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German Pages 18 [21] Year 1976
S I T Z U N G S B E R I C H T E DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU L E I P Z I G Mathematisch-naturwissenschaftliche
Klasse
Band 111 • Heft 1
WILHELM
MAIER
VOM E R B E BERNHARD
RIEMANNS
AKADEMIE-VERLAG 1975
•
BERLIN
Vorgetragen in der Sitzung a m 14. J a n u a r 1974 Manuskript eingeliefert a m 11. F e b r u a r 1974 Druekfertig erklärt a m 1. D e z e m b e r 1974
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3 — 4 © Akademie-Verlag, Berlin, 1975 Lizenznummer: 202 • 100/551/75 Gesamtherstellung: V E B Druckerei „ T h o m a s M ü n t z e r " , 582 B a d Langensalza Bestellnummer: 762 102 3 (2027/111/1) • LSV 1005 P r i n t e d in G D R E V P 2,50
w enn die Unterhaltungsbeilage einer unserer Tageszeitungen vor sechs Jahrzehnten seine Leser auf die Existenz sogenannter RiEMANNscher Flächen hinzuweisen unternahm, dann hatte der Schreiber jener Zeilen anzunehmen, daß Name und Werk des Mathematikers R I E M A N N nicht nur den Abiturienten der Oberschulen, Gymnasien wie Realschulen, fremd sei, sondern zumeist auch deren Lehrern. Ein Jahnzehnt später setzte sich A L B E R T E I N S T E I N S Relativitätstheorie im Kreise der physikalisch interessierten Fachwelt durch und drohte, für Bildungshungrige zu einer Art von Modekrankheit zu werden, wobei sich auch das Schlagwort der RiEMANNschen Räume in die Tagesblätter der breiten Öffentlichkeit drängte. Nun können freilich die Schöpfungen einer Modeströmung, auch im geistigen Bereich, nicht auf lange Dauer ihrer Geltung rechnen. So bleibt zu fragen, ob die von B E R N H A R D R I E M A N N geformten neuen Ideen im Bereich von Raum und Zahl sich als Werte von säkularer Bedeutung ausgewiesen haben ? Wir wollen uns zunächst der Entwicklung von R I E M A N N S geometrischen Anschauungen zuwenden. Der 1 8 2 6 in einem niedersächsischen Pfarrhaus geborene B E R N H A K D R I E M A N N wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf; bei zarter Gesundheit blieben ihm nur vier Jahrzehnte eines Lebens, dessen Streben ganz nach innen gerichtet war. Die von ihm in so kurzer Zeitspanne entwickelten Ideen gehören, wie die Philosophen sagen, zu solchen, die auf Taubenfüßen die Welt regieren. An der durch W. VON H U M B O L D T ins Leben gerufenen Berliner Universität wirkten damals Philosophen, Physiker und Mathematiker von Format. Die Vorlesungen von Forschern wie H E R B A B T und C. G. J A C O B I insbesondere wurden für den Studenten R I E M A N N richtungweisend; an der Göttinger Universität lehrten damals C . F. G A U S S und L. D I R I C H L E T und bei ihnen wurde R I E M A N N S fachliche Ausbildung abgeschlossen. Übrigens scheint die Enge der damaligen Kleinstaaten in Deutschland einen Wechsel des Studienortes wenig behindert zu haben; es war ja auch der Berliner Professor D I R I C H L E T nach Göttingen berufen worden. In Frankreich wurde seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts durch S. L A P L A C E der Begriff von Potentialfunktionen benutzt, um die Theorie räumlicher Vektorfelder zu vereinfachen. Ziemlich früh mag sich der junge Mathematiker R I E M A N N schon Gedanken gemacht haben über 1»
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WILHELM MAIER
Strömungen, welche den Erscheinungen von Licht und Schwere zugeordnet werden könnten. Die Betrachtung von Raumpotentialen u(x, y, z) als Lösung der partiellen Differentialgleichung AM = 0 ,
ö2
S2
dx
dy
A = —2 + —2 +
e2
—
dz2
erlaubt, von den gleichberechtigten kartesischen Koordinaten zum Sonderfall der Zylindersymmetrie überzugehen. Die Unabhängigkeit von z und der Zerfall des Operators d2
d2
dx2
dy2
_
/ d
. d\[
\dx
3
ö \
dy] \dx
dy}
liefert für die ebenen Potentiale ein Paar von Differentialgleichungen erster Ordnung in {x, y). Unter den hyperkomplexen Größen nehmen diejenigen mit nur 2gliedriger Basis eine Sonderstellung ein; die Verschmelzung reeller Bestandteile x, y zur komplexen Größe x+iy=z,
i =
(1)
erlaubt für z =j= 0 die eindeutige Bildung des Kehrwertes 1 \z. Die Rechengesetze der so geschaffenen komplexen Größen erweisen sich als besonders einfach. Ist nun © gegeben als zusammenhängendes Gebiet der «-Ebene, so erweist sich die Bedingung eindeutiger Differenzierbarkeit nach z in der Gestalt
{i
+ i
i)w
=
° >
als das gemeinsame Merkmal aller analytischen Abhängigkeiten w(z)Es gilt durch zusätzliche Merkmale, etwa in Punkten z $ ©, die Kennzeichnung jeder besonderen analytischen Punktion durchzuführen. Dieses in R I E M A N N S Doktorarbeit angedeutete Programm einer begrifflichen Grundlegung für das System aller w(z) hat bis heute noch keine abschließende Behandlung gefunden. Doch bleiben, an ihm gemessen, ähnüche Versuche systematischer Art entweder wie die Kurventheorie, dem Anschaulichen verhaftet, oder durch gehäufte Rechenprozesse im Formalen stecken. Als einfaches Beispiel für die Kennzeichnung analytischer Transzendenten aus inneren Eigenschaften greifen wir die trigonometrische Ootangensfunktion heraus. Hier ist (2) zu beanspruchen in der vielfach punktierten Größenebene mit © = {2+0,
±1,
±2}
Als zusätzliche Merkmale wählen wir etwa die Periodizität w(z)
=
w(z +
1) ,
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Das Erbe Riemanns
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in Verbindung mit Betragsschranken w(z) = z-1 + 0(z) ,
= {z#= 0, a 2
26©',
< ooj.
Durch. Integration von (2) folgt dann unmittelbar w(z) = n cot (nz). Eine etwas weiter führende Anwendung von (2) bietet sich bei der Betrachtung ebener Potentialströmungen, die mit skalaren Produkten tß • e„ = ö^; ¡1, v = 1, 2, dem Ortsvektor I = e ^ + Cafo gewisse Differentialinvarianten wie grad, rot, div zuordnen. So liefert eine differenzierbare Ortsfunktion