Vom Gott im Menschen: Ein Weg in metaphysisches Neuland [Reprint 2019 ed.] 9783111388083, 9783111026787


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German Pages 64 Year 1926

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Table of contents :
Einleitung
Religion und Paradoxie
Theologie und Paradoxie
Der dialektische Lösungsversuch
Homo absconditus
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Vom Gott im Menschen: Ein Weg in metaphysisches Neuland [Reprint 2019 ed.]
 9783111388083, 9783111026787

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vom Gott im Menschen Lin weg in metaphysisches Neuland

von

Wilhelm Bruhn Dr. theol. Univ.-Professor in Kiel

1926 Verlag von Nlfred Töpelmann in Gießen

Hu s der Welt der Religion Forschungen und Berichte, unter Mitwirkung von Rudolf lvtto und

Friedrich Niebergall herausgegeben von Gustav Mensching

Religionsphilosophische Reihe, heft 2

„Das Paradoxe ist die Giftblüte des (Quietismus, das Schillern des faulig gewordenen Geistes, die größte Liederlichkeit von allen“, so sagt Setternbrini in Manns „Zauberberg“ .Ein beunruhigendes Wort. Wir verstehen es wohl, sofern es die Paradoxie des Salons ins Äuge faßt: jenes geistreichelnde Spiel mit dem Widerspruchsvollen und lüsterne hinschielen aus Abgründe,- schlecht verhüllte Armut, in Wahrheit Liederlichkeit des Geistes aus greisenhafter Unkraft. Aber es gibt auch eine andere Paradoxie: das schillernde Spiel der Kunst mit dem tiefernsten Zweck, blitzlichtartig das Sphinxantlitz des Le­ bens zu enthüllen, wie etwa bei Shaw,- den bitteren Ernst philo­ sophischer Paradoxie als des Endergebnisses denkenden Ringens um die Wahrheit wie bei Kierkegaard. Weitz Mann, daß das paradoxe geradezu das Erlebnis unseres tief aufgewühlten Zeit­ alters, datz es das Problem unserer jüngsten Theologie ist? Und soll das alles nichts sein als Dekadenz? Ghne Zweifel weitz Thomas Mann das alles. Er wird all dies schmerzliche Ringen nicht verkennen, aber er wird sein Ge­ richt darum nicht zurückzunehmen. Setternbrini verwirft jede Para­ doxie, auch die mit Herzblut erstrittene, wenn nämlich der Mensch bei dem paradoxen als ultima ratio stehenbleibt. Das darf er nicht, weil die Vernunft des Menschen Einheit ist und daher ein paradoxes als Letztes das Zerreißen des Menschentums. Es darf nicht bei dem Unausgeglichenen bleiben, oder aber die Zeder im menschlichen Geist hat ihre Spannkraft verloren. Stehenbleiben aus verzagen ist (Quietismus, und von da ist es nicht mehr weit zum Stehenbleiben aus Sensation und Liederlichkeit. Mangel an vertrauen ist auch Dekadenz. Wir Theologen sollten die Warnung des Dichters nicht leicht nehmen. Wer etwa zu früh die unübersteigbare Schranke eines Letzt-Paradoxen aufrichtet, müßte sich sagen lassen, daß er dem suchenden Mitmenschen ohne Grund die ungeheure Not hoffnungs­ losen Gehemmtseins aufbürdete. Ist dies in der „Theologie der

4 Krisis" der Zoll? Sicher ist, daß sie bereits Erscheinungen unter den Jüngsten ihrer Gefolgschaft zeitigt, die zu denken geben. Dies Schwelgen in der Sinnlosigkeit der Welt und altkluge Lhorsingen des 3gnorabimus; diese Verachtung der Wissenschaft durch solche, die eben daran sein sollten, sie zu erproben; diese gewollte Ein­ stellung auf Autorität und Dogma; dies Paradieren junger Theo­ logen und zukünftigeer Prediger mit Wendungen wie, daß es Sünde sei, von Gott zu reden, daß Gottesdienst kein Gottesdienst, Ethik nur ohne Gott möglich und Glauben der Glauben an unsern Glau­ ben sei — dies alles aus dem Mund von Unmündigen ist Unnatur, greisenhaft und berührt peinlich, tjier ist schon aus Not Sensation geworden, hier ist das Sehfeld abgeGlendet: Dekadenz. Das trifft freilich die Wortführer der Bewegung nicht selbst. Indessen, wenn jene, die Jungen, derart schon mit ihrem Wollen steckenbleiben, ist es nicht vielleicht darum, weil es bei diesen, den Meistern, in ihrem vollbringen der Fall ist? Weil sie über das Paradoxe nicht hinausführen konnten? Weil sie uns voreilig auf das Letzte eines Paradoxen verwiesen? Die Verantwortung ist groß.

Religion und Paradoxie. 1. Wir sollen von Gott reden, wir können nicht von Gott reden; das ist, nach der jüngsten Theologie, die Not des TheologenJ). Eine bittere Not, denn es handelt sich um eine absolute, vom Menschen aus hoffnungslose Paradoxe. Gott ist im Himmel und du auf Erden; also ist es Wahn, Gott denkend, erlebend, redend, handelnd erfassen zu können, Verblendung und Selbstvergötterung. Das trifft den Theologen so gut als Lhristenmenschen im allgemeinen wie äls Prediger und Wissenschaftler im besonderen. Religiöses Bewußtsein, Gottesdienst und Predigt, theologische Forschung, sie alle wissen nicht von Gott, sondern nur vom Menschen. SoBarth -). Daß dies die Not vieler Theologen heute ist, eine große Not und wahrlich nicht der schlechtesten, lehrt die Beobachtung. (Db es einen Weg aus dieser Not gibt, und ob Barth diesen auf­ gezeigt hat, wird zu erörtern sein. Doch nicht als das erste, wich­ tiger ist zunächst das andere: nachzuprüfen, ob solche Not tatsächlich wie behauptet wird, die Sache schlechthin für den Theologen, das *) K. Barts), Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie (Gesammelte Dorträge 1925 S. 156 ff). Der Römerbrief, 2. fl. 1922, Vorrede. ’) Ich beziehe Gegarten absichtlich nicht in diese (Erörterung ein, teils uni ihre Einheitlichkeit zu wahren, teils weil Gogartens Gedankenwelt mir eine Behandlung für sich zu erfordern scheint.

heißt aber, da doch der Theologe letztlich in allen Stücken aus seiner persönlichen Religion lebt, das eigentliche Internum der Religion sei. Zu dem Ende haben mir aus die Fragestellung zu achten, aus welcher die Not hervorgeht: ob sie, rein erfahrungsgemäß und reit« gionspsqchologisch genommen, tatsächlich die charakteristische Ein­ stellung eines jeden ausmacht, der glaubt, religiös, fromm ist. Nun ist soviel klar: wo der Satz „Gott ist im Himmel, du auf Erden" als bittere Not empfunden wird, da stand die Frage nach der Möglichkeit der Gott-Mensch-Beziehung am Anfang. Es wäre aber wider alle Lrfahrungswirklichkeit, wollte man be­ haupten, daß diese Frage die Achse darstelle, um die sich das religiöse Leben aller derer drehe, die da meinen, fromm zu sein, und von anderen dafür gehalten werden. Sondern dies ist offenbar die Achse: daß sie es nicht mit einer Möglichkeit, sondern mit einer Wirklich­ keit zu tun haben und daß sie nicht nach dem wie fragen, sondern dem Daß leben. Fragen sie aber — und welcher Fromme fragt heute nicht — so tun sie es nicht, weil sie fromm sind, sondern weil sie fromme und zugleich denkende Menschen sind, in welchen die widersprechende Weltwirklichkeit ein großes Staunen über das Wunder ihrer eigenen Gottwirklichkeit wachruft und dey Wunsch, den Gegensatz denkend zu lösen. So wollen wir gewiß nicht be­ streiten, daß solches Fragen mit Frömmigkeit verbunden sein kann, heute verbunden sein muß und daß es sich zu bitterster Not aus­ wachsen wird je nach dem Maße, in welchem der fromme Mensch das Schwergewicht seiner Persönlichkeit aus dem Wirklichkeitsbesitz in die Möglichkeitsfrage verlegt. Was wir aber mit allem Nach­ druck bestreiten, ist dies: daß diese Frage mit dem Wesenhaften in Glauben, Religion, Frömmigkeit als dem, woraus ungezählte Bekenner aller Religionen und Konfessionen in Wirklichkeit leben, stark und glücklich sind, auch nur das geringste zu tun habe, ge­ schweige denn, daß sie das Kernproblem der Religion und also der Theologie darstelle. Die Not jener Fragestellung ist nicht die Not derer, die Religion haben, sondern derer, die über Religion grübeln. tQer die Sache anders ansieht, hat einen anderen Begriff von Religion nicht etwa nur als Luther, sondern als die unsichtbare Kirche der Frommen aller Zeiten. Seine Sprache ist nicht die der religiösen Mehrheit, sein Glauben nicht ihr Glauben, hier Wirklichkeit, dort Möglichkeit- hier Leben, dort Denken. Erlebnisglaube steht gegen venkglauben. Die Zahl aber derer, denen das Schicksal auferlegt, daß sie über ihre Religion grübeln müssen, ist Sand­ korn gegen diejenigen, die haben, ohne zu grübeln; sind diese alle nun ohne Religion? Wer weiß von allen denen, die sich Gottes

6 Rinder fühlen, die Reformierten nicht ausgenommen, tatsächlich etwas von dieser Problemstellung? Wer aber möchte behaupten, diese alle mutzten davon wissen, um religiös zu heißen? Die Reli­ gion der menschlichen Mehrheit, wie sie millionenfach in Taten und Leiden, Wort und Lied bezeugt wurde und wird und wie sie die Religionswissenschaft als Faktum verbucht, kennt die Fragestellung nicht und braucht sie nicht. Diesen geschichtlichen Tatbestand festzustellen und mit allem Nachdruck zu unterstreichen, ist erst einmal unerläßlich. Denn damit entfällt das Recht der Denkgläubigen, ihr Problem als das des Theologen schlechthin, ihren Denkglauben als den Glauben, ihr Thristfein als das Thristsein hinzustellen. Sondern hier steht eine Minorität von Grüblern gegen eine erdrückende Mehrheit von Er­ lebnisgläubigen. Und das mit absolutem Trennungsstrich. Richt vom Erlebnisglauben aus, denn er läßt Raum auch für die Problematik des Denkens, von der er seine Bestätigung und die Harmonie des ganzen Menschen erhoffen darf, sondern vom Denkglauben aus, denn dieser streicht das Erlebnis als sinnlos aus und will nicht neben ihm, sondern statt seiner gelten. Wir Erlebnisgläubigen sollen also wissen, -atz es hier nicht um den Streit theologischer Lehrmeinungen, auch nicht um reformiert oder lutherisch geht, sondern um unser Leben,' und jene sollen wissen, daß ihr Denkglaube, sofern er mehr als Reflexion über den Glauben sein will, nämlich der Glaube, die Theologie, die ungeheure Zumutung an uns stellt, den bewähr­ ten Besitz von Jahrtausenden gegen ein grübelndes Suchen, eine Welt von lebendigen Wirklichkeiten gegen eine Problematik einzu­ tauschen. T>b ein solches Ansinnen, wie man vermeint, die Refor­ mation des Ehristentums und der Theologie bedeutet, steht noch da­ hin,' einstweilen halten wir es mit der Lessingschen Ringparabel und getrosten uns dessen, daß die Geschichte bereits vernehmlich genug für die lebenerzeugende Kraft des Erlebnisglaubens gespro­ chen hat, noch nicht in dem Matz« für die der Problematik. Ist es aber nicht sicher Reformation, Revolution ist es sicher, und die An­ gegriffenen werden die Aufgabe haben, sich energisch auf Wesen und Wert ihres religiösen Besitzes zu besinnen, um sich nicht durch die revolutionäre Zeitwoge ins Ungewisse abtreiben zu lassen. 2. Was das Wesentliche in der Religion ist, hat nicht der Einzelne von seiner Privateinstellung aus zu entscheiden, sondern der For­ scher, der sein eigenes Urteil hinter das Selbstzeugnis des Lebens zurückstellt. Der Religionswissenschaftler aber ermittelt als den Be­ fund, daß das Letzte in der Glaubenserfahrung allüberall nicht das Denken, sondern eine Bewutztseinsfunktion für sich, nicht eine Problematik, sondern ein positives Grunderlebnis ist. Die Selbst-

besinnung wie die Einfühlung in die fremde Religion stützt überall durch letzte Vorstellungen und fragen hindurch auf das Allerletzte eines seelischen Besitzes, aus dem jene erst geboren werden, wie bei dem primitiven Menschen der Mythos nur ein ScheinLetztes darstellt, in Wirklichkeit aber Erzeugnis von Religion ist, nämlich Her Niederschlag eines bestimmten Gemütszustandes in das vorstellen, so ist bei dem kultivierten Menschen das denkende Fra­ gen nach Gott nur scheinbar das Primäre,- in Wahrheit ist dies eine bestimmte Bewutztseinseinstellung, welche sich in der denken­ den Funktion als Reflexion auswirkt. Das ist auch bei Barth nicht anders: bevor er nach der Möglichkeit der Gott-Mensch-Beziehung fragte, fragen konnte, mutzte er eine solche Beziehung als persönliche Wirklichkeit erlebt haben. Zuerst spürte er ein Gött­ liches und zwar als das dem Menschlichen Entgegengesetzte, und dann oder vielmehr darum fragte er, wieso der Mensch des Ent­ gegengesetzten habhaft werden könne. Barth verneint das Erleb­ nis als sinnlos, aber doch ist seine ganze Problemstellung und Dia­ lektik nichts anderes als das Erzeugnis eines bestimmten religiösen Erlebnisses,- er verneint nur sekundär und denkend, was er pri­ mär, rein als lebendiger Mensch, bejaht. Dies ist hierbei das Be­ merkenswerte, datz das Erlebnis selbst durchaus positiver und ein­ deutiger Art war und erst das darüberkommende Denken die ab­ solute Paradoxie schuf, wie man nun das Grundelement der Re­ ligion auch näher bestimmen mag, jedenfalls ist es kein logischer Vorgang, sondern ein psychischer Habitus und zwar eine erlebte Beziehung zum Rutzermenschlichen, die wohl in sich flüssig, als Ganzes aber eindeutig ist und keineswegs in ein absolutes Ausein­ ander zerfällt. Denn sie ist immer, und ist es auch bei Barth, irgendwie ein haben Gottes. Glauben in diesem Sinne ist die Urfunktion und das Wesen von Frömmigkeit, Religion. Seine Si­ tuation ist nicht das Entgegen von Sollen und Nichtkönnen, wo dies auf den Menschen zutrifft, da glaubt er noch nicht oder nicht mehr. Er entsteht nicht aus einer Gegenrechnung von Plus und Minus, Forderung und Ohnmacht. Sondern er ist entweder da als ein Geschenk oder ist nicht da. wo er aber ist, da ist Gott, und mag das Denken noch so viele Fragezeichen dahinterstellen. Der Glaube hat seinen Gott immer. Auch wo er nur als das Soll ersten unbestimmten Ahnens und Sehnens gegeben ist. Für ihn ist in der Tat die Frage schon Antwort. Denn Ahnung ist ungeklärtes haben und Sehnsucht unexplizierter Besitz, auch wo das Leben mit seiner Last von Sinnlosigkeit, Leid und Schuld so daraus drückt, datz die Flamme zu verzucken droht. Gerade wenn wir um Gott ringen, zeigen wir am deutlichsten, datz wir ihn schon haben.

8 Wie könnte es auch sein, daß wir überhaupt litten unter dem Ge­ fühl des verstoßenseins, wenn dies der mit dem Menschsein verbun­ dene natürliche Gang der Dinge wäre? Für den Glauben bleibt Gottes Hand doch ausgestreckt, auch wenn er sie vor Dunkelheit nicht mehr sehen kann,- eines Tages durchdringt er doch einmal die Hem­ mende Schicht, und siehe, der alte Gott lebt noch. Und endlich hat der Glaube seinen Gott, obschon er ihn nie ganz hat, fondern immer nur als Teiloffenbarung. Denn im Stückwerk ist das vollkom­ mene als Verheißung beschlossen. Glaube und Geheimnis sind Kor» relatbegriffe- nur Wissen fordert das Restlose. Daher der Glaube immer von Gott reden kann, reden mutz, selbst im verstummen, ja dann am lautesten. „Wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten". Solches Immerhaben ist für das Nachdenken die größte Paradoxie. Gott und Mensch als Einheit, wie könnte das feilt! Nicht aber der Glaube selbst ist es, welcher seinen Gottesbesitz als paradox empfindet. Ihm ist er Leben und selbstverständlich wie das Leben, wohl ein immer neues Wunder in dem Daß seiner aufund abwogenden Lebensfülle, nicht aber ein Problem in seinem Wie. Das Problem liegt außerhalb des Glaubens. Mag der Mensch, welcher glaubt, sich Gedanken mad^en über das Wieso, der Glaube selbst empfängt, aber er fragt nicht. Z.Dennoch hat auch der Glaube seine Paradoxie. Indem er seinen Gott immer zugleich hat und nicht hat, indem er sich arm weiß, wo er reich ist, und reich, wo er arm ist, sieht sich auch der glaubende Mensch vor eine letzte Antithese gestellt. Aber hier kommt sie nicht erst aus dem Nachfragen des Denkens,- sondern es ist das Lebendige selbst, welches das paradoxe uranfänglich in sich trägt und in dieser seiner paradoxen Natur unmittelbar an den Menschen herantritt. Das Leben selbst, als welches wir die Gottes­ wirklichkeit glaubend empfangen, ist paradox; denn es ist da und zugleich nicht da, Frage in der Antwort und Antwort in der Frage, Soll im haben und haben im Sollen. Die Paradoxie des Glaubens ist die Dialektik des Lebendigen, welches sich versagt, in­ dem es fid) gibt, und sich verheißt, indem es sich versagt, weil es das Sein im Werden ist. Diese Paradoxie ist nicht eine gedachte, sondern gelebte,- die gedachte ist nur die Projektion der gelebten in das vorstellen; die Einheit des fließenden Lebens erscheint im Spiegelbilde der Gedanken als das Auseinander von Sein und Nicht­ sein. Daher ist die Paradoxie der Reflexion eine absolute und hoff­ nungslose, diejenige der glaubenden Selbstbesinnung aber eine vor­ läufige und scheinbare, welche ihre Lösung in sich selber trägt- denn Gottferne und Gottnähe erweisen sich immer wieder nur als die Nfer, zwischen denen die lebendige Gotteswirklichkeit fließt. Die

Paradoxie des Denkens ist das Ja und Nein,' die des Glaubens liegt innerhalb des lebendigen Ja. Vas Leben, welches der Glaube ist, schürzt unablässig den Knoten und löst ihn wieder auf; es treibt seine Strömung über die Steine des paradoxen, aber es schließt den Strudel auch. Diese Paradoxie ist keine bloße Not, sondern Not in der Verheißung und Verheißung in der Not. Glauben, als das Letzte in der Religion, ist die unaufhörlich« Explikation eines ver­ borgenen seelischen Besitzes im Bewußtsein. Daher, so schwer und unumgänglich die Krisen des denkenden Menschen sein mögen, der Glaube weiß nichts von ihnen; seine Krisen kommen aus dem eigenen Leben und tragen die Heilung in sich selbst: die Hingabe des Menschen an das Lebendige statt seiner Knechtung unter das Denken. Eine Dialektik neben der organischen feines (Eigenroefens braucht er nicht; sie kann ihn weder am Leben halten noch sein Leben erschüttern. Sein Gericht ist nicht die meta­ physische vurchstreichung des ganzen Menschen, sondern die sittliche Negation des Nur-Menschlichen im Menschen. Seine Gnade ist nicht das Umschlagen eines negativen Urteils in ein positives, die dauernde Beziehung eines Vakuum auf einen denkmöglichen In­ halt, sondern persönlichste Erfahrung einer lebendig einströmenden Gotteswirklichkeit. Weil er es aber nicht mit einem vielleicht zu tun hat, hat er auch kein Interesse daran, dies durch hineinzeichnen in den Weltenhintergrund der Prädestination zu befestigen, sondern hat genug daran, zu wissen, daß die Liebe, die er erfährt, für alle da ist und nimmer aufhört. Nus demselben Grunde schrumpft ihm die überreiche Lebensfülle der Schrift nicht zu dem einen, immer wiederkehrenden Refrain des Hinweises auf die Nur-Jenseitigkeit Gottes zusammen, sind ihm Ehristus und Paulus nicht bloße Berufungsinstanzen dafür, daß das vielleicht bei den Prädestinierten Tatsächlichkeit wird — woher will man denn auch wissen, baß diese Fälle nicht bloße Erlebnisse, also Sinnlosigkeit sind, woher anders als durch persönliche Willensentscheidung? — sondern die Schrift ist ihm das gotterfüllte Leben selbst, und die Gotteswirk­ lichkeit wird ihm zum allerrealsten Eigenbesitz dadurch, daß das vollkommene Leben in persönlichstem Verkehr von seinem Wesen an das unvollkommene abgibt. Denn Glaube ist nicht ein Ge­ dankenprozeß, nicht ein Grübeln des Geistes über feiner unbegreif­ lichen Sehnsucht, das sich vom Unmöglich zum Möglich hindurch­ arbeitet, nicht „der Glaube an unser Glauben", das ist die persönliche Willensentscheidung für eine erdachte Eventualität, sondern leben­ diges Werden, Wachsen des ganzen Menschen aus einer Gotteswirk­ lichkeit in die andere, wobei diese selbst ihre Wahrheit ganz allein bezeugt und Gott der Entscheidende bleibt.

10 4. Die Problemstellung der absoluten Paradoxie verschiebt die wirkliche Glaubenserfahrung ins Logische. Sie nimmt das Erfahrungsmoment der Gottferne aus dem unlöslichen Zusammenhang mit dem der Gottnähe heraus und steigert es zu einem absoluten Begriff. Indem aber aus der relativen Gottferne eine absolute wird, schnellt der andere Erlebenspol der Gottnähe bis in das nur noch Mögliche zurück; die lebendige Paradoxie ist zur a b s o l u t e n geworden. Barth selbst möchte dies Axiom der schroffsten Jen­ seitigkeit auf die reformierten Väter zurückführen*). In Wahrheit ist es primär seine persönliche Weltanschauung, nicht konfessioneller Grundsatz. Barth Klagt selbst die reformierten Theologen der Gegenwart an, datz sie den Ernst dieses Prinzips zerbrachen. Er gibt also zu, datz er seinerseits erst es wieder aus der konfessionellen Rüstkammer hervorholt. Warum aber? Weil er persönlich, im Unterschied von den erlebnisgläubig gewordenen Zeitgenossen, jenes Axiom für richtig hält, und dies wieder, weil feine persönliche Weltanschauung ihn dazu zwingt: die pessimistische Einschätzung der Welt um ihres gegenwärtigen Tief­ standes willen. Seine Lehre ist das Erzeugnis eines zeitge­ schichtlich bedingten Pessimismus. Die erschütternde Auffüllung des absoluten Nein mit zeitgeschichtlichem Material ist sein eigentliches Element. Er sucht eine überzeitliche Wahrheit, aber der Gegenwartsmensch entscheidet darüber. Gott soll im Unzugäng­ lichen wohnen, weil die Welt augenscheinlich nie so gottleer ge­ wesen ist wie in diesen Zeitläuften. Er vergitzt, daß die sinnge­ bende Gottesgegenwart nicht an ihre Augenscheinlichkeit gebunden sein kann; was wäre ein Gott, der seinen Matzstab an menschlicher Wahrnehmung fände! Eben dies ist dem Glauben wesentlich, datz er seinen Gott in Unabhängigkeit von Wahrnehmen und Begrei­ fen als Realität spürt. Wenn man aber erst sehen will, ehe man glaubt, wird man freilich heutzutage kaum glauben können. Es ist ein allerschmerzlichstes Empfinden des Weltleids, zuletzt aber ein Unvermögen, Gott auch unabhängig von Leidbetrachtung und Sinn­ frage zu haben, welches diese Problemstellung bedingt. Man sieht die Welt gottleer — und nennt sie so, ohne zu bedenken, datz da­ durch nur die eigene Glaubenskraft, nicht die Glaubensmöglichkeit negiert wird, vor der großen Erschütterung dieser Jahre begingen wir Theologen den entgegengesetzten Fehler: wir hoben den Pol der Gottnähe aus seinem elliptischen Zusammenhang mit dem der Gottferne heraus. Nicht gerade so, datz wir ihn verab­ solutierten und dadurch das Entgegengesetzte ausschlossen, also My-

*) Reformierte Lehre, ihr Wesen u. ihre Aufgabe (Ges. Dorträge S. 179ff.).

stiker, Ekstatiker uni» Pantheisten gewesen wären, so wie hinter der gegenwärtigen Weise eine Art von Deismus steht; aber wir sahen doch den „lieben" Gott so ausschließlich als den uns vertrauten an, daß dem furchtbar verborgenen Gott keine Lebensbedeutung mehr blieb. Es war der entgegengesetzte Fehler, aber es war die gleiche Ursache: wir bemaßen ebenfalls die Gegenwart Gottes nach dem, was draußen zu sehen war, anstatt auf die Wirklichkeit der Offenbarung in uns zu schauen. (Es war eine Zeit, in deren Hoch­ kultur der göttliche Untergrund der Dinge sinnfällig geworden zu sein schien. Daß die jüngste Theologie gegen diese Einseitigkeit rea­ giert und darin das große Zeiterleben zum Ausdruck bringt, ist der Erweis ihrer Verwurzelung in das Leben der Gegenwart und ihr Verdienst. Ihr Fehler ist die Reaktion bis zum Extrem der absalutierten Distanz. (Es erwächst daraus der Gegenwart die Aufgabe, den beiderseitigen Fehler zu vermeiden und aus der ver­ kehrten Orientierung an dem vermeintlich in den Dingen versichtbarten Sinn des Lebens zurückzukehren zu der richtigen an der Gotteswirklichkeit in uns als dem verborgenen Sinn auch der Dinge. 5. wer dies tut, dem ist das fascinosum nicht ohne tremendum und das trememdum nicht ohne fascinosum. Die Liebe soll so weit sein, daß sie auch das Grauen in sich faßt; das Grauen so klar über sich, daß es in sich den Grund der Liebe findet. Das Wesen der Religion liegt weder in dem einen Pol noch in dem andern; es liegt auch nicht in ihrem logischen Gegeneinander, sondern in ihrem erlebten Ineinander. Der Dualismus eines Gottes, der nur jenseits, und einer Welt, die nur diesseits ist, ist Weltanschauung, aber nicht Glaubenserfahrung. (Es gibt in der Religion weder eine absolute Gottferne noch eine absolute Gott­ nähe. weder ist der unbußfertige Schächer am Rreuz ganz fern von Gott, noch der Ekstatiker ganz in ihm. Immer ist das religiöse Bewußtsein zugleich Verbindung und Trennung. Jene Pole als ab­ solute sind ideell, gedachte Grenzbegriffe. Für das Erlebnis find sie nur relativ: die markantesten Erscheinungen des einen Gott­ erlebens, welches aus der Tiefe der Seele durch das Bewußtsein strömt. Die Erfahrung sagt, daß wir als religiöse Rlenschen uns in persönlich st er Hörigkeit zu einem verborgenen Grund aller Dinge wissen und daß dieser Grund mehr und mehr Gestalt in uns gewinnt, indem wir unablässig durch die Dinge zu ihm hin­ durchstoßen und unablässig wieder diesen Grund als gestaltende Kraft zurück in die Dinge tragen. Glauben ist Wissen um das verborgene Leben aus der Tiefe, bewußtes Leben aus dem verborgenen Gott in uns. Diese Hörigkeit ist das Persönlichste, was denkbar ist,

12 und als solches nicht besser als durch das symbolische Wort Liebe zu bezeichnen. Glaube aber ist bewußte Liebe, das Gotthaben als Habitus. Diese Liebe gilt dem Grunde aller Dinge, in dem wir wohl wurzeln, mit dem wir uns aber nie identisch wissen,- so kann sie nicht ohne das Moment des Ganz-Anderen sein. Andererseits aber wissen wir uns diesem Grunde hörig, wesensverbunden,- so kann sie nie ohne die Einheit sein. Sie selbst ist der Inhalt der Glaubenserfahrung, und jene beiden Momente bezeichnen nur die Ties- und Höhepunkte, zwischen denen die Spannung des Lebens vibriert. Aber Tiefe und höhe stehen nicht im Verhältnis des Gleich­ gewichts zu einander. Wir verspüren den Grund in uns zugleich als die Triebkraft unserer Lebensentfaltung. Vie Hörigkeit ist kein theoretisches Datum, sondern lebendiges Wachstum in Gott mit der Tendenz, das tremendum mehr und mehr aufgehen zu lassen im fascinosum, soweit dies für Menschen möglich sein kann. Vas tre­ mendum ist inexplizierte Liebe. Auch das Grauen der Primitiven ist nicht denkbar ohne vorbewußte Hörigkeit an das Unbekannte. Es durfte am wenigsten verselbständigt werden. Freilich auch das fascinosum nicht, denn es ist immer nur der vereinzelte Höhepunkt der zu vollem Bewußtsein gelangten Hörigkeit. Auch die Ekstase mystischer Vergottung ist nur die Augenblicksaufwallung eines dau­ ernd Gegebenen. Vas fascinosum ist die explodierte Liebe und darin die Aufhebung des tremendum. völlige Liebe treibet die Furcht aus. Vas wesentliche in der Religion ist das verborgene We­ sen des Menschen in Gott, welches durch die Bewußtseins­ momente des fascinosum anzeigt, daß es da ist, und durch ihr Zu­ nehmen, daß es wächst. Gott lebt im Seelengrunde, und nicht er selber ist es, den der Glaubende wahrnimmt,- doch sieht er das ewige Licht in den Strahlen, die aus dem Wesentlichen in seinen Bereich fallen, und wächst in der Wärme dieser Strahlen immer höher zum Licht empor. So wie beim abwertenden Blick auf das abgeschlossene Leben eines geliebten Menschen nicht die höhe- und Tiefpunkte des Liebesverhältnisses das Bleibende bedeuten, sondern das durch sie angezeigte Maß an erreichter Wesensvereinigung, das Mittlere erworbenen Wesensbesitzes, so sind im Verhältnis des Menschen zu Gott nicht die erlebten höhe- und Tiefpunkte das Ausschlaggebende, sondern das Maß, in dem Gott im Menschen Ge­ stalt geworden ist. So ist in der Tat der Glaube die dialektische Wechselbeziehung zwischen Ja und Nein, aber nicht im Barthschen Sinne des Gedachten, sondern in dem des Lebendigen. Glaube ist Tat der Gottesentfaltung im Menschen und Tat der Menschheitsentfaltung in Gott, und das fascinosum ist es, welches die Richtung angibt und den Fortschritt markiert. So ist Religion

eine Form des sich explizierenden Urlebendigen neben den an­ deren Formen, die sich ebenfalls als unmittelbare Hörigkeit voll­ ziehen: das Jcherlebnis, das Erlebnis des Du, der Welt, der Kunst, der Sittlichkeit. Überall die gleiche persönlichste Beziehung zum ver­ borgenen Gründ der Dinge und die gleiche Struktur einer Spannung zwischen dem tremendum des Nichthabens und dem fascinosum des habens. Uber jedesmal gibt das verborgene einen anderen und reicheren Teil seines Wesens, jedesmal erfüllt sich die Liebe mit neuem Inhalt und in der Religion als der vollkommenen Sinn­ gebung der Welt durch die Gotteskindschaft mit dem reichsten. Re­ ligion, Glaube ist die Erfüllung der Liebe als der zwischen Trennung und Nähe sich vollziehenden Der wese ntlichun g des Menschen. 6. So offenbart sich das Wesen des Glaubens in den großen Gottesmänne rn^). Der versuch, ihre Größe nach dem Maße za bemessen, in dem sie vermeintlich ihr eigenes Gotterleben negieren und von da auf das nur Jenseitige verweisen, ist gegenüber dem Raum, den die Diesseitserlebnisse bei ihnen einnehmen, und dem Affekt, von dem sie durchglüht sind, ein paradoxes Unternehmen. Es mag zunächst durch seine Kühnheit und die Energie der Durch­ führung bestechen,' auf die Dauer wird es als eine petitio principii erkannt werden und an Kredit verlieren. Zugegeben, daß Keine Gestalt so erschütternd die Tragik des prophetischen Berufes, das Gott-Selbst gegen den Menschen, ja gegen das eigene Ich zu ver­ treten, verkörpert wie Jeremia, so wäre es doch eine Kühn­ heit, dem Propheten den Jammer um eine gottleere statt um eine gottleer gewordene Welt, um einen unauffindbaren statt des zürnen­ den Gottes in den Mund zu legen und aus der unerhörten Spannung zwischen Gott und Mensch einen ontologischen Dualismus zu machen. Jeremia greift mit trotzigem Dennoch ins Dunkle, aber nicht ins Leere. Sein Gott ist das Licht hinter dem Dunkel und sein Glaube Gehorsam, weil Besitz, vertrauen zu dem Gott, der trotz aller welt­ ferne in der Welt ist. Gder soll man wirklich in die Menschlichkeit dieses Seelenringens die komplizierte Reflexion hineintragen und sagen, Jeremias habe seinen Gott erst dann und dadurch entdeckt, daß er ihn nirgends fand? Soll etwa auch das Wort Jesu am Kreuz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? — als das qualvolle Bekenntnis eines Gescheiterten gedeutet werden, der in letzter Stunde die absolute Gottleere der Welt erkennt? Und will man uns glauben machen, der Sterbende habe nunmehr

*) vgl. Römerbrief 2. st., Vorrede; das wort Gottes als flufg. der Theol. S. 164 u. a.

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gerade in dieser Leere die Erfüllung gefunden? Wenn aber das Evangelium des Lebenden vom Vater im Himmel nichts anderes gewesen sein soll als der eine Hinweis auf das nur Jenseitige und sein Messiasbewußtsein als der Beruf, die Welt durch solchen Hinweis zu erlösen, woher dann das Widerspruchsvolle dieses er­ schütternden Zusammenbruchs? Vieser Schrei nach Gottnähe wäre die Widerlegung solches Evangeliums. Wußte Jesus sein Leben lang, daß Gott dennoch da sei, warum hielt dies Wissen nicht vor, bis das Bewußtsein erlosch? Aber das war es eben, daß es hier nicht um Wissen ging, sondern um Erleben. Erleben kann freilich ein Menschsein hindurch leuchten wie die Sonne und dann doch im letzten Augenblick scheinbar erblassen, selbst in dem göttlichsten der Menschen, denn auch er bleibt Mensch. Aber Erleben ist nur das Bewußtsein des Gotthabens, und wenn das Bewußtsein versagt, versagt nicht das haben mit ihm. Jesu Not am Kreuz ist die große Passion der Sterbestunde, die schwerste Belastungsprobe menschlichen Gotthabens, die auch unser keinem erspart bleibt: daß wir Gott, ob er auch leibhaftig vor uns steht wie immer, mit dem verdunkel­ ten Blick nicht mehr sehen und mit gestammeltem Dennoch hin­ durchmüssen durch das Dunkel, das uns vom Licht trennt. Wie für Jesus, so bleibt auch für Paulus Welt und Leben voll der Gegenwart Gottes. Er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns, denn in ihm leben, weben und find wir. Wer Barths Ausführungen über 1. Kor. 15 lieft1), kann sich des Eindrucks der Gewaltsamkeit nicht erwehren. Gewiß ist für Paulus nicht der sterbliche Leib als solcher Träger der Verheißung, sondern dies ist der geistliche, welcher allein das Wunder Gottes ist. Aber die Allein­ wirksamkeit Gottes schließt nicht aus, daß das Wunder schon im Viesseitsmenschen einsetzen könnte. (Es ist trotz allem doch der psy­ chische Leib, der den pneumatischen anziehen, in ihn umgewandelt werden soll, so daß nicht wohl von dualistischer Verneinung des ganzen Menschen die Rede sein kann, vielmehr nur des Außen­ menschen, in dessen Wesensgrunde aber das Jenseitige als verbor­ genes Prinzip gegeben und eben dadurch das Überkleidetwerden des diesseitigen ermöglicht ist. So wird der Kontrast aufgehoben in die Gotteswirklichkeit,' aber diese ist nicht eine bloße Denkmög­ lichkeit, ein eschatologisches Absurdum gegenüber einer tatsächlich gottleeren Menschlichkeit, sondern sie ist die erhoffte und geglaubte Erfüllung dessen, das wir schon jetzt sehen, wenn auch nur wie durch einen Spiegel in dunklen Umrissen. Wo aber Paulus tat­ sächlich das Ewige vom Empirischen abrückt bis in das Unerörter*) Die Auferstehung der Toten, 1924.

bare, nur noch Mögliche, wie in dem Vorstellungskreis der Prä­ destination, da ist es der Denker Paulus, welcher hier sein Erlebnis in das venkmögliche projiziert, wenn auch nirgends in dem Sinne, daß er sich durch das Postulat der Reflexion das Eigen­ leben persönlicher Gottgeborgenheit bis zu einem Klotzen vielleicht zersetzen ließe. Es ist aber der glaubende Paulus und nicht der Denker, welcher der ganze Paulus und für uns Glaubensmenschen maßgebend ist. Richt anders steht es mit Luther, dessen letzte Weisheit nach Rattenbusch ) gerade in „de servo arbitrio" diese ist: wer glauben kann, braucht sich nicht, soll sich nicht schrecken lassen, daß er weiß von bloß einer Auswahl, di« Gott getroffen. Die immer neu erworbene, von Gott geschenkt« objektive certitudo eines Luther hat nichts zu tun mit der „objektiven Ungewißheit" Hier* kegaards. Gottes Wesen bleibt die Liebe. Freilich ist diese Liebe das Allerpersönlichste, das heißt zuletzt Geheimnis, und somit müssen wir es letztlich immer neu wagen mit dem deus absconditus. Aber darum bleibt sie doch Besitz des Menschen mitten in seiner Welt. Der deus hört auf, absconditus zu sein in dem Maße, als der Mensch vertrauen Kann, wenn Luther und Barth dasselbe sagen, daß wir nämlich nur glauben können, daß wir glauben, so ist es nicht dasselbe,- denn bei Luther bedeutet dies Wort die UnKraft des Menschen zu vertrauen, bei Barth das hypothetische viel­ leicht der Zugänglichkeit Gottes. 3m übrigen kann es ruhig dahin­ gestellt bleiben, ob Luthers absconditus immer den Rest in Gott oder auch einmal den ganzen Gott bedeute. Ist das letztere der Fall, so haben wir es hier eben nicht mit dem eigentlichen Geistes­ leben Luthers zu tun, sondern mit peripherischen Ausstrahlungen desselben in die Spekulation, die auch Luther nicht immer vom wesentlichen abzugrenzen wußte. Gerade dies als das Ehara.kteristische herauszuheben würde ebenso geschmacklos sein, wie wenn man etwa in okkultistischen Kreisen Kant zu seinem Kronzeugen aus­ ruft, weil er hin und wieder auch der Theorie einer Geisterwelt mit Reserve nahegetreten ist. Daß Lalvin für Barth viel mehr bedeuten mutz als Luther, liegt auf der Hand. (Es ist aber gerade diese humanistische Einordnung des Glaubenslebens unter den Pri­ mat des Gedankens, welche lutherisches Empfinden immer von der schweizerischen Theologie trennen wird. Absolute Paradoxie und Prädestination sind Gedanken und nicht Leben,- Religion aber ist Leben, so gut wie die Kunst Leben ist, und läßt sich wie diese nicht ohne Gewalttat in die Kategorien des Denkens einzwängen. Auch

’) Deus absconditus bei Luther (Festgabe für Kaftan, 1920, S. 170ff ).

16 Dostojewskis Dualismus ist nur das Pathos der Lebensdualität in ihrer schmerzlichsten Spannung, nicht aber logisches Schema und daher nicht ohne die geheime Klammer. 7. 3u Rnrecht meint Bultmamn1), eine weitgehende Paralle, lität zwischen Barth und Gtto feststellen zu können. Da st das „heilige" aus der gleichen theologischen Situation erwachsen sei wie die neue Bewegung, nämlich aus dem Bestreben, das Wesen des Göttlichen als jenseits der Sphäre des Rationalen und Ethischen liegend zu bestimmen, ist nicht von Belang gegenüber dem Unter­ schied, daß dies Jenseits bei Gtto in keiner Weise den ganzen Men­ schen ausstreicht. Gttos verdienst ist es, daß er innerhalb des ober­ flächlich gewordenen Erlebensbegriffes bet Theologie Raum ge­ schaffen hat für die jähen Tiefen und Unergründlichkeiten in Gott, die der Blitzschlag des Schicksals vor dem erschrockenen Rüge der Gegenwart aufgerissen hat. Vie neueste Theologie aber nimmt üns den ganzen Gott, den des Grauens sowohl wie den der Liebe, indem sie ihn ganz aus dem Bewußtsein verweist in eine Region, aus der ihn nur noch die Einsicht in das Unmöglich durch ihr Umschlagen in ein Gerade-Varum angeblich soll herunterholen Können. Gttos Kreaturgefühl verhält sich zu der Gott-Rlensch-Beziehung bei Barth wie das Lebendige zur Theorie, das Wirkliche zur Hypothese eines wirklichen. Dort der Glaube als Gottesbesitz, in dem Zugleich letzter Gottferne und höchster Zugehörigkeit- hier der leere Begriff eines Exklusiv-Jenseitigen, der nur den Traum­ gedanken einer möglichen Gotteswelt übrig läßt, zu welcher die Reflexion und lediglich das Fürwahrhalten und Wollen des obschon im Prinzip gänzlich durchstrichenen, Menschen den Notschlüssel hat. Dort strömt die Gotteswirklichkeit als Gericht und Gnade zugleich lebendig durch die lebendige Seele, hier ist sie ein theoretisches viel­ leicht außerhalb der Seele, und das lebendige Ineinander schwindet zu logischer Reziprozität menschlicher Erkenntnis zusammen, sodaß Wohl eher von einer bei Barth vorliegenden Entleerung des Gttoschen Religionsbegriffes gerade in seiner innerlichen Verbundenheit des Entgegengesetzten die Rede sein kann, als daß man umgekehrt bei Gtto eine „nicht nur äußerliche Analogie zu dem Satz von der iitneren Zusammengehörigkeit der Erkenntnis des Gerichts und der Gnade" feststellen dürfte. Aber solche Rationalisierung des Glaubens bedeutet in Wahrheit seine Entwurzelung. Diese vermeintliche Reform läßt von seinem Wesen nichts bestehen. Sie reißt ihn aus dem Tatzusammen’) Vie liberale Theologie u. die jüngste theol. Bewegung (Theol. BI. 1924, 4) und: welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? (Theol. Bl. 1925, 6.)

Hang des Lebendigen heraus und mutet ihm die farblose Nolle zu, den im Kampf allein gelassenen Menschen mit dem blassen Phantom eines denkmöglichen Nichtdiesseits zu trösten. Sie macht die Erde zum leeren Nbgrund und den Glauben zum Stern, der traumschön, aber kalt in unzugänglicher höhe darüber steht. Da das dialektisch ermittelte Dasein eines nur jenseitigen Gottes für den erfahrunggebundenen Menschen ewig ein vielleicht bleiben mutz, so wird das Schwergewicht des Glaubens aus dem viesseitsleben ins Eschatologische verlegt. Vas Göttliche an sich, in den er­ lebten Glauben als Verheißung eingeschlossen, größter Schatz des Ehristenmenschen und doch nur Anhang zu seiner viesseitserfahrung des Göttlichen, ist hier zum Inhalt selber geworden, aber als Theorie. Der eschatologische Gedanke steht vor dem Leben und mißt ihm sein Recht zu, statt umgekehrt. Das Ende wird Anfang. Nicht aber so wie im Urchristentum. Damals leuchtete das Reich Gottes bildhaft über dem Erddunkel, und seine Nähe erzeugte Enthusias­ mus; heute ist es Gedanke, fern allem Lebendigen, mühsam zu denken und denkend sestzuhalten, und wo ist seine verklärende, beglückende, belebende Kraft? Resignation ist das letzte Wort dieses „Glaubens", weil Ghnmacht zum Gott alles Lebendigen sein Ur­ sprung. 8. wie schwer erträglich, weil wider die Natur des Menschen gehend ein solcher vistanzglaube ist, bezeugt die B a r t h sche Theologie in sich selbst. Venn ob sie schon alles gerade darein setzt, den natür­ lichen Menschen ganz vom Jenseitigen zu lösen, die geheime Klammer ist doch da. Der Erlebnisglaube, schlechterdings nicht aus dem Menschentum zu streichen, behauptet sich auch hier, obschon illegitimerweise und auf Kosten der Einheit des Ganzen. Es han­ delt sich um die betonte Bewertung der Frage nach Gott als einer ursprünglichen und unausweichlichen sowie der ethischen Forderung als einer trotz ihrer Gottleere unverbrüchlichen'). Richt selten heißt es, die Frage sei bereits die Antwort. Ist dies mehr als rhetorische Steigerung, so kann es nur den Sinn haben, daß die menschliche Sehnsucht nach Gott bereits als unexplizierter Gottesbesitz gewertet werden soll. So selbstverständlich dem anders Orientierten eine solche Auffassung erscheinen muß, so unmöglich ist sie im Ganzen der Barthschen Gedanken. Venn damit wäre der Erlebnisglaube apriorisch als geltend anerkannt und also die Antithese des absoluten Nein schon in der These aufgehoben. Vie These des Ja kann aber nicht nur noch nicht selber Antwort sein, ■) Barth, Dos Problem der Ethik in der Gegenwart (Ges. Vorträge $• 125ff.). Dazu Bultmann a. a.