leviathan" im Hobbesschen System nicht. Wenn also heute die "Logik des Leviathan" auch auf die Ebene der Leviathane unter sich analog anwendbar sein sollte, dann setzt dies entsprechend voraus, daß auch für diese "Staatsindividuen" im Naturzustand ein solcher selektiver Druck festgestellt werden kann. Aus diesem Druck - allgemein zu Bewußtsein gebracht - könnte dann jene Furcht entstehen, die zum einen - im je eigenen Interesse der "Staatsindividuen" - zum Ausgang aus dem Naturzustand disponiert machen, und aus der zum anderen die Einsicht in die pragmatischen "Gesetze der Vernunft" erwachsen könnte. Es dürfte nun nicht schwer fallen, das Elend des Naturzustands der Leviathane in vielen Staaten und Gesellschaften dieser Erde nachweisen zu können, in denen es infolge von Naturkatastrophen, Veränderungen der ökologischen Überlebensbedingungen, volkswirtschaftlichen Katastrophen und anderen (zumeist anthropogenen) Gründen zu Destabilisierung, Absinken der Lebensqualität bis hin zur Massenverelendung sowie zunehmenden sozialen Spannungen bis hin zum Zerbrechen der Staaten in Bürgerkriegen kam und

39

(1994, S. 7) weist daraufhin, in der europäischen Staatenwelt habe sich im Verhältnis zur Zeit um 1914 "die Zahl Völkerrechtssubjekte versiebenfacht". Vgl. dazu auch Bellers/Häckel, 1990, S. 287 f.

Vom Weltstaat

273

nach wie vor kommt. Der Hobbessche Naturzustand ist jedoch der, in dem alle Individuen gleichermaßen von Leidensdruck und drohendem Untergang betroffen sind, und in dem keiner hoffen kann, sich aufgrund seiner natürlichen Stärke eine unangreifbare, unverwundbare Machtposition erringen zu können. Doch diese Situation scheint für die heutige Welt augenscheinlich gerade nicht zu bestehen, ist doch eines ihrer markantesten Merkmale die vielfältige und eklatante Ungleichheit zwischen den Staaten des industrialisierten "Nordens", die es aufgrund des "Fleißes ihrer Untertanen" zu einem enormen Reichtum und Wohlstand gebracht haben, und den armen Ländern des "Südens", deren Bevölkerungen im Vergleich ein unsäglich armseliges Leben führen. 40 Bereits wegen dieser Ungleichheit und der fehlenden allgemein feststellbaren Verelendung scheint sich daher auf den ersten Blick die Übertragung der "Logik des Leviathan" auf die "Weltgesellschaft" heute - vielleicht mehr noch als zu Hobbes' Zeiten - unmittelbar zu verbieten. Ziel der folgenden beiden Unterkapitel wird es also sein, beispielhaft anhand zweier "Weltprobleme" aufzuzeigen, daß zumindest die Gleichheitsbedingung des Hobbesschen Naturzustandes auch im heutigen Naturzustand der Leviathane in mehrfacher Hinsicht bereits erfüllt ist, während die Leidens40

Denn der Hobbesschen These vom Unterschied zwischen dem Naturzustand der Leviathane und dem der Individuen kann insofern auf den ersten Blick sicher zugestimmt werden (vgl. etwa Grover, 1989, S. 84 f., 88 f.; Cohen, 1984, S. 326 f.; vgl. auch Bull, 1981, S. 727 f.: "On the contrary, the sovereign powers which, facing outward, create the international anarchy are the same sovereign powers which, facing inward, provide the possibility of social life. The international anarchy may have its problems, but for Hobbes, perhaps, the price is worth paying".). Nach dem Motto: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge", ist etwa auf die ungeheuren technischen Errungenschaften im Zusammenhang mit dem "Kalten Krieg" der Supermächte nach 1945 hinzuweisen. Ohne jeden Zweifel hat dieser Konflikt den "Fleiß ihrer Untertanen" erheblich gefördert, und die volkswirtschaftliche Bedeutung der Hochrüstung ist vielfach gekennzeichnet worden. Fraglich ist aber, ob diese Hobbessche These auch langfristig ihre Berechtigung hat. Wenn sich nämlich der Krieg der Leviathane untereinander langfristig - gerade weil er den Fleiß seiner Untertanen zu ungeahnten Höchstleistungen angeregt hat - ins Negative verkehrt und zur existentiellen Bedrohung nicht nur des (aktuellen oder gewesenen) Feindes, sondern seiner selbst macht, verkehrt sich die Hobbessche These in ihr Gegenteil (vgl. Räder, 1990, S. 20 f.). Und auf lange Sicht würde dann für Staaten wie für die Hobbesschen Individuen im Naturzustand gelten, daß sie die negativen Folgen ihrer eigennützigen Neigung nur dann in den Griff bekommen können, wenn sie ihr - im Sinne Humes - eine "neue Richtung", eben die Richtung der langfristig kalkulierenden Vernunft zu geben vermögen.

274

Möhrs

druck-Bedingung unausweichlich allgemeine Realität zu werden droht, so daß auch aufgrund dieser externen Voraussetzungen als den historischen Bedingungen die Anwendung der "Logik des Leviathan" auf die heutige "Weltgesellschaft" als sinnvoll und zulässig angesehen werden kann. Zuvor: Daß es heute eine Fülle von "Weltproblemen" gibt, die in ihrer Vernetztheit in zunehmendem Maße eine existentielle Bedrohung der gesamten Menschheit darstellen, darüber besteht heute ein breiter grundsätzlicher Konsens - etwa unter allen im deutschen Bundestag vertretenen Parteien. 41 Diese höchst bedeutsame Einsicht spiegelt sich ebenfalls wieder in einschlägigen Äußerungen von Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker, Jean-Jacques Cousteau oder dem amerikanischen Vizepräsidenten AI Gore (um hier nur einige wenige zu nennen), die es in ihrer Kennzeichnung des Ernstes der Lage nicht an Deutlichkeit missen lassen. 42 Zugleich ist unbestritten, daß es dementsprechend heute "deutlich erkennbare Menschheitsaufgaben" gibt, die praktisch alle Kontinente und Staaten der Erde betreffen. Die aktuellen und bevorstehenden Probleme sind demnach wenn überhaupt - nur in effizienter globaler Kooperation zu lösen. Und an

41

Dieses soziologische Phänomen sei hier deshalb besonders erwähnt, weil die allgemeine parteipolitische Anerkennung und ausdrückliche programmatische Hervorhebung jener Probleme - und zwar als Probleme der Bundesrepublik Deutschland! - als deutlicher Indikator für ihre reale Bedeutsamkeit gewertet werden kann. Vgl. etwa die Grundsatzprogramme der CSU, S. 72 ff.; vgl. auch CSU-Landesleitung, 1991, S. 7, 20 ff.; dies., 1992, S. 2; CDU, 1993, S. 54, 57 f., 66 f.; SPD, 1989, S. 10 f., 15 f.; für die FDP siehe liberal-Verlag, 1971, S. 71, 74 f.; ders., 1985, S. 7 f.; FDP-Bundeshauptausschuß, 1992, S. 1, 3; für die SPD vgl. etwa die Ausführungen von Engholm, in: SPD-Parteivorstand (1992a), S. 4 ff.; ebs. Hauchler, in: SPDParteivorstand, Diskussionspapier, S. 1 f., 7 f. Von den "Grünen" und der "PDS" waren keine Angaben zu erhalten, doch zumindest was die "Grünen" betrifft, kann sicher vermutet werden, daß auch sie die reale Bedeutsamkeit der "Weltprobleme" nicht in Zweifel ziehen. Zum Bedrohungspotential diverser globaler Trends siehe auch den differenzierten Bericht der Stiftung Entwicklung und Frieden (1991).

42

Vgl. etwa Weizsäcker, R., 1992a, S. 110; Cousteau, 1993, S. 119 f.; Gore, 1992, S. 12-29. Auf die enge Vernetztheit von Fragen der Agrar-, Umwelt- und Entwicklungshilfepolitik mit der heute geforderten "Politik des Überlebens" macht etwa der ehemalige Bonner Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler in eindringlicher Weise aufmerksam. Er fordert, in jeder Kabinettsvorlage müsse der Punkt "Bedeutung für die Entwicklungspolitik" zwingend mit aufgenommen werden; Eppler/Spranger, 1992, S. 18; mit ähnlicher Intention plädiert auch Hösle (1991, S. 129 f.) für ein "Vetorecht des Umweltministers".

Vom Weltstaat

"der Spitze dieser Aufgaben steht völkerungsexplosion zu beenden". 43

275

die

Notwendigkeit,

die

Be-

1. Hauptfaktor Bevölkerungswachstum oder Der demographische Kollaps Das Faktum: Um das Jahr 1830 erreichte die Menschheitsbevölkerung nach einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderttausenden die Milliardenmarke; binnen eines weiteren Jahrhunderts verdoppelte sich die Weltbevölkerung auf 2 Milliarden; nach 1930 vergingen nur mehr 30 Jahre bis zum Überschreiten der 3-Milliarden-Grenze, dann nur noch 15 Jahre bis zur vierten, weitere 12 bis zum Erreichen der fünften Milliarde. Heute beträgt die Weltbevölkerung ca. 5,7 Milliarden bei einer globalen Zuwachsrate von 1,7 Prozent, was in absoluten Zahlen ein jährliches Anwachsen der Weltbevölkerung um annähernd 100 Millionen (!) Menschen bedeutet. Die mittleren Schätzungen des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) lassen für das Jahr 2000 - selbst bei sich weiter verringernder globalen Zuwachsrate - eine Weltbevölkerung von ca. 6,4 Milliarden, für das Jahr 2025 eine Zahl von ca. 9,05 Milliarden erwarten. 44 Dabei ist aufgrund der regional höchst unterschiedlichen Zuwachsraten (von 0,1 % in Westeuropa bis 3,3 % in Westafrika und über 4 % in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Libyen, Saudi-Arabien, dem Iran und diversen anderen Ländern 45 ) zudem zu erwarten, daß sich der Anteil der wei43 44

45

Dönhoff/Miegel/Nölling/Reuter/Schmidt/Schröder/Thierse, 1992, S. 94; vgl. Gore, 1992, S. 308, 310 ff. Vgl. zu diesen Angaben Schmid, J., 1980 2 , S. 32-38, 48 f.; ders., 1993, S. 36 ff.; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 78-87; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 45-55; Gore, 1992, S. 45-49. Ein drastisches Beispiel dafür, was "Bevölkerungswachstum" heute - zumindest in einigen Regionen der Erde - bedeutet, schildert Jacobi (1986, S. 25): "Ein Zyklon trieb Pfingsten 1985 eine fast sieben Meter hohe Flutwelle vor sich her in das Delta des Ganges. Es war die verheerendste Unwetter-Katastrophe der Dekade. Schätzungsweise 25000 Menschen wurden in Bangladesh getötet. Schwer faßbar scheint die Dimension von Unglück und Leid. Doch wird durch sie zugleich eine andere Zahl vorstellbar: 25000 Menschen - sie sind der dortige Geburten-Überschuß von nicht einmal vier Tagen. Nicht einmal vier Tage genügen der Natur in Bangladesh, um eine Lücke aufzufüllen, wie die Flutwelle sie riß"; auch Werner (1991, S. 224 ff.) versucht, die Dimensionen des Bevölkerungswachstums anhand von drastischen Beispielen zu verdeutlichen; ähnlich auch Markl, H., 1994, S. 40. Siehe Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 78 f.

276

Möhrs

terhin rasch wachsenden Entwicklungsländer an der Weltbevölkerung nach UN-Schätzungen von 77 % im Jahr 1990 auf 84 % im Jahr 2025 erhöhen, während umgekehrt der Bevölkerungsanteil Europas und Nordamerikas (als Gesellschaften nach dem "demographischen Übergang" 46 ) von 22 % im Jahr 1950 auf nur noch 9 % im Jahr 2025 schrumpfen wird 47 - was unter anderem mit größter Sicherheit zu einem gewaltigen Anwachsen des Migrationsdrucks aus den armen Ländern des "Südens" in die reichen "Inseln" des "Nordens" führen wird. 48 Angesichts dieser in der Tat explosionsartigen Bevölkerungsentwicklung schrieb der damalige Direktor der bayrischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Wilhelm Ballon, bereits im Jahr 1980 in seinem Vorwort zu dem Band "Weltprobleme": "Nach den Hochrechnungen werden im Jahr 2000 doppelt so viele Menschen die Erde bevölkern wie heute: etwa 8 MilliardenZ49-/ Ein Weltproblem unter vielen? Nein: das Weltproblem schlechthin! Alle anderen weltweiten Probleme stehen mit ihm mehr oder minder in ursächlichem Zusammenhang: Der Hunger in der Welt. Die Verschlechterung

der Lebensbedingungen

in den

unterentwickelten

Ländern. Katastrophale Wohnverhältnisse in vielen Teilen der Welt. Millionen von Analphabeten, Arbeitslosen oder

Unterbeschäftigten.

Die Gefährdung des ökologischen Gleichgewichts in

Industriegebieten.

Die zunehmende Verschmutzung der Weltmeere.

46 47 48

Zu diesem Begriff siehe Schmid, J., 1980 2 , S. 39 ff. Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 80; vgl. Schmid, J., 1980 2 , S. 37 f. Vgl. zu dieser sicheren Prognose Luuk, 1988; Wöhlcke, 1992a, S. 287 ff.; Biermann, 1992, S. 29 ff.; Opitz, 1992, S. 90 ff.; Chimelli, 1993, S. 132 ff.; Krell, 1992, S. I, 1 ff.; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 91 ff.; 107 ff.; Kälin/Moser, 1991; Werner, 1991, S. 7 ff., 221-232; Heinrich/Andrushchenko, 1992, S. 45; Wernicke, 1994b, S. 3.

49

Es ist nicht ersichtlich, wie Ballon zu dieser Zahl von 8 Milliarden kommt; im selben Band nennt jedenfalls Schmid (S. 48) auf der Basis der UN-Schätzungen für das Jahr 2000 eine zu erwartende Bevölkerungszahl von 6,407 Milliarden.

Vom Weltstaat Energiekrisen, usw. usw.

277 Zerstörung

der

Umwelt,

Verknappung

der

Rohstoffe,

usw.".50

A l s eines der größten Menschheitsprobleme nennt auch der B i o l o g e Hans M o h r wiederholt jene "absurde[] Bevölkerungsexplosion",

die in g l o b a l e m

Maßstab eine "tödliche Bedrohung" darstelle, an deren "Folgelasten" (auch) unsere Kultur zu ersticken drohe. 5 1 A u c h der Hirnphysiologe R o g e r Sperry geht damit übereinstimmend davon aus, alle Maßnahmen zur Rettung des Planeten seien "auf lange Sicht eindeutig z u m Scheitern verurteilt", solange nicht das B e v ö l k e r u n g s w a c h s t u m effizient kontrolliert w e r d e . 5 2 D o c h die Frage ist eben, w i e dieser globalen Bedrohung in effizienter W e i s e b e g e g n e t , w i e die "Zeitbombe Mensch" entschärft werden könnte. M o h r selbst schlägt eine

"Begrenzung der Populationsdichte im erheb-

lichen Abstand v o n der maximalen Tragekapazität" auf der Basis eines uni50

51

52

Ballon, 1980 2 , S. 5; vgl. entspr. Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 80: "Das hohe Bevölkerungswachstum in den Armutsregionen der Welt überlastet die Infrastrukturen und beschleunigt das Wachstum der Städte. Es verschärft Ernährungs- und Beschäftigungsprobleme und erhöht damit den weltweiten Wanderungsdruck. Schließlich überfordert es den globalen Ressourcenhaushalt und trägt zur Umweltzerstörung bei". Mohr, 1983, S. 36; ders., 1986, S. 74 f.; ders., 1987, S. 103 f., 140; ders., 1993, S. 22 f.; zur Einschätzung der globalen Überbevölkerung als dem größten der Weltprobleme vgl. auch Markl, H., 1982, S. 660 ff.; Schmid, J., 1980 2 , S. 31-51; EiblEibesfeldt, 1986 3 , S. 279; ders., 1989 1 4 , S. 256; Bühl, 1976, S. 150; Arnold, 1990, S. 46; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 75-90; Werner, 1991, S. 221-232, 243 ff.; Baumgartner, 1992b, S. 20 f.; Braun, 1992, S. 167; Gore, 1992, S. 310; Wöhlcke, 1992a, S. 289; Gruhl, 1992 2 , S. 233-248; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 12, 45-55; Schöps, 1993, S. 144 ff.; Bahr, 1993, S. 17; Schröder, D., 1993a, S. 7, 11 f.; ders., 1993b, S. 197 f.; Kennedy, 1993, S. 15 ff., 37-67, 419 f.; Maier-Mannhart, 1993, S. 74; Cousteau, 1993, S. 190 f.; Popper, 1993, S. 182 f.; Brundtland, 1993, S. 174 f.; sehr informativ und anschaulich ist auch - bei all' ihrer Schnoddrigkeit - die Arbeit von Jacobi, 1986, insbes. S. 11-67; zum angeblichen "Mythos der Überbevölkerung" siehe dagegen Engelhardt, 1985. Sperry, 1985 2 , S. 14. Diese Einschätzung teilt Sperry mit einer Reihe weiterer Autoren: vgl. etwa Schönwiese, 1992, S. 178; Sontheimer 1990a, S. 15 ff.; ders., 1990b, S. 9 ff.; Bräutigam, 1990, S. 46; Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 256: "Die Entschärfung der 'biologischen Zeitbombe' durch Geburtenkontrolle ist eine Voraussetzung für friedliche Koexistenz"; Helmut Schmidt, der ehemalige Bundeskanzler der BRD, beklagt es als einen "Kardinalfehler", daß man bei der UNCED-Konferenz in Rio (Juni 1992) auf die Thematisierung des Aspekts der "Bevölkerungsexplosion" verzichtet habe.

278

Möhrs

versal gültigen Ethos' "gegen die Gene" v o r 5 3 - ohne allerdings weiter auszuführen, w i e diese Begrenzung bewerkstelligt werden soll. V o m "Standpunkt d e s kühl beobachtenden Biologen" - führt Peters dazu aus, eine B e g r e n z u n g der m e n s c h l i c h e n Gesamtbevölkerung (im Sinne Möhrs) könne nur über z w e i "Parameter" geschehen: "entweder über eine Erhöhung der Sterberate oder über eine Senkung der Geburtenrate. Einen dritten A u s w e g gibt es n i c h t " . 5 4 Einer der hypothetischen Imperative einer Überlebens-Ethik i m M o h r s c h e n Sinne müßte also etwa lauten: "Wenn wir das Überleben der M e n s c h h e i t g e währleisten w o l l e n , dann m ü s s e n wir (unter anderem) das menschliche B e v ö l 53

54

Mohr, 1987, S. 103; zur Ethik "gegen die Gene" vgl. ebd., S. 84 ff. Und wenn Mohr weiter argumentiert, die Zahl von etwa 2,7 Milliarden Menschen sei im Hinblick auf die Tragekapazität des Planeten eine "kluge ... Empfehlung", dann drängt sich aus heutiger Sicht natürlich unmittelbar die Frage auf, was nach Möhrs Meinung mit dem heutigen "Überschuß" von rund 3 Milliarden Menschen geschehen sollte. Markl, H. (1982, S. 660 f.) appelliert in diesem Zusammenhang an die menschliche Fähigkeit, "Weltmodelle entwerfen zu können und Handlungspfade in ihnen zu suchen, die zu gewünschten Zielen führen", wobei auch er die - realistische - Möglichkeit des Menschen, "das ökonomisch-ökologische System, das ihn trägt und erhält, bis zum Bersten zu treiben und sich mit ihm zu zerstören", für nicht wünschenswert erklärt. Peters, 1978, S. 10 f.; allerdings schlägt Peters kurz vorher (ebd., S. 9) selbst so etwas wie einen "dritten Weg" vor - den des Nichtstuns. Ausgehend von der Überlegung, kein Wachstum könne unbegrenzt sein, prognostiziert er auch dem menschlichen Bevölkerungswachstum einen katastrophalen Zusammenbruch, "der für die meisten beteiligten Individuen nicht sehr angenehm sein [dürfte]"; dennoch müsse diese Katastrophe nicht notwendig zu einem völligen Aussterben der Spezies fuhren, da es immerhin möglich sei, daß wir Menschen eine Art mit besonderem "Populationsrythmus" sind, "der nicht wie bei Lemmingen nur etwa 4 Jahre beträgt, sondern nach Jahrtausenden zählt. Ein gewiß bemerkenswertes Ergebnis". Man könne also insofern "den Dingen ihren Lauf ... lassen", da sich das Problem der Überbevölkerung praktisch von selbst lösen würde; vgl. zu derartigen Überlegungen auch Singer, 1984, S. 239 f.; Jacobi, 1986, S. 23 f., 76 ff.; Werner, 1991, S. 232; auch Gruhl (1992 2 , S. 316, 320 ff.) argumentiert (mit Nietzsche), das "sogenannte Gute" - gemeint sind hier also Welthunger- und Entwicklungshilfe - könne sich letztendlich vielleicht als '"höchst inhuman, grausam und sündhaft'" erweisen. Doch die Frage ist eben - abgesehen von den emotionalen Schwierigkeiten eines solchen Vorschlags , ob dieses Nichtstun tatsächlich nur den "gewünschten" Effekt haben würde, die Sterberate in den Entwicklungsländern drastisch zu steigern, oder ob diese Praxis nicht viel eher zu einer dramatischen Steigerung der Nord-Süd-Spannungen mit unkalkulierbaren Folgen führen müßte.

Vom Weltstaat

279

kerungswachstum entweder über eine Erhöhung der Sterberate oder über eine Senkung der Geburtenrate effektiv eindämmen und die Populationsdichte in einem erheblichen Abstand von der Tragekapazität der Erde begrenzen!". Nun wird heute hinsichtlich der Bevölkerungsexplosion in der "Dritten Welt" (aus naheliegenden Gründen) besonders der zweite Weg, die Senkung der Geburtenrate als probates Mittel zur Lösung des Problems diskutiert. Die Frage ist also, ob und wie eine effektive Senkung der Geburtenrate - die dem obersten Zweck des Überlebens der Menschheit dienen soll - gegen eine Fülle von Widerständen (etwa seitens der katholischen Kirche, moslemischer Fundamentalisten oder von Seiten jeder Familie, die mehrere Kinder haben will und damit der genetisch fixierten Neigung zur Überproduktion von Nachkommen entspricht!) durchgesetzt werden kann. Muß nicht die (fragliche) Erreichung dieses Zieles - egal mit welchen Mitteln - notwendig einhergehen mit einer millionenfachen Mißachtung, Unterdrückung und Verletzung individueller und kollektiver Interessen, Überzeugungen und eben auch ganz "natürlicher" Bedürfnisse? Empfinden wir nicht ein "chinesisches Modell" als brutal und unmenschlich, das dem eigenen Volk per Gesetz verbietet, je Familie mehr als ein Kind zu bekommen und die (natürlich!) verweigerte Anerkennung dieses Gesetzes mit entsprechenden Sanktionen zu erzwingen versucht? 55 Aber muß nicht eine Ethik, die das "Gute" erkannt hat und praktisch wirksam werden will, um dieses "Gute" zu realisieren, dieses Dilemma (das hier wie im "chinesischen" Extremfall etwa in Gestalt zwangsabgetriebener Kinder oder von Zwangssterilisationen auftreten könnte 56 ) in Kauf nehmen? 55

Ist es demnach nicht ein purer Zynismus, wenn man einerseits die Eindämmung der Bevölkerungsexplosion in der "Dritten Welt" verlangt, zugleich aber die rückläufigen Geburtenziffern etwa in der Bundesrepublik Deutschland beklagt und das Kinderkriegen mittels steuerlicher Begünstigungen, staatlicher Unterstützungen usw. "schmackhaft" machen will - zumal die hohe Populationsdichte in den Industrie- und Wohlstandsländern mit ihrem immensen Energieverbrauch, ihren ebenfalls enormen Entsorgungslasten usw. den weitaus größten Anteil an der ökologischen Be- und Überlastung der Erde hat?

56

So argumentierte etwa der Bonner Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer (1991, S. 26): "alle Formen von Zwangsmaßnahmen in diesem sensiblen Bereich lehnen wird ab, aber angesichts der Dramatik der Lage und Entwicklung wird man auf 'Negativ-Anreize' für kinderreiche Familien nicht ganz verzichten können"; doch wieso spricht Schäfer nicht von möglichen "Positiv-Anreizen" - zumal diese aus soziobiologischer Sicht wesentlich erfolgversprechender wären? Zum Thema vgl. Hormann, 1985, S. 147-152; Hösle, 1991, S. 77 ff.; zu Beispielen für das Scheitern restriktiver Konzepte in der Familienpolitik siehe Berg, 1993, S. 78 f.; Kahl, 1993, S. 84 ff.

280

Möhrs 57

Ist nicht die "wohlbekannte Grausamkeit der reinen Tugend" unumgänglich? Aber wie ist diese scheinbar unumgängliche Grausamkeit moralphilosophisch zu rechtfertigen? Durch den Verweis auf diese faktische Unumgänglichkeit oder mit dem (zynischen) Argument, schließlich überwiege zuletzt das "Gute"? Im konkreten Fall die philosophisch-ethischen Überlegungen mit der Feststellung abbrechen zu lassen, es wäre vernünftig, der menschheitsbedrohenden Überbevölkerung Einhalt zu gebieten, die Entscheidung über das "Wie" - und damit die ganze moralische Verantwortung - aber den "Praktikern", d.h. den politischen Entscheidungsträgern zu überlassen, erschiene jedenfalls als das Eingeständnis der praktischen Ohnmacht und Nutzlosigkeit der Philosophie. Bezieht Moralphilosophie jedoch hinsichtlich der negativen, einschneidenden und zum Teil sicher schmerzhaften Konsequenzen, die bei der Verwirklichung bzw. praktischen Umsetzung eines Ethos' der Arterhaltung unweigerlich auftreten müssen, eine negative Position; lehnt sie also im konkreten Fall der Überbevölkerung staatliche Zwangsmaßnahmen ab, weil sie diese für ethisch nicht zu rechtfertigen hält, gesteht sie dann nicht ebenfalls zum einen ihre philosophische (und politische) Ohnmacht angesichts dieser "tödlichen Bedrohung" ein, und erklärt sie nicht zum zweiten ihre Kapitulation gegenüber jenen "horrenden Widerständen"58, von denen zumindest einer auf die genetisch verankerte Disposition zur Überproduktion von Nachkommen zu reduzieren ist? Um aber die Kritik an Möhrs Position gleichsam auf die Spitze zu treiben: Wenn das "Gute", das allein durch ein universal gültiges Ethos erreicht werden soll und kann, das Überleben der Menschheit ist, folglich diejenigen Ethos-Konzeptionen, die sich dem universalen Ethos widersetzen, das Überleben der Menschheit gefährden, dann ist offensichtlich die notwendige Auseinandersetzung mit diesen Ethos-Konzeptionen nichts anderes als der buchstäbliche "Kampf ums Überleben" und insofern gerade nicht "gegen die Gene" - womit aber die grundlegendsten Thesen der Soziobiologie von der Unhintergehbarkeit dieses Prinzips gerade bestätigt wären. Doch könnte man dann noch von einer "Ethik" reden? Einen eigentümlichen Vorschlag zur Lösung dieses grundlegendsten aller "Weltprobleme" trägt auch Sperry vor: "Das bedeutet, daß wir, um die drohende Bevölkerungsexplosion und ihre katastrophalen Folgen abzuwenden, nicht auf einen nuklearen Holocaust, eine weltweite Hungersnot, die massive Ausrottung ganzer Arten, Maßnahmenpakete zur Erhaltung des Lebens oder 57 58

Gehlen, 1986 5 , S. 70. Mohr, 1987, S. 87.

Vom Weltstaat

281

ähnliches zu warten brauchen. Eine bloße Verschiebung innerhalb unserer Werthierarchie würde schon genügen. D a z u wäre nichts weiter nötig als eine relativ s c h m e r z l o s e Anpassung unseres Gefühls für Gut und B ö s e " . 5 9 A b g e s e h e n davon, daß die Bevölkerungsexplosion nicht "droht", sondern bereits sehr real ist und z u d e m nicht klar wird, an w a s sich denn unser Gefühl v o n Gut und B ö s e anpassen soll, erscheint dieser "Therapie"-Vorschlag Sperrys als w e n i g aussichtsreich. D e n n w e n n zur Rettung der Menschheit lediglich eine kleine Verschiebung, eine relativ schmerzlose, g l e i c h s a m "kosmetische" Kurskorrektur unseres Gefühlshaushaltes nötig ist, w i e s o tun wir uns dann s o unendlich s c h w e r damit,

überhaupt die

"Stimme der Vernunft" zu

Wort

k o m m e n zu lassen - ganz zu s c h w e i g e n v o n ihrer D u r c h s e t z u n g ? 6 0 W e s e n t l i c h konstruktiver erscheinen d a g e g e n Vorschläge w i e die d e s katholischen B i s c h o f s Franz Kamphaus, d e s s e n übergeordnete D e v i s e

lautet:

"Weniger M e n s c h e n durch weniger Armut". 6 1 Dabei geht auch er zunächst 59 60

61

Sperry, 1985 2 , S. 18. Zumal Sperry selbst an anderer Stelle (ebd., S. 87) die konträre Meinung vertritt, wonach die "Anerkennung der Wissenschaft als einer Autorität, die mit höchsten Werten betraut wird, ... einen ganz erheblichen Meinungswandel voraussetzt]". Auch im Hinblick auf die soziale und politische Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse - ohne die nach Sperry die Abwendung einer Menschheitskatastrophe nicht zu erwarten ist - scheint Hobbes einen realistischeren Blick gehabt zu haben, denn ihm war klar: "Die Wissenschaften sind eine geringe Macht" (Le, S. 67). Kamphaus, 1992, S. 12. Kamphaus ist in diesem Zusammenhang besonders deshalb ein erwähnenswerter Autor, weil er seine Vorschläge zur Entwicklungs- und Bevölkerungspolitik als ranghoher Vertreter einer Institution - nämlich der römischkatholischen Kirche - macht, deren Widerstand gegen jegliche Form "künstlicher" Familienplanung hinreichend bekannt ist (vgl. dazu Schütze, 1993, S. 63 ff.; Wernicke, 1994a, S.6). Zur Formel "Weniger Menschen durch weniger Armut" vgl. auch Schmid, J., 1980 2 , S. 72 f.; Singer, 1984, S. 241 f.; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 6167. Schöps, 1993, S. 153 f.; Markl, H., 1994, S. 40. Auf eine griffige Formel bringt dies der Vorsitzende des Entwicklungshilfeausschusses im Deutschen Bundestag, Uwe Holtz (in: Seelmann-Eggebert, 1990, S. 119): "die beste Pille ist immer noch Entwicklung". Darin impliziert ist die massive Kritik an der bisherigen Praxis der sog. "Entwicklungshilfe" seitens der westlichen Industriestaaten, die primär nicht auf eine effektive Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität in den Empfängerstaaten angelegt war, sondern darauf, "dem Empfängerland eine möglichst schnelle Beteiligung am Weltmarkt zu ermöglichen", was letztlich nur auf eine Prolongierung oder Festschreibung des "früheren Kolonialtraktes unter marktwirtschaftlichen Vorzeichen" hinauslief (Arnold, 1990, S. 81; vgl. Eid sowie Holtz, in: SeelmannEggebert, 1990, S. 122 f.; ebs. Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 124 f.; zur differen-

282

Möhrs

davon aus, daß es "beim menschlichen Nachwuchs Grenzen des Wachstums gibt" und etwa die in den zahllosen Slums der "Megastädte" elternlos verwahrlosenden "'Strassenkinder' ... kein 'Kindersegen', sondern ein menschenunwürdiger Skandal [sind], der zum Himmel schreit". 62 Gleichzeitig warnt Kamphaus jedoch davor, sinnvolle Bevölkerungspolitik mit massiver Empfängnisverhütung und strenger Reglementierung der Geburtenzahlen in den Entwicklungsländern gleichzusetzen. "Der entscheidende Faktor und damit das Kernproblem des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt ist die Armut. Kinder tragen wesentlich zum Lebensunterhalt der Familie bei und sind - mangels eines anderen sozialen Netzes - die einzige 'Versicherung' bei Krankheit und Alter. Kinderreichtum ist lebensnotwendig. Insofern folgt das Zeugungsverhalten der Menschen in den Entwicklungsländern, auf die unmittelbare eigene Lebenswelt bezogen, durchaus vernünftigen Ge63 sichtspunkten". Kamphaus formuliert hier einen wichtigen Gesichtspunkt, der vor allem aus evolutionslogischer Perspektive das Fortpflanzungsverhalten in den Entwicklungsländern als "vernünftig" erscheinen läßt. Aus der genetisch implementierten Neigung zur Überproduktion von Nachkommen läßt sich ohne weiteres auf verschiedene Strategien des Fortpflanzungsverhaltens zierteren Diskussion siehe Reichel, 1994). Eines der markantesten Beispiele dürften etwa die riesigen Kaffeeplantagen (z.B. in Kolumbien) sowie andere "Cash Crops"Monokulturen (Tee, Soja, Kakao, Tabak, aber auch Kiefern, Akazien und Eukalyptus für die Papier- und Zellstoffproduktion) sein, die für die betreffenden Entwicklungsländer de facto eine unglaubliche Verschwendung fruchtbarsten Bodens darstellen, während aus dem Erlös durch den Export dieser Artikel für die arme Bevölkerung bzw. die modernen "Leibeigenen" der Großgrundbesitzer praktisch nichts bleibt, und die zudem maßgeblich zur zunehmenden Verarmung und/oder Desertifikation der Böden beitragen; vgl. dazu Urban, 1993, S. 90 ff.; ebs. Schädle, 1982 2 b, S. 167-186. Zum Zusammenhang von Marktwirtschaft und weltweitem Hungerelend sowie der ökonomischen "Pareto-Optimalität" dieses Zustandes siehe auch Kühn, 1992. Kühn fordert eine Änderung dieses Zustandes im Sinne der Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie (S. 26 ff.). Doch es ist zweifelhaft, ob dies nicht ein naiver Gedanke ist. Eine Änderung bzw. der Umbau der Marktwirtschaft mit dem Ziel einer "gerechteren" globalen Umverteilung der Güter ist - aus dem Blickwinkel der Hobbesschen und soziobiologischen Theorie - nur auf der Basis des ökonomischen, politischen und persönlichen Eigeninteresses der Menschen in den reichen Industrienationen denkbar, nicht auf der Basis philosophisch-abstrakter Gerechtigkeitsprinzipien. 62 63

Zu Daten über die sinkende Lebenserwartung von Kindern in der Dritten Welt siehe Sadik, 1991, S. 17 f. Vgl. entspr. Berg, 1993, S. 77 ff.; Gore, 1992, S. 316 f.

Vom Weltstaat

283

schließen - quantitative und qualitative. Welche Strategie gewählt wird, hängt von den jeweiligen Umwelt- und damit Überlebensbedingungen ab. Eine quantitative Strategie der Fortpflanzung kann demnach dann sinnvoll sein, wenn die Überlebensbedingungen und damit die Aussichten auf eine erfolgreiche Reproduktion des eigenen Genoms schlecht sind und zugleich keinerlei Aussicht darauf besteht, die Lage könnte sich während der persönlichen Reproduktionszeit der Betroffenen maßgeblich bessern 64 ; qualitative Strategien können dagegen dann gewählt werden, wenn - wie eben in den Industrienationen des "Nordens" - die Überlebensbedingungen einen sicheren Fortpflanzungserfolg erwarten lassen. 65 Demnach ist es zumindest höchst kurzschlüssig, die Geburtenrate mit dem reproduktiven Erfolg gleichzusetzen. Deshalb ist Kamphaus' Feststellung auch vollauf zutreffend, bei der Beurteilung des Bevölkerungsproblems unter ethischen Gesichtspunkten stünden zunächst nicht "die persönliche Verantwortung der Eltern [als Frage der Sexualethik; T.M.] ..., sondern die Verantwortung für die sozioökonomischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen [als Frage der Sozialethik; T.M.]" im Vordergrund, die "für das generative Verhalten eben von entscheidender Bedeutung" sind. Problematisch erscheint aber dann, daß Kamphaus in einem weiteren Schritt doch wieder die sozialethischen Aspekte individualethischen Aspekten unterordnen will, indem er das individuelle Recht auf freie Wahl der Kinderzahl als ultimative Grenze jeglicher bevölkerungspolitischen Maßnahmen festlegen will. Denn die Frage stellt sich doch, ob der Menschheit die Zeit bleibt, die Abwendung der drohenden demographischen Katastrophe letztlich doch über die individualethische Einsicht erreichen zu wollen. Dabei läßt freilich Kamphaus' Formulierung, "die Grenze zwischen [verbotenem] Zwang oder Druck und [erlaubtem] 'Anreiz' [sei] nicht immer leicht zu ziehen", eine Fülle von Interpretationen zu. Nafis Sadik, die Direktorin des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), verweist jedenfalls auf die Ergebnisse von "Untersuchungen in vielen Entwicklungsländern", wonach "schon zwischen 50 und 80 Prozent der verheirateten Frauen die Zahl ihrer 64 65

Unter solchen Umständen entfällt die Option, die "Investition" in eine Schwangerschaft auf "bessere Zeiten" zu verschieben; vgl. Vogel, 1989, S. 85 ff. Siehe dazu Vogel, 1989b, S. 90 ff.; Bühl (1976, S. 145) weist darauf hin, beim Menschen weise - im Gegensatz zu Tierexperimenten - offensichtlich "die Zahl der Personen pro Raumeinheit eine hohe Korrelation mit den Zahlen für ... Fruchtbarkeit auf[]. Der Dichtestreß scheint hier, wo die sexuelle Stimulation erhöht und nicht auf begrenzte Brunftzyklen beschränkt ist, wo auch die etwa bei Ratten beobachteten endokrinen Mechanismen nicht greifen, die Geburtenraten gerade zu erhöhen"; vgl. Schöps, 1993, S. 148.

284

Möhrs

zukünftigen Geburten einschränken oder die Abstände z w i s c h e n d e n Geburten vergrößern w o l l e n " . 6 6 D . h . , die individual"ethische" Komponente der Problemlösung kann größtenteils bereits als g e g e b e n a n g e n o m m e n w e r d e n ,

so

daß diese breite Bereitschaft zur Reduzierung der Familiengröße "nur" noch durch geeignete sozialethische Maßnahmen gestützt und abgesichert w e r d e n müßte. Wichtig ist sodann auch Kamphaus' H i n w e i s auf die Situation der Frauen unter

solchen

ungünstigen

Reproduktionsbedingungen.

Da

sie

von

der

quantitativen Strategie der Fortpflanzung weit mehr betroffen sind als die Männer, sind ihre "Unterordnung und Instrumentalisierung" s o w i e auch die gesundheitliche

Verschlechterung

ihrer

Überlebensbedingungen

fast

z w a n g s l ä u f i g . Ihr (ohnehin geringes) soziales A n s e h e n können sie unter diesen U m s t ä n d e n nur über eine große Kinderzahl erlangen und sichern. Kamphaus hat also sicher recht, w e n n er die Erweiterung des Gestaltungs- und Verantwortungsspielraums der Frauen als wesentliche Bedingung für die Eind ä m m u n g d e s Bevölkerungswachstums kennzeichnet. 6 7 D i e Frage ist aber, ob 66 67

Sadik, 1991, S. 15; entspr. Berg, 1993, S. 80 f. Vgl. dazu v. a. Sadik, 1989; dies., 1993, S. 44 f.; Davidson/Dankelman, 1990; Krause, 1991, S. 24 f.; Schäfer, in: Seelmann-Eggebert (1990), S. 120; ders., 1991, S. 26; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 86 ff.; Gore, 1992, S. 314 f.; Schmidt, 1992, S. 1; Kennedy, 1993, S. 431 ff.; Schöps, 1993, S. 148 f.; Uexküll, 1993, S. 188 ff.; Klein, 1993, S. 56 ff.; Sartorius, 1993, S. 24 f 1993, S. 18 auf das interessante Projekt der "Grameen-Bank" in Bangladesh hin, deren Grundidee es ist, arme Frauen mit geringen Krediten zu unterstützen, und sie zugleich zu lehren, wie sie mit dem Geld sowie den damit gekauften Gütern (eine Kuh, Bambus zum Flechten von Hockern u.a.) wirtschaften können. Die Erfahrung der - stark prosperierenden! - Grameen-Bank ist überaus positiv: "Zu 98 Prozent ... komme das Geld samt Zinsen zurück an die Bank, um weiter verliehen zu werden an andere Frauen, die ebenfalls begierig sind zu lernen". Die dahinterstehende Philosophie lautet wiederum, das zentrale Problem der Dritten Welt sei nicht die Überbevölkerung, sondern die Armut, aus der die Überbevölkerung zwangsläufig entstehe; vgl. zu diesem Beispiel entspr. Sadik, 1993, S. 44. Werner (1991, S. 224 f.) bezeichnet dagegen die Ansätze zur Verbesserung der Lage der Frauen zwar als "vernünftig", gibt aber zu bedenken, es bräuchte etliche Jahre, bis diese wirklich greifen könnten, Jahre, in denen "der Menschheit die Zeit davonfläuft]". In gleicher Weise geißelt er nahezu alle derzeit laufenden und projektierten Maßnahmen zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums als "lächerlich", da sie keine effektiven Ergebnisse zeitigten. So sei z.B. die Vorstellung von einer funktionierenden Sozialversicherung, die es den Armen in Afrika erlauben würde, ihre Altersversorgung nicht mehr über möglichst viele leibliche Kinder absichern zu müssen, "so unvorstellbar für Afrika, daß man den Gedanken ... gar nicht weiter zu

Vom Weltstaat

285

nicht vor der sozialen und rechtlichen Gleichstellung der Frauen insgesamt eine Verbesserung der materiellen Lebensqualität in den Ländern der Dritten Welt erreicht werden muß bzw., ob nicht diese Verbesserung der Lebensqualität die notwendige Bedingung für die soziale und rechtliche Aufwertung der Frauen ist. Vorausgesetzt, daß sich Menschen - vor allem wenn sie einen sehr niedrigen Bildungsgrad haben - nach wie vor gemäß den ihnen innewohnenden "genetischen Imperativen" verhalten, scheint der Versuch, die Gleichberechtigung der Frauen vor der Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen durchzusetzen, nicht nur als wenig erfolgversprechend, sondern eher noch zur Schaffung sozialer Spannungen und Konflikte in den Entwicklungsländern geeignet zu sein. In einer Gesellschaft, in der gerade wegen der schwierigen Lebensbedingungen Kinder als "Segen" erfahren werden, ist es naheliegend, daß "Kinderlosigkeit ... nicht selten als Strafe" aufgefasst wird 68 - weshalb aber auch genau diejenigen Frauen sozial stigmatisiert werden dürften, die sich der quantitativen Fortpflanzugsstrategie nicht anschließen bzw. sich ihr verweigern wollen. Bei alledem ist nicht zuletzt zu bedenken, daß es zwar hier auch darum geht, die Zuwachsrate der Bevölkerung in den Entwicklungsländern zu senken, es aber auch um die Frauen selbst gehen muß. Mit anderen Worten: Man sollte nicht den Fehler begehen, die Frauen, die bis dato in vielen Entwicklungsländern primär zu rechtlosen Gebärmaschinen funktionalisiert waren, nun wieder nur als "Werkzeug [zu] benutzen ... diesmal nicht zur Menschenproduktion, sondern umgekehrt zu deren Drosselung". 69 Wäre es also nicht eine mindestens ebenso wichtige Aufgabe, Programme zur Bewußtseinsänderung bei den Männern zu entwickeln? Oder ist dies hoffnungslos?70

verfolgen braucht" (ebd., S. 227 f.). Für Werner besteht die einzig realistische Alternative darin, daß sich "[der] Norden ... gegen den Süden rigoros ab[grenzt] und ... die Völker der Dritten Welt ihrem Schicksal [überläßt]" - mit der Konsequenz, daß "die schon seit langem vorhergesagten kriegerischen Konflikte zwischen Nord und Süd" beginnen müßten (ebd., S. 231 f.). Doch Werner macht sich praktisch keine Gedanken mehr darüber, ob diese Alternative im Zeitalter der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und massiver ökologischer Bedrohungen aller Staaten heute tatsächlich noch als realistische Option oder eher als kollektiver SuizidVersuch gelten kann. 68 69 70

Kamphaus, a.a.O., S. 12. Sartorius, 1993, S. 27; vgl. Sadik, 1991, S. 14 f. Sadik (1991, S. 6) fordert zurecht, "bessere Methoden für die Männer zu entwickeln, um auch sie davon zu überzeugen, daß sie bei der Familienplanung mehr Verantwortung übernehmen müssen", wobei primär an eine Verbesserung der In-

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Möhrs

Erschwerend kommt bei allen Versuchen, seitens der Industriestaaten auf das Fortpflanzungsverhalten der Menschen in der Dritten Welt einzuwirken, der (begründete) Verdacht hinzu, mit den Verhütungskampanien wolle der Norden nur seine Erbhöfe gegen den Bevölkerungsdruck aus dem Süden verteidigen. Glaubwürdig könnten also diese "Verhütungskampanien" nur sein, wenn auch der Norden sein Verhalten in puncto Luxus, Konsum, Energieverbrauch usw., das den größten Teil der knapper werdenen Weltressourcen an sich zieht, sichtbar ändern würde und die Entwicklungsländern an seinem materiellen Wohlstand partizipieren ließe. 71 Mit dieser Partizipation wäre auch die Basis für die sozial-rechtliche Aufwertung der Frauen in der Dritten Welt geschaffen - und mit dieser die Basis für die Eindämmung der Bevölkerungsexplosion. 72 Dies bedeutet also: Die Lösung des vornehmlich in der Dritten Welt bzw. den Entwicklungsländern akuten "Weltproblems" der Bevölkerungsexplosion kann nicht alleine die Aufgabe der unterentwickelten Ländern sein; vielmehr müssen die reichen Länder des "Nordens" ihren erheblichen Beitrag dazu leisten. Wer also - wie Maier-Mannhart 73 - einen "Bewußtseinswandel" für Familienplanung in den Entwicklungsländern fordert, da ohne diesen "die Früchte eines Wirtschaftswachstums gleich wieder aufgezehrt" würden, der sollte sich auch über einen "Bewußtseinswandel" in den reichen Ländern Gedanken machen - denn es steht zu befürchten, daß gerade hier die größten Widerstände und Motivationsprobleme gegen eine problemadäquate Entwicklungspolitik zu erwarten sind. 74 Der "Trick" bei jeglichen Familienplanungsprojekten muß jedenfalls aus soziobiologischer Sicht darin bestehen, in den betreffenden Bewohnern der unterentwickelten Länder ein berechtigtes Vertrauen dahingehend zu erzeugen, daß ihre Reproduktionsinvestitionen bzw. ihr reproduktiver Erfolg durch weniger Kinder nicht nur nicht gefährdet, sondern sogar besser abgesichert formationsdienste für Männer zu denken sei (ebd., S. 28); vgl. auch Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 89. 71

Vgl. zu dieser Notwendigkeit Schröder, D. 1993a, S. 11; ähnlich Gore, 1992, S. 277 ff.; Weizsäcker, E . U . , 1990 2 , S. 203-214. Diese "Einsicht" findet sich aber auch in den Grundsatzprogrammen und in Positionspapieren politischer Parteien in Deutschland; siehe z.B. CDU-Bundesgeschäftsstelle, 1993, S. 66; FDPBundeshauptausschuß, 1992, S. 6 f. Engholm, in: SPD-Parteivorstand (1992a), S. 6; SPD-Parteivorstand, 1989, S. 10 f., 15 f., 35-39.

72

Vgl. Schöps, 1993, S. 154; entspr. Wöhlcke, 1992a, S. 293 f. Maier-Mannhart, 1993, S. 76. Ein Kernproblem, daß auch der entwicklungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ingomar Hauchler, als solches kennzeichnet (in: SPD-Parteivorstand, Diskussionspapier, S. 6); vgl. auch Gore, 1992, S. 302 f.

73 74

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wäre als durch die bisherige quantitative Fortpflanzungsstrategie. Dies setzt entsprechende soziale Sicherungsleistungen, d.h. vor allem Versorgungsinstitutionen wie Alters- und Pflegeversicherung, Kindergeld und Sozialhilfe etc., aber auch eine massive Steigerung des allgemeinen Bildungsstandards sowie die deutliche Verbesserung der medizinischen Infrastruktur voraus, und es liegt auf der Hand, daß die finanziellen Mittel zur Bewältigung all dieser Aufgaben zu einem großen Teil - in ihrem eigenen Interesse! - von den reichen Industrienationen aufgebracht werden müssen. 75 Aber auch bezüglich der geforderten Zahlungsbereitschaft der Reichen - die unter den jetzigen Strukturbedingungen des internationalen Systems nur auf der Basis eines entsprechenden Bewußtseinswandels entstehen könnte - scheint einstweilen eher Pessimismus angebracht - und dies mindestens solange, wie die potentiellen Geldgeber nicht ihrerseits sicher darauf vertrauen können, daß die von ihnen aufgebrachten Mittel auch erfolgreich für die vorgesehenen Zwecke eingesetzt werden und somit letztlich auch ihnen selbst zugute kommen. Konkreter: Wichtige Bedingungen für die Herausbildung einer solchen Vertrauensbasis könnten etwa glaubwürdige und nachhaltige Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozesse in den Ländern der Dritten Welt sein. 76 Jede Form von Entwicklungshilfe, die diesem Aspekt der Reziprozität nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt, ist zum Scheitern verurteilt. 77

2. Der drohende ökologische Kollaps Donella und Dennis Meadows', Jorgen Randers' und William Behrens' Bericht an den "Club of Rome" hatte 1972 erstmals eine breite Öffentlichkeit über die "Grenzen des Wachstums" informiert und vor allem durch den deut75

Nafis Sadik (1991, S. 12, 40 ff.) schätzt, daß sich die Aufwendungen für Familienplanungsprogramme bis zum Ende des Jahrhunderts von 4,5 Milliarden Dollar im Jahr 1991 auf 9 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2000 verdoppeln müssen, da man ansonsten "weder den Bedarf an Familienplanung decken noch die Ziele erreichen können [wird], auf die man sich auf internationaler Ebene geeinigt hat"; vgl. auch Brundtland, 1993, S. 177 ff.; Gore, 1992, S. 305 f.

76

Wobei sich hier freilich spontan wiederum der Einwand aufdrängt, die Forderung nach (einer bestimmten Form der) Demokratisierung und Liberalisierung repräsentiere letztlich nichts anderes als eine besonders perfide Form des westlichen NeoKolonialismus; zu derartigen Befürchtungen seitens der Entwicklungsländer vgl. etwa die Hinweise bei Weizsäcker, E. U., 1990 2 , S. 20, 33; ebs. Verheugen, 1992, S. 544 ff.; Krägenow, 1994, S. 31; zur kritischen Diskussion Guehenno, 1994, S. 18 ff.

77

Vgl. zu diesem Gedanken - und einigen Konsequenzen - Singer, 1984, S. 242 f.

288

Möhrs

liehen Hinweis weltweites Aufsehen erregt, der globale ökologische, ökonomische und demographische Kollaps sei mit Sicherheit für den Fall zu erwarten, daß die Menschheit ihr Verhalten nicht grundlegend ändere. 78 Zwanzig Jahre später werden in "Die neuen Grenzen des Wachstums" die Angaben und Prognosen des ersten Buches zum Teil korrigiert, zum größten Teil aber auf der Basis der neuesten Daten aktualisiert. 79 Das wichtigste Ergebnis lautet, "daß die Nutzung zahlreicher Ressourcen und die Akkumulation von Umweltgiften bereits die Grenzen des langfristig zuträglichen überschritten haben" und dementsprechend dringendster Handlungsbedarf besteht: "die Belastung der Umwelt muß so rasch wie möglich reduziert und das Gesellschaftssystem informell in Richtung einer erhaltbaren Gesellschaft umstrukturiert werden". 80 Die beiden wahrscheinlich wichtigsten der in hohem Maße interdependenten ökologischen Gefahren, auf die Meadows/Meadows/Randers - im Einklang mit einer Reihe weiterer Autoren - hinweisen, seien hier stichpunktartig dargestellt 81 : 1) Der (zusätzliche) Treibhauseffekt Der natürliche Treibhauseffekt - verursacht durch das Vorhandensein diverser Spurengase in der Atmosphäre und Stratosphäre - ist ein höchst willkommener Vorgang, "der das Leben auf der Erde erst ermöglicht", da ohne

78 79

80 81

Zur Wirkung dieses Berichts siehe Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 55 f. Meadows/Meadows/Randers, 1992; zu dem von Meadows/Meadows/Randers verwendeten computergestützten "Weltmodell" sowie anderen Projekten dieser Art, zu ihrer Entwicklung und (möglichen) Bedeutung für die Erforschung internationaler Beziehungen siehe Eberwein, 1990, S. 200 ff., 205-210. Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 11, 250. Eine differenzierte Darstellung und Diskussion dieser Beispiele ist hier nicht erforderlich. Zum einen deshalb, weil dies von weit kompetenterer Seite bereits geleistet ist; zum zweiten deshalb, weil für die hier verfolgte argumentative Zielsetzung die Kernaussage der Summe dieser Beispiele vollauf ausreicht, daß nämlich für die gesamte Erde hinsichtlich ihrer "Eigenschaft" als ökologischer Nische der Menschheit ein Zustand der zunehmend akuten Bedrohtheit zu konstatieren ist. Aus den gleichen Gründen kann hier auch auf die Darstellung weiterer "Weltprobleme" verzichtet werden - etwa im Zusammenhang mit der Rohstoffverknappung (vgl. dazu etwa Pilgrim, 1980 2 ; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, Kap. 11; Meadows/Meadows/Randers, 1992, Kap. 3; Gore, 1992, Kap. 5-7; Urban, 1993, S. 90 ff.; Buchaila, 1993, S. 104 ff.) sowie der höchst komplexen Frage der weltweiten Energieversorgung (vgl. dazu Schütze, 1980 2 ; Weizsäcker, E.U., 1990 2 , Kap. 5; Stichel, 1991, Kap. IV).

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289

ihn die bodennahe Weltmitteltemperatur nicht ca. +15° C, sondern lediglich überlebensfeindliche ca. -18° C betragen würde. 82 Dieser Effekt entsteht dadurch, daß kurzwellige Sonnenstrahlung die Erdatmosphäre ungehindert durchdringt, die von der erwärmten Erdoberfläche reflektierte langwellige Infrarotstrahlung jedoch zum Teil von jenen Treibhausgasen absorbiert und reemittiert wird, was zur (positiven) zusätzlichen Erwärmung der Erdoberfläche sowie der unteren Erdatmosphäre führt. Diesem natürlichen Treibhauseffekt steht jedoch ein "weniger erfreulicher" in Gestalt des vom Menschen verursachten zusätzlichen bzw. künstlichen Treibhauseffektes gegenüber, der in erster Linie zurückzuführen ist auf "die steigende Nutzung von Primärenergie in fossiler Form, das heißt, ... das Verbrennen von Kohle, Erdgas und Erdöl, wozu auch die Sekundärenergie im Verkehrsbereich zu rechnen ist, weiterhin [die] landwirtschaftliche und industrielle Produktion sowie [die] Emissionen beim Gebrauch solcher Produkte". 83 Während noch vor 100 Jahren die Freisetzung des klimawirksamen Treibhausgases CC>2 durch fossile Energie weltweit bei "lediglich rund 300 Mt C (Millionen Tonnen) pro Jahr" lag, schätzte das 1988 gegründete "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) "die gesamte CC^Emission des Jahres 1990, einschließlich Holzverbrennung [vor allem durch Brandrodungen tropischen Regenwaldes; T.M.] und Bodenerosion, auf 26 Gt CC>2 [Milliarden Tonnen; T. M.], dies entspricht etwa 7 Gt C". 8 4 Als Konsequenz dieser verstärkten Emission klimawirksamer Spurengase ist zunächst ihr signifikanter Konzentrationsanstieg in der Atmosphäre festzustellen, daraus resultierend aber auch die anthropogene Verstärkung des natürlichen Treibhauseffektes, was letztlich mit Sicherheit eine nicht-natürliche Erhöhung der Weltmitteltemperatur um ca. 2° C (mittlere Schätzung) zur Folge haben muß. 85

82 83

84

85

Schönwiese, 1992, S. 133, 136; vgl. Stichel, 1991, S. 24 ff.; Hansen, 1993, S. 2. Schönwiese, 1992, S. 136; vgl. auch Stichel, 1991, Kap. II (S. 25-60); Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, Kap. 10 (S. 201-226), Meadows/Meadwos/Randers, 1992, Kap. 5 (S. 177-197); Weizsäcker, E. U . , 1990 2 , Kap. 4 (S. 54-66); Gore, 1992, Kap. 3 (S. 72-87), S. 97-108. Vgl. Schönwiese, a.a.O., S. 137 sowie die Tabellen S. 193, in denen eine Reihe weiterer klimawirksamer Spurengase unter Angabe ihres molekularen Treibhauspotentials aufgelistet sind; vgl. zu diesen Angaben Stichel, 1991, S. 26 ff. Vgl. Stichel, 1991, S. 30-36; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 205 ff.; Schönwiese, 1992, S. 136, 145.

290

Möhrs

Auch wenn man alle Unsicherheiten und Schwächen der zur Verfügung stehenden Weltklimamodelle berücksichtigt 86 und nicht vorschnell von einer unmittelbar bevorstehenden "Klimakatastrophe" reden will, so wird man dennoch - mit dem überaus vorsichtig und besonnen argumentierenden Klimatologen Christian Schönwiese - nicht um die Feststellung umhin können, daß die "Auswirkungen der zu erwartenden global-anthropologischen Klimaänderungen in biosphärisch-ökologischer sowie ökonomisch-sozialer Hinsicht, der sogenannte Klimaimpakt, ... vermutlich für die Menschheit das eigentlich brisante Problem [sind]" 87 bzw., "daß die anthropogenen, weltweiten Klimaänderungen schon längst im Gang sind und die [] Vorhersagen zumindest qualitativ und im Prinzip richtig sind". 88 Zu den möglichen bzw. wahrscheinlichen Auswirkungen dieses zu erwartenden "Klimaimpakts" sind zu rechnen 89 : Rückgang der natürlichen Waldflächen (ohne Rodungen und schadstoffbedingtes "Waldsterben"), was wiederum positive Rückkopplungseffekte auf den Treibhauseffekt zur Folge haben muß, da die Wälder große Mengen an CO2 binden. Überlagerungs- und Multiplikatoreffekte auf Desertifikationsprozesse; d.h. deutliche Zunahme von Wüsten- sowie Steppen- und Savannengebieten mit zum Teil katastrophalen Konsequenzen "für die Lebensbedingungen in großen Teilen Afrikas (Maghreb, Sahel, Nord- und Südafrika), in Südostasien und in Indien, in Mexiko, im Südwesten der USA, im Mittelamerika, in Ostbrasilien und im europäischen Mittelmeerraum". 90 Damit einhergehend Verschiebung der Vegetationszonen mit zum Teil negativen, zum Teil positiven Auswirkungen auf regionale landwirtschaftliche Potentiale.

86

87 88 89 90

Siehe dazu v. a. Schönwiese, 1992, S. 10 ff., 133 f., 139 f., 142 f., 145 f., 162 ff.; wichtig sind hier vor allem Schönwieses Erläuterungen zur '"Treibhauskonkurrenz'" durch Vulkanismus und bestimmte solare Phänomene (ebd., S. 146-156). Schönwiese, 1992, S. 145. Schönwiese, ebd., S. 172. Vgl. zu den folgenden Angaben Schönwiese, 1992, S. 146, 164-172; Stichel, 1991, S. 36 ff.; Schädle, 1982 2 b, S. 169. Stichel, 1991, S. 39. Zu weiteren anthropogenen Faktoren im Zusammenhang mit dem Desertifikationsproblem (verursacht durch katastrophale Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft sowie einem Teil ihrer weltwirtschaftlichen Voraussetzungen) siehe Schädle, 1980 2 b, S. 171-187; Schönwiese, 1992, S. 116-121; Urban, 1993, S. 90 ff.

V o m Weltstaat

291

Anstieg des Meeresspiegels infolge erwärmungsbedingter Ausdehnung der Wasseroberfläche. 91 Damit einhergehend drohende anhaltende Überflutungen küstennaher Landstriche sowie zunehmende Ausbreitung und Wirksamkeit von Tropenkrankheiten. Nachhaltige Veränderungen der Lebensbedingungen für tierisches wie pflanzliches Leben in den Meeren mit unkalkulierbaren, wahrscheinlich aber höchst negativen Folgen. Durch die infolge all dieser Faktoren zu erwartende nachhaltige Bedrohung der Lebensgrundlagen "von Hunderten Millionen Menschen schon in der Mitte des nächsten Jahrhunderts" ist mit gigantischen binnen- und interkontinentalen Wanderungsbewegungen und damit einhergehend einer zunehmenden Urbanisierung (vor allem in der Dritten Welt) 92 sowie dem massiv zunehmenden Migrationsdruck auf die verbleibenden bewohnbaren "Nischen" zu erwarten. 93 2) Das Ozonproblem Spätestens seit im Jahr 1985 amerikanische Wissenschaftler erstmals vor dem "Ozonloch" über der südlichen Hemisphäre warnten und ihre Angaben durch die gründliche Auswertung von Satellitendaten bestätigt wurden, ist allgemein bekannt, daß die stratosphärische Ozonschicht, die als lebenswichtige Hülle die Erdoberfläche - und damit die auf ihr lebenden Organismen - vor höchst schädlicher ultravioletter Sonnenstrahlung der kurzen und mittleren Frequenz UV-B und UV-C schützt, durch anthropogene Einflüsse erheblich geschädigt

91

Schlicht als "Unsinn" wird dagegen von Experten wie Schönwiese (1992, S. 134) die These vom "Abschmelzen der Polkappen" verworfen. Denn sollte es auch in den Polregionen zu einer Erwärmung der durchschnittlichen Jahrestemperatur von einigen Grad kommen, so würde dies unter anderem eine Zunahme der Wasserverdunstung, damit eine Zunahme der Niederschläge und folglich eher ein (freilich nicht exakt zu prognostizierendes) Anwachsen der Polkappen zur Folge haben.

92

Zu den damit einhergehenden zusätzlichen Problemen siehe Schädle, 1980^, S. 129 ff.; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 80 ff.; Schönwiese, 1992, S. 129-132; Klüver, 1993b, S. 161 ff.; aus ethologischer Sicht Eibl-Eibesfeldt, 1 9 8 9 1 4 , S. 260 ff.; beklemmend sind aber auch konkretere Berichte wie der von Huffschmid (1992, S. 40) über Mexiko City, eine "Stadt im Koma"; interessanterweise vertritt bereits Hobbes (Le, S. 254) die Auffassung, "die übermäßige Größe einer Stadt" sei zu den schwerwiegendsten "Krankheiten eines Staates" zu rechnen.

93

Vgl. Stichel, 1991, S. 40 f.; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, Kap. 4.

292

Möhrs 94

ist. Dabei wurden mit großer Sicherheit die nicht in der Natur vorkommenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) sowie Bromchlorkohlenwasserstoffe (Halone) als die maßgeblichen "Sündenböcke" festgestellt. 95 Bedenklich ist diese Entwicklung - die sich auch über der nördlichen Halbkugel wesentlich schneller als erwartet vollzieht 96 - zum einen deshalb, weil die betreffenden Stoffe chemisch sehr stabil sind, sich also weder im Regenwasser lösen noch mit anderen Gasen in der unteren Atmosphäre reagieren und so praktisch ungehindert in einem Zeitraum von ca. 15 Jahren in die Stratosphäre aufsteigen können, wo sie dann erst aufbrechen und ihre zerstörerische Wirkung in der Ozonschicht beginnen. 97 Dies bedeutet: Die heute zu beobachtenden Phänomene in der Ozonschicht sind auf die Schadstoffemissionen am Ende der 70er Jahre zurückzuführen, und somit ist für die kommenden Jahre und Jahrzehnte mit einiger Sicherheit eine weitere Zuspitzung der Situation in nicht zu kalkulierendem Ausmaß (weil die Entwicklung nichtlinear verläuft) zu erwarten. 98 Zum zweiten aber weisen einige der Ozon-schädigenden Substanzen zudem auch ein zum Teil enorm hohes "Treibhauspotential auf und ändern somit das Klima der unteren Atmosphäre". 99 Ein positiver Rückkopplungseffekt mit dem Treibhausproblem ergibt sich zusätzlich aus dem Umstand, daß die infolge der abnehmenden stratosphärischen Ozonhülle vermehrt auf die Erdoberfläche treffende UV-Strahlung die aquatischen Mikroorganismen (v. a. pflanzliche Planktonarten) stark schädigt, was wiederum negative Auswirkungen auf die ozeanische Nahrungskette hat und somit zum weiteren Rückgang der C02"Aufnahme durch die Ozeane führt, dies aber wiederum eine Zunahme der C02"Konzentration in der Atmosphäre und damit eine zusätzliche Anheizung des Treibhauseffektes zur Folge hat. 100 94

Vgl. Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 180 f., 183-194; Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 59 ff.; Schönwiese, 1992, S. 121 ff. 95 Weizsäcker, E.U., S. 59. 96 Vgl. Schönwiese, 1992, S. 125 f.; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 195; Hansen, 1993, S. 2. 97 Zur genauen Wirkungsweise der in den FCKW und Halonen gebundenen Chloratome als den maßgeblichen "Ozonkillern" siehe Hansen, 1993, S. 2; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 183 ff.; Schönwiese, 1992, S. 123 ff. 98 Vgl. Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 183 ff., 190. 99 Schönwiese, 1992, S. 128; vgl. auch ebd., S. 193, Tabelle 9, ebs. die Tabelle 7 (ebd., S. 192), in der neben dem Ozonzerstörungspotential diverser Spurengase auch ihr zum Teil erhebliches Treibhauspotential aufgeführt wird. 100 Vgl. Schönwiese, 1992, S. 126; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 182 f.; Gore, 1992, S. 93. Umgekehrt begünstigt nach Schönwiese (ebd.) "die vom Treib-

Vom Weltstaat

293

D a j e n e aquatischen Mikroorganismen das "Fundament fast aller Nahrungsketten in den O z e a n e n [bilden]", ist z u d e m natürlich auch mit F o l g e schädigungen für eine Fülle weiterer tierischer Populationen und letztendlich auch mit m a s s i v e n Ertragseinbußen im Fischfang zu r e c h n e n . 1 0 1 Weitere gravierende biologische Konsequenzen "als F o l g e verstärkter solarer U V B - und UVC-Strahlung" sind im wesentlichen: Hautschäden Hautkrebs);

(Pigment-Bildung,

Zerstörung

der oberen

Hautschicht,

m ö g l i c h e r w e i s e Schädigung einiger Kultuipflanzen ( z . B .

Sojabohnen,

Sehschäden, einschließlich des grauen Stars; Erhöhung der Mutationsrate;

W i n t e r w e i z e n , B a u m w o l l e und Hinsichtlich der verschiedenen Ansätze zur Lösung dieser - und anderer Weltprobleme sind sich die Experten offensichtlich zumindest in f o l g e n d e n Punkten einig:

hauseffekt hervorgerufene stratosphärische Abkühlung den dortigen Ozonabbau" ein echter Teufelskreis. 101 Vgl. Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 182; Schönwiese, 1992, S. 128; Hansen, 1993, S. 2 f. Ertragseinbußen im Fischfang können dann natürlich wieder negative Konsequenzen für vom Fischfang lebende Menschengruppen bis hin zu Abwanderungsdruck und Landflucht nach sich ziehen. 102 Für Meadows/Meadows/Randers (1992, S. 182) ist der schädliche Effekt verstärkter UV-Strahlung auf die Photosynthese von Nutzpflanzen unstreitig. Ertragseinbußen beim Anbau von Nutzpflanzen infolge der abnehmenden stratosphärischen Ozonkonzentration müßten letztlich wiederum erhebliche Rückkopplungseffekte auf den Problemkomplex Welthunger und Nahrungsmittelproduktion haben. 103 Schönwiese, 1992, S. 126, 128; Schönwiese läßt hier andere, nicht primär biologische Konsequenzen außer acht, die jedoch vor allem für die Wohlstandsgesellschaften der Erde aus politischer Sicht eine hohe Bedeutung haben (können). So etwa die Konsequenz für unseren wichtigen Lebensqualitätsfaktor "Freizeit", daß es (nicht nur in Neuseeland, sondern auch bei uns) in absehbarer Zeit nicht mehr ohne weiteres möglich sein wird, einen schönen Sommertag zum Baden, Wandern oder Sport im Freien zu nutzen. Und es ist ein schrecklicher Gedanke, daß unsere Kinder nicht mehr ohne entsprechende Schutzkleidung im Freien spielen dürfen sollen; vgl. zu den Gefahren durch vermehrte UV-Strahlung auch Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 180 ff.; Gore, 1992, S. 92 ff.

294 1.

Möhrs Es handelt sich u m globale Probleme, die gewaltige Anstrengungen Menschheit

der

erfordern. Ebenso w i e es den zusätzlichen Treibhauseffekt

mit all seinen k o m p l e x e n Auswirkungen nicht als regionales P r o b l e m gibt, so gibt e s auch "kein belgisches (oder mexikanisches oder ägyptisches)

Ozonloch,

ochs".104

Die

"weltumfassende

sondern es gibt das globale weltweite

Umweltkrise

Gegenstrategie" 1 0 5 ;

Problem des

erfordert

"Maßnahmen

daher

einzelner

Ozonleine Länder

[können] höchstens Vorreiter- oder Signalwirkung h a b e n " . 1 0 6

104 Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 59. Es soll also hier nicht bestritten werden, daß in den Industrienationen der Erde umweltpolitisch seit den 70er Jahren bereits eine Fülle von wichtigen Maßnahmen ergriffen wurden, dennoch bleibt hinsichtlich dieser "klassischen Umweltpolitik" - so Ernst von Weizsäcker - ein "Gefühl des fundamentalen Ungenügens", das - neben anderen Faktoren - vor allem in der geographischen Beschränkung jener Maßnahmen gründet (Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 30 sowie Kap. 2 u. 3); vgl. Winsemius/Guntram, 1992, S. 12 ff.) . 105 Stichel, 1991, S. 142; Czempiel, 1991 2 , S. 105 f.; Schönwiese, 1992, S. 126; Wöhlcke, 1992b, S. 75 ff.; Opitz, 1992, S. 103; Tetzlaff, 1992, S. 124; Weizsäcker, 1990 2 , S. XI, 10 ff. Zu den von den Fachleuten vorgeschlagenen Maßnahmenkatalogen vgl. die Angaben und Vorschläge bei Stichel, 1991, Kap. IV; ebd., S. 154; Schönwiese, 1992, S. 176; Meadows/Meadows/Randers, 1992, Kap. 8; sehr differenziert und phantasievoll sind z.B. Ernst von Weizsäckers Vorschläge zu einer ökologisch nachhaltigen "Erdpolitik" (1990 2 , Kap. 10-14, S. 141-220); ebs. Gores "globaler Marschallplan" (1992, Kap. 15, S. 296-366). 106 Schönwiese, 1992, S. 176. So ist es zwar sicher bemerkenswert, daß die Niederlande, vom zu erwartenden weiteren Anstieg des Meeresspiegels existentiell bedroht, als erstes Land der Welt eine Energiesteuer einführten - doch welche Auswirkungen hat die auf den Meeresspiegel? (So wurde etwa der von den Niederlanden auf der Klima-Konferenz in Noordwijk [November '89] eingebrachte Vorschlag, die CO2Emissionen der Industrieländer bis zum Jahr 2000 zu stabilisieren, bis 2005 dann um 20 % zu reduzieren, von den USA, Japan, der damaligen Sowjetunion und Großbritannien abgelehnt. Zu diesem Zeitpunkt waren aber allein die USA und die Sowjetunion für über 40 % der weltweiten C02-Emissionen verantwortlich. Ohne das Umdenken dieser Länder besteht also wenig Aussicht, mehr als nur eine Therapie der Symptome praktizieren zu können; vgl. zu diesem Beispiel Stichel, 1991, S. 141) Ebenso ist es sicher so sinnvoll wie naheliegend, wenn im Smog erstickende Großstädte wie Los Angeles massiv öffentliche Nahverkehrssysteme ausbauen und fördern - doch was bedeutet dies für die globalen Bedrohungen durch das Ozonloch oder den zusätzlichen Treibhauseffekt? Ob auf diese Weise wirklich ein "tiefgreifende[r] Wandel" zu erzielen ist, kann bezweifelt werden (vgl. zu dieser Erwartung Martin/Schumann, 1993, S. 109).

Vom Weltstaat

295

A u c h Richard v o n Weizsäcker äußert mit bemerkenswerter V e h e m e n z seine Ü b e r z e u g u n g , die heute anstehenden transnationalen und globalen P r o b l e m e seien "ihrer Natur nach innerhalb nationaler G r e n z e n nicht mehr zu bewältigen. Nukleare Sicherheit, Telekommunikation und Infrastruktur, Ö k o n o m i e und Ökologie - jeder V e r s u c h zu innerstaatlichen nationalen Lösungen wird kollabieren. Zwar ist es nach w i e vor s c h w e r , solche Einsichten der Vernunft politisch durchzusetzen, aber es sind die P r o b l e m e selbst, die den Fortschritt e r z w i n g e n " 1 0 7 - w o b e i sich für W e i z s ä c k e r auch die Frage stellt, ob für diesen evolutionären P r o z e ß der Überwindung "anachronistische[r] Nationalismen" n o c h g e n u g Zeit Zur Vorstellung von einer sich nach dem Ende des Kalten Krieges entwickelnden "imperialen" Welt, deren Stabilität von der "'kapillaren' Streuung kleinster Entscheidungen" bzw. der "Konfrontation individueller Interessen" und vollständigen Diffusion der Macht abhängen soll, vgl. auch Guehenno, 1994, S. 85 ff., 96 f., 100 f. Diese Machtdiffusion - so Guehenno (ebd., S. 107) - habe die Konflikte entschärft. "Wie ein Granitblock, der zu Sand zerfallt, erodieren im imperialen Zeitalter die Gegensätze zu Tausenden staubfeiner Partikel. Die Gesellschaft gewinnt dadurch an Stabilität ..." - wie ein Granitblock, der zu Sand zerfällt? Und wenn Guehenno einräumt (ebd., S. 108), in einer solchen Welt zahlloser kleinster Entscheidungen könnten große Entscheidungen nicht getroffen werden, "weil kein politischer Rahmen existiert, der robust genug wäre, um die Konfliktlösung zu erlauben", dann sind angesichts der realen Notwendigkeit großer Entscheidungen im globalen Maßstab an der behaupteten Stabilität jener diffusen Welt durchaus massive Zweifel angebracht. Die deutliche Kritik Münklers (1994a, S. 37), Guehennos Buch sei "eher Zeichen der Verwirrung, als daß [es] Prozesse der Klärung einzuleiten vermöchte!]", hat daher sicher ihre Berechtigung. 107 Weizsäcker, R., 1992a, S. 110; Weiler (1986, S. 14 ff.) spricht in diesem Zusammenhang von "Sachzwänge[n] zur Integration"; der amerikanische Vizepräsident AI Gore bringt diesen Tatbestand auf die knappe Formel: "die Krise, der wir gegenüberstehen, ist letztlich ein globales Problem, das nur global gelöst werden kann" (Gore, 1992, S. 296); vgl. entspr. Opitz, 1982 2 , S. 25-30; Ballon, 1982 2 , S. 5; Seelmann-Eggebert, 1990, S. 115; Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. XI, 10 ff.; Weizsäcker, R., 1993, S. 6; Timberlake, in: Dimbleby (1990), S. 128; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 24 f.; Hösle, 1991, S. 135; Schönwiese, 1992, S. 15; Braun, 1992, S. 164 f.; Baumgartner, 1992b, S. 20 f., 27 ff.; HaltnerMylaeus/Mylaeus, 1992, S. 148 f.; Palous, 1993, S. 43 ff.; Kennedy, 1993, S. 130 f., 140 f., 173 f.; Vossenkuhl, 1993, S. 16; Cousteau, 1993, S. 190 f.; Brzezinski, 1994, S. 255 ff. Dies impliziert im Rahmen einer "hobbistischen" Sicht der Dinge die These, daß - analog zur Ebene der Individuen im Naturzustand - auch für die Leviathane im Naturzustand gilt: Auf lange Sicht muß die Praxis des kurzsichtigen,

296

Möhrs

bleibt, bevor die drohenden "großen Katastrophen" unumgänglich geworden sind. 108 2.

Alle Maßnahmen zur Bewältigung der ökologischen Probleme machen nur dann Sinn, "wenn es gelingt, den Teufelskreis von Bevölkerungsexplosion und dem daraus abgeleiteten wachsenden Nahrungsmittel- und Energiebedarf der Menschheit zu durchbrechen". 109

3.

Die zur Bewältigung der anstehenden ökologischen Probleme erforderlichen (materiellen) Mittel müssen in erster Linie - ebenso wie im Bereich der weltweiten Bevölkerungsentwicklung - von den reichen Nationen des industrialisierten "Nordens" aufgebracht werden. Dies zum einen deshalb, weil nur sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke dazu in der Lage sind; zum zweiten aber deshalb, weil sie es sind, die den größten Anteil an der ökologischen Krise der gesamten Erde tragen. Es wäre daher ganz im Sinne einer "Ethik der politischen Gerechtigkeit", wenn die reichen Staaten des "Nordens" nach dem Verursacherprinzip hier eine entsprechende Verantwortung übernehmen würden. 110 Dies erfordert nicht zuletzt die Durchsetzung der fundamentalen Einsicht in den Industrienationen, daß auch für sie die "Grenzen des ... Wachstums aus ökonomischen, sozialen und ökologischen Gründen erchauvinistischen Egoismus kontraproduktiv werden und sich in höchstem Maße als

unklug erweisen. 108 Weizsäcker, R., 1992a, S. 110. 109 Stichel, 1991, S. 156 f.; Gore, 1992, S. 308, 310; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 249; Schönwiese, 1992, S. 178 f. 110 Vgl. Wetzel (mit Bezug auf Höffes "Ethik der politischen Gerechtigkeit"), 1990, S. 615 ff.; ähnlich Repnik, 1990, S. 62 f.; Butros-Ghali, 1991, S. 3 f.; ebs. Matthies, 1991, S. 9 f. Matthies weist hier auf den kaum bestreitbaren Umstand hin, angesichts der "immer enger vernetzten Weltgesellschaft und der grenzüberschreitenden Natur der Umweltprobleme [bedürfe es] eines allgemein anerkannten und funktionierenden internationalen Regelsystems für das globale Gemeingut Umwelt", für dessen Legitimation und Effizienz selbstverständlich die Mitwirkung der armen Länder des Südens unabdinglich sei - doch diese sei ebenso selbstverständlich "nicht zum Nulltarif zu haben", zumal die industrialisierten Staaten des Nordens als eindeutiger Hauptverursacher der Umweltzerstörung feststünden. Bei der Entwicklung eines neuen, "ökologisch tragfähigen Entwicklungsmodells" müsse daher der Norden unweigerlich "die Hauptlast der ökologischen Vor- und Fürsorge im Weltmaßstab" tragen; vgl. entspr. Schütze, 1980 2 , S. 269; Stichel, 1991, S. 142 f., 145, 147 f., 155;

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reicht sind" 111 , "die moderne industrielle Zivilisation aufs heftigste mit dem Ökosystem unseres Planeten [kollidiert]" 112 und entsprechend eine grundlegende Umorientierung des nationalen und internationalen Wirtschaftens, eine deutliche Abkehr von der nahezu ausschließlich konsumorientierten Wachstumsideologie unhintergehbar ist. 1 1 3 4.

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Die Zeit drängt. Um den drohenden - sich in vielen Regionen der Erde wahrscheinlich unmittelbar katastrophal auswirkenden - globalen ökologischen Kollaps und die damit einhergehende Menschheitskatastrophe aufzuhalten oder abzuwenden, muß "von den vielen Diskussionen, Plänen und Absichtserklärungen endlich zu weltweiten, konkreten und wirksamen Maßnahmen übergegangen", "muß unverzüglich gehandelt werden".114 Alle Staaten der Erde stehen vor der "schrecklichen Wahrheit": "wenn wir die Erhaltung der Erde nicht als unser neues Organisationsprinzip begreifen können, ist das nackte Überleben unserer Zivilisation in Frage gestellt". 115 Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 11, 142, 151 f., 153, 217; Wöhlcke, 1992b, S. 75; Hansen, 1993, S. 3 f. Vollmer, A., 1992, S. 4. Gore, 1992, S. 267. Vgl. zu dieser Forderung Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 30 ff., 233-244, 250 ff., 256; Weizsäcker, E.U., 1990 2 , Kap. 12, 15, 18; Gore, 1992, S. 241 f., 276 ff. Zur Frage, ob die Hoffnung auf einen solchen fundamentalen Wandel des Bewußtseins und der wirtschaftlichen Praxis der Reichen nicht in höchstem Maße naiv oder gar un-menschlich ist, siehe unten, Kap. IV. Schönwiese, 1992, S. 184; Stichel, 1991, S. 154; vgl. entspr. Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 10, 13 f., 141; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 250; Schönwiese, 1992, S. 178; Hansen, 1993, S. 6. Gore, 1992, S. 296, 307. Aus der Fülle der Autoren, die sich in diesem Sinne zu einer möglichen bevorstehenden Menschheitskatastrophe äußern, seien hier nur einige genannt: Hauff, 1987; Jonas, 1989, S. 7 ff., 251 ff., 329 ff.; Klingholz, 1989, S. 94; Mohr, 1987, S. 103 ff.; Stachowiak, 1983, S. 343 ff.; Gadol, 1983, S. 413 ff.; ders., 1990, S. 86 f.; Sontheimer, 1990a, S. 15 ff.; ders., 1990b, S. 9 ff.; Räder, 1990, S. 39, 42; Matthies, 1991, S. 5 ff.; Hirsch, 1991, S. 10; Bieber, 1992, S. 7; Thränhardt, 1992, S. 219 ff.; Wöhlcke, 1992a, S. 293 ff.; Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 22, 29; Leicht, 1993, S. 1. Sehr deutliche Worte für dieses "Elend des Naturzustandes der Leviathane" findet etwa Wernicke, 1992a, S. 1 (beachte: Das Titelblatt der "Zeit" v. 20.03.92). Er beklagt im Hinblick auf den "Erdgipfel" vom Juni '92 in Rio, eine existentiell notwendige "neue[] ökologische!] Ordnung" der Welt sei trotz der bestehenden "globalen Herausforderungen" und der Tatsache, das der "Ökozid ... stündlich näher[rückt]"

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A m Rande: W a s mit H o b b e s die ökologischen K o m p e t e n z e n eines Staates anbelangt, so bieten die "Elements" (S. 2 0 2 ) im Kapitel über die Pflichten d e s Souveräns eine interessante Überlegung z u m "Volkswohlstand". D e n n dieser besteht für H o b b e s aus folgenden drei Teilen: a) e i n e m

"wohlgeordneten

Handelsverkehr"; b) der "Arbeitsgelegenheit" und - im Öko-Kontext besonders bemerkenswert - c) d e m "Verbot des überflüssigen Verbrauches

von

Nahrungsmitteln und Hausrat". Zudem hält er e s in puncto steuerliche Belastung für die "gerechteste W e i s e , die Lasten der öffentlichen A u s g a b e n zu verteilen, w e n n jedermann beisteuern muß entsprechend d e m , w a s er ausgibt, und nicht entsprechend d e m , was er einnimmt" (El, S. 2 0 3 ; vgl. Ci, S. 2 1 0 f . ) . Öko-politisch in unsere Jetzt-Zeit gewendet: Derjenige soll mehr an A b g a b e n und Steuern zahlen, der mehr an Energie und sonstigen R e s s o u r c e n der U m w e l t ge- und verbraucht. Denn, so deutete bereits Strauss die H o b b e s s c h e Intention: "die Besteuerung des Verbrauchs ist eine Prämie für die Sparsamkeit und eine Strafe für die V e r s c h w e n d u n g " . 1 1 6 nicht in Sicht; vielmehr herrsche zwischen "Nord und Süd ... ein eiskalter Interessenpoker". Für den Hobbessianer ist diese Situation nicht überraschend. Unter der Voraussetzung, daß sich die Staaten untereinander nach wie vor im Naturzustand - und sei es in erster Linie "nur" dem der ökonomischen Konkurrenz - befinden, wäre es im Gegenteil überraschend, wenn ihre Beziehungen nicht durch ein tiefes Mißtrauen geprägt wären und nicht jeder Staat versuchen würde, seine eigenen vermeintlichen! - Interessen am effektivsten durchzusetzen. In der "Zeit" vom 15.5.92 (wiederum auf S. 1) bezeichnet es Wernicke als "Schande", daß "nationale Egoismen überall globale Einsichten" versperren. Im Vorfeld des "Erdgipfels" von Rio im Juni 1992 scheint ihm die Politik nach dem gleichsam alttestamentarischen Motto "Dreck um Dreck, Baum um Baum" den Planeten zum Tode zu verurteilen. Auch dieser Befund scheint aus Hobbesscher Sicht nur "natürlich" zu sein. 116 Strauss, 1965, S. 118. Hobbes' Prinzip einer gerechten Besteuerung ist insofern mit der Forderung Ernst von Weizsäckers (1990 2 , S. 79 ff.; 143 ff.) deckungsgleich, wonach die "Preise die Wahrheit sagen [müssen]". Konkret: "Wenn die Kosten für den Umweltgebrauch rund um einen Faktor fünf oder zehn nach oben getrieben würden, dann lägen die Preise näher als heute an der ökologischen Wahrheit, und dann wäre der Markt ein ausgezeichneter ökologischer Zuchtmeister" (ebd., S. 148); vgl. entspr. Schönwiese, 1992, S. 182 f.; Höffe, 1993, S. 168 ff.; interessant ist auch Gore's Idee von einer Besteuerung des - selbstverständlich getrennten - Hausmülls nach Gewicht (Gore, 1992, S. 356; zu weiteren Vorschlägen einer umweltgerechten "Öko-nomie" vgl. auch ebd., S. 181-196); ähnlich Töpfer, 1993, S. 8; Eppler, 1993, S. 130; Remmers, 1989, S. 36; Passmore, 1980, S. 233 ff.; Schubert (1983, S. 124) meint, daß "ein viel größerer Nachdruck auf politische Programme gelegt werden sollte, die (kulturell) bewußt so angelegt sein sollten, das altruistische

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3. Der Ausgang aus dem "Naturzustand" - Eine universale Frage des Überlebens An der Faktizität der geschilderten (und weiterer, zum größten Teil eng vernetztet Menschheitsprobleme kann heute nicht mehr gezweifelt werden. Ebenso steht außer Zweifel, daß die Lösung oder Nichtlösung dieser Probleme mit hoher Wahrscheinlichkeit darüber entscheiden wird, ob es für die Spezies Mensch auf diesem Planeten eine Zukunft geben, oder ob sie - wie unzählige Arten vor ihm - letztlich aus dem evolutiven "Rennen" ausscheiden, d.h. als Art aussterben wird. Es geht heute - wie es Karl Popper 1992 in einem Interview formulierte - " nicht um Kleinigkeiten, sondern um das Überleben der Menschheit". 117 Die Existenz und wachsende Gefährlichkeit der "Weltprobleme" macht also deutlich: Nicht nur die theoretisch-immanenten Bedingungen, das Hobbessche Modell auf die Ebene der Staaten zu übertragen sind erfüllt, sondern darüber hinaus sind auch die von Hobbes nicht näher explizierten externen Voraussetzungen für eine solche Übertragung gegeben: Die Tragekapazität der Erde als ökologischer Gesamt-Nische der Menschheit ist erschöpft; die Konkurrenzsituation um immer knapper werdende Ressourcen wird zunehmend kritischer. Die globalen Probleme bedrohen alle Staaten der Erde letztlich gleichermaßen-, sie scheinen gleichsam das militärische und ökonomische Nord-Süd-Gefälle zu nivellieren. Die Probleme sind auch nur in globaler Kooperation zu lösen; kein einzelner Staat kann darauf hoffen, die Bedrohung alleine aufgrund seiner "natürlichen" Stärke von sich abwenden zu können. Werden die Probleme nicht gelöst, so bewegen sich alle Staaten letztlich gleichermaßen auf eine Situation zu, in denen ihre Existenz - etwa infolge des Eskalierens von Ressourcen-Konflikten - von der "beständige[n] Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes" geprägt ist und das Leben der meisten Menschen auf der Erde "armselig, ekelhaft, tierisch und kurz" (Le, S. 96) zu werden droht. Und mehr noch: Da es heute nicht mehr die Möglichkeit gibt, Verhalten des Menschen, zumindest teilweise, neu aufzubauen" - und dies "auf möglichst globaler Basis". Schubert läßt jedoch die Frage völlig außer acht, was denn die Menschen dazu motivieren könnte, sich wieder stärker auf ihren altruistischen Wesenszug zu besinnen. Er polemisiert zwar in schärfster Form gegen das soziobiologische Bild vom Menschen als egoistisch-rationalem "homo oeconomicus" (S. 111 ff., 117 f.), nennt jedoch nicht andeutungsweise eine andere motivationale Basis für das menschliche Verhalten. 117 Popper, 1992, S. 208.

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den Überlastungsdruck in einer ökologischen Nische durch Migration in unterbesiedelte Gebiete zu "ventilieren", deren Tragekapazität noch nicht erschöpft ist 118 , stellt sich die Situation der heutigen Staaten erstmals als die einer echten Schicksalsgemeinschaft dar, deren Mitglieder auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind. Das Hobbes- und Utilitarismus-kritische Argument, wonach es gerade auf zwischenstaatlicher Ebene Situationen geben könne, in der die Freiheitsbeschränkung aller für einen oder einige Staaten (die reichen Industrienationen) auch auf lange Sicht eher als schädlich denn als nützlich erfahren würde, mag daher zwar in einer eher engen ökonomischen oder auch militärischen Hinsicht sehr wohl zutreffen 119 , doch angesichts der keine Unterschiede machenden, wesentlich fundamentaleren, existentielleren ökologischen Bedrohung verliert dieses Argument erheblich an Wert. Auch wenn man "Macht" etwa im Sinne von Karl W. Deutsch systemtheoretisch deutet als die Situation "nicht lernen zu müssen" 120 , ergibt sich in ökologischer Hinsicht für die Staaten der heutigen Welt das Bild einer weitgehenden Gleichheit: Alle, vor allem auch die wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Staaten, müssen zunehmend lernen, bei ihrem politischen Handeln auf den Zustand der ökologischen Nische Erde Rücksicht zu nehmen insofern sind angesichts der drohenden ökologischen und demographischen Katastrophe alle Staaten - solange sie als nationale "Einzelkämpfer" im Naturzustand verbleiben - gleich machtlos.121 118 Vgl. etwa Krell, 1992, S. 1: "Die Siedlungsmigration (durch Landnahme oder Ansiedlung auf Einladung), entwicklungsgeschichtlich von großer Bedeutung, ist historisch im wesentlichen beendet, die meisten Räume sind besetzt". Konsequenz: "Die Zahl der Staaten, die sich durch Zuwanderung überfordert fühlen, nimmt weltweit zu". Die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung von Migrationen bestand nach Krell (ebd.) vor allem darin, daß sie "eine der Voraussetzungen für Kultur" gewesen seien - eine These, der man aus der Sicht von "biopolitics" insofern zustimmen kann, als Migrationen letztendlich zur Überlastung aller auf einer bestimmten Stufe des evolutionären Prozesses erreichbaren ökologischen Nischen führten und damit zu einem Selektionsdruck, in dem sich kulturelle Anpassungsleistungen als einzig und in hohem Maße adaptiv erwiesen. Die Frage ist jedoch, ob nicht auch dieser Prozeß irgendwann an nicht mehr transzendierbare Grenzen stoßen kann. 119 Vgl. Hoerster, 1977 2 , S. 135 ff.; zu einem ähnlich gelagerten Argument gegen eine individualethische Orientierung am "aufgeklärten Selbstinteresse" vgl. Richards, 1993, S. 178 ff. 120 Zitiert nach Fetscher, 1985 2 , S. 192. 121 Eine Einsicht, die etwa auch Richard von Weizsäcker (1993, S. 6) in aller Deutlichkeit ausspricht.

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Schließlich ergibt sich auch aus der Sicht einer soziobiologisch orientierten praktischen Philosophie und Politikwissenschaft das Erfordernis, "letzten Endes ... auf die weltpolitischen oder internationalen Wirkungszusammenhänge und auf das ökologische Gleichgewicht zwischen den verschiedenen politischen Systemen und ihrer zu einem erheblichen Teil gemeinsamen Umwelt eingehen [zu] müssen", aus dem Faktum, daß es in der heutigen Welt praktisch keine unabhängigen, autonomen "Genpools" mehr gibt, sondern im Gegenteil mit zunehmenden globalen Interdependenzen bzw. einer zunehmenden "Verflechtungsdichte" zu rechnen ist. 122 Ist es angesichts dieser realistischerweise zu erwartenden Zuspitzung des "Naturzustands der Leviathane" daher nicht nur legitim, sondern vielmehr einzig folgerichtig, die Hobbessche "Logik des Leviathan" konsequent weiterzudenken und für den Ausgang aus diesem Naturzustand auf der Basis eines inter-nationalen Gesellschafts- und Herrschaftsvertrages und die Gründung eines Welt-Leviathans zu plädieren, von dessen Machtfülle allein die Lösung der Weltprobleme erwartet werden könnte? Muß man also vor diesem Hintergrund nicht den zwingenden Schluß ziehen, wie für die Hobbesschen Individuen, so gelte auch für auch für die "Leviathane unter sich": "Kein [Mensch/Staat] verzichtet gerne freiwillig auf [individuelle/nationale] Befugnisse zugunsten einer integrierten Institution, es sei denn, man ist durch höherrangige Gesichtspunkte und vor allem durch Gefahren dazu genötigt"? 123 Ein energischer Verfechter der "Vernunftidee" vom Ausgang der Staaten aus ihrem "Kriegszustande" in den Zustand eines "Völkerbund[es], nach der Idee eines ursprünglichen gesellschaftlichen Vertrages" war jedenfalls - damit ebenso aktuell wie Hobbes - bereits Immanuel Kant. 124 So parallelisiert er in seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" von 1784 den inter-individuellen Naturzustand mit dem zwischenstaatlichen folgendermaßen: 122 Bühl, 1976, S. 149. Zum Diskussionsstand der politikwissenschaftlichen "Interdependenzforschung" siehe Kohler-Koch, 1990. Umstritten ist hier die These (bzw. das Faktum), ob die transnationalen Beziehungen der Staaten in zunehmendem Maße zur Verknüpfung von Gesellschaften und der Einschränkung außenpolitischer Entscheidungs- und FJandlungsspielräume führen oder ob hier (natürliche) Grenzen gegeben sind (ebd., S. 115 ff.). Zum Begriff der "Verflechtungsdichte" und ihrer Bedeutung bei der Entstehung "internationaler Regime" siehe Efinger/Rittberger/Wolf/Zürn, 1990, S. 268 f. 123 Weizsäcker, R., 1992a, S. 121. 124 Kant, 1978 2 , VIII, S. 466 f., A 215-217/B 245-247, sowie 475, A 229/B 259. Zu den kosmopolitischen Implikationen des Kantischen Kontraktualismus siehe Kersting, 1994, S. 212 ff.

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"Die Natur hat also die Unvertragsamkeit der Menschen, selbst der großen Gesellschaften und Staatskörper dieser Art Geschöpfe, wieder zu einem Mittel gebraucht, um in dem unvermeidlichen Antagonism derselben einen Zustand der Ruhe und Sicherheit auszufinden; d. i. sie treibt, durch die Kriege, durch die überspannte und niemals nachlassende Zurüstung zu denselben, durch die Not, die dadurch endlich ein jeder Staat, selbst mitten im Frieden, innerlich fühlen muß, zu anfänglich unvollkommenen Versuchen, endlich aber, nach vielen Verwüstungen, Umkippungen, und selbst durchgängiger innerer Erschöpfung ihrer Kräfte, zu dem, was ihnen die Vernunft auch ohne so viel traurige Erfahrung hätte sagen können, nämlich: aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hinaus zu gehen, und in einen Völkerbund zu treten; wo jeder, auch der kleinste, Staat seine Sicherheit und Rechte, nicht von eigener Macht, oder eigener rechtlichen Beurteilung, sondern allein von diesem großen Völkerbunde (Foedus Amphictyonum) von einer vereinigten Macht, und von der Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens, erwarten könnte". Kant ist sich völlig darüber im klaren, wie "schwärmerisch diese Idee ... zu sein scheint", doch gleichwohl ist er davon überzeugt, daß sie "der unvermeidliche Ausgang der Not [ist], worein sich Menschen einander versetzen, die die Staaten zu eben der Entschließung (so schwer es ihnen auch eingeht) zwingen muß, wozu der wilde Mensch eben so ungern gezwungen ward, nämlich: seine brutale Freiheit aufzugeben, und in einer gesetzmäßigen Verfassung Ruhe und Sicherheit zu suchen". 125 Über 200 Jahre später erweist sich die Aktualität der Kantischen "Vernunftidee" etwa in Vittorio Hösles "Philosophie der ökologischen Krise". Denn unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Kant vertritt Hösle hier die These, "die Bildung von internationalen Institutionen mit realer Zwangsgewalt [habe] durch die ökologische Krise eine Dringlichkeit erhalten, die sie bisher nicht hatte". "Nur der Universalstaat", so Hösle weiter, "kann die Rechtsidee vollenden, insofern nur er den Rest von Naturzustand beseitigen kann, der in 125 Kant, 1978 2 , XI, S. 42, A 399, 400; vgl. ebd., S. 165-171, A 271-283; ebd., S. 208-217, BA 28-49. Auf den aus evolutionstheoretischer Sicht nicht haltbaren teleologischen Aspekt des Kantische Geschichtsverständnisses kann hier nicht näher eingegangen werden; zu Kants eigener Diskussion dieser Frage, "ob man ... annehmen solle, die Natur verfolge hier einen regelmäßigen Gang, unsere Gattung von der unteren Stufe der Tierheit an allmählich bis zur höchsten Stufe der Menschheit ... zu führen", vgl. ebd., XI, S. 43 ff.,47 ff., A 401-404; A 407-411; ebd., S. 165 ff., A 271 ff.

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den zwischenstaatlichen Beziehungen bestehen bleibt, bei deren Regelung kein gemeinsamer Richter existiert, sondern in letzter Instanz die Gewalt entscheidet". 126 Ebenso gelangt Robert Schüßler, der bei seiner Diskussion neuerer Ergebnisse spieltheoretischer Analysen zur Frage, wie Kooperation zwischen Egoisten möglich ist, wiederholt in einer Weise auf das Hobbessche Modell eines "moralfreien Herrschaftssystems" zurückgreift, die diesen als nach wie vor paradigmatisch erscheinen läßt, zu der abschließenden Feststellung, aus "spieltheoretischer Sicht bilde[] ... der Schutz der Umwelt in einem System gleichberechtigter, autonomer Staaten ohne 'Weltregierung' eine qualitativ schwierige und bisher ungelöste Aufgabe". 127 Am deutlichsten bringt der niederländische Entwicklungsminister Jan Pronk diese "hobbistische" Konsequenz auf den Punkt: "Es gibt keine vernünftige Alternative zu einer neuen Weltordnung, in der alle Nationen unter dem Schirm der Vereinten Nationen an ihrer gemeinsamen Sicherheit arbeiten, an einer Sicherheit, die die Reduzierung der Armut ebenso einschließt wie die Beachtung der Menschenrechte und die Bewahrung der Umwelt. Ohne eine Einschränkung der nationalen Souveränität und eine Stärkung der 126 Hösle, 1991, S. 135; ebenfalls von Kant ausgehend in aller Deutlichkeit auch Kersting, 1992b, S. 167; ähnlich argumentiert auch Weizsäcker, E. U. ( 1 9 9 0 2 , S. 10), seine These vom kommenden "Jahrhundert der Umwelt" klinge zwar zunächst "wie eine schöne Verheißung", gemeint sei jedoch "die grausame Realität, die sich einstellt und die unvermeidlich kulturbestimmend wird, wenn die Plünderung des Planeten durch den Menschen sich noch ein bis zwei Jahrzehnte fortsetzt". Auch H ö f f e (1993, S. 192 ff.) schlägt als eine "realisierbare Utopie" eine "Republik der freien Republiken" vor, in der es zur Durchsetzung der ökologischen Gerechtigkeit "eine zwangsbefugte Autorität braucht" und in der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Exekutive gewährleisten sollen, "daß in den Beziehungen zwischen den Staaten an die Stelle der bald offenen, bald versteckten Macht das Recht tritt". Allerdings sei damit "nicht etwa eine Weltregierung" gemeint, sondern sondern eben nur eine "Staatenrepublik" im Sinne Kants. Wie genau eine solche Republik ohne Regierung aber mit Exekutive und mit "zwangsbefugte[r] Autorität" - aussehen könnte, führt H ö f f e allerdings nicht weiter aus. 127 Schüßler, 1990, S. 293, 302 f.; vgl. entspr. Falger, 1987, S. 238; ähnlich Ferdowski, 1992, S. 69 f. Zur Notwendigkeit einer "Weltregierung", um das Überleben der Menschheit zu gewährleisten, siehe auch Sperry, 1985 2 , S. 18 f.; vgl. entspr. Keohane, 1982, S. 393: "International institutions have the potential to facilitate Cooperation, and without international Cooperation, I believe that the prospects for our species would be very poor indeed. Cooperation is not always benign; but without Cooperation, we will be lost. Without institutions there will be little Cooperation".

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Vereinten Nationen wird diese neue Weltordnung allerdings nicht zu haben sein". 128 128 Zitiert nach Waller, 1990, S. 32; vgl. Carneiro, 1978, S. 216 f. Konkrete Vorschläge macht auch Wernicke (1992f, S. 8), der im Hinblick auf die "Rio-Konferenz" vom Juni 1992 fordert(e), diese müsse den "Grundstein für ein ökologisches Sicherheitssystem suchen. Eine UN-Kommission für Entwicklung könnte Umweltfrevel und Armutselend in Nord und Süd anschaulich machen, ein Ökosicherheitsrat müßte Umweltverbrechen ähnlich ahnden können wie Völkerrechtsbrüche". Zur Idee eines Öko-Weltsicherheitsrates der UNO vgl. auch Gore, 1992, S. 304, 361 f.; Opitz, 1992, S. 105; Vossenkuhl, 1993, S. 18. Zur Forderung nach der Relativierung (bzw. zumindest Problematisierung) des Souveränitätsprinzips bzw. des dogmatischen "Rechts auf Nichteinmischung in innere Angelegenheiten" angesichts globaler Probleme siehe auch Weizsäcker, E. U., 1990 2 , S. 217 f.; Glotz, 1990, S. 110-115, 161-183; Repnik, 1990, S. 60 f.; Waller, 1990, S. 32; Räder, 1990, S. 25; Matthies, 1991, S. 5, 10 f.; ders., 1992, S. 17-20; Lesch, 1991 2 , S. 190; Hösle, 1991, S. 141; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 24 f.; Martin, 1992, S. 62; Czempiel, 1992 2 , S. 72-85, 98-107; ders., 1993, S. 25; Hippler, 1992, S. 37 ff.; Wöhlcke, 1992b, S. 87 f.; Opitz, 1992, S. 103, 105; Tetzlaff, 1992, S. 124.; Andersen/Langmann, 1992, S. 144 f., 155 ff.; Braun, 1992, S. 164 ff., 168 ff.; Dönhoff/Miegel/Nölling/Reuter/ Schmidt/Schröder/Thierse, 1992, S. 99; Brzezinski, 1994, S. 111 ff.; aus ethologischer Sicht Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 288. Und selbst der ansonsten höchst vorsichtig und zurückhaltend argumentierende Klimatologe Christian Schönwiese (1992, S. 174) kennzeichnet das Souveränitätsprinzip unmißverständlich als eine der "vielen Unzulänglichkeiten der Menschheit, die geändert werden müßten". Lübbe (1994, S. 7) interpretiert den Prozeß der europäischen Integration nach seiner "pragmatischen Substanz" als einen "Vorgang institutioneller Kompensation faktischer Souveränitätsverluste" . Dagegen vertritt Thränhardt (1992, S. 224 f.) die Auffassung, das "Prinzip der nationalen Souveränität und Autonomie" habe sich in den letzten Jahrzehnten aus guten Gründen durchgesetzt; seine allgemeine Anerkennung habe zur Wahrung des zwischenstaatlichen Friedens beigetragen. Allerdings fragt sich Thränhardt auch, auf welche Weise denn die dringend erforderlichen "internationalen Standards" etabliert werden könnten und kommt zu dem Ergebnis, nationale wie auch internationale Politik habe einen "hohen Moralbedarf", bzw. einen dringenden Bedarf an allgemeinen moralischen Prinzipien. Doch dieser Hoffnung auf die steuernde Kraft der Moral wird man nicht nur als Hobbesianer skeptisch gegenüberstehen. Auch Ernst-Otto Czempiel (1993, S. 24 f.), der in früheren Arbeiten (siehe dazu unten, Kap. II. 4.1) eher eindeutig für eine westliche Block-Strategie plädierte, fordert, die U N O dürfe nicht zum Instrument der reichen Industrienationen verkommen, sondern müsse sowohl das Gewaltmonopol in Händen behalten, als auch "in unserer interdependenten Welt" in die dringend geforderte Rolle desjenigen hinein-

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D o c h s o plausibel d i e s e Übertragung der "Logik d e s Leviathan" auf d i e zwischenstaatliche

E b e n e nach all d i e s e n Ü b e r l e g u n g e n

"auf d e m

Papier"

a u c h e r s c h e i n e n m a g : E s bleibt der Verdacht, bei d i e s e r "Vernunftidee" handelte e s s i c h letztlich d o c h bloß u m e i n e z u r e c h t v e r l a c h t e ,

schwärmerische,

"phantastische und überspannte Vorstellungsart d e s R e c h t s "

129

, die nur g e -

e i g n e t s e i n kann, d e n klaren Blick für das realpolitisch M a c h b a r e z u b l e n d e n . D e n n die v i e l l e i c h t zentralste der s i c h an d i e s e r Stelle a u f d r ä n g e n d e n Frag e n lautet:

4. Die Macht der Furcht oder Gibt es eine "natürliche Vernunft" von Staaten? E b e n s o w i e i m H o b b e s s c h e n Naturzustand das individuelle A l l g e m e i n e

der

Furcht e i n e e n t s c h e i d e n d e R o l l e spielt, u m d e m E l e n d d e s N a t u r z u s t a n d e s z u e n t k o m m e n , s o ist a u c h i m Hinblick auf die h e u t i g e ö k o l o g i s c h e und d e m o g r a p h i s c h e Situation der Leviathane i m dann,

Naturzustand z u e r w a r t e n , daß (erst)

" w e n n das B e w u ß t s e i n der s c h r e c k l i c h e n W a h r h e i t d i e S u c h e

Lösungen zu e i n e m wirklichen Bedürfnis macht"

130

nach

, auch d i e V o r s t e l l u n g v o n

wachsen, der etwa "ein bestimmtes Verhalten im Drogen-, Umwelt- und Terrorismusbereich erzwingen" könnte. Die Kompetenzen, die Czempiel hier für die U N O einfordert, liefen de facto auf eine Weltregierung hinaus. 129 Kant, 1978 2 , XI, S. 216. 130 Gore, 1992, S. 307. Die gleiche Einsicht bringen auch Dönhoff/Miegel/Nölling/Reuter/Schmidt/Schröder/Thierse (1992, S. 29) in ihrem "Manifest" zum Ausdruck, wo es heißt: "Erst wenn große Teile der Bevölkerung den Ernst ihrer Lage erkannt haben, dürfte die Bereitschaft wachsen, die Zukunft nicht länger mit der Lösung von Gegenwartsproblemen zu befrachten". Für Hösle (1991, S. 135) wirft der Umstand "ein bezeichendes Licht auf das Wesen des Menschen, daß er der Möglichkeit der Apokalypse bedarf, um die Realisierung der Rechtsidee ernsthaft zu erwägen". Hobbesianisch formuliert: Wenn überhaupt, dann wird aus der Furcht die Vernunft. Nach dieser Argumentation berechtigt alleine die Tatsache, daß wir in der Lage sind, das Dilemma und die wachsende Bedrohlichkeit - also gleichsam den wachsenden evolutionären Anpassungsdruck - der ökologischen Situation der Menschheit einzusehen, zu der Hoffnung, unsere Vernunft werde uns auch in diesem "Naturzustand" das Fürchten um die je eigene Existenz lehren können. Aus dieser vernünftigen Furcht sollten aber dann auch die "Gesetze der Vernunft" ableitbar bzw. im Sinne Hobbes' demonstrierbar sein, deren Ziel der globale und umfassende (also vor allem der militärische, aber auch der prinzipielle ideologische, politische und ökologische) Friede ist, und die entsprechend als "Mittel zu einem friedlichen, geselligen und bequemen Leben gepriesen werden müssen" (Le, S. 122; Hervorhebung T. M.).

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e i n e m "Welt-Leviathan" als (einzig) g e e i g n e t e m A u s w e g konkretere Konturen annehmen könnte. Und Hans Mohr wäre ausdrücklich in seiner T h e s e zu bestätigen, die Evolutionäre Ethik könnte uns m ö g l i c h e r w e i s e "in der H o f f nung [bestärken], daß die Angst vor d e m kollektiven Selbstmord eine 'Brüderlichkeit' hervorbringen wird, die Vernunft allein nicht stiften kann". i3i Gesetzt aber d e n Fall, dieses Bewußtsein könnte sich in absehbarer Zeit e t w a infolge einer "wirklich[] gründliche[n] Teilkatastrophe" 1 3 2 - tatsächlich 131 Mohr, 1987, S. 87; vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1989 1 4 , S. 119, 255; ders., 1986 3 , S. 276; Ike, 1987, S. 233 f.; ähnlich auch Brzezinski, 1994, S. 260; aber auch - freilich diesbezüglich höchst kritisch - Gehlen, 1986 5 , S. 56 ff. 132 In einem sehr heftig diskutierten Interview in der Zeitschrift "Natur" äußerte Konrad Lorenz diese düstere Befürchtung (1988, S. 31), allem Anschein nach könnte nur eine solche "Teilkatastrophe, [die] einen merklichen Prozentsatz der Menschheit ausrottet]", geeignet sein, die Überlebenden aufzuwecken. Der Mensch, dieses "blöde Viech", habe sich vor allem durch die Uberbevölkerung in eine Situation manövriert, in der er drauf und dran sei, seine eigene vollständig Ausrottung zu vollbringen. Diese und ähnliche Äußerungen wurden in der gleichen Ausgabe von "Natur" in zum Teil sehr scharfer, ja wütender Form kritisiert (siehe etwa die Diskussionsbeiträge von Franz Alt und Jutta Ditfurth). Man kann Lorenz' Bestandsaufnahmen und auch die harten Äußerungen zum "Wesen" des Menschen - als Hobbesianer wie auch als Soziobiologe - durchaus für weitestgehend zutreffend halten, ohne sich allerdings seiner Katastrophen-Ethik anschließen zu müssen - auch wenn die Möglichkeit durchaus real sein dürfte, daß er auch hier Recht behalten wird. Auch Hans Jonas (1991, S. 43 f.) kommt zu sehr ähnlichen Ergebnissen, die er als Ausdruck seiner "pessimistische[n] Hoffnung" kennzeichnet: "So wie wir, die Menschen, nun einmal sind, muß wahrscheinlich erst das große Unglück beginnen, ehe man sich zu entschlossenen Maßnahmen aufraffen kann. Die bloße Einsicht in das, was auf uns zukommt, scheint nicht zu genügen, den Menschen zu bewegen, sich wirklich etwas zuzumuten, was weh tut und weh tun wird. Anscheinend muß es und das ist meine sehr bittere Hoffnung - erst eine Serie von kleinen Katastrophen geben, Schreckschüssen, die erschreckend genug sind uns aufzurappeln, aber noch nicht schlimm genug, um den Ruin schon selber darzustellen". Zur Teilkatastrophe als möglicherweise notwendigem "Wecksignal" der Menschheit siehe auch Weizsäcker, C. F., 1992, S. 10; ebs. Weizsäcker, R., 1992a, S. 110; ähnliche Befürchtungen äußert auch Matthies, 1991, S. 11. Die gleiche "Logik" liegt Hobbes' Lehre zugrunde, wonach es letztlich nur die Furcht vor dem eigenen Unglück, vor allem dem größten Unglück des gewaltsamen Todes ist, die den Menschen belehren kann (vgl. etwa Ci, S. 79; Le, S. 96; zur Interpretation und Kritik dieser These siehe Strauss, 1965, S. 122 f.).

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in allen Staaten der Erde, z w i s c h e n d e n e n - trotz aller b e s t e h e n d e n internationalen Bündnis- und V e r t r a g s s y s t e m e - i m m e r n o c h das natürliche

"Prinzip

Mißtrauen" herrscht, v o r allem aber in allen reichen Staaten d e s "Nordens" d u r c h s e t z e n , s o stellt sich d e n n o c h die Frage, o b die aus d i e s e m B e w u ß t s e i n n o t w e n d i g s i c h e n t w i c k e l n d e existentielle Furcht - die natürlich auf k e i n e n Fall mit Panik o d e r H y s t e r i e v e r w e c h s e l t w e r d e n darf! - w i r k l i c h zur Einsicht in die "Gesetze der ( ö k o l o g i s c h e n ) Vernunft" führen und d e n A u s g a n g aus d e m Naturzustand auf der rationalen Basis e i n e s e f f e k t i v e n und e f f i z i e n t e n inter-nationalen Z u s a m m e n s c h l u s s e s

zur F o l g e h a b e n würde.

Diese

Frage

stellt s i c h auch dann, w e n n man zusätzlich annimmt, j e n e "Gesetze der V e r -

Bei alledem wird man aber - wenn man nicht begeisterter Apokalyptiker oder Fatalist ist - Lorenz (und Popper!, etwa 1992, S. 210) in dem Punkt zweifellos zustimmen müssen, daß "Hoffnungslosigkeit ... eine der bösesten Sachen [ist]" (Lorenz, 1988, S. 33). Ähnlich argumentiert der Biologe Hubert Markl (1982, S. 663), die heutige Menschheit befinde sich auf ihrem Weg zu einer "vernunftgemäß gestalteten Weltzivilisation" vor einem "Wendepunkt in ihrer Geschichte ..., der jenem am neolithischen Durchbruch an Bedeutung nicht nachsteht. [...] Unser rückständiger paläolithischer Vorfahr hat es vermocht, mit seinen armseligen kulturellen Möglichkeiten die Menschheit über mehrere Millionen Jahre und durch die Schrecknisse mehrerer Eiszeiten annähernd stabil durchzubringen: Wie sollte es da nicht möglich sein, auf dem Höhepunkt menschlicher Einsicht in das Wirken der Natur und menschlicher Verfügungsfähigkeit über die Ressourcen und Kräfte der Natur, auch diese Herausforderung zu bestehen? Es wäre zutiefst unmoralisch, daran zu zweifeln und zu verzweifeln". Auch der hessische Umweltminister Fischer, der für den Fall, daß in den reichen Industrienationen kein Umdenken stattfindet, ein "gemeinsames globales Desaster" für Erste und Dritte Welt prognostiziert, will für sich nur die positive Aussicht auf die Lösung der Probleme als sinnvoll gelten lassen: "Ich bin an diesem Punkt Optimist, und nur so funktioniert das Leben" (Fischer, 1992, S. 32); vgl. zu dieser "Trotzdem"-Haltung auch Passmore, 1980, S. 240 f.; ebs. Gadol, 1983, S. 420. Wer also - wie etwa Herbert Gruhl (1992 2 , S. 10-14, 339-379) - aufgrund der gründlichen Kenntnis aller relevanten Daten und Fakten zu dem Ergebnis kommt, "das Ende" sei unausweichlich, wird sich fragen lassen müssen, welchem Zweck derartige Apokalyptik überhaupt dienen soll (außer um den Nachweis zu erbringen, Recht gehabt zu haben), zumal dann, wenn sie mit keinerlei religiös-eschatologischer Motivation verbunden ist. Ähnlich bedenklich ist daher auch die Auffassung von Lay (1991, S. 135), wonach wir Menschen zwar eine "psychische Ausstattung [haben], die uns hilft, mit den Gefahren der Naturwelt fertig zu werden", wir jedoch "den Gefahren unserer Kulturwelt hilflos ausgesetzt" seien.

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nunft", auf die sich eine "survival oriented" Politik 133 heute selbst-Iegitimierend stützen könnte, seien bereits allgemein als die pragmatischen Regeln bekannt, die zunächst rein logisch-faktisch sagen, was unter zweckrationalen Gesichtspunkten erdpolitisch opportun und "sinnvoll" wäre. Insofern gäbe es also so etwas wie eine faktisches "Naturrecht", ohne daß man auf irgendwelche metaphysischen Legitimationsinstanzen zurückgreifen müßte. 134 Doch weil das "Schwert der Gerechtigkeit" als die eine "Macht, die sie alle in Furcht hält" (El, S. 125) fehlt, das die universale Geltung jener "Gesetze" durchsetzen könnte, verpflichten sie bestenfalls "in foro interno" zu dem Wunsch, daß sie gelten mögen (vgl. Le, S. 121). Ob aber aus den logischfaktischen "Gesetzen" auch normative Regeln, tatsächlich geltende rechtlichmoralische Ge- und Verbote abgeleitet werden, dies hinge zum einen von der positiven Rechts-Setzung seitens der betroffenen Staatengemeinschaft ab, zum anderen aber davon, daß die Geltung jener internationalen "Gesetze der Vernunft" in geeigneter Weise abgesichert würde. Doch an der möglichen Realisierbarkeit einer solchen Vision sind bereits mit Hobbes erhebliche Zweifel angebracht: "Und ist die ganze Welt von Bewohnern überfüllt, so bleibt als letztes Mittel der Krieg, der für jedermann Sieg oder Tod bereit hat" (Le, S. 264). Ist dieses Diktum des Thomas Hobbes - im übrigen die einzige Stelle in seinem Werk, aus der man plausibel schließen könnte, daß er nicht an die Möglichkeit eines Super-Leviathans dachte ein Menetekel für unsere Zeit, in der die Tragekapazität des Planeten erschöpft oder sogar bereits hoffnungslos überlastet ist - oder ist es sogar so etwas wie die "ultima ratio"? Auch aus soziobiologischer Sicht - genauerhin im Zusammenhang mit der These vom "reziproken Altruismus" - ist der Vorstellung vom "Welt-Leviathan" mit größter Skepsis zu begegnen. Denn hier stellt sich - mit Gehlen erneut die Frage, wie weit denn die innerhalb der Kleingruppe wirkenden "sozialen Instinkte" "elargiert" werden können. 135 Wenn wir davon ausgehen müssen, die "Größe dieser Sympathiegruppen" 136 könne aufgrund unhintergehbarer genetischer Limitierungen ein gewisses, relativ kleines Ausmaß nicht 133 Zum "Überleben" als dem wichtigsten Orientierungsmaßstab einer zeitgemäßen Politik siehe bereits Corning, 1976, S. 127 ff., 142-149). 134 Zur Unausweichlichkeit der Dimension des "Natürlichen" bei der Suche nach einer normativen Richtschnur der Rechtspolitik siehe Baumanns, 1977, S. 41 ff., 51. Zum Entwurf einer "neuen Naturphilosophie" nach Maßstäben der ökologischen Notwendigkeiten, siehe auch Höffe, 1993, S. 104 ff. 135 Vgl. Gehlen, 1985 6 , S. 56. 136 Mohr, 1986, S. 12.

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überschreiten, ist es dann nicht in der Tat der Ausdruck einer "Hypertrophie" der Moral, an so etwas wie einen Weltstaat mit einem universal gültigen Ethos zu denken? Spricht nicht zum Beispiel das '"disaster fatigue'", unsere zunehmende Unfähigkeit, etwa dem unsäglichen Hungerelend in der Dritten Welt, den "abgemergelten, greisenhaften Kindergesichter[n], die mit großen fiebrigen Augen in die Kameras starren" 137 , mit echtem Mitgeflihl zu begegnen, eine deutliche Sprache gegen einen ethischen Universalismus? Beurteilt also Gehlen nicht zurecht das Ethos des "Humanitarismus oder die zur ethischen Pflicht gemachte unterschiedslose Nächstenliebe", gekennzeichnet als die weitestgehende "Erweiterung ursprünglich instinktnaher Regulationen" bzw. als eine "Elargierung von Instinktresiduen, die sich wie Gummi ausdehnen können und dann sehr große Bereiche einbeziehen", überaus kritisch? Ein universales Ethos, "das mit der Hebung des Lebensstandards aller Menschen und mit ihrer gegenseitigen friedlichen Anerkennung zugleich auf eine globale Endogamie zusteuert", kann nach seinem Verständnis nur derjenige für realisierbar halten, der "gegen jede vernünftige Erfahrung an die Güte des Menschen glaubt". 138 Deshalb fordert Gehlen, nur der solle die "Verpflichtung [haben], am Kulte der Menschheit unter dem Namen Humanitarismus teilzunehmen", der sie haben wolle - unterschiedslos an alle gerichtet aber bedeute "diese Forderung nur den übersteigerten Anspruch von Innengültigkeiten, wie er der Moralhypertrophie zugrunde liegt". 139 Und ist nicht die Vorstellung von einem Welt-Leviathan "nach der Idee eines ursprünglichen gesellschaftlichen Vertrages" schließlich deshalb (mindestens) als allzu optimistisch zurückzuweisen, weil diesem Weltstaat unabhängig von seiner späteren staatsrechtlichen Form - ein echter demokratisch-rationaler Gründungsakt seitens der zukünftigen Untertanen-Staaten vorausgehen müßte? Und wenn schon im Hinblick auf Hobbes' Staatsphilosophie 137 Werner, 1991, S. 243. 138 Gehlen, 1986 5 , S. 79, 83 f. 139 Gehlen, ebd., S. 142; mit der Problematik, daß die unterschiedslose Ausdehnung einer moralischen Grundnorm auf alle Menschen offensichtlich großen praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt ist, setzt sich beispielweise auch Kamiah (1973, S. 103110) auseinander. Seine "praktische Grundnorm" ("Beachte, daß die anderen bedürftige Menschen sind wie du selbst und handle demgemäß!") hält Kamiah zwar für ein Gemeingut modernen aufgeklärten Denkens, doch gesteht er zu, ihre praktische Befolgung entspreche dem in keiner Weise. Der Grund für dieses Phänomen ist für Kamiah u.a. in der "archaischen Begrenztheit" der Gruppe zu sehen, die sich auch in unserem "aufgeklärten" Zeitalter immer noch "wie von selbst" einstellt und entsprechend die Befolgung der praktischen Grundnorm auf die Mitglied einer Gruppe, nämlich der "In-Group" (Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft) reduziert.

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mit Hobbes bezweifelt werden kann, daß jemals ein Staat per Gesellschaftsvertrag (und damit per kollektiver Vernunft) gegründet wurde, daß es also "kaum einen Staat auf der Welt [gibt], dessen Anfänge mit gutem Gewissen zu rechtfertigen sind" (Le, S. 539), muß man dann nicht erst recht die gewaltfreie, vernunftgestützte Auflösung des zwischenstaatlichen "prisoner'sdilemma" in einer Situation der allgemeinen existentiellen Bedrohtheit für gänzlich unmöglich und gleichsam die irrwitzigste Ausgeburt philosophischer Weltfremdheit halten? Denn wenn es bereits für die Hobbesschen Individuen im Naturzustand eigentlich in hohem Maße als unvernünftig erscheinen müßte, ihr "Recht auf alles" aufzugeben und sich der machtvollen "Schreckens"-Herrschaft des Leviathan zu unterwerfen, stellt sich dann nicht für die Staatsindividuen erst recht die Frage, ob nicht die Preisgabe ihrer Souveränität zugunsten eines Super-Souveräns höchst unvernünftig wäre, für den erstmals wirklich gelten würde: "Non est potestas super terram quae comparetur ei". 1 4 0 Wichtigster Grund: "We fear that a world sovereign might become an invincible international tyrant or disclose himself as our deadliest enemy invested with enhanced political legitimacy". 141 Ist daher nicht umgekehrt die These des Politikwissenschaftlers Jochen Hippler bei weitem realistischer - wenngleich wesentlich pessimistischer -, der vor allem vom damaligen amerikanischen Präsidenten George Bush zu Zeiten der Golf-Krise (1990/91) strapazierte Begriff von der "Neuen Weltordnung" sei keineswegs "dem Bedürfnis politischer Analyse oder konzeptioneller Planung" entsprungen, sondern schlicht "dem Streben nach politischem Nutzen"? 142 Entsprechend prognostiziert Hippler hinsichtlich der Chancen für eine solche "Neue Weltordnung", zum einen werde es "eine globale Pax Americana ... nicht geben", zum zweiten werde die UNO weiterhin ein Instrument zur Wahrnehmung der Eigeninteressen ihrer führenden Mitglieder bleiben 143 , und zum dritten seien im Hinblick auf die "zukünftigen Grundstrukturen internationaler Politik" eher folgende Grundelemente zu erwarten: 140 Die Überschrift über dem Titelbild der Erstausgabe des "Leviathan", ein Bibelzitat aus dem Buch Hiob (41, 24); vgl. dazu Kersting, 1992a, S. 35; Willms, 1987, S. 17 f. 141 Cohen, 1984, S. 320 f.; vgl. Kersting, 1992b, S. 165 f.; im selben Sinne aber bereits Kant, 1978 2 , S. 225, A 63/B 64. Zumindest bestünde immer die Gefahr, daß der Super-Leviathan immer wieder als solcher Super-Tyrann erfahren würde oder in den Verdacht geriete, sich zu einem solchen entwickeln zu können. 142 Hippler, 1992, S. 25; vgl. ders., 1991, S. 7 f. 143 Hippler, 1992, S. 31 ff.; vgl. dazu auch Keck, 1991, S. 642: "internationale Organisationen [können] bedeutende Maßnahmen nur in dem Maße ergreifen ..., als sie

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(1)

Neue Feindbilder: Drogen, Terrorismus, hochgerüstete Dritte-Welt-Diktaturen.

Islam/Fundamentalismus,

(2)

Zunehmende wirtschaftliche und politische Konkurrenz zwischen den USA, (West-)Europa und Japan. 144

(3)

Zunehmende Binnendifferenzierung in der Dritten Welt. 1 4 5

(4)

Bildung von Einflußzonen (Quasi-Kolonien) seitens der westlichen Machtblöcke in anderen Teilen der Welt. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, "daß auch die 'Neue Weltordnung' mehr mit Machtpolitik als mit hehren Prinzipien zu tun haben wird" 146 - womit sowohl die machtpolitische (in letzter Konsequenz militärische) Austragung von Konflikten - etwa um knapper werdende Ressourcen oder die Erhaltung ökologischer Voraussetzungen des Überlebens - sowie "natürliche Staatsgründungen" im Sinne Hobbes' als wesentlich wahrscheinlicher einzustufen sein müßten als ein Sich-Durchsetzen der Vernunft.

Doch die Frage ist, ob diese Entwicklung - so wahrscheinlich sie auch sein mag! 147 - im Hinblick auf die zu lösenden globalen Probleme wirklich auch als "realistisch" gelten kann.

144 145 146 147

die Unterstützung oder wenigstens die Duldung der wichtigeren davon betroffenen Staaten haben"; ebs. Opitz, 1992, S. 103. Vgl. dazu auch Czempiel, 1992 2 , S. 87, 114 ff.; ebenso Weizsäcker, R., 1992a, S. 94 f.; Guehenno, 1994, S. 69 ff. Siehe dazu auch Czempiel, 1992 2 , S. 47-52, 62-72. Hippler, 1992, S. 39; vgl. entspr. Brzezinski, 1994, S. 180-193, 237 f., 243 ff. Eine der zentralen Thesen von Albrecht/Hummel (1990, S. 90) zur Rolle der "Macht" in internationalen Beziehungen lautet, die Machtausübung auf der Basis einer autoritären - etwa militärischen - Gewalt sei "hauptsächlich für Übergangsgesellschaften bedeutsam, während stabile Machtverhältnisse nur auf der Basis von Legitimität möglich sind" (ebd., S. 90). Abgesehen davon, daß es schwierig sein dürfte, der Militärherrschaft in einer "Übergangsgesellschaft" die prinzipielle Legitimität abzustreiten, wenn ohne diese Herrschaft das völlige Auseinanderbrechen jener "Gesellschaft" in einem Bürgerkrieg droht, scheint dieser Gedanke gerade mit Blick auf die heutige weltpolitische Situation von größter Wichtigkeit. Nach dem Ende des "Kalten Krieges" zwischen Ost und West, der ohne jeden Zweifel auch eine relativ stabile Weltordnung hervorbrachte (siehe dazu Hippler, 1991, S. 9-15; Wagner, 1992, S. 31; Ferdowski, 1992, S. 63), erscheint die gesamte Staatengesellschaft der Erde als eine solche "Übergangsgesellschaft" (vgl. dazu etwa Czempiel, 1992 2 , S. 7 ff.); und zum einen ist - gemäß der Hobbesschen Logik - das blutige Auseinanderbrechen von Staaten wie im ehemaligen Jugoslawien vollauf verständlich; zum

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4.1 Das Scheitern der Alternative "Krieg" Wer aufgrund all dieser skeptischen Überlegungen - an deren Berechtigung gerade auf der Grundlage des Hobbesschen Menschenbildes kein Zweifel bestehen kann - die Vorstellung von der Möglichkeit einer Weltgesellschaft im Sinne Kants, eines "Völkerstaat[s] (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde" 148 , dessen Stabilität und Sicherheit von supranationalen Institutionen mit realer politischer Zwangsgewalt zu gewährleisten wäre, von vorneherein ablehnt, als illusorisch und im schlechten Sinne utopisch verwirft, der ist mit Hobbes an die Alternative zu dieser Einigung unter einer übergeordneten Rechtsinstanz als dem "Ausgang der Not" (Kant) zu erinnern, daran nämlich, daß dem ersten Gesetz der Natur {"Suche Friede und halte ihn ein"; Le, S. 100), dessen Geltung letztlich von der Existenz eines "Schwertes der Gerechtigkeit" abhängt, das erste Recht der Natur korrespondiert: " Wir sind befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen", uns "alle Hilf mittel und Vorteile des Krieges [zu] verschaffen und sie [zu] benützen" (Le, S. 100), wenn uns die Realisierung des Friedensgebotes nicht gelingt. 149 Und dies würde für die heutige Welt zum Beispiel bedeuten, daß - gleichsam als natürlicher anthropomorpher Reflex auf wachsende äußere Bedrohungspotentiale und die zunehmende Verknappung existenziell bedeutsamer Ressourcen - alle Spielarten des Protektionismus in einem noch weit massiveren als dem bereits praktizierten Ausmaß zum Einsatz kommen, sich Wagenburg* oder Festungsstrategien durchsetzen müßten (z.B. innerhalb der Freihandelszonen von Europa oder den NAFTA-Staaten), die zum einen darauf angelegt wären, sich nach außen gegen die zu erwartenden gigantischen anderen erscheint es - ebenfalls mit Hobbes - durchaus möglich und sogar wahrscheinlich zu sein, daß sich neue Ordnungsgefüge wiederum auf der Macht-Basis militärischer Gewalt herausbilden könnte - zumal sich auch die mächtigen Staaten dieser Erde zunehmend mit existentiellen Problemen bzw. Gefahren konfrontiert sehen. 148 Kant, 1978 2 , XI, S. 212 (BA 37, 38). 149

Eine andere

- gleichsam "klassische" - Strategie des zwischenstaatlichen Verhaltens könnte natürlich auch auf eine "Abschreckungsbalance" abzielen, die den Krieg dadurch zu verhindern sucht, daß man die Aufhebung des kriegslosen Zustandes für jeden, der damit beginnen könnte, so teuer macht, daß sich vernünftigerweise damit kein Gewinn mehr verbinden läßt; vgl. Kersting, 1992a, S. 169. Aber auch diese Strategie fiele noch eindeutig unter den weiten Hobbesschen Begriff des Krieges (vgl. Le, S. 96; Ci, S. 83 f.).

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Flüchtlingsströme mit militärischen Mitteln abzuschotten, zum anderen aber, sofern sie von Ressourcenimporten abhängig sind (Oel und andere Rohstoffe!), sich diese Ressourcen im Zweifel mit Gewalt zu verschaffen (Vittorio Hösle hat sehr bewußt den zweiten Golfkrieg als den "ersten Ressourcenkrieg" bezeichnet). 150 Dies würde nichts anderes bedeuten, als daß auf der Ebene der Staaten untereinander wiederum das Hobbessche (bzw. Darwinsche) Diktum zur Geltung käme, wonach dann, wenn "viele denselben Gegenstand zugleich begehren", der "weder gemeinsam genossen noch geteilt werden kann", letztlich "das Schwert entscheiden [wird]", wer diesen Gegenstand (bewohnbares Land, Rohstoffe, Öl, Wasser) erringt. Weltbürgertum oder Weltbürgerkrieg - tertium non datur? Die Möglichkeit, daß es etwa im Zuge der vielfach prognostizierten, durch zunehmende (ihrerseits wieder multikausal begründete) Umweltschädigung maßgeblich mit ausgelösten Völkerwanderung von Süd nach Nord zur massiven Verschärfung des "Nord-Süd-Konflikts" und einer entsprechenden Radikalisierung des "Feindbilds Dritte Welt" bis hin zur Sicherung und Abschottung der "Festung Europa" mittels militärischer Gewalt kommen könnte, scheint zwar nicht unmittelbar akut, kann aber - etwa wenn man die Art und Weise des Umgehens der Bundesrepublik Deutschland mit Asylanten und/oder Flüchtlingen aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg, oder Italiens mit den Elendsflüchtlingen Albaniens betrachtet, keinesfalls als völlig unrealistisch verworfen werden (das Schlußszenario des Fernsehfilms "Der Marsch", in dem ein Flüchtlingszug mit militärischen Mitteln am "Einmarsch" nach Zentraleuropa gehindert wird, wäre demnach sogar höchst realistisch! 151 )- Denn 150 Vgl. dazu Schöps, 1993, S. 150 ff.; Hösle, 1990; ähnlich bereits Cameiro, 1978, S. 217; Hormann, 1985, S. 129; ehs. Matthies (1991, S. 9 f.), für den "unübersehbar ist, daß eine verschärfte regionale und globale Umweltzerstörung zu ökologisch geprägten inner- und zwischengesellschaftlichen Verteilungs- und Überlebenskämpfen sowie zu klassischen militärischen Konflikten führen kann"; entspr. Wuketits, 1993b, S. 245; Zur ebenfalls nicht von der Hand zu weisenden Gefahr von ÖkoDiktaturen und Öko-Kriegen (etwa um die zunehmend knapper werdende Ressource Wasser) siehe Hösle, 1991, S. 141 ff.; Bräutigam, 1990, S. 46; Weizsäcker, E. U . , 1990 2 , S. 269 ff.; Wernicke, 1992f.; Martin/Schumann, 1993, S. 110; Cousteau, 1993, S. 191; Buchulla, 1993, S. 104 ff.; Meroth, 1993, S. 114 ff.; Kennedy, 1993, S. 169 f.; ebs. Gruhl, 1992 2 , S. 264-270, 372 ff.; Gore, 1992, S. 109-126, 279, 312 f.; Wöhlcke, 1992, S. 74 ff.; Opitz, 1992, S. 90 ff.; Brzezinski, 1994, S. 121, 180193, 203 ff., 231, 233-266. 151 Vgl. zum Ausblick auf den "Krieg des dritten Jahrtausends", die zunehmend restriktiver werdende Asylantenpolitik in praktisch allen westeuropäischen Staaten sowie die wachsende Gewalttätigkeit gegenüber Ausländern Krell, 1992, S. 1, 5-10;

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Möhrs Arnold, 1990, S. 46 f, 60 ff.; Schmid, K.-P., 1993, S. 8; Kennedy, 1993, S. 129 ff.; zur Wahrscheinlichkeit kriegerischer Konflikte im Zuge der aufgrund des zunehmenden Bevölkerungswachstums zu erwartenden ökonomischen und ökologischen Krisen siehe auch Werner, 1991, S. 229 ff.: '"Kriege, sei es um Land, Nahrung oder Bodenschätze brechen letzten Endes aus, wenn zu viele Menschen um begrenzte Ressourcen konkurrieren'"; entspr. Cousteau, 1993, S. 191: "wir müssen dringend Lösungen finden, um die Bevölkerungsexplosion zu drosseln, die einen direkten Einfluß auf die Verarmung der unterprivilegierten Menschengruppen ausübt. Sonst wird der allgemeine Groll Haß erzeugen, und der furchtbarste Völkermord, der Milliarden von Menschen treffen könnte, unvermeidlich sein"; für Jacobi (1986, S. 32; vgl. auch ebd., S. 33 ff., 46 ff., 52 ff.) ist es eine offensichtliche Tatsache, daß heute die "klassische vor-revolutionäre Situation ... global vorhanden [ist]: die Reichen werden reicher, die Armen werden mehr. Wann und wo immer in der Geschichte solche Zustände herrschten, haben sie zu einer Veränderung der Verhältnisse geführt, sei es durch Tinte, sei es durch Blut"; vgl. entspr. Krell, 1992, S. 1, 4: "'Der Kommunismus ist tot, es lebe der internationale K l a s s e n k a m p f " ; zur "Weltgesellschaft" als einer entlang dem "Entwicklungsgefälle" stratifizierten "'Klassengesellschaft'" siehe auch Hoffmann-Nowotny, 1991^, S. 30; Bellers/Häckel, 1990, S. 291; ebs. Brzezinski, 1994, S. 251 ff. Zum steigenden Konfliktpotential der weltweiten Migrationsbewegungen von armen, unterprivilegierten Regionen der Welt in die Wohlstandsregionen siehe auch Nicholson, 1990; Seelmann-Eggebert, 1990, S. 103-107; Opitz, 1990 3 , S. 361 ff.; ders., 1992, S. 100 ff.; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 91-110; Hösle, 1991, S. 77; Kurbjuweit, 1991, S. 17; Gore, 1992, S. 82 ff.; Gruhl, 1992 2 , S. 374 ff.; Chimelli, 1993, S. 132-139; Martin/Schumann, 1993, S. 103. Zur "Festungsbildung" als der probaten "Überlebensstrategie[] für Europa" siehe Werner, 1991, S. 231 f., 243-261. Angesichts der Bedrohung Europas vor allem durch die Süd-Nord-Migrationsbewegungen empfiehlt Werner, "die richtigen Konsequenzen [zu ziehen], auch wenn sie hart sind, ja unmenschlich und auf den ersten Blick grausam erscheinen". Und gemeint sind mit diesen Konsequenzen nichts anderes als Kriege, die - natürlich - den Europäern "aufgezwungen werden", und: "Notwehr ist nicht unmoralisch" (ebd., S. 245). Genau so könnte der Führer einer Siedlung von Ackerbauern und Viehzüchtern im Neolithikum angesichts des "Ansturms" einer Sammler- und Jägerhorde auf "ihr" Territorium argumentiert haben. Im Prinzip hat sich also seither offensichtlich nichts geändert. Was das "Notwehr"-Argument betrifft, so macht Lesch (1991, S. 188) völlig zurecht auf den wichtigen Aspekt des "fatale[n| Kreislaufs] von Rüstungsexport, Krieg, Gewaltherrschaft, Flucht und Exil (evtl. im Land des Waffenproduzenten)" aufmerksam. Mit anderen Worten: Die "Asylantenproblematik" der Industrienationen ist zu einem nicht geringen Teil hausgemacht, die Immigranten nur die "Quittung" für den Export von Kriegsmaterial und die verfehlte "Entwicklungshilfe"; vgl. auch Eid sowie Dhunjibhoj, in: Seelmann-Eggebert (1990), S. 106 f.; ebs. Brzoska, 1992, S. 50

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es mag zwar weniger wahrscheinlich sein, daß sich die armen Länder des Südens und Ostens die Partizipation am westlichen Wohlstand gewaltsam verschaffen wollen (bzw. können); die Frage ist aber, wie die reichen Nationen auf die '"Chaosmacht'" der Armen, auf ihr nicht zu überschätzendes "politische[s], soziale[s], ökonomische^] und ökologische[s] Destabilisierungspotential für das internationale System" reagieren werden. 152 Der renommierte Theoretiker internationaler Politik Ernst-Otto Czempiel vertritt auf der Grundlage seiner Überzeugung, die sich nach dem Ende des Ost-WestKonfliktes herausbildende neue Welt werde außer durch "Ökonomisierung" und "Demokratisierung" vor allem auch durch "Regionalisierung" geprägt und in ihren Strukturen "polyarch" und "multipolar" sein 153 , die These, die "neue Welt" werde nicht in das "hobbesianische Chaos" zurücksinken, wofür eine "partielle Verbotsordnung" sorgen werde, deren Beachtung durch "Negativsanktionen" zu garantieren wäre. 154 Doch was, möchte man Czempiel fragen, herrscht etwa in Jugoslawien, in Teilen der ehemaligen Sowjetunion oder in Ruanda anderes als die alptraumhaft perfekte Realisierung des "hobbesianischen Chaos" 155 und wo existiert eine "Verbotsordnung", die wen interessieren müßte? Doch Czempiel wird wenig später in einer weiteren These konkreter, die zum einen überaus zynisch wirkt und zudem kaum auf eine freiwillige Preisgabe der ökonomischen "Sonderstellung" im Westen hoffen läßt: "Die Staaten der regionalisierten Welt können sich frei bewegen, solange sie nicht gegen wichtige Interessen der Industriestaaten verstoßen". Tun sie dies jedoch - aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln auch immer -, so werden sie "durch die wirtschaftliche Macht oder notfalls durch die militärische Gewalt der westlichen Industriestaaten, gegen die es kein Gegenmittel gibt, zur Korrektur gezwungen". 156

152 153 154 155 156

f. (zum vergleichbaren Effekt der weltwirtschaftlichen Doppelmoral der Industrienationen siehe Hoffmann-Nowotny, 1991 2 , S. 32). Vgl. Matthies, 1992, S. 4, 11 f.; zum Begriff der "Chaosmacht" vgl. auch Senghaas, 1988, S. 170 ff. Czempiel, 1992 2 , S. 11 f. Czempiel, ebd., S. 72 ff. Baumgartner, 1992, S. 20; Wagner, 1992, S. 31 ff. Czempiel, 1992 2 , S. 72 f., 74; vgl. entspr. Werner, 1991, S. 247 ff. Diese bemerkenswert zynische klingende (oder einfach realistische?) These scheint in schärfstem Kontrast zu jeglichem Gedanken an eine allgemeine Geltung der Menschenrechte zu stehen. Besagt sie nicht soviel wie: "Wohlan denn, ihr Menschenschlächter in Bosnien, Aserbeidschan, Pretoria, Eritrea, Somalia, Korea, Kambotscha und anderswo! Schlachtet, foltert, vergewaltigt, schändet frei und unbehelligt weiter - nur achtet darauf, nicht wirklich wichtige, gar monetäre Interessen des Westens zu tangieren?".

316

Möhrs D o c h die alles entscheidende Frage ist, ob diese altbekannte,

gleichsam

"klassische" Strategie der Bewältigung kritischer Situationen - die mit als völlig

legitim

zu bezeichnen

Hobbes

wäre (!) - heute wirklich eine Alternative sein

kann, oder ob nicht die Behauptung C z e m p i e l s kurzsichtig und schlicht f a l s c h ist, daß es g e g e n "die militärische Gewalt der westlichen Industriestaaten ... kein Gegenmittel gibt". 1 5 7 Man ist versucht, eine derartige Behauptung mit der Frage z u konfrontieren, wie denn - abgesehen v o n der durch die Proliferation v o n Massenvernichtungswaffen maßgeblich mit verursachten militärischen Schlagkräftigkeit vieler halb oder auch unterentwickelter Staaten 1 5 8 Oder sollten Menschenrechtsverletzungen im nicht-westlichen Bereich jener "regionalisierten Welt" doch zu den "wichtigen Interessen" der Industrienationen zählen? - dazu äußert sich Czempiel allerdings nicht. Bedenkt man in diesem Zusammenhang etwa die Aussage des amerikanischen Außenministers Warren Christopher, wonach die Geschehnisse im ehemaligen Jugoslawien zwar eine menschliche Tragödie darstellten, aber die nationalen Interessen Amerikas nun einmal wenig tangierten, so sind daran Zweifel angebracht. 157 Czempiel, 1992 2 , S. 74; vgl. entspr. Werner, 1991, S. 231 f. 158 Czempiel selbst (ebd., S. 75 ff.) weiß eine lange Liste von nicht-westlichen Staaten aufzuzählen, die über Massenvernichtungswaffen verfugen. Der Politikwissenschaftler Brzoska (1992, S. 41) stellt diesbezüglich schlicht fest, die "80er Jahre [seien] das Jahrzehnt der Aufrüstung der Dritten Welt mit ABC-Waffen und Raketen [gewesen]", so daß am Anfang "der 90er Jahre ... mehr Staaten der Dritten Welt über ABC-Waffen und Raketentechnologie [verfügen] als je zuvor"; siehe zu diesem Problem auch Hippler, 1991, S. 100-107. Nicht zu vergessen sind hier natürlich auch andere, "konventionelle" Waffensysteme, die sich in den 173 Kriegen zwischen 1945 und 1990 de facto als "'Massenvernichter'" erwiesen haben (konkret: "bislang zwischen 25 und 35 Millionen Tote"; vgl. dazu Ferdowski, 1992, S. 58 ff.; Brzoska, 1992, S. 41, 50 f.); zur differenzierteren Beurteilung des "Nord-Süd-Konfliktes" siehe auch Matthies (1992, S. 7 ff.), der zu dem Ergebnis kommt, die bisherige Politik der Proliferation von Massenvernichtungswaffen in alle Staaten der Erde habe zu einer Situation geführt, in der "militärische Präventivschläge" gegen mögliche Aggressoren im "Nord-SüdKonflikt" nicht geeignet seien, das Problem der Weiterverbreitung moderner Militärtechnologie letztlich in den Griff zu bekommen, sondern eher eine nicht zu kontrollierende Eskalation dieses Konfliktes zur Folge haben könnten. Matthies fordert dagegen einen Prozeß der "verstärkten Vertrauensbildung zwischen Süd und Nord und der Entwicklung eines Bewußtseins 'Gemeinsamer Sicherheit"', da nur in einem solchen global angelegten kooperativen Kontext die Bemühungen um Abrüstung und Friedenssicherung wirksam werden könnten. Die Frage ist natürlich, wie dieser Prozeß der Vertrauensbildung in Gang gesetzt, wie das Bewußtsein "Gemeinsamer Sicherheit" ausgebildet werden soll. Die Hoffnung Matthies' auf die

Vom Weltstaat

317

die westliche Militärmacht sich ohne die Kooperation seitens der Länder der Dritten

Welt

gegen

die

(interdependenten)

"Weltprobleme"

der

Bevöl-

kerungsexplosion, des zunehmenden Treibhauseffektes s o w i e d e s w a c h s e n d e n O z o n l o c h s u . ä . wirksam zur Wehr setzen will. Will sich die westliche Militärmacht dann, w e n n "ein Regionalstaat g e g e n vitale westliche Interessen verstößt" 1 5 9 e t w a anmaßen, Brasilien oder Indonesien mit W a f f e n g e w a l t an einer weiteren A b h o l z u n g der Regenwälder zu hindern? Will sich die

westliche

W e l t - etwa dann, w e n n es im Lager der O P E C wieder einmal z u m Schulterschluß k o m m e n sollte - die knapp werdende Ressource Oel mit militärischen Mitteln v e r s c h a f f e n ? 1 6 0 Will die westliche Militärmacht das weitere rasante A n w a c h s e n der Weltbevölkerung und den ( z w e i f e l l o s legitimen) V e r s u c h der M e n s c h e n in der Dritten Welt, ihren Lebensstandard durch entsprechendes Wirtschaftswachstum nach westlichen Maßstäben (und w o m ö g l i c h mit vereinten Kräften) massiv zu steigern,

mit W a f f e n g e w a l t verhindern, w e i l dies

"glaubwürdigen Vorbildwirkung der Industrieländer" erscheint - im Sinne Hobbes nur dann als realistisch, wenn sich in diesen Industrieländern das Bewußtsein etablieren und durchsetzen könnte, daß die eigene Sicherheit (und damit der nationale Eigennutz) nur über die "Gemeinsame Sicherheit" (und damit die globale Gemeinnützigkeit) zu gewährleisten ist, Eigennutz und Gemeinnutz insofern also gerade keine alternativen Zielvorstellungen sind; vgl. auch Schöps, 1993, S. 152 f. Eine These wie die von Irrgang (1985, S. 238), bisher sei jegliche Zivilisation "aus den kriegerischen Völkern [erwachsen] ... und nicht aus.den friedlichen Jägern und Sammlern", ist - abgesehen davon, daß diese Behauptung aus soziobiologischer Sicht ohnehin bestenfalls eine Halbwahrheit darstellt und selbst wenn sie zuträfe, aus ihr keinerlei normativer Schluß gezogen werden dürfte - durch die globale Proliferation von Massenvernichtungswaffen und die Möglichkeit des thermonuklearen "Overkills" heute ebenfalls faktisch ad absurdum geführt; vgl. dazu Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 222 ff. 159 Czempiel, 1992 2 , S. 74. 160 Was Werner (1991, S. 247) klipp und klar fordert. Aber wie sollten solche Ressourcen-Feldzüge durchführbar sein, wo doch - so Werner (ebd.) - die Dritte-WeltStaaten bestens mit den Spitzenprodukten westlicher Militärtechnologie hochgerüstet sind und sich die Industrienationen genau deshalb - so Werner (ebd.) - möglichst völlig aus den Dritte-Welt-Staaten (zu denen Werner übrigens auch den Balkan rechnet; vgl. ebd., S. 246) heraushalten sollten? Wenn die westliche Militärmacht, "gegen die es kein Gegenmittel gibt", bereits im ehemaligen Jugoslawien (auch) wegen des als zu hoch bewerteten militärischen Risikos (!) vor einer machtvollen Durchsetzung der Menschenrechte, der Beendigung der "ethnischen Säuberungen" und dem Genozid an den Moslems zurückschreckte, was ist dann von der "Unwiderstehlichkeit" dieser Macht (oder: der realpolitischen Bedeutsamkeit der "Menschenrechte"?) zu halten?

318

Möhrs

auf e i n e n u m s o rascheren g l o b a l e n ö k o l o g i s c h e n K o l l a p s h i n a u s l i e f e - w a s zweifelsohne

gegen

"wichtige

Interessen der Industrienationen"

verstoßen

müßte?161 Ist nicht d i e V o r s t e l l u n g , daß sich e t w a i m Jahr 2 0 2 5 ca. 9 % d e r W e l t b e v ö l k e r u n g in d e n W o h l s t a n d s i n s e l n Europas und N o r d a m e r i k a s g e g e n 8 4 % der W e l t b e v ö l k e r u n g in d e n E n t w i c k l u n g s l ä n d e r n i m Konfliktfall m i t militäris c h e n M i t t e l n w i r k s a m abschotten könnten, m i n d e s t e n s e b e n s o u t o p i s c h w i e die "Vernunftidee" Immanuel K a n t s ? 1 6 2 W e s e n t l i c h realistischer e r s c h e i n t hier die S i c h t w e i s e v o n Opitz: "Angesichts d e s g e w a l t i g e n

Migrationspotentials,

das s i c h in der V e r g a n g e n h e i t gebildet hat und ständig w e i t e r a n w ä c h s t , sind Strategien, die s i c h in b l o ß e n A b w e h r m a ß n a h m e n e r s c h ö p f e n , z u m S c h e i t e r n verurteilt. K e i n ' D a m m ' - um d i e s e Metaphorik e i n m a l z u ü b e r n e h m e n - w i r d auf die D a u e r breit und h o c h g e n u g sein, u m der 'Flut' standzuhalten. G e l i n g t

161 Vgl. etwa Wöhlcke, 1992a, S. 289 f.; Kennedy, 1993, S. 155 ff.; Harborth, 1991, S. 18 f.; zur "Unerreichbarkeit des heutigen Industrieländerwohlstands" für die Entwicklungsländer siehe Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 123 ff.; Höffe, 1993, S. 162. 162 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß sich zumindest die im deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien in ihren Grundsatzprogrammen oder einschlägigen Positionspapieren ausdrücklich gegen jede Form von Protektionismus und für eine Öffnung und Liberalisierung des Welthandels aussprechen; vgl. etwa C D U Bundesgeschäftsstelle, 1993, S. 31, 58 f.; dies., 1984, S. 5 f.; CSU-Landesleitung, Grundsatzprogramm, S. 73 f.; dies., 1992, S. 3 f.; FDP-Bundeshauptausschuß, 1992, S. 2 f., 12 ff.; SPD-Parteivorstand, 1989, S. 35 f.; Engholm, in: SPD-Parteivorstand (1992a), S. 6; Hauchler, in: SPD-Parteivorstand, Diskussionspapier, S. 1 f. (von den "Grünen" und der "PDS" waren auch zu diesen Fragen keine Informationen zu erhalten). Höchst interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Auffassungen des früheren EG-Ratspräsidenten Jaques Delors im Hinblick auf den status quo und die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft. Er nennt zum einen drei wesentliche Gründe, weshalb die EG bisher bereits über 35 Jahre bestehen konnte: "Erstens [die] Erkenntnis, daß bestimmte Länder gemeinsame Interessen haben; zweitens [die] Integration als Methode zur Durchsetzung dieser Interessen; drittens [die] gemeinsamen Institutionen, die wirksames Handeln im Verbund möglich machen" (Delors, 1992, S. 4). Wieso sollten diese erfolgreichen Prinzipien nicht auch auf einer größeren bzw. höheren, eben globalen Ebene wirken? Im Hinblick auf die Zukunft der EG in einer Welt, die er "für risikoreicher [hält], als es der Kalte Krieg war" fordert Delors ein mächtiges Europa, das sich auf weltpolitischer Ebene und in weltpolitischem Rahmen Respekt verschaffen und Verantwortung übernehmen müsse, sofern es nicht den - wenn auch "vergoldete!n]" - Ausstieg aus der internationalen Mitwirkung riskieren wolle (Delors, ebd., S. 5).

Vom Weltstaat

319

es nicht, deren 'Quellgründe' zu verstopfen, das heißt die Ursachen zu beseitigen, so werden die Dämme brechen". 163 Weitere skeptische Fragen lauten: Wäre die "Festung Europa" autark? Wie sollte sie - als rohstoffarme Region - unabhängig von jeglichem Rohstoff- und auch Nahrungsmittelimport überhaupt überlebensfähig sein - vom Erhalt des überaus hohen materiellen "Lebensstandards" zu schweigen? Besteht nicht viel eher die Gefahr, daß sich in dem Moment, in dem der Zugang zu ebenso knappen wie existenziell bedeutsamen Ressourcen wie Oel oder auch Nahrungsmitteln für die "Festung Europa" problematisch wird, diese als nicht minder "überbevölkert" erweisen könnte als es die Länder der Dritten Welt heute bereits sind? 164 Weiter: Wäre die "Festung" autark in der Entsorgung ihrer Abfallprodukte? Wohin, in diesem allzu dicht besiedelten Gebiet, mit der gigantischen "Unratlawine" und besonders dem Giftmüll innerhalb der Festung? 165 Was wird man innerhalb der Festung mit denjenigen tun, die genau diese Festungsstrategie mit all ihren kriegerischen, menschenverachtenden Konsequenzen als unmoralisch, unmenschlich und unerträglich oder einfach als unklug und selbstmörderisch erachten und sie deshalb bekämpfen? Wie will man die Medien daran hindern, den Völkermord an den zu erwartenden Millionenheeren der Migranten (praktiziert in Abwehrkriegen oder durch unterlassene Hilfeleistung), das dramatisch zunehmende weltweite Flüchtlings- und Hungerelend in die Wohnzimmer der Festungsbewohner zu bringen? Wie will man das Recht auf Freizügigkeit aufrechterhalten? Wie den "freien" Welthandel? Kurzum: Es mag zutreffen, daß eine Politik des Verzichts in den reichen Industrienationen mit den Mitteln der Demokratie nur schwer oder womöglich gar nicht durchzusetzen wäre 166 - aber wie will man die abstruse Hoffnung begründen, eine Festung im Belagerungszustand lasse sich demokratisch-pluralistisch-liberal organisieren? Fazit: Sowohl Strategien der militärgestützten Abschottung seitens der reichen Industrienationen als auch deren Versuch, den Ländern der Dritten Welt eine ökologisch sinnvolle Politik mit militärischen Mitteln aufzuzwingen, 163 Opitz, 1992, S. 103. 164 Zu diesem Aspekt siehe etwa Kruse, 1992, S. 17 ff.; Wöhlcke, 1992a, S. 289; v. Weizsäcker, E.U. 1990 2 , Kap. 1, 5 u. 6; Schöps, 1993, S. 149 f.; Brundtland, 1993, S. 175 f. 165 Siehe dazu Gruhl, 1992 2 , S. 249-252; Kohler-Koch, 1990, S. 115 ff. Sprechen nicht die (aufgedeckten!) illegalen Giftmüllverschiebungen deutscher Firmen in Länder des ehemaligen Ostblocks bereits jetzt deutlich für die Brisanz dieser Problematik? 166 So etwa Werner, 1991, S. 231 (siehe zu dieser Problematik auch unten, Kap. IV).

320

Möhrs

müssen notwendig scheitern. Im Zeitalter der Proliferation von Massenvernichtungswaffen sowie der konventionellen Hochrüstung vieler Staaten der Dritten Welt ist zum einen die Vorstellung eines "globalen Bürgerkriegs" 167 , aus dem irgendeine Nation "siegreich" hervorgehen könnte, höchst unrealistisch. Vielmehr ist anzunehmen, daß jeder Versuch der gewaltsamen Herstellung einer ökologisch tragfähigen "Neuen Weltordnung" seitens einzelner Nationen oder "Machtblöcke" sich für alle Beteiligten als kontraproduktiv und selbstzerstörerisch erweisen müßte - Kriege im Zeitalter der global verfügbaren Massenvernichtungswaffen können nur Verlierer produzieren. 168 Die Menschheit kann es sich schlechterdings nicht leisten, etwa den kriegerischen Wahn der europäischen Geschichte nun im Weltmaßstab nachzuspielen. Hobbes hatte also Unrecht, als er für die Zeit, da "die ganze Erde von Bewohnern überfüllt" ist, den Krieg prophezeite, "der für jedermann Sieg oder Tod bereit hat" (Le, S. 264; Hervorhebung T.M.) - die Alternative "Sieg" ist heute auszuschließen. Dies bedeutet zudem, daß auch die Hobbessche Variante der "natürlichen Staatsgründung" (im erforderlichen kontinentalen oder gar globalen Maßstab) heute nicht mehr als realistische Alternative angesehen werden kann. Am Ende dieses Jahrhunderts, das vor allem den Staaten Europas den Irrweg militaristischer Problem"lösungen" auf nationalstaatlicher Basis drastisch vor Augen geführt haben sollte, erscheint jedenfalls die Hoffnung auf die Politikfähigkeit der Einsicht als angemessen, daß nur eine zweckrationale Kooperation der Staaten auf institutionalisierter Basis geeignet sein kann, den anstehenden Problemen gerecht zu werden. Und zum zweiten ist hier der Hinweis fast trivial, daß die bestehenden und bevorstehenden ökologischen Probleme zumindest mittel- und langfristig alle Staaten der Erde in relativ gleichem Ausmaß treffen werden; der Treibhauseffekt kennt keine nationalen Grenzen und ist mit militärischen Mitteln weder zu bekämpfen, noch abzuwehren. Im Hinblick auf die ökologischen Weltpro167 Gore, 1992, S. 295. 168 Vgl. dazu Matthies, 1992, S. 7 ft'.; Bull, 1981, S. 735; Kennedy, 1993, S. 170 f. Gerade deshalb erscheint es heute nicht mehr als "realistisch", in der Androhung oder dem Einsatz militärischer Gewalt ein probates Mittel zur Wahrung nationaler Eigeninteressen zu sehen. In diesem Punkt scheint sich der "politische Realismus" eines Hans Morgenthau (1963; vgl. auch Albrecht/Hummel, 1990, S. 92 ff.) heute geradezu in sein Gegenteil zu verkehren, auch wenn er mit einer seiner Kernthesen völlig richtig liegt, wonach das "hervorstechendste Wegzeichen, an dem sich der politische Realismus in weiten Gebieten der internationalen Politik orientieren kann, ... der im Sinne von Macht verstandene Begriff des Interesses [ist]" (Morgenthau, 1963, S. 50).

Vom Weltstaat

321

bleme sind alle Staaten der Erde - egal ob Weltmacht oder Entwicklungsland als gleichwertig anzuerkennen. Wenn überhaupt Aussicht auf die Bewältigung der ökologischen Weltprobleme bestehen soll, die zugleich existenzielle Menschheitsprobleme sind, dann nur auf dem Wege der inter-nationalen, möglichst globalen Kooperation und der kollektiven Einigung auf die erforderlichen Mittel und Maßnahmen. Wenn es aber aus all diesen Gründen heute nicht mehr sinnvoll sein kann, das nationale "Heil" im "natürlichen Recht" zum Krieg zu suchen (vgl. Le, S. 99 f.), der inter-nationale Krieg sich nur noch als obsoletes Instrument zur Durchsetzung der eigenen Interessen erweisen kann, dann bleibt - streng genommen über Hobbes hinaus - nur die Alternative, als das oberste Gebot politischer Verantwortung in der heutigen Welt die Herstellung und Erhaltung des Weltfriedens bereits aus pragmatischen, je-eigennützigen Gründen zu akzeptieren - und damit auch die geeigneten Mittel zu seiner Sicherung. 169

4.2 Prinzip Mißtrauen oder Das (wahrscheinliche) Scheitern universaler Öko-Pakte Doch selbst wenn man dieser Argumentation zustimmt, so ist dennoch der Schluß auf die "Notwendigkeit des Welt-Leviathan" als dem probaten Instrument zur Herstellung und Erhaltung des Weltfriedens noch immer nicht zwingend. Denn schließlich könnte man argumentieren, sowohl der Weltfrieden als auch die erforderlichen globalen Maßnahmen zur Bewältigung der Weltprobleme könnten auch ohne eine Weltregierung auf der Basis multinationaler Verträge gesichert bzw. in Angriff genommen werden. So argumentiert etwa der amerikanische Vizepräsident AI Gore, der als erster Politiker in einem weltpolitischen Spitzenamt der Erhaltung der ökologischen Nische "Erde" absolute Priorität bemißt 170 , die Vorstellung von "einer Art Weltregierung" sei kategorisch zurückzuweisen, da sie "sowohl politisch unmöglich als auch praktisch undurchführbar [sei]". Grund: "Die Befürchtung, unsere [die amerikanischen; T.M.] Rechte könnten beschnitten werden, wenn wir auch nur einen Teil unserer Souveränität an eine übernationale In-

169 Vgl. dazu Birnbacher, 1988, S. 207. Entsprechend fordert auch Popper (1992, S. 205) im Hinblick auf unsere moralische Verantwortung für die Zukunft: "Unser erstes Ziel heute muß der Friede sein". 170 Was er in seinem Buch "Wege zum Gleichgewicht. Ein Marschallplan für die Erde" (1992) bemerkenswert engagiert und mit höchsten Ambitionen zu begründen weiß.

322

Möhrs 171

stanz abgeben, macht es absolut sicher, daß es nicht geschehen wird". Statt dessen setzt Gore seine ganze Hoffnung auf "internationale Vereinbarungen ..., die weltweite Maßstäbe für annehmbares Verhalten setzen; der Beitritt muß freiwillig erfolgen, allerdings in dem Wissen, daß die Vereinbarungen sowohl Anreize als auch juristisch wirksame Strafen bei Nichteinhaltung beinhalten", wobei ihm für die Rolle der Überwachung der weltweiten Beachtung dieser Vereinbarungen so etwas wie ein "ökologischer Weltsicherheitsrat" der UNO vorschwebt. 172 Und wenig später plädiert Gore für die "Schaffung politischer Rahmenbedingungen, die geeignet sind, den weltweiten Handlungsbedarf zu befriedigen, wenn der Umfang der Bedrohung deutlich wird". 173 Gore äußert sich jedoch nicht näher dazu, wie diese "Rahmenbedingungen" zur Regelung des globalen "prisoner's dilemma" konkret aussehen sollen; vor allem aber stellt er sich nicht der brisantesten Frage, wer das für die tatsächliche Geltung der globalen Öko-Verträge (möglicherweise) erforderliche "Schwert der Gerechtigkeit" führen sollte. Doch im Vertrauen darauf, daß der "natürliche amerikanische Glaube an die Erreichbarkeit aller gesteckten Ziele ... die Oberhand [gewinnt]", sieht Gore die "Rolle der USA" bei der Einführung und Durchsetzung des "Marschallplans für die Erde" als die der natürlichen Führerschaft - "denn niemand anderes kann oder will es tun". 1 7 4 Doch eine der wichtigsten Fragen ist natürlich, ob Amerika überhaupt als ökologische Führungsmacht in Frage kommt, da zum einen unsicher ist, ob sich diese letzte verbliebene Weltmacht selbst überhaupt als Vorbild und Vorreiter einer "Politik des Überlebens" sehen bzw. "einspannen" lassen will. Bisher scheint es - neueren Berichten zufolge - jedenfalls eher so zu sein, daß Umweltschutz in Amerika zumindest bis zum Ende der Ära Bush immer noch mehr als volkswirtschaftliche Gefahr denn als Chance galt. 175 171 Gore, 1992, S. 303; vgl. dazu die konträre Argumentation hoff/Miegel/Nölling/Reuter/Schmidt/Schröder/Thierse, 1992, S. 99.

bei

Dön-

172 Gore, ebd., S. 304; vgl. auch S. 323 (hier spricht Gore von einer "weltweiten Strategischen Umweltinitiative (Strategie Environment Initiative, SEI)), ebs. S. 361 f.; ähnlich Vossenkuhl, 1993, S. 18. 173 Gore, ebd., S. 308. 174 Gore, ebd., S. 318; vgl. auch S. 171, 173, 175, 340 f., 344, 355. 175 Vgl. dazu etwa Tenbrock, 1992, S. 41 ff.; in ähnlichem Tenor äußert sich auch Borgeest (1992, S. 75) zum "Umweltbewußtsein" der breiten amerikanischen Bevölkerung. Auch die Rolle der USA im Zusammenhang mit dem "Erdgipfel" von Rio im Juni 1992 gibt zum ökologischen Optimismus kaum Anlaß. Doch so realistisch diese skeptischen Einschätzungen auch sein mögen, sie können und dürfen dennoch kein Grund sein, die Hoffnung auf vernünftige Lösungen - und damit auch den unermüdlichen Appell an die Vernunft - resignierend aufzugeben.

Vom Weltstaat

323

Zum zweiten erscheint es als höchst fraglich, ob die Staaten des "Südens" - und nicht minder die Industrienationen Europas und Asiens - überhaupt bereit wären, eine solche "pax americana" zu tolerieren (abgesehen davon, daß fraglich ist, ob den USA nicht ohnehin "die Ressourcen für eine globale Hegemonie [fehlen]" 176 ). Bestünde nicht eher die Gefahr, daß jeder Versuch Amerikas, von sich aus eine ökologische "pax americana" anzustreben und durchsetzen zu wollen, einseitig als Öko-Imperialismus verstanden würde und daher (zumindest) eher eine Verschärfung des Nord-Süd-Konfliktes zur Folge haben müßte? 177 Zudem gibt es auch andere Stimmen. So weist etwa Thränhardt (1992, S. 220; siehe auch die Hinweise auf weiterführende Literatur, S. 233 f.) darauf hin, in den 70er Jahren habe es vor allem unter der Präsidentschaft Jimmy Carters in Amerika eine ausgesprochene Blütezeit der Umweltpolitik; gegeben, die erst mit der Festigung der konservativen Dominanz seit 1976 zugunsten wachstumsorientierten Wirtschaftsimperative verblaßte. Eine erneute "Wende" zugunsten einer "Politik der ökologischen Vernunft" sei daher nicht auszuschließen. Auch Richard von Weizsäcker (1992a, S. 93; vgl. ders., 1993, S. 6) vertritt diesbezüglich eine eher optimistische Ansicht: "Amerika ist im Laute dieses Jahrhunderts Schritt für Schritt und gegen immer neuen inneren Widerstand in seine Weltführungsrolle hineingewachsen, aus der es kein Entrinnen gibt. Gerade für Amerika gilt die schon erwähnte Untrennbarkeit zwischen Verantwortung und Eigeninteresse"; ähnlich argumentiert Czempiel, 1992 2 , S. 72-78; vgl. auch Schröder, H.-J., 1992, S. 122 ff. Und im Zusammenhang mit der amerikanischen Rolle im zweiten Golfkrieg vertritt Weizsäcker (1992a, S. 95) die Meinung, das amerikanische Engagement sei diesbezüglich auf die "Koinzidenz von notwendigem Schutz für das Völkerrecht mit den eigenen Interessen" zurückzuführen. 176 Czempiel, 1991 2 , S. 85. Dagegen vertritt Brzezinski (1994, S. 173) die Auffassung, die einzige Alternative zur amerikanischen Führung sei "die weltweite Anarchie". Und noch entschiedener fordert Karl Popper (1992, S. 208) angesichts des bedrohten Überlebens der Menschheit, wir sollten "uns bemühen, in [der] Pax americana so aktiv mitzuarbeiten, daß es eine Pax civilitatis wird". 177 Vgl. zu diesem letzteren Aspekt etwa Waller, 1990, S. 33; ebs. Wagner, 1992, S. 34. Aber auch hinsichtlich der Industrienationen (etwa in Europa) ist nicht zu übersehen, daß sie dann, wenn es unter ihnen zur Überlebensfrage kommen sollte, ebenfalls mindestens zwei Alternativen offenstehen: (1) Die allseitige Unterordnung unter eine kollektive (europäische) Regierung mit realer Zwangsgewalt aus Gründen der pragmatischen Vernunft. Und (2) der Rückfall in nationalistisch-militaristische Antagonismen wie sie zum Teil in Osteuropa zu beobachten sind. So gibt etwa Sommer, Th. (1992, S. 3) zu bedenken, das "künftige Europa [werde] differierende Grade der Dichte und Härte aufweisen". Unerläßlich sei jedoch ein "harter Kern", der den "'Weg ohne Umkehr' (Jean Monnet) nicht verlassen" dürfe, da ansonsten

324

Möhrs

Selbst wenn man die These nicht für zwingend hält, dieser verschärfte Konflikt müßte notwendig kurz- oder mittelfristig zum Ausbruch von multinationalen Öko-Kriegen oder gar einem ökologischen Weltkrieg führen, so erscheint es doch als sehr wahrscheinlich, daß die Bereitschaft zu globaler Kooperation und die Aussicht auf global gültige Öko-Pakte sich in einer solchen Atmosphäre des gesteigerten Mißtrauens minimieren würden. Doch genau dieser Effekt des Zeitverlustes wäre in Anbetracht der Dringlichkeit der zu bewältigenden Probleme als ein nicht minder großes Übel zu bewerten. Wenn im Hinblick auf die zu bewältigenden Weltprobleme für die "Leviathane im Naturzustand" heute die Hobbessche Gleichheitsbedingung gilt, dann bedeutet dies auch, daß in allen diesbezüglichen Konferenzen und beim Zustandekommen jeglicher internationaler Verträge und Abmachungen das Prinzip der Gleichberechtigung aller Staaten - gleichgültig ob Weltmacht oder Entwicklungsland - herrschen muß ("One State one vote"). auch MeaIn ähnliche Schwierigkeiten wie Gore geraten dows/Meadows/Randers bei ihrem Versuch, die praktische Realisierbarkeit ihrer Idee von einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft zu begründen. Zwar wird man den Autoren zustimmen, daß Pessimismus und Resignation die unpassendsten Reaktionen auf die Anforderungen unserer Zeit sind, doch ihre Vorstellung der "nachhaltigen Gesellschaft" gerät derart zu einer Hommage an den Konjunktiv ("würde", "könnte", "sollte", "bräuchte", "müßte" 178 ), daß sie eher als eine Wunschtraum erscheint denn als zwar utopisch anmutende, dabei aber dennoch realpolitische Perspektive. So spekulieren die Autoren etwa in einem Szenario darüber, was es bedeuten würde, wenn "die die Gefahr bestehe, "daß sich die Pandora-Büchse der eigenen [nationalistischen; T.M.]

Vergangenheit"

wieder

öffnen

könnte;

vgl.

auch

die

diesbezüglichen

Bedenken bei Brzezinski, 1994, S. 167 t'f.; ebs. Barber, 1994, S. 64. 178 Vgl. Meadows/Meadows/Randers, S. 250 ff. Den gleichen Fehler macht auch Gore bei der Formulierung der einzelnen - ohne jeden Zweifel sehr vernünftigen und vielversprechenden - Forderungen seines "Marschallplans" für eine "neue globale Ökonomie" (vgl. Gore, 1992, S. 343-355). Wenn die Welt heute - analog zur Situation nach 1945 - "wieder einmal am Scheideweg" steht, mit dem Unterschied, daß "wir [diesmal] bei uns selbst ein|marschieren! und ... das Ökosystem an[greifen], dessen Teil wir sind", weshalb sich das "Bild eines globalen Bürgerkriegs" abzeichne (ebd., S. 295), dann ist jedes "sollte" durch ein hartes normatives "muß" zu ersetzen. Ernst Ulrich v o n Weizsäcker ( 1 9 9 0 2 , z.B. S. 14 f.) formuliert zwar eine Fülle v o n sinnvollen und vernünftigen Vorschläge zur Abwendung der ökologischen Katastrophe in der gebotenen Schärfe; gleichwohl ist auch in seiner Arbeit ein eklatantes Defizit hinsichtlich der Frage festzustellen, wie er sich deren politisch-praktische U m - und Durchsetzung näherhin vorstellt.

V o m Weltstaat

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Menschen" im Jahr 1995 (!) eingesehen hätten, "welche Bedrohung weiteres Bevölkerungswachstum für das Wohlergehen ihrer Kinder darstellt" und ihr Verhalten entsprechend ändern würden. 1 7 9 Gleichzeitig gehen Meadows/Meadows/Randers aber - in diesem Punkt wohl sehr realistisch - davon aus, die "Wachstumsklischees in den Denkvorstellungen der meisten Menschen [müßten] erst einmal überwunden werden, bevor sich Vorstellungen über eine nachhaltige Gesellschaft entwickeln können", der Übergang zur Nachhaltigkeit könnte also nur "langsam und allmählich erfolgen", zumal nach Ansicht der Autoren zu ihrer Realisierung "die Ideen, Visionen, Talente und Erfahrungen von Milliarden Menschen dringend gefragt" sind. 1 8 0 Inwiefern unter diesen Voraussetzungen Szenarien auch nur ansatzweise realistisch sein sollen, die mit massiven Verhaltensänderungen ab 1995 rechnen, bleibt allerdings rätselhaft. Noch schwerer ist - nicht nur aus hobbesianischer Sicht - die Auseinandersetzung der Autoren mit der Frage nachzuvollziehen, wie denn eine "Welt der Bescheidung" institutionell gestaltet sein könnte, sollte und müßte: "Gegenwärtig trifft man öfter auf die seltsame Vorstellung, daß eine Welt der Bescheidung strikt zentralisiert reglementiert und regiert werden müsse. Solch eine Art der Kontrolle ist wohl unmöglich - aber auch nicht notwendig". 1 8 1 Wieso? Weil - so Meadows/Meadows/Randers - internationale Abkommen bestehen würden (wie etwa das zum Schutz der Ozonschicht), die "nicht die persönliche Freiheit einengen, [sondern] Freiheitsrechte viel eher schaffen und gegen diejenigen schützen [würden], die sie zerstören wollen. Das Verbot, Banken zu überfallen, beschränkt natürlich die persönliche Freiheit der Bankräuber, aber nicht die Freiheit derjenigen, die nie auf die Idee kommen, Banken auszurauben. Das Verbot schützt im Gegenteil die Freiheit, sein Geld auf die Bank zu tragen und es dort wieder abzuheben. Verbote gegen räuberische Ausbeutung von Ressourcen und gegen Umweltverschmutzung sind im Sinne der Freiheit genauso zu beurteilen". 1 8 2 Ob aber - analog zum innerstaatlichen Verbot des Bankraubes - so etwas wie ein zwischenstaatliches 179 Meadows/Meadows/Randers, 1992. S. 233 ff. 180 Meadows/Meadows/Randers, 1992. S. 251, 253. 181 Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 254; vgl. auch S. 196: "Man braucht keine Weltregierung, um globale Probleme zu lösen - wohl aber globale wissenschaftliche Zusammenarbeit, ein weltweites Informationssystem und ein anerkanntes internationales F o r u m mit der Kompetenz, Übereinkünfte zu entwickeln". Die Frage ist natürlich, was hier "anerkannt" besagen und wer im Zweifel dafür Sorge tragen soll, daß die Empfehlungen jenes Forums auch tatsächlich beachtet werden. 182 Meadows/Meadows/Randers. 1992. S. 254.

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"Schwert der Gerechtigkeit" erforderlich oder gar unerläßlich sein könnte, um derartigen Öko-Gesetzen Geltung zu verschaffen, oder der "Einsicht" von Menschen auch Taten folgen zu lassen, dieses Problem scheinen Meadows/Meadows/Randers überhaupt nicht zu sehen. 183 Interessant und aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang auch die Tendenzen zur Ausbildung eines "Neuen Institutionalismus" in der Theorie der Internationalen Politik.184 Diesen Forschungsansätzen geht es in erster Linie um die Analyse "internationaler Regime", d.h. um "internationale Arrangements für das kollektive Management von problematischen Handlungsinterdependenzen, d.h. von solchen Problemen, die gleichzeitig die Interessen mehrerer Staaten berühren und von einzelnen Staaten allein ohne Abstimmung oder ohne Zusammenarbeit mit anderen nicht adäquat oder überhaupt nicht gelöst werden können". 185 Es ist klar, daß im Zeitalter der engen wirtschaftlichen und technischen Vernetztheit internationaler Akteure eine Fülle von Handlungsinterdependenzen auftreten; die speziellere Frage des "Neuen Institutionalismus" lautet aber, "wie in einem System von souveränen Staaten, die über sich keine gemeinsame Autorität anerkennen, institutionelle Arrangements geschaffen werden können, mit denen die Staaten ihr Handeln so koordinieren, daß problematische Handlungsinterdependenzen bewältigt werden". 186 Diese Frage stellt sich aber vor allem in den Fällen, in denen einer prinzipiell möglichen, nicht institutionell abgesicherten Kooperation zwi183 Ganz anders - in diesem Punkt überraschend deutlich im Stile eines law-and-orderTheoretikers - fordert Popper (1992, S. 205) im Hinblick auf "Leute wie Saddam Hussein und ähnliche Diktatoren": "Wir dürfen hier nicht davor zurückschrecken, für den Frieden Krieg zu führen"; entspr. Hösle, 1991, S. 141: "das Recht zu ... Öko-Kriegen scheint mir aber zumindest internationalen Institutionen nicht abgesprochen werden zu können". An dieser Stelle drängt sich allerdings folgendes Argument Carl Schmitts (1932, S. 37) auf: "Den Krieg als Menschenmord verfluchen, und dann von den Menschen zu verlangen, daß sie Krieg führen und im Kriege töten und sich töten lassen, damit es 'nie wieder Krieg' gebe, ist ein manifester Betrug". Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Es kann also nicht darum gehen, den Krieg "an sich" zu verdammen - doch damit ist man wieder bei der alten und schwierigen Problematik, ob und wie man "gerechte" von "ungerechten" Kriegen unterscheiden kann. Diese Problematik kann hier nicht näher diskutiert werden; mit Hobbes könnte man allerdings auch hier argumentieren, daß eine letztgültige Antwort nicht möglich ist, sondern lediglich solche, die von den jeweiligen äußeren (und inneren) Bedingungen abhängig, also kontigent sind. 184 Vgl. dazu v.a. Keck, 1991, S. 635 ff.; March/Olsen, 1984, S. 738 ff. 185 Keck, 1991, S. 637. 186 Keck, ebd., S. 638.

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sehen internationalen Akteuren erschwerende oder behindernde Faktoren entgegenstehen. Aus soziobiologisch-spieltheoretischer Sicht erscheint es zwar durchaus als möglich, daß internationale Akteure auch ohne übergeordnete Autorität zu effektiver Kooperation finden können, jedoch nur dann und solange, als das vordergründige Eigeninteresse der kooperierenden Partner gewahrt ist und bleibt. Ist (oder scheint) diese Beachtung und Wahrung des jeweiligen Eigeninteresses jedoch gefährdet - etwa wenn die Gefahr besteht, einen "free rider" mitschleppen oder im Vergleich zu den anderen Partnern eine unverhältnismäßig hohe Leistung erbringen zu müssen -, droht die Kooperation zu scheitern. Dies ist - übertragen auf die Ebene internationaler Akteure 187 - exakt der Mechanismus, den Hobbes als ursächlich für das Scheitern eines jeden Versuchs annahm, auf der Basis intersubjektiver Moral dem interindividuellen Naturzustand zu entkommen. Dieser "Neue Institutionalismus" hat nun - so der Politikwissenschaftler Otto Keck - den immensen Vorteil, daß er es erlaubt, drei der wichtigsten Denkschulen innerhalb der Theorie der Internationalen Politik zu integrieren: Realismus, Globalismus und Funktionalismus. 188 Der auf Thukydides und Machiavelli (auch Hobbes könnte hier ohne weiteres genannt werden) zurückgehende "Realismus" geht von zwei grundlegenden Fakten internationaler Politik aus: a) Dem Fehlen einer supranationalen politischen Autorität mit realer politischer Zwangsgewalt, b) Dem labilen Charakter zwischenstaatlicher Solidarität. Diese beiden Fakten kann man mit Hobbes als die wesentlichen Charakteristika des zwischenstaatlichen Naturzustandes kennzeichnen - mit der bekannten Konsequenz, daß Staaten je selbst für ihre "individuelle" Erhaltung sorgen müssen und sich zu diesem Zweck aller Mittel bedienen dürfen, die sie "nach eigenem Urteil und eigener Vernunft" dafür als geeignet erachten (vgl. Le, S. 99). Der politisch-ökonomische "Globalismus" sieht das grundlegende Faktum der Weltpolitik in der eklatanten ökonomischen Ungleichheit zwischen den Staaten. Dieser Denkansatz bemüht sich in erster Linie um die Analyse der für dieses Faktum verantwortlichen Strukturen, die sich daraus entwickelnden internationalen "Klassenbeziehungen" und die damit einhergehende Stabilisierung der ökonomischen Abhängigkeit der "Dritten Welt".

187 Eine Übertragung, die etwa Keck (a.a.O., S. 639 f.) für legitim und fruchtbar hält; vor allem deshalb, weil sie es erlaubt, den Staat im Rahmen von spieltheoretischen "Rational-Choice-Ansätze[n]" (ebd., S. 645) als einheitlichen Akteur zu modellieren; vgl. Falger, 1987, S. 238. 188 Vgl. Keck, a.a.O., S. 640 ff.

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D e r auf Grotius zurückgehende Begriff "Funktionalismus" steht für den Gedanken, die Staaten untereinander könnten auf der Basis vertraglicher Abmachungen (oder auch internationaler Organisationen mit allgemein anerkannter, limitierter Autorität) zur friedlichen Konfliktregelung g e l a n g e n . 1 8 9 Eine Synthese von "Realismus" und "Funktionalismus" leistet der "Neue Institutionalismus" nun insofern, als er "funktionalistisch in den Resultaten, aber realistisch in den Prämissen [ist]". 1 9 0 Das heißt: Es wird realistisch akzeptiert, daß im Verhältnis der Staaten zueinander z u m einen eine übergeordnete zentrale Autorität fehlt und zum zweiten die Staaten w i e Individuen egoistisch ihre Interessen verfolgen (Zumindest insoweit ist also die Logik des "Neuen Institutionalismus" geradezu verblüffend "hobbesianisch".). Genau auf diesen Prämissen aufbauend - insbesondere der v o m unhintergehbaren "Staats-Egoismus" - ist es jedoch nach Ansicht des "Neuen Institutionalismus" möglich, institutionelle Strukturen zur Kooperation der Staaten zu schaffen, w o b e i dieser Funktionalismus sich auf die Hoffnung stützt, "daß internationale Organisationen durch ein immer dichter werdendes Netz v o n Konfliktregelungen auf nicht-militärischen Gebieten wie Wirtschaft, Verkehr und

189 Auch Thränhardt (1992, S. 229, 231) setzt seine Hoffnung darauf, der "zunehmend integrierte Weltmarkt" könne auch humanitären Organisationen globalen Zuschnitts zunehmend bessere Erfolgsbedingungen verschaffen, und letztlich könnten "Weltpluralismus und Weltöffentlichkeit ... die Alternative zu den älteren Ideen der Weltrepublik und des isolierten Nationalstaats sein"; Hoffmann-Nowotny (1991^, S. 30 f.) geht davon aus, heute werde ohnehin "die Formel von der 'einen Welt', der Welt als Weltgesellschaft, in zunehmendem Maße Realität", was er vor allem auf die '"Kolonisierung' der Welt durch die hochentwickelten Nationen", bzw. die "Diffusion des Struktur- und Kulturmodells" derselben zurückführt, die zu einer "Werthomogenisierung oder kulturellefnj Integration der Welt" geführt habe. Diese These mag einen relativ hohen Erklärungswert hinsichtlich der Gründe für die weltweiten Migrationsbewegungen von Süd nach Nord haben, doch für die hier vertretene soziobiologisch-hobbesianische Theorie ist sie bereits zu überreflektiert. Der einzige "homogene" Wert, der auf der Basis dieser Theorie angenommen werden kann, ist der der Selbsterhaltung in Freiheit, Sicherheit und (relativem) Wohlstand. Die Migrationen von Süd nach Nord setzen keinerlei kulturelle Integration voraus (die beiderseitigen Schwierigkeiten der Integration vom Immigranten in den westlichen "Gast"ländern spricht eine deutliche Sprache dagegen), sondern lediglich ein ausreichend starkes Gefälle zwischen arm und reich; Migration ist zunächst und zumeist (Über)lebensstrategie. Der Verhungernde muß nicht erst um westlichen Wohlstand und westliche Werte wissen, um mit seiner Lage so unzufrieden zu sein, daß er alles versucht, ihr zu entkommen (siehe dazu Habermas, 1993, S. 3). 190 Keck, 1991, S. 642.

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Technik die Einzelstaaten so stark interessenmäßig miteinander verknüpfen, daß zunehmend auch die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen reduziert wird". 191 Den "Globalismus" kann der "Neue Institutionalismus" aus einem naheliegenden Grund ebenfalls integrieren: Vorausgesetzt, die Aufrechterhaltung oder sogar Verschärfung der zwischenstaatlichen ökonomischen Ungleichheiten könnte angesichts bestehender und drohender - vor allem ökologischer und demographischer - globaler Probleme zu einer Situation führen, in der letztlich alle nur verlieren können, "das Interesse aller verfehlt wird" 192 , ist die Einbeziehung "globalistischer" Überlegungen naheliegend, ja sogar dringend geboten. Mit Hobbes gesprochen: Im Interesse der Sicherheit und des relativen Wohlergehens des (globalen) Ganzen ist es unerläßlich, "daß sowohl die Reichen und Mächtigen als auch die Armen und Unbekannten ihr Recht bekommen" (Le, S. 262) - was für ihn unter anderem besagt, daß "die Steuergleichheit eher in der gleichen Besteuerung des Verbrauchs als in der Besteuerung der Vermögen der Verbraucher" zu liegen hat und diejenigen Menschen, die "durch unvermeidbare Zufälle unfähig geworden sind, sich selbst durch eigene Arbeit zu ernähren, ... auf Grund staatlicher Gesetzgebung wenigstens mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werden" sowie die Menschen gezwungen werden müssen, "enger zusammenzuwohnen" und "sich jedes Fleckchens mit Geschick und Arbeit anzunehmen, damit es ihnen ... ihre Nahrung gibt" (Le, S. 264). Fest steht jedoch - was wiederum eine höchst "realistische" Annahme ist -, daß es keine quasi-teleologische "prästabilisierte Harmonie" zwischen den Staaten gibt, die für das Optimum der erreichten oder noch zu erreichenden Arrangements garantieren könnte; vielmehr ist die Suche nach geeigneten Lösungen für problematische Handlungsinterdependenzen immer (relativ) prekär. Eine Theorie, die wie der "Neue Institutionalismus" in der Lage ist, mehrere Denkansätze in der diesbezüglich höchst pluralistischen Theorie Internationaler Politik fruchtbar zu integrieren, scheint jedenfalls zu Recht als ein "neues Paradigma" gelten zu dürfen, zumal ihre Schwachstellen zugleich Stellen der Entwicklungsfähigkeit aufzeigen. 193 Und eines der wichtigsten Defizite jenes "neuen Paradigmas" besteht nach Keck darin, daß es "die Analyse und Operationalisierung von Machtbeziehungen in internationalen Beziehungen" 194 bisher noch nicht geleistet hat. Aber genau diese Frage, wie bei 191 192 193 194

Keck, 1991, S. 642. Keck, 1991, S. 643. Vgl. Keck, 1991, S. 646 f. Keck, 1991, S. 646.

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der gleichzeitigen Akzeptanz der "realistischen" Prämissen die Konstitution und Durchführbarkeit von Macht in internationalen Regimen bzw. in der "Weltgesellschaft" erreicht werden kann, ist für die Zukunft der Menschheit womöglich entscheidend. Und aus der hier vertretenen "hobbistisch-biopolitischen" Sicht drängt sich sowohl im Hinblick auf Gores "Marschallplan" als auch hinsichtlich der "nachhaltigen Gesellschaft" von Meadows/Meadows/Randers als auch bezüglich der "funktionalistischen" Komponente des "Neuen Institutionalismus" vor allem die fundamentale Frage auf, wer für die Einhaltung der geforderten internationalen Öko-Pakte und der mit ihnen einhergehenden Ge- und vor allem Verbote aufgrund welcher Legitimationsbasis garantieren sollte. Die Vorstellung vom Zustandenkommen einer ökologisch nachhaltigen Politik im globalen Maßstab alleine auf der Basis von Freiwilligkeit, gegenseitigem Vertrauen und moralischer Einsicht muß vor dem Hintergrund des hobbesianischsoziobiologischen Menschenbild als völlig illusorisch zurückgewiesen werden. 1 9 5 Und der wesentlichste Grund dafür ist der gleiche, der es den Hobbesschen Individuen im Naturzustand unmöglich macht, alleine auf der Basis individueller moralischer Erkenntnis und Willenskundgebung dem Naturzustand entkommen zu können: Auch für die Leviathane im Naturzustand gilt, daß es im höchsten Maße unvernünftig sein könnte, sich gemäß den Gesetzen der Vernunft zu verhalten. 196 Entsprechend lautet eines der Standardargumente für die "Unmöglichkeit" des ökologisch vernünftigen Umbaus einer na195 Willms (1987, S. 186 ff.) will Hobbes' Lehre von Gelten der "Gesetze der Vernunft" im Völkerrecht offensichtlich nur in diesem Sinne verstanden wissen. Im Naturzustand der Leviathane - den Willms immerhin für den "klassische[n] Fall" hält müßten demnach die Geltung und Beachtung jener Gesetze ohne übergeordnete, sanktionsmächtige Autorität erreichbar sein, was für den Naturzustand der Individuen nach Hobbes gerade bestritten wird. Nimmt man aber die Souveräne als die "letzten verbliebenen Wölfe" (was sie nach Hobbes als natürliche Personen zweifelsohne sind), dann ist nicht einzusehen, wieso sie - etwa dann, wenn sich die Knappheitsbedingung des Naturzustandes infolge von Bevölkerungswachstum und Ressourcenverknappung massiv verschärft - über eine "höhere" Vernunft verfugen sollten, die das Scheitern der Friedensbemühungen auf der Basis inter-individueller Moral verhindern könnte. Nimmt man als Beispiel nur den europäischen Kontinent, so belegt seine blutige Geschichte, die sich über Jahrhunderte von Krieg zu Krieg schleppte, eher das Gegenteil. Es leuchtet also nicht ein, wieso Willms diesen Schlüsselgedanken der Hobbesschen Philosophie hier völlig außer acht läßt. 196 Zur hobbesianischen Skepsis im Hinblick auf moralische Lösungen internationaler Probleme siehe v. a. Cohen, 1984, S. 300 f., 319-329; vgl. aber auch Kersting, 1992b, S. 166 f.

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tionalen Wirtschaft, man manövriere sich damit auf internationaler Ebene lediglich in die Wettbewerbsunfähigkeit, da "die anderen" (unmittelbare Konkurrenten um Marktanteile) sich eben nicht vernünftig verhalten (könnten) und diese Form eines ökonomischen Selbstmordes könne "im Ernst von keinem Unternehmer verlangt werden". 197 Dieses Argument ist völlig berechtigt! Mit Hobbes formuliert: Wer im weltökonomischen Krieg aller gegen alle zuerst den Gesetzen der ökologischen Vernunft gemäß handelt, "gibt... sich nur seinen Feinden preis - entgegen dem unverzichtbaren Recht auf Verteidigung seines [wirtschaftlichen Überlebens] und auf die zur Fristung seines Lebens notwendigen Mittel" (Le, S. 105).198 Somit geraten die Leviathane in genau das gleiche Dilemma, in dem sich auch die Hobbesschen Individuen im Naturzustand befinden: Befolgen sie als einzelne die Gesetze der Natur, verletzen sie (möglicherweise) deren erstes; befolgen sie sie nicht, gilt das gleiche. Dennoch besteht heute auf der Ebene der Leviathane ein gravierender Unterschied: Während sie durch die Nichtbefolgung der ökologischen "Gesetze der Vernunft" ihrer Primärpflicht, "salus populi" (und damit ihren eigenen Bestand) zu sichern und zu fördern, mit größter Sicherheit zuwiderhandeln, gilt dies für die Befolgung jener "Gesetze" nur möglicherweise. Doch es ist eben nicht zu erwarten, daß einzelne Staaten diese Option wählen - zumal damit hinsichtlich der dringend erforderlichen globalen Anstrengungen nicht viel gewonnen wäre. 197 Horster, 1993, S. 62; vgl. dazu auch Efinger/Rittberger/Wolf/Zürn, 1990, S. 278 f.; Weizsäcker, E.U., 1990 2 , S. 76 ff.; Winsemius/Guntram, 1992, S. 13 f.; Homarrn, 1993, S. 34 ff.; Kuhn, 1994, S. 171 ff. Eppler (1993, S. 130) spricht dagegen in diesem Zusammenhang mit Blick auf den geforderten ökologischen Umbau der deutschen Marktwirtschaft vom "Totschlagargument 'Standort Deutschland'", obwohl jeder wissen, "daß dies 'grober Unfug' sei". 198 Wenn also Kant (1978 2 , XI, S. 212 f. [BA 38 ff.]) letztlich von seiner Idee eines "Völkerstaat[es]" Abstand nimmt, weil die einzelnen Staaten "dieses ... durchaus nicht wollen, mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwerfen" und anstelle "der positiven Idee einer Weltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll) ... das negative Surrogat eines den Krieg abwehrenden, bestehenden, und sich immer ausbreitenden Bundes" empfiehlt, so kann ihm mit seinen eigenen Argumenten entgegengehalten werden: Zum einen herrscht in jenem "Völkerbund" die "beständigen Gefahr [des] Ausbruchs" der "rechtscheuenden, feindseligen Neigung", des "Furor impius intus" (ebd., S. 213 [BA 40]) - eine Gefahr, die durch sich verschlechternde externe Bedingungen potenziert wird! Und zum zweiten ist es in der Tat "gar nicht zu verstehen, worauf ich ... das Vertrauen zu meinem Rechte gründen wolle", wenn '"ich keine oberste gesetzgebende Gewalt erkenne, die mir mein, und der ich ihr Recht sichere'" (ebd., S. 212 [BA 37]).

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Der Gedanke an eine einseitige Durchsetzung etwa seitens eines ökologischen "Weltpolizisten" Amerika scheint aus den bereits erwähnten Gründen nicht als sonderlich sinnvoll oder erfolgversprechend. Für den Fall aber, daß ein Öko-Weltsicherheitsrat der UNO diese Rolle übernehmen sollte, der tatsächlich mit globaler Weisungskompetenz und realen Machtmitteln ausgestattet und daher kein de-facto-Spielball der führenden UNO-Mitgliedstaaten wäre, so hätte dieser Sicherheitsrat bereits eindeutig Charakterzüge eines "Welt-Leviathan" - und das Hobbessche Modell wäre faktisch verwirklicht. Doch deshalb, weil es eine solche Institution (noch) nicht gibt und vor allem deshalb, weil es im Zusammenhang mit den anstehenden ökologischen Weltproblemen um höchst problematische und komplexe Handlungsinterdependenzen geht, in denen vor allem vordergründige ökonomische Interessen der reichen Industrienationen zugunsten "höherrangiger" Überlebensinteressen zurückgestellt werden, die Industrienationen erhebliche finanzielle und strukturelle Vorleistungen zugunsten der Entwicklungsländer erbringen müßten, in denen aber auch von den Entwicklungsländern massive Verhaltensänderungen zu fordern wären 199 , erscheint es bis dahin als realistisch, mit Hobbes zu bedenken, daß Verträge im "reinen Naturzustand" unwirksam werden, sobald ein "vernünftigefr] Verdacht" besteht, die andere Vertragspartei wolle ihre Verpflichtung nicht erfüllen (vgl. Le, S. 105); und dieser Verdacht ist im reinen Naturzustand, in dem "Gewalt und Betrug ... die beiden Kardinaltugenden" sind (Le, S. 98), faktisch immer angebracht.200 Entsprechend 199 Denn Reichel (1994, S. 245 f.) zieht sicher nicht völlig zu Unrecht aus seiner differenzierten Analyse der Entwicklungshilfeproblematik das Fazit, die "gegenwärtige Misere vieler Staaten der Dritten Welt" sei "weitgehend [ein] hausgemachtes Problem", obwohl natürlich die ungerechten Bedingungen der Weltwirtschaftsordnung diese Misere zusätzlich verschärften. Dennoch dürfe man nicht einäugig die Schuld nur bei den Industrienationen und deren "neokolonialistischer" Dritte-Welt-Politik suchen, sondern realsieren, daß "in erster Linie gravierende wirtschafts- und entwicklungspolitische Fehler, die von den Regierungen nach dem Ende der Kolonialzeit begangen wurden", Ursache für die Mißstände seien. 200 Vgl. dazu etwa Thränhardt, 1992, S. 220: "Nationale Lösungsversuche können zu nationalen Kosten führen, eventuell auch zu Nachteilen gegenüber den wirtschaftlichen Konkurrenten, die dann auch noch Gewinn aus der Vernünftigkeit anderer Teilnehmer schlagen können [Es könnte eben - analog zum inter-individuellen Naturzustand bei Hobbes - als unvernünftig erscheinen, entsprechend den Gesetzen der (ökologischen) Vernunft zu handeln; T. M.]. Handelt es sich um einen kleinen Staat oder ein kleines Unternehmen, so mag der eigene Beitrag für das Gesamtergebnis gar nicht wesentlich ins Gewicht fallen und deshalb sinnlos scheinen. Selbst bei einem hohen Grad internationaler Kooperation können free-rider-Eifekle entstehen,

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lautet die Folgerung aus dieser Hobbesschen Erkenntnis übertragen auf die heutige Situation der "Leviathane unter sich": Selbst dann, w e n n alle StaatsIndividuen das Elend ihres Naturzustandes ebenso wie die geeigneten Mittel z u m Ausgang aus dieser Situation erkannt und eingesehen haben, gibt es keine Hoffnung auf Frieden und Sicherheit, solange nicht Ehr-, Macht- und Rachsucht der M e n s c h e n durch das "Schwert der Gerechtigkeit" im Zaum gehalten werden, durch das allein einzelnen Staaten die Angst g e n o m m e n b z w . die Sicherheit g e g e b e n werden könnte, sich durch ihr Wohlverhalten nicht "[ihren] Feinden auszuliefern". 2 0 1 wenn sich einige Marktteilnehmer nicht an Absprachen beteiligen oder sich nicht daran halten". Demnach würde sich die Überlegung als trügerisch erweisen, wonach die Staaten untereinander zwar notwendig im Naturzustand verbleiben, doch dies nicht unbedingt auf die allgemeine "Verelendung" im Sinne Hobbes' hinauslaufen müsse, da die Staaten doch unter- bzw. gegeneinander die Hobbesschen "articles of peace" anerkennen könnten, "[which] are the lifeline to which sovereign states in the international anarchy must cling if they are to survive" (Bull, 1981, S. 728). Denn das Problem ist doch, wie die Staaten reagieren werden, wenn die Gefahren für die je eigene Existenz wachsen, ohne daß sie sicher sein könnten, daß die Nachbarstaaten jene "articles of peace" weiterhin beachten werden. Müßte man dann nicht nach Bull ebenfalls die Hobbessche Konsequenz ziehen: "Kann er ihn [den Frieden; T.M.] nicht herstellen, so darf er sich alle Hilflnittel und Vorteile des Krieges verschaffen und sie benützen" (Le, S. 99 f.)? Aber genau diese (höchst realistische!) Konsequenz ist aus den angeführten Gründen heute als obsolet und selbstzerstörerisch zurückzuweisen. 201 Es ist das heute zwischen den Staaten - zum Teil! - wirksame "Prinzip des Ultimatums". Ein Saddam Hussein wird vor die Alternative gestellt, entweder seine Kriegsbeute fahren zu lassen, oder aber sich der militärischen Vernichtung seitens der UN-Streitkräfte (die freilich de facto US-Streitkräfte waren) preiszugeben. Vergleichbar ist auch die Situation im ehemaligen Jugoslawien, wo die Einhaltung des sog. "Vance-Owen-Plans" durch eine UN-Sicherheitstruppe gewährleistet werden sollte. Diese Sicherheitstruppe hätte hier als das "Schwert der Gerechtigkeit" fungieren sollen, ohne das der Vertrag erst recht das Papier nicht wert wäre, auf dem er geschrieben stand. Die Hobbessche Formulierung (El, S. 134, Ziff. 5) trifft die Situation recht präzise: "... ein Mann [Staat] kann sich dann für sicher halten, wenn er voraussieht, daß ihm keine Gewalt angetan wird, von welcher der Täter [ein Aggressor-Staat] nicht durch die Macht jenes Herrschers [der UN-Streitmacht] abgeschreckt werden kann, dem sich jeder einzelne von ihnen unterworfen hat ...". Was im Verhältnis der heutigen Staaten freilich noch fehlt ist [mindestens] zweierlei: Zum einen kann kein Staat voraussehen, daß der "Herrscher" ihn im Falle eines völkerrechtswidrigen Angriffs schützt (so etwa im Falle Bosnien-Herzegowinas, dem gegen die serbische Ok-

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Möhrs U n d auch aus soziobiologischer Sicht stellt sich die Frage,

"warum e s

keine kulturelle Überformung bislang vermochte, die M e n s c h e n v o m Krieg und Gruppenkampf abzuhalten und warum uns der gesittete, vernünftige U m gang mit der Natur und mit der technischen Zivilisation nicht will"

202

, obwohl

gelingen

man d o c h davon ausgehen kann, daß alle M e n s c h e n flr d e n

Frieden und gegen

den Krieg, für ein glückliches L e b e n in einer g e s u n d e n

U m w e l t und gegen

die Zerstörung, Hunger und Elend s i n d . 2 0 3 U n d die kon-

sequente Antwort der S o z i o b i o l o g e n lautet, daß es unser evolutionäres Erbe ist, das u n s e r e m Verhalten bestimmte, nicht beliebig (!) überspielbare Grenz e n setzt. Unserer genetischen Konstitution entsprechend sind wir disponiert zu e i n e m Ingroup-Outgroup-Schema,

zu kurzsichtigem Eigennutz,

Macht-

akkumulation und der aggressionsauslösenden Angst vor F r e m d e n und F r e m kupation und die "ethnische Säuberung" weder seitens der UNO noch seitens der EU ein effizienter Schutz gewährt wurde). Es fehlt also - weil das "Schwert der Gerechtigkeit" fehlt - die Rechtssicherheit. Zum zweiten aber fehlt die allgemeine Unterwerfung unter eine "Herrschaft", die tatsächlich ihren "Untertanen", den Mitgliedsstaaten, Rechtssicherheit gewähren könnte. Die Konsequenz aus diesen Mängeln läßt sich wieder mit Hobbes angeben: " . . . ohne jene Sicherheit gibt es keinen Grund für einen Mann [Staat], sich seiner eigenen Vorteile zu entäußern und sich zu einer Beute für andere zu machen" [El, S. 134]). 202 Mohr, 1992, S. 4. Möhrs These, die im Hinblick auf aktuelle zwischenstaatliche Konflikte und das zerstörerische Verhältnis zwischen Mensch und nichtmenschlicher Natur evidentermaßen zutrifft, ist aber dennoch insofern zu widersprechen, als kulturelle Überformungen es in der Geschichte der Menschheit sehr wohl vermocht haben, Menschen von Krieg und Gruppenkampf abzuhalten (Ebenso ist die Behauptung sicher zu hart, Menschen hätten es nie verstanden, "vernünftig" mit den Ressourcen der von ihnen jeweils bewohnten ökologischen Nischen umzugehen, sich als abhängigen Teil eines Öko-Systems zu verstehen). Schließlich lebt das von seiner genetischen "Software" auf ein Leben in face-to-face-Gruppen "programmierte" Lebewesen "Mensch" zu einem großen Teil in mehr oder weniger stabilen und befriedeten Massengesellschaften - wobei die Stabilität und Sicherheit dieser Gesellschaftsformationen in erster Linie auf kulturelle Überformungen (im weitesten Sinne), Modifizierungen oder die "Domestizierung" der nach wie vor (auch) eigennützig-mißtrauisch-aggressiven Menschen-Natur zurückzuführen sind. Der Umstand, daß diese kulturellen Leistungen im Makrokosmos der zwischenstaatlichen Verhältnis und im globalen Maßstabe der Mensch-Umwelt-Relation bisher noch nicht erbracht werden konnten, muß also keineswegs zu dem fatalistischen Schluß zwingen, sie zu erreichen sei schlechterdings unmöglich. Die Frage ist vielmehr, ob die bisherigen kulturellen Versuche, diese existentiellen Schwierigkeiten zu meistern, nicht deshalb scheitern mußten, weil sie auf einem falschen Menschenbild aufbauten. 203 Vgl. dazu etwa Gadol, 1983, S. 414.

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d e m 204 Und eben deshalb erscheint aus soziobiologischer Sicht die Hobbessche Einschätzung als völlig realistisch, daß soziale Gebilde jenseits der Ingroup-Begrenzung nur dann stabil sein können, wenn sie über eine sanktionierbare, durchsetzungsfähige Rechtsordnung, eben über das Hobbessche "Schwert der Gerechtigkeit" verfugen, durch das der soziale Friede, Stabilität und Sicherheit einer Sozietät garantiert werden können. 205 Und dies gilt für Gesellschaftsgründungen auf gleichsam höherer, d.h. zwischengesellschaftlicher oder inter-nationaler Ebene - wenn das hier zugrundeliegende Menschenbild zutrifft - nicht minder. Man mag also durchaus der skeptischen These zustimmen, die Vorstellung von der Möglichkeit supranationaler Institutionen mit realer politischer Zwangsgewalt nach der Hobbesianisch-Kantischen "Idee eines ursprünglichen gesellschaftlichen Vertrages" sei eingedenk der Tatsache, daß es nach wie vor "die Ausgangsbedingungen des Soziallebens wie Knappheitsproblematik und das psycho-logische Bedürfnis der Abgrenzung der Gruppe [sind], welche die Zyklen von Krieg und Frieden in Gang halten" 206 , in hohem Maße optimistisch; doch andererseits wird man nach dem bisher gesagten auch anerkennen müssen, daß es zu diesem Optimismus keine sinnvolle Alternative gibt zumal dann, wenn man eine (radikalisierte207) sozialdarwinistische Praxis und 204 Vgl. etwa Krell, 1992, S. 19 f. Er weist auf die "Sprengwirkung" des Asylthemas in allen Staaten Westeuropas hin, die vor allem auf die '"tiefgreifende politische und ideologische Krise Europas'" zurückzuführen sei. Die Erfahrung, das Spüren der Krisensymptome führe nun - vor allem bei Jugendlichen mit geringen Zukunftsperspektiven - in einem Reflex zu zunehmender Fremdenangst und wachsender Aggressionsbereitschaft. 205 Vgl. die entsprechende Interpretation bei Höffe, 1981b, S. 122; zur ethologischen Sichtweise Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 274. 206 Meyer, 1983, S. 67; zum fatalen Fehler, die Tatsache der Knappheitsbedingungen einfach wegzudefinieren und etwa für die Bundesrepublik Deutschland ein Zuwanderungsrecht ohne jegliche Begrenzungen zu fordern, vgl. Krell, 1992, S. 21 f. 207 Diese Formulierung impliziert im Hinblick auf das eklatante Wohlstandsgefälle zwischen den Völkern der Ersten und der Dritten und Vierten Welt sowie den sich für letztere rapide verschlechternden "terms of trade" im Welthandel sehr bewußt die These, daß wir uns bereits seit geraumer Zeit in einer Situation des faktisch gelebten Sozialdarwinismus (durch unterlassene Hilfeleistung) befinden: Die (einstweilen) "besser angepaßten" Staats-Individuen der Ersten Welt haben - zu einem erheblichen Teil auf Kosten der Dritten Welt - entsprechend den Darwinschen Prinzipien ein hohes - freilich trügerisches! - Maß an "Fitneß" erreicht; die an ihre sich rasant verändernden ökologischen Nischen schlecht angepaßten Staats-Individuen der Dritten Welt siechen entsprechend dahin (zur differenzierten Diskussion dieser ethischen

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daraus sich zwangsläufig entwickelnde Öko-Kriege und Öko-Diktaturen (als Hobbessche Staaten im "natürlichen" Sinn) weder als sinnvoll noch als wünschenswert noch als erfolgversprechend erachtet. Problematik siehe Singer, 1984, S. 215-247, insbes. S. 220 ff.). Nun ist es keineswegs so, daß die "fitten" Staaten der Ersten Welt mit ihrer angeblich ebenfalls hochentwickelten, zivilisierten "Moralität" nennenswerte Anstrengungen unternähmen, den schwachen "Fremden" zu helfen - diese Hilfe ist in nennenswerter Form erst dann zu erwarten, wenn die eigenen Überlebensinteressen der Staats-Individuen der Ersten Welt spürbar in existentieller Weise mit denen der Dritten Welt verknüpft wären. Ein Beispiel: Der an sich vernünftigen bzw. "gerechten" Überlegung diverser Entwicklungsländer, nach dem Verursacherprinzip seien die reichen Staaten der Erde verpflichtet, für die etwa durch Kohlendioxid- oder Fluorchlorkohlenwasserstoff-Emissionen weltweit entstandenen Schäden auch in entsprechendem Maße Schadensersatz (z. B. in Form von Darlehen für ökologisch sinnvolle und erträgliche Investitionen; vgl. zu dieser Forderung Stichel, 1991, S. 142, 145, 147 f., 154 ff.) zu leisten, wird erst dann von den reichen Ländern entsprochen werden, wenn sie zu der Einsicht gezwungen sind, daß dieser Schadensersatz bzw. die Schadensbegrenzung in ihrem ureigensten Interesse liegt. Diese - sicherlich harten - Thesen ließen sich auch mittels einer Analyse der Schuldenpolitik der reichen westlichen Gläubigerstaaten gegenüber den Schuldnern in der Dritten Welt oder den "Schwellenländern" abstützen. Nicht von ungefähr ist bei einigen Theoretikern der Internationalen Beziehungen in diesem Zusammenhang von einer "globalen Apartheid" die Rede (siehe etwa Matthies, 1992, S. 8 ff., 13 f.). Zur "Schuld der Gläubiger" am Elend der überschuldeten Länder der Südhalbkugel der Erde sowie der ökonomischen Doppelmoral der Industrienationen siehe Wernicke, 1992e, S. 15 ff.; ebs. Engelhardt, 1985, S. 6 f.; Arnold, 1990, S. 81 ff.; Stiftung Entwicklung und Frieden, 1991, S. 111-126; Emmer, 1991, S. 95 ff.; HoffmannNowotny, 1991 2 , S. 31 f.; Andersen/Langmann, 1992, S. 143 ff.; Bellers, 1991 2 , S. 106 f.; Krell, 1992, S. 23 f.; Gore, 1992, S. 279 f., 299 f.; Schöps, 1993, S. 149 f.; 152 f.; Klüver, 1993a, S. 140 ff.; massiv in seiner Kritik auch Hauchler, in: SPD-Parteivorstand, Diskussionspapier, S. 6, 8; entsprechend stellen auch Efinger/Rittberger/Wolf/Zürn (1990, S. 277) die sehr berechtigte Frage, ob nicht "beispielsweise das fraglos interne 'IWF-Umschuldungs- und Austeritätsregime' nicht eine Regelung darstellt, die extreme innergesellschaftliche Ungerechtigkeiten, Kosten und Widerstände bei einigen Regimeteilnehmern hervorruft und somit, indirekt, ... auch zur Destabilisierung des Friedens in verschiedenen Regionen der Dritten Welt beiträgt". Wenn also - wie es in einem Beschluß des Fachausschusses Entwicklungspolitik der deutschen Regierungspartei CDU (1984, S. 5) heißt - der "westliche Beitrag zur Entwicklung der Dritten Welt ein Test auf die Glaubwürdigkeit der Grundwerte unserer politischen und sozialen Ordnung ist", dann muß der "Test" als bisher nicht bestanden bewertet werden; vgl. auch die fast gleichlautende Formulierung in: SPD-Parteivorstand, 1992b, Ziff. 1.

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Daraus ergibt sich unmittelbar das aktuelle, rein pragmatische und sich alleine am Kriterium des (eigenen) Überlebens orientierende "hobbesianische" Argument für einen "Weltstaat". Ausgehend von der Überzeugung, daß das Schicksal der Erde in der Hand des Menschen liegt, müßte der erste hypothetische Imperativ eines angemessenen Weltethos lauten: "Wenn wir überleben wollen, müssen wir global effizient kooperieren". 208 Weil das unveränderte Verbleiben im zwischenstaatlichen Naturzustand für alle Beteiligten katastrophale Auswirkungen hätte, die Alternative "Öko-Krieg" heute für alle Staaten ebenso obsolet wie kontraproduktiv wäre und die Hoffnung auf eine echte moralische Universallösung aus der Sicht des hier vertretenen Welt- und Menschenbildes als völlig illusorisch zu verwerfen ist, deshalb gilt heute für jeden Staat - wie für die Hobbesschen Individuen im Naturzustand - "daß er um seiner Selbsterhaltung willen in eine - jetzt: [supra-; T.M.] staatliche Gemeinschaft eintreten muß, die jenseits ihrer koexistenzverbürgenden Funktion keinerlei Sittlichkeitsdimension aufweist". 209 Im Hobbesschen Modell stehen wir an der Stelle der Individuen, die den Ausweg aus ihrem elenden Naturzustand suchen - ob wir ihn finden, wird davon abhängen, ob wir uns weiterhin nur als Wesen mit hochentwickeltem technischen Verstand gebärden, oder ob wir unsere "wahre Menschlichkeit" ganz im Sinne eines Hobbes - auch durch den funktionalen Einsatz von Vernunft unter Beweis stellen können. Mehr noch: Wenn man davon ausgeht, daß bisher praktisch alle Staaten auf "natürliche" Gründungsakte im Hobbesschen Sinne zurückzuführen sind 210 , dann stehen wir heute vor der Situation, erstmals eine konstitutive, 208 Vgl. etwa Falger, 1987, S. 239; ähnlich bereits Corning, 1976, S. 151. 209 Kersting, 1992a, S. 29. Ob allerdings der Hobbessche Staat tatsächlich "keinerlei Sittlichkeitsdimension" außer der bloßen Koexistenzsicherung aufweist, kann bezweifelt werden, denn immerhin weist Hobbes ausdrücklich darauf hin, mit der vom Staat zu garantierenden persönlichen "Sicherheit" seiner Untertanen, sei "nicht die bloße Erhaltung des Lebens gemeint, sondern auch alle anderen Annehmlichkeiten des Lebens, die sich jedermann durch rechtmäßige Arbeit ohne Gefahr oder Schaden für den Staat erwirbt" (Le, S. 255). Zudem legt die Formulierung in "De Cive" (S. 59), wonach sich die Bürger im Staat "durch Gerechtigkeit und Liebe ... der Ähnlichkeit mit Gott" näherten, die These nahe, daß Hobbes - auch in diesem Punkt eher Idealist und "Prä-Kantianer" - den Staat auch als die Möglichkeitsbedingung der moralischen Besserung und Vervollkommnung des Menschen betrachtete. 210 Eine Einschätzung, die etwa auch Weizsäcker, R. (1992a, S. 121) zu teilen scheint, wenn er den bisherigen Erfolg des europäischen Integrationsprozesses als beispiellos (!) "in der europäischen und wohl auch in der Weltgeschichte" bezeichnet; zur Unumkehrbarkeit und weltpolitischen Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses

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auf Vernunfterkenntnis beruhende Gründung zu vollziehen und damit Hobbes' "idealistisches"211 Konzept zu realisieren. Wir stehen sogar vor der doppelten Notwendigkeit: Erstens, weil die Nicht-Gründung übergeordneter Institutionen gleichbedeutend ist mit fortgesetzter Nicht-Kooperation - und diese wieder gleichbedeutend mit ökologisch-demographischen Katastrophen unabsehbaren Ausmaßes; und zweitens, weil die Alternative des Krieges (aller gegen alle) und der "natürlichen" Staatsgründungen im Zeitalter militärtechnischer "Overkill"-Kapazitäten keine mehr ist. Die "Logik des Leviathan" ist offensichtlich unerbittlich - weshalb McLeans pragmatische Empfehlung hier nur ausdrücklich bekräftigt werden kann, "gute Miene zum bösen Spiel [zu] machen und - alle Argumente durchgespielt - den Leviathan [zu] ertragen". 212

III. Der "Super-Leviathan" - naive Utopie oder alternativloser "Ausgang der Not"? Die Vorteile, die ein solcher Super-Leviathan hinsichtlich der zu bewältigenden Weltprobleme theoretisch mit sich bringen könnte, sind evident (v.a. Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit213; Möglichkeit zur Planung, gesetzlichen Regelung und effektiven Durchsetzung globaler sowie zur Koordinierung und Konditionierung regionaler Maßnahmen, soweit diese global relevant sind; Möglichkeit zur Regelung und Steuerung des Interessenausgleichs zwischen strukturstarken und -schwachen Teilen der Welt; bessere Kontrolle globaler Wirtschaftsorganisationen; effizientere Bekämpfung des weltweiten organisierten Verbrechens usw.). Auch die technische Machbarkeit effizienter globaler Institutionen dürfte in einer Zeit, da die weltweiten Informations- und vor allem Kommunikationsmöglichkeiten die Welt zum "globalen Dorf" 214 schrumpfen lassen, keine

211 212 213

214

sowie der Notwendigkeit einer stärkeren west- bzw. gesamteuropäischen "Ordnungsmacht" siehe auch ebd., S. 100 ff., 108, 117-132; vgl. dazu Falger, 1987, S. 239 f. Tönnies, 1975, S. 225. McLean, 1985, S. 51. Im Sinne Hobbes': "so muß es auch zur Befugnis derselben herrschenden Gewalt gehören, den gemeinsamen Maßstab festzusetzen und bekanntzumachen, nach dem jeder wissen kann, was ihm gehört und was nicht, was gut ist und was böse, was er zu tun hat und was nicht, zu befehlen, daß dieselben gehalten werden" (El, S. 136). Tetzlaff, 1992, S. 126; vgl. Jonas, 1989, S. 33; Gore, 1992, S. 370.

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unlösbare A u f g a b e darstellen.215 ¡ s t

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moderner Kommunikationstechnologie,

nicht e i n h ö c h s t b e d e u t s a m e r E f f e k t daß heute prinzipiell jeder

Mensch

M i t g l i e d u n s e r e r "Ingroup", und damit auch potentieller "Gegenstand" u n s e rer s o z i a l e n N e i g u n g e n , u n s e r e s "altruistischen" W e s e n s w e r d e n k a n n - und sei es via Fernseher?

D a z u - k o n s e q u e n t auf der B a s i s

soziobiologischer

T h e o r e m e a r g u m e n t i e r e n d - der Historiker und P h i l o s o p h M i c h a e l R u s e : "I would

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Africa".216

a

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moral

A u c h Birnbacher

hebt d i e s e n U m s t a n d ausdrücklich hervor, heute k ö n n e das "räumlich u n d sozial F e r n e . . . durch e i n e Fernsehreportage ' n a h e g e b r a c h t ' , die D i s t a n z z u m historisch Z u r ü c k l i e g e n d e n durch V e r g e g e n w ä r t i g u n g überbrückt w e r d e n " . 2 1 7 215 Siehe dazu etwa Sperry, 1985^, S. 21 f., 65-75. Es erscheint allerdings nicht als unbedenklich, die menschliche Möglichkeit des massiven Eingreifens in alle Naturprozeße ohne weiteres als "von Menschenhand gelenkte[s] Kontrollsystem" zu bezeichnen (ebd., S. 21), da eben heute immer mehr fraglich wird, was der Mensch überhaupt unter Kontrolle hat, bzw. ob nicht die Vorstellung von der beliebigen Kontrolle und Beherrschbarkeit der Natur ein gewaltiger und gefährlicher Trugschluß ist. M a n sollte also Sperrys euphorischen Ausbruch, in der technischen Macht des Menschen liege ein enormes, vielleicht sogar "grenzenloses Potential für einen utopischen, die ganze Erde umfassenden Fortschritt", zumindest nicht unkritisch hinnehmen. Denn die Frage ist heute mehr denn je, ob wir dieses sicherlich große menschliche Potential in angemessener Weise zu nutzen wissen - wobei der "utopische Fortschritt" zudem der primären Aufgabe der Überlebenssicherung nachzuordnen bzw. in funktionale Relation zu setzen ist. 216 Ruse, 1989, S. 219; vgl. zu dieser Argumentation auch Singer, 1983; Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 232, 272 ff.; Ike, 1987, S. 232 ff.; entspr. führt Lütterfelds (1993c, S. 23, 27 f.) den Umstand, daß uns die strenge "Universalisierung etwa des Tötungsverbotes oder des Altruismus" bisher nicht gelungen sei, auf die "bisherigen evolutionären Überlebensbedingungen" zurück, die "eine solche Ausweitung der Norm-Inhalte verhindert haben". Lütterfelds weist aber auch darauf hin, die "gegenwärtig sich vollziehenden radikale Wandlung dieser Bedingungen diktierfe] die Notwendigkeit einer neuen Konzeption der Norm-Inhalte"; vgl. entspr. Mohr, 1993, S. 21 ff. 217 Birnbacher, 1988, S. 195; auch Czempiel (1991 2 , S. 107) schreibt den "Medien" eine entscheidende Rolle bei der Bewußtseins- und Themenbildung der sich entwickelnden "Gesellschaftswelt" zu. Wie sehr diese Möglichkeit der "Nahebringung" gegeben ist und wie prägend mithin das Ingroup-Outgroup-Schema für die Moralfähigkeit heutiger Menschen noch immer ist, läßt sich etwa am Beispiel der interna-

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Schließlich existiert mit der UNO (bzw. dem UN-Sicherheitsrat) bereits eine (höchst komplexe!) Organisation, die für "die Rolle der Quasi-Weltregierung, die ihm 1945 zugedacht worden war" 218 , prädestiniert ist. Natürlich bedürfte es dazu einer grundlegenden Reform dieser Organisation, die vor allem in einer prinzipiellen Aufwertung ihrer Kompetenzen zum Ausdruck kommen müßte, doch wichtig ist im Hinblick auf die Realisierbarkeit einer "Weltregierung" zunächst, daß es diese organisatorische wie auch "ideologische" Basis überhaupt gibt. Es bleibt die Frage, welche "Nachteile der Regierung für den Untertan" (El, S. 161; Ci, S. 74 f.) zu erwarten wären. Hobbes ist freilich der Meinung, solche Nachteile bestünden "im allgemeinen überhaupt nicht, wenn wir die Sache recht überlegen" 219 ; gleichwohl sieht er aber "zwei allgemeine Übelstände", die den Geist der Untertanen "beunruhigen" könnten: a) Den Verlust der Freiheit. Aber dieser Verlust kann nach Hobbes nicht als Nachteil gelten, wenn die menschliche Freiheit ambivalent ist und gleichsam nur in ihrer Preisgabe gesichert werden kann. Zwar hat - so Hobbes "außerhalb des Staates jeder eine gänzlich ungeschränkte, aber auch nutzlose Freiheit; denn wer um seiner Freiheit willen in allem nur so handelt, wie es ihm beliebt, der muß auch wegen der gleichen Freiheit der anderen alles, was diesen beliebt, sich gefallen lassen" (Ci, S. 174). Auch das Argument, die Untertanen befänden sich gegenüber dem oder den Inhabern der Souveränität doch in einer "sehr elenden Lage, da sie den Begierden und anderen zügellosen Leidenschaften dessen oder derer ausgesetzt seien, die eine so unbegrenzte Macht in Händen halten" (Le, S. 143 f.), läßt Hobbes nicht gelten, da er meint, jede Regierungsform sei als Zustand tionalen Solidaritätswelle mit dem kurdischen Volk nach dem "Golfkrieg" im ersten Halbjahr 1991 aufzeigen. Sobald aber die technische Einbeziehung der Kurden in den sozial-ethischen "Nahbereich" via Fernsehen, Tageszeitung und Polit-Magazin ausblieb, brach auch die Solidarität mit dem "objektiv" nach wie vor leidenden kurdischen Volk unvermittelt ab - die Kurden waren im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr "in". 218 Czempiel, 1991 2 , S. 79. Zur künftigen Rolle der U N O vgl. auch Brzezinski, 1994, S. 259: "Die Zeit der Vereinten Nationen ist gekommen. Nur innerhalb des Gefüges dieser weltweiten Organisation können die gemeinsamen Probleme der Menschheit gemeinschaftlich in Angriff genommen werden". 219 Vgl. dazu Hume, 1978, S. 241: "Mögen aber auch die einzelnen den Rechtsnormen entsprechenden Akte dem allgemeinen oder dem Privatinteresse zuwiderlaufen, so ist doch sicher, daß der ganze Aufbau oder das System derselben für die Erhaltung der Gesellschaft und die Wohlfahrt des einzelnen höchst nützlich, ja unbedingt erforderlich ist. Man kann [nun einmal] das Gute unmöglich von dem Übel trennen".

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der (relativen) Rechtssicherheit und sozialen Ordnung dem allgemeinen Chaos des "Krieges aller gegen alle" vorzuziehen (vgl. Le, S. 144). Bedenkt man, daß sich als Alternative zur Vision einer Weltregierung heute "das Bild eines globalen Bürgerkriegs ab[zeichnet]" 220 , der mit Sicherheit - abgesehen von den vielfältigen Schrecken und der Not, die er per se mit sich bringen müßte die "Weltprobleme" ungelöst ließe und folglich zu einer allgemeinen Verschlechterung der Überlebensbedingungen führen müßte, dann wird man die Plausibilität und auch die Aktualität des Hobbesschen Argumentes kaum bestreiten können. b) Die Unsicherheit des Eigentums. Aber auch dies ist nach Hobbes' Überzeugung kein eigentlicher Nachteil, da es im Naturzustand noch weniger, nämlich überhaupt keine Sicherheit des Eigentums gebe und diese erst mit dem Staat und der durch ihn begründeten Rechtssicherheit entstehen könne. 221 Auch diesbezüglich ließe sich heute argumentieren, in einem "globalen Bürgerkrieg" um immer knapper werdende Ressourcen müßte jedes Vertrauen in die Sicherheit territorialer Grenzen und sonstiger überlebensrelevanter Besitztümer hinfällig werden. Was allerdings unbedingt zu beachten ist - und von Hobbes in seiner Bedeutung nicht erkannt wird -, ist der Umstand, daß die Menschen ihren Freiheitsverlust, aber mehr noch ihre (möglichen) Einbußen an materieller "Lebensqualität" als negativ empfinden, die Gründe nicht einsehen (wollen) und deshalb unzufrieden werden. 222 Gesetzt die Notwendigkeit, der internationale Zusammenschluß von Staaten zu supranationalen Institutionen mit realer Zwangsgewalt müßte im Zuge der gerechteren sozialen und ökonomischen Güterverteilung ebenso wie im Zusammenhang mit der Aufbringung der zur Bewältigung der ökologischen und demographischen Weltprobleme erforderlichen Mittel (zumindest zunächst) mit der Minderung des (materiellen) Lebensstandards in den wohlhabendsten Mitgliedsstaaten dieses Bundes einhergehen, dann ist - nach einem Kernsatz der Hobbesschen Anthropologie - in den betroffenen Staaten mit sozialen Spannungen, Unruhen und Aufruhr zu rechnen, da bereits - so Hobbes - die "Furcht vor Mangel" zum Aufruhr disponiert (El, S. 190). Das bedeutet: Den Menschen in den be220 Gore, 1992, S. 295. 221 Vgl. zu diesem "bürgerlichen" Aspekt der Hobbesschen Philosophie v.a. die Interpretation von Macpherson, 1967. 222 Zur Einsicht Hobbes' in die zu erwartenden Widerstände seitens der Individuen für den Fall, daß die aus dem "Naturgesetz" abgeleiteten moralischen Regeln den individuellen Leidenschaften (d.h. vor allem dem Prinzip Eigennutz) widersprechen, siehe aber Strauss, 1956, S. 187.

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troffenen Staaten müßte entweder die Notwendigkeit dieser Standard-Minderung einsichtig gemacht werden, oder aber die Regierungen dieser Staaten müßten sich auf die zu erwartenden Widerstände in entsprechender Weise vorbereiten (was im Klartext wohl heißen würde: "rüsten"). 223 Doch mit diesen Überlegungen ist nichts weniger genannt als die wahrscheinlich wichtigsten und schwerwiegendsten Angriffspunkte eines skeptischen Zweiflers an der Möglichkeit einer Weltregierung. 224

1. Technische Machbarkeit versus anthropologische Unmöglichkeit? "Unser Leben hat eine globale Dimension bekommen. Immer mehr multinationale Organisationen umspannen die Welt; internationale Transaktionen der Banken und großer Konzerne spinnen Fäden von Kontinent zu Kontinent; Satelliten und Elektronik, Fernsehen und Telefax eröffnen ganz neue Möglichkeiten der Kommunikation. Die wirtschaftliche und vor allem die finanzielle Verflechtung ist viel umfassender, als die meisten Menschen wahrnehmen. Wie durch ein riesiges Netz sind die Kontinente miteinander verknüpft. Auch die Probleme sind weltumspannend: Bewahrung der Natur, Energiebeschaffung, Sicherheit, Arbeitslosigkeit, Terrorismus, Drogensucht ... Man könnte 223 Vgl. Werner, 1991, S. 261; auch hier wird wiederum deutlich, daß Werner kaum daran denken kann, die von ihm als einzig tauglich vorgeschlagene Strategie des europäischen "Einigeins" könnte in der "Festung Europa" mit demokratischen Mitteln durchgesetzt und durchgehalten werden. 224 Ohne Zweifel bleiben hier viele Fragen offen, die eine Fülle weiterführender, detaillierterer, originär politikwissenschaftlicher Untersuchungen zu einer Vielzahl weiterer Probleme erforderlich machten. So etwa die Frage nach der Möglichkeit der Herstellung von Legitimität sowie eines tragfähigen Minimalkonsenses in einem solchen "Weltstaat" oder die wichtige Frage, wie in ihm die Willensbildung, vor allem bei strittigen Situationen, ohne Gefahr für die Systemstabilität organisiert werden könnte etc. Von der positiven Beantwortung dieser Fragen hängt letztlich die Antwort auf die Frage ab, ob ein "Weltstaat" überhaupt eine realistische Option internationaler Politik sein kann. Andererseits: Wenn man - was eine der zentralen Thesen dieser Arbeit ist - akzeptiert, daß sich die heutige Situation der "Leviathane unter sich" als den Bedingungen der hobbesianischen Systemgründung analog darstellen läßt und daraus die alternativlose Notwendigkeit der Schaffung supranationaler Institutionen mit realer politischer Zwangsgewalt ableitet, dann handelt es sich bei den genannten weiteren Probleme um Folgeprobleme-, und die Auseinandersetzung mit ihnen steht gleichsam unter der pragmatischen Apriori-Annahme, daß ihre Lösung möglich ist.

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also meinen, die Gemeinsamkeit sei sichergestellt. Aber ganz im Gegenteil findet eine Renationalisierung, also eine Aufsplitterung statt". 225 In diesem Zitat kommt das ganze Dilemma der heutigen Menschheit zum Ausdruck, das sich nach der Lehre der Soziobiologen zumindest auch auf das Spannungsverhältnis zwischen den faktisch gegebenen selektiven Überlebensbedingungen einerseits und der individuellen, genotypischen menschlichen Moral- bzw. Sozialfähigkeit andererseits zurückführen läßt. Der in unserer Zeit gegebenen objektiven Notwendigkeit und technischen Machbarkeit globaler Institutionen in einer zum "globalen Dorf" geschrumpften Welt steht der (einzelne) Mensch mit seinem engen Ingroup-Outgroup-Schema gegenüber. 226 Die "pathologische Sorglosigkeit"^^, mit der wir nach Hans Mohr die Tragekapazität der Erde in existentiell bedrohlichem Ausmaß überforden und so den Planeten in einer Weise ausplündern, daß er als ökologische Nische für das Überleben unserer Gattung in absehbarer Zeit (zumindest in weiten Teilen) nicht mehr geeignet sein wird, ist demnach maßgeblich auf die genetisch bedingte Beschränktheit unseres ratiomorphen Apparates zurückzuführen, die es uns zum einen - nach einer zentralen These der Evolutionären Erkenntnistheorie 228 - nahezu unmöglich macht, etwa exponentielles Wachstum, chaoti225 Dönhoff/Miegel/Nölling/Reuter/Schmidt/Schröder/Thierse, 1992, S. 98; vgl. entspr. Welsch, 1992, S. 11; ebs. Krell, 1992, S. 3; Guehenno, 1994, S. 39-58, 59-72. 226 Sperry (1985^, S. 22 f.) formuliert diesbezüglich, der Mensch habe "zwar neue, fast gottähnliche Möglichkeiten der Kontrolle über die Natur erlangt", er nutze "diese Möglichkeiten aber weiterhin mit Hilfe einer relativ kurzsichtigen, ganz und gar nicht göttlichen Wertskala ..., deren Wurzeln einerseits in überlebten biologischen Rudimenten der steinzeitlichen Evolutionsphase und andererseits in verschiedenen Mythologien und Ideologien liegen, die auf nicht viel mehr als Glauben, Phantasie, Wunschdenken, veränderten Bewußtseinszuständen und Intuition beruhen"; vgl. Falger, 1987, S. 240 ff.; Wuketits, 1993b, S. 214 ff.; Wilson, 1993, S. 142 f.; sehr interessant auch Barbers Ortung der heutigen Menschheit im antagonistischen Verhältnis "zwischen Dschihad und McWorld" (Barber, 1994, S. 64). 227 Mohr, 1986, S. 8. 228 Die Evolutionäre Erkenntnistheorie erklärt unsere intellektuellen Eigenschaften als partiell isomorphe Anpassungen an den "Mesokosmos" der Wirklichkeit, die bisher ausreichten, d.h. adaptiv genug waren, unser Überleben zu ermöglichen. Ähnlich wie wir Licht nur in einem bestimmten Wellenlängenbereich "sehen", akustische Signale nur in einem bestimmten Frequenzbereich "hören" können, so rechnen wir auch aufgrund dieser spezifischen "Angepaßtheit" unserer genetisch implementieren Strukturen der Wirklichkeitserkenntnis beispielsweise stets "automatisch" mit Kategorien wie starker Kausalität, Regelmäßigkeit und Stetigkeit, während es für andere

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sehe Strukturen, s c h w a c h e Kausalität und nichtlineare P r o z e s s e intuitiv z u verstehen b z w . überhaupt wahrzunehmen und der wir z u m z w e i t e n die D i s position "verdanken", uns in unserem D e n k e n und Verhalten in aller Regel innerhalb eines relativ eng begrenzten Nahbereiches zu b e w e g e n . W i r sind - so Hans M o h r - genetisch auf das Überleben in überschaubaren Kleingruppen unter d e n Überlebensbedingungen des Pleistozäns eingerichtet und stehen d e n A n f o r d e r u n g e n der uns heute u m g e b e n d e n - und größtenteils v o n uns so geschaffenen! - U m w e l t im schlechtesten Sinne genetisch untauglich geg e n ü b e r . 2 2 9 Wir sind insofern in der Tat "Sklaven der S i e g e g e w o r d e n , die [wir] über die Materie und die belebte Natur erfochten h a b e n " . 2 3 0 D e m z u f o l g e sieht der frühere niedersächsische Umweltminister W e r n e r R e m m e r s zurecht den wichtigsten Grund dafür, warum sich die Politik in d e n entwickelten Industrienationen bei der Bekämpfung globaler G e f a h r e n s o s c h w e r tut, vor allem darin, daß die M e n s c h e n in d i e s e n Staaten ihr einmal - eben nichtlineare - Phänomene wie auch für die Wahrnehmung komplexer sozialer Strukturen jenseits des ursprünglichen Nahbereiches keineswegs in gleichem Maße entsprechende, isomorphe, "passende" Strukturen in unserem Erkenntnisapparat gibt. Zur Unfähigkeit, exponentielles bzw. nichtlineares Wachstum sowie chaotische und besonders komplexe Strukturen unmittelbar zu erfassen, siehe etwa Lorenz, 1977, S. 18 ff.; Wurm, 1991, S. 13, 25-127; ebs. Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 35-45; ähnlich Gruhl, 1992 2 , S. 299. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Überlegungen von Stachowiak (1983, S. 344 f.), der angesichts der Bedrohtheit des Menschen eine radikale Pragmatisierung jeglicher Wissenschaften, bzw. eine "systematische!] Theorienpragmatik" im Sinne Stegmüllers fordert. Den damit einhergehenden "' Paradigmenwechsel"' deutet er im Sinne der Evolutionären Erkenntnistheorie (und - was Stachowiak nicht erwähnt - natürlich auch der Evolutionären Ethik und der Soziobiologie): "Es ist, als habe die List der Vernunft unseres Weltssystems, ich meine: des Weltsystems, das uns terrestrisch zugänglich und erfahrbar ist, mit seinem Eintreten in globale Gefährdungen gleichzeitig auch die kognitiven und vielleicht auch die moralischen Innovationen hervorgebracht, die notwendig (wenn vielleicht auch nicht hinreichend) sind, um das System überlebensfähig zu halten". Abgesehen davon, daß Stachowiak hier eine aus soziobiologischer Sicht unzulässige Teleogisierung des "Weltsystems" vornimmt, steht diese Äußerung in einem krassen Widerspruch zur These vom zu überwindenden "prudential lag", den Stachowiak kurz zuvor (ebd., S. 343 f.) beklagte, denn die zweite, teleogisierende These läßt ja eher den Schluß zu, daß dieser "prudential lag" prinzipiell bereits überwunden ist. 229 Vgl. etwa Mohr, 1983, S. 19 f.; ders. 1986, S. 6 f.; ebenso Vogel, 1986, S. 501 f.; Lorenz, 1977, S. 226 ff., 239; Lenk, 1993, S. 310 ff.; zur Erläuterung dieser "Kluft" siehe Markl, H., 1982, S. 646 ff. 230 Gruhl, 1992 2 , S. 370.

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erreichtes "Wohlstandsniveau stets als gefährdet [empfinden]", wobei der Umstand hervorzuheben ist, daß der Maßstab für den "Wohlstand" oder die "Lebensqualität" nahezu ausschließlich materiell definiert wird. 231 Remmers sieht auch klar: Das ökologische Engagement der reichen Staaten Mitteleuropas ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß "andere existentielle Probleme" weitgehend gelöst sind, dieses Öko-Engagement jedoch in dem Moment wieder schlagartig schwinden könnte, sobald damit materielle Einschränkungen verbunden wären - man leistet sich die Moral, die man sich leisten kann (und will). 232 Doch auch in nicht unmittelbar existentiell bedrohlichen Situationen ist dieses Phänomen leicht feststellbar. So scheint etwa der Umstand, daß der Wiederaufbau Ostdeutschlands ohne massive reale Verzichtsleistungen Westdeutschlands auf absehbare Zeit nicht zu leisten ist, zu der besorgten Überlegung geradezu zu nötigen, die Demokratie stehe "vor allem bei der westlichen Mehrheit auf dem Prüfstand ... Wird die Demokratie dort auch dann akzeptiert werden, wenn sie sich nicht mehr durch Wohlstandsmehrung legitimieren kann? Oder: War die bisherige westliche Akzeptanz der grundgesetzlichen Ordnung nur auf individualistischen Egoismus gegründet, der andere Wege geht, wenn dies nicht mehr gewährleistet ist...?". 2 3 3 Auch Dieter Birnbacher, der in seiner "Verantwortung für zukünftige Generationen" 234 für einen "intergenerationellen Nutzensummenutilitarismus" 231 Remmers, 1989, S. 36. 232 Vgl. analog dazu die aufschlußreichen Angaben bei Krell (1992, S. 22), wonach in den westlichen Industrienationen "in der Ausländerfrage ... die Solidarität umgekehrt zur Klassenlage [verläuft]: besonders asylfreundlich sind die, die es sich materiell und intellektuell leisten können". 233 Dönhoff/Miegel/Nölling/Reuter/Schmidt/Schröder/Thierse, 1992, S. 70. 234 Birnbacher, 1988. Das vielleicht beste Argument für eine ethisch-pragmatische Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen nennt Leicht (1993, S. 1), indem er darauf verweist, schließlich rechneten auch wir mit den kommenden Generationen, wenn es darum geht, ihnen "massive Staatsschulden" und die Last unserer Altersversorung zu überschreiben. Jonas' Überlegung, wonach dann, wenn die Zukünftigen die ihnen geschuldete Rechenschaft einfordern könnten, "wir, die Schuldigen, nicht mehr da [seien]" (1989, S. 55), trifft heute nicht mehr (generell) zu. Es handelt sich demnach für uns bereits um eine Frage der Reziprozität. Denn wie wollen wir vor unseren Nachkommen den Anspruch auf Versorgung rechtfertigen, wenn unsere heutige Leistung für sie maßgeblich darin besteht, Schuldenberge anzuhäufen und ihre natürlichen Lebensgrundlagen wegen unserer kurzfristigen Interessen derart zu zerstören, daß ihre Lebensqualität erheblich gemindert sein wird? Umgekehrt: Wenn zukünftige Generationen Träger von Rechten sind, dann muß man ih-

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plädiert, stellt sich die Frage nach den "anthropologische[n] Grenzen der Zukunftsverantwortung". 235 Den Befunden der Soziobiologie ("Doppelmoral" entsprechend dem Ingroup-Outgroup-Schema) räumt er hierbei "eine heuristische Funktion" ein. Was jedoch den Menschen betrifft, dessen Verhalten - so Birnbacher - "durchweg außer von Instinktresten und unmittelbar sinnlich präsenten Reizen auch von situationsfernen, rein gedanklichen Vorstellungen motiviert wird", so lasse sich "aufgrund rein biologischer Erfahrungen nicht behaupten, daß der menschlichen Solidarität unverrückbare Grenzen gesetzt sind, die durch kulturelle Lernprozesse nicht überwunden werden könnten". 236 Jedenfalls hält Birnbacher die Auffassung für schwer begründbar, "eine universalistische Fernethik [liege] aus biologischen Gründen jenseits des Menschenmöglichen". Allerdings hat Birnbacher den soziobiologischen Thesen außer derartigen Behauptungen nichts entgegenzusetzen. Auch versäumt er es, an dieser Stelle seiner "Zukunftsethik" auf eines der zentralen soziobiologischen Argumente einzugehen, wonach nämlich bisher keine idealistische, den Rahmen der erweiterten Ingroup zu sehr übersteigende oder gar universalistische Ethik eine erfolgreiche Anwendung gefunden hat; er tut dies jedoch wenig später im Zusammenhang mit den möglichen "psychologischen Grenzen" der Moral, wenn er feststellt: "Kaum jemand, der in der Geschichte der Menschheit universale Brüderlichkeit gefordert hat, hat diese auch zu leben vermocht". 237 Zudem muß Birnbacher auch einräumen, die moral-restriktive genetische Grundlage menschlichen Verhaltens manifestiere sich "in Streß- und Notsituationen". Doch Birnbacher entgeht offenbar die Brisanz gerade dieser Äußerung im Hinblick auf die zu erwartende Zuspitzung der globalen ökologischen Problematik. nen auch das Recht zubilligen, unberechtigte Ansprüche ihnen gegenüber abzuwehren; wenn wir aber bereits jetzt auf ihre Kosten ohne Rücksichten gemäß den Prinzip "Nach uns die Sintflut!" leben, welchen berechtigten Anspruch auf Versorgung wollen wir dann in Zukunft gegenüber unseren Gläubigern geltend machen? Gesteht man - etwa in Anlehnung an Jonas (1989, S. 84) - den zukünftigen Generationen dagegen keine Rechte zu, dann wird man ihnen konsequenterweise auch keine Pflichten zusprechen dürfen und so erst recht keine Ansprüche gegenüber ihnen erheben können. Zur Diskussion um die "Gerechtigkeit gegen künftige Generationen" als "Tauschgerechtigkeit" siehe auch Höffe, 1993, S. 179-188. 235 Birnbacher, ebd., S. 101 ff., 190 ff. 236 Birnbacher, ebd., S. 192. 237 Birnbacher, ebd., S. 194; zur einschlägigen Kritik an idealistischen Ethik-Konzeptionen siehe etwa Leinfellner, 1993, S. 49 f., 52 ff.; Craemer-Ruegenberg, 1993, S. 173 ff.; Wuketits, 1993a, S. 223 ff.

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Doch was folgt daraus, wenn man die soziobiologische Thesen wirklich ernst nimmt? Muß man dann nicht zu dem naturalistischen Schluß gelangen, die bereits mehrfach angesprochene massive Kritik Gehlens an jener un-menschlichen "Hypermoral" sei letztlich nicht nur prinzipiell berechtigt, sondern schlicht der Ausdruck eines unhintergehbaren anthropologischen Faktums, das zugleich eine ultimative Grenze menschlicher Moralfähigkeit markiert? Und ist nicht dementsprechend sein tiefes Mißtrauen gegenüber dem friedlichen Miteinander der Menschen in einer pluralistischen Massengesellschaft ebenso berechtigt? Zwar bestehe - so Gehlen - im Normalfall in einer pluralistischen Gesellschaft so etwas wie eine "ethisches Durchschnittsklima", das durch das leidliche - wenn auch potentiell spannungsgeladene - Nebeneinander unterschiedlichster Moralvorstellungen (dem " natürliche[n] praktisch-moralische[n] Durcheinander") gekennzeichnet sei. 238 Dieses labile Gleichgewicht könne jedoch "unter kollektiver Belastung" leicht zerbrechen: Solange die Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft in relativer materieller Absicherung leben, werden die latenten moralischen Differenzen nicht zu erheblichen Konflikten führen. Sobald aber kollektive Belastungen (etwa Krieg, große Naturkatastrophen oder die existenziell bedrohliche Ressourcenverknappung) auftreten, können sich die moralischen Positionen verfestigen und radikalisieren und in der Folge als Anlaß für scharfe Konfrontationen, Intoleranz und im Zweifel auch Gewalttätigkeit und massive politisch-soziale Destabilisierungen einer pluralistischen Gesellschaft dienen. 239 Im Extremfall 238 Vossenkuhl (1993, S. 12) spricht von "Normalbedingungen der Natur", die jedoch keineswegs garantiert seien. 239 Vgl. zu diesem Gedanken auch Guehenno, 1994, S. 24 ff. Reizvoll wäre es aber auch, einmal der These nachzugehen, wonach auch ein dauerhafter und stabiler Friede bei gleichzeitigem relativ hohen durchschnittlichen Lebensstandard sehr wohl gewisse Destabilisierungstendenzen in einer pluralistischen Gesellschaft auslösen kann oder notwendig auslösen muß. Geht man nämlich von der Überlegung aus, daß Staaten zunächst und primär Zweckgemeinschaften sind, in denen sich ursprünglich getrennt lebende Gruppen zusammenschließen, um etwa einem gemeinsamen Feind mit vereinten Kräften standhalten zu können, dann stellt sich die Frage, wie es um die integrative Stabilität dieser Staaten dann bestellt ist, wenn der ursprüngliche Zweck erfüllt ist, bzw., wenn der zur Integration nötigende Feind nicht mehr (als Bedrohung) existiert. Ist es nicht eine naheliegende Vermutung, daß die Menschen (als ursprüngliche Kleingruppenwesen) in einer solchen Situation dazu neigen, die individuelle Identifikation als Mitglied eines Staates zu relativieren und sich stärker auf den Bereich bzw. den Radius ihrer "natürlichen" Lebenswelt zurückzuziehen? Könnte es nicht sein, daß diese These - für die etwa Nietzsche Pate stehen könnte - einen nicht geringen Erklärungswert hätte im Hin-

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k o m m t e s z u e i n e m R ü c k f a l l in archaische Strukturen d e s V e r h a l t e n s . 2 4 0 O d e r - mit d e n W o r t e n v o n H a n s Jonas -: In e i n e r e x i s t e n z i e l l b e d r o h l i c h e n Situation "geht die M o r a l z u m T e u f e l . D a n n ist die H ö l l e l o s und die n o r m a l e n M o r a l o r d n u n g e n g e l t e n nicht mehr. D a s e i n z i g e , w a s der Ethiker d a z u s a g e n kann, ist: W i r d ü r f e n e s z u der Rettungsboot-Situation nicht erst k o m m e n lassen".241 W a s aber, w e n n wir u n s global bereits in einer s o l c h e n "Rettungsboot-Situation" b e f i n d e n , e s l e d i g l i c h - vor a l l e m in d e n "entwickelten" Industriena-

blick auf die "Staatsverdrossenheit" und den sich zunehmend radikalisierenden Individualismus in den westlichen Wohlstandsstaaten? Die individuelle Bereitschaft, über den Horizont der eigenen kleinen Lebenswelt mit anderen "an einem Strang zu ziehen", sich als Glied einer handelnden Gemeinschaft zu verstehen, erfordert eine Aufgabe, die von allen Individuen sowohl als dringlich als auch als individuell unlösbar empfunden wird. Solange die Ressourcenfrage unproblematisch war (vor der neolithischen Revolution) "regierte" der Gruppen-Individualismus; sobald - auch in einer noch so eng besiedelten ökologischen Nische - die Ressourcenfrage wieder unproblematisch wird oder es zu werden scheint, drängt sich dieser Individualismus wieder in den Vordergrund, wird dominant (vgl. dazu die ähnliche Argumentation bei Lay, 1991, S. 21 ff.). 240 Gehlen, 1986 5 , S. 40 f., vgl. auch S. 68 ff., 168; eine der immer noch beeindruckendsten und beklemmendsten literarischen Verarbeitung dieser "Wahrheit" stellt William Goldings "Der Herr der Fliegen" dar; entsprechendes kann aber auch für Boccacios Einleitung zu seinem "Decammerone" gelten, in der er die verheerende Wirkung der ersten großen Pestwelle in Europa (1347/48) auf das soziale Verhalten der Menschen schildert; vgl. auch Jack Londons Novelle "Die Scharlachpest". In Bezug auf Hobbes' "Krieg aller gegen alle" geht auch Wrong (1984, S. 204) davon aus: "[it] represented a limiting condition toward which all societies tended in times of weakened political authority and internal conflict". Aus spieltheoretischer Sicht vgl. dazu etwa Masters, 1982/83, S. 178: "Empirical evidence seems to confirm that the decline of prior civilizations is related to, if not caused by, overexploitation of environmental ressources ...". Und an anderer Stelle (ebd., S. 177) führt er im Zusammenhang mit der soziobiologischen "inclusive-fitness"-Theorie aus: "Not only does this approach suggest that the economists' distinction between selective benefits and collective goods can be founded on evolutionary biology, but it explains the origin of the state - an its ultimate fragility and disintegration"; vgl. entspr. Ike, 1987, S. 219 f. 241 Jonas, 1991, S. 41; vgl. Vossenkuhl, 1993, S. 10: "Unter diesen Bedingungen tritt das ein, was Hobbes den Krieg aller gegen alle nannte"; vgl. dazu auch Kogelfranz' (1993) beklemmende Darstellung der "Wiederkehr des Nationalismus" nach dem Ende des Kalten Krieges; interessant auch die Schilderungen hirnphysiologischer Thesen bei Lenk, 1993, S. 309 ff.

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tionen - standhaft ignorieren? Bedeutet dies, daß jegliche Aussicht auf effiziente globale Kooperation in der Tat hoffnungslos naiv und im schlechten Sinne utopisch ist, und zwar vor allem deshalb, weil die damit notwendig einhergehenden materiellen Verzichts- und Schadensersatzleistungen der reichen Nationen gegen das kurzfristige (!) Eigeninteresse ihrer Bürger mit demokratischen, mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht durchzusetzen sind und folglich die "Hölle" von Öko-Diktaturen und Öko-(Bürger)kriegen unumgänglich ist? Besteht in Anbetracht dieser Möglichkeit nun die sehr reale Gefahr, daß die so erfolgreiche liberale Demokratie westlicher Prägung "durch die endgültige Einsicht in die Endlichkeit der Ressourcen und die lebensbedrohende Gefahr des technischen Wachstums" nicht nur an ihre ideologischen Grenzen stößt, sondern mitsamt ihrer tragenden marktwirtschaftlichen Illusion vom Segen immerwährenden ökonomischen Wachstums nicht anders als die sozialistische Utopie - und gegenüber dieser lediglich zeitverschoben - zum Untergang verdammt ist? 242 Die Einschätzung, die westlichen Demokratien müßten eine effiziente Lösung der bestehenden und bevorstehenden Probleme sehr schnell in Angriff nehmen, sofern sie sich nicht selbst in ihrem Bestand gefährden wollen, teilt auch der frühere deutsche Umweltminister Klaus Töpfer - der gleichzeitig sieht, daß die Durchsetzung der zur Erhaltung der Umwelt erforderlichen Maßnahmen wegen der ihr eigentümlichen Langsamkeit und Komplexität der Entscheidungsprozesse "in einer Demokratie ... äußerst mühsam sein [wird]". 243 Übereinstimmend damit stellt die "Grünen"-Politikerin Antje Vollmer - eine Hypothese Carl Friedrich von Weizsäckers aus dem Jahre 1954 aufgreifend - fest: "Wenn die Grenzen des Wachstums erreicht sind, muß man kompromißlos regieren. Wer das kann, erscheint den Chronisten als böser Herrscher, wer es nicht kann, als schwacher". Welche Alternativen haben also die Regierenden, die politischen Parteien und Funktionäre etwa in den westlichen Demokratien, wenn "die Grenzen des europäischen Wachstums aus ökonomischen, sozialen und ökologischen Gründen erreicht sind"? Vollmer sieht - sicher sehr realistisch - drei mögliche Alternativen: 1.

Die politische Klasse "macht sich ehrlich" und bietet realitätsgerechtere Politikkonzepte an - "wohl wissend, daß es dafür kaum politische Mehrheiten gibt, weil es noch nie für unpopuläre Politik Mehrheiten gab".

242 Vgl. zu dieser Einschätzung Eppler, 1993, S. 128 ff.; ähnlich - freilich in seiner Apokalyptik weit radikaler - auch Gruhl, 1992^, S. 380 ff.; auch der Politiker Biedenkopf (1991, S. 43 f.) äußert sich besorgt über die Möglichkeit eines "Wachstumfs] bis zur Katastrophe". 243 Töpfer, 1992, S. 26; ebs. Perger, 1993, S. 31 ff.

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2.

Die politische Klasse redet dem Volk nach dessen Wünschen und Hoffnungen - "wohl wissend, daß keines dieser Versprechen ehrlicherweise erfüllt werden dürfte".

3.

Getreu dem Motto: "Nach uns die Sintflut!", macht die politische Klasse weiterhin "business as usual", betreibt auf diese Weise die Katastrophe, erhält sich aber an der Macht und geht als "guter Herrscher" in die Chronik ein - sofern die noch geschrieben werden kann. 244 Vollmer votiert entschieden für die erste Alternative, wobei sie zusätzlich die dringliche Aufgabe der ("ehrlich gemachten") politischen Parteien betont, bei der erforderlichen Demokratisierung der Verantwortung "als Übermittler dieser schwierigen Botschaft und als Instrumente zur Konsensbildung" 245 zu fungieren. Wie realistisch nach ihrer Einschätzung diese Vorstellung ist, dazu äußert sich Vollmer allerdings nicht, doch der Verdacht liegt nahe, dabei könnte es sich um eines jener "realitätsgerechteren Politikkonzepte" handeln, für die es "keine Mehrheiten" gibt.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob eine universalistische Ethik in einer Demokratie durchsetzbar ist, weist auch Dieter Birnbacher auf die heute vielleicht wichtigste Schwierigkeit dieser Staatsform hin - ihre ausschließliche "Gegenwartsorientierung" bzw. die Kurzfristigkeit der bürgerlichen Zielsetzungen. 246 Doch Birnbacher bezweifelt zum einen, ob der "Zeithorizont politischer Entscheidungen" wirklich nicht weiter sein könne als der privater ökonomischer Entscheidungen; zum zweiten sei es - mit Tocqueville - in einer Demokratie eben die wesentliche Aufgabe der '"Philosophen und Regierenden'", diese "Gegenwartsorientierung der Bürger nicht einfach hin[zu]nehmen, sondern [zu] versuchen, sie in persönlichen wie in kollektiven Belangen zu einem längeren Atem zu erziehen". 247 Bereits hier taucht unweigerlich? - das platonische Problem der Differenzierung zwischen Bürger einerseits und politischen Entscheidungsträger andererseits und damit zwischen privatem und politischem, gleichsam "professionellen" Ethos auf. Aber sind nicht die politischen Entscheidungsträger in einer Demokratie ebenfalls Privatpersonen, die als solche geneigt sind, eher kurzfristige Ziele zu verfolgen, den schnellen Erfolg zu suchen - d.h. den Erhalt der eigenen politischen 244 Alle Zitate Vollmer, A . , 1992, S. 4; zur leidenschaftslosen, fast fatalistischen These von Weizsäckers vgl. auch Perger, 1993, S. 35 f. 245 Vollmer, A . , ebd. 246 Birnbacher, 1988, S. 258 ff. 247 Birnbacher, ebd., S. 259.

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Macht in der nächsten Wahl? 248 Diesem Argument begegnet Birnbacher mit dem Einwand, "in der Demokratie [liege] es nur zum kleinen Teil an den Regierenden und zum größten Teil an den Wählern, wieviel Zukunftsbewußtsein in politische Entscheidungen ein[gehe]". 249 Dies gelte nicht nur für den Bereich der Verteidigung, sondern - so Birnbacher - sollte auch für die übrigen Bereiche der Politik möglich sein. Die Frage ist freilich - abgesehen davon, daß aus Birnbachers Argumentation letztlich nicht klar wird, wer nun wen zum "längeren Atem" erziehen soll -, ob diesem Postulat eine reale Bereitschaft bei den Bürgern der westlichen Demokratien entspricht, wenn sie etwa - sehr wohl im Interesse ihrer eigenen langfristigen Sicherheit und ihres Wohlergehens - einen deutlich höheren Preis pro Liter Benzin bezahlen oder überhaupt nicht mehr uneingeschränkt Auto fahren dürfen sollen. Birnbacher ist vollauf zuzustimmen, wenn er seine Überzeugung äußert, die "Existenzberechtigung der repräsentativen Demokratie [stehe und falle] mit ihrer Fähigkeit, die gemeinsame Zukunft in einem Umfang zum Gegenstand verantwortlicher planerischer Entscheidungen zu machen, der über den Erstreckungsbereich der zukunftsbezogenen Interessen der Individuen hinausgeht". 250 Nur ist überhaupt nicht klar, inwiefern diese Bedingung nicht in gleicher Weise für jede andere Staatsform gelten soll. 248 Zu dieser Überlegung siehe auch Loske/Vorholz (1992, S. 57 ff.), die das Problem am Beispiel des "Treibhauseffektes" und der damit einhergehenden objektiven Notwendigkeit zur massiven Reduzierung des globalen Energieverbrauchs diskutieren. Wie berechtigt die prinzipielle Kritik an der politischen Führungsschicht in einer Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist, macht der massive Vorwurf des früheren deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäckers deutlich (Süddeutsche Zeitung, 17./18.6.92, S. 1, 4), die Parteien erlägen einer "Machtversessenheit in Bezug auf Wahlerfolge", während sie im Hinblick auf die substantiellen politischen Fragen und Probleme zu wenig leisteten; vgl. auch ders., 1992b., S. 4 f., 1992a, S. 138-182; zur "pathologische^] Gegenwartsfixierung" demokratischer Politik siehe auch Kielmansegg, 1993; vgl. entspr. Fetscher, 1985^, S. 192; Arnold, 1990, S. 96 f. 249 Birnbacher, ebd., S. 262. 250 Bimbacher, ebd., S. 264. In gleicher Weise fordert Wernicke (1992f, S. 8), "Demokratie und Marktwirtschaft - die zwei Supermächte der Moderne - [müssten] beweisen, daß sie das trudelnde Raumschiff Erde von seinem Katastrophenkurs abbringen können. Sonst riskieren sie über kurz oder lang, daß die kärglichen Reste der Natur einer Zwangswirtschaft unterstellt werden, daß die Menschheit blutigen Verteilungskämpfen und einer Ökodiktatur unterworfen wird". Jonas (1991, S. 41) kommt zu dem gleichen Ergebnis, weist allerdings - mit Hobbes zurecht - darauf hin, "daß die Tyrannis immer noch besser ist als der Untergang".

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Jedenfalls sind nach alledem Jonas' pragmatische Fragen bei all' ihrer "Frivolität" vollauf berechtigt und legitim: "Wenn die Menschheit auf eine Krise zutreibt, wird es mit den Mitteln der Demokratie zu schaffen sein, uns vom Abgrund zurückzuhalten, oder hat vielleicht, wenn die Gefahr wirklich groß wird, eine andere Gesellschaftsordnung bessere Aussichten? ... Wo ist es am ehesten zu erwarten, daß die Vernunftmaßnahmen, die bitter schmecken werden, die unpopulär sein müssen, weil sie zu Verzichten, zu Wohlstands- und Genußverzichten führen werden, durchgeführt werden können?". 251 "Die Demokratie" - so Jonas weiter - "als Selbstregierung der Menschen ist die Regierungsform, die am meisten zu wünschen ist. Aber man muß ihrer würdig sein und sie sich gewissermaßen erdienen. Ohne ein verantwortungsvolles Verhalten kann die Demokratie nicht gedeihen. Demokratie ist eine Sache emanzipierter und reifer Menschen". 252 Wenn nun aber die Menschen in den westlichen Wohlstands-Demokratien sich angesichts des zunehmenden globalen Gefahrenpotentials gerade nicht "verantwortlich", sondern eher ignorant und in "pathologischer Sorglosigkeit" nur mit Blick auf den eigenen kurzfristigen Vorteil verhalten; wenn man es als Tatsache anerkennen muß, daß es an demokratischer "virtù" mangelt, daß alles "leichter zu demokratisieren [ist] als die Verantwortung in Zeiten des Mangels" 253 ; wenn wir uns wieder einmal "der Freiheit, die [uns] in den Schoß fiel, nicht ge-

251 Jonas, 1991, S. 40. 252 Jonas, 1991, S. 38 ff. Auf den Punkt bringt Hans Jonas (1991, S. 41) die ganze Diskussion um die Demokratie als "wünschenswertester" Staatsform in folgender Formulierung: "Wenn die Demokratie ihre größte Bewährungsprobe, die ihr jetzt auferlegt ist, nämlich sich selber zu zähmen und zu zügeln, nicht besteht, dann allerdings wird es zur Tyrannei kommen, zu einer Tyrannei der versuchten Rettung". Hier drängt sich die These Machiavellis (1990, S. 185 [Disc., Kap. 34]) förmlich auf, wonach "Republiken, die in äußerster Gefahr nicht zur diktatorischen oder einer ähnlichen Gewalt Zuflucht nehmen, bei schweren Erschütterungen zugrunde gehen werden". Mit Hobbes könnte man in diesem Zusammenhang argumentieren, es seien schließlich unhintergehbare, weil existentielle Menschenrechte, "die freie Luft zu atmen, des Wassers und aller zum Leben notwendigen Dinge sich zu bedienen" (Ci, S. 105); ist die Garantie dieser Rechte durch die Macht des "Leviathan" nicht mehr gewährleistet, so erweist sich dieser als "sterblicher Gott", und die Individuen fallen in den Naturzustand zurück - der sich freilich dann, wenn diese grundlegendsten Ressourcen menschlichen Überlebens über den kritischen Punkt hinaus knapper werden, sehr wahrscheinlich zu einem heißen Krieg aller gegen alle entwickeln muß. 253 Vollmer, A., 1992, S. 4.

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wachsen [zeigen]" 254 - was besagt dies dann in der Konsequenz für die Tauglichkeit der Demokratie zur Bewältigung der anstehenden Probleme in einer Welt, die "keine Staatenwelt mehr [ist]", sondern sich im Übergang zur "Gesellschaftswelt" befindet? 255 Jonas: "Die Wünschbarkeit der Demokratie beweist nicht, daß auch die Voraussetzungen für ihr Funktionieren gegeben sind". 256 Auch Carl Friedrich von Weizsäcker gibt in einem jüngeren Interview zu bedenken, der objektiven "Notwendigkeit des Verzichts" stehe die Tatsache entgegen, daß "Askese - Verzicht auf mögliche Güter - ... in der Vergangenheit immer eine Leistung elitärer Minderheiten [war]. Eine demokratische Askese habe ich bisher nicht gesehen". 257 Die unvermeidlich folgende Frage, ob denn die Demokratie seiner Meinung nach untauglich sei, um die anstehenden Probleme zu lösen, beantwortet er mit dem Hinweis auf Churchills Paradox von der Demokratie als der zwar schlechtesten, zugleich aber alternativlosen Staatsform - wobei auffällt, daß Churchills Bemerkung fast schon zum stereotypen Ausweichmanöver wird. 258 Die Demokratie ist die wünschenswerteste aller Staatsformen 259 - aber die Einsicht Machiavellis gilt auch heute noch, daß die Demokratie wie jede an254 Adorno, 1993, S. 53. 255 Czempiel, 1991^, S. 87 (zur näheren Analyse der "Gesellschaftswelt" siehe ebd., S. 86-110). 256 Jonas, 1991, S. 39; vgl. zur höchst kritischen Situation der Demokratie auch Hösle, 1991, S. 121 f., 132 f., 144; auch Guehenno (1994) gibt nicht von ungefähr seiner jüngsten Arbeit den Titel: "Das Ende der Demokratie". Und dies gilt in noch höherem Maße für diejenigen Staaten (etwa der Dritten Welt), die bisher keine demokratische Regierungsform kannten und in denen auch ein ausreichend hoher allgemeiner Bildungsstand als notwendige Bedingung des Funktionierens dieser Staatsform (noch) nicht gegeben ist (vgl. dazu Hungerland, 1989, S. 49 f.). 257 Weizsäcker, C. F., 1992, S. 10; vgl. Gruhl, 1992 2 , S. 350-355; Hösles Appell: "Wir brauchen asketische Ideale" (1991, S. 79), muß man daher höchst skeptisch bewerten. 258 Weizsäcker, C. F., 1992, 10; exakt denselben Weg, konkretere Aussagen zur Tauglichkeit der Demokratie in existentiellen Notlagen vermeiden zu können, wählt auch Richard von Weizsäcker in einem kurz vorher veröffentlichten Interview (1992b, S. 4). 259 Ein sehr starkes Argument für die Demokratie - auf das etwa Thränhardt (1992, S. 220) mit Nachdruck verweist - besteht zweifellos in der in ihr realisierten Meinungsfreiheit, wobei hier insbesondere die Möglichkeit gemeint ist, von der Regierungslinie abweichende Meinungen öffentlich vorzutragen, die vorausschauender und zukunftsorientierter sind. Thränhardt ist darüber hinaus der Auffassung, die

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dere Staatsform stets gefährdet ist, daß ihr keinerlei Bestandsgarantie innewohnt; d i e s e objektive Gefährdung zu leugnen oder sie verharmlosen zu w o l len,

zählt

mit

scheidungsträger

Sicherheit

zu

den

in existierenden,

größten dem

Fehlern,

Anschein

die

nach

politische

höchst

Ent-

"stabilen"

Demokratien heute b e g e h e n k ö n n e n . 2 6 0 Rechnet m a n z u d e m die universale Wirksamkeit d e s natürlichen

Nahbe-

reich-Prinzips (kin-selection!) auch im rezenten M e n s c h e n ein, dann w e r d e n die weitverbreiteten T e n d e n z e n zur Regionalisierung und Dezentralisierung politischer Souveränität (ebenso wie die Rufe nach d e m "uomo virtuoso") nur Schwierigkeiten beim Zustandekommen effizienter internationaler Abkommen seien nicht auf eine "Schwäche der Vier-Jahres-Demokratie" zurückzufuhren. Zwar müßte man wohl als Faktum hinnehmen, daß "Politiker in diesem Rythmus" dächten, "aber nur in offenen Diskussionen mit breiter pluraler Meinungsbildung sind derartige Fragen bisher überhaupt innovativ aufgegriffen worden". Zudem sei es gerade die Konkurrenzsituation der Parteien, die - vor allem zu Wahlkampfzeiten - dafür sorge, daß immer wieder neue, aktuelle, brisante Themen aufgegriffen und öffentlich diskutiert würden (ebd.). Doch es fragt sich, ob diese Argumentation nicht zu optimistisch ist. Zwar ist es zweifelsohne richtig, daß die Freiheit der Meinungsäußerung Bedingung der öffentlichen Meinungsvielfalt ist - und vor allem auch der unpopulären Meinung. Aber genau diese, die unpopuläre, wenn auch noch so vernünftige Meinung ist es, die demokratische Politiker - zumal in Wahlkämpfen - im Zweifel nicht vertreten werden. Vielmehr wird ihnen daran gelegen sein, die unpopuläre Meinung zu relativieren und das Wahlvolk glauben zu machen, dann, wenn "ihre" Partei gewählt würde, werde alles schon nicht so schlimm kommen. Aus diesem Grund scheint auch Birnbachers Hoffnung auf das längerfristige Zukunftsbewußtsein der Wähler Ausdruck einer allzu optimistischen Einschätzung zu sein. 260 Die für eine stärkere Einbeziehung der "life siences" in die Politikwissenschaft plädierenden Politologen Heiner Flohr und Wolfgang Tönnesmann wiesen jedenfalls bereits 1983 darauf hin, für den Fall des "weiteren Anwachsen^] wirtschaftlicher und politischer Probleme" sei mit einem Wiederaufleben sozialdarwinistisch-reaktionären Gedankenguts durchaus "auch in der Bundesrepublik" zu rechnen (Flohr/Tönnesmann, 1983, S. 16). Und die Berliner Politik-Theoretikerin Gesine Schwan (1992, S. 6) vertritt die Auffassung, im Zuge des Wiederauflebens des "völkische[n] Nationalismus" im Verein mit den seitens des Staates nicht effizient bekämpften rechtsradikalen Terroraktionen gegen Asylantenwohnheime drohe die deutsche Demokratie "brüchig" zu werden und in ihrem Bestand "ernsthaft gefährdet" zu sein; vgl. auch Brzezinski, 1994, S. 247 ff.; zur fehlenden historischen "Bestandsgarantie" jeder Gesellschaftsform siehe auch Passmore, 1980, S. 220 ff.; zur Überlegung, daß "ein gewisses Maß an ökonomischem Entwicklungsniveau und Erfolg eine von der Politik kaum zu beeinflussende externe Ressource politischer Integration darstellt" siehe Greven, 1993, S. 115 f.

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allzu verständlich als natürliche, instinktive menschliche Reaktion, sich im Moment der Bedrohtheit und des Brüchigwerdens sozialer Ordnungsgefüge, des Vertrauensverlustes in die funktionale Leistungsfähigkeit bestehender politischer Strukturen und Institutionen in kleinere, überschaubarere, homogenere, kompaktere, "ursprünglichere" soziale Einheiten zurückzuziehen. Die Faktizität dieser natürlichen (genetisch implementierten) Verhaltensdisposition ist ebenso anzuerkennen wie die Tatsache, daß diese in unserer sozialen und politischen Praxis nicht ohne weiteres überspielt, ausgeschaltet, unterdrückt werden kann. 261 Demgegenüber lautet aber eine der hier - mit Hobbes - vertretenen Thesen, in einer Situation, in der nahezu alle ökologischen Nischen überlastet sind und zugleich eine Fülle von realen Gefahren existieren, die nur in allseitiger Kooperation abwendbar sind, sei der Rückfall in territorialen Partikularismus gleichbedeutend mit der ungeheuren Zunahme an potentiellen Konfliktherden; daher müßte dieses "Zurück zur Natur" letztlich einem hochgradig überlebensfeindlichen Antirationalismus entsprechen. Mit Kant müßte man demnach heute genau umgekehrt argumentieren: "Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen (engeren und weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee des Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu 261 Völlig zurecht weist daher Gadol (1983, S. 414) auf die "tiefliegenden Diskrepanz zwischen unserer kulturellen Entwicklung und der Stagnation unseres Trieblebens" hin. Eine sehr analoge, aber im Gegensatz zu Gadol eher (allzu?) optimistische These vertritt auch Stachowiak (1983, S. 343 f.). Er meint, "daß mit Schwerpunktbildung in den großen freiheitlich verfaßten Demokratien, aber mit einem gewissen time lag vermutlich auch über die weiteren Gesellschaften dieser Erde in naher und mittlerer Zukunft ein Menschenbild relative Verbreitung finden wird, das dem Phänomen des 'prudential lag' entgegenwirkt. 'Prudential lag' nenne ich die wahrscheinlich genetisch bedingte Diskrepanz in der Entwicklung zweier Fähigkeiten von Anthropos: seinem hochentwickelten intellektuell-technologischen Leistungsvermögen einerseits und seinem demgegenüber offensichtlich unterentwickelten Vermögen zu sinnhaftzwecksetzender Selbststeuerung, und zwar vor allem gesellschaftlicher Selbststeuerung, andererseits"; vgl. Alexander, 1979a, S. 70 f., 78; siehe aber auch bereits Lorenz, 1983, S. 231 ff. Mohr (1993, S. 31) spricht entsprechend vom "cultural lag" zwischen technischen und moralischen Fähigkeiten des Menschen.

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dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf". 262 Die von Kant genannte Bedingung für den nicht-phantastischen, nichtüberspannten Charakter der Idee des Weltbürgerrechts ist heute de facto erfüllt: Die gesamte Menschheit sieht sich (unter anderem) mit globalen ökologischen Problemen konfrontiert, denen kein Staat mehr ausweichen, gegen die kein Staat sich wirksam abschotten kann und vor denen keine Flucht in unterbesiedelte und bewohnbare Gebiete mehr möglich ist. Die Verletzung der ökologischen "Gesetze der Vernunft", gleichgültig an welchem Ort der Erde und von welchem Staat sie begangen wird, hat unmittelbare oder mittelbare Folgen für den Rest der "Weltgesellschaft"; die Abholzung der Regenwälder in Brasilien ist für Europa ebenso relevant wie die Schadstoffemissionen Europas für die Staaten Südamerikas; die Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt stellt - zumindest mittelbar - auch für die Wohlstandsinseln des "Nordens" eine reale Bedrohung dar. Mit den Worten Richard von Weizsäckers: "Das Grundgesetz der heutigen Welt ist die wachsende Interdependenz. Unsere Mitverantwortung dafür und unsere eigenen Interessen fließen untrennbar ineinander über". 263 Wenn man diese Überzeugung vertritt, dann bleibt als einzige Alternative außer Fatalismus und Resignation - wiederum nur die dringende Forderung nach internationalen (Rechts-)Institutionen mit "realer Zwangsgewalt"264, die als Möglichkeitsbedingung des Überlebens der Menschheit absolut unverzichtbar sind. Aus all' diesen Überlegungen ließe sich so etwas wie die negative Teleologie eines aktuellen Naturrechts konstruieren. Die Normen dieses Naturrechts wären im Hobbesschen Sinne als "Gesetze der Vernunft" zu interpretieren. Die diesem Naturrecht zugrundeliegende Teleologie ist deshalb "negativ", weil wir heute mit einiger Sicherheit sagen (im Sinne Poppers so262 Kant, 1978 2 , XI, S. 216 f. (BA 44,45,46; Hervorhebung T.M); vgl. auch 1978 2 , VIII, S. 476 (A 231; B 261), 478 f. (A 234 f.; B 264 f.). 263 Weizsäcker, R., 1992a, S. 91. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Welsch (1992, S. 11) zur "Transkulturalität" der modernen Welt; er argumentiert, daß heute "für jede Kultur tendenziell alle anderen Kulturen zu Binnengehalten oder Trabanten" würden, wodurch die "Separiertheit und Besonderung der Kulturen aufgehoben" werde; zur Vision eines "kulturellen Internationalismus" siehe auch Guehenno, 1994 (allerdings hält Guehenno die Vorstellung von einer Weltrepublik im Kantischen Sinne für sinnleer und nicht zeitgemäß; vgl. ebd., S. 73 ff.). 264 Hösle, 1991, S. 135.

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gar "prognostizieren" ) können, die Gattung Mensch bewege sich auf ein (im logischen wie auch im evaluativen Sinne) negatives Telos, nämlich ihre (zumindest partielle) Selbstausrottung zu, sofern sie ihr Verhalten nicht qualitativ ändert. 266 Tut sie dies jedoch, so kann man als ihr Telos ebenfalls nur negativ (im faktisch-logischen Sinne) feststellen, dann bleibe die Katastrophe (vorerst) aus. Man kann jedoch (ebenfalls im Sinne Poppers) keinerlei positives Telos angeben, was das Ziel der überlebenden Menschheit sein wird. Es bleibt dabei: "Die Zukunft ist offen" - wenn wir nicht dafür sorgen, daß es keine Zukunft mehr gibt. 267 Oder - wie es Hans-Peter Repnik formuliert -: "Entweder hat die Menschheit eine gemeinsame oder sie hat keine Zukunft". 26 » Die politische Utopie einer funktionsfähigen "Weltinnenpolitik" 269 ist allein durch die Einsicht gerechtfertigt bzw. zutiefst legitimiert, "daß es katastrophal wäre, wenn zentrale destruktive Trends von der Umweltzerstörung bis zur Bevölkerungsexplosion einfach fortgeschrieben würden. Wenn die Zukunft prinzipiell offen ist, ... kommen wir angesichts des sich abzeichnenden globalen Katastrophenszenarios nicht um die Vision einer Welt herum, 'in der wir gerne leben wollen'", 2 7 0 Udo Bermbach rückt - ähnlich wie Jonas - das heuristische Moment des utopischen Denkens in den Vordergrund: "wir müssen den Untergang der Gattung radikal denken, ihn in Szenarios nach allen nur vorstellbaren katastrophischen Enden durchspielen, um der Chancen seiner Abwendung überhaupt ansichtig werden zu können. Spielen heißt hier, den Ernstfall proben, die Utopie denken, Kontingenzen berücksichtigen und Zufälle einrechnen, Varianzmöglichkeiten erhöhen, um das Spiel dann am Ende auf Wahrschein265 Siehe dazu etwa den Artikel von Wernicke, 1992, S. 1. 266 Diese Interpretation steht im Einklang mit einer These von Strauss (1956, S. 187), für den der gewaltsame Tod (des Individuums) bei Hobbes "den Platz des telos" einnimmt. D e m entspricht auf politischer Ebene heute der "Tod" der Gattung. 267 Diese antitelelogische Sichtweise impliziert den Hobbesschen Gedanken, soziale Fakten seien Werke des Menschen, "without an intentional and teleological character" (Commers, 1979, S. 178). Ob also die zukünfigen sozialen Fakten für uns positiv oder negativ sein werden, hängt von unseren bewußten und rational legitimierten Setzungsakten ab, nicht von irgendwelchen göttlichen Planspielen oder naturimmanenten Entwicklungsgesetzen. 268 Repnik, 1990, S. 61; vgl. entspr. Jacobi, 1986, S. 130. 269 Die nach den Worten des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Engholm (SPD-Parteivorstand, 1992a, S. 5) ohnehin ein Faktum ist, das "die weltgeschichtliche Entwicklung längst auf die Tagesordnung gesetzt hat". 270 Saage, 1992, S. XII.

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lichkeiten und quasiempirische Sachverhalte reduzieren zu können. Denn gewiß läßt sich sagen, daß die Gegenwart der eigentlich unwahrscheinliche Fall für die Zukunft ist". 271 Insofern hat "Utopie" also hier nichts mit der gedanklichen Projektion einer Welt als der "besten aller möglichen" für alle Menschen zu tun 272 , sondern viel eher damit, mit der Utopie die fundamentalste Bedingung der Möglichkeit einer Welt aufzuzeigen, die "gut" genug ist, überhaupt weiter in ihr leben zu können. Zunächst geht es darum, die Möglichkeit des Überlebens von Menschen zu sichern; was die überlebende Menschheit schließlich - sofern die Utopie einer ökologischen Weltinnenpolitik in ausreichendem Maße Realität wird - aus dieser wiedergewonnenen Sicherheit zu machen vermag, ob sie tatsächlich in der Lage sein kann, aus der einmal erfahrenen existentiellen Bedrohung der gesamten Spezies zu lernen und entsprechend zu handeln und ob so der "Ewige Friede" Kants Wirklichkeit werden könnte, dies kann aus heutiger Sicht dahingestellt bleiben ebenso wie es für die Todfeinde, die in einem Boot sitzend in immer rasenderer Fahrt auf den Wasserfall zutreiben, zunächst nur darum gehen kann, mit vereinten Kräften in eine Richtung rudernd der Gefahr zu entkommen, wobei völlig offenbleibt, ob sie nicht dann, wenn sie wieder sicheren Boden unter den Füßen haben, sich also gleichsam alle gegenseitig das Leben gerettet haben, "wegen ihrer unterschiedlichen Interessen" sofort wieder zu den Waffen greifen und "zum Krieg untereinander zurückkehren" (Le, S. 132). Dabei sei an dieser Stelle das Problem angesprochen, welche Staatsform denn für den intendierten Super-Leviathan in Frage käme. Die negative Antwort lautet zunächst, daß dies auf der Grundlage der Hobbesschen Theorie durchaus kein zentralistischer, alle kulturellen Unterschiede dirigistisch nivellierender Weltstaat, kein globaler "melting pot" und erst recht keine "geschlossene Gesellschaft" etwa im Sinne einer sozialistischen Zentralgewalt sein muß und dies sinnvollerweise auch nicht sein sollte - auch wenn es verfrüht sein könnte, diese Alternative "historisch als erledigt zu betrachten" 273 ; gefordert ist aber - zumindest soweit die evolutionären Bedingungen dafür gegeben sind - die Zentralisierung bestimmter politischer Aufgabenbereiche und 271 Bermbach, 1992, S. 150. 272 Vgl. dazu Nozick, 1976, S. 271 ff. 273 Willms, 1992, S. 38. Zumindest kann nicht ausgeschlossen werden, daß etwa die drastische Verschärfung der ökologischen Krise bei gleichzeitig mangelnder internationaler Kooperationsbereitschaft die Versuchung groß werden lassen könnte, eine zentralistische Weltregierung (bzw. eine Öko-Diktatur) gewaltsam einführen zu wollen - wobei hier nochmals betont sei, daß dies ein unkluges, aussichtsloses, selbstmörderisches Unternehmen wäre.

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Kompetenzen (was nicht ausschließt, daß - analog dem Subsidiaritätsprinzip des Maastricht-Vertrages der EU - viele nationale und regionale Zuständigkeiten unangetastet bleiben und in manchen Bereichen sogar eine zunehmende Regionalisierung und Dezentralisierung erstrebenswert sein kann - nicht zuletzt deshalb, weil dies dem Menschen als Kleingruppenwesen angemessener wäre 274 ). Wir haben die Wahl: Entweder übergeordnete politische Institutionen mit "realer Zwangsgewalt" auf der Basis pragmatischer Vernunft und Verträgen zu gründen, die durchaus demokratischen Charakter haben können und sinnvollerweise haben sollten. Mehr noch: Weil sich auf dieser Ebene auch das prisoner's-dilemma - besser: das Vertrauens-Dilemma - der Hobbesschen Staatsgründung (siehe oben, Teil 2, Kap. I. 2.5) wiederholen müßte, wären demokratisch-pluralistische, rechtsstaatliche Strukturen die einzig realistische Perspektive. Oder aber wir verzichten auf diesen rationalen Akt und schlittern in "natürliche" StaatsgründungsvmMc/ze ungeahnten Ausmaßes - die dann auf unabsehbare Zeit keine Demokratien sein können. 275 Die Situation der westlichen Demokratien läßt sich daher im Hinblick auf den fraglichen Ausgang aus dem Naturzustand gut mit der analogen Situation der Individuen bei Hobbes vergleichen: Sie können das, was sie sich mühsam 274 Bedenkt man etwa, daß eine nachholende ökonomische Entwicklung der Entwicklungsländer im Vergleich zu den heutigen Industrienationen nicht zuletzt aus ökologischen Gründen als nicht machbar und nicht verantwortbar erscheint, so stellt sich notwendig die Frage, wie die bleibenden Unterschiede, das bleibende materielle Wohlstandsgefälle politisch gerechtfertigt und verkraftet werden könnten. Über die gezielte Förderung regionalen, kulturellen Identitätsbewußtseins, wobei als identitätsstiftend in erster Linie immaterielle Kriterien bzw. Werte von Bedeutung sein müßten? Abgesehen davon, daß es fraglich ist, ob derartige (welche?) immateriellen Kriterien tatsächlich gegenüber materiellen konkurrenzfähig sind, lautet der damit einhergehende enorme Anspruch für eine universale "Politik des Überlebens", wie sie den konstatierten "Zwang zur Regionalisierung" einerseits mit dem gleichzeitigen Zwang zur Universalisierung andererseits vermitteln kann (vgl. zu diesem Dilemma bzw. "Universalisierungsparadox" May, 1992, S. 533 ff.). 275 Vgl. zu dieser Einschätzung aus ethologischer Sicht Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 281 f. In diesem Zusammenhang gewinnt erneut Hobbes' Argument an Bedeutung, wonach im Krieg - also auch im Öko-Krieg! - "die Notwendigkeit auf beiden Seiten [lehrt], daß ein unumschränkter Monarch, nämlich ein General, nötig ist, sowohl für die gegenseitige Verteidigung als auch für den Frieden und die Eintracht einer jeden kriegsführenden Partei" (El, S. 165; vgl. auch Le, S. 149, wo Hobbes von den "custodes libertatis" spricht, die "in allen großen Gefahren und Zwangslagen ... als Monarchen auf Zeit" eingesetzt werden).

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erarbeitet haben und worauf sie zurecht stolz sind, in Zukunft nur dann weiter in Sicherheit genießen, wenn sie auf ihre "Freiheit" - das heißt die volle und uneingeschränkte staatliche Souveränität verzichten. 276 Auch in diesem Punkt ist die "Logik des Leviathan" nach wie vor ebenso aktuell wie bestechend: Nur durch die (partielle) Aufgabe der eigenen absoluten Freiheit (Souveränität) kann die Sicherheit der freien Selbstentfaltung (und darüber hinaus des nationalen Wohlstandes) erreicht und gewahrt werden (vgl. Le, S. 134). 2 7 7 Oder, mit den Worten von John Rawls: "Die Beschränkung der Freiheit ist ... dann gerechtfertigt, wenn sie um der Freiheit selbst willen nötig ist, zur Verhinderung noch schlimmerer Freiheitsbeschränkung". 278 Die "Logik des Leviathans" fordert: Alle Staats-Individuen müssen gleichermaßen Verzicht auf die Ausübung ihrer vollen Souveränität leisten, da analog zur Ebene des inter-individuellen Naturzustandes - eine Bewältigung der anstehenden Probleme auf der Basis einer nicht institutionalisierten und nicht durch ein "Schwert der Gerechtigkeit" abgesicherten inter-individuellen "Moral" der Staats-Individuen nicht zu erwarten ist. 279 Wie auf der Ebene der 276 Mit den Worten John Mackies: "Wir befinden uns in einer Situation ähnlich der des Gefangenendilemmas, doch mehr noch wie in der von Hobbes ins Auge gefaßten Variante" (Mackie, 1983, S. 302). Auf der Basis der Hobbesschen Philosophie beurteilt auch Willms (1992, S. 38) die Situation unserer Zeit wohl sehr zutreffend: "Liberalismus ist das Gleitmittel entwickelter gesellschaftlicher Verhältnisse, aber die bewußt zu institutionalisierende Notwendigkeit von Vernunftgewalt ist das politische Fundament auch jener entwickelten Verhältnisse". 277 Dies ist eine echte dialektische Denkfigur Hobbes', deren zeitlose Bedeutung offensichtlich kaum hoch genug einzuschätzen ist. 278 Rawls, 1991 6 , S. 244; auch hier fällt wieder die Nähe zu Hobbes auf. Für Gehlen (1986-\ S. 100) ist es schlicht ein "Gemeinplatz ..., von der Freiheit als einem Ertrag der Selbstbegrenzung [zu sprechen], denn anderswo gibt es keine, geschweige eine 'edle' Natur unterhalb des Überbaus der Institutionen". 279 Was keineswegs bedeutet, im Schatten der auf friedliche Weise gegründeten supranationalen Institutionen könne oder solle es keinerlei Ungleichheiten mehr geben. Die "Gleichheit" der Menschen im Naturzustand besteht bei Hobbes lediglich insofern, als selbst der Schwächste - indem er Bündnisse schließt - in der Lage ist, auch den Stärksten zu töten (vgl. Le, S. 91). Ansonsten wird die individuelle "Negativität" und die Vielfalt der unterschiedlichen individuellen Charaktere gerade nicht bestritten. Ausgehend von der Überlegung, "that nations behave like Hobbesian persons", stellt sich Ripstein (1989, S. 121 ff., 125) die Frage, wie ein Weltstaat es am ehesten erreichen könnte, die Macht- und Ruhmbestrebungen der einzelnen Staats-Individuen zu bündeln und zu "domestizieren"; und er schlägt vor, die geeignetsten Mittel hier-

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Einzel-Individuen, so gilt auch auf der Ebene der Staats-Individuen: "Gleichgültig, wie weitsichtig und klug die Menschen auch sein m ö g e n , sie brauchen auch immer noch eine durchsetzende Gewalt, damit jeder ein wirkliches Motiv hat, die[] moralischen Regeln zu b e f o l g e n " . 2 8 0 Immanuel Kant gelangte letztlich zu der (resignativen) Auffassung, die "Vernunftidee" einer auch von ihm vielfach beschworenen "weltbürgerlichen Gesellschaft", die Vorstellung v o m Ausgang der Staaten aus ihrem Naturzustand und ihrem Zusammenschluß auf der Basis sanktionsfähiger supranationaler Verträge, u m das antagonistische Gegeneinander zu beenden und den gemeinsamen Gefahren zu begegnen, bleibe letztlich immer "ein süßer Traum". 2 8 1 D o c h heute müssen wir akzeptieren, daß der Verzicht auf diesen "süßen Traum" und auf Versuche, ihn Wirklichkeit werden zu lassen, ebenfalls nur ein alternativer Traum ist - allerdings ein ausgemachter Alptraum. für seien internationale sportliche und kulturelle Wettkämpfe. Motto: "While it is doubtful that the battle of Waterloo was really won on the playing fields of Harrow and Eton, it may be that the best hope of avoiding a thermonuclear holocaust takes place every four years on the playing fields of Milano and Mexico City" (ebd., S. 126). Vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1986 3 , S. 283; zur ethologischen Deutung des Massenphänomens Sport siehe auch Lenk, 1982. 280 Mackie, 1983, S. 140 f.; Mackie (ebd., S. 152 f.) weist interessanterweise auch darauf hin, die Problematik der Herstellung einer stabilen sozialen Ordnung habe sich von Protagoras bis Hobbes und von diesem in unsere Jetztzeit vor allem im Bezug auf die Größe jenes zu ordnenden sozialen Gebildes geändert: Von der relativ bescheidenen Größe einer griechischen Polis über den Nationalstaat bei Hobbes bis hin zur zunehmend vernetzten internationalen Staaten"gesellschaft" heute (vgl. dazu auch Mackies Ausführungen, ebd., S. 300-305). Ähnlich argumentiert auch Höffe (1992, S. 25; vgl. ders., 1993, S. 171): "Um ein Trittbrettfahren an der Allmende der Menschheit zu verhindern, um des Umweltschutzes willen darf dieses 'Schwert' [das Hobbessche "Schwert der Gerechtigkeit"; T.M.] nicht nur innerstaatlich geführt werden". Aus der Sicht der klassischen normativen Ökonomik vgl. Homann, 1993, S. 49, 37: "Eine moralische Norm hat keine Gültigkeit, solange ihre Durchsetzung nicht sichergestellt ist". 281 Kant, 1978 2 , XI, S. 366 (A 159). Und in der "Metaphysik der Sitten" (1978 2 , VIII, S. 474 [A 227; B 257]) räumt Kant ein, der Zustand des ewigen Friedens als dem "letzte[n] Ziel des ganzen Völkerrechts" sei letztlich "freilich eine unausführbare Idee". Aber - so Kant -: Selbst wenn die "Vollendung dieser Absicht [des ewigen Friedens; T. M.] ... auch immer ein frommer Wunsch bliebe, so betrügen wir uns doch gewiß nicht mit der Annahme der Maxime, dahin unablässig zu wirken; denn diese ist Pflicht" (ebd., S. 478 [A 234; B 264]). Zu Kants Ablehnung einer Weltrepublik freier Staaten siehe Kersting, 1992b, S. 166 ff.

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Es bleibt heute keine rationale Alternative zur Vorstellung einer anderen Welt, einer anderen Zukunft, die nicht einfach die Fortschreibung der Gegenwart darstellen und erst recht nicht der Rückfall in vergangene Strukturen staatlichen Gegeneinanders sein darf; doch gleichzeitig muß das Bewußtsein dafür wach bleiben, daß zwischen Vorstellung und Realisation jener anderen Welt zum einen eine Vielfalt nicht leicht zu überbrückender kultureller Traditionen und zum anderen - als deren evolutionäre Basis - letztlich auch unsere "Steinzeitgene" stehen. Behauptungen wie die des biopolitics-Theoretikers Phocas, die "kulturelle Evolution [habe] die genetische an Wichtigkeit überholt" 282 , sind daher höchst problematisch und bestenfalls Halbwahrheiten. All' dies beantwortet jedoch nicht die vielleicht entscheidende Frage, wie, aufgrund welcher motivationalen Basis, die in den verschiedensten Kulturkreisen, die in den Ländern der Dritten Welt ebenso wirkkräftig sein müßte wie in den reichen Industrienationen, man es schaffen könnte, "die den neuen Realitäten gemäßen Handlungswege zu finden, zu erproben und unter Bewahrung des an Tradition auch weiterhin Brauchbaren die überholten Vorstellungen und Handlungsanweisungen durch angemessenere zu ersetzen" 283 und dabei zugleich das Faktum der mächtigen sub-kulturellen Ebene genetisch implementierter Verhaltensdispositionen tunlichst nicht aus den Augen zu verlieren.

2. Die motivationale Basis - "Prinzip Eigennutz" Auf der Basis der hier vertretenen Theorie kann es auf diese Frage nach der geeigneten motivationalen Grundlage eines universal gültigen ökologischen 282 Phocas, 1986, S. 172. 283 Markl, H., 1982, S. 647; ähnlich argumentiert auch Gadol, 1990, S. 87. Allerdings erscheint Gadols eigener Vorschlag, auf welchem Wege und mit welchen Mitteln das "neue Ethos" gefunden und etabliert werden sollte, als wenig aussichtsreich: "Aber die Brücke zwischen irdischer und himmlischer Liebe ist und bleibt die Schönheit; und es ist gerade diese Verbindung, welche die moderne Welt zerstört hat und die wieder hergestellt werden muß, sollte der Ethos gedeihen" (ebd., S. 93). Oder: "Erst wenn sich die 'Richtigen' zusammenfinden, wenn die 'leere' Funktion in der Sehnsucht nach Sättigung sich ausstreckt und das Universum nach Individuen abklappert, die zu wertvollen Argumenten werden, falls sie die Funktion sättigen, und erst wenn die Funktion ein passendes Individuum gefunden hat und aus dem blinden, selbst notleidenden Passagier gleichsam einen leuchtenden, sehenden Wert geschaffen hat, erst dann bilden sich die Atome der Wirklichkeit, die in ihrer Wirksamkeit mit anderen Individuen und Funktionen neue Verbindungen eingehen können" (ebd., S. 94).

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E t h o s nur e i n e A n t w o r t g e b e n ; d e n n der e i n z i g e T a t s a c h e n w e r t , der a u s der S i c h t d e s H o b b e s s c h e n w i e auch d e s s o z i o b i o l o g i s c h e n M e n s c h e n b i l d e s d a z u g e e i g n e t s e i n könnte, ist die j e e i g e n e Selbsterhaltung und s o m i t der individuelle (inklusive!) Eigennutz. Mit anderen Worten: W e n n ein universales Ethos g e f o r d e r t w i r d , dann m u ß m a n auch e i n e u n i v e r s a l e m o t i v a t i o n a l e B a s i s zur B e f o l g u n g der mit d i e s e m "Weltethos" e i n h e r g e h e n d e n R e g e l n a n g e b e n k ö n nen. D o c h d a s e i n z i g e w i r k l i c h v e r a l l g e m e i n e r b a r e M o t i v - u n d damit der kleinste g e m e i n s a m e r N e n n e r einer m i n i m a l e n w e l t p o l i t i s c h e n M o r a l 2 8 4 - ist e v i d e n t e r m a ß e n - "Prinzip E i g e n n u t z " . 2 8 5 Dies

bedeutete

im

Umkehrschluß:

Ein Ethos,

das g e e i g n e t

G r u n d l a g e für e i n e g l o b a l e K o o p e r a t i o n über j e g l i c h e kulturellen,

sein

soll,

religiösen

u n d w e l t a n s c h a u l i c h e n G r e n z e n h i n w e g z u sein, kann und darf nicht d e n A n 284 In diesem Zusammenhang ist der Versuch Höffes (1992, S. 23 ff.; vgl. ders., 1993, S. 96) interessant, die allgemeine, universale Geltung der Menschenrechte ausschließlich auf "Vorteilsüberlegungen" zu stützen, die daher auch alleine den "Charakter von Klugheitsregeln" haben. Höffe sieht dabei einen der entscheidenden Vorteile dieses Vorgehens in dem Umstand, daß damit auf eine "darüber hinausreichende Moral" verzichtet werden kann. Dem liegt die Annahme zugrunde, Vorteilsüberlegungen, sofern sie universalisierbar sind (wie eben nach Höffe im Fall der Menschenrechte), könnten zum einen eine stärkere, unmittelbarere motivationale Triebkraft des Verhaltens entfalten, zum anderen aber, daß sie weit eher als metaphysisch-transzendente Letztgründe einer Ethik geeignet sind, Gegenstand eines allgemeinen Konsenses sein zu können. 285 Exakt dieses Argument vertritt auch der Hobbes-Interpret Kavka, 1986, S. 29-82, 338-384; er geht davon aus, es gebe gute egoistische Gründe für die reichen Länder der Erde, den materiellen Wohlstand der armen zu fördern, und letztlich könne nur dieser Egoismus die Grundlage für umfassende und effiziente Hilfeleistungen sein; die Hoffnung auf irgend eine andere (moralische) Basis für derartiges Verhalten ist für Kavka Ausdruck eines "Pollyana optimism", also eines unverbesserlichen Optimismus. Ein weiteres Beispiel für diese globale Denkweise findet sich auch in jüngeren Arbeiten von Höffe (Höffe, 1992, S. 3; vgl. ders., 1993, S. 176 ff.), der aus der "partiellen Koinzidenz von Gerechtigkeit und Selbstinteresse" die Hoffnung ableitet, "daß zunächst die Theorie, dann die Praxis der Menschenrechte auch jene Völker einschließt, mit denen ein direkter Rechtsdiskurs - man muß es so scharf sagen - tödlich wäre. Völker wie die Amazonas-Indianer werden nur dann überleben ..., wenn sie vor Außeneinflüssen vollständig geschützt werden. Die willkommene 'egoistische' - Nebenfolge: gelingt es, den Lebensraum dieser Völker für sakrosankt zu erklären, erhalten alle anderen Völker einen ökologischen Vorteil". Die Frage ist allerdings, ob hier nicht Motiv und Nebenfolge der Handlung euphemistisch verwechselt werden.

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spruch erheben, auf moralphilosophische und religiöse Letztfragen eine andere Antwort zu geben als die, daß der Streit um die Beantwortung dieser Fragen zumindest für die Ebene der politischen Praxis und der gemeinsamen inter-kulturellen und inter-religiösen Überlebensanstrengungen nicht relevant werden darf. 286 Mit den Worten von Bernard Willms: "Wenn der plötzliche 286 Problematisch sind daher Versuche wie der von Koslowski (1992, S. 12 ff.), die europäischen Staaten auf der Basis eines christlichen Liberalismus zu assoziieren (als christlich-liberales "Bollwerk" gegen den unchristlichen Rest der Welt?), oder der von Weiler (1986, S. X), eine "internationale Ethik" dezidiert von einem "christlichnaturrechtlichen Standpunkt" aus zu begründen, da genau dieser Standpunkt als interkulturell anerkannter "gemeinsamer Nenner" eines globalen Ethos nicht geeignet sein dürfte (vgl. Baumgartner, 1992, S. 25). Hans Küng (1990, S. 13) hat zweifelsohne mit seiner These recht, es könne keinen Weltfrieden ohne Religionsfrieden und ohne Weltfrieden kein Überleben der Menschheit geben. Und ebenso ist Küng in der Überzeugung zuzustimmen, daß jeder Versuch des monistisch-dogmatischen Sich-Durchsetzens eines religiösen Wahrheitsanspruches den gesuchten Religionsfrieden unmöglich machen und im Desaster münden müßte (vgl. ebd., Kap. B II. 2.). Küng schlägt als "vierte, ökumenische Strategie" zur Gewinnung einer interreligiösen Diskursbasis die Einigung auf "allgemein-ethische Kriterien", konkret: das "Humanuni" als "universales Kriterium" vor (ebd., S. 114-119). Dies ist im Ansatz sicher der richtige Weg, doch abgesehen von der Frage, ob man nicht - wie dies z. B. der Islam-Fachmann Bassam Tibi (1992, S. 116) tut - die Chancen für einen dazu notwendigen Dialog der Weltreligionen "jenseits der politischen Festreden von Politikern" als "äußerst gering" einschätzen muß (vgl. entspr. Werner, 1991, S. 8 f., 167 ff.; zur Diskussion um den Islam als "Gefahr für die Welt" siehe auch Türcke, 1992, S. 67 ff.; Hrycyk, 1993; ebs. Tibi, 1993, S. 126 f.), erscheint es zudem als äußerst fraglich, ob etwa der Begriff des "Humanum" bzw. der "Menschenwürde" im interkulturellen Diskurs nicht mindestens ebenso im Streit steht wie religiöse Glaubensinhalte; zur Kritik an den von Küng vorgeschlagenen Strategien zur Bewältigung bzw. Auflösung des interreligiösen Konfliktes siehe Lütterfelds, 1992a, Teil 1, S. 1-20. Zur Bedeutung eines Religionsfriedens für den Weltfrieden vgl. auch Sperry (1985 2 , S. 18 ff., S. 137 ff.), dem als "Schüssel zu einem Überleben, das sich lohnt" so etwas wie eine neue, naturwissenschaftlich fundierte globale Religion vorzuschweben scheint, die stark an bestimmte New-Age-Lehren erinnert: "Was wir brauchen, ist, um es genauer auszudrücken, eine neue Ethik, Ideologie oder Theologie, die es zu einem Sakrileg macht, natürliche Ressourcen aufzubrauchen, die Umwelt zu verschmutzen, Überbevölkerung zu fördern, andere Arten auszurotten oder in ihrem Bestand zu gefährden oder auf andere Weise die sich entfaltende Qualität der Biosphäre zu zerstören, herabzumindern oder zu mißbrauchen" (Sperry, 1985 2 , S. 150; an anderer Stelle, S. 66, formuliert Sperry im selben Sinne: "Die praktische Notwendigkeit, einige einheitsstiftende, allgemeingültige Normen zu ent-

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gewaltsame Tod 'in ictu oculi' zur realmöglichen Drohung für jeden, also allgemein wird, dann wird die Frage nach Wahrheit zum Luxus, die nach Sinn zur Ausflucht und die nach Metaphysik zum Sprechen von Bäumen". 287 Ein praktikables Ethos des Überlebens hat daher vor allem auf jegliche Monismen und Absolutheitsansprüche idealistischer Ethikkonzeptionen zu verzichten, wickeln, wird immer dringlicher bei Dingen wie der Kontrolle des gesamten Bevölkerungswachstums auf der Erde, der Erhaltung ihrer natürlichen Ressourcen, dem Schutz der Weltmeere und verschiedenen anderen globalen Problemen unserer Zeit, die immer lauter nach vereinten Anstrengungen in weltweitem Maßstab rufen".). Sperry ist dabei der Überzeugung, die globale Anwendung einer solchen Ethik auf der Basis der "von den Naturwissenschaften vertretenen Wahrheiten" werde "augenblicklich genau die gesetzgeberischen und sonstigen Korrekturmaßnahmen und Bestrebungen in Gang setzen, die wir brauchen, um die sich drohend vor uns auftürmenden globalen Untergangsszenarien abzuwenden" (ebd.). Aber was wir wissen möchten ist, wie denn die Anwendung dieser alles erlösenden, korrigierenden, bereinigenden Ethik stattfinden soll, wie Menschen, wie Regierungen dazu gebracht werden können, die aus dieser Ethik abgeleiteten konkreten Handlungsnormen in praktisch beachtete, effiziente Regeln umzusetzen. Doch dazu erfährt man von Sperry allzu wenig. Interessant sind im Zusammenhang mit der Funktion religiös motivierter Weltfriedensbewegungen auch die Ausführungen von Eibl-Eibesfeldt, 1986^, S. 283; er verliert jedoch hier in einer Art historischer Verblendung die (nach wie vor virulente) spaltende, Konflikte begründende und schürende Dimension religiöser Positionen völlig aus dem Blick (zur trennenden, Differenzierungen ermöglichenden Funktion von Religionen in der modernen Welt siehe Guehenno, 1994, S. 129-141). Dennoch sollte man - gerade in der Tradition eines Hobbes und eines Machiavelli - auch heute die Funktionalität der Religion als erzieherisches und mäßigendes Mittel keineswegs aus den Augen verlieren (siehe etwa Le, S. 108; Machiavelli, 1990, S. 156 ff.). Soweit religiöse Lehren und Normenkodices (noch) geeignet sind, ihre Anhänger zu einem Leben im Sinne der ökologischen Vernunft zu motivieren, wäre es schlicht unklug, auf ihre Nutzung zu verzichten. Zumindest was die reichen Industrienationen des Nordens anbelangt, erscheint es jedoch als höchst zweifelhaft, ob religiöse Motive noch genügend Kraft entfalten können, deren Gesellschaften insgesamt zu einer grundlegenden Änderung ihrer Wertpräferenzen zu bewegen. 287 Willms, 1990, S. 253; vgl. ders., 1987, S. 61; ders., 1990, S. 253; hier führt Willms aus, in einer existenziell bedrohlichen Lage bleibe nur noch die Frage "nach der Notwendigkeit" philosophisch angemessen, und zwar die Frage nach der "Notwendigkeit zur Gründung, Erhaltung oder Wiederherstellung einer normalen Situation und dies ist die Frage nach dem Politischen"; ähnlich Ruse, 1989, S. 220; vgl. auch Vossenkuhl, 1993, S. 10: "Die Angst vor dem Verlust des Lebens verändert alle Lebensbedingungen und läßt die Gebote der Moral als zynische Empfehlungen aus dem Repertoire der Sonntagsschule erscheinen".

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denn: "wo sich die Selbstgerechtigkeit des guten G e w i s s e n s bei der 'Evidenz' der e i g e n e n 'Wahrheit' beruhigt und borniert die faktische Relativierung d e s e i g e n e n Standpunktes ignoriert, macht sie sich gerade a m Unheil in der W e l t mitschuldig. W o nur die Relativität der e i g e n e n Wahrheit anerkannt und die Wirklichkeit des Ganzen, und das heißt konkret: der Anderen, Fremden, als vernunftlos i m Stich g e l a s s e n wird, setzt sich diese Wirklichkeit e b e n blind und rücksichtslos durch: als gegenseitiger vernichtender K a m p f " . 2 8 8 Eine der zentralsten E m p f e h l u n g e n bei der Suche nach einer (neuen) universalen Ethik muß daher lauten: Zumindest für die politisch-praktische Ebene sind alle Frag e n nach absoluter

theoretischer und praktischer Wahrheit (vorläufig) zu su-

pendieren. D i e s e Forderung nach der Suspendierung metaphysischer LetztFragen steht in einer sehr bewußten Analogie zur systematischen A u s g r e n zung der theologischen und metaphysischen D i m e n s i o n bei H o b b e s (vgl. dazu o b e n Teil 1 Kap. I. 4 . 1 ) . 2 8 9 Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, das 288 Kodalle, 1972, S. 4. Schwemmer (1992, S. 18) hat daher durchaus recht, wenn er sagt, das Ziel der Bemühungen um eine "neue Ethik" könne "keine 'Super-Moral' sein ..., die von einem übergeordneten Standpunkt her eine bestimmte Lebensform als verbindlich für alle erklären würde. Vielmehr ist eine Moral der Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen und Identitäten, sozusagen eine Moral zwischen den Identitäten, zu entwickeln, die die verschiedenen Identitäten nicht nivelliert, sondern den Austausch und Ausgleich zwischen den Lebensformen und Identitäten ermöglicht und schützt". Die Frage ist freilich, ob nicht Schwemmer damit bereits zumindest eine moralische "Super-Norm" formuliert hat, die unumgänglich ist, da es ansonsten nicht zu einem friedlichen Neben- oder Miteinander der divergenten "Identitäten" kommen kann. Wenn - so Schwemmer - "Verstehen und Anerkennen" die Leitprinzipien der neuen Moral sein sollen, dann bedeutet dies zumindest die Negation radikal intoleranter, monistischer Moralkonzeptionen, die anderen Moralkonzeptionen aus prinzipiellen Gründen die geforderte Anerkennung gerade versagen. Die damit einhergehende ("Gretchen"-)Frage, wie denn die "praktische Leistung einer ... tätigen Anerkennung fremder Identität" (ebd., S. 20) etabliert und durchgesetzt werden sollte, beantwortet Schwemmer aber nicht mehr. 289 Damit ist natürlich die Frage berührt, ob dann überhaupt noch von "Philosophie" die Rede sein kann. Man kann natürlich den Standpunkt vertreten, Philosophie müsse immer auf absolute Wahrheitserkenntnis ausgerichtet sein, weshalb ein Selbstverständnis von (praktischer) Philosophie unter Verzicht auf Wahrheitsansprüche selbstwidersprüchlich sei. Von diesem Standpunkt aus gesehen wäre es daher vielleicht angemessener, nicht von praktischer "Philosophie", sondern von "theoretischer Politik" zu sprechen. Doch das würde in der Konsequenz besagen, daß die gesuchte "neue Ethik" nicht nur auf absolute Wahrheitsansprüche, sondern generell auf das Etikett "philosophisch" verzichten müßte. Damit wäre die Meinung derer bestätigt, die die Philosophie für praktisch gänzlich irrelevant und

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N a c h d e n k e n über Ethik und Moral, über die Möglichkeit oder U n m ö g l i c h k e i t der Begründung einer "echten" Moralphilosophie sollte ein Ende haben. A b e r w i e d e r u m im Einklang mit H o b b e s 2 9 0 scheint man diese Philosophen, die nach d e m Wort A d o r n o s als

"introvertierte Gedankenarchitektfen]"

hinter

M o n d w o h n e n , den die "extrovertierten Techniker" beschlagnahmt daran erinnern zu müssen, daß "Muße und der Staat

...

...

die Mutter v o n Frieden

die Mutter der Philosophie und Muße"

dem

haben, [ist],

(Le, S. 5 0 8 ) . 2 9 1 Wir

m ü s s e n uns d e s s e n bewußt werden: D i e Situation, in der wir uns b e f i n d e n , ist "einmalig und sicher nicht wiederholbar in der M e n s c h h e i t s g e s c h i c h t e " 2 9 2 das Ü b e r l e b e n der Menschheit ist fraglich g e w o r d e n . D e m n a c h muß (oder sollte)

e s das erste Interesse auch dieser "echten" Moralphilosophen sein, ih-

ren praxisorientierten Beitrag zur Begründung und zur Garantie v o n Frieden und Sicherheit zu leisten, bevor sie sich wieder der "Muße" idealistischer M o ralphilosophie w i d m e n . D i e vorläufige Suspendierung der ("echten") Philosophie wäre insofern eine Möglichkeitsbedingung für die zukünftige ("echte") Philosophie. bloße überflüssige Schöngeisterei im akademischen Elfenbeinturm halten, was impliziert, daß der Begriff "praktische Philosophie" ein hölzernes Eisen ist (vgl. zu dieser Problematik etwa Kleinknecht, 1990, S. 108 ff.). Auf diesen Streit um Namen und Bezeichnungen kann hier nicht näher eingegangen werden. Wichtig ist alleine das rationale Reflektieren über die drängenden Probleme unserer Zeit und der Versuch, die Ergebnisse dieses Nachdenkens praktisch wirksam werden zu lassen; unwichtig ist dagegen, unter welchem Titel diese Denk-Arbeit firmieren soll. Im Bewußtseins des "gravierenden" begrifflichen Problems wird jedenfalls im folgenden weiter den Begriff der (praktischen) Philosophie verwendet. 290 Für den das seiner Meinung nach vollständige Versagen der traditionellen Moralphilosophie mit Anlaß für seinen Versuch war, die Moralphilosophie als praktische Wissenschaft neu zu begründen (vgl. Ci, S. 60 f.; siehe dazu Strauss, 1956, S. 177; ebs. Münkler, 1994, S. 69 ff.). Auch Gadol (1983, S. 419) kommt heute zu dem gleichsam hobbesianischen (vgl. Ci, S. 61, Le, S. 518 f.) - Ergebnis, die Geisteswissenschaften hätten längst aktiv werden müssen, sie hätten jedoch "kläglich versagt"; zur vergleichbaren Kritik aus dem "Lager" moderner Evolutionärer Ethiker und Soziobiologen vgl. Bayertz, 1993b, S. 14 ff. 291 Adorno, 1988 5 , S. 15. Und mit Hume (1984, S. 7) wird man jenen "introvertierten Gedankenarchitekten" entgegenhalten können, "die Natur scheinfe] dem Menschengeschlecht eine gemischte Lebensweise als die geeignetste angewiesen ... zu haben. [...] Fröhne deiner Liebe zur Wissenschaft, spricht sie, aber deine Wissenschaft sei menschlich und lasse sich in unmittelbare Beziehung zum tätigen und geselligen Leben setzen, f...] Sei ein Philosoph; aber inmitten all deiner Philosophie bleibe Mensch!". 292 Gadol, 1983, S. 414.

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Für diese (vorläufige) Suspendierung ließe sich sogar mit Kant argumentieren. Denn abgesehen vom Modernitäts-Aspekt seiner Überlegung, wieso die "Idee des Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts" sei, ist im Zusammenhang mit der Frage nach der geeigneten motivationalen Basis eines universalen Ethos vor allem seine Begründung für diese These wichtig. Denn es fällt auf, daß Kant hier weder eine allgemeine, universal gültige apriorische Rechts- oder Tugendpflicht angibt, noch das Verallgemeinerbarkeitskriterium des kategorischen Imperativs bemüht (was den Menschen mit Kant als "Zweck an sich selbst" gesetzt - aus heutiger Perspektive ohne Zweifel reizvoll wäre). 293 Vielmehr ist nach Kant der Grund für die Möglichkeit (und Notwendigkeit) des Weltbürgertums der, daß aufgrund der Bevölkerungsdichte und der engen Vernetztheit aller Erdengesellschaften die "Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen anderen" gefühlt (!) wird. "Rechtsverletzungen" haben für alle Staaten der Erde negative Rückwirkungen, mindern ihren Nutzen, schaden ihnen. Und dieses Kantische Motiv für die Notwendigkeit des Weltbürgertums und eines effizienten Völkerbundes läßt sich aus heutiger Sicht eben in besonderem Maße an der ökologischen Problematik deutlich machen, da vor allem hier die globale Vernetztheit leicht und plausibel zu zeigen ist. 294 Und Kant - als der Vertreter einer idealistischen Ethik-Konzeption - ist es auch, der in seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784) geradezu eine Musterargumentation für die These vorträgt, an die praktische Durchsetzung echter Moralität - etwa im Sinne eines allgemein praktizierten kategorischen Imperativs - sei (vorläufig) nicht zu denken; denn: "Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind zivilisiert, bis zum Überlästigen ... Aber, uns für schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Kultur; der Gebrauch der Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinaus293 Zu dieser These siehe Riedel, 1993, S. 20 f. 294 Bezeichnenderweise nennt auch Weiler (1986, S. 27), der seine "Internationale Ethik" ausdrücklich auf einem "christlich-naturrechtlichen Standpunkt" begründen will (ebd., S. X) als ersten und wichtigsten Grund für die Einführung eines internationalen Ethos, davon hänge das Überleben der Menschheit ab. Auch hier wird also nicht - wie man es von einer christlichen Ethik erwarten könnte - auf ein göttliches Gebot zur Universalisierung der Nächstenliebe rekurriert, sondern ganz profan auf das Überlebensinteresse. Auch Hans Küng (1990, S. 13) leitet sein "Projekt Weltethos" mit dem Satz ein: "Kein Überleben ohne Weltethos"; womit auch er diesen faktischen Wert als oberstes Kriterium des zu entwickelnden "Weltethos" angibt.

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läuft, macht bloß die Zivilisierung aus. So lange aber Staaten alle ihre Kräfte auf ihre eitlen und gewaltsamen Erweiterungsabsichten verwenden, und so die langsame Bemühung der inneren Bildung der Denkungsart ihrer Bürger unaufhörlich hemmen, ... ist nichts von dieser Art zu erwarten; weil dazu eine lange innere Bildung seiner Bürger erfordert wird. [...] In diesem Zustande wird wohl das menschliche Geschlecht verbleiben, bis es sich ... aus dem chaotischen Zustande seiner Staatsverhältnisse herausgearbeitet haben wird". 2 9 5 Die Staaten befinden sich untereinander nach wie vor im Naturzustand des prinzipiellen Krieges aller gegen alle (der auch bei Hobbes kein "heißer" sein muß); sie besitzen daher auch alle nach wie vor ihr natürliches "Recht auf alles", das nach Hobbes eben auch das Recht auf den Körper und das Leben der anderen umfaßt. 2 9 6 Sollte der Bestand eines Staates bedroht sein, wird sich dieser - nach Hobbes völlig zurecht! - mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mittel dagegen wehren - und dies impliziert den Einsatz militärischer Gewalt (Stichwort "Öko-Kriege"!). Für eine "echte" inter-staatliche Moral, deren Normen sogar in Zeiten existentieller Bedrohtheit Gültigkeit haben sollten, ist hier in der Tat kein Platz. Diese Kantische Einsicht vom praktischen Versagen jeder "echten" Moralität bleibt so lange wahr, wie sich die Staaten untereinander im Naturzustand befinden und keinen institutionellen Ausweg gefunden haben. Umkehrschluß: Der Ausgang der Staaten aus ihrem Naturzustand ist notwendige Bedingung der allgemeinen Praktikabilität von Moral. Das Streben nach der "inclusive-fitness"-Maximierung ist - entsprechend einer der Zentralthesen der Humansoziobiologie - eine universale anthropologische Konstante. Hobbes hält "an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit, der nur mit dem Tod endet" (Le, S. 75), wobei "Macht" funktional zu verstehen ist als die Verfügungsgewalt über alle Mittel, die zur Erreichung des grundsätzlichsten Zwecks jedes einzelnen tauglich ist - der freien Selbsterhaltung (vgl. Le, S. 95, 255). Eine der Grund- und Kernthesen Hob295 Kant, 1978 2 , XI, S. 44 f., A 402/403; vgl. entspr. ebd., S. 224, A 61/B 62. 296 Vgl. dazu etwa die Formulierung im Le, S. 441: "Da angenommen wird, daß jeder Staat vollkommen ist und sich selbst genügt, kann jeder Staat jedem anderen, ihm nicht unterworfenen Staat befehlen und ihn dazu zwingen, die Regierungspraxis zu ändern, ja, er kann den Fürsten entthronen und einen anderen an seine Stelle setzen, wenn er sich auf keine andere Weise gegen ein Unrecht verteidigen kann, das diese ihm zuzufügen im Begriff ist"; vgl. Ci, S. 174 f.).

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bes' lautet zudem, die Menschen seien von Natur aus sowohl in physischer und mehr noch in psychisch-mentaler Hinsicht gleich (vgl. Le, S. 94 f.). Evolutionsbiologen wie Hans Mohr gehen in ähnlicher Weise davon aus, unser "genetisches Vorwissen", das durch kulturelles "fine tuning" lediglich "abgerufen", entwickelt und konkretisiert werden müsse, sei "genereller Natur". Noch deutlicher: "Der Mensch hat nur jenes Vorwissen, das überall gilt, in seinen Genen". 2 9 7 Wenn aber alle Angehörigen der Gattung "homo sapiens" zumindest in diesem einen "Grundmuster" gleich sind, dann wird man auch davon ausgehen können, daß sie in ähnlicher Weise auf bestimmte Beanspruchungen dieses "Grundmusters" reagieren werden. Und so wird sich auch eine universalistische Politik, deren primäres (objektives) Interesse das Überleben der Gattung zu sein hat, sinnvollerweise auf das gleichzeitig fundamentalste und allgemeinste jener evolutiven Universalien stützen müssen, nämlich das individuelle Streben nach freier (inclusiver!) Selbsterhaltung - den "Wert", den Hobbes zurecht als absolut grundlegend und unhintergehbar erachtete. Wenn man darüber hinaus - mit Hobbes - die These vertritt, die Staaten untereinander könnten wie Individuen bzw. - richtiger - Kleingruppen-Einheiten untereinander betrachtet werden, dann gilt natürlich für das staatliche wie für das individuelle Handeln, daß ihr "summum bonum" in der bestmöglichen Realisierung des jeweiligen Eigeninteresses liegt. 298 Hobbes betont ausdrücklich, "jeder Souverän besitz[e] das gleiche Recht, seinem Volk Sicherheit zu verschaffen, das jedem einzelnen Menschen zur Verfügung steht, um für die Sicherheit seines eigenen Körpers zu sorgen" (Le, S. 269). Wie auf der Ebene der Individuen kann auf der Ebene der Staaten dann die Hobbessche Überlegung zum Zuge kommen, jeder Staat schließe "in Erwägung des Vorteils für seine eigene Sicherheit und Verteidigung, mit jedem anderen einen Vertrag", das zu halten und zu tun, was immer die Majorität ihrer Gesamtzahl ... beschließen oder befehlen" (El, S. 142 f.). 2 9 9 Entsprechend gilt auch auf der Ebene der "Leviathane unter sich": Wenn sie aus ihrem elenden Naturzustand entkommen und zu effizienter Kooperation gelangen wollen, dann empfiehlt es sich, dieses Unternehmen zunächst auf den stabilsten Baustein zu gründen, den es offensichtlich (auch) im menschlichen Dasein gibt das "Prinzip Eigennutz". Die diesen Zweck verfolgende "natürliche Vernunft" hat sich ausschießlich an den Maßstäben der Selbsterhaltung und des 297 Mohr, 1986, S. 6 (Hervorhebung T.M.). 298 Vgl. zu dieser Argumentation etwa Bull, 1981, S. 723 ff.; Falger, 1987, S. 238 ff.; Schaefer, 1993, S. 9. 299 Ein Standpunkt, den auch Willms (1989, S. 138 f.) vertritt.

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Überlebens z u orientieren. O b e s darüber hinaus längerfristig m ö g l i c h sein wird, auf der Basis einer g e w a c h s e n e n und stabilisierten Kooperation z u einer "richer morality ... on the basis of sympathetic interests" (Gauthier), z u einer Stärkung und allgemeinen Praxis der "Tugenden des Friedens" (Ci, S. 5 9 ) zu gelangen, dies mag m a n wünschen und h o f f e n - v o n vordergründiger W i c h tigkeit ist e s nicht. V o r allem im Hinblick auf die M e n s c h e n in d e n Wohlstandsnationen der Erde wäre e s d e m n a c h völlig aussichtslos, die v o n ihnen z u fordernden (einschneidenden)

Verzichtsleistungen

auf der Grundlage v o n

moralischer

Einsicht s o w i e Uneigennützigkeit und selbstloser Opferbereitschaft erwarten zu w o l l e n 3 0 0 ; vielmehr muß man hier d e n M e n s c h e n einsichtig m a c h e n können, daß die Änderung ihrer L e b e n s w e i s e mittel- und langfristig ihnen selbst zugute

kommen,

die

Verzichtsverweigerung

aber unausweichlich

weitaus

s c h w e r w i e g e n d e r e negative F o l g e n für das j e eigene W o h l zur F o l g e haben muß.301 W e n n also AI Gore suggestiv argumentiert, wir befänden uns heute in einer analogen Situation zu der des z w e i t e n Weltkrieges, in d e m d o c h die M e n schen sehr w o h l zu Opfern und Verzicht bereit g e w e s e n s e i e n 3 0 2 , dann sollte

300 Singer (1984, S. 246) schlägt vor, die Idee vom "Zehnten" des Einkommens wiederzubeleben und auf die "Gemeinschaft der Weltbürger" anzuwenden. Zweifelsohne hat Singer recht, daß für "diejenigen, die in Überflußgesellschaften über ein durchschnittliches Einkommen verfügen", der Verzicht auf ein Zehntel ihres Einkommens faktisch kein zu hoher, unverantwortbarer Maßstab wäre, doch wodurch sollte die Bereitschaft erzeugt werden, diesem Maßstab zu entsprechen? Wohl kaum aus der moralischen Einsicht, es wäre "ungerecht, wenn wir weniger tun" (ebd., S. 247). 301 So nennt etwa der Umweltpolitiker Werner Remmers (1989, S. 36) als notwendige umweltpolitische Maximen für die Bundesrepublik Deutschland zum einen die massive Forcierung der "Ökosystemforschung"; zum zweiten einen "verantwortlichen Konsens zwischen Politik und Wissenschaft darüber, daß wir in den Fragen der Belastbarkeit des Naturhaushalts auch mit unvollständigem Wissen Entscheidungen zu treffen haben", drittens eine Verstärkung der Umweltinformation sowie viertens was sicher eine der dringlichsten und grundlegensten, zugleich aber auch die problematischste aller Forderungen sein dürfte - "eine generelle Umorientierung der Marktwirtschaft". Gerade was diese letzte Forderung betrifft, setzt Remmers seine Hoffnung auf "Regelungsmechanismen, die auf der Eigennützigkeit aufbauen" - der Appell an das "Prinzip Eigennutz" als einziger Weg zu einer effektiven Veränderung des Verhaltens. Die wesentliche Frage, wie denn derartige Maßnahmen gegen den (notwendig eintretenden) Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden können, stellt sich Remmers allerdings nicht. 302 Gore, 1992, S. 273 ff.

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er auch klarstellen, daß die Primärfrage in der Situation des zweiten Weltkrieges - von Kriegsgewinnlern abgesehen - nicht der Sicherung oder gar dem Wachstum des Wohlstandes, sondern schlicht dem Überleben galt. Und so wird man auch im Hinblick auf den heutigen Krieg zur Erhaltung unserer Überlebensgrundlagen nur dann mit der Bereitschaft zu echten Opfern und Verzicht rechnen können, wenn es vor allem in den Wohlstandgesellschaften der Erde gelingt, ein Bewußtsein für die Tatsache zu schaffen, daß es heute wie damals primär um das je eigene Überleben und eben nicht um Wahrung und Mehrung des materiellen Wohlstandes gehen darf. 303 Dabei ist es zwar ein keineswegs von der Hand zu weisendes, letztlich psychologisches Problem, daß die '"heutige Bedrohung kein Gesicht [hat], der Feind wir selbst [sind]'" 304 , doch dieses Problem sollte deshalb nicht überbewertet werden, weil die Bedrohung zwar "gesichtslos" sein mag, keineswegs aber gestaltlos ist. Verödete Böden, verdorrte Wälder, ausgetrocknete Flüsse und Seen ebenso wie die Bilder von Sturm- und Überschwemmungskatastrophen oder auch nur die Meldungen über die Häufung von Versorgungsschwierigkeiten, Wassermangel und Gesundheitsrisiken können sehr wohl als bedrohlich empfunden werden - natürlich um so mehr und früher, je mehr der jeweils eigene Lebensbereich betroffen ist oder betroffen zu werden droht. 303 Zum Appell an die menschliche Opferbereitschaft - und zwar in erster Linie in den westlichen Wohlstandsländern - siehe auch Markl, H., 1982, S. 662; ebs. Reuter, 1993, S. 12. Mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland formuliert er als die Gebote der Stunde: "Gefordert ist ... ein völliges Umdenken, ja ein Umsteuern unserer Gesellschaft. Es geht um die nationale Aufgabe, die beiden Teile Deutschlands zusammenzuführen. Es geht aber auch um die Integration aller Teile Europas; es geht um die Bewältigung der sich herausbildenden weltweiten Wirtschaftsordnung, und schließlich geht es darum, zu verstehen, daß jegliche Politik und die damit verbundene Verantwortung global geworden ist". Unverständlich ist dann aber, wieso Reuter im selben Text die Forderung nach einem der globalen Ressourcenverknappung entsprechenden "Verzicht der Menschen in den entwickelten Ländern auf ihren gewohnten Lebensstandard" knapp als "ebenso zynisch wie frevelhaft" verwirft, zumal es bereits im nächsten Absatz heißt, jene entwickelten Länder sollten "zu Lasten der eigenen weiteren Wohlstandsmehrung" die Entwicklung ressourcenschonender Technologien "mit aller Macht" betreiben. 304 So Bertrand Schneider vom Club of Rome; zitiert nach Martin/Schumann, 1993, S. 108; vgl. dazu Gore, 1992, S. 274: "Das Ringen um die Rettung der Umwelt ist in gewisser Hinsicht viel schwieriger als der Kraftakt, Hitler zu bezwingen, weil wir uns diesmal im Krieg gegen uns selber befinden"; entspr. Schönwiese, 1992, S. 184: "Es wäre töricht, wenn wir nicht einsehen würden, daß es sich bei der Umweltproblematik um einen Krieg gegen uns selbst handelt".

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Doch (spätestens) an dieser Stelle drängt sich erneut (vgl. oben, Teil 1, Kap. I. 4.) der schwerer wiegende Einwand auf, wonach mit dem "Prinzip Eigennutz" als minimaler motivationaler Basis einer den heutigen Überlebensbedingunen angemessenen globalen Ethik paradoxerweise exakt jenes Prinzip angegeben wird, das für die zunehmende Gefährdung und Existenzbedrohung der Menschheit maßgeblich verantwortlich zu sein scheint. Ohne Zweifel ist das, was das "Prinzip Eigennutz" in den Jahrhunderten seit Bacon und Descartes - zumindest in der nördlichen Hemisphäre - bewirkt hat, nämlich wissenschaftlich-technischer Fortschritt und Steigerung des materiellen Lebensstandards in ungeahntem Ausmaß, die längste Zeit eindeutig, unkritisch und uneingeschränkt als "gut" erfahren und bewertet worden. Doch es stellt sich eben immer mehr heraus, daß dieses "Gute" sich aus sich selbst heraus zunehmend in sein Gegenteil verkehrt und somit das "Böse" wird bzw. ist.305 Denn ohne Zweifel ist das "Prinzip Eigennutz" insofern als "böse" zu kennzeichnen, als es die - zum Teil bereits sehr reale, zum Teil drohende und konkret bevorstehende - ökologische und demographische Katastrophe der Menschheit heraufbeschworen hat.g 006 Gerade das unermüdliche und unersättliche menschliche Streben nach Maximierung des eigenen Nutzens, nach immer mehr Macht, nach der Befriedigung immer größerer, immer umfassenderer Bedürfnisse und nach immer höherem materiellen Wohlstand ist doch das Grundübel, das die Katastrophe heraufbeschwört (hat). So prangert auch AI Gore in seinem "Marschallplan für die Erde" die menschliche Überzeugung, sich allen Umweltveränderungen mit technischen und kulturellen Mitteln immer wieder anpassen zu können, als arrogant und trugschlüssig an. 307 Doch andererseits ist Gores Buch nichts anderes als ein einziger Appell an die menschliche Anpassungsfähigkeit; an seine Flexibilität und das Vermögen, rechtzeitig die angemessene Antwort auf anstehende Veränderungen der Überlebensbedingungen zu finden sowie an die Hoffnung, "der natürliche amerikanische Glaube an die Erreichbarkeit aller gesteckten Ziele möge die Oberhand [gewinnen]". 308 In der heutigen Situation einer bestehenden und sich zuneh305 Vgl. zu diesem Gedanken Low, 1993, S. 65 f.; ähnlich Höffe, 1993, S. 164 f. 306 Töpfer (1993, S. 8) spricht daher zurecht von der "Wohlstandslüge" der westlichen Industrienationen, die für denjenigen, der "die Dramatik der weltweiten Not und der globalen Veränderungen mit den kleinen Schritten bei uns vergleicht", enttäuschend langsam entlarvt und abgebaut wird. 307 Gore, 1992, S 241 f.; entspr. argumentiert Vossenkuhl (1993, S. 6 f.), das Überleben der Menschheit sei heute "so scheint es jedenfalls, von deren egoistischer Zerstörung der Natur gefährdet". 308 Gore, 1992, S. 343.

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mend verschlechternden globalen ökologischen Notlage ist sogar in einem Maße wie nie zuvor genau jene beim Menschen am weitesten entwickelte Fähigkeit gefordert, "Informationen aus der Umwelt aufzunehmen, sie zu akkumulieren, sie mit anderen Informationen zu kombinieren und so für die Zukunft besser nutzbar zu machen". 309 Das Prinzip oder die Notwendigkeit der Anpassung ist ebenso unhintergehbar wie das "Telos" der jeweiligen Anpassung, die inclusive-fitness-Maximierung jedes Individuums. Und die Frage ist lediglich, WIE, mittels welcher Strategie die Anpassung an die heute bestehenden und entstehenden Überlebensbedingungen und damit die Erreichbarkeit des fundamentalen anthropologischen "Telos" erfolgen kann und soll. Weil - was gleichsam die hobbesianisch-soziobiologische Grundthese dieser Arbeit ist - dieses "Prinzip Eigennutz" unhintergehbar ist, bleibt uns keine andere Hoffnung als die, das "Böse" könnte aus sich selbst heraus wieder in das "Gute" übergehen, wenn und indem es uns gelingt, unserem Egoismus im Sinne Humes - eine "neue Richtung" zu geben. 310 Weil es "keinen Affekt [gibt], der fähig ist, die eigennützige Neigung im Zaum zu halten, außer dieser Neigung selbst" 311 , erscheint auch einzig der Appell an den (wohlverstandenen) Eigennutz vor allem der Menschen in den reichen Ländern dieser Erde als geeignet, die notwendige Bereitschaft und die erforderlichen Kräfte zur Abwendung der globalen Katastrophe mobilisieren zu können. Dabei könnte auch ein weiterer Aspekt für die Brauchbarkeit der Hobbesschen Ethik-Konzeption im ökologischen Zeitalter sprechen: Viele Protagonisten einer dynamischen Ethik312 sehen eine der wichtigsten Aufgaben der So309 310 311 312

Vogel, 1989b, S. 74. Hume, 1978, S. 236. Hume, 1987, ebd. Leinfellner, 1992; Vollmer, G., 1986; vgl. auch Sperry, 1985 2 , S. 23, S. 37 ff. Sperry bietet hier folgende "Grundmaxime" eines auf dem "kosmischen Weltbild und der Faktenbezogenheit der Naturwissenschaft" beruhenden Ethos an: '"Der große Entwurf der Natur, von dem wir unter besonderer Berücksichtigung der Evolution in unserer Biosphäre erkennen, daß er in vier Dimensionen die Kräfte umfaßt, die das Weltall bewegen und den Menschen geschaffen haben, dieser große Entwurf ist etwas an sich Gutes, das zu bewahren und wertvoller zu machen recht und das zu zerstören oder verderben zu lassen unrecht ist". Ob allerdings Begriffe wie "der großen Entwurf", "Kräfte, die das Weltall bewegen" usw., vor denen wir "höchste Achtung und Ehrfurcht" haben sollen, ohne weiteres als "wissenschaftlich schlüssigefs] ... Fundament" im strengen Sinne akzeptiert werden können, wie Sperry behauptet (ebd., S. 38 f.), erscheint als fraglich.

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ziobiologie/Evolutionären Ethik darin, Grenzen der menschlichen Moralfähigkeit zu kennzeichnen, die zu beachten sind, da moralische Normen jenseits dieser Grenzen zur Nichtbeachtung oder zum Unterlaufen durch Korruption verdammt seien. 313 Nun gilt aber auch für Hobbes - und gerade das macht ihn im Zusammenhang mit der heute zu fordernden "dynamischen" Ethik so interessant -, daß nur eine solche Ethik "die bei allgemeiner Geltung die Selbsterhaltung jedes Einzelnen sichert, ... akzeptiert werden [kann]". 314 Auch Gregory Kavka kommt in seiner sehr präzisen und differenzierten Interpretation der Hobbesschen Moraltheorie zu einem entsprechenden Ergebnis: "for if we want a moral theory to be practical, in the sense that people can and will follow it if they come to understand it, the theory must be capable of hooking onto people's actual motivational capacities". 315 Mit dem "Prinzip Eigennutz" bzw. der anthropologischen Konstante des Strebens nach freier Selbsterhaltung könnte man also die motivationale Basis einer globalen Öko-Ethik angeben, die den großen Vorteil hätte, dem "Wesen" des Menschen zu entsprechen, ihn nicht zu überfordern, den Grenzen seines moralischen "Könnens" Rechnung zu tragen. Gleichzeitig wäre es jedoch nach Hobbes nicht unsinnig, eine Rückbesinnung auf ewig gültige, unveränderliche ethische Werte zu fordern. 316 In seiner Ethik-Konzeption ist die "ewige" Geltung der "Gesetze der Vernunft" mit der Dynamik der aus ihr abgeleiteten konkreten Normen durchaus vereinbar. Denn einerseits können wir davon ausgehen, daß Mord, Vertragsbruch, Lüge, Unmenschlichkeit usw. formal immer und in allen Kulturen als unmoralisch gelten (vgl. Ci, S. 111), der jeweilige historischkonkrete Inhalt der entsprechenden ethischen Normen hingegen kontingent, d.h. abhängig ist von den jeweils gegebenen Umwelt- und damit Überlebensbedingungen. Deshalb ist die pathetische Forderung nach der Rückbesinnung auf ewig gültige Werte nutzlos, wenn und solange nicht zugleich deren Konkretionen mit ausgesprochen und begründet werden können. 317 313 Vgl. Mohr, 1993, S. 22; ders., 1987, S. 3 f.; Leinfellner, 1993, S. 43 ff., 49 f.; Wuketits, 1993a, S. 223 ff.; ders., 1993b, S. 42 ff., 206 ff. 314 Braungart, 1981, S. 57. 315 Kavka, 1986, S. 364. 316 Vgl. zu dieser Forderung etwa Low, 1986a, S. 62 ff.; ders., 1993, S. 77 ff.; aber auch Mohr, 1986, S. 4.; ders., 1987, S. 77. 317 Angesichts der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien und an vielen anderen Orten dieser Welt gilt Adornos Wort (1992, S. 53) nach wie vor uneingeschränkt: "Ich glaube nicht, daß es viel hülfe, an ewige Werte zu appellieren, über die gerade jene, die für solche Untaten [Auschwitz!; T.M.] anfällig sind, nur die Achseln zucken würden; glaube auch nicht, Aufklärung darüber, welche positiven Qualitäten die ver-

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Möhrs A u c h w e n n m a n a l s o d e n s k e p t i s c h e n E i n w a n d v o n d e n " G r e n z e n der

m e n s c h l i c h e n M o r a l f ä h i g k e i t " und der a n t h r o p o l o g i s c h e n U n m ö g l i c h k e i t e i n e r e c h t e n W e l t - M o r a l 3 1 8 z u akzeptieren bereit ist, w i r d m a n d e n n o c h z u g l e i c h z u g e b e n m ü s s e n , daß e s z u e i n e m w i r k s a m e n u n i v e r s a l e n E t h o s heute k e i n e s i n n v o l l e A l t e r n a t i v e m e h r gibt. "Sinnvoll" i n s o f e r n , w e i l alles a n d e r e als e i n u n i v e r s a l e s E t h o s u n g e e i g n e t scheint, das Ü b e r l e b e n der Gattung z u e r m ö g l i c h e n . D i e F r a g e , w i e s o d e n n die M e n s c h h e i t überhaupt ü b e r l e b e n s o l l e , führt z w a r w i e d e r in e i n e n nicht v ö l l i g rational z u b e a n w o r t e n d e n B e r e i c h , aber ans o n s t e n ist d a s Kriterium d e s Ü b e r l e b e n s w o h l a m e h e s t e n g e e i g n e t , u n i v e r s e l l k o n s e n s f ä h i g z u sein. U n d d i e s v o r a l l e m deshalb, w e i l e s v o r d e r g r ü n d i g

nicht

u m e i n v e r h ä l t n i s m ä ß i g abstraktes " Ü b e r l e b e n der M e n s c h h e i t " g e h t , s o n d e r n w e i l j e d e m e i n z e l n e n Staat - u n d damit j e d e m e i n z e l n e n seiner A n g e h ö r i g e n d e u t l i c h g e m a c h t w e r d e n kann, daß e s u m das j e e i g e n e Ü b e r l e b e n u n d das Ü b e r l e b e n der j e e i g e n e n ( g e n e t i s c h e n ) N ä c h s t e n g e h t . 3 1 9 A u c h w e n n e s u n folgten Minderheiten besitzen, könnte viel nutzen. Die Wurzeln sind in den Verfolgern zu suchen, nicht in den Opfern". 318 "Es gibt in praxi keinen ethischen Kosmopolitismus", Mohr, 1986, S. 12; vgl. auch Ike, 1987, S. 224 ff; Becker, W . , 1989, S. 194 ff.; ebs. Gehlens (1986 5 , S. 141163) Kritik an der "Hypermoral" sowie Wuketits, 1990a,b,c; ders., 1993b. Analog zur Evolutionären Erkenntnistheorie könnte man im Hinblick auf die Grenzen der menschlichen Moralfähigkeit durchaus vom "moralischen Mesokosmos" sprechen, an den die menschlichen Verhaltenspotentiale evolutiv angepaßt sind. 319 Insofern ist also auch Wernicke (1992, S. 1) zu widersprechen, der das Überleben der Menschheit für "die zentrale Frage aller Politik" hält (vgl. entspr. Ike, 1987, S. 232 f.). Genau dies ist eben nicht der Fall. Ein Abstraktum ist nicht global konsensfähig. Auch die Formel der Jonasschen "Verantwortungsethik" (vgl. Jonas, 1989, S. 36), wonach durch mein Handeln nicht der "Fortbestand der Menschheit auf Erden" gefährdet werden darf (ebd.), ist demnach nur dann sinnvoll, wenn der Begriff "Menschheit" im abstrakten oder unbestimmten Sinne verstanden wird wie "menschliches Leben". Denn es wäre unsinnig und selbstwidersprüchlich, das Überleben der "Menschheit" nicht, das Überleben eigener Nachkommen aber sehr wohl zu wollen. Faßt man den Begriff "Menschheit" jedoch konkreter im Sinne von "Gesamtzahl der Weltbevölkerung", so muß sich der Widerspruch nicht mehr ergeben. Denn dann wäre es theoretisch durchaus möglich, zwar das Überleben eigener Nachkommen, des eigenen Volkes, der eigenen "Nation" (was immer das sein mag) oder Rasse zu wollen, das Überleben anderer Völker und Nationen aber gerade nicht (ob dem auch die praktische Möglichkeit korrespondiert und ob diese legitimierbar wäre, ist eine völlig andere Frage). Zur Kritik an Jonas' These, nur Seiendes könne uns in die Pflicht nehmen, während das "Nichtexistierende ... keine Ansprüche [stellt]" (Jonas, 1989, S. 84), siehe Roser, 1990, S. 27 f. Roser weist zurecht darauf

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möglich ist, dem "Ethos des Humanitarismus" weltweite Geltung zu verschaffen; auch wenn dem Menschen unhintergehbare genetische Grenzen seiner Moralfähigkeit gesetzt sind - man wird gleichwohl akzeptieren können, daß es ein universal gültiges Ethos gibt, nämlich das (in verschiedenen Kulturen inhaltlich freilich unterschiedlich definierte!) Ethos des (inklusiven!) Eigennutzes. Zweckrationaler politischer Philosophie und Politik braucht es daher heute nicht darauf anzukommen, "die Millionen zu umschlingen, sondern darauf, die Logik der Staatenwelt zu einem geschlossenen System gegenseitiger Anerkennung auszubilden und so ein globales Friedenssystem aufzubauen". Diesen Satz schreibt Bernard Willms, der sich an anderer Stelle ausdrücklich gegen jeden Versuch ausspricht, das Hobbessche Modell analog auf die Ebene der "Leviathane unter sich" anzuwenden, und der sich im Hinblick auf einen fraglichen "Weltstaat" "die futurologische Ader oder den Mut zu dem, was linkslastige 'Menschheitsdenker' heute gerne 'Die konkrete Utopie' nennen", ebenso ausdrücklich abspricht. 320 Leider macht Willms keinerlei Angaben darüber, inwiefern denn jenes "geschlossene System gegenseitiger Anerkennung" weniger utopisch ist und vor allem, wie es denn erreicht werden könnte. Offensichtlich müssen wir anerkennen, daß die Ausarbeitung und Verbreitung einer philosophisch-politischen Utopie - die z.B. in Bezug auf ein politisch vereinigtes Europa ohnehin bereits konkretere Formen angenommen hat 321 - die notwendige Voraussetzung dafür ist, in der konkreten weltpolitischen Praxis überhaupt etwas bewegen zu können (womit die Frage, ob die

hin, Jonas' Ethik müsse notwendig auch aktuell Nicht-Seiendes "in die Pflicht nehmen", da der abstrakte Begriff "zukünftige Menschheit" eben auch jene Generationen umfasse, die jetzt noch nicht existierten. Der theoretische Anspruch Jonas', in seiner Ethik könne nur das bereits Seiende moralische Ansprüche stellen, ist daher nicht widerspruchsfrei zu halten (zumals Jonas kurz zuvor selbst [ebd., S. 55] von der dem "Nichtexistentefn]" "geschuldetefn] Rechenschaft" spricht). Zutreffend ist auch die Kritik Rosers (a.a.O., S. 30 f.), wonach die Jonassche Verpflichtung auf das zukünftige "Sosein" des Menschen (Jonas, 1989, S. 87) entweder wider besseres Wissen sei, da der Mensch sich als ein in der - biologischen wie auch kulturellen Evolution befindliches Lebewesen notwendig verändere; oder aber das "Sosein" des Menschen könne nur rein ideell als etwas Invariantes in der ethischen Theorie berücksichtigt werden, wenn es so etwas wie "Kern des Menschseins", "Wesen des Menschen" o. ä. besagen sollte. 320 Willms, 1979, S. 200; ders., 1987, S. 182 ff., 260 f. 321 Zum Thema "Europa als Thema und Aufgabe der Philosophie" siehe Baumgartner, 1992; Gauger, 1992.

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"politische Utopie" ein Zukunft habe eindeutig beantwortet sei): "So gewinnt die Utopie eine lebensnotwendige, weil lebenserhaltende Funktion; wer sie endgültig aus dem politischen wie theoretischen Diskurs verabschieden möchte, verabschiedet mit Sicherheit das, was das Überleben der Menschen vielleicht noch sichern kann". 323 Dabei sollten wir aber so realistisch, unser berechtigtes Eigeninteresse so weitblickend sein, daß wir die Notwendigkeit rechtlich machtvoller Institutionen zur Herstellung und Wahrung des angestrebten Friedens und der ökologischen Nachhaltigkeit ebenfalls akzeptieren - auch wenn sie auf Kosten unserer vollen staatlichen Souveränität und Freiheit gehen müssen. Die Alternative ist auf möglicherweise gar nicht allzu lange Sicht das ökologisch und/oder militärisch-technisch bewerkstelligte evolutive "Aus". Wir müssen es als ein Faktum anerkennen, daß auch Kulturen - die ja aus soziobiologischer Sicht ohnehin ihrerseits als menschliche Adaptionsleistungen anzusehen sind - einem ständigen Selektionsdruck ausgesetzt sind, dem sie sich anpassen müssen, wenn sie überleben wollen. Wenn aber der Selektionsdruck für die heutigen Kulturen ersichtlich Anpassungsleistungen im Sinne einer Auflösung alter (nationaler, kulturspezifischer, ethnozentristischer) Grenzen "fordert", dann "sollten" diese Leistungen auch im je eigenen Überlebensinteresse der Kulturen und ihrer Angehörigen erbracht werden. 324

2.1 Exkurs: Einige alternative Ansätze zur Begründung eines universalen Ethos Ebenso interessant wie naheliegend ist in diesem Zusammenhang natürlich zunächst Hans Jonas' Verantwortungsethik, gerade weil diese zentral mit der "Heuristik der Furcht" operiert - auch wenn Jonas insistiert, "natürlich von selbstloser, nicht von Hobbes' selbstischer Furcht" zu sprechen. 325 Was aber 322 Die Leitfrage des Sammelbandes von Saage, 1992. 323 Bermbach, 1992, S. 150 f. 324 Zur prinzipiellen Geltung der evolutiven Prinzipien auch für Kulturen (sowie zu Unterschieden zwischen "biogenetischem" und "tradigenetischem" Prozeß) siehe etwa Vogel, 1989b, S. 73-85; Czempiel (1992 2 , S. 87) stellt diesbezüglich schlicht fest: "... das Verhalten der Staaten wird durch die anarchische Struktur des internationalen Systems, das ihnen allen die gleichen Verhaltenszwänge auferlegt, determiniert. [...] Die Welt des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist keine Staatenwelt mehr"; vgl. ders., 1993, S. 25; entspr. Krell, 1992, S . III; Guehenno, 1994, S. 9 ff. 325 Jonas, 1989, S. 412, zur Abgrenzung von Hobbes vgl. auch ebd., S. 65. Was die "Heuristik der Furcht" konkreter besagt, fuhrt Jonas 1991 (S. 19) näher aus; sie ba-

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soll man sich unter einer "selbstlosen Furcht" überhaupt vorstellen? Auch wenn ich für andere ein Übel befürchte und sei es für zukünftige Menschen, heute noch nicht existierende, also bloß fiktive Nachkommen, ist diese Furcht niemals selbstlos in dem Sinne, daß ich in keiner Weise von dem befürchteten Übel betroffen wäre. Eine solche Betroffenheit liegt schon in der Antizipation eines Übels vor, bzw. in dem Umstand, daß ich die antizipierte Situation als ein Übel empfinde. Zudem dürfte die "selbstische Furcht" im Hobbesschen Sinne viel eher geeignet sein, eine Ethik (auch die hier vorgeschlagene bloße "Klugheitsethik") zu begründen, "die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen und dauernd hinzuerwerben und auszuüben beinahe gezwungen sind" und die dennoch auf die von Jonas als unabdingbar geforderte "Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen" verzichten kann. 326 Wieso? Erstens ist - mit Hobbes und der modernen Soziobiologie - davon auszugehen, daß es echtes selbstloses Verhalten schlechterdings nicht gibt oder nur in extremen Ausnahmefällen. 327 Zweitens kann die moralische Verpflichtung zur Beachtung der Interessen "zukünftiger Menschheit" mit dem Argument bestritten werden, diese Forderung überschreite die Grenzen menschlicher Moralfähigkeit und sei insofern Ausdruck einer "Moralhypertrophie" im Sinne Gehlens. 328 Es ist daher realistischer, die Grenzen der Jonasschen siert demnach auf der "Hoffnung, daß die Menschen ihr Handeln ändern, wenn man ihnen nur genügend vorstellt, was die Folgen ihres jetzigen gedankenlosen Genießens der Schätze dieser Erde und des Einsatzes der prometheischen Mittel, die uns die Wissenschaft und Technik in die Hand gegeben hat, sein werden". Zur Kritik an der "Heuristik der Furcht" in Jonas' futurologischer Ethik siehe Roser, 1990. 326 Jonas, 1989, S. 57; zur Kritik an einer Heiligung oder Mystifizierung der Natur siehe Passmore, 1980, S. 211 ff. 327 Selbst das Eltern-Kind-Verhältnis, das nach Jonas (1989, S. 234 ff.; 1991, S. 16 ff.) als DAS Paradigma für echtes selbstloses Verhalten anzusehen ist, wird in der soziobiologischen Theorie als "genegoistisches" Verhalten zur Steigerung der je eigenen "inclusive fitness" entlarvt (vgl. etwa Barash, 1981, S. 112: "Die Liebe der Eltern zum Kind ist eine List der Evolution, die gewährleistet, daß die Eltern in das Kind auf eine Weise investieren, die die Tauglichkeit jedes Elternteils maximiert; vgl. entspr. Dawkins, 1978, S. 147). 328 So verweist auch Roser (1990, S. 49) darauf, die von Jonas geforderte Verantwortung überfordere, "weil jedes menschliche Maß übersteigend, jeden Menschen [...] (etwa dann, wenn wir Zeiträume von 4,5 Milliarden Jahren berücksichtigen müßten [der Halbwertszeit des Uran-Isotops 238])". Auch Jonas (1989, S. 61 f., 65) sieht, daß hinsichtlich des Überlebens der Menschheit die "Frage 'warum denn?' ... in voller Freiheit und ohne Frivolität" gestellt werden kann, weshalb ihre

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Möhrs

Zukunftsethik w e s e n t l i c h e n g e r z u z i e h e n - n ä m l i c h in d e n B e r e i c h der ü b e r s c h a u b a r e n Z u k u n f t , d. h. e i n e n Zeitraum, der das j e e i g e n e L e b e n

und

partiell

vor

das

der

unmittelbaren

Nachkommen

umfaßt.

Die

Furcht

z u k ü n f t i g e n Ü b e l n ist d a n n auf die e i g e n e P e r s o n und die A n g e h ö r i g e n der e i g e n e n "Ingroup" z u b e z i e h e n - und e s ist sicher, daß d i e s e Furcht"

im

Sinne

Hobbes'

ein

wesentlich

stärkeres

"selbstische Movens

zu

"vernünftigem" H a n d e l n darstellt als die J o n a s s c h e "selbstlose F u r c h t " . 3 2 9 M i t Kant g e s p r o c h e n : "Allein [der] h e r o i s c h e Glaube an die T u g e n d s c h e i n t d o c h , subjektiv,

keinen

so

allgemeinkräftigen

Einfluß

auf

die

Gemüter

zur

B e k e h r u n g z u h a b e n , als der a n e i n e n mit S c h r e c k e n b e g l e i t e t e n Auftritt, der v o r d e n l e t z t e n D i n g e n als v o r h e r g e h e n d g e d a c h t w i r d " . 3 3 0 Jonas selbst räumt s c h l i e ß l i c h e i n , i m H i n b l i c k auf "die unmittelbar uns selbst b e d r o h e n d e n , an uns selbst n o c h h e i m g e s u c h t e n F o l g e n " v e r m ö g e alleine die A n g s t - n a c h Jonas "oft der b e s t e Ersatz für w i r k l i c h e T u g e n d und W e i s h e i t " - j e n e Z ü g e l u n g der b e d r o h l i c h e n Kräfte z u b e w i r k e n . 3 3 1 grundsätzliche Beantwortung jenseits bloßer "Plausibilität und Gefühlsevidenz" (ebd.) unerläßlich sei. Hegselmann (in: Jonas, 1991, S. 15) stellt Hans Jonas in diesem Zusammenhang die "frivole Frage", ob denn die von Jonas genannte "mütterliche Sorge um die eigenen Kinder" als Paradigma für eine "motivationale Basis unserer Sorge für die Zukunft" hinreichen könne, "wo doch gerade diese Art von Sorge extrem nahbereichsorientiert ist". Das wirkliche Problem einer Zukunftsethik lasse sich dagegen in der Frage zusammenfassen: "Was könnte dazu motivieren, auch denjenigen gegenüber, denen wir niemals begegnen werden, jenen Altruismus zu zeigen, den wir aus manchen Nahbereichsinteraktionen kennen"? Evolutionäre Ethik/Soziobiologie fordern hier die realistische Einsicht, daß eine direkte moralische Motivation zugunsten der "Menschheit" überhaupt nicht zu erreichen ist, sondern nur vermittelt über das Interesse an der je eigenen "inclusive fitness" im relativen Nahbereich. 329 In diesem Sinne ist es also eine zu starke Behauptung, ein universal verantwortliches Handeln müßte "in Konkurrenz mit unseren eigenen Interessen und unseren Nahzielen treten" (Jonas, 1991, S. 23). Beispiel: Die Wahrung der Interessen der DritteWelt-Länder sind partiell deckungsgleich mit unseren eigenen. 330 Kant, 1978 2 , XI, S. 181 (A 507/508). 331 Jonas, 1989, S. 57; vgl. auch ebd. S. 65, wo Jonas mit Bezug auf Hobbes erläutert, das Geschick zukünftiger Generationen oder gar des Planeten habe zunächst natürlich nicht jenen "Einfluß auf unser Gemüt" wie die "'pathologische!]'" Furcht vor dem eigenen gewaltsamen Tod bei Hobbes. Die Frage ist allerdings, ob die geforderte "Selbstbereitung zu der Bereitschaft, sich vom erst erdachten Heil und Unheil kommender Geschlechter affizieren zu lassen" (ebd.), nicht hoffnungslos idealistisch ist. "Tödlich" für sein gesamtes Unternehmen ist dann Jonas' Eingeständnis (ebd., S. 68), die "Unsicherheit der Zukunftsprojektionen [werde] zur empfindlichen Schwä-

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Zudem hat diese engere zeitliche Grenzziehung den großen Vorteil, daß "Tatsachenwissen von den Fernwirkungen technischer Aktion" 332 viel eher zum Zug kommen kann. D.h., in diesem Rahmen wäre es möglich, mit wissenschaftlichen Prognosen zu operieren, die eine relativ sichere ZukunftsVorhersage erlauben - weit sicherer jedenfalls, als es futuristische Prophezeiungen im Sinne Jonas' je zulassen könnten. Und es besteht kein Zweifel daran, daß die Furcht vor zukünftigen Übeln, die die eigene Person oder spätestens die der Kinder und Kindeskinder betreffen werden (sofern dies nicht bereits der Fall ist), heute durchaus (wissenschaftlich) begründet ist. Insgesamt ist jedoch als die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen Hobbes und Jonas hervorzuheben, daß in der Furcht vor künftigem Übel wohl einer der grundlegendsten anthropogenen Beweggründe zu rationalem Handeln gesehen werden kann. Und im Hinblick auf die drohenden Menschheitskatastrophen wird jeder Hobbesianer Jonas' recht geben, wenn er sagt: "Wo die große Katastrophe droht, rückt die Vermeidung des Unheils an den ersten Platz. Das ist nicht sehr inspirierend, das ist nicht sehr heldenhaft, das gibt keine großartigen Perspektiven, aber es wird uns vielleicht davor bewahren, daß wir von künftigen Erben dessen, was wir jetzt tun, später einmal verflucht werden" 333 - sofern es diese fluchenden Erben überhaupt noch geben kann. Für Wolf kommt alleine die utilitaristische Ethik als Antwort auf die ökologische Krise der Erde in Frage. 334 Dabei rekurriert er vor allem auf die Utilitarismus-Variante von John Stuart Mill und dessen Zweiteilung der Moral in (1) die Selbsterziehung und Gefühlskultur sowie (2) die Regelung äußerer Handlungen. Nach der Mill von Wolf zugeschriebenen Werttheorie sind Wertungen zwar stets interessenbezogen, aber nicht einfach mit Interessenbefriedigung

che dort, wo sie die Rolle von Prognosen übernehmen müssen, nämlich in der praktisch-politischen Anwendung (die überhaupt ... der nicht nur theoretisch, sondern auch operativ schwächste Teil des ganzen Systems ist)", da eben das '"bloß möglich' der Projektionen ... leicht tödlich" sein könne, weil anderes auch bzw. ebenso möglich sein könnte wie das Projektierte. Die Folge - die idealistische Ethik-Konzeptionen in aller Regel trifft - ist, daß "die schönsten Prinzipien ... müßig bleiben, bis es vielleicht zu spät ist" (ebd., S. 69). 332 Mohr, 1987, S. 62. 333 Jonas, 1991, S. 26 f. 334 Vgl. Wolf, J.-C., 1990, S. 1990, S. 619 ff. Auf die zum Teil sehr scharfe Kritik Wolfs an Spaemanns Utilitarismus-Kritik in seinem Buch "Glück und Wohlwollen" (Spaemann, 1989) kann hier nicht näher eingegangen werden.

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gleichzusetzen; sie sind vielmehr "zugleich volitiv und kognitiv". 335 Es stellt sich hier natürlich unmittelbar die Frage nach der Zirkularität dieser Überlegungen. Wenn X wünschenswert ist, weil wir es wünschen, sich der Wert eines Dinges X also nach unserem Interesse an ihm bemißt, ist dann nicht der Satz zirkulär, daß wir X wünschen, weil es als wünschenswert verstanden wird, da doch "wünschenswert" und "von uns gewünscht" im ersten Satz identisch waren? Somit würde der zweite Satz lauten, daß wir X wünschen, weil wir es wünschen - was eine geradezu klassische Tautologie wäre. Ausdrücklich verweist Wolf auf die Millsche Unterscheidung zwischen bloßer Zweckmäßigkeit und sittlicher Pflicht. Nach Mill darf nicht alles das gefordert und durchgesetzt werden, was als wünschenswert und lustvoll angesehen wird. Moralische Normen sind für ihn alleine diejenigen Forderungen, die prinzipiell durchgesetzt werden dürfen336 - was natürlich wiederum eine Rechtfertigung und damit eine Rechtfertigungsinstanz erforderlich macht. Und diese Instanz soll nach Mill in erster Linie das individuelle Ermessen und Gewissen sein, während mit gesellschaftlichen "Sanktionen" sparsam umzugehen ist. Das Kriterium, anhand dessen das Individuum (oder die Gesellschaft) seine Evaluation jeweils vornimmt, soll im Millschen Modell - so Wolf - gerade nicht eine platte Zweck-Mittel-Kalkulation sein, da diese in der Regel quantifizierbare Zwecke voraussetze, die aber in vielen Fällen (etwa wenn es um persönliche Freiheit, Selbstachtung, immaterielle Lebensqualität u.ä. geht) eben nicht gegeben sei. 337 Doch auch diese Argumentation erscheint als recht unscharf. Denn wenn man einen absolut übergeordneten "Zweck" annimmt - etwa den Hobbesschen der "freien Selbsterhaltung" 338 -, und diesen im Sinne Wolfs als für die Anwendung des Utilitarismus notwendige "Maxime" 339 gelten läßt, dann läßt sich die Zweck-Mittel-Kalkulation in jedem Fall verteidigen, ohne daß dies in einem harten individuellen Egoismus oder radikalen Hedonismus münden 335 336 337 338

Wolf, J.-C., a.a.O., S. 622. Vgl. Wolf, J.-C., a.a.O., S. 623. Wolf, J.-C., a.a.O., S. 625. Kurioserweise spricht Wolf (1990, S. 627) selbst davon, die "Maximen" des Utilitarismus hätten sich auf die "kollektive Selbsterhaltung (das Überleben der Gattung Mensch)" zu beziehen. Aber in welchem Sinne - wenn nicht zweckrational? 339 Die Birnbacher in seiner "Verantwortung für zukünftige Generationen" als "Praxisnormen" bezeichnet, die sehr wohl geeignet sein sollen, die individuelle wie auch gesellschaftliche Zweck-Mittel-Kalkulation zu steuern; vgl. Birnbacher, 1988, S. 16 ff., 197-240. Auch Birnbacher hält den Utilitarismus - genauer: den "intergenerationellen Nutzensummenutilitarimus" (S. 101 ff.) - für die heute angemessenste Ethik-Konzeption. Zur Argumentation Wolfs siehe a.a.O., S. 627.

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müßte. Gerade im Hinblick auf diesen übergeordneten Zweck kann es ("inclusive fitness"! "Reziproker Altruismus"!) durchaus klug sein, die Eigeninteressen Dritter und (theoretisch) sogar die ßgemnteressen aller Dritter in die eigene Zweck-Mittel-Kalkulation einzubeziehen. 340 Von der Notwendigkeit einer "Makroethik", der es darum gehen muß, "die Verantwortung der Menschheit für die Folgen (und Nebenfolgen) ihrer kollektiven Handlungen im planetaren Maßstab zu organisieren", ist auch der Transzendentalpragmatiker und Diskursethiker Karl-Otto Apel überzeugt. 341 Ausgehend von der Beobachtung, die heute vorliegenden, vor allem ökologischen Probleme seien für die "Menschheit als Ganzes" von Bedeutung, konstatiert er für die Jetztzeit eine vollkommen neue Situation, in der "zum ersten Mal in der bisherigen Weltgeschichte" die gemeinsame moralische Verantwortung der Menschheit angesichts der gemeinsamen Gefahr sichtbar werde. Da aber der Bezugsrahmen der geforderten Makroethik bei weitem den Bereich der - evolutiv gewachsenen - "sinnlich-emotionalen 'Merkwelt'" des Menschen übersteige, sich der einzelne Mensch von den Folgen seiner Handlungen (der "Wirkwelt") nicht mehr individuell betroffen fühle, müsse heute an die Stelle eines eher archaisch-emotionalen bzw. "instinkt-residualen Sündenbewußtseins ... jetzt definitiv die Verantwortung der Vernunft treten. 'Homo sapiens' muß nun erkennen, daß 'homo faber' ihm weit voraus ist mit dem, was er schon angerichtet hat und noch anrichten kann, und daß ihm nun - vielleicht in letzter Stunde - die Aufgabe zufällt, die entstandene Kluft auszugleichen (zu kompensieren), und das heißt: mit Hilfe der 'praktischen Vernunft' eine Antwort zu geben auf eine Lage, die er aufgrund der technischen Ratio im wesentlichen selbst geschaffen hat". 3 4 2 340 Vgl. dazu Wolf, J.-C., 1990, S. 631 ff. Interessant ist in diesem Zusammenhang gerade weil er sich in vielem explizit auf Hobbes stützt - auch Bernard Gerts "negativer Utilitarismus", der - ähnlich wie Jonas' "Verantwortungsethik" die schlechte vor der guten Prophetie (vgl. Jonas, 1989, S. 70 ff.) - den Primat des Übels gegenüber dem des Guten proklamiert und in seiner Kernthese besagt, alle Menschen, sofern sie nur rational sind und entscheiden, seien in aller Regel primär darauf bedacht, Übel zu vermeiden (Siehe Gert, 1983, S. 116-178, 179 ff., 258 ff.). 341 Apel, 1983, S. 31; ders., 1993. 342 Apel, ebd., S. 32. Bereits hier ließe sich fragen, ob nicht der Vernunft in dieser Konzeption vor allem die Aufgabe zukommen sollte, dem hinterherhinkenden Homo sapiens die Bedrohlichkeit des Homo faber sinnlich-emotional bewußt zu machen, da das bloße rationale Konstatieren einer Gefahr im Zweifel keinerlei Folgen für das individuelle und/oder kollektive Handeln hat; erst dann, wenn diese Gefahr sinnlichemotional spürbar wird, ist mit Handlungsbereitschaft zu rechnen. Diese Vermittlung

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Apel stellt sich nun die Frage, ob nicht die Ableitung einer ethischen-moralischen Verantwortung des Menschen aus seiner faktischen Situation in der (heutigen) Welt auf einen naturalistischen Fehlschluß hinauslaufe. Er bestreitet dies jedoch mit der Begründung, es gebe eine "fundamentale ethische Norm", die "unabhängig von jeder empirisch-kontingenten Situation, von jedem, der philosophiert, schon als gültig anerkannt sein muß" - und diese allgemeine, universale ethische Basisnorm besteht für Apel bekanntermaßen darin, daß jeder, der in eine sinnvolle Argumentation eintritt, apriori "eine ideale Kommunikationsgemeinschaft aller Menschen als gleichberechtigter Partner voraussetzt, eine Kommunikationsgemeinschaft, in der alle Meinungsverschiedenheiten - auch solche, die praktisch Normen betreffen - im Prinzip nur durch konsensfähige Argumente eingelöst werden sollten" (S. 34). 3 4 3 Aus soziobiologischer Sicht wird man nun - wie bereits erwähnt (Teil 2, Kap. I. 1.2) - zumindest das Sprach-Apriori (als stammesgeschichtliches Aposteriori!) in der Ethik insofern akzeptieren können, als Sprache als Kommunikationsmedium die (entscheidende) Möglichkeitsbedingung von Ethik jenseits der genetischen Ingroup überhaupt ist. Und diese Interpretation ließe sich auch mit Hobbes sehr gut vertreten, der im Sprach-Kapitel des "Leviathan" betont, die Sprache sei "die edelste und nützlichste aller Erfindungen", ohne die "es unter den Menschen weder Staat noch Gesellschaft, Vertrag und Frieden gegeben [hätte] - nicht mehr als unter Löwen, Bären und Wölfen" (Le, S. 24). Das heißt nun aber nicht, daß jeder, sobald er in einen Diskurs eintritt, notwendig die Gleichberechtigung aller Diskursteilnehmer und die diskursive Einlösbarkeit von Wahrheits- und Geltungsansprüchen anerkannt haben müßte. Anerkannt haben muß er so etwas wie die bloße Verstehbarkeit seiner Ansprüche, da er sich ansonsten nicht verbal artikulieren müßte; die diskursive Einlösbarkeit dieser Ansprüche ist jedoch im Zweifelsfalle gerade immer die prekäre, unwahrscheinliche, nur im Idealfall erreichbare Alternative - und damit erweist sich das diskursethische Apriori der

zuwege zu bringen, wäre freilich eine ausgesprochene Meisterleistung der "praktischen Vernunft". 343 Diese Schlüsselthese Apels wird etwa von Willms (1979, S. 185) als "zirkuläre Argumentation" verworfen, auf die es sich im Rahmen der Normendiskussion nicht einzulassen lohne. Kern der Kritik von Willms ist das unhintergehbare Problem der Bestreitbarkeit, die allein jeglichen Normen und ihren Begründungen gemeinsam sei - eben auch "noch so intelligent ausgetüfteltefn] normativefn] Regeln für den Diskurs" (Willms, ebd.). Willms vermutet hinter dieser traditionellen Normenphilosophie den Versuch, "sich und anderen die Konsequenz des Politischen ersparen und verschweigen" zu wollen (Willms, ebd., S. 186).

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idealen Kommunikationsgemeinschaft schlicht als Überinterpretation. Die möglichen Einwände des Diskursethikers, schließlich behaupte er die "prinzipielle" Geltung der ethischen Grundnorm nur für den "ernsthaft" Argumentierenden, ist ebenso immunisierend und daher diskursiv unbrauchbar wie der Hinweis auf den kontrafaktischen Charakter der "idealen Kommunikationsgemeinschaft". Tatsache ist, daß die Kommunikationsgemeinschaft in den seltensten Fällen "ideal" ist, weil - auch hier ist Hobbes lebensnäher - nahezu alle Diskursteilnehmer dazu neigen werden, die anderen mit ihren Ansprüchen gerade nicht als gleichwertig zu erachten, sondern die eigenen Interessen höher zu bewerten als die der anderen. 344 Die Vorstellung von der reziprok-symetrischen Anerkennung aller Diskursteilnehmer ist unrealistisch. 345 Wie dem auch sei - Apel meint jedenfalls, auf diese Weise die "Wiederherstellung des methodischen Primats der Transzendentalphilosophie" geleistet zu haben 346 , die eben deshalb keinen naturalistischen Fehlschluß bedeute, denn man leite ja die normativen Konsequenzen "keineswegs aus einem kontigenten anthropologischen Faktum ab, sondern aus dem Umstand, daß es unbestreitbar wahr ist, daß man als sinnvoll [Immunisierung! T.M.] Argumentierender normative Bedingungen der Möglichkeit der Argumentation notwendigerweise anerkannt hat". 347

344 Was Hobbes alleine schon wegen "der der menschlichen Natur angeborenen Ehrbegierde" (Ci, S. 182) nur für verständlich hält. 345 Im Hinblick auf die moderne Diskurs- oder Beratungsethik (Apel, Habermas, Kuhlmann u. a.) als geeignetem Kandidaten zur Bewältigung der ökologischen Problem sei daher hier ausdrücklich auf Hobbes' Kritik am Übereinstimmungs-Prinzip (etwa Ci, S. 85) sowie auf seine massive Kritik an der Demokratie als höchst träger Regierungsform verwiesen. Wichtig ist gerade im Zusammenhang mit der von den Diskursethikern antizipierten "idealen Kommunikationsgemeinschaft", in der jeder jeden a priori als "gleichberechtigt" anerkennen sollte, die Hobbessche Kritik an der Demokratie als der "Regierung einiger Redner" (El, S. 163) bzw. die "Aristokratie von Rednern, die manchmal durch die zeitweilige Alleinherrschaft eines Redners unterbrochen wird" (El, S. 144; vgl. Ci, 182 f.); Walzer (1992, S. 430 f.) weist allerdings darauf hin, Hobbes habe hier vornehmlich an die athenische Volksversammlung und an Perikles gedacht; unter modernen Verhältnissen mit ihren weitaus komplexeren Diskussionsformen habe der "große Einzelredner ... seine Dominanz längst verloren". Gleichwohl kritisiert Walzer jeden Versuch vehement, Gerechtigkeitsprinzipien am Modell eines "hypothetischen Dialogs" zu entwickeln, der in einem "asozialen Raum" stattfindet (vgl. Walzer, 1990, Kap. 1). 346 Apel, 1983, S. 35. 347 Apel, 1983, S. 35; vgl. dazu auch Kuhlmann, 1990, S. 105 ff.; ders., 1993, S. ff.

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Wenn man nun aber das "Selbsteinholungspostulat" berücksichtigt, demzufolge "der Umstand, daß es Menschen gibt und daß sie als mündige Vernunftwesen unter anderem zur reflexiven Vergewisserung der normativen Bedingungen der Argumentation befähigt sind, auch ein kontingentes Faktum der Evolution und der menschlichen Geschichte [ist]"348, dann leuchtet es nicht ein, wieso dann das Kommunikations-Apriori selbst nicht ebenfalls an sich kontigent sein sollte - was ja aus soziobiologischer Sicht eher eine Aufwertung bedeuten würde. Erheblich abschwächend - und damit im Hinblick auf die geforderte "Makroethik" durchaus akzeptabel - erscheint dann Apels Hinweis, die "kontrafaktische Antizipation der idealen Kommunikationsgemeinschaft verweisfe] auf die Zukunft im Sinne einer regulativen Idee moralischen Fortschritts, die in jeder soziokulturell bedingten Situation von jedem, der argumentiert, als verbindlich anerkannt werden kann". 349 Allerdings liegt in der Formulierung "anerkannt werden kann" bereits wieder die Möglichkeit begründet, einen Diskurs paternalistisch mit dem Satz zu beenden, der "jetzige" Stand des Konsenses könne von allen anerkannt werden, sofern sie "ernsthaft" an einem "sinnvollen" Konsens interessiert seien. Für Wetzel stellt der Intersubjektivismus der Diskurs- oder Beratungsethik einen ausgesprochenen "Widerstand gegen die ökologische Ethik" dar, "welcher darin besteht, daß alle Betroffenen als Betroffene für die Normenfindung mitwirkungs- und entscheidungskompetent sein sollen, aber zum Zwecke einer moralisch akzeptablen Normensetzung sich wechselseitig abzustimmen haben, und zwar solange, bis auch der letzte Betroffene 'zwanglos' zustimmen kann". 350 Und genau dieser Anspruch wird nach Wetzel "für die Belange einer ökologischen Ethik schlechthin abenteuerlich".351 Dem Einwand Wetzeis steht andererseits - etwa seitens Stachowiaks, der für eine rein pragmatische Wissenschaft plädiert - der Gegeneinwand gegenüber, die Bewertung von Maßnahmen zur Verhinderung einer ökologisch-demographischen Katastrophe setze Wertmaßstäbe, Normen, Maximen usw. voraus, die seiner Meinung nach nur in "geregelter Kommunikation" gefunden wer-

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Apel, 1983, S. 35. Apel, 1983, S. 37 f. Wetzel, 1990, S. 608. In diesem Zusammenhang sind die Berichte Wernickes (1992a,b,c) über die realen (diskursethischen) Schwierigkeiten der etliche Monate währenden Vorbereitungskonferenzen des "Erdgipfels" von Rio im Juni 1992 überaus aufschlußreich.

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den können, weshalb "die autoritäre Lösung ... schon aus Dysfunktionalitätsgründen entfallen [dürfte]". 352 Abgesehen davon, daß aus Hobbesscher Sicht die Funktion der Sprache als primäres Instrument des Friedens nochmals zu betonen ist, könnte es in diesem Zusammenhang vielleicht sinnvoll sein, zwischen rein kommunikativen, rein autoritären und gemischten kommunikativ-autoritativen Formen der Setzung von Wertmaßstäben zu unterscheiden. So wie es - gerade wenn es um strittige, brisante oder gar existentielle Themen geht - aus rein pragmatischen, zeitlichen Gründen wenig sinnvoll sein dürfte, auf eine rein kommunikative Form der Entscheidungsfindung zu bestehen, so sinnvoll dürfte es deshalb sein, in die jeweilige "Kommunikationsgemeinschaft" der Entscheidungsträger ein autoritatives Element einzuführen, ohne in die archaischen Strukturen einer "Alleinherrschaft" zu verfallen. Die Verteidigungsstrategien eines Diskursethikers gegenüber dem Vorwurf, eine "rein akademische Angelegenheit"353 ohne praktische Relevanz zu sein, dürften spätestens an diesem Punkt entweder über die oben bereits markierten immunisierenden Begriffe laufen ("ernsthafte", "sinnvolle" Diskussion, Anerkennung der "prinzipiellen" diskursiven Einlösbarkeit von Geltungsansprüchen in einer "kontrafaktischen" Gemeinschaft usw.) oder aber über den Hinweis, es sei zu unterscheiden zwischen dem Postulat der regulativen Idee einer idealen Kommunikationsgemeinschaft einerseits und dem realen Erfordernis einer "strategischen" Ethik andererseits.354 352 Stachowiak, 1983, S. 347 f. 353 Kuhlmann, 1990, S. 105. 354 Vgl. etwa Apel, 1983, S. 38, 41 ff., v.a. auch 46 f.; hier verweist er in diesem Sinne auf die "Gegenwartssituation der realen Kommunikationsgemeinschaft", die zu einer "Unterscheidung zwischen der konsensual-kommunikativen und der strategischen Handlungsrationalität" nötige, die letztlich auf "das von der philosophischen Ethik bislang kaum bewältigte Problem Machiavellis" verweise. Das gleiche gilt auch für den Apel-Schüler Kuhlmann (1990, S. 114 f.), der für die theoretische Ethik die Notwendigkeit von Normen bestreitet und die direkte Anwendbarkeit des "Moralprinzips" behauptet, während er "in der realen Praxis" durchsetzbare Normen für unentbehrlich hält. Die Frage stellt sich natürlich, welchen Zweck dann eine noch so schlüssig letztbegründete Ethik "der Idee nach" haben kann, wenn sie praktisch nicht anwendbar ist, bzw. nur unter (wann je gegebenen bzw. feststellbaren?) "idealen Bedingungen, insbesondere dann, wenn die Zeit keine Rolle spielt" (ebd., S. 116). Entgegen Kuhlmanns Beteuerungen (ebd., S. 105, 119 f.) trifft also der kritische Einwand zu, es handle sich bei der Diskursethik um eine "rein akademische Angelegenheit", die bestenfalls einen gewissen intellektuellen Spiel-Wert zu haben scheint - was durchaus nicht immer wenig sein muß.

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Wetzeis eigene Überlegungen zu einer ökologischen Ethik auf der Basis von Höffes "Ethik der politischen Gerechtigkeit"355 enthält folgende zentralen Merkmale: a)

Es gilt, das Prinzip der universellen "proportionalen Gerechtigkeit" zu installieren und durchzusetzen. D.h. zum einen, daß die tatsächlichen und die potentiellen Schädiger des Öko-Systems zur Kasse gebeten werden; und zum zweiten, daß ein bereits aus in diesem Sinne "ungerechten" Handlungen gezogener Nutzen in das Gerechtigkeitskalkül mit einbezogen bzw. verrechnet werden muß - was de facto in Form von Ausgleichszahlungen und Bußgeldern zu geschehen hat. 3 5 6

b)

Anspruchsberechtigte "Entitäten" einer Öko-Ethik können nicht nur zu moralischem Denken und Handeln fähige Menschen als den einzigen ansprachsverpßichteten oder verpflichtbaren "Entitäten" sein, sondern eben auch außermenschliche "Entitäten" (also vor allem Tiere, aber auch gesamte Ökosysteme wie Regenwälder, Gewässer oder die Stratosphäre).

c)

Wir kommen nicht umhin, in letzter Instanz auf so etwas wie die platonische "Idee des Guten" zurückzugreifen, die es erlaubt, in allen in Frage kommenden "Entitäten" auch "moralisch einschlägige Qualitäten" bestimmen zu können.

Bei alledem übersieht Wetzel - abgesehen von zahlreichen immanenten Schwierigkeiten seines Konzeptes 357 - das vielleicht entscheidende Moment eiEine sehr ähnliche "Strategie" wird aber auch von überzeugten Vertretern des Militarismus wie Birnbacher (1988) oder Singer (1984) angewendet, wenn sie säuberlich zwischen "Idealnormen" und "Praxisnormen" unterschieden wissen wollen; vgl. dazu Gerhardt, 1993, S. 51 ff. 355 Wetzel, 1990, S. 615 ff. 356 Vgl. dazu auch Repnik, 1990, S. 62 f. 357 So etwa im Zusammenhang mit der Frage, wie und wodurch außermenschliche "Entitäten" ihre rechtlich-moralischen Ansprüche gegenüber dem Menschen "geltend" machen könnten. Liegt nicht der Verdacht nahe, daß derlei "Ansprüche" erst dann für den Menschen bedeutsam werden, wenn er selbst durch ihre "Verletzung" betroffen ist? Und ist dann nicht die nun geforderte Respektierung der rechtlich-moralischen "Ansprüche" außermenschlicher "Entitäten" zuletzt doch wieder auf originär menschliche Interessen zu reduzieren? Zum (scheiternden) Versuch der Begründung einer w'cAi-anthropozentrischen Ethik siehe auch Vossenkuhl, 1993, S. 10 ff.; zur Kritik an jeglicher Kritik am ethisch-moralischen Anthropozentrismus

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ner derart begründeten ökologischen Ethik: Wie ist sie praktisch realisierbar? Denn vor allem in Hinblick auf den Punkt a), das "Zur-Kasse-Bitten" der Verantwortlichen, wäre wiederum problemlos die unhintergehbare Notwendigkeit des Hobbesschen "Schwertes der Gerechtigkeit" aufzuzeigen. Wenn es aber zur Installierung und mehr noch zur globalen Beachtung und Durchsetzung einer derart "gerechten" Ethik des "Schwertes der Gerechtigkeit" bedarf, dann bedarf es auch einer Instanz, der dieses Schwert gegeben ist womit die Logik des Leviathan sich wieder wie von selbst ergibt. 358

3. Die Aufgabe der Philosophie (?) Schließlich bleibt hier natürlich die Frage, an wen denn eine universalistische "neue Ethik" adressiert sein müßte und wer jener "man" sein könnte, der den Menschen in den Wohlstandsnationen die existentielle Notwendigkeit von Verzichtsleistungen und der nachhaltigen Änderung ihres Lebensstils einsichtig machen sollte. Zunächst: Das Ziel einer "sozialpolitische[n] Umerziehung der Spezies, also eine rapide Veränderung ihres erlernten Informationsmaterials" scheint aus soziobiologischer Sicht - zumal wenn man die Dringlichkeit der Problemlösungsversuche einkalkuliert - allerdings völlig illusorisch und sogar unsinnig zu sein. 359 Eine Forderung wie die von Meadows/Meadows/Randers, die Realisierung der gewünschten "nachhaltigen Gesellschaft" könne nur auf der Basis der "Ideen, Visionen, Talente und Erfahrungen von Milliarden Menschen" funktionieren, ist demnach höchst skeptisch zu beurteilen. 360 Kongruent zu dieser These argumentiert auch Sperry, die erforderlichen Veränderungen der Werthaltungen müssten "sich nicht auf die gesamte Bevölkerung auswirken, sondern nur auf die Führungsspitzen, die an weltpolitisch relevanten Entscheidungen beteiligt sind". 361 Auch Hans Jonas ist davon

358

359 360 361

siehe Höffe, 1993, S. 205-216; zum Festhalten am "Primat der menschlichen Interessen" in der Ethik siehe Passmore, 1980, S. 228 ff.; zur Diskussion siehe auch oben, Teil 1, Kap. I. 5.4 (Fußnote 45). Abgesehen davon, daß sich mit dem Verweis auf die platonische "Idee des Guten" auch wieder das platonische Problem des geeigneten Herrschers auftut, der dieser Idee zu politischer Durchsetzung verhelfen soll. Gadol, 1983, S. 419. Meadows/Meadows/Randers, 1992, S. 255. Sperry, 1985 2 , S. 69. Noch deutlicher fordert Specht (1964, S. 290), es gelte "lediglich die Inhaber der Autorität [zu] überzeugen, und das ist bereits viel; den Vulgus zu überzeugen ist aussichtslos". In diesem Sinne formuliert auch der deutsche Altbundeskanzler Helmut Schmidt (1990, S. 3), was für die Zukunft Europas

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überzeugt, in unserem Zeitalter erfordere die notwendige Wahl von "Endperspektiven" im Zusammenhang mit den Langzeitwirkungen heutiger Technik "höchste Weisheit", doch stelle dies eine "unmögliche Situation für den Menschen überhaupt [dar], weil er diese Weisheit nicht besitz[e]". Jonas kann jedoch kaum meinen, kein Mensch könne je die geforderte Weisheit besitzen, da ihm ansonsten nur der Fatalismus oder die Resignation bliebe; also muß er die Möglichkeit einräumen, zumindest manche Menschen könnten jene "Weisheit" - die man pragmatisch als Problemkenntnis gepaart mit dem nötigen Verantwortungsbewußtsein und politischem Entscheidungs- und Durchsetzungswillen definieren könnte - erreichen, und dies sollten in Idealfall die "Staatsmänner" (und Staatsfrauen!) sein. 3 6 2 Doch hier drängt sich zum einen die Frage auf, ob der Gedanke an ein solches Sonder-Ethos nicht recht trivial und zudem elitär und in höchstem Maße undemokratisch ist. Nun muß und darf die primäre Konzentration auf die ethische Überzeugung der Autoritätsträger nicht bedeuten, man brauche keinerlei "flächendeckende" Überzeugungs- oder Aufklärungsarbeit zu leisten; vielmehr dürfte es äußerst wichtig sein, in der breiten Bevölkerung Aufklärungsarbeit zu betreiben 363 , und durch gezielte Informationen jene Furcht vor persönlicher Betroffenheit zu wecken, die sich - gerade in einer und der Welt Not tue: "Sie verlangt nach politischer Gestaltung, das heißt: nach politischer Führung"; vgl. Hösle, 1991, S. 142 f.: "Gleizeitig brauchen wir dringend Führungskräfte, die die Umweltfrage nicht nur abstrakt zur Kenntnis nehmen, sondern von ihr beseelt sind"; ähnlich bereits Corning, 1976, S. 151. 362 Jonas, 1989, S. 54; vgl. ebd., S. 42 f., 55 f., 174-183, 184-198. Mit Kant (1978 2 , XI, S. 366 Anm. [A 159]; vgl. ebd., S. 233 [B 77, 78; A 72]) könnte man in diesem Sinne daran erinnern, vor allem die Staatsoberhäupter hätten sich stets darum zu bemühen, sich dem Ideal des ewigen Frieden in einer weltbürgerlichen Gesellschaft "immer zu näheren". In einer seiner Spätschriften, der "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" spricht Kant daher auch von der "weltbürgerliche[n] Gesellschaft" als einem "regulativefn] Prinzip ...: ihr, als der Bestimmung des Menschengeschlechts, nicht ohne gegründete Vermutung einer natürlichen Tendenz zu derselben, fleißig nachzugehen" (1978 2 , XII, S. 687 f., A 332 f.). 363 So könnte etwa die "Verstärkung des Ethikunterrichts" (Zimmerli, 1990, S. 22) dann sehr sinnvoll sein, wenn sie nicht auf die Vermittlung und Durchsetzung einer "echten" Ethik (etwa in Gestalt einer "Rückbesinnung auf die idealistische Ethik seit Piaton", wie sie Mohr wiederholt fordert) abzielte, sondern auf eine öko-spezifische Veränderung des individuellen Bewertungshorizontes des jeweiligen Eigeninteresses; zur psychologischen Forderung, "die Basis für umweltgerechtes Handeln bereits im Erziehungsprozeß zu legen", siehe auch Haltner-Mylaeus/Mylaeus, 1992, S. 148, 154-161.

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Demokratie - in entsprechenden und massiven Forderungen gegenüber d e n Regierenden manifestieren kann 3 6 4 , Forderungen, die vor allem das für H o b bes fundamentale natürliche Recht

eines j e d e n Individuums auf

Selbsterhal-

tung z u m Inhalt h a b e n 3 6 5 (Natürlich läßt sich diese Hobbesianische Intention etwa mit H e l m u t Schelsky - auch euphemistischer so umschreiben, daß die z u gründenden, mit realer politischer Macht ausgestatteten supranationalen Institutionen "auf d e m B e w u ß t s e i n der Allgemeinheit aufgebaut werden", und dieses B e w u ß t s e i n "daher auch wissenschaftlich erzeugt w e r d e n [muß] im G e gensatz zu religiös sich begründenden Staatsanschauungen". 3 6 6 ). D e n n o c h : Muß

man nicht v o n politischen Entscheidungsträgern erwarten

können, daß zumindest sie nicht aus pathologischer Sorglosigkeit, sondern aus 364 Insofern könnte man also durchaus von einer "Heuristik der Furcht" im Sinne Jonas' sprechen; vgl. Jonas, 1989, S. 7 f.; ähnlich argumentiert Bermbach, 1992, S. 150 f. Natürlich müßte man dabei in Kauf nehmen, daß die aus der Furcht vor einem zukünftigen Übel abgeleiteten Handlungen ihrerseits negative Folgen in der Zukunft haben könnten. Bereits Hobbes - der insofern so etwas wie der Erfinder der "seif fullfilling prophecy" ist - weist im "Behemoth" (S. 186) lakonisch darauf hin, "die Prophezeiung [sei] oft die Hauptursache des bereits vorhergesagten Ereignisses gewesen" . Aber zum einen ist dieses Risiko unumgänglich, und zum zweiten hat es den Vorteil, nur die Möglichkeit negativer Folgen in der Zukunft zu beinhalten, während negative Entwicklungen mit Notwendigkeit zu erwarten sind, wenn die aus Furcht abgeleiteten Handlungen (etwa die drastische Reduzierung der Emissionen klimawirksamer Gase) nicht durchgeführt werden - ein Aspekt, den Roser (1990, S. 35 ff.) in seiner Kritik des Jonasschen "Prinzip Verantwortung" übersieht. 365 Strauss (1956, S. 205) macht völlig zurecht darauf aufmerksam, bei Hobbes bestehe zwischen den Rechten der Regierung und dem unhintergehbaren individuellen Recht auf Selbsterhaltung "ein unlösbarer Konflikt"; und genau dieser Konflikt könnte eben in naher Zukunft von größter politischer Brisanz werden, wenn nämlich viele Individuen geltend machen, die Politik ihrer Regierungen lasse sich mit ihrem je individuellen Recht auf Selbsterhaltung nicht mehr vereinbaren: Wenn der Verzicht auf die notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung der natürlichen Überlebensbedingungen der Menschheit einem Todesurteil für die Gattung - und damit für jedes Individuum gleichkommt, dann erwirbt jeder einzelne - ebenso wie der zum Tode Verurteilte bei Hobbes - das natürliche Recht, sich seinen "Richtern" mit allen Mitteln zu widersetzen. Denn dort, "wo der Souverän seiner Schutz- und Friedensaufgabe nicht mehr nachkommen kann, entfällt logischerweise die Vertragsgrundlage. Dort, wo der Zweck nicht erfüllt wird, die freie Selbsterhaltung zu sichern und das Glück der Bürger zu ermöglichen, endet die Gehorsams Verpflichtung" (Höffe, 1981b, S. 132); zur Unterscheidung zwischen Widerstandsrecht und den "Grenzen der Gehorsamsverpflichtung" vgl. auch Palaver, 1991, S. 30 f. 366 Schelsky, 1981, S. 328 f.; vgl. auch ebd., S. 331 f.

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vernünftiger Verantwortlichkeit ihre Entscheidungen treffen und entsprechend handeln? Wird nicht in jeder der westlichen Demokratien ohnehin von den politischen Repräsentanten prinzipiell ein gewisses Sonderethos samt entsprechendem Verhalten verlangt, und ist es nicht insofern legitim, "zwischen der Ethik der Untertanen und der Ethik der Herrscher" (Be, S. 51) einen Unterschied zu machen (und wird nicht der diesbezügliche reale Mangel der Politiker zurecht beklagt 367 ), der vor allem den gegenüber der Privatperson in mehrfacher Hinsicht erheblich erweiterten Verantwortungsrahmen betrifft? Ist es nicht zudem in einer Situation der existentiellen Bedrohtheit müßig, ja sogar unmoralisch, ein zweckrational sinnvolles politisches Handeln an demokratietheoretischen Spitzfindigkeiten scheitern zu lassen? Ein weiteres Problem stellt sich im Zusammenhang mit der Frage, wie, mit welchen politischen Mitteln die - kontrafaktisch als gefunden unterstellten - politischen Führungskräfte (vor allem) in den Wohlstandsdemokratien die allgemeine Einsicht in die Notwendigkeit einer konsequenten, für den materiellen Lebensstandard des einzelnen wahrscheinlich abträglichen ökologischen Notbremsung erzeugen und durchsetzen könnten. Brauchen wir dazu - entsprechend der Überzeugung Konrad Lorenz' - die "Demagogie des Guten" 368 , die den Individuen gerade durch den gezielten Appell an die egoistische Intention klar macht, daß bestimmte politische Maßnahmen, die vordergründig als "unangenehm" empfunden werden, absolut notwendig sind? AI Gore weist in diesem Zusammenhang darauf hin, die Desinformationskampagnen "eigennützige[r] Zyniker", die die existentielle Bedeutsamkeit ökologischer Fragen "vernebeln" wollen, mache eine "gnadenlose Propa367 Vgl. dazu vor allem die wichtige Kritik Richard von Weizsäckers am Zustand der politischen Parteien sowie den politischen "Führungskräften" in Deutschland (Weizsäcker, R., 1992a,b,c). 368 Vgl. Lorenz, 1983, S. 251 ff. Ausgehend von der - machiavellistischen - Überzeugung, der Mensch sei überaus leicht indoktrinierbar (vgl. Lorenz, 1989-5, S. 191 ff.), weshalb das "praktische Wissen der Demagogen über das menschliche Instinktverhalten" (ders., 1983, S. 251) äußerst hoch einzuschätzen sei, meint Lorenz, wir brauchten uns "durchaus nicht zu schämen, die Erfahrungen herkömmlicher Demagogie zu nutzen und zum Guten und Friedlichen zu verwenden, was jenen zur Kriegshetze diente" (ebd.). Und in einem Interview der Zeitschrift "Natur" fordert Lorenz (1988, S. 31 ff.), man müsse vor allem die degenerierten Stadtmenschen wieder das Prinzip "Hoffnung" lehren und versuchen, ihnen ein Gefühl für Naturschönheit zu vermitteln. Gerade angesichts des alarmierenden Erfolges von Demagogen und charismatischen Populisten (vor allem) des rechtsextremen politischen Spektrums von Le Pen bis Haider ist nicht einzusehen, wieso ihnen das Feld kampflos überlassen werden sollte.

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gandaschlacht" erforderlich. Diese Überlegung korrespondiert sowohl mit der Hobbesschen Forderung (Le, S. 122), wonach die Gesetze der Vernunft als "Mittel zu einem friedlichen, geselligen und bequemen Leben gepriesen werden müssen" als auch mit seinem klugen psychologischen Rat (Le, S. 198), diejenigen (staatlichen) Anordnungen, die von den Bürgern "sauref] Arbeit" abverlangen, erforderten "bisweilen die Notwendigkeit und immer die Menschlichkeit, daß man sie versüßt, indem man sie aufmunternd und im Ton und der Form eines Rats statt in der barschen Sprache eines Befehls erteilt". Allerdings fällt auf, daß Hobbes hier ausdrücklich und ausschließlich positive Strategien der Motivation vorschlägt, während er auf negative wie etwa die Drohung oder das autoritäre Kommando verzichtet. Der Philosoph Vittorio Hösle schließlich gesteht den Vertretern der "Realpolitik in Zeiten eines Paradigmenwechsels" - gleichsam in "bester" platonischer Tradition - ausdrücklich das Recht zu, "daß sie unter Umständen lügen müssen. Denn die moralischen Energien für die neuen Werte sind noch nicht bei allen da, und daher müssen häufig Kräfte anderer Natur mobilisiert werden, um einen Einsatz für das Vernünftige zu bewirken". 370 Wie und wo man solche Politiker finden könnte, die wirklich immer nur im Sinne der Vernunft lügen bzw. Mittel der Propaganda und Demagogie verwenden und von denen zudem zu erwarten ist, daß sie "über Moralität und Sittlichkeit (in Hegels Sinne) zugleich verfügen müssen"371, darüber erfährt man freilich bei keinem der genannten Autoren Näheres. Derartiges zu fordern ist zweifelsohne zumindest nicht ungefährlich. Vor allem die Forderung nach dem "Recht zu lügen" erscheint in einer Zeit merkwürdig, in der es - wiederum: auch und vor allem in den westlichen Wohlstandsnationen - eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Entscheidungsträger wäre, die Bevölkerung ihrer Länder mit den ökologischen Wahrheiten und den daraus resultierenden Notwendigkeiten zu konfrontieren. 372 369 Gore, 1992, S. 365 f. Im gleichen Sinne fordert der deutsche Soziologe Wolf Lepenies neben einer (ökonomischen wie ökologischen) "Politik auf lange Frist" auch eine "Politik des Zeitraffers - eine Politik der wirksamen Gesten und der mitreißenden symbolischen Handlungen, uns fehlt im Zeitalter der geschwätzigen Talk-Shows eine Politik, die die Rethorik wieder ernst nimmt". 370 Hösle, 1991, S. 143 f. 371 Hösle, 1991, S. 123. 372 Mit Kant (AA, Bd. 19, S. 514/ R 7779) kann man in dieser Situation eher die Auffassung vertreten, "Ehrlichkeit ... [sey] ... die beste politic des Staats und der Regirung ..., eben so wie in den Verhältnissen der Bürger. Es ist der kurze weg der Staatsklugheit".

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Diejenigen aber, die die Anwendung propagandistischer und rhetorischer Mittel zur Motivierung von Menschen (zu denen hier etwa der Fernsehfilm "Der Marsch" oder der "Öko-Thriller" "American inferno" zu rechnen wären) unabhängig vom zu verwirklichenden Zweck generell und ausnahmslos als unmoralisch verwerfen, sind an Max Webers Erkenntnis zu erinnern: "Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, daß die Erreichung 'guter' Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, daß man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt, und keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenfolgen 'heiligt'". 3 7 3 Es kommt nicht darauf an, eine "gute" Politik im Sinne der "reinen" moralischen Gesinnung zu machen, sondern eine kluge Politik, die von der Unmöglichkeit des ersteren ausgeht. Eine praktikable Ethik des Überlebens muß von der Grundannahme ausgehen, daß Menschen nur über die emotionale Ebene zu einer effektiven Veränderung ihres selbstzerstörerischen Handelns zu bewegen sind, wobei hier in erster Linie die egoistischen Gefühle angesprochen werden müssen, vor allem der (genegoistische) Selbsterhaltungstrieb. 374 Entsprechend muß die "Heuristik der Furcht" zu einem operationalen Grundfaktor jener Ethik werden. Denn heute scheint mehr denn je zu gelten: "der Mensch muß wider seine natürliche Neigung, sich über die Furchtbarkeit seiner ... Lage hinwegzutäuschen, indem er sich in die Welt seiner eitlen Träume einspinnt,

373 Weber, 1988 5 , S. 552. 374 Eine ähnlich pragmatische Überlegung äußerte etwa der frühere Bonner Minister für Entwicklungspolitik Carl-Dieter Spranger. Er sieht seine primäre Aufgabe darin, der deutschen Bevölkerung zu vermitteln, "warum es im ureigensten Interesse der Deutschen liegt, in Entwicklungspolitik zu investieren", bzw., "wie ihr vitales Interesse von erfolgreicher und effizienter Entwicklungsarbeit berührt ist" (Eppler/Spranger [1992], S. 19). Einem Bericht von Schüßler (1990) zufolge möchte auch die moderne Spieltheorie bzw. eine starke individualistisch-liberalistische Strömung der Sozialphilosophie den Versuch der Menschheits-Rettung nicht über eine "flächendeckende Aufforstung moralischer Werte" (S. 292) unternehmen. Nach dieser Auffassung sollten alle Versuche, die gegenwärtigen Menschheitsprobleme zu lösen, ausschließlich "am Egoismus ansetzen und dem Individuum mehr Vorteile bieten als alternative Handlungsmöglichkeiten. Es gilt, den mehr oder weniger rationalen Egoisten Mensch zur Kooperation zu verführen [sie!]" (ebd.).

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durch den Widerstand der wirklichen Welt, mit Gewalt zur Erkenntnis seiner Lage gebracht w e r d e n . 3 7 5 D o c h das zuvor zu lösende Problem bleibt, wie sich in den Wohlstandsgesellschaften der nördlichen Erdhalbkugel vernünftige Verantwortlichkeit g e g e n pathologische Sorglosigkeit und genetische Beschränktheit - zumal des in seinen materiellen Interessen betroffenen wirtschaftlichen Establishments 3 7 6 375 Strauss, 1965, S. 122. 376 Siehe dazu Fetscher, 1985^, S. 188 ff. Fetschers Einschätzung von der sich mit allen Mitteln gegen einen ökologischen Umbau der Gesellschaften wehrenden Großindustrie muß man jedoch keineswegs teilen. Umgekehrt könnte man gerade von den "Riesen" der Wirtschaft erhoffen, sie könnten als ökologische Vorreiter fungieren (zur möglichen "Avantgardefunktion von Unternehmen" siehe Reuter, 1993, S. 12, der freilich der ökologischen Dimension praktisch keinerlei Beachtung schenkt; vor allem aber Weizsäcker, E.U., 1990^, S. 143-188, der völlig zurecht die Wirtschaftsverträglichkeit jeder Umweltpolitik als unerläßlich für ihr Gelingen betrachtet.). Grund: Zum einen können Ökonomen und Unternehmer das Faktum einsehen, daß ein weiteres Wirtschaften gegen die Umwelt auf Dauer faktisch nicht möglich sein wird und entsprechende energie- und umweltpolitische Maßnahmen über kurz oder lang mit Notwendigkeit ergriffen werden müssen (als signifikantestes aktuelles Beispiel kann hier auf die weltweiten Versuche zur drastischen Reduzierung der FCKWEmmisionen sowie die Suche nach umweltverträglichen Ersatzstoffen hingewiesen werden). Es liegt also in ihrem eigenen lang- oder bereits mittelfristigen Interesse, sich möglichst frühzeitig auf die dann eintretenden massiven Veränderungen der wirtschaftlichen "Überlebensbedingungen" einzustellen, sich bereits jetzt sukzessive "anzupassen", was in der Formulierung eines ökologisch-ökonomischen Imperativs lauten kann: "Stelle Entwicklung, Produktion und Vertrieb deiner Güter möglichst bald und möglichst vollständig nach Maßstäben ökologischer Vernunft um! (Es wird dir in absehbarer Zeit erhebliche Wettbewerbsvorteile oder zumindest unverminderte Konkurrenzfähigkeit sichern)". Wirtschaftsführern diesen oder gleichartige Imperative nahezubringen, wäre daher eine der wichtigsten Aufgaben politischer Verantwortung (vgl. dazu CDU-Bundesgeschäftsstelle, 1993, S. 30). Eine derartige Strategie des am langfristigen Eigeninteresse orientierten ökologischen Umbaus der Wirtschaft dürfte im Sinne der Durchsetzbarkeit jedenfalls realistischer sein als die Hoffnung auf den Abschied vom "Wachstumsfetischismus" (Fetscher, 1985^, S. 191), da eben - so Hobbes' Grundeinsicht - das gleichsam mechanische Streben (fast) jedes Menschen nach immer mehr "Macht" unaufhebbar ist (zur Idee einer "Vernunftehe" von Ökologie und Ökonomie siehe v. a. Weizsäcker, E. U., 1990^, S. 159 ff., 176 ff.; ebs. Hösle, 1991, S. 122, Gore, 1992, S. 320 ff.; Eppler, 1993, S. 133 aber auch den bemerkenswerten Aufsatz der McKinsey-Mitarbeiter Winsemius/Guntram, 1992, insbes. S. 16-20). Ähnliches gilt für Fetschers erstes (platonisches) Postulat für eine alternative Gesellschaft, wonach in dieser "Funktionale Eliten ... nicht zugleich auch noch ökonomisch priviligiert sein [dürfen]" (ebd., S. 201), denn wie -

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- auf der Ebene der politischen Entscheidungsträger durchsetzen lassen könnte. Führt nicht der Sonder-Ethos-Gedanke wiederum geradewegs in die offensichtlich zeitlose platonische Problematik der Frage nach dem "guten Herrscher" bzw. danach, wie denn solche "Führungsspitzen" - die "berufene" Politiker im Weberschen Sinne sein müßten 377 - gefunden, ausgewählt, erzogen, eingesetzt und autorisiert werden sollen? 378 Der bloße Appell: "Wir brauchen Politiker, die den Mut auch für unpopuläre Maßnahmen aufbringen" 379 , dürfte ebensowenig bringen wie die Erwartung, diese Politiker würden ohne weiteres auf ihre je eigene politische und/oder religiöse Wertgrundlage, ihre ideologische Überzeugung verzichten, in ihrer Person wie es Jonas fordert 380 - ohne weiteres das "Grundwesen der Politik" verändern und sich "wissenschaftliche Gültigkeitskriterien" zum Maßstab nehmen. Dagegen erschiene der Versuch als anthropologisch angemessener, zunächst den politischen (und gesellschaftlichen) Führungsspitzen den engen Zusammenhang zwischen Weltethos und wohlverstandenem "Prinzip Eigennutz" einsichtig zu machen, da dieses Prinzip mit (nahezu) allen EthikKonzeptionen in allen Kulturkreisen verträglich ist. 381

muß man mit Hobbes fragen - will Fetscher denn unter diesen Voraussetzungen die "Elite" in die Funktionen bringen, wenn er sie nicht - wie Piaton - dazu zwingen will? 377 Weber, 1988 5 , S. 508 f. 378 Nach Popper (1988, S. 12) ist die platonische Frage "'Wer soll herrschen?' als verfehlt zu verwerfen und für immer zu begraben" und durch die weit sinnvollere Frage nach dem "'Wie?' des Regierens" zu ersetzen. Die Demokratie biete den entscheidenden Vorteil, sich derjenigen Regierung auf friedlichem Wege zu entledigen, deren Politik wir als schlecht oder verfehlt beurteilen. Gefragt ist dann eine Regierung, die besser und problemgerechter regiert - doch damit ist unweigerlich auch die Frage aufgeworfen, WER denn das WIE bewerkstelligen kann und soll, da auch in der Demokratie (und zwar in zunehmendem Maße, je mehr sich die ökologischen Krisensymptome häufen werden) Personen (Kanzler, Präsident) für politische Programme (bzw. Versprechungen) stehen. Zudem ist es ein sehr optimistischer Gedanke Poppers, die Bürger einer Demokratie würden stets die Politik oder die politische Programmatik als schlecht und verfehlt abwählen bzw. nicht wählen, die tatsächlich verfehlt und schlecht ist. 379 Dönhoff/Miegel/Nölling/Reuter/Schmidt/Schröder/Thierse, 1992, S. 74. 380 Jonas, 1989, S. 32. 381 Diese Einsicht zu bewirken, könnte und müßte etwa das Ziel "wohlorganisierte[r] Bildungs-, Trainings- und ... Kommunikationsprozesse" sein, die Patzelt (1986b, S. 5) zurecht für unerläßlich hält. Vgl. die entsprechende Äußerung von Specht, 1964, S. 290; hinsichtlich einer durch entsprechende Aufklärungsarbeit zu bewirkenden

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Die unweigerlich folgende Frage lautet aber, wer denn diese Aufgabe übernehmen und erfüllen könnte, den politischen Entscheidungsträgern die notwendigen Einsichten nahezubringen und sie von deren Richtigkeit und existentieller Bedeutung zu überzeugen. Wer soll die Politiker davon überzeugen, daß es wiederum in ihrem eigenen langfristigen Interesse ist, Wirtschaftsführern einen solchen Öko-Imperativ nahezubringen und die Bürger zu einer friedlichen Duldung der ökologischen Notwendigkeiten zu bewegen? Sind es die Philosophen, von denen ihr Beitrag zur "Volksaufklärung" 3 8 2 und zur Aufklärung der Volksführer (wieder) einzuklagen wäre? Leitet Stachowiak zurecht aus der (fraglos realen) "dringenden Unterstützungsbedürftigkeit des politischen Sachverstandes" vor allem die Notwendigkeit der "Inanspruchnahme philosophischer Kompetenz" ab, da - aus seiner Sicht scheinbar nur die Philosophen jenem "hohen Reflexionsniveau und ... einer Problemsicht" entsprechen können, die zur Bewältigung der in Zukunft an die politische Führung zu stellenden Aufgaben erforderlich sind? 383 Auch Reinhard Low - als ausgesprochener Kritiker jeglicher empiristisch-naturalistischen Ethik-Begründung - fordert die Philosophen im gleichen Sinne auf, ihre Abstinenz in praktisch-politischen Fragen aufzugeben. 384 Und Odo Marquard klagt entsprechend den steigenden Bedarf nach vernünftigen Orientierungsleistungen seitens der Philosophie in einer immer komplexer, undurchschaubarer werdenden Welt ein. Denn: "Die Philosophie, die vernünftige Orientierungsleistungen erbringt [erbringen solltel T.M.] und daökologischen "Verbraucherethik", die ihrerseits wiederum eine "Produzentenethik" nach sich ziehen könnte, siehe Horster, 1993, S. 62 ff. Gerade in Zusammenhang mit derartigen Maßnahmen könnten die anthropologischen Erkenntnisse der Soziobiologie wie auch der Evolutionären Erkenntnistheorie (zum Beispiel im Bereich der Politischen Bildung) sicherlich von großem Nutzen sein, etwa insofern, als sie eben hinsichtlich der beim Menschen praktisch jederzeit zumal unter dem Einfluß sich verschlechternder äußerer Bedingungen - gegebenen Gefahr einer ausbrechenden politischen Irrationalität sensibilisierend wirken und derart zu deren Prävention und Eindämmung beitragen könnten. Ebenso könnten sie im Rahmen einer komplexen politikwissenschaftlichen Theorie der Bedingungen und Strukturmerkmale internationaler Politik eine "hilfreiche Teiltheorie zur Analyse der Grundbedingungen politisch relevanter Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung [darstellen]" (Patzelt, 1986b, S. 7). 382 Die nach Kant (1978 2 , XI, S. 362 f. [A 151 ff.]) vornehmlich den Philosophen als "freie[n] Rechtslehrer[n]" obliegt. 383 Stachowiak, 1983, S. 348 f.; zur Hoffnung auf eine "Renaissance der Geisteswissenschaften" siehe auch Weizsäcker, E - 1 9 9 0 ^ , S. 246 ff. 384 Low, 1993, S. 79 f.

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durch Gurubedarf minimiert [wenn sie sich nicht selbst als Guru produziert! T.M.], wird deswegen immer wichtiger: je moderner die moderne Welt wird, desto unvermeidlicher wird die Philosophie". Sie soll der Katalysator sein, der "die vielen Wissenschaften vom Menschen zur Zusammenarbeit" bringen soll. Dabei - auch dies ein interessanter Aspekt - kommt den Philosophen im Gegensatz zu den "exakten" (Natur-)Wissenschaften überraschenderweise ihre eigenes "uralte[s] fachliche[s] Laster ... - ihr chronisches Konsensdefizit" zugute, daß sich heute "als hochmoderne interdisziplinäre Tugend" erweist. Und insofern sich der Philosoph als Katalysator oder Mittler zwischen den "Experten" bewegen soll, kann er selbst nicht Experte, sondern - so Marquard - nur deren "Stuntman" sein, ihr "Double fürs Gefährliche". 385 Demnach bezeichnet Wetzel die Selbstbeschränkung der Moralphilosophie auf das Betreiben moralisch neutraler Metaethik vor dem Hintergrund der aktuellen Situation zurecht als eine "Art philosophischer Selbstentmannung". 386 Aber ist nicht diese Hoffnung auf ein "Risorgimento" der Philosophie als öffentlicher Stimme der Vernunft, als Orientierungshilfe und Wegweiserin

385 Marquard, 1991, S. 30 f.; ähnlich Höffe, 1993, S. 256 f. Die umgekehrte Forderung Löws (1993, S. 77 ff.), in ethisch relevanten Fragen sollten sich die Fachwissenschaftler ihrerseits bemühen, sich philosophische Kenntnisse anzueignen, dürfte freilich kaum mehr als ein frommer Wunsch sein. In seinem Vorwort zu Sperrys Arbeit "Naturwissenschaft und Wertentscheidung" (Sperry, 1986) kennzeichnet Trevarthen das Dilemma des "erfolgreiche[n] Wissenschaftler[s]" so, dessen kreative wissenschaftliche Arbeit lenke "sein geistiges Auge unwillkürlich in eine so enge Gasse, daß mit der Zeit sein Wissen über Probleme des menschlichen Zusammenlebens, über Glaubensfragen und Lebensperspektiven und insbesondere über die irrationalen Quellen zwischenmenschlicher Beziehungen hinter dem seiner Mitmenschen zurückbleibt". Abgesehen davon, daß der Optimismus hinsichtlich des Wissens jener "Mitmenschen" unangebracht erscheint, ist hier jedenfalls das zentrale Problem des Fachwissenschaftlers klar ausgedrückt: Will er in seinem Bereich gut - und damit erfolgreich - sein, ist er dazu verdammt, sich sehr stark zu spezialisieren, "über immer weniger immer mehr zu wissen", zur mehr oder weniger isolierten wissenschaftlichen Monade zu werden, die den Blick für übergeordnete Zusammenhänge und Folgen seines Forschens nahezu verunmöglicht (Monaden haben eben keine Fenster). Und es besteht die Gefahr, daß diese Hochspezialisierung zur interdisziplinären Schweigsamkeit führt, die - weil die dringend geforderte interdisziplinäre Kooperation ohne interdisziplinären Diskurs nicht möglich ist - zur Totenstille werden kann. 386 Wetzel, 1990, S. 607.

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und erst recht die Idee v o n e i n e m E r f o l g d i e s e r V e r n u n f t - und s e i sie n o c h s o p r a g m a t i s c h - n a i v , illusionär und zutiefst l ä c h e r l i c h ? 3 8 7 Z u m e i n e n : E s w ä r e sicher irrwitzig, in der P r o p a g i e r u n g e i n e r u n i v e r s a l e n Ethik der p r a g m a t i s c h e n ö k o l o g i s c h e n V e r n u n f t die s p e z i e l l e und e x k l u s i v e A u f g a b e "der" P h i l o s o p h e n s e h e n z u w o l l e n . V i e l m e h r vertritt G a d o l z u recht die A u f f a s s u n g , jeder

k o m p e t e n t e Intellektuelle habe "naturgemäß

die V e r p f l i c h t u n g M o r a l i s t z u sein. D a s heißt, er m u ß s e i n e K o m p e t e n z z w e c k s Bewertung

...

intellektuelle

seiner In-Gruppe v e r w e n d e n und falls d i e s e

B e w e r t u n g p o s i t i v ausfällt, s e i n e n Beitrag d a z u leisten, s e i n e I n - G r u p p e z u bewahren

und w o m ö g l i c h z u fördern; falls die B e w e r t u n g n e g a t i v ausfällt, ist

er n a t u r g e m ä ß zur Kritik verpflichtet und sollte die m i ß l i c h e n U m s t ä n d e anprangern".388

G l e i c h w o h l s o l l e n und m ü s s e n auch

als ' " H i l f s a r b e i t e r " '

389

(einsichtige) Philosophen

ihren Beitrag z u der g e f o r d e r t e n Ü b e r z e u g u n g s a r b e i t

leisten - nicht zuletzt d e s h a l b , w e i l e s in ihrem e i g e n e n l a n g f r i s t i g e n Interesse liegt.390 387 Auch Stachowiak räumt letztlich ein, die "Realisierbarkeit eines solchen Konzepts [sei] natürlich eine zweite Frage". 388 Gadol, 1990, S. 89. Fraglich bleibt allerdings, wie Gadol jene "naturgemäße" Verpflichtung der Intellektuellen begründen will. Auch hier könnte man am plausibelsten wiederum mit dem "Prinzip Eigennutz" argumentieren: Der Intellektuelle sollte seine Kompetenz deshalb in sozialer Absicht funktionalisieren, weil er als Mitglied der (positiv oder negativ) von ihm bewerteten Gesellschaft letztendlich selbst von den Wirkungen seines Handelns profitieren kann - und sei es erst in seinen Nachkommen. 389 So - John Locke zitierend - Passmore, 1980, S. 207. 390 Der Forderung von Kleinknecht (1990, S. 118), wonach "die Philosophie immer wieder vor falscher Inanspruchnahme durch die Lebenspraxis [zu] schützen" sei, wird man daher mit der Frage begegnen müssen, ob es denn auch eine richtige Inanspruchnahme der Philosophie seitens der "Lebenspraxis" geben könne, oder ob das generell heißen solle, man solle doch die Philosophen gefälligst in Ruhe "denkein" lassen, während alle anderen - womöglich unkoordiniert, konzeptlos und ohne System - nach Leibeskräften paddeln, um das Boot vor dem Wasserfall ans Ufer zu bringen. Für Gadol (1983, S. 421) kommt es einer "Verhöhnung der Philosophie selbst gleich", wenn sich die Philosophen in einer Zeit existentieller Bedrohtheit der gesamten Spezies mit "epistemologischen oder metaphysischen Spielereien" befaßen. Und noch schärfer formuliert er in einer späteren Arbeit (1990, S. 106): "wer mit dem Hl. Thomas von Aquin das höchste ideale Gut in der Glückseligkeit, der beatitudo in Gott, finden will, dem sei dies gewährt, vorausgesetzt, er steuert seinen Teil zu unserer Arbeit bei und ist mit uns unterwegs zum realen summum bonum. Denn nur, wenn er zu uns gehört, kann er sich den Luxus einer metaphysischen Extravaganz leisten. Er braucht die Erde, um in den Himmel zu kommen".

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Was aber den Punkt des Sich-Durchsetzens der Vernunft betrifft, so ist zu sagen, daß Skepsis aus pragmatischen Gründen hier schlicht nicht mehr angebracht ist - zumindest dann nicht, wenn diese auf praktische Konsequenzen zielt. Der skeptisch begründete Verzicht auf vernünftige Verantwortlichkeit kommt heute einem globalen Selbstmordversuch gleich. Es gibt - in diesem Punkt hat Hans Mohr völlig recht - heute keine Alternative zum Vertrauen in die menschliche Vernunft. Aber im Gegensatz zu Mohr sollte "Vernunft" nicht im idealistisch-ethischen Sinne verstanden werden, sondern ganz im funktional-pragmatischen Sinne eines Thomas Hobbes: Vernünftige Reflexion, zweckrationales Kalkül führt uns zu den Handlungsmaximen, die letztlich nichts anderes sind als funktionale Regeln im Hinblick auf die freie Selbsterhaltung als dem "maximum bonum". Deshalb ist Mohr auch nicht ohne weiteres zuzustimmen, wenn er für die heute geforderten ethischen Normen "gegen die Gene" fordert, wir müßten sie "vernünftig begründen", während "Intuition und Vorurteil ... uns in die Irre [führten]". 391 "Vernunft" im Hobbesschen Sinne ist immer funktional bezogen auf den zumindest auch stets intuitiv erfaßten und gefühlten Wert der freien Selbsterhaltung. Wenn der Satz gilt, daß wir uns stets nur "die Moral leisten, die wir uns leisten können", dann scheint angesichts der existentiellen Bedrohtheit der Menschheit alles für eine Minimal-Moral der pragmatischen Vernunft zu sprechen - auch wenn aus der Sicht "eigentlicher" Moralphilosophie sehr wohl bestreitbar sein mag, daß es sich hierbei überhaupt um "Moral" oder "Ethik" handelt. Mit anderen Worten: Es ist zwar zutreffend, daß der "anthropozentrische Funktionalismus" 392 die Erde und damit den Menschen selbst zu zerstören droht; umgekehrt ist aber - im Einklang mit der Grundüberzeugung Hobbes' und der Soziobiologie - alleine auf den wohlverstandenen Egoismus die Hoffnung begründbar, die Natur - und damit die Menschheit - sei vor dem (zumindest partiellen) Untergang noch zu bewahren. Exakt in dieser Weise begründet auch Edward O. Wilson - der "Vater" der modernen Soziobiologie - seinen

Und ähnlich wie Popper es in seiner "Objektiven Erkenntnis" als den "Skandal der Philosophie" bezeichnete, daß sich ihre professionellen Betreiber - während die Welt um sie herum zugrunde gehe - darüber streiten, ob es diese Welt überhaupt gebe, könnte heute das Zugeständnis "der" Philosophen als ein Skandal bezeichnet werden, daß die Welt zugrunde geht, sie sich realistisch-pragmatischen "Therapie"Vorschlägen jedoch in akademischer Ignoranz und Selbstgefälligkeit verschließen und statt dessen auf die Begründung einer "echten", "reinen" Ethik beharren. 391 Mohr, 1986, S. 15. 392 Spaemann, 1980, S. 198.

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mus" die Erde und damit den Menschen selbst zu zerstören droht; umgekehrt ist aber - im Einklang mit der Grundüberzeugung Hobbes' und der Soziobiologie - alleine auf den wohlverstandenen Egoismus die Hoffnung begründbar, die Natur - und damit die Menschheit - sei vor dem (zumindest partiellen) Untergang noch zu bewahren. Exakt in dieser Weise begründet auch Edward O. Wilson - der "Vater" der modernen Soziobiologie - seinen Optimismus im Hinblick auf die dringend geforderte internationale Zusammenarbeit: "Die Menschen scheinen genügend egoistisch und berechnend zu sein, um einer sehr viel größeren Harmonie und sozialer Homöostase fähig zu sein. Das ist kein Widerspruch in sich. Durch wahren Egoismus wird man, sofern die übrigen Imperative der Säugetierbiologie beachtet werden, eher zu einem nahezu perfekten Gesellschaftsvertrag gelangen". 393 Dieses Schlußkapitel kann daher auch als Plädoyer für eine politische Klugheitsethik nach Hobbes gelesen werden; eine Ethik, die ausdrücklich auf jeglichen Idealismus verzichtet und rein utilitaristisch-pragmatisch ist, weil sie am je eigenen Überleben orientiert ist. 394 Und im Sinne dieses universalen Ethos und einer "Politik des Überlebens" wäre von den Menschen mit Hobbes vor allem zu fordern, sie sollten dann, wenn sie die Lage begriffen haben, "lieber einige Unbequemlichkeiten im Privatleben, da die menschlichen Dinge nicht frei von Unbequemlichkeit sein können, mit Geduld ertragen ..., als ... den [WW/-]Staat in Verwirrung bringen ..." (Ci, S. 72). Das Motto jener rein pragmatischen Ethik, die im Überleben der Menschheit ihren höchsten politischen Wert hat, weil sie im je eigenen (genetischen) Überleben ihr " Letzt" interesse hat, könnte - selbstverständlich ebenfalls mit Hobbes - lauten: "Respice finem! Das soll heißen: Bedenke bei all deinen Handlungen immer wieder das, was du haben möchtest, da dies das Ding ist, das alle deine Handlungen auf den Weg lenkt, auf dem es zu erreichen ist." (Le, S. 20)

392 Spaemann, 1980, S. 198. 393 Wilson, 1993, S. 142 f. 394 Ein Pragmatismus, der etwa auch von Stachowiak (1983) gefordert wird; auch Zimmerli (1990, S. 20 f.) gibt zu bedenken, eine den heutigen Erfordernissen entsprechende naturalistische Ethik ohne Fehlschluß müsse "eine problemorientierte und zum Teil individuenübergreifende Ethik" sein. Zur Interpretation der Hobbesschen Moraltheorie als "Klugheitsmoral" siehe Strauss, 1965, S. 108 f.

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Diese Liste ist um etliche Titel erweitert, die in der Arbeit nicht rezipiert werden. Die Autoren dieser Titel scheinen dementsprechend im Personenregister nicht auf.

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REGISTER Personen Ackerman, T. F., 128, 199, 204 Adorno, Th. W., 213, 352, 366, 375 Airaksinen, T., 265 Albrecht, U., 247, 260, 310, 319 Alexander, R.D., III, VI, XVI, 1, 31, 47, 75, 97, 101, 158, 160, 164 f., 179, 354 Amann, H., VII, 210, 234 Andersen, U., 303, 334 Andrushchenko, E., 275 Apel, K.-O., 36, 157, 182, 192, 217, 382386 Arendt, H., XXII, 234 Aristoteles, 37-40, 42, 59, 213 Arni, J.-L., 15, 110 f., 148 Arnold, H., 276, 280, 312, 334, 350 Axelrod, R., 15, 148 Baier, A. C., XXII, 33, 36 f., 63, 142, 145, 147, 183, 208, 250 Ballon, W., 275 f., 294 Barash, D., 10, 14 f., 17 f., 77, 96 f., 102, 378 Barber, B. R., 322, 342 Bargatzky, Th., 12, 156 Barner-Barry, C., III Bartuschat, W., 53, 65, 107, 134, 194 f., 197, 201, 208, 219, 237 Baumanns, P., 65, 132, 135, 181, 190, 206, 210, 223, 229, 239, 259, 307 Baumgartner, H. M., XXIII, 250, 265 Bastian, T., 27

Bayertz, K„ V, XVII, 9, 12, 102, 117, 126, 132, 188, 366 Becker, G. S„ 111, 216 Becker, W., 214, 375 Bellers, J., 270 f., 312, 334 Bender, W., 190 Benjowski, R., 74, 76 Berg, L., 278, 281, 283 Bermbach, U., 223, 356 f., 377, 390 Bertman, M.A., 57, 106, 265 Bertram, Chr., 265 Bieber, H., 296 Biedenkopf, K., 348 Bien, P., IXX, 38, 81, 83, 125, 138 Biermann, R., 275 Birnbacher, D., XV, 15, 320, 338, 344 f., 349 f., 352, 382, 386 Boulding, N.E., 182, 193, 195 Bowle, J., 78 Bräutigam, H., 276, 312 Brandt, F., 81 Brandt, R„ 239, 257 Bratzier, K., 1, 5, 8 f., 16, 188 Braun, G., 276, 294, 303 Braungart, G., 187, 194, 208, 374 Brügge, P., 98 Brundtland, G. H., 276, 286, 318 Brzezinski, Z., 294, 303, 305, 310, 312, 322, 339, 353 Brzoska, M., 312, 315 Bucher, Z., XVII, 9, 32, 73, 77, 81 Buchaila, C. E., 287 Bühl, W., X f., XVIII, 3, 8, 18, 69, 73, 137, 260, 276, 282, 300 Bull, H., 181, 260, 269, 272, 319, 331, 369 Butros-Ghali, B., 295 Carmichael, D. J. C., 66, 68, 101, 126

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Register

Carneiro, R. L., 33, 160, 168, 263, 270, 303, 312 Carrier, M., 81 Chimelli, R., 275, 312 Cohen, M., 160, 258, 260, 272, 309, 329 Collingwood, R. G., 268 Commers, R., IV, IX, 9, 86 f., 126 f., 190, 197, 234, 251, 253, 356 Conrad, J., IX, XX, 34, 52 Cooper, W., XVI, 51, 127 Corning, P.A., III, 5, 9, 88, 188, 190, 307, 336, 389 Cousteau, J.-Y., 273, 276, 294, 312 Craemer-Ruegenberg, I., 31, 345 Cramer, K., 54, 65, 192, 197, 210 Czempiel, E.-O., XII, 269 f., 293, 303, 310, 314 ff., 321 f., 338 f., 352, 377 Danford, J. W., 36 Darwin, Ch., 1 f., 6 ff., 10 ff., 38, 50, 60, 64 f., 68, 72 f., 76, 127, 312, 334 Dankelman, I., 283 Davidson, J., 283 Dawkins, R., XVII, 9 f., 12, 14 ff., 21, 24, 34, 76, 97, 137 f., 188, 378 Delors, J., 317 Descartes, R., IX, XX, 29 f., 72, 80 f., 83, 95, 250, 372 De Vos, H., 165 Diesselhorst, M., 87, 194, 200 f., 263 Dimbleby, J., 294 Domrôs, M., 153 Dônhoff, M., 246, 274, 303 f., 321, 342, 344, 395 Eberwein, W.-D., 287 Eder, K., 13, 152 ff., 156, 158, 165 f. Efinger, M., 270, 300, 330, 334

Eibl-Eibesfeldt, I., VI, X, XVII, 8 f., 16 ff., 21 ff., 25 f., 33, 38, 88, 98, 126, 137, 140, 148, 150, 152, 154, 158 ff., 163, 166 f., 177 f., 188, 197, 202, 215, 267, 276, 290, 303, 305, 315, 334, 338, 358 f., 363 Eisenach, E., 61 Ellscheid, G., XIV, 117, 128 Emmer, P. C., 334 Engelhardt, E., 276, 334 Engels, E.-M., 125 Engels, F., 68 Eppler, E., 273, 297, 330, 348, 393 f. Etzioni, A., 92 Euchner, W., X f., 171, 199, 213 , 223, 226, 250 Falger, V. S., III, 18, 76, 154, 158, 260 f., 263, 302, 326, 336, 342, 369 Ferdowski, M. A., 302, 310, 315 Fest, J., 209 Fetscher, I., V, XIII, 37, 61, 63, 145, 147, 247, 250, 259, 268, 299, 350, 394 Fischer, J., 305 Flannery, K., 152, 154, 160, 167 f. Fleischer, H., XI Flohr, H., I, III f., VI, XIV, XVII, XXI, 18, 75 f., 152, 159, 353 Forschner, M., XXII, 37, 54, 197, 229 Frankena, W. K., 142, 144 f., 147 Freud, S., 19, 76 f. Freund, J., XIII, 65, 72 Freund, W. S., 152 f., 191 Fukuyama, F., 90, 210, 213, 221, 236, 238 f., 242, 254, 260 Gadol, E. T., XIV, 124, 296, 305, 333, 354, 361, 366, 388, 398 Gauger, J.-D., 377

Personen Gauthier, D., IV, 60, 127, 132, 197, 207 f., 218, 370 Gawlick, G., 42 Gehlen, A., XVI, 33, 63, 71 f., 107, 119, 158 f., 164 ff., 202, 204, 206, 208, 214, 250, 254, 279, 305, 307 f., 346 f., 359, 375, 379 Gehrmann, S., 33, 65, 87, 127 f., 132 Gentz, M., 111 Gerhardt, G., 386 Gert, B., IV, 382 Giesen, B., 158, 164 f., 168 Glotz, P., 157, 303 Godelier, M., 153, 178 Goldenbaum, U „ 59, 72, 87, 170, 229, 242, 250 Goodman, N., 117 Gore, A., XII, XXII, 273 f., 276, 281, 283, 285-288, 291-297, 303 f., 312, 319 ff., 323, 329, 334, 337, 340, 371 ff., 392, 394 Grammer, K., 18, 177 Greven, M. Th., 353 Grover, R. A „ 256, 259, 262, 265, 272 Grubitzsch, H., 138 Gruhl, H., 153, 276 f., 305, 312, 318, 342 f., 348, 352 Guéhenno, J.-M., 286, 293, 310, 342, 346, 352, 355, 363, 377 Guntram, U., 293, 330, 394 Habermas, J., 190, 235, 327, 384 Häckel, E., 270 f., 312, 334 Haltner-Mylaeus, E., 294, 390 Hampton, J „ 61, 147, 223 Hance, A. S., IX, 34, 47, 52, 192, 204 Hansen, G., 288, 291 f., 295 f. Harborth, H.-J., 317 Hardin, R., XIII, 60, 210, 218, 223

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Hartmann, N., 115 Hartwig, K.-H., 111 Hassenstein, B., 9, 188 Hastedt, H., 81, 83 f. Hauff, V., 296 Haug, F., 138 Heger, R., IV, 49 Hegselmann, R., 15, 70, 94, 148, 379 Heinrich, H.-G., 275 Helsper, H „ 89, 132, 140, 238 Hemminger, H., 7, 70, 98 Heuser, U. J., 111, 216 Hiñes, S. M., 152 Hippler, J „ 303, 309 f., 315 Hirsch, H., 296 Hirsch, W., 29 Hirschberger, J., 248 Höffe, O., VII, XI, XIII, XV, XVII, XX, 61, 63, 92, 108, 116, 145, 190, 197, 204, 208, 210, 218 f., 223, 230, 233, 238 f., 246, 250, 259, 295, 297, 302, 307, 317, 334, 344, 360, 362, 372, 387 f., 390, 397 Hönigswald, R„ 33, 130 f., 134, 197, 204 Hoerster, N., 148, 265, 299 Hösle, V., XII, 63, 116, 195, 273, 278, 294, 301-304, 312, 325, 352, 355, 389, 392, 394 Hoffmann-Nowotny, H.-J., 312, 327, 334 Holland-Cunz, B., 138 Homann, K., 125, 128, 330, 360 Honnefelder, L., VI, 149, 233 Honneth, A., 36, 54, 238 Hormann, W., III, 76 Horster, D., 330, 396 Horstmann, U., XVIII Hrycyk, J „ 363 Hügli, A., 37, 100, 253 Huffschmid, A., 290

450

Register

Hume, D., Vili, XI, 13, 34, 49, 85, 89, 104, 114 f., 118, 126, 145, 150, 188, 190, 202, 204, 208, 210, 236, 254, 272, 339, 366, 373 Hungerland, I. C., VI, 26, 61, 72, 80, 145, 210, 223, 243, 250, 260, 265, 352 Ike, B. W „ 3, 12, 33, 39, 41, 137, 150, 153 f., 156, 305, 338, 347, 375 Irrgang, L., XI, 15, 58, 61, 70, 76, 102, 134, 226, 315 Isermann, M., 36, 182 Jacobi, C„ 274, 276 f., 312, 356 Johnson, L., IX, 36, 81 Johnson, P. J., XI, 57, 254, 265 Jonas, H., XVI, XVIII, XXII, 110 f., 116, 118 f., 181, 245, 296, 305, 337, 344, 347, 350 ff., 356, 375, 378-382, 389 f., 395 Kadlec, E., XVII, 9, 188 Kälin, W., 275 Kahl, J., 278 Kambartel, Fr., XVII Kamiah, W., 308 Kamphaus, F., 280-284 Kant, I., IV, XXII, 40, 47, 49, 69, 71, 74, 80, 85, 88, 104, 114, 116 f., 125, 144 f., 150, 155, 172, 174, 193, 206, 214, 217, 221, 235 f., 245, 248, 257, 260 f., 266 f., 300 ff., 304, 309, 311, 317, 330, 334, 354 f., 357, 360, 367 f., 379, 389, 393, 396 Karskens, M., 29 Kastenholz, H. G., III, 215 Kaufmann, E., 138 Kavka, F.-X., 51, 60 f., 127, 362, 374 Keck, O., 309, 325-328

Kennedy, P., 276, 283, 294, 312, 317, 319 Kersting, W., II, VIII-XI, XIII, XX, XXII, 30, 33 f., 36 ff., 40 f., 45 ff., 50, 52 ff., 60 ff., 66, 78, 107, 142, 147, 149, 158, 172, 176, 192, 194, 203, 210 f., 218, 223, 226, 231, 233, 238, 242, 244, 257, 259, 265, 300, 302, 309, 311, 329, 336, 360 Kielmansegg, P., 350 Kleinknecht, R., XI, XIX, 365, 398 Kliemt, H., 15, 33, 40, 47, 99, 131, 147 f., 159, 165 f., 176, 180, 197, 200 f., 206, 208, 223, 239, 254 Klingholz, R., 296 Kindermann, G.-K., 265 Klein, St., 283 Klüver, R., 290, 334 Knapp, A., I f., IV ff., X, XV, XVII, 1, 5, 9 f., 12-15, 32, 70, 73, 77 f., 83, 86, 88, 98, 102, 115, 134 , 137, 188 Kodalle, K.-M., VII, XIII, XX, 87, 101, 106, 181, 184, 194, 197, 204, 209 f., 230, 242 f., 245, 250, 259, 263, 365 König, S., 62 Kogelfranz, S., 270, 347 Kohler-Koch, B., 300, 318 Koslowski, P., XVII, 32, 70, 77 f., 102, 363 Krause, K., 283 Krell, G., 18, 157, 174, 275, 299, 312, 334, 342, 344, 377 Kripke, S. A., 81 Kruse, K., 318 Kühn, H.-J., 190, 280 Küng, H., XII, 5, 363, 367 Kuhlmann, W., 102, 104, 125, 133 f., 136, 144, 146, 157, 182, 184, 384 ff. Kuhn, F., 330

Personen Kuli, U., 129 Kurbjuweit, D., 312 Kutschera, F. v., 117 Kwon, Y.-H., 36, 182 Laird, J., 38 Langmann, A., 303, 334 Lay, R., II, XIII, 73, 110, 116, 160, 305, 346 Leibniz, G. W., 5 Leicht, R., 296, 344 Leinfellner, W., 19, 130, 144, 165 f., 269, 345, 373 f. Lenk, H., 98, 137, 215, 343, 347, 359 Lepenies, W., 392 Lesch, W., IXX f., 303, 312 Low, R., X, IVX, XVII, 9, 32, 102 ff., 112, 123 ff., 137 f., 188, 372, 374, 397 Lorenz, K., III, X, 3, 5 ff., 8, 18, 21, 23, 25 f., 38, 73, 75, 77, 84, 98, 125, 129, 137, 140, 159, 164, 182, 305, 342 f., 354, 391 Lorenzen, S., XVII, 1 f., 5-8, 44, 65, 94 Loske, R., 350 Lott, T. L., 34, 171, 253 Lübcke, P., 100, 253 Lübbe, H., 270, 303 Lütterfelds, W., XXIV, 85, 104, 116, 118, 122, 125, 128, 136, 338, 363 Luhmann, N., 116, 235 Luuk, D., 275 Mackie, J. L., VII, 15, 23, 49, 54, 61, 80, 109, 114 f., 147 f., 190, 197, 251, 254, 359 f. Macpherson, C. B., 190, 206, 232, 238, 340 Machamer, P., 36, 184 Machiavelli, N., VIII, XXII, 1, 32, 55, 67, 116, 231, 326, 351 f., 363, 386

451

Maier-Mannhart, H., 276, 285 March, J. G. 325 Markl, H., II, IX, XI, XX, 12, 15, 34, 130, 137, 152 ff., 156, 158, 190, 202, 253, 274, 276 f., 280, 305, 343, 361, 371 Markl, K.-P., 15, 33, 54, 57, 61, 148, 232 Marquard, O., 397 Martin, H.-P., 293, 312, 371 Martin, L., 303 Marx, K., 68, 173, 234 Masters, R. D., IV, VI f., XVII, 13, 15, 33, 61, 126, 347 Matthies, V., 295 f., 303, 305, 312, 314 f., 319, 334 Matz, U., 79 May, H., 358 Mayer-Tasch, P. C., 239 McLean, L., VI, 60, 68, 148 f., 213, 337 Meadows, D. u. D., XII, 7, 153, 274, 276, 280, 286 ff., 291 ff., 295 f., 323 ff., 329, 342, 388 f. Melotti, U., 18 Meroth, P., 312 Meyer, P., 9, 16-19, 23 , 25 , 27, 33 , 52, 188, 334 Miegel, M., 246, 274, 303 f., 321, 342, 344, 395 Mintz, S. I., 78 Mittelstraß, J., 81 Moesch, H., 287 Mohr, H., II, VI, XVII, 3, 7 f., 10, 12 ff., 18 ff., 23, 25, 50, 61, 70, 72, 80 ff., 88, 98, 116, 124, 126, 129, 133, 137 f., 140, 145, 150 , 154, 160, 166, 169, 179 Moore, G. E., 89, 103, 108 f., 121 Morgenthau, H., 260, 319 Mortensen, V., 89 Morus, Th., 209, 231

452

Register

Moser, R., 275 Münkler, H., 36, 210, 231, 234, 250, 257, 259, 262, 293, 366 Mylaeus, Th., 294, 390 Neumann, G. H., 16, 18, 23, 27 Nicholson, W., 312 Nietzsche, Fr., XIV, 12, 46 f., 57, 74 f., 122, 177, 203, 277, 346 Nölling, W., 246, 274, 303 f., 321, 342, 344, 395 Nozick, R., 41, 61, 158, 176, 357 Nutzinger, H. G., 119 Oesterreich, P., XIV, XXIII O'Hear, A„ 9, 188 Olsen, J. P., 325 Opitz, P. J., 275, 293 f., 303, 309, 312, 317 f. Opp, K.-D., 148 Ostrom, V., 148 Paeschke, R., 49, 102, 134, 190, 204, 206, 213, 230-233, 237, 247 Palaver, W., VII, XVI, 34, 54, 131, 139, 176, 182, 223, 239, 250, 390 Palous, R., 294 Pannenberg, W., XVI, XXI, 29, 75 Passmore, J., 297, 305, 353, 378, 388, 398 Patzelt, W. J., XXIV, 3, 110, 118, 156, 165, 167, 263, 270, 396 Patzig, G., 90, 126 Perger, W. A„ 348 f. Peters, D. St., XVII, 7, 277 Phocas, A., III, VI, XVII, 18 f., 31, 38, 47, 73, 75, 77 f., 113, 122, 140, 145, 148, 167, 152 ff., 156, 159 f., 163,

166-170, 177 ff., 230, 238, 243, 250, 361 Pieper, A., 31 Pilgrim, E. v., 287 Pilz, G., X Platon, 59, 116, 230 f., 245, 257, 349, 390, 394 Plessner, H., 191, 252 Popper, K. R„ 85, 94, 223, 230, 276, 298, 305, 320, 322, 325, 356, 398

248,

263,

271, 395,

Pothast, U., 89 Putnam, H., 81, 83, 86 Räder, H.-G., IV, VII, 41, 45 , 57, 204, 230, 260, 272, 296, 303 Randers, J., XII, 7, 153, 274, 276, 286 ff., 291 ff., 295 f., 323 ff., 342, 388 f. Rawls, J., 109, 122, 127, 177 f.,

145, 280, 329, 190,

207, 217 f., 235, 280, 359 Reichel, R., 280, 331 Remmers, W., 297, 343 f., 370 Repnik, H.-P., 295, 303, 356, 387 Reuter, E., XIV, 246, 274, 303 f., 321, 342, 344, 371, 394 f. Reynolds, V., 18 Rheinwald, R., 89, 93, 102 Richards, R. J., 77, 82, 116 f., 299 Riedel, M., 38, 217, 367 Riedinger, M., 109 Ripstein, A., 258, 359 Rittberger, V., 270, 300, 330, 334 Rod, W., 83 Rorty, R., 81 Roser, A., XXIV, 181, 375, 378 f., 390 Rousseau, J.-J., 190, 223, 234, 236 Ruse, M., II, 2 f., 9, 12 f., 75, 77, 116, 188, 201, 338, 364

Personen Russell, B., VIII Saage, R., 356, 377 Sadik, N., 281-284, 286 Sakellariadis, S., 36, 184 Sartorius, P., 283 f. Sassenbach, U., XXII Schaber, P „ 207 Schädle, W., 280, 289 f. Schaefer, A., II, IV, VIII, XIII, XXII, 79, 128, 203, 223, 230, 239, 250, 258, 369 Schäfer, H., 278, 283 Scheler, M., 84, 116, 252 Schelsky, H., V, XI, XVI, 36, 176, 182, 204, 210, 223, 250, 391 Schmid, J., 152 f., 274 ff., 280 Schmid, K.-P., 312 Schmidbauer, W., X Schmidt, H., 246, 274, 276, 283 , 303 f., 321, 342, 344, 389, 395 Schmitt, C., 103, 204, 223, 233, 261, 265, 268, 325 Schnoor, Chr., 116, 193, 276, 288-297, 303, 371 Schön wiese, Chr.-D., XII Schöps, J., 276, 280, 282 f., 285, 312, 315, 318, 334 Schräder, W „ 135, 171, 197, 199, 201, 204, 223 Schröder, D., 276, 285 Schröder, H.-J., 321 Schröder, R., 246, 274, 303 f., 321, 342, 344, 395 Schubert, G „ 50, 111, 297 Schubert, M., I f., 75 f. Schüßler, R „ 61, 159, 302, 393 Schütze, Chr., 280, 287, 295 Schumann, H., 293, 312, 371 Schumann, K., VIII

453

Spranger, C.-D., 273, 393 Schwan, A., IV, XXIII Schwan, G., 353 Schwemmer, O., 365 Seelmann-Eggebert, R., 280, 283 , 294, 312 Seibold, Fr., 85 Seibt, U., I, XI, 39, 76 Seidl, O., 18, 155 Senghaas, D., 134 Service, E. R., 170, 204, 211 Siep, L., V, 116 Silverman, I., 18 Singer, P., 14, 16 f., 19, 23, 27, 89-94, 126, 135, 277, 280, 286, 334, 338, 370, 386 Smolla, G., 153, 155 Somit, A., III f. Sommer, Th., 322 Sommer, V., 15, 27, 73, 77, 209 Sontheimer, M., 276, 296 Sorell, Th., 61, 147, 197 Spaemann, R„ X, XVII, 102, 188, 381, 400 Sperry, R„ 83 f., 89, 94 f., 122 f., 130, 258, 276, 279 f., 302, 338, 342, 363, 373, 389, 397 Springer, M., 148 Stachowiak, H., 110, 296, 342, 354, 386, 396 ff., 400 Stegmüller, W., 136, 342 Stichel, P. C., 287-290, 293, 295 f., 334 Stöckler, M., II, X Strauss, L., IV, XX, 54, 59, 62 f., 86, 103, 132, 181, 207, 210, 214, 230, 261, 263, 297, 305 Strömholm, S., VIII, 107, 199, 220 Stuhlmann-Laeisz, R., 117

454

Register

Taylor, M. XIII, 61, 148 f., 223, 226, 234 Tenbrock, Chr., 23, 321 Tetzlaff, R., 293, 303, 337 Thierse, W., 246, 274, 303 f., 321, 342, 344, 395 Thukydides, 249, 263 f., 326 Tibi, B., 363 Tönnesmann, W., III f., VI, XVII, XXI, 17, 23, 75 f., 97, 114, 152, 177, 353 Tönnies, F., IV, VIII, XII, 33, 38, 54, 81, 87, 100 ff., 123, 126, 171, 181, 197, 206, 211, 213, 223, 234, 337 Töpfer, K., 297, 348, 372 Tomala, K., 153 Türcke, Chr., 363 Uexküll, J. v., 283 Urban, M., 280, 287, 289 Verheugen, G., 286 Vine, I., 18 Vogel, Chr., II, V, XVI f., XXI, 2, 8-17, 19, 23 ff., 27 ff., 34, 70, 74 ff., 88, 98, 126, 133, 154, 161, 166, 169, 188, 196, 282, 343, 373, 377 Vollmer, A„ 296, 348 f., 352 Vollmer, G., IV, XVII, 19, 60, 77, 81, 86, 90, 92, 97, 109 f., 125 f., 130, 138, 373 Vollrath, E„ XXII Vorholz, F., 350 Vossenkuhl, W., 102, 119, 145, 149 Wagner, G„ 310, 314 Waller, P., 303, 322 Walther, R., 158 Walzer, M., 53, 172 f., 245, 384 Weber, M., 37, 77, 214, 393, 395 Wehler, H.-U., 158

Weil, E., 257 Weiler, R., III, 79, 294, 363, 367 Weiß, U., V, IX, XII, XVI, XX f., XXIV, 29-32, 34, 41-45, 50, 58 , 62, 65, 72, 81, 86 f., 106, 111, 115, 121, 126, 131 f., 139, 142 f., 145, 176, 187, 197, 200 f., 204, 210, 214, 238, 252, 257 ff., 265 Weizsäcker, C. F. v., 305, 352 Weizsäcker, E. U. v., XII, 280, 285-288, 291, 293-296, 299, 302 f., 312, 317 f., 323, 330, 394, 397 Weizsäcker, R. v., 273, 294 f., 300, 305, 310, 321, 336, 352, 355, 391 Welsch, W., 161, 266, 342, 355 Werner, J., 23, 265, 274-277, 283, 308, 312, 314 ff., 318, 341, 363 Wernicke, Chr. 275, 280, 296, 303, 312, 334, 350, 356, 375 Wesiack, W., 81, 84 Wetzel, M., 124, 182, 295, 385 ff., 388, 398 Wickler, W., I, XI, XVI, 19, 29, 31, 39, 76, 78 Wiegele, T. C., III, XX, 155, 177 Willms, B., VIII, XII ff., XIV, XVI, XXI, 29 ff., 34, 36, 41 ff., 56 f., 62, 78, 86, 124 f., 143, 147, 150, 173, 176, 181, 183 f., 189, 192, 194, 204, 210, 223, 235 , 244, 248-252, 255-262, 265-268, 309, 329, 357, 359, 363 f., 370, 376, 383 Wilson, E. O., I f., XVII, 6, 9 f., 16 f., 20 ff., 31, 70, 74, 76, 83, 91, 126, 138, 160, 188, 342, 400 Winsemius, P., 293, 330, 394 Wöhlcke, M „ 275 f., 285, 293, 295 f., 303, 312, 317 f. Wolf, F. O., 119

Personen Wolf-J.-C., 381 f. Wolf, K. D „ 270, 300, 330, 334 Wolfers, B., 38 Wrong, D „ 56 f., 68, 107, 127, 190, 232, 234, 237 f., 265, 347 Wuketits, F. M., II, XVI, XVII, XXI, 2, 5, 27, 29, 31, 33, 36, 47, 76 f., 113, 118 f., 125 f., 128, 135, 144, 161, 166, 188, 196, 214, 312, 342, 345, 374 f. Wurm, W., 166, 342 Zeier, H., 154 Zimmer, D. E., 9, 22, 70 f., 88, 138, 188 Zimmerli, W. Ch., 117 ff., 122, 134, 390, 400 Zimmermann, R., 176, 242 Zürn, M., 270, 300, 330, 334

Sachen1 Abneigung/Aversion 47, 100, 123, 126 f., 142, 251 Absolutismus 136, 210, 223, 242, 246, 248 ff. Ackerbau 14, 49, 140, 142, 153 f., 168, 172, 312 Adaption/adaptiv I, 17, 19, 23 , 25, 27 f., 47, 73 ff., 77, 82 f., 88, 97, 122, 137 f., 141, 191, 200, 202, 237, 299, 342

1

Die Begriffe sind als Lemmata zu verstehen; die Seitenangaben können sich also auch auf abgeleitete Begriffe beziehen (z. B.: unter "Absolutismus" auch "absolutistisch", unter "Darwinismus" auch "darwinistisch" usw.).

455

Aggression/Aggressivität I, III, 16-24, 38, 40, 49, 52, 55, 58, 69, 71, 97 ff., 137, 139-142, 144 f., 150, 154, 156, 160 f., 163 f., 167 ff., 176, 178, 189 f., 206, 215, 234, 255, 259, 333 f. Aggressionshemmung 20 f., 23 f., 26, 58, 163 Alleinherrschaft 245, 384, 386 Allgemeinwohl (s. Gemeinwohl) Altruismus/altruistisch III, 2, 10-21, 24, 27, 37, 58 ff., 63, 67, 89-92, 97, 99, 133, 139, 144, 148, 163, 178, 186, 189 f., 209, 230, 254, 297, 338, 379 Altruismus, reziproker 13-16, 21, 24, 60 f., 155, 160, 186, 202, 231, 307, 38 Anarchie 260, 269, 272, 322, 331, 377 Anerkennung 11, 62, 178 , 213, 223 , 237 f., 273, 278, 280, 303, 308, 365, 376, 384, 386 angeboren (Verhaltensmuster) 3 f., 16 f., 20 f., 23, 25 f., 38, 44, 58, 69 ff., 8791, 94, 98, 100, 123, 126, 140, 150, 160 f., 164, 182, 384 Anpassung I f., X, XV, 2 f., 7, 14, 36, 52, 73-76, 98, 122, 136 f., 150, 156 ff., 164, 178, 189, 191 f., 200, 280, 299, 304, 342, 373, 377 Anthropologie/anthropologisch II, IV-VII, X, XIV ff., XXI, 4, 16, 29, 32 f., 36, 39, 46, 49, 56, 69, 72, 103, 137, 145, 151, 153, 160 f., 169, 174 f., 177, 184, 189 ff., 209, 215, 219, 221 f., 232 ff., 236, 244, 247, 249-253, 255, 260, 263, 289, 340 f., 345 f., 369, 373 ff., 385, 389, 395 f. anthropozentrisch 85, 119, 388, 400 Aristokratie/aristokratisch 148, 209, 223, 228, 238, 241 f., 384 aristotelisch IX, 9, 37, 40, 43, 184, 191

456

Register

Armut 276, 280 f., 283, 302 f. Arterhaltung 14, 25, 279 Asylanten 18, 139, 312, 353 Aufklärung IV, 75, 216, 375, 389 f., 396 Autonomie 93, 97, 303 autoritär XXIII, 210, 244, 248, 250, 310, 386, 392 Axiom/axiomatisch XV, XVII ff., 41, 43 f., 48 f., 83, 106, 110 f., 184, 232, 263 Basisnorm 139, 383 Begierde 46, 53 f., 67, 96, 123, 126, 124, 142, 146, 182, 244, 339, 384 bellum (s. Krieg) Bevölkerungsentwicklung 189, 275 Bevölkerungsexplosion 88 , 274, 276, 278 ff., 285, 295, 312, 316, 355 f. Bevölkerungswachstum 50, 88, 152, 155, 174, 176, 191, 274, 276 ff., 281, 283, 312, 324, 329, 363 Bewußtsein X, XVII, 32, 53, 75 f., 80-86, 94 f., 99, 119, 135, 138, 216, 222 f., 243, 271, 296, 304 ff., 315, 338, 361, 365, 371, 391 Bewußtseinsänderung/wandel 284 ff., 342 Bibel/biblisch XXI, 21, 31, 59, 79, 105, 145, 155, 169, 194, 227, 309 Biologismus/biologistisch 76, 103, 106 f. Biopolitics III f., XXI, 151 f., 169, 182, 190, 238 f., 251-255, 262, 271, 299, 361 Bürgerkrieg XVI, 25, 34, 42, 59, 79, 105, 148, 234, 244, 247, 249, 256, 271, 310, 312, 319, 323, 340 Christentum/christlich XVI, 20, 77, 79, 231, 363, 367 C 0 2 288 f., 291, 293

Darwinismus/darwinistisch 7, 46, 56, 68 demographischer Kollaps 7, 274, 287 Demokratie 53 , 63, 148 , 205 , 209, 211, 223, 226, 228, 241 ff., 245 f., 249, 308, 318, 341, 344, 348-354, 358 f., 384, 389 ff., 395 Demokratisierung 286, 314, 349, 352 Demokratismus 210 Desertifikation 280, 289 Despotie/despotisch 210, 244 f., 248, 269 Determinismus/deterministisch 2, 10, 51, 86 f., 89,91,93-98, 101 ff., 138 Deus (s. Gott) Diktatur 310, 312, 335, 348, 350 Diskursethik 104, 136, 157, 182, 382, 384, 386 Doppelmoral 129, 312, 334, 345 Egoismus/egoistisch V, 10 ff., 15, 19, 32 ff., 38, 45, 59 ff., 64, 68, 91 f., 98, 127, 132, 144-147, 149 f., 185 ff., 192, 194, 201, 207 ff., 218 f., 231, 302, 327, 344, 373, 382 Eigennutz 11, 14, 46, 67, 91 ff, 106 f., 111, 115, 127 f., 133, 139, 144-147, 150, 165, 176, 187, 192, 195, 204, 207, 214, 236, 264 f., 272, 315, 320, 333, 340, 362, 370, 372 ff., 376, 392, 396, 398 Eigentum 17, 49, 65, 114, 155, 340 Empirie/empirisch V, XXI f., 9, 27, 30, 34 ff., 41, 69 ff., 85, 91 f., 97, 99, 103, 105, 108, 111, 115 ff., 121, 125 f., 133, 135 f., 171, 184, 213, 267, 347, 357, 383 Empirismus/empiristisch 103 ff., 108, 125, 134 ff., 397 Entwicklungshilfe 273, 277, 280, 286, 312, 331

Sachen Entwicklungsländer 275, 277, 280 ff., 284 ff., 317, 320, 323, 331, 334, 358 Entwicklungspolitik 273, 285, 331, 334, 393 Epiphänomen 32, 81, 83 Erdpolitik 293, 307 Erkenntnistheorie IX, 81, 104, 125, 182, 231 ff., 342, 375, 396 Ethnozentrismus 18, 113, 139, 159, 175, 377 Ethologie VII, 8, 17 ff., 58, 68, 72, 167, 179 Ethos (universales/Welt-E.) 150, 279, 308, 336, 362 f., 365, 367, 375 f., 378, 396, 400 Europa XVII, 113, 157, 168, 249 f., 269, 274 f., 310 ff., 317 ff., 322, 334, 341, 344, 347, 355, 371, 377, 389 Evolutionäre Erkenntnistheorie 104, 125, 182, 342, 375, 396 Evolutionäre Ethik 2, 60 f., 70 f., 103, 109, 116 f., 124, 127 f., 132, 137 f., 187, 305, 342, 366, 374, 379 Evolutionismus/evolutionistisch 50, 79, 105, 126, 269 Evolutionstheorie I, X, XIV-XIX, 1 f., 47, 29, 32, 70, 75 f., 79, 84, 94, 136, 188, 260 Familie 37, 41, 49, 56 ff., 90, 93, 112, 133, 155, 158 f., 164, 166, 168, 170, 189, 202, 223 , 253 , 278, 280 f., 283286, 308 Fatalismus/fatalistisch 79, 98, 305, 333, 349, 355, 389 Fehlschluß (naturalistischer) 108, 113, 116 ff., 120-124, 383, 385, 400 Fitness VI, 1, 10, 13 ff., 17, 19 ff., 25 f., 31 ff., 51, 53, 57, 61, 64, 74 f., 78, 88,

90, 95, 97, 99-104, 106, 108-113, 133 f., 137, 140 f., 156, 162, 164, 180, 185, 219, 236 f., 347, 369, 378 f., 382 Fortpflanzung 2, 7 f., 11, 17, 100,

457 124, 178, 373, 281,

283, 285 f. forum (internum/externum) 101, 199-202, 233, 307 Freiheit 16, 42, 53, 55, 62, 66 f., 70, 78, 80, 82 f., 85-103, 107, 133, 139, 143, 179 f., 186, 192, 204, 206, 214, 221, 223 , 225 ff., 233 , 235, 242, 248, 252, 261 f., 266, 299, 301, 324, 327, 339 f., 352, 359, 377, 379, 381 Frieden 22, 49, 54, 99, 126, 129, 147, 153, 171, 182, 186 f., 196, 198 ff., 202, 204, 206, 208, 218, 223, 235, 241, 247, 257, 260 f., 301, 325, 331-334, 355, 358, 366 f., 384, 389 Fulguration 6, 84 Gattung (species) XVIII, 10, 21, 35, 74 f., 177, 191, 221, 267, 301 f., 342, 356 f., 369, 375, 382, 390 Geburtenrate 277 f., 282 Gefangenendilemma (s. prisoner's dilemma) Gehirn 3, 81, 84, 89, 94 f., 98, 123, 130, 138, 258 Geist IX, 29, 74, 80 f., 84, 94, 126 Geltung IV, VII, 37, 43, 105 f., 114, 122, 129, 132 ff., 135, 137, 145, 150, 190, 199, 202, 230, 233, 264, 307, 311 f., 314, 321, 325, 329, 362, 374, 376 f., 384 Gemeinschaft 36 ff., 57, 128, 153, 190, 192, 202, 219, 225, 237 f., 336, 346, 354, 370, 386 Gemeinwohl 228 f., 265

458

Register

Genegoismus 8, 27, 201, 378, 393 Genmaximierung 47, 88, 103 Genozid 22, 25, 70, 116, 169, 254, 316 Genpool 7 f., 33, 41, 70, 112, 169, 180, 215, 300 Gerechtigkeit 57 ff., 67, 109, 116, 151, 178, 202, 207, 217 f., 231, 257, 259, 264, 280, 295, 302, 336, 344, 362, 384, 387 Gesamtfitness (s. Fitness) Gesellschaftsvertrag 107, 157, 169 f., 170, 172, 204, 209, 211 ff., 215, 217, 220, 239, 251, 253 ff., 309, 400 Gewalt 16, 34, 49, 53, 67 f., 106, 114, 131, 171, 174, 168, 171, 178, 181 f., 194, 203 f., 206, 212, 215, 223, 231 f., 236 f., 259 f., 269, 302 f., 310, 312, 314 f., 319, 330 ff., 337, 346, 351, 360, 368, 394 Gewissen 90, 140, 150, 171, 199-202, 227, 242, 309, 365, 381 Glauben 16 f., 30 ff., 61, 79, 82, 145, 182, 321, 342, 363, 373, 379, 397 Gleichheit 53, 55 f., 76, 110, 170, 173, 176-179, 190, 272, 299, 323, 359 Glück/Glückseligkeit 47, 51, 53, 90, 117, 144, 180, 390, 398 Goldene Regel 147, 187 Gott XVI, 6, 30 ff., 57 f., 68, 78, 86, 92, 95, 104-107, 109, 121, 127, 145, 190, 199, 201, 204, 206-209, 214, 221, 225229, 233, 236 f., 239, 258 f., 267, 269, 336, 351, 398 Gottesbeweis XVII, 80 Hedonismus 92, 382 Herrschaft 76, 91, 138, 171, 177, 197, 203, 221, 223, 226, 229, 231, 235, 237

ff., 242, 244 f., 250, 252, 255, 309 f., 312, 332 Heuristik (d. Furcht) 181, 378, 390, 394 Hierarchie 69, 98, 105, 120, 177, 237 Historizismus 188, 271 homo homini deus 56, 59, 258 homo homini lupus 40, 56, 58, 64, 190 Humanethologie 32, 41, 52, 71, 160, 178 Humansoziobiologie I, XIII, XV, 71, 137, 369 Hypermoral 119, 164, 364, 375 Hyperselektionismus 9, 188 Idealismus/idealistisch 83, 85 f., 109, 121, 126, 134, 138, 144 f., 147, 229 ff., 336 f., 345, 365, 367, 390, 399 f. Identitätstheorie 81, 94 Ideologie/ideologisch XVI, 159, 210, 223, 243, 256, 296, 304, 334, 339, 348, 363, 395 Imperativ (hypothetischer) 104, 133, 277, 336

116, 196, 380,

213, 342, 200,

Imperativ (kategorischer) 116 f., 148, 193, 229, 367 f. Imperialismus 173, 293, 322 Individualismus 33, 57, 59, 210, 346 Industrienationen/staaten 278, 280, 282, 285 f., 293 , 295, 299, 303 , 305, 312, 314 ff., 317 f., 322, 331, 334, 343 f., 347, 358, 361, 363, 372 Infantizid 27, 116 Instinkt/instinktiv 18, 21, 71, 88, 98, 164, 254, 307 f., 345, 354, 383, 391 Institutionalismus (Neuer) 325-329 Intergruppenkonflikt 25, 154, 158, 163, 168, 238, 255 Intoleranz 72, 98, 137, 243, 346, 365 Isomorphie (partielle) 85 f., 342

Sachen Jugoslawien 25, 269, 310, 312, 314, 316, 332, 375 Kampf (um's Überleben/Dasein) 1, 7, 10, 16 ff., 23 f., 27, 50, 64 f., 68 f., 141, 238, 279 Kausalität 4, 6, 41, 43 f., 83, 87, 95, 342 f. Kleingruppen/Kleingruppenwesen 19, 33, 39 f., 57 f., 69, 112, 114, 132, 140, 158, 163, 167, 169, 179 f., 187, 190, 196, 201, 209, 211, 230, 251, 262 f., 269, 271, 343, 346 358, 369 Klima 153, 288 f., 291, 293, 346, 390 Klugheitsethik 104 f., 133 f., 136, 144 f., 180, 187, 378, 400 Knappheitsbedingungen 50, 329, 334 Kolonialismus 169, 280, 286, 331 Kommunikation 36, 124, 294, 337 f., 341, 384 ff., 396 Kommunikationsgemeinschaft 182, 383386 Konfliktnatur VII, 204, 207, 213 ff., 235 Konkurrenz/Konkurrenzkampf 1 f., 9, 11, 17, 21, 38, 52, 64, 68 f., 71, 139, 141 f., 153, 155-158, 160 f., 168, 177, 179 f., 190, 192, 213, 219, 235, 265, 296, 298, 310, 352, 358, 379, 394 Kontraktualismus 61, 170, 218, 254, 300 Kooperation/kooperativ 11, 13, 17, 19 f., 59, 64, 145, 147 ff., 153, 155 f., 158, 161, 163, 168, 180, 187, 190, 204, 209, 254, 269, 273, 298, 302, 315 f., 319 f., 323, 325 ff., 331, 337, 348, 354, 357, 363, 370, 393, 397 Korruption 148, 230, 245, 374 Kosmopolitismus XXII, 300, 375 König 72, 220, 228 ff., 236 f., 239, 260

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Krieg (aller gegen alle) 36, 38, 50, 56, 6366, 69, 107, 131, 169, 179, 190, 218, 233, 262 f., 330, 347, 351 Kultur/kulturell III, VII, X, 2 f., 18, 20, 22, 38, 40, 47, 68, 71, 73-76, 87 f., 90, 103, 105, 116, 122, 125, 128, 130, 137 f., 150, 157 ff., 167, 191, 252, 255, 258 f., 266, 276, 280, 282, 292, 297, 299, 302, 305, 327, 333, 345, 354 f., 357 ff., 361, 363, 368 f., 372, 374-377, 381, 385, 396 Lebensbedingungen 113, 262, 275, 284, 289 f., 364 Lebensqualität/Lebensstandard 61, 143, 156, 180, 182, 201, 271, 280, 284, 292, 308, 316, 318, 340, 344, 346, 371 f., 381, 391 Legislative 70, 223, 226 f. Legitimität/Legitimation 20, 63, 167 f., 170, 197, 223, 238 f., 248, 251, 295, 307, 309 f., 329, 341, 344, 356, 375 Leib-Seele-Problem IXX, 83 f. Leidenschaft 67, 90, 99, 139, 149, 151, 176, 181, 200, 213, 230, 244, 339 f. Leidensdruck 38, 131, 156, 168, 180, 189, 203, 235, 262, 268, 271 ff. Letztbegründung 104 ff., 109, 128, 136, 239, 386 Liberalismus/liberal 41, 62, 105, 172, 210, 223, 242, 249 f., 286, 317 f., 348, 359, 363, 393 Macht XXII, 4, 32, 37, 46 f., 49-54, 66, 101, 106, 129, 134 f., 141 ff., 151, 167, 178 f., 186, 193, 202, 204, 206, 210-215, 220 f., 223, 227 ff., 233, 237, 239, 242, 244, 248, 261 f., 264 f., 280, 293, 299, 301 f., 304, 307, 310, 314,

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Register

316, 319, 329, 332, 338 f., 349 ff., 359, 369, 371 f., 391, 394 maladaptiv 25, 137, 160, 255 Marktwirtschaft 280, 330, 348, 350, 370 Marschallplan 293, 320 f., 323, 329, 372 Massengesellschaft 98, 148, 333, 346 Massenvernichtungswaffen 26, 98, 283, 315, 319 Materialismus/materialistisch XV, IXX, 5, 10, 29, 31 f., 41, 43, 47 f., 51, 72, 75, 77, 80-83, 85 ff., 94, 102 f., 105 f., 118, 126, 133 f., 138-142, 188, 200, 229, 251 Mechanizismus/mechanizistisch 10, 29, 41, 43, 48, 51, 72, 81, 84, 86 f., 100, 102 f., 106 f., 123 f., 188 f., 197, 251 Menschenbild II, IV-VII, XXI, 1, 4, 32, 51, 56 ff., 64, 77 ff., 106, 125 f., 133, 139, 203, 215, 227, 229, 252, 258, 311, 329, 333 f., 336, 354, 362 Menschenrechte XIV, 62, 145, 212, 233, 302, 314, 316, 351, 355, 362 Menschenwürde 77 f., 90, 133, 233, 363 Menschheitsgeschichte 5, 25, 116, 252, 366 Menschheitskatastrophe 280, 296, 380 Menschheitsprobleme 276, 298, 320, 393 Metaethik 109, 124, 398 Metaphysik I, XVII f., XXI, 9, 29-32, 34, 43 , 51, 77, 79, 86, 103-106, 109, 111, 125 f., 136, 307, 362, 364 f., 398 Migration 174, 275, 290, 299, 312, 317, 327 Monade 33, 64, 235, 397 Monarchie 210, 223, 228, 241-245, 247 Monismus/monistisch 29, 31 f., 56, 64, 82 f., 243, 363, 365 Moralfähigkeit VI, 105, 215, 230, 338, 342, 346, 354, 374 ff., 379

Moralhypertrophie XVI, 308, 379 Moralität X, 2, 68, 75, 123, 134, 147, 208, 215, 223, 334, 368, 392 Moralphilosophie II, IV f., IX, XIII, XXI, XXIII, 10, 12, 16, 54, 66, 80, 89, 95 f., 107, 113, 118, 124, 127, 130 ff., 134, 149, 170 f., 177, 182, 186 f., 193, 208, 231, 236, 279, 363, 366 f., 398 f. motivationale Basis/Fundament (ethisch) 126, 133, 145, 297, 361 f., 367, 372, 374, 379 Mythos/mythologisch XVI f., 18, 31 f., 154, 157, 168, 234, 251, 276, 342 Nachhaltigkeit (ökologisch) 290, 293, 323 f., 329, 377, 388 Nachkommen 1, 7, 10, 14, 27, 65, 88, 97, 278 f., 281, 344, 375, 378 f., 398 Nahbereich (ethisch/moralisch) XVI, 215, 254, 338, 342 f., 354, 379 Nationalismus 18, 112 f., 139, 294, 322, 347, 353 Nationalstaat 40, 157, 251, 253, 319, 327, 360 Naturalismus/naturalistisch V, 77, 81, 103, 106,118 Naturgesetz 60 f., 107, 116, 127, 194 f., 199, 225, 239, 271, 340 Naturrecht 62, 79, 106 f., 127 f., 145, 170, 197, 199, 226 ff., 253, 263 f., 307, 356, 363, 367 Naturzustand XXII, 32-38, 41, 44, 47, 49, 51-54, 56 f., 59 ff., 63-70, 101, 106 f., 112-115, 119, 131 ff., 141 ff., 148 f., 151, 157, 160, 162, 169 ff., 173 f., 176-183, 185-190, 193-204, 206, 209214, 218-223, 226 f., 232 f., 235, 239, 244, 249, 251-266, 268-272, 294, 296,

Sachen 298-301, 304, 306, 309, 323, 326, 329332, 336, 340, 351, 359 f., 368, 370 Neolithikum 14, 18, 49, 153 f., 158, 168, 189, 196, 251, 253, 269, 305, 312, 346 Nepotismus (Vetternwirtschaft) 112, 196, 245 Nominalismus VIII, 121, 184 Ontogenese 2, 16, 125 f., 132, 136 Ontologie 43, 49, 80 f., 84 f., 105, 111, 119, 121, 233 f., 238 Ozon XV, 119, 290-293, 316, 324 Paläolithikum 18, 49, 154, 253, 305 Pflicht 149, 186, 193, 216, 236, 264, 297, 308, 344, 360, 375, 381 Pleistozän 14, 18, 20, 140, 343 Pluralismus (politisch) XXIII, 105, 137, 167, 243, 318, 346, 358 Pragmatismus/pragmatisch I, IX, XIII, 19, 34, 72, 84 f., 93, 97 f., 107, 110, 119, 124, 133, 135, 145, 192, 203 f., 210, 215, 231, 243, 249, 255, 271, 303, 307, 320, 322, 336 f., 341 f., 344, 351, 358, 386, 389, 393, 398 ff. prisoner's dilemma 15, 148, 165, 196, 218, 223, 235, 239, 309, 321, 358 f. Protektionismus 311, 317 Rangordnung/Rangordnungsstreben 17, 38, 69, 174, 177, 179, 237 Rationalismus/rationalistisch IV, IX, XVII, 31, 79, 87, 92, 110, 119, 172, 188, 192, 215, 230 Realismus 85, 319, 326 f. Realpolitik 304, 316, 323, 392 Rechtsstaat 217, 223, 239, 348, 358 Rechtsverzicht 133, 193, 197

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Reduktionismus X, XXI, 4, 46, 68, 72, 94, 127, 186, 233 Relativismus/relativistisch 47, 105, 109 f., 120 ff., 127, 134 Religion XVI, 32, 78, 105, 168, 250, 363 Reproduktion (genetisch) I, 1, 7, 9, 11, 27, 38, 50, 52, 61, 74, 145, 153, 156, 161, 168, 180, 197, 282 f., 285 Ressourcen/Ressourcenverknappung 1 f., 5, 7, 14, 17 f., 27, 38, 40, 49 ff., 63 ff., 69, 141 ff., 155 f., 160 f., 179 f., 191 f., 197, 211, 235 f., 253, 276, 285, 287, 297 f., 305, 310 ff., 316, 318, 322, 324, 329, 333, 340, 346 ff., 351, 353, 363, 371 salus populi 113, 119, 172, 236 f., 239, 265, 269, 330 Schwert d. Gerechtigkeit 38, 135, 215218, 232 f., 307, 311, 321, 325, 332, 334, 359 f., 388 Selbstserhaltung XXII, 13, 33, 46, 49, 51 ff., 62-65, 67 f., 87, 99 ff., 107, 109 ff., 115, 121, 123 f., 130, 134, 137, 139, 142 f., 147, 166, 175, 184, 188, 191 ff., 195 ff., 204, 208, 210, 223, 236 f., 248, 252, 327, 336, 362, 369 f., 374, 382, 390, 393, 399 Selbstlosigkeit 186, 209, 237, 370, 378 f. Selektionstheorie I, 1 f., 8, 11, 50, 60, 65, 251 Selektionsdruck 10, 47, 159, 299, 377 Sippe 41, 58, 133, 152, 164, 189, 262 Sittlichkeit X, 2, 134, 336, 392 Souveränität 15 , 79, 223 , 226, 231, 239, 242, 247 ff., 252, 266, 302 f., 309, 320, 339, 354, 359, 377 Sozialdarwinismus XXII, 107, 334, 353 Sozialethik 19, 130, 165, 209, 282 f.

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Register

Sozialität 19, 36, 167, 169, 254 Sozialverhalten I, 10, 40, 58, 70, 76, 148 Soziobiologie I f., IV-VII, X f., XVI f., IXX-XXIII, 1-4, 8 f., 12, 15, 19 f., 29, 31 f., 36, 41, 44, 46, 52, 61, 67 f., 70 f., 73, 76, 79 f., 87, 90, 96, 101 ff., 106 f., 109, 112, 133, 137 f., 144, 169 f., 179, 184, 202, 253, 279, 342, 345, 369, 374, 378 f., 396, 400 Sprache XVII, 3, 25, 36, 72, 75 f., 81, 87, 117, 157, 182 f., 188, 197, 383 f., 386, 392 Spieltheorie 15, 54, 60 f., 147 ff., 160, 165, 176, 186, 195, 203, 219, 302, 326, 347, 393 Staatsgründung 59, 128, 170 f., 181, 190, 205, 208, 210 f., 218 f., 222, 226 f., 232, 235, 238 f., 254 f., 271, 310, 319, 337, 358 Staatsindividuen 257 f., 262-267, 271, 309, 332, 334, 359 f. Staatsphilosophie/theorie V, VII, XII, XIV, XXII, 55, 151, 176, 184, 204, 206, 210, 223, 231, 249, 251, 255, 265, 268, 308 Stratosphäre 119, 287, 290 ff., 387 Tauglichkeit/Tauglichkeitsmaximierung 16 f., 20, 25, 34, 52, 76, 94, 97, 115, 177, 352, 378 Telelogie/teleologisch 5, 9, 37, 40, 47, 78, 98, 108, 188, 301, 328, 342, 356 Teleonomie/teleonom 9 f., 16, 74, 76, 110, 132 Territorialität XX, 18, 49, 71, 97, 99, 139 f., 154, 179, 312 Theologie/theologisch VII, XV f., XXI, 29 f., 32, 86, 106, 145, 204, 226, 228, 232, 363, 365

Tod/Todesfurcht 4, 32, 38, 65, 98 f., 142 f., 171, 181, 194, 203 f., 210 f., 298, 305, 307, 319, 356, 364, 369, 380, 390 Totalitarismus/totalitär XXIII, 210, 223, 230, 242, 250 Tötungshemmung 22-28, 58, 159 Tragekapazität 276 ff., 298 f., 307, 342 transanimalisch 72 ff., 79 f. transzendental 34, 36, 80, 82, 104, 121, 125, 134, 136 f., 145, 196, 233, 385 Transzendentalpragmatik 104, 133, 136, 157, 182, 382 Transzendenz/transzendent 5, 9, 30, 78, 80, 82 f., 103 ff., 121, 133, 136, 138, 233, 362 Treibhauseffekt 287 ff., 291, 293, 316, 319, 350 Tugend/tugendhaft VI, 10, 54, 57 ff., 68, 131, 147, 164, 174, 188, 190, 194-197, 204, 207, 222, 236, 239, 242, 259, 279, 331, 367, 370, 379 f., 397 Tyrannei 97, 138, 309, 350 f. Überlebensbedingungen I, X, 1 f., 14, 98, 136-139, 155, 158, 160, 163, 179, 189, 191, 200, 252, 255 , 271, 282 f., 338, 340, 342 f., 372 ff., 390, 394 Umweltpolitik 293, 321, 370, 394 Umweltzerstörung/veränderung 6, 45, 98, 276, 295, 303, 312, 324, 356, 372 Ungerechtigkeit/ungerecht 56, 59, 67 f., 114 f., 128, 131, 174, 195, 217, 261, 325, 331, 334, 370, 387 Ungleichheit 171, 178, 207, 272, 326, 328, 359 Unmoral/unmoralisch 47, 93, 128, 134, 136, 144, 148, 239, 305, 312, 318, 374, 391, 393

Sachen UNO/Vereinte Nationen 264, 269, 302 f., 309, 321, 331 f., 339 Unrecht 59, 65, 67, 130, 182, 195, 206, 213, 228, 239, 248, 368, 373 Unterwerfung 21, 24, 26, 51, 54 f., 58 f., 65, 160, 168, 170, 177 f., 190, 204, 206, 210 f., 219, 221, 244, 309, 332 Unvernunft/unvernünftig 68, 131, 149, 195, 197, 199 ff., 239, 309, 329, 331 USA/Amerika 254, 269, 289, 293, 310, 314, 321 f., 331 Utilitarismus/utilitaristisch 92 f., 119, 148, 344, 381 f., 400 Utopie/utopisch XXIII, 209, 231, 302, 311, 317, 323, 337 f., 348, 356 f., 376 f. Verantwortung XV, 82, 119, 181, 243, 279, 282 ff., 295, 317, 320 f., 344 f., 349, 351 f., 355, 371, 375, 378 f., 382 f., 389 ff., 394 Verhaltensdisposition/muster XI, 2 f., 14 f., 23, 61, 70 f., 88-91, 90, 93 f., 97, 137, 139, 159, 164, 189 f., 209, 253 f., 354, 361 Vernunft IX, XIV, 2, 29, 30 f., 34, 38, 44 f., 52 f., 57, 62, 65, 67, 72 ff., 80, 88, 98, 114, 116, 119, 127, 137, 145, 157, 171, 182-186, 188 ff., 192-197, 199, 201, 203 f., 206, 221 f., 230, 232, 242, 252, 264, 272, 280, 294, 300 f., 304 ff., 309 f., 317, 321 f., 326, 336 f., 342, 351, 358 f., 360, 363, 365, 370, 383, 385, 392, 394, 398 f. Vernunftgesetz VIII, 30, 60, 66, 106, 121, 128 f., 131 ff., 139, 147, 150, 176, 180, 183-186, 192, 194-204, 223 , 227, 230, 239, 257, 263 ff., 271, 307, 329 ff., 355 f., 374, 392

463

Vertrauen 57, 61, 163, 166, 194 f., 222 f., 226 f., 254, 285 f., 315, 321, 329 f., 340, 354, 358, 399 Völkerbund/staat 300 f., 311, 330, 367 Völkerrecht 256 f., 263 f., 269, 303, 321, 329, 355, 360 Wachstum (ökonomisch) 285 ff., 295 f., 316, 321, 324, 348, 371, 394 Wahrheit VIII f., XII, XVII f., XXIII, 31, 34, 86, 93, 102, 106, 109, 134, 145, 182, 188, 197, 231, 296 f., 304, 347, 363 ff., 384, 393 Weltbevölkerung 153, 274 f., 316 f., 375 Weltbild XIV, 77, 79, 105 f., 118, 134, 139-142, 373 Weltbürgertum/recht 312, 355, 360, 367, 370, 389 Weltethos 336, 362, 367, 396 Weltfrieden 256, 320, 363 Weltgesellschaft 256, 268, 272 f., 295, 311 f., 327, 329, 355 Weltordnung 302 f., 309 f., 319 Weltpolitik XII, XIV, 300, 310, 317, 320, 326, 336, 362, 377, 389 Weltprobleme 272 f., 275 f., 279, 285, 287, 292, 298, 300, 316, 319 f., 323, 331, 337, 340 Weltregierung 302 f., 320, 324, 339 ff., 357 Weltrepublik 327, 330, 355, 360 Weltstaat 265, 267 f., 308, 336, 341, 357, 359, 376 Widerstand/Widerstandsrecht 62 f., 211, 220, 226, 239, 248, 266, 280, 321, 370, 385, 390 Willensfreiheit 86, 94, 97, 100, 102, 197 Wirtschaft 49, 61, 111, 113, 125, 127 f., 149, 168, 172, 243 , 246, 265, 271 f.,

464

Register

285, 295 f., 299, 310, 312, 314, 316, 321, 325, 327, 330 f., 337, 341, 353, 371, 394, 396 Xenophobie 18, 97, 99, 139, 150 Zivilisation/zivilisiert 25, 73, 296, 305, 315, 333 f., 368 zoon politikon 32, 36 ff. Zucht ("pädagog.") 3, 37 f., 222, 297 Zukunftsbewußtsein 52, 350, 352 Zukunftsethik 345, 379 Zwangsgewalt XXII, 244, 252, 269, 271, 301, 311, 322, 326, 334, 340 f., 355, 358 Zweckbündnis 38, 64, 157 f., 153, 165, 176, 204 Zweckrationalismus/zweckrational 19, 47, 53, 64, 66, 131, 134 f., 148, 162, 190, 192, 203 f., 215, 227, 239, 307, 319, 376, 382, 391, 399 Zynismus/zynisch 230, 278 f., 314, 364, 371