317 115 156MB
German Pages 1058 [1050] Year 2014
Exempla Critica Historisch-kritische Einzelausgaben zur neueren deutschen Literatur Herausgegeben von Bodo Plachta
4
Thorsten Ries
Verwandlung als anthropologisches Motiv in der Lyrik Gottfried Benns Textgenetische Edition ausgewählter Gedichte aus den Jahren 1935 bis 1953 Band 1
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.
ISBN 978-3-11-035063-0 e-ISBN 978-3-11-035108-8 ISSN 1613-2149
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn Einführung in die Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faksimilierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgenetische Erschließung . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
1 1 2 3 29 29 30 32 36 38
Verweisapparat zur diplomatischen Darstellung, 38 · Sequenzierte Übersichten, 42 · Einzelstellenapparat, 45.
Dokumentation und Kommentierung . . . . . . . . Entwurfkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzreferenz zu den editorischen Zeichen und Siglen . Textgenese und editorische Konzeption . . . . . . . . . Begriff der Textgenese im Kontext der Editorik . . . . ›Materialität‹ und textgenetische Deutung . . . . . . Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
45 46 54 57 57 62 79
Notizbücher und Montage-Manuskripte, 81 · Segmentweise Bearbeitung, Arbeitstopografie Notizbuch, 87 · Exzerpte, Notizen und Entwürfe, physische Montage, 93.
Editorischer Bericht . . . . . . . . Nachlass, Bestände in Archiven . Bisherige textkritische Editionen Textzeugen und Quellen . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
99 99 101 106
Notizbücher, 106 · Manuskripte, Typoskripte, Druckfahnen, montierte Textträger, 108 · Drucke, 109 · Rundfunk, 111.
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel . . . . . . . . . . . . . Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 114
Notizbuch 4a, 114 · TH1 Die weissen Segel, 188 · TH1 Astern, 192 · TH1 Ach, das Erhabene, 194 · D1 Die weissen Segel, 196 · D1 Astern, 198 · D1 Ach, das Erhabene, 199 · Druckvarianten, 200.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 208 215
VI
Inhalt
Monolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221 223
Notizbuch 8c-a, 223 · H1 Monolog, 246 · TH1 Monolog, 258 · D1 Monolog, 266 · TH3 Monolog, 270 · D2 Monolog, 276 · TH4 Monolog, 280 · D3 Monolog, 282 · Druckvarianten, 285.
Überlieferung und Chronologie . Entstehung und Druckgeschichte Ergänzende Hinweise . . . . . Verlorenes Ich . . . . . . . . . . . Text . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
286 291 294 299 300
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
321 324 324 327 328
Notizbuch 9, 300 · D1 Verlorenes Ich, 318 · Druckvarianten, 320.
Überlieferung und Chronologie . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . 1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts Text . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
Notizbuch 7c, 328 · TH1 1886, 462 · TH1 St. Petersburg, 466 · TH2 St. Petersburg, 478 · TH3 St. Petersburg, 492 · TH2 1886, 502 · TH4 St. Petersburg, 510 · TH3 1886, 514 · D1 St. Petersburg, 518 · D1 1886, 522 · D2 St. Petersburg, 526 · TH4 1886, 530 · TH5 1886, 538 · D2 1886, 542 · Druckvarianten, 545.
Überlieferung und Chronologie . . . . . Dokumentation der verwendeten Quellen Entstehung und Druckgeschichte . . . . Zur Konstitution des Entwurfkomplexes . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen . . . . . . . Text . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
546 557 566 575 582 595 596
Notizbuch 11b, 596 · Notizbuch 11, 612 · H1 Rosen, 678 · H2 Rosen, 680 · TH1 Rosen, 682 · TH2 Rosen, 684 · Notizbuch 12, 686 · H1 Orpheus’ Tod, 749 · H2 Orpheus’ Tod, 750 · H3 Orpheus’ Tod, 752 · TH1 Orpheus’ Tod, 756 · TdH1 Orpheus’ Tod, 762 · TH2 Orpheus’ Tod, 764 · TH3 Rosen, 767 · Notizbuch 13, 768 · TH1 Quartär, 814 · TH2 Quartär, 816 · TH3 Quartär, 820 · TH4 Quartär, 826 · TH4 Rosen, 830 · TH3 Orpheus’ Tod, 832 · TH5 Quartär, 840 · D1 Quartär, 842 · D1 Orpheus’ Tod, 844 · TH5 Rosen, 846 · TH6 Rosen, 848 · TH7 Rosen, 850 · TH8 Rosen, 852 · D1 Rosen, 855 · Druckvarianten, 856.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . Zur Konstitution des Entwurfkomplexes . . Textgenese, Kontexte, ergänzende Hinweise Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
857 873 887 902 905 906
Notizbuch 15a, 907 · Notizbuch 15c, 910 · H1 Reisen, 912 · TH1 Reisen, 914 · D1 Reisen, 916 · TH2 Reisen, 917 · TH3 Reisen, 918 · D2 Reisen, 919 · Druckvarianten, 920.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . .
921
Inhalt
VII
Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . Nur zwei Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
924 927 928
Notizbuch 18b, 929 · TH1 Nur zwei Dinge, 936 · TH2 Nur zwei Dinge, 938 · TH3 Nur zwei Dinge, 940 · D1 Nur zwei Dinge, 943 · Druckvarianten, 944.
Überlieferung und Chronologie . Entstehung und Druckgeschichte Ergänzende Hinweise . . . . . Destille . . . . . . . . . . . . . . Text . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
945 948 948 951 952
Notizbuch 18, 952 · Notizbuch 18b, 955 · H1 Destille I, 982 · TH1 Destille I, 984 · TH1 Destille III, 988 · H1 Destille II, 990 · TH1 Destille II, 992 · TH1 Destille IV, 996 · Erstdruck Destille, 998 · Druckvarianten, 1001.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002 Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 1006 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1041
Vorbemerkung Zielsetzung Die textgenetische Edition von 13 ausgewählten Gedichten Gottfried Benns aus dem Zeitraum 1935 bis 1953 revidiert frühere Ausgaben in philologischer wie editionssystematischer Hinsicht. Die Einrichtung der Ausgabe folgt den Grundsätzen genetischer Archivausgaben und der critique génétique, das Hauptaugenmerk liegt auf der Dokumentation und Erschließung des Schreibprozesses. Die Edition ist chronologisch organisiert. Sie gibt die Vorarbeiten, Entwürfe und Drucke in ihrer überlieferten Form, das heißt: ohne Normalisierung, Modernisierung und Emendation, in der Reihenfolge der Entstehung wieder. Vorarbeiten und Entwürfe werden diplomatisch und unter Bewahrung des materialen Kontexts wiedergegeben, die Darstellung wird bei Manu- und Typoskripten in der Regel durch Faksimiles ergänzt. Ein von der diplomatischen Umschrift separierter genetischer Apparat und chronologisch sequenzierte Übersichten erschließen die chronologische Schichtung des dossier génétique nach Arbeitsphasen und orientieren den Leser in der vertikalen Achse der Textentstehung. Die Ausgabe enthält neben einer ausführlichen Dokumentation und textgenetischen Erschließung der Textzeugen einen Kommentar zur Entstehungs- und Druckgeschichte, zu den vom Autor verarbeiteten Quellen sowie weitere Ausführungen zu editorischen Aspekten. Die Textauswahl verfolgt die Reflexionslinie des anthropologischen Denkmotivs der »Verwandlung« in Benns Lyrik ab 1935, welches das Werk von 1930 bis in die 1950er Jahre durchzieht. Diese Denkbewegung ist seit Wellershoffs Studie wiederholt untersucht worden, insbesondere mit Blick auf ihre Verflechtung von Geschichts- und Stilkonzepten mit den biologischen Begriffen der »Mutation« und der »Züchtung« während Benns Annäherung an den nationalsozialistischen Staat in den Jahren 1933 und 1934.1 Die Arbeit Gerlinde Millers machte den Anfang zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung von Benns Rezeption und Verwertung von Quellen aus den Bereichen der zeitgenössischen Anthropologie.2 Mit einigem zeitlichen Abstand folgte ein bis heute anhaltender Schub 1 Dieter Wellershoff: Gottfried Benn. Phänotyp dieser Stunde. [1. Aufl. 1958]. München: dtv 1976, besonders hinzuweisen ist ferner auf die Studien Allemanns und Fischers: Beda Allemann: Gottfried Benn. Das Problem der Geschichte. Pfullingen: Neske 1963 (= Opuscula aus Wissenschaft und Dichtung 2); Bernhard Fischer: ›Stil‹ und ›Züchtung‹. Gottfried Benns Kunsttheorie und das Jahr 1933. In: IASL 12 (1987), S. 190–212. 2 Gerlinde Miller: Die Bedeutung des Entwicklungsbegriffs für Menschenbild und Dichtungstheorie bei Gottfried Benn. New York et al.: Lang 1990 (= New York University Ottendorfer Series N.F. 29).
2
Vorbemerkung
ungemein quellenreicher Arbeiten und Entdeckungen zu Benns Beschäftigung mit Anthropologie, Medizin, Psychiatrie und den Naturwissenschaften.3 Die wissenschaftsgeschichtlich orientierten Forschungen hielten sich vorwiegend an Benns Prosa-Arbeiten, während die Lyrik, deren Bezugnahmen auf anthropologische Aspekte im Schnittfeld von Poetik und Wissenschaft nicht immer eindeutig bestimmbar sind, nur punktuell gestreift wurde. Die systematische Einrichtung der Edition und das beschriebene Erkenntnisinteresse bedingen sich gegenseitig – bei der Freilegung der anthropologischen Bezüge in den Gedichten spielen die textgenetische Edition und die Eruierung der in den Montagetexten verarbeiteten Quellen eine wesentliche Rolle. Grundlage für die vorliegende Buchpublikation ist die an den Universitäten Hamburg und Gent im Rahmen eines Joint PhD Promotionsverfahrens als Dissertation eingereichte Prüfungsschrift des Verfassers.4 Dem Literaturverzeichnis am Schluss des Buches können die weiteren im Rahmen des Promotionsprojekts entstandenen, vorab publizierten Artikel entnommen werden.
Textauswahl Die Auswahl der Gedichte bildet Stationen der anthropologischen Reflexionslinie der »Verwandlung« in Benns Lyrik ab. Weitere maßgebliche Auswahlkriterien waren Überlieferung, editorischer Revisionsbedarf und eine ausgewogene Repräsentation von Gottfried Benns Arbeitsformen. Die »Verwandlung« tritt als anthropologisches Denkmotiv erstmals in Der Aufbau der Persönlichkeit (1930) in Erscheinung, aus demselben Jahr datieren die frühesten erhaltenen, nichtreinschriftlichen Entstehungsstufen zu Gedichten Benns.5 Daher ist das erste für 3 Stellvertretend für die sehr produktive Forschung seien hier nur die größeren Buchpublikationen in zeitlicher Folge hervorgehoben: Marcus Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2 Bde. Göttingen: Wallstein 2011; Christoph Hoffmann u. a.: Gottfried Benns Literaturreferate in der Berliner Klinischen Wochenschrift. Faksimileabdruck und Einführung. Berlin: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte 2009 (= Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Preprint 387); Gregor Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. Anthropologie und Geschichtskritik in der deutschen Literatur zwischen 1930 und 1950. Berlin, New York: de Gruyter 2008 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 49); Thomas Gann: Gehirn und Züchtung. Gottfried Benns psychiatrische Poetik 1910 bis 1933/34. Bielefeld: Transcript 2007; Regine Anacker: Aspekte einer Anthropologie der Kunst in Gottfried Benns Werk. Würzburg: Königshausen und Neumann 2004. Für eine Abbildung des Forschungsfeldes einschließlich der Sammelbände und Periodika siehe Bibliografie. 4 Eingereicht bei der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg und der Faculteit Letteren en Wijsbegeerte der Universiteit Gent im Mai 2013 unter dem Titel: »Gottfried Benn. ›. . . bis zur Verwandlung des physischen Menschen‹. Ein Laboratorium der modernen Lyrik 1935 bis 1956. Edition und textgenetische Studien«. Als Haupt- und Nebengutachter waren Prof. Dr. Jörg Schönert (Hamburg) und Prof. Dr. Gunther Martens (Gent) bestellt. Das Prüfungsverfahren wurde am 10. Juli 2013 mit der Disputation abgeschlossen. 5 »Arbeitsheft 1«, Verwendungszeitraum: 1930-33 (Katalog Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar (DLA)). Zum Einsetzen der dichteren Überlieferung, insbesondere der Notizbücher, siehe auch S. 100, 106–108.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
3
die Edition ausgewählte Stück der Entwurfkomplex Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene (1935). Die weiteren Gedichte bzw. Entwurfkomplexe in der Reihe setzen die Reflexion des anthropologischen Denkmotivs entweder explizit oder implizit fort: Monolog (1941), Verlorenes Ich (1943), die Entwurfkomplexe 1886, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts (1944/45) und Rosen, Orpheus’ Tod, Quartär – (1945–46), Reisen (1951), Nur zwei Dinge und Destille I–III (1953). Zur Auswahl der jeweils aufgenommenen Textzeugen bzw. Entwürfe und Notizen geben editorischer Bericht und die Kommentare zu den jeweiligen Gedichten Auskunft. Nicht berücksichtigt wurden die Gedichte Die Schale, Durch jede Stunde – (1933) und Kleiner Kulturspiegel (1951), da jeweils kein oder nicht genug thematisch relevanter, revisionsbedürftiger Entwurftext vorlag.6 Die Auswahl hält sich nicht reduktionistisch an das Vorhandensein des Stichworts »Verwandlung«. Während der Bezug zu der anthropologischen Denkfigur bei Die weißen Segel, Monolog, 1886, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, Orpheus’ Tod (Ovids »Verwandlungen«), Quartär – und Destille I–III über die Stichworte »Verwandlung«, »Züchtung« oder »Quartär« und andere anthropologische Bezugnahmen offensichtlich ist, bedarf die Aufnahme der anderen Gedichte ergänzender Hinweise: Bei Verlorenes Ich liegt ein wissenschaftlicher Referenzwechsel des anthropologischen Programms im Sinne von Physik 1943 vor, das Gedicht wurde daher als Station einer Reorientierungsbewegung aufgenommen.7 Reisen wurde aufgenommen, weil das sich gegenüber der anfallenden Leere »umgrenzende Ich« in einer werkgenetischen Entwicklungslinie mit Ach, das Erhabene (»Nur der Gezeichnete wird reden«), Verlorenes Ich und schließlich Nur zwei Dinge (»die Leere und das gezeichnete Ich«) zu sehen ist. Der Avant-texte zu Reisen ist darüber hinaus ein anschauliches Beispiel für Benns segmentweise Arbeitsform. Nur zwei Dinge enthält Stichwortverweise auf markante Begriffe Edgar Dacqués.8 Die Aufnahme der Gedichte Astern, Ach, das Erhabene und Rosen erfolgt im Rahmen der editorischen Darstellung der Entwurfkomplexe.9
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn Die »Verwandlung« wird im Rahmen dieser Studie als ›anthropologisches Denkmotiv‹ aufgefasst, es steht für einen in Benns Werk von 1930 bis in die 1950er 6 Vgl. Gottfried Benn: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Gerhard Schuster u. a. 7 Bde. Stuttgart: KlettCotta 1986–2003, I, S. 148, 150, 407f, II, S. 150f, 280, VII/2, S. 557f. Dasselbe gilt übrigens für die Überlieferungssituation bei den früheren, aus dem Zeitrahmen der Untersuchung fallenden Gedichte Meer- und Wandersagen und Regressiv, welche zwar nicht auf die »Verwandlung« Bezug nehmen, allerdings zweifellos auf das paläontologisch-anthropologische Modell der Regression verweisen. Ebd., I, S. 62, 126. 7 Siehe S. 18–20. 8 Vgl. S. 949. 9 Zu Begriff und Konzeption der »Entwurfkomplexe« siehe S. 46–53.
4
Vorbemerkung
Jahre über die Gebiete der Anthropologie, Paläontologie, Philosophie, politische, Kultur- und Literaturgeschichte gespannten gedanklichen Bezugsrahmen, welcher nicht durch eine scharfe Begriffsdefinition zu erfassen wäre und letztlich über den langen Zeitraum keine konsistente ›Theorie‹ der Menschheitsgeschichte bildet. Vielmehr bewegen sich Benns diesbezügliche Überlegungen unter häufigen Perspektiven- und Akzentverschiebungen zwischen wissenschaftlichen Quellenbezügen und Textanleihen, Rezeption philosophischer Konzeptionen und literarischer Verarbeitung. Die Lyrik stellt in diesem Zusammenhang einen poetischen Reflexionsrahmen dar, innerhalb dessen der Autor mit dem anthropologischen ›Verwandlungsmotiv‹ literarisch umdeutend, rekontextualisierend, mitunter auch kritisch umgeht. Im Folgenden wird ein Überblick über die Entwicklung des anthropologischen Denkkomplexes der »Verwandlung« innerhalb von Benns Werk gegeben. Zunächst ist seine Rezeption zeitgenössischer wissenschaftlicher Quellen der Paläontologie und Anthropologie während der ›Vorgeschichte‹ der hier neu edierten Gedichte und die Entwicklung der Begriffsvarianten »Mutation« und »Züchtung« zu rekapitulieren (1930–1934), im Anschluss sind die wichtigsten Wechselbezüge zwischen Lyrik, Essayistik und Prosa in der Folgeperiode aufzuzeigen (1935 bis in die 1950er Jahre). Im Rahmen dieser Sektion sind die Gedichte lediglich mit Blick auf ihre anthropologischen Referenzpunkte bzw. ihre eigenständigen anthropologischen Reflexionsaspekte zu berücksichtigen. In den Kommentaren werden die Entstehungs- und Druckgeschichte auf breiterer Basis behandelt und weitere Deutungskontexte erschlossen. Aus diesem Grund wird auf eine systematische Darstellung biografischer Zusammenhänge in dieser Sektion weitgehend verzichtet. Insbesondere Aspekte von Benns Anbiederung an den »neuen Staat« 1933/1934, mit der er sich eine Position im Literaturbetrieb des Nationalsozialismus zu erarbeiten versuchte, werden nur insofern berücksichtigt, als sie für die Einschätzung möglicher taktischer Manöver Benns bezüglich der »Verwandlung« und »Züchtung« von Belang sind. Nicht behandelt wird die an anderer Stelle wohldokumentierte Rolle Benns bei der Selbstgleichschaltung der Abteilung Dichtung der Preußischen Akademie der Künste und seine kurze Aktivität in der Union nationaler Schriftsteller.10 Desgleichen ausgeklammert werden an dieser Stelle biografische 10 Vgl. Holger Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. Eine Biografie. Stuttgart: Klett-Cotta 2011, S. 263–273, Jan-Pieter Barbian: Literatupolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Frankfurt a. M.: dtv 1995, S. 71–88, Werner Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie [. . .] Der Einfluß der nationalkonservativen Dichter an der Preußischen Akademie der Künste 1918 bis 1947. Berlin, Weimar: Aufbau 1992, S. 217–244, Inge Jens: Dichter zwischen rechts und links. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst der Peußischen Akademie der Künste. Dargestellt in Dokumenten. München: Piper 1971. Vgl. auch die sehr kritische Wertung bei Helmut Lethen: Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit. 2. Aufl. Berlin: Rowohlt 2006, S. 165–180. Eine deutlich apologetisch gefärbte Rekonstruktion der Vorgänge gibt Joachim Dyck: Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929–1949. Göttingen: Wallstein 2006, S. 69–94.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
5
Aspekte von Benns »aristokratische[r] Form der Emigrierung« in der Wehrmacht,11 des Konflikts mit dem »Emigranten« Klaus Mann,12 der Organisation seines »Comebacks« 1948/49 sowie sich zwangsläufig stellende Fragen der Verantwortungsübernahme in Doppelleben und anderen Schriften. Sofern für die in die vorliegende Edition aufgenommenen Gedichte relevant, ist der Leser auf den Kommentar verwiesen.
1930 bis 1934 Wenngleich sich Benns Beschäftigung mit der Kritik des Darwinismus auf 1919 (Das moderne Ich, Semi Meyer, Oskar Hertwig) datieren lässt,13 setzt sein spezifisches Interesse an der Abstammungsgeschichte des Menschen 1929 ein.14 Von der ersten Nennung der »unausdenkbaren Verwandlung« in Der Aufbau der Persönlichkeit (1930) aus ist eine schrittweise Analogisierung und konzeptionelle Verknüpfung von Poetik auf der einen und anthropologischer Perspektive auf der anderen Seite zu beobachten. Als Stichwortgeber für die »Verwandlung« ist wohl Edgar Dacqué mit seiner paläontologisch-mythologischen Theorie der Anthropogenese anzusehen,15 Benns Überlegungen beruhen allerdings gleicher11 Brief an Oelze vom 18.11.1934, vgl. Gottfried Benn: Briefe an Friedrich Wilhelm Oelze. Hrsg. v. Harald Steinhagen u. a. 3 Bde. Wiesbaden, München: Limes 1977 (= Gottfried Benn Briefe 1, 2), I, S. 39. 12 Vgl. SW, IV, S. 24–32. 13 Vgl. Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, S. 234–295. In Das moderne Ich ist auch erstmals indirekt in einem biologisch-anthropologischen Zusammenhang das Denkmotiv der ›Verwandlung‹ eingeführt, nämlich als Zitat der Figur des Narziss aus Ovids Metamorphosen, SW, III, S. 107. 14 Hahn merkt an, dass »die spezifischen Bezugnahmen Benns auf die Frage nach der Abstammung des Menschen« bereits »mit den von 1929 an veröffentlichten Essays ein[setzen]; davor gehören sie zu den Ausnahmen.« Weiter zeigt er, dass auch hier die Lyrik antizipierend wirkt: »Eine dieser Ausnahmen ist das satirische Gedicht Stadtarzt (1925), das den sich in ›Hygienemesse[n]‹, ›Normung‹ und ›Prophylaxe‹ realisierenden medizinischen Fortschritt aufs Korn nimmt und in der Schlussstrophe ›Gottes Gnadensproß‹ auf Haeckels javanische Wunschfossilie reimt«, Marcus Hahn: »Der Affe stammt vom Menschen ab«. M. Westenhöfer, H. Klaatsch und die AnthropologieRezeption Gottfried Benns. In: Franz-Josef Deiters u. a. (Hrsg.): Nach der Natur = after nature. Bd. 3. Freiburg i.B.: Rombach 2010 (= Limbus: Australisches Jahrbuch für germanistische Literatur- und Kulturwissenschaft 3), S. 127–157, 2, S. 563. 15 Gemeint ist die morphologische Identitätstheorie Dacqués, nach der die »Geschlechter, die einmal mehr Fisch waren, einmal mehr Beuteltier, einmal mehr Affe, aber immer Menschen« waren, das Menschengeschlecht unsterblich immer weiteren »Erweiterungen und Verwandlungen unterworfen« wäre, SW, III, S. 336. »Der uralte, der ewige Mensch! Das Menschengeschlecht! Unsterblichkeit innerhalb eines schöpferischen Systems, das selber wieder Erweiterungen und Verwandlungen unausdenkbar unterworfen ist.«, ebd., III, S. 337. Aus Ungereimtheiten der paläontologischanthropologischen Befundsituation, seiner Analyse von evolutionären Rudimenten oder Atavismen (»Parietalorgan«) und Menschengestalten mit tierischen Eigenschaften in alten Sagen folgert Dacqué letztlich: »Der Mensch ist ein eigener persistenter Stamm, wenn auch mit allen möglichen Verwandlungen, bis zur ältesten erdgeschichtlichen Zeit zurück.«, »[. . .] daß also Amöb, der Fisch, das Amphibium auch Formzustände des Menschen waren«, Edgar Dacqué: Urwelt, Sage und Menschheit. Eine naturhistorisch-metaphysische Studie. München: Oldenbourg 1924, S. 96, 352, Stichwort »Verwand-
6
Vorbemerkung
maßen auf seinen Lektüren Eugen Georgs, Hermann Klaatschs, Constantin von Economos (»progressive Zerebralisation«, s.u.), Max Westenhöfers, Louis Bolks und anderer.16 Zur Entstehung des Denkmotivs der Verwandlung im Spannungsfeld von zeitgenössischer anthropologischer Theorie, literarischem und sozialtheoretischem Denken fasst Hahn zusammen: Die Hoffnung auf eine Mutation, d. h. auf eine »unausdenkbare Verwandlung« des Menschen und seine Unterstellung unter »neue Leitorgane« (ebd.17 ) übernimmt Benn also von Dacqué – nicht zuletzt deshalb, um die 1930 von der politischen Linken und Rechten, aber auch von vielen Ingenieuren, Architekten, Biologen und Künstlern ventilierten Programme zur Schaffung eines ›Neuen Menschen‹ durch die Konstruktion einer paläontologischen Ewigkeitsperspektive zu überbieten und die Forderung nach engagierter Literatur ins Leere laufen zu lassen. Stattdessen wird umgekehrt die Theorie der Zeitsignatur zu einer Literaturtheorie zweckentfremdet, denn anders als von Flakes »soziologische[r] Theorie des Dichterischen« angenommen, taugt für die schriftstellerische Darstellung des »moderne[n] Menschen« nach Benn allenfalls das »archaisch[ste]« »Ausdrucksmittel« (ebd., S. 232f.) überhaupt: die »Sage« (ebd., S. 277). Nur als eine solche könnte »auch unsere – quartäre – Persönlichkeit [. . .] aufsteigen in das große Gesetz, unter dem alles geschah: das Gesetz einer unausdenkbaren Verwandlung«, dereinst oder übermorgen, im apokalyptischen Show-down des Organischen, wenn der Körper »alle Rudimente noch einmal reaktivieren muß zum letzten Kampf, wenn der große biologische Abbau alles Lebendigen beginnt« (ebd.).18
Während Benn seinen früheren Ansatz zu einer antidarwinistisch geprägten Analogiebildung von geistiger und evolutionärer, diskontinuierlich-schöpferischer Entwicklung im Anschluss an Semi Meyer und Henri Bergson nach Das moderne
lung« auch 20, 89, 373. Vgl. auch Miller: Die Bedeutung des Entwicklungsbegriffs. 1990, S. 153–167, Marcus Hahn: Die Stellung des Gehirns im Leben. Gottfried Benn und die philosophische Anthropologie Max Schelers. In: Ulrich Bröckling u. a. (Hrsg.): Disziplinen des Lebens. Zwischen Anthropologie, Literatur und Politik. Tübingen: Narr 2004 (= Literatur und Anthropologie 20), S. 87–110, 1, 97f. 16 Dies nur eine spezifische Auswahl der in diesem Zusammenhang wichtigsten Vertreter, für eine vollständige Übersicht der Benn in diesem Zeitraum beschäftigenden Theorien vgl. Regine Anacker: Unaufhörliche Verwandlungen. Poetik und Mutation in Benns Werk. In: Gottfried Benn. Wechselspiele zwischen Biographie und Werk. Hrsg. v. Matías Martínez. Göttingen: Wallstein 2007, S. 11–34, Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, S. 431–760. Vgl. zum determinismus- und höherentwicklungsskeptischen Antidarwinismus in Benns anthropologischem Entwicklungsbegriff auch Miller: Die Bedeutung des Entwicklungsbegriffs. 1990, S. 1–52. Benns Interesse erstreckte sich in dieser Phase zuweilen auf jede noch so entlegene Erwähnung des Stichworts »Verwandlung«. Vgl. z.B. die von Hahn vermerkte Unterstreichung des Wortes »Verwandlungsbefehl« in Ludwig Mayer: Lourdes, Konnersreuth oder Gallspach? Schopfheim: Uehlin 1932, S. 47. Vgl. Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, 2, S. 761. 17 SW, III, S. 277. 18 Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, 2, S. 633f.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
7
Ich nicht weiter verfolgt hat,19 reicht die Entwicklungslinie der »Verwandlung« bis ins Jahr 1934 und darüber hinaus bis weit in die Nachkriegszeit. Zwischen 1930 und 1934, ausgehend von Der Aufbau der Persönlichkeit, bildet sich in Reden und Essays ein zunehmend gedanklich integrierter Zusammenhang zwischen Poetik und »unausdenkbare[r] Verwandlung«. Gleichzeitig kehrt Benn die Totalisierungserfahrung der Regression in menschheitsgeschichtlich frühere Bewusstseinsschichten20 in eine unter dem »anthropologischen Prinzip« der »gesetzgeberischen Umlagerung zu Stil« stehende Poetik des konstruktiven »Formzwanges« um21 , wobei in der Rede auf Stefan George die Form zwischenzeitlich in Verbindung mit dem Begriff der »Züchtung« tritt. Der Körper ist der letzte Zwang und die Tiefe der Notwendigkeit, er trägt die Ahnung, er träumt den Traum. Der Schwellungscharakter der Schöpfung ganz evident: [. . .] Alles gestaltet sich aus seiner Hieroglyphe: Stil und Erkenntnis, alles gibt er: [. . .] Es gibt – und damit endet endet diese hyperämische Theorie des Dichterischen – nur eine Ananke: den Körper. [. . .] Vorbei die mystische Partizipation, [. . .] aber ewig die Erinnerung an ihre Totalisation. Zur Problematik des Dichterischen (1929/30)22 Beim Aufgang des Quartär, im Anfang unserer jetzigen organischen Äone, begann bei allen Säugern das Großhirn zu wachsen, [. . .] wenn der große Abbau des Lebendigen beginnt –, daß dann vielleicht auch unsere – quartäre – Persönlichkeit noch einmal als Sage aufsteigen wird in das große Gesetz, unter dem alles geschah: das Gesetz einer unausdenkbaren Verwandlung? Der Aufbau der Persönlichkeit (1930)23
Mit Blick auf die »Verwandlung« drückt sich der Übergang der Konzeptionen in einem Tempuswechsel aus, denn die »unausdenkbare Verwandlung« in Der 19 SW, III, S. 100. Vgl. auch Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, I, S. 240– 295, vgl. auch Anacker: Unaufhörliche Verwandlungen. 2007, S. 22–23. Anacker sieht jedoch eine Kontinuität dahingehend, dass »auch die von Benn bevorzugten Theorien der Folgezeit« die geistige bzw. Gehirn-Evolution »[n]icht summativ, nicht linear, sondern spontan und und unberechenbar schöpferisch« konzipieren. ebd., S. 23. 20 Maßgeblich hierfür vor allem Benns Lektüren Lévy-Bruhls, Bychowskis und Storchs, vgl. Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, S. 410–414, 421, 425. Regression zu früheren menschlichen Bewusstseinsschichten bei Schizophrenie in seinen Randnotizen in Gustav Bychowski: Metaphysik und Schizophrenie. Eine vergleichend-psychologische Studie. Berlin: Karger 1923, S. 66–83, 106–107, 122–125, 133, 142–154 (in Benns privater Bibliothek, DLA, Ex. beschädigt), vgl. Transkriptionen Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, S. 410–413, hier besonders 413, 1931 die von Lévy-Bruhl bei für die Naturvölker völkerpsychologisch postulierte »mystische Partizipation«. Zu »Erinnerung« an die »Totalisation« statt realer Regression, dem Zitat der »thalassalen Regression« Sandor Ferenczis vgl. auch Nicola Gess: Sie sind, was wir waren. Literarische Reflexionen einer biologischen Träumerei von Schiller bis Benn. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 56 (2012), S. 107–125, hier S. 124. 21 SW, IV, S. 195. 22 Ebd., III, S. 246, 247. Hier stehen insbesondere Bychowski und Lévy-Bruhl im Hintergrund, siehe Anm. 20. 23 Ebd., III, S. 277.
8
Vorbemerkung
Aufbau der Persönlichkeit ist noch ein vergangener Vorgang (»Gesetz, unter dem alles geschah«), der zukünftig noch einmal »als Sage« aufsteigen könnte – die »unabsehbare geschichtliche Verwandlung« in Züchtung ist bereits eine der Gegenwart und sogar der Zukunft, ebenso in Expressionismus (»es geht hier um Verwandlung, ein neues Geschlecht steht Europa bevor«) und im Lebensweg eines Intellektualisten (»unausdenkbaren Verwandlung: in ihr wird auch dieser menschliche Quartärtyp wieder vergehen«).24 Das anthropologisch verbindende Element zwischen den beiden konzeptionellen Übergängen scheint die von Economo entlehnte und bei Benn mit Untersuchungen Westenhöfers begründete »progressive Zerebration« zu bilden, welche als Organspezialisierungsthese die »totalistische Strömung« der Konstitutionslehre Kretschmers und der Embryologie Drieschs, aber auch Goethes, Schelers und anderer (Der Aufbau der Persönlichkeit)25 wiederum zeitweilig ablöst26 – diese Funktion der progressiven Zerebration wird in der Akademie-Rede 1932 besonders deutlich, wo infolge der »unaufhaltsam fortschreitende[n] Verhirnung« schließlich »die Bewußtseinsepoche« durchstoßen wird und »neben die Begriffsexazerbationen eines formalistischen Späthirns die prälogische Substanz des Halluzinatorischen« gestellt werde.27 [. . .] die progressive Zerebration, mit welchem Begriff die Anthropologie die unaufhaltsam fortschreitende Verhirnung der menschlichen Rasse bezeichnet; [. . .] Eine neue Zerebralisationsstufe scheint sich vorzubereiten, eine frigidere, kältere: die eigene Existenz, die Geschichte, das Universum nur noch in zwei Kategorien zu erfassen: dem Begriff und der Halluzination. [. . .] aber der Rückweg, die Regression, ist auch versperrt, der organischen Masse fällt die Bewegung schwer. [. . .] Die mystische Partizipation, durch die in früheren Menschheitsstadien saughaft und getränkeartig die Wirklichkeit genommen und in Räuschen und Ekstasen wieder abgegeben wurde, durchstößt die Bewußtseinsepoche und stellt neben die Begriffsexazerbationen eines formalistischen Späthirns die prälogische Substanz des Halluzinatorischen und und gibt sowohl gestaltende Bewegung wie Realitätsdrang und auch Gewicht. Akademie-Rede (1932)28 24 SW, IV, S. 197. 25 Ebd., III, 265f. 26 Benn wird die Spezialisierung des Gehirns auch nach 1934 als treibenden Faktor der »Verwandlung« ansehen, in Provoziertes Leben (1943, 1949) wird Benn es als »das mutative, d.h. das revolutionäre Organ schlechthin« bezeichnen (ebd., S. IV, 319). Er setzt mit der saltatorischen Mutationstheorie im Anschluss an die »Arbeiten von Versluys, Poetzl und Lorenz« auch den in Das moderne Ich bei Semi Meyer entlehnten Denkansatz fort. Vgl. auch Hahn: Die Stellung des Gehirns im Leben. 2004, S. 107. 27 SW, III, S. 386, 388ff, 391. Die dialektische Grundstruktur von »formalistischem Späthirn« und »prälogischer Substanz« wird Benn auch in Züchtung nicht aufgeben: »Entformung und Gestalt«, ebd., III, S. 39. Vgl. zur »progressiven Zerebra[lisa]tion« und zu Benns Kenntnis des Begriffs Economos aus zweiter Hand Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, S. 699–700, vgl. auch Anacker: Unaufhörliche Verwandlungen. 2007, S. 19–20. 28 SW, III, S. 386, 388ff, 391.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
9
[. . .] Denkvorliebe des Verfassers [. . .]: der der progressiven Zerebration und der des Nihilismus. [. . .] konstruktiver Geist als der eigentliche anthropologische Stil, als die eigentliche Hominidensubstanz, die, mythenbildend sich entfaltend [. . .] Also ästhetische Werte in Deutschland, Artistik in einem Land, wo man von Haus aus so viel träumt und trübt? Ja, die gezüchtete Absolutheit der Form, deren Grade an linearer Reinheit und stilistischer Makellosigkeit allerdings nicht geringer sein dürften als die inhaltlichen früherer Kulturepochen, [. . .], ja, nur aus den letzten Spannungen des Formalen, nur aus der äußersten, bis an die Grenze der Immaterialität vordringenden Steigerung des Konstruktiven könnte sich eine neue e t h i s c h e Realität bilden – n a c h dem Nihilismus! Nach dem Nihilismus (1932)29
Während dessen bleibt Benn allerdings stets Antidarwinist, so ordnet er in Nach dem Nihilismus den Geist dem (›biopositiven‹, darwinistisch verstandenen) Leben über und fordert, da »[w]ir [] inzwischen die b i o n e g a t i v e n Werte studiert« hätten, mittels einer »artistischen Ausnutzung des Nihilismus« und im Sinne einer bevorstehenden »allgemeinen entscheidenden anthropologischen Wendung« die »konstruktiven Käfte des Geistes [. . .] bildend zu züchten eine für Deutschland ganz neue Moral und Metaphysik der Form«.30 In Züchtung (Juni 1933) hingegen kehrt Benn die Polarität des Begriffs der Verwandlung um, die politische Geschichte wird zum bestimmenden Faktor der Menschheitsentwicklung erklärt:31 Eine geschichtliche Verwandlung wird immer eine anthropologische Verwandlung sein. In der Tat, jede politische Entscheidung, die heute fällt, ist eine Entscheidung anthropologischer und existenzieller Art. Züchtung (1933)32
Der Essay ist einerseits ein Zeugnis der strategischen Anbiederung an den völkischen Ton und greift zusammen mit Geist und Seele künftiger Geschlechter unmittelbar im Anschluss an das im Juli 1933 erlassene »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« in die Erbhygiene- und Eugenik-Diskussion 29 Ebd., III, S. 394, 403. 30 Ebd., III, S. 401f. Die Theorie der Bionegativität geht auf Lange-Eichbaums Geniestudien zurück, vgl. Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, S. 348ff. Auf sie wird Benn bereits 1934 im Rahmen seiner Erbmilieu-Theorie in Das deutsche Pfarrhaus zurückkommen, dort mit Bezug auf Ernst Kretschmer. Vgl. SW, IV, S. 114. Vgl. zu Kretschmer auch auch Hahn: »Der Affe stammt vom Menschen ab«. 2010, S. 348–380. 31 Vgl. auch Der neue Staat und die Intellektuellen (1933), SW, IV, S. 19. Insbesondere ältere Arbeiten heben besonders auf diesen Aspekt ab, im Fall Berhard Fischers mit einem gewissen ideologiekritischen Impetus. Gleichzeitig verfügte die Forschung in dieser Phase noch nicht über die detaillierten Quellenkenntnisse zu Benns Rezeption zeitgenössischer wissenschaftlicher Literatur, welche die Studien Millers, Anackers und Hahns erbracht haben. Vgl. Fischer: ›Stil‹ und ›Züchtung‹. 1987; Allemann: Gottfried Benn. Das Problem der Geschichte. 1963. 32 SW, IV, S. 34.
10
Vorbemerkung
ein. Im Unterschied zu den Äußerungen vor Juli und ab Mitte November 1933 nehmen die Essays Benns in diesen vier Monaten den Züchtungsbegriff »naturalistisch«33 und billigen im Sinne einer »nationalen Moralwissenschaft« der »idealistische[n] Anthropologie« die bereits durch das Gesetz ermöglichten eugenischen Zwangssterilisierungen und Punktesysteme für Eheschließungen.34 So schwer erträglich die völkisch und eugenisch gesteigerte Rhetorik (»Gehirne muß man züchten, [. . .] Gehirne mit Eckzähnen, Gebiß aus Donnerkeil.«)35 und die Apotheose des »totalen Staats« für den heutigen Leser ist,36 so unklar ist zunächst die strategische Linie, die Benn mit Züchtung verfolgte. Zum einen können Zweifel daran bestehen, dass Benns emphatische Züchtungsideen, sei es die »Verwandlung [. . .] halb aus Mutation und halb aus Züchtung«,37 seien es die Rekurse auf Kretschmer38 und wenig später auf Merkenschlager,39 von Seiten der nationalsozialistischen Rassenbiologie günstig aufgenommen worden wären. Möglicherweise glaubte Benn 1933 noch daran, einen Spielraum innerhalb der noch nicht abgeschlossenen institutionellen und rassenbiologischen Festlegungen des Nationalsozialismus nutzen zu können. Zum anderen basiert das historische Argument des Essays auf dem durchaus antisemitisch zu verstehenden Vergleich des »Führer[s] des Thoravolkes« Moses, des »größte[n] völkische[n] Terrorist[en] aller Zeiten und großartigste[n] Eugeniker aller Völker«, mit Adolf 33 Expressionismus, SW, IV, S. 89. 34 Vgl. Zucht und Zukunft, ebd., IV, S. 73, Geist und Seele künftiger Geschlechter, ebd., IV, S. 61f, 64. Benn zitiert in diesem Zusammenhang die bekannten Arbeiten der profiliertesten Eugeniker Alfred Grotjahn und Fritz Lenz. Vgl. ebd., IV, S. 61f. Vgl. auch Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Geschlechterpolitik. Münster: MV-Wissenschaft 2010, zu Grotjahn S. 46f, zu Lenz passim. 35 SW, IV, S. 38. Hahn vermutet in dieser Formulierung ein Kryptozitat Weidenreichs, vgl. Hahn: »Der Affe stammt vom Menschen ab«. 2010, S. 575, Anm. 141. 36 Lethen hat für diese rhetorische Strategie die gute Formulierung der »hemmungslose[n] Überbietung der harmlosen Mitläufer, [. . .]« gefunden, durch die er »das Ohr des Machthabers zu erreichen« suchte. Lethen: Der Sound der Väter. 2006, S. 172. 37 Streim sieht hierin eine »weitgehende Entwertung der Eugenik«, verglichen mit der rassistischen Züchtungsideologie des Nationalsozialismus, vgl. Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, S. 341. 38 SW, IV, S. 55f, 71f, 114ff, 159f. 39 Benn hatte Merkenschlagers Rassensonderung, Rassenmischung, Rassenwandlung im Oktober 1933 als »eines der interessantesten, bedeutendsten Bücher, die mir seit sehr langem in die Hände gekommen sind« bezeichnet. ebd., S. 436. Gerade im Rahmen der ›rassemäßigen Rechtfertigung‹ in Lebensweg eines Intellektualisten nimmt Benn auf Merkenschlagers Theorie der Typenmischung Bezug. Vgl. ebd., S. 157, 160. Auf sein Buch hatte Merkenschlager Benn selbst in einem auf das Erscheinen von Benns »Vision« Züchtung in der Börsenzeitung reagierenden Brief vom 28. Juni 1933 aufmerksam gemacht (DLA), in dem seine Distanz zur NSDAP und deren »Zuchtpropaganda« aus seinen wissenschaftlichen Erfahrungen in der Pflanzenzucht begründet. Friedrich Merkenschlager: Rassensonderung, Rassenmischung, Rassenwandlung. Berlin: Hoffmann 1933. Vgl. zum Kontakt mit Merkenschlager insbesondere Marcus Hahn: »Zahllose Bastardisierungen«. Gottfried Benns Lebensweg eines Intellektualisten (1934) und die Rassentheorie des Botanikers Friedrich Merkenschlager. In: Euphorion 2014, im Druck, der Brief vom Brief vom 28. März 1933 ist auszugsweise zitiert Gerd Berghofer: Friedrich Merkenschlager. Ein Wissenschaftler trotzt den Rassegedanken der Nazis. Treuchlingen u.a.: wek Verlag 2010, S. 104.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
11
Hitler, was für sich genommen als Provokation hätte aufgenommen werden müssen.40 Selbst der Text Züchtung von 1933 ist ein Zeugnis von Benns niemals konsistent aufgehender Doppelstrategie zwischen vorauseilender Anpassung und schriftstellerischer Selbstbehauptung, wie sich auch in der viel zitierten Bemerkung in seinem Brief an Käthe von Porada vom 24. August 1933 zeigt: »habe ein paar Aufsätze verfertigt für Zeitschriften, die gut zahlen, läppisches Zeug. Was man so jetzt will«.41 Dass diese Anpassungsbewegung nicht rein taktische Camouflage blieb, lässt sich indirekt an den späteren Entwürfen zu den Gedichten Die weißen Segel, Monolog und auch noch St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts ablesen.42 Die skizzierten Umorientierungen sind also nicht allein unter dem Aspekt von Benns Rezeption zeitgenössischer paläontologischer, anthropologischer und medizinischer Literatur, sondern auch unter literarischen und politischen Gesichtspunkten zu sehen. Im Montage-Essay Goethe und die Naturwissenschaften (1932) etwa versucht Benn, einen Anschluss zu Goethes Konzeption der Metamorphose der Pflanzen43 und somit zur früher von ihm zitierten »totalistische[n] Strömung« der Wissenschaften zu finden, weite Teile von Dorische Welt basieren auf Burckhardts und Taines kulturgeschichtlichen Arbeiten.44 Gregor Streim 40 Benn lässt in Züchtung sogar beide ihre Berufung zum »Führer« vor dem brennenden Dornbusch empfangen, vgl. SW, IV, S. 34. Dieser Vergleich basiert auf zwei Quellen, Josef Kasteins Eine Geschichte der Juden und Hans von Pezolds Moses als Eugeniker. Zu diesen und weiteren für Züchtung verwendeten Textquellen, u.a. Joachim Prinz und Carl Schmitt, siehe S. 216. Auf den Vergleich zwischen den »Führer[n] und Propheten« Moses und der »Bewegung« wird Benn im Rahmen zweier Entwürfe in Notizbuch 4a erneut zurückgreifen, hierzu und zu weiteren bekannten antisemitisch gefärbten Äußerungen Benns im Jahr 1933 siehe S. 216. 41 Gottfried Benn: Den Traum alleine tragen. Neue Texte, Briefe, Dokumente. Hrsg. v. Paul Raabe u. a. Wiesbaden, München: Limes 1966, S. 136. Züchtung wurde als Schlussstück von Der neue Staat und die Intellektuellen erstmals gedruckt, gehört allerdings zu einer Serie von Artikeln, die ansonsten in Zeitschriften veröffentlicht wurden, vgl. Michael Ansel: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. Gottfried Benns Publikationsverhalten 1933 bis 1936. In: Gottfried Benn. Wechselspiele zwischen Biographie und Werk. Hrsg. v. Matías Martínez. Göttingen: Wallstein 2007, S. 35–70, hier S. 42. 42 Siehe S. 17–18, 21–24, 294–297, 585–594. 43 Vgl. auch Goethe und die Naturwissenschaften: »[. . .] die genetische Methode, die Methode der anatomischen und embryologischen Vergleichung, heute als vergleichende Morphologie bekannt, diese spezifische Methode des neunzehnten Jahrhunderts. [. . .] Die genetische Methode, dazu die vergleichende Morphologie – das dialektische Instrumentarium der neuen Biologie: hier ist es! [. . .] dem Begriff der Metamorphose. [. . .] Begriff der Metamorphose, die größte Konzeption des nachbaconschen Zeitalters [. . .]«, SW, III, S. 361f. Vgl. auch Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, S. 323–331, zur Montage des Goethe-Aufsatzes und Dorische Welt vgl. auch Holger Hof: Montagekunst und Sprachmagie. Zur Zitiertechnik in der essayistischen Prosa Gottfried Benns. Aachen: Shaker 1997. 44 Vgl. ebd. Streim rekonstruiert die seit 1934 zunehmende »Tendenz zur ›Poetisierung‹ von Wissenschaft« in Benns Prosa als Reaktion auf die Krise der Wissenschaften, vgl. Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, 362, passim. Petersdorff analysierte bereits früher, dass sich Benn mit seinem Essay Goethe und die Naturwissenschaften von der Idee wegzubewegen begann, eine »nach-positivistische, den ganzen Menschen ansprechende Gesamt-Wissenschaft zu proklamieren«, stattdessen betriebe er Geschichtskritik. Vgl. Dirk von Petersdorff: Fliehkräfte der Moderne. Zur
12
Vorbemerkung
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nach Expressionismus (1933) auch die Essays von 1934, insbesondere die von Hanns Johst in Auftrag gegebene, jedoch nicht gehaltene Rede auf Stefan George45 und Lebensweg eines Intellektualisten, Programmelemente der expressionistischen Avantgarde aufweisen, welche sich nicht mit der ›erwünschten‹ Parteilinie verstehen, aber doch schließlich mit Dorische Welt in »eine avantgardistische[] Theorie des totalitären Staates« münden.46 Es wird nie wieder Kunst geben im Sinne der jüngsten 500 Jahre, dies war die letzte, man kann sich unsere innere Lage gar nicht final und kritisch genug vorstellen, es geht hier um Verwandlung, ein neues Geschlecht steht Europa bevor. Sehr viele Freunde der nationalsozialistischen Bewegung betrachten Züchtungs- und Rassenfragen skeptisch, das ist zu naturalistisch gesehen, sagen sie, zu materialistisch [. . .] Man kann diese Dinge gar nicht naturalistisch genug sehen, sage ich [. . .] Expressionismus (1933)47 Es ist vielmehr die unerbittliche Härte des Formalen, die über seinem [Georges] Werk liegt, durch die er sein Werk schuf, ihm Einheit und Norm erkämpfte, und der er sein Leben zum Opfer brachte; es ist der »ästhetische Wille«, dieser deutsche Wille, der im Kunstwerk eine Welt aufrichtet und überwindet, f o r m e n d überwindet, das ist es, was George in die große abendländische Perspektive der Zukunft stellt. [. . .] Es ist das Formgefühl, das die große Transzendenz der neuen Epoche sein wird, die Fuge des zweiten Zeitalters, das erste schuf Gott nach seinem Bilde, das zweite der Mensch nach seinen Formen, das Zwischenreich des Nihilismus ist zu Ende. Im ersten herrschte Kausalität, Erbsünde, Abstammungsseufzer, Psychoanalyse, Ressentiment und Reaktion, im neuen plastische Prinzipien, Konstruktionen innerhalb gesetzter Horizonte. Man kann auch sagen, es geht von der Deszendenz zur Aszendenz –: auch der Züchtungsgedanke fällt unter dies Formproblem. Es wird also ein Zeitalter des Geistes sein, nicht des unfruchtbaren Geistes, sondern des realen Geistes, der nirgends die Wirklichkeit verläßt, sondern im Gegenteil ihr Stimme gibt, sie fruchtbar, sie erbfähig Ich-Konstitution in der Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Hermaea Germanistische Forschungen neue Folge 107), S. 227. 45 Vgl. Ansel: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. 2007, S. 39. 46 Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, S. 344. Streim identifiziert u.a. korrekterweise eine Anspielung auf Worringers Abstraktion und Einfühlung in Dorische Welt (erkennbar am spezifischen Gebrauch des Begriffs »Raumpanik«, »Raumangst« bei Worringer) und sieht Parallelen zur Theorie des Futurismus. Andererseits weist er überzeugend Anlehnungen an Konzepte und Begriffe aus Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunders nach (ein Exemplar ist in Benns Bibliothek im DLA vorhanden), will in diesen keine taktischen Zugeständnisse, sondern Anzeichen von Parallelen in Rosenbergs und Benns Denken erkennen. Vgl. ebd., S. 335f, 347f, 355. Vgl. auch die Ausführungen bei Petersdorff zum »Verlust des Ich an das Totale « (SW, IV, S. 12), den Benn zunächst als »umfassende Korrektur der Moderne« durch das Absolute begrüßt, dem »sich das Individuelle ›opfert‹«, um in der »Form« »postmetaphysische Verbindlichkeit« herzustellen. Petersdorff: Fliehkräfte der Moderne. 2005, S. 227–236. 47 SW, IV, S. 89.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
13
macht, sie kultiviert, sie mit Blüten überzieht. [. . .] Dieser Geist ist ungeheuer allgemein, produktiv und pädagogisch, nur so ist es zu erklären, daß sein Axiom in der Kunst Georges als e i n Kommando lebt. Es ist der Geist des i m p e r a t i v e n We l t b i l d e s, das man an vielen geschichtlichen Stellen kommen sieht. Rede auf Stefan George (1933/34)48 [. . .] sie nehmen nicht einen konkreten politischen oder kultischen Willen in sich auf, sie sind überhaupt mit nichts parallel, sondern das Ganze ist ein S t i l, [. . .]. Dieses Darstellungsprinzip stammt nicht mehr unmittelbar aus der Natur wie das Politische oder die Macht, sondern aus dem anthropologischen Prinzip, das später in Erscheinung trat, erst, als die naturhafte Basis der Schöpfung schon vorlag. [. . .] Die Antike, das ist dann die neue Wendung, der Beginn dieses Prinzips, Gegenbewegung zu werden, »unnatürlich« zu werden, [. . .] hier wirken weitabliegende, innere, erhabene, eben seit der Antike arthafte ästhetische Gesetze. [. . .] ihrem [der Gesetze] Charakter als Achse, Spindel der Notwendigkeit: der Mensch, das ist die Rasse mit Stil. Stil ist der Wahrheit überlegen, er trägt in sich den Beweis der Existenz. [. . .] das heißt, alles Leben will mehr als Leben, will Umriß, Stil, Abstraktion, vertieftes Leben, Geist. Dorische Welt (1934)49
Diese Äußerungen müssen allerdings gleichzeitig in Zusammenhang mit der an Benns Publikationsstrategie ablesbaren, »bis mindestens Frühjahr 1934« gegebenen Bestreben gesehen werden, »sich im literarischen Leben des NS-Staats zu behaupten«.50 Michael Ansel rekonstruiert minutiös die taktischen Momente in Benns Publikationsverhalten von der Phase des Engagements für den ›neuen Staat‹ (Ende April bis Oktober 1933), über die Reaktionen auf die Diskussionen über den Expressionismus und Formalismus (November 1933 bis April 1934), die Verteidigung der Kunstautonomie (als Regimekritik, Juni 1934 bis März 1935) bis zur dann folgenden Rückkehr in die Nische der Lyrik (welche u.a. mit den Gedichten des ersten Entwurfkomplexes dieser Auswahlausgabe einsetzt: Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene).51 Es bleibe dahingestellt, ob – wie Ansel meint – Benns Glaubwürdigkeitsproblem und sein Eintreten für die Kunstautonomie es gewesen sind, die letztlich trotz der Protektion Hanns Johsts zum Scheitern seiner Bemühungen, sich einen gesicherten Platz im nationalsozialistischen Kulturbetrieb zu erarbeiten, führten. Wichtiger ist Ansels exakte Beobachtung der strategischen Momente, von der expliziten Datierung von Der neue Staat und die Intellektuellen auf »Juni 1933« über die gezielte Umdeutung des Begriffs »Intellektualismus« und seiner »zeitgeschichtlichen Legitimierung [. . . in einer] katalysatorische[n] Funktion« für die ›Bewegung‹ bis hin zur durch 48 49 50 51
Ebd., IV, S. 101–111. Ebd., IV, S. 150–153. Ansel: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. 2007, S. 41. Ebd., S. 68.
14
Vorbemerkung
Münchhausens Invektiven erzwungenen Selbstpositionierung mit Expressionismus und der folgenden »vorsichtigen Distanzierung von der NS-Ideologie« und zu den Bekenntnissen zur Eigengesetzlichkeit der Kunst in der Rede auf Stefan George, Lebensweg eines Intellektualisten und seinem Rückzug durch Dorische Welt.52 Wesentlich ist auch die Beobachtung der Sonderrolle der Lyrik, dass Benn eine Art »Doppelstrategie« verfolgt hat, nämlich auf der einen Seite »publikumsorientierte, politische Gesinnungstüchtigkeit signalisierende Essays« in schneller Folge zu produzieren und andererseits eine »zweite, der Lyrik vorbehaltene und primär an ästhetischen Kriterien ausgerichtete Rezeptionsebene für sein Werk auszubauen«.53 In diesen Bereich fallen nicht nur die von Ansel genannten Gedichte Am Brückenwehr, Dennoch die Schwerter halten und Olympia –, steige hernieder . . ., sondern auch die beiden ›Verwandlungsgedichte‹ Die Schale und Durch jede Stunde –, welche jedoch beide gewisse Schlagwort-Zugeständnisse an das politische Klima von 1933 zu machen scheinen.54 So unterschiedlich Streims und Ansels Darstellungen der Vorgänge sind, zeigt sich in der Differenz doch eine wichtige Eigenschaft von Benns Prosa ab November 1933. Die völkischen Elemente hatte Benn weitgehend beiseite gelegt, sein Etablierungsprogramm war im Scheitern begriffen, mit zunehmender Distanz zum Nationalsozialismus betonte er mit der Eigengesetzlichkeit der Kunst auch die Avantgarde-Momente der Poetik. Aus dieser Konstellation ergibt sich in Lebensweg eines Intellektualisten hinsichtlich der »Verwandlung« die Pointe, dass »der fast religiöse Versuch, die Kunst aus dem Ästhetischen zum Anthropologischen zu überführen«, nicht mehr wie in Züchtung (1933) auf die durch den »totalen Staat« herbeigeführte, »unabsehbare geschichtliche Verwandlung« bezogen ist, sondern wiederum, unter Verweis auf die Rönne-Figur, auf Dacqués, Georgs und Gehlens Konzeptionen, eine anthropologische, »unausdenkbare Verwandlung« (vgl. Der Aufbau der Persönlichkeit), in welcher auch der »Quartärtyp wieder vergehen« werde.55 Es ist der fast religiöse Versuch, die Kunst aus dem Ästhetischen zum Anthropologischen zu überführen, ihre Ausrufung zum anthropologischen Prinzip. Es hieße ins Soziologische gewendet: in den Mittelpunkt des Kultischen und der Riten das anthropologische Prinzip des Formalen zu rücken, der reinen Form, des Formzwanges, man kann sagen: die Unwirklichmachung des Gegenstandes, seine Auslöschung, nichts gilt die Erscheinung, nichts gilt der Einzelfall, nichts der sinnliche Gegenstand, alles gilt der Ausdruck, alles die gesetzgeberische Umlagerung zu Stil. [. . .] Er [der Mensch] ist ja nur ein halbgelungenes Wesen, ein Entwurf, das Werfen nach einem Adler, schon riß man die Federn, die Flügel nieder, aber die ganze 52 Ansel: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. 2007, S. 41–50. »Tatsächlich hatte Benn im Lebensweg eines Intellektualisten dem Nationalsozialismus nicht mehr viel zu sagen.«, ebd., S. 60. 53 Ebd., S. 44. 54 Vgl. SW, I, S. 147, 150. 55 Ebd., IV, S. 197.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
15
Gestalt schlug noch nicht um – wird sie einmal ganz umschlagen, so, daß ihr Herz unmittelbar am Herzen der Dinge ruht? Also weiter, weiter – Völker, Rassen, Erdzeitalter – Stein-, Farren- und Tiergeruch: aus Dämmer steigend, arthaft fest und doch in einer unausdenkbaren Verwandlung: in ihr wird auch dieser menschliche Quartärtyp wieder vergehen, aber solange er da ist, ist er gezeichnet, stark gezeichnet, ja imperialistisch stark gezeichnet, was für ein Zeichen –: Es ist das irreale Zeichen Rönnes, das konstruktive Zeichen Pameelens, seine Lehre lautet: es gibt keine Wirklichkeit, es gibt das menschliche Bewußtsein, das unaufhörlich aus seinem Schöpfungsbesitz Welten bildet, umbildet, erarbeitet, erleidet, geistig prägt. [. . .] Lebensweg eines Intellektualisten (1934)56
1935 bis 1941 Nachdem Benn, vermutlich gaben die Röhm-Morde den letzten Ausschlag, sich vom Nationalsozialismus abgewendet, alle kulturpolitischen Ämter aufgegeben und sich in die »aristokratische Form der Emigrierung« in der Wehrmacht begeben hatte,57 findet eine grundlegende politische, aber auch intellektuelle Neuorientierung statt. Durch den von Göring und Goebbels unter Umgehung Hanns Johsts betriebenen Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer ließ sich Benn nicht von der privaten Produktion abhalten.58 Man kann sagen, dass Benns Züchtung (II, 1940), Kunst und Drittes Reich (1941) und Zum Thema: Geschichte (1943) zu den schärfsten und deutlichsten Analysen des Nationalsozialismus gehören, die zu jener Zeit auf deutschem Boden entstanden sind.59 Der Bruch mit dem Nationalsozialismus zeichnet sich unter anderem im Wechsel seiner Referenzpunkte und Umdeutung zentraler Begriffe ab. Während Benn den Begriff der »Züchtung« und den einer sinnhaften, politischen »Geschichte« mit großer Geste austreibt, deutet er den Begriff der »Verwandlung« um – und das mehrfach. Die erste Umdeutung erfolgt bereits 1935 in der letzten Strophe des Gedichts Die weißen Segel: »Wachen und immer bereit sein / dem, was Verwandlung verheißt, / bald wird die Erde so weit sein, / zu Dir zu steigen als Geist.«60 Die Verwandlung schließt hier nicht etwa an Lebensweg eines Intellektualisten und das in der »unausdenkbaren Verwandlung« erwartete Vergehen des Quartärtyps an, sondern bezieht sich auf die Haltung der elitären »schwarzen Mönche« am Schluss von Julius Evolas Buch Erhebung wider die moderne Welt, dessen deutsche 56 Ebd., IV, S. 195, 197. 57 Vgl. BOelze, I, S. 39. Vgl. auch Jürgen Schröder: »Es knistert im Gebälk«. Gottfried Benn – ein Emigrant nach innen. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 12 (1994), S. 31–52. 58 Zur Geschichte des Ausschlusses aus der RSK siehe S. 213. 59 SW, S. 248–251, 266–287, 288–304. 60 D1 Die weißen Segel, siehe S. 197. Es sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass in Die weißen Segel mit »weder mit Brod noch mit Wein« noch ein weiteres Verwandlungsmotiv, das der Eucharistie, zitiert wird.
16
Vorbemerkung
Übersetzung Benn 1935 im Märzheft von Die Literatur mit der Rezension Sein und Werden angekündigt hat.61 Diese Mönche erwarten während der »Finalperiode der Erde« als »Wachende« in »unauslöschlichem Schweigen« mit »tiefem Verwandlungswissen« das »Ende, die Mitternacht«, das Heraufsteigen des »Geistes«, um die »Kräfte der Auferstehung« zu lenken.62 Dieses Heraufsteigen des Geistes nennt dann Die weißen Segel explizit »Verwandlung«. Trotz der Anreicherungen durch anthropologische Begriffe handelt es sich also bei der später in einem Brief an Oelze sogenannten »Verwandlung im Sinne Evolas«63 primär um eine politische, nämlich eine Wiederherstellung »einer frischen Bindung an die Traditionswelt, Ansätze zur Produktion echter Geschichte«64 – was nicht heißt, dass sich Benn in diesem Zusammenhang nicht mehr für Anthropologie interessierte, wie die in Notizbuch 4a angrenzenden Vorarbeiten zu einem Aufsatz über Schlegels Luzinde für die Cahiers du Sud zeigen.65 In seiner letzten Prosa-Veröffentlichung innerhalb Deutschlands vor seinem Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer nimmt Benn also nochmals (nach Expressionismus) emphatisch Bezug auf den italienischen Faschisten Evola und trennt im Anschluss an dessen Buch elitären Geist und Macht bzw. Leben, erklärt infolgedessen »Verwirklichungsleben« und »Geschichte« in der »modernen Welt« für unmöglich.66 Es handelt sich hierbei um eine – im gegebenen Kontext – deutliche Absetzung von der Linie des Regimes, die Entwürfe und Notizen in Nb 4a allerdings zeigen auch die Schwierigkeiten, eine klare Position gegenüber dem Nationalsozialismus zu finden.67 Im Sinne der von Evola abgeleiteten Verwandlungserwartung ist auch die spätere Stelle in Weinhaus Wolf zu lesen: Es gibt keine Verwirklichung. Der Geist liegt schweigend über den Wassern. [. . .] – ecce homo – so endet der Mensch. 61 Vgl. SW, IV, S. 202–212, 600, Julius Evola: Erhebung wider die moderne Welt. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlagsanstalt 1935, Siehe S. 217–218. 62 Vgl. SW, IV, S. 209, 211. 63 BOelze, I, S. 117. Weitere Hinweise siehe S. 217–218. 64 SW, IV, S. 210. Wegen der anthropologisch-politischen Doppelkodierung ist nicht eindeutig festzulegen, ob Benn hiermit das Ende des NS-Regimes meint – mit Sicherheit aber eine »Verwandlung«, deren Perspektive und Kräfte weit über das »Tausendjährige Reich« hinausreichen. Vgl. auch BOelze, I, S. 117. 65 Siehe S. 209. 66 Vgl. SW, IV, S. 210-211, vgl. Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, S. 357. Benn verlagert hiermit ein weiteres Mal die Semantik der zuvor u.a. in Der Aufbau der Persönlichkeit (1930, SW, III, S. 275) zitierten Geist-Leben-Theorie Max Schelers Die Stellung des Menschen im Kosmos auf die Ebene des politischen Lebens. Zur vorigen »ideologischen Umstellung« der Geist/LebenDichotomie 1934 vgl. Hahn: Die Stellung des Gehirns im Leben. 2004, S. 103. Benn bezeichnet seine frühere Hoffnung auf eine »Legitimierung für die Beziehungen zwischen Geist und Macht« (SW, IV, S. 210f) in einem Brief an Oelze vom 24. November 1934 über eine Novalis-Anspielung als ›romantisch‹: »[. . .] die Worte im Anfang des Expressionismus[-Essays von 1934, d. Verf.] sind aus dem vorigen Jahr, als noch soviel Glaube, Liebe Hoffnung war, heute würde ich sie gewiss nicht schreiben. Heute würde ich schreiben: ›die Fresse von Caesaren u. das Gehirn von Troglodythen‹«, BOelze, I, S. 40. 67 Siehe S. 216–218.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
17
Nur nicht handeln! Wisse das und schweige. Asien ist tiefer, aber verbirg es! [. . .] Lebe und beobachte es zu Ende. Denke immer: die Verwandlung! Auch wir haben Zeichen! Man muß sehr viel sein, um nichts mehr auszudrücken. Schweige und gehe dahin. Weinhaus Wolf (1937)68
Ein unter den Kriegseindrücken verfasster Brief an Oelze vom 29. Mai 1940 sagt die Verwandlung wiederum als in naher historischer Zukunft liegendes Ereignis anthropologisch-biologischer und moralischer Dimension voraus: [. . .] Was mich allerdings besonders beschäftigt, ist etwas anderes: der apokalyptische Zug der Vorgänge. Sieg und Niederlage, ja selbst Krieg u. Frieden sind Vorbegriffe einer so unvorstellbaren Veränderung der geschichtlich ökonomischen Welt, aber – scheint mir – auch der Werte und des moralischen Zustandes der weissen Völker, dass man sich noch kein Bild von allem machen kann. [. . .] Eine neue Stufe der Menschheit rüstet sich zu erscheinen, die »Verwandlung« nähert sich, eine biologische Mutation des Quartärtypus steht bevor. Der Sieg, u. gleichzeitig auch die Zerstörung der Art und dann die Entfaltung des Quintär –, bleiben wir schlicht bei den Worten des Grössten im Quartär: Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung.69
Verfolgt man die Linie der »Verwandlung« und »Züchtung« in der Lyrik Benns weiter, so stößt man zunächst auf Monolog, jenem Gedicht von 1941, welches später in Doppelleben als ›Beweis‹ für Benns oppositionelle Haltung eingesetzt wurde.70 Das Gedicht übt deutlich erkennbar Kritik am mörderischen und korrupten NS-Staat, auf Entwurfebene wird die Kritik noch konkreter.71 Der durch grelle Metaphorik schwer verständliche Text kleidet die Begriffe »Züchtung«, »Verwandlung« und »Gehirne« in apokalyptische Bilder, was einerseits im Kontext von Benns Auseinandersetzung mit Nietzsches »Züchtungsoptimismus« in Weinhaus Wolf, Züchtung (II, 1940) und Kunst und Drittes Reich, andererseits direkt in Bezügen zu Züchtung (I, 1933) zu sehen ist.72 Möglicherweise ist hier auch Edgar Dacqué mitgemeint, dessen für Benn überraschende Wende zu einem »Blunck der Paläontologie« er in einem zeitnahen Brief erwähnt.73 Dass »Verwandlung« und »Züchtung« ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt Aktualität 68 SW, IV, S. 238, 240f. 69 BOelze, I, S. 232f. »Quintär« bezieht sich auf Eugen Georgs »Quintär[typ]«, vgl. Eugen Georg: Verschollene Kulturen. Das Menschheitserlebnis. Ablauf und Deutungsversuch. Leipzig: Voigtländer 1930, Gess: Sie sind, was wir waren. 2012, S. 113, Anacker: Anthropologie der Kunst. 2004, S. 178. 70 Siehe S. 293, 294, siehe auch 570, Anm. 76. 71 Z.B. durch den Hinweis auf die »Arisierung« der Wannsee-Insel Schwanenwerder, siehe S. 294. 72 Zu Benns Nietzsche-Rezeption und -Kritik vgl. Thomas Keith: »Die Welt als artistisches Phänomen«. Gottfried Benns Nietzsche-Rezeption. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 10.1 (2000), S. 116– 126, Thomas Körber: Nietzsche nach 1945. Zu Werk und Biographie Friedrich Nietzsches in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Würzburg: Königshausen und Neumann 2006, S. 76–84. 73 BOelze, I, S. 264. Siehe auch S. 296.
18
Vorbemerkung
gewinnen, mag damit zu tun haben, dass Benn für das Oberkommando der Wehrmacht dienstlich Studien anzufertigen hatte – darunter die im Dezember 1940, also kurz vor den Monolog-Entwürfen, abgeschlossene Schrift Über Selbstmord im Heer, deren letzter, im Sinne der »heutigen Staatsbiologie« parteikonform den »heute so bedeutungsvollen rassischen Gesichtspunkt« hervorhebende letzte Absatz ihm nicht so leicht gefallen sein dürfte, wie er Oelze, sich in der Rolle des Schelms inszenierend, glauben machen will.74
1943 In der Lyrik des Jahres 1943 verlieren sich daraufhin Bezugnahmen auf »Verwandlung« und »Züchtung« zunächst, während Benn in einer Serie von Aufsätzen die durch »Schädigung« provozierte, saltatorische biologisch-evolutionäre Bewussteinsentwicklung des Gehirns gegen den »biopositiven« Darwinismus entwickelt (Provoziertes Leben). Hiermit einher geht die abermalige Umdeutung der »Mutation« und »Verwandlung« im Rahmen der, teils durch neuerliche Nietzsche-, teils durch Schopenhauer-Lektüre inspirierten Ausdruckswelt (Vorwort zu Ausdruckswelt,75 Pallas, Pessimismus).76 Existenz heißt Nervenexistenz, d.h. Reizbarkeit, Zucht, enormes Tatsachenwissen, Kunst. Leiden heißt am Bewußtsein leiden, nicht an Todesfällen. Arbeiten heißt Steigerung zu geistigen Formen. Mit einem Wort: Leben heißt provoziertes Leben. Hier tritt natürlich sofort der Einwand der Schädigung auf, des einzelnen wie der Rasse. Drogen, Räusche, Ekstasen, seelische Exhibitionismen, das klingt der Volksgemeinschaft infernalisch. Aber dieser Begriff der Schädigung gehört zunächst in das Bezugssystem »Kausalanalyse« und »Biologie« und hat nur die sehr bedingte Geltung dieser. [. . .] Auf Grund, jedenfalls in zeitlicher Nachfolge dieser Schädigung, entstand das weiße menschliche Gehirn. [. . .] Ob und wieso man in dieser Beziehung das versackende mitteleuropäische Gehirn überhaupt schädigen kann, bedürfte der weiteren Bestimmung. [. . .] Das Gehirn ist das Schulbeispiel für den Pygmäencharakter der kausalen Theorien, es hat seinen Weg mit höchst akausalen Schritten zurückgelegt, vor ihm versagen alle biologischen Hypothesen. Es scheint nach den Arbeiten von Versluys, Poetzl und Lorenz festzustehen, daß es sich 74 Am 5. Dezember 1940 an Oelze: »Manchmal um nicht völlig zu vertieren, mache ich mir den Witz, eine dientliche Sache persönlich abzufassen. Werde Ihnen derartiges morgen senden. Mein Arbeitsgebiet ist u.a. Selbstmord in der Wehrmacht [. . .]«, BOelze, I, S. 253. Vgl. auch SW, VII/2, S. 428f, 671f. Siehe S. 295–297. In diesem Sinne ist wohl auch die Notiz in Notizbuch 8c zu verstehen: ». . es mag ja einmal ein Geschlecht kommen, das nur aus Rasse u Turnschuhen besteht, heute aber ist es noch nicht da . . .«, Nb 8c-a 1/2r 5–7, siehe S. 245. 75 Der Begriff »Ausdruckswelt« wurde bereits im Vorwort zu Kunst und Macht (1934) geprägt, vgl. ebd., IV, S. 200f. 76 Ebd., S. 327–339.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
19
durch sprungweise Verdoppelung der Neuronen bei gleichzeitiger Neugliederung der Rindenregionen entwickelte. »Zwischenformen fehlen.« Hier ist nichts von Anpassung, Summierung kleinster Reize, allmähliches Faulund Reifwerden bis zur Zweckmäßigkeitsumstellung, hier waren immer Schöpfungskrisen. Es ist das mutative, d.h. revolutionäre Organ schlechthin. Sein Wesen war nie Inhalt, sondern immer Form, seine Mittel Steigerung, sein Verlangen Reize. Diese Herberge von Rudimenten und Katakomben brachte von Anfang an alles mit, es war nicht auf Eindrücke angewiesen, es produzierte sich selbst, wenn man es rief. Es wendete sich keinesfalls bevorzugt an »das Leben«, sondern ebenso an Letalfaktoren [. . .]. Provoziertes Leben (1943)77 [. . .], nur die Verneinung wird jene Welt mit erschaffen helfen, zu der nicht nur der Mensch, sondern nicht weniger die Natur selbst drängt, in der sie ihre Verwandlung fühlt: die Ausdruckswelt. Pessimismus (1943)78 Es handelt sich also um das anthropologische Gesetz, das uns bestimmte, eine antinaturalistische Natur zur Geltung zu bringen, eine Wirklichkeit aus Hirnrinde zu erschaffen, ein provoziertes Leben aus Traum und Reiz und Stoff in Ansätzen und Vollendung zu erleben. Vorwort zu Ausdruckswelt (1943)79
Während dieser hochproduktiven Phase wendet sich Benn gleichzeitig einem anderen wissenschaftlichen Gebiet zu: Physik 1934 und Bezugssysteme, es ist auch das Entstehungsjahr der Abrechnungsschrift Zum Thema: Geschichte.80 Streim notiert: Allerdings greift Benn bei der Konzeption dieser Verwandlung und Formbildung jetzt kaum noch auf Theorien und Denkfiguren aus dem Bereich der Physiologie, Biologie und Naturgeschichte zurück, die in seinen Texten aus den späten zwanziger Jahren und denen aus dem Jahr 1933 eine wichtige Rolle spielten. Angesichts der nationalsozialistischen Rassenpolitik und der biologistischen Propaganda von Fruchtbarkeit, Gesundheit und Züchtung – mit der er in Züchtung, Kunst und Drittes Reich, Zum Thema: Geschichte und Pallas polemisch abrechnet – scheint auch die indeterministische Biologie, scheinen überhaupt alle organische Prozesse beschreibende Modelle für Benn desavouiert zu sein.81
Genau auf diese Situation reagiert das Gedicht Verlorenes Ich: »Verlorenes Ich, zersprengt von Stratosphären, / Opfer des Ion –: Gamma-Strahlen-Lamm –«82 77 78 79 80 81 82
Ebd., IV, S. 318f. Ebd., IV, S. 331. Ebd., IV, S. 343. Ebd., IV, S. 288–304, 305–309, 321–326. Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, S. 357. D1 Verlorenes Ich, siehe S. 318.
20
Vorbemerkung
Das Gedicht reflektiert mit seinen direkten Bezügen zu Physik 194383 angesichts zeitgenössischer Entwicklungen der theoretischen Physik eine anthropologische Alternative zu den biologischen, paläontologischen Modellen. Es schreibt eine andere wissenschaftliche Geschichte des ›Ich‹ beziehungsweise des »Geistes«, welche »noch über die Annahme einer unsichtbaren, nicht-materiellen Realität hinaus[geht] und [. . .] sich in Physik 1943 einer intuitionistischen Deutung der theoretischen Physik an[nähert].«84 »Die Atomspaltung« eröffnet, nachdem »die Welt zerdacht« ist und »die Mythe log«, eine alternative, nichtanthropozentrische Avantgarde-Option des Materie auflösenden, »formenbildende[n] Geistes«, eine Steigerung zum »Absolut Reale[n]«.85 Auf der anderen Seite steht die »Relativität der Bezugssysteme«,86 in denen Benn [. . .] – mit Rekurs auf die [. . .] Schrift [Joseph] Petzoldts –, vor allem die relativistischen Konsequenzen der modernen Physik herausstellt. Demnach haben die neuen physikalischen Theorien nicht allein die Gültigkeit des alten physikalischen Weltbildes erschüttert, sondern die »Relativität« aller Denk- bzw. »Bezugssysteme« erwiesen [. . .].87
Dem gegenüber stehen die beiden letzten Verse von Verlorenes Ich, welche die Totalität des »Ich« wiederum in einer Umschließung durch eine »zwingende erfüllte Stunde« in ferner Vergangenheit verorten, »die einst auch das verlor’ne Ich umschloß.«88
1944 bis 1948 Im Folgejahr 1944 nimmt Benn es in Landsberg im Anschluss an Ausdruckswelt wieder mit der »Verwandlung« als anthropologischem Denkmotiv auf, allerdings unter erneuter Umdeutung. Zunächst sind die berühmten Passagen im Kapitel Statische Metaphysik des Roman des Phänotyp zu zitieren, welche, Johannsens Begriffsdichotomie »Geistes«-geschichtlich und poetologisch reinterpretierend,89 die anthropologische »Verwandlungszone« als eine entzeitlichte, ästhetische »Ausdruck«-Suchbewegung des Inneren des Phänotyp an der Peripherie darstellt, welche »nicht immer in einer eindeutigen Richtung verläuft«: 83 SW, IV, S. 305–309. 84 Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, S. 360. 85 Vgl. ebd., S. 358–361. »[D]ie Welt zerdacht«, »die Mythe log«, siehe S. 318, V. 17, 20. 86 SW, IV, S. 326. 87 Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008, 361f. Petzoldt: Joseph Petzoldt: Das Weltproblem vom Standpunkt des relativistischen Positivismus aus. 2. Aufl. Leipzig, Berlin: Teubner 1912 (= Wissenschaft und Hypothese 14). 88 D1 Verlorenes Ich, siehe S. 319. 89 Benn war die Dichotomie von Genotyp und Phänotyp bereits seit Die Eroberung (1915) bekannt, er zitiert ihn u.a. auch zu Beginn von Der Aufbau der Persönlichkeit (1930), vgl. auch Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, S. II, 632. Vgl. zu Johannsen in dieser Roman des PhänotypPassage Miller: Die Bedeutung des Entwicklungsbegriffs. 1990, S. 70–77, 247.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
21
Diese Natur ist ausgesprochen zyklisch, läßt alles offen, alles Hervorgebrachte wird wieder zurückgenommen. Alles kommt immer wieder, sie beginnt an keiner Stelle und endet an keinem Punkt. Auch verwandelt sie nichts, es sei denn, daß Ausdrücken schon Verwandeln bedeutet – aber bis dahin wäre sie schon wieder zurückgenommen, außerhalb des Verwandelten und der Verwandlung. [. . .] Wo immer das Innere des Phänotyps sich ästhetischen Ausdruck sucht, wird ihn die Umwelt als fragwürdig empfinden. Dies sein Suchen umschließt viele Probleme, vor allem das der Peripherie. Wo verwandelt sich der Mensch, wann, aus welchen Ursprüngen und mit welchen Methoden? [. . .] Hiermit treten wir vor das Thema der peripheren Verwandlung, vom Nagen und Lecken der Wellen am Strand, wobei es im Dunkel bleibt, was Welle und Strand bedeuten, aber sie bilden gemeinsam die Konturen der Kontinente. Aber dabei gibt es Ausgleiche und Ablenkungen, nicht jedes Nagen hinterläßt eine Spur. Selbst bei Goethe gibt es viele Sätze und Verse, die auch heute noch dunkel und keineswegs eingängig sind, ihr Inhalt bleibt selbst dem Fortgeschrittenen nicht erlebbar, man ist also über sie hinausgeschritten, ohne sie zu assimilieren, zu integrieren, aber sind sie deswegen sinnlos, überflüssig, Marotte, keineswegs, sie gehören in das Thema der Peripherie, sie gehören in das Gebiet der Verwandlungszone, die nicht immer in einer eindeutigen Richtung verläuft, nicht immer in eine Entfaltung von allgemein werdenden Formen und Ausdrucksverfahren mündet. Übrigens wird auch hinsichtlich der Natur ihr Experimentiercharakter, ihr Hervorbringen von Formen, die dann wieder fallen gelassen werden, von den beschreibenden Wissenschaften immer mehr beachtet. Der menschliche Körper beharrt erstaunlich konsequent innerhalb dieses quartären Zeitalters, aber der Geist differenziert sich in immer neuen Ausdrücken, Ausbrüchen, neuen Auswegen seiner selbst, man hat den Eindruck, die ganze Mutationsfähigkeit und Variabilität der Art ist in ihm allein tätig geblieben. Statische Metaphysik In: Roman des Phänotyp (1944)90
Diese grundlegende Umdefinition des Verwandlungsbegriffs unter Beibehaltung der explizitermaßen anthropologischen Basis wird in der Forschung meist als Übergang zum poetischen Konzept der Statik, zur »Phase II des nachantiken Menschen« verhandelt.91 Eine ausführlichere Behandlung dieser Stelle würde breitere Ausführungen zum Roman des Phänotyp erfordern, als der Rahmen zulässt. Es sei daher lediglich auf die konzeptionelle Wiederaufnahme des Experimentiercharakters im Programmgedicht Statische Gedichte und auf die poetologische Rolle der anthropologischen »Verwandlungszone« bzw. der »peripheren Verwandlung« für die Konzeption der Statischen Gedichte hingewiesen.92
90 SW, IV, S. 393ff. 91 Vgl. auch Miller: Die Bedeutung des Entwicklungsbegriffs. 1990, S. 198–245, 246–251. Zu den Zweifeln Benns Ende 1944, ob es überhaupt eine »Verwandlung« geben werde, vgl. den Brief an Oelze vom 24. Oktober 1944, BOelze, I, S. 374, zitiert S. 594. 92 SW, I, 224, IV, S. 393f.
22
Vorbemerkung
Dieses Experimentalprogramm führt Benn kurz darauf (Dezember 1944, Januar 1945) als letztes Landsberger Projekt vor der Flucht nach Berlin in Form zweier Montagegedichte durch: 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts.93 Benns Arbeitsweise, die umfangreichen Materialrecherche- und Exzerpierarbeiten und das bei diesem Schreibprojekt verwendete Montageverfahren werden an anderer Stelle detailliert dargestellt.94 Bereits während der Vorarbeiten zu 1886 exzerpiert Benn in der Deutschen Rundschau unter anderem Artikel Ernst Haeckels und August Weismanns Über den Rückschritt in der Natur, aus welchem Teile – wohl nicht ganz ohne apologetische Voraussicht – im Sinne der »Schädigungs«-Theorie von Provoziertes Leben in die längere Typoskriptfassung des ›autobiografischen‹ Gedichts eingegangen sind: Beobachtet werden: Schwinden des Haarkleids (Wale, Delphine) Weisslichwerden der Haut (Schnecken, Köcherfliegen), Panzerrückbildung (Krebse, Jnsekten) – Entwicklungsfragen, Befruchtungsstudien, Naturgeheimnis, nachgestammelt!95
Benn ersetzt diese Strophe schließlich durch eine anthropologischere, welche einerseits das zuvor exzerpierte Textmaterial aus Adolf Marcuses Die hawaiischen Inseln verarbeitet, andererseits auf Benns frühere Lektüren Weidenreichs und Gieselers Studien zum Pithekanthropos, möglicherweise auch Haeckels Deutsche Rundschau-Artikel verweist: Es taucht auf: Pithekantropos, Javarudimente – die Vorstufen Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai, genannt der Honigsauger [. . .]96
Für das hier zu verfolgende Denkmotiv von besonderer Relevanz ist die erst während der letzten Arbeitsphase in das Montage-Manuskript TH2 StPbg 2r in das Gedicht St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts eingefügte »Zu den Inseln!«Strophe: 93 Vgl. die Exzerptnotizen in Nb 7c zum Begriff des »Essays« als »Probe«, siehe S. 383, 584. Die beiden Gedichte sind in der vorliegenden Ausgabe zu einem Entwurfkomplex zusammengefasst, Erläuterungen siehe S. 575–594. 94 Siehe Quellendokumentation S. 557–565, zum Montageverfahren siehe S. 93–97. 95 TH1 1886 2r , siehe S. 463. 96 TH1 1886 3r , siehe S. 465. Zu den Quellen siehe S. 565.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
23
Zu den Inseln! Namentlich Kretowsky – Lustort, Lustwort, – Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden auf Sinnlichkeits- und Übersinnlichkeitserwerb! Erster Teil: »Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes,« Zweiter Teil: »Von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen« – Kornschnaps! Das Ende der Dinge Ein Branntweinschluckauf Ultratief.97
Es handelt sich hierbei um ein Kompilat von zuvor in Notizbuch 7c exzerpierten Textfragmenten aus Dostojewskis Die Dämonen (bzw. Mereschkowskis essayistischer Doppelbiografie Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler), Hermann Adalbert Daniels Geografie-Handbuch, den seinerzeit in der Deutschen Rundschau (DR) publizierten Petersburg-Erinnerungen Ferdinand Hillers und den ebenfalls in der DR erschienenen Memoiren Turgenjews.98 Benn hat offenbar in Nb 7c gezielt die auf die »Verwandlung« bezogenen Stellen bei Dostojewski herausgeschrieben und dafür gesorgt, dass die »Verwandlung des physischen Menschen« als Chiffre wiedererkennbar wird, indem er den Wortlaut gegenüber Textvorlage und Exzerpt bei der Übertragung zu Entwurf TH2 StPbg 2r von »Veränderung« zu »Verwandlung« geändert hat.99 Mit der Einmontage des aus Die Dämonen entnommenen Zitats des programmatischen Nihilisten und Selbstmörders Kirilow (»Erster Teil: [. . .] bis zur Verwandlung des physischen Menschen«) reflektiert Benn kurz vor Kriegsende sein eigenes anthropologisches Denkmotiv vor dem literarisch vermittelten, geschichtlichen Hintergrund des russischen Nihilismus (»›Nihilismus‹ [. . .] im alten, russisch-nietzscheschen Sinne«100 ), den Dostojewski mit seiner Krililow-Figur als Typus vorführt.101 97 TH2 StPbg 2r , siehe S. 482. 98 Auf Mereschkowski als Quelle hat bereits Schröder hingewiesen, vgl. Jürgen Schröder: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. Gottfried Benn und Fjodor M. Dostojewski. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 55 (2011), S. 307–323. Für die weiteren Quellen siehe Quellendokumentation S. 557–565. 99 Siehe S. 591. 100 Vorwort zu Ausdruckswelt (1943), SW, IV, S. 342. In Nach dem Nihilismus stellt Benn einen Bezug zwischen Turgenjews Väter und Söhne, St. Petersburg und seinem Geburtsjahr her, siehe S. 585. 101 Bei Dostojewski geschieht dies freilich in kritischer Absicht. Man muss allerdings berücksichtigen, dass Benns Sicht auf die Dostojewski-Figur hier durch Mereschkowskis Rezeption bestimmt ist. Dieser identifiziert Kirilow völlig mit Nietzsche: »Wer sagt das? Wieder Kirilow? Nein, Friedrich Nietzsche. Aber Kirilow wiederholt fast wörtlich: ›Dann wird ein neuer Mensch sein, alles wird neu werden. Die Geschichte wird in zwei Abschnitte geteilt werden: vom Gorilla zur Vernichtung Gottes, von der Vernichtung Gottes bis zur physischen Umwandlung der Erde und des Menschen‹ – das heißt mit anderen Worten: bis zur Erscheinung des gottgewordenen Menschen – des Über-
24
Vorbemerkung
Hierfür spricht auch, dass er im Rahmen seiner Materialsammlung ausgiebig die greifbaren Turgenjew-Quellen exzerpiert hat. Jürgen Schröder hat bereits darauf hingewiesen, dass die ebenfalls Mereschkowski entnommenen Zitate aus Dostojewskis Raskolnikows Schuld und Sühne einen religiösen Schuld- und Erlösungszusammenhang im Sinne Dostojewskis aufzubauen scheinen.102 Mit Sicherheit ist 1945 hiermit im Petersburg-Gedicht die Verantwortungsfrage für ganz Deutschland, aber eben durch die »Verwandlung« auch persönlich, in einer literarischen und geistesgeschichtlichen Dimension gestellt. Wenn man die Parallelstellen zu Raskolnikows Schuld und Sühne in den Texten Persönlichkeit und Oberfläche in die Betrachtung einbezieht, wird allerdings auch deutlich, dass Benn kein so einfaches Schema von Schuld, Bekenntnis und Erlösung vor Augen hatte, wie das Gedicht durch die Klammerung mit der Formel »Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund« nahelegt – er diskreditiert dieses Modell in Persönlichkeit vielmehr als zu einfach und begibt sich auf Ursachensuche bei der »Persönlichkeit« ›des Deutschen‹ einerseits und der ›Ursprungsszene‹ des Nihilismus im »Kabak« andererseits: »Ein Bistro winkt, eine Kaschemme, in Petersburg: ein Kabak. So beginnt es. Kumpane, Fusel, ausschweifende Erzählungen.«103 Weitere systematische Ausführungen zum Entwurfkomplex, auch zur »Zu den Inseln!«-Strophe, siehe S. 575–594, insbesondere S. 590. Die beiden zuletzt von September 1945 bis November 1946 entstandenen ›statischen Gedichte‹, Orpheus’ Tod und Quartär –, nehmen in sehr unterschiedlicher Weise auf die »Verwandlung« Bezug. Das Orpheus-Gedicht ist mit Versatzstücken aus Ovids Metamorphosen montiert, beinahe unauffällig macht Benn Oelze auf den von Voß bezogenen deutschen Titel des das Gedicht strukturierenden Intertexts aufmerksam: »Haben Sie Ovids ›Verwandlungen‹ zur Hand?«104 Aus den Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod geht auch das Quartär-Gedicht hervor, neben den indirekten, intertextuellen Hinweis tritt das Programmgedicht. Statt an dieser Stelle den hoch komplizierten Zyklus auf seine anthropologische These zu analysieren und dem Kommentar vorzugreifen, sollen die »Fussnoten zu umstehendem Gedicht (hochgezüchteter Intellectualität)« für Ilse Kaul genügen. In ihnen erläutert Benn den stark an Edgar Dacqué und Eugen Georg erinnernden, seit 1939 in zahlreichen Briefen und Notizen, durch die Denklinien der Aufsätze menschen.«, Dimitri Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. Eine kritische Würdigung ihres Lebens und Schaffens. Übers. v. Carl von Gütschow. Leipzig: Verlagsbuchhandlung Schulze 1903, S. 255. Zu Mereschkowskis politisch gefärbter Dostojewski-Interpretation siehe auch S. 591, Anm. 167. 102 Schröder sieht hier paradoxerweise gleichzeitig ein religiös geprägtes Schuldeingeständnis Benns und eine moralische »Imitatio Christi«-Entlastungsstrategie, vgl. Schröder: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. 2011, S. 319–321. 103 SW, IV, S. 367. 104 BOelze, II.1, S. 46. Zu den bereits in Das moderne Ich (1919) eingeführten Metamorphosen siehe S. 5, Anm. 13.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
25
Pessimismus, Physik 1943 und Zyklen weiter entwickelten, anthropologischen Hintergrund von Quartär – I: 1) Die Menschheit ist zu Ende, die Erde fertig; die Schöpfung wendet sich neuen Rändern und neuen Verwandlungen zu (eines meiner Grundgefühle in Anbetracht der völlig entleerten, ausgelaugten Rassen u Gehirne) 2) Ptolemäus, ein griechischer Philosoph und Geograph, schuf das erste geographisch-kosmische Weltbild: die Erde im Mittelpunkt. Dies galt bis Copernikus u Galilei –, nun drehte sich die Erde um die Sonne. Alles blödsinnige physikalische Hypothesen. Seelisch blieb bis heute Ptolemäus im Gefühl: der Mensch nahm sich zentral wichtig. 3) Quartär: unser Erdzeitalter, der Mensch, ohne Haarkleid, mit Technik, der Nach-Affe – jetzt vorbei u. zu Ende, s. Nr. 1. [. . .]105
Die anthropologische, gleichwohl hier vermutlich durch eine SchopenhauerRezeption ins Philosophische verschobene Perspektive der »Quartären Zyklen – Szenen« hebelt den »ptolemäischen Traum« eines anthropozentrischen Geschichtsverständnisses aus.106 Benn arbeitete zu dieser Zeit an Der Ptolemäer (1947/49), die ersten Vorarbeiten zu dem Prosa-Text befinden sich zwischen den Entwürfen zu Orpheus’ Tod und Quartär – in den Notizbüchern 11, 12 und 13.107 Dessen bekannte These »Das Quartär geht hintenüber« antizipieren das Gedicht und der im Notizbuch folgende Prosaentwurf zum Ptolemäer.108 Zwei Jahre später, im Juli 1948, wiederholt Benn gereizt in seiner Antwort auf Hans Paeschkes Anfrage um einen Beitrag zum Merkur, dem so genannten Berliner Brief (1948/49), neben Elementen der oben zitierten »Fussnoten« auch Teile seiner anthropologischen Positionen zwischen 1930 und 1935: Die Lage ist bedauerlich, denn neue Elemente sind vorhanden, das Abendland möchte einen neuen Absprung wagen. Es ist für mich kein Zweifel, daß eine zerebrale Mutation im Anzug ist, niedergehalten von allem, was Öffentlichkeit heißt, [. . .] das sind immer neue erschreckende Züge des depigmentierten Quartärs – der Mensch ist etwas anderes, als die vergangenen Jahrhunderte dachten, als sie voraussetzten [. . .]. [. . .], es wird nur noch zwei Typen, zwei Konstitutionen, zwei Reaktionsformen zulassen: diejenigen, die handeln und hochwollen und diejenigen, die schweigend die Verwandlung erwarten, die Geschichtlichen und die Tiefen, Verbrecher und Mönche – und ich plädiere für die schwarzen Kutten. 105 TH2 Quartär 1v , siehe S. 819. Vgl. SW, I, S. 438. 106 Vgl. »[. . .] lass sie Geschichte erzählen«. Das Biegen und Selbst-Erkennen der »Hirne«/»Welt« und der sich selbst anblickende Traum »Gottes« (»Blicke des Spiels, des Spottes«) erscheinen als Verblendungszusammenhang des Spinnennetzes, innerhalb dessen die »Kerne« die »sich erkennende Welt« »züchten«, siehe S. 842–845. Zu Schopenhauer und weiteren möglichen Quellen siehe S. 876. 107 Vgl. SW, V, S. 282. 108 Siehe Nb 13 2v –4r , S. 775–780. Vgl. ebd., V, S. 21.
26
Vorbemerkung Sie sollten nur aus meinen Zeilen entnehmen, daß meine Besorgnis, nicht wieder gedruckt zu erscheinen, keine große sein kann – Mein Nihilismus ist universal, er trägt – er weiß die unausdenkbare Verwandlung.109
1949 bis 1956 1949 ist das Jahr des »Comeback«, die Statischen Gedichte erscheinen im März beim Limes Verlag, es folgen direkt Drei alte Männer, Ausdruckswelt und Der Ptolemäer. Am 6. September führt Benn das Rundfunkgespräch Phase II mit Thilo Koch: »Phase II, nämlich Phase II des expressionistischen Stils, aber auch Phase II des nachantiken Menschen.« »Im Vordergrund« stehen »Stilfragen, im Hintergrund Verwandlungsfragen. [. . .] Wer diese Verwandlungsdichte und diese Verwandlungsnähe mit künstlerischen Mitteln zum Ausdruck bringen will, muß andere Stilprinzipien anwenden«. Die beschleunigte Stilverwandlung bringe als »Stil der Zukunft [hervor:] den Roboterstil, Montagekunst. Der bisherige Mensch ist zu Ende.« Im Rahmen der »Phase II« muss der Stil den Menschen rekonstruieren: Der Mensch muß neu zusammengesetzt werden aus Gedanklichem, aus Redensarten, Sprichwörtern, breit basiert –: Ein Mensch in Anführungsstrichen. Seine Darstellung wird in Schwung gehalten durch formale Tricks, Wiederholungen von Worten und Motiven – Einfälle werden eingeschlagen wie Nägel und daran Suiten aufgehängt. [. . .] Alles bleibt offen. Antisynthetik.110
In Doppelleben, Probleme der Lyrik, Nietzsche – nach 50 Jahren und anderen Texten werden mehrfach kursorisch Verwandlungsthemen angeschlagen, nicht selten als Zitat aus früheren Texten, so auch Phase II.111 Eine zusammenhängende anthropologische Sichtweise ergibt sich nach 1949 unter Bedingungen der Antisynthetik nicht mehr. Einige Gedichte dieser Werkphase zitieren anthropologisch aufgeladene Motive aus früheren Texten, es ergibt sich jedoch auch hier kein einheitliches Bild. So zitiert etwa das Gedicht Nur zwei Dinge Dacqué-Motive aus früheren Texten.112 Das montagehafte Gedicht Kleiner Kulturspiegel (1951) scheint im Sinne der »Phase II« eine Nachaußenwendung des biologischen Menschen durch Triploidisierung des Chromosomensatzes vorauszusehen:
109 SW, V, S. 58–61. Vgl. auch Kommentar ebd., V, S. 377ff. 110 Ebd., VII/1, S. 234, 236, 238. 111 Ebd., V, S. 151, 156, 166, 207, VI, S. 22, 34, 40. 112 Zu den Anspielungen auf Edgar Dacqué in Nur zwei Dinge siehe S. 949. Nur zwei Dinge verarbeitet die charakteristische Motivkonstellation von Was singst du denn – (1927), Wo keine Träne fällt – (1933), siehe ebd. Vgl. zur Tendenz zum Selbstzitat in Benns Spätwerk auch »Selbstzitat und Abschied«, Bernhard Sorg: Das lyrische Ich. Untersuchungen zu deutschen Gedichten von Gryphius bis Benn. Tübingen: Niemeyer 1984, S. 182–187.
Zum anthropologischen Denkmotiv der »Verwandlung« bei Benn
27
Die Zeitalter wechseln langsam, [. . .] (Das Quartär war der nach Innen gewendete Mensch, jetzt kommt der triploide) 66 Chromosomen, Riesenwuchs –, Persönlich unfruchtbar, aber es wird schon werden.113
Der Destille-Zyklus und die Entwürfe zu Bar in Notizbuch 18b nehmen hingegen die Zerfallsthese des Quartär auf (»wo das Quartär zerfällt«),114 der Alkohol lässt das Ich »Schluss« machen und durch das regressive Glühen »von Vor-Quartär und Frühe« kann es sich von Kulturkreis, Wort, Schrift und Höhlenzeichnungen entfernt aufhalten.115 Gleichzeitig stellt Benn in einer Gegenbewegung verstärkt Motive des sich gegen die »Leere« definierenden »Ich« heraus (Reisen, Nur zwei Dinge). Es entsteht der Eindruck, dass Benn während der »Parlando«-Lyrik-Phase mehr am Spiel mit den poetischen Valeurs der »Verwandlung« interessiert ist als an einer konsistenten, auf wissenschaftliche Bezüge aufgebauten Anthropologie.
113 Gottfried Benn: Gesammelte Werke. In der Fassung der Erstdrucke. Hrsg. v. Bruno Hillebrand. 4 Bde. Frankfurt a. M.: Fischer 1982–1986, I, S. 392, die Einweisung einer Strophe laut SW, II, S. 150, 280 wäre autoptisch zu prüfen. Vgl. zu Kleiner Kulturspiegel auch Helmuth Kiesel u. a.: »Zur Schröder-Hymne ein Kaninchenfell!« Die Hymnen-Debatte von 1950–1952 unter besonderer Berücksichtigung von Gottfried Benns Anmerkungen zu Rudolf Alexander Schröders Entwurf für eine neue deutsche Nationalhymne. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.): Geschichtserfahrung im Spiegel der Literatur. Festschrift für Jürgen Schröder zum 65. Geburtstag. Tübingen: Stauffenburg-Verlag 2000 (= Stauffenburg-Festschriften), S. 290–303. 114 Nb 18b 6v, 7r. Siehe S. 959, 960. 115 Auf der Entwurfebene kommt es zu keiner Wechselwirkung zwischen der Erläuterung der Genotyp-Phänotyp Dichotomie (es handelt sich gleichzeitig um ein Blatt des Manuskripts zur Rede im Kolbe-Museum) und dem handschriftlichen Entwurf zum zweiten Zyklusteil. Siehe S. 990, 1004.
Einführung in die Edition Konzeption Die vorliegende genetische Auswahlausgabe von 13 Gedichten Gottfried Benns aus den Jahren 1935 bis 1956 erscheint im Rahmen einer »Textmonografie« und orientiert sich als »horizontale Edition« an den editorischen Prinzipien der critique génétique und den Modellen der diplomatisch verfahrenden, historischkritischen Ausgaben im Kontext der deutschsprachigen Editionswissenschaft.1 Die Auswahledition revidiert die textkritische Grundlage früherer Ausgaben, erweitert die Textbasis um einige nicht publizierte und einige bislang nicht diesen Entstehungskontexten zugeordnete Entwürfe und stellt Texte und Textzeugen in einer die Entstehung konsistent dokumentierenden editorischen Systematik dar. Der für die Benn-Philologie grundlegende editorische Neuansatz einer genetischen, strikt im Sinne einer Archivausgabe dokumentierenden Edition rückt den Schreibprozess und – notwendig damit verknüpft – die Materialität der Textträger ins Zentrum der Aufmerksamkeit des Lesers.2 Durch die 1 Zur Unterscheidung »vertikaler« und »horizontaler« Edition vgl. Pierre-Marc Biasi: Edition horizontale, édition verticale. Pour une typologie des éditions génétiques (le domaine français 1980– 1995). In: Béatrice Didier u. a. (Hrsg.): Editer des manuscrits: archives, complétude, lisibilité. SaintDenis: Presses univ. de Vincennes 1996 (= Manuscrits modernes 10), S. 159–193. Vgl. auch analog paradigmatische und syntagmatische Dimension bei Gunter Martens: Dichterisches Schreiben als editorische Herausforderung. Möglichkeiten und Grenzen der genetischen Textdarstellung in historisch-kritischen Ausgaben. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 103–116, S. 105f. Zum Begriff der »Textmonografie«: Wolfram Groddeck: Über Methode. Entgegnung auf Dietrich Uffhausens Rezension. In: Le pauvre Holterling 3 (1978), S. 35–54, hier S. 53, wieder aufgegriffen als ergänzende philologische Textgattung, welche »die Aufgabe [hat], den durch Faksimile und Umschrift festgehaltenen ›Befund‹ in diskursiver Weise editorisch zu interpretieren«. Gunter Martens: Wie subjektiv darf, wie subjektiv muss eine Edition sein? Probleme der editorischen Deutung von Hölderlins ›letzter Hymne‹ Die Nymphe / Mnemosyne. In: Dieter Burdorf (Hrsg.): Edition und Interpretation moderner Lyrik seit Hölderlin. Berlin et al.: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 10), S. 83– 102, 98f. Die Gattung der Textmonografie ist in der Benn-Forschung bereits seit 1969 eingeführt: Harald Steinhagen orientierte die Auswahl der im Rahmen seiner Dissertation zu edierenden und zu analysierenden Gedichte an den Statischen Gedichten. Vgl. Harald Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. Die Vollendung seiner expressionistischen Lyrik. Stuttgart: Klett 1969 (= Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft 28). 2 Als Hauptmerkmal einer Archivausgabe ist nach Kanzog die von ihr angestrebte »höhere Ebene der Urkundlichkeit« bei der Darstellung der Überlieferung anzusehen. Sie ist um die »exakte Erfassung aller Textphänomene bemüht« und verzeichnet »diese vollständig« unter Vermeidung von Textkontaminationen, um als Grundlage weiterer Untersuchungen dienen zu können. Die aus-
30
Einführung in die Edition
Darstellung der Vorarbeiten und Entwürfe in den Notizbüchern als materialer »Arbeitstopografie«-Kontext wird Benns prozessorientierte Arbeitsweise deutlich. Im Vorfeld des »Werks« sind die Vorarbeiten und ersten Entwürfe noch sehr abhängig vom Schreibkontext, von Motiven aus begleitenden Notizen, aus Briefentwürfen und anderen Schreibprojekten im selben Notizbuch. Gleichzeitig beeinflussen die material durch das Textträgerformat gegebenen Bedingungen die Form der in dieser Arbeitsphase zumeist kurzen Entwürfe bzw. Entwurfsegmente. Die Notizbuch-Arbeiten Benns sind in ihrer Vorläufigkeit nur aus ihrer semantischen und grafischen Verknüpfung mit ihrem lokalen Umfeld heraus verständlich. Die physischen (Re)Montage-Arbeiten an Manuskripten und Arbeitstyposkripten werden in dieser editorischen Form erstmals detailliert rekonstruiert und durch das diplomatische Verfahren, gekoppelt mit Faksimiles, veranschaulicht. Gleichzeitig geht die vorliegende Edition über die Systematik einer rein diplomatisch verfahrenden Archivausgabe3 hinaus und erschließt die oft komplexen, verzweigten Entstehungsprozesse mittels eines Arbeitsphasenbasierten, genetischen Verweissystems für die Rekonstruktion durch den Leser.4 Es sind insbesondere Benns Arbeitsformen in seinen Notizbüchern und den Montage-Manuskripten, die bei näherem Hinsehen die Darstellungslogik von linear gestalteten, kolumnierenden Apparaten problematisch erscheinen lassen und daher – zusammen mit Benns schwieriger Handschrift – eine diplomatische und faksimilierende Darstellung für das Verständnis des Schreibprozesses und die Kontrolle am Befund erforderlich machen.
Allgemeine Prinzipien Textgrundlage und Darstellung Es wird stets die historisch auf dem Textzeugen überlieferte Gestalt des jeweiligen Textes dokumentiert. Bei Handschriften und Typoskripten wird der Befund durch eine diplomatische Umschrift mit materialer Schichtdifferenzierung wiedergegeben, hinzu kommt, wo möglich und sinnvoll, das Faksimile des Textträgers. Es werden keine Lesetexte konstituiert, Druckfassungen werden auch mit offensichtlichen Satzfehlern wiedergegeben und in die Chronologie eingeordnet. Es findet keine Emendation, Modernisierung oder Normalisierung der Texte statt. gewertete Textgrundlage bildet das gesamte überlieferte, autorisiert gedruckte und handschriftliche Archivmaterial. Klaus Kanzog: Einführung in die Editionsphilologie der neueren deutschen Literatur. Berlin: Erich Schmidt 1991 (= Grundlagen der Germanistik 31), S. 181, ders.: Prolegomena zu einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke Heinrich von Kleists. Theorie und Praxis einer modernen Klassiker-Edition. München: Hanser 1970, S. 15–23. 3 Vgl. etwa Bertolt Brecht: Notizbücher 24–25 (1927–1930). Hrsg. v. Peter Villwock u. a. 14 (gepl.) Bde. Bd. 7. Berlin: Suhrkamp 2010. 4 Systematik siehe S. 38–45.
Allgemeine Prinzipien
31
Veränderungen des Textstands erfolgen ausschließlich durch das Unkenntlichmachen der Namen von Personen, deren Persönlichkeitsrechte zu schützen sind. Bei Textverlust durch Beschädigung werden – wo möglich – verlorene Wortbestandteile als Konjektur angegeben, um die Entzifferungshypothese für den erhaltenen Wortteil verständlich zu machen. Verschliffene, in der Handschrift nicht erkennbar realisierte Graphen werden petit angezeigt.
Anordnung der Texte Die Ausgabe stellt die Textträger in chronologischer Folge der Niederschrift, Herstellung bzw. Veröffentlichung dar. Alle Textzeugen werden in der originalen Blattordnung belassen, um den materialen Schreibkontext, die Arbeitstopografie, im Zusammenhang lesbar zu machen.5 Der materiale Zusammenhang des Textentstehungsprozesses wird bei den sogenannten »Entwurfkomplexen« auch in der editorischen Darstellung bewahrt – sie werden als zusammenhängendes dossier génétique aufgefasst und dargestellt. Der Text der Handschriften und Typoskripte wird in Form diplomatischer Umschriften dokumentiert, in der Regel begleitet durch ein Faksimile. Es gibt keine darstellungstechnisch bedingten Wiederholungen desselben Texts. Die textgenetische Erschließung der Texte erfolgt durch den genetischen Verweisapparat und die sequenzierte Übersicht. Die Textträger werden wie folgt sigliert. Die Nummerierung der Notizbücher folgt wie in den Sämtlichen Werken der Bezeichnung des Handschriften-Katalogs des DLA Marbach.6 Handschriften, Typoskripte, Typoskriptdurchschläge, Druckfahnen und Drucke werden chronologisch nummeriert. Nb 11b H1, H2 OrphTod TH1, TH2 OrphTod
Notizbuch, Notizkalender, Tagebuch. Handschrift. Typoskript mit hs. Zusätzen oder hs. beschr. Blättern.
5 Zum Begriff der »Arbeitstopografie« vgl. Thorsten Ries: Notizbuchexperimente. Strategien der Textproduktion in Gottfried Benns ›Arbeitsheften‹. In: Hrsg. v. Matías Martínez. Göttingen: Wallstein 2007, S. 203–230, S. 209–212. Um einen möglichst genauen Eindruck vom textgenetischen Zusammenhang der Entwürfe mit ihrem lokalen Umfeld zu vermitteln, werden für die Textdarstellung der Notizbücher möglichst großzügige, zusammenhängende Abschnitte ausgewählt. Diese enthalten – beabsichtigterweise – sowohl direkt relevante Entwürfe als auch lose assoziiertes Textmaterial, unverbundene Notizen und Entwürfe zu anderen Texten. Während der Vorarbeiten-Phase müssen auch umgebende Notizen als potenziell relevant gelten, weil sie im Laufe des Schreibprozesses zum »Scharnier« zu einer Weiterführung des Textes werden könnten, weitere Begründung siehe S. 83. Allerdings werden die Notizbücher nicht vollständig in die Edition integriert (zur Begründung siehe S. 106). Nicht beschriebene Seiten werden nicht reproduziert, in einigen Fällen wurden bei stark über ein Notizbuch verstreuten Entwürfen thematisch nicht verbundene Passagen nicht aufgenommen. 6 Die Bezeichnung »Notizbuch« ersetzt in dieser Edition die archivalische Sammelbezeichnung »Arbeitsheft«, vgl. auch SW, passim. »Arbeitsheft 9« wird also entsprechend »Notizbuch 9« benannt. Zur Begründung siehe S. 106.
32
Einführung in die Edition
TdH1, TdH2 OrphTod DrF1, DrF2 OrphTod D1, D2 OrphTod
Typoskriptdurchschlag mit hs. Zusätzen oder hs. beschr. Blättern. Druckfahne. Drucke.
Dokumentation und Kommentierung Materiale Dokumentation der Textträger, umfassende textgenetische Sequenzierung der Textstufen und Arbeitsphasen (»Überlieferung und Chronologie«), Überblickskommentar (»Entstehung und Druckgeschichte«) und ergänzende Hinweise zum Kontext werden systematisch getrennt.7
Textdarstellung Jede Seite der Ausgabe, welche editorischen Text wiedergibt, ist gegliedert in a) eine Kopfzeile, in welcher jeweils auf der rechten Seite die genetischen Siglen und die exakte Bezeichnung der abgebildeten Materialseite angegeben werden, b) die diplomatische Umschrift des Materials bzw. die Wiedergabe des Druckes und c) bei Manu- und Typoskripten den textgenetischen Verweisungsapparat am unteren Rand des Satzspiegels. Dieser erschließt den Text der diplomatischen Umschrift nach Arbeitsphasen durch Verweise auf die chronologisch vorangehenden beziehungsweise nachfolgenden Textstufen und Arbeitsphasen. Auf diese Weise können sich Leserinnen und Leser leicht die Chronologie entweder mittels des textgenetischen Verweisungsapparats und der Nennung der genetischen Siglen in den Kopfzeilen von Entwurf zu Entwurf erblättern oder durch die sequenzierten Übersichten erschließen.
Diplomatische Umschrift: Notizbücher, Manuskripte, Typoskripte Die diplomatische Umschrift gibt die texträumliche Konstellation auf dem Blatt näherungsweise in typografischer Form wieder. Der grafische Befund wird nicht in allen Aspekten reproduziert, sondern in ein analytisches System der typografischen Textwiedergabe mit editorischen Zeichen übersetzt. Dieses Zeichensystem soll in möglichst zugänglicher Weise die grafische Schrift-Konstellation auf dem Textträger und die materiale, chronologische Schichtung der Handschriftenseite transparent darstellen. Handschriftliche Graphen werden in einer serifenlosen Schrift (serifenlose Linear-Antiqua) wiedergegeben, maschinenschriftliche und gedruckte Texte in
7 Auf diese Weise wird eine analytische »Bevormundung des Lesers« vermieden. Vgl. Gunter Martens: Kommentar: Hilfestellung oder Bevormundung des Lesers? In: editio 7 (1993), S. 26–50.
Textdarstellung
33
einer Schrift mit Serifen (frz. Renaissance-Antiqua).8 Schreibgeräte und – soweit eindeutig unterscheidbar – auch Schreibstoff werden in der Umschrift differenziert und im genetischen Verweisapparat ausgewiesen, kursive Maschinenschrift wird entsprechend kursiv wiedergegeben. Streichungen und Unterstreichungen in der Handschrift werden typografisch wiedergegeben, Einweisungen und Segmentierungsstriche grafisch ähnlich reproduziert. ›Fremde Hände‹ in der Handschrift werden kursiviert wiedergegeben, sofern sie innerhalb des Entstehungskontexts anzusiedeln sind.9 Nicht alle Eigenschaften der Handschrift, welche in grafischer Relation zueinander als indexikale Zeichenstrukturen die absolute und relative Chronologie erschließen lassen, sind typografisch nachzubilden.10 Für die genetische Interpretation des handschriftlichen Befundes ist der Leser zusätzlich auf das Faksimile angewiesen.11 Gekrümmte Zeilenverläufe etwa werden linearisiert, unterschiedliche bzw. wechselnde Graphenhöhe und Laufweite der Handschrift typografisch normalisiert.12 Die Textverteilung auf der Seite, die räumliche Relation von Zei8 Es wäre freilich möglich gewesen, auch die Typoskripte noch durch eine die Schreibmaschinentype imitierende Schriftart zu ersetzen, vgl. z.B. Peter Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. Berlin: Suhrkamp 2010. url: http://www.suhrkamp.de/brecht/bertolt_brecht_ notizbuecher_einfuehrung_559.html (besucht am 27. Jan. 2013), S. 88f. Diese Differenzierung allerdings wäre analytisch irreführend, weil sowohl der maschinenschriftliche als auch der Druckbefund typografisch linearisiert sind und beide nicht auf die Hand des Schreibers zurückzuführen sind. Es erscheint auch nicht sinnvoll, ausgerechnet die Type der Schreibmaschine editorisch nachahmen zu wollen, wenn die diplomatische Umschrift in anderen Aspekten eher die Differenz von Befund und transkribierender Übersetzung betont. Die Differenzierung ist überdies nicht notwendig, weil Maschinenschrift und Druck nirgends auf demselben Textträger vorkommen. Etwa von Benn erbetene Korrekturen Oelzes. Nicht wiedergegeben werden dagegen erst im 9 Archiv aufgebrachte Paginierungen oder Archivsiglen. 10 Zur Diplomatik als Übertragung in ein alternatives, notwendig mit Informationsverlust behaftetes Schriftsystem vgl. Villwock: »Absicht kann es nicht sein, eine der Individualität der Vorlage vollständig entsprechende Kopie (ohne Informationsverlust) herzustellen. Das wäre eine redundante Reproduktion der Reproduktion, bloße Verdopplung.« Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. 2010, S. 84. Vgl. auch Roland Reuß: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ›Textgenese‹. In: Text.kritische Beiträge 5 (1999), S. 1–25. Zur Kritik einer Auffassung von Diplomatik, welche die Ablösung des Textes vom Textträger als editorische Hauptaufgabe aus den Augen verliert vgl. Rüdiger Nutt-Kofoth: Abmalen vs. Lesen oder Handschriftentranskription vs. Textedition. Zwei neue Grimm-Briefausgaben als Konkurrenzunternehmen. In: IASL Online, 8. Jan. 2002. url: http://www.iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=2303 (besucht am 27. Jan. 2013), Par. 14. 11 Dies betrifft insbesondere die Unterscheidung von Ansätzen, gebundenen und ungebundenen Varianten, Sofort-, Bald- und Spätkorrekturen. Zum ›Sedimentcharakter‹ des stillgestellten grafischen Befundes als Zeugen des Entstehungsprozesses vgl. Almuth Grésillon: Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben. In: Wolfgang Raible (Hrsg.): Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Schreibprozesse. Elf Aufsätze zum Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Tübingen: Narr 1995 (= ScriptOralia 72), S. 1–36, hier S. 15, vgl. auch Stephan Kammer: Reflexionen der Hand. Zur Poetologie der Differenz von Schreiben und Schrift. In: Davide Giuriato u. a. (Hrsg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur. Frankfurt a. M.: Stroemfeld 2006 (= nexus 71), S. 131–161, hier S. 135. 12 Diese Linearisierung und Normalisierung dient einerseits dazu, den Zeilenzähler am Seitenrand für den Leser eindeutig zu gestalten. Zum anderen wird so das Problem unbeabsichtigter opti-
34
Einführung in die Edition
len zu möglichen Varianten und Neuansätzen, die Nutzung des Schreibraums und Wechsel des Schreibgeräts sind in der diplomatischen Umschrift ersichtlich. Zeilenausweichungen, Textdrängungen, Schrift- und Duktuswechsel hingegen muss der Leser am Faksimile ablesen. Überschreibungen und Einbesserungen erfordern in der diplomatischen Umschrift eine Abweichung vom Prinzip der Reproduktion der texträumlichen Verhältnisse. Mit den entsprechenden editorischen Zeichen werden die sich in der Handschrift überlagernden Graphen nebeneinander dargestellt. Bei einfachen Überschreibungen wird die Schichtung durch Hochstellung und normale Type zwischen hochgestellten eckigen Klammern angezeigt (»[Schicht 1 Schicht 2] «).13 Bei mehrfachen Überschreibungen, welche die diplomatische Umschrift texträumlich sprengen würden, werden Schichtindizes vergeben, anhand derer unterhalb der Umschrift die Schichtung aufgelöst angezeigt wird. Verschliffene Graphen werden petit gesetzt. Textverlust, restituierende Konjekturen und aufgelöste Kurzschrift-Zeichen wie Benns gelegentlich verwendetes stenografisches ›gegen‹ und die Paraphe werden in spitzen Klammern angegeben. Namen von PatientInnen in Benns Notizbüchern werden unkenntlich gemacht – in der Umschrift erscheint ein kursives Auslassungszeichen. In Benns Handschrift übliche Abkürzungen wie das ›u‹ für ›und‹ werden belassen und nicht aufgelöst. Unsichere Entzifferungen werden durch einklammernde hochgestellte Fragezeichen angezeigt.14 Grafische Zeichen, welche für Text-Operationen stehen (Einweisungs- und Abteilungsstriche, Streichungen, Markierungen), werden in Relation zum Text ähnlich wiedergegeben. Zeichnungen und ›Kritzeleien‹ werden in der Umschrift scher Betonungen bei der typografischen Reproduktion grafischer Gewichtung in der Handschrift vermieden. Vergrößerte oder horizontal gestreckte Type wirkt im Schriftbild immer wie Fettdruck, da Haar- und Schattenstrich mit vergrößert werden. Eine solche Betonung wäre mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Fassungen und Varianten nicht vereinbar, vgl. Siegfried Scheibe: Zum editorischen Problem des Textes. In: Norbert Oellers u. a. (Hrsg.): Probleme neugermanistischer Edition. Berlin: Erich Schmidt 1982 (= Zeitschrift für deutsche Philologie Sonderheft 101), S. 12–29, hier S. 28. Das Prinzip der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller Varianten wird bereits bei Backmann vertreten, vgl. auch den Hinweis bei Nutt-Kofoth. Vgl. Reinhold Backmann: Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter. In: Euphorion 25 (1924), S. 629–662, hier S. 637, Rüdiger Nutt-Kofoth: Schreiben und Lesen. Für eine produktions- und rezeptionsorientierte Präsentation des Werktextes in der Edition. In: ders. (Hrsg.): Text und Edition. Positionen und Perspektiven. Berlin: Erich Schmidt 2000, S. 165–202, hier S. 176. 13 Die Notation für Überschreibungen zeigt gemäß den Grundsätzen einer diplomatischen Umschrift genau die texträumliche Tatsache an, dass die Graphen zwischen den Klammern denselben Raum auf dem Textträger einnehmen. Vgl. zur Begründung der notwendigen analytischen Entzerrung von Überschreibungen in der diplomatischen Umschrift auch Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. 2010, S. 86. Einfaches, invariantes Nachzeichnen von Graphen zur Verdeutlichung, also teilweises oder vollständiges Überschreiben durch denselben Buchstaben, wird nicht transkribiert. 14 Zweifellos ist Villwock zuzustimmen, dass jede Transkription letztlich nur einen Entzifferungsvorschlag darstellt. Gleichwohl kann auf die Unsicherheitsmarkierung zumindest hier in einigen wenigen Zweifelsfällen nicht verzichtet werden, wie von Villwock gefordert, vgl. ebd., S. 85.
Textdarstellung
35
nicht wiedergegeben, sondern durch einen Platzhalter ersetzt, da der damit belegte Textraum die Schrift verdrängt, das Gezeichnete meist jedoch nur in ihrem grafischen Bezug auf die umliegenden Zeilen sinnvoll zu deuten ist.15 Serifenlose grau Serifenlose grau fett
Frz. Ren.-Antiqua Serifenlose kursiv
Bleistift; Sigle im Verweisungsapparat: Bl. Buntstift; Siglen im Verweisungsapparat: rBu: roter, gBu: grüner, bBu: blauer Bst. Tinte (schwarz); Sigle: Ti. Kugelschreiber, andere Tinte; Siglen: bTi: blaue Tinte, bKu: blauer Kugelschreiber. Maschinenschrift, Sigle: Ms; Druck. Fremde Hand.
Gestrichen [Hoch Einge] klammert [α,β,γ Einge] klammert Hochg. Windkee l Unterstrichen
Streichung. Überschreibung bzw. Umschreibung. Mehrfache Überschreibung, Schichtindex. Einbesserung. Unterstreichung.
Serifenlose petit hochg. ? Fragezeichen? h. . .i, Konjhekturi hGBi / G.B. [...]
Verschliffene, nicht realisierte Graphen. Unsichere Entzifferung. Textverlust, Konjektur. Aufgelöste Kurzzeichen; Paraphe vs. Initialen. Auslassung durch Herausgeber.
Serifenlose schwarz Serifenlose dunkelgrau fett
Drucke Die Wiedergabe der Drucke folgt dem Textstand des historischen Dokuments, gibt also auch Satz- und Druckfehler wieder. Emendationen und Modernisierungen finden nicht statt, auch Eigenheiten des Druckbildes, etwa Kursivsatz, werden übernommen. Drucke werden nicht diplomatisch wiedergegeben, im Sinne der üblichen Darstellung von Lyrik-Texten in Editionen wird der Zeilenzähler durch einen Verszähler ersetzt.16 Weist ein Druck besondere, möglicherweise be15 Diese Konsequenz ist u.a. aus der beeindruckenden Studie Sabine Mainbergers zu den Programmzeichnungen Musils und deren »epistemischen Leistungen« zu ziehen. Sabine Mainberger: Schreiben, Zeichnen, Denken. Zu vier Skizzen Robert Musils aus dem Nachlaß zum Mann ohne Eigenschaften. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 130 (2011), S. 217–244, S. 218, 241–244. 16 Das bedeutet, dass bei Drucken der Titel nicht gezählt wird. Es werden folgende behutsame Vereinheitlichungen des Druckbildes vorgenommen: Titel von Drucken werden in Kapitälchen wiedergegeben, Anführungszeichen im Gedichttext als französische Anführungen. Im OriginalDruck eindeutig wegen Erreichen der Satzspiegelgrenze umgebrochene Zeilen werden als ein Vers wiedergegeben und gezählt.
36
Einführung in die Edition
deutungstragende Seitenumbrüche auf, etwa an den Grenzen von Zyklusteilen, so werden diese entsprechend wiedergegeben.
Blatt- und Zeilenangaben Innerhalb der Edition wird nach archivalischer Blattzählung (Foliierung) referenziert. Generell werden bei Manu- und Typoskripten die Zeilen auf dem Textträger je Seite gezählt und nummeriert.17 ›Leere Zeilen‹ werden nicht gezählt. Sofern die Graphen einen typografisch umsetzbaren Schriftcharakter haben, etwa Kreuze oder parallel zur Grundlinie geführte Segmentierungsstriche, werden sie ebenfalls als Zeile gezählt. Bei Drucken werden die Gedichtzeilen konventionell nach Versen nummeriert, beginnend mit der ersten Gedichtzeile.18 Nb 18b 23r H3 OrphTod 4v 1–5
Blattangabe, lies: »Blatt 23 recto« Blatt- und Zeilenangabe, lies: »Blatt 4 verso, Zeile 1 bis 5«
Faksimilierung Der diplomatischen Umschrift wird jeweils auf der gegenüberliegenden Buchseite das Faksimile der Textträgerseite beigegeben.19 Ausnahmen von dieser Regel sind Fälle, in denen keine Fotografie des Originals angefertigt werden kann20 bzw. in denen bei Typoskripten keine handschriftlichen Korrekturen vorliegen. Die Beigabe des Faksimiles dient einerseits der Befundkontrolle durch den Leser, andererseits sind sie für die textgenetische Lektüre unabdingbar, da die diplomatische Umschrift nicht alle Aspekte des materialen Befundes wiedergibt. Die Faksimiles sind proportional auf die Größe des Satzspiegels skaliert. Die genauen Maße des Originals sind der jeweiligen Textträger-Dokumentation zu entnehmen. Die Faksimile-Reproduktionen der Recto- und Verso-Seite eines Blatts liegen entsprechend im Druck ebenfalls auf der Vorder- und Rückseite der jeweiligen Buchseite. Die Reproduktion als Faksimile ist ein geeignetes Mittel zur Vermittlung nicht transkribierbarer Aspekte des handschriftlichen Befundes. Sie ersetzt 17 Die Nummerierung der Zeilen erfolgt nach räumlicher Anordnung auf dem Blatt von oben nach unten und links nach rechts. In Zweifelsfällen gibt die wahrscheinliche Schreibreihenfolge den Ausschlag. 18 Die Verszählung bei Drucken erleichtert vor allem das Zitieren und den Vergleich mit den edierten Texten anderer Ausgaben. 19 Die Entscheidung für eine s/w-Reproduktion des Befundes ist pragmatisch mit Blick auf den im Buchmedium guten Kontrast getroffen worden. Der Aspekt analytischer Differenz in der Anmutung, den Villwock anführt (»weil so die Illusioneines orginialgetreuen Faksimiles gar nicht erst entstehen kann«), war hier sekundär. Vgl. Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. 2010, S. 82. 20 H1, H2 Orpheus’ Tod, beide Privatbesitz, siehe S. 749, 750–751.
Faksimilierung
37
jedoch nicht das Original21 und dient auch nicht etwa der »fetischistischen Überhöhung der Schreibspuren«.22 Um den Text im Rahmen einer Ausgabe reproduzierbar zu machen, wird er von seiner Überlieferungsgrundlage abgelöst. Dies gilt für den ›Text‹ wie für jede bildliche Reproduktion des konstitutiv abwesenden Textträgers. Dieser ist ebensowenig durch eine historisch-kritische Ausgabe einholbar wie der Moment der Entstehung durch eine textgenetische Edition wiederholbar oder simulierbar ist. Hierbei ist stets zu bedenken, dass Faksimiles lediglich technisch sehr gute Kompromisse darstellen, welche die Materialität des Originals nur in gewissen Grenzen adäquat wiedergeben.23 So lassen sich anhand von Faksimiles Überschreibungen und deren Reihenfolge nicht so exakt feststellen wie es oft anhand des Originals möglich ist. Auch die spezifisch materialen Aspekte einer Handschrift, z.B. Wasserzeichen, Abklatsche, Durchdrückungen, Rasuren, Falz- oder Montagespuren, werden sich im Faksimile nie so genau abzeichnen wie am Original. Einzigartige Eigenschaften wie zum Beispiel die chemische Zusammensetzung von Tinten oder des Papiers sind nur am Original analysierbar.24 Bei diesen Aspekten wird in Editionen grundsätzlich immer Kommentierungsbedarf bestehen. Ein gutes Beispiel, bei dem ausgerechnet die »Materialität« des Textträgers das Faksimile als Argumentationsgrundlage entwertet, findet sich in den beiden ersten Zeilen der Notizbuchseite auf Nb 4a 12r (siehe Abb. 1). Während die Wörter »Astern – ewige Tage« und auch das Wort »mytische« noch recht gut 21 Die Kombination von Faksimile und Umschrift stellt die derzeit größtmögliche editionstechnische Annäherung an die von Hans Zeller geforderte Rekonstruierbarkeit des handschriftlichen Befundes dar, vgl. Hans Zeller: Zur gegenwärtigen Aufgabe der Editionstechnik [1958]. In: Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition. Hrsg. v. Rüdiger Nutt-Kofoth. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 1), S. 194–214, hier S. 200. 22 Kammer: Reflexionen der Hand. 2006, S. 138. Vgl. auch Sonja Neef: Abdruck und Spur. Berlin: Kadmos 2008, S. 31 sowie Almuth Grésillon: Literarische Handschriften im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Von der Mimesis zur Simulation. In: Gerhard Neumann u. a. (Hrsg.): Mimesis und Simulation. Freiburg i.B.: Rombach 1998, S. 255–275: »Faksimiles [. . .] als Weg zur Aura des Textes«. Siehe auch, eindeutiger im Sinne von Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz, Sophia Vietor: Astralis von Novalis. Handschrift – Text – Werk. Würzburg: Königshausen und Neumann 2001, S. 24: »Nur Originale tragen Erinnerungs-Spuren – kein Faksimile kann die ›Aura‹ dieses einzigartigen Schriftstücks ersetzen. Auch wenn die Handschrift eines Schriftstellers kein ›Kunstwerk‹ sein will, sondern nur die materielle Seite des Textes fixiert, kann sie als ›Original‹ betrachtet werden. Im Gegensatz zu Drucken und ihrer Verbreitung als Massenware existiert die Handschrift nur einmal. Sie wurde vom Autor an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit geschrieben und überliefert Daten, die durch keine Reproduktion ersetzt werden können.« 23 Siehe S. 59–65, vgl. auch Thorsten Ries: »Materialität«? Notizen aus dem Grenzgebiet zwischen editorischer Praxis, Texttheorie und Lektüre. Mit einigen Beispielen aus Gottfried Benns ›Arbeitsheften‹. In: Martin Schubert (Hrsg.): Materialität in der Editionswissenschaft. Berlin et al.: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 32), S. 159–178, zur Geschichte der Reprografie in der Editorik vgl. Wolf Kittler: Literatur, Edition und Reprographie. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 65 (1991), S. 205–235, zur Rolle der Faksimilierung innerhalb der critique génétique vgl. Grésillon: Literarische Handschriften im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Von der Mimesis zur Simulation. 1998. 24 Marianne Bockelkamp: Analytische Forschungen zu Handschriften des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel der Heine-Handschriften der Bibliothèque Nationale Paris. Hamburg: Hauswedell 1982.
38
Einführung in die Edition
Abbildung 1: Ausschnitt Nb 4a 12r oben, Entwurf zu Astern.
zu lesen sind, ist die Alternativvariante »seltsame« darüber selbst in starker Vergrößerung auf der digitalen Fotografie kaum zu erkennen, obwohl es auf der Originalhandschrift gut lesbar ist.25 Auf dem digitalen Foto ist es nicht eindeutig entzifferbar – lediglich ›selt‹ oder ›selb‹ ist erkennbar. Der Grund dafür sind an dieser Stelle haftende Reste eines Klebestreifens oder beschichteten Papiers, die Benn überschrieben hat. Die anders reflektierende Oberfläche macht die Bleistiftspur an dieser Stelle auf dem Bild fast unlesbar.
Textgenetische Erschließung Verweisapparat zur diplomatischen Darstellung Die diplomatische Darstellung wird textgenetisch erschlossen durch einen arbeitsphasenbasierten Verweisapparat, der dem Leser als Orientierung in der Chronologie des dossier génétique dient. Er ordnet die materiale und Arbeitsphasen-Schichtung der Entwürfe auf der jeweils aufgeschlagenen Seite in chronologischer Folge an und verweist von dort auf die Siglen der vorangehenden und folgenden Entwürfe bzw. deren Arbeitsphasen. Der Apparat ist separiert von der diplomatischen Umschrift am unteren Rand des Satzspiegels angebracht, um Textbefund und genetische Analyse editionssystematisch zu entflechten.26 Zeilenverbände von Entwürfen, Teilentwürfen und Vorarbeiten werden mit einer chronologisch nummerierten, textgenetischen Grundsigle in eckigen Klammern bezeichnet und gegenüber dem Zeilenzähler der diplomatischen Umschrift referenziert. Die Sigle zeigt die chronologische Position des Entwurftexts im Verhältnis zu anderen Entwürfen bzw. Textstufen innerhalb des Textträgers an, 25 In den Sämtlichen Werken lautet die Entzifferung dieser Stelle fälschlich »Astern – [ewige, schwälende, ungleiche] Tage«, SW, VII/2, S. 415, statt richtig »Astern – [ewige, seltsame, mytische] Tage«, siehe Abb. 1 und S. 156. Die Entzifferung dieser Handschriftenseite in den Sämtlichen Werken enthält noch weitere, durch Vergleich der Textkonstitutionen leicht ersichtliche Verlesungen. 26 »Entflechtung von räumlichem Befund und zeitlicher Deutung« ist auch bei der Ausgabe von Brechts Notizbüchern eine wesentliche systematische Leitlinie, vgl. Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. 2010, S. 85. Zur Kritik der tendenziellen dimensionalen Überfrachtung synoptischer Apparate vgl. auch Almuth Grésillon: Bemerkungen zur französischen »edition génétique«. Möglichkeiten und Grenzen der genetischen Textdarstellung in historisch-kritischen Ausgaben. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 52–64, hier S. 54.
Textgenetische Erschließung
39
ohne zunächst selbst eine Werktext-Zuschreibung vorzunehmen. Sigliert wird nach folgendem Schema: Nb 1: [1.1], [1.2], [1.3] . . .Nb 2: [2.1], [2.2], [2.3] . . . H1: [3.1], [3.2] . . .H1: [4] TH1: [5]
Mit dieser Referenzierung als zum Werkkomplex gehöriger Text geht eine editorisch notwendige, heuristisch allerdings immer schon fragwürdige Interpretation einher. Peter Villwock hat das Problem für Bertolt Brechts Notizbücher folgendermaßen formuliert: Die Texteinheiten der Notizbücher werden ohne spezifische Differenzierung ›Aufzeichnung‹, ›Eintragung‹, ›Notat‹ oder ›Notiz‹ genannt und, wo es sinnvoll und möglich erscheint, als ›Stichwort‹, ›Konzept‹, ›Entwurf‹ o. ä. charakterisiert [. . .]. Während bei letzteren Bestimmungen die unvermeidliche Subjektivität der Begriffswahl für den Leser offensichtlich ist, erscheint die allgemeine Benennung der Notizbucheinheiten zunächst objektiv und problemlos zu sein. Dies ist aber nicht so. Die Definition dieser Einheiten: ihre Abgrenzung voneinander und, damit direkt zusammenhängend, ihre innere Strukturierung ist oft nicht evident, oft auch unmöglich.27
Man mag dieser starken Formulierung (»unmöglich [. . .]«) vielleicht nicht vollkommen zustimmen. Deutlich wird in Villwocks Ausführung allerdings, dass es sich schon bei der Abgrenzung von »Notizbucheinheiten« und Entwürfen um eine so eingreifende editorische Interpretation handelt, dass ihre Definition – wie in der vorliegenden Edition – nicht im Bereich des diplomatisch umgeschriebenen Texts, sondern davon separiert im genetischen Verweisapparat zu erfolgen hat.28 Allein die Frage »Wo beginnt der Anfang?«, nach der editorischen Bestimmung des ›ersten Entwurfs‹, der ›ersten Notiz‹, ist für Benns Notizbücher oft ebensowenig eindeutig zu klären wie diejenige nach dem »qualitativen Wechsel« bei Paul Celans das Gedicht vorbereitenden Lektürenotizen.29 27 Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. 2010, S. 51. 28 Zur zugrunde liegenden Problematik der editorischen Unterscheidbarkeit von ›Stichwort‹, ›Vorstufe‹, ›Fragment‹ vgl. Wolfram Groddeck: ›Vorstufe‹ und ›Fragment‹. Zur Problematik einer traditionellen textkritischen Unterscheidung in der Nietzsche-Philologie. In: Martin Stern (Hrsg.): Textkonstitution bei mündlicher und schriftlicher Überlieferung. Tübingen: Niemeyer 1991 (= Beihefte zu editio 1), S. 165–175; ders.: »Und das Wort hab’ ich vergessen«. Intertextualität als Herausforderung und Grenzbestimmung philologischen Kommentierens, dargestellt an einem Gedicht von Heinrich Heine. In: Gunter Martens (Hrsg.): Kommentierungsverfahren und Kommentarformen. Tübingen: Niemeyer 1993 (= Beihefte zu editio 5), S. 1–10; Günter Dammann: Theorie des Stichworts. Ein Versuch über die lyrischen Entwürfe Georg Heyms. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München: Beck 1971, S. 203–218. 29 Vgl. Sandro Zanetti: Wo beginnt der Anfang? Lektürenotizen – erste Gedichtentwürfe bei Paul Celan. In: Hubert Thüring u. a. (Hrsg.): Anfangen zu schreiben. Ein kardinales Moment von Textgenese
40
Einführung in die Edition
Die genetischen Grundsiglen werden im Verweisapparat definiert und mittels Zeilenangabe und Benennung des Schreibstoffs bzw. des Schreibgeräts (materiale Textschicht) des Zeilenverbands referenziert.30 Werden innerhalb eines Verbandes mehrere Textschichten oder Arbeitsphasen unterschieden, erhält die genetische Sigle zusätzlich einen chronologisch zählenden Arbeitsphasen-Index innerhalb der Klammer (»[1.11 ]«, »[1.12 ]« usw.).31 Handelt es sich um einen seitenübergreifenden Verband, werden dessen Abschnitte nach Seiten durch tiefgestellten alphabetischen Index außerhalb der Klammer angezeigt (»[1.1] a «, »[1.1] b « usw.). Da sich der Verweisapparat immer auf derselben Seite befindet wie die zu referenzierende Umschrift, genügen in der Regel Zeilen- und materiale Schichtangabe zur eindeutigen Bezeichnung (z.B. »[1.21 ] a : 1–9Ti «, »[1.22 ] a : 2, 5Bl « usw.). Diese Differenzierung nach Arbeitsphasen bzw. materialen Textschichten ist nicht zu verwechseln mit einer Verzeichnung von Versstufen und Korrekturfolgen von Einzelstellen. Es handelt sich nicht um ein zeilengenau die Textstufen gegeneinander abbildendes Verweissystem – es werden Zeilenverbände bzw. deren Schichten als Ergebnisse von Schreibereignissen chronologisch aufeinander verwiesen.32 Die »absolute Chronologie« der jeweiligen Handschriftenseite,33 und Schreibprozeß im literarischen Archiv des 20. Jahrhunderts. München: Fink 2009 (= Zur Genealogie des Schreibens 11), S. 215–237, hier S. 218, Zitat aus Celans Brief an Hans Bender, 18. November 1954, ebd. Vgl. auch Axel Gellhaus: Wortlandschaften. Konzeption und Textprozesse bei Celan. In: Axel Gellhaus u. a. (Hrsg.): »Qualitativer Wechsel«. Textgenese bei Paul Celan. Würzburg: Königshausen und Neumann 2010, S. 11–68. Vgl. dort auch die konzeptionell nachvollziehbare, gleichwohl nicht ganz unproblematische Unterscheidung von »Textgenese« und »Konzeptgenese«, ebd., S. 67. 30 Der Begriff »Textschicht« wird hier eng gefasst als material eindeutig durch Schreibwerkzeug und Schreibstoff identifizierbare Textschicht. Vgl. hierzu den weiteren Begriff Zellers, welcher auch die stärker deutungsbedürftigen Kriterien der Schreiberhand und des Duktus berücksichtigt. Vgl. Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Hans Zeller u. a. 15 Bde. Bern: Benteli 1958–1996, 2, S. 101. Als Schreibgerätesiglen werden verwendet »Bl[eistift]«, »Bu[untstift]«, »Ku[gelschreiber]«, »Ti[nte/Füllfederhalter]«, »Ma[schinenschrift]«, ggf. ergänzt durch Eigenschaften wie »gBu« für grünen Buntstift oder »kMa« für kursive Maschinenschrift. 31 Die materialen Textschichten (Schreibgerät, Schreibstoff) bzw. Schichten nach der Definition Zellers, welche den Duktus mit einbezieht, sind ein gutes, aber doch lediglich ein Indiz für einen Arbeitsphasen-Zusammenhang. Mitunter kann beispielsweise eine scheinbar geschlossene BleistiftTextschicht aus mehreren Arbeitsphasen zusammengesetzt sein, zum Beispiel Nb 4a 12r . Siehe rekonstruierende Diskussion S. 87–93. Zur Abgrenzung der Begriffe »Textschicht« und »Arbeitsphase« vgl. Gunter Martens: Schichten und Verbände, Schreibphasen und Korrekturfolgen. Die Behandlung von versübergreifenden Korrekturzusammenhängen in der textgenetischen Ausgabe der Gedichte Georg Heyms. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 223–232, S. 224f. Zu Zellers Textschicht-Begriff vgl. Meyer: Sämtliche Werke. 1958–1996, 2, S. 101. 32 Die ›Ungenauigkeit‹ des Verweisens zwischen Zeilenverbänden ist die systematische Konsequenz aus dem zweifachen Umstand, dass Benns Arbeitsweise sich einerseits durch einen häufigen Wechsel von Prosa-Notiz zu sich erst später stabilisierenden Versen und andererseits durch das häufige Aufgreifen von lediglich Stichwörtern aus Prosanotizen auszeichnet. Die editorischen Basiskategorien »Vers« und »Ansatz« sind in den frühen Textstadien bei Benn grundsätzlich problematisch. 33 Backmann: Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter. 1924.
Textgenetische Erschließung
41
die sich im materialen bzw. grafischen Befund zeigt, tritt in der diplomatischen Umschrift und im Faksimile entweder klarer hervor als in einem linearen Apparat oder würde durch dessen Systemzwänge unzulässig vereindeutigt.34 Zudem wird die dem linear gestalteten Apparat inhärente Logik der TextstufenErsetzung den textuellen Konstellationen des Befundes oft nicht gerecht.35 Um eine systematische Verflechtung mit der diplomatischen Darstellung zu vermeiden, konzentriert sich der Verweisapparat darauf, die »relative Chronologie« für den Leser zu erschließen und transparent zu machen. Die Schichten und Arbeitsphasen werden in Vorzeitigkeits-NachzeitigkeitsRelation (→) mit den jeweils chronologisch nächstliegenden, textlich abbildbaren Textstufen im dossier génétique gesetzt.36 Sofern eine deutliche textliche Analogie zwischen vorliegendem Entwurf und Erstdruck besteht, wird die Referenzstelle im durch seine genetische Sigle ausgewiesenen Erstdruck angezeigt und somit auch der Bezug zu einem bestimmten Werktext hergestellt (99K). Die Definition(en) der Entwurf-Verbände und Arbeitsphasen für die aufgeschlagene Seite werden jeweils durch Schwarzdruck hervorgehoben, die Verweise auf genetische Vorgänger, Nachfolger und Referenzstellen im Erstdruck grau gedruckt. 34 »Für die genetische Differenzierung der Umschrift gilt: Je historisch-kritisch ehrgeiziger sie ist, desto mehr legt sie fest [. . .] Im Detail ist das immer mehr, als der Befund erlaubt, und immer thetischer, als der hypothetische Grundcharakter des Transkriptionsprozesses zuläßt.«, Peter Villwock: Prolegomena zu einer kritischen Ausgabe der Notizbücher Bertolt Brechts. In: editio 23 (2009), S. 71–108, hier S. 98. Man kann daraus bei Benn aber nicht wie für Brecht die Schlussfolgerung ziehen, dass man »ganz auf genetische Markierungen verzichten« könnte oder sollte (ebd., S. 98). Almuth Grésillon merkte bereits an, dass sich eine »flache« Form der diplomatischen Darstellung ohne chronologische Verzeichnung nur für vergleichsweise einfache Fälle eignet. Vgl. Grésillon: Bemerkungen zur französischen »edition génétique«. 1998, S. 55–62, vgl. zur Kritik des Sich-Begnügens mit der »bloßen Präsentation von Entstehungsspuren« auch Axel Gellhaus: Textgenese zwischen Poetologie und Editionstechnik. In: Axel Gellhaus u. a. (Hrsg.): Die Genese literarischer Texte. Modelle und Analysen. Würzburg: Königshausen und Neumann 1994, S. 311–326, hier S. 319. Die Komplexität der bei Benn gegebenen dossiers génétiques erfordert eine systematische Hilfestellung für den Leser: »Eine Reduktion editorischer Darstellung auf die Faksimilierung und Umschrift der Handschriften verkennt, dass aus ihr nur ein Teil der Abläufe dichterischer Produktion zu entnehmen ist: Der Schreiber selbst sah beispielsweise – bedingt durch die ihm vertrauten Schreib- und Arbeitsgewohnheiten – Zusammenhänge, die dem nichtspezialisierten Betrachter verborgen bleiben müssen.« Martens: Dichterisches Schreiben als editorische Herausforderung. 1998, S. 116. Die grundlegende Problematik »linearer Umschriften« und der durch sie systematisch erzwungenen, jedoch philologisch kaum zu treffenden Entscheidungen bezüglich der Chronologie ist bereits beschrieben bei Reuß: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ›Textgenese‹. 1999, S. 18. 35 Vgl. Reuß zur Konstellation der »bestimmten Negation« zwischen gestrichenem Text und Variante: »[. . .] dass das Spätere nicht einfach an die Stelle des Früheren, sondern in ein komplexes topographisches Verhältnis zu ihm tritt, das in sich einen kommunizierenden Zusammenhang birgt. Dieser Zusammenhang [. . .] ist einer von Kopräsenz.«, ebd., S. 19. Zur weiteren Problematisierung der Voraussetzung »lineare[r] Entwicklung des Textes« vgl. auch Wolfram Groddeck: Überlegungen zu einigen Aporien der textgenetischen Editionsmethode am Modell von Trakls Gedicht »Untergang«. In: Text.kritische Beiträge 5 (1999), S. 27–41, hier S. 36. 36 Die Zeichen ←- und ,→ zeigen an, dass sich chronologischer Vorgänger und Nachfolger auf der aktuell aufgeschlagenen Seite befinden.
42
Einführung in die Edition
Unter der diplomatischen Umschrift, am unteren Rand des Satzspiegels, könnte man also entsprechend folgende Definitionen und Verweise lesen (Bsp.): [1.1] → ,→
[1.21 ] : 1–9 Bl [1.22 ] : 2, 5 Ti
←- → [1.3] a → [1.3] a
99K [6] 25–28 Werktitel 99K [6] 26, 28 Werktitel
Textgenetische »Vorgänger« und »Nachfolger« einer Textschicht bzw. Arbeitsphase sind chronologisch als vorzeitig oder nachzeitig anzusetzende Textstufen und Arbeitsphasen, deren Text vollständig oder zumindest teilweise auf die Referenztextstufe bzw. -schicht abbildbar ist.37 Der Leser kann wahlweise der von der Edition als primär vorgegebenen ›horizontalen‹ Leserichtung des materialen Kontexts folgen oder sich ›vertikal‹ entlang der Chronologie und den in den Kopfzeilen der Seiten angegebenen genetischen Siglen von Textstufe zu Textstufe (bzw. Arbeitsphase) blättern.38 Oft gibt es nicht nur einen direkten Vorgänger bzw. Nachfolger, sondern mehrere – dies ist vor allem bei Montage und beim Zusammenführen von Motiven mehrerer Teilentwürfe zu einem Text der Fall. So etwa bei Typoskript TH1 1886 (= [2]), in dessen Textfassung zahlreiche Teilentwürfe aus Notizbuch 7c (= [1.x]) verarbeitet worden sind.39 [1.3] [1.4] [. . .] [1.10] [1.24] → [21 ] a–d : 1r –4r Ms ←- → [61 ] ,→ [22 ] b : 2r 18 Bl
99K [10] 1886
Auch hier werden lediglich die unmittelbar vorangehenden und nachfolgenden Textstufen bzw. Arbeitsphasen verzeichnet – einige der bezeichneten vorangehenden Entwürfe haben ihrerseits weitere ›Vorgänger‹, auf welche in der Edition an Ort und Stelle weiter zurückverwiesen wird. Auf die Abbildung des genetischen Verweisapparats wird in besonders einfachen Fällen verzichtet, zum Beispiel bei Drucken und wenn die jeweils vorangehende und folgende Textstufe durch einfaches Vor- bzw. Zurückblättern gefunden werden kann.
Sequenzierte Übersichten Anders als der textgenetische Verweisapparat gibt die sequenzierte Übersicht einen Überblick über alle Entstehungsstufen des Werktextes bzw. innerhalb eines Entwurfkomplexes. Sie wird jeweils im Anschluss an die materiale Be37 Im Rahmen der Edition wurde vom Prinzip der notwendigen, zumindest teilweisen Abbildbarkeit auf die folgende Textstufe in einigen wenigen Fällen abgewichen, wenn durch frühere Editionen die Zuschreibung bestimmter Entwurftexte zu einem Werk trotz nicht feststellbarer textlicher Abbildbarkeit als stark kanonisiert gelten muss. Dies trifft etwa für die Entwurftexte Nb 11 20r 4–6 (S. 664) und Nb 12 5v (S. 705) zu, die sowohl in Harald Steinhagens Auswahledition als auch den Sämtlichen Werken als Entwürfe Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod gewertet werden. In diesen Fällen wurde eine genetische Sigle ohne Referenzstelle im Erstdruck angesetzt, ein entsprechender Vermerk in der sequenzierten Übersicht macht auf den Umstand aufmerksam. 38 Zu den Begriffen ›horizontal‹ / ›vertikal‹ siehe Anm. 1. 39 Beispiel vgl. S. 465.
Textgenetische Erschließung
43
schreibung der Textträger in den Dokumentationskapiteln (»Überlieferung und Chronologie«) gegeben, welche die Textträger – analog zum Textteil der Edition – in chronologischer Folge anordnen. In diesem Zusammenhang werden auch physische Montageprozesse und Umordnungen des Texts durch Nummerierung rekonstruiert. In der sequenzierten Übersicht werden zusätzliche Informationen zu direkten und indirekten Datierungen der einzelnen Arbeitsphasen gegeben. Die sequenzierte Übersicht verwendet das gleiche Verweissystem und dieselben Siglen, führt jedoch die Stränge von Entwürfen, Teilentwürfen, Vorarbeiten und Arbeitsphasen zu einer einzigen Sequenz-Anordnung für die gesamte Textentstehung im Sinne der »relativen Chronologie« zusammen.40 Es werden für jeden Eintrag dieselben Angaben gemacht wie im textgenetischen Verweisapparat, hinzu kommen die Seitenangabe in der Edition und Datierungshinweise. Sofern Benn eine Textstufe oder Arbeitsphase mit einer expliziten Datierung versehen hat oder durch Kontextinformationen eine indirekte Datierung möglich erscheint, wird dies entweder beim Eintrag in der sequenzierten Übersicht oder – bei indirekten Hinweisen – in einer Fußnote mitgeteilt. Durch die vertikale Orientierung der Listenform müssen die Pfeile anders gesetzt werden als im Verweisapparat: Mit einem ↓ wird auf den jeweils genetisch folgenden Entwurf bzw. die folgenden Entwürfe verwiesen, mit einem ↑ auf den oder die genetischen ›Vorgänger‹. 99K verweist wiederum (gegebenenfalls) auf die Referenzstelle im Erstdruck. Ein Auszug aus der sequenzierten Übersicht zu Notizbuch 4a aus dem Entwurfkomplex Astern, Die weißen Segel, Ach, das Erhabene von 1935 verdeutlicht die Grundzüge der Darstellung.41 Nur in der sequenzierten Übersicht wird deutlich, wie viele Entwürfe chronologisch tatsächlich zwischen [1.11 ] und der Überarbeitung und Erweiterung des Entwurfs [1.12 ] liegen. Anhand des Beispiels [1.25] ist sehr gut zu erkennen, wie ein Entwurf, der sowohl Die weißen Segel als auch Astern zuzuordnen ist, systematisch in die Darstellung integrierbar ist. [1] Nb 4a [1.11 ] a 2r 2, 4–7Ti ↓ [1.5]
[1.2] a–b a: 2v 1–9, 10–11Bl , b: 3r 1–15Bl
116 99K [5] 21–24 DwSegel
119, 120
↓ [1.4]
40 Vgl. Backmann: Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter. 1924. Diese Verzeichnung ist mit Blick auf die Erfassung der Arbeitsphasen erheblich detaillierter als das chronologische Verzeichnis der Textstufen in der Innsbrucker Trakl-Ausgabe, vgl. Georg Trakl: Sämtliche Werke und Briefe. Innsbrucker Ausgabe. Historisch-kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls. Hrsg. v. Eberhard Sauermann u. a. Basel, Frankfurt a.M.: Stroemfeld / Roter Stern 1995ff, I, S. 36, 605–624. 41 Siehe auch S. 202.
44
Einführung in die Edition
[1.3] 3v 7Ti
123 99K [6] 2–6 Astern
↓ [1.25]
[1.4] a–c a: 4r 1–12Bl , b: 4v 1–9Bl , c: 5r 1–8Bl
124, 127, 128
↓ [1.12 ] ↑ [1.2] [1.5] 6r 1–11Bl ↓ [1.12 ]
↑ [1.11 ]
132 99K [5] 21–24 DwSegel
[1.12 ] a,b 2r 1, 3, 6–18Bl ↓ [1.10] ↑ [1.5] [1.4] a [1.6] 7r 2–12Bl
116 99K [5] 21–24 DwSegel
136 99K [5] 29–32 DwSegel
↓ [1.7]
[1.7] 6v 1–4Ti ↓ [1.9]
↑ [1.6]
135 99K [5] 29–32 DwSegel
.. . [1.25] 13v 1–3Bl ↓ [1.26]
↑ [1.3] [1.24]
163 99K [5] 17 DwSegel / [6] 2, 4 Astern
.. . Ein weiteres Beispiel zum Notizbuch 7c aus dem Entwurfkomplex 1886, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts zeigt die Angabe expliziter Datierungen in der sequenzierten Übersicht:42 [1] Nb 7c .. . [1.13] 26r 2–7Bl ↓ [4.41 ]
408 99K [9] 53–57 StPbg
Die Notizen aus Mereschkowski (24r –27r ) sind hs. datiert 1. Januar 1945 (25r ).
.. . [1.28] 43r 2–14Bl ↓ [3.61 ]
↑ [1.26]
446 99K [9] 62–72 StPbg
Hs. datiert 7. Januar 1945.
.. . Physische (Re)Montage und Textumstellungen großer Passagen durch Nummerierung sind für die editorische Darstellung ein erhebliches Problem, insbesondere im Rahmen linearer Apparate. Da die Bestimmung des relativen Zeitpunkts solcher Ereignisse systematisch auf der Ebene des gesamten dossier génétique anzusiedeln ist, erfolgt deren Verzeichnung ausschließlich in der se42
Siehe auch S. 547.
Dokumentation und Kommentierung
45
quenzierten Übersicht. Ein schönes Beispiel ist die Montage und Umstellung des Montage-Textträgers TH1 StPbg:43 [3] TH1 StPbg [3.11 ] 1r 2–13Ms ↓ [3.12 ] [4.11 ]
↑ [1.30]
466 99K [9] 1–13 StPbg
Darunter befindet sich eine durch Blatt 1ar /1br überklebte Textstufe zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts. [. . .]
.. . [3.51 ] 2r 2–21Ms ↓ [3.52 ] [4.11 ]
470 ↑ [1.25]
99K [9] 29–47 StPbg
[Montage] Die Blätter 1a und 1b werden auf TH1 StPbg 1r aufgeklebt.
.. . [3.52 ] 2r 1, 4–9, 11–13, 17–22Bl ↓ [4.11 ]
↑ [3.51 ]
470 99K [9] 31–36, 38–40, 43–48 StPbg
Der Entwurf wurde mit dem Kreuz 2r 22 vorläufig abgeschlossen.
[Numerierung] Durch Numerierung »1« (1r 8), »2« (1ar 5), »3« (2r 1), »4« (1br 1) werden [3.1], [3.3], [3.4] und [3.5] StPbg umgestellt.
.. . [3.8] 4r 1–19Bl ↓ [4.31 ]
474 99K [9] 80-97 StPbg
[Numerierung] Durch Numerierung »5« (3r 1) und »6« (4r 1) werden [3.6] und [3.8] StPbg eingeordnet.
Einzelstellenapparat Der Erstdruck sowie folgende Drucke, sofern sie gegenüber dem Erstdruck wesentliche Umarbeitungen oder Korrekturen von Druckfehlern enthalten, werden vollständig wiedergegeben. Weitere Drucke zu Lebzeiten werden mittels eines Einzelstellen-Variantenapparats gegenüber der letzten vollständig wiedergegebenen Druckfassung verzeichnet. Es wird zum Vergleich jeweils der vollständige Vers, nicht nur die differente Variante angegeben.
Dokumentation und Kommentierung An die Darstellung der Texte schließt sich die materiale Dokumentation und Beschreibung der Textzeugen mit den sequenzierten Übersichten zur Textentstehung an (»Überlieferung und Chronologie«). Die Textträger-Dokumentation gibt einerseits Auskunft über materiale Beschaffenheit, Maße, Überlieferungszustand und Liegeort des Originals, anderer43
Siehe auch S. 549.
46
Einführung in die Edition
seits wird angegeben, welche Teile des Textträgers in die Edition aufgenommen wurden.44 Die sequenzierten Übersichten stellen die relative Chronologie aller Textstufen und Arbeitsphasen für den Werktext bzw. den Entwurfkomplex mit direkten und indirekten Datierungen dar. Der Überblickskommentar versammelt Informationen zu »Entstehung und Druckgeschichte«, gegebenenfalls weitere Deutungsaspekte und Hinweise zu Fragen der editorischen Behandlung der Texte. Es werden neben den Quellen zur Entstehungsgeschichte unter anderem die von Benn verwendeten Textquellen dokumentiert und Erläuterungen zur Arbeitsweise Benns gegeben. Der Überblickskommentar ist der Ort, an dem auch Deutungsperspektiven zur Werkgenese diskutiert werden, sofern sie die Erschließung des dossier génétique berühren. Die Kommentierung behandelt in der Regel Aspekte der »externen Genese« und Aspekte der Rekonstruktion des Schreibprozesses. Besonders umfangreich ausfallende, spezielle Aspekte, etwa die Dokumentation der Textquellen zu 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, Erläuterungen zu Benns Arbeitsweise oder zu editorischen Aspekten, werden in eigenständigen Sektionen behandelt.
Entwurfkomplexe In einigen Fällen sind die Vorarbeiten und Entwürfe mehrerer Werktexte so miteinander verschränkt, dass sie nicht sinnvoll unabhängig voneinander betrachtet werden können. Diese Entwurfkomplexe – der Begriff ist Walther Killys Studien zu Trakls Helian-Komplex entlehnt45 – bilden einen zusammenhängenden avant-texte und werden in der vorliegenden Edition entsprechend als e i n dossier génétique verstanden und ediert.46 Bei Notizbüchern und Journalen sind solche Wechselbezüge zwischen mehreren Textprojekten häufiger anzutreffen als etwa bei Einzelblättern.47 Gunter Martens hat für das Phänomen des »inhaltlich-formalen Zusammenhang[s]« mehrerer Werke den Begriff »Werkzusammenhang« vorgeschlagen, welcher bei »gemeinsame[r] Textgenese« auch 44 Zur Beschreibung der Überlieferung gehören vor allem formale Merkmale wie etwa materiale Beschaffenheit, Maße und Gebrauchsspuren. Im Fall des beschädigt überlieferten Notizbuch 7c dient ein vollständig erhaltenes Exemplar eines »Gödecke«-Ärztekalenders auf das Jahr 1939 zur Veranschaulichung des Originalzustandes und der Menge des möglichen Textverlusts. Siehe S. 546. 45 Vgl. Walther Killy: Der »Helian«-Komplex in Trakls Nachlaß. Mit einem Abdruck der Texte und einigen editorischen Erwägungen. In: Euphorion 53 (1959), S. 380–418, hier S. 391. Vgl. die methodologisch relevanten Bemerkungen zu Trakls Arbeitsweise ebd., S. 385, 400–403, 406–408 und zu editorischen Konsequenzen ebd., S. 409f. 46 Vgl. zu den Begriffen Almuth Grésillon: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. Aus dem Französischen übers. v. Frauke Rother u. a. Bern et al.: Lang 1999. Vgl. auch Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 212f, ders.: »Materialität«? 2010, S. 178. 47 Der Vollständigkeit wegen sei auf ein solches Beispiel auf einem Einzelblatt hingewiesen. TH1 Destille II 1r (siehe S. 992) zeigt einen hs. überarbeiteten Typoskript-Entwurf zu Destille II (u.d.T. »Bis Neun«) und darunter einen hs. Teilentwurf zu Nimm fort die Amarylle (u.d.T. »Kein Blühen«).
Entwurfkomplexe
47
die Form eines »genetische[n] Werkzusammenhang[s]« annehmen kann.48 Die Begriffe »Entwurfkomplex« und »genetischer Werkzusammenhang« sind als weitgehend synonym anzusehen. Im Rahmen dieser Studie wird in der Regel ersterer verwendet, weil er die Verschränkung auf Entwurf- und Schreibprozessebene betont statt den Zusammenhang verschiedener Werke. Axel Gellhaus analysiert eingehend die »mycelhaften Text-Geflecht[e]«, welche »chronologischgenetisch ›vor‹ und ›zwischen‹ den streng separierbaren Gedichtegenesen« von Paul Celans Niemandsrose und den Entwürfen zum Meridian-Komplex liegen.49 Gellhaus unterscheidet in diesem Zusammenhang die »Textgenese« der textuell aufeinander beziehbaren Textstufen von der »Konzeptgenese«, welche sämtliche Zeugnisse des »nicht [. . .] geradlinig verlaufende[n]«, kognitiven Entstehungsprozesses (»Denkweg«), also auch im genetischen Umfeld gelegene Notizen und benachbarte Entwurftexte zu anderen »Arbeitsprojekte[n]«, umfasst.50 Diese begriffliche Unterscheidung, mag man Gellhaus’ Definition von ›Textgenese‹ an dieser Stelle auch für etwas eng gefasst halten, kann auch im Kontext der Gedicht-Entwurfkomplexe Gottfried Benns produktiv gemacht werden, um verschiedene Formen von Entwurfkomplex-Bildung konzeptionell auseinander zu halten. Die Konstitution eines Entwurfkomplexes stellt eine textgenetische Deutung des materialen und textuellen Befundes und eine Entscheidung mit erheblichen Konsequenzen für die editorische Darstellung dar. Der selbstständige Charakter eines Werkes wird durch die zusammengeführte Darstellung relativiert und kann die Position im Gesamtwerk des Autors verschieben. Ein »Werkzusammenhang« wird editorisch privilegiert, mögliche (inhaltliche, formale, auch textgenetische) Bezüge zu anderen, außerhalb des Komplexes gelegenen Werktexten hingegen in der Textdarstellung ausgeblendet. Ein Herausgeber muss jeweils abwägen, ob diese Effekte in Kauf zu nehmen sind, weil andererseits nicht zu verantworten wäre, die Zusammenhänge innerhalb des Entwurfkomplexes dem Leser vorzuenthalten. Die editorische Zusammenführung mehrerer Werke zu einem Entwurfkomplex bedarf daher einer fallweisen Begründung, die auf verschiedenen Ebenen des materialen, formalen und kontextuellen Befundes ansetzen kann. In der Regel ist ein materialer Zusammenhang erkennbar, so kann etwa schon durch texträumliche Durchmischung von Entwürfen für die Gleichzeitigkeit von Entstehungsphasen mehrerer Texte sprechen. In dieser Durchmischung sind im lokalen Entwurfumfeld oft thematische und motivische Wechselbezüge zu umgebenden Notizen und Entwürfen anderer Werke feststellbar. Zwischen den Entwürfen der Gedichte Astern und Die weißen Segel 48 Vgl. Gunter Martens: Das Werk als Grenze. In: editio 18 (2004), S. 175–186, S. 281, 182. 49 Gellhaus: Wortlandschaften. Konzeption und Textprozesse bei Celan. 2010, S. 35, 43, 66f. Allerdings verwendet Gellhaus in seiner Studie weder den Begriff »Entwurfkomplex« noch »Werkzusammenhang«. 50 Ebd., S. 67.
48
Einführung in die Edition
in Nb 4a kommt es sogar zum tentativen Austausch von Strophen (Entwurfkomplexbildung auf der Ebene der ›Textgenese‹ im Sinne Gellhaus’). Einen interpretativen Schritt weiter geht die Analyse von großen, zusammenhängenden Arbeitsphasen und textgenetischen Wechselwirkungen auf der Schreibprozessebene (Entwurfkomplexbildung auf der Ebene der ›Konzeptgenese‹ nach Gellhaus). Hierfür seien die beiden umfangreichsten Entwurfkomplexe der vorliegenden Ausgabe als Beispiele angeführt. Zwischen den Exzerpte- und Vorarbeiten-Abschnitten zu 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts in Nb 7c hat sich Benn mit einer »Themen«-Aufstellung explizit die Fortsetzung und Vertiefung bestimmter Themen der 1886-Exzerpte vorgenommen.51 Berücksichtigt man die von Benn ausgewerteten Textquellen, fällt auf, dass er das Montage-Material beider Gedichte zu einem großen Teil aus alten Jahrgängen der Deutschen Rundschau (1883–1894) entnommen hat – es handelt sich demnach bei den Notizen und Entwürfen in Nb 7c um das Ergebnis einer zusammenhängenden Recherche- und Vorarbeitenphase. Im über vier Notizbücher (11b, 11, 12 und 13) und diverse Einzeltextträger sich erstreckenden Entwurfkomplex Rosen, Orpheus’ Tod und Quartär – liegen neben der Durchmischung der Entwurftexte und motivischen Bezüge an mehreren Stellen indirekt erschließbare Wechselwirkungen in den teilweise parallel verlaufenden Schreibprozessen vor. Weitere indirekte Indizien für einen »genetischen Werkzusammenhang« können formale und inhaltliche Ähnlichkeiten sein, etwa der Montage-Charakter des 1886- und des Petersburg-Gedichts und die vierversige Kreuzreimstruktur bei Astern, Die weißen Segel (dreihebig) und Ach, das Erhabene (vierhebig).52 Die Bildung der Entwurfkomplexe hat darüber hinaus eine editionstheoretische Dimension. Die vorliegende Ausgabe und Textmonografie ist der critique génétique verpflichtet, sie zielt in erster Linie auf die rekonstruierende Darstellung der in der Materialität der Schreibspuren sich zeigenden »Eigendynamik des ›avant-texte‹«.53 Ihr Zweck ist nicht die Herstellung des »besten Textes«54 oder die Konstitution eines Lesetextes55 – alle Textzeugen, die Vorarbeiten, Entwürfe, der Erstdruck und weiteren Drucke werden in ihrer material überlieferten Textgestalt und Form einschließlich Verschreibungen, Korrekturen und Druckfehler in chronologischer Folge dokumentiert. Das »Werk« ist aus Perspektive der critique génétique als eine Kontinuitätszuschreibung auf eine Reihe von Text51 Nähere Erläuterungen siehe S. 580. 52 Die Korrespondenz mit Oelze enthält weitere Hinweise darauf, dass Benn die Arbeit an den »Stadthallen-Gedichten« als zusammenhängenden Arbeitsprozess gesehen hat. Siehe S. 209. 53 Almuth Grésillon: Critique Génétique. In: Wilhelm Hemecker (Hrsg.): Handschrift. Wien: Zsolnay 1999 (= Profile 4), S. 115–124, hier S. 116. 54 Ernst Grumach: Prolegomena zu einer Goethe-Ausgabe [1955/51]. In: Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition. Hrsg. v. Rüdiger Nutt-Kofoth. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 1), S. 150–153. 55 Vgl. Grésillon: Critique Génétique. 1999, S. 116.
Entwurfkomplexe
49
zuständen zu denken, welche nie als endgültig abgeschlossen oder stabilisiert betrachtet werden kann. Man könnte sogar von einer Tendenz zur »Destabilisierung« des ›Werks‹ durch Konfrontation mit dem handschriftlichen Befund sprechen.56 Axel Gellhaus radikalisiert diese Destabilisierungstendenz des Werkbegriffs und des »Begriffs vom dichterischen Prozess« zugunsten des kognitiven Prozessaspekts:57 Die genetische Edition, deren Dokument die (faksimilierte) Handschrift ist, erwiese sich hier zugleich als die buchstäbliche Dekonstruktion des traditionellen Textverständnisses: als die faktische Auflösung des (Kunst)Werkgedankens zugunsten der Annahme kognitiver Prozesse.58
Grundsätzlich betont die critique génétique die literarische Eigenwertigkeit des Manuskripts und des daran ablesbaren Entstehungsprozesses, so dass der Tradition der historisch-kritischen Ausgabe mitunter eine gewisse Skepsis bezüglich möglicher Entwertung des Manuskripts als bloßem ›Varianten‹-Träger gegenüber dem ›Werk‹ entgegengebracht wird. In diesem Sinne schreibt etwa Grésillon: Die Verschiedenheit und Komplementarität beider Zeitschriften [editio und Genesis, d.Verf.] umschreibt sehr deutlich, daß auf deutscher Seite ein Hauptgewicht auf der Frage liegt ›Wie kann man Handschriften edieren?‹ und auf französischer Seite auf der Frage ›Wie kann man Handschriften interpretieren?‹59
Sicherlich ist Rüdiger Nutt-Kofoth beizupflichten, wenn er angesichts solcher »axiomatisch« daherkommender Abgrenzungen eher das Verbindende der Forschungsrichtungen betont und an die texttheoretisch und editionstechnisch auf den Schreibprozess orientierte Tradition in der Editionswissenschaft des deutschen Sprachgebiets erinnert, für die Reinhold Backmann, Friedrich Beißner, Hans Zeller, Gunter Martens, D.E. Sattler und – darf man hinzufügen – eine Reihe weiterer Editionswissenschaftler stehen.60 Diese versöhnliche Geste ist umso mehr zu begrüßen, als gerade auch die besondere Betonung der Trennung von am Überlieferungsträger orientierter, textgenetischer Edition (edition génétique) und textgenetischer Interpretation (critique génétique) auf französischer Seite zu anhaltenden Missverständnissen geführt hat.61 Nicht zuletzt greift auch 56 Vgl. Daniel Ferrer: Logiques du brouillon. Paris: Les Editions du Seuil 2011 (= Poétique), S. 29, vgl. auch Dirk Van Hulle u. a.: Historisch-krrritische genetic crritic! In: editio 26 (2012), S. 30–37, hier S. 33. 57 Gellhaus: Wortlandschaften. Konzeption und Textprozesse bei Celan. 2010, S. 35. 58 Ebd., S. 43. 59 Grésillon: Bemerkungen zur französischen »edition génétique«. 1998, S. 53. 60 Rüdiger Nutt-Kofoth: Editorische Axiome. In: editio 26 (2012), S. 59–71, hier S. 68. 61 »Wichtig dabei ist jedoch, daß Edition und Interpretation der Textgenese voneinander getrennt bleiben. Nur so kann die genetische Edition wissenschaftlichen Rang erlangen«, Grésillon unter Berufung auf Zellers Unterscheidung von »Befund und Deutung«, Grésillon: Literarische Handschriften.
50
Einführung in die Edition
die vorliegende Textmonografie und Edition auf Walther Killys Konzeption des ›Entwurfkomplex‹ zurück und reinterpretiert diese – durchaus in synthetischer Absicht – methodologisch als zusammenhängendes »dossier génétique«. Die Differenz der editorischen Konzeptionen wird allerdings bei der editorischen Behandlung der Benn’schen Entwurfkomplexe nochmals relevant, nämlich genau bei der Frage nach dem Verhältnis von Werk und Entwurf. Neben der Leserlichkeit von Benns Handschrift ist das Hauptproblem der Edition von Benns Notizbüchern der fließende Übergang von der Tätigkeit des prozessorientierten Notierens im Vorfeld des Text-Projekts zu einem poetischen Konzept und schließlich zur Textualisierungsphase, die einen Werktext, wenn schon nicht deutlich vor Augen, so doch deutlich zum Ziel zu haben scheint.62 Diese Abgrenzung ist jeweils entscheidend für die Beantwortung der sich in jedem Einzelfall stellenden Frage, ob ein Notiz-Text einem genetischen Werkzusammenhang zugeordnet werden kann oder nicht. Bei den in der vorliegenden Edition gebildeten Entwurfkomplexen ist die Problematik ähnlich gelagert, an den textgenetischen Berührungspunkten ist oft nicht eindeutig entscheidbar, ob der jeweilige Text dem einen, dem anderen oder überhaupt einem Werkkontext zuzuordnen ist – entscheidend aber ist, ob der Einfluss dieser Berührung auf die weitere Textentwicklung so stark ist, dass der Editor sie dem Leser, der den Schreibprozess nachvollziehen können sollte, nicht vorenthalten kann. Aus Sicht der critique génétique gibt es kein grundsätzliches Problem mit der Relativierung des Werktextes durch die editorische Bildung eines Entwurfkomplexes, solange der Schreibprozess nachvollziehbar ist – auch wenn, wie etwa bei Rosen, Orpheus’ Tod, Quartär – die aus diesem Prozess hervorgehenden Werktexte formal und inhaltlich nur wenig gemein haben. Auch Gunter Martens sieht, aus der Perspektive des »Werkzusammenhangs« und mit Blick auf die »Dialektik der Abgeschlossenheit«, in der editorischen Zusammenführung von Entwurfkomplexen keine Schwierigkeiten, solange in der Edition der durch die grenzziehende Ablösung der Publikation markierte »Werkcharakter als solcher [. . .] herausgestellt wird.« Man beachte, dass hierbei nach wie vor die Werk-Zentrierung der historisch-kritischen Ausgabe bestimmmend ist: Einführung in die ›critique génétique‹. 1999, S. 240–241. Sahle versammelt (etwas unkritisch) höchst interessante Beispiele, in welchen die critique génétique gerade für ihren Anspruch, in der Edition »Befund und Deutung« nach Möglichkeit ebenso klar zu trennen wie die deutsche Philologie, im Sinne des »Edition ist Interpretation« (Manfred Windfuhr) in die Kritik genommen wird. Bei dieser Kritik an der critique génétique handelt es sich letztlich um die Exteriorialisierung einer Meinungsverschiedenheit über Akzentverschiebungen innerhalb der deutsch-philologischen Editorik. Vgl. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. 3 Bde. Norderstedt: BoD 2013 (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik), I, S. 206. 62 Eine extreme Position zu dieser Frage vertritt Roland Reuß, der den nicht oder nur unter Informationsverlusten linearisierbaren grafischen Befund vom »poetischen Text« abgrenzt, um zu der überraschenden Pointe »Ein Entwurf ist kein Text« zu kommen. Vgl. Roland Reuß: Text, Entwurf, Werk. In: Text.kritische Beiträge 10 (2005), S. 1–12, hier S. 7.
Entwurfkomplexe
51
Die gemeinsame Textgenese, in der solche Werke stehen, begründet einen genetischen Werkzusammenhang. Ein Werkzusammenhang ist eine Gruppe von Texten, die in einem genetischen Zusammenhang mit einem Werk stehen. Einem Werkzusammenhang können Texte verschiedener Art angehören: Stichwortnotizen, Vorentwürfe, Entwürfe, Reinschriften und auch selbst wiederum mehrere Werke. [. . .] Selbstverständlich kann ein Werkzusammenhang von Textfassungen auch in einer textgenetischen Gesamtdarstellung zur Geltung kommen, solange der Werkcharakter als solcher – z.B. durch eigenständige Wiedergabe der entsprechenden Textstufe – herausgestellt wird. Textfassungen, die in einem Werkzusammenhang stehen, selbst aber keine eigenen Werke darstellen, z.B. Pläne, Entwürfe, nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Niederschriften usf., sollten dem entsprechenden Werk zugeordnet werden, soweit ein Werkzusammenhang festgestellt werden kann. Für solche Werkzusammenhänge dürfte die Methode textgenetischer Darstellung das geeignete editorische Instrument der Darstellung sein [. . .]. Die traditionelle lemmatisierte Darstellung der Varianten läuft demgegenüber Gefahr, Texte von Werken mit nicht-werkmäßigen Texten zu vermischen.63
In der editorischen Praxis bereitet die Spannung zwischen ›Werk‹ und materialem Befund des Entwurfs einige Schwierigkeiten. Killy beschreibt und interpretiert Georg Trakls Helian-Entwurfkomplex in seiner Studie durchweg nach textgenetischen Gesichtspunkten und stellt ihn im Anhang in zusammenhängender Form dar.64 In der HKA hingegen werden die Entstehungsstufen nach den für den Textband konstituierten Texten auch im Apparatband, unter Verweis auf »weitere Vorstufe[n]« separiert dargestellt.65 Dies ist umso verblüffender, als Killy die »Gedichte im Gedicht« des Helian-»Hauptgedichts«66 als transitorische Zustände, als eine zwischen Entelechie und Undeterminiertheit gespannter Bewegung von »Mustern« analysiert:67 Der Helian-Komplex zeigt, daß ein den Dichter bedrängendes Gedicht keineswegs von vornherein in Grundton, »Form« und »Gehalt« bestimmt ist. Vielmehr bilden sich im Laufe der Versuche nach und nach eine Anzahl von Möglichkeiten heraus, deren Verwirklichung schrittweise erfolgt. Sie gehen in ihren jeweiligen Realisationen auseinander hervor. [. . .] Gewiß enthalten die Entwurfschichten des Helian-Komplexes eine Anzahl sehr schöner Gedichte: (I), (II) und (III) für sich genommen können zu Trakls besten Versen 63 Martens: Das Werk als Grenze. 2004, S. 181–182. 64 Vgl. Walther Killy: Entwurf des Gedichts. Über den Helian-Komplex. In: ders. (Hrsg.): Über Georg Trakl. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1960, S. 52–96, S. 52–83, 88–96. 65 Vgl. Georg Trakl: Dichtungen und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Walther Killy u. a. 2 Bde. Salzburg: Otto Müller Verlag 1969, 2, S. 126. 66 Vgl. Killy: Entwurf des Gedichts. Über den Helian-Komplex. 1960, S. 74. 67 Vgl. ebd., S. 75.
52
Einführung in die Edition gehören. Nur sind sie nicht für sich zu nehmen; abgesehen davon, daß der Dichter sie als für sich gültiges Gedicht entworfen hat, waren sie nicht als solches gedacht. Sie sind nur ein vorübergehender Entwurf auf ein noch unbekanntes Gedicht hin, welches schließlich aus ihrer verwandelten Summe hervorgeht. Der Text ist gleichsam in anhaltender Bewegung, bevor er das Ziel erreicht. Der vom Philologen festgehaltene Schritt innerhalb dieser Bewegung ist vom Dichter nicht als besonderer Schritt gemeint: Rückgriff und Vorgriff machen unmöglich, die Entwurfstufen voneinander zu trennen und als zusammenhängenden Text so darzubieten, wie etwa Hellingrath und Beißner die Stufen eines Hölderlin-Gedichtes darbieten konnten. Fast alle Schichten sind miteinander verschränkt.68
Killy formuliert im Anschluss das Phänomen der textgenetisch polyvalenten Text-Bezogenheit auch als ein editorisches Zuordnungsproblem, welches sich letztlich auch bei Benns Entwurfkomplexen zeigt: [. . .] aber es wäre so verfehlt, (VI) und (VII) in die Lesarten zu Abendlied einzuordnen, als es falsch wäre, die Beziehung nicht darzustellen. [. . .] Abendlied ist Untergang so nahe wie den Entwurfstufen – wohin gehört es?69
Seine für den Editor ernüchternde Konsequenz aus der Darstellung der Komplexität des handschriftlichen Befundes ist schließlich die Zurückweisung des »utopischen« »wissenschaftlichen Perfektionismus« des Zeller’schen Apparatmodells und die Feststellung, »daß kein noch so ausgeklügeltes Reproduktionssystem die vom Herausgeber verantwortete textliche Entscheidung neutralisieren [. . .] kann« und nur »die Handschrift selber« »[g]anz objektiv« bleibe.70 Die Innsbrucker Ausgabe konstituiert aus dem transitorischen handschriftlichen Befund des Helian-Komplexes Werktext-Einheiten, auf welche dann in der Dokumentation der Entstehungsgeschichte als »Vorarbeiten für Helian« verwiesen wird.71 Durch die chronologische Anordnung der Gedichte in der Innsbrucker Ausgabe kommen diese allerdings in der von Killy bereits konstituierten Entwurfkomplex-Folge zu liegen. Das durch die Werkedition Getrennte des Helian-Komplexes soll vor allem durch die chronologische Übersicht aller Textstufen und die Beschreibung der kombinierten Handschriften am Ende des Bandes wieder formal zusammengefügt werden.72 Innerhalb der vorliegenden Edition wird der Entwurfkomplex-Problematik durch eine editionstechnische Entwicklung Rechnung getragen. Bei den 68 Killy: Entwurf des Gedichts. Über den Helian-Komplex. 1960, S. 79. 69 Ebd., S. 79. 70 Vgl. ebd., S. 82. 71 »[. . .] Lange lauscht der Mönch . . ., Wo an schwarzen Mauern . . . und Jene singen den Untergang . . ., stellen Vorarbeiten für Helian dar.« Trakl: Sämtliche Werke und Briefe. 1995ff, 2, S. 230. Die konstituierten Texte weichen allerdings von denen im Apparat der Ausgabe Killys und Szklenars ab. Vgl. ders.: Dichtungen und Briefe. 1969, 2, S. 126. 72 Vgl. ders.: Sämtliche Werke und Briefe. 1995ff, 1, S. 36.
Entwurfkomplexe
53
Notizbüchern kommt eine Eigenschaft des werktextneutralen genetischen Verweisungssystems zum Tragen: Im Rahmen der diplomatischen Umschrift selbst erfolgt keine Zuordnung des Textes zu einem Werk und keine genetische Analyse, lediglich eine Differenzierung nach Schreibgerät bzw. Schreibstoff. Unterhalb der Textdarstellung – also von dieser optisch klar separiert – befindet sich der Verweisapparat, welcher anhand einer nummerierten Sigle auf die jeweils textgenetisch vorangehende und die folgende Textstufe bzw. Arbeitsphase verweist – diese Siglen und Verweise nehmen selbst noch keine Zuordnung zu einem bestimmten Werkzusammenhang vor. Nur Vorarbeiten und Entwürfe, die bereits deutliche Ähnlichkeiten zu einem der involvierten Werktexte aufweisen, erhalten zusätzlich einen Verweis auf die entsprechenden Zeilen des Erstdrucks. Vorarbeiten können also, wenn sie eher thematisch verknüpft und textlich nicht auf einen der Erstdrucke abbildbar sind, ohne Verweis auf einen Werktext und somit ohne direkte Zuordnung als Teil der Chronologie verzeichnet werden. Nur wenn ein Textträger klar einem einzigen Werktext zuzuordnen ist, erhält er ein entsprechendes Kürzel in der Sigle.73
73 Entwürfe, von denen Teile auf zwei Werktexte abbildbar sind, erhalten entsprechend zwei Verweise auf beide Erstdrucke.
54
Einführung in die Edition
Kurzreferenz zu den editorischen Zeichen und Siglen Materialsiglen, Blattangaben Nb H TH TdH DrF D
Notizbuch, Notizkalender, Tagebuch. Z.B. Nb 11b = Notizbuch 11b. Handschrift. Z.B. H1 OrphTod = erste Handschrift zu Orpheus’ Tod. Typoskript mit hs. Zusätzen oder hs. beschr. Seiten. Z.B. TH1 OrphTod = erstes Typoskript zu Orpheus’ Tod. Typoskriptdurchschlag mit hs. Zusätzen oder hs. beschr. Seiten. Z.B. TdH1 OrphTod = erster Ts-Durchschlag zu Orpheus’ Tod. Druckfahne. Z.B. DrF1 OrphTod = erste DrF zu Orpheus’ Tod. Drucke. Z.B. D1 OrphTod = Erstdruck zu Orpheus’ Tod.
Blatt- und Zeilenangaben, Foliierung: 23r 4v 1–5
Blattangabe, lies: »Blatt 23 recto«. Blatt- und Zeilenangabe, lies: »Blatt 4 verso, Zeile 1 bis 5«.
Editorische Zeichen Serifenlose grau Serifenlose grau fett
Frz. Ren.-Antiqua Serifenlose kursiv
Bleistift; Sigle im Verweisungsapparat: Bl. Buntstift; Siglen im Verweisungsapparat: rBu: roter, gBu: grüner, bBu: blauer Bst. Tinte (schwarz); Sigle: Ti. Kugelschreiber, andere Tinte; Siglen: bTi: blaue Tinte, bKu: blauer Kugelschreiber. Maschinenschrift, Sigle: Ms; Druck. Fremde Hand.
Gestrichen [Hoch Einge] klammert [α,β,γ Einge] klammert Hochg. Windkee l Unterstrichen
Streichung. Überschreibung bzw. Umschreibung. Mehrfache Überschreibung, Schichtindex. Einbesserung. Unterstreichung.
Serifenlose petit hochg. ? Fragezeichen? h. . .i, Konjhekturi hGBi / G.B. [...]
Verschliffene, nicht realisierte Graphen. Unsichere Entzifferung. Textverlust, Konjektur. Aufgelöste Kurzzeichen; Paraphe vs. Initialen. Auslassung durch Herausgeber.
Serifenlose schwarz Serifenlose dunkelgrau fett
Kurzreferenz zu den editorischen Zeichen und Siglen
55
Textgenetischer Verweisapparat Beispiel eines genetischen Verweisapparates unterhalb der diplomatischen Umschrift: [1.1] → ,→
[1.21 ] : 1–9 Bl [1.22 ] : 2, 5 Ti
←- → [1.3] a → [1.3] a
99K [6] 25–34 Werktitel 99K [6] 26, 29 Werktitel
Auf der aufgeschlagenen Seite der Edition (schwarz gedruckt) befindet sich ein Entwurf [1.2] mit zwei Arbeitsphasen (1 /2 ), die frühere Textschicht wurde mit Bleistift (Bl ), die spätere mit Tinte (Ti ) geschrieben. Der Entwurf erstreckt sich in der Bleistiftschicht von Zeile 1 bis 9, die Korrekturen in Tinte kommen in Zeilen 2 und 5 hinzu. Die textgenetisch vorangehende Textstufe [1.1] (in grau wiedergegeben) befindet nicht auf dieser Seite, sie kann durch Blättern anhand der Kopfzeilen gefunden werden. Desgleichen die chronologisch folgende Stufe [1.3] a , auf der offenbar der hier vorliegende Entwurf mindestens durch einen Teil b ergänzt wird. Die Textstufe [1.2], d.h. ihre beiden beide Arbeitsphasen »1,2 «, sind abbildbar auf die Verse 25 bis 34 des Werktext-Erstdruckes [6].
Sequenzierte Übersicht In der sequenzierten Übersicht werden die beiden Arbeitsphasen von Entwurf [1.2] im Kontext der konstituierten Chronologie der Textgenese dargestellt: [1] Nb x [1.1] 2r 2–12Ti
X
↓ [1.21 ] 1 [1.2 ] 4r 1–9Bl ↓ [1.22 ] [1.3] a 2 [1.2 ] 4r 2, 5Ti ↓ [1.3]a
[1.3] a,b a:
X ↑ [1.1]
↑ [1.21 ] r 5 1–12Bl ,
↓ [1.5]
[6]
99K [6] 25–34 Werktitel
.. . D1 Werktext
↑ [1.21,2 ]
99K [6] 25–34 Werktitel
X 99K [6] 26, 29 Werktitel
b: 5v 1–9Bl
X, Y 99K [6] 25–40 Werktitel
Z
Textgenese und editorische Konzeption Begriff der Textgenese im Kontext der Editorik Das Studium des Schreibprozesses steht einerseits in einer stark von der Editorik geprägten Entwicklungslinie innerhalb der deutschen Philologie, die über Gunter Martens,1 Hans Zeller,2 Siegfried Scheibe,3 Friedrich Beißner4 bis zu Reinhold Backmann zurückreicht.5 Diese Linie mit ihren Stationen so zu zeichnen kann die weit komplexere Entwicklung innerhalb der deutschsprachigen Tradition der historisch-kritischen Editorik nur andeuten, zu der konzeptionell bedeutsame Zwischenschritte, Seitenwege, Debatten und editorische Leis1 Vgl. besonders die Entwicklung des dynamischen Textbegriffs, Gunter Martens: Was ist – aus editorischer Sicht – ein Text? Überlegungen zur Bestimmung eines Zentralbegriffs der Editionsphilologie. In: Siegfried Scheibe u. a. (Hrsg.): Zu Werk und Text. Beiträge zur Textologie. Berlin: Akademie Verlag 1991, S. 135–156; ders.: Dichterisches Schreiben als editorische Herausforderung. 1998. 2 Vgl. insbesondere seine bekannte Forderung nach sorglicher Unterscheidung von »Befund und Deutung« in der wissenschaftlichen Ausgabe sowie nach der Rekonstruierbarkeit der Manuskripte aus der Edition bzw. aus dem Apparat. Vgl. Hans Zeller: Befund und Deutung. Interpretation und Dokumentation als Ziel und Methode der Edition. Ein Versuch über die lyrischen Entwürfe Georg Heyms. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München: Beck 1971, S. 45–90; ders.: Zur gegenwärtigen Aufgabe der Editionstechnik [1958]. 2005. Vgl. zu Zellers Diskussion mit Beißner und die Rolle des Werkbegriffs in diesem Zusammenhang auch Hans-Harald Müller: Wissenschaftsgeschichte und neugermanistische Editionsphilologie. In: editio 23 (2009), S. 1–13, vgl. auch Walther Killys Reaktion auf Zellers vermeintlich »perfektionistische« Ansprüche, Killy: Der »Helian«-Komplex in Trakls Nachlaß. 1959. 3 Zur Unterscheidung von »Papierarbeitern« und »Kopfarbeitern« vgl. Siegfried Scheibe: Von den textkritischen und genetischen Apparaten. In: Siegfried Scheibe u. a. (Hrsg.): Vom Umgang mit Editionen. Berlin: Akademie Verlag 1988, S. 85–159; ders.: Variantendarstellung in Abhängigkeit von der Arbeitsweise des Autors und Überlieferung seiner Werke. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 168–176 und weitere, siehe Bibliografie. 4 Vgl. die Entwicklung des Stufenapparats im Rahmen der StA. Vgl. Dierk O. Hoffmann u. a.: Hölderlin-Editionen. In: Editionen zu deutschsprachigen Autoren als Spiegel der Editionsgeschichte. Hrsg. v. Rüdiger Nutt-Kofoth u. a. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 2), S. 199–245. 5 Rekonstruktionskategorien der absoluten und relativen Chronologie, vgl. Backmann: Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter. 1924. Mit der Forderung nach der »Wiederherstellbarkeit der Manuskripte« aus dem textkritischen Apparat hatte allerdings Reinhold Backmann bereits 1924 den »Limes der Textualität und der Philologie überschritten«. Vgl. Klaus Hurlebusch: Den Autor besser verstehen: aus seiner Arbeitsweise. Prolegomenon zu einer Hermeneutik textgenetischen Schreibens. Möglichkeiten und Grenzen der genetischen Textdarstellung in historisch-kritischen Ausgaben. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 7–51, hier S. 24.
58
Textgenese und editorische Konzeption
tungen zahlreicher Editionswissenschaftler beigetragen haben – darunter die bereits in der Einleitung zur vorliegenden Edition zitierten Axel Gellhaus, Wolfram Groddeck, Klaus Hurlebusch, Walther Killy, Gunter Martens, Roland Reuß, D.E. Sattler und andere. Eine Geschichte der textgenetischen Editorik ist an dieser Stelle nicht zu schreiben, es muss mit einem Verweis auf die Darstellung der paradigmatischen Ausgaben, Beiträge und Diskussionen in den Bausteinen zur Geschichte der Edition sein Bewenden haben.6 Während sich innerhalb der Philologie der neueren deutschsprachigen Literatur die Editorik stetig weiter entwickelt hat, blieb die Entwicklung einer Systematik textgenetischen Lesens seit den strukturalistisch geprägten Anfängen Zellers und Martens’ ein zögerlich bearbeitetes Feld, welches seit Mitte der 1980er Jahre seine Impulse hauptsächlich aus Frankreich bezogen hat.7 Der seinerseits innerhalb der critique génétique lebhaft rezipierte editionstheoretische Schub des Sammelbandes Texte und Varianten, dessen Wirkung im bundesdeutschen Kontext sicherlich von der Tendenz zur »Verwissenschaftlichung« des Faches profitierte,8 wurde in der Folge durch die konzeptionelle Arbeit des ITEM und durch den digitalen Medienwandel herausgefordert. In diese Phase der kritischen Rezeption der critique génétique, welche gleichzeitig auf die Ansätze in Texte und Varianten und die Konzeptionen der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe aufbauen konnten, gehören zum Beispiel Gunter Martens’ Entwicklung des dynamischen Textbegriffs, Beda Allemanns insbesondere in der Celan-Forschung weiter diskutierter Begriff der »Textgenetik« und die Auseinandersetzungen mit dem Text- und Werkbegriff der critique génétique.9 Auch Roland Reuß’ provozierende Unterscheidung von »Text« und 6 Rüdiger Nutt-Kofoth (Hrsg.): Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 1); Rüdiger Nutt-Kofoth u. a. (Hrsg.): Editionen zu deutschsprachigen Autoren als Spiegel der Editionsgeschichte. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 2). 7 Vgl. Louis Hay: Die dritte Dimension der Literatur. Notizen zu einer ›critique génétique‹. In: Poetica 16 (1984), S. 307–323; ders.: La naissance du texte. Paris: Corti 1989. Jüngere Publikationen im deutschsprachigen Kontext: Dieter Burdorf (Hrsg.): Edition und Interpretation moderner Lyrik seit Hölderlin. Berlin et al.: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 10); Axel Gellhaus u. a. (Hrsg.): ›Qualitativer Wechsel‹. Textgenese bei Paul Celan. Würzburg: Königshausen und Neumann 2010; Axel Gellhaus u. a. (Hrsg.): Die Genese literarischer Texte. Modelle und Analysen. Würzburg: Königshausen und Neumann 1994. 8 Vgl. Petra Boden: Probleme mit der Praxis. Hochschulgermanistik zwischen Wissenschaft, Bildung / Erziehung und Politik. In: Rainer Rosenberg u. a. (Hrsg.): Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich; Wissenschaft – Literatur – Medien. Berlin: Akademie Verlag 2000 (= Literaturforschung), S. 181–225, hier S. 197, Walter Müller-Seidel: Wissenschaftssprache, Verwissenschaftlichung der Sprache, Sprachkultur. Vorüberlegungen zu einer Diskussion. In: Jahrbuch der deutschen SchillerGesellschaft 32 (1988), S. 3–6 und die in den folgenden Jahrgangsbänden sich anschließende Diskussion, zur kritischen Reflexion Eberhard Lämmert: Das Ende der Germanistik und ihre Zukunft. In: Jürgen Kolbe (Hrsg.): Ansichten einer künftigen Germanistik. München: Hanser 1969, S. 79–104. 9 Vgl. Beda Allemanns Forderung nach einer »Textgenetik« »des poetischen Arbeitsprozesses« von 1987, deren wissenschaftliches Gelingen er von der »perfekten« Wiedergabe des Befundes und
Begriff der Textgenese im Kontext der Editorik
59
(Entwurfs)»Handschrift« muss im Zusammenhang dieser fortgesetzten Auseinandersetzung gesehen werden.10 Die wichtigsten Stationen der Entwicklung in diesem Bereich stellen vor allem Editionen, Textmonografien und Sammelbände innerhalb bestimmter Autorenphilologien dar, wobei die meistdiskutierten Arbeitsfelder seit den 1970er Jahren zunächst die Hölderlin- und die Celan-Edition waren. Inzwischen hat sich im Kontext der hochproduktiven Reihe Genealogien des Schreibens seit 2004 ein Forschungsfeld der historischen, literarischen Schreibforschung gebildet, welche die Analyse der Dispositive der »Schreibszene« / »Schreib-Szene« auf medienund kulturwissenschaftlicher Ebene zum Ziel hat. Diese Forschungsrichtung zeichnet sich trotz ihrer Verdienste im Bereich genuin textgenetischer Studien11 mitunter gleichzeitig durch eine Distanznahme gegenüber den vermeintlich »allzu selbstverständlichen Verfahrensweisen philologischer Arbeit« aus, welche sich die Übersetzung der »spezifische[n] Materialität von Manuskripten [. . .] in eine typisierte Form von Gedrucktem zur Aufgabe macht«.12 Eine eigenständige philologische Systematik und Methodologie des textgenetischen Lesens hat sich im deutschen Forschungskontext bislang nur in Ansätzen als exemplarische Studien im Umfeld einiger weniger historisch-kritischer Ausgaben und in Bezug zur critique génétique etabliert. Die Gründe für die zeitliche Verzögerung mögen in der fehlenden Anschlussfähigkeit rezeptionstheoretischer, strukturalistischer und poststrukturalistischer Modelle13 und der interdisziplinären Vermittlung grundlegender Begriffe wie ›Text‹, ›Werk‹ und ›Materialität‹ zwischen der critique génétique, der Editorik und der Literaturwissenschaft zu suchen sein. Den längerfristigen Ertrag der jüngsten Konferenzen und der material turn-Konjunktur mit Blick auf eine allgemeine Systematik zu evaluieren, ist es noch zu früh.14 In dieser Hinsicht war die aus dem linder Vermeidung des »Trugbildes eines vom Editor verordneten linearen Entstehungsprozesses« abhängig machte. Vgl. Rolf Bücher: Beda Allemann über Textgenese. In: Axel Gellhaus u. a. (Hrsg.): Die Genese literarischer Texte. Modelle und Analysen. Würzburg: Königshausen und Neumann 1994, S. 327–338, S. 330, 334. 10 Vgl. Reuß: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ›Textgenese‹. 1999, S. 14ff. 11 Sandro Zanetti: »zeitoffen«. Zur Chronographie Paul Celans. München: Fink 2006 (= Zur Genealogie des Schreibens 6). 12 Davide Giuriato u. a.: Die graphische Dimension der Literatur? Zur Einleitung. In: dies. (Hrsg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur. Frankfurt a. M.: Stroemfeld 2006 (= nexus 71), S. 7–24, hier S. 18. Die antiphilologische Tendenz nimmt insbesondere bei Kammer die Form einer literaturtheoretisch aufgeladenen, sowohl gegen die Form der historisch-kritischen Ausgabe wie auch gegen die critique génétique gerichteten Generalkritik an, über deren Berechtigung an dieser Stelle nicht zu befinden ist. Vgl. Kammer: Reflexionen der Hand. 2006, S. 135–139. 13 Vgl. Gellhaus: Textgenese zwischen Poetologie und Editionstechnik. 1994, S. 313–315. 14 Zu material turn und zur Rezeption der Debatte in der Editionswissenschaft vgl. Sigrid G. Köhler u. a.: Einleitung. Prima Materia. In: dies. (Hrsg.): Prima Materia. Beiträge zur Materialitätsdebatte.
60
Textgenese und editorische Konzeption
guistischen Strukturalismus hervorgegangene critique génétique erfolgreicher. Aus ihrem Selbstverständnis als historische Schreibforschung heraus verfolgt sie das Ziel, literarische Handschriften nicht vor allem zu edieren, sondern in ihrer Materialität und als Zeugen des Schreibprozesses als »Erkenntnisgegenstand sui generis« zu interpretieren.15 Der Erfolg der philologisch entwickelten Textdynamik-Konzeption lässt sich an unterschiedlichen Stellen ablesen, etwa wo die Verfahrensweisen und Konzeptionen der critique génétique sich in Editionen im deutschen Sprachgebiet und in der Systematik der Definitionen des textgenetischen Subsets von TEI-XML widerspiegeln.16 Im Laufe der Jahre haben die généticiens oft frühzeitig diverse interdisziplinäre Arbeitsfelder erschlossen, darunter die digital humanities, Ansätze der kognitiven Psychologie wie der Psychoanalyse, der Narratologie, der literatursoziologischen Kritik und der Wissenschaftsgeschichte.17 Sowohl der gegen eine systematisch vorausgesetzte Teleologie des Schreibprozesses gerichtete Begriff der Textdynamik, das Verständnis der Schrift als écriture, als auch der methodologisch bedingte Rekurs auf die »Materialität« des Textes und seines Überlieferungsträgers (»reflektierte[r] Positivismus«18 ) führten immer wieder zu skeptischen Rückfragen bezüglich des Text- und Textentstehungsbegriffs von Seiten der Editionswissenschaft. Diese Fragen, auch bezüglich der Machbarkeit editorischer Unternehmen, fasst Gellhaus 1994 gebündelt zusammen: In der Tat öffnet die Aufmerksamkeit für die »dritte Dimension« des Textes ein weites Feld für die literaturwissenschaftliche Betrachtung. [. . .] Auf der anderen Seite fragt sich nur, ob mit der bloßen Reproduktion einer relativ überschaubaren Menge von Materialien, die scheinbar unbewertet präsenKönigstein/Ts.: Ulrike Helmer-Verlag 2004, S. 7–23, Martin Schubert: Einleitung. In: ders. (Hrsg.): Materialität in der Editionswissenschaft. Berlin, New York: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 32), S. 1–13. Als wichtigste neuere Sammelbände mit exemplarischen Studien zur Lektüre von Textgenese sind anzuführen: Burdorf (Hrsg.): Edition und Interpretation moderner Lyrik seit Hölderlin. 2010; Gellhaus u. a. (Hrsg.): ›Qualitativer Wechsel‹. Textgenese bei Paul Celan. 2010. 15 Roger Lüdeke: Tanzschrift. Zu einer Zeitfigur in Paul Valérys Aufzeichnungen zu »La Jeune Parque«. In: Davide Giuriato u. a. (Hrsg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur. Frankfurt a. M.: Stroemfeld 2006 (= nexus 71), S. 163–182, hier S. 164. 16 Fotis Jannidis u. a.: An Encoding Model for Genetic Editions. In: Website des TEI Consortium, 1. März 2010. url: http://www.tei-c.org/Activities/Council/Working/tcw19.html (besucht am 2. März 2013); Volker Zapf: HNML. HyperNietzsche Markup Language. In: Website des Hypernietzsche-Projekts, 25. Juni 2006. url: http://www.hypernietzsche.org/events/sew/post/Slides%20and% 20Texts_files/HNML.pdf (besucht am 1. März 2013). 17 Diese knappe Zusammenfassung der in die critique génétique interdisziplinär eingehenden Fachrichtungen lässt sich anhand der letzten Jahrgänge der Zeitschrift Genesis und der Vorlesungsreihen des ITEM verfolgen. Vgl. auch Grésillon: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. 1999, S. 173–216, vgl. beispielsweise auch Tagungen wie Denkfiguren. Der Zwischenraum von Denken und Schreiben, 24-25 November 2011, Antwerpen, http://www.item.ens.fr/upload/figures_ thought.pdf. 18 Lüdeke: Tanzschrift. 2006, S. 165.
Begriff der Textgenese im Kontext der Editorik
61
tiert werden, schon viel gewonnen ist für das Verständnis dessen was hier unter dem »kreativen Akt« oder dem »poetischen Prozeß« verstanden werden soll. Setzt das skizzierte Verfahren nicht voraus, daß man zum einen die Entstehungsgeschichte bestimmter Texte für besonders wichtig hält, weil diese Texte von hohem literarisch-kulturell-geschichtlichen Wert sind, daß man zum anderen annimmt, die Dauer der Textentstehung durch einen größeren Aufwand an Papier (respektive an Speicherkapazität) angemessener wiedergeben zu können als durch einen kritischen Apparat, als sei die Entstehung eines poetischen Textes ein kontinuierlich fixierbarer und fixierter Vorgang? Setzt die Absicht, einen »avant-texte« herzustellen, schließlich nicht voraus, daß man bereits einen hoch entwickelten Begriff von dem Text haben muß, dessen Entstehungszusammenhang man auch nur positiv-wissenschaftlich dokumentieren will? Und muß sich die Präsentation eines »avant-texte« nicht geradezu durch das vorgängige Textverständnis legitimieren? [. . .]19
Die vorliegende Auswahledition einiger Gedichte Benns versucht, in den Prolegomena und den Detailuntersuchungen mit aller Vorsicht einige exemplarische Antworten auf die von Gellhaus formulierten Fragen zu geben. Insbesondere diejenige nach dem theoretischen Status der Relation von ›Genese‹ und ›Text‹ ist eine, die auch Editionen nach dem Vorbild der critique génétique zumindest durch ihre Systematik zu beantworten haben.20 Gellhaus hatte freilich im Fortgang seiner Überlegungen und Studien die Fragen anders gestellt, die Skepsis ist später mit Vorsicht nuancierter Zustimmung gewichen: Die Verwendung der Termini »Genese« und »Prozeß« könnte vermuten lassen, hier würde das Modell eines ›organischen Wachstums‹ (Friedrich Beißner) sprachlicher Artefakte vorausgesetzt. Das Gegenteil ist der Fall. [. . .] Die mit philologischen Argumenten untermauerte Rekonstruktion einer Abfolge von Textzuständen, wie sie in genetischen Editionen vorgenommen wird, suggeriert wohl immer auch deren Hierarchisierung und Ausrichtung auf einen möglichen Endzustand der Identität des Textes mit sich selbst. Es ist nicht leicht, sich von diesem idealistischen Textbegriff, der implizit mit dem Modell der Entelechie operiert, zu lösen. Dies kann nur gelingen, wenn man den einzelnen Stadien der Textgenese die gleiche Aufmerksamkeit widmet wie dem gedruckten Text und die Bedeutung des Nichtfixierten nicht vergißt.21 19 Gellhaus: Textgenese zwischen Poetologie und Editionstechnik. 1994, S. 319. 20 Und geschehe dies nur, unter Abweisung jeder Teleologie, durch den Hinweis auf die Möglichkeit der Identifikation von »Schaltstellen« im Werk. Vgl. Karl Konrad Polheim: Textkritik und Interpretation bedingen einander. In: Gertraud Mitterauer u. a. (Hrsg.): Was ist Textkritik? Zur Geschichte und Relevanz eines Zentralbegriffs der Editionswissenschaft. Tübingen: Niemeyer 2009 (= Beihefte zu editio 28), S. 209–220, hier S. 210. Vgl. auch Martens: Was ist – aus editorischer Sicht – ein Text? 1991, S. 104. 21 Axel Gellhaus u. a.: Vorwort. In: dies. (Hrsg.): ›Qualitativer Wechsel‹. Textgenese bei Paul Celan. Würzburg: Königshausen und Neumann 2010, S. 7–10, hier S. 7.
62
Textgenese und editorische Konzeption
›Materialität‹ und textgenetische Deutung Im Rahmen der critique génétique ist der Leser sowohl mit der Prozesshaftigkeit des avant-texte als auch mit der »Materialität« des dossier génétique konfrontiert. Es ergibt sich die Frage, was eigentlich diese Materialität ausmacht, wie sie mit Blick auf den Schreibprozess zu entziffern und wie sie editorisch in zugänglicher Form zu repräsentieren sei.22 Spricht man im Bereich der Editionswissenschaft von ›Materialität‹, so ist damit in der Praxis meist ein eng begrenztes Set an materialen Aspekten des Texts und der Überlieferung gemeint.23 Die ›reine‹ Stofflichkeit eines Überlieferungsträgers ließe sich mit physikalischen Termen prinzipiell vollständig bestimmen, diese objektiv zu sichernden Daten sind vor allem relevant für die analytische Handschriftenforschung.24 Wesentlich für die Textwissenschaft hingegen ist der Dualismus von Materie und Signifikanten-Form, das heißt: die konkrete Gestalt, Ausdehnung und Stofflichkeit der Schriftspur auf dem Überlieferungsträger und dessen materiale Eigenschaften. Die ›Materialität‹ eines Dokuments ist im Rahmen einer Edition nur in ihrer Beziehung zum ›Text‹ von Belang, als eine Summe editorischer und analytischer Bedeutungszuweisungen.25 Dieser Zusammenhang ist weniger selbstverständlich als es zunächst scheint. Per Röcken verweist, irritiert durch die im Zusammenhang der jüngsten ›material turn‹-Debatte26 aufgekommene Vielzahl an »terminologisch auffallend vagen« und mitunter mit »pauschalen Thesen operierenden« Bezugnahmen zurecht auf die ›Basics‹ des editorischen Geschäfts und darauf, dass die Bedeutung von »chemisch-physikalischen Eigenschaften« des Überlieferungsträgers und der Schrift selbst für eine Edition keine absolute ist, sondern erst in Relation zu text- und bedeutungstheoretischen Prämissen, einem Editionsmodell, spezifischen Erkenntnisinteressen 22 Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch Ries: »Materialität«? 2010. 23 Eine breite Rekapitulation philosophischer Konzeptionen des Begriffs ›Materie‹, von denen mit der aristotelischen und der modernen, materialistisch-physikalischen nur die hier einschlägigen genannt sind, erübrigt sich daher an dieser Stelle. Vgl. Diskussion zum Dualismus von Materie, Form und Ereignis Dieter Mersch: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. München: Fink 2002, S. 22–27, 45–99, 159–185. 24 Vgl. Bockelkamp: Analytische Forschungen zu Handschriften des 19. Jahrhunderts. 1982. 25 Vgl. Gunter Martens: »Historisch«, »kritisch« und die Rolle des Herausgebers bei der Textkonstitution. In: editio 5 (1991), S. 12–28, hier S. 26. 26 Zur ›material turn‹-Konjunktur vgl. Köhler u. a.: Einleitung. Prima Materia. 2004, S. 8. Vgl. auch Schubert: Einleitung. 2010, S. 1. Die ›Debatte‹ wurde maßgeblich ›ausgelöst‹ durch Hans Ulrich Gumbrechts jüngere Titel zur »Macht der Philologie« und zum Begriff der ›Präsenz‹. Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Die Macht der Philologie. Über einen verborgenen Impuls im wissenschaftlichen Umgang mit Texten. Aus dem Amerikanischen übers. v. Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003; ders.: Präsenz. Hrsg. v. Jürgen Klein. Aus dem Amerikanischen übers. v. Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012.
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
63
und dem konkreten Gegenstand Erkenntniswert gewinnt.27 Die editorische Kodierung materialer Aspekte eines Textes oder Dokuments hätte entsprechend stets als Angabe der stofflichen Eigenschaften der Überlieferung (z.B. Schreibstoff, Beschreibstoff, räumliche Dimensionen, Beschaffenheit der Oberfläche) einerseits gegenüber der im Beschreibstoff eingeprägten oder darauf aufgebrachten Zeichen-Form (z.B. grafische Gestalt und Anordnung der Signifikanten, verwendete Schriftform, Zeichnungen, Wasserzeichen) zu erfolgen.28 Das Verhältnis von Aspekten der ›Materialität‹ und der textgenetischen Rekonstruktion ist methodologisch genauer zu bestimmen. Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen materialen Aspekten der Schriftspur und denjenigen des Überlieferungsträgers, beide können zum Gegenstand textgenetischer Relationierung werden, sind allerdings in der Regel nur durch Faksimilierung zumindest im Ansatz adäquat wiederzugeben. Bei ersteren handelt es sich um paraverbal bzw. paratextuell-indexikale Eigenschaften der Schrift, etwa Schreibgeräts und Schreibstoff, Wechsel von deutscher zu lateinischer Schrift, Unterstreichungen, Verweise auf Zeichnungen, grafische Signaturen, räumliche Verteilung des Textes über die Seite, Überschreibungen, Ausweichungen etc. Letztere können material-indexikalen Zeichenbezug zur Schriftspur und dem Schreibprozess haben, etwa die Schrift aufweichende oder sie zum Ausweichen zwingende Weinflecken,29 Schnitt- und Klebespuren oder Wasserzeichen.30 Das 27 Per Röcken: Was ist – aus editorischer Sicht – Materialität? Versuch einer Explikation des Ausdrucks und einer sachlichen Klärung. In: editio 22 (2008), S. 22–46. In einigen Punkten schießt Röcken etwas übers Ziel hinaus, wo er sich auf den Nachweis der Vagheit und »philosophischer Verstiegenheiten« in der Begrifflichkeit konzentriert und mutmaßt, diese dienten der Provokation des etablierten Publikums durch die »poststrukturalistisch informierte Kritik« (S. 23, 32). 28 Dieser Grundsatz gilt auch und gerade für andere Medien, etwa digitale Überlieferungsträger, bei denen das Verhältnis von Materialität und Zeichenform wesentlich vermittelter ist. Vgl. Thorsten Ries: »die geräte klüger als ihre besitzer«. Philologische Durchblicke hinter die Schreibszene des Graphical User Interface. Überlegungen zur digitalen Quellenphilologie, mit einer textgenetischen Studie zu Michael Speiers »ausfahrt st. nazaire«. In: editio 24 (2010), S. 149–199. 29 Vgl. Roland Reuß: »Lieder [...], die nicht seyn sind«. Der Briefwechsel zwischen Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, Achim v. Arnim und Friedrich Carl v. Savigny aus dem Jahre 1811 und das Problem der Edition. Einführung und Faksimile-Edition mit diplomatischer Umschrift. In: Text.kritische Beiträge 7 (2002), S. 1–227, S. 21f. Reuß’ hier verwendeter Autorisierungsbegriff für Briefe mag hoch problematisch sein, die Tendenz, »Tinten-, Rotwein- oder sonstige Flecken u.s.w.« der Zeichenebene eines Dokuments zuzuordnen, ist hingegen im Sinne der critique génétique konsequent. Nur sind diese eben Teil der material-indexikalen Struktur und nur in bestimmten, besonders zu begründenen Fällen als paraverbal oder gar Teil der Botschaft anzusehen. 30 Die indexikale Struktur verweist in diesem Fall auf die Textgenese bzw. auf Entstehungsstufen der Schrift (vgl. Grésillon: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. 1999, S. 150ff), anders als bei Neef (Neef: Abdruck und Spur. 2008, S. 43), wo der Indexcharakter lediglich auf den Schreiber verweist. Aus diesem Grund wäre auch Reinhold Backmanns heuristisch wertvolle Unterscheidung von »absoluter« und »relativer Chronologie« zu differenzieren, denn auch die »absolute Chronologie« meint
64
Textgenese und editorische Konzeption
indexikale Gewebe von Schrift-Spur und anderen materialen Aspekten ist mit Blick auf den Schreibprozess semiotisch reicher als jede ins lateinische Alphabet transliterierende, linearisierte Transkription.31 Die philologische Analyse der Chronologie des Schreibprozesses basiert grundsätzlich auf der R e l a t i o n i e r u n g von solchen paraverbalen und material-indexikalen Strukturen, welche Rückschlüsse auf die Abläufe der Fixierungsseite des Schreibprozesses zulassen.32 Die chronologische Relationierung erfolgt letztlich stets anhand der Indentifizierung von Schreiboperationen, die als eng33 oder ausdifferenziertes Set34 definiert sein können. Diese Operationen sind entsprechend der Befundlage nach Schicht- bzw. Vorgangszusammenhang (z.B. Identität von Duktus, Schreibgerät und Schreibstoff) bzw. nach VorherNachher-Differenz (Differenz der vorgenannten, Ausweichungen, Schichtüberlagerungen, Drängungen) syntagmatisch und paradigmatisch aufeinander zu beziehen. Diese relationale Formulierung der philologischen Heuristik liegt der Systematik in der vorliegenden Ausgabe zugrunde (diplomatische Umschriften, textgenetischer Verweisapparat, sequenzierte Übersichten). Die Darstellung trennt auf dieser Basis strikt diplomatischen, materialen Befund und genetische Deutung.35 Diese Form der Darstellung und chronologischen Analyse nimmt besondere Rücksicht auf Gottfried Benns diskontinuierliche, nicht lineare Arbeitsformen einerseits und auf durch die Relationierung anhand des Befundes oft nicht eindeutig festzulegende ›relative Chronologie‹ andererseits.36 Die folgenden nichts anderes als die chronologische Relationierung einer Variante gegenüber der als Basis angenommenen Zeile im Verhältnis zu allen anderen Änderungen auf dem Textträger. Vgl. Backmann: Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter. 1924. 31 Vgl. auch Reuß: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ›Textgenese‹. 1999; Groddeck: Überlegungen zu einigen Aporien der textgenetischen Editionsmethode am Modell von Trakls Gedicht »Untergang«. 1999. 32 Vgl. Grésillon: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. 1999, S. 182f. 33 Vgl. ebd., S. 184: »Erweiterung«, »Streichung«, »Um-Schreibung«, »Umstellung«. 34 Ein ähnliches Modell der relationalen und textschichtbasierten Chronologie-Enkodierung für digitale Editionen liegt übrigens TEI P5 und früheren Konzepten, etwa HNML, zugrunde. Die Definition der »Universalien«-Operationen ist in TEI P5 allerdings, teils aus technischen, teils aus heuristischen Gründen stärker differenziert: »1) additions, fixations and clarifications 2) deletions and marked as used 3) metamarks 4) alternative Readings 5) transpositions 6) substitution 7) undoing alterations 8) instant corrections.« Jannidis u. a.: An Encoding Model for Genetic Editions. 2010. 35 Siehe S. 32–35, 38–45. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, die diplomatischen Umschriften der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe etwa kontaminieren diese Darstellungsebenen. Vgl. Wolfram Groddeck u. a.: Einleitung Frankfurter Hölderlin Ausgabe. Frankfurt a. M.: Stroemfeld / Roter Stern 1971. Zum Prinzip der »Entflechtung von räumlichem Befund und zeitlicher Deutung« vgl. Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. 2010, S. 85, siehe auch S. 38, hier besonders Anm. 26. 36 Reuß kritisiert zu Recht, dass auch moderne textkritische Apparate dem systematischen Zwang unterliegen, jede Variante eindeutig zumindest in einer relativen Chronologie, oft sogar einer absoluten, zu fixieren. Vgl. Reuß: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ›Textge-
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
65
Sektionen fokussieren37 die Dokumentation und die Kommentare, die Ebene der textgenetischen Analyse. Sie stellen in den Befunden wiederkehrende, für Benn charakteristische Arbeitsformen38 zunächst mit Bezug auf seine Verwendung der Textträger-Typen Notizbuch und Montage-Manuskript dar (segmentweise Bearbeitung, Montageverfahren) und diskutieren diese anhand von Beispielen aus der Edition (Die weißen Segel, Astern, 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts). Schließlich werden Stellen aus dem Entwurfkomplex Rosen, Orpheus’ Tod, Quartär – herausgegriffen, um besondere Problemfälle der Rekonstruktion von Textgenese im Sinne der critique génétique eingehend zu besprechen (»Problemfälle textgenetischer Deutung«). Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist hierbei stets ein philologischer, die Darstellung bezieht editorische Gesichtspunkte und Problemstellungen mit ein.
Problemfälle textgenetischer Deutung Textgenetisch nicht eindeutige Befunde
Um die Problematik uneindeutiger textgenetischer Indikatoren zu verdeutlichen, sei als erstes Beispiel ein auf den ersten Blick unscheinbares handschriftliches Detail analysiert. Der folgend wiedergegebene Text eines Teilentwurfs zu Orpheus’ Tod findet sich in Notizbuch 12 auf 7r (Ausschnitt aus dem Faksimile der Handschrift siehe Abb. 1). Anhand des in Anführungszeichen gesetzten Motivs »Gelber Mohn« ist die »Grosse Gefleckte« leicht als eine genetische Transformationsstufe jener »Bekannten« von Nb 11 11v , siehe S. 633, zu erkennen, die in den späteren Reinschriften von Orpheus‘ Tod als eine der nymphenhaften Mänaden fungieren wird:
nese‹. 1999, S. 24f. Die Vorstellung einer idealiter linearen Textentstehung ist tief in den historisch fundierten Begriffen und technischen Verfahrensweisen der Editionsphilologie verwurzelt. Vgl. Martens: Dichterisches Schreiben als editorische Herausforderung. 1998, S. 108f. Roland Reuß spricht 1999 etwas unscharf von der »Naturalisierungshypothese produktiver Prozesse«, Reuß: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ›Textgenese‹. 1999, S. 12. Vgl. auch die grundsätzliche Problematisierung bei Axel Gellhaus: Vorwort. In: Die Genese literarischer Texte. Modelle und Analysen. Hrsg. v. Axel Gellhaus u. a. Würzburg: Königshausen und Neumann 1994, S. 7–8, S. 14f., 19. 37 Die in den folgenden Sektionen (S. 36–77) durchgeführten Analysen basieren auf drei bereits veröffentlichten Artikeln, die allerdings in diesem Rahmen vollständig überarbeitet, mit Blick auf die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit aktualisiert und erweitert wurden. Vgl. Ries: Notizbuchexperimente. 2007; ders.: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. Zur Problematik der Textgenese in den Notizbüchern Gottfried Benns. In: Edition und Interpretation moderner Lyrik seit Hölderlin. Hrsg. v. Dieter Burdorf. Berlin et al.: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 33), S. 155–175. doi: 10.1515/9783110231526.155; ders.: »Materialität«? 2010. 38 Der Plural ›Arbeitsformen‹ wird gegenüber dem bereits seit längerem eingeführten Begriff ›Arbeitsweise‹ bevorzugt, da Gottfried Benns sich flexibel abwechselnde Schreibstrategien analytisch kaum auf den Nenner einer einzigen ›Arbeitsweise‹ bringen lassen. Zum Begriff der Arbeitsweise
66
Textgenese und editorische Konzeption u eine Grosse Gefleckte Bunthäutig „gelber Mohn“ kam auf ihn zu u bot Keuschheit in der Lust, [in von] wahrer Scham ja
Demut gepurpurt [di bis] die L u atmete den Kelch der Liebe hin –
Beim Versuch, die Entstehung des Konzepts nachzuvollziehen oder überhaupt dessen resultierenden Text herzustellen, wird man die eigentümlich geformten Einweisungszeichen und die durchbrochene Syntax des Textes zu interpretieren haben. Im Apparatteil der Sämtlichen Werke wird genau eine Einweisung verzeichnet, nämlich »u atmete |gepurpurt| den Kelch der Liebe hin«.39 Hierbei entsteht in den SW eine technisch bedingte Doppelung des Wortes »gepurpurt« aus Zeile 6, da kein Zeichen für die Quelle eines Einweisungsvorgangs vorgesehen ist.40 Zudem wird der Entwurf in den SW unnötigerweise mit dem folgenden Nb 12 7v 5–11 kontaminiert. In Harald Steinhagens Edition ist die Entzifferung als unsicher ausgewiesen, allerdings unterblieb hier die Kontamination.41 Zu dem Einweisungszeichen notiert Steinhagen in der Stufendarstellung: »Möglicherweise sollten die Zeilen umgestellt werden; der vorhandene Einweisungsstrich (?) ist jedoch nicht sicher zu deuten.«42 Der grafische Befund ist in der Tat nicht eindeutig, die Annahme nur einer einzigen Einweisung dürfte an dieser Stelle allerdings nicht hinreichend sein. Es soll an dieser Stelle ein Vorschlag zur Rekonstruktion vorgebracht werden, welcher in drei Einweisungsvorgänge zu zerlegen wäre und entsprechend in vier Alternativvarianten resultierte. Dabei handelte es sich um zwei Einweisungszeichen, welche von dem Wort »gepurpurt« (Z. 6) ausgehen und sich an den Enden auf der Höhe des Interlinearraums von Zeile 6 und 7 überschneiden. Nachdem Benn bis »L« (Z. 7) geschrieben hatte, erwägt er nach der Überschreibung des Wortes »in« durch »von« mit einer ersten Einweisung die umstellende Variante »gepurpurt von wahrer Scham ja Demut«. Daraufhin setzt er neu zur vgl. Siegfried Scheibe: Die Arbeitsweise des Autors als Grundkategorie der editorischen Arbeit. In: editio 12 (1998), S. 18–27; Hurlebusch: Den Autor besser verstehen: aus seiner Arbeitsweise. 1998. 39 SW, I, S. 440. Die Form der Einweisungszeichen entspricht der Wiedergabe in den SW. 40 Die Umschrift der Zeilen 5-7 lautet: »[xxx→] wie wahre Scham ja Demut gepurpurt [xxx→]als die Lhiebei«, ebd., I, S. 440. Man beachte auch die abweichende Entzifferung, siehe Abb. 1. 41 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 113f. 42 Ebd., S. 113f.
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
67
Abbildung 1: Ausschnitt Nb 12 7r , Entw. zu Orpheus’ Tod.
Fortsetzung an: »[. . .] u atmete den Kelch der Liebe hin« (Z. 8–9) und weist als nächstes versuchsweise ein: »u atmet[e] den gepurpurtheni Kelch der Liebe hin –«43 Dann zieht der Schreiber die Linie – möglicherweise noch in derselben Schreibbewegung – in einem Bogen weiter nach links, resultierend in der dritten, umstellenden Einweisung: »u atmete gepurpurt den Kelch [. . .]«. Mit Blick auf die in der nächsten Textstufe an die Stelle tretende Formulierung »Purpur im / Kelch der Liebe« (Nb 12 7v ) erscheint plausibel, dass Benn »u atmete den gepurpurten Kelch« für einen Moment erwogen hat. Es stellt sich im Rahmen einer Edition die Frage, ob angesichts des tentativen Charakters und aufgrund des grafischen Befundes überhaupt ein varianter Textzustand44 »gepurpurtheni Kelch« konstituierbar wäre. Auch ist letztlich die hier vorgeschlagene Chronologie der Einweisungen untereinander nicht vollends zu sichern. Ein weiteres Detail der Handschrift in Notizbuch 11 sei hervorgehoben, um den oft haarfeinen Deutungsunterschied von textgenetischer Kontinuität und Diskontinuität, semantischer Zugehörigkeit und Differenz in der grafischen Konstellation aufzuzeigen. In der Folge werden Reihen von Transformationsstufen von Entwurfmaterial durch einige der Notizbücher verfolgt. Die auf den ersten Blick rätselhafte, aber in der Interpretation stark mit Bedeutung aufgeladene45 43 Man beachte die hierfür morphologisch notwendige, implizite Ergänzung der Flexionsendung und die gleichfalls implizierte Tilgung von Zeile 5 bis 7. Da Benn die flüchtige Erwägung nicht schriftlich realisiert, hätte er auch nicht morphologisch angepasst. 44 Es handelt sich nicht um eine Textstufe, sondern wäre am ehesten mit einer ›Versstufe‹ vergleichbar. Allerdings handelt es sich bei diesem Entwurf (noch) nicht um versifizierten Text. Vgl. zum Begriff der Versstufe Gunter Martens: Textgenese als Hilfsmittel zur Erschließung poetischer Texte. In: Françoise Lartillot u. a. (Hrsg.): Dokument – Monument. Textvarianz in den verschiedenen Disziplinen der europäischen Germanistik. Bern et al.: Lang 2008, S. 139–160, S. 148, Anm. 18. 45 Vgl. Klaus Theweleit: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. Bd. 1. Basel, Frankfurt a.M.: Stroemfeld Roter Stern 1988, S. 75, vgl. auch »Theweleit weist auf drei Zeilen in den Entwürfen zu
68
Textgenese und editorische Konzeption
Abbildung 2: Ausschnitt Nb 11 20v , Entw. zu Orpheus’ Tod.
Konstellation zweier Konzepte auf Nb 11 20v (Abb. 2) wurde bei Steinhagen und in den Sämtlichen Werken als ein zusammenhängender Entwurf gedeutet.46 In der Vergrößerung treten neben dem Abstand die leicht abweichende Grundlinie, der unten dunklere Tintenauftrag (Z. 5–7) und die leichte Duktusdifferenz klarer hervor. Es handelt sich nicht um einen in einem Zug niedergeschriebenen Entwurf. Vielmehr wurden hier zwei Notate, mit einem gewissen Zeitabstand, einander bestimmt entgegengesetzt.47 Dieser Befund wird textgenetisch umso plausibler, wenn man sich klar macht, dass Benn gerade im Begriff war, das Motiv »u eine grosse Gefleckte, bunthäutig ›gelber Mohn‹« als einen poetischen Montage-Baustein aus dem Entstehungskontext herauszulösen. Dieser Herauslösungsvorgang lässt sich unter anderem anhand der Entwicklung des Montage-Bausteins veranschaulichen. Vom Entwurf Nb 12 6r an wird das Montage-Fragment »u eine Grosse Gefleckte / Bunthäutig ›Gelber Mohn‹« im gesamten Entwurfkomplex mit genau diesem Zeilenfall, also versifiziert verwendet. Der Fragmenttext war in der frühesten, den von »innere[m] Verfall« geprägten Alltag beschreibenden Prosa-Textstufe Nb 11 11v noch attributiv jener »nahe wohn[enden]« »Bekannten« zugeordnet. Bei den ersten Abschriften des Motivs Nb 11 20r und Nb 12 26v wechselt noch der Zeilenfall. Auf SeiOrpheus’ Tod hin, die gestrichen wurden. Wahrscheinlich fand Benn, dass sie an dieser Stelle zu prosaisch, zu essayistisch den Zusammenhang von Tod und Kreativität enthüllen:«, Lethen: Der Sound der Väter. 2006, S. 166. Anm. des Verf.: Die Zeilen wurden markiert, nicht gestrichen, Nb 11 20r , siehe S. 665. 46 Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 111, SW, S. I, 439. Bei Steinhagen wird als Ansatz einer Differenzierung diskursiv erläutert: »(1 Zeile Zwischenraum)«. In den Sämtlichen Werken erscheinen die Zeilen mit unnötig verändertem Zeilenumbruch und ohne die eindeutig auf Orpheus’ Tod verweisende Überschrift. 47 In der vorliegenden Edition werden sie entsprechend als zwei separate Entwurfstücke behandelt, siehe S. 664 ([2.9], [2.10]).
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
69
te 6r notiert Benn nur noch die isolierten zwei Zeilen, ohne einen Kontext zu schaffen: derivat), sonntags gehe ich zu einer Bekannten, weil sie nahe wohnt alles regional verankert heute, gross rotblond Konfektion gefleckt („gelber Mohn“) – traurige Räusche, traurig gefärbte Röten,
Nb 11 11v
Orpheus Tod : u eine grosse Gefleckte, bunthäutig „gelber Mohn“ –
Nb 11 20r
u eine grosse Gefleckte, bunthäutig gelber Mohn rufst Du mich sehr u wie ist [. . .]
Nb 12 26v
u eine grosse Gefleckte, bunthäutig, „gelber Mohn“
Nb 12 6r
u eine Grosse Gefleckte Bunthäutig „Gelber Mohn“ kam auf ihn zu u bot [. . .]
Nb 12 7r
u eine Grosse, Gefleckte Bunthäutig, „gelber Mohn“ lockte mit Demut, unter Keuschheitsandeutungen [. . .] und eine Grosse, Gefleckte, bunthäutig, „Gelber Mohn“ lockte unter Demut, Keuschheitsandeutungen [. . .]
Nb 12 10r
H1 OrphTod 1r
Ab dem Entwurf auf Nb 12 7r kopiert Benn das Muster zeilengenau. Das Motiv wird durch verschiedene Kontextwechsel als Chiffre vom biografischen Kontext abgelöst. Seit Nb 12 6r wird die dritte Person singular statt der ersten verwendet: »kam auf ihn zu [. . .]«. Die leicht korrigierte Neufassung des Textfragments auf Nb 12 10r wird für das Einmontieren in den Orpheus-Zusammenhang auf Nb 12 10v ,11r noch einmal zu Beginn der Kompositionsphase mit Tinte sauber abgeschrieben und später eingewiesen. Benn nutzte den Notizbuch-Abschnitt Nb 12 9v –12r , um in Vorbereitung des eigentlichen Kompositionsprozesses seine Montage-Stücke aus den Vorarbeiten und aus Ovids Metamorphosen auf kompaktem Schreibraum zu versammeln: auf der gegenüberliegenden Seite
70
Textgenese und editorische Konzeption
Abbildung 3: Doppelseite Nb 11b 11v , 12r , Entwurf zu Orpheus’ Tod.
Nb 12 9v befand sich bereits die Abschrift der »An Totes zu denken ist süss [. . .]«-Strophe von Nb 11b 12r , siehe S. 608. Eine ganz ähnliche Montage-Transformation erfolgt mit der frühesten prosaförmigen Konzept-Notiz zum Komplex Orpheus’ Tod auf Notizbuchseite Nb 11b 12r von November / Dezember 1945, Abb. 3, rechts, siehe S. 608.48 Benn hat das Textfragment wesentlich später, im August 1946, auf Nb 12 9v (Abb. 4) mit wenigen, allerdings bedeutsamen Änderungen in Notizbuch 12 vollständig und zeilengenau als Material für die spätere Einmontage in Orpheus’ Tod übertragen. Neben der Ersetzung von »ruhend« bzw. »getragen« durch Auslassungspunkte fallen vor allem die Entindividualisierung (»Tote« zu »Totes«) und der Abstand schaffende Tempuswechsel (»singen« zu »sang«, Nb 11b 12r , siehe S. 608) auf.49 48 Das Notizbuch 11b wurde während der bereits fortgeschrittenen Arbeiten an der Ausgabe der Sämtlichen Werke entdeckt, weswegen dieser Text erst im Supplementband VII/2 publiziert werden konnte. Vgl. SW, VII/2, S. 460. 49 Siehe auch die einige Seiten weiter folgende Notiz »der Geist hat immer Tote im Gefolge, der Geist muss kalt sein, sonst wird er familiär.« Nb 11 20r , siehe S. 664. Bei der Änderung von »Tote« zu »Totes« handelt es sich um eine Angleichung an das Genus von »Entferntes«.
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
71
Der Numerus der Stimme(n) schwankt noch.50 Die abstrahierende Ablösung vom biografischen Zusammenhang geht von der Konstellation Nb 11b 11v , 12r aus, welche nahe legt, dass mit den »Tote[n]« und den sinnlich präsenten »Stimmen« und »Küsse[n]« (12r ) die »in der Wohnung, auf den Strassen« die gefühlte Präsenz »H[erta Benns]« (11v f, Abb. 3, links) gemeint ist. Ergänzend ist hierzu zu bemerken, dass dieser Bezug im Prosa-Entwurf mit Überlegungen zum biologischen und dichterischen Tod des Schreibers in Verbindung gesetzt werden: »Pläne für mein Leben habe ich nicht mehr [. . .] Das Einzige wäre, nicht in Berlin u Umgebung beerdigt zu werden [. . .]«, »ich ertrage Schweigen, verschwiegen werden u vergessen«.51 Das dergestalt modifizierte Textfragment fügt Benn als zweite Strophe in Orpheus’ Tod ein – mit einem Textrahmen von je einer Zeile oben und unten, die erst in der Montagephase hinzugefügt werden.52 Es ist anhand des grafischen Befundes nicht mit letzter Sicherheit entscheidbar, ob der Text auf Nb 11b 12r noch als eine reine Prosa-Notiz oder bereits als vorläufig versifiziert anzusehen ist. Die Zeilen allerdings nutzen die Breite des NotizbuchBlatts fast vollständig aus, der Zeilenwechsel ist auf dieser Textstufe jeweils durch das Erreichen der Blattkante erklärbar. Durch die den Zeilenfall beinahe exakt reproduzierende Übertragung und durch die Position des Entwurfs Nb 12 9v , also im ›Montage-Abschnitt‹ von Nb 12, ändert sich sein ästhetischer und genetischer Status. Er wird zu einem Stück Gedicht-Montagetext, das kurz darauf in Orpheus’ Tod eingepasst wird. Die beschriebene Ablösung der beiden Montage-Fragmente vom biografischen Kontext, ihre Rekontextualisierung im Übergang zur Verarbeitung in Die Formulierung »so Vollendete, Entferntes« trägt in diesem Zusammenhang gleichzeitig schwer bestimmbare poetologische Ladung. Vorläufig müssen Hinweise auf einige Parallelstellen genügen: vgl. Orpheus als »Vollender«, Nb 12 8v 10, siehe S. 717. Vgl. auch »ich habe genug Abwegigkeit, Einsamkeit, Ferne in die [literarische] Welt [. . .] geschleudert [. . .]«, Nb 11 13r , siehe S. 638. Vgl. auch die Rede in Darmstadt von 1951: »[. . .], erst die Toten haben es gut, ihr Werk ist zur Ruhe gekommen und leuchtet in der Vollendung. Aber dies Leuchten der Vollendung und das Glück der Toten, es täuscht uns nicht. [. . .] behangen mit Blut, mit Opfern gesühnt, der Unterwelt entrissen und den Schatten bestritten. [. . .]«, ebd., VI, S. 46. Vgl. Lebensweg eines Intellektualisten (1934): »Form: in ihr ist Ferne, in ihr ist Dauer.«, ebd., V, S. 165, VII/1, S. 229. Vgl. das Gedicht Die Form, spätestens 1944: »Die Form, [. . .] du bist zwar Erde, / doch du mußt sie graben [. . .] wenn jene Saat entsteht / in den Entfernten, / dein Bild ist längst verweht«, ebd., I, S. 223. Die Chiffre der »Ferne« lässt sich zurückverfolgen bis Unter der Großhirnrinde (1911): »Nur manchmal vom Meer kommt noch eine Stillung: da ist noch eine Ferne: schwer, dämmernd und versinkend.«, ebd., VII/1, S. 362. 50 Nb 11b 12r (pl., siehe S. 608), Nb 12 9v (sing., siehe S. 721), Nb 12 10v (pl./sing. »Stimmen tiefer, Deine, die die dunkle Lieder sang«, siehe S. 725) und H1 OrphTod (sing., siehe S. 749). Vgl. auch Nb 11 18v (pl., »Und dann Erinnerungen, unvermeidlich, – Stimmen, die einmal sprachen«, siehe S. 659), Nb 12 26v (sing., »rufst Du mich sehr u wie ist Deine Stimme«, siehe S. 745), Nb 12 2v (sing., »Rufst Du mich sehr u wie ist Deine Stimme«, siehe S. 693). 51 Nb 11b 12r , siehe S. 608. Zum sich durch den gesamten Entwurfkomplex ziehenden Motiv des Schweigens siehe auch S. 894–897. 52 Die Zeile davor lautend »Drei Jahre schon im Nordsturm!«, die nachfolgende: »doch du irrend bei den Schatten!«, E OrphTod, siehe S. 844, V. 10, 16.
72
Textgenese und editorische Konzeption
Abbildung 4: Ausschnitt Nb 12 9v , Übertragung von Nb 11b 12r , Entw. zu Orpheus’ Tod.
Orpheus’ Tod spricht für eine Autonomisierung des Sprachmaterials im Laufe des Schreibprozesses. Der Einfluss des Biografischen ist in den montierten Chiffren zweifellos noch erkennbar, allerdings erscheinen die Bezüge durch das montierende Gegeneinanderschneiden mit Passagen aus Ovids Metamorphosen in der »Skizze« oder »Stilstudie« Orpheus’ Tod ästhetisch suspendiert:53 In der Skizze zu Orpheus sind die Dinge sehr hart nebeneinander gesetzt u. sie muss studiert werden u. bedacht vom Leser. Eine Zumutung! Aber Gedichte sind eigentlich immer eine Zumutung, das ist ihr Wesen.54
Eine Zwischenbemerkung zur geläufigen Interpretation der hier besprochenen textgenetischen Konstellation in der Forschung ist hier am Platz. Steinhagens Kontextualisierung der oben zitierten frühen Entwürfe in Nb 11 mit Benns Verlusterfahrung durch den Tod seiner Frau Herta konnte mit den später bekannt gewordenen Befunden in Nb 11b bestätigt werden. Benn selbst bringt den Text in Zusammenhang mit der »innere[n] u. äussere[n] Macht, die meine verstorbene 53 BOelze, II.1, S. 47, 52–53. Siehe auch S. 880, 882. Da das Bestreben zur Gleichsetzung des mythologischen und historischen Personals im Gedicht mit Personen in Benns Umfeld eine gewisse Bedeutung erlangt hat, sei an dieser Stelle nochmals auf die zitierende Montage-Spannung hingewiesen, die genau im apostrophischen Imperativ »Nein, du sollst nicht verrinnen, du sollst nicht übergehn in Jole, Dryope, Prokne, die Züge nicht vermischen mit Atalanta, daß ich womöglich Eurydike stammle bei Lais –« liegt. Dieses »du«, Eurydike, »soll[] [. . .] nicht übergehn« in die Aufreihung der ›summarisch überblickten‹ Charaktere aus dem Inhaltsverzeichnis der Verwandlungen und der zitierten historischen Hetären, der ausgeschriebene Name »Eurydike« soll n i c h t gestammelt werden »statt Lais«. Siehe S. 875, Anm. 40. Auch die in einem der dem Entstehungskontext von Orpheus’ Tod zugeordneten Entwürfe auftauchende »alte Venus« wurde möglicherweise durch ein von Benn vier Seiten zuvor abgeschriebenes Gedicht von Thomas Lovell Beddoes aus The Second Brother angeregt. Die Textvorlage war allerdings keine ›ordentliche‹ Ausgabe, sondern Dorothy L. Sayers: Lord Peters abenteuerliche Hochzeitsfahrt. Liebe mit Kriminalistik. Übers. v. Marianne von Schön. Zürich: Scientia 1938, siehe auch S. 875. 54 An Oelze am 1. September 1946, BOelze, II, S. 47.
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
73
Frau immer noch über [ihn] ausübt«.55 Obwohl Steinhagen die »Losgelöstheit« des Textes von den auszumachenden biografischen Bezügen56 betont, verengte sich das Interesse der Benn-Forschung am Gedicht Orpheus’ Tod in der Folge von Steinhagens Studie nachhaltig auf den Aspekt der mit Herta Benn identifizierten Eurydike und Benns mögliches Verhältnis zur »Große[n] Gefleckte[n]«.57 Die einzigen Ausnahmen bilden Klaus Theweleit, der neben diesem Aspekt Benns Befürchtung, weiterhin nicht veröffentlichen zu können, als Hintergrund mit einbezieht,58 und Renate Homann.59 Insbesondere die jüngeren Biografien hingegen nehmen Orpheus’ Tod verkürzt lediglich über die Frage wahr, ob Benn mit dem Gedicht primär den Verlust seiner Frau Herta betrauert,60 sich eine poetisch-moralische carte blanche für die Ehe mit einer neuen, vermutlich als Affäre begonnenen Beziehung mit Ilse Kaul verschafft,61 oder aber durch die Überhöhung der »Liebsten« ein Gefühl der Verlassenheit verarbeitet.62 55 SW, II.1, S. 193. Siehe auch S. 903. 56 Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 125, siehe auch S. 879. 57 E OrphTod 28–29, vgl. Nb 11 11v , 1–7, siehe S. 633: »[. . .] sonntags gehe ich zu einer Bekannten, weil sie nahe wohnt alles regional verankert heute, gross rotblond Konfektion gefleckt (›gelber Mohn‹ – [. . .]«. Klaus Theweleit löste seinerzeit mit seiner Interpretation einerseits und seinen harschen, teils hoch spekulativen Vorwürfen an den Dichter andererseits heftige Diskussionen aus. Vgl. Klaus Theweleit: The Politics of Orpheus between Women, Hades, Political Power and the Media. Some Thoughts on the Configuration of the European Artist, starting with the Figure of Gottfried Benn or: What happened to Eurydice? In: New German Critique 36 (1985), S. 133–156; ders.: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. 1988, vgl. zur Diskussion von Theweleits Thesen Lothar Baier: Literaturpfaffen. Tote Dichter vor dem moralischen Exekutionskommando. In: Freibeuter 57 (1993), S. 42–70; Inge Stephan: »Frei flottierende Affekte«. Zu Klaus Theweleits Buch der Könige. In: Zeitschrift für Germanistik NF 8 (1998), S. 108–113; Hugh Ridley: Orpheus Reborn: Gottfried Benn’s Orpheus’ Death. In: Classics Ireland 3 (1996), S. 163–181, nicht deutlich genug weist Lethen Theweleits »Verdacht« zurück, Benn habe »eine Art Mord« begangen, indem er »1945 den Tod seiner Ehefrau billigend in Kauf« genommen habe, vgl. Lethen: Der Sound der Väter. 2006, S. 165f, klarer: S. 178, Theweleit: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. 1988, S. 77. Vgl. auch »Liebes- und Verführungsmotiv« bei Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 121. 58 Theweleit: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. 1988, S. 39–41. 59 Renate Homann: Literatur als inhärente Komparatistik. Gottfried Benns Gedicht ›Orpheus’ Tod‹. In: Hendrik Birus (Hrsg.): Germanistik und Komparatistik. DFG-Symposion 1993. Stuttgart: Metzler 1995, S. 92–110. 60 Vgl. Dyck: Der Zeitzeuge. 2006, S. 352f, vgl. auch Christian Schärf: Der Unberührbare. Gottfried Benn – Dichter im 20. Jahrhundert. Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 291, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 126. 61 Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 346, Theweleit: The Politics of Orpheus between Women, Hades, Political Power and the Media. 1985, S. 146f, ders.: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. 1988, S. 65 (vgl. auch Theweleits anregende, nicht empirisch gemeinte These, dass Oelze die »wirkliche Geliebte« Eurydike sei, ebd., S. 64f.), Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 126. 62 Gunnar Decker: Gottfried Benn. Genie und Barbar. Berlin: Aufbau 2006, S. 357f. Nach Decker ist Herta Benns Tod nicht mehr als ein »Anlaß für ein Klagelied« über seine »völlige Verlassenheit in dieser auch äußerlich chaotischen Situation«, ebd., S. 358. Gleichzeitig aber hält er die angesungene Herta Benn dennoch für das zentrale »Ausdrucksmittel« des Textes, weswegen er das Gedicht in den
74
Textgenese und editorische Konzeption
Sowohl die Argumente für eine Identifikation Eurydikes mit Herta Benn als auch diejenigen für die Annahme eines Verhältnisses mit einer »große[n] Gefleckte]n]« basieren letztlich auf der Interpretation früher Textstufen und der sie umgebenden Vorarbeiten in den Notizbüchern. Es darf allerdings die Frage gestellt werden, ob die Verengung der genetischen Interpretation auf den biografischen Schreibanlass nicht den Blick auf den Prozess der poetischen Verarbeitung des Textmaterials als »Stilstudie«63 und damit auch auf das Werk als Ganzes verstellt. Konstellation und Konzeptgenese
Die über vier Notizbücher verteilten Notizen und Entwürfe der Vorarbeitenphase des Entwurfkomplexes Rosen, Orpheus’ Tod, Quartär – weisen eine eher lockere thematisch-motivische Verflechtung auf konzeptgenetischer Ebene auf. An vielen Stellen sind motivische Assoziationsbeziehungen zwischen texträumlich benachbarten Entwürfen festzustellen, welche für den Leser als sprachliche Entwicklungslinien quer zu den Werktext-Grenzen lesbar werden. Eine solche Konstellation liegt mit dem oben bereits knapp eingeführten Prosa-Konzept Nb 11 11v vor. Es handelt sich um eine kurz vor den 20. März 1946 datierbare Entwurf-Konfiguration auf der Doppelseite Nb 11 11v , 12r (Abb. 5), bestehend aus einem kurzen Prosaentwurf, aus dem Teile später in einem Brief an Oelze verwendet werden,64 und einem vierzeiligen Versentwurf. Den Prosaentwurf dokumentiert Steinhagen nur ausschnittsweise so weit, wie es ihm zur Inklusion des Motivs »gross, rotblond Konfektion gefleckt (›Gelber Mohn‹) –« notwendig erscheint.65 In den Sämtlichen Werken ist er vollständig abgedruckt, allerdings nicht im Apparatteil zum Gedicht Orpheus’ Tod in Band I, sondern in der Paralipomena-Abteilung »Prosaische Fragmente 1946« in Band V, dort findet sich lediglich im Kommentar ein Hinweis auf das Gedicht Orpheus’ Tod.66 Der Text des auf Seite Nb 11 11r (siehe S. 630) beginnenden Prosaentwurfs lautet: Der Ekel vor den Zeitgenossen ist so gross, dass man gerne in der Erde läge, wo einen zwar ihre Schuhsohlen u ihre Spucke, nicht aber ihre Worte u Gedanken erreichten. Der innere Verfall ist so [f w] eit, dass man dsiche Verdacht bringt, eine Lüge – ausgerechnet über Benns und Hertas unglückliche Ehe – zu beinhalten. Decker: Gottfried Benn. Genie und Barbar. 2006, S. 357f. 63 BOelze, II.1, S. 53. 64 Ebd., II.1, S. 22. 65 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 110. 66 Vgl. SW, V, S. 227, 717f. Die frühere Behauptung des Verf., dieser Text sei noch in keiner Ausgabe vollständig wiedergegeben worden, sei hiermit revidiert. Vgl. Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 222, bereits revidiert ders.: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. 2010. Die hier gegebene Transkription korrigiert nochmals den Textbefund. Siehe auch S. 630. Im Text der SW Fehllesungen und abweichende Entzifferungen, vgl. SW, V, S. 227.
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
75
Abbildung 5: Doppelseite Nb 11 11v , 12r , Entwurf zu Orpheus’ Tod. nicht dane seinedne Formen [sieht reisst] . Manchmal nehme ich Dolantin, ein Morphin- | derivat), sonntags gehe ich zu einer Bekannten, weil sie nahe wohnt alles regional verankert heute, gross rotblond Konfektion gefleckt („gelber Mohn“) – traurige Räusche, traurig gefärbte Röten, fahle u alles doppeltbodig . . .
Der Gedichtentwurf auf der gegenüberliegenden Seite Nb 11 12r wurde bisher keinem der beiden Gedichte zugeordnet. Er steht in Band II der Sämtlichen Werke in der Abteilung »Poetische Fragmente 1930–1955« nachzulesen.67 Der Text lautet, linearisiert: Wenn die Materie in sich selbst verbrennt u der entfärbte Geist sich selbst erkennt . . . Wenn au[f s] den Blöcken, hart zu Stein verdammt der neue Stoff, [geis die] dneuee Flamme flammt68
Der einstrophige Entwurf findet sich in Notizbuch 11 vor den Vorarbeiten zu Quartär – und geht ihnen auch in der Chronologie voraus. Der Text dieses kurzen 67 Vgl. ebd., II, S. 193. 68 Nb 11 12r , siehe S. 634. In den SW alternative Entzifferungen ebd., II, S. 193: »enttrübt« (Befund uneindeutig), »heut«, die Überschreibungen wurden in den SW nicht transkribiert.
76
Textgenese und editorische Konzeption
Entwurfes ist zwar auf keine Strophe des Gedichts direkt abbildbar, allerdings nimmt er bereits die im Quartär-Gedicht nach mehreren Zwischenentwürfen wieder aufgenommene motivische Opposition von kosmischem Kataklysmus in Flammen und dem Selbst-Erkennen, dem Selbst-Erleben des an mehreren Stellen als durchsichtig, ausgelaugt, atrophisch, also entfärbt beschriebenen »Geistes« beziehungsweise der »Götter oder das, was menschliches Wesen gewesen war« vorweg, Nb 13 2v , siehe S. 775.69 Obwohl Benn im weiteren Verlauf der Arbeiten noch in der Wortwahl schwankt, dürfte die frühe Vorwegnahme der motivischen Konstellation der Zyklusteile I und III von Quartär – deutlich sein. Direkt räumlich auf der Doppelseite opponiert befindet sich der Schluss des Prosaentwurfs, in welchem die motivisch in dem Bereich des Feuers zu rechnenden Farben (»gelber Mohn«, »traurig gefärbte Röten«) durch die Motivik des Entfärbten (»fahle u alles doppeltbodig«, »der entfärbte Geist«) gebrochen erscheint. Das Rausch-Motiv, in einem Brief an Oelze als »angetrunkene Räusche« aufgenommen,70 verarbeitet Benn später in die ersten Zeilen des Gedichts: »Die Welten trinken und tränken / sich Rausch zu neuem Raum«.71 Die Motivik des Selbst-Erlebens, des Selbst-Erkennens, aber auch des Verbrennens spiegelt sich im Prosaentwurf in der Introspektion zum »innere[n] Verfall«, an dessen Formen sich das Sprecher-Ich nicht mehr reiße (zum Vergleich Quartär –: »Verfall, Verflammen, Verfehlen –«, V. 5). Es handelt sich bei dieser motivischen Parallelentwicklung in Prosa und Versen um Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod und zu Quartär –. Die private Innenperspektive des Schreiber-Ich im Prosaentwurf ist gekennzeichnet von einem Gefühl des Ekels für die »Zeitgenossen«, vor deren Anwürfen es sich »in d[ie] Erde« sehnt. Der vierzeilige Entwurf rechts kehrt die Introspektion des Prosaentwurfes in eine Perspektive der kosmisch-äußersten Dimension des »Geist[es]«, dessen Selbst-Erkennen mit dem Selbst-Verbrennen der Materie parallelisiert wird, woraus »hart« ein »neuer Stoff« »flammt«. Im Prosa-Entwurf zu einem Brief an Oelze, der sich zwischen den bereits weiter entwickelten Entwürfen zu Quartär – in Nb 13 befindet, heißt es entsprechend unterstrichen: »tief melancholischer, schweigend sich erlebender Geist«.72 Um dieselbe motivische Dichotomie von innerer Gedankenwelt und äußerer materieller ›Realität‹ spielen auch die beiden anderen, auf der rechten Seite erhaltenen Notate: »den unleugbaren Schritt in die Wirklichkeit« und »Gedankenwelt! Nährgut aus hohlen Zähnen geholt –«. Es handelt sich hierbei um Konstellationen, deren Relevanz für Rekonstruktion des Schreibprozesses beziehungsweise der Konzeptgenese sich durch Interpre69 70 71 72
Nb 13 3r , siehe S. 776, TH2 Quartär 1v , siehe S. 819, vgl. auch Der Ptolemäer, SW, V, S. 21. Ebd., II.1, S. 22. Vgl. E Quartär –, siehe S. 842, V. 1–2. BOelze, II.1, S. 55f, zum Motiv des Schweigens und des Geistes siehe auch S. 894–897.
›Materialität‹ und textgenetische Deutung
77
tation des Gesamtzusammenhangs des dossier génétique erschließt. Nicht alle Bewegungen des Schreibens, nicht alle Strategiewechsel sind unmittelbar aus aufeinander abbildbaren Textstufen oder Relationierungen material evidenter Indikatoren ableitbar. Es ist zumindest denkbar, dass einige der »wesentlichen Vorgänge in den herumliegenden Spuren gerade nicht gefunden«,73 wohl aber interpretierend erschlossen werden können. Hingewiesen sei an dieser Stelle immerhin kursorisch auf die textgenetische Interpretation des Selbstkommentars zum Gedicht Rosen im Kontext des Entwurfkomplexes Rosen, Orpheus’ Tod, Quartär –, welche anhand der materialen Konstellation und Motivbezügen dem Prosakonzept eine textgenetische Funktion im Übergangsbereich zur produktorientierten Schreibphase von Orpheus’ Tod zuweist.74 In den Bereich solcher nur in der Gesamtschau auf ein dossier génétique erkennbaren textgenetischen Zusammenhänge gehört auch die Beobachtung, dass direkt im Anschluss an diese produktorientierte Phase in Nb 12, während der die Verwandlungen Ovids als Montagetext-Quelle eingeführt wird, am Beginn der produktorientierten Schreibphase für Quartär –, auf der ersten Seite von Nb 13, ebenfalls ein mythologisches Zitat steht, welches stichwortartig den »Erebos« und die Unterwelt aus den vorangehenden Orpheus-Entwürfen aufnimmt – diesmal das Nekyia-Motiv aus Homers Odyssee: »I. X 46. Unterwelt – / ›Zerschnitt die Gurgeln über der Grube / aus dem Erebos kamen viele Seelen herauf‹«.75 Gottfried Benn ist insofern als ›Papierarbeiter‹ anzusehen, als seine Schreibstrategien sich an den materialen Dimensionen und Eigenschaften des Textträgertypus orientieren. Dies trifft nicht nur für seine Montage-Manuskripte zu, sondern auch für die Weise, in der er den Schreibraum seiner Notizbücher organisiert. Benn verwendet die Arbeitstopografie der Textträger nicht ausschließlich als Tagebuch oder als Entwurfjournal. Häufiger ist die vermischte Nutzung sowohl für Alltags- und Lektüre-Notizen, Tagebuch-Einträge, als auch für dazwischen befindliche, literarische Arbeiten. Diese schließen gelegentlich, wie an zwei Beispielen zu Orpheus’ Tod gezeigt, thematisch oder motivisch an Tagesnotizen oder Briefentwürfe an. Insbesondere in diesen frühen Vorarbeiten-Stadien schreibt Benn meist prozessorientiert, das heißt, es ist nicht erkennbar, wie und ob die im Laufe des Schreibens entwickelten Ansätze und Segmente einmal zu einem Werktext kombiniert werden. Viele dieser Ansätze und Textsegmente werden nicht weiter verfolgt, andere in mehreren Arbeitsphasen und Textstufen 73 74 75
Gellhaus: Vorwort. 1994, S. 14. Nb 12 2r , siehe S. 690. Siehe »Wechselwirkungen im Schreibprozess«, S. 899–901. Nb 13 1r 1–3, siehe S. 768. Siehe S. 901–902.
78
Textgenese und editorische Konzeption
überarbeitet, rekontextualisiert und versuchsweise in Montage-Anordnungen eingepasst. Während der prozessorientierten Schreibphase ist der Text als in einem konzeptgenetisch volatilen Zustand anzusehen. Seine Gestalt und Grenzen der Werktexte stehen noch nicht fest, so dass im Produktionsprozess nicht eine vollständige, geschlossene Textstufe auf die andere folgt, sondern thematisch und motivisch locker assoziierte Notizen, Ansätze und Entwurfsegmente entstehen, welche in ihrem lokalen Zusammenhang zu lesen sind. Oft laufen auf diese Weise während der Frühstadien die Konzeptarbeiten zu mehreren Texten zeitlich parallel. In seinen Notizbüchern arbeitet Benn während der Vorarbeiten noch werktextübergreifend und prozessorientiert, im Übergang zur Textualisierungsphase segmentweise, die endgültige Anordnung der Strophen erfolgt in einigen Fällen erst relativ spät. Die Schreibstrategie, zunächst kürzere Ansätze und Segmente separat zu entwickeln, um sie später zusammenzusetzen, ist deutlich durch den in räumlichen Dimensionen begrenzten, teils durch Tagesnotizen bereits belegten Schreibraum der Notizbuch-Seiten bedingt bzw. begünstigt. Benn arbeitet allerdings mitunter auch auf Einzelblättern nach diesem Muster, etwa bei der Niederschrift der Monolog-Entwürfe.76 Bestimmte Montage-Effekte in Benns Lyrik sind direkt auf diese Arbeitsform zurückzuführen – zum Beispiel der stilistische und perspektivische Bruch zwischen den ersten drei Strophen von Reisen, in Nb 15a entworfen, und der vierten, welche separat in Nb 15c niedergeschrieben wurde.77 Benn nutzt den Schreibraum der Notizbücher nicht immer linear, sondern ›springt‹ gelegentlich zwischen den Abschnitten vor und zurück. Tatsächlich ergeben sich die Stabilisierungen der Textgestalt in der Regel aus dem Schreibprozess heraus: als sich nach und nach verfestigender Zeilenfall, als sich wiederholende Segmentkombination oder als erst später das Textmaterial konstellierender Montage-Vorgang. Das Montage-Verfahren wurde zumindest bei der Komposition von St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts noch durch physische Remontage bis in die Textualisierungsphase fortgesetzt, wobei der Text allerdings nicht nur umgestellt, sondern in zahlreichen Arbeitsgängen weiter bearbeitet durch nachträglich mit der Hand geschriebene Strophen erweitert wird. Auf den ersten Blick mögen die Flexibilität Benns im Umgang mit dem »Material«, die prozessorientierten, Textmaterial in Notizen- und Stichwortform versammelnden Arbeitsphasen und die konzeptionellen Wendungen bei den umfangreicheren Schreibprojekten geradezu chaotisch wirken. Benns ›Arbeitsweise‹ ist insofern »ganz unphilologisch«,78 als sie nicht mechanisch nach 76 77 78
H1 Monolog 1r –4r , siehe 246–256. Nb 15a 51v , 15c 9r , siehe S. 907–910, siehe auch S. 85. SW, II, S. 212.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
79
immer demselben Muster verfährt. Die meist nur anhand subtiler Merkmale des materialen Befunds oder indirekt erschließbarer Übergänge zwischen prozessorientierter, Vorarbeiten- und Textualisierungsphase sind daher oft bis zur Komposition nicht für den gesamten Text, sondern nach Segmenten zu verfolgen. Die Arbeitsphasen- und Schreibstrategiewechsel lassen sich nur durch Nachvollzug anhand des materialen Befundes erschließen. Dasselbe gilt für Problemfälle der textgenetischen Deutung, etwa aus dem grafischen Befund nicht eindeutig feststellbare Textzustände, die genaue texträumliche Konstellation von Vorarbeiten und Entwürfen gegenüber den umgebenden Texten und für nur aus dem Gesamtzusammenhang des dossier génétique herzuleitende Zusammenhänge.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen Nur wenige Schriftsteller des 20. Jahrhunderts hatten eine so lange und wechselvolle Wirkungszeit wie Gottfried Benn. Die während dieser Zeit immer neu entwickelten Formen in Lyrik und Prosa, welche auch seine literarisch stilprägende Kraft begründen, sind das Produkt eines ständigen schreibenden Experimentierens. Auf die Umfrage der Welt am Sonntag im November 1952 unter dem Titel »Schreiben Sie am Schreibtisch?« antwortet der Dichter mit einer ›Schreibszene‹, einem Ensemble für den kleinbürgerlich grundierten Dichter-Arzt aus drei Tischen: Kneipentisch im »Stammlokal«, alter Schreibtisch im Sprechstundenzimmer, Mikroskopiertisch mit Schreibmaschine im Parterre mit Blick auf den Hof, auf Kaninchenbucht, Wäscheleinen, Hortensien.79 Am »entscheidende[n]« Tisch, »von dem sich schon mancher gebildete Mensch mit Erstaunen abwandte«, »neben dem Mikroskop«, wird die Produktion des »einfallsbeflissenen Ich« als »maschinell Geschriebene[s]« dem kritischen, objektiven »Urteil« des wissenschaftlichen Experimentators unterworfen.80 »Alles etwas beengte 79 Vgl. Arne Höcker: Artistische Dinge oder Wie man lyrische Gedichte macht: Gottfried Benns Schreibszene. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 129.4 (2010), S. 609–621. Zum Begriff der ›Schreibszene‹ als »historisch und individuell von Autorin und Autor zu Autorin und Autor veränderliche Konstellation des Schreibens«, Martin Stingelin: ›Schreiben‹. Einleitung. In: ders. (Hrsg.): »Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte. München: Fink 2004 (= Zur Genealogie des Schreibens 1), S. 7–53, hier S. 15, hier auch Abgrenzung zum Begriff der ›Schreib-Szene‹, »wo sich dieses Ensemble in seiner Heterogenität und Nicht-Stabilität an sich selbst aufzuhalten beginnt, thematisiert, problematisiert und reflektiert«. Zum allgemeinen Begriff der ›Schreibszene‹ vgl. Rüdiger Campe: Die Schreibszene. Schreiben. In: Hans Ulrich Gumbrecht u. a. (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 759–772. 80 SW, VI, S. 95f, Arne Höcker lädt diese Inszenierung in Fortsetzung von Kittlers Charakterisierung der drei Tische als »Medienverbundsystem« sowohl aus einer technischen Sicht der Wissenschafts- und Mediengeschichte, aber auch produktionsästhetisch als »objektive[] Anordnung von Apparaturen« auf, welche dem »subjektiven Einfall von Worten« letztlich Form verleiht. Höcker: Artistische Dinge oder Wie man lyrische Gedichte macht: Gottfried Benns Schreibszene. 2010; Friedrich
80
Textgenese und editorische Konzeption
Tische«, bemerkt Benn mit einer Mischung von Außenseiter-Inszenierung und Bescheidenheitstopos, bezogen auf einen in einem Schaufenster betrachteten »Schreibtisch: 2 Meter zu 3 Meter, dunkel gebeizt, spiegelnd, nichts drauf – von dem hätte sich, sagte ich mir, natürlich Raumgreifenderes gestalten lassen.«81 Bei welchen Schreibprozessen diese für das Feuilleton in Szene gesetzte Konfiguration des Arzt-Dichters in der Kneipe und seiner Wohnung, die zugleich Praxis ist, genau so und in dieser Reihenfolge zum Tragen kam, lässt sich anhand des überlieferten Befundes im Einzelnen nicht mehr feststellen.82 Sicher zutreffend ist, dass Benn eine »schwierige[] Handschrift« hatte, die wohl auch ihm selbst nicht immer lesbar erschienen sein mag, und dass der Wechsel zur Schreibmaschine und somit zur vorläufigen Reinschrift eine besondere Bedeutung hatte. Das beschriebene Szenarium platziert die Schreibmaschine neben dem Mikroskop und ruft durch die benachbarten Apparaturen frühere Darstellungen des nüchtern, wissenschaftlich analysierenden und urteilenden Arztes auf, ohne dass das Mikroskop in den Schreibvorgang direkt einbezogen wäre. Anders als etwa Probleme der Lyrik oder Statische Gedichte verweist dieses SchreibszenenModell direkt auf die Prozessualität des Schreibens und auf dessen Bedingungen: »Hier [am dritten Schreibtisch] entwickeln sich seit 1945 die gewissen Dinge.«83 Die literarisch überformten, insbesondere in den 1950er Jahren mitunter widersprüchlichen Aufsätze und Reden geben kaum Aufschluss über Benns tatsächliche Arbeitsformen.84 Eine philologische Rückbindung dieser Inszenierungen A. Kittler: Benns Gedichte – ›Schlager von Klasse‹. In: ders. (Hrsg.): Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. Leipzig: Reclam 1993, S. 105–129. 81 SW, VI, S. 96. 82 Vgl. auch die bei Hof dokumentierten fotografischen Arrangements, Holger Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. Stuttgart: Klett-Cotta 2007, S. 213, 215, 218, 224, 227, 252, 256, 263, 265. 83 SW, VI, S. 95. Zum poetologischen Ausschluss des Prozessaspekts in Probleme der Lyrik vgl. Zitate in Anm. 85. Zu Statische Gedichte: »Entwicklungsfremdheit«, ebd., I, S. 224. Vgl. auch Anacker: Unaufhörliche Verwandlungen. 2007, S. 33f. Zur in diesem Zusammenhang literaturgeschichtlich relevanten Reaktion Paul Celans zu diesem Aspekt von Probleme der Lyrik, auf welche seine Büchnerpreis-Rede bekanntlich ihrerseits antwortet, vgl. auch Zanetti: »zeitoffen«. Zur Chronographie Paul Celans. 2006, S. 12–13. 84 In Benns expositorisch-poetologischer Prosa wechseln sich über den langen Werkzeitraum mehrere, teils sich gegenseitig ausschließende Avantgarde-Modelle lyrischen Schaffens ab. In den späten poetologischen Texten, vor allem Probleme der Lyrik, etwa herrscht bereits eine Montage aus Selbstzitaten, Zitaten aus T.S. Eliots Von Poe zu Valéry (aus dem Merkur-Heft 4 von 1950) und weiterer Quellen vor, welche nur noch notdürftig miteinander vermittelt werden (vgl. zu Probleme der Lyrik Reinhold Grimm: Die problematischen »Probleme der Lyrik«. In: Bruno Hillebrand (Hrsg.): Gottfried Benn. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (= Wege der Forschung 316), S. 206– 239, Bernhard Fischer zur Akademie-Rede: »Es ist für Benns Denken, das in seinem assoziierenden, rhapsodischen Duktus ebensosehr zur Inkonsistenz wie zur Mystifikation neigt, bezeichnend, daß es sich auf keine klare Entscheidung für eine der drei Positionen einläßt, daß es vielmehr in gleichem Maße von allen diesen drei einander doch deutlich entgegengesetzten Möglichkeiten zehrt.« Fischer: ›Stil‹ und ›Züchtung‹. 1987, S. 193, SW, VI, S. 363ff, vgl. zur Montage in Benns Essayistik auch Hof: Montagekunst und Sprachmagie. 1997). Willems bemerkte zudem bereits eine konzeptio-
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
81
des Produktionsprozesses an den Befund erscheint mindestens problematisch.85 Die folgenden Analysen rekonstruieren daher exemplarisch Elemente dieser Arbeitsformen Benns anhand des Befunds unter methodologisch begründetem Ausschluss eventuell möglicher Rückverweise auf die poetologischen Schriften. Die überlieferten Textzeugen zeigen Gottfried Benn in der Tat als ausgesprochenen ›Papierarbeiter‹,86 seine ›Schreib-Szenen‹ bilden die Arbeitstopografie seiner Notizbücher, seine Manu- und Typoskripte.87 Erste philologische Annäherungen an Benns Arbeitsformen wurden bereits in den editorischen Berichten der Sämtlichen Werke,88 den Dissertationen Harald Steinhagens89 und Holger Hofs90 sowie im Begleitheft zur Doppelleben-Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar unternommen.91
Notizbücher und Montage-Manuskripte Der im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar verwahrte Nachlass Gottfried Benns umfasst neben Lebenszeugnissen, Briefen, Schriftstücken des täglichen Gebrauchs und der Bibliothek des Schriftstellers vor allem die Zeugnelle Phasenverschiebung zwischen Benns lyrischer Produktion und seiner Essayistik, vor allem Probleme der Lyrik, einen »eigentümlichen Gegensatz von Rezeption und Produktion«, Gottfried Willems: Großstadt- und Bewußtseinspoesie. Über Realismus in der modernen Lyrik, insbesondere im lyrischen Spätwerk Gottfried Benns und in der deutschen Lyrik seit 1965. Tübingen: Niemeyer 1981 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 31), S. 25f. 85 Stellvertretend für eine ausführliche Diskussion sei nur auf den offenen Widerspruch zwischen dem bekannten, entelechischen Zitat »das Rätselhafte: das Gedicht ist schon fertig, ehe es begonnen hat, [der Autor] weiß nur seinen Text noch nicht. Das Gedicht kann gar nicht anders lauten, als es eben lautet, wenn es fertig ist.«, SW, V, S. 21, und der Beschreibung des Wegs vom »dumpfen schöpferischen Keim« über die Flimmerhaar- und Assoziationstheorie des Worts bis zur formalen Abstraktion und zur Voraussage des montierenden »Roboterstils« hingewiesen, dies alles unter Verweis auf den handwerklichen Prozess: »Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten – ein Gedicht wird gemacht.«, ebd., V, S. 10. Auch dieser galt Benn nicht immer als Ideal, vgl. »So was kann man nicht machen, so was entsteht. Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht.«, Gottfried Benn: Das Unaufhörliche. Briefwechsel mit Paul Hindemith. Hrsg. v. Ann Clark Fehn. 2. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta 1993 (= Briefe 3), S. 89. An mehreren anderen Stellen betont Benn den Stellenwert des handwerklichen, durchaus ergebnisoffenen und Brüche offen lassenden Prozesses, vgl. etwa die Bemerkung zur Verfertigung von Quartär –: »Ein Poem ist ein schwieriges Werk, alles muss miteinander verzahnt werden, eine furchtbare An- und Ausgleichsarbeit, bis alles zusammenpasst und stimmt, dazu können auch leere Stellen nötig sein [. . .] jeder Vers trägt Spuren dieser Fugenarbeit u. nicht in jedem kann die Totalität der Planung und Vision sein.«, BOelze, I.2, S. 55, vgl. zur auch in Entwürfen zu Orpeus’ Tod angedeuteten Poetik des »Ausgleichs«, S. 709, 717. 86 Vgl. Scheibe: Variantendarstellung in Abhängigkeit von der Arbeitsweise des Autors und Überlieferung seiner Werke. 1998, S. 172–175. Zur Problematik der idealtypischen Unterscheidung vgl. Hurlebusch: Den Autor besser verstehen: aus seiner Arbeitsweise. 1998. 87 Zum Begriff ›Schreib-Szene‹ vgl. Anm. 79. Zum Begriff der Arbeitstopografie siehe S. 31, ebd. auch Anm. 5, vgl. auch vgl. Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 209–212. 88 SW, VII/2, S. 616–622. 89 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969. 90 Hof: Montagekunst und Sprachmagie. 1997. 91 Jan Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. Marbach a. N.: Deutsche Schillergesellschaft 2006 (= Marbacher Magazin 113).
82
Textgenese und editorische Konzeption
nisse der literarischen Arbeit. Hierzu zählen neben einzelnen Entwürfen und Reinschriftfassungen in handschriftlicher und Typoskriptform, den Druckfahnen und Belegexemplaren die zahlreichen Notizbücher, -hefte und Kalender: die sogenannten ›Arbeitshefte‹.92 Es handelt sich dabei um diarisch geführte Notizkalender, Praxisbücher, Entwurf- und Notizbücher beziehungsweise -hefte unterschiedlicher Formate und Heftung aus den Jahren 1930 bis 1956. Benns Gebrauch der Notizbücher ist heterogen, keineswegs durchgängig arbeitsbezogen oder planvoll. Literarische Formen mischen sich immer wieder zwischen die Alltags- und Lektürenotizen. Die Notizbücher kamen Benns Schreibgewohnheiten durch ihre Kompaktheit wie auch durch ihren umfangreichen, während des Schreibens frei in Abschnitte unterteilbaren Schreibraum entgegen. Die Praxis des Festhaltens flüchtiger literarischer Einfälle, knapper Tages-, Lektüre- und Prosanotizen einerseits, umfangreicher Entwurfreihen andererseits, prägt den materialen Befund. Die Häufung von kurzen Prosakonzepten und Notizen, aphoristischen Formen und Stichwortentwürfen ist ebenso kennzeichnend für Benns Arbeitsform wie das Immer-wieder-neu-Ansetzen, das sich unter anderem in dicht gesäten Schreibgeräte- und Duktuswechseln niederschlägt. Insbesondere die flüchtig und mit Bleistift fixierten Notizen und Entwürfe sind wegen Benns »schwierige[r] Handschrift, die [er] selbst nicht lesen« konnte, oft entsprechend schwer oder gar nicht eindeutig lesbar.93 Benn verwendete den Schreibraum der »Arbeitstopografie« überwiegend, aber keineswegs durchgehend linear nach der Folge der Paginierung. Nicht selten fixierte er Entwürfe aber auch dort, wo sich gerade Platz unter den Tagebucheinträgen fand, begann auf der rechten Seite einer Doppelseite und setzte links fort oder ließ innerhalb eines unvollständigen Ansatzes Platz, um die fehlenden Reimworte oder Strophen später zu ergänzen. Gelegentlich reservierte er ganze Notizbuch-Abschnitte für Entwürfe zu einem Werktext oder für Lektürenotizen zu einem Thema.94 In den Notizbüchern repräsentiert sich ein eng verwobener Zusammenhang aus »syntagmatischer« und »paradigmatischer« Dimension des Schreibprozesses,95 welcher sich dem Leser in seiner textgenetischen Motiviertheit ausschließlich bei der Lektüre 92 Zur Diskussion des Begriffs ›Arbeitsheft‹ siehe S. 106. 93 SW, VI, S. 95. Die durch häufig verschliffene, vor allem aber durch einerseits indistinkte, andererseits oft wechselnde Allografen schwer lesbare Handschrift hat immer wieder zu fehlerhaften Entzifferungen geführt, vgl. auch Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 208. Vgl. zu kritischen Punkten an den SW auch Michael Ansel: Wirklichkeit rein aus Hirnrinde in acht Bänden. (Rezension zu: Gottfried Benn: Sämtliche Werke – Stuttgarter Ausgabe. [. . .] Stuttgart: Klett-Cotta 2004). In: IASL Online, 27. Feb. 2005. url: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1268 (besucht am 27. Jan. 2013). 94 Vgl. zur alinearen Arbeitsweise Benns sehr allgemein auch Gerhard Schuster: Editorischer Bericht. SW, II, S. 212. 95 Martens: Dichterisches Schreiben als editorische Herausforderung. 1998, S. 106f.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
83
der materialen Konstellation auf dem Textträger erschließt. Es gibt aus dieser Perspektive in den Notizbüchern keine ›Schlacken‹ oder ›überflüssiges‹ Textmaterial, weil im Rahmen von Benns Arbeitsweise jede einzelne Notiz im Laufe des Schreibprozesses zum »Scharnier« zu einer Weiterführung des Textes werden konnte.96 Selbst den begleitenden »Autobiographika«, also Tagebucheinträgen, Briefentwürfen usw., ist eine polyvalente ästhetische Qualität eigen, welche weder erlaubt, sie »zum bloßen Material [der Kommentierung] zu degradieren«, noch die Werktexte als »als poetische Ausarbeitungen des biographischen Materials zu begreifen«.97 Gerade die Entscheidung, welche dieser im lokalen texträumlichen Umfeld der Entwürfe befindlichen Notizen in den textkritischen Apparat einer Ausgabe aufgenommen werden, kann spätere Interpretationen stark beeinflussen, wie sich an der Forschungsgeschichte zu Orpheus’ Tod zeigt. Der Zeitraum und die Reihenfolge des Gebrauchs der Hefte sind durch diarische Eintragungen, verstreute handschriftliche Datierungen und datierbare Briefentwurf-Fragmente in der Regel zumindest abschnittsweise gut nachvollziehbar. Neben den Notizbüchern unterschiedlicher Formate dienten gebundene Ärztekalender nicht nur als chronologisierte Notizbücher, sondern auch zur Fixierung poetischer Einfälle und Entwürfe.98 Die Wahl der Schriftträger ist, wie die der Schreibwerkzeuge, von den Lebensumständen abhängig. Benn bevorzugte Bleistifte und Füllfederhalter, daneben auch Buntstifte. In Kriegszeiten und nach 1945 verwendete er notgedrungen oft auch schlechtere Bleistifte und nach dem Krieg Kugelschreiber. Die Schreibwerkzeuge und Schreibstoffe haben Einfluss sowohl auf Duktus und Leserlichkeit der Schrift sowie auf ihren Konservierungszustand. Aus Untersuchungen der Entwurfreihen lassen sich zahlreiche nicht überlieferte Textträger, also für die Konstitution einer Textgenese fehlende Notizbücher erschließen. Insbesondere für die 1930er und 1940er Jahre muss die Überlieferung als lückenhaft gelten. Gleichwohl kann man Phasen der haupt96 Vgl. Van Hulle zu Joyce’s Finnegans Wake-Notizbüchern: »Jede Notiz ist deshalb ein Scharnier zwischen den ›dekomponierten‹ Quellentexten und den potenziellen ›Rekombinationen‹ in den Textfassungen – potenziell, weil Joyce nicht alle Notizen verwendet hat.« Dirk Van Hulle: Zum editorischen Umgang mit Notizbüchern. Mit einem besonderen Blick auf Joyces Finnegans WakeNotebooks. In: editio 18 (2004), S. 145–156, hier S. 148. 97 Hartmut Vinçon: »Jahrhundertwende«. Status und Funktion autobiographischer Schriften für die Edition kritischer Ausgaben der Literarischen Moderne. In: Jochen Golz (Hrsg.): Edition von autobiographischen Schriften und Zeugnissen zur Biographie. Tübingen: Niemeyer 1995 (= Beihefte zu editio 7), S. 249–263, hier S. 251. 98 Je nachdem, welche Gebrauchsform vorherrscht, ist die Datierung mehr oder weniger präzise zu ermitteln. Wenn etwa die Funktion des Tagebuchs überwiegt, ist abschnittsweise jede Seite datiert. Wo die Dichte der eigenhändigen Datierungen geringer ist, etwa in reinen Entwurfheften, können in der Regel lediglich näherungsweise Datierungen innerhalb der relativen Chronologie vorgenommen werden.
84
Textgenese und editorische Konzeption
sächlichen Nutzung der Notizbücher und Kalender unterscheiden. So sind aus dieser Zeit Tageskalender, an bestimmte thematische Kontexte oder ›Projekte‹ gebundene Notizbücher, aber auch solche mit weniger organisierten Notizen und Entwürfen überliefert. Nicht selten liegen vermischte Gebrauchsformen vor. So finden sich gelegentlich Gedichtentwürfe in den als Tageskalender verwendeten Notizbüchern. Einige Notizbücher dieser Phase wurden offenbar zunächst als Gelegenheitskladden geführt, dann aber über weitere Strecken für die Konzeption eines größeren Textes oder mehrerer Texte genutzt, etwa Weinhaus Wolf (Nb 5), Roman des Phänotyp (Nb 9 und 10) oder Der Ptolemäer (Nb 11, 12, 13).99 Aus dem Zeitraum 1930 bis 1945 sind 21 Notizbücher überliefert, zahlreiche fehlende sind erschließbar. Eine relativ geschlossene Überlieferung der Tagebücher ist erst ab 1944 gegeben. In den Jahren 1946 bis 1948, als Benn seine Praxis wieder aufnahm, ist eine deutliche Differenzierung von Praxisbüchern und Tagebuch- beziehungsweise Notizheften für Alltagsnotizen und literarische Einfälle festzustellen. Allein aus diesen drei Jahren sind 28 Notizbücher erhalten. Ab 1948 bis etwa 1953 ist eine Phase verstärkter zeitlicher Serialität und Organisation gegeben: Die Kalender, Notiz- und Praxisbücher wurden relativ systematisch genutzt und schließen bei ihren Datierungen oft zum Monatsende genau aneinander an. Die organisatorische Differenzierung des Gebrauchs ist zwischen 1946 und 1948 weniger ausgeprägt. Häufig ist etwa zu beobachten, dass in dieser Phase vorwiegend als Tagebücher genutzte Kalender nebenbei gleichzeitig für poetische Entwürfe verwendet werden. Ab Anfang der 1950er Jahre ist wiederum vermehrt eine gemischte Nutzung der Notizbücher als Tagebuch und als Entwurfbuch für Literarisches zu beobachten. Allein aus den neun Jahren von 1948 bis 1956 sind insgesamt 57 Notizbücher erhalten. Nachdem in Harald Steinhagens Auswahledition bereits Notizbuch-Entwürfe zu einigen der Statischen Gedichte erschienen waren und in die textkritischen Apparate der ersten Bände der Stuttgarter Ausgabe die Entwürfe der bis dahin bekannten 26 Notizbücher eingeflossen sind, werden im von Holger Hof herausgegebenen Supplementband VII/2 immerhin die ›literarischen‹ Notizen und Entwürfe der erst später aufgefundenen Textträger erstmals editorisch als eigenständiger Quellentyp behandelt. Trotz editorischer Kompromisse und Inkonsequenzen100 stehen im vorderen Textteil dieses Bandes statt abgeschlossener Werktexte chronologisch geordnete Entwürfe, Ansätze, Aperçus, Paralipomena, Lektüre- und Alltagsnotizen aus den ›Arbeitsheften‹, dazwischen Einzelblattentwürfe. Hofs vor allem für die frühen Schreibphasen zutreffende Beschreibung des prozessorientierten Schreibens während 99 SW, I, S. 214ff, 470ff, IV, S. 614–626, 764–767, V, S. 282–289. 100 Siehe S. 101–106.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
85
der Vorarbeiten-Phase101 bedarf allerdings der Ergänzung durch eine differenzierende Bestimmung der von Benn verwendeten Entwurf- und Textualisierungsstrategien.102 Auffällig ist Benns Tendenz, Lyrik-Texte in seinen Notizbüchern nicht von Anfang an als eine Folge in sich geschlossener Textstufen zu konzipieren, sondern zunächst mehrere Textteile oder Strophen als selbstständige, ›volatile‹ Segmente zu entwickeln, bis sie mit anderen kombiniert oder ›montiert‹ werden können. Die Segmente können sehr unterschiedlichen Ursprungs sein, im Fall der Gedichte 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts etwa resultieren sie aus einer umfangreichen, eigens angelegten Exzerpte-Sammlung.103 Einige dieser Segmente entwickeln sich aus Stichwörtern oder Motiven von Tagesnotizen und Prosaentwürfen, ein anschauliches Beispiel einer solchen poetischen Herauslösung eines Stichworts bzw. Motivs aus dem Notiz-Kontext wird in der Sektion zu Orpheus’ Tod diskutiert.104 Die Serien von Entwurfstufen solcher Segmente bis zur ›Montage‹ laufen entweder parallel und versuchsweise kombinierend oder zeitversetzt, sogar in unterschiedlichen Notizbüchern, ab. Ein eindrucksvolles Beispiel für paralleles Bearbeiten und experimentierendes Rekombinieren von Strophen-Segmenten ist der im Folgenden exemplarisch besprochene Entwurfkomplex Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene.105 Für das Gedicht Reisen (u.a. Nb 15a, 15b, Abb. 6) und den Zyklus Destille (u.a. Nb 18, 18b) hat Benn Segmente in separaten Notizbüchern, zunächst unabhängig voneinander, entworfen und später zusammengeführt.106 Die in Segmenten verfahrende Arbeitsform Benns lässt sich ebenfalls anhand der Einzelblatt-Textträger von H1 Monolog zeigen, auf denen die räumliche Verteilung der Zeilenverbände die noch nicht entschiedene Anordnung der Teilentwürfe zu einem Text verrät.107 In einigen Fällen ist festzustellen, dass Benn bereits für die spätere Verarbeitung vorgesehene Segmente, für die es jedoch noch keinen Platz in einer Textstruktur gibt, handschriftlich von einem Notizbuch in ein anderes oder einen anderen Abschnitt kopiert, um es im jeweils aktuell verwendeten Arbeitsabschnitt präsent zu haben, so etwa das »u eine Grosse, Gefleckte [. . .]«-Motiv zu Orpheus’ Tod oder der »An Tote zu denken ist süss [. . .]«101 »Kontinuität des täglichen Notierens, Exzerpierens und Formulierens in den Tagebuch- und Arbeitsheften und auf Einzelblättern«, die zum Zeitpunkt der Niederschrift in der Regel noch keine »bestimmte Verwendungsmöglichkeiten« vorsieht. Holger Hof: Editorischer Bericht, SW, VII/2, S. 617. 102 Zur Definition von prozessorientiertem und produktorientiertem Schreiben vgl. Grésillon: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. 1999, S. 132ff (»Typologie der Schreibweisen«). 103 Siehe S. 557–565. 104 Siehe S. 65–72. 105 Siehe S. 87–93. 106 Siehe (Nb 15a, 15c:) S. 907–910, (Nb 18:) 952, (Nb 18b:) 955–980. 107 H1 Monolog 1r –3r . Siehe S. 246–256.
86
Textgenese und editorische Konzeption
Abbildung 6: Nb 15a 52r (Entwurf zu Reisen, erste drei Strophen mit Ansatz zu einer vierten), Nb 15c 9r (Entwurf zur vierten Strophe).
Entwurf für das später zusammengesetzte Gedicht Orpheus’ Tod.108 Das Zusammenfügen der Segmente erfolgt gelegentlich noch im Notizbuch, meist jedoch in Form einer Reinschrift auf einem Einzelblatt-Textträger. Mit den Montage-Manuskripten TH1 und TH2 St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts hingegen wird der Prozess der Rekombination und der nachträglichen handschriftlichen Erweiterung noch nach der maschinenschriftlichen Reinschrift fortgesetzt.109 Insbesondere in der frühen, prozessorientierten Schreibphase verfolgt Benn oft noch kein konkretes Textprojekt bzw. arbeitet abwechselnd an mehreren Segment-Ansätzen. Die Vorarbeiten und Notizen sind in dieser Phase meist auf Notizen und Entwürfe in ihrem materialen Entstehungsumfeld bezogen. Es entstehen auf diese Weise gelegentlich schreibtechnische, thematische und motivische Querverbindungen zwischen den Vorarbeiten und Entwürfen zu verschiedenen Werktexten, die ›Entwurfkomplexe‹.110 Benns Notizbücher bilden ›Arbeitstopographien‹, deren Struktur und Verwendungsweise einerseits durch die Materialität dieses Textträgertypus mitbestimmt wird, andererseits 108 Weitere Ausführungen siehe S. 65–72. 109 Siehe S. 93–97. 110 Zu Definition und Einführung siehe S. 46–53. Zum Begriff vgl. Killy: Der »Helian«-Komplex in Trakls Nachlaß. 1959.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
87
als Ganzes mit Bezug auf bestimmte ›Werke‹ als ein zusammenhängendes dossier génétique zu lesen ist.111 Zahlreiche darin enthaltene Entwürfe sind in einem Maße von der Prozesshaftigkeit des Schreibens geprägt, dass sie in ihrer formalen wie inhaltlichen Unabgeschlossenheit nur mit einem Verständnis für die spezifische Dynamik der Entstehung und des lokalen Schreibkontexts sinnvoll lesbar sind.
Segmentweise Bearbeitung, Arbeitstopografie Notizbuch Die philologische Herausforderung der Notizbücher besteht neben der oft ungemein schwierigen Entzifferung in der Analyse der Textentstehungsprozesse einerseits und in der angemessenen Repräsentation der »Arbeitstopografie« im textkritischen Apparat andererseits. Die Notizbücher ermöglichten dem ›Papierarbeiter‹ Benn, mit den vorhandenen Notizen, Ansätzen und Entwürfen Doppelseite für Doppelseite neu zu experimentieren, die Textsegmente neu anzuordnen und Strategien der weiteren konzeptionellen, formalen und inhaltlichen Entwicklung zu erproben. Auf diese Weise dienen die Notizbücher Benn nicht nur als ›Speicher‹ für alltägliche Notizen und literarische Entwürfe, sondern auch als materiale Organisationsform für Textmaterial und Schreibprozess. Für den Editor von Benns Notizbüchern ergeben sich daraus besondere Schwierigkeiten. Häufig lassen sich frühe Textstufen und Vorarbeiten nicht eindeutig von genetischen Paratexten wie Tages- und Lektürenotizen oder auch Entwürfen zu anderen Texten unterscheiden.112 Die räumliche Folge der Entwürfe in den Notizbüchern ist oft weder thematisch homogen noch der chronologischen analog. Mitunter umfasst die Genese eines Textes über längere Zeiträume entstandene Notizen und Entwürfe, die über mehrere Notizbücher und Einzeltextträger verstreut sein können. Insofern die Notizbücher Benns oft sowohl eine größere Menge lose thematisch verbundener Vorarbeiten als auch vielstufige Entwurfreihen zu den jeweiligen Werktexten enthalten, sind eine rein ›horizontale‹ wie auch eine rein ›vertikale‹ Darstellungsform gleichermaßen als problematisch anzusehen.113 Im Rahmen einer ›horizontal‹ angelegten Archiv-Edition nach dem »Textträgerprinzip« werden die Textstufen und Arbeitsphasen in der Regel nicht chronologisch aufgeschlüsselt, die Abbildung des Entstehungsprozesses erfolgt im Sinne der 111 Grésillon: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. 1999, S. 139ff. 112 Zur Diskussion der Begriffe ›Textstufe‹, ›Variante‹ und ›Vorarbeit‹ vgl. Groddeck: ›Vorstufe‹ und ›Fragment‹. 1991; Gunter Martens: Die editorische Einheit »Textstufe«. Überlegungen zur Einrichtung des Zeilenzählers in genetischen Textdarstellungen. In: Gunter Martens u. a. (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 177–193; ders.: Schichten und Verbände, Schreibphasen und Korrekturfolgen. 1998. 113 Van Hulle: Zum editorischen Umgang mit Notizbüchern. 2004, S. 150.
88
Textgenese und editorische Konzeption
critique génétique unter Beibehaltung der räumlichen und grafischen Konstellationen durch entsprechende editorische Zeichen.114 Notizbücher bedürfen aufgrund der sich über längere Zeiträume erstreckenden Arbeitsprozesse, die sich in ihren Schreibräumen abbilden, besonderer editorischer Darstellungsformen.115 Notizbuch-Editionen werden angemessenerweise als ›horizontale Edition‹ angelegt, können allerdings je nach dominierender Arbeitsform des Schreibers auch bereits stärker textgenetisch-analytische Darstellungselemente enthalten.116 In manchen Notizbuch-Editionen werden die Notizen als abgeschlossene Einheiten behandelt und kommentiert.117 Der Einblendungsapparat der Edition von Klopstocks »Arbeitstagebuch« etwa integriert Aspekte der ›horizontalen‹ und ›vertikalen‹ Editionsform.118 Jüngere digitale Editionen gehen, entlastet von den Beschränkungen des Mediums Buch, andere Wege, um den Befund für den Leser genetisch zu erschließen. Während das Projekt Nietzschesource119 inzwischen zur rein dokumentierenden Faksimilierung übergangen ist, basiert das Beckettarchive120 ebenfalls auf Faksimiles, gibt jedoch wahlweise einblendbare topografische Transkriptionen und eine dynamische »compare versions«-Funktion an, mittels derer der Leser die ›vertikale‹ Textstufen- und Korrekturfolgen selbst selektiv einblenden kann.121 114 Grésillon: Bemerkungen zur französischen »edition génétique«. 1998, S. 54f. Vgl. beispielsweise die nach diesem Prinzip verfahrende Ausgabe von Brechts Notizbüchern, welche allerdings nicht explizit auf die critique génétique Bezug nimmt. Villwock: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. 2010, S. 30–35, 83–89. 115 In den vergangenen Jahren hat der Textträgertypus des Notizbuchs, insbesondere die Arbeitsaufzeichnungen von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, vermehrte Aufmerksamkeit erfahren. Vgl. u.a. Christoph Hoffmann: Umgebungen. Über Ort und Materialität von Ernst Machs Notizbüchern. In: Martin Stingelin u. a. (Hrsg.): Portable Media. Schreibszenen in Bewegung zwischen Peripatetik und Mobiltelefon. München: Fink 2010 (= Zur Geneaologie des Schreibens 12), S. 89– 107; Dirk Van Hulle: Darwins kladjes. Nijmegen: Vantlit 2010; ders.: Zum editorischen Umgang mit Notizbüchern. 2004. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit im Erscheinen begriffen: Marcel Lepper: Notizbücher: Prozessbegleitende Dokumentation philologischer Arbeit. In: Zeitschrift für Germanistik 23.2 (2013), S. 343–358. 116 Vgl. Van Hulle: Zum editorischen Umgang mit Notizbüchern. 2004, S. 150. Vgl. auch Brecht: Notizbücher 24–25 (1927–1930). 2010. 117 Beispiele für ein solches, die Notizen ›isolierendes‹ Verfahren wären beispielsweise Thomas Mann: Notizbücher in zwei Bänden. Hrsg. v. Hans Wysling u. a. Frankfurt a. M.: Fischer 1991ff. 118 Klaus Hurlebusch hat das Darstellungsproblem durch eine horizontal angelegte, also der Vorlage des Textträgers folgende Textanordnung gelöst, welcher separat eine chronologische Auflösung der Textstufen- und Textschichtensiglen beigegeben ist, vgl. Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Klaus Hurlebusch u. a. Bd. Abteilung Addenda: II. Berlin et al.: de Gruyter 1977ff, S. 149–172. Die Textstufensiglen und die jeweilige Bezeichnung des zu referenzierenden Werktextes sind in der »genetischen Textwiedergabe« kursiv eingeschaltet. 119 Vgl. Friedrich Nietzsche: Digitale Faksimile Gesamtausgabe Nietzsches (DFGA). Hrsg. v. Paolo D’Iorio u. a. 2000ff. url: http://www.nietzschesource.org (besucht am 27. Jan. 2013). 120 Vgl. Samuel Beckett: Samuel Beckett Digital Manuscript Project. Hrsg. v. Dirk Van Hulle u. a. 2011. url: http://www.beckettarchive.org (besucht am 27. Jan. 2013). 121 Zu Konzeption, Theorie und Implementierung der Varianten-Erkennung mit CollateX vgl. Ronald Haentjens Dekker u. a.: Computer-supported collation of modern manuscripts: CollateX
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
89
In einem ersten Beispiel geht es um die in Notizbuch 4a überlieferten Entwürfen zu Ach, das Erhabene, Astern und Die weißen Segel von August 1935. Die drei Texte entstehen etwa ein halbes Jahr nach Benns Reaktivierung als Militärarzt und Versetzung nach Hannover. Indem er seine Person durch den Wiedereintritt ins Militär weitgehend den Nachstellungen durch Eiferer der Partei und der SS entzogen zu haben glaubte, suchte Benn trotz der Zuspitzung der NS-Kulturpolitik mit den Anfang 1936 in Heinrich Ellermanns Zeitschrift Das Gedicht – Blätter für die Dichtung publizierten »Stadthallen-Gedichten« und den Ausgewählten Gedichten erneut nach Publikationsorten.122 Er hatte sich erst 1934 von der Ideologie des Nationalsozialismus distanziert und aus den kulturpolitischen Aktivitäten zurückgezogen. Die Entwürfe und begleitenden Notizen in Notizbuch 4a tragen noch deutliche Züge politischer Ambivalenzen und von Desorientierung.123 Die Entwürfe zu den drei Gedichten sind über fast den gesamten Schreibraum des Notizbuchs verstreut und teils miteinander verschränkt. Während Astern und Ach, das Erhabene in Notizbuch 4a jeweils bis zu in sich geschlossenen Entwurfstufen gelangen, sind zum Gedicht Die weißen Segel nur Entwürfe zur ersten und zu den letzten drei Strophen überliefert. Die Vorentwürfe zur zweiten bis fünften Strophe sind vermutlich auf einem bislang unbekannten Textträger entstanden. Das 74-seitige Notizbuch 4a diente trotz der offenbar konzentrierten Arbeitsphasen nicht ausschließlich als Schreibheft für Entwürfe – vielmehr nehmen zwischen den Entwürfen gelegene Notizen verschiedener alltäglicher Thematik erheblichen Raum ein. Der Befund der Astern-Entwurfstufe Nb 4a 12r (Abb. 7, rechts) erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, als sei ihre Niederschrift samt Korrekturen in einem Zug erfolgt.124 Auf der gegenüberliegenden Seite 11v findet sich Z. 1–5 eine Vorstufe der ersten Strophe von Astern und darunter (Z. 6–20), durch eine horizontale Linie abgeteilt, die späteste bekannte Segment-Textstufe der sechsten, siebten und achten Strophe des Gedichts Die weißen Segel vor der Typoskript-Reinschrift TH1 DwSegel. Der Astern-Entwurf wurde auf der rechten Seite in mehreren Arbeitsphasen zusammengesetzt und überarbeitet. Dies lässt sich nicht allein aus dem grafischen Befund dieser durchgängig, nur leicht im Bereich der Überarbeitungsschichten im Duktus variierend, mit Bleistift beschriebenen Seite schließen – die Rekonstruktion der Entstehung dieses Entwurfs erfordert eine Analyse der Entwürfe im gesamten Notizbuch. In and the Beckett Digital Manuscript Project. In: Literary and Linguistic Computing, 19. März 2014, S. 1–19. doi: 10.1093/llc/fqu007. (Besucht am 24. März 2014). 122 Vgl. Ansel: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. 2007, siehe auch S. 11–14. 123 Siehe hierzu S. 215–218. 124 Text und Faksimile siehe S. 156, 157, vgl. auch Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 220.
90
Textgenese und editorische Konzeption
Abbildung 7: Doppelseite Nb 4a 11v , 12r , Entwurf zu Astern, Die weißen Segel.
einer ersten Arbeitsphase schreibt Benn den Text der Zeilen 7 bis 14 (die beiden mittleren Strophen), die zuunterst liegende, später zweifach überschriebene Schicht der Zeile 18, sowie die Zeilen 19 und 20 (also den Ansatz zur vierten Strophe. Der Rest der Seite bleibt zunächst leer, wobei nicht exakt zu bestimmen ist, wann die Korrektur »weissen Herden« zu »goldenen« (Z. 7) ausgeführt wurde. Durch die Leerräume wurde bereits Platz für eine noch zu verfassende erste Strophe und einen ersten Vers zur vierten Strophe reserviert. Es liegt also nach dieser ersten Phase keine geschlossene, sondern eine durchbrochene Textstufe ohne eine erste Strophe und mit einem unvollständigen Ansatz zu einer vierten vor. Der Text dieser ersten Schreibphase wurde größtenteils von den beiden Vorentwürfen auf den Seiten 9r , 9v kopiert (Abb. 8). Hierbei entfällt die dritte Strophe des zuerst niedergeschriebenen Konzepts auf 9v und wird durch eine unvollständige, im überschriebenen Bereich wohl auch abgewandelte Abschrift des Strophenentwurfs von 9r ersetzt. Das unvollständige Konzept zu einer ersten Strophe auf 11v Z. 1–5, zusammen mit den notierten Reim-Stichworten »Sage« (Z. 2) und »Diese Wage« (Z. 11), exis-
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
91
Abbildung 8: Recto- und verso-Seite Nb 4a 9, Entwürfe zu Astern.
tierte offenbar bereits vorher.125 Benn hat also mit den späteren Die weißen Segel-Strophen den Textraum gefüllt, der für eine Fortsetzung dieses Ansatzes eingeplant war. Zwischen der Niederschrift der definierten ersten Arbeitsphase auf 12r und der letzten, während der die erste Strophe ergänzt und die letzte vervollständigt wird, liegt chronologisch eine Reihe weiterer Entwürfe auf den Folgeseiten in Nb 4a. Zunächst fährt Benn auf den Notizbuchseiten 12v bis 14r mit der Niederschrift von vier Textstufen zur späteren ersten Strophe des Gedichts Die weißen Segel fort. Auf Seite 14r (Abb. 9) findet sich eine bemerkenswerte Konstellation: Die auf den vorangegangenen Notizbuchseiten konzipierte spätere erste Strophe des Gedichts Die weißen Segel wird offenbar versuchsweise mit dem 11v 1–5, 11 entworfenen Ansatz zur ersten Strophe von Astern verschmolzen. Benn nimmt in diesem Zusammenhang auch Angleichungen an den Reimen vor. Die bereits in den unmittelbar folgenden Textstufen wieder verworfene Kombination der 125 Hier zeigt sich eine an mehreren Stellen, neben 7r und 11v etwa 5v , 9v , 28r zu rekonstruierende Methode des Konzeptionierens (siehe S. 136, 155, 131, 147, 184). Auf diesen Seiten legt Benn vorläufige Reim- und Stichwortschemata an, eine weitere Ausführung der Stichworte und Ansätze auf später verschiebend.
92
Textgenese und editorische Konzeption
Abbildung 9: Nb 4a Doppelseite 13v , 14r , Entwürfe zu Die weißen Segel, Astern.
beiden Strophen wird durch die motivische Spannung zwischen der Bewegung der »leuchtenden Fahrt« der weißen Segel126 auf der einen und der Sistierung der Zeit (»die Woge war im Fallen / u hielt eine Stunde an«) auf der anderen Seite verklammert. Das Motiv der zeitlichen Sistierung bildet die genetische Verbindung rückwärts zum Vorentwurf auf 11v , der aufgegebenen dritten Strophe auf 9v und einem im Rahmen der vorliegenden Edition erstmals edierten dritten Entwurf 28r 1–4, 6–9. Allerdings mag man auch einen Bezug zum unmittelbar angrenzenden Entwurf auf 14r 9–17 und dessen motivischer Spannung sehen, die in der Überschreibung des Worts »Beben« durch »Zaudern« liegt (Z. 9). Deutlich ist der Verband der Zeilen 9 bis 16 darunter von den oberen Strophen durch die Schrägstellung abgesetzt, was entweder auf eine grundsätzliche Unzugehörigkeit des Strophenentwurfs zu den darüber liegenden, mindestens aber auf eine Unterbrechung der Niederschrift schließen lässt. Der Entwurf zur späteren 126 Zu diesem Entwurfbereich gehört auch der Stichwortentwurf »Von weiten Fahrten u in weissem Staub«, 30v 7–8, siehe S. 187, welcher in den SW nicht den Die weißen Segel-Entwürfen zugeordnet wird. Vgl. SW, VII/2, S. 65, 410–417.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
93
letzten Strophe von Astern ist nach dem Textabbruch mit dem charakteristischen Kreuz gekennzeichnet, das als eines von Benns Kurzzeichen etwa zu übersetzen wäre mit: »weiter zu verwenden, zu bearbeiten«. Der Text bricht ab, nachdem er mit »Doch die Schwalben streifen d«, (14r 14) den Anschluss an die Textlücke auf 12r 19 markiert hat. Erst danach blättert Benn zurück zu Seite 12r , ergänzt in einer zweiten Arbeitsphase die erste Strophe und setzt die Arbeit an der vierten fort, wobei er die beiden fehlenden Verse hinzufügt. Die erste Strophe synthetisiert er aus Teilen der Strophen-Entwürfe von 11v und 14r , wobei aus der »Art von Woge[n]« eine »Wage« und »Götter« werden. Im Unterschied zur ersten Schreibphase bessert Benn abschließend noch mehrfach an der ersten und letzten Strophe, um zu einer vorläufigen Textgestalt des Gedichts Astern zu kommen. Die Alternativvarianten zum ersten Vers der neu hinzugefügten ersten Strophe »ewige Tage«, »seltsame« und »mytische« (Z. 1–2) lassen den Schluss zu, dass Benn zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgelegt hat, welchen motivischen Hauptakzent er im ersten Vers setzen will.127 Keine dieser Alternativen wird schließlich realisiert, der erste Vers des Gedichts lautet ab der Typoskript-Version: »Astern – schwälende Tage«.128 Erst während dieser letzten Phase der Überarbeitung wird durch die am rechten Rand eingetragene Korrektur der letzten Zeile von Astern in »Fahrt u Nacht« (12r 17–19) eine motivische Parallele zur »leuchtende[n] Fahrt« (14r 2) der weißen Segel geschaffen. Die knappe diskursive Rekonstruktion eines Ausschnitts der Entstehung von Astern und Die weißen Segel verdeutlicht Benns Arbeit mit in gewissem Umfang frei kombinierbaren Strophen-Segmenten einerseits und den daraus resultierenden Entwurfkomplex-Zusammenhang zwischen den beiden Gedichten andererseits. Die experimentierende Kombination von Teilentwürfen zeigt sich auch an mehreren Stellen in Notizbuch 4a, etwa auf Seite 2r .129 Zum Entwurfkomplex können auf Grund thematischer und motivischer Verknüpfungen auch die Entwürfe zu Ach, das Erhabene und der Entwurf zu einem nicht fertig gestellten Romantik-Aufsatz über die Luzinde für die Cahiers du Sud gerechnet werden.130
Exzerpte, Notizen und Entwürfe, physische Montage Am Beispiel der Vorarbeiten und Montage-Entwürfe zum Entwurfkomplex 1886, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, entstanden um die Jahreswende 1944/45, 127 Zur Entzifferung der Alternativvarianten und den Fehllesungen dieser beiden Zeilen in den SW siehe S. 37. 128 SW, I, S. 166, Z. 1. 129 Siehe S. 210. 130 Siehe zur Konfiguration des Entwurfkomplexes Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene auch S. 210–210, vgl. auch SW, VII/2, S. 60–65, 417–421.
94
Textgenese und editorische Konzeption
lassen sich Aspekte von Benns Exzerpierpraxis und physischen Montageverfahren verdeutlichen. Die umfangreiche Lektürenotizen-Sammlung in Notizbuch 7c bildet nicht nur die thematischen Interessenverlagerungen während der frühen Recherche- und Konzeptionsphase ab, sie weist auch aufschlussreiche Spuren der Schreibprozess-Organisation auf. Die Manuskripte TH1, TH2 StPbg und TH2 1886 sind eindrucksvolle Zeugen für den innerhalb von Benns lyrischem Œuvre einzigartig radikalen Ansatz der ›Montagetechnik‹, welcher das physische Montageverfahren der ›Autobiografie‹ Doppelleben vorwegnimmt.131 Der überlieferte Abschnitt des Notizbuchs 7c132 enthält neben Strophenkonzepten zum Petersburg-Gedicht und einigen weiteren Entwürfen zu einem nicht vollendeten Gedicht133 vor allem eine größere Menge an Recherche-Notizen aus den Jahrgängen 1883 bis 1894 der Deutschen Rundschau, Dimitri Mereschkowskis Doppelbiografie zu Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler, Dostojewskis Raskolnikows Schuld und Sühne, Hermann Adalbert Daniels Handbuch der Geographie, Robert Frédéric Marquis de Wavrins Das Geheimnis des Orinoko und weiteren Quellen.134 Die offenbar tagelang in Nb 7c zusammengetragenen Exzerpte und Notizen zeigen eine thematische Dynamik, innerhalb derer sich während des Blätterns, Lesens und Notierens aus der Recherche zum thematischen Bereich von 1886 der Ansatz zur Materialsammlung des Petersburg-Gedichts entwickelte und schließlich zu den ersten Teilentwürfen zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts im hinteren Teil von Nb 7c führte. Im vorderen Abschnitt befinden sich die Notizen zum Kontext von 1886.135 Bereits innerhalb dieses Abschnittes – wohl durch die Lektüre von Friedländers Turgenjew-Artikel in der Deutschen Rundschau von 1886136 und Mereschkowskis Doppelbiografie137 – kommt in den Exzerptnotizen das Thema ›Russland‹ bzw. »St. Petersburg z[ur] Z[eit] Dostojewskys« ins Spiel. Im Anschluss an die ersten ausführlichen Mereschkowski-Exzerpte folgt Nb 7c 27v ein Themenplan, welcher die im hinteren Abschnitt von Nb 7c folgenden Recherche-Arbeiten bereits thematisch vorstrukturiert: 131 Vgl. Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006, S. 66. Die essayistische Montagetechnik Benns ist bereits für frühere Texte als Doppelleben bekannt. Zu Rede auf Heinrich Mann, Goethe und die Naturwissenschaften und Dorische Welt, deren Textquellen Hof detailliert nachgewiesen hat, sind allerdings keine Entwürfe überliefert. Vgl. Hof: Montagekunst und Sprachmagie. 1997, S. 17–229, SW, III, S. 543, 557f, VI, S. 565. 132 Siehe Überlieferung S. 546, siehe Übersicht S. 575. 133 hVerweile weisser Abend [. . .]i, Nb 7c 45v , siehe S. 457. 134 Siehe S. 567, Quellendokumentation S. 557–565. 135 Siehe Übersicht, S. 575. 136 Nb 7c 16v , siehe S. 371, vgl. Ludwig Friedländer: Erinnerungen an Turgenjew. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 117–125. Siehe auch S. 567, 575–579. 137 Nb 7c 21v , siehe S. 391, vgl. Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903. Siehe auch S. 557–565, 567, 575–594.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
95
Themen: Schwarzer Dämmer Notwendigkeit St Petersburg z Z Dostojewskys beschränkteste von Gütern tiefstehender Adel keine Kolonien kein Reichtum138
Es schließen sich nach einem Abschnitt von 15 nicht beschriebenen Seiten weitere Recherche-Notizen an, teils aus der Deutschen Rundschau, teils aus Mereschkowski, teils aus weiteren Quellen. Zwei Seiten sind entsprechend, das Textprojekt im Arbeitsgang aktualisierend, »St. Petersburg« überschrieben.139 Um die ersten Gedichtentwürfe zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts aus den allenfalls thematisch bzw. nach ihrer Quelle organisierten Lektürenotizen hervorzuheben, versieht Benn sie mit Winkelmarkierungen.140 Diese Entwurf-Collagen sind auf dieser Textstufe bereits versifiziert. Viele andere Exzerptnotizen übernimmt Benn mit nur geringfügigen Änderungen, teils unter Beibehaltung des Zeilenfalls der jeweiligen Notiz, in die Montage-Manuskripte, wodurch sie zu ›Versen‹ werden und im fertigen Gedicht dessen Notizenmontage-Charakter ausstellen. Da unter diesen Umständen jede Exzerptnotiz innerhalb der Arbeitstopografie Nb 7c hätte Teil eines der Gedichte werden können, müssen sie alle als Vorarbeiten gelten.141 Benns Exzerpierarbeiten in Notizbuch 7c sind zunächst von den in der Deutschen Rundschau vorgefundenen Quellen und seinen teils assoziativen Interessen (vor allem am Jahr »1886«, aber auch Kolonialismus usw.) bestimmt, wodurch der Schreibprozess an vielen Stellen einen sprunghaften und ungesteuerten Eindruck hinterlässt. Zum anderen aber sind in der räumlichen Verteilung der Notizen über den Textträger deutliche thematische Felder erkennbar, die aneinander anschließen, Benn stukturiert den Exzerpierprozess auch texträumlich durch Recherche-Merkposten, Notizen zu weiter zu verfolgenden Plänen und Hervorhebungen von poetisch verwertbar scheinendem Notizmaterial.142 Im Fall der montierten Manu- und Typoskripte TH1 und TH2 StPbg (Bsp. Abb. 10) allerdings ist die physische Montage Teil eines fortgesetzten Kompo138 Nb 7c 27v , siehe S. 415, vgl. auch SW, VII/2, S. 450. Das Motiv des »schwarze[n] Dämmer« findet sich bereits unter den Entwürfen zu 1886: Nb 7c 22v , 23r , siehe S. 395, 396, ebd., VII/2, S. 447. Es wird allerdings nach dem Themenplan nicht weiter verfolgt. 139 Nb 7c 36r , 38r , siehe S. 418, 426. 140 Siehe S. 581, Abb. 8, 9. 141 Vgl. beispielsweise auch Joyce’s Notizbücher, siehe S. 83. 142 Siehe S. 577.
96
Textgenese und editorische Konzeption
Abbildung 10: Montierte Manu- und Typoskripte TH1 StPbg 1r und TH2 StPbg 2r .
sitions- und Schreibprozesses.143 Unter den Arbeits-, Manu- und Typoskripten bilden die Montage-Manuskripte – editorisch betrachtet – Sonderfälle, für deren angemessene Behandlung im Rahmen einer Edition wohl stets Faksimiles notwendig sein werden. Hier sind höchst spezifische, materiale Eigenschaften von Belang, etwa die genaue Art des montierten Materials (Quelle), die verwendeten Papiersorten, Schnitt- und Klebekanten, Schichtung der Papierlagen, unter Umständen überklebte Textteile.144 In den Sämtlichen Werken werden die textgenetisch hoch komplexen Entwürfe durch einen lemmatisierenden Apparat als ›Lesarten‹ gegenüber dem edierten Text der Gesammelten Gedichte von 1956 verzeichnet, so dass in den SW der Eindruck entsteht, es handele sich um Reinschriften mit geringfügigen Varianten.145 Auf diese Weise wird die MontagePhase in der editorischen Darstellung fast vollständig ausgeblendet. Dies ist umso bedauerlicher, als Benn während der Komposition von TH1 und TH2 StPbg nicht einfach Gelesenes und Mitgeschriebenes aus Notizbuch 7c collagiert. Viel143 Siehe S. 549–552, 591–594. 144 So ist bei der montierten Druckvorlage TH4 Monolog für Doppelleben von wesentlicher Bedeutung, dass Benn für die Montage offenbar die Seiten aus den Zweiundzwanzig Gedichten verwendet hat, von denen nur eine sehr kleine Anzahl von Exemplaren hergestellt wurden. Siehe S. 280–281. 145 Vgl. SW, I, S. 465f.
Arbeitsformen Benns, editorische Herausforderungen
97
mehr zeigen die Montage-Manuskripte Spuren eines in zahlreichen Schritten verlaufenden, das Textmaterial sukzessive anpassenden, konstellierenden und erweiternden Reflexions- und Konstruktionsprozesses. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Vorgang der schrittweisen Einmontage der ›Dostojewski-Strophen‹. Die vorliegende Edition zeigt, dass in der ersten Typoskriptstufe von TH1 StPbg zunächst lediglich eine Raskolnikow-Strophe,146 nämlich die spätere sechste, vorhanden war, der die erste Fassung der siebten Strophe (»R[askolnikow] / weltanschaulich nie befreit«) dann mit Bleistift auf einem zugeschnittenen Stück linierten Papiers hinzugefügt wurde.147 Diese liegt in der Typoskript-Phase von TH2 StPbg dann bereits in einer weiteren Textstufe maschinenschriftlich vor. Die dritte Dostojewski-Strophe, die fünfte des Gedichts (»Zu den Inseln! [. . .]«) wird erst zum Schluss, gemeinsam mit der Neufassung der letzten Strophe, mit Tinte auf Wachspapier geschrieben und in das bereits bearbeitete TH2-Typoskript einmontiert.148 Diese zuletzt einmontierte Strophe ist ihrerseits aus den Lektürenotizen des Notizbuchs 7c komponiert, nämlich aus Mereschkowskis Tolstoi und Dostojewski bzw. der dort zitierten Kirilow-Passage aus Dostojewskis Die Dämonen, Hermann Adalbert Daniels Geografie-Handbuch, Ferdinand Hillers Petersburg-Erinnerungen und Turgenjews Memoiren.149 Die Reihenfolge dieser Einmontagen ist von Bedeutung, weil sie eine Rekonstruktion der Ausbildung des ›Schuld und Sühne‹-Themas im Gedicht erlaubt. Es lässt sich während der Bearbeitung von TH1 und TH2 StPbg ein Zuwachs an Dostojewski-Strophen beobachten, im Zuge dessen vom a) Zitat der Kabak-Szene aus Raskolnikows Schuld und Sühne ausgehend zunächst b) der durch die Prostituierte Ssonja herbeigeführte Moment der Umkehr, des Schuldbekenntnisses und möglicher Erlösung hinzugenommen und schließlich c) in der Mitte des Gedichts die verdichtend-montierende Analyse des Kirilow’schen Nihilismus aus Die Dämonen eingeschaltet wird.
146 147 148 149
TH1 StPbg 3r , siehe S. 472. TH1 StPbg 4r , siehe S. 474. TH2 StPbg 2r , 3/1r , siehe S. 482, 486. Nachweise und weitere Analyse siehe S. 590.
Editorischer Bericht Nachlass, Bestände in Archiven Die Geschichte des Nachlasses von Gottfried Benn beginnt zu dessen Lebzeiten. Er nahm das Werk bewusst als Vermächtnis wahr, welches er von seiner Person abgelöst einer überlieferungsfähigen Form zu überantworten suchte.1 So erschienen nach den Gesammelten Schriften 1922/3 auch die Gesammelten Gedichte 1927 und 1956 unter herausgeberischer Beteiligung des Dichters.2 Für die Wahrnehmung des Werks als Vermächtnis spricht ferner die Tarnung der in den letzten Kriegstagen an Oelze nach Bremen gesandten Prosasammlung Ausdruckswelt als »Nachlaß«-Sache »Assistenzarzt Dr. Werff Rönne. † XII 1942 Stalingrad«.3 Benn schickte bereits seit der Intensivierung des brieflichen Kontakts mit F. W. Oelze im Jahre 1936 von allen erschienenen Werken Exemplare sowie Vorfassungen und Drucke von Anthologien und einzelnen Gedichten zur Beurteilung und Verwahrung an dessen »Archiv«, wie er es selbst nannte.4 In manchen Fällen behielt er kein eigenes Exemplar zurück.5 Nur in Ausnahmefällen hat Benn nach Veröffentlichung oder ›Archivierung‹ an Texten noch stark geändert. Die Überlieferungssituation ist allerdings nur für die Materialien der Periode ab Mitte der 1930er Jahre so günstig. Insbesondere aus der frühen, expressionistischen Werkphase sind nur einzelne Stücke erhalten. Kurz nach seiner Gründung begann das Deutsche Literaturarchiv Marbach am Neckar im Jahr 1956 mit dem Aufbau eines umfangreichen Bestandes an Handschriften, Typoskripten, Briefen von und an Benn sowie anderen Lebenszeugnissen.6 Die an Umfang größten Zugänge zum Bestand Benn waren neben dem Hauptnachlass das Geschenk der Sammlung Friedrich Wilhelm Oelzes 1 »Hinterlassungsfähige Gebilde muss er schaffen, fertiggemachte, die von ihm abfallen [. . .]«, SW, VI, S. 108. Gottfried Benn: Gesammelte Schriften. 1. Aufl. Berlin: Erich Reiss 1922; ders.: Gesammelte 2 Schriften. 2. Aufl. Berlin: Erich Reiss 1923; ders.: Gesammelte Gedichte. Berlin: Die Schmiede 1927; ders.: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956. 3 Ludwig Greve u. a.: Gottfried Benn 1886–1956. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar. Marbach a. N.: Deutsche Schillergesellschaft 1986 (= Marbacher Kataloge 41), S. 282–285. 4 BOelze, II.1, S. 46. 5 Ebd., I, S. 344. 6 Greve u. a.: Gottfried Benn 1886–1956. 1986.
100
Editorischer Bericht
1980, der Erwerb der Sammlung Niedermayer und das Depositum der Verlagskorrespondenz mit Klett-Cotta 1984, welche durch weitere Zukäufe und Deposita weiter ergänzt wurden. Im Jahr 1968 wurde mit Ilse Benn die archivalische Vorbereitung des in ihrem Besitz befindlichen Hauptnachlasses vereinbart, welcher schließlich 1986 mit den Beständen des DLA vereinigt wurde.7 Im Jahr 1991 wurde nochmals eine größere Menge an Autografen von der Hand Benns, Typoskripten und weitere Korrespondenzen aufgefunden und entsprechend der Vereinbarungen, zusammen mit dem Nachlassteil Ilse Benn, dem Bestand des DLA hinzugefügt. Unter diesen nachträglich hinzugefügten Materialien findet sich neben Einzelentwürfen zu Lyrik und Prosa auch eine große Zahl weiterer sogenannter »Arbeitshefte« Benns, von denen bis dahin lediglich 26 in Marbach am Neckar katalogisiert waren, heute sind es 106. Als bedeutende Bestände kommen hinzu Gottfried Benns Bibliothek8 und die Zeitungsausschnitte-Sammlung, welche sich teilweise in Benns Hauptnachlass, teilweise im Nachlassteil Ilse Benn befindet. Ein weiterer Zugang von erheblicher Bedeutung war die Sammlung des Benn-Bibliografen, -Sammlers und -Kenners Fritz Werner.9 Das Deutsche Literaturarchiv Marbach a. N. hat durch Zukäufe und Deposita die Basis der Benn-Forschung stetig erweitert und durch Ausstellungen und Tagungen gefördert.10 Zu den in diesem Zusammenhang wichtigsten Neuzugängen der letzten Jahre gehören die Briefe an Gertrud Zenzes und die Archive des Limes Verlags und der Deutschen Verlagsanstalt. Ein weiterer bedeutender Bestand befindet sich im Archiv der Stiftung Preußische Akademie der Künste in Berlin. Die dort enthaltenen Korrespondenzen Benns, vor allem Briefe an die Tochter Nele, Dokumente aus dem Zusammenhang seiner Akademie-Arbeit und ein Teil seiner Bibliothek sowie
7 Greve u. a.: Gottfried Benn 1886–1956. 1986, S. 7, SW, I, S. 327. 8 Beate Küsters: »Im Wettlauf mit der Zeit«. Die Restaurierung der Benn-Bibliothek. In: Michael Knoche u. a. (Hrsg.): Zur unterirdischen Wirkung von Dynamit. Vom Umgang Nietzsches mit Büchern zum Umgang mit Nietzsches Büchern. Wiesbaden: Harrassowitz 2006 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 48), S. 219–223. 9 Michael Sallinger: Fritz Werner und sein Gottfried Benn-Archiv in Freiburg. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 101–110; Wolfgang Kuhlmann: 15500 Belegstücke zu Gottfried Benn. Der Freiburger Buchhändler Fritz Werner hat das größte Gottfried-Benn-Archiv aufgebaut. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 42.61 (1986), S. 2020–2021, vgl. auch Joachim Dyck: Gespräch mit Fritz Werner (1986). In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 112–131; Rainer Maria Gerhard: Umkreisung. Das Gesamtwerk. Hrsg. v. Uwe Pörksen u. a. Göttingen: Wallstein 2007. Unter anderem hat Werner zusammen mit Oelze einiges zur Lohner-Bibliografie beigetragen, wie man vor allem seiner Korrespondenz im DLA entnehmen kann. Vgl. auch Edgar Lohner: Gottfried Benn. Bibliographie 1912–1955. In: Philobiblon 1.1 (1957), S. 59–79. 10 Greve u. a.: Gottfried Benn 1886–1956. 1986; Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006, Tagung zu Benns 50. Todestag vgl. Friederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007.
Bisherige textkritische Editionen
101
weitere Materialien sind über das Online-Findbuch der Akademie erschlossen.11 Die Briefe Benns an andere Personen und weitere Lebensdokumente sind über andere Archive verteilt.12 Andreas Meier hat auf die textkritische Bedeutung von Varianten bei den von Benn selbst eingesprochenen Rundfunksendungen hingewiesen und in diesem Zusammenhang an die Bestände des Deutschen Rundfunkarchivs und die im DLA ebenfalls gesammelten, auf Schallplatten vertriebenen Lesungen erinnert.13 Eine ganze Reihe von Benn-Autografen und Dokumenten befinden sich in Privatbesitz, darunter auch Inedita.14 Von vor allem bibliografischer Bedeutung dürfte der Bestand von Fritz Wüllners BennSammlung in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam sein.15 Die Publikation der Materialien aus dem Nachlass Benn im Rahmen der vorliegenden Edition erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Frau Nele Topsøe, Herrn Vilhelm Topsøe, Ingrid Bussemer-Heinrich, des Verlages Klett-Cotta und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar.
Bisherige textkritische Editionen Mit den 2003 erschienenen Abschlussbänden der Stuttgarter Ausgabe der Sämtlichen Werke Gottfried Benns16 wurde der Forschung nach der ersten Ausgabe der Gesammelten Werke Wellershoffs,17 der verdienstvollen kritischen Ausgabe 11 Vgl. Findbuch der Akademie der Künste Berlin, URL: http://www.adk.findbuch.net (besucht am 25. Dezember 2012). 12 Darunter die Münchner Stadtbibliothek Monacensia (Frank und Tilly Wedekind) und die Universitäts- und Landesbibliothek Bonn (Ernst Robert Curtius). Im Archiv der DRK-Kliniken Westend liegen die Sektionsprotokolle, vgl. Christoph Hoffmann: Schneiden und Schreiben. Das Sektionsprotokoll in der Pathologie um 1900. In: ders. (Hrsg.): Daten sichern. Schreiben und Zeichnen als Verfahren der Aufzeichnung. Zürich, Berlin: Diaphanes 2008 (= Wissen im Entwurf 1), S. 153–196. Weitere Standorte sind über die Online Datenbank Kalliope recherchierbar. 13 Andreas Meier: Von Les- und Hörarten. Zum editorischen Umgang mit ›Hörbüchern‹. Vortrag auf der Tagung »Text – Material – Medium. Zur Relevanz editorischer Dokumentationen für die literaturwissenschaftliche Interpretation« an der Bergischen Universität Wuppertal. 10.–12. Feb. 2011. 14 Zum Beispiel [Auf die Platten die Iche], Thomas Ehrsam: Tief in der Tusche des Lichts. Verse für eine mondäne Geliebte: Ein unbekanntes Gedicht Gottfried Benns auf die Porträtfotografin Riess. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Apr. 2007, S. 37. Siehe die einschlägigen Auktionskataloge der Antiquariate, auch die im Benn Forum laufend geführte Bibliografie. 15 Helmut John: Fritz Wüllners Gottfried-Benn-Sammlung in der Stadt- und Landesbibliothek in Potsdam. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 221–223. 16 Gottfried Benn: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Gerhard Schuster u. a. 7 Bde. Stuttgart: Klett-Cotta 1986–2003. 17 Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Hrsg. v. Dieter Wellershoff. 4 Bde. Wiesbaden: Limes 1958–61.
102
Editorischer Bericht
der Gesammelten Werke in der Fassung der Erstdrucke von Hillebrand18 und der historisch-kritischen Edition ausgewählter Gedichte Harald Steinhagens19 eine vollkommen neu gestaltete, sowohl um etliche Werktexte als auch durch den textkritischen Apparat erweiterte Materialgrundlage zugänglich gemacht. Die Sämtlichen Werke stellten insgesamt die Benn-Forschung durch ihre »aufsehenerregenden Einzelfunde«, aber auch durch die Präsentation der »Summe der vielen kleinen Arbeitsspuren« auf eine völlig neue, stark erweiterte Materialgrundlage.20 Die anfangs lediglich als »kritische« Ausgabe eingeführte21 Stuttgarter Ausgabe vermeidet zwar das Etikett ›historisch-kritische Ausgabe‹, verzeichnet allerdings im Apparat der Einzelbände und dem Band VII/2 »Nachlass und Register« tatsächlich fast den gesamten Nachlassbestand an Vorarbeiten und Entwürfen. Zwischen dem 1986 erschienenen ersten Band der Ausgabe und dem Abschluss 2003 fanden ein Herausgeberwechsel und eine entschiedene Umstellung der Systematik statt. Michael Ansel hat bereits auf die Differenz zwischen dem problematischen Editionsprinzip letzter Hand in den philologisch von Gerhard Schuster verantworteten Bänden I bis V und den chronologisch am Erstdruck beziehungsweise an der Entstehung orientierten Textkonstituierungen und Textanordnungen in den durch Holger Hof herausgegebenen Bänden VI, VII/1 und VII/2 hingewiesen.22 Ansel kritisiert unter anderem, dass die Auswahl und Anordnung der Gesammelten Gedichte von 1956 sich nicht als Grundlage einer Edition und schon gar nicht zur Aufteilung der Gedichte in zwei Bände eignen, weil sich in ihnen vor allem »die zeitbedingten Motivationen und Rücksichtnahmen« widerspiegeln, welche »jenes Bild des Lyrikers Benn prolongiert[en], das der Autor und wohl mehr noch sein Verlag in dem politisch und kulturell restaurativen Klima der 1950er Jahre aufzubauen bestrebt waren.« Die werkgenetische Gesamtperspektive hingegen werde durch die Aufteilung in zwei Bände verstellt. Die Abteilung »Gedichte« in der Stuttgarter Benn-Ausgabe (I, II) beispielsweise folgt sowohl textlich als auch in der Organisation den Gesammelten Gedichten von 1956.23 Die Wahl dieser Textgrundlage erscheint nicht ohne Weiteres ein18 Gottfried Benn: Gesammelte Werke. In der Fassung der Erstdrucke. Hrsg. v. Bruno Hillebrand. 4 Bde. Frankfurt a. M.: Fischer 1982–1986. 19 Harald Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. Die Vollendung seiner expressionistischen Lyrik. Stuttgart: Klett 1969 (= Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft 28). 20 Heinrich Detering: »Es kann nicht kalt genug sein«. Bemerkungen aus Anlaß der neuen BennAusgabe. In: Merkur 58 (2004), S. 620–627, hier S. 621. 21 Greve u. a.: Gottfried Benn 1886–1956. 1986, S. 7. 22 Ansel: Wirklichkeit rein aus Hirnrinde in acht Bänden. 2005. Ansels Rezension stellt gleichzeitig die erste philologisch fundierte Besprechung der Stuttgarter Ausgabe dar, nachdem Dotzler und Detering diesen Aspekt nur streifen. Vgl. auch Bernhard Dotzler: Nihilistischer positiv sein. Zur Stuttgarter Benn-Ausgabe. In: Merkur 46 (1992), S. 436–441. 23 Während die Ausgaben Wellershoffs und die Sämtlichen Werke tatsächlich nach dem Prinzip letzter Hand verfahren (bei den Gedichten folgt der Druck den Gesammelten Gedichten von 1956)
Bisherige textkritische Editionen
103
sichtig. Die von Verlag und Dichter vorgenommene kanonische Auswahl und die Textänderungen erfahren durch die Einordnung sowohl gedruckter als auch ungedruckter Gedichte, die nicht Eingang in diese Sammlung erhielten, in den zweiten Band eine textkritisch wie literaturhistorisch kaum zu rechtfertigende Bestätigung.24 Diese Problematik war bereits von Wodtke erkannt worden und hatte bei den Gesammelten Werken Hillebrands zur sinnvollen Anordnung nach der Chronologie der Erstdrucke geführt.25 Auch aus editionssystematischer Sicht ist diese Entscheidung schwer zu halten, da alle weiteren Bände chronologisch organisiert sind. Holger Hof vollzieht im Rahmen der durch die Systematik der ersten fünf Bände vorgegebenen Möglichkeiten konsequent den Wechsel zu einem an der ersten Druckfassung beziehungsweise am Fertigstellungsdatum und damit an der Entstehung orientierten Ausgabenkonzept. Dieser auch durch die inzwischen veränderte Quellenlage unvermeidliche Wechsel der Systematik betrifft nicht nur die Auswahl der Quellen für die edierten Texte und deren Anordnung, sondern greift substanziell auf die Gestaltung des textkritischen Apparates und auf die Darbietung der Notizbuchtexte durch. Der systematische Bruch wird dem Leser insbesondere dort bewusst, wo Entstehungsstufen eines Werks über mehrere Bände verteilt dargestellt werden.26 Die Apparatgestaltung der Gedichtbände I und II ist in Anlehnung an Harald Steinhagens Auswahledition aus den Statischen Gedichten27 am Stufenmodell der Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe orientiert. Wie beim Modell der StA handelt es sich bei der Systematik der SW um einen – allerdings kolumnierenden, vereinfachten – Werkstellenapparat, der Versstufen mit Buchstaben relativ zur gegen den Werktext referenzierten Basiszeile abbildet.28 Es muss grundsätzlich und Hillebrands Ausgabe die Erstdrucke wiedergibt (also im Fall der Statischen Gedichte der ArcheAusgabe von 1948 folgt), legt Steinhagen bei den Statischen Gedichten die ergänzte Limes-Ausgabe von 1949 zu Grunde. 24 Der Text der Ausgewählten Gedichte (1956) weist in den meisten Fällen gegenüber den Erstdrucken lediglich Änderungen bei der Interpunktion auf. Zu den deutungsrelevanten Ausnahmen zählt zum Beispiel, dass Benn auf Rückfrage von Marguerite Schlüter die Gruppierung der letzten sieben Verse des Gedichts Orpheus’ Tod von »3x2 [+1]« auf 6 Verse und einen Codavers ändern ließ (Gottfried Benn: Limes Verlag Briefwechsel 1948–1956. Hrsg. v. Holger Hof u. a. Stuttgart: Klett-Cotta 2006 (= Gottfried Benn Briefe 8), S. 847f). Auch: »Eine« in V. 27 wird nun »eine« gesetzt. In den SW wird ohne erkennbaren Grund am Schluss des drittletzten Verses von Orpheus’ Tod ein Gedankenstrich gesetzt, der in keinem der relevanten Drucke zu finden ist. 25 Ansel: Wirklichkeit rein aus Hirnrinde in acht Bänden. 2005, Par. 4. 26 Die trifft vor allem für die erst nach 1986 gefundenen Notizbuch-Entwürfe zu, die erst in Band VII/2 eingearbeitet werden konnten. 27 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 91. In Anlehnung an Beißner spricht Steinhagen z.B. von »Keimworten«, vgl. beispielsweise ebd., S. 110, Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Friedrich Beißner. 13 Bde. Stuttgart: Cotta, Kohlhammer 1943–1985. 28 Im Unterschied zu Beißners Systematik werden keine verzweigenden »Treppen« gebildet. Die durch Kleinbuchstaben gekennzeichneten Stufen haben jedoch keinen eindeutigen Skopus, so dass
104
Editorischer Bericht
gefragt werden, ob die Wahl dieses Verzeichnungssystems den überlieferten Textquellen und der Arbeitsweise Gottfried Benns gerecht werden kann. Der eher auf die Darstellung von linearen und produktorientierten Textprozessen ausgelegte Apparat erscheint wenig geeignet für die Edition von Entwürfen und Varianten etwa in Notizbüchern oder von nachträglich mit Schere und Klebestreifen remontierten Blättern. Bereits bei Steinhagen geriet die Systematik an ihre Grenzen, da sich die Vorarbeiten – Tages- und Lektürenotizen, Briefund Prosaentwürfe, die zu Stichwortquellen werden – sich oft nur punktuell auf die jeweils folgenden Entwürfe oder den Werktext abbilden lassen.29 Insgesamt bilden die beiden Gedichtbände der Sämtlichen Werke (I, II) sowohl systematisch als auch mit Blick auf die Entzifferung der handschriftlichen Entwürfe und Varianten im Apparat die Schwachstelle der Ausgabe.30 Im Rahmen der Sämtlichen Werke wurde erstmals der nahezu vollständige, ›literarische‹ Textbestand der heute bekannten Notizbücher ediert. Allerdings liegt dieser Bestand in für den Leser schwer erschließbarer, über die Bände I bis VII/2 verstreuter, teils fragmentierter Form vor. Nachdem in die ersten fünf Bände nur 26 der insgesamt 106 Notizbücher, Hefte und Kalender Eingang gefunden haben, sind in Band VII/2 die literarischen Entwürfe und Notizen der übrigen Textträger editorisch in chronologischer Reihenfolge aufbereitet Mehrdeutigkeiten bei den Ersetzungen möglich sind. Überschreibungen werden grundsätzlich nicht als Versstufen abgebildet, sondern durch ein Zeichen innerhalb der Basiszeile, so dass sie relativ zu den anderen Varianten der Zeile nicht chronologisiert werden. Entwurfzeilen, die nicht auf den Werktext abbildbar sind, erhalten mangels editorischer Entwurf-Zeilenzählung keine Referenz innerhalb des Apparats. Da es in den Bänden I und II keine Zeilenzähler in der Randspalte gibt, können sie auch nicht genau zitiert werden. Entwürfe und Textträger werden in der eigentlichen Apparatdarstellung nicht aufeinander bezogen, so dass oft nicht deutlich ist, wo sich der Entwurf befindet. Diplomatische Befunde wie Textschichten, Position auf der Manuskriptseite und Seitenwechsel werden nicht verzeichnet. Vermeintlich ›einfache‹ Entwurfmanuskripte und Typoskripte werden mit einem negativen Apparat wiedergegeben, wobei ihre textgenetische Schichtung und Qualität vollständig ausgeblendet wird. Siehe auch S. 108f. 29 Zur Stufen- und Referenzlogik, zur Anlehnung an Beißner vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 91–93. Bei der »schematisiert« nach Stufen geschichtet dargestellten Genese des Gedichts Gedichte geht die Rechnung auf, da sie sich relativ gut aufeinander abbilden lassen. Bei der Genese von Orpheus’ Tod hingegen müssen die Vorarbeiten und Entwürfe einzeln mit Kontextinformationen diskursiv eingeleitet werden, ihre »Zugehörigkeit [wird als] nicht ganz gesichert« bezeichnet und die Texte der Vorarbeiten-Phase stehen mitunter in keinem Ersetzungsverhältnis zueinander. Es ist Steinhagens hervorragender Kenntnis von Benns Arbeitsweise zu verdanken, dass er diese Kontextinformationen – im Gegensatz zu den SW – trotz der systematischen Beschränkungen möglichst genau zu vermitteln versuchte. Vgl. ebd., S. 110–117. 30 Der an vielen Stellen falsch entzifferte Text der damals bekannten 26 »Arbeitshefte« und zahlreicher einzelner Textträger wurde bislang nicht revidiert. Erstaunlicherweise fallen die SW an mehreren Stellen hinter den bei Steinhagen 1969 erreichten Stand zurück. Herausgegriffen seien hier nur zwei besonders deutliche Beispiele: »Komm, Spätheit, Asterfarben –« (ebd., S. 112, 184, Nb 13 10r , siehe S. 804) vs. »Komm, Spätherbst, Asterfarben –« (SW, I, S. 437, beide Quartär –) und das vollständige Fehlen eines durch Überschreibung leicht zu übersehenden Entwurfes zu Orpheus’ Tod Nb 12 26v , siehe S. 745, vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, 112, »2c«.
Bisherige textkritische Editionen
105
worden. Hinzu kommen im letzten Band »Nachlass und Register« – nach Möglichkeit chronologisch eingereiht – die in den ersten Bänden aus Gründen der Apparatgestaltung nicht berücksichtigten Notizen der 26 bereits früher bekannten Notizbücher.31 Eine systematische Rekonstruktion des Textbestandes aller »Arbeitshefte«, geschweige denn seiner materialen Textanordnung, ist anhand der SW nicht oder allenfalls ausschnittsweise möglich.32 Der systematische Wechsel zu einer chronologischen Anordnung von Entwürfen und Notizen aus Notizbüchern und von Einzelblatttextträgern in Band VII/2 ist die Konsequenz aus Hofs Einsicht, dass nur auf diese Weise der Blick auf die »Kontinuität des täglichen Notierens, Exzerpierens und Formulierens in den Tagebuch- und Arbeitsheften und auf Einzelblättern« freigegeben wird, welche in der Regel keine »bestimmte[n] Verwendungsmöglichkeiten« vorsieht. Zum Zeitpunkt des Notierens ist nicht festgelegt, »ob eine Formulierung in einem Brief, einem in Arbeit befindlichen Werk, beidem oder überhaupt nicht mehr benutzt werden wird.«33 In der Regel, jedoch nicht in jedem Fall, bleibt bei der von Hof umgesetzten Verfahrensweise der ungefähre räumlich-serielle Zusammenhang der Notizen und Entwürfe erhalten.34 Entwürfe zu bereits in den Bänden I und II abgedruckten Texten etwa werden in den Apparatteil am Schluss des Bandes VII/2 verwiesen und somit aus dem lokalen Zusammenhang ausgegliedert, was zu einer systematisch unglücklichen Trennung von Werkentwürfen im hinteren Apparatteil und anderen Texten im vorderen Bereich des Bandes führt.35 Auch wird in der Darstellung der materiale Zusammenhang dort unterbrochen, wo Datierungshinweise dafür sprechen, dass Benn zwischen den Notizbüchern wechselte oder Einzelblätter verwendete.36 Die miteinander konkurrierenden Ordnungs- und Darstellungsprinzipien der Chronologie, der materialen Ordnung und der negativen Bezogenheit auf die vorigen Bände tragen mitunter eher zur Fragmentierung der Systematik bei als dass sie die Komplexität für den Leser transparent machten.37 31 Vgl. auch Ansel: Wirklichkeit rein aus Hirnrinde in acht Bänden. 2005, Par. 19. 32 Immerhin kann sich der Leser mit dem Werktitelregister im letzten Band behelfen, welches Ansel lobend hervorhebt, ebd., Par. 20. 33 Holger Hof: Editorischer Bericht. SW, VII/2, S. 616–622, hier S. 617. 34 Den »materiale[n] Textzusammenhang der Arbeitshefte [. . .respektierende]« Darstellung der Nachlasstexte, »ohne jedoch die einzelnen Überlieferungsträger allzusehr auseinanderzureißen«, ebd., VII/2, S. 618. Vgl. auch Ansel: Wirklichkeit rein aus Hirnrinde in acht Bänden. 2005, Par. 19. 35 Vgl. etwa die Entwürfe zu [Verweile weisser Abend . . .] (SW, VII/2, S. 123, 457–458) und die anderen Vorarbeiten-Texte zu 1886 und zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, ebd., VII/2, S. 122, 436–458. 36 Vgl. bspw. ebd., VII/2, S. 87–94, 124. 37 Die drei konkurrierenden Ordnungskriterien finden ihren Ausdruck in den RandspaltenSiglen des Bandes. Texträumliche und chronologische Ordnung zu vermischen muss schon deshalb problematisch erscheinen, als Benn die Arbeitstopografie der Notizbücher eben nicht immer nach der Reihenfolge der Paginierung genutzt hat.
106
Editorischer Bericht
Mit Blick auf das Werk und den literarischen Nachlass sind durch die vorgestellten Ausgaben wichtige Schritte in Richtung einer noch ausstehenden historisch-kritischen Ausgabe der Werke Benns gemacht. Eine solche Edition allerdings sieht sich auf besonders strikte Standards in Bezug auf systematische Konsistenz, Vollständigkeit und Korrektheit verwiesen, welche mit den Sämtlichen Werke insgesamt noch nicht erreicht werden konnten.38
Textzeugen und Quellen Notizbücher Bei den sogenannten »Arbeitsheften« handelt es sich um Notizbücher, Kladden und Ärzte-Kalender unterschiedlicher Formate und Herstellung, die Benn im Zeitraum 1930 bis 1956 für literarische Entwürfe, Tagebuch-Aufzeichnungen, Tages- und Praxis-Notizen verwendete. Das Spektrum der verwendeten Textträger reicht vom 400 Seiten starken, gebundenen Ärztekalender bis zu lose in kleinformatige, geheftete Notizbücher eingelegten, gefalzten Blättern. Die Bezeichnung ›Arbeitsheft‹ ist insofern unglücklich, als diese eine kontinuierliche, produktorientierte Arbeitsweise suggeriert, die Notizbücher jedoch nicht ausschließlich als literarische Arbeitsjournale genutzt wurden und Benns Arbeitsweise eher durch Diskontinuität, einen ständigen Wechsel von prozess- und produktorientierten Arbeitsphasen geprägt ist.39 Im Rahmen dieser Edition ist daher stattdessen allgemein von »Notizbüchern« (»Nb«) die Rede.40 Im Rahmen der vorliegenden Edition werden für die Darstellung der Entwurftexte und Rekonstruktion der Schreibprozesse Ausschnitte aus Benns Notizbüchern als Faksimile reproduziert, diplomatisch umgeschrieben und durch ein ergänzendes, textgenetisches Verweisungssystem erschlossen. Anders als etwa in einer Archivausgabe, welche die Textträger grundsätzlich vollständig abbildet,41 wird in der vorliegenden Edition mit Blick auf die ›paradigmatische‹ Orientierung des Lesers eine Auswahl relevanter Notizbuch-Abschnitte getroffen.42 Es handelt sich um folgende Notizbücher bzw. Abschnitte: Notizbuch 4a 38 Ries: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. 2010. 39 Vgl. ebd., S. 115, ders.: Notizbuchexperimente. 2007. »Arbeitsheft« ist die Bezeichnung im Katalog des DLA sowie in den SW. Steinhagen spricht generell von »Heften«. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969. 40 Der von Benn selbst im Prozess definierte Schreibraum innerhalb des dossier génétique, der sich auch über mehrere Notizbücher erstrecken kann, wird als »Arbeitstopografie« bezeichnet, vgl. auch Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 212f. 41 Vgl. etwa die Archivausgabe der Notizbücher Brechts, welche die Textträger vollständig ediert, auf chronologische Differenzierung allerdings verzichtet, Bertolt Brecht: Notizbücher. Hrsg. v. Peter Villwock u. a. 14 (gepl.) Bde. Berlin: Suhrkamp 2010ff. 42 Diese Abschnitte sind jeweils bewusst großzügig gewählt, um einen möglichst guten Eindruck des lokalen texträumlichen Umfeldes zu vermitteln. Angesichts der mitunter stark vermischten, ver-
Textzeugen und Quellen
107
(1v –19r , 28r , 30v )43 , Notizbuch 8c-a (1/1r –1/2r )44 , Notizbuch 9 (10v –14v )45 , Notizbuch 7c (6v –27v , 35v –46v )46 , Notizbuch 11b (2r –3r , 9v –13r )47 , Notizbuch 11 (6v –22r , 28r )48 , Notizbuch 12 (1r –11r , 26v –27r )49 , Notizbuch 13 (1r –12r )50 , Notizbuch 15a (51v –52r )51 , Notizbuch 15c (9r )52 , Notizbuch 18 (44r )53 , Notizbuch 18b (3v –11r , 49v –50r ).54 Die in den Notizbüchern enthaltenen Vorarbeiten und Entwürfe zu den Gedichten sind größtenteils bereits in den Sämtlichen Werken gedruckt. Die Entstehungsvarianten zu Orpheus’ Tod und Quartär – aus den seinerzeit bekannten Notizbüchern sind in Steinhagens Auswahledition publiziert.55 Die Vorarbeiten und Entwürfe in den erst 1991 entdeckten Notizbüchern56 wurden in den Sämtlichen Werken zusammen mit weiteren Notizen und Entwürfen der bereits früher bekannter Notizbücher separat im 2003 als Abschluss der Sämtlichen Werke zweigten Struktur der Notizen und Entwürfe wird sich an den Grenzen der mit Blick auf die Werkgenese ausgewählten Abschnitte dennoch bei einem Leser, welcher konsequent der ›syntagmatischen‹ Leserichtung folgt, der Eindruck einstellen, dass da ›doch noch etwas fehlt‹. Vgl. auch Martens: Das Werk als Grenze. 2004, S. 178. Ideal wäre freilich – auch mit Blick auf den Umfang – eine digitale Edition, welche die Notizbücher für den Leser vollständig verfügbar macht, ihm aber gleichzeitig die Möglichkeit gibt, mittels eins dynamischen graphical user interface den ›paradigmatischen‹ Leseweg zu verfolgen. Ein solches Modell hat Dirk Van Hulle für die Beckett-Notizbücher beeindruckend umgesetzt, vgl. Beckett: Samuel Beckett Digital Manuscript Project. 2011, Van Hulle u. a.: Historischkrrritische genetic crritic! 2012, S. 35. Bei den Überlegungen zu solchen, durch das digitale Medium erst ermöglichten, auf Vollständigkeit zielenden Editionsmodellen ist stets abzuwägen mit dem Grundsatz der notwendigen »scholarly choice«, reflektiert bei Elena Pierazzo: A Rationale of Digital Documentary Editions. In: Literary and Linguistic Computing 26.4 (2011), S. 463–477. Vgl. zur Attraktivität digitaler Medien für die edition génétique auch Sahle: Digitale Editionsformen. 2013, I, S. 207. 43 Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene. Vgl. SW, VII, S. 59–60, 65, 410–417. 44 Monolog. Vgl. ebd., VII/2, S. 87–91, 428–431. 45 Verlorenes Ich. Vgl. ebd., I, S. 461–464. 46 1886, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts. Vgl. ebd., VII/2, S. 122–123, 436–458. 47 Orpheus’ Tod. Vgl. ebd., VII/2, S. 459–460. 48 Orpheus’ Tod, Quartär –. Vgl. ebd., I, S. 433, 439–440, II, S. 193, V, S. 285, VII/2, S. 136, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 110–111, 178. 49 Orpheus’ Tod, Quartär –. Vgl. SW, I, S. 433, 440–443, II, S. 195, V, S. 286, VII/2, S. 136–138, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 111–117, 178. 50 Quartär –. Vgl. SW, I, S. 433–437, V, S. 286–287, VII/2, S. 139–140, 461–462, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 178–184. 51 Reisen. Vgl. SW, VII/2, S. 541. 52 Reisen. Vgl. ebd., VII/2, S. 541. 53 Destille. Vgl. ebd., I, S. 509. 54 Destille, Nur zwei Dinge. Vgl. ebd., VII/2, S. 578–581. 55 Das sind Notizbücher 11, 12 und 13. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 110–117, 178–184. 56 Die erste Transkription der Materialien aus den Notizbüchern 4a, 7c, 8c, 11b, 15a, 15c und 18b im DLA Marbach erfolgte 2001–2003 im Rahmen der Vorarbeiten zu dieser Ausgabe. Diese Transkriptionen und diejenigen Holger Hofs, der zeitgleich den Supplementband der Sämtlichen Werke vorbereitete, haben sich gegenseitig korrigiert und angeregt. Vgl. Danksagung im editorischen Bericht der Sämtlichen Werke, SW, VII/2, S. 622. Holger Hof sei an dieser Stelle für den offenen Austausch und Unterstützung gedankt. Dank für freundliche Unterstützung gebührt ebenso Jan Bürger im DLA Marbach a.N. sowie auch Harald Steinhagen.
108
Editorischer Bericht
erschienenen Supplementband »Nachlass« (VII/2) veröffentlicht.57 Durch die editorische Neubearbeitung als textgenetische, diplomatische Ausgabe konnten die Notizbuch-Entwürfe in eine editorisch zusammenhängende Darstellung der Textgenese überführt werden, welche mit der materialen Anordnung auch die jeweils im lokalen Kontext befindlichen, begleitenden Vorarbeiten und Notizen berücksichtigt. Auf diese Weise war es möglich, dem avant texte der Gedichte eine ganze Reihe unveröffentlichter oder bislang diesen nicht zugeordneter begleitender Notizen, Vorarbeiten und Entwürfe hinzuzufügen.58 Eine der wesentlichen Leistungen der vorliegenden Ausgabe besteht in der Korrektur einer erheblichen Zahl von mitunter sinnentstellenden Fehllesungen.59 Die edierten Textträger und ihr Überlieferungszustand werden im Dokumentationsteil detailliert beschrieben. In den Kommentaren zur Entstehungs- und Druckgeschichte werden auch die von Benn verwendeten Quellen nachgewiesen.
Manuskripte, Typoskripte, Druckfahnen, montierte Textträger Die dossiers génétiques der edierten Gedichte enthalten ein breites Spektrum an Einzelblatt-Textträgern: Entwurf- und Reinschriftmanuskripte (»H«), Typoskripte und Durchschriften (meist handschriftlich bearbeitet) (»T«, »TH«, »TdH«) und Druckfahnen (»DrF«). Einige von ihnen wurden physisch montiert bzw. zerschnitten und remontiert. Breit gefächert sind auch die Formate und die Beschreibstoffe, neben Schreibmaschinenpapier und einfachen, zugeschnittenen Blankobögen verschiedener Formate verwendete Benn gelegentlich auch Menükarten, Wachspapier und beschichtetes Durchschreibepapier. Als Schreibgeräte wurden neben Füllfederhaltern, Bleistiften und Buntstiften auch Schreibmaschinen verwendet. Viele der Typoskripte sind Teil von durch Benn angelegten Sammlungen, welche den jeweils geplanten Gedichtband-Projekten entsprechen. Die Textträger geben in ihrer materialen Gestalt besonderen Einblick in Benns Arbeitsweise, sei es durch die spezifische grafische Konstellierung von Teilentwürfen, die in einzelnen Sektoren der Blattseite entwickelt werden, die differenzierbaren Schreibstoffe der Textschichten, oder durch die physische Montage von Textteilen und sogar Drucken. Die räumlichen Aspekte des Arbeitspro57 Vgl. SW, S. VII/2. Zum Bruch der editorischen Systematik innerhalb der Sämtlichen Werke in den Supplementbänden vgl. Ries: Notizbuchexperimente. 2007. 58 So konnten, um nur zwei Beispiele herauszugreifen, die Zeilen »von weiten Fahrten u / in weissem Staub –« (Nb 4a 30v 7–8, siehe S. 187, vgl. SW, VII/2, S. 65) nun den Vorarbeiten zu Die weißen Segel zugeordnet werden. Ferner enthält die Edition die bislang unveröffentlichte Entwurfstufe Nb 4a 28r 1–4, 6–9 zur danach aufgegebenen dritten Strophe des Astern-Entwurfs Nb 4a 9v 1–13. 59 Diese Korrekturen werden aufgrund der Menge nicht einzeln nachgewiesen, sondern stillschweigend durchgeführt.
Textzeugen und Quellen
109
zesses lassen sich in zeilen- und stufenbasierten genetischen Apparaten nicht adäquat abbilden, dasselbe gilt für physische Montageprozesse. Sie bedürfen im Rahmen einer Edition der Faksimilierung. Im Rahmen der vorliegenden Edition werden diese Handschriften, Typoskripte und montierten Textträger erstmals faksimiliert, diplomatisch umgeschrieben und ihre komplexe textgenetische Struktur vollständig in der Chronologie der Textschichten – einschließlich der Montage-Prozesse – rekonstruiert.60 Von der Faksimilierung ausgenommen wurden lediglich Textträger, welche nicht im Original vorlagen61 und Typoskripte ohne bzw. geringfügigem handschriftlichem Befund. Auch im Bereich der Einzelblatt-Entwurfmanuskripte konnten eine ganze Reihe Entzifferungsfehler korrigiert werden.62 Erstmals in einer Edition erscheinen H1 Orpheus’ Tod,63 H2 Orpheus’ Tod,64 TdH1 Orpheus’ Tod,65 H2 Rosen66 und TH4 Monolog.67
Drucke Es werden alle autorisierten Drucke zu Lebzeiten ab dem Erstdruck (›D1‹– ›Dn‹) aufgenommen und verzeichnet.68 Weitere Drucke, die von Benn nur indirekt autorisiert wurden bzw. keine Änderungen enthalten, werden in der Dokumentation unter »Weitere Drucke« aufgeführt. Alle Drucke werden in ihrer historischen Gestalt mit eventuellen Druckfehlern ohne Emendation, Normalisierung oder Modernisierung wiedergegeben. Der Erstdruck wird stets vollständig reproduziert, weitere Drucke nur dann, wenn Änderungen von ganzen Wörtern oder der Struktur des Textes dies anzeigen. Alle weiteren 60 Zur physischen Montage bei der Textproduktion bei Doppelleben (und insofern von besonderer Bedeutung für 1886) vgl. vor allem Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006. Generell zur Rolle der zitierenden Montage für Benns Produktion vgl. Hof: Montagekunst und Sprachmagie. 1997. Zur Montage-Poetik vgl. Theo Meyer: Kunstproblematik und Wortkombinatorik bei Gottfried Benn. Köln: Böhlau 1971. 61 H1, H2 Orpheus’ Tod, siehe S. 749, 750, 751. 62 Um nur ein Beispiel herauszugreifen, sei dem Leser empfohlen, die diplomatische Umschrift und den Befund auf dem Faksimile von H1 Monolog 3r (siehe S. 252) mit der besonders stark entstellten Konstitution in SW, I, S. 471 zu vergleichen. 63 Unveröffentlicht. Privatbesitz. 64 Vgl. Erstdruck und Faksimile bei Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 207. Privatbesitz. 65 Unveröffentlicht. Privatbesitz. 66 Unveröffentlicht, DLA. 67 Unveröffentlicht, DLA. 68 Zur Sonderrolle des Erstdrucks bzw. von für den Druck bestimmten Manuskripten als autorisierende Abtrennung vom Autor vgl. Gunter Martens’ Ausführungen zum Werkbegriff. Martens: Das Werk als Grenze. 2004, S. 179. Zur besonderen Problematik einer Ausgabe ›letzter Hand‹ auf Basis der Gesammelten Gedichte von 1956, so in den Gedichtbänden der Sämtlichen Werke, vgl. Ansel: Wirklichkeit rein aus Hirnrinde in acht Bänden. 2005.
110
Editorischer Bericht
Varianten werden in einem gegenüber dem Erstdruck als Referenzbasis lemmatisierenden Apparat angegeben. Im Volltext in die Edition aufgenommen wurden alle Privatdrucke bis zum ersten Druck, welcher ein breiteres Lesepublikum erreichte. In dieser Phase der geringen Verbreitung erfuhren die Texte oft noch Veränderungen. Eine Ausnahme stellt hier Verlorenes Ich dar. Das Gedicht wird nur bis zur Fassung des ersten Privatdrucks vollständig wiedergegeben, da die Änderungen an den weiteren Fassungen eher geringfügig sind.69 Die bibliografische Aufnahme der Drucke versucht, ein möglichst vollständiges Bild von den autorisierten Drucken und Nachdrucken im deutschen Sprachraum zu Lebzeiten zu geben.70 Der Stichtag war hierbei Benns Todestag, allerdings wurden Nachdrucke in Anthologien in seinem Todesjahr noch aufgenommen. Die Lizenzverhandlungen zu solchen Anthologie-Abdrucken reichten oft in die Lebenszeit zurück, wie etwa das Beispiel der Sammlung Über mich selbst bei Langen-Müller zeigt.71 Nachdrucke in der Tagespresse, wie etwa Anno 1886,72 wurden nicht aufgenommen, wenn die Publikation erst nach Benns Tod erfolgte. Die Verhandlungen über diese Abdrucke erfolgten meist von einem Tag auf den anderen. Auf die Aufnahme der Übersetzungen in andere Sprachen wurde mit Blick auf Benns geringes Interesse an der Kontrolle dieser Texte verzichtet. Nur vollständige Nachdrucke wurden berücksichtigt. Als Zitat dienende Abdrucke der Gedichte in wissenschaftlichen Publikationen und Abdrucke einzelner Strophen in Zeitungen wurden nicht aufgenommen. Für das Auffinden der Nachdrucke war die Arbeit der Sammler Oelze, Lohner, Zenner und vor allem Fritz Werner sowie das gleichfalls im DLA Marbach zugängliche Archiv des Limes-Verlags und die Zeitungsausschnitte-Sammlung im Nachlass Gottfried Benns und im Teilnachlass Ilse Benn von unschätzbarem Wert. 73 69 Gottfried Benn: Zweiundzwanzig Gedichte (1936–1943). Privatdruck Aug. 1943, S. 5–6. Siehe S. 321, 318. 70 Gegenüber den in den Bibliografien Lohners, Werners und in den Sämtlichen Werken erfassten Drucken konnten noch elf weitere Nachdrucke ergänzt werden: Astern (4), 1886 (1), Orpheus’ Tod (1), Reisen (3), Nur zwei Dinge (2). 71 Benn war an den Verhandlungen zwischen Langen-Müller und Niedermayer noch persönlich beteiligt, April 1956, vgl. BLimes, S. 701–703, 746, 749, 827f. 72 Wiederabdruck mit abweichendem Titel: Anno 1886. Süddeutsche Zeitung 14./15. Juli 1956, Feuilleton, o. S. 73 So gründlich die bibliografische Arbeit des Sammlerkreises um Benn war, so wenig lässt sich Vollständigkeit garantieren. In Zeitungen und Anthologien sind wahrscheinlich noch weitere Abdrucke zu entdecken. Vgl. andere jüngere Funde wie Unter der Großhirnrinde (1911), erst 2002/3 von Andreas Kramer in der Frankfurter Zeitung und Handelsblatt entdeckt, vgl. SW, VII/1, S. 355, vgl. auch Benns medizinische Literaturreferate, vgl. Hoffmann u. a.: Gottfried Benns Literaturreferate in der Berliner Klinischen Wochenschrift. Faksimileabdruck und Einführung. 2009.
Textzeugen und Quellen
111
Rundfunk Wie Andreas Meier in seinem Beitrag zu Benns Studioaufnahmen für Rundfunk und Schallplatten dargelegt hat, können solche Dokumente neben ›Versprechern‹ auch beabsichtigte mündliche Varianten enthalten.74 Editorisch gesehen sind dies Einzelfallerwägungen und die Aufnahme in eine Edition jeweils gesondert zu begründen, da in der Regel lediglich ein bereits veröffentlichter Text durch den Autor zur ›Aufführung‹ gebracht wird und Varianten nicht auf eine bewusste Textentscheidung zurückgehen, sondern auf die jeweilige Situation, Vereinbarungen mit dem Veranstalter oder auf Leseversehen.75 Auf eine systematische Aufnahme aller von Benn selbst gesprochenen Tondokumente wurde daher nach Prüfung der verfügbaren Tondokumente in dieser Edition verzichtet.76
74 Meier: Von Les- und Hörarten. Zum editorischen Umgang mit ›Hörbüchern‹. 2011. 75 Etwa in der Aufnahme des Gedichts Quartär – in den Studios des NDR für eine Schallplattenproduktion des Limes-Verlags 1956. Benn scheint sich folgendermaßen zu verlesen und zu korrigieren: »Lass sich die Leu. . .Letzten quälen«. Hörbeispiel von Andreas Meier, 11. Februar 2011, ebd. 76 Vgl. Gottfried Benn: Das Hörwerk 1928–56. Lyrik, Prosa, Essays, Vorträge, Hörspiele, Interviews, Rundfunkdiskussionen [mit 1 MP3 CD, 11:09 Std. Spieldauer]. Hrsg. v. Robert Galitz u. a. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins 2004; ders.: Statische Gedichte [mit 1 Mini-CD, GB liest aus den Statischen Gedichten]. Hrsg. v. Paul Raabe. Zürich, Hamburg: Arche 2006, sowie die Benn-Tonträgersammlung des DLA.
Ach, das Erhabene Astern Die weißen Segel Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
Notizbuch 4a, 114 · TH1 Die weissen Segel, 188 · TH1 Astern, 192 · TH1 Ach, das Erhabene, 194 · D1 Die weissen Segel, 196 · D1 Astern, 198 · D1 Ach, das Erhabene, 199 · Druckvarianten, 200.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 208 215
114
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Notizbuch 4a 1v
115
Nb 4a 1v
Ein Offizierskorps, dem der [ dienstliche Befehl nicht das
3
höchste Gesetz des Lebens ist, ist unbrauchbar. Dienst ist die Projection des des Lebens auf den Begriff Befehldse u Offizier sein heisst: im Befehl die höchste rationale obersten Instanz sehen.
6
9
12
116
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 2r
3
6
9
12
15
18
[1.5] [1.4]a →
Keiner kann Dich beschenken Keinem kannst Du Dich schenken Nur Immer Dir selber bereit. Du bist Leiden u Denken Immer Weder mit Brod noch mit Von den Göttern gereicht. – Wein Dort nur [fühlst lebst] Du das Sein [Lebst Bist] nur Dein eigenes Sein Nur in ihnen das Sein [Eine Sie] setzen in Bewegung Der Rest ist Selbstbegegnung – Guten Appetit. × Die Stern und Geisterbahnen Lassen einst es erahnen Wenn man das Fazit zieht: Wiener Wald
[1.11 ] a : 2, 4–7 Ti [1.12 ] a,b : 1, 3, 6–18 Bl
→ [1.5] → [1.10]
99K [5] 21–24 DwSegel 99K [5] 21–24 DwSegel
[1.11 ] a [1.12 ] a,b — Notizbuch 4a 2r
117
118
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.2] a — Notizbuch 4a 2v
119
Nb 4a 2v
Lächerliche getriebene verdammten Diesen verlassenen Horden Ostisch, syrisch, morden Alles Klumpen Alles Triebgestelle Ein Donauwalzer wellen Mörtel Wiener Wald
Olymp u Graal bemüht erglüht
[1.2] a : 1–9, 10–11 Bl
→ [1.4] a,c
3
6
9
10
120
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 3r
Ein Graal mit Tricks u Tanzen Der Rest ist Trieb u Tanzen Sie kriechen wie die Wanzen Moses kroch aus dem Schilf Sie kriechen aus Fluss u Flechten Die Führer u Propheten Herr hilf.
3
6
9
12
15
Kaschemmensäfte Der Rest ist [Völker sind] kräfte säfte Geschichte u Geschäfte [Geschütze Gedichte] u Gemüt | Ein alter Graal umglüht Der Rest ist Missionaren Die Fresse von Cäsaren Gehirn von Troglodythen
[1.2] b : 1–15 Bl
→ [1.4] b,c
[1.2] b — Notizbuch 4a 3r
121
122
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.3] — Notizbuch 4a 3v
123
Nb 4a 3v
Hildesheim Wieviel u welcher Art fachärztliche Nachunter-
3
suchungen bei den Gemusterten notwendig waren
6
Bann, Blut, Flor
[1.3] : 7 Ti
→ [1.25]
99K [6] 2, 6 Astern
124
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 4r
3
6
9
12
[1.2] a →
Lächerliche Horden ostisch syrisch morden – Kalb + Geschichtsgestalt! Kläfft: Alles Triebgestelle Höchstfall: Grünzeug, Donauwelle Wienerwald.
Lächerlich das Aben wo Gestirn u Bahn Volkheit die die Menschheit zielt eine Urbewegung – Einst die Der Rest ist Selbstbegegnung – guten Appetit
[1.4] a : 1–15 Bl
→ [1.12 ] a,b
[1.4] a — Notizbuch 4a 4r
125
126
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.4] b — Notizbuch 4a 4v
127
Nb 4a 4v
Ein Graal aus Tricks Der Rest ist Trieb u Tanzen Flügge wie Sie kriechen wie die Wanzen Mose kroch aus dem Schilf Flügge aus Sie kriechen Fluss u Flechten Die Führer u Propheten Herr hilf.
×
[1.2] b →
[1.4] b : 1–9 Bl
3
6
9
128
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 5r
3
6
Der Rest: Kaschemmenkräfte Geschichte u Geschäfte Thing u Graal erglüht Graal mit Anthrazith Dynamit Ein Hort der Missionar[en e] Fresse von Cäsaren Gehirn von Troglodythen Graal mit Neukredit –
[1.2] b →
[1.4] c : 1–8 Bl
[1.4] c — Notizbuch 4a 5r
129
130
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Notizbuch 4a 5v
131
Nb 4a 5v
Ein armes Volk, das flügge wird an Schlagern Dreivierteltakt
3
Gnadentod
132
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 6r
Keiner kann Dich
3
beschenken Keiner hat Brod [oder und] Wein Es giebt nicht das Brod, nicht den Wein
6
9
[1.11 ] a →
Dein ist Leiden u Denken Dort nur lebst Du das fühlst Sein. Weder mit Brod noch mit Wein
[1.5] : 1–11 Bl
→ [1.12 ] a,b
99K [5] 21–24 DwSegel
[1.5] — Notizbuch 4a 6r
133
134
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.7] — Notizbuch 4a 6v
135
Nb 4a 6v
Wachen u immer bereit sein [d D] em, was Ver[h w] andlung verheisst,
bald wird die Erde bereit sein, Zu Dir zu steigen als Geist . .
[1.6] →
[1.7] : 1–4 Ti
→ [1.9]
3
99K [5] 29–32 DwSegel
136
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 7r
Zwang zur Projection
3
6
9
12
dann aus dem tiefen Weihe Dein tiefes lebe im Bereitsein Verwandlung das, was verheisst siehst Du die Welten soweit bald wird die Erde sein sich zu in Geist Zeit sein gestalten als Zu Dir zu steigen als Geist.
[1.6] : 2–13 Bl
→ [1.7]
99K [5] 29–32 DwSegel
[1.6] — Notizbuch 4a 7r
137
138
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.8] [1.12] a — Notizbuch 4a 7v
139
Nb 4a 7v
Höllen Dir selber Wenn Du die Leiden nimmst denen Du weichst, wenn Du die Höhe selbst bestimmst, in die Du reichst – – Selber die Mächte bekennen vor denen Du weichst selber die Höhe benennen, in die Du reichst
3
6
9
Die Höhe selbst bestimmen, in die Du reichst – [selbst erst der selber der]
Nenner der Höhe in die Du reichst Du der die Mächte bekannte Vor denen Du weichst. selber die Höhe benannte in die Du reichst
,→
[1.8] : 1–5, 10–11 Ti [1.12] a : 6–9, 12–17 Bl
←→ [1.18]
12
15
99K [5] 27–28 DwSegel 99K [5] 27–28 DwSegel
140
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 8r
3
6
9
12
15
[1.7] → [1.5] → ,→ [1.8] →
Wachen u immer bereit sein dem, was Verwandlung verheisst, bald wird die Erde so weit sein zu Dir zu steigen als Geist.
Keiner kann Dich beschenken weder mit Brod noch mit Wein Dein ist Leiden u Denken, Da nur fühlst Du das Sein – Sie nur form[t en] sich das Sein
Wohin reift noch die Stunde, wenn schon die Erde leer Ach was brütet das Werden unter dem Nest hervor Flügeln hervor Du bist selber die Höhe, In die Du reichst . . .
[1.9] : 1–4 Ti [1.101 ] : 5–9 Ti [1.102 ] : 9 Bl [1.11] : 10–13 Bl [1.12] b : 14–15 Bl
→ [1.20] ←- → [1.20] → [1.20] → [1.13] → [1.18]
99K [5] 29–32 DwSegel 99K [5] 21–24 DwSegel 99K [5] 24 DwSegel 99K [6] 7–8 Astern 99K [5] 27–28 DwSegel
[1.9] [1.101,2 ] [1.11] [1.12] b — Notizbuch 4a 8r
141
142
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Notizbuch 4a 8v
143
Nb 4a 8v
Du musst den Viechern sanft begegnen sonst schnauben sie mit Rotz und [R r] egnen
3
144
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 9r
Was brütet das alte Werden unter den sterbenden Flügeln alten Nest hervor
9
6
die
Sch wa trin str lben ken e u a ifen d Es i hn läs en e Flu st d Ein te d i e e e Die n [Ab fre Na n en m S cht d c d Tri . nk hwalb e Fer End en ] e n ee u a en s v erm rw tre hn a en die ifen d cht uten ie Na cht Flut en
3
[1.11] →
[1.13] : 1–3 Bl [1.17] : 4–10 Bl
→ [1.141 ] → [1.211 ] c [1.27] [1.212 ] c
99K [6] 7–8 Astern 99K [6] 13–16 Astern
[1.13] [1.17] — Notizbuch 4a 9r
145
146
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.141,2 ] — Notizbuch 4a 9v
147
Nb 4a 9v
Noch einmal die weissen Herden Die Sonne, das Licht der Flor Was brütet d[ie as] alten Werden unter den sterbenden Flügeln vor? Noch einmal das Ersehnte De˙n Rausch, Der Rosen Du – Der Sommer stand u lehnte u sah den Schwalben zu , Pans [Flöte Zeichen] u Pans [L Z]üge Die grosse Lethargie Mittag Es giebt kein Zeit gefüge Du endest nie Die Stunde
[1.13] → [1.141 ] : 1–8, 10–12 Ti → [1.15] ←- [1.16] [1.21] b [1.15] → ,→ [1.142 ] : 9–11, 13 Bl
3
6
9
12
99K [6] 5–12 Astern
3
Ein D u da Das Ich z s überm um S ä ein R chw chtig ausc e i h g aus ande , der un en zwan g verd rer W äc elt d rang htig ?
148
[1.141 ] →
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 10r
[1.16] : 1–4 Bl
99K [6] 10 Astern
[1.16] — Notizbuch 4a 10r
149
150
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Notizbuch 4a 10v
151
Nb 4a 10v
6¾ 11 weisse waschbare hübsche 21 sportsleder, Schwein –
3
152
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 11r
Östlich in Strömen schwimmen 3
uralten, zaubergebleicht westlich die Höhe bestimmen
6
selber, in die man reicht –
[1.12] a,b →
[1.18] : 1–7 Bl
→ [1.20]
99K [6] 25–28 Astern
[1.18] — Notizbuch 4a 11r
153
154
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.19] [1.20] — Notizbuch 4a 11v
155
Nb 4a 11v
Augusttage Sage die Götter halten die Wage eine Stunde an schweigende darf Keiner kann Dich beschenken Weder mit Brod noch mit Wein Dein ist Leiden u Denken Da nur fühlst Du das Sein.– formt sich diese Wage Östlich[die e] Ströme durchschwimmen uralte, zaubergebleicht, westlich die Höhe bestimmen selber in die [Du man] reichst – Wachen u immer bereit sein dem was Verwandlung [erw ver] heisst, bald wird die Erde bereit sein zu Dir zu steigen als Geist Dir zu folgen
[1.9] [1.10] [1.18] →
[1.19] : 1–5 Bl [1.20] : 6–19 Bl
→ [1.21] a [1.26] → [2]
3
6
9
12
15
18
99K [6] 1–4 Astern 99K [5] 21–32 DwSegel
156
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 12r
seltsame Astern — ewige Tage mytische August – die Asterntage die [a A] lte Beschwörung, der Bann, die Götter halten die Wage eine schweigende Stunde an. goldene n Noch einmal die weissen Herden Die Sonne, das Licht, der Flor Was brütet das alte Werden unter den sterbenden Flügeln vor?
3
6
9
12
15
18
Noch einmal das Ersehnte der Rausch, der Rosen Du Der Sommer stand u lehnte u sah den Schwalben zu –? Du träumst noch von Vermuten Vermuten Noch einmal ein Traum Fahrt [α , β , γ dass neu ein Stern erwacht, – ] u doch die Schwalben streifen die Fluten Nacht Trinken u ahnen die Nacht –
18 α, β, γ
α β γ
[1.141 ] [1.17] → [1.19] [1.211 ] b,c [1.26] [1.27] →
dass ? xxx? aus dem wir erwacht In das der neu ein Stern
[1.211 ] b,c : 7–15 Bl , 18–20 Bl [1.212 ] a,c : 1–6 Bl , 16–17 Bl , 17–19 Bl (»Fahrt / u / Nacht«)
→ [1.27][1.212 ] a,c [3] 99K [6] 5–12 Astern → [3] 99K [6] 1–4, 13–16 Astern
[1.211 ] b,c [1.212 ] a,c — Notizbuch 4a 12r
157
158
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.23] — Notizbuch 4a 12v
159
Nb 4a 12v
schönen Die weissen Segel, die Bogen die Du an Bord bewahrt
3
Lass sie – tiefe Wogen geben Dir tiefere Fahrt
[1.23] : 1–5 Bl → [1.24]
99K [5] 1–4 DwSegel
160
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 13r
3
6
weissen Die schönen Segel, die Bogen Der Schwung, die ganze leuchtende Fahrt ruhen treiben tragen noch tiefere Wogen u Du hast sie bewahrt
9
„Sie lesen doch auch manchmal ganz gern“ so als ob man sagt: Sie gehn doch [mal auch] ganz gern mal in den Zoo.
[1.23] → [1.24] : 1–7 Bl → [1.25] [1.26]
99K [5] 1–4 DwSegel
[1.24] — Notizbuch 4a 13r
161
162
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.25] — Notizbuch 4a 13v
163
Nb 4a 13v
[Am Von den]
Segel leuchten Fahnen
Du meinst die Beiden nicht Erst Du hast Bann und Flor
[1.3] [1.24] → [1.25] : 1–3 Bl → [1.26]
3
99K [5] 17 DwSegel / [6] 2, 4 Astern
164
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 14r
Die weissen Segel, die Bogen Der Schwung, die leuchtende Fahrt sind eine Art von Wogen u eine Segler art
3
6
9
Vom Ufer leuchten die Hallen Vergiss den alten Bann die Woge war im Fallen u hielt eine Stunde an ] en ut rn , ein n m e vo Ver ud men n Za u e ch eb Trä ht no [B t n i ac s r E p um rn die te trä en s u en f i D oss er A e r d str r g ust n e e d a lb in u tr wa h r Sc se os h die r 12 r g Doc – vo × 15
[1.19] [1.24] [1.25] → [1.26] : 1–8 Bl → [1.21] a [2] [1.17] [1.211 ] c → [1.27] : 9–17 Bl → [1.212 ] c
99K [5] 1–4 DwSegel / [6] 2, 4 Astern 99K [6] 1, 13, 15 Astern
[1.26] [1.27] — Notizbuch 4a 14r
165
166
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Notizbuch 4a 14v
167
Nb 4a 14v
Eigentlich sind die Jahre, die am Ausgang der Jugend stehn, für einen Mann die vollkommensten
3
„so wie an jenem Abend“
– dass sich aus einer grossen Leidenschaft Glück ergiebt, das zu zeigen wäre männlich „wenn Du es giebst“
6
168
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 15r
immer zwischen schon u noch –
3
„Regelmässigkeit u Ausnahme“ Irdischer Schmutz u überirdische Glorie –
6
9
„der Morgen rot u der Abend rot u 3 mal so heiss wie heute“ Wenn ich das Haar Dir strich Zerrt ich am Haare Dich? Wenn ich Dich wusch, mein Kind war ich je ungelind?
Notizbuch 4a 15r
169
170
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.28] — Notizbuch 4a 15v
171
Nb 4a 15v
Ich bin so scharf auf Erika
Kalt sieht man die Dinge an, die Männer, was sich so
3
nennt!
Welche Gaben u aus welchen Kronen senkte das Geschick in manches Blut oder [welches welche] Dünste u Dämonen weiten nahen Rätseln treibt die Flut
„Sprich Du nicht von Liebe morgen“ –
[1.28] : 5–10 Bl
6
9
12
172
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 16r
9
12
15
Nur wer es trägt, ist auch gerufen nur wer es fühlt, ist auch bestimmt u keiner steigt die die Stufen Da ist der Traum, da sind die Stufen
19
18
u wahren Tiefen des Seins echten ihm Nur wer ihm dient, ist a.u.c.h. verpflichtet es selbst verpflichtet nichts. zu sich zum Sein von Dir nur wer sich fühlt, nur wer sich schichtet führt, tritt in das Joch der Höhe ein.
die Gottheit, die [auch es] nimmt
6
[Da ist und da]
3
Ein Feld von Streifen, Stücken Des Einst des Widerscheins Zerfall von wieviel Wie nah war wirkliches Glücken
Nicht wiedergegeben, unbeschrieben: 16v I [1.29] : 1–7 Bl [1.301 ] b : 8–12, 13–17 Ti ←- → [4] ,→ [1.302 ] b : 11, 18–20 Bl → [4]
99K [7] 9–16 AdErhab 99K [7] 9–16 AdErhab
[1.29] [1.301 ] b [1.302 ] b — Notizbuch 4a 16r
173
174
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 17r
3
6
wird Nur der Gezeichnete darf reden [Doch Und] das Vermischte bleibe stumm Es ist die Lehre nicht für jeden, [u doch] keiner wird erhaben drum verworfen ohne Rute kein Strafen Strenge [etwa denn] unerfahrbar ist Rang ganz unerfahrbar für die Menge ach das allgemein es ist nicht u [wird nicht] versöhnt ganz unerfahrbar für die Menge Von einer Wolke Da es aus einer Wolke kommt. tönt
[Doch Ach] , das Erhabne [hat ein kennt] 9
12
15
[1.30] a : 1–15 Ti → [4]
99K [7] 1–8 AdErhab
[1.30] a — Notizbuch 4a 17r
175
176
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Notizbuch 4a 17v
177
Nb 4a 17v
aber hinter allem steht immerhin doch [dies Jen] es Jenes, das beides umfasst
3
das Eine u das Andere u das nie sichtbar wird: die Menschwerdung die Entstehung Schöpfung des Gefühls, die Menschwerdung Geistes
6
9
178
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 18r
3
6
9
Die Welt kommt nicht weiter, das steht als erstes fest. Die einzelnen Zeitalter verschleiern das Eine oder lassen das Andere durchblicken, hinter allen aber steht unvermin dert u unvermindert in einer Erde, die nicht sichtbar ist die Wurzel des Menschwerdens Jenes das nie, das nicht sichtbar wird, die Menschwerdung.
12
15
Auch die Aufklärung ist eins von diesen Gittern, durch die eine Epoche blickt. Die Speculation, auf das Geheimnis blickt
Notizbuch 4a 18r
179
180
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Notizbuch 4a 18v
181
Nb 4a 18v
hier ist gar keine „blaue Blume“, sondern präcise Objecte u ausgerichtete Sinnlichkeit u eine auf sie ausgerichtete
3
182
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 19r
Der Idealismus ebenso wie
3
die moderne Biologie ja selbst heutig e der Rassismus ist ein anderes Gitter. Auch die Romantik
6
wollte hinter den Dingen schlummert der Sinn
9
12
„vergeistigte Sinnlichkeit“ a aber ist das positiv? organisch sinnlich gebundener u manifestierter Geist ist vielleicht die eine Chemie menschlichen Seins.
Nicht wiedergegeben: 19v –27v I
Notizbuch 4a 19r
183
184
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Nb 4a 28r
3
halben Einen wei[ch t] en Blick in manche Züge eine Stro[fe phe] , eine Melodie Intermezzo Lüge
„Doch verschliessen tu ich [ihn mich] vor Dir“
6
In ein Streifen
Neigen ohne Lüge zeitlich
9
Eine schnelle Flucht
Nicht wiedergegeben: 28v –30r I [1.141 ] →
[1.15] : 1–4, 6–9 Bl
→ [1.142 ]
[1.15] — Notizbuch 4a 28r
185
186
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.22] — Notizbuch 4a 30v
187
Nb 4a 30v
Lampen Installation Garderobe
150 – 175 51
Teppich
1[0 5] 0.
Fenster
100. – 175 [4 5] 00. M.
3
6
von weiten Fahrten u in weissem Staub –
[1.22] : 7–8 Bl → [2]
99K [5] 1–2 DwSegel
188
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
TH1 DwSegel 1r Die weissen Segel-----------------------------3
1. 6
9
2.
12
3. 15
18
4
21
5
24
6 27
Die weissen Segel,die Bogen, an Bord die leuchtende Fahrt sind eine Art von Wogen und eine Segel-Art. Des hohen Tiers,des Einen, zentaurisch,ohne Qual, der frühen Welt ,der seinen, bei Rauch und Widermahl. Kiel [Bug der Kiel] im Elemente, der NBug Bug in Wurf und Wehr , wer da noch Fragen kennte , was ist wohl der-?
der Kiel
wo Spill und Tau am Lager , der Topp sich dreht im Nu , wer spräche da dem Frager wohl Wesen zu ? Und doch vor Flagg’ und Fahnen erhebe dich gedämpft: auch d[en ein] Gefühl hat Ahnen , du hast es dir erkämpft.
dein
Keiner kann dich beschenken weder mit Brod noch mit Wein , dein ist Leiden und Denken: so empfängst du das Sein.
[1.20] [1.26] → [21 ] a : 1–27 kMa ←- → [5] ,→ [22 ] a : 5, 6, 9, . . ., 26 Ti → [5]
99K [5] 1–24 DwSegel 99K [5] 3, 4, 7, . . . 19 DwSegel
[21 ] a [22 ] a — TH1 DwSegel 1r
189
190
3
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
7
6
8
9
Östliche Ströme durchschwimmen uralte, zaubergebleicht, westlich die Höhe bestimmen selber, in die man reicht. wachen und immer bereit sein dem, was Verheissu Verwandlung verheisst, bald wird die Erde so weit sein , zu dir zu steigen als Geist.
25. VIII 35. Steinhude. ×
[1.20] [1.26] → [21 ] b : 1–8 kMa ←- → [5] ,→ [22 ] b : 3, 6, 7, 9 Ti → [5]
Be.
99K [5] 25–32 DwSegel 99K [5] 30 DwSegel
[21 ] b [22 ] b — TH1 DwSegel 2r
191
192
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
TH1 Astern 1r Astern----------------3
6
9
12
15
18
Astern-,schwälende Tage, alte Beschwörung, Bann, die Götter halten die Wage eine zögernde Stunde an. Noch einmal die goldenen Herd` en der Himmel,das Licht,der Flor, was brütet das alte Werden unter den sterbenden Flügeln vor? noch einmal das Ersehnte, den Rausch,der Rosen Du-, der Sommer stand und lehnte und sah den Schwalben zu-? Noch einmal ein Vermuten, wo längst Gewissheit wacht ; . die Schwalben streifen die Fluten und trinken Fahrt und Nacht.
21
[1.211,2 ] a–c → [31 ] : 1–18 kMa ←- → [6] ,→ [32 ] : 6, 16, 19–23 Ti → [6]
× Der Autor in den Rönnejahren 15/16 in Brüssel. Be.
99K [6] 1–16 Astern 99K [6] 5, 14 Astern
[31 ] [32 ] — TH1 Astern 1r
193
194
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
TH1 AdErhab 1r 3. IX. 35
3
6
9
12
15
18
Ach,das Erhabene-------------------------Nur der Gezeichnete wird reden und das Vermischte bleibe stumm , es ist die Lehre nicht für Jeden , doch keiner wird verworfen drum. Ach,das Erhab’ne ohne Stren[h g] e-! so viel umschleiernd und versöhnt , ganz unerfahrbar für die Menge , da es aus einer Wolke tönt. nur wer ihm dient,ist auch verpflichtet, es selbst verpflichtet nicht zum Sein, nur wer sich führt,nur wer sich schichtet, tritt in das Joch der Höhe ein. Nur wer es trägt,ist auch berufen, nur wer es fühlt,ist auch bestimmt- ! da ist der Traum,da sind die Stufen und da die Gottheit,die es nimmt. ×
21
[1.30] → [41 ] : 2–19 kMa ←- → [7] ,→ [42 ] : 8, 20, 21 Ti → [7] [43 ] : 1 Bl
Be.
99K [7] 1–16 AdErhab 99K [7] 5 AdErhab
[41 ] [42 ] [43 ] — TH1 AdErhab 1r
195
196
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
D1 DwSegel Die weißen Segel
3
6
9
12
15
18
21
24
Die weißen Segel, die Bogen, an Bord die leuchtende Fahrt sind e i n e Art von Wogen und e i n e Segel-Art. Des hohen Tiers, des Einen zentaurisch, ohne Qual, der frühen Welt, der seinen, bei Rauch und Widdermahl. Der Kiel im Elemente, der Bug in Wurf und Wehr, wer da noch Fragen kennte, was ist wohl der –? Wo Spill und Tau am Lager, der Topp sich dreht im Nu, wer spräche da dem Frager wohl Wesen zu? Und doch vor Flagg’ und Fahnen erhebe dich gedämpft: auch d e i n Gefühl hat Ahnen, du hast es dir erkämpft. Keiner kann dich beschenken weder mit Brod noch mit Wein, dein ist Leiden und Denken: so empfängst du das Sein.
[5] — D1 DwSegel
Östliche Ströme durchschwimmen uralte, zaubergebleicht, westlich die Höhe bestimmen selber, in die man reicht. Wa c h e n u n d i m m e r b e r e i t s e i n d e m , w a s Ve r w a n d l u n g v e r h e i ß t , bald wird die Erde so weit sein, zu Dir zu steigen als Geist.
197
27
30
198
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
D1 Astern Astern
3
6
Astern –, schwälende Tage, alte Beschwörung, Bann, die Götter halten die Waage eine zögernde Stunde an. Noch einmal die goldenen Herden der Himmel, das Licht, der Flor, was brütet das alte Werden unter den sterbenden Flügeln vor?
9
12
15
Noch einmal das Ersehnte, den Rausch, der Rosen Du –, der Sommer stand und lehnte und sah den Schwalben zu, noch einmal ein Vermuten, wo längst Gewißheit wacht: die Schwalben streifen die Fluten und trinken Fahrt und Nacht.
[6] D1 Astern — [7] AdErhab
199
D1 AdErhab Ach, das Erhabene Nur der Gezeichnete wird reden und das Vermischte bleibe stumm, es ist die Lehre nicht für Jeden, doch Keiner sei verworfen drum. Ach, das Erhab’ne ohne Strenge –! so viel umschleiernd, tief versöhnt, ganz unerfahrbar für die Menge, da es aus einer Wolke tönt.
3
6
9
Nur wer ihm dient, ist auch verpflichtet, es selbst verpflichtet nicht zum Sein, nur wer sich führt, nur wer sich schichtet, tritt in das Joch der Höhe ein. Nur wer es trägt, ist auch berufen, nur wer es fühlt, ist auch bestimmt –: da ist der Traum, da sind die Stufen und da die Gottheit, die es nimmt.
12
15
200
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Druckvarianten Druckvarianten zu [5] D1 Die weißen Segel 3 4 7 19
D3, D4, D5 D3, D4, D5 D2, D3, D4, D5 D3, D4 D5 22 D2, D3, D4, D5 23 D3, D4, D5 24 D3, D4 D5 29 D3, D4, D5 30 D3, D4, D5 31 D3, D4, D5 32 D3, D4, D5 o.Z. D2
sind eine Art von Wogen und eine Segel-Art. der frühen Welt, der seinen auch dein Gefühl hat Ahnen, Auch dein Gefühl hat Ahnen, weder mit Brot noch mit Wein, dein ist Leiden und Denken: so empfängst du das Sein. So empfängst du das Sein. Wachen und immer bereit sein dem, was Verwandlung verheißt, bald wird die Erde so weit sein, zu dir zu steigen als Geist. (Für Herrn F.W. Oelze)
Druckvarianten zu [6] D1 Astern 1 10 14 15
D2 D5 D5 D3 D5
Astern –, schwelende Tage, Astern – schwälende Tage, den Rausch, der Rosen Du – wo längst Gewissheit wacht: Die Schwalben streifen die Fluten
Druckvarianten zu [7] D1 Ach, das Erhabene 3 4 5 15
D2, D3, D4, D5 D2, D3, D4, D5 D3, D4 D5 D5
es ist die Lehre nicht für jeden, doch keiner sei verworfen drum. Ach, das Erhab’ne ohne Strenge, Ach, das Erhabne ohne Strenge, Da ist der Traum, da sind die Stufen
Überlieferung und Chronologie
201
Überlieferung und Chronologie Nb 4a [1] Notizbuch 4a. DLA, Bestand Benn (im Archiv als »Arbeitsheft 4a«). Notizbuch für Offiziere (von Benn durchgestrichener Stempel auf 1v : »Sanitäts-Offizier bei der Wehrersatz-Inspektion Hannover«, 100 × 156 mm, fadengeheftet). 37 von 37 Blatt und Umschlag von innen beschrieben, verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe (Bleistift, Tinte). Auf den ungeraden Seiten von unbekannter Hand Paginierung mit Bleistift. Gottfried Benn nutzte Notizbuch 4a für private und dienstliche Notizen, Haushaltsrechnungen, Abrechnungen sowie für literarische Vorarbeiten und Entwürfe. Der Nutzungszeitraum lässt sich auf April bis Oktober 1935 eingrenzen. Die wiedergegebenen Abschnitte mit Gedichtentwürfen sind mit einiger Sicherheit lediglich anhand der Typoskripte zu datieren, d.h. die Entwürfe zu Die weißen Segel bis 25. August 1935, diejenigen zu Ach, das Erhabene und Astern bis spätestens 3. September.1 Einzelne Eintragungen, wie etwa die Reflexion über den Begriff des Dienstes auf der ersten Seite, könnten allerdings auch vom Anfang der Dienstzeit stammen.2 Indirekte Hinweise ergeben sich aus den Entwürfen und deren Position selbst. Die Varianten »Augusttag«3 und »August – die Asterntage«4 zeigen an, dass diese und die vorangegangenen Astern-Entwürfe noch im August entstanden sein dürften. Da in Nb 4a diejenigen Entwürfe, welche auf die »weißen Segel« referieren, erst auf den folgenden Seiten stehen, ist anzunehmen, dass die AsternEntwürfe, zumindest bis [211 ] b,c , noch vor dem Ausflug ans Steinhuder Meer am 25. August entstanden sind.5 Editorisch wiedergegeben werden der Abschnitt 1v bis 19r , sowie die Seiten r 28 und 30v . Der vollständig wiedergegebene Abschnitt enthält einen zusammenhängenden Komplex aus genetisch miteinander verschränkten Entwürfen zu Astern, Ach, das Erhabene und Die weißen Segel, einigen Entwürfen zu einem nicht fertig gestellten Gedicht und Vorarbeiten zu einem nicht beendeten Aufsatz über F. Schlegels Luzinde für die Cahiers du Sud.6 1 Vgl. BOelze, I, S. 61f, 65f. 2 Vgl. mgl. Parallelstelle in Brief an Oelze vom 7.4.1935, ebd., I, S. 48. 3 Nb 4a 11v , siehe S. 155. 4 Nb 4a, 12r , Siehe S. 156. 5 TH1 DwSegel 2r , siehe S. 191, vgl. auch Gottfried Benn: Briefe an Tilly Wedekind. In: Marguerite Valerie Schlüter (Hrsg.). Gottfried Benn Briefe 4 1986, S. 89. 6 Vom 6. bis 9. September 1935 erwähnt Benn seine Arbeiten an dem Aufsatz gegenüber Elinor Büller und Oelze, vgl. BOelze, I, S. 69, Gottfried Benn: Briefe an Elinor Büller. Hrsg. v. Marguerite Valerie Schlüter. Stuttgart: Klett-Cotta 1992 (= Gottfried Benn Briefe 5), S. 95, 97 , SW, VII/2, S. 417– 421.
202
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Um die komplexe Entwicklung der Texte in diesem Bereich abzubilden, wird dieser Abschnitt geschlossen und mitsamt angrenzender Notizen diplomatisch wiedergegeben. Mit dem Entwurf für eine später wieder aufgegebene Strophe zu Astern auf 28r und dem Stichwortentwurf zu Die weißen Segel auf 30v hingegen ist Benn vmtl. aus Platzgründen auf Seiten am Ende des Notizbuchs ausgewichen. Daher wird in diesen beiden Fällen lediglich jeweils die einzelne Notizbuchseite editorisch wiedergegeben. Insgesamt wurden aus Nb 4 folgende Abschnitte aufgenommen: 1v – 19r (115 – 183), 28r (184f.), 30v (186f.). [1] Nb 4a [1.11 ] a 2r 2, 4–7Ti ↓ [1.5]
[1.2] a–b a: 2v 1–9, 10–11Bl , b: 3r 1–15Bl
116 99K [5] 21–24 DwSegel
119, 120
↓ [1.4]
[1.3] 3v 7Ti ↓ [1.25]
[1.4] a–c a: 4r 1–12Bl , b: 4v 1–9Bl , c: 5r 1–8Bl
123 99K [6] 2–6 Astern
124, 127, 128
↓ [1.12 ] ↑ [1.2] [1.5] 6r 1–11Bl ↓ [1.12 ] ↑ [1.11 ] 2 [1.1 ] a,b 2r 1, 3, 6–18Bl ↓ [1.10] ↑ [1.5] [1.4] a [1.6] 7r 2–13Bl
132 99K [5] 21–24 DwSegel
116 99K [5] 21–24 DwSegel
136
↓ [1.7] [1.7] 6v 1–4Ti
99K [5] 29–32 DwSegel
↓ [1.9] ↑ [1.6] [1.8] 7v 1–5, 10–11Ti
99K [5] 29–32 DwSegel
↓ [1.12] a [1.9] 8r 1–4Ti
99K [5] 27–28 DwSegel
↓ [1.20] ↑ [1.7] [1.101 ] 8r 5–9Ti
99K [5] 29–32 DwSegel
↓ [1.102 ] [1.20] ↑ [1.5] [1.102 ] 8r 9Bl
99K [5] 21–24 DwSegel
↓ [1.20] ↑ [1.101 ] [1.11] 8r 10–13Bl ↓ [1.13]
135 139 140 140 140 99K [5] 24 DwSegel
140 99K [6] 7–8 Astern
Überlieferung und Chronologie
[1.12] a,b a: 7v 6–912–17Bl , b: 8r 14–15Bl
203
139, 140 99K [5] 27–28 DwSegel
↓ [1.18] ↑ [1.8]
[1.13] 9r 1–3Bl ↓ [1.141 ]
144 99K [6] 7–8 Astern
↑ [1.11]
[1.141 ] 9v 1–8, 10–12Ti
147
↓ [1.15] [1.142 ] [1.16] [1.21] b
↑ [1.13]
99K [6] 5–12 Astern
[1.15] 28r 1–4, 6–9Bl ↓ [1.142 ]
184
↑ [1.141 ]
[1.142 ] 9v 9–11, 13Bl
147
↑ [1.141 ] [1.15]
[1.16] 10r 1–4Bl
148
↑ [1.141 ]
99K [6] 10 Astern
[1.17] 9r 4–10Bl
144
↓ [1.211 ] c [1.27] [1.212 ] c
99K [6] 13–16 Astern
[1.18] 11r 1–7Bl ↓ [1.20]
152 99K [5] 25–28 DwSegel
↑ [1.12]
[1.19] 11v 1–5Bl
155 99K [6] 1–4 Astern
↓ [1.21] a [1.26]
[1.20] 11v 6–19Bl ↓ [2]
155
↑ [1.9] [1.10] [1.18]
99K [5] 21–32 DwSegel
[1.211 ] b,c b: 12r 7–15Bl , c1 : 18–20Bl ↓ [1.27] [1.212 ] c [3] [1.22] 30v 7–8Bl
↑ [1.141 ] [1.17]
156 99K [6] 5–12 Astern
187 99K [5] 1–2 DwSegel
↓ [2]
[1.23] 12v 1–5Bl
159 99K [5] 1–4 DwSegel
↓ [1.24] [1.24] 13r 1–7Bl ↓ [1.25] [1.26] [1.25] 13v 1–3Bl
160 ↑ [1.23]
↓ [1.26] ↑ [1.3] [1.24] [1.26] 14r 1–8Bl ↓ [1.21] a [2] ↑ [1.19] [1.24] [1.25] [1.27] 14r 9–17Bl ↓ [1.212 ] c ↑ [1.17] [1.211 ] c [1.212 ] a,c a: 12r 1–6Bl , c: 12r 16–19Bl ↓ [3]
↑ [1.19] [1.21 c1 ] [1.26] [1.27]
99K [5] 1–4 DwSegel
163 99K [5] 17 DwSegel / [6] 2, 4 Astern
164 99K [5] 1–4 DwSegel / [6] 2, 4 Astern
164 99K [6] 1, 13, 15 Astern
156 99K [6] 1–4, 13–16 Astern
204
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[1.28] 15v 5–10Bl [1.29] 16r 1–7Bl [1.301 ] a,b a: 17r 1–15Ti , b1 : 16r 8–12, 13–17Ti ↓ [1.302 ] b [4] [1.302 ] b 16r 11, 18, ↓ [4] ↑ [1.301 ] b
171 172 174, 172 99K [7] 1–16 AdErhab
19–20Bl
172 99K [7] 9–16 AdErhab
TH1 DwSegel [2] TH1 Die weißen Segel (u.d.T. »Die weissen Segel–«). DLA, Bestand Oelze. Zwei Blatt Typoskript auf Rückseiten einer Menükarte der »Stadthalle Hannover« zu Die weißen Segel (148 × 210, 148 × 216 mm) mit hs. Korrekturen und Zusätzen (Schreibmaschine mit Kursivlettern, Tinte), recto beschrieben. Hs. signiert, datiert 2r 25. August 1935 mit Ortsangabe »Steinhude«. Mit zwei aufgeklebten Ansichtskarten: eine vom Steinhuder Meer, darauf abgebildet zwei Segelboote; eine zweite »Arcachon (Côte d’Argent), En course«. Am 25. August 1935 an F.W. Oelze übersandt.7 [2] TH1 DwSegel [21 ] a,b a: 1r 1–27kMa , b: 2r 1–8kMa
188, 190
↓ [22 ] [5] ↑ [1.20] [1.26]
[22 ] a,b a: 1r 5, 6, 9, . . . 26Ti , b: 2r 3, 6, 7, 9Ti ↓ [5]
188, 190
↑ [21 ]
Hs. Datierung 25. August 1935, Steinhude.
TH1 Astern [3] TH1 Astern (u.d.T. »Astern–«). DLA, Bestand Oelze. Ein Blatt Typoskript auf der Rückseite einer Menükarte der »Stadthalle Hannover« zu Astern (148 × 220 mm) mit hs. Korrekturen, aufgeklebtem Foto und hs. Erläuterung, recto beschrieben. Schreibmaschine mit Kursivlettern, Tinte. Signiert, o.D. Am 3. November 1935 an F. W. Oelze übersandt.8 [3] TH1 Astern [31 ] 1r 1–18kMa
192
↓ [32 ] [6] ↑ [1.211,2 ] a,b,c 1r 7, 16, 19–23Ti
192
[32 ]
↓ [6] 7 8
↑ [31 ]
BOelze, I, S. 61f. Ebd., I, S. 66.
Überlieferung und Chronologie
205
TH1 AdErhab [4] TH1 Ach, das Erhabene (u.d.T. »Ach,das Erhabene–«). DLA, Bestand Oelze. Ein Blatt Typoskript auf der Rückseite einer Menükarte der »Stadthalle Hannover« zu Astern (148 × 220 mm) mit hs. Korrekturen, recto beschrieben. Hs. datiert 3. November 1935. Schreibmaschine mit Kursivlettern, Tinte. Signiert. Am 3. November 1935 an F. W. Oelze übersandt9 [4] TH1 AdErhab [41 ] 1r 2–19kMa ↓ [42 ] [7]
↑ [1.30]
[42 ] 1r 8, 20, 21Ti ↓ [7]
194 194
↑ [41 ]
[43 ] 1r 1Bl
194
Hs. Datierung 3. September 1935.
D1 DwSegel, Astern, AdErhab [5] [6] [7] Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene. In: Gedichte. Das Gedicht, Blätter für die Dichtung. Hrsg. von Heinrich Ellermann. Folge 2. Nr. 7. Hamburg: Dürer-Presse Januar 1936, S. 1, 9, 11. In dieser Nummer von Gedichte sind 14 Gedichte Benns in folgender Reihe enthalten: Die weißen Segel, Noch einmal –, Am Saum des nordischen Meer’s, Dein ist –, Doppelkonzert, In Memoriam Höhe 317, Träume, Träume –, Astern, Liebe, Ach, das Erhabene, Tag, der den Sommer endet, Turin, Einst, Das Ganze. Mit gedruckter Widmung an »Herrn F. W. Oelze in Bremen, Hartwigstr. // – dunkler als Kreuz ein Pfosten / trägt die Worte: du weißt. // G.B.«10 [5] D1 DwSegel [6] D1 Astern [7] D1 AdErhab
196–197 198 199
D2 DwSegel, Astern, AdErhab [8] [9] [10] Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene. In: Ausgewählte Gedichte 1911–1936. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt März / Mai 1936, S. 85–86, 95, 103. In der Auflage vom Mai 1936 wurden auf Anordnung der nationalsozialistischen Behörden die Gedichte Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke, D-Zug, Untergrundbahn, O Nacht – und Synthese entfernt. [8] D2 DwSegel
200
9 Ebd., I, S. 65. 10 Ach, das Erhabene; Astern; Die weißen Segel. 1936, gedruckte Widmung auf S. 1 des Hefts. Eingesehen Exemplar Depositum Oelze. Vgl. Lohner: Gottfried Benn. Bibliographie 1912–1955. 1957, S. 64.
206
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
[9] D2 Astern [10] D2 AdErhab
200 200
D3 Astern, AdErhab [11] [12] Astern, Ach, das Erhabene. In: Statische Gedichte. Zürich: Arche September 1948, S. 31, 71. [11] D3 Astern [12] D3 AdErhab
200 200
DrF1 Astern, Ach, das Erhabene. DLA, Bestand Benn. Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Im Inhaltsverzeichnis wurde hs. von Benn auf separat geschnittenen Andrucken die Position der Gedichte Tag, der den Sommer endet (10), Astern (14) und Ach, das Erhabene (41) bestimmt. Die eingelegten Andrucke der beiden Texte wurden nicht hs. korrigiert und sind textidentisch mit D3 Astern und Ach, das Erhabene. Hs. von Benn auf 15.5.1948 datiert. DrF2 Astern, AdErhab.DLA, Bestand Benn. Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Die Texte Astern (S. 31) und Ach, das Erhabene (S. 71) wurden in diesem Exemplar nicht hs. korrigiert sind textidentisch mit D3 Astern und Ach, das Erhabene. Nicht signiert, o.D.
D4 Astern, AdErhab [13] [14] Astern, Ach, das Erhabene. In: Statische Gedichte. Ein Buch der Arche im Limes Verlag. Wiesbaden: Limes März 1949, S. 29, 74. [13] D4 Astern [14] D4 AdErhab
200 200
D3 DwSegel [15] Die weißen Segel. In: Trunkene Flut. Ausgewählte Gedichte (bis 1935, mit Epilog 1949). Wiesbaden: Limes 1949, S. 47. [15] D3 DwSegel
200
Überlieferung und Chronologie
207
D4 DwSegel [16] Die weißen Segel. In: Trunkene Flut. Ausgewählte Gedichte. Zweite, erweiterte Auflage. Wiesbaden: Limes 1952, S. 48. Zu Lebzeiten folgte noch eine Auflage 1956. [16] D4 DwSegel
200
D5 DwSegel, Astern, AdErhab [17] [18] [19] Die weißen Segel, Astern, Ach, das Erhabene In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956, S. 176-177, 186, 193. [17] D5 DwSegel [18] D5 Astern [19] D5 AdErhab
200 200 200
Weitere Drucke Astern In: Deutsche Allgemeine Zeitung 195/196. 28. April 1936. Astern In: Die Tat (Zürich), 18.9.1948, 13. Jg, Nr. 258, S. 11. Astern In: Westermanns Monatshefte. H. 5, 90 (1949), S. 53. Astern In: Das Gedicht. Hrsg. v. Erwin Laaths. München: Droemer 1951. Astern In: Ergriffenes Dasein. Deutsche Lyrik 1900-1950. Hrsg. v. H.-E. Holthusen und F. Kemp. Ebenhausen: Langewiesche-Brandt 1953, S. 196. Astern In: Statische Gedichte. 4. Aufl. Wiesbaden, Zürich: Limes 1954. (Die 4. Aufl. wurde neu gesetzt und enthielt 72 statt 80 S.) Astern In: Deutsche Gedichte der Gegenwart. Hrsg. v. Georg Abt, Gütersloh: Bertelsmann 1954, S. 86. Astern In: Deutsche Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Echtermeyer, neugestaltet von B.v. Wiese, Düsseldorf: Bagel 1954, S. 652. Astern In: Deutsche Lyrik der Gegenwart. Eine Anthologie. Hg von Willi Fehse. Stuttgart: Reclam 1955, S. 19. Astern In: Der ewige Brunnen. Ein Volksbuch deutscher Dichtung. Hrsg. von L. Reiners. München: Beck 1955, S. 276. Astern In: Deutsche Lyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. v. W. Urbanek, Ullstein Bücher. Frankfurt a. M.: Das goldene Fließ 1956, S. 195.
208
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Entstehung und Druckgeschichte Die Gedichte Astern, Die weißen Segel und Ach, das Erhabene entstanden im Zeitraum vom 6. August bis 3. September 1935 in Hannover und Umgebung.11 Nach ihrem gemeinsamen Erstdruck in Heinrich Ellermanns12 Zeitschrift Das Gedicht. Blätter für die Dichtung erschienen die Texte in den Sammlungen Ausgewählte Gedichte (DVA), Statische Gedichte (Arche, Limes), Trunkene Flut (Limes) und schließlich in Gesammelte Gedichte (Limes). Benn hatte im April 193513 unter dem Eindruck der sich mit den RöhmMorden14 ankündigenden Wende der nationalsozialistischen Kulturpolitik und den Intrigen und Angriffen gegen seine Person und in der Union die Praxis in Berlin aufgegeben, sich aus den Aktivitäten in der Preußischen Akademie der Künste und der Union nationaler Schriftsteller zurückgezogen und war als Oberstabsarzt in den Dienst der Heeressanitätsinspektion Hannover getreten.15 Dort war Benn – zunächst bis 1. Oktober auf Probezeit im »Ersatz-Offizierskorps«16 – u.a. für die Wehrersatzkommandos Hannover, Braunschweig, Celle, Göttingen, Goslar, Hameln und Hildesheim zuständig und an der Organisation der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht beteiligt.17 Diese »aristokratische Form der Emigrierung«, wie er sie gegenüber Oelze nannte, versprach zumindest vorläufig Schutz vor weiteren, im »neuen Staat« gefährlichen Anfeindungen und Sicherung des Lebensstandards.18 Seit Anfang August arbeitete Benn an einer Serie von Gedichten, die er für seinen Briefpartner F. W. Oelze mit Schreibmaschine auf die Rückseiten von 11 Vgl. auch SW, I, S. 415, 426–427, 431. Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, 172f. 12 Heinrich Ellermann blieb einer der wenigen Unterstützer von Benns Lyrik auch in der Zeit des Publikationsverbots. So druckte Das Gedicht noch im Oktober 1939 drei Aphorismen von Benn, wobei unbekannt ist, ob der Dichter von dieser Publikation Kenntnis hatte. Vgl. Heinz Sigurd Brieler: Autographen nachgereicht. Gottfried Benn in Erstausgaben, Widmungen und Handschriften. Privatdruck. Goslar: Axel Klose Ultraleicht Katalog Druckerei 2012, S. 15. 13 April 1935 ist das Datum seines Wiedereintritts in die Reichswehr, die Möglichkeit deutet Benn Oelze bereits 18.11.1934 an. Vgl. BOelze, I, S. 39. 14 Die Ermordung der Führung der SA und anderer politisch Missliebiger 30. Juni, 1. und 2 Juli 1934 wurde bereits am 3. Juli 1934 im »Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr« für rechtens erklärt. Vgl. Rechtsbeugung durch Rechtsprechung. Sechs strafrechtliche Studien. 1984, S. 7. 15 Vgl. Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 274–299, Reinhard Alter: Gottfried Benn und Börries von Münchhausen. Ein Briefwechsel aus den Jahren 1933/34. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 25 (1981), S. 139–170. Bei seiner Reaktivierung für die Reichswehr war Benn Generaloberarzt Dr. Walther Kittel, Chef des Stabs der Heeressanitätsinspektion Berlin, maßgeblich behilflich. Die Voraussetzungen waren zudem durch das am 16. März 1935 erlassene »Gesetz zum Aufbau der Wehrmacht« günstig. Vgl. Dyck: Der Zeitzeuge. 2006, S. 168. 16 BOelze, I, S. 74, vgl. Joachim Dyck: Gottfried Benn. Einführung in Leben und Werk. Berlin et al.: de Gruyter 2009, S. 106. 17 Paul Raabe: Gottfried Benn in Hannover 1935–1937. Seelze-Velber: Friedrich 1986, Siehe auch die Nennung der Dienststelle Hildesheim Nb 4a 3v , siehe S. 123. 18 BOelze, I, S. 39.
Entstehung und Druckgeschichte
209
Menükarten der Stadthalle Hannover (»Stadthallenformulare«) schrieb.19 Entsprechend nannte Benn diese Gedichte gegenüber Oelze »Stadthallenelegie« (Tag, der den Sommer endet)20 oder »[Yacht-]Clublied« (Die weißen Segel).21 Nachdem Benn bereits am 6. August das erste Gedicht – Tag, der den Sommer endet – auf einer Stadthallen-Menükarte an Oelze gesandt hatte, weist der Dichter am 1. September seinen Briefpartner auf einer Ansichtskarte mit dem Motiv »Hannover – Stadthalle« anlässlich des mit gleicher Post übersandten Die weißen Segel an: »Bitte 10 Tage jetzt nicht schreiben.«22 Am 3. September schickt er die Gedichte Ach, das Erhabene, Astern und eine revidierte Fassung von Am Saum des nordischen Meers.23 Oelze allerdings hält sich nicht an das von Benn verhängte Schreibverbot, woraufhin dieser die Serie abbricht und nachträglich seinen Plan erläutert: [. . .] das mit dem 10-Tage-nicht-schreiben hatte eine besondere Bewandniss. Ich wollte Ihnen während dieser 10 Tage jeden 2. Tag ein Gedicht auf Stadthallen-Formularen senden, also eine ganze Kollektion. Da Sie aber gestern doch schrieben, ist der Bann gebrochen, der Zauber zerstört u. wir können wieder schreiben.24
Die Entstehung der Gedichte Ach, das Erhabene, Astern und Die weißen Segel bis zu den reinschriftlichen Typoskripten lässt sich fast vollständig in Notizbuch 4a nachvollziehen. Lediglich zu vier der acht Strophen von Die weißen Segel (Str. 4 bis 7) sind keine früheren Textstufen als TH1 DwSegel überliefert. Die Vorarbeiten und Entwürfe zu den verschiedenen Gedichten in Nb 4a, u.a. Konzepte zu mehreren nicht vollendeten Gedichten 25 und ,26 sind durchmischt mit dienstlichen, aphoristischen27 und Lektüre-Notizen.28 Ab 17v finden sich Vorarbeiten zu einem 19 Benn hatte die Stadthalle Hannover im Juni als Feierabendort entdeckt. Vgl. ebd., I, S. 56, BBüller, 274f. Siehe auch Faksimile der Menükarten-Seite Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 173. 20 BOelze, I, S. 60, vgl. auch Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 173. 21 »Aus Steinhude habe ich Ihnen was mitgebracht . . ein Clublied, Yachtclub.«, BOelze, I, S. 64. 22 Ebd., I, S. 64, vgl. Faksimile der Postkarte (Motiv: Stadthalle Hannover) Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 172. Das Gedicht wurde am 1. September an Oelze gesandt. Die Datierung »25. 8. 1935 in Steinhude« auf T1 Die Weißen Segel bezieht sich auf die Fertigstellung des Typoskripts, vermutlich am Abend nach dem Ausflug. Am Morgen des 25. August schreibt Benn Tilly Wedekind, er werde an diesem Tag nach »Steinhude oder gar Braunschweig« fahren. Vgl. BWedekind, S. 89. 23 Siehe T1 Astern und T1 Ach, das Erhabene, S. 192, 194. Vgl. BOelze, I, S. 65–68. 24 Ebd., I, S. 68. 25 Nb 4a 2v –5r , siehe S. 119–128. 26 Nb 4a 15v 5–10, siehe S. 171. 27 Unter vielen anderen auch die Notiz 15v 1–4 anlässlich des Schlagers Ich bin so scharf auf Erika von Gert Karlick (1931), vgl. SW, VII/2, S. 417. Vgl. auch Nb 4a 5v , siehe S. 131. 28 Bei den Notizen Nb 4a 15r 1–11 z.B. handelt es sich um Lektürenotizen aus Mór Jókai: Schwarze Diamanten. Roman. Berlin: Otto Janke 1905, S. 34, passim.
210
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
nicht fertig gestellten Aufsatz über Friedrich Schlegels Luzinde für die Cahiers du Sud29 und Notizen zur Anthropologie,30 dazwischen vereinzelte Teil- und Stichwortentwürfe zu Astern und Die weißen Segel.31 Unter textgenetischer Perspektive fällt in Notizbuch 4a die Verschränkung der Gedichtentwürfe und Notizen auf. Sie bilden durch Montagen und motivische Querbezüge einen Entwurfkomplex,32 welcher in der vorliegenden Edition als materialer Arbeitszusammenhang dargestellt wird.33 Benn hat über das ganze Notizbuch hinweg an mehreren Einzelstrophen und Strophenverbänden parallel gearbeitet, ohne dass diese zunächst bestimmbaren Werktexten zugeordnet gewesen wären. Am deutlichsten zeigt sich dies, wo Benn Strophenkonzepte versuchsweise zu Strophenverbänden anordnet, wieder auflöst und Strophen zwischen den späteren Werktexten austauscht. So wurde etwa der erste Entwurf der sechsten Die weißen Segel-Strophe auf 2r nachträglich durch einen Teilentwurf aus dem -Komplex ergänzt (siehe Abb. 1). An anderer Stelle verschmilzt Benn die jeweils ersten Strophen von Astern und Die weißen Segel zu einem achtzeiligen Gedichtkonzept, siehe Abb. 2.34 Es finden sich in Nb 4a zahlreiche Versuchs- und Montage-Anordnungen, es sei hier exemplarisch auf die später verworfene dritte Strophe des Entwurfs auf 9v und das doppelseitige Montage-Tableau 11v /12r verwiesen. Auf letzterem (Abb. 3, 12r ) wurden bemerkenswerterweise von Astern zunächst nur die beiden mittleren Strophen von 9v kopiert, bevor nach mehreren Textstufen – u.a. auf 11v oben und auf den folgenden Notizbuchseiten – die erste und die vierte Strophe in die ober- und unterhalb frei gelassenen Leerräume eingetragen wurden.35 29 Der Aufsatz ist jedoch nicht erschienen, es ist unklar, ob Benn ihn überhaupt fertig gestellt hat. Das Romantik-Heft der Cahiers du Sud von 1936 enthält keinen Beitrag Benns. 30 Siehe Notizen zum Problem der »Menschwerdung« 17v , 18r , siehe S. 177, 178, im Spannungsfeld der Begriffe »Biologie«, »Rassismus«, »Aufklärung« und »Idealismus« Anspielung auf Louis Bolk. Vgl. Louis Bolk: Das Problem der Menschwerdung. Vortrag gehalten am 15. April 1926 auf der XXV. Versammlung der Anatomischen Gesellschaft zu Freiburg. Jena: Fischer 1926. Nach Anacker dürfte Benn dieser Aufsatz bekannt gewesen sein, vgl. Anacker: Anthropologie der Kunst. 2004, S. 352. Westenhöfers Schrift hat Benn erst Anfang 1936 zur Kenntnis genommen. Vgl. Datierung der bibliografischen Notiz in Nb 5a, SW, VII/2, S. 66. Vgl. Max Westenhöfer: Das Problem der Menschwerdung. Berlin: Nornen-Verlag 1934. 31 Nb 4a, 28r , 30v , siehe S. 184, 187. 32 Zum Begriff »Entwurfkomplex« siehe S. 46–53. 33 Die zusammenhängende editorische Darstellung der Entwürfe zu Die weißen Segel, Astern und Ach, das Erhabene in Nb 4a wurde bereits in den Sämtlichen Werken gewählt, vgl. SW, VII/2, S. 410– 417. Die Konzeption hierzu ist im Laufe der editorischen Vorarbeiten dieser Dissertation, während der gemeinsamen Arbeit mit Holger Hof an den Notizbüchern entstanden, vgl. Danksagung ebd., VII/2, S. 622. 34 Nb 4a 14r , siehe S. 164. 35 Siehe Sequenzübersicht S. 202ff.
Entstehung und Druckgeschichte
Abbildung 1: Nb 4a 2r .
211
Abbildung 2: Nb 4a 14r .
Der Erstdruck der drei Gedichte erfolgte am 1. Januar 1936 in Heinrich Ellermanns Zeitschrift Das Gedicht. Blätter für die Dichtung. Nachdem der Verleger schon früher für einen Beitrag zu seiner Zeitschrift36 geworben hatte, schrieb August Strässer in dessen Auftrag am 4. Oktober 1935 nochmals an Benn.37 Am 9. Oktober erbittet der Dichter die Abschriften der Gedichte Die weißen Segel und Ach, das Erhabene für einen »Beitrag« zurück, um den ihn »junge Leute« gebeten hätten.38 Bereits am 11. Oktober bestätigt er den Erhalt und stellt offenbar eine Reihe von Gedichten für Ellermanns Zeitschrift zusammen. Über Strässer erreichen die Gedichte schließlich Ende Oktober den Herausgeber, der sich am 1. November 36 Heinrich Ellermanns Zeitschrift Das Gedicht (1933–1944) galt als spezialisiert auf zeitgenössische Naturlyrik und war im Dritten Reich als Publikationsnische u.a. auch für Mitglieder des weiteren George-Kreises und expressionistische Autoren nur aus diesem Grund zu halten. Vgl. Uta Beiküfner: Naturauffassung und Geschichtlichkeit im Kontext der Zeitschrift ›Das Gedicht. Blätter für die Dichtung‹ 1934 bis 1944). In: Walter Delabar u. a. (Hrsg.): Banalität mit Stil. Zur Widersprüchlichkeit der Literaturproduktion im Nationalsozialismus. Bern et al.: Lang 1999 (= Beihefte zu ZfG 1, N.F.), S. 199–216, S. 199ff. 37 Unveröff. Brief, DLA. 38 Vgl. BOelze, I, S. 78f.
212
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
brieflich bei Benn für die Zustimmung zum Druck bedankt und dem Dichter auf Rückfrage am 6. November 100 vorab gedruckte Exemplare vor Weihnachten zu dessen Verfügung zusichert.39 In einem Brief an Elinor Büller vom 10. November schreibt Benn zu diesem Publikationsplan: [. . .] Nächstens erscheinen ein paar neue Gedichte von mir, in einer Art Folge oder Bändchen in einem ziemlich obskuren Unternehmen, das mich gebeten hatte (ich tue es absichtlich, um z.Z. nicht stark hervorzutreten u. aufzufallen) – die werde ich Oelze widmen. [. . .] Sonst ist doch alles tot u. man selber doch völlig abgehängt von d. Öffentlichkeit. Gott sei Dank, von der Öffentlichkeit.40
Die Wahl des Publikationsortes für die offensichtlich bereits entschärften Gedichte war von Benns strategischen Überlegungen bestimmt, wie der Oelze-Brief vom 9. Dezember 1935 zeigt:41 Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, dass die kleine Veröffentlichung nicht auffälliger u. prunkvoller erfolgte, aber es geht für mich im Augenblick nicht. Ich muss, wenn ich überhaupt publiziere, das etwas Unbemerkte bevorzugen, ich möchte nicht, dass meine Dienststellen viel davon bemerken.42
Alle drei Gedichte wurden in die im März 1936 bei der DVA erschienenen Sammlung Ausgewählte Gedichte aufgenommen,43 als deren Motto Benn zwei leicht abgewandelte Verse aus Die weißen Segel erwogen hatte.44 Die im März
39 Unveröff. Brief, DLA. Am 1. November 1935 bedankt sich Ellermann für den Erhalt der Gedichte über Strässer und für Benns Zustimmung zum Druck. Weiterer unveröff. Brief von Ellermann vom 6. November, in dem er Benn mitteilen muss, dass die Dezemberhefte schon verplant sind. Die zugesicherten Exemplare wurden am 17.12.1935 verschickt. 40 BBüller, S. 112f. Vgl. auch zur Kränkung Büllers Dyck: Der Zeitzeuge. 2006, S. 187. Benn schickt auch an Tilly Wedekind, ihr Kommentar ist nicht erhalten, BWedekind, S. 143ff. 41 Ansel sieht die »Rückkehr zur Lyrik« Ende 1934 bis zur teilweise zensierten Publikation der Ausgewählten Gedichte als einen der Inneren Emigration vorangehenden Sondierungsversuch Benns zu seinen verbleibenden Publikationsmöglichkeiten während des Dritten Reichs. In der Wahl der Sujets »der Natur, des Geistes und der Kunst« sieht Ansel durchaus widerständige »zeitenthobene, Trost spendende und den Willen zur Selbstbehauptung stärkende, sinnstiftende Gegenwelten«, wo Schröder lediglich Selbstimmunisierungsstrategien zu erkennen vermag. Ansel: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. 2007, S. 63, 70, vgl. Jürgen Schröder: »Imitatio Christi«. Ein lyrisches Bewältigungsmodell in den Jahren 1934–1936. In: Gottfried Benn und die Deutschen. Studien zu Werk, Person und Zeitgeschichte. Hrsg. v. dems. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg 1986 (= Stauffenburg Colloquium 1), S. 39–57; ders.: »Es knistert im Gebälk«. 1994. 42 BOelze, I, S. 89. 43 Druck D2. Benn war im Sommer 1933 von Kiepenheuer zur DVA gewechselt. Karl Pagel: Gottfried Benn: Briefe an den Halb-Chef. In: Neue Deutsche Hefte 19.1 (1972), S. 26–61, hier S. 26. 44 BOelze, I, S. 98. Das Gedicht Die weißen Segel ist ausdrücklich F. W. Oelze gewidmet. Auf dieses Gedicht bezieht sich auch die hs. Widmung in Oelzes Exemplar der Ausgewählten Gedichte:
Entstehung und Druckgeschichte
213
Abbildung 3: Nb 4a 11v /12r , Ansicht als Doppelseite.
1936 erschienenen Ausgewählten Gedichte erregten Anstoß, vor allem durch den Wiederabdruck einiger Dichtungen aus Benns expressionistischer Werkphase. Bereits Anfang August lässt die Parteiamtliche Prüfungskommission der NSDAP die erste Auflage stoppen.45 Die weitere Verbreitung wurde nur unter der Auflage gestattet, dass einige der früheren Gedichte – Die weißen Segel war nicht darunter – entfernt würden und der Vertrieb »ohne jede Propaganda« erfolge.46 Zudem werden die Ausgewählten Gedichte Gegenstand der Angriffe gegen Benn im SS-Organ Das Schwarze Korps, im Völkischen Beobachter und später in Wolfgang Willrichs Pamphlet Säuberung des deutschen Kunsttempels.47 Die drohenden Folgen können Hanns Johst, Benns Vorgesetzte in der Wehrmacht und Heinrich Himmlers Intervention nur knapp abwenden.48 Diese »[. . .] Dafür Gruß und Dank, und ein Gedicht über das, was oft in unseren Briefen stand!«, ebd., I, S. 422. 45 Der entsprechende Brief der PPK (Karl Heinz Hederich) an die DVA zitiert bei Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 40, Darstellung und Kontextualisierung des Vorgangs bei Dyck: Der Zeitzeuge. 2006, S. 202–205. 46 Brief an Oelze vom 15. Oktober 1936, BOelze, I, S. 152, vgl. auch BPagel, S. 47–51, siehe auch Schreiben von Reichsamtsleiter G. Krüger an die DVA, DLA, unveröff. Zu den Änderungen, mit denen die Ausgewählten Gedichte im Dezember 1936 erschienen, vgl. SW, I, S. 340. 47 Wolfgang Willrich: Säuberung des Kunsttempels. Eine kunstpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art. München, Berlin: J.F. Lehmann 1937. 48 BPagel, 53f. Zitat des Briefes Himmlers an Willrich: »Ich kenne den Fall Benn sehr gut und halte das Aufrollen dieses Falles von Ihrer Seite für unnötig. [. . .] Benn hat sich seit dem Jahre
214
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
Intervention wirkte letztlich nur aufschiebend, Benn wurde am 18. März 1938 auf direktes Betreiben Görings und Goebbels unter Umgehung Johsts aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen.49 Nach durch »schwarze[] oder graue[] Listen« der Besatzungsbehörden erschwerten Verhandlungen mit mehreren Verlagen50 konnten die Statischen Gedichte zuerst 1948 beim Arche Verlag in Zürich und 1949 in Lizenz beim Limes Verlag in Wiesbaden erscheinen. Ebendort erschien 1949 auch die Sammlung Trunkene Flut und später, 1956, die Gesammelten Gedichte. Zunächst hatte Benn die älteren »Stadthallengedichte« Ach, das Erhabene, Astern und Tag, der den Sommer endet nicht für die Statischen Gedichte vorgesehen, nahm sie aber mit hinein als Ersatz für die von Schifferli abgelehnten Gedichte Chopin, Clemenceau, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, Monolog und 1886.51 1949 wurden die Statischen Gedichte mit leichten Veränderungen in Lizenz bei Limes neu aufgelegt. Im selben Jahr erschien bei Limes die Sammlung Trunkene Flut, in die Benn Die weißen Segel nachträglich integrierte, als Max Niedermayer ihn um weitere Texte bat, weil der Band noch zu wenig Seiten hatte. Allerdings wies Benn auch an, dieses Gedicht als erstes wegzulassen, sollte der Druckbogen dann überfüllt sein.52 Die drei Gedichte erschienen schließlich in den Gesammelten Gedichten. Vor allem Astern wurde zu Lebzeiten mehrfach in Lyrik-Anthologien wieder abgedruckt und von Benn im Radio gelesen.
1933 und auch schon früher in nationaler Einsicht absolut einwandfrei gehalten. Jetzt wie ein Amokläufer gegen diesen Mann vorzugehen, [. . .], halte ich für unnötig und unsinnig. [. . .] Ich wiederhole meine Überzeugung, die ich Ihnen gegenüber schon einmal mündlich aussprach, daß es wichtiger wäre, wenn Sie weiterhin gute Bilder malten, als jeden einzelnen, der im Jahre 1918/19 und auch meinetwegen später als Künstler dumme Sachen geschaffen oder verfaßt hat, nun bis zur Vernichtung seiner Existenz zu verfolgen.« 49 Brief Hanns Johsts an Benn vom 29. 3. 1938: »Meine Kammer selbst war nur ausübende Exekutive. Der Ausschluss geschah unmittelbar von dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Dr. Goebbels. Der Beschluss wurde in meiner Abwesenheit gefasst. Soweit ich unterrichtet bin, geschah dieser auf Anregung des Herrn Generalfeldmarschall Ministerpräsident Göring, von dem Sie voraussichtlich inzwischen gehört haben werden, da er, wie mir mitgeteilt wurde, Sie von dem Militärischen her, belangen will. Mir selbst sind dienstlich im Augenblick die Hände gebunden und ich habe Disziplin zu üben.«, Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 185, Rolf Düsterberg: Hanns Johst. »Der Barde der SS«. Karrieren eines deutschen Dichters. Paderborn: Schöningh 2004, S. 279. Faksimile des Ausschluss-Einschreibens, ausgefertigt von Wilhelm Ihde siehe Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 184. 50 Brief an Else C. Kraus und Alice Schuster vom 18. November 1945, Gottfried Benn: Ausgewählte Briefe. Mit einem Nachwort von Max Rychner. Hrsg. v. Max Rychner. Wiesbaden, München: Limes 1957, S. 83. 51 BOelze, II.1, S. 111. Chopin und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts konnte Benn schließlich durchsetzen. Auf der unveröffentlichten zweiten Druckfahne vom 15. Mai 1948 (DLA) werden die Gedichte mit eigenen, neuen Druckvorlagen in die Anthologie eingewiesen (hs. Eintragung im Inhaltsverzeichnis von fremder Hand). 52 BLimes, S. 130f, BOelze, II.1, S. 243.
Ergänzende Hinweise
215
Ergänzende Hinweise Die Vorarbeiten in Notizbuch 4a weisen mehrere kritisch gegen das Regime gerichtete Passagen auf, darunter etwa die -Entwürfe mit den markanten Zeilen »Fresse von Cäsaren, Gehirn von Troglodythen«53 und das »ein armes Volk, das flügge wird [. . .]«-Konzept.54 Andere Formulierungen und Bilder in den Entwürfen weisen auf Benns politische Desorientierung und Verunsicherung, insbesondere sein ungeklärtes Verhältnis zum nationalsozialistischen Regime55 und zu dessen von ihm zumindest 1933 kurzfristig geteilten Antisemitismus hin. Die achte Strophe des Gedichts Die weißen Segel spielt auf Benns Lektüre von Julius Evolas Erhebung wider die moderne Welt an, dessen deutsche Übersetzung Benn mit der Rezension Sein und Werden angezeigt hatte.56 Die auf der Entwurfebene an mehreren Stellen noch deutlich erkennbare regimekritische Tendenz ist den publizierten Texten, vor allem Die weißen Segel57 und Ach, das Erhabene,58 nur noch in verschlüsselter Form ablesbar.59 Die Publikation der drei Gedichte war schon aus diesem Grund dennoch nicht unpro53 Nb 4a 3r 14f, 5r , siehe S. 120, 128, vgl. ebd., I, S. 40, an Oelze am 24. November 1934: »[. . .] die Worte im Anfang des Expressionismus[-Essays von 1933, d.Verf.] sind aus dem vorigen Jahr, als noch soviel Glaube, Liebe Hoffnung war, heute würde ich sie gewiss nicht schreiben. Heute würde ich schreiben: ›die Fresse von Caesaren u. das Gehirn von Troglodythen‹«. 54 »ein armes Volk, das flügge wird / an Schlagern / Dreivierteltakt / Gnadentod«, Nb 4a 5v , siehe S. 131. 55 Vgl. z.B. Nb 4a 7v . Die Entwurffolge zur siebten Strophe des Gedichts Die weißen Segel spielt mehrere Variationen des Verhältnisses von persönlicher Autonomie und Anerkennung von politischer Autorität durch. In den Zeilen »Du der die Mächte bekannte / Vor denen Du weichst.« (14, 15) liegt eine momenthafte, selbstkritische Reflexion des Arrangements mit der politischen Macht. Vgl. auch »Ein Du das übermächtig / das Ich zum Schweigen zwang«, Nb 4a 10r . Siehe S. 139, 148. 56 Vgl. SW, IV, S. 202–212. 57 Es wäre etwa das antagonistische Verhältnis des »Fragers« und des »Gefühls« (mit »Ahnen«) gegenüber dem »hohe[n] Tier, de[m] Einen« und der Fahrt der weißen Segel hervorzuheben (D1 DwSegel, 19–20. Siehe S. 196). Das Motiv des Gefühls als Antagonist der Autorität politischer Macht zieht sich auch durch bis zu den Entwürfen zu Ach, das Erhabene, vgl. etwa Nb 4a 2r 8; 6r 7–8; 8r 8–9; 11v 10; 16r 12, 13, 16; 17v . Siehe S. 116, 132, 140, 155, 172, 177. 58 Das Gedicht transformiert die höchst ›offiziersmäßige‹ Interpretation des Dienstbegriffs aus Nb 4a (»Dienst ist die Projection des Lebens auf den Begriff des Befehls u Offizier sein heisst: im Befehl die höchste rationale Instanz sehen.«, Nb 4a 1v 1–12, vgl. auch den Brief an Oelze vom 7.4.1935, BOelze, I, S. 48) in die Umkehrung individueller Selbst-Verpflichtung zum Dienst unter dem »Joch der Höhe« des Erhabenen. (»Nur wer ihm dient, ist ihm auch verpflichtet / es selbst verpflichtet nichts zu sich zum Sein / nur wer sich fühlt führt, nur wer sich schichtet / tritt in das Joch der Höhe ein. [. . .]«, Nb 4a 16r .) Vgl. auch die Parallelstellen »Die Höhe selbst bestimmen, in die Du reichst« in Die weißen Segel (Nb 4a 7v , siehe S. 139) und Einsamer nie von 1936: »dienst du dem Gegenglück, dem Geist.«, SW, I, S. 135. 59 Im Gedicht Astern ist die Selbstzensur durch metaphorische Verrätselung wohl am stärksten ausgeprägt. Die »goldenen Herden«, die man wohl leicht als in Abendlicht getauchte Wolken lesen kann, sind die letzte Spur des textgenetischen Transformationsprozesses von »lächerliche[n] Horden« (Nb 4a 2v , 4r ) und »weissen Herden« (Nb 4a 12r ). Siehe S. 119, 124, 156.
216
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
blematisch – wie die wenig später folgenden Querelen um die Veröffentlichung der Ausgewählten Gedichte (1936) zeigen sollten.60 Der nach zwei Textstufen aufgegebene, drei- bzw. vierstrophige Entwurf [Lächerliche Horden . . .] enthält einerseits eine deutlich gegen »die Führer und Propheten« gerichtete und somit vermutlich regimekritisch gemeinte Tendenz, bringt diese aber auch mit dem »aus dem Schilf« gekrochenen »Mose« einerseits und kriechenden »Wanzen« andererseits in Verbindung: »Sie kriechen wie die Wanzen / Mose kroch aus dem Schilf / Sie kriechen | [f]lügge aus | Fluss u Flechten / Die Führer u Propheten«.61 Man könnte diese Überblendung von »Mose«, »Propheten«, »Führer[n]« und »Wanze[n]« als eine besonders geschmacklose, lyrische Variation auf die zeitgenössischen Flüsterwitze über die zweifelhafte »Rassenreinheit« Adolf Hitlers abtun, in die sich Bildelemente der antisemitischen nationalsozialistischen Propaganda mischen.62 Besonderes Gewicht erhält sie allerdings durch Benns frühere Bezeichnung Moses als »Führer[] des Thoravolkes« und als »größte[n] völkische[n] Terrorist[en] aller Zeiten und großartigste[n] Eugeniker aller Völker« in Züchtung von 1933. Den Moses-Abschnitt in Züchtung63 hat Benn fast wörtlich aus Hans von Pezolds Aufsatz Moses als Eugeniker entnommen,64 er bedient sich daneben auch bei Joachim Prinz und Josef Kastein.65 Aus dem Jahr 60 Ansel wertet diese allerdings als kalkulierte Sondierung. Vgl. Ansel: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. 2007, S. 65f. 61 Nb 4a 3r , 4v , siehe S. 120, 127. 62 Vgl. etwa »Wie sieht der ideale Deutsche aus? Blond wie Hitler, groß wie Goebbels, schlank wie Göring und keusch wie Röhm.«, Hans-Jochen Gamm: Der Flüsterwitz im Dritten Reich. Mündliche Dokumente zur Lage der Deutschen während des Nationalsozialismus. München: List 1990, S. 79. 63 Vgl. SW, S. 37f. 64 Hans von Pezold: Moses als Eugeniker. In: Deutsche medizinische Wochenschrift 58.35 (1932), S. 1370f. Johannes Ernst von Pezold (1870, Riga – 1935, Karlsruhe). Generaloberarzt in Karlsruhe, Offenburg, Paderborn, Ulm; nach dem ersten Weltkrieg Leitender Arzt der Hautabteilung im Karlsruher Stadtkrankenhaus, Dozent für Sexualpädagogik an der TH Karlsruhe, im Auftrag des badischen Innenministeriums Leiter einer Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten. Nachlass im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Vgl. Hans von Pezold. Personendatensatz. In: Deutsche Nationalbibliothek, WEBIS online. url: http://d-nb.info/gnd/132300001 (besucht am 27. Jan. 2013). 65 In Züchtung verarbeitet Benn ferner mehrere seinerzeit nicht unumstrittene historische Abhandlungen zur Geschichte des Judentums (Prinz, Kastein) sowie Carl Schmitts Zum Begriff des Politischen, vgl. Joachim Prinz: Jüdische Geschichte. Berlin: Verlag für Kulturpolitik 1931, S. 59, Josef Kastein: Eine Geschichte der Juden. Berlin: Rowohlt 1933, S. 16, 19, Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. München: Duncker und Humblot 1932. Die Quellen Prinz und Schmitt waren bereits früher bekannt, vgl. SW, IV, S. 517. Auf Kastein gab es bislang nur einen nicht auf Züchtung bezogenen Hinweis in einem Brief an Gertrud Zenzes, vgl. Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006, S. 22. Benns im DLA vorhandenes Exemplar von Kasteins säkular-geschichtlich orientierte Eine Geschichte der Juden ist wie sein Exemplar von Schmitts Begriff des Politischen mit Anstreichungen versehen, allerdings nur bis S. 24 und an einigen Stellen weiter hinten sporadisch aufgeschnitten. Das Exemplar enthält signifikante Anstreichungen, unter anderem an einem Absatz, in dem Mose »Führer« genannt bzw. seine Eignung zum politischen »Führer kat’ exochen« herausgestellt wird.
Ergänzende Hinweise
217
1933 liegen in den Korrespondenzen mit Gertrud Zenzes66 und Hans Friedrich Blunck67 weitere Äußerungen vor, in denen er sich entgegen späterer Aussage in Doppelleben (»Ein ›Judenproblem‹ hatte ich nie gekannt.«) 1933 bei mehreren Gelegenheiten antisemitisch äußerte.68 Ein wichtiger intertextueller Bezugspunkt der Nb 4a-Entwürfe [1.1], [1.5] bis [1.7] sowie für die sechste und achte Strophe des Gedichts Die weißen Segel ist die im März 1935 erschienene Evola-Rezension Sein und Werden.69 Vor Erscheinen der deutschen Übersetzung von Erhebung wider die moderne Welt70 bittet Evola Benn persönlich, eine Besprechung für die Zeitschrift für Literatur zu verfassen.71 Benns Aufnahme des Buches fällt emphatisch aus, insbesondere Evolas zyklisch angelegter »Traditionalismus«72 und »Dualismus« von Geist und Macht in faschistischer Synthese beeindruckt ihn.73 Allerdings hatte Benn auf Druck des Verlegers einige den Nationalsozialismus in Frage stellende Passagen politisch entschärfen müssen, zu Benns Enttäuschung erfolgten nachträglich noch weitere Eingriffe.74 Neben einer Reihe von Stichwort-Bezügen fällt vor allem die Ähnlichkeit des Credos der achten Strophe zu den in der Rezension vorgestellten »schwarzen Mönchen« Julius Evolas auf, welche bei »tiefem Ver66 Vgl. ebd., S. 20–22. 67 Vgl. Thomas Anz: Benns Bekenntnisse zur expressionistischen Moderne und zum Nationalsozialismus. In: Friederike Reents (Hrsg.). Göttingen: Wallstein 2007 (= Gottfried Benns Modernität), S. 11–23, hier S. 21, vollständiges Zitat vgl. Dyck: Der Zeitzeuge. 2006, S. 130. 68 SW, V, S. 85, 502. Der Hinweis auf Benns zeitweilig antisemitische Einstellung muss auch wegen noch immer fortdauernder anderslautender Apologetik wiederholt werden, vgl. Dyck: Der Zeitzeuge. 2006, S. 93, ders.: Gottfried Benn. Einführung in Leben und Werk. 2009, S. 94. 69 Gottfried Benn: Sein und Werden. In: Bd. 37. Stuttgart März 1935, S. 283–287, SW, IV, S. 202– 212. 70 Evola: Erhebung wider die moderne Welt. 1935. 71 20.7.1934, vgl. Greve u. a.: Gottfried Benn 1886–1956. 1986, S. 209f. Der Rezensent kontaktiert den Autor wiederholt persönlich (BOelze, I. S. 43ff, 49, 52, vgl. auch Hans Thomas Hakl: »Die Adler Odins fliegen den Adlern der römischen Legion entgegen«. Gottfried Benn und Julius Evola. In: Benn Jahrbuch 1 (2003), S. 100–134, Werner Rübe: Provoziertes Leben. Gottfried Benn. Stuttgart: KlettCotta 1993, S. 331ff). 72 Vgl. Sein und Werden, »Traditionswelt«, SW, IV, S. 211. Vgl. auch Mark J. Sedgwick: Against the Modern World. Traditionalism and the Secret History of the Twentieth Century. Oxford 2004; Nicholas Goodrick-Clarke: Black Sun. Aryan Cults, Esoteric Nazism and the Politics of Identity. New York 2002, S. 52–72. Vgl. auch Jürgen Schröder: Gottfried Benn. Poesie und Sozialisation. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1978 (= Sprache und Literatur 103), S. 164–170. 73 Am 30. Januar 1935 schreibt Benn an Oelze: »[. . .] Er ist über das bald erscheinende Buch von Evola, (bei meinem Verlag) das ich ›besprechen‹ soll. Im Märzheft der ›Literatur‹. [. . .] Es handelt von der Geschichte, u. von der Lage des Geistes. Und von den Mönchen. Und dem Dualismus, den man nun endlich bekennen soll: transcendentes oder Verwirklichungsleben. [. . .] Ziemlich apokalyptischer Aufsatz. Kein Kunststück, da Evolas Buch wirklich grandios ist. Man kann es nur in ganz grosse Linien setzen. –«, BOelze, I, S. 43f. Zu Benns ›Vorbereitung‹ durch die »Denkschule der Konservativen Revolution« vgl. Hakl: »Die Adler Odins fliegen den Adlern der römischen Legion entgegen«. Gottfried Benn und Julius Evola. 2003, S. 117, Schröder: Gottfried Benn. Poesie und Sozialisation. 1978, S. 138–183, vor allem 148–153. 74 SW, IV, S. 600–602.
218
Ach, das Erhabene · Astern · Die weißen Segel
wandlungswissen« während der »Finalperiode der Erde« das Heraufsteigen des »Geistes«, die »Auferstehung« schweigend, asketisch, passiv, aber als »Wachende« erwarten75 : »Wachen u immer bereit sein / Dem, was Verwandlung verheisst, / bald wird die Erde bereit sein, / Zu Dir zu steigen als Geist . .«76 Wiederholt hervorgehoben wurde in der Forschung zudem der schwer eindeutig zu fassende Bezug zwischen dem Gedicht Astern und Benns StefanGeorge-Rezeption, namentlich des Gedichts komm in den totgesagten park und schau . . ..77 Benn hatte Georges »Parkgedicht«78 («Vergiss auch diese letzten astern nicht –»79 ) in seiner 1934 nicht gehaltenen Rede auf Stefan George als Beispiel für die den »Verfall« sistierende, »unerbittliche Härte des Formalen« in der Lyrik des Symbolisten angeführt und diese in Zusammenhang mit der »Züchtung« gebracht (»[. . .] auch der Züchtungsgedanke fällt unter dies Formproblem.«).80 Zu diskutieren wäre ferner ein möglicher Bezug zu Friedrich Hölderlins Elegie Brod und Wein in Die weißen Segel, welcher durch die eigenwillig erscheinende Orthografie von »Brod« nahegelegt wird. »Weder mit Brod noch mit Wein«.81 Möglicherweise handelt es sich hierbei schlicht um eine orthografische Variante, da Benn in privaten Notizkontexten häufig »Brod« schreibt. Sollte es sich in 75 Vgl. Parallelstellen in Sein und Werden, SW, IV, S. 209, 211. Benn vergleicht gegenüber Oelze die ersten Tages seiner Dienstzeit (7. April 1935) mit dem mönchischen Dasein im Sinne der Evola’schen Inanition: »Dazu, um es zu ermöglichen, lebe ich wie ein Mönch [. . .] es ist eine Art Vorbereitung innerer Art, Inanition, Askese, eine Vorbereitung zu einer tiefen inneren Erneuerung oder auch zum Tod.« (BOelze, I. S. 49). Vgl. auch die Entwurfzeilen »Weihe Dein tiefes / lebe im Bereitsein« Nb 4a 7r . Auch in späteren Prosatexten und Briefen dient Evola und dessen »Verwandlung« als Denkmodell: »Grundsätzliche Aenderung giebt es nicht mehr. Keine Illusion. Die Zeit gleitet ab; noch ein par Jahrhunderte ›Massenwelt‹ u. dann Schluss der Rasse. Kein Aufholen mehr möglich, die biologische Aufholung, die man betreibt, ist ja schon der Fehlgriff, der Fehlblick. Der Geist schuf u. der Geist wird auslöschen. Für ihn leiden, an ihn glauben ist das Schicksal der letzten Bewusstheiten, unser. Dann die Verwandlung im Sinne Evolas.«, ebd., I, S. 117. 76 Die durch Die weißen Segel und Ach, das Erhabene angeschlagenen Motive kondensieren im folgenden Jahr erneut im bekannten Einsamer nie-Vers: »dienst du dem Gegenglück, dem Geist«, SW, I, S. 135. 77 Ebd., S. 105–109, vgl. Renate Hochbahn: Astern. In: Interpretationen. Gedichte von Gottfried Benn. Hrsg. v. Harald Steinhagen. Stuttgart: Reclam 1997, S. 113–132, S. 125f, Hunter T. Hannum: George and Benn. The Autumnal Vision. In: Wolfgang Peitz (Hrsg.): Denken in Widersprüchen. Korrelarien zur Gottfried Benn-Forschung. Freiburg i.B.: Becksmann 1972, S. 205–224, S. 220f, Heintz Günther: Ein Kapitel aus der poetischen Wirkungsgeschichte Stefan Georges: Gottfried Benn. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht 13.1 (1980), S. 1–28; Christoph Perels: »tief versöhnt«. Kleiner Beitrag zur Benn-Philologie. In: Heimo Reinitzer (Hrsg.): Textkritik und Interpretation. Festschrift für Konrad Polheim. Frankfurt a. M. u.a.: Lang 1987, S. 439–451. 78 SW, S. 106. 79 Stefan George: Sämtliche Werke. Hrsg. v. d. Stefan-George-Stiftung. 18 Bde. Stuttgart: KlettCotta 1984, 4, S. 12, V. 8. 80 SW, IV, S. 109, 110. 81 Siehe D1 Die weißen Segel, S. 196.
Ergänzende Hinweise
219
diesem Sinne um einen »Textfehler« handeln, so ist dieser allerdings auch in der an Oelze übersandten Typoskript-Reinschrift vorhanden und wurde durch den Erstdruck in Ellermanns Zeitschrift Das Gedicht autorisiert. Erst spätere Drucke ab D2 normieren zu »Brot«.
Monolog
Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
Notizbuch 8c-a, 223 · H1 Monolog, 246 · TH1 Monolog, 258 · D1 Monolog, 266 · TH3 Monolog, 270 · D2 Monolog, 276 · TH4 Monolog, 280 · D3 Monolog, 282 · Druckvarianten, 285.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
286 291 294
[1.1] — Notizbuch 8c-a 1/1r
223
Nb 8c-a 1/1r
Lohnsteuerkarte 1941 6/898. 1941:126 M. „Mord u Glieder verschlungen, Frauen- u. Honigraub . . “
3
„. . . ihn, der sich selbst im Innersten bestreitet, stark angewohnt, das tiefste Weh zu tragen . . “ „Lass den Weltenspiegel Alexandern. Denn was zeigt er? Da u dort Stille Völker, die er bei den andern zwingend rütteln möchte fort u fort.“
[1.1] : 6–9 Ti → [1.6]
6
9
99K [4] 10 Monolog
224
Monolog
Nb 8c-a 1/1v
3
6
9
dem Weltmittelpunkt u ist ein umfangreicherer Gottessohn Er steht G näher als Christus, der ein sehr tiefer moralischer Specialsector bleibt. des Schöpfers u für gewisse Strömungen wohl unersetzlich bleibt. abendländische Faust ist mysteriös, spitzfindig, drollig, im Übergang vom Populären zum Dämonischen im Hin u Her u sehr unruhig im ewigen Übergang u Wechsel. die ungeheure Wucht der natürlichen Umgestaltung fortlaufenden, geradezu körperlichen
Notizbuch 8c-a 1/1v — 2/1r
225
Nb 8c-a 2/1r
des Natürlichen u Alltäglichen zum Imperativischen u Geistigen zum Normativen zum Normativen u. Imperativisch Geistigen. werk Gedichte [sind ist] undurchbrechbar u undurchReihe nach Reihe brochen vollendet. Eine gigantische Wunderhöhle: Eine ungeheure Wucht fortlaufender, geradzu körperlicher Umgestaltung
3
[G, Die Das]
6
9
226
Monolog
Nb 8c-a 2/1v
3
6
9
12
„den Blick „das Auge auf einer Kröte u den Mund an einer Flöte“ 1/I – Das Religiöse ist die Selbstreinigung des Unproduktiven, der schöpferische Mensch kann sich nur in Werken bekehren u reinigen. eigenen geistigen 28/XII. Haareschneiden – Winzer 30 XII 40 Armeemarinehaus – 50M Anzahlung 30 XII. Frl. [...] 6M. 2 I 41: [...] M8 [...]. 2/I 41 Frau [...] 2 I. 41: Holländer Verlobung. M.24.
[1.2] : 1–27 Ti → [1.5] c
99K [4] 26 Monolog
[1.2] — Notizbuch 8c-a 2/1v — 3/1r
227
Nb 8c-a 3/1r
3/I.41. Temp 10° – Ruth / Sophie / Stephan / E.V. / Edith / Nele / Stolle / Steger / Else C Baur / Munckel / v Zeschau / Seyerlen / Gescher / v Rother / Gonnenberg / Pfahler / M Tiers / v Mosch / Oelze / Stephan Dingels 5 I. Vorwerk I Waldow – „was fruchtbar ist, allein ist wahr –“ z B die Wüste, wahr sie ist bestimmt unfruchtbar, aber genau so wirklich wie ein Eierstock. oder die Wahrheit am reinsten verkörperten die Hebammen Wilh. Westphal: Physik des alltäglichsten Lebens. Fr. Soziet. Verlag. 2,80
3
6
9
12
228
Monolog
Nb 8c-a 3/1v
Der Mensch mit seiner lebenverkürzenden Beziehung zur Spirochaete . . . 3
Wuth: 394426
Notizbuch 8c-a 3/1v — 4/1r
229
Nb 8c-a 4/1r
9/I. 41 An . . . Dunkel Du aus Morast, Du aus Niederungen Fleisches u der Seele u der Not, Täglichen Bedürfnissen verschlungen mühsam um die Bissen, um das Brod, Du Du im Stummen, in Fremdem wohnen Dienst verrichtend, der kein anderes kennt: ein [e E] inmal kommt der Tag, der wird Dir lohnen, Jener, der Dich Leid der Schöpfung nennt. ×
3
6
9
12
230
Monolog
Nb 8c-a 4/1v
3
6
Leben und Tod sind Grenzen des menschlichen Blicks; [ein die] übergeordnet[es e] Sphäre kennt sie sicher nicht. — deren Funktionen Das Menschheitsproblem heisst, dass eine Art auftaucht, bei [dem dann] schöpfungsgemäss an physiologischem Wert verlieren, also an Ausdruckswert gewinnen. — (die psychophysische Verflechtung als Forschungsaufgabe) Bilz Weizsäcker
[1.3] — Notizbuch 8c-a 4/1v — 5/1r
231
Nb 8c-a 5/1r
Den Darm mit Lüften genährt, das Hirn mit Lügen, Ekel im Fuss, der sich durch Träume schleift — u bei den Toten, grau u tiefvergessen die Züge, die du liebtest u besessen . . .
3
in wieviel offene Erde sah . . . aus den Felsen Blut Deuts. Med. Woch. 20 XII. 40 v Weizsäcker — Nr. 51
[1.3] : 1–2 Ti → [1.51 ] a,b
R. Bilz (Berlin) Pars pro toto. Georg Thieme – Leipzig 1940
6
99K [4] 1, 18 Monolog
232
Monolog
Nb 8c-a 5/1v
3
6
„ – Es werden ebenso die Kausalerklärungen wie die sinnvoll verständlichen Phänomene von ihr zu den Aufschlüssen herangezogen . . “ anschaulich–konkret — abstrakt primitiv — abstrakt „das allzeit–gegenwärtige Wesen der Sache“ Transcendent–übergreifend, apriorisch.
Notizbuch 8c-a 5/1v — 6/1r
233
Nb 8c-a 6/1r
Kaiser Wilh.-Institut für Hirnforschung in B Buch. anatom. Abt. Prof. Spatz. hirnpatholog Abt Prof Hallervorden.
3
Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie in München: Prof. Scholz Prof. Jahnel Vorwerk: 220586. Berl. Gaswerke: 42209 • abschalten
6
234
Monolog
Nb 8c-a 6/1v
Alle die Gräber, die Hügel Rosen, die Efeuschicht, die ich gewesen u bin streift oft ein weisser Flügel Aus hoher Räume Licht. über den Efeu hin, u rührt sie alle an
[von die] 3
6
[1.4] — Notizbuch 8c-a 6/1v — 6/2r
235
Nb 8c-a 6/2r
17/ II Durch den Morgen, nass u ungegliedert tritt der Mensch in Artverzögerung Misslich bunt, die Innenschau gefiedert Von den Formen der Bewältigung. Kuppelformen, Säulen, Kapitäle . . u sich in Überschwang schon gliedern u sich in Qualen fern zu sehn klar [ reicht ] – teilt en hohe Menschen von den niedern,
[1.4] : 2–10 Ti
3
6
9
236
Monolog
Nb 8c-a 6/2v
3
Heeresstandortgebührnisstelle Abt F N.W. 40 Stephanstr 3. Medizinhaus: T 351037/38 416831 J.B. 246 A Hartmann : 844166
6
alles weggerissen –, was bleibt ist Nacht, kaltes Gestein, gesichtslos, Leere. –
Notizbuch 8c-a 6/2v — 5/2r
237
Nb 8c-a 5/2r
die Inferiorität des Wirkbildes – in der Botanik, Boas – gegenüber dem Formbild .... Die Einreihung der Erkenntnis in die Tätigkeiten u den Bezug auf die Volksdas Denken eine Art gemeinschaft, u den sozialen Minnedienst. (Dingler, Das eindeutigmethodische System . .
3
6
)
238
Monolog
Nb 8c-a 5/2v
3
6
9
12
die Himmelsleuchte rein u silberweiss warf sich vergehend dem Neuen zu Eine silberweisse Sonne warf sich in den kalten Tag . . . Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen Erwählte Völker Narren eines Clown – in Späss[en e] , Sternelesen, Vogelzug den eigenen Unrat deutend – Sclaven! – aus kalten Ländern u aus glühenden Immer mehr Sclaven, ungezieferschwere bunte schwarze hungernde, peitschen über sauste solaren Haufen schwungene, Dann steigt schwillt [der das] [e E] igene an, das eigene Bärtchen Flaum
[1.3] → [1.51 ] a : 5–13 Ti ←- → [31 ] a ,→ [1.52 ] a : 9 Bl → [31 ] a
99K [4] 1–8 Monolog 99K [4] 6 Monolog
[1.151,2 ] a,b — Notizbuch 8c-a 5/2v — 4/2r
239
Nb 8c-a 4/2r
Ist dann der Bart der Männer u Propheten grindige, der zum Barte des Propheten! Ungez träumt sich als Olympias Spross Träume, Träume u trägt die Träume über Klumpfüsse sehn die Stadien zerstört, treten Stinktiere haken die Lupinenfelder, weil sie der Duft am eigenen irre macht, – nur Afterdrüsenschleim! Fette verfolgen die Stoff vom After! Gazelle, die Windeseilige, das schöne Tier. Hier kehrt das Mass sich um, die Pfütze misst den Quell, der Wurm die Elle
[1.3] → [1.51 ] b : 1–12 Ti → [1.6] [2.11 ] [31 ] a
3
6
9
12
99K [4] 9–10, 18–25 Monolog
240
Monolog
Nb 8c-a 4/2v
Die Kröte spritzt de[r m] Ros Veilchen in den Mund
3
6
Ach, Alexander, u Olympias Spross Das Wenigste! Sie zwinkern Hellesponte u. schäumen Asien. Aufgetriebenes, Blasen Die Ptolemäerworte als ihre Gaunerzinke Keinem gelingt ein Wort, in dem die Welt sich stellt
[1.2] → [1.51 ] c : 1 Ti → [2.11 ] [31 ] a [1.1] [1.51,2 ] b → [1.6] : 2–7 Ti → [2.11 ]
99K [4] 26 Monolog 99K [4] 10–12, 29 Monolog
[1.51 ] c [1.6] [1.7] — Notizbuch 8c-a 4/2v — 3/2r
241
Nb 8c-a 3/2r
Blasen, mit Vorhut, Günstlingen, verdeckten Staffeln, dass keiner sticht!, Du schützt mich u ich lasse Dir Raub u Reiche, drücke mir Felsen auf die Augen, Ochsentalg mir in die Ohren, kein Gesetz zu hören, de das Dir die
[1.7] : 1–8Ti → [1.8]
3
6
99K [4] 12–14 Monolog
242
Monolog
Nb 8c-a 3/2v
3
6
9
Blasen, mit mit Günstlingen Blasen, mit Vorhut, Günstlingen, verdeckten Staffeln, dass keiner sticht! Günstlinge, gute Plätze, [f F] ür Ring- u Rechtsgeschehn! aus einem spanischen Roman, in Kordoba: „Wenn Sie einen Laden sehn, in dem man Gitarren verkauft, dann können Sie immer sicher sein, dass da auch Särge gemacht werden“ — S. 28.
[1.7] → [1.8] : 1–6Ti → [1.9]
99K [4] 12–15 Monolog
[1.8] [1.9] — Notizbuch 8c-a 3/2v — 2/2r
243
Nb 8c-a 2/2r
Günstlinge. Gute Plätze! ich drücke nicht beide Augen zu, die Felsen in die Augen, Ochsentalg in d diese Bei Für Ringer u. Gute Plätze! Für Ring- u Rechtsgeschehn!
[1.8] → [1.9] : 1–6Ti → [2.11 ]
3
6
99K [4] 14–15 Monolog
244
Monolog
Nb 8c-a 2/2v
3
6
ein Schmetterlingsflug u das Ende eisig, hässlich zufällig wie spielerisch gleichgiltig wie ein Sprengstück. Sehn wir dem Ganzen ruhig ins Gesicht u dann kommt das Ende, ja es wird, wie Sie mit Layeville sagen, eisig sein
[1.10] a : 1–7 gBu → [31 ] b
99K [4] 51–52 Monolog
[1.10] a,b — Notizbuch 8c-a 2/2v — 1/2r
245
Nb 8c-a 1/2r
spielerisch wie ein Schmetterlingsflug u gleichgiltig wie ein Sprengstück. – dass dieses einfällt, die Reihen lichtet, demnach: ihn wichtiger macht . . . . es mag ja einmal ein Geschlecht kommen, das nur aus Rasse u Turnschuhen besteht, heute aber ist es noch nicht da . . .
[1.10] b : 1–2 gBu
3
6
246
Monolog
H1 Monolog 1r
3
6
9
12
15
18
21
24
Ach, Alexander, ’ und Olympias Spross – Das Wenigste! Sie zwinkern Hellesponte schmettern schleudern und schäumen Asien! Aufgetriebenes, Blasen mit Vorhut, Günstlingen, versteckten Staffeln dass keiner sticht! Günstlinge! Gute Plätze Für Ring- u Rechtsgeschehn! Wenn keiner sticht! Ratten Lustvolk Sch[nappe leppe] n breite Bänder Günstlingen, u bewiesen, was sie stört: mit breiten Schwelger Fahnen Bändern Klumpfüsse sehn die Stadien zerstört, flattert [ ö ] [ er M o rd e] Stinktiere treten die Lupinenfelder Schlagzeug, Traum u weil sie [D d] er Duft am eigenen irre macht, Welt, nur Stoff vom After! Fette Kränke verfolgen die Gazelle die windeseilige, das schöne Tier. Hier kehrt das Mass sich um misst Die Pfütze prüft den Quell, der Wurm die Elle, Die Kröte spritzt dem Veilchen in den Mund. Lippe Hallelujah, der Trug der neuen Ratten[hege lügen] , [D d] as Ptolemäerwort als Gaunerzinke. schrift spur u wetzt den Bauch im Kies
[1.5] b,c [1.6] [1.9] → [2.11 ] : 1–2, 4–11, 13–23 Ti ←- → [3] a,b 99K [4] 10–27, 29 Monolog ,→ [2.12 ] : 3, 8, 10, 12, 15, 22–25 Bl → [2.2] [2.4] [3] a,b 99K [4] 12, 16–19, 27, 29 Monolog
[2.11,2 ] — H1 Monolog 1r
247
248
Monolog
[2.2] [2.3] [2.4] [2.7] [2.8] — H1 Monolog 1v
249
H1 Monolog 1v
hlurf
densc
Pad us dem
uine a mal mal Mahn Mahn trift Male Die Paddenspur als Siegel der Geschichte tet R u deu
6
9
12
15
18
21
3
27
Die Ratte kommt als Labsal gegen Pest ige besingt den Mord eil h , Meuchel u Mord tet lis t r e Der Mord besingt sich als Gesetz as ] iss uv d e r fr Ves k e l e i o d n ch e Lö st de in Meer W [ s lä t spe s ie] , a Die Ptolemäerspur als Gaunerzinke en h nic ht d werd schrift Spitzel verkaufen liefern ic e u n uch rt Erpresser deuten a ba t, J A zu el re t, an r Tie hand friss s er Aus Psalmen Unzucht de ie lche öch d , L e o k s se nerzin spur die gros ige hn ls Gau t, s a e P ift r n n h e il ke e sc sal geg he Verg emäer ern loc b l d a o r t L ö P s f l l a e t n z Die e it m s d p t sich da tte kom den Mord. S u flöte Die Ra t g in s e el b mit cht. ond Meuch änzelt dem M n Unzu w e it h m c m l s t a l Aus Ps irne u e lispe art se Erd Urgest r ie e d d iere Ab d l T n ie r u p e S d m ss t t in de r frisst ten, da snimm Löche u flöte erwar ter au s u e z N t t die sta der en aus h c a en w r zu fall u im E
30
33
36
24
[2.11,2 ] →
[2.2] : 6–13 Bl [2.3] : 4–5 bBu [2.12 ] [2.2] → [2.4] : 14–18 Ti [2.7] : 18–37 Bl [2.3] → [2.8] : 1–3 Bl
→ [2.4] → [3] a → [3] a → [2.10]
99K [4] 29–32 Monolog 99K [4] 28 Monolog 99K [4] 29–32 Monolog 99K [4] 33–34, 36–38 Monolog 99K [4] 28 Monolog
250
Monolog
H1 Monolog 2r
2
3
6
9
und diese Erde lispelt mit dem Mond u. flötet sich ein Maispiel um die Hüften lässt den Vesuv nicht spein, [d l] ässt nicht die Wolke von Laugen bersten, die der Tiere Abart, die dies erlistet, aus der Schöpfung stiehlt von u niederbrennt sticht ach diese Erde, – fern aus wessen Spiel?
dann lässt sie Rosen durch u mästet Korn,
[2.7] → [2.10] : 2–10 Ti → [3] a
99K [4] 33–39 Monolog
[2.10] — H1 Monolog 2r
251
252
Monolog
H1 Monolog 3r
3
6
9
Günstlinge[, wenn Du zusiehst, schweigst u lächelst – Altane, An diesen Tischen Gold; ein Lichter – an den am Dir geschenkten Haus] die Werder u Dir gefällt das Haus, die Insel nimm sie] Günstlinge
brandigen an einem Sommertag mit Stunden Fiel Reif
[2.11 ] → [2.11] : 1–8 Ti
99K [4] 13, 14, 16 Monolog
[2.11] — H1 Monolog 3r
253
254
Monolog
3
6
9
u alles fand sich
u richtete u schied da senkte sich dein Haupt u schwieg u u alles schloss es ein: die Tat alle Töne u stellte sie u doch verschwieg er viel u dann verklang das Lied
99K [4] 56, 57, 65 Monolog
[2.12] : 1–9 Bl → [3] b
255 [2.12] — H1 Monolog 3v
H1 Monolog 3v
256
Monolog
H1 Monolog 4r
21
24
27
30
en
eh gg
n dlu n a L ng rw su Ve ne e e e rw g ies alz 9 on Ve es örun ird d ch ! t g s r o n – rst w , e e ht s W der en nz üc – da ruf der Z n Kra z e u i e z s l e 12 on , si pe lch art für ht n sch c Sta en so e Ab ass er rie r d g ln ung ie rt ein r Tie len, e h ba für s esun t, m A n de fau m ke e i s ch r w s H r l rd Tie , da t Ve ln rie r u. ch ie Fa wi r a n r d de ule Wo ye rn me n eh er, – fa as Him ie Ge s ho d c y d r s d i h zu Ge e w ac on, di ern die für ehr n sch ng 6 u e s h zu ücht ern sie z ng – u h g e h n ic di htu alken . . . c e i ü d F e Z ie chon ihr r u d s ye e G on hener Gehirne ac rl h ha sc c z s Aus einem Kran at euten Fiebersa tr rs ve r de en Das Blüh nder lten, durch eina sich einzeln ha gezähnt u r Farbe“ „aus de in am gs u in Kälte“ eu „unb „ „geformt“ r – „ gefeilt aa H te tz le s am Saum da a gesalzene n Laken La rlachene ke ha sc e nd se is w des Urstoffs, zurufen, – Zerstörung törung ] z [in von Hirnsal Stapel der Zers g un pf hö bstanz der Sc gestapelter Su diesem g Formen die Verwandlun ird w z an Kr aus solchem Strahlen en ak
3
s
– ffs o t s Ur
33
36
[2.5] : 20–39 Ti ←- → [3] b ,→ [2.6] : 9–19 Ti ←,→ [2.9] : 1–8 Bl → [3] b
de
der Farben doch auch der
der Katarakt bluten rasender [st ] r Ge h irne [z nze] selbst genährte a aus solchem Kr gestillter e Abart g nahn der Tier un dl an rw Ve e wird dies Verwesung 99K [4] 66–73 Monolog 99K [4] 72–75 Monolog 99K [4] 71–75 Monolog
[2.5] [2.6] [2.9] — H1 Monolog 4r
257
258
Monolog
TH1 Monolog 1r
Monolog:
3
6
9
..... Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen, – erwählte Völker Narren eines Clown’s, den eigenen Unrat deutend! Sclaven –, aus kalten Ländern und aus glühenden immer mehr Sclaven, ungezieferschwere, hungernde, peitschenüberschwungene Haufen: dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum, der grindige, zum Barte des Propheten! mp
12
15
18
21
24
27
Olympia’s Ach, Alexander und Olypmia’s Spross das Wenigste! Sie zwinkern Hellesponte und schäumen Asien! Aufgetriebenes, Blasen mit Vorhut, Günstlingen, verdeckten Staffeln, das keiner sticht! Günstlinge: – gute Plätze für Ring- und Rechtsgeschehn! Wenn keiner sticht! Günstlinge, Lustvolk, Binden, breite Bänder – mit breiten Bändern flattert Traum und Welt: Klumpfüsse sehn die Stadien zerstört, Stinktiere treten die Lupinenfelder, weil sie der Duft am eigenen irre macht: nur Stoff vom After! Fette verfolgen die Gazelle, die windeseilige, das schöne Tier! Hier kehrt das Mass sich um: die Pfütze prüft den Quell, der Wurm die Elle, die Kröte spritzt dem Veilchen in den Mund – Hallelujah! – und wetzt den Bauch im Kies: die Paddentrift als Mahnmal der Geschichte!
[31–3 ] a — TH1 Monolog 1r
259
260
30
33
36
39
42
Monolog
Die Ptolemäerspur als Gaunerzinke. Die Ratte kommt als Labsal gegen Pest. Meuchel besingt den Mord. Spitzel locken aus Psalmen Unzucht. Und diese Erde lispelt mit dem Mond, dann schürzt sie sich ein Maifest um die Hüfte, dann lässt die Rosen durch, dann schmort sie Korn, lässt den Vesuv nicht spein, lässt nicht die Wolke zu Lauge werden, die der Tiere Abart, die dies erlistet, sticht und niederbrennt, – ach, dieser Erde Frucht – und Rosenspiel ist heimgestellt der Wucherung des Bösen, der Hirne Schwamm, der Kehle Lügensprenkeln der obengenannten Art, - die massverkehrte!
[1.51,2 ] a,b,c [2.11,2 ] [31 ] a : 2–43 kMa ←- → [4] [2.3] [2.4] [2.10] → ,→ [32 ] a : 2, 3 Ti → [4] [33 ] a : 10, 11 Ti (Oelze)
99K [4] 1–42 Monolog 99K [4] Titel, 1 Monolog 99K [4] 10 Monolog
262
Monolog
TH1 Monolog 2r
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
.... Sterben heisst, dies alles ungelöst verlassen, die Bilder ungesichert, die Träume im Riss der Welten stehn und hungern lassen – doch Handeln heisst, die Niedrigkeit bedienen, der Schande Hilfe leihn, die Einsamkeit, die grosse Lösung der Gesichte, das Traumverlangen hinterhältig fällen für Vorteil, Schmuck, Beförderungen, Nachruf, indess das Ende, taumelnd wie ein Falter, gleichgiltig wie ein Sprengstück nahe ist und anderen Sinn verkündet — ... – Ein Klang, ein Bogen, fast ein Sprung aus Bläue stiess eines Abends durch den Park hervor, in dem ich stand – : ein Lied, ein Abriss nur, drei hingeworfene Noten und füllte so den Raum und lud so sehr diem die Nacht, den Garten mit Erscheinungen voll und schuf die Welt und bettete den Nacken mir in das Strömende, die trauervolle erhabne Schwäche der Geburt des Seins – –: ein Klang, ein Bogen nur – –: Geburt des Seins – –, ein Bogen nur:und trug das Mass zurück, und alles schloss [ein xxx] es ein: die Tat, die Träume .... .... Aus einem Kranz scharlachener Gehirne, des Blüten der vertreuten Fiebersaat sich einzeln halten, nur einander: “unbeugsam in der Farbe“ und “ausgezähnt am Saum das letzte Haar“, “gefeilt in Kälte“ zurufen,– gesalzene Laken des Urstoffs: hier geht Verwandlung aus! Der Tiere Abart wird faulen, dass für sie das Wort Verwesung
[31,2 ] b — TH1 Monolog 2r
263
264
33
Monolog
zu sehr nach Himmeln riecht, – schon streichen die Geier an, die Falken hungern schon – ! – – –
×
20.4.1941.
[2.11,2 ] [2.5] [2.9] [2.12] → [31 ] b : 1–33 kMa ←- → [4] ,→ [32 ] b : 1, 12, 16, 24, → [4] 34, 58, 66 Ti
99K [4] 43–75 Monolog 99K [4] 43, 54, 58, 66 Monolog
266
Monolog
D1 Monolog Monolog
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen, – erwählte Völker Narren eines Clown’s, in Späße, Sternelesen, Vogelzug den eigenen Unrat deutend! Sklaven –, aus kalten Ländern und aus glühenden, immer mehr Sklaven, ungezieferschwere, hungernde, peitschenüberschwungene Haufen: dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum, der grindige, zum Barte des Propheten! Ach, Alexander und Olympia’s Sproß das Wenigste! Sie zwinkern Hellesponte und schäumen Asien! Aufgetriebenes, Blasen mit Vorhut, Günstlingen, verdeckten Staffeln, daß keiner sticht! Günstlinge: – gute Plätze für Ring- und Rechtsgeschehn! Wenn keiner sticht! Günstlinge, Lustvolk, Binden, breite Bänder – mit breiten Bändern flattert Traum und Welt: Klumpfüße sehn die Stadien zerstört, Stinktiere treten die Lupinenfelder, weil sie der Duft am eigenen irre macht: nur Stoff vom After! – Fette verfolgen die Gazelle, die windeseilige, das schöne Tier! Hier kehrt das Maß sich um: die Pfütze prüft den Quell, der Wurm die Elle, die Kröte spritzt dem Veilchen in den Mund – Hallelujah! – und wetzt den Bauch im Kies: die Paddentrift als Mahnmal der Geschichte! Die Ptolomäerspur als Gaunerzinke. Die Ratte kommt als Labsal gegen Pest.
[4] — D1 Monolog
267
Meuchel besingt den Mord. Spitzel locken aus Psalmen Unzucht. Und diese Erde lispelt mit dem Mond, dann schürzt sie sich ein Maifest um die Hüfte, dann läßt sie Rosen durch, dann schmort sie Korn, läßt den Vesuv nicht spein, läßt nicht die Wolke zu Lauge werden, die der Tiere Abart, die dies erlistet, sticht und niederbrennt, – ach, dieser Erde Frucht- und Rosenspiel ist heimgestellt der Wucherung des Bösen, der Hirne Schwamm, der Kehle Lügensprenkeln der obengenannten Art – die maßverkehrte! Sterben heißt, dies alles ungelöst verlassen, die Bilder ungesichert, die Träume im Riß der Welten stehn und hungern lassen – doch handeln heißt, die Niedrigkeit bedienen, der Schande Hilfe leihn, die Einsamkeit, die große Lösung der Gesichte, das Traumverlangen hinterhältig fällen für Vorteil, Schmuck, Beförderungen, Nachruf, indes das Ende, taumelnd wie ein Falter, gleichgiltig wie ein Sprengstück nahe ist und anderen Sinn verkündet – – Ein Klang, ein Bogen, fast ein Sprung aus Bläue stieß eines abends durch den Park hervor, darin ich stand –: ein Lied, ein Abriß nur, drei hingeworfene Noten und füllte so den Raum und lud so sehr die Nacht, den Garten mit Erscheinungen voll und schuf die Welt und bettete den Nacken mir in das Strömende, die trauervolle erhabene Schwäche der Geburt des Seins –:
33
36
39
42
45
48
51
54
57
60
268
Monolog
63
ein Klang, ein Bogen nur –: Geburt des Seins –, ein Bogen nur und trug das Maß zurück, und alles schloß es ein: die Tat, die Träume ....
66
Aus einem Kranz scharlachener Gehirne, des Blüten der verstreuten Fiebersaat sich einzeln halten, nur einander: »unbeugsam in der Farbe« und »ausgezähnt am Saum das letzte Haar«, »gefeilt in Kälte« zurufen, gesalzene Laken des Urstoffs: hier geht Verwandlung aus! Der Tiere Abart wird faulen, daß für sie das Wort Verwesung zu sehr nach Himmeln riecht –, schon streichen die Geier an, die Falken hungern schon –!
69
72
75
270
Monolog
TH3 Monolog 1r
M O N O L O G (1941)
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen, – erwählte Völker Narren eines Clown’s, den eigenen Unrat deutend! Sklaven – , aus kalten Ländern und aus glühenden, immer mehr Sklaven, ungezieferschwere, hungernde, peitschenüberschwungene Haufen: dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum, der grindige, zum Barte des Propheten ! Ach, Alexander und Olympia’s Sproß das Wenigste! Sie zwinkern Hellesponte und schäumen Asien! Aufgetriebenes, Blasen mit Vorhut, Günstlingen, verdeckten Staffeln, daß keiner sticht! Günstlinge: – gute Plätze für Ring-und Rechtsgeschehn! Wenn keiner sticht! Günstlinge, Lustvolk, Binden, breite Bänder – mit breiten Bändern flattert Traum und Welt: Klumpfüße sehn die Stadien zerstört, Stinktiere treten die Lupinenfelder, weil sie der Duft am eigenen irre macht: nur Stoff vom After! – Fette verfolgen die Gazelle, die windeseilige, das schöne Tier! Hier kehrt das Maß sich um: die Pfütze prüft den Quell, der Wurm die Elle, die Kröte spritzt dem Veilchen in den Mund – Hallelujah ! – und wetzt den Bauch im Kies: die Paddentrift als Mahnmal der Geschichte! Die Ptolemäerspur als Gaunerzinke, – Die Ratte kommt als Labsal gegen Pest. Meuchel besingt den Mord. Spitzel locken aus Psalmen Unzucht.
[61 ]a — TH3 Monolog 1r
271
272
33
36
39
42
45
48
51
Monolog
Und diese Erde lispelt mit dem Mond, dann schürzt sie sich ein Maifest um die Hüfte, dann läßt sie Rosen durch, dann schmort sie Korn, läßt den Vesuv nicht spein, läßt nicht die Wolke zu Lauge werden, die der Tiere Abart, die dies erlistet, sticht und niederbrennt, – ach, dieser Erde Frucht – und Rosenspiel ist heimgestellt der Wucherung des Bösen, der Hirne Schwamm, der Kehle Lügensprenkeln der obengenannten Art – die maßverkehrte ! Sterben heißt, dies alles ungelöst verlassen, die Bilder ungesichert, die Träume im Riß der Welten stehn und hungern lassen – doch Handeln heißt, die Niedrigkeit bedienen, der Schande Hilfe leihn, die Einsamkeit, die große Lösung der Gesichte, das Traumverlangen hinterhältig fällen für Vorteil, Schmuck, Beförderungen, Nachruf, indes das Ende, taumelnd wie ein Falter, gleichgiltig wie ein Sprengstück nahe ist und anderen Sinn verkündet –
274
Monolog
TH3 Monolog 2r
3
6
9
12
15
18
21
– Ein Klang, ein Bogen, fast ein Sprung aus Bläue stieß eines Abends durch den Park hervor, darin ich stand – : ein Lied, ein Abriß nur, drei hingeworfene Noten und füllte so den Raum und lud so sehr die Nacht, den Garten mit Erscheinungen voll und schuf die Welt uind bettete den Nacken in in das Strömende, die trauervolle erhabene Schwäche der Geburt des Seins – : ein Klang, ein Bogen nur – : Geburt des Seins – , ein Bogen nur und trug das Maß zurück, und alles schloß es ein: die Tat, die Träume ..... Aus einem Kranz scharlachener Gehirne, des Blüten der verstreuten Fiebersaat sich einzeln halten, nur einander: “unbeugsam in der Farbe“ und “ausgezähnt am Saum das letzte Haar“, “gefeilt in Kälte“ hier geht Verwandlung aus! Der Tiere Abart wird faulen, daß für sie das Wort Verwesung zu sehr nach Himmeln riecht – , schon streichen die Geier an, die Falken hungern schon – ! zurufen, gesalzene Laken des Urstoffs:
[61,2 ]b — TH3 Monolog 2r
275
276
Monolog
D2 Monolog Monolog 1941
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen, – erwählte Völker Narren eines Clown’s, in Späße, Sternelesen, Vogelzug den eigenen Unrat deutend! Sklaven –, aus kalten Ländern und aus glühenden, immer mehr Sklaven, ungezieferschwere, hungernde, peitschenüberschwungene Haufen: dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum, der grindige, zum Barte des Propheten! Ach, Alexander und Olympia’s Sproß das Wenigste! sie zwinkern Hellesponte und schäumen Asien: Aufgetriebenes, Blasen mit Vorhut, Günstlingen, verdeckten Staffeln. daß keiner sticht! Günstlinge: – gute Plätze für Ring- und Rechtsgeschehn! Wenn keiner sticht! Günstlinge, Lustvolk, Binden, breite Bänder – mit breiten Bändern flattert Traum und Welt: Klumpfüße sehn die Stadien zerstört, Stinktiere treten die Lupinenfelder, weil sie der Duft am eigenen irre macht: nur Stoff vom After! – Fette verfolgen die Gazelle, die windeseilige, das schöne Tier! Hier kehrt das Maß sich um: die Pfütze prüft den Quell, der Wurm die Elle, die Kröte spritzt dem Veilchen in den Mund – Hallelujah! – und wetzt den Bauch im Kies: die Paddentrift als Mahnmal der Geschichte! Die Ptolomäerspur als Gaunerzinke. Die Ratte kommt als Labsal gegen Pest. Meuchel besingt den Mord. Spitzel locken aus Psalmen Unzucht.
[7] — D2 Monolog
Und diese Erde lispelt mit dem Mond, dann schürzt sie sich ein Maifest um die Hüfte, dann läßt sie Rosen durch, dann schmort sie Korn, läßt den Vesuv nicht spein, läßt nicht die Wolke zu Lauge werden, die der Tiere Abart, die dies erlistet, sticht und niederbrennt, – ach, dieser Erde Frucht- und Rosenspiel ist heimgestellt der Wucherung des Bösen, der Hirne Schwamm, der Kehle Lügensprenkeln der obengenannten Art – die maßverkehrte! Sterben heißt, dies alles ungelöst verlassen, die Bilder ungesichert, die Träume im Riß der Welten stehn und hungern lassen – doch Handeln heißt, die Niedrigkeit bedienen, der Schande Hilfe leihn, die Einsamkeit, die große Lösung der Gesichte, das Traumverlangen hinterhältig fällen für Vorteil, Schmuck, Beförderungen, Nachruf, indes das Ende, taumelnd wie ein Falter, gleichgiltig wie ein Sprengstück nahe ist und anderen Sinn verkündet – – Ein Klang, ein Bogen, fast ein Sprung aus Bläue stieß eines abends durch den Park hervor, darin ich stand –: ein Lied, ein Abriß nur, drei hingeworfene Noten und füllte so den Raum und lud so sehr die Nacht, den Garten mit Erscheinungen voll und schuf die Welt und bettete den Nacken mir in das Strömende, die trauervolle erhabene Schwäche der Geburt des Seins –, ein Klang, ein Bogen nur –: Geburt des Seins –, ein Bogen nur und trug das Maß zurück, und alles schloß es ein: die Tat, die Träume ....
277
33
36
39
42
45
48
51
54
57
60
63
278
66
69
72
75
Monolog
Aus einem Kranz scharlachener Gehirne, des Blüten der verstreuten Fiebersaat sich einzeln halten, nur einander: »unbeugsam in der Farbe« und »ausgezähnt am Saum das letzte Haar«, »gefeilt in Kälte« zurufen, gesalzene Laken des Urstoffs: hier geht Verwandlung aus! Der Tiere Abart wird faulen, daß für sie das Wort Verwesung zu sehr nach Himmeln riecht –, schon streichen die Geier an, die Falken hungern schon –!
280
Monolog
TH4 Monolog 1r
[81–3 ]a,b — TH4 Monolog 1r , 2r
281
TH4 Monolog 2r
282
Monolog
D3 Monolog MONOLOG
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen – erwählte Völker Narren eines Clowns, in Späße, Sternelesen, Vogelzug den eigenen Unrat deutend! Sklaven – aus kalten Ländern und aus glühenden, immer mehr Sklaven, ungezieferschwere, hungernde, peitschenüberschwungene Haufen: Dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum, der grindige, zum Barte des Propheten! Ach, Alexander und Olympias Sproß das Wenigste! Sie zwinkern Hellesponte und schäumen Asien! Aufgetriebenes, Blasen mit Vorhut, Günstlingen, verdeckten Staffeln, daß keiner sticht! Günstlinge: – gute Plätze für Ring- und Rechtsgeschehn! Wenn keiner sticht! Günstlinge, Lustvolk, Binden, breite Bänder – mit breiten Bändern flattert Traum und Welt: Klumpfüße sehn die Stadien zerstört, Stinktiere treten die Lupinenfelder, weil sie der Duft am eigenen irre macht: nur Stoff vom After! – Fette verfolgen die Gazelle, die windeseilige, das schöne Tier! Hier kehrt das Maß sich um: die Pfütze prüft den Quell, der Wurm die Elle, die Kröte spritzt dem Veilchen in den Mund – Hallelujah! – und wetzt den Bauch im Kies: die Paddentrift als Mahnmal der Geschichte! Die Ptolemäerspur als Gaunerzinke, die Ratte kommt als Labsal gegen Pest. Meuchel besingt den Mord. Spitzel locken aus Psalmen Unzucht.
[9] — D3 Monolog
Und diese Erde lispelt mit dem Mond, dann schürzt sie sich ein Maifest um die Hüfte, dann läßt sie Rosen durch, dann schmort sie Korn, läßt den Vesuv nicht spein, läßt nicht die Wolke zu Lauge werden, die der Tiere Abart, die dies erlistet, sticht und niederbrennt, – ach, dieser Erde Frucht- und Rosenspiel ist heimgestellt der Wucherung des Bösen, der Hirne Schwamm, der Kehle Lügensprenkeln der obengenannten Art – die maßverkehrte! Sterben heißt, dies alles ungelöst verlassen, die Bilder ungesichert, die Träume im Riß der Welten stehn und hungern lassen – doch Handeln heißt, die Niedrigkeit bedienen, der Schande Hilfe leihn, die Einsamkeit, die große Lösung der Gesichte, das Traumverlangen hinterhältig fällen für Vorteil, Schmuck, Beförderungen, Nachruf, indes das Ende, taumelnd wie ein Falter, gleichgiltig wie ein Sprengstück nahe ist und anderen Sinn verkündet – – Ein Klang, ein Bogen, fast ein Sprung aus Bläue stieß eines abends durch den Park hervor, darin ich stand –: ein Lied, ein Abriß nur, drei hingeworfene Noten und füllte so den Raum und lud so sehr die Nacht, den Garten mit Erscheinungen voll und schuf die Welt und bettete den Nacken mir in das Strömende, die trauervolle erhabene Schwäche der Geburt des Seins –: ein Klang, ein Bogen nur –: Geburt des Seins – ein Bogen nur und trug das Maß zurück, und alles schloß es ein: die Tat, die Träume ....
283
33
36
39
42
45
48
51
54
57
60
63
284
66
69
72
75
Monolog
Aus einem Kranz scharlachener Gehirne, des Blüten der verstreuten Fiebersaat sich einzeln halten, nur einander: »unbeugsam in der Farbe« und »ausgezähnt am Saum das letzte Haar«, »gefeilt in Kälte« zurufen, gesalzene Laken des Urstoffs: hier geht Verwandlung aus! Der Tiere Abart wird faulen, daß für sie das Wort Verwesung zu sehr nach Himmeln riecht – schon streichen die Geier an, die Falken hungern schon –!
Monolog Druckvarianten
Druckvarianten Druckvarianten zu D3 Monolog 8 11 21 25 28 38 52 55 65 72
D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4
Dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum, das wenigste! Sie zwinkern Hellesponte Nur Stoff vom After! – Fette Die Pfütze prüft den Quell, der Wurm die Elle, Die Paddentrift als Mahnmal der Geschichte! die dies erlistet, sticht und niederbrennt – gleichgültig wie ein Sprengstück nahe ist stieß eines Abends durch den Park hervor, und alles schloß es ein: die Tat, die Träume . . . Hier geht Verwandlung aus: Der Tiere Abart
285
286
Monolog
Überlieferung und Chronologie Nb 8c-a [1] Nb 8c-a (DLA, »Arbeitsheft 8c«, Bestand Benn); Konvolut Nb 8c-a, bestehend aus sechs lose ineinandergelegten, beidseitig beschriebenen Doppelblättern im Querformat (= 12 Bl., 117 × 74 mm), ist eingelegt in den Ringblock 8c (Deckelaufdruck »Spiffa und Leutz«, 115 × 150 mm). Dasselbe Querformat hat die an anderer Stelle in Nb 8c eingelegte Blattlage Nb 8c-b, bestehend aus 2 Doppelblättern (= 4 Bl.). Verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe: Tinte, Bleistift, grüner Buntstift. Anhand verstreuter Datierungen kann der Gebrauch von Nb 8c-a auf Dezember 1940 bis März 1941 eingegrenzt werden. Neben den Vorarbeiten und Entwürfen zu Monolog Alltags- und Prosanotizen sowie Entwürfe zu An –1 und Alle die Gräber.2 Editorisch wiedergegeben werden alle beschriebenen Seiten aus Nb 8c-a. [1] Nb 8c-a [1.1] 1/1r 6–9Ti ↓ [1.6] [1.2] 2/1v ↓ [1.51 ]
223 99K [4] 10 Monolog
1–3Ti c
226 99K [4] 26 Monolog
30. Dezember 1940 bis 1. Januar 1941. [1.3] 5/1r 1–2Ti |3 ↓ [1.51 ]
a,b
231 99K [4] 1, 18 Monolog
[1.4] 6/2r 2–10Ti
235
Datiert 17. Februar 1941.
[1.51 ] a–c
238, 239, 240
a: 5/2v 5–13Ti , b: 4/2r 1–12Ti , c: 4/2v 1Ti ↓ [1.52 ] a [1.6] [2.11 ] a [31 ] a ↑ [1.2] [1.3] [1.52 ] a 5/2v 9Bl ↓ [31 ] a ↑ [1.51 ] a [1.6] 4/2v 2–7Ti ↓ [2.11 ] ↑ [1.1] [1.51 ]b [1.7] 3/2r 1–8Ti ↓ [1.8]
99K [4] 1–10, 18–26 Monolog
238 99K [4] 6 Monolog
240 99K [4] 10–12, 29 Monolog
241 99K [4] 12–14 Monolog
1 Siehe S. 229, SW VII/2, S. 281. 2 Siehe S. 234, SW VII/2, S. 87. 3 Nach dem 9. Januar 1941. Auf gegenüberliegender Seite 4/1v 4–6 vgl. BOelze, I, S. 263 (9. März 1941).
Überlieferung und Chronologie
287
[1.8] 3/2v 1–6Ti |4
242 99K [4] 12–15 Monolog
↓ [1.9] ↑ [1.7] [1.9] 2/2r 1–6Ti
243
↓ [2.11 ] ↑ [1.8]
99K [4] 14–15 Monolog
[1.10] a,b
244, 245
a: 2/2v 1–7gBu , b: 1/2r 1–2gBu ↓ [31 ] b
99K [4] 51–52 Monolog
H1 Monolog [2] H1 Monolog (DLA, Bestand Benn); vier Blatt Manuskript (1, 2, 3: 148 × 205 mm; 4: 209 × 295 mm), recto und teils verso beschrieben mit Teilentwürfen zu Monolog. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe: Tinte, Bleistift, blauer Buntstift, o.T., o.D. [2] H1 Monolog [2.11 ] 1r 1–2, 4–11, 13–23Ti ↓ [2.12 ] [3]
a,b ↑ [1.5] b,c [1.6] [1.9]
246 99K [4] 10–27, 29 Monolog
[2.12 ] 1r 3, 8, 10, 12, 15, 22–25Bl ↓ [2.2] [2.4] [3]b,c
↑ [2.11 ]
246 99K [4] 12, 16–19, 27, 29 Monolog
[2.2] 1v 6–13Bl
249
↑ [2.11,2 ]
↓ [2.4]
[2.3] 1v 4–5
99K [4] 29–32 Monolog
bBu
249 99K [4] 28 Monolog
↓ [3] a
[2.4] 1v 14–18Ti ↓ [3] a
249
↑ [2.12 ] [2.2]
99K [4] 29–32 Monolog
[2.5] 4r 20–39Ti ↓ [2.6] [2.9] [31 ]
256 b
99K [4] 66–73 Monolog
[2.6] 4r 9–19Ti ↓ [2.9] ↑ [2.5]
256 99K [4] 72–75 Monolog
[2.7] 1v 18–37Bl ↓ [2.10]
249 99K [4] 33–34, 36–38 Monolog
[2.8] 1v 1–3Bl ↑ [2.3] [2.9] 4r 1–8Bl
249 99K [4] 28 Monolog
256
↓ [3] b ↑ [2.5] [2.6] [2.10] 2r 2–10Ti
99K [4] 71–75 Monolog
↓ [3] a ↑ [2.7]
99K [4] 33–39 Monolog
250
4 Die unter dem Entwuf befindliche, literarische Notiz wird am 10. April 1941 in einem Brief an Oelze verwendet, ebd., I, S. 268.
288
Monolog
[2.11] 3r 1–8Ti
252
↑ [2.11 ] [2.12] 3v 1–9Bl
99K [4] 13, 14, 16 Monolog
↓ [3] b
99K [4] 56, 57, 65 Monolog
255
TH1 Monolog [3] TH1 Monolog (DLA, Bestand Oelze); zwei Blatt Typoskript mit hs. Korrekturen von GB und F.W. Oelze. (210 × 295 mm), recto beschrieben mit Entwurf zu Monolog. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Schreibmaschine, Tinte). Hs. Titel »Monolog:«, datiert 20. April 1941. Das Manuskript wurde am 24. April 1941 an F.W. Oelze gesandt, mit dem absichtlich irreführenden Hinweis, es handele sich um eine eigenhändige Übersetzung eines mittelalterlichen, englischen Monologs.5 [3] TH1 Monolog [31 ] a,b
258, 262
a: 1r 2–43kMa ; b: 2r 1–33kMa ↓ [32 ] a,b [4 ] ↑ [1.51,2 ] a,b,c [1.10] a,b [2.11,2 ] [2.3] [2.4] [2.5] [2.9] [2.10] [2.12] 99K [4] 1–75 Monolog
[32 ]
258, 262
a,b
a: 1r 1, 2, Ti , b: 2r 1, 12, 16, 24, 34, 35Ti
[33 ]
↓ [4] ↑ [31 ] a,b 99K [4] Titel, 1, 43, 54, 58, 66 Monolog r 10, 11Ti (fremde Hand, vmtl. Oelze) 1 a 99K [4] 10 Monolog
258
D1 Monolog [4] D1 Monolog In: Zweiundzwanzig Gedichte (1936-1943). Privatdruck August 1943. S. 22-25. [4] D1 Monolog
266 – 268
TH2 Monolog [5] TH2 Monolog (DLA, Bestand Benn); drei Blätter im von Steinhagen rekonstruierten Druckvorlage-Konvolut der Henssel-Ausgabe (210 × 295 mm) gebildet mit aufgeklebten [4] D1 Monolog-Ausschnitten aus Zweiundzwanzig Gedichte.6 Auf eine separate Wiedergabe von TH2 Monolog wurde verzichtet. [5] TH2 Monolog [5] a,b,c 5 6
↔ [4] D1 Monolog
Vgl. BOelze, I, S. 269. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 69, Sigle: tIV .
Überlieferung und Chronologie
289
TH3 Monolog [6] TH3 Monolog (DLA, Bestand Benn); zwei Blätter Typoskript (210 × 295 mm) mit hs. Ergänzung von fremder Hand, recto beschrieben. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Schreibmaschine, Bleistift). Ts. Titel » M O N O L O G (1941)«, o.D. Der konsequente Gebrauch des »ß« lässt vermuten, dass Benn die Abschrift nicht selbst angefertigt hat. Das Typoskript ist Teil des Konvoluts Statische Gedichte vom September 1946.7 [6] TH3 Monolog [61 ] a,b a: 1r 1–53Ma , b: 2r 1–22Ma [62 ] b 2r 17–18, 22Bl (fremde Hand)
270, 274 274
D2 Monolog [7] D2 Monolog In: Statische Gedichte. Privatdruck »Monolog 1941«. Berlin April 1946. S. 19–21. [6] D2 Monolog
276 – 278
TH4 Monolog [8] TH4 Monolog (DLA, Bestand Benn); zwei Blätter Druckvorlage (210 × 295 mm), montiert mit dem aus Zweiundzwanzig Gedichte ausgeschnittenen Monolog-Text, hs. Ergänzungen von Benns und vmtl. Marguerite Schlüters Hand. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Kugelschreiber: Benn, Bleistift: Schlüter). Ts. Titel »Monolog« mit hs. Hinweis von Benn: »Versalien.« und »kursiv«, o.D. [8] TH4 Monolog [81 ] a,b a: 1r 1–60Dr , b: 2r 1–42Dr [82 ] a,b a: 1r 1, 4Ku b: 2r 4Ku [83 ] a 1r 4, 14Bl
280, 281 280, 281 280
Fremde Hand, vmtl. M. Schlüter.
D3 Monolog [9] D3 Monolog In: Doppelleben. Zwei Selbstdarstellungen. Wiesbaden: Limes 1950. S. 130–133. Der Abdruck erfolgt gemäß Benns expliziter Satzanweisung in TH4 wie in Doppelleben in Kursivdruck. In Doppelleben hebt die Kursive das »lyrische Intermezzo« typografisch vom umgebenden Fließtext ab. [9] D3 Monolog
7
Vgl. ebd., S. 75f, Sigle: tV .
282 – 284
290
Monolog
D4 Monolog [10] D4 Monolog In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956. S. 240–242. [10] D4 Monolog 1–72
285
Entstehung und Druckgeschichte
291
Entstehung und Druckgeschichte Das Gedicht Monolog entsteht im Zeitraum Ende Dezember 1940 bis 20. April 1941 in Berlin. Es wurde zunächst 1943 als Teil der Sammlung Zweiundzwanzig Gedichte im kleinen Kreis als Privatdruck verbreitet. 1946 fand das Gedicht Eingang in die Privatdruck-Fassung der Statischen Gedichte. Erst mit dem Abdruck als »lyrisches Intermezzo« in Doppelleben bei Limes wurde das Gedicht einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.8 1956 schließlich wurde es in die Gesammelten Gedichte aufgenommen. Benn arbeitet an dem Text während seiner Zeit als Oberstabsarzt im Bendlerblock in Berlin.9 Die ersten Entwürfe sind auf den lose zusammengelegten Doppelbättern in Nb 8c überliefert, dazwischen Aphorismen, kurze Prosaentwürfe und Entwürfe zu anderen Gedichten,10 literarische Lektürenotizen zu Goethe,11 Prokosch12 und anderen, ferner bibliografische Angaben zu medizinischer Fachliteratur13 sowie Notizen privater und dienstlicher Natur.14 Auf 8 SW, S. 118–122. 9 Vgl. Bericht in Doppelleben, ebd., S. 122–139. 10 An –, siehe S. 229, ebd., VII/2, S. 281, Alle die Gräber, siehe S. 234, ebd., VII/2, S. 87. 11 Nb 8c-a 1/1r : 4–5, siehe S. 223, vgl. An Lord Byron, Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Hrsg. v. Dieter Borchmeyer u. a. 1. Aufl. 40 Bde. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 1987–2013, I.1, S. 583. Nb 8c-a 1/1r 6–9, siehe S. 223, vgl. ders. Lass den Weltenspiegel Alexandern, ebd., I.3.1, S. 404. Nb 8c-a 1/1v , 2/1r , siehe S. 224, 225: Anmerkungen zu Faust. Nb 8c-a 3/1r 6, siehe S. 227: vgl. Vermächtnis, ebd., I.1, S. 685. 12 »[U] dann kommt das Ende, ja es wird, wie Sie mit Layeville sagen, eisig sein«, Nb 8c-a 2/2v 6–7, siehe S. 244, bezieht sich auf Frederic Prokosch: Sieben auf der Flucht. [Original: The Seven Who Fled]. Übers. v. Hans Reisiger. Stuttgart: Rowohlt 1940. Der Protagonist, der Abenteurer Layeville, kommt am Ende des Romans im Himalaya zu Tode. 13 Nb 8c-a 3/1r , siehe S. 227: Wilhelm Heinrich Westphal: Physik des alltäglichsten Lebens. Frankfurt a. M.: Societäts-Verlag 1940, Nb 8c-a 5/1r (siehe S. 231): Rudolf Bilz: Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen. Leipzig: Georg Thieme 1940 (= Schriftenreihe zur Deutschen medizinischen Wochenschrift), Nb 8c-a 4/1v f, siehe S. 230: Viktor von Weizsäcker: Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen (Rezension). In: Deutsche medizinische Wochenschrift 66 (1940), S. 1430–1431, Nb 8c-a 5/2r , siehe S. 237: Friedrich Boas: Vom Formbild zum Wirkbild der Pflanze. In: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft VII (1941), S. 31–43, Hugo Dingler: Die Methode der Physik. München: Reinhardt 1938. 14 Darunter dienstliche Personen- und Kontaktdaten: Benn notiert auf Nb 8c 6/1r 1–5 Namen und Dienstorte von Ärzten, mit denen er vmtl. im Rahmen einer seiner dienstlichen Auftragsarbeiten Über Selbstmord im Heer (Dezember 1940) und Fragen der ärztlichen Beurteilung [. . .] (Januar–Februar 1941) in Kontakt stand (SW, VII/1, S. 423–450). Hierbei war Benn höchstwahrscheinlich nicht bekannt, dass einige von ihnen an den hirnphysiologischen Untersuchungen der Opfer der zeitgleich laufenden »T4-Aktion« beteiligt waren. Hugo Spatz (1888–1969, Psychiater, Anatom, Neuropathologe); Julius Hallervorden (1882–1965, Neuropathologe, Hirnforscher); Franz Jahnel (1885–1951, Psychiater, Serologe) mglw. geht die Notiz »Der Mensch mit seiner lebenverkürzenden Beziehung zur Spirochaete« Nb 8c-a 3/1v , siehe S. 228, auf eine kurze Beschäftigung mit Jahnels Bibliografie zu seinem Spezialgebiet der Spirochätenforschung zurück; Willibald Scholz (1889–1971, Neuropathologe, Psychiater). Vgl. Neue deutsche Biographie. Berlin: Duncker und Humblot 1951–2013, 23 (2007), S. 463–464,
292
Monolog
den vier Blättern der Handschrift H1 Monolog werden die Vorarbeiten und Teilentwürfe in mehreren Bearbeitungsphasen weiterentwickelt, ohne zu diesem Zeitpunkt eine zusammengefügte Textfassung zu erreichen. Die erste überlieferte Reinschrift ist Typoskript TH1 Monolog. Am 24. April 1941 sendet Benn das auf den 20. April datierte Typoskript,15 als Übersetzung eines mittelalterlichen englischen Monologs getarnt, an F.W. Oelze: In einem mittelalterlichen Englischen Band fand ich ein Fragment eines Monologs. Der Autor scheint eine Mischung von Theodor Körner u. Marlowe zu sein. Er schildert Zeiten u. Zustände, die zum Glück vorüber sind. Die Übersetzung stammt von mir; Sie wissen, ich kann kein Englisch, vielleicht können Sie Verbesserungen anbringen.16
Am 7. August 1943 kündigt Benn seinem Briefpartner die Vorbereitung des Privatdrucks der Zweiundzwanzig Gedichte17 in Verbindung mit dem »Lector u. liter. Agent« Friedrich Vorwerk an.18 Kurz zuvor wird das Gedicht bereits in einer hs., in der Anordnung vom Druck der Zweiundzwanzig Gedichte abweichenden Titelaufstellung für die Sammlung in Nb 9, 14v genannt.19 Vermutlich um den 13. Oktober verschickt Benn die Exemplare der Sammlung an »kaum ein[] halbe[s] Dutzend« Empfänger, unter ihnen Oelze und Erwin Goelz (alias Frank Maraun).20 Dieser Druck von Monolog in den Zweiundzwanzig Gedichten hatte offenbar geradezu ikonische Bedeutung für Benn.21 Bei der 24 (2010), S. 631–633, Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Deutsche biographische Enzyklopädie. 2. Aufl. München: K.G. Saur 2008, 9, S. 176, 528f, vgl. auch Jürgen Pfeiffer: Hirnforschung im Zwielicht. Beispiele verführbarer Wissenschaft aus der Zeit des Nationalsozialismus. Julius Hallervorden – H.-J. Scherer – Berthold Ostertag. Husum: Matthiesen 1997 (= Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 79); ders.: Neuropathologische Forschung an ›Euthanasie‹-Opfern in zwei Kaiser-Wilhelm-Instituten. In: Doris Kaufmann (Hrsg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. Bd. 2. Göttingen: Wallstein 2000 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 1, 2), S. 667–698. 15 TH1 Monolog, da Benn den Text im Begleitbrief BOelze, I, S. 269 als »Fragment« bezeichnet, setzte er an Anfang und Ende des Textes Elisionspunkte. Das Datum ist gleichzeitig Adolf Hitlers 52. Geburtstag, was gemeinhin als Hinweis auf den politischen Gehalt des Gedichts gelesen wird. Albrecht Schöne: Gottfried Benn: »Monolog«. In: Vom Betreten des Rasens. Siebzehn Reden über Literatur. Hrsg. v. Albrecht Schöne u. a. München: Beck 2005, S. 315, Joachim Dyck: Dichten in der Wehrmacht. Gottfried Benns Gedicht Monolog (1941) im zeitgenössischen Kontext. In: Benn-Forum 2 (2010/11), S. 59–78, hier S. 70. 16 BOelze, I, S. 269. 17 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, Siglen H1 , E1 . 18 BOelze, I, S. 340. 19 Siehe S. 317, vgl. Anordnung der Zweiundzwanzig Gedichte im Vergleich zur hs. Aufstellung bei Steinhagen. 20 An Oelze mit der Widmung »Der Excellenz im Calridge aus einer östlichen Kaserne. 13/X 43 G.B.« BOelze, I, S. 345, 462. 21 Vgl. auch die dem Henssel-Manuskript beiliegende, nicht gedruckte »biografische Notiz«: »Gottfried Benn [. . .] hat nach 1936 nichts mehr veröffentlichen können. Die folgenden Gedichte
Entstehung und Druckgeschichte
293
Vorbereitung des Drucks bei Henssel und auch wesentlich später bei Doppelleben schneidet Benn die Monolog-Seiten aus Zweiundzwanzig Gedichte aus, um sie als Druckvorlagen zu verwenden.22 Die mit Henssel angestrebte Ausgabe der Statischen Gedichte wird 1946 lediglich als Privatdruck realisiert.23 Monolog wird in den weiteren Aufstellungen zu den Statischen Gedichten aufgeführt,24 dann jedoch auf Wunsch Peter Schifferlis aus der Arche-Ausgabe herausgenommen.25 Hinsichtlich der »Statischen Gedichte« habe ich einige Konzessionen an die Stimmung der Eidgenossenschaft machen müssen. Der Verleger bat mich abzusehn von: Chopin. / Monolog. / Clemenceau. / St. Petersburg / 1886. [. . .] Gegen die Ablehnung von Chopin habe ich auf das Bestimmteste protestiert u. ich glaube, dass es mit erscheinen wird. Mit dem übrigen bin ich einverstanden. Sie machen also einen Sanften Heinrich aus dem Ganzen, aber je m’en fiche.26
Um die Auswahl der Gedichte für den Arche-Druck gab es offenbar noch während der Drucklegung und nach dem Erscheinen des Bandes Reibereien zwischen Dichter und Verleger, wie eine »Verteidigungsepistel« Schifferlis vom 24. September 1948 belegt.27 Schifferli zeigt sich darin betrübt, dass Benn ihm böse sei und ihm eigenmächtige Auswahl vorwirft, obwohl er doch zuvor Schifferlis Auswahl genehmigt hätte. Während der Überlegungen zur Komposition der Statischen Gedichte 1949 bei Limes erwägt Benn in mehreren Briefen an Oelze nochmals die Wiederaufnahme,28 verwirft sie jedoch offenbar wieder. Am 19. November überlegt Benn mit Oelze, Rolf Italiaander Monolog als »etwas Antifaschistisches« für dessen geplante Anthologie deutscher Kriegs- und Nachkriegslyrik zur Verfügung zu stellen, der Druck kam jedoch nicht zu Stande.29 Noch Ende desselben Jahres bittet der Verleger Max Niedermayer Benn um eine Autobiografie. Am 13. Dezember bringt Benn Monolog in den Plan für das Buch mit ein: sind in den Jahren geschrieben, einige von ihnen, darunter der ›Monolog‹ illegal gedruckt und vertrieben.« Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 64. 22 TH2 Monolog (siehe S. 288), TH4 Monolog (S. 280f). 23 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, Siglen tIII , E2 . 24 Ebd., Ausschlagtafel, Siglen tV , HIII , tVI . 25 Monolog, Chopin, Clemenceau, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts und 1886 schienen Schifferli »den Rahmen zu sprengen«, vgl. Gottfried Benn: Statische Gedichte. Hrsg. v. Paul Raabe. Zürich, Hamburg: Arche 2000, S. 88, vgl. auch Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, Sigle E3 . 26 BOelze, II.1, S. 111. 27 Gottfried Benn: Statische Gedichte. Hrsg. v. Paul Raabe. Zürich: Arche 1983, S. 105. 28 BOelze, II.1, S. 191f., 235. 29 Vgl. ebd., II.1, S. 166, 347. Die Anthologie erschien erst drei Jahre später und hatte inzwischen offenbar ihren Schwerpunkt verschoben: Rolf Italiaander (Hrsg.): Ruines en visioenen. Duitse naoorlogse literatuur. ’s Graveland: De Driehoek 1952.
294
Monolog 3) Lyrisches Intermezzo: einiges Private aus den Kriegsjahren und dann jenes etwas längere Gedicht Monolog, das ich in dem Heft 22 Gedichte als Privatdruck 1943 miterscheinen liess. Sehr scharf anti – wenn es damals an die falsche Stelle gekommen wäre, wäre ich geliefert gewesen, aber als Poem ist es recht gut.30
Im März 1950 erscheint Monolog erstmals öffentlich als Teil von Doppelleben. Aus der redaktionellen Vorbereitung mit Marguerite Schlüter31 ist die von Benn aus zusammengeklebten Seiten der Zweiundzwanzig Gedichte hergestellte Druckvorlage TH3 erhalten. Die Satzanweisungen stammen von Benns Hand, die orthografischen Korrekturen gehen auf Schlüter zurück. Folgende Briefstelle bezieht sich offenbar auf eine wenig später gelaufene Druckfahne. Sehr verehrtes Fräulein Schlüter, Dank für Ihren Brief vom 6. I. mit den Korrekturen, die anbei zurückgehn. Viel war nicht zu korrigieren, alles ist erstaunlich gut gesetzt. Bei dem Monolog im lyrischen Intermezzo bitte ich an den bezeichneten Stellen einen gewissen Absatz zu machen. [. . .] Haben Sie Dank für Ihre neue Mitarbeit. [. . .] Bitte achten Sie weiter auf Orthographie und Interpunktion – beides ist nicht meine Stärke.32
1956 wird der Text erneut in Gesammelte Gedichte abgedruckt.
Ergänzende Hinweise Die wissenschaftliche Rezeption des in seiner Bildsprache hermetischen Gedichts Monolog blieb lange von Benns Steuerungsversuch in Doppelleben beeinflusst, welche den Text als »Beweis [s]einer illegalen antifaschistischen Tätigkeit« einführte.33 Die Entwürfe und das Gedicht Monolog überziehen die politischen Verhältnisse und deren »Günstlinge« mit harscher Kritik, deren physiognomische Typen 30 BLimes, S. 173. 31 Ebd., S. 204f 204f. 32 Ebd., S. 173. 33 Vgl. Einleitung in Doppelleben, SW, V, S. 120. Vgl. auch die unveröffentlicht gebliebene biografische Notiz zu den Statischen Gedichten, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 64, siehe S. 570. Joachim Dyck kritisiert zurecht, dass die Benn-Forschung zu lange die Selbststilisierung des stillen oder verhinderten Widerständlers mit fortgeschrieben und die Gefährlichkeit der Verbreitung des Monolog für seine Person mitunter übertrieben hat. Vgl. Dyck: Dichten in der Wehrmacht. 2010/11. Dycks insgesamt gut informierter Artikel enthält leider auch eine Reihe schwer haltbarer Spekulationen, etwa dahingehend, dass Benns Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer ein »Bauernopfer« zur Wahrung der Integrität Hanns Johsts war und es gar nicht um Benn gegangen sei, vgl. ebd., S. 66f. Die Korrespondenz Johsts und Benns spricht eine andere Sprache, siehe S. 213.
Ergänzende Hinweise
295
hatten reale ›Größen‹ des nationalsozialistischen Apparats zum Vorbild. So verweist »Klumpfüsse sehn die Stadien zerstört« auf Goebbels und »Fette verfolgen die Gazelle« auf Göring.34 Dieser bereits früher geäußerte Eindruck bestätigt sich beim Blick auf den Entwurf H1 Monolog, welcher einen Hinweis auf die unrechtmäßige Aneignung (»Arisierung«) der Immobilien der Wannsee-Insel Schwanenwerder durch Goebbels und andere Parteifunktionäre aufweist.35 Auf H1 Monolog 4r sind die ersten Verarbeitungen des Verwandlungs- und des Züchtungsmotivs zu finden, mit welchen Benn eine poetische Abrechnung und Selbstpositionierung auch im Bereich des anthropologischen Denkens versucht.36 Die in den Monolog-Entwürfen meist pejorative Konnotation der »Züchtung« und »Verwandlung« (als »Verwesung«, »Zerstörung«, »Abart«37 verweisen möglicherweise auch auf die zunehmend kritische Haltung Benns zu Nietzsche und Dacqué. Wenn auch poetisch chiffrenhaft verkürzt, kann man in diesen Stellen von Monolog eine Auseinandersetzung mit Nietzsche sehen, den Benn seit 1932 (unberechtigterweise) als Darwinisten bezeichnet.38 1937 beginnt mit Weinhaus Wolf die Abrechnung: »Nietzsche wirkt in dieser Reihe lange als idealistischer Antinous. Noch Zarathustra – was für ein Naturbursche, was für ein Züchtungsoptimismus, was für eine flache Utopie vom Geist und seiner Verwirklichung!«39 In Züchtung (II, 1940) legt Benn nach: »Nietzsche will züchten. Zarathustra, die riesige Züchtungsvision!«40 Kurz nach den Monolog-Entwürfen, Oktober–Dezember 1941, heißt es, dabei seine monologische Situation als poetologische verallgemeinernd: 34 Vgl. Schöne: Gottfried Benn: »Monolog«. 2005, S. 315, Dyck: Dichten in der Wehrmacht. 2010/11, S. 74. 35 Vgl. den in der vorliegenden Ausgabe erstmals korrekt entzifferten Teilentwurf H1 Monolog 3r 1–8, siehe S. 252. »am Dir geschenkten Haus« »u Dir gefällt das Haus, [die Insel] die Werder nimm sie«. Vgl. entstellende Entzifferung SW, I, S. 471. Die Häuser, Insel bzw. Werder verweisen hier offenbar auf die Wannsee-Insel Schwanenwerder und deren Villen, deren jüdische Besitzer durch Zwangsverkäufe und -versteigerungen enteignet wurden und die im Zuge der »Arisierung« des Besitzes hohen nationalsozialistischen Funktionären zufielen – darunter Joseph Goebbels, Albert Speer und Theo Morell. Der Zusammenhang wird deutlich, wenn man die Anspielung auf Schwanenwerder in Kunst und drittes Reich mitliest: »die ergaunerte Insel im Wannsee –, kulturell soll Europa sie bestaunen!«, ebd., IV, S. 282. Vgl. auch Frank Bajohr: Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit. Frankfurt a. M.: Fischer 2001. 36 Seine Position zur »Verwandlung« deutet Benn im folgenden Brief vom 25. März 1941 an: »Diese Welt weiß nicht, dass sich etwas Ausserordentliches vorbereitet, nämlich der neue Schritt der Schöpfung zu einer anderen Art, die die Physiologie weiter einschränkt u. dem Unbewussten eingliedert, um den Weg weiter zu gehn zur transzendentalen, halluzinatorischen Rasse, für die Wort, Farbe u. Ton stärkere Seinswerte darstellen u. die unter anderen Ausdrucksbedingungen leben wird als die heutige.«, BOelze, I, S. 265. 37 H1 Monolog 4r , siehe S. 256, 2–5, 9, 11, 26–27, 31, 38–39. 38 Nach dem Nihilismus, SW, III, S. 401. 39 Ebd., IV, S. 237. 40 Ebd., IV, S. 249.
296
Monolog Noch im Zarathustra welcher inhaltsreiche züchterische Schwung! Erst im letzten Stadium des Ecce homo und der lyrischen Bruchstücke läßt er [Nietzsche] es in seinem Bewußtsein hoch: ›Du hättest singen sollen, oh, meine Seele‹ –: nicht: glauben, züchten, geschichtlich-pädagogisch denken, nicht so positiv sein –: und nun kommt der Zusammenbruch. Singen – das heißt Sätze bilden, Ausdruck finden, Artist sein, kalte, einsame Arbeit machen, dich an niemanden wenden, keine Gemeinde apostrophieren, vor allen Abgründen nur die Wände auf ihr Echo prüfen, ihren Klang, ihre koloraturistischen Effekte. [. . .] Kunst und Drittes Reich (1941)41
In Zum Thema: Geschichte (1943) folgt eine abermalige Steigerung: »Hegel, Darwin, Nietzsche –: sie wurden die tatsächliche Todesursache von vielen Millionen. Gedanken töten, Worte sind verbrecherischer als irgendein Mord, Gedanken rächen sich an Helden und Herden.«42 Es ist deutlich, dass Benns NietzscheDeutung einige Irrtümer zu Grunde liegen, es dürfte bei diesen Ausfällen nicht zuletzt auch um Selbstentlastung gegangen sein.43 Die starken Formulierungen zur »Verwandlung« stehen mglw. auch mit der im Brief an Oelze vom 9. März 1941 geäußerten Enttäuschung über Edgar Dacqués jüngere Arbeiten in Zusammenhang. Benn schreibt über Dacqué, dessen anthropologisch-paläontologische Verwandlungstheorie in Urwelt, Sage und Menschheit (1924) ihn früher beeinflusst hatte: In diesem Zusammenhang ein Wort über Dacqué. Ich kenne das Buch nicht, das man Ihnen zu Weihnachten schenkte. Aber ich las in letzter Zeit einige neue Aufsätze von ihm. Er vertritt darin rein die neue deutsche Naturwissenschaft, beteiligt sich also massgeblich am vorliegenden abendländischen Zusammenbruch made in Germany. [. . .] Aber nun ist er anscheinend ein Blunck der Paläontologie geworden – sehr bedauerlich! Eine Besonderheit der deutschen Konstitution ist der Schaum, [. . .] Bierschaum u. der Gärung von Ungeziefer.44
Einen weiteren Hintergrundaspekt indizieren die zwischen den Gedichtentwürfen in Notizbuch 8c notierten Namen und Dienstorte bekannter Berliner 41 SW, IV, S. 277f. 42 Ebd., IV, S. 300. 43 Zu Benns Nietzsche-Rezeption, deren Missverständnissen und der »Sündenbock«-Funktion Nietzsches für Benn vgl. Keith: »Die Welt als artistisches Phänomen«. 2000, Körber: Nietzsche nach 1945. Zu Werk und Biographie Friedrich Nietzsches in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. 2006, S. 76–84. 44 BOelze, I, S. 264. Im Brief gemeint ist offenbar Edgar Dacqué: Die Urgestalt – der Schöpfungsmythus neu erzählt. Leipzig: Insel 1940. Vgl. auch ders.: Urwelt, Sage und Menschheit. 1924. Zu Dacqués Anbiederung an den Nationalsozialismus vgl. Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, 2, S. 598–600, vgl. auch Anacker: Unaufhörliche Verwandlungen. 2007, S. 17.
Ergänzende Hinweise
297
und Münchener Neuro- und Hirnpathologen, zu denen Benn vermutlich im Zusammenhang seiner dienstlichen Auftragsarbeiten Über Selbstmord im Heer (Dezember 1940) und Fragen der ärztlichen Beurteilung [. . .] (Januar, Februar 1941) Kontakt hatte.45 Diese Studien erledigte Benn im von ihm als belastend empfundenen Umfeld des Bendlerblocks mit innerer Distanz. Der letzte Absatz des kurz vor den Monolog-Entwürfen fertiggestellten Artikels Über Selbstmord im Heer, wohl gezwungenermaßen parteikonform im Sinne der »heutigen Staatsbiologie« formuliert, über den »so bedeutungsvollen rassischen Gesichtspunkt« dürfte ihm trotz der schalkhaft eingestreuten ›Benn-Termini‹ nicht leicht gefallen sein.46 In diesem Sinne ist wohl auch die ebenfalls zwischen den Entwürfen in Notizbuch 8c zu findende, lapidare Notiz zu lesen: ». . es mag ja einmal ein Geschlecht kommen, das nur aus Rasse u Turnschuhen besteht, heute aber ist es noch nicht da . . .«47
45 SW, VII/1, S. 423–450. 46 Ebd., VII/2, S. 428f, 671f. Am 5. Dezember 1940 schreibt Benn an Oelze: »Manchmal um nicht völlig zu vertieren, mache ich mir den Witz, eine dienstliche Sache persönlich abzufassen. Werde Ihnen derartiges morgen senden. Mein Arbeitsgebiet ist u.a. Selbstmord in der Wehrmacht [. . .]«, BOelze, I, S. 253. Am 15. Dezember: »Vielleicht interessiert es Sie zu hören, dass er den grössten Eindruck gemacht hat u. den höchsten Generälen zugeleitet wurde: eine etwas originale u. nicht kommissige Ansicht!«, ebd., I, S. 255. Vgl. auch SW, VII/1, S. 423. 47 Nb 8c-a 1/2r 5–7, siehe S. 245.
Verlorenes Ich
Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
300
Notizbuch 9, 300 · D1 Verlorenes Ich, 318 · Druckvarianten, 320.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
321 324 324
300
Verlorenes Ich
[1.11–3 ] — Notizbuch 9 10v
301
Nb 9 10v
Cigaretten sind Monologe der Rauch ist ein Gedicht. Du siehst d[en ie] Tagdee ohne Nacht u Morgen die Jahre ohne Schnee u Frucht Flammen – die Ewigkeiten Glück die Strahlen Du sahst den Tod einer Ratte, der Liebe Reigen Die Welt als Flucht. Wo endest Du, wo lagerst Du, wo breiten Worte aus sich Deine Kreise die Stunden hin Gewinn Konten [Du Ein] Spiel von Bestien: Ewigkeiten, – an ihren Gittern spielst Du hin – schweig . . fliehst u steh . .
[1.11 ] : 3–14 Bl ←- → [1.4] [1.61,2 ] a 2 Ti ,→ [1.1 ] : 4, 13, 14 ←,→ [1.13 ] : 1, 2, 5 bBu → [1.4] [1.61 ] a [1.62 ] b
3
6
9
12
99K [2] 5–12 VerlIch 99K [2] 2 VerlIch
302
Verlorenes Ich
Nb 9 11r
3
6
9
In einer Stadt einst, wo [– ,] ich unzuhause[– ,] Die Abende oft auf ein Wasser sahn, ein Rosenwasser, in der Rosen-Pause vollzogen Schwäne ihren weissen Wahn. und Klänge oft, noch dämmernder, dann jäher, dem Nichts entstiegen u dem Nichts gesandt, – lass leiser klingen –, nur, wer näher, vernehme, was ich dort empfand.
×
4/5 VI. 43.
Notizbuch 9 11r
303
304
Verlorenes Ich
[1.21,2 ] — Notizbuch 9 11v
305
Nb 9 11v
die die Völkerschlacht u Katalaunen kranz ein Myrthenstrauss, ein Veilchenbeet
b Hina
3
:
b
hina
Bestienblick die Weltkaldaune der Pumablick, der Kaldaunen ht e edre g härt h an der die kleine Welt vergeht: durc alle n die Welt verwechselt steht. e ch end Kno ech r e b i verwirrt, verwechselt d e rüch verworfen u verdreht enb h c no als K
[1.21 ] : 1–4, 6–11 Ti ←- → [1.5] [1.61 ] b ,→ [1.22 ] : 5, 8, 10–12 Bl → [1.4] [1.5]
6
9
12
99K [2] 13–16 VerlIch 99K [2] 16 VerlIch
306
Verlorenes Ich
Nb 9 12r
3
6
9
12
Als alle sich zu einer Mitte neigten u auch die Denker nur den Gott gedacht, u sich verzweigten den mit Hirten u dem Lamm wenn von dem Kelch das Blut sie rei[n ch] gemacht – u alle rannen aus der einen Wunde brachen das Brod, [d w] as Jeglicher genoss, [u o] h ferne zwingende erfüllte Stunde der Sternetross –. das Ende der Schächer auch die einst verlorenes Ich mit [ein um] schloss. —
[1.3] : 1–13 bBu → [2]
99K [2] 25–32 VerlIch
[1.3] — Notizbuch 9 12r
307
308
Verlorenes Ich
[1.4] — Notizbuch 9 12v
309
Nb 9 12v
Hinab hinab – nicht Nacht nicht Morgen – Nicht wieder? Impresario? Du möchtest Dir ein Stichwort borgen – Doch wo? Wo keine Grenzen, keine Zeiten, Wo eine nur Dich nicht betrog, u eins nur, das Dich Funktionen von u Unendlichkeiten nicht betrog: [Ein Als] Monolog
[1.11 ] [1.22 ] → [1.4] : 1–8 bBu → [1.6] a,b
3
6
99K [2] 17–24 VerlIch
310
Verlorenes Ich
Nb 9 13r
3
Welt Sterne Der Bestienblick: Die Erde als Kaldaunen Grund Weltidentität, Ob Völkerschlachten, Katalaunen Bestienschlund – Ob Myrthenstrauss u Veilchenbeet –, Aus alter Fenster Blumenfarben rde Steigt noch die ganze alte Pracht. Die E u Seelige Herzen, wo sie starben, hart lstill Aus alter Ordnung enkelstill enke
[Der Aus] 6
9
12
Knochenbruch [der als]
[1.21,2 ] → [1.5] : 1–8 bBu → [1.61 ] b
99K [2] 13–16 VerlIch
[1.5] — Notizbuch 9 13r
311
312
Verlorenes Ich
[1.61,2 ] a — Notizbuch 9 13v
313
Nb 9 13v
Verlorenes Gespaltenes Ich – zersprengt von Stratosphären, Opfer des Ion –: Gamma-Strahlen-Lamm –, Teilchen u Feld –: Unendlichkeitschimären am dem neuen Auf Deinem grauen Stein von Nôtre Dame – gehn Dir Du siehst die Tage ohne Nacht und Morgen, Du siehst die Jahre ohne Schnee u Frucht drohen Unendlichkeiten leihen u. borgen – Die Welt als Flucht. Verlorenes Gespaltenes Ich – wo lagerst Du, wo breiten Sphären Sich Deine Kreise an, Verlust – Gewinn –? Ein Spiel von Bestien: Ewigkeiten an ihren Gittern fliehst Du hin Da jagen Dich die Götter hin
[1.11,3 ] [1.4] → [1.61 ] a : 2–4, 6, . . ., 18 Ti ←- → [2] ,→ [1.62 ] a : 1, 5, 7, . . ., 18 Bl → [2]
3
6
9
12
15
18
99K [2] Titel, 1–12 VerlIch 99K [2] Titel, 1, 4–5, 7, 10, 12 VerlIch
314
Verlorenes Ich
Nb 9 14r
3
Mensch 6
9
12
15
der Bestienblick: die Welt als Kaldaunen, Der Dschungeltod Hinab hinab als Seins- u Schöpfungsgrund Ich, Völkerschlachten, Katalaunen Hinab den Bestienschlund. Des [alten Alten] Glück nun Hinab, hinab: der Raum, die Zeiten nahm hinab – finaler Monolog. Aus dem die Menschheit trug u wog nur wob Funktion Du von Unendlichkeiten – Die Mythe [l tr] og Woher, wohin – nicht Nacht, nicht Morgen kein Evoe, kein Requiem Du möchtest Dir ein Stichwort borgen – allein bei wem?
[1.11,3 ] [1.4] → [1.61 ] b : 1, 3–5, . . ., 15 Ti ←- → [2] [1.13 ] → ,→ [1.62 ] b : 2, 4, 6–9 Bl → [2]
99K [2] 13–24 VerlIch 99K [2] 1, 4–5, 7, 10, 12 VerlIch
[1.61,2 ] b — Notizbuch 9 14r
315
316
Verlorenes Ich
[1.7] — Notizbuch 9 14v
317
Nb 9 14v
1 Verlorenes Ich 2 Wenn etwas leicht 3 Gärten u Nächte 4 In einer Stadt 5 Nachzeichnung 6 Monolog 7 Asphodelen 8 Welle der Nacht Du trägst Ein Wort Die Gefährten Ein später Blick Mittelmeerisch
[1.7] : 1 Bl
Alle die Gräber Ist das nicht schwerer
3
Interieur Unanwendbar
6
Bilder Gedichte
9
Verse Abschied 12
99K [2] Titel VerlIch
318
Verlorenes Ich
D1 Verlorenes Ich Verlorenes Ich
3
6
9
12
15
18
21
24
27
Verlorenes Ich, zersprengt von Stratosphären, Opfer des Ion –: Gamma-Strahlen-Lamm –, Teilchen und Feld –: Unendlichkeitschimären auf deinem grauen Stein von Notre-Dame. Die Tage geh’n dir ohne Nacht und Morgen, die Jahre halten ohne Schnee und Frucht bedrohend das Unendliche verborgen –, die Welt als Flucht. Wo endest du, wo lagerst du, wo breiten sich deine Sphären an –, Verlust, Gewinn –: Ein Spiel von Bestien: Ewigkeiten, an ihren Gittern fliehst du hin. Der Bestienblick: die Sterne als Kaldaunen, der Dschungeltod als Seins- und Schöpfungsgrund, Mensch, Völkerschlachten, Katalaunen hinab den Bestienschlund. Die Welt zerdacht. Und Raum und Zeiten und was die Menschheit wob und wog, Funktion nur von Unendlichkeiten –, die Mythe log. Woher, wohin –, nicht Nacht, nicht Morgen, kein Evoë, kein Requiem, du möchtest dir ein Stichwort borgen –, allein bei wem? Ach, als sich alle einer Mitte neigten und auch die Denker nur den Gott gedacht, sie sich den Hirten und dem Lamm verzweigten, wenn aus dem Kelch das Blut sie rein gemacht,
[2] — D1 Verlorenes Ich
und alle rannen aus einer Wunde, brachen das Brot, das jeglicher genoß –, oh ferne zwingende erfüllte Stunde, die einst auch das verlor’ne Ich umschloß.
[1.3] [1.61,2 ] a,b → [2] : 1–32 VerlIch
319
30
320
Verlorenes Ich
Druckvarianten Druck- und Typoskriptvarianten zu D1 Verlorenes Ich 2 5 7 10 11 19
21 23 29 30
32
D5 D5 D5 D5 D5 TH3 D5 D5 D5 D2 – D5 TH1 TH2 D5 TH1 TH2 D5
Opfer des Ion –: Gamma-Strahlen-Lamm – Die Tage gehn dir ohne Nacht und Morgen, bedrohend das Unendliche verborgen – sich deine Sphären an – Verlust, Gewinn –: ein Spiel von Bestien: Ewigkeiten, Funtkion nur von Unendlichkeiten – hs. korr. zu »Funktion« Funktion nur von Unendlichkeiten – Woher, wohin – nicht Nacht, nicht Morgen, du möchtest dir ein Stichwort borgen – und alle rannen aus der einen Wunde, brachen das Brot, das jeglicher genoss –, brachen das Brot, das jeglicher genoss –, brachen das Brot, das jeglicher genoß – die einst auch das verlor’ne Ich umschloss. die einst auch das verlor’ne Ich umschloss. die einst auch das verlorne Ich umschloß.
Überlieferung und Chronologie
321
Überlieferung und Chronologie Nb 9 [1] Notizbuch 9. DLA, Bestand Benn (im Archiv als »Arbeitsheft 9«); Notizbuch (150 × 110 mm, mit Schmuckkordel geheftet). Verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe (Bunt- und Bleistifte, Tinte). Paginierung von unbekannter Hand mit Bleistift. Anhand verstreuter Datierungen kann der Gebrauch von Nb 9 mit Vorsicht auf Juni bis Anfang August 1943 eingegrenzt werden. Benn verwendete das Notizbuch ausschließlich für literarische Arbeiten, Prosa wie Lyrik, darunter Gedichte, In einer Stadt, und weitere.1 Editorisch wiedergegeben wird der Abschnitt 10v bis 14v mit Entwürfen zu Verlorenes Ich und einem fast vollständigen Kompositionsplan zur Sammlung Zweiundzwanzig Gedichte. [1] Nb 9 [1.11 ] 10v 3–14Bl ↓ [1.4] [1.61,2 ]
301 99K [2] 5–12 VerlIch
a
Um den 4./5. Juni 1943. 2 [1.1 ] 10v 4, 13, 14Ti
301 305
[1.21 ] 11v 1–4, 6–11Ti ↓ [1.5] [1.61 ] b 11v 5, 8, 10–12Bl
99K [2] 13-16 VerlIch
[1.22 ]
305 99K [2] 16 VerlIch
↓ [1.4] [1.5]
[1.13 ] 10v 1, 2, 5bBu
301
↓ [1.4] [1.61 ] a [1.62 ] b
99K [2] 2 VerlIch
[1.3] 12r 1–13bBu
306 99K [2] 25–32 VerlIch
↓ [2]
[1.4] 12v 1–8bBu ↓ [1.61 ]
a,b
309
↑ [1.11 ] [1.22 ]
99K [2] 17–24 VerlIch
[1.5] 13r 1–8bBu ↓ [1.61 ]
b
310
↑ [1.21,2 ]
99K [2] 13–16 VerlIch
[1.61 ] a,b a: 13v 2–4, 6, . . ., 18 Ti , b: 14r 1, 3–5, . . ., 15Ti ↓ [1.62 ] a,b [2] ↑ [1.11–3 ] [1.22 ] [1.4] [1.5] 2 [1.6 ] a,b a: 13v 1, 5, 7 . . ., 18Bl , b: 14r 2, ↓ [2] ↑ [1.13 ] [1.61 ] a,b
4,
313, 314
99K [2] Titel, 1–24 VerlIch 6–9 Bl 313,
314
99K [2] Titel, 1, 4–5, 7, 10, 12, 14, 15, 18–19 VerlIch
[1.7] 14v 1Bl
317 99K [2] Titel VerlIch
1
Vgl. SW, I, S. 450–454, II, S. 249f, siehe S. 302.
322
Verlorenes Ich
D1 VerlIch [2] Verlorenes Ich. In: Zweiundzwanzig Gedichte (1936-1943). Privatdruck August 1943, S. 5-6. [2] D1 VerlIch
318 – 319
↑ [1.3] [1.61,2 ] a,b
TH1 VerlIch [3] TH1 VerlIch (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript zu Verlorenes Ich (210 × 295 mm, Schreibmaschinenpapier). Das Blatt befindet sich in einem hs. korrigierten Typoskript-/Durchschlag-Konvolut Statische Gedichte, das im Januar 1946 im Rahmen der Planung für die Henssel-Ausgabe geheftet wurde.2 In Notizbuch 11, 5r notiert Benn »22. I. 46. Manuscript ›Stat. Gedichte‹ an Henssel.« [3] TH1 VerlIch 1 rr 1–33Ma
320
TH2 VerlIch [4] TH2 VerlIch (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript zu Verlorenes Ich (210 × 295 mm, Schreibmaschinenpapier). Die Blätter befinden sich im Typoskript der Statischen Gedichte vom September 1946.3 Recto beschrieben, Schreibmaschine, Bleistift. [4] TH2 VerlIch 1 rr 1–33Ma
320
D2 VerlIch [5] D2 VerlIch In: Statische Gedichte. Privatdruck. Berlin April 1946, S. 36–37. Das Exemplar für Ilse Benn (DLA, Bestand Benn) wurde 2. Mai 1946 gewidmet mit den Worten: »In 5 Exemplaren als Privatdruck hergestellt, da öffentliches Erscheinen verboten.« [5] D2 VerlIch
320
D3 VerlIch [6] D3 VerlIch In: Statische Gedichte. Zürich: Arche September 1948, S. 48-49. [6] D3 VerlIch
320
DrF1 VerlIch (DLA, Bestand Benn); Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Der angedruckte Text Verlorenes Ich ist 2 Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 66. Ebd. »Typoskript der geplanten Ausgabe« tIII . 3 Vgl. ebd., S. 75ff.
Überlieferung und Chronologie
323
textidentisch mit D3 Verlich und wurde in diesem Exemplar nicht hs. geändert. Hs. von Benn auf 15.5.1948 datiert. DrF2 VerlIch (DLA, Bestand Benn); Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Der angedruckte Text Verlorenes Ich ist textidentisch mit D3 Verlich und wurde in diesem Exemplar nicht hs. geändert. Nicht signiert, o.D.
D4 VerlIch [7] D4 VerlIch In: Statische Gedichte. Ein Buch der Arche im Limes Verlag. Wiesbaden: Limes März 1949, S. 47-47. [7] D4 VerlIch
320
D5 VerlIch [8] D5 VerlIch In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956, S. 229–230. [8] D5 VerlIch
320
Weitere Drucke VerlIch In: Ergriffenes Dasein. Deutsche Lyrik 1900-1950. Hrsg. v. H.-E. Holthusen und F. Kemp. Ebenhausen: Langewiesche-Brandt 1953, S. 197f. VerlIch In: Statische Gedichte. 4. Aufl. Wiesbaden, Zürich: Limes 1954, S. 46-47. (Die 4. Aufl. wurde neu gesetzt und enthielt 72 statt 80 S.) VerlIch In: Transit. Lyrikbuch der Jahrhundertmitte. Hrsg. v. W. Höllerer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1956, S. 196f.
324
Verlorenes Ich
Entstehung und Druckgeschichte Das Gedicht Verlorenes Ich entstand im Zeitraum Juni bis Anfang August 1943 in Berlin. Die frühen Entstehungsstufen vom Juni 1943 sind in Notizbuch 9 überliefert. Direkt auf der Notizbuch-Folgeseite 14v findet sich der erste bekannte Kompositionsplan für die Zweiundzwanzig Gedichte, auf dem Verlorenes Ich bereits mit Titel eingesetzt ist.4 Im ausschließlich für literarische Arbeiten verwendeten Nb 9 sind für alle Strophen des Gedichts Entwürfe überliefert, eine zusammenhängenden Reinschrift gibt es innerhalb des Notizbuchs nicht. Zwischen den Entwürfen zu Verlorenes Ich in Nb 9 findet sich eine reinschriftliche Niederschrift des Gedichts In einer Stadt.5 Da nach den Entwürfen in Nb 9 keine Reinschrift überliefert ist, stellt der Erstdruck von Verlorenes Ich in der privat verbreiteten Sammlung Zweiundzwanzig Gedichte vom August 1943 die früheste vollständige Fassung dar.6 Am 7. August 1943 kündigt Benn seinem Briefpartner, gleichzeitig mit der Verlegung seiner Dienststelle nach Landsberg a.d. Warthe, die Vorbereitung des Privatdrucks der Zweiundzwanzig Gedichte7 in Verbindung mit dem »Lector u. liter. Agent« Friedrich Vorwerk an.8 Vermutlich um den 13. Oktober verschickt Benn die Exemplare der Sammlung an »kaum ein[] halbe[s] Dutzend« Empfänger, unter ihnen Oelze und Erwin Goelz (alias Frank Maraun).9 Verlorenes Ich fand Aufnahme in den Sammlungen Statische Gedichte und Gesammelte Gedichte. Der Text ist in allen Zusammenstellungen der Statischen Gedichte bis hin zu den Drucken enthalten und wird in den Gesammelten Gedichten erneut abgedruckt. Der Text wurde von Benn wiederholt im Radio und auf Lesungen vorgetragen.
Ergänzende Hinweise Die ersten drei Verse weisen – neben dem offenen Zitat des expressionistischen Gedichts Kokain10 – verdichtete Stichwortbezüge zum Essay Physik 1943 auf: [. . .] Institute, Laboratorien, Meerschweinchen- und Rattenfarmen über die ganze Ökumene, Mäuse im Bombardement von Kleinstkörperstrahlen, Lurche, denen man die Gene buchstäblich zerschießt –, [. . .] 4 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 50. Siehe S. 317. 5 SW, II, S. 74. Ebenfalls in Nb 9, auf den vorangehenden Seiten ein Vorentwurf zu In einer Stadt, vgl. ebd., II, S. 249f. 6 D1 Verlich, siehe S. 318–319. 7 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, H1 , E1 . 8 BOelze, I, S. 340. 9 An Oelze mit der Widmung »Der Excellenz im Calridge aus einer östlichen Kaserne. 13/X 43 G.B.«. Ebd., I, S. 345, 462. 10 Vgl. »Gespaltenes Ich – zersprengt von Stratosphären«, Nb 9 13v 2, siehe S. 313, »Zersprengtes Ich – o aufgetrunkene Schwäre –«, SW, I, S. 45, Z. 13.
Ergänzende Hinweise
325
[. . .] Die Gamma- und die radioaktiven Strahlen bewirken die künstliche Atomumwandlung [. . .] es durchschießen den Menschen hundert Millionen von ihnen pro Tag; an Herkunft sind sie unerfahrbar, vermutlich stammen sie aus sagenhaften Fernen neu entspringender Sterne [. . .] [. . .] In gasdicht abgeschlossenen Gefäßen von Form und Größe einer Konservenbüchse beobachtet man die Explosion von Gestirnen und die Feldstärke von mit menschlichen Zahlenordnungen gar nicht mehr ausdrückbaren Massen der Novasysteme. Im Ballonkorb, durch die Stratosphäre geschleift, mit einer Kapsel von Apfelsinengröße erzeugt man und mißt man die von – vor 10 Jahren noch völlig unbekannten – Strahlen ausgelöste Ionenlawine. Die Materialisierung der Strahlung und die Zerstrahlung der Materie. [. . .] [. . .] Einst war wohl Gott Schöpfer der Welten, und zweifellos gibt es Älteres als Blut, aber seit einiger Zeit treiben die Gehirne die Erde weiter und die Entwicklung der Welt nimmt ihren Weg durch die menschlichen Begriffe, und offenbar ist es zur Zeit ihr Haupt- und Lieblingsweg. Demnach antworteten die Tiere des Waldes tatsächlich mit der Hegelschen Apotheose, daß Gott in der Natur seinen Leib und und im Menschen sein Selbstbewußtsein habe und daß der Gedanke die zweite Welt bedeute, die Überwelt, die Formelwelt einer sich bewußt werdenden, vorher dumpfen und gebundenen, aber unstillbar sich verwandelnden Bewegung?11
Nb 9 13v , 14r wurde unter anderem bei der den Kontext der literarischen Rezeption der Atomphysik erhellenden Ausstellung Strahlungen, Atom und Literatur gezeigt.12 Die Rezeption von Verlorenes Ich ist bis heute bestimmt von Debatten zu Benns Rezeption der technisierten Moderne im Gedicht einerseits und der Rolle der christlich-religiösen Motivik als deren Antagonist andererseits.13 11 Ebd., IV, S. 307–309, vgl. Nb 9 13v 1–4, siehe S. 313. 12 Vgl. Helga Raulff u. a. (Hrsg.): Strahlungen. Atom und Literatur. Marbach a. N.: Deutsche Schillergesellschaft 2008 (= Marbacher Magazin 123/124), vgl. auch zum Zusammenhang der ersten Nennungen der »Phase II« in Notizbuch 14k mit der »Superprosa«, der »Enola Gay« »B 29 Superfestung« Holger Hof: Aprèslude oder »Der Frau gehört die Welt«. Letzte Ergebnisse des Schwarzen Heftes. In: Elena Agazzi u. a. (Hrsg.): Der späte Benn. Poesie und Kritik in den 50er Jahren. Heidelberg: Winter 2012, S. 95–116, hier S. 99, Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006, S. 67f. 13 Auffallend ist einerseits die lebendige Rezeption in religiös geprägten Periodika. Ein interessantes Beispiel ist sicherlich Bernd Urban: An der Klosterpforte. Spuren der Thomas von AquinRezeption bei Benn. In: Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik 6 (2009), S. 271–298, hier S. 285, weitere vgl. Christian M. Hanna: Gottfried Benn Bibliographie. Sekundärliteratur 1957–2003. Berlin et al.: de Gruyter 2006, ausgehend von S. 251. Benn fiel bereits in einem Oelze-Brief vom 2. November 1949 die mit der religiösen Rezeption einhergehende Emendationspolitik auf: »Bemerkenswert eine Kleinigkeit: diese frommen Christen erlauben sich eine kleine Korrektur in dem Gedicht ›Verlorenes Ich‹, indem sie im vorletzten Vers, 2. Reihe statt ›den Gott‹ setzen: ›an Gott‹, was den Charakter des Verses stark verändert. Amüsant und rührend!«, BOelze, II.1, S. 261 (die im Brief erwähnte Rezension in einem »evang. Sonntagsblatt aus der Pfalz«, ebd., II.1, S. 261, konnte nicht ermittelt werden). Für eine sehr präzise Rekonstruktion der »paradoxen Theologie« des Gedichts vgl. Jochen Hörisch: »Die Mitte, der sich alle neigten«. Gottfried Benns Gedicht »Verlorenes Ich«. In: Andreas Böhn u. a.
326
Verlorenes Ich
(Hrsg.): Lyrik im historischen Kontext. Festschrift für Reiner Wild. Würzburg: Königshausen und Neumann 2009, S. 327–332, hier S. 330. Hier ist auch erfreulicherweise bereits angemerkt, dass sich das Gedicht Verlorenes Ich aus zeitlichen Gründen nicht auf Sedlmayr beziehen kann, nämlich Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit. Salzburg, Wien: Otto Müller Verlag 1948. Diesen irrigen Schluss legt Kiesel nahe, vgl. Helmuth Kiesel: Gottfried Benns Probleme mit dem »Herrn [Sedlmayr] von der Mitte«. In: Peter Uwe Hohendahl u. a. (Hrsg.): Perspektiven konservativen Denkens. Bern et al.: Langen 2012 (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. N.F. 26), S. 179–194, hier S. 180. Zur »Heterogenität« als »formale[m] Ausdruck der Entfremdungserfahrung« und zu den daraus folgenden multiplen möglichen »Lesarten« der Verlorenheit des Ich und der religiösen Bezüge, vgl. Mark W. Roche: Mehrdeutigkeit in Benns Gedicht »Verlorenes Ich«. In: Benn Jahrbuch 1 (2003), S. 135–156, S. 136, 147f.
1886 St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
328
Notizbuch 7c, 328 · TH1 1886, 462 · TH1 St. Petersburg, 466 · TH2 St. Petersburg, 478 · TH3 St. Petersburg, 492 · TH2 1886, 502 · TH4 St. Petersburg, 510 · TH3 1886, 514 · D1 St. Petersburg, 518 · D1 1886, 522 · D2 St. Petersburg, 526 · TH4 1886, 530 · TH5 1886, 538 · D2 1886, 542 · Druckvarianten, 545.
Überlieferung und Chronologie . . . . . Dokumentation der verwendeten Quellen Entstehung und Druckgeschichte . . . . Zur Konstitution des Entwurfkomplexes . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
546 557 566 575 582
328
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 6v
329
Nb 7c 6v
dire un couplet – Fanny Elsner tanzte die Caccucha tanzte mehr mit Kopf u Oberkörper, mit runden welligen Bewegungen der Arme – die Balletttänzerinnen tanzen mit den Beinen.
3
– Forza del Destino –
6
die verlustreichsten Schlachten Zorndorf 30,2 % Bellealliance 31,7 % Sedan 3,8 % Königgrätz 4,02 %
Richter DR Bd 71
9
330
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
2
1
e in ine b em e Sc stia hi lis ld ch – e
er
Od
fe
au
nf ra
on go le
M
tz e
Notizbuch 7c 6v 331
Nb 7c 6av
332
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 7r
3
6
9
12
15
18
21
Was das Wesen des Menschen ist, erkennt man erst im letzten Augenblick, wenn der plattnasige, lippenwulstige Kalmück sein Gewehr, der verblöde[n a] usgeDich stopfte “ seinen Kolt auf einen richtet u berührung die rohe Raumum fahrung Dich mit letztem gewalt zurückliegenden Griff berührt. Die letzten 4000 oder 9000 Jahre sogen Menschheit u Humanitas u die Krone der Schöpfung ist der Tiger, mördergr[au ün] er Blick u. stinkendes Gebiss. Die sinkst um, – die Scharniere brechen – Schwindet der Glanz, der gewisse, Nächte [D d] urchleidende Geselle, der unbestimmte Traum. Dort steht der Tiger u. sichtet Deine Schwäche. Ein grosskalibriger Kolt, eine panzerbrechende Waffe u Du wärst ihm über – mit Deinen Schmücken u. Bildern nie. Dein Reich war nicht von dieser Welt – also Doch wie ertr hatte aus
Notizbuch 7c 7r
333
334
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.1] — Notizbuch 7c 7v
335
Nb 7c 7v
Weltausstellungen: 1862 London 67 Paris 73 Wien August, der Monat der Montblancbesteigungen Die Lick-Sternwarte bei St Franzisko in der Sierra Nevada Vergrösserung 3000 Fernrohr mit 36 Zoll Öffnung Die Leprastation der Hawai Inseln: auf der Insel Molokai die Halbinsel Kalaupapa Lass uns landen in der Bucht von Wurzeln Kealakekua Awa trinken Königs Vollnarcose unter dem Geschlecht der Kamehameha
3
6
9
12
15
Königin Liliuokalani
[1.1] : 4 Bl → [1.6]
99K [10] 25–26 1886
336
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 8r
3
6
hawaische Federmäntel u Federhelme kleine gelbe Federn auf Bastgeflecht. 2 Vögel: schwarz mit je 1 gelben Feder unter dem Flügel u der Honigsauger mit 2 gelben Federn am Schwanz, im Aussterben Seebad Waikiki Calabasse – Holzgefässe
9
12
Kanaken tauchen Netze ausspannen mit Messern Haifische töten Hühner u Beeren in den Krater werfend, opfern Maquaniqua, Königin von Mashonaland
[1.2] : 1–6 Bl → [1.4]
99K [10] 94–98 1886
[1.2] — Notizbuch 7c 8r
337
338
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.3] — Notizbuch 7c 8v
339
Nb 7c 8v
ver
„die Christen vor die Löwen“ Königsmäntel, Leichenhemden Der Aether bringt ein Programm ete wend über den Wadenkrampf u Fremdkörperentfernung was aus den Wolken herniederhängt ein anderer Tag als der Tag dieser Häuser u dieser kleinen Gärten ist überirdisch, ein anderer Tag zugeteilter Mangel als dieser Häuser Raum t! ros Get u Güter Notbestand mehr Alter Übersicht mehr Weltbehang uraltes Schleierlicht
3
6
9
12
15
zwar augenlos, tiefere Raumbewegung
[1.3] : 2–6 Bl → [1.4] [21 ] c
99K [10] 88–89, 96 1886
340
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 9r
Seltsamkeiten –
3
6
9
12
15
u doch der Vogel für die königlichen Federmäntel von Hawai, der Honigsauger, schwarz, der mit 1 gelben Feder unter dem Flügel, u im Aussterben – ! Trost – ! hernieder u aus den Wolken hängt ein überirdisch anderer Tag mehr Weltbehang, uraltes Schleierlicht – Getrost! Gewölk u Wogen her – Kein zugeteilter Raum kein Notbestand
[1.2] [1.3] → [1.4] : 1–8 Bl → [21 ]
99K [10] 45–49 1886
[1.4] — Notizbuch 7c 9r
341
342
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 9v
343
Nb 7c 9v
u auch nachsommers die Blumen über die Hügel rinnen
6
s rdi To y is Da e yc Jo di n Rä na e Ver
9
12
len fal r e uz en ern t u bl plitt n s e zer täub s r ze dt Sta e s lt die ist er We bel u z e Wo in d on N h sc hr u U lau 3 hb c i we
3
344
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 10r
Das Jahr ist zu Ende, die Erde kleinen Gärten, deren Werden u Vergehn wir erstarrt hart. mit ansahn, sind ist gefroren. Einige Rosen blühn hinter den Zäunen noch in dem harten Boden, die Erdbeerbeete sind mit Dung bedeckt, [die das] Wasser in den Weinffässern ist gefroren, in einem wird noch gegraben, in einem werden die BaumStämme mit aus einer Kanne mit einer Lösung bespritzt, die scharf riecht. Die Leute, fast alles alte, beeinsehr ein schmales flusst die Kälte. Sie haben schmale Gesichter, ihre hochgezogene Schultern, sind hochgezogen, sie senken die Köpfe, als ob dann weniger Frost hereinkönnte. Schwarzblaue, Die Erde mit Schwarzblau geweiss gerbt, die Sträucher grau u knochig wie abgegessenes Gänseklein. [St R] eifstellen [auf an] Büschel u verstecken die Gräser. Frühe Abende; ungeheuer schattenvolle schon die ersten Wintertagesstunden [die Der]
3
6
9
12
15
18
21
24
Notizbuch 7c 10r
345
346
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 10v
347
Nb 7c 10v
Adelina Patti, Italienerin, Schwager Moriz Strakosch. Ihre Truppe: Carrion, Mario, Calzolari Später Marquise des Caux, dann Tenor Niccolini – Desirée Artôt, später de Padilla. Belgierin „Mâchoire de Cheval“. Sehr gebildet, empfiehlt Hanslick Turgeniew. Solotänzerin Katinka Friedberg (Deutsch-Russin) später Gräfin von Westphalen, Penthesileatyp. Keine Koloratur des Tanzes Marie Wilt, ältere korpulente Dame im „Alexanderfest“, Cäcilien-Ode, „Deutsches Requiem“ sonnenbeschienenes Eis Selbstmord wegen jungem Manne
3
6
9
12
15
348
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 11r
die russische = die cyrillische Schrift
3
6
9
da schwebte sie heran in einer Wolke von Spitzen u. Mousseline des Indes, jugendglänzend u mit Augen von verschiedener Farbe – „Landsquire“ Junker „Rast dieses Volk, dass es dem Mord Musik macht?“ wo wir um die Giebel schlichen u die Blumen rochen wild
Notizbuch 7c 11r
349
350
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 11v
351
Nb 7c 11v
Patti Wilt Artôt Meyerbeer Rossini Aˇ uber Berlioz Delibes Gounod
9
Madame Plessy am Theatre francais spielt in der Tuilerien vor Eugenie u Louis IV rvalho
Mad Ca
en ckt n e d be ante n rill : e i d in nB s o s v o ckt ase uR Fra dlern bede , eA utt ein r Sch e r üb ig nu ria off händ men h l -i se r m tim chu vie e, sem u S eren r, bes nfolg er de auf s i n n e o i s i ë i T e v en 12 t-sa prov Kla akt u ann nder en n i d u A T im am Sa tra Ver nd ge fol 15
18
3
6
352
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 12r
3
6
9
r nd se gend ode s a l d n s rä ren hne e au or ückd füh ch o mbl en v m e r e n ih r zu r irr jedo Ens sam a e r u od einb me rem ng z h i m h sc rt, i e in inkla . h k tc E efü Lüc lem 78 e g e e l irr inst tvo 69 – c k e l /2 lha e i k 8 ff e M 26 die r in e ter e . h d on ic e d nv td wi ffen x o Te gn tre Mi as ein e s i d u om ris , ch rte e Th 7 Pa nd a e i e b s 6 r i e n r e 18 kr ro wi Off er rié Amb v a s i-M ind al e all èn toi s sser G c -s ls rö die -en la To ch g n e s Zo bru man Mi die bsen lden upt I Wi Ha 12
15
Notizbuch 7c 12r
353
354
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.5] — Notizbuch 7c 12v
355
Nb 7c 12v
Kops: ja, ich habe nie ein Buch von Nietzsche in Händen gehabt, allein diese Sentenzen von ihm sehr häufig u viel gelesen. Lohnt es sich, sich um 1 Buch zu bemühn? Ich Walter lese gerade v. Hollander ein Lebensbuch – viel giebt:. über Lebensschwierigkeiten, das mir sehr erlesen ist . . . sich Wem W v Hollander giebt, wird besser kein Buch v N bemühn hte
c edi eG
h
tisc Sta 12
[1.5] : 12 Bl Titel der Sammlung Statische Gedichte.
3
6
9
356
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 13r
3
t“ ina
Fe rra di ra– e R Be l zu uhe rigu r Z vo ar d e be it d n W o vo er eim St r Leo tiefe ar au b no n B wa de re i lick e ge s R m en ns eise tsc hw an 9 d
6
e ass elt sm l’ass W i t o r er pa esp nd „D peré o v x. tem ste phin h lic r S nd l de ä t rs se Ve Rät s da das ist
di es e as Ro i se au verl hre im i go f ein ert Blät te Ti lde em – r sc ne h n 24
18
Gl
15
das Cinquecento (vor dem 30jährigen Krieg u vor der Reformation) = 1900–1933 „ein Mann ein Schiff“ Kamikaze = Götterwind der Geist des Taiatari (japan) = Selbstaufopferung Mazikazi 21
12
Notizbuch 7c 13r
357
358
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 13v
359
Nb 7c 13v
Allegro – Pensoroso Heiter – Nachdenklich „Es trübt mein Aug[es e] sich in Glück u Licht“ (Tasso)
3
„un chercheur“ die Kunst macht den transcendentalen Gesichtspunkt zum Allgemeinen – (Dilthey – Fichte) Plato – Schelling Die Idee Lehre vom + ästhetischen Charakter des Weltzusammenhangs
6
9
360
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 14r
3
6
9
12
Gen d A F unternahm nach der Verabschiedung eine Indienreise. Eine sehr fesselnde Fahrt. “Palace-car“ (Luxuswagen) Altwien bei den „Schrammeln“ u den „Grinzingern“ – die Volksvirtuosen auf der „Winsel“ u dem “picksüssen Hölzl“ (Geige u Clarinette), wird in die Hände gepatscht „Blut macht verletztes Leben kenntlich“ humoristischer Zeichner: Er begann mit 1 Hutrand u endete mit einem Zwillingspaar „was daraus wird“.
Notizbuch 7c 14r
361
362
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.6] — Notizbuch 7c 14v
363
Nb 7c 14v
1886 in diesem August – als Güssfeld den Montblank über den Grand Mulet bestieg zum 1 Mal
3
– vom 16 – 23 XII ein so ungeheurer Schneefall jeder Bahnverkehr eintrat, dass alle Eisenbahnen Nord- u Mitteldeutschlands für längere Zeit zum Stehen kamen Lord Dufferin Viceking v Indien Erliegen kam eröffnet das weite Tal des Irawaddy dem England erobert Mandalai (Birma) Welthandel die Russen vertreiben den Fürsten Alexander aus Bulgarien Geburtsjahr Furtwänglers, Kokoschkas Madagaskar kommt an Frankreich
[1.1] → [1.6] : 1–15 Bl → [21 ] a,d
6
9
12
15
99K [10] 3–6, 18–22, 25–27 1886
364
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 15r
T: 3350
3
6
9
12
15
[1.7] : 5–6 Bl → [21 ] a
Arthur Chuquet erlangt die Doktorwürde in der Sorbonne mit einer Abhandlung über Ewald von Kleist lateinisch geschriebenen Der Deutsche Radfahrerbund zählte 15 000 Mitglieder An Büchern hatten Aufsehn erregt eine Serie von Briefen aus den Hauptstädten, beginnend mit „La société de Berlin“, das La S de Vienne u de Londres folgten, anscheinend eine Art Rumpelstilzchen üblen Gedankens – Gesellschaftsklatsch, Soziales Politik Schlösseranekdoten, Polit anekdot Geheimnis Season – Manor = Rittergut
99K [10] 23–24 1886
[1.7] — Notizbuch 7c 15r
365
366
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.8] [1.9] — Notizbuch 7c 15v
367
Nb 7c 15v
bes tief r st e d on r Bru s e e t b n it fah ie m
d die Barsois aus dem Perchinozwinger im Gouvernement Tula, die Wolfsjäger neben den schwarzen Orloff Trabern Schneider-Creuzot, Armstrong, Putiloff – Skoda – Krupp – eine riesige Fuchsdecke auf den Knien, heisse Backsteine an den Füssen
3
6
9
Asmodey erhält die goldene Medaille
[1.8] : 6–7 Bl → [21 ] d [1.9] : 1–5, 10 Bl → [21 ] a
99K [10] 85 1886 99K [10] 26–31, 33 1886
368
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 16r
3
6
9
darunter an breiten Lederriemen zusammengekoppelt ein Rüde u eine Hündin. die Zwora dazwischen die niedrigen Bracken. Wolfsjagd, schliesslich endet es unter dem schweren Bleiknopf einer Bauernknute Turgeniew – eines der 25 Haupttalente des 19 J, wobei ich als Marschalltalente allerdings etwa [8 6] andere ansehe | Tolstoi Balzac, Flaubert, Dostojewsky,
Notizbuch 7c 16r
369
370
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.10] — Notizbuch 7c 16v
371
Nb 7c 16v
Salamb[— o] ist verfehlt Nietzsche unsystematisch
Stadtbibliothek Turgenjew: wann † Besonders Nietzsche – Dühring, Hartmann ?
[1.10] : 1–3 Bl → [21 ] c
3
6
99K [10] 72 1886
372
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 17r
Rios Hauptstrasse Auf der „Avenida“ das lilafarbene Traubeneis essen u manchen Café zinho trinken –
3
6
e ac ef l l o Ga tel mb el o o l H Co Hot in oria io Gl in R
„En fermant les yeux, je vois une maisonette blanche — 12
Das äussere Leben wandelt sich, das innere kaum. Das eigene bescheidene u so beschränkte Innere Leben kommt
Notizbuch 7c 17r
373
374
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 17v
375
Nb 7c 17v
Existenz einem von einem gewissen Zeitpunkt seines Lebens an vor wie die ewige Wiederholung der Fledermaus im Rundfunk, „Gott der ? To xx? “ u „Mein Rosen aus dem Süden Herr Marquis“ oder den ewigen Wiener Walzer. Man möchte Genuss, aber die Schranken sind unübersteigbar, sie sind halt da, [u sie] sind gegeben. Kleine Einbrüche gelegentlich, aber im Wesentlichen ist bestimmt, wie
3
6
9
12
376
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 18r
[w v] iel weiter man gehen, d. h. denken
3
6
9
12
15
u ausdrücken kann als die vor einem Das ist bitter, das ist mehr: zum Kotzen. Denn man empfindet es keineswegs als schicksalhaft, sondern als reinen Defekt. Das Wort Schicksalhaft u Schicksal ist überhaupt ein Wort, das für uns völlig überflüssig geworden ist, scheint mir, zu gross, zu faul, – u Möglichkeit zu leer, unser Auftrag heisst, innerhalb des Bestimmten, Ausschnitte zu formen[, .] Im Anfang u eine Weile ist das vielleicht erträglich, aber zum Schluss ein Victualiengeschäft kommt die eine Weisheit, dass einem die Worte hierzu gefehlt hatten
Notizbuch 7c 18r
377
378
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 18v
379
Nb 7c 18v
den Meissel in die Marmor[broc spalte] ? werfen? Ich kann es nicht erwecken in einem fremden Sein ich kann es nur entdecken verstecken in mir allein
3
6
Der Sommer – Rosen u Schwalben . . . Commedia dell’arte “ sostenuta
Diener: Mascapille Arlecchini Scapini Moliere 15 I 1622 Mezzetini – 17 II 1673 Covielli itung Poquelin die einzige Pariser Ze „Loret’s Gazette“
9
12
15
380
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 19r
3
Lacaze-Duthiers: Memoire sur la pourpre „doppelt gefärbter Purpur“, besonders tief u farbig – die Vögel sprühten Feuer aus den Flügeln –
6
9
12
Ich habe den inneren Blick immer auf Verse gerichtet wie die Kaimane an Land immer den Kopf zum Fluss. Und noch eins: Wenn die Indianer ein Feld bestellt haben, so ziehen sie aus u begeben sich an eine entfernte Stelle, weil der Blick auf die jungen Pflanzen deren Wachstum verzögert – Wavrin – Orinoco (S. 187)
Notizbuch 7c 19r
381
382
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 19v
383
Nb 7c 19v
Geschichte des Essays in H Grimm „Aus den letzten 5 Jahren“. 15 Essays. Gütersloh, E. Bertelsmann 1890 Von Montaigne den Namen Von Bacon die Feststellung seines Charakters Essai von dem aus dem Griechischen in das spätere Latein übergegangene „Exagium“ (italien. Saggio): „Teil einer grösseren Menge, aus dem man auf die Beschaffenheit des Ganzen schliesst, eine Probe“
Grosser russischer Essayist: Mereschkowski
3
6
9
12
384
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 20r
3
6
9
„in Allem, was sie über die Dinge sagen, die Sache selbst nicht höher oder niedriger steht als ihre eigene Person, in der sie sich spiegelt“ (Grimm) „Das Durchschnittliche in gehobenem Ton“ ist für die D Kunst Pflanzen in Indianersiedlungen Baumwolle, Gurken, Wassermelonen, Jamswurzeln, süsse Bataten.
Notizbuch 7c 20r
385
386
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 20v
387
Nb 7c 20v
= irgendwo musst Du Dich ja auch vernichtbar zeigen, wenn man auch sonst nichts von merkt – – Die Kantinenwirtin sagt, Du wirkst gemütlich. Stimmt auch. Spiel Dich bloss nicht auf – – Von hier bis ? Athen? — aber: Zuviele Fragen – u Dir ist also nichts klar geworden – – Mistzeug! ich hatte nichts von Dir. Seiltänzer auf selbstgesponnenen Drähten
3
6
9
388
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 21r
Vaqueros Llaneros 3
6
9
12
15
Viehreiter
Pirogen Kl Schiffe Cayucos Einbäume Balandra – Segelboot Indianerstämme: Piaroas (Pusana Piapocos Guayaveros, Guaharibos Maquiritari Pfeil, Spiess, Blasrohr (Sarbacane) giftige Tiere: Vogelspinnen Tausendfüssler Skorpione Arañas Monas
Notizbuch 7c 21r
389
390
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 21v
391
Nb 7c 21v
von ihr gezüchteter Anna Karenina u die bekannte Gattung Schweine: besonders fett, kahl, ohne Borsten, kurze Beine, Tolstoi u Dost Tier u Spalthirn alles psychoanalytische Elemente Pan u Kant in vor Freud Einem u die Witterung nackter Orinokoindianer dazu Bewusstsein. – „Nur das Gras wird darüber wachsen . . .“ „Die Schönheit trat auf u zerstreute die ganze ägyptische innere Lebensarbeit zu Asche“ – am ganzen Krimkrieg ist allein interessant, dass Tolstoi auf der vierten Bastide 3 Tage lang unter Feuer lag u dann am Sturm teilnahm – Artilleristen: Nietzsche, Tolstoi, E v Hartmann Gardegelage in Petersburg u Hirtenlager in Samara das Georgskreuz u die Achselschnüre eines Flügeladjutanten mit schmutzigen dicken Zehen auf blossen Füssen durchlöcherte Fusslappen
3
6
9
12
15
18
21
24
27
392
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 22r
Tolstois Frau: Sophia Andrejewna Behrs 16 J jünger
3
6
9
12
15
Rücken diabolische Selbstzerfleischungen, Geisselungen u dann wieder zu den Kalmücken, um Kumys zu in die Steppe trinken u ein tierisches Dasein zu fristen Er nimmt vom Diener keine Handreichung entgegen, trägt selbst bringt sein Zimmer selbst in Ordnung, schafft das Wasser in Fässern nicht mit Hilfe eines Pferds, sondern auf dem eigenen Rücken herbei. Er besass Güter, Gestüte, Bienen, Schafe, Brennereien, Stadtschlösser u 600 000 Rubel auf der Bank. durchlöcherte Fusslappen u glänzende Achselschnüre des Flügeladjutanten – Dunggeruch u Sachets mit französischen Essenzen Permaveilchen
Notizbuch 7c 22r
393
394
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.11] — Notizbuch 7c 22v
395
Nb 7c 22v
Dost ∗ 1822 † 1881 Turgenjew 1819 – 1883 Goethe über Byron: „ihm, der sich selbst im Innersten bestreitet stark angewohnt, das tiefste Weh zu tragen“ „Ein alter Spassvogel, die Welt“ – (Byron) der Grundgedanke seiner Seele, wie bei allen Menschen unserer Zeit, bodenlos tief, tragisch u schrecklich vergiftet u erhaben Lager an seinem Biwak der schwarze Dämmer feuer der in Dir ruht menschliche aber immerhin nahm an ihm noch die Welt teil, die Gedanken der Welt, die Gefühle u
[1.11] : 14–15 Bl → [1.12]
3
6
9
12
15
396
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 23r
Gontscharow 1812 ∗ die Ängste der menschlichen Welt 3
6
9
12
15
heute – giebt es diese Menschheit nicht mehr, es giebt diesen schwarzen Dämmer, den wir in uns tragen, immer gegenwärtig, beziehungslos. . Ja das ist das unstillbar u fas Wort: beziehungslos Die Säulenschäfte, ihre Canneluren – die Schatten begrüssen Quellwächter u Tänzerinnen. Delos: 4500 m lang, 1250 m breit, eine Felsenrippe Schalen, steinverzierte, Krüge, Ringe, Lampen Körbe Kränze, Halsbänder –
[1.11]→ [1.12] : 3–8 Bl → [1.14]
[1.12] — Notizbuch 7c 23r
397
398
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 23v
399
Nb 7c 23v
Das Fort von Rio: Zuckerhut pão d’azucar “Die Literatur ist wie die Branntweinpacht, die selbe künstliche Ausbeutung . . “ Tolstoi des Meeres Grünlasur „Der Parze weibisches Lallen“ (Puschkin) „Ihrer Kraft, ihrem Oberbefehl, ihrer Macht lauschen“
3
6
400
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 24r
3
6
9
12
Je mehr man produziert, um so weniger weiss man von sich. Je länger man lebt, umso fremder werden die Nur Jahre! – Schliesslich Eine Hülle noch was ist es, das am Schlusse [stir fä] llt. —
„in [seiner der] jetztigen physischen Gestalt kann, wie ich stets gedacht habe, der Mensch ohne den früheren Gott nicht existieren“ Dostoj. = Der Mensch wird sich physisch umwandeln – (245)
Notizbuch 7c 24r
401
402
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 24v
403
Nb 7c 24v
Der letzte Anblick: eine bestialische Mongolenfratze auf einem Schild Novelle Dostojewski | | Stifter Kafka „Realismus, der ans Carossa L Frank Phantastische reicht –“ Gogol Amerikaner Goethe ja, das ist der Himmel, aber der Blutstrom, auf dem wir treiben, das ist Dostojewsky –
3
6
9
404
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 25r
1. I 45.
3
6
9
12
15
„Wir sind gewohnt zu glauben, dass je abstrakter ein Gedanke ist, er um so kälter u leidenschaftsloser sein müsse. Aber das ist nicht der Fall, wenigstens nicht für uns. Es sind doch Gedanken, die Fleisch u Blut stärker erregen als die unbändigsten Launen “ 5 Secunden . . „Man verzeiht nichts, weil es nichts giebt, was zu verzeihen ist. Man liebt nicht, oh – das ist höher als Liebe. 5 Secunden länger u die Seele hält es nicht aus u muss vergehen.“ Ich glaube, der Mensch muss aufhören zu zeugen. Wozu Kinder, wozu Entwicklung, wenn das Ziel erreicht ist? Im Evangelium ist gesagt, dass man an einem Sonntag nicht zeugen, sondern wie Gottes Engel werden wird “
Notizbuch 7c 25r
405
406
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 25v
407
Nb 7c 25v
275 „Ich nehme hier alle Eure Gewohnheiten an: ich habe Gefallen daran gefunden, in die Öffentliche Badestube zu gehen – kannst Du Dir das vorstellen? Ich liebe es, mit Kaufleuten u Popen Schwitzbäder zu nehmen! Mein Lieblingswunsch aber ist – mich zu verkörpern u zwar, damit es endgiltig u unabänderlich ist, in irgend eine dicke, drittehalb Centner schwere Kaufmannsfrau u an alles zu glauben, woran sie glaubt . .“
3
6
9
12
408
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 26r
3
6
9
12
245 „Dann wird man die Weltgeschichte in drei Abschnitte teilen: vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes u von der Vernichtung Gottes, bis .... (zum Gorilla, fiel Stawrogin mit kaltem Hohn ein) bis zur physischen Veränderung der Erde u des Menschen . .“ „der Mensch wird zum Gotte u wird sich physisch umwandeln. Die Welt, die Handlungen, die Gedanken u alle Empfindungen werden sich umwandeln“ „Ich werde anfangen, beendigen u die Pforte öffnen, ich werde der Retter sein“
[1.13] : 2–7 Bl → [4.41 ]
99K [9] 53–57 StPbg
[1.13] — Notizbuch 7c 26r
409
410
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 26v
411
Nb 7c 26v
dem Ens realissimum, dem absolut Realen steht Dost näher als Nietzsche . .
Verglichen mit Handlungsgehilfen oder Nächstenliebe natürlich fruchtlos – Raphael † 6 IV 1520, 33jährig Lionardo † 1519 Michelangelo
3
6
Tolstoi Raffael || Puschkin
Lionardo
Dostoj.
9
412
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 27r
3
6
9
15
die Welt wird sich verwandeln, aber ob die Gedanken schon so transcendent, die Sünden schon so klassisch sind, dass es heute oder morgen sich vollzieht geschieht, bleibt offen – . . aber übermorgen ganz bestimmt! Gut in Chile: Hazienda (kleines: Quinta) Argentinien: Estanzia Peru, Bolivien: Finca ile am F „ Reiter: Gaucho in on üller“ “ t h ä c t i rm on sch Ch liede „Fe . . als F e. „di „Das Tier weiss alles: der Mensch weiss nichts Die Bäume schreien u. knistern u weinen . . .
12
Notizbuch 7c 27r
413
414
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.14] — Notizbuch 7c 27v
415
Nb 7c 27v
Themen:
Schwarzer Dämmer Notwendigkeit St Petersburg z Z Dostojewskys
? von Gütern? beschränkteste tiefstehender Adel keine Kolonien, kein Reichtum
3
6
Nicht wiedergegeben, unbeschrieben: 28r – 34r I [1.12], passim → [1.14] : 1–7 Bl
99K [9] Titel, 98 StPbg
416
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.15] — Notizbuch 7c 35v
417
Nb 7c 35v
de än
3
htb en n dic en tte atièr e e g G n n ig Tab htu ttv i Dic elbla ore it dit tT n i m Ko he c s ’ ger ran e B
6
in)
hk
sch
eit erg
sc (Pu
9
. ten oe
rS de “ fp n Ho ls xa ass , e l n a A am afe er Ars en, Gr limm „ ft rst ha sch lsc e: Fü t ist l e s s rei ges Ga ter he K iger erfall h Dic tisc zeit üb Die tokra in un taren r s ari itiv: e in Ta s e n Se ++
[1.15] : 1–8 Bl → [1.16] [1.25] [1.32]
99K [9] Titel, 38 StPbg
418
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 36r
St Petersburg Kaiser Nikolaus †1855 3
6
3
9
12
15
6
Grosse sarmatische Ebene – Keine Zeitungen, Monatsschrift „Nordische Biene“ (Gretsch Bulgarin) en
ler ks fei Blic P m en ine den nde e e ie n p t a zufr steh h Lip r e n e o n st n u h v isc raue Sapisski (Annalen) ki hne n h sc Zä gen frika ne B u (Krajewski) i P sse Au ) a ke ei de int w n e ( l ke er T → Sowremen[i n] ik fun arz jews w rgen u T h sc icht: e“ (von Puschkin gegründet 1 Ged Eich (Belinski) 9 alte „die
Almanache: „Morgenrot“ „Molwa“ „Teleskop“ ohne jede Bedeutung Graf Uwaroff, Kultusminister, schickt für eingene Rechnung junge Leute zum Studium ins nach Berlin Ausland =
Sapadniki = Westliche
hBeilinski eine „centrale Natur“
[1.15]→ [1.16] : 1–17 Bl → [1.20] [1.25]
99K [9] Titel, 34–38, 98 DwSegel
[1.16] — Notizbuch 7c 36r
419
420
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.17] [1.18] — Notizbuch 7c 36v
421
Nb 7c 36v
“ aal. aren te, nS nZ e e h d c r hat s ardt Leben fü kreiert ich h l e l Eng Das 1837 nnatür t im inkas „ r u e e z i n l r G sch s Barito skon die ittag anow, n ew en e m r h Vo oroj n gelitt eic z W Step n n e n i am cho , Ke chk Mad tte s ärte a Pus b h n acke ige B nnung r p p ube stru er Gesi er H yriker z t l e ra bers ruL libe ustü händle a F ieh der w, V o s, z j 837 l beu Ko 6 en 1 m 3 r a 8 a r 1 Z B eim r ron viso n für den ng b a e a B f R p m be ols r Em n ih Gog : Das Le ebe Grosse der N a „ k l sen ls Gipfe gilt. Glin des it a “ h n n e Sata omme k Voll
[1.17] : 3–13 Bl ←- → [1.25] ,→ [1.18] : 1–6 Bl → [1.25]
3
6
9
12
99K [9] 31, 38–41, 51 StPbg 99K [9] 29–33 StPbg
422
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 37r
ache r Alman te Manifes
alter de Das Zeit
Erdrückende Zeit Selbst die Conversation stand unter dem Einfluss der Regierung Fürst Obolenski, Bestuschew, Puschkin die Dekabristen: die Zensur strich: „dieses Mädchen war mir eine Blume“ u setzte mit roter Tinte „ dieses Mädchen glich einer üppigen Rose“
3
6
9
Nebel der Januarnächte –
12
15
18
s uch die fühl ++ a ches Ge is s s u r in antiken s , e n s Masse e d l chische h fü om grie v viel Ge ig g s n he hl. unabhä riechisc ues Gefü a r h.iltes g g s le ein stil ross, esend blinget ist anw en Lie h w c e is n r t ra r. Ple ten lite met wa berühm “ gewid s in e g d ä i . n . h. „O er, dem
Notizbuch 7c 37r
423
424
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.19] — Notizbuch 7c 37v
425
Nb 7c 37v
3
oot
es B rtigt e n f o r v ute ve 6 Ein erle lbst and – m e s m r i Pete einen W uhr- u Z F er – an d wo die – ewa toffe ab a N t e h 9 g c ti nS O sich remde alten ten h n c h r f r u e wo ne d ührt di spes de klei f a , e o i d d n s Ch r gesu r de nne sehr Wasse ndo hrt e n s o ä da e Kan ndant f – wie – önig am 6 I a k r m e sser ast Pers rweihe er Kom cher Pal ewawa se rli rN n, d Was aue u, kaise 1 Beche ft u A lz gt beim e Gonde erbrin b n i ü e auf edig Ven ansk – r e j omm rcho , in im S ter We hnik jeder c s in t n W u e n im russ izei: 3 B uden a , etwa B Bart n den en Pol r e n eba l l klei eit e H tigk Ecke ie Strei , aber r für d utsche i K r ... de beth e i d für
[1.19] : 6–16 Bl → [1.20] [1.23] [4.41 ]
12
15
18
21
99K [9] 14–15, 17, 51 StPbg
426
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 38r
Petersburg: Newa – grosse Newka – grosse kleine kleine 3
6
9
12
15
18
21
Meer von Palästen, weit, raumreich – raumweit, nur 2stöckige Häuser Holzhäuser, Fichte, niedrig u finnländischer Granit rot u gelb angestrichen Die Häuser aus Holz, Fichte, oder aus finnländischem Granit – ein Meer von Palästen, alles weiträumig, grosse Vortreppen ein Winterpalais von 6000 Menschen – alles auf Rost gestellt, Moorboden immer bereit zu Wohnungsveränderungen u Umbauten 10 000 Eiskeller Pflaster aus Holzpflöcken Gebüsche, Lauben, Blumenbeete Springbrunnen Zimmer mit Besonderheit: riesige Fensterscheiben das Dach aus Kupfer Er stieg die 220 Stufen der Admiralität empor u sah über die Stadt von den Brannthwieinschenken bis zum Narwaschen Triumphbogen – h. . .iuer italienischen u farbigen Marmorresten
hNiewsky-Perspektive
[1.19] → [1.20] : 1–21 Bl → [3.21 ] [3.41 ]
99K [9] Titel, 15 StPbg
[1.20] — Notizbuch 7c 38r
427
428
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.21] — Notizbuch 7c 38v
429
Nb 7c 38v 3
itz ie – er em Leibn ukl a d a G en m on en l Ak erg Bud ló ser nen v or alle i B l a e n ä K v l Se auk che ln, hP Sch rskoje rhoffs nac eninse , n t Za bah ude Gar sky sch r im den D t w u e to n ,R Kre Park zimm er i n a i m r– Lun rnste erzim e rmo t B t a n u s M e lm epp Da er Per itr isch r i das slazul b Tod ki i i lins hkins and er s e B Lap lblau , sl sc e tow ch Pu u Rus . 29h.i m n o him na rm gel I. S dX l, Le eigen er He B o g o üb hw 0: G as Sc 186 d
[1.21] : 3–9 Bl → [3.21 ]
6
9
12
99K [9] 19–23, 49–50 StPbg
430
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 39r
Alexander II 1870
3
6
9
12
15
Violoncellist: Carl Davidoff – 1870 Grossfürstin Helena das Handbein so fein wie das des Heilands auf [Z d] em Zinsgroschenbild Tizians Rubinstein Clavier Lawrowsky sang – Die russischen Bässe: ultratief, die normalen Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd das Contra C, rein u voll, [e a] us 12 Kehlen im Sommer Venedig im Winter ziehen Samojeden Auf dem Newaeis mit Renntieren u Pelzkörben
[1.22] : 2–12 Bl → [1.25] [1.19] → [1.23] : 13–16 Bl → [3.21 ]
99K [9] 42–48 StPbg 99K [9] 51 StPbg
[1.22] [1.23] — Notizbuch 7c 39r
431
432
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.24] — Notizbuch 7c 39v
433
Nb 7c 39v
Die Komponisten sind Staatsräte César Cui, Musikkritiker Colonel im Generalstab! In einer Waisenerziehungsanstalt für Offizierstöchter stehen 70 Flügel
Wo singen Sie Was spielen Sie? die Menschenseele was ihr möglich ist was sie vermag
[1.24] : 1–3 Bl → [21 ] d
3
6
9
99K [10] 81 1886
434
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 40r
3
6
9
12
15
18
Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal: Madame Stepanow, die Glinkas „Das Leben für den Zaren“ 1837 kreiert hatte schreit unnatürlich, Worojews Bariton hat schon gelitten, An einem Pfeiler mit vorstehenden weissen Zähnen, afrikanischer Lippe ohne Brauen unzufriedenen Blicks Puschkin Alexander Sergeitsch (Puschkin) Neben ihm Baron Brambeus dessen „Grosser Empfang bei Satan“ als Gipfel der Vollkommenheit gilt. Violoncellist: Davidoff dann die russischen Bässe: ultratief normale Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd,
hdasi Contra C rein u voll hauis 20 Kehlen
[1.15] [1.16] [1.17] [1.18] [1.22] → [1.25] : 1–19 Bl → [3.51 ]
99K [9] 29–48 StPbg
[1.25] — Notizbuch 7c 40r
435
436
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.26] — Notizbuch 7c 40v
437
Nb 7c 40v
6
der Januarnächte
3
k el ba Ka ler ink W k r e, n “ en du tzige h k ng n ru rau ltu t mu Tisc t a e h rh ra sc iger ka eF nB nte itular t) i r he r sein n b U c r o e g n ls T kl arm hna st e ige rän nft lbst a bed ooten hh nk sc ebko en. ü e i Z as se ern r li ug ub Ba er s Jah en A ner v sich h etw n He d f t i au anze nter d u „e chne aulic f n] de z g i h au i u e n n z s i e e äcke et ih n c al[ b a t r l t S e t? inm we bit as on e achte er er ow, n w i E et ik ch ch rn oln noch Sie s übe zösis k s a n n Ra zes abe ] ew fra o, an t: h r N ch – hina, alika e[r s G e s n uf d glis g d si iP iC (Al egin a en egen ht be erun lhast b : t r i d c E a g e g h chla Plün erp rw m de Krie S n m a So .i h. .
[1.26] : 2–14 Bl → [1.28]
9
12
15
18
99K [9] 62-72 StPbg
438
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 41r
3
, en r de hob m ge giu auf e l ie ivi Pr agn s rn p a : d Kom z, me t . i m t n e en , i i Ka rw es igt sto he en de isch atsb mer alac rein h n c l a ind ta s. W ve sis Pa t S zö rhau os ien ium au u nien n r fra nte am Ind iste Mold umä rd en n U n it: e R d i t . n M he in m e ot rw entu Sulta tten glisc iR e n d t ge an Fürs heit: Deba m en . . . ge h i s o i t e u e r i i z erh Pa omm nd sd Ob are r al w in e nk h w e 6 ch chtig genj erpe hoc o r N wi w Tu Ant 9
12
Notizbuch 7c 41r
439
440
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 41v
441
Nb 7c 41v 3
g 6 r un de stell t las us pa en A 883 n l ft a 1 i h se 9 ha c lon disc dam rlas s o e C län ter ell v s r r s e de Am opäe il, n-G e o r n t nie t i , u d 12 re ) ll n E n Er die r Bi ien reite o i B n) de fun de Ind ill 1 M rlich rans eute disch u 1 m ralie t st sb än he jäh au holl Hö a (Au n m in ri g, ], e Z iton 2 1/2 Victo h l c e [é fe li n on r. B g o e f ] ä v v a t öh e au e [C K die ngk Säul mid ch h n i a a l i vo (B eine pyr ent rt on er s d hti ist Gol we liefe Must en u a ik h g nd die noc ilien end nta n y S a s l n te as Br t tau 911 P nen erde -Tea e, a b e o t w ut rt Th en: gie von xp es die 29 E liefe Calc ster inst 8 ge die Mu er fe koe e rd 00 10 eine ge P n a Or . . .i Flh
15
18
21
442
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 42r
ne ge n a l e ln el eck sch me m e B Ga ne d g rom T le an d al al et er H W l m ch en nke m la h f ne u sc du u it n i ta ü en n in m ar va en et it d ieg as k a a j ik n id m w am im erin kle · · ich on S e m nz g ngs llt s har no aus ü z Tä o ar mh Hol u E uno S u sa o ne ng m Tar ai u n A a M a d ge n o r b en u ne nt zu e är n di da Sl be rin f: Sa M a n ze e he he suc Srip än hch c T is e n n rc e ’s lo re di r O zw er b iwa eit na y d t e e is ilg ch br la d C en es e P n S m ma on od : v d 1 t e s o 9 Sa ic ei lo pf g, rh rw ahl sta lan pic, ) P h n e e Z us m s 0m s den teic d e n F i m a R n en /4 a 25 1 1 Ad (2 lon. ten rn a Aff y ro e en 12 Ce Blut and mt ta s e w rüh zu u ch ter i be B tre un 15 zim g an
3
6
18
21
[1.27] : 1–4 Bl → [1.29] 99K [9] 78–79 StPbg
[1.27] — Notizbuch 7c 42r
443
444
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 42v
445
Nb 7c 42v
das Lieblingsfutter der indischen Elefanten: die merkwürdige Nil Nillustaude, die Acanthacee Strobilanthis (Ceylon) Orchideen, Ingwer, Gewürzlilien (Lianen) Opfer am Buddatempel: Blüten des Tempelbaumes, Jasmin, die roten Rosen der Melastomen Rhododendren, Betelblätter, Areca-Nüsse, Reishaufen. tiefe Verbeugungen, Streuen von Blumen, Räuchern mit aromatischen Gewürzen, Anbrennen von Kerzen, Anschlagen kleiner Glocken, abgetragene Kleidungslappen
3
6
9
12
446
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 43r
7. I. 45. 3
6
9
12
15
18
21
× Raskolnikow (als Ganzes weltanschaulich etwas bedrängt) betritt Kabak ordinäre Kneipe, dunkle schmutzige Winkel klebrige Tische Ziehharmonika, Branntwein, Dauertrinker, Säcke unter den Augen, Einer bittet ihn zu „einer vernünftigen Unterhaltung“. – Strohhalme im Haar. Heuabfälle Anderer Mörder: Dorian Gray hLonidon Geruch des Flieders, honigfarbener Goldregen nüsternd Rotdorn am Haus — Parktraum betrachtet herr erw Ceylon Rubin für Lady B.
hGaimelangorchester.
[1.26] → [1.28] : 3–15 Bl → [3.61 ] [1.27] → [1.29] : 16–22 Bl → [3.61 ]
99K [9] 62–72 StPbg 99K [9] 73–79 StPbg
[1.28] [1.29] — Notizbuch 7c 43r
447
448
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.30] — Notizbuch 7c 43v
449
Nb 7c 43v
u was dachte kurz u Dostoj dachte vor der Hinrichtung sicher: „il faut decourager les arts.“ bestimmt: fand sicher Monets Wort bestätigt.
3
„[Alles was Jeder der] einem anderen hilft ist Getsemane alles was einen anderen tröstet ist Christi Mund. –“ singt die Kathedrale des Heiligen Isaak, das Alexander Newsky Kloster Die [Alexander New Kathedrale des] Heiligen Peter u Paul [Die Peter und Paul Kath in der die Kaiser ruhn] u die übrigen 192 griechischen 6 römisch-katholischen, 1 anglikanische [1 2] (1)
6
9
12
15
schwedischen, estnischen, finnischen, letthischei Kaiserkapellen
[1.30] : 6–17 bBu → [3.11 ]
99K [9] 1–13 StPbg
450
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 44r
3
Die Haschischburgen am Kaspischen Meer n um a h! eicht R nglic die Wolga (bei den Alten: Rha r ä h i w , h g i c b ers eigie tartarisch: Iti ist üb d h fr Fisch l von Petersburg bis nach Asien Don zu: kana aren em t r d a ft z T ru Waldei Höhen ] alten amou ssa C [am dem o F von Twer an schiffbar bei Rybinsk werden die schweren Balken umge la[g d] en – trinkt das Tiefland sammelt den Ural laugt die Salzkräuter der Steppen russischer Strom früherer ges ein hohes u ein tiefes Ufer Meere nzi er i e . a e Schilf- u Wiesengründe asp hin sM hKi ische ost C sien 60 Mündungen! n s is er ala hru ach F Centr n teils allerdings in n, rie h. . . ersie Bakt seichte Lössrinne i, P h. . .
3
6
9
12
15
15
18
[1.31] : 1–17 bBu → [3.3]
6
[1.31] — Notizbuch 7c 44r
451
452
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 44v
453
Nb 7c 44v
wo diese Worte fielen In einer Stadt, die nichts zu sagen hatte, als dann wenn der Schnee auf Dach u Hügeln liegt lag in einem Raum tötlicher Schönheit steht stand –. —
Staub uns, ganz dem Nichts verfallen u schon dem Nichts gebracht
3
6
9
llen verfa b u cht a t em S gebra d s t t h s Nic läng z dem u gan
Mereschkowsky
13
454
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 45r
3
6
9
12
15
18
21
Weile Weite O halte – Wehrmacht Nun kommst Du weisser down Du sinkst nieder o Abend dunklen in dieser Stadt Feuer die die keine Leuchte zum Strahlen u nichts zu sagen hat die wenn Doch wenn auf Dächer u [Häuser Hügel] [M Der] Schneefall [verweht niedergeht] , plötzlich in einem Raume von tötlicher Schönheit steht: wir sind von Göttern verlassen Selbstglühendes u müssen uns selbst verstehn Selbstverfall hältst Du bringst Du weisser Abend mit nichts als Noch eine Stunde vor Nacht – den blin u losen n kle n [ u d menschen losen fernen] Macht Gewalten dargebracht –
Notizbuch 7c 45r
455
456
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 45v
457
Nb 7c 45v
10. Verweile weisser Abend I. Es war so dunkel, die Stadt 45. die kein Feuer zu strahlen u keine Blüten hat Träume u die nichts zu sagen hat Brunnen Doch die, wenn auf Dächern u Hügeln der Schnee sich eingeweht – Dein Schneefall geht niedergeht plötzlich in einem Raum von tötlicher Schönheit [bist stehst] . Wir [g l] ängst dem Sturz verfallen u ganz dem Nichts gebracht giebst trägst – Was hältst Du weisser Abend noch eine Stunde vor Nacht hGBi
3
6
9
12
15
458
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Nb 7c 46r
3
Haie zwischen Seerosen „verdünnte Bienen“ maisfarbene Zuckerschnitte
6
Paläste auf Rost Mauern auf Pfählen St Peter künstliche Stadt,
9
12
Bau
in der Zone des Volks. 50 Werst südlich vom Cafe Beranger Quell der Wolga. Wolgaquelle. 50 Werst südlich vom Cafe Beranger – dicht vor der Stadt
[1.15] → [1.32] : 4–13 Bl → [3.3]
[1.32] — Notizbuch 7c 46r
459
460
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizbuch 7c 46v
461
Nb 7c 46v
hier giebt es keine Anregungen von aussen, die eigene Asche muss reichen zum Glühn. „Das Wirkliche ohne sittlichen Bezug nennen wir gemein“ Goethe. potamische u thalassale Kultur nichts sonst
3
6
462
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH1 1886 1r 1886
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Ostern am spätesten Termin, an der Elbe blühte schon der Flieder, dafür Anfang Dezember ein so unerhörter Schneefall, dass der gesamte Bahnverkehr in Nord- und Mitteldeutschland für Wochen zum Erliegen kam. Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige Tragödie. Es ist Hochzeitsabend, die junge Frau entdeckt, dass ihr Mann einmal ihre Mutter geliebt hat, alle längst tot, immerhin von ihrer Tante, die Mutterstelle vertrat, hat sie ein Morphiumfläschchen: “störe das sanfte Mittel nicht“, sie sinkt zurück, hascht nach seiner Hand, Theodor (düster, aufschreiend): “Lydia! Mein Weib! Nimm mich mit Dir“! – Titel: “Zwischen Lipp’ und Kelchesrand.“ England erobert Mandelai, eröffnet das weite Tal des Jrawaday dem Welthandel; Madagaskar kommt zu Frankreich; Russland vertreibt den Fürsten Alexander aus Bulgarien. Der deutsche Radfahrbund zählt 15 00 Mitglieder. Güssfeld besteigt zum ersten Mal den Montblanc über den Grand Mulet. Die Barsois aus dem Perchinozwinger im Gouvernement Tula, die mit der besonders tiefbefahnten Brust,
[21,2 ] a,b — TH1 1886 1 r — 2 r
die Wolfsjäger, erscheinen auf der Berliner Hundeausstellung, Asmodey erhält die Goldene Medaille.
463
33
TH1 1886 2r Die Registertonne wird einheitlich auf 2,8 cbm Raumgehalt festgesetzt; Übergang des Raddampfers zum Schraubendampfer; Rückgang der Holzschiffe; Über das chinesische Kauffahrteiwesen ist statistisch nichts bekannt; Norddeutscher Lloyd: 38 Schiffe, 36 000 t, Hamburg-Amerika: 19 Schiffe, 34 200 t, Hamburg-Süd: 9 Schiffe, 13 500 t. Turgenjew in Baden-Baden besucht täglich die Schwestern Viardot, unvergessliche Abende, sein Lieblingslied, das selten gehörte: “wenn meine Grillen schwirren“ (Schubert), oft auch lesen sie Scheffel’s Ekkehard. Es werden entdeckt: der fliegende Vogel Kiwi-Kiwi in Neuseeland, flügellose der augenlose Molch in der Krainer Tropfsteinklamm, ein blinder Fisch in der Mammuthhöhle von Kentucky. Beobachtet werden: Schwinden des Haarkleides (Wale, Delphine) Weisslichwerden der Haut (Schnecken, Köcherfliegen), Panzerrückbildung (Krebse, Jnsekten) Entwicklungsfragen, Befruchtungsstudien, Naturgeheimnis, nachgestammelt!
3
6
9
12
15
18
21
24
27
464
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
30
Kampf gegen Fremdwörter, Luna, Cephir, Chrysalide, 1 088 Wörter aus dem Faust sollen verdeutscht werden.
TH1 1886 3r
3
6
9
12
15
18
21
24
27
Agitation der Handlungsgehilfen für Schließung der Geschäfte an den Sonntagnachmittagen, sozialdemokratische Stimmen bei der Wahl in Berlin: 68 535. Das Tiergartenviertel ist freisinnig, Singer hält seine erste Kandidatenrede. 13. Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon. Die Zeitungen beklagen die Aufführung von Tolstoi’s “Macht der Finsternis“, dagegen ist Blumenthal’s “Ein Tropfen Gift“ eines langen Nachklangs von Wohllaut sicher; “Über dem Haupt des Grafen Albrecht Vahlberg, der eine geachtete Stellung in der hauptstädtischen Gesellschaft einnimmt, schwebt eine dunkle Wolke“, Zola, Jbsen, Hauptmann sind unerfreulich, Salambo verfehlt, Liszt Kosmopolit, und nun kommt die Rubrik “Der Leser hat das Wort“, er will etwas wissen über Wadenkrämpfe und Fremdkörperentfernung. Es taucht auf: Pithekanthropos, Javarudimente, –
[21 ] b,c,d — TH1 1886 3 r — 4 r
die Vorstufen. Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai für die königlichen Federmäntel: ein gelber Flaumstreif an jedem Flügel, – genannt der Honigsauger.
465
30
33
TH1 1886 4r 1886 – Geburtsjahr gewisser Expressionisten, ferner von Staatsrat Furtwängler, Emigrant Kokoschka, Generalfeldmarschall v. W. (+), Kapitalverdoppelung bei Schneider-Creuzot, Krupp-Stahl, Putiloff.
3
6
—
[1.3] [1.4] [1.6] [1.7] [1.8] [1.9] [1.10] [1.24] → [21 ] a–d : 1r –4r Ms ←- → [61 ] ,→ [22 ] b : 2r 18 Bl
99K [10] 1886
466
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH1 StPbg 1r
St Petersburg:
3
6
1 9
12
B
„Jeder,der einem Anderen hid le ft, ist Gethsemane, Jeder,der einen anderen tröstet, ist Christi Mund– “ sing[e t] die Kathedrale des [H H] eiligen Isaak, das A[ö l] exander-Newsky-Kloster, die Kirche des Heiligen Peter und Paul, in der die Kaiser ruhn: und die übrigen i92 griechischen, 8 römisch-katholischen, i anglikan[si is] che,3 armenische, i lettischen,schwedischen, est[z h] nischen finnischenKapellen.
1ar
3
6
9
12
15
18
Wasserweihe der durchsichtigen blauen Newa am Dreikönigstag. [s S] ehr gesundes Wasser,führt die femden Stoffe ab[, .] [t T] rägt die herrlichen S[toff chätz] e heran 2 für das Perlmutterzimmer das Bernsteinzimmer von Zarkoje Selo zugefror in den Duderhoffschen Bergen, samojeden – den himmelblauen sibirischen Marmor für die Freitreppen. [i I] m Sommer Venedig im Wi[m n] ter Strohhütten Filzzelte; Renntiersamojeden. Renntiersamojeden Kanonendonner Kanonensalven wenn sie auftaut, Tochter der sSeen Onega und Ladoga[. !]
[3.11,2 ] [3.21,2 ] [3.41,2 ] — TH1 StPbg 1r
467
468
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
1br 4
3
6
9
12
15
io ooo Eiskeller. Gebüsche,Lauben,Blumenbeete,Springbrunnen in den Räumen der Villen , Zimmern. Wolgaquelle dicht vor der Stadt, sammelt das Tiefland, trinkt den Ural, laugt die Salzkräuter, endloser Steppen, ruft dem Don zu – (am alten Tartarenkanal Fossa Camouz–) bei den Alten:Rha, tartarisch türkisch:Iti,d h die [f F] reigiebige, ihr Reichtum an Fischen ist überschwänglich!
[3.11 ] : 1r 2–13 Ms ,→ [3.12 ] : 1r 1, 2, 4–8, 11–13 Bl [1.20] [1.21] [1.23] → [3.21 ] : 1ar 1–18 Ms [1.20] [3.3] → [3.41 ] : 1br 1–16 Ms ,→ [3.22 ] : 1ar 4–5, 12–18 Bl ,→ [3.42 ] : 1br 1, 3, 5–12, 14 Bl [1.30] →
←- → [4.11 ] → [4.11 ] ←- → [4.11 ] ←- → [3.7] → [4.11 ] → [3.41 ]
99K [9] 1–13 StPbg 99K [9] 1, 3–7, 10–12 StPbg 99K [9] 14–28 StPbg 99K [9] 17–18, 25–28 StPbg
470
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH1 StPbg 2r
3 3
6
9
12
15
18
21
Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal. Madame Stapanow, die Glinkas“Das Leben für den Czaren“ hatte i837 kreierte,schreit unnatürlich, Worojews Bariton hat schon gelitten. An einem Pfeiler, mit vorstehenden wed ie ssen Zähnen, afrikanischer Lippe, ohne Brauen Alexander Sergeitsch (Puschkin). (Puschkin) [n N] eben ihm Baron Bardeus Brambeus, dessen “grosser Empfang bei Satan“ als Gipfel der Vollkommenheit gilt. Violoncellist:Davidoff. [u U] nd dann die russischen Bässe:ultratief, die normalen Singbässe vielfach in der Ok[r t] ave everdoppelnd das Contra C,rein und voll, aus zwanzig Kehlen[. ,] ultratief. ×
[1.25] → [3.51 ] : 2–21 Ms ←- → [4.11 ] ,→ [3.52 ] : 1, 4–9, 11–13, 17–33 Bl → [4.11 ]
99K [9] 29–47 StPbg 99K [9] 31–36, 38–40, 43–48 StPbg
[3.51,2 ] — TH1 StPbg 2r
471
472
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH1 StPbg 3r
5
3
6
9
12
15
18
21
24
Rodja Romanowitsch Raskolnikow ewig (als Ganzes noch w[le el] tanschaulich etwas bedrängt) betritt Kabak, ordinäre Kneipe. [k K] lebrige Tische, Z[ei ie] hharmonika, Dauertrinker, |—|Säcke unter den Augen[, –] , [E e] iner bittet ihn zu „zu “einer vernünftigen Aussp Unterhaltung“, H[a e] uabfälle im Haar. (Anderer Mörder: Dor[ie ian] Gray,London Geruch des Flieders honigfarbener Goldregen Haus am Fenster-Parkt[ar ra] um – , betrachtet Ceylon-Rubin für Lady B., be[ s st] ellt Gamelangorchester).
10 000 Eiskeller. Gebüsche, Lauben, Blumenbeete, Springbrunnen in den Zimmern der Villen Besonderheit: riesige Fensterscheiben, Dächer aus Kupfer, – immer bereit zu Wohnungsveränderungen. Wolgaquelle dicht vor der Stadt
[1.28] [1.29] → [3.61 ] : 2–19 Ms ←- → [4.21 ] 2 Bl ,→ [3.6 ] : 1–12, 17–19 → [4.21 ] [3.4] → [3.7] : 20–26 Bl
99K [9] 62–79 StPbg 99K [9] 62–72, 77–79 StPbg
[3.61,2 ] [3.7] — TH1 StPbg 3r
473
474
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH1 StPbg 4r Ri 6 3
6
9
12
15
18
stark gebunden (weltanschaulich nie befreit) erweckt wird errettet von Sonja mit dem gelben [Schein Billet] (Prostituierte) „Steh auf! Komm sofort mit! Bleib am Kreuzweg stehen Küsse die Erde, die Du besudelt vor der Du gesündigt hast verneige Dich dann vor aller Welt u sage allen laut: „ich bin der Mörder“ Willst Du? Kommst Du mit?“ – Und er kam mit. (Petersburg, etwa 18. × Jeder, der einen anderen tröstet ist Christi Mund.
[3.8] : 1–19 Bl → [4.31 ]
99K [9] 80–97 StPbg
[3.8] — TH1 StPbg 4r
475
476
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[3.3] — TH1 StPbg 4v
477
TH1 StPbg 4v
Wolgaquelle, dicht vor der Stadt! Beziehung zum Newasystem [s S] ammelt das Tiefland trinkt den Ural laugt die Salzkräuter [e E] ndlose Steppen ruft dem Don zu am alten Tartarenkanal Fossa Camouz – Wolga – bei den Alten: Rha türkisch tartarisch: Iti d.h die Freigiebige ihr Reichtum an Fisch ist überschwänglich!
[1.31] [1.32] → [3.3] : 1–14 Bl → [3.41 ]
3
6
9
12
478
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH2 StPbg 1r
St.Petersburg [Mitte des Jahrhunderts Mitte des Jahrhunderts:] “Jeder, der einem anderen hilft, ist Gethsemane, Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund“ : singt die Kathedrale des Heiligen Isaak, das Alexander-Newsky-Klo[t s]d te er, die Kirche des Heiligen Peter und Paul, in der die Kaiser ruhn, sowie die übrigen hundertzweiundneunzig griechh ischen, acht römisch-katholischen, eine anglikan[si is] che,drei armen[si is] che lettische,schwedische,esthnische finnis[hc ch] e Kapellen.
3
6
9
12
.. 15
18
21
24
27
30
. Wasserweihe der durchsichtigen blauen Newa am Dreikönigstag. Sehr gesundes Wasser,führt die fremden Stoffe ab. Trägt die herrlichen Schätze heran für das Perlmutterzimmer, das Bern[t s] teinzimmer von Zarkoje Selo in den Duderhoffschen Bergen, den himmelblauen sibirischen Marmor für die Freitreppen — Im Sommer Venedig, im Winter Filzzelte Renntiersamojeden Eisblock – Kanonensalven wenn sie auftaut, Tochter der See’n Onega und Ladoga!
[4.11–4 ] — TH2 StPbg 1r
479
480
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal. Madame Stepanow, die Glinka’s “Das Leben für den Zaren“ kreiert hatte, schreit unnatürlich, Worojews Bariton hat schon gelitten. An einem Pfeiler mit vorstehenden weissen Zähnen afrikan[si is] cher Lippe ohne Brauen Alexander Sergeitsch(Puschkin). Neben ihm Baron Brambeus, dessen “Grosser Empfang beim Satan“ als Gipfel der Vollkommenheit gilt. Violoncellist:Davidoff. r Und dann die russischen Bässe:ultatief, die normalen Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd, das Contra C rein und voll, aus zwanzig Kehlen ultratief.
33
36
39
42
45
48
51
[3.1] [3.2] [3.5] → [4.11 ] : 1–51 Ms ←- → [5.11 ] a,b 2 Ti/dünn ,→ [4.1 ] : 7–12, 14, 30, 39, 45–56 ←- → [5.11 ] a,b ,→ ,→
[4.13 ] : 1, 26–27 Bl [4.14 ] : 1, 5, 14, 26–28 Ti/breit
←- → [5.11 ] a → [51 ] a
99K [9] 1–48 StPbg 99K [9] 6–11, 13, 27, 36, 42–43 StPbg 99K [9] Tit., 24f StPbg 99K [9] Tit., 27–28 StPbg
482
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH2 StPbg 2r 2
3
6
9
12
Zu den Inseln! Namentlich Kretowsky – Lustort, Lustwort, Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden auf Sinnlichkeits- und Übersinnlichkeitserwerb! Erster Teil: „Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes“, Zweiter Teil: „von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen“ – Kornschnaps! Das Ende der Dinge Ein Branntwein^ schluckauf ultratief.
2ar
3
6
9
12
15
Raskolnikow stark (als Ganzes weltanschaulich ewig bedrängt) betritt Kabak, ordinäre Kneipe. Klebrige Tische, Ziehharmonika, Dauertrinker, Säcke unter den Augen, Einer bittet ihn “zu einer vernünftigen Unterhaltung“, Heuabfälle im Haar. (Anderer Mörder: Dorian Gray,London, Geruch des Flied[rs er] s, honigfarbener Goldregen
[4.21,2 ] [4.5] — TH2 StPbg 2r
483
484
18
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
r am Haus, –Parktaum,– betrachtet Ceylonrubin für Lady B., bestellt Gamelangorchester.)
[3.6] → [4.21 ] : 2ar 1–19 Ms ←- → [51 ] b 2 r Ti/dünn ,→ [4.2 ] : 2a 1–2, 14, 16–17 ←- → [51 ] b [4.41,2 ] → [4.5] : 2r 2–14 Ti/breit → [51 ] b
99K [9] 62–79 StPbg 99K [9] 63, 75, 77 StPbg 99K [9] 49–61 StPbg
486
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH2 StPbg 3/1r
Zu\ den Inseln! \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ Namentlich: Kretowsky – Lustort, Lustwort! \ \ \ \ \ \ \ \ \ Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden Auf Sinnlichkeits- und Übersinnlichkeitserwerb! Erster Teil: „vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes“, Zweiter Teil: „von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen“ – [Am Das] Ende der Dinge er Kornschnaps! ein Branntweinschluckauf ultratief. \
3
6
9
12
— — \ — —— —— — ——
[1.13] [1.19] [1.21] [1.22] [1.23] → [4.41 ] : 1–12 Ti/dünn ←- → [4.5] ,→ [4.42 ] : 2, 5–6, 10–11 Bl → [4.5]
99K [9] 47–61 StPbg 99K [9] 50, 58–60 StPbg
[4.41,2 ] — TH2 StPbg 3/1r
487
488
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH2 StPbg 3/2r
15
etwas [versteift) versteift] Raskolnikow immer stark gebunden) (weltanschaulich wird erweckt durch Sonja, [mit dem die ein] gelbe[n s] Billett nahm“, (Prostituierte), sie sagte: ihr Vater stand der Sache “Steh auf!Komm sofort mit! „im Gegenteil tolerant gegenüber“. Bleib am Kreuzweg stehn, küsse die Erde,die du besudelt, vor der du gesündigt hast, verneige dich dann vor aller Welt, sage allen laut: ich bin der Mörder, – willst du? kommst du mit?“– und er kam mit. Raskolnikow
18
Jeder,der einen anderen tröstet, ist Christi Mund[. ,] — St. Petersburg, – Mitte des Jahrhunderts.
3
6
9
12
21
(Prostituierte. Ihr Vater G. B. steht der Sache „im Gegenteil tolerant gegenüber“) Sie sagt:
[3.8] → [4.31 ] : 1–14 Ms ←- → [4.6] ,→ [4.32 ] : 1–2, 4, 8 Ti/dünn ←- → [4.6] ,→ [4.33 ] : 1–5, 15, 17–21 Bl ←- → [4.6] [4.34 ] : 19 Ti/beit
99K [9] 80–97 StPbg 99K [9] 80–81, 83, 85, 89 StPbg 99K [9] 80–86, 97–98 StPbg
[4.31–4 ] — TH2 StPbg 3/2r
489
490
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH2 StPbg 4r 3 A 3
6
9
12
15
18
21
Raskolnikow, stark versteift, wird erweckt durch Sonja „mit dem gelben Billett“ (Prostituierte. Ihr Vater steht der Sache „im Gegenteil tolerant gegenüber“) sie sagt: „Steh auf! Komm sofort mit! Bleib am Kreuzweg stehn, Küsse die Erde, die du besudelt, vor der Du gesündigt hast, verneige Dich dann vor aller Welt, sage allen laut: ich bin der Mörder, – willst Du? Kommst Du mit?“ — und er kam mit.
Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund –
St. Petersburg, Mitte des Jahrhunderts.
×
[4.31–3 ] → [4.6] : 3–22 Ti/breit → [51 ] c
99K [9] 80–98 StPbg
[4.6] — TH2 StPbg 4r
491
492
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH3 StPbg 1r 9
C
S T. P E T E R S B U R G – Mitte des Jahrhunderts.
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
„Jeder, der einem anderen hilft, ist Gethsemane, Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund“ singt die Kathedrale des Heiligen Isaak, das Alexander-Newsky-Kloster, die Kirche des Heiligen Peter und Paul, in der die Kaiser ruhn, sowie die übrigen hundertzweiundneunzig griechischen, acht römisch-katholischen, eine anglikanische, drei armenische lettische, schwedische, esthnische finnische Kapellen. Wasserweihe der durchsichtigen blauen Newa am Dreikönigstag. Sehr gesundes Wasser, führt die fremden Stoffe ab. Trägt die herrlichen Schätze heran für das Perlmutterzimmer, das Bernsteinzimmer von Zard se koje Selo in den Duderhoffschen Bergen, den himmelblauen sibirischen Marmor für die Freitreppen. Kanonensalven wenn sie auftaut, Tochter der See’n Onega und Ladoga !
[51–3 ] a — TH3 StPbg 1r
493
494
33
36
39
42
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal, Madame Stepanow, die Glinka’s „Das Leben für den Zaren“ kreiert hatte, schreit unnatürlich, Worojews Bariton hat schon gelitten. An einem Pfeiler mit vorstehenden weissen Zähnen afrikanischer Lippe ohne Brauen Alexander Sergeitsch (Puschkin). Neben ihm Baron Brambeus, dessen „Grosser Empfang beim Satan[. “] als Gipfel der Vollkommenheit gilt.
[4.11–4 ] → [51 ] a : 2–43 Ms ←- → [71 ] a ,→ [52 ] a : 24 Ti → [71 ] a [53 ] a : 1 Bl
99K [9] 1–41 StPbg 99K [9] 21 StPbg
496
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH3 StPbg 2r 10 –2– 3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
St.P.-M.d.J.
Violincellist: Davidoff. Und dann die russischen Bässe: ultratief, die normalen Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd, das Contra C rein und voll, aus zwanzig Kehlen ultratief. Zu den Inseln ! Namentlich Kretowsky – Lustort, Lustwort, – Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden auf Sinnlichkeits - und Uebersinnlichkeitserwerb ! Erster Teil: „Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes “, Zweiter Teil: „Von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen“ – Kornschnaps ! Das Ende der Dinge Ein Branntweinschluckauf Ultratief[. !] Raskolnikow (als Ganzes weltanschaulich stark begrängt) betritt Kabak, ordinäre Kneipe. Klebrige Tische, Dauertrinker, Säcke unter den Augen: Einerbittet ihn „zu einer vernünftigen Unterhaltung“, Heuabfälle im Haar.
[51–3 ] b — TH3 StPbg 2r
497
498
33
36
39
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
(Anderer Mörder: Dorian Gray, London, Geruch des Flieders, honigfarbener Goldregen am Haus, – Parktraum, – betrachtet Ceylonrubin für Lady B., bestellt Gamelangorchester.)
[4.11–4 ] [4.21–2 ] [4.5] → [51 ] b : 2–39 Ms ←- → [71 ] a,b 2 Ti ,→ [5 ] b : 11, 22, 28–29 → [71 ] a,b [53 ] b : 1–2 Bl
99K [9] 42–79 StPbg 99K [9] 50, 62, 68–69 StPbg
500
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH3 StPbg 3r 11 –3– 3
6
9
12
15
18
St.P.-M.d.H.
Raskolnikow, stark versteift, wird erweckt durch Sonja „mit dem gelben B[a i] llet“ (Prostituierte. Ihr Vater steht der Sache „im Gegenteil tolerant gegenüber“), sie sagt: „Steh auf ! Komm sofort mit ! Bleib am Kreuzweg stehn, Küsse die Erde, die du besudelt, vor der du gesündigt hast, verneige Dich dann vor aller Welt, sage allen laut: ich bin der Mörder, – willst Du ? Kommst Du mit ?“ – und er kam mit.
Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund – 21
Sankt Petersburg – Mitte des Jahrhunderts. × S T. P E T E R S B U R G – Mitte des Jahrhunderts.
24
[4.6] → [51 ] c : 2-20, 22 Ms ←- → [71 ] b ,→ [52 ] c : 5, 7, 21–24 Ti → [71 ] b [53 ] c : 1–2, 24 Bl
Gottfried Benn.
99K [9] 80–98 StPbg 99K [9] 82, 84, 98 StPbg
[51–3 ] c — TH3 StPbg 3r
501
502
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH2 1886 1r 39 I. 3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
33
1886 Ostern am spätesten Termin, an der Elbe blühte schon der Flieder, dafür Anfang Dezember ein so unerhörter Schneefall, dass der gesamte Bahnverkehr in Nord- und Mitteldeutschland für Wochen zum Erliegen kam. Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige Tragödie. Es ist Hochzeitsabend, die junge Frau entdeckt, dass ihr Mann einmal ihre Mutter geliebt hat, alle längst tot, immerhin von ihrer Tante, die Mutterstelle vertrat, hat sie ein Morphiumfläschchen: “störe das sanfte Mittel nicht“, sie sinkt zurück, hascht nach seiner Hand, Theodor (düster, aufschreiend): “Lydia! Mein Weib! Nimm mich mit Dir“ ! – Titel: “Zwischen Lipp’ und Kelchesrand.“ England erobert Mandelai, eröffnet das weite Tal des Jrawaday dem Welthandel; Madagaskar kommt an Frankreich; Russland vertreibt den Fürsten Alexander aus Bulgarien. Der Deutsche Radfahrbund zählt 15 00 Mitglieder. Güssfeld besteigt zum ersten Mal den Montblanc über den Grand Mulet. Die Barsois aus dem Perchinozwinger im Gouvernement Tula, die mit der behsonderis tiefbefahnten Brust,
[61–2 ] a,b — TH2 1886 1r
503
504
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
? 36
die Wolfsjägehr,i erscheinen auhf der Bierliner Hundeausstellung, Asmodhey erhiält die Goldene Medaille. h. . .iitlich
1ar
3
6
Turgenjew in Baden-Baden besucht täglich die Schwestern Viardot, unvergessliche Abende, sein Lieblingslied, das selten gehörte: “wenn meine Grillen schwirren“ (Schubert), oft auch lesen sie Scheffel’s Ekkehard.
[2] a,b → [61 ] a,b : 1r 2–36 Ms , 1ar 1–7 Ms ←- → [8] a ,→ [62 ] a : 1r 34 Bl ,→ [64 ] a : 1r 1 Bl
99K [10] 1–40 1886
506
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH2 1886 2r
3
6
9
Es taucht auf: 40 Pithekanthropos, Javarudimente, – die Vorstufen. Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai , für die königlichen Federmäntel: eind ene gelber Flaumstreif an jedem Flügel[, . –] genannt der Honigsauger[. ,]
2ar nachgestamhmelti 3
6
9
12
15
18
21
Kampf gegen Fremdwörter, Luna, Cephir, Chrysalide, 1 088 Wörter aus dem Faust sollen verdeutscht werden. Agitation der Handlungsgehilfen für Schließung der Geschäfte an den Sonntagnachmittagen, [s S] ozialdemokratische Stimmen bei der Wahl in Berlin: 68 535. Das Tiergartenviertel ist freisinnig. Singer hält seine erste Kandidatenrede. 13. Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon. Die Zeitungen beklagen die Aufführung von Tolstoi’s „Macht der Finsternis“, dagegen ist Blumenthal’s „Ein Tropfen Gift“ eines langen Nachklangs von Wohllaut sicher: „Über dem Haupt des Grafen Albrecht Vahlberg, der eine geachtete Stellung in der hauptstädtischen Gesellschaft einnimmt, schwebt eine dunkle Wolke“.
[6] c–e — TH2 1886 2r
507
508
24
27
30
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Zola, Jbsen, Hauptmann sind unerfreulich, Salambo verfehlt, Liszt Kosmopolit, und nun kommt die Rubrik „Der Leser hat das Wort“, er will etwas wissen über Wadenkrämpfe und Fremdkörperentfernung
2br
3
6
1886 – Geburtsjahr gewisser Expressionisten, |—| Dirigent ferner von |Staatsrat| Furtwängler, Emigrant Kokoschka, Generalfeldmarschall v.W. (+), Kapitalverdoppelung Krupp-Stahl, bei Schneider-Creuzot, Armstrong, Putiloff.
G.Be.
[2] a,b → [61 ] c–e : 2r 1–9 Ms , 2ar 2–30 Ms , 2br 1–7Ms ←- → [8] a ,→ [62 ] c–e : 2r 6–9Bl , 2ar 1Bl , 2br 6–7Bl → [8] a ,→ [63 ] d,e : 2ar 8Ti , 2br 3Ti → [8] a ,→ [64 ] c,e : 2r 1Bl , 2br 8Bl
99K [10] 41–85 1886 99K [10] 46–49, 85 1886 99K [10] 56, 81 1886
510
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH4 StPbg 1r
S T . P E T E R S B U R G – Mitte des Jahrhunderts.
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
“Jeder, der einem anderen hilft, ist Gethsemane, Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund“, singt die Kathedrale des Heiligen Isaak, das Alexander-Newsky-Kloster, die Kirche des Heiligen Peter und Paul, in der die Kaiser ruhn, sowie die übrigen hundertzweiundneunzig griechischen, acht römisch-katholischen, eine anglikanische, drei armenische, lettische, schwedische, esthnische, finnische Kappeldleen. Wasserweihe der durchsichtigen blauen Newa am Dreikönigstag[. !] Sehr gesundes Wasser, führt die fremden Stoffe ab. Trägt die herrlichen Schätze heran für das Perlm[i u] tterzimmer, das Bernsteinzimmer von Zarskoje Selo in den Duderhoffschen Bergen, den himmelblauen sibirischen Marmor für die Freitreppen[. !] Kanonensalven wenn sie auftaut, Tochter der See’n Onega und Ladoga ! Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal, Madame Stepanow, die Glinka’s “Das Leben für den Zaren“
[71,2 ] a — TH4 StPbg 1 r
kreiert hatte, schreit unnatürlich, Worojews Bariton hat schon gelitten. An einem Pfeiler mit vorstehenden weissen Zähnen, afrikanischer Lippe, ohne Brauen, Alexander Sergeitsch (Puschkin). Neben ihm Baron Brambeus, dessen“grosser Empfang beim Satan“. als Gipfel der Vollkommenheit gilt. Violincellist: Davidoff. Und dann die russischen Bässe: ultratief, die normalen Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd, das Contra C rein und voll, aus zwanzig Kehlen ultratief. Zu den Inseln ! Namentlich Kretowsky – Lustort, Lustwort , – Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden auf Sinnlichkeits - und Übersinnlichkeitserwerb ! Erster Teil:
511
33
36
39
42
45
48
51
54
TH4 StPbg 2r “Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes“, Zweiter Teil: “Von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen“ – Kornschnaps ! Das Ende der Dinge Ein Branntweinschluckauf Ultratief ! Raskolnikow (als Ganzes weltanschaulich stark bedrängt)
3
6
9
512
12
15
18
21
24
27
30
33
36
39
42
45
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
betritt Kabak, ordinäre Kneipe. Klebrige Tische, Ziehharmonika, Dauertrinker, Säcke unter den Augen, Einer bittet ihn “zu einer vernünftigen Unterhaltung“, Heuabfälle im Haar. (Anderer Mörder: Dorian Gray, London, Geruch des Flieders, honigfarbener Goldregen am Haus, – Parktraum – betrachtet Ceylonrubin für Lady B., bestellt Gamelangorchester.) Raskolnikow, stark versteift, wird erweckt durch Sonja “mit dem gelben Billet“ (Prostituierte. Ihr Vater steht der Sache “im Gegenteil tolerant gegenüber“), sie sagt: “Steh auf ! Komm sofort mit ! Bleib am Kreuzweg stehn, sie sagt: “Steh auf ! Komm sofort mit ! Bleib am Kreuzweg stehn, Küsse die Erde, die du besudelt, vor der du gesündigt hast, verneige Dich dann vor aller Welt, sage allen laut: Ich bin der Mörder, – willst Du ? Kommst Du mit ? “ – und er kam mit.
[71,2 ] b — TH4 StPbg 2r
513
Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund – S T . P E T E R S B U R G – Mitte des Jahrhunderts. G.B. F.W. Oe.
×
[51–3 ] a–c → ,→
[71 ] a,b : 1r 1–54 Ms , 2r 1–48 Ms [72 ] a,b : 1r 14, 17, 25 Ti , 2r 49–50 Ti
48
←- → [9] → [9]
514
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH3 1886 1r 1886
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Ostern am spätesten Termin, an der Elbe blühte schon der Flieder, dafür Anfang Dezember ein so unerhörter Schneefall, dass der gesamte Bahnverkehr in Nord- und Mitteldeutschland für Wochen zum Erliegen kam. Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige Tragödie. Es ist Hochzeitsabend, die junge Frau entdeckt, dass ihr Mann einmal ihre Mutter geliebt hat, alle längst tot, immerhin von ihrer Tante, die Mutterstelle vertrat, hat sie ein Morphiumfläschchen: “störe das sanfte Mittel nicht“, sie sinkt zurück, hascht nach seiner Hand, Theodor (düster, aufschreiend): “Lydia ! Mein Weib ! Nimm mich mit Dir“ ! – Titel: “Zwischen Lipp’ und Kelchesrand.“ England erobert Mandelai, eröffnet das weite Tal des Jrawaday dem Welthandel; Madagaskar kommt an Frankreich; Russland vertreibt den Fürsten Alexander aus Bulgarien. Der deutsche Radfahrbund zählt 15 00 Mitglieder. Güssfeld besteigt zum ersten Mal den Montblanc über den Grand Mulet. Die Barsois aus dem Perchinozwinger im Gouvernement Tula, die mit der besonders tiefbefahnten Brust, die Wolfsjäger,
[8] a — TH3 1886 1r
erscheinen auf der Berliner Hundeausstellung, Asmodey erhält die Goldene Medaille.
515
33
Turgenjew in Baden-Baden besucht täglich die Schwestern Viardot, unvergessliche Abende, sein Lieblingslied, das selten gehörte: “wenn meine Grillen schwirren“ (Schubert), oft auch lesen sie Scheffel’s Ekkehard.
36
39
Es taucht auf: Pithekanthropos, Javarudimente, die Vorstufen. Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai, genannt der Honigsauger, für die königlichen Federmäntel: einen gelben Flaumstreif an jedem Flügel.
42
Kampf gegen Fremdwörter, Luna, Cephir, Chrysalide, 1 088 Wörter aus dem Faust sollen verdeutscht werden. Agitation der Handlungsgehilfen für Schliessung der Geschäfte an den Sonntagnachmittagen,
51
45
48
54
TH3 1886 2r Sozialdem[i o] kratische Stimmen bei der Wahl in Berlin: 68 535. Das Tiergartenviertel ist freisinnig. Singer hält seine erste Kandidatenrede. 13. Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon.
3
6
516
9
12
15
18
21
24
27
30
[61–3 ] a–e →
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Die Zeitungen beklagen die Aufführung von Tolstoi’s “Macht der Finsternis“, dagegen ist Blumenthal’s “Ein Tropfen Gift“ eines langen Nachklangs von Wohllaut sicher; “Über dem Haupt des Grafen Albrecht Vahlberg, der eine geachtete Stellung in der hauptstädtischen Gesellschaft einnimmt, schwebt eine dunkle Wolke“, Zola, Ibsen, Hauptmann sind unerfreulich, Salambo verfehlt, Liszt Kosmopolit, und nun kommt die Rubrik “Der Leser hat das Wort“, er will etwas wissen über Wadenkrämpfe und Fremdkörperentfernung.
1886 – Geburtsjahr gewisser Expressionisten, ferner von Dirigent Furtwängler, Emigrant Kokoschka, Generalfeldmarschall v. W. (+), Kapitalverdoppelung bei Schneider-Creuzot, Krupp-Stahl, Putiloff.
[8] a,b : 1r 1–56 Ms , 2r 1–30 Ms
→ [10]
518
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
D1 StPbg St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
»Jeder, der einem anderen hilft, ist Gethsemane, Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund« singt die Kathedrale des Heiligen Isaak, das Alexander-Newsky-Kloster, die Kirche des Heiligen Peter und Paul, in der die Kaiser ruhn, sowie die übrigen hundertzweiundneunzig griechischen, acht römisch-katholischen, eine anglikanische, drei armenische lettische, schwedische, esthnische, finnische Kapellen. Wasserweihe der durchsichtigen blauen Newa am Dreikönigstag. Sehr gesundes Wasser, führt die fremden Stoffe ab. Trägt die herrlichen Schätze heran für das Perlmutterzimmer, das Bernsteinzimmer von Zarskoje Selo in den Duderhoffschen Bergen, den himmelblauen sibirischen Marmor für die Freitreppen. Kanonensalven wenn sie auftaut, Tochter der See’n Onega und Ladoga! Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal, Madame Stepanow, die Glinka’s »Das Leben für den Zaren« kreiert hatte, schreit unnatürlich,
[9] — D1 StPbg
Worojews Bariton hat schon gelitten. An einem Pfeiler mit vorstehenden weißen Zähnen, afrikanischer Lippe, ohne Brauen Alexander Sergeitsch (Puschkin). Neben ihm Baron Brambeus, dessen »großer Empfang beim Satan.« als Gipfel der Vollkommenheit gilt. Violincellist: Davidoff. Und dann die russischen Bässe: ultratief, die normalen Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd, das Contra C rein und voll, aus zwanzig Kehlen ultratief. Zu den Inseln! Namentlich Kretowsky – Lustort, Lustwort, – Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden auf Sinnlichkeits- und Übersinnlichkeitserwerb! Erster Teil: »Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes,« Zweiter Teil: »Von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen« – Kornschnaps! Das Ende der Dinge Ein Branntweinschluckauf Ultratief. Raskolnikow (als Ganzes weltanschaulich stark bedränkt) betritt Kabak, ordinäre Kneipe. Klebrige Tische, Ziehharmonika,
519
33
36
39
42
45
48
51
54
57
60
63
66
520
69
72
75
78
81
84
87
90
93
96
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Dauertrinker, Säcke unter den Augen; Einer bittet ihn »zu einer vernünftigen Unterhaltung,« Heuabfälle im Haar. (Anderer Mörder: Dorian Gray, London, Geruch des Flieders, honigfarbener Goldregen am Haus, – Parktraum, – betrachtet Ceylonrubin für Lady B., bestellt Gamelangorchester.) Raskolnikow, stark versteift, wird erweckt durch Sonja »mit dem gelben Billet« (Prostituierte. Ihr Vater steht der Sache »im Gegenteil tolerant gegenüber«), sie sagt: »Steh auf! komm sofort mit! Bleib am Kreuzweg stehn, küsse die Erde, die du besudelt, vor der du gesündigt hast, verneige Dich dann vor aller Welt, sage allen laut: ich bin der Mörder, – willst Du? Kommst Du mit?« – und er kam mit. Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund – S t . Pe t e r s b u r g – Mitte des Jahrhunderts
522
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
D1 1886 1886
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Ostern am spätesten Termin, an der Elbe blühte schon der Flieder, dafür Anfang Dezember ein so unerhörter Schneefall, daß der gesamte Bahnverkehr in Nord- und Mitteldeutschland für Wochen zum Erliegen kam. Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige Tragödie. Es ist Hochzeitsabend, die junge Frau entdeckt, daß ihr Mann einmal ihre Mutter geliebt hat, alle längst tot, immerhin von ihrer Tante, die Mutterstelle vertrat, hat sie ein Morphiumfläschchen: »störe das sanfte Mittel nicht«, sie sinkt zurück, hascht nach seiner Hand, Theodor (düster, aufschreiend): »Lydia! Mein Weib! Nimm mich mit Dir«! – Titel: »Zwischen Lipp’ und Kelchesrand.« England erobert Mandelai, eröffnet das weite Tal des Jrawaday dem Welthandel; Madagaskar kommt an Frankreich; Rußland vertreibt den Fürsten Alexander aus Bulgarien. Der deutsche Radfahrbund zählt 1 500 Mitglieder. Güßfeld besteigt zum ersten Mal den Montblanc über den Grand Mulet. Die Barsois aus dem Perchinozwinger im Gouvernement Tula, die mit der besonders tiefbefahnten Brust, die Wolfsjäger,
[10] — D1 1886
erscheinen, auf der Berliner Hundeausstellung, Asmodey erhält die Goldene Medaille. Turgenjew in Baden-Baden besucht täglich die Schwestern Viardot, unvergeßliche Abende, sein Lieblingslied, das selten gehörte: »wenn meine Grillen schwirren« (Schubert), oft auch lesen sie Scheffel’s Ekkehard. Es taucht auf: Pithekantropos, Javarudimente – die Vorstufen Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai, genannt der Honigsauger, für die königlichen Federmäntel: ein gelber Flaumstreif an jedem Flügel. Kampf gegen Fremdwörter, Luna, Cephir, Chrysalide: 1 088 Wörter aus dem Faust sollen verdeutscht werden. Agitation der Handlungsgehilfen für Schließung der Geschäfte an den Sonntagnachmittagen. Sozialdemokratische Stimmen bei der Wahl in Berlin: 68 535. Das Tiergartenviertel ist freisinnig. Singer hält seine erste Kandidatenrede. 13. Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon. Die Zeitungen beklagen die Aufführung von Tolstoi’s »Macht der Finsternis«,
523
33
36
39
42
45
48
51
54
57
60
63
524
66
69
72
75
78
81
84
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
dagegen ist Blumenthal’s »Ein Tropfen Gift« eines langen Nachklangs von Wohllaut sicher: »Über dem Haupt des Grafen Albrecht Vahlberg, der eine geachtete Stellung in der hauptstädtischen Gesellschaft einnimmt, schwebt eine dunkle Wolke;« Zola, Jbsen, Hauptmann sind unerfreulich, Salambo verfehlt, Liszt Kosmopolit, und nun kommt die Rubrik »Der Leser hat das Wort,« er will etwas wissen über Wadenkrämpfe und Fremdkörperentfernung. 1886 – Geburtsjahr gewisser Expressionisten, ferner von Dirigent Furtwängler, Emigrant Kokoschka, Generalfeldmarschall v. W. (†), Kapitalverdoppelung bei Schneider-Creuzot, Krupp-Stahl, Putiloff.
526
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
D2 StPbg St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
»Jeder, der einem anderen hilft, ist Gethsemane, Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund«, singt die Kathedrale des Heiligen Isaak, das Alexander-Newsky-Kloster, die Kirche des heiligen Peter und Paul, in der die Kaiser ruhn, sowie die übrigen hundertzweiundneunzig griechischen, acht römisch-katholischen, eine anglikanische, drei armenische, lettische, schwedische, estnische, finnische Kapellen. Wasserweihe der durchsichtigen blauen Newa am Dreikönigstag. Sehr gesundes Wasser, führt die fremden Stoffe ab. Trägt die herrlichen Schätze heran für das Perlmutterzimmer, das Bernsteinzimmer von Zarskoje Selo in den Duderhoffschen Bergen, den himmelblauen sibirischen Marmor für die Freitreppen. Kanonensalven wenn sie auftaut, Tochter der See’n Onega und Ladoga! Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal, Madame Stepanow, die Glinka’s »Das Leben für den Zaren«
[11] — D2 StPbg
kreiert hatte, schreit unnatürlich, Worojews Bariton hat schon gelitten. An einem Pfeiler mit vorstehenden weißen Zähnen, afrikanischer Lippe, ohne Brauen, Alexander Sergeitsch (Puschkin). Neben ihm Baron Brambeus, dessen »großer Empfang beim Satan« als Gipfel der Vollkommenheit gilt. Violincellist: Davidoff. Und dann die russischen Bässe: ultratief, die normalen Singbässe vielfach in der Oktave verdoppelnd, das Contra C rein und voll, aus zwanzig Kehlen ultratief. Zu den Inseln! Namentlich Kretowsky – Lustort, Lustwort –, Baschkiren, Bartrussen, Rentiersamojeden auf Sinnlichkeits- und Übersinnlichkeitserwerb! Erster Teil: »Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes«, Zweiter Teil: »Von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen«– Kornschnaps! Das Ende der Dinge Ein Branntweinschluckauf Ultratief! Raskolnikow (als Ganzes weltanschaulich stark bedrängt) betritt Kabak, ordinäre Kneipe.
527
33
36
39
42
45
48
51
54
57
60
63
528
63
66
69
72
75
78
81
84
87
90
93
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Klebrige Tische, Ziehharmonika, Dauertrinker, Säcke unter den Augen, Einer bittet ihn »zu einer vernünftigen Unterhaltung«, Heuabfälle im Haar. (Anderer Mörder: Dorian Gray, London, Geruch des Flieders, honigfarbener Goldregen am Haus –, Parktraum – betrachtet Ceylonrubin für Lady B., bestellt Gamelangorchester.) Raskolnikow, stark versteift, wird erweckt durch Sonja »mit dem gelben Billet« (Prostituierte. Ihr Vater steht der Sache »im Gegenteil tolerant gegenüber«), sie sagt: »Steh auf! Komm sofort mit! Bleib am Kreuzweg stehn, Küsse die Erde, die du besudelt, vor der du gesündigt hast, verneige Dich dann vor aller Welt, sage allen laut: Ich bin der Mörder –, willst Du? Kommst Du mit?« – und er kam mit. Jeder, der einen anderen tröstet, ist Christi Mund –
530
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH4 1886 1r 1886
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Ostern am spätesten Termin, an der Elbe blühte schon der Flieder, dafür Anfang Dezember ein so unerhörter Schneefall, dass der gesamte Bahnverkehr in Nord- und Mitteldeutschland für Wochen zum Erliegen kam. Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige Tragödie. Es ist Hochzeitsabend, die junge Frau entdeckt, dass ihr Mann einmal ihre Mitter geliebt hat, alle längst tot, immerhin , von ihrer Tante, die Mutterstelle vertrat, hat sie ein Morphiumfläschchen: “störe das sanfte Mittel nicht“, sie sinkt zurück, hascht nach seiner Hand, Theodor (düster, aufschreiend): “Lydia, mein Weib! Nimm mich mit Dir“! – Titel: “Zwischen Lipp’ und Kelchesrand.“ Richtiger: Mand[a e] lay? England erobert Mandelai, Oe eröffnet das weite Tal des Jrawaday dem Welthandel; Irrawaddy? Madagaskar kommt zu Frankreich; Russland vertreibt den Fürsten Alexander aus Bulgarien. Der Deutsche Radfahrbund zählt 15 00 Mitglieder. Güssfeld besteigt zum ersten Mal den Montblanc über den Grand Mulet. Die Barsois aus dem Perchinozwinger im Gouvernement Tula, die mit der besonders tiefbefahnten Brust,
[131–4 ] a — TH4 1886 1r
531
532
33
36
39
42
45
48
[2] →
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
die Wolfsjäger, erscheinen auf der Berliner Hundeausstellung, Asmodey erhält die Goldene Medaille. Die Registertonne wird einheitlich auf 2,8 cbm Raumgehalt festgesetzt; Übergang des Raddampfers zum Schraubendampfer; Rückgang der Holzschiffe; über das chinesische Kauffahrteiwesen ist statistisch nichts bekannt; Norddeutscher Lloyd: 38 Schiffe, 63 000 t, Hamburg-Amerika: 19 Schiffe, 34 200 t, Hamburg-Süd: 9 Schiffe, 13 500 t. Turgenjew in Baden-Baden besucht täglich die Schwestern Viardot, unvergesslicheAbende, sein Lieblingslied, das selten gehörte: “wenn meine Grillen schwirren“ (Schubert), oft auch lesen sie Scheffel’s Ekkehard.
[131 ] a : 1–50 Ms [133 ] a : 18–21, 39–40 Bl (Oelze)
534
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH4 1886 2r –2–
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Es werden entdeckt: der flügellose Vogel Kiwi-Kiwi in Neuseeland, der augenlose Molch in der Krainer Tropfsteinklamm, ein blinder Fisch in der Mammuthöhle von Kentucky. Beobachtet werden: Schwinden des Haarkleides (Wale, Delphine), Weisslichwerden der Haut (Schnecken, Köcherfliegen), Panzerrückbildung (Krebse, Jnsekten) – Entwicklungsfragen, Befruchtungsstudien, Naturgeheimnis, nachgestammelt ! mundgerecht gemacht. Kampf gegen Fremdwörter, Luna, Cephir, Chysalide, 1 088 Wörter aus dem Faust sollen verdeutscht werden. Agitation der Handlungsgehilfen für Schliessung der Geschäfte an den Sonntagnachmittagen, sozialdemokratische Stimmen bei der Wahl in Berlin: 68 535. Das Tiergartenviertel ist frei-sinnig, Singer hält seine erste Kandidatenrede. 13. Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon. Die Zeitungen beklagen die Aufführung von Tolstoi’s “Macht der Finsternis“, dagegen ist Blumenthal’s “Ein Tropfen Gift“ eines langen Nachklangs von Wohllaut sicher; “Über dem Haupt des Grafen Albrecht Vahlberg, der eine geachtete Stellung in der hauptstädtischen Gesellschaft
[13] b — TH4 1886 2r
535
536
33
36
39
42
45
48
51
54
57
60
[2] →
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
einnimmt, schwebt eine dunkle Wolke“, Zola, Jbsen, Hauptmann sind unerfreulich, Salambo verfehlt, Liszt Kosmopolit, und nun kommt die Rubrik “Der Leser hat das Wort“, er will etwas wissen über Wadenkrämpfe und Fremdkörperentfernung. Es taucht auf: Pithekanthropos, Javarudimente,– die Vorstufen. Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai für die königlichen Federmäntel: ein gelber Flaumstreif an jedem Flügel,– genannt der Honigsauger. 1886 – Geburtsjahr gewisser Expressionisten, ferner von Staatsrat Furtwängler, Emigrant Kokoschka, Generalfeldmarschall v.W. (+), Kapitalverdoppelung bei Schneider-Creuzot, Krupp-Stahl, Putiloff. ––– Abschrift Juli ’49 Oe
[131 ] b : 2–59 Ms [132 ] b : 59–60 Ti (Oelze) [133 ] b : 22 Bl (Oelze) [134 ] b : 13, 35 Ti
538
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH5 1886 1r 1886
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Ostern am spätesten Termin, an der Elbe blühte schon der Flieder, dafür Anfang Dezember ein unerhörter Schneefall, daß der gesamte Bahnverkehr in Nord- und Mitteldeutschland für Wochen zum Erliegen kam. Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige Tragödie. Es ist Hochzeitsabend, die junge Frau entdeckt, daß ihr Mann einmal ihre Mutter geliebt hat, alle längst tot, immerhin von ihrer Tante, die Mutterstelle vertrat, hat sie ein Morphiumfläschchen: „störe das sanfte Mittel nicht“, sie sinkt zurück, hascht nach seiner Hand,– Theodor (düster, aufschreiend): „Lydia! Mein Weib! Nimm mich mit Dir!“ – Titel: „ Zwischen Lipp’ und Kelchesrand.“ England erobert Mandelai, eröffnet das weite Tal des Irawaday dem Welthandel; Madagaskar kommt an Frankreich; Russland vertreibt den Fürsten Alexander aus Bulgarien. Der Deutsche Radfahrbund zählt 15 00 Mitglieder. Güssfeld besteigt zum ersten Mal den Montblanc über den Grand Mulet. Die Barsois aus dem Perchinozwinger im Gouvernement Tula, die mit der besonders tiefbefahnten Brust, die Wolfsjäger,
[141 ] a — TH5 1886 1 r
erscheinen auf der Berliner Hundeausstellung, Asmodey erhält die Goldene Medaille.
539
33
Turgenjew in Baden-Baden besucht täglich die Schwestern Viardot, unvergessliche Abende, sein Lieblingslied, das selten gehörte: „wenn meine Grillen schwirren“ (Schubert), oft auch lesen sie Scheffel’s Ekkehard.
36
39
Es taucht auf: Pithekanthropos, Javarudimente, die Vorstufen. Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai, genannt der Honigsauger, für die königlichen Federmäntel einen gelben Flaumstreif an jedem Flügel.
42
Kampf gegen Fremdwörter, Luna, Cephir, Chrysalide, 1 088 Wörter aus dem Faust so[o l] len verdeutscht werden. Agitation der Handlungsgehilfen für Schließung der Geschäfte an den Sonntagnachmittagen,
51
45
48
54
TH5 1886 2r Sozialdemokratische Stimmen bei der Wahl in Berlin: 68 535. Das Tiergartenviertel ist freisinnig. Singer hält seine erste Kandidatenrede. 13. Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon.
3
6
540
9
12
15
18
21
24
27
30
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Die Zeitungen beklagen die Aufführung von Tolstois „Macht der Finsternis“, dagegen ist Blumenthals „Ein Tropfen Gift“ eines langen Nachklangs von Wohllaut sicher: „Über dem Haupt des Grafen Albrecht Vahlberg, der eine geachtete Stellung in der hauptstädtischen Gesellschaft einnimmt, schwebt eine dunkle Wolke“ – Zola, Ibsen, Hauptmann sind unerfreulich, Salambo verfehlt, Liszt Kosmopolit, und nun kommt die Rubrik „Der Leser hat das Wort“, er will etwas wissen über Wadenkrämpfe und Fremdkörperentfernung.
1886 – Geburtsjahr gewisser Expressionisten, ferner von Dirigent Furtwängler, Bundesbruder Kokoschka, Generalfeldmarschall von W. (†), Kapitalverdoppelung bei Schneider-Creuzot, Krupp-Stahl, Putiloff. × Gottfried Benn. (1944).
33
[10] → ,→
[141 ] a,b : 1r 1–56 Ms , 2r 1–30 Ms [142 ] b :2r 31–33 Bl
←-
542
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
D2 1886 1886 (mein Geburtsjahr – was schrieben damals die Zeitungen, wie sah es aus?) 3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Ostern am spätesten Termin, an der Elbe blühte schon der Flieder, dafür Anfang Dezember ein unerhörter Schneefall, daß der gesamte Bahnverkehr in Nord- und Mitteldeutschland für Wochen zum Erliegen kam. Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige Tragödie: Es ist Hochzeitsabend, die junge Frau entdeckt, daß ihr Mann einmal ihre Mutter geliebt hat, alle längst tot, immerhin von ihrer Tante, die Mutterstelle vertrat, hat sie ein Morphiumfläschchen: »störe das sanfte Mittel nicht«, sie sinkt zurück, hascht nach seiner Hand, Theodor (düster, aufschreiend): »Lydia! Mein Weib! Nimm mich mit Dir!« – Titel: »Zwischen Lipp’ und Kelchesrand.« England erobert Mandalay, eröffnet das weite Tal des Irawadi dem Welthandel. Madagaskar kommt an Frankreich; Rußland vertreibt den Fürsten Alexander aus Bulgarien. Der deutsche Radfahrbund zählt 15 000 Mitglieder. Güssfeld besteigt zum ersten Mal den Montblanc über den Grand Mulet. Die Barsois aus dem Perchinozwinger
[15] — D2 1886
im Gouvernement Tula, die mit der besonders tiefbefahnten Brust, die Wolfsjäger, erscheinen auf der Berliner Hundeausstellung, Asmodey erhält die Goldene Medaille. Turgenjew in Baden-Baden besucht täglich die Schwestern Viardot, unvergeßliche Abende, sein Lieblingslied, das selten gehörte: »wenn meine Grillen schwirren« (Schubert), oft auch lesen sie Scheffels Ekkehard.
543
33
36
39
42
Es taucht auf: Pithekanthropos, Javarudimente, die Vorstufen. Es stirbt aus: der kleine Vogel von Hawai, genannt der Honigsauger, für die königlichen Federmäntel einen gelben Flaumstreif an jedem Flügel.
45
48
Kampf gegen Fremdwörter, Luna, Cephir, Chrysalide, 1 088 Wörter aus dem Faust sollen verdeutscht werden. Agitation der Handlungsgehilfen für Schließung der Geschäfte an den Sonntagnachmittagen,
51
Sozialdemokratische Stimmen bei der Wahl in Berlin: 68 535. Das Tiergartenviertel ist freisinnig. Singer hält seine erste Kandidatenrede. 13. Auflage von Brockhaus’ Konversationslexikon.
57
54
60
63
544
66
69
72
75
78
81
84
87
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Die Zeitungen beklagen die Aufführung von Tolstois »Macht der Finsternis«, dagegen ist Blumenthals »Ein Tropfen Gift« eines langen Nachklangs von Wohllaut sicher: »Über dem Haupt des Grafen Albrecht Vahlberg, der eine geachtete Stellung in der hauptstädtischen Gesellschaft einnimmt, schwebt eine dunkle Wolke« – Zola, Ibsen, Hauptmann sind unerfreulich, Salambo verfehlt, Liszt Kosmopolit, und nun kommt die Rubrik »Der Leser hat das Wort«, er will etwas wissen über Wadenkrämpfe und Fremdkörperentfernung. 1886 – Geburtsjahr gewisser Expressionisten, ferner von Dirigent Furtwängler, Bundesbruder Kokoschka, Generalfeldmarschall von W. (†), Kapitalverdoppelung bei Schneider-Creuzot, Krupp-Stahl, Putiloff.
Druckvarianten
Druckvarianten Druckvarianten zu D2 1886 27 39 58
D3 D3 D3
Güßfeld besteigt zum ersten Mal »Wenn meine Grillen schwirren« sozialdemokratische Stimmen
Druckvarianten zu D2 St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts Titel 3 5 7 27 31 34 42 46 51 55 61 70 77 82 88 90 92 93 94
D3 D4 D4 D4 D3 D3, D4 D3, D4 D3, D4 D3, D4 D4 D3, D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4 D4
St. Petersburg – Mitte des / Jahrhunderts St. Petersburg – Mitte des Jahr- / hunderts jeder, der einen anderen tröstet, singt die Kathedrale des heiligen Isaak, die Kirche des Heiligen Peter und Paul, Tochter der Seen die Glinkas »Das Leben für den Zaren« An einem Pfeiler, Violoncellist: Davidoff. das Contra-C rein und voll, Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden zweiter Teil: ultratief! einer bittet ihn am Haus – Parktraum – wird erweckt durch Sonja »mit dem gelben Billett« küsse die Erde, die du besudelt, verneige dich dann vor aller Welt, Ich bin der Mörder – willst du? Kommst du mit?“ –
545
546
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Abbildung 1: Ein vollständig erhaltenes »Gödecke Kalendarium« a.d.J. 1939.
Überlieferung und Chronologie Notizbuch 7c [1] Nb 7c (DLA, »Arbeitsheft 7c«, Bestand Benn); Notizkalender der Firma »Gödecke« auf das Jahr 1939 (122 × 197 mm, fadengeheftet). Die vorgedruckten Kalenderseiten sind paginiert. Der Notizkalender ist beschädigt und nur in Teilen überliefert, die verbliebene Heftung instabil bzw. aufgelöst. Die Lage bis Blatt 28 ist intakt, ab Blatt 29 ist keine Heftung mehr vorhanden. In diesem hinteren überlieferten Bereich sind die unteren linken Ecken der Blätter vmtl. durch Wasser geschädigt und zerstört. Der Leineneinband des Notizkalenders wurde entfernt. Insgesamt sind nur 39 von 207 Blatt überliefert. Hinzu kommen vier zwischen die Blattlagen geheftete, nicht mitpaginierte Blatt Werbung in schmalerem Format (wie Nb 7c 6av , siehe S. 331). 36 Blatt sind recto bzw. verso beschrieben (verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe: Bleistift, blauer und roter Buntstift, Tinte). Zwischen den für Notizen und Entwürfe verwendeten Blättern finden sich 28r bis 35r unbeschriebene Seiten. Verstreute Datierungen von Benns Hand lassen auf einen Nutzungszeitraum von Dezember 1944 bis ca. 10. Januar 1945 schließen. Benn hat die kalendarische Übersicht auf 2r offenbar für die Jahresplanung verwendet, bevor er den Kalender als Entwurfheft benutzte. Editorisch wiedergegeben werden die Abschnitte 6v bis 27v (S. 328 – 415) und v 35 bis 46v (S. 416 – 461) mit Vorarbeiten und Entwürfen zu 1886, St. Petersburg –
Überlieferung und Chronologie
547
Mitte des Jahrhunderts und dem nicht fertig gestellten hVerweile weisser Abend [. . .]i. Die dazwischen liegenden, unbeschriebenen Seiten bleiben unberücksichtigt. Die beiden Abschnitte enthalten einen Komplex aus textgenetisch zusammenhängenden Entwürfen zu 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts. Während der erste überwiegend Lektürenotizen, Vorarbeiten und Entwürfe zu Text und Kontext von 1886 enthält, finden sich im zweiten ausschließlich Entwürfe zum Petersburg-Gedicht und zu hVerweile weisser Abend [. . .]i. Die Vorarbeiten zu 1886 enthalten bereits die ersten Stichwortnotizen zur Thematik und zum Hintergrund von St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts. Benn hält diese aus den Vorarbeiten zu 1886 erwachsenen Ideen zum Abschluss des ersten Abschnitts auf Seite 27v unter der Überschrift »Themen:« fest. [1] Nb 7c [1.1] 7v 4Bl
335 99K [10] 25–26 1886
↓ [1.6]
[1.2] 8r 1–6Bl
336 99K [10] 45–49 1886
↓ [1.4]
[1.3] 8v 2–6Bl ↓ [1.4] [21 ]
339
c
99K [10] 74–78 1886
[1.4] 9r 1–8Bl ↓ [21 ]
c
340
↑ [1.2] [1.3]
99K [10] 45–49 1886
[1.5] 12v 12Bl
355
Notiz, späterer Titel der Sammlung »Statische Gedichte«
[1.6] 14v 1–15Bl ↓ [21 ]
a,d
↑ [1.1]
363 99K [10] Titel, 3–6, 18–22, 25–27 1886
[1.7] 15r 5–6Bl ↓ [21 ]
364 99K [10] 23–24 1886
a
[1.8] 15v 6–7Bl ↓ [21 ]
367 99K [10] 85 1886
d
[1.9] 15v 1–5, 10Bl ↓ [21 ]
367 99K [10] 26–31, 33 1886
a
[1.10] 16v 1–3Bl ↓ [21 ]
371 99K [10] 72 1886
c
[1.11] 22v 14–15Bl
395
↓ [1.12]
[1.12] 23r 3–8Bl ↓ [1.14]
396
↑ [1.11]
[1.13] 26r 2–7Bl ↓ [4.41 ]
408 99K [9] 53–57 StPbg
Die Notizen aus Mereschkowski1 (24r –27r ) sind hs. datiert 1. Januar 1945 (25r ). 1
Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903.
548
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[1.14] 27v 1–7Bl
415
↑ [1.12], passim [1.15] 35v 1–8Bl
99K [9] Titel, 98 StPbg
↓ [1.16] [1.25] [1.32] [1.16] 36r 1–17Bl
99K [9] Titel, 38 StPbg
↓ [1.20] [1.25] ↑ [1.15] [1.17] 36v 3–13Bl ↓ [1.18] [1.25] [1.18] 36v 1–6Bl ↓ [1.25] ↑ [1.17] [1.19] 37v 6–16Bl ↓ [1.20] [1.23] [4.41 ] [1.20] 38r 1–21Bl ↓ [3.21 ] [3.41 ] ↑ [1.19] [1.21] 38v 3–9Bl ↓ [3.21 ] [1.22] 39r 2–12Bl
417 418 99K [9] Titel, 34–38, 98 StPbg
421 99K [9] 31, 38–41, 51 StPbg
421 99K [9] 29–33 StPbg
425 99K [9] 14–15, 17, 51 StPbg
426 99K [9] Titel, 15 StPbg
429 99K [9] 19–23, 49–50 StPbg
430
↓ [1.25] [1.23] 39r 13–16Bl
99K [9] 42–48 StPbg
↓ [3.21 ] ↑ [1.19] [1.24] 39v 1–3Bl
99K [9] 51 StPbg
↓ [21 ] d [1.25] 40r 1–19Bl
430 433 99K [10] 81 1886
434
↓ [3.51 ] ↑ [1.15] [1.16] [1.17] [1.18] [1.22] [1.26] 40v 2–14Bl
99K [9] 29–48 StPbg
↓ [1.28] [1.27] 42r 1–4Bl
99K [9] 62–72 StPbg
↓ [1.29] [1.28] 43r 3–15Bl
99K [9] 78–79 StPbg
↓ [3.61 ]
↑ [1.26]
437 442 446 99K [9] 62–72 StPbg
Hs. datiert 7. Januar 1945.
[1.29] 43r 16–22Bl ↓ [3.61 ]
↑ [1.27]
446 99K [9] 73–79 StPbg
[1.30] 43v 6–17bBu ↓ [3.11 ]
449 99K [9] 1–13 StPbg
[1.31] 44r 1–17bBu
450
↓ [3.3]
[1.32] 46r 4–13Bl ↓ [3.3]
↑ [1.15]
Um den 10. Januar 1945.
458
Überlieferung und Chronologie
549
TH1 1886 [2] TH1 1886 (DLA, Statische Gedichte von 1945, Bestand Benn); vier Blätter Typoskript zu 1886 (372 × 186 mm, Wachspapier, Doppelblätter, einseitig auf der je rechten Seite beschrieben). Das Typoskript ist Teil des Oelze gewidmeten Konvoluts Statische Gedichte (das sogenannte »Landsberger Typoskript«2 ), ist hs. datiert auf Oelzes Geburtstag, den 3. Januar 1945 (14 Doppelblätter mit 28 Seiten. 1886 auf S. 16–19). Diese Datierung ist irreführend, da Benn das Konvolut bereits am 25. Dezember 1944 an Oelze sandte.3 Das Konvolut enthält die Gedichte Die Form, Der Traum, Dann, Chopin, September, 5. Jahrhundert, Nasse Zäune, Clemenceau, Ach, das ferne Land, 1886, Kleines süsses Gesicht, Überblickt man die Jahre, O gib, Statische Gedichte. [2] TH1 1886 [21 ] a-d 462, 463, 464, 465 a: 1r 1–34Ms , b: 2r 1–32Ms , c: 3r 1–34Ms , d: 4r 1–7Ms [22 ]
↓ [22 ] [61 ] r Bl b 2 18
↑ [1.3] [1.4] [1.6] [1.7] [1.8] [1.9] [1.10] [1.24]
463
TH1 StPbg [3] TH1 StPbg (DLA, Bestand Benn); zu vier Blättern aus Typoskript- und Handschrift-Blättern physisch montierter Entwurf zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, hs. Titel »St. Petersburg:«, o.D. Alle Blätter recto, Blatt 4 auch verso beschrieben. Die Textträger wurden aus teils zurechtgeschnittenen Blättern verschiedener Formate und Sorten zusammengefügt. Teilweise gelocht. Verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe (Schreibmaschine, Bleistift, Tinte). Blatt 1 besteht aus einem Blatt Schreibpapier (210 × 295 mm, kariert), auf welches zwei zurechtgeschnittene Blätter 1ar (143 × 210 mm, liniert) und 1br (143 × 113 mm, liniert) mit je einer Strophe des Petersburg-Gedichts aufgeklebt sind. Neben den Rändern von 1ar sind Reste der überklebten Textstufe sichtbar, bei der es sich offenbar um eine Bleistift-Arbeitsphase derselben Strophe handelte. Schreibmaschine und Bleistift. Blatt 1a und 4 sind durch Zerschneiden eines linierten Blattes entstanden. Die Strophen wurden nach der Montage mit Bleistift nummeriert (1, 2, 4). Hierdurch wurde das »3« nummerierte Stück auf 2r zwischen die bereits aufgeklebten Strophen eingerückt. Im oberen rechten Leerraum des Blatts ist mit Bleistift ein »B« eingetragen, welches mit dem »A« auf TH2 StPbg 4r und dem »C« auf TH3 StPbg 1r korrespondiert. 2 3
Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 54f. Vgl. BOelze, I, S. 376, 468, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 54.
550
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Blatt 2 ist ein halbiertes Blatt Schreibpapier (150 × 210 mm, liniert). Schreibmaschine und Bleistift. Der Text wurde hs. mit »3« nummeriert. Blatt 3 ist ein halbiertes Blatt Schreibpapier (157 × 207 mm, liniert). Schreibmaschine und Bleistift. Der Text wurde hs. mit »5« nummeriert. Blatt 4 ist ein halbiertes Blatt Schreibpapier (145 × 207 mm, liniert). Beidseitig mit Bleistift beschrieben. Die andere Hälfte ist 1ar . Der Text auch der recto-Seite wurde hs. mit »6« nummeriert. [3] TH1 StPbg [3.11 ] 1r 2–13Ms ↓ [3.12 ] [4.11 ]
↑ [1.30]
466 99K [9] 1–13 StPbg
Darunter befindet sich eine durch Blatt 1ar /1br überklebte Textstufe zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts. Es handelt sich vmtl. um eine Vorstufe von 1ar (≈ [7] 16–28). Neben dem Rand des aufgeklebten Blatts 1ar sind Teile der Bleistift-Korrekturen auf 1r sichtbar. 1r 1, 2, 4–8,
[3.12 ]
11–13Bl
↓ [4.11 ] ↑ [3.11 ] 1 [3.2 ] 1ar 1–18Ms
466 99K [9] 1, 3–7, 10-12 StPbg
466
↓ [4.11 ] ↑ [1.20] [1.21] [1.23] [3.3] 4v 1–14Bl
99K [9] 14–28 StPbg
477
↓ [3.41 ] ↑ [1.31] [1.32] 1 [3.4 ] 1br 1–16Ms
466
↓ [3.42 ] [3.7] ↑ [1.20] [3.3] 1 [3.5 ] 2r 2–21Ms ↓ [3.52 ] [4.11 ]
↑ [1.25]
470 99K [9] 29–47 StPbg
[Montage] Die Blätter 1a und 1b werden auf TH1 StPbg 1r aufgeklebt. 1ar 4–5, 12–18Bl
[3.22 ]
↓ [4.11 ] ↑ [3.21 ] [3.42 ] 1br 1, 3, 5–12, ↓ [3.7] 2 [3.5 ] 2r 1, ↓ [4.11 ]
466
99K [9] 17–18, 25–28 StPbg
14Bl
468
↑ [3.41 ]
4–9, 11–13, 17–22Bl ↑ [3.51 ]
470 99K [9] 31–36, 38–40, 43–48 StPbg
Der Entwurf wurde mit dem Kreuz 2r 22 vorläufig abgeschlossen.
[Numerierung] Durch Numerierung »1« (1r 8), »2« (1ar 5), »3« (2r 1), »4« (1br 1) werden [3.1], [3.3], [3.4] und [3.5] StPbg umgestellt. 3r 2–19Ms
[3.61 ]
↓ [3.62 ] [4.21 ] ↑ [1.28] [1.29] [3.62 ] 3r 1–12, 17–19Bl ↓ [4.21 ]
↑ [3.61 ]
472 99K [9] 62–79 StPbg
472 99K [9] 62–72, 77–79 StPbg
Überlieferung und Chronologie
[3.7] 3r 20–26Bl
551
472
↑ [3.4] [3.8] 4r 1–19Bl
474
↓ [4.31 ]
99K [9] 80-97 StPbg
[Numerierung] Durch Numerierung »5« (3r 1) und »6« (4r 1) werden [3.6] und [3.8] StPbg eingeordnet.
TH2 StPbg [4] TH2 StPbg (DLA, Bestand Benn); zu vier Blättern aus Typoskript- und Handschrift-Blättern physisch montierter Entwurf zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, hs. Titel »St. Petersburg:«, o.D., signiert. Alle Blätter recto beschrieben. Die Textträger wurden aus teils zugeschnittenen Blättern verschiedener Formate und Sorten zusammengefügt. Teilweise gelocht. Verschiedene Schreibgeräte (Schreibmaschine, Bleistift, Tinte). Blatt 1 ist ein Blatt Durchschlagpapier (185 × 275 mm), beschrieben mit Schreibmaschine, Bleistift und Tinte. Blatt 2 ist ein zugeschnittenes Doppelblatt Durchschlagpapier (185 × 175 mm), mittig gefaltet. Beschrieben 2/2r mit Schreibmaschine, Bleistift und Tinte, 2/1r mit Tinte und Bleistift. Blatt 3 wurde zusammengefügt aus einem Blatt Wachspapier (190 × 305 mm), beschrieben mit Tinte, und einem zugeschnittenen Blatt Durchschlagpapier (185 × 100 mm), beschrieben mit Schreibmaschine und Tinte. Das Wachspapierblatt ist hs. nummeriert »2«. Blatt 4 ist ein Blatt Wachspapier (175 × 340 mm), beschrieben mit Tinte. Das Blatt ist hs. nummeriert »3«. [4] TH2 StPbg [4.11 ] 1r 1–51Ms
478
↓ [4.12 ] [51 ] a,b ↑ [3.1] [3.2] [3.5] 1 [4.2 ] 2ar 1–19Ms
99K [9] 1–48 StPbg
482
↓ [4.22 ] [51 ] b ↑ [3.6] 1 [4.3 ] 3/2r 1–14Ms
99K [9] 62–79 StPbg
↓ [4.32 ] [4.6] 2 [4.1 ] 1r 7–12,
99K [9] 80–97 StPbg
14, 30, 39, 45-46Ti/dünn
↓ [4.13 ] [51 ] a,b ↑ [4.11 ] 2 [4.2 ] 2ar 1–2, 14, 16–17Ti/dünn ↓ [4.23 ] [51 ] b 2 [4.3 ] 3/2r 1–2, ↓ [4.33 ] [4.6]
488
↑ [3.8]
↑ [4.21 ] 4, 8Ti/dünn ↑ [4.31 ]
478
99K [9] 6–11, 13, 27, 36, 42-43 StPbg
482 99K [9] 63, 75, 77 StPbg
488 99K [9] 80–81, 83, 85, 89 StPbg
552
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
[4.41 ] 3/1r 1–12Ti/dünn ↓ [4.42 ] [4.5] ↑ [1.13] [1.19] [1.21] [1.22] [1.23] 3 [4.1 ] 1r 1, 26-27Bl ↓ [4.14 ] [51 ] a ↑ [4.11,2 ] 3 [4.3 ] 3/2r 1–5, 15, 17–21Bl ↓ [4.34 ] [4.6] ↑ [4.31,2 ] 2 [4.4 ] 3/1r 2, 5–6, 10–11Bl ↓ [4.5] ↑ [4.41 ] 4 [4.1 ] 1r 1, 5, 14, 26–28Ti/breit ↓ [51 ] a ↑ [4.11–3 ] [4.5] 2r 2–14Ti/breit ↓ [51 ] b
↑ [4.41,2 ]
486 99K [9] 47–61 StPbg
478 99K [9] Titel, 24f StPbg
488 99K [9] 80–86, 97-98 StPbg
486 99K [9] 50, 58–60 StPbg
478 99K [9] Titel, 27–28 StPbg
482 99K [9] 49–61 StPbg
[Montage] Die Blätter TH2 StPbg 2 und 2a werden zu einem Blatt zusammengefügt. 3/2r 19Ti/breit
[4.34 ]
[4.6] 4r 3–22Ti/breit ↓ [51 ] c
↑ [4.31–3 ]
488 490
99K [9] 80-98 StPbg
[Numerierung] Durch Numerierung »2« (2r 1) und »3« (4r 1) wird die Reihenfolge der zuletzt gültigen Textstufen festgelegt: [4.1], [4.5], [4.2], [4.6].
TH3 StPbg, TH2 1886 [5] [6] TH3 StPbg (DLA, Bestand Benn); drei Blätter Typoskript mit hs. Zusätzen. Titel »ST. PETERSBURG – Mitte des Jahrhunderts.«, o.D., signiert (gestrichen). Alle Blätter recto beschrieben, Schreibmaschine, Bleistift, Tinte. Die Blätter sind hs. nummeriert als 9, 10, 11, das erste markiert mit »C«. TH2 1886 (DLA, Bestand Benn); zwei Blätter montiertes Typoskript zu 1886. Ts. Titel »1886«, o.D., signiert. Recto beschrieben, Schreibmaschine, Bleistift. Die Blätter sind hs. nummeriert 39, 40. Der Text des Gedichts 1886 wurde gegenüber TH1 1886 ([2]) durch physische Remontage gekürzt und umgestellt. Die vormals fünfte und siebte Strophe werden ersatzlos herausgeschnitten.4 Die elfte Strophe aus TH1 1886 ([2]) wurde TH2 1886 2r ([6]) als siebte Strophe einmontiert. Diese Remontage fand erst relativ spät statt, mglw. erst bei der Zusammenstellung des Manuskripts für Henssel. Der früheste Textstufe des faksimilierten Materials, die maschinenschriftliche und die Bleistift-Textschicht von Benns Hand, wäre allerdings weit früher anzusetzen, nämlich noch vor [2] TH1 1886, 4
Auf Blatt 2ar (S. 506) kann man noch einen Rest erkennen: »nachgestammelt«.
Überlieferung und Chronologie
553
wie die Nennung der Firma »Armstrong« (korr. zu »Krupp-Stahl«) in der maschinenschriftlichen Textschicht anzeigt.5 Die beiden Typoskripte sind Teil des von Steinhagen rekonstruierten Druckvorlage-Konvoluts für Henssel.6 [5] TH3 StPbg [51 ] a–c a: 1r 2–43Ms , b: 2r 2–39Ms , c: 3r 2–20, 22Ms ↓ [52 ] [71 ]
[52 ]
492, 496, 500
↑ [4.11–4 ] [4.21–2 ] [4.5] [4.6]
492, 496, 500
a–c
a: 1r 24Ti , b: 2r 11, 22, 28–29Ti , c: 3r 5, 7, 21–24Ti ↓ [53 ] [71 ]
↑ [51 ]
[53 ] a–c a: 1r 1Bl , b: 2r 1–2Bl , c: 3r 1–2, 24Bl
492, 496, 500
↑ [51,2 ]
[6] TH2 1886 [61 ] a–e a: 1r 2–36Ms , b: 1ar 1–7Ms , c: 2r 1–9Ms , d: 2ar 2–30Ms , e: 2br 1–7Ms ↓ [62 ] [8]
↑ [21,2 ] a–d
[62 ] a,c–e a: 1r 34Bl , c: 2r 6–9Bl , d: 2ar 1Bl , e: 2br 6–7Bl ↓ [63 ] d,e [8]
[63 ]
502, 506
502, 506
↑ [61 ] a–e
506
d,e
d: 2ar 8Ti , e: 2br 3Ti ↓ [64 ] [8]
↑ [61,2 ]
[Montage] Der Text wurde durch physische Remontage gegenüber dem Textstand von [2] um die fünfte und siebte Strophe gekürzt, die zehnte wurde ausgeschnitten und als sechste einmontiert.
[64 ] a,c,e a: 1r 1Bl , c: 2r 1Bl , e: 2br 8Bl
502, 506
↓ [8] ↑ [61–3 ] a–e
TH4 StPbg TH3 1886 [7] [8] TH4 StPbg (DLA, Bestand Oelze); zwei Blätter Typoskript mit hs. Zusätzen. Titel »ST. PETERSBURG – Mitte des Jahrhunderts.«, o.D., signiert »G.B.«, »F.W. 5 S. 508. Vgl. auch »Armstrong« in Nb 7c, S. 367. In TH1 1886 heißt es bereits ohne Korrektur »Krupp-Stahl«, S. 465. 6 Bei Steinhagen Sigle tIV , vollständige Beschreibung vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 69–71.
554
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Oe.«. Recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte. Das Typoskript war Teil des Konvoluts für den Plan der Henssel-Ausgabe, wurde jedoch später von Benn herausgelöst und am 22. Mai 1946 an Oelze gesandt.7 Von der Hand des letzteren stammt auch die zweite Signatur auf dem Blatt. TH3 1886 (DLA, Bestand Benn); zwei Blätter Typoskript zu 1886 (210 × 295 mm, Schreibmaschinenpapier). Das Typoskript ist Teil des Konvoluts für den Plan der Henssel-Ausgabe, wurde jedoch nie als Druckvorlage verwendet.8 Aus dem Konvolut wurden später St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts und andere Gedichte entfernt (siehe unten TH4 StPbg. Auf Notizbuch 11 5r notiert Benn »22. I. 46. Manuscript ›Stat. Gedichte‹ an Henssel.« Das Konvolut enthält ein Inhaltsverzeichnis, auf dem Benn offenbar mit Blick auf den Druck im Arche-Verlag die Gedichte Rosen und Orpheus’ Tod nachgetragen hat. Die beiden Gedichte sind allerdings nicht im Konvolut enthalten. Ts. Titel »1886«, o.D., nicht signiert. Recto beschrieben, Schreibmaschine, Bleistift. [7] TH4 StPbg [71 ] a,b a: 1r 1–54Ms , b: 2r 1–48Ms ↓ [72 ] a [9]
510, 512
↑ [51–3 ] a–c
[72 ] a,b a: 1r 14, 17, 25Ti , b: 2r 49–50Ti
512
↓ [9] ↑ [71 ] a
[8] a,b TH3 1886 ↓ [10]
↑ [61–3 ]
a: 1r 1–56Ms , b: 2r 1–30Ms
514, 516
a,b
D1 StPbg, 1886 [9] [10] D1 StPbg In: Statische Gedichte. Privatdruck. Berlin April 1946. S. 15–17. D1 1886 In: Statische Gedichte. Privatdruck. Berlin April 1946. S. 43–45. Das Exemplar für Ilse Benn (DLA, Bestand Benn) wurde 2. Mai 1946 gewidmet mit den Worten: »In 5 Exemplaren als Privatdruck hergestellt, da öffentliches Erscheinen verboten.«9 Dieses Exemplar enthält ferner nicht datierte, handschriftliche Änderungen von Benn zum Gedicht 1886 ([10] D1 1886): Z. 49: »an« (gestr.) zu »aus«; ersatzlos gestrichen: Z. 54–60, 71–73. Die textgenetische Bedeutung dieser 7 Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 66. Im Konvolut, bei Steinhagen »Typoskript der geplanten Ausgabe« tIII genannt, ist das Gedicht St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts aufgeführt, die Seiten mit dem Text des Petersburg-Gedichts wie auch Dann– und Welle der Nacht wurden entfernt. 8 Vgl. ebd., S. 66. Im Konvolut, bei Steinhagen »Typoskript der geplanten Ausgabe« tIII genannt. 9 Das Erscheinen war nicht verboten worden, Henssel hatte für den Druck keine Papierzuteilung erhalten.
Überlieferung und Chronologie
555
Änderungen für den Textstatus ist allerdings ebenso unklar wie die Datierung, da die Änderungen in keiner der folgenden Textstufen übernommen wurden. Daher wurde auf eine Abbildung dieser Eintragungen im editorischen Text verzichtet. [9] D1 StPbg [10] D1 1886
518–520 522–524
D2 StPbg [11] D2 StPbg In: Statische Gedichte. Zürich: Arche September 1948. S. 53–56. [11] D2 StPbg
526–520
D3 StPbg [12] D3 StPbg In: Statische Gedichte. Ein Buch der Arche im Limes Verlag. Limes: Wiesbaden März 1949. S. 52–55. [12] D3 StPbg
545
DrF1 StPbg (DLA); Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Der angedruckte Text St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts ist textidentisch mit D3 StPbg und wurde nicht hs. geändert. Hs. von Benn auf 15.5.1948 datiert. DrF2 StPbg (DLA); Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Der angedruckte Text St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts ist textidentisch mit D3 StPbg und wurde nicht hs. geändert. Nicht signiert, o.D.
TH4 1886 [13] TH4 1886 (DLA, Bestand Benn); zwei Blätter Typoskript (210 × 297 mm, Abschrift TH1 1886 oder textidentische Version mit hs. Zusätzen und Korrekturen von Benns und Oelzes Hand. Ts. Titel »1886«, von Oelze signiert, datiert durch Oelze »Abschrift Juli ’49 / Oe«. Recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte. Die Blätter sind ts. nummeriert 1, 2. [13] TH4 1886 [131 ] a,b a: 1r 1–50Ms , b: 2r 2–59Ms [132 ] b b: 2r 59–60Ti (Oelze) 3 [13 ] a,b a: 1r 18–21, 39–40Bl , 8: 2r 22Bl (Oelze) [134 ] b b: 2r 13, 35Ti
530, 532, 534, 536 536 530, 532, 534 534, 536
556
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
TH5 1886 [14] TH5 1886 (DLA, Bestand Benn); zwei Blätter Typoskript zu 1886 (Schreibmaschinenpapier, 210 × 297 mm). Mit hs. Zusätzen und Korrekturen von Benns Hand. Ts. Titel »1886«, o.D., signiert mit irreführender Jahresangabe der ersten, längeren Fassung von »1944« (TH1 1886). Recto beschrieben, Schreibmaschine, Bleistift. [14] TH5 1886 [141 ] a,b a: 1r 1–56Ms , b: 2r 1–30Ms [142 ] b b: 2r 31–33Bl
538–540 540
D2 1886 [15] D2 1886 In: Doppelleben. Zwei Selbstdarstellungen. Wiesbaden: Limes 1950. S. 183–186. [15] D2 1886
542–524
D3 1886 [16] D3 StPbg In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956. S. 233– 236. [16] D3 StPbg
545
D4 1886 [17] D4 1886 In: Über mich selbst. 1886–1956. München: Langen-Müller 1956 (Langen-Müller’s kleine Geschenkbücher 55), S. 7-9.10 [17] D4 1886
545
Weitere Drucke St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts In: Statische Gedichte. 4. Aufl. Wiesbaden, Zürich: Limes 1954, S. 50–53. (Die 4. Aufl. wurde neu gesetzt und enthielt 72 statt 80 S.)
10 Erschienen in Lizenz des Limes; genau genommen nach Benns Tod erschienen. Die Verhandlungen dazu zwischen Langen-Müller und Niedermayer hat Benn noch selbst begleitet. Vgl. BLimes, S. 701–703, 746, 748f., 752, 827–829, vgl. auch S. 1157f., 1197.
Dokumentation der verwendeten Quellen
557
Dokumentation der verwendeten Quellen Für einen großen Teil der Entwürfe, Lektürenotizen und Exzerpte in Nb 7c und der weiteren Entwürfe zu den Montage-Gedichten 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts lassen sich die von Benn verwendeten Textquellen identifizieren. Diese werden im Folgenden als Stellennachweise angegeben. Für TH1 1886 und TH1 StPbg werden nur die Quellen zu denjenigen Textpassagen angegeben, die nicht bereits für die textgleichen oder textähnlichen Entwürfe und Notizen in Nb 7c verzeichnet wurden. Sofern als sicher gelten kann, dass Benn eine Quelle verwendet hat, wird diese einfach mit »Vgl.« angegeben. Lässt der Wortlaut des Textes eine eindeutige Identifizierung der Quelle nicht zu, zum Beispiel bei sehr kurzen, unspezifischen Notizen, werden aus dem Kontext heraus plausible Quellen diskutiert. Die folgende Dokumentation erfasst von Benn verwendeten Quellen, es werden keine weiteren Stellenerläuterungen gegeben.
Quellen zu Notizbuch 7c 6v 2–5 Fanny Elsner tanzte . . .] Gemeint ist Fanny Elßler, bei Eduard Hanslick »Fanny Elsler«. Vgl. Eduard Hanslick: Aus meinem Leben (I., VIII.) In: Deutsche Rundschau 77 (1893), S. 200–235, hier S. 214.11 6 Forza des Destino . . .] Keine Quelle ermittelt. Gemeint ist vmtl. Guiseppe Verdi: La Forza del Destino. Uraufgeführt: St. Petersburg 1862. 7–11 die verlustreichsten Schlachten . . .] Vgl. E. Richter: Die Herabsetzung der Menschenverluste im Kriege. In: Deutsche Rundschau 71 (1892), S. 412–433, hier S. 414. v 7 1–3 Weltausstellungen: . . .] Quelle anhand des Wortlauts nicht eindeutig ermittelbar.12 4 . . . der Monat der Montblancbesteigungen] Vgl. Paul Güßfeldt: Der Montblanc. I. / IX. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 73–98; Paul Güßfeldt: Der Montblanc. X. / XXII. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 206–239.13
11 Vorabdruck der genannten Kapitel aus Eduard Hanslick: Aus meinem Leben. Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur 1894 (= Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur 20,3). Folgende Hanslick-Vorabdrucke desgleichen. 12 Mglw. Meyers Konversations-Lexikon. 4. Aufl. 19 Bde. Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut 1885–1892, 2, S. 134. 13 Mglw. hat Benn ebenfalls zur Kenntnis genommen: Paul Güßfeldt: Die erste Ersteigung des Montblanc über die Aiguille Blanche de Péteret. In: Deutsche Rundschau 77 (1893), S. 355–371. Vgl. Notiz in Nb 9a, siehe S 566.
558
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
5–16 Die Lick-Sternwarte . . .] Vgl. Adolf Marcuse: Die hawaiischen Inseln. In: Deutsche Rundschau 76 (1893), S. 231–245, hier S. 232, 235, 237. r 8 1–12 hawaische Federmäntel u Federhelme . . .] Vgl. ebd., S. 238, 239, 243. 13 Maquaniqua, Königin von Mashonaland] Vgl. Rose Blennerhassett: Was Frauen vermögen. In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 72–86, hier S. 81.14 v 8 1 »Die Christen vor die Löwen«] Vgl. Ludwig Friedländer: Die Christenverfolgungen der römischen Kaiser. In: Deutsche Rundschau 76 (1893), S. 386–415, hier S. 394. 2 Königsmäntel] Vgl. Marcuse: Die hawaiischen Inseln. 1893, S. 238. 9r 2–8 u doch der Vogel . . .] Vgl. ebd., S. 238. 10v 1–15 Adelina Patti, Italienerin . . .] Vgl. Eduard Hanslick: Aus meinem Leben (XV., XIX.) In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 53–71, hier S. 60– 64, Eduard Hanslick: Aus meinem Leben (XX., XXV.) In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 254–277, S. 264ff, 268. 11r 2–6 da schwebte sie . . .] Vgl. Blennerhassett: Was Frauen vermögen. 1894, S. 75, 77. 7–8 »Rast dieses Volk, dass es dem Mord . . .«] Vgl. Hanslick: Aus meinem Leben (XV., XIX.) 1894, S. 71, Hanslick zitiert Schillers Wilhelm Tell.15 v 11 1–19 Patti / Wilt / Artôt . . . Madame Plessy . . . ] Vgl. ebd., S. 60, 64, ders.: Aus meinem Leben (XX., XXV.) 1894, S. 254ff, 261, 263, 267, 268f. 12r 1–12 ihn vorauslassend / oder zurückdrängend . . .] Vgl. ebd., S. 268f, 271, 273. 12v 6–10 lese gerade [Walter] v. Hollander . . .] Welches der zahlreichen Ratgeberbücher Hollanders hier gemeint ist, kann nicht genauer determiniert werden.16 Auch die erwähnten »Sentenzen« Nietzsches lassen sich nicht exakt nachweisen. r 13 1–2 »Despotisme temperé . . .«] »Despotisme tempéré par l’assassinat«, Redensart. Quelle nicht eindeutig ermittelt.17 5–13 Ferrara–Belriguardo . . .] Vgl. Herman Grimm: Leonore von Este. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 177–205, 184, 194f, vgl. auch Goethe Warum gabst Du uns die tiefen Blicke.18 v 13 1–4 Allegro – Pensoroso / Heiter . . .] Vgl. ebd., S. 188, 198 14 Nachdruck aus: Rose Blennerhassett u. a.: Adventures in Mashonaland, by two Hospital Nurses. London: Macmillan & Co. 1893. 15 Vgl. Friedrich Schiller: Schillers Werke. Nationalausgabe. Hrsg. v. Siegfried Seidel u. a. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1980, Bd. 10, S. 254. 16 Zu »Benns auffällige[m] Interesse an populären Sachbüchern« und diversen Hinweisen auf solche Titel in seiner im DLA überlieferten Bibliothek vgl. allgemein Thomas Wegmann: Erlesene Tatsachen. Gottfried Benn und das populäre Sachbuch. In: Non Fiction 2.1 (2007), S. 47–59. 17 Mglw. Meyers Konversations-Lexikon. 1885–1892, 4, S. 714. 18 Vgl. Goethe: Sämtliche Werke, Frankfurter Ausgabe. 1987–2013, I, 1, S. 229f.
Dokumentation der verwendeten Quellen
14r
14v
15r
15v 16r 16v
559
6–8 die Kunst macht den transcendentalen . . .] Vgl. Wilhelm Dilthey: Die drei Epochen der modernen Aesthetik und ihre heutige Aufgabe. In: Deutsche Rundschau 72 (1892), S. 200–236, hier S. 209, 220– 221 5–9 Altwien bei den »Schrammeln« . . .] Vgl. Sigmund Schlesinger: Die Musikund Theaterausstellung in Wien. In: Deutsche Rundschau 72 (1892), S. 456–466, hier S. 463. 2–4 in diesem August / – als Güssfeld . . .] Vgl. Paul Güßfeldt: Der Montblanc. I. / IX. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 73–98; Paul Güßfeldt: Der Montblanc. X. / XXII. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 206–239. 5–9 vom 16 – 23 XII ein so ungeheurer . . .] Vgl. Paul David Fischer: Betrachtungen eines in Deutschland reisenden Deutschen. In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 30–52, hier S. 41. 9–11 Lord Dufferin Viceking . . .] Vgl. Anonymus: Bemerkungen über die englische Gesellschaft. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 366–384, hier S. 380. 12–13 die Russen vertreiben . . .] Vgl. Anonymus: Politische Rundschau. In: Deutsche Rundschau 49 (1886), S. 147–152. 15 Madagaskar kommt an Frankreich] Vgl. ebd. 2–4 Arthur Chuquet erlangt . . .] Vgl. Ludwig Bamberger: Arthur Chuquet. Ein Muster objectiver Geschichtschreibung. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 240–263, hier S. 242.19 5–6 Der Deutsche Radfahrerbund . . .] Vgl. Fischer: Betrachtungen eines in Deutschland reisenden Deutschen. 1894, S. 50. 7–10 An Büchern hatten . . .] Vgl. Anonymus: Bemerkungen über die englische Gesellschaft. 1886, S. 366. 1–5 die mit besonders tiefbe- / fahnter . . .] Keine Quelle ermittelt. Mglw. Zeitungsnotiz.20 1–5 darunter an breiten Lederriemen . . .] Keine Quelle ermittelt. Mglw. Zeitungsnotiz.21 1 Salambo ist verfehlt] Vgl. Ludwig Friedländer: Erinnerungen an Turgenjew. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 117–125, hier S. 119. 2–3, 6 Nietzsche / unsystematisch] Vgl. Ludwig Stein: Friedrich Nietzsche’s Weltanschauung und ihre Gefahren. In: Deutsche Rundschau 74 (1893), S. 392–419, S. 408, 412.
19 Die genannte Doktorarbeit ist in frz. Übersetzung erschienen: Arthur Chuquet: Ewald de Kleist. Paris: Plon-Nourrit 1902. 20 Mglw. Zeitungsnotiz über die Berliner Hundeausstellung November 1913. 1913/14 wurden die Barsois Asmodey und Ptitschka Perchino nach Deutschland eingeführt. Vgl. Anonymus: [Notiz zu Heinz Michna: Slorad]. In: Jahresbericht Veterinär-Medizin 51.1 (1932), S. 310. 21 Siehe Anm. 20.
560
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
17r 10–11 »En fermant les yeux . . .«] Verkürztes Zitat vgl. Henri Meilhac u. a.: Manon. Opera Comique en cinq actes et six tableaux. Paris: CalmannLévy 1899, S. 40. 19r 1–3 »Lacaze-Duthiers . . .«] Vgl. S.A.M.: Die Auferstandenen von Kerke. In: Deutsche Rundschau 62 (1890), S. 95–113, hier S. 100. Behandelt: Félix Joseph Henri de Lacaze-Duthiers: Mémoire sur le pourpre. Lille: Impr. de L. Danel 1859. 9–13 Und noch eins: . . .] Vgl. Robert Frédéric Marquis de Wavrin: Das Geheimnis des Orinoko. Erlebnisse und Forschungen. Hrsg. v. H. Sartini. Aus dem Französischen übers. v. Karl Soll. Berlin: Scherl 1944, S. 187. 19v 1–12 Geschichte des Essays . . .] Vgl. Julius Rodenberg: Die neuen Essays von Herman Grimm. In: Deutsche Rundschau 62 (1890), S. 154–156, hier S. 154. 20r 1–5 »in Allem, was sie . . .«] Vgl. ebd., S. 154. Notiert und ebd. behandelt: Herman Grimm: Aus den letzten fünf Jahren. Gütersloh: Bertelsmann 1890. 8–10 Pflanzen in Indianersiedlungen . . .] Vgl. Wavrin: Das Geheimnis des Orinoko. 1944, S. 187. r 21 1–15 Vaqueros / Llaneros . . .] Vgl. ebd., S. 48ff, 59ff, 126ff, 151ff, 193–194, 201–202, 205, 232, 236ff. v 21 1–4, 9–27 Anna Karenina u die bekannte . . .] Vgl. Dimitri Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. Eine kritische Würdigung ihres Lebens und Schaffens. Übers. v. Carl von Gütschow. Leipzig: Verlagsbuchhandlung Schulze 1903, , S. 11, 13, 18.22 22r 1–16 Tolstois Frau: Sophia Andrejewna Behrs . . .] Vgl. ebd., S. 5, 15, 18–20, 44, 48. v 22 3–5 Goethe über Byron: . . .] Vgl. An Lord Byron, Goethe: Sämtliche Werke, Frankfurter Ausgabe. 1987–2013, I.1, S. 583. 6–7 »Ein alter Spassvogel . . .«] Vgl. Thomas Medwin: Gespräche mit Lord Byron. Ein Tagebuch, geführt während eines Aufenthalts zu Pisa in den Jahren 1824 und 1822. Stuttgart, Tübingen: Cotta’sche Buchhandlung 1924, S. 116. 8–17 der Grundgedanke . . . der schwarze Dämmer . . .] Quelle nicht sicher zu ermitteln. Wahrscheinlich Selbstzitat bzw. Weiterverarbeitung 22 Z. 17 »Artilleristen: Nietzsche, Tolstoi, E[dward] v Hartmann« Quelle der Zusatzinformation zu Nietzsche und von Hartmann nicht ermittelt. Am 15. Oktober 1944, Nietzsches 100. Geburtstag, eineinhalb Monate bevor Benn Bände der Deutschen Rundschau entleiht, erwähnt er entsprechende Lektüre: »Heute vor 100 Jahren – Sie wissen. Ich lese mit grossem Interesse die Aufsätze in der Presse: ›N. als Artillerist‹, ›N. als Judenfeind‹, ›N. sieht die Zukunft Europas nur in Deutschland‹ [. . .]«, BOelze, I, S. 372.
Dokumentation der verwendeten Quellen
23v 24r 24v 25r 25v 26r 27r
35v
36r 36v 37r 37v
38r 38v 39r
39v 40r
561
von Motiven Benns eigener Dostojewski-Rezeption.23 Ebenso möglich ist Anverwandlung von Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903, S. 166–168. 2-4 »Die Literatur ist wie die Branntweinpacht . . .«] Vgl. ebd., S. 112. 5–7 des Meeres Grünlasur . . .] Vgl. ebd., S. 155, 166, 259. 8–14 »in der jetzigen physischen Gestalt . . .«] Vgl. ebd., S. 245. 4–5 »Realismus, der ans Phantastische reicht –«] Vgl. ebd., S. 262. 2–17 »Wir sind gewohnt zu glauben, dass . . .«] Vgl. ebd., S. 231, 243. 2–13 »Ich nehme hier alle eure Gewohnheiten an: . . .«] Vgl. ebd., S. 275. 2–13 »Dann wird man die Weltgeschichte . . .«] Vgl. ebd., S. 245. 7–10 Gut in Chile . . .] Vgl. Paul Güßfeldt: Reise in den Andes von Chile und Argentinien. In: Deutsche Rundschau 41 (1885), S. 241–268, hier S. 248, 254. 14–15 »Das Tier weiss alles . . .«] Vgl. Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903, S. 206, 217. 1–10 Gedichtbände / Dichtungen / mit Titelblattvignetten . . .] Vgl. Iwan Turgenjew: Iwan Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen. In: Deutsche Rundschau 37 (1883), S. 393–418, hier S. 403, 406-407, 413. 1–17 St Petersburg . . .] Vgl. ebd., S. 393–395, 398–400, 402, 410. 1–13 Vormittagskonzert im Engelhardtschen Saal. . . .] Vgl. ebd., S. 399–401. 3–11, 17–19 Erdrückende Zeit . . .] Vgl. ebd., S. 401–403. 1–22 Ein von / Peter selbst verfertigtes Boot . . .] Vgl. Hermann Adalbert Daniel: Handbuch der Geographie. 2. Teil: Die europäischen Länder außer Deutschland. 2. Aufl. Leipzig: Fues’s Verlag 1866, , S. 931–934. 1–22 Petersburg: Newa – grosse . . .] Vgl. ebd., S. 927–930, 932. 1–9 Kaiserl Akademie . . .] Vgl. ebd., S. 935.24 2–12, 14–16 Violoncellist: Carl Davidoff – 1870 . . .] Vgl. Ferdinand Hiller: In St. Petersburg. In: Deutsche Rundschau 35 (1883), S. 95–106, 96, 100–102, 105f.25 1–6 Die Komponisten sind Staatsräte . . .] Vgl. ebd., S. 102, 105f. 1–19 Vormittagskonzert im . . .] Vgl. Turgenjew: Iwan Turgenjew’s Literaturund Lebenserinnerungen. 1883, S. 399–401, 403, Hiller: In St. Petersburg. 1883, S. 100f.
23 »[. . .] sie wissen, wie es endet: nach drei Tagen liegen sie im Rinnstein, machen die Frau unglücklich, Geldverlust, kommunale Konflikte – aber es dämmert! [. . .] Ein Bistro winkt, eine Kaschemme, in Petersburg: ein Kabak. So beginnt es. Kumpane, Fusel, ausschweifende Erzählungen. [. . .] Ist Wesen nicht überhaupt Mythologie? Hineinblicken, Schwaden, Dämmer? [. . .] Hier [von Freud her] wäre also kein Hineinsehen, kein Dämmer. Giebt es am Mittelmeer keine Dämmerblicke? Michelangelo, Dante, Tintoretto, d‘Annunzio: Dämmerblicke!«, Oberfläche (1944) SW, IV, S. 367. 24 Die Schreibung der Mündungsinsel Krestowski als »Kretowski« übernimmt Benn aus dieser Quelle. 25 Vorabdruck zu Ferdinand Hiller: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 27–46.
562
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
40v 1 Nebel der Januarnächte] Vgl. Turgenjew: Iwan Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen. 1883, S. 403. 2–14 Kabak / dunkler / schmutziger Winkel] Vgl. Fedor M. Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Th. Knaur Nachf. o.J. (um 1925), S. 12-15. 15–19 anderweit: englisch – französischer / Krieg gegen] Quelle anhand des Wortlauts nicht eindeutig ermittelbar.26 r 41 1–4, 8–9 anderweit: das Privilegium . . .] Quelle anhand des Wortlauts nicht eindeutig ermittelbar.27 5–7 anderweit: Moldau u Walachei . . .] Quelle anhand des Wortlauts nicht eindeutig ermittelbar.28 10 Turgenjew in Paris] Vgl. Friedländer: Erinnerungen an Turgenjew. 1886, S. 117, 120, passim Briefe Turgenjews aus Paris. 41v 1–21 Colonialpalast der . . .] Vgl. Franz Xaver von Neumann-Spallart: Von den europäischen Kolonien. In: Deutsche Rundschau 37 (1883), S. 368– 392, 370, 371, 377ff, 380, 382, 383. r 42 1–11 Gamelang / metallene Becken . . .] Vgl. ebd., S. 384f. 12–22 anderweit: es ist zwischen . . .] Vgl. Ernst Haeckel: Der Adams-Pik auf Ceylon. In: Deutsche Rundschau 37 (1883), S. 53–70, S. 53–55, 57–58, 67. v 42 1–13 das Lieblingsfutter der indischen . . .] Vgl. ebd., S. 63, 67–68. 43r 2–14 Raskolnikow / (als . . .] Vgl. Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. o.J. (um 1925), S. 12–15. 15–20 Anderer Mörder: / Dorian . . .] Freie Zitat- bzw. Motivsammlung nach Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray.29 Während »Parktraum« aus Wildes Text heraus interpretierend verständlich ist, bleiben »Ceylon-Rubin« und »Lady B.« unklar.30 26 Mglw. Meyers Konversations-Lexikon. 1885–1892, 4, S. 21 oder v.W.: Maßgebliches und Unmaßgebliches. In: Die Grenzboten 60/3 (1901), S. 93–96, hier S. 95. 27 Mglw. Brockhaus’ Konversations-Lexikon. 14. Aufl. Leipzig: Brockhaus 1894–1896, 12, S. 766 vgl. auch Friedrich Heinrich Geffcken: Das britische Weltreich und die Londoner Colonial-Ausstellung. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 382–413, 382, 413, passim. 28 Mglw. Daniel: Handbuch der Geographie. 1866, S. 562 oder Meyers Konversations-Lexikon. 1885– 1892, 14, S. 29. 29 Benn bezieht sich auf die Textstellen: Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Ein Roman. Aus dem Englischen übers. v. Hedwig Lachmann u. a. Leipzig: Insel 1908, S. 1, 196, passim. 30 In Dorian Gray wird zwar ein Rubin an der Hand des Königs von Ceylon erwähnt, dieser wird auch Gegenstand der Betrachtungen des Dorian Gray, aber kein Geschenk für eine »Lady B.«. Deren Identität bleibt gleichfalls ungeklärt. Es könnte sich um »Lady Branksome« oder »Lady Brandon« aus dem Dorian Gray handeln, ebenso wäre allerdings auch möglich, dass »Lady Bracknell« aus The Importance of Being Earnest gemeint ist, deren geläufige Bühnennamen-Abkürzung schlicht »Lady B.« lautet.
Dokumentation der verwendeten Quellen
43v
44r
46r
46v
563
21 Gamelangorchester] Vgl. Neumann-Spallart: Von den europäischen Kolonien. 1883, S. 384f. 1–5 u Dostoj dachte kurz vor . . .] Die Redensart »il faut décourager les arts« wird in frz. Quellen i.d.R. Edgar Degas, nicht Monet zugeschrieben.31 Zur »Hinrichtung« Dostojewskis vgl. die Beschreibung der Scheinhinrichtung des Dichters Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903, S. 84. 6–9 Jeder der einem anderen hilft . . .] Quelle dieses Wortlauts nicht ermittelt.32 Bei Mereschkowski findet sich eine motivisch ähnliche Stelle.33 10–17 singt die Kathedrale des Heiligen Isaak, . . .] Vgl. Daniel: Handbuch der Geographie. 1866, S. 929–932. 2–17 Die Wolga (bei den Alten: . . .] Vgl. Ebd., S. 842–849. Mglw. zus. Meyers Konversations-Lexikon. 1885–1892, 14, S. 106f (»Rybinsk«), Bd. 16., 730f (»Wolga«).34 4–13 Paläste auf Rost . . .] Vgl. Daniel: Handbuch der Geographie. 1866, 927, 932ff, 935, passim, Turgenjew: Iwan Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen. 1883, S. 406. 3–4 »Das Wirkliche ohne sittlichen . . .«] Vgl. »Das naive als natürlich ist . . .« Goethe: Sämtliche Werke, Frankfurter Ausgabe. 1987–2013, I.20, S. 225. 5 potamische u thalassale Kultur . . .] Vgl. Carl Schmitt: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung. Leipzig: Reclam 1942.35
31 Benn wiederholt die wahrscheinlich fehlerhafte Zuschreibung im Brief an Thea Sternheim vom 12.8.1949 (AusgB, S. 126), im Gespräch mit Georg Lind (SW, VII/2, S. 230) und in Doppelleben (ebd., V, S. 167). 32 Auch bei Lee und Schröder ergab sich eine Fehlanzeige. Vgl. David Lee: Gottfried Benns »St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts«. In: Martha Woodmansee u. a. (Hrsg.): Erkennen und Deuten. Essays zur Literatur und Literaturtheorie. Edgar Lohner in memoriam. Berlin: Erich Schmidt 1983, S. 273–299, hier S. 277, Schröder: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. 2011, S. 316f. 33 »Ich will keine Opfer, sondern Barmherzigkeit – das heißt Mitleid – spricht der Herr durch den Mund des wahren Vorläufers Christi, des Propheten Jesajas. Gott verlangt keine Opfer, sondern will nur Barmherzigkeit. Das ist kein Gesetz mehr, sondern Freiheit.«, Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903, S. 218. 34 Einige Stichworte auf der Notizbuchseite deuten auf mindestens eine weitere, nicht ermittelte Quelle hin: »[d]ie Haschischburgen am Kaspischen Meer« (1), »Fossa Camouz« (7), das Umladen »schwere[r] Balken« bei Rybinsk (7–8) und »seichte Lössrinne« (17). 35 Carl Schmitt: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung. 4. Aufl. Stuttgart: KlettCotta 2001, S. 23. Benn bedankt sich in einem Brief an Carl Schmitt vom 28. März 1943 für die Übersendung des Exemplars. Vgl. Traum, S. 215. Zu Benns Land und Meer-Lektüre und mglw. auch Abgrenzung gegenüber Schmitt vgl. auch Helmut Lethen: Drei Männer im Schutt. Gottfried Benn, Ernst Jünger und Carl Schmitt. Eine Episode aus der Nachkriegszeit. In: LiteraturMagazin 39 (1997), S.142–157, ders.: Der Sound der Väter. 2006, S. 248–253.
564
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Quellen zu in TH1 1886 hinzukommendem Text 1r 2 Ostern am spätesten Termin,] Keine gesicherte Quelle ermittelt. Geht vmtl. auf eine Zeitungsnotiz zurück.36 8–18 Paul Heyse veröffentlicht eine einaktige . . .] Vgl. Paul Heyse: Zwischen Lipp’ und Bechersrand. In: Deutsche Rundschau 47 (1886), S. 161–175, wörtl. Zitate S. 175. Benn variiert den Titel nach dem geflügelten Vers »Zwischen Lipp’ und Kelchesrand / Schwebt der finstern Mächte Hand.«37 2r 1–9 Die Registertonne wird einheitlich . . .] Vgl. H. Nees von Esenbeck: Das Kauffahrteiwesen der Gegenwart, insbesondere Deutschland. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 401–415, S. 402, 403, 405. 10–16 Turgenjew in Baden-Baden . . .] Vgl. Friedländer: Erinnerungen an Turgenjew. 1886, S. 119. 17–24 Es werden entdeckt: / der flügellose Vogel . . .] Vgl. August Weismann: Über den Rückschritt in der Natur. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 437–459, S. 438, 440–441, 443, 450. 29 Kampf gegen Fremdwörter . . .] Vgl. Otto Gildemeister: Der Kampf gegen die Fremdwörter. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 95–116. Vgl. Antwort Herman Grimms folgende Zeilen. 30–32 Luna, Cephir, Chrysalide . . .] Vgl. Herman Grimm: Die Bereicherung der Deutschen Sprache durch Aufnahme fremder Wörter. Ein Essay. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 301–305, hier S. 303. Grimms »Essay« antwortet auf den Artikel Gildemeisters im vorangegangenen Heft der Deutschen Rundschau, s.o.38 3r 1–7 Agitation der Handlungsgehilfen . . .] Vgl. Franz Holzerland: Die Arbeiterbewegung in Berlin. Ihre Organisation und ihre Führer. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 95–112, S. 100, 102, 110–111. 8–9 13. Auflage von Brockhaus . . .] Vgl. Ankündigung Anonymus: Literarische Notizen. In: Deutsche Rundschau 49 (1886), S. 157, hier S. 157, mglw. lag diese Auflage des Brockhaus Benn auch vor. 10–11 Die Zeitungen beklagen . . .] Vgl. Karl Frenzel: Die Berliner Theater. In: Deutsche Rundschau 63 (1890), S. 447–461, hier S. 425. 12–17 . . . ist Blumenthal’s . . .] Vgl. Karl Frenzel: Die Berliner Theater. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 299–309, hier S. 304–305. 36 Ein Beispiel wäre etwa: »Das Osterfest fällt in diesem Jahre auf den denkbar spätesten Termin.« Georg Winter: Schuljahr und Ostern. Ein Vorschlag zur Reform der Ferienordnung unserer Schulen. In: Die Gartenlaube 1886, S. 223–224, hier S. 223. 37 Friedrich Kind: König Ankäos. In: Gedichte. Leipzig: Hartknoch 1808, S. 7. 38 Die genaue Angabe von 1088 Fremdwörtern in Goethes Faust-Dichtung ist bei Grimm allerdings nicht erwähnt.
Dokumentation der verwendeten Quellen
565
20 Liszt Kosmopolit,] Vgl. Theodor Krause: Aus dem Berliner Musikleben. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 458–466, hier S. 459. 26–29 Es taucht auf: . . .] Quelle anhand des Wortlauts nicht eindeutig feststellbar. Mglw. gab einer der Artikel Ernst Haeckels in der Deutschen Rundschau den Anstoß.39 Ferner ist Benns Auseinandersetzung mit anthropologischen Artikeln zum Pithecanthropus von Franz Weidenreich und Wilhelm Gieseler nachgewiesen.40 r 4 5 Generalfeldmarschall v.W. (†)] Quelle anhand des Wortlauts nicht eindeutig feststellbar.41
Quellen zu in TH1 StPbg hinzukommendem Text 1ar 17–18 Tochter der Seen . . .] Quelle dieses Wortlauts nicht sicher zu ermitteln. Plausibel wäre Anverwandlung der Vorlage Daniel: Handbuch der Geographie. 1866, S. 14, 937. r 4 1–16 Ri . . . weltanschaulich stark . . .] Vgl. Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. o.J. (um 1925), S. 17, 420.
39 Haeckel bezeichnet Eugene Dubois’ Pithecanthropus-Fund auf Java (1892) als »[. . .] fossile Überreste einer ausgestorbenen Übergangsform zwischen Mensch und Affe [. . .]«, Ernst Haeckel: Über unsere gegenwärtige Kenntniß vom Ursprung des Menschen. In: Deutsche Rundschau 97 (1898), S. 179–194, S. 184–185, vgl. auch ders.: Aus Insulinde. Malayische Reisebriefe. In: Deutsche Rundschau 108 (1901), S. 381–406, hier S. 382. 40 Wilhelm Gieseler: Tatsächliches und Umstrittenes über den fossilen Menschen. In: Der Erdball. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 5.8 (1931), S. 291–300, S. 297f, Franz Weidenreich: Die Variabilität des Menschen als Grundproblem physisch-anthropologischer Forschung. In: Der Erdball 5.8 (1931), S. 281–291, hier S. 283. Vgl. zu Benns Lektüre und zu den Lektürespuren in den überlieferten Exemplaren seiner Bibliothek Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, 2, S. 573. Die spezifische Verwendung des Begriffs »Rudiment« rührt vmtl. von Benns früheren Eugen Georg- und Edgar Dacqué-Lektüren her. Vgl. ebd., 2, S. 630, 634, 704. Vgl. entsprechend Georg: Verschollene Kulturen. 1930, S. 149, Dacqué: Urwelt, Sage und Menschheit. 1924. 41 Gemeint sein dürfte Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben (1881–1944), Mitverschwörer des 20. Juli. Vgl. Hans Egon Holthusen: Leben, Werk, Widerspruch 1886–1922. Stuttgart: Klett-Cotta 1986, S. 14, Christoph Perels: Nachwort. In: Gottfried Benn. Gedichte. Hrsg. v. dems. Leipzig: Reclam 1988, S. 145–166, hier S. 178.
566
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Entstehung und Druckgeschichte Die Entstehung der Gedichte 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts beginnt um den 3. Dezember 1944 in Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski) mit umfangreichen Materialrecherchen, Exzerpten und Entwürfen in Notizbuch 7c.42 Am 25. Dezember schickt Benn die erste bekannte Reinschriftfassung TH1 1886 mit dem Konvolut »Statische Gedichte« an Oelze.43 Das Petersburg-Gedicht wird um den 15. Januar 1945 noch in Landsberg montiert und bearbeitet, bevor Benn am 28. Januar nach Berlin flieht. TH3 StPbg und TH2 1886 werden am 22. Januar 1946 zusammen als Druckvorlage-Manuskript für die Statischen Gedichte an den Berliner Verleger Karl Heinz Henssel verschickt, der allerdings mangels Papierzuteilung lediglich einen Privatdruck realisieren kann.44 1886 wird sowohl vor dem Henssel-Privatdruck im Mai 1946 als auch vor der Veröffentlichung in Doppelleben 1950 nochmals gekürzt bzw. bearbeitet. Zunächst wird nur St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts durch die Arche- bzw. Limes-Ausgabe der Statischen Gedichte einem breiten Publikum zugänglich (1948/49). Februar 1950 wird 1886 in den »zwei Selbstdarstellungen« Doppelleben bei Limes publiziert, nachdem Benn das Gedicht auf Drängen Peter Schifferlis aus den Statischen Gedichten hatte herausnehmen lassen. St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts wird 1956 in die Gesammelten Gedichte aufgenommen, 1886 im April desselben Jahres unter Lizenz in Über mich selbst. 1886–1956 bei Langen-Müller nochmals gedruckt. Die Vorarbeiten zu den beiden Montage-Gedichten beginnen mit ausführlichen Exzerpten, Notizen und Vorentwürfen in Notizbuch 7c. Den größten Teil der Exzerptnotizen hat Benn den Jahrgängen 1883 bis 1894 der Deutschen Rundschau entnommen.45 Für den 3. und 11. Dezember notiert er in seinem Tagebuch (Nb 9a) die Beschaffung von sechs Quartalsbänden der »D[eutschen] R[undschau]« in der Landsberger Volksbibliothek und deren intensive Lektüre: garnicht die Wohnung verlassen. 3 Bände D R u Zwischen den Rassen [3.12.] Ich zu Volksbibliothek Bd 77, 78, 72 D R [11.12.]46
42 Zu Entwurfstufen und Textgeschichte vgl. allgemein SW, IV, S. 388–435. Zur Entstehungsgeschichte: ebd., IV, S. 758–765. 43 Vgl. ebd., I, S. 376. 44 Siehe S. 570, 571. 45 Siehe Stellennachweise zu den von Benn verwendeten Quellen, S. 557. 46 SW, VII/2, S. 122. »Zwischen den Rassen« meint Heinrich Mann: Zwischen den Rassen. Leipzig: Wolff 1916. Die Deutsche Rundschau (»DR«) wird auch Nb 7c 6v genannt, siehe S. 329.
Entstehung und Druckgeschichte
567
Die 1899 begründete Volksbibliothek in Landsberg an der Warthe war neben der Verlagsbuchhandlung, Kunst- und Musikalienhandlung sowie Leihbücherei Schaeffer & Co. Benns wichtige Bücher-Bezugsquelle am Ort.47 In der Tat stammen die ersten Notizen in Nb 7c aus den Deutsche RundschauBänden 71, 72, 73, 76, 77 und 78, so dass man den Beginn der Vorarbeiten auf den 3. Dezember 1944 datieren kann.48 Benn hat mindestens 36 Beiträge 29 verschiedener Autoren der Deutschen Rundschau aus den Jahren 1883 bis 1894 exzerpiert, das gewonnene Material hat er zu einem großen Teil in die Gedichte verarbeitet – ausführliche Quellendokumentation siehe S. 557–565. Die von Benn exzerpierten Beiträger der Deutschen Rundschau sind (kursiviert, wenn intertextueller Bezug in einem der Gedichte): Anonymus (3×), Ludwig Bamberger, Rose Blennerhassett, Wilhelm Dilthey, H. Nees van Esenbeck, Paul David Fischer, Karl Frenzel, Ludwig Friedländer, Friedrich Heinrich Geffcken, Otto Gildemeister, Herman Grimm, Paul Güßfeldt, Ernst Haeckel, Eduard Hanslick, Paul Heyse, Ferdinand Hiller, Franz Holzerland, Theodor Krause, Adolf Marcuse, Franz Xaver von Neumann-Spallart, E. Richter, Julius Rodenberg, S.A.M., Sigmund Schlesinger, Ludwig Stein, Iwan Turgenjew, August Weismann.49 An literarischen Quellen hat Benn ferner ausgewertet, exzerpiert und teilweise in die Gedichte einmontiert: Dostojewskis Raskolnikows Schuld und Sühne,50 in freier Notizform Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray51 sowie Goethe52 und andere. Weite Teile des Petersburg-Gedichts, unter anderem auch das Zitat aus Dostojewskis Die Dämonen, gehen zurück auf Lektürenotizen aus Dimitri Mereschkowskis essayis47 Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 21, »[. . .] die noch nicht gereinigte u. geläuterte Leihbibliothek des Orts (sie enthält auch noch Bronnens) [. . .]« an A. Bronnen 13. Juni 1944, vgl. ders.: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 192. Helmut Heintel: Block II, Zimmer 66. Gottfried Benn in Landsberg 1943–1945. Eine bildliche Dokumentation. Stuttgart: Urachhaus 1988, S. 11. Vgl. auch C.N.: Berichte über die Bibliotheken einzelner Städte. In: Centralblatt für Bibliothekswesen 20 (1903), S. 163–172. 48 Nb 7c 6v –14r , siehe S. 329–360. Siehe auch die Quellennachweise S. 557–565. Unberücksichtigt bleibt hier die bibliografische Notiz Nb 7c 6r : Heinrich Theodor Rötscher: Abhandlungen zur Philosophie der Kunst. 2. Aufl. Berlin: Duncker und Humblot 1838, vgl. SW, VII/2, S. 436. 49 Genaue bibl. Stellennachweise siehe Quellendokumentation S. 557–565. Von Benn ausgewertete Quartalsbände der Deutschen Rundschau: 35, 37 (1883), 41 (1885), 46–49 (1886), 62, 63 (1890), 71– 73 (1892), 74, 76–77 (1893), 78 (1894). 50 Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. o.J. (um 1925). David Lee hat erstmals auf die markante Übersetzung der »Branntweinschenken« als »Kabak« in den gekürzten deutschsprachigen Populärausgaben hingewiesen: ebd., S. 15. Jürgen Schröder ergänzt weitere textidentische Drucke: Fedor M. Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Janke o.J. (um 1905), ders.: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Paul Franke o.J. (um 1910), ders.: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Schreiter o.J. (um 1925) Vgl. Lee: Gottfried Benns »St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts«. 1983, S. 286, Schröder: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. 2011, S. 315. 51 Benn bezieht sich auf die Textstellen: Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. 1908, 1, 196, passim. 52 »Das naive als natürlich ist . . .« Goethe: Sämtliche Werke, Frankfurter Ausgabe. 1987–2013, I.20, S. 225, An Lord Byron, ebd., I.1, S. 583.
568
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
tischer Doppelbiografie Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler53 und Hermann Adalbert Daniels Handbuch der Geographie.54 In Nb 7c finden sich ferner Exzerpt-Notizen aus Robert Frédéric Marquis de Wavrins Das Geheimnis des Orinoko,55 eine Notiz zu Carl Schmitts Land und Meer56 sowie weitere, die vermutlich Meyers Konversationslexikon oder dem Brockhaus entnommen sind. Es ist davon auszugehen, dass Benn in Notizbuch 7c noch zahlreiche weitere Exzerpte, Notizen und Entwürfe niedergelegt hat, die allerdings durch die Beschädigung des »Gödecke Kalendariums« auf das Jahr 1939 nicht überliefert sind.57 Der überlieferte Abschnitt des Notizbuchs enthält mehrere Datierungen von Benns Hand. So versieht er die Fortsetzung der am 31. Dezember 1944 begonnenen Exzerptarbeiten aus Mereschkowski am 1. Januar 1945 mit einer Datumsangabe.58 Eine Woche später datiert er den Ansatz zur Notizmontage nach Dostojewskis Raskolnikows Schuld und Sühne, Wildes Das Bildnis des Dorian Gray und der »Gamelangorchester«-Notiz auf den 7. Januar 1945.59 Der Nutzungszeitraum des überlieferten Teils von Nb 7c lässt sich eingrenzen durch die hs. Datierung der hVerweile weisser Abend [. . .]i-Entwürfe auf den 10. Januar 1945 auf dem vorletzten erhaltenen Blatt.60 Auf die umfangreichen Vorarbeiten folgt jeweils die Montage und Ausarbeitung der beiden Gedichte auf maschinenund handbeschriebenen Blättern, wobei Benn die Petersburg-Vorarbeiten für die Montage von 1886 unterbricht.61 Der Eintrag »1886« am 16./17. Dezember in Tagebuch Nb 9a62 bezeichnet vmtl. das Datum der Montage-Arbeiten am Gedicht, mglw. deren Abschluss. Am 25. Dezember 1944 schickt Benn TH1 1886 als Teil der ersten TyposkriptFassung der Statischen Gedichte an Oelze: Zum Geburtstag sende ich Ihnen eine Folge neuerer Gedichte, von meiner Frau köstlich auf Pergament gesetzt – Sie brauchen sie nicht gut zu finden. 53 Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903. Zur Quelle vgl. Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 214, erstmalige vollständige bibliografische Nennung bei Schröder: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. 2011, S. 308. 54 Daniel: Handbuch der Geographie. 1866. 55 Wavrin: Das Geheimnis des Orinoko. 1944. 56 Schmitt: Land und Meer. 1942. 57 Von dem im Originalzustand 414 Seiten (207 Bl., siehe Abb. 1, S. 546) starken Notizkalender für Ärzte sind nur 39 Blatt (+ 4 Bl. Werbung) erhalten. In den Textfassungen TH1 1886 und TH1 StPbg sind eine ganze Reihe von direkten Quellenzitaten nachweisbar, für die keinerlei Vorarbeiten in Nb 7c oder anderen Notizbüchern vorliegen (siehe Quellendokumentation, S. 564–565). 58 Vgl. Tagebuch, Eintrag zum 31. Dezember 1944: »Mereschkowski: Dostojewski«. SW, VII, S. 122. Datierung 1. Januar 1945: Nb 7c 25r , siehe S. 404. 59 Nb 7c 43r , siehe S. 446. 60 Nb 7c 45v , siehe S. 457. 61 Zu Montage vgl. Sequenzanalyse S. 548–552 sowie 93–97. 62 SW, VII, S. 122.
Entstehung und Druckgeschichte
569
Durchschnittlichkeiten im gehobenen Ton, was der Deutsche im Allgemeinen als Dichtung empfindet, ist es nicht. Aber Rühmenswertes nehme ich auch nicht dafür in Anspruch. Am 3. I. 45 werde ich Ihrer gedenken.63
Auf Oelzes Antwort zur Gedichte-Sendung vom 25. Dezember hin erläutert Benn in seinem Brief vom 18. Januar 1945: [Die neuen sachlichen Gedichte] sollen, zwischen anderer u. bewährter Lyrikform, sagen: dies ist auch Lyrik, so sieht sie heute sogar v o r n e h m l i c h aus, so ist sie echt, nämlich Wirklichkeit so angeordnet u. zum Ausduck gebracht, dass sie phantastischer wird als sog. Phantasie. Z B in 1886. [. . .] Bei den Amerikanischen Romanciers (z B. dos Passos) finden Sie ähnliches: plötzlich im Text ein Lebenslauf, ganz für sich stehend, nur als Ausdruck u. Kurve, als – Ranke (»nach Rankengesetz«). Man könnte sogar s t a t i s t i s c h e s G e d i c h t sagen.64
Die letzten Vorarbeiten und den Übergang zur Kompositionsphase des Petersburg-Gedichts datiert Benn doppelt: in Nb 7c auf 43r und mit einem TagebuchEintrag am 7. Januar 1945: »Petersburg«.65 Eine Woche später, am 15. Januar, noch in Landsberg an der Warthe, notiert er: »Bearbeitung St Petersburg«.66 Mit dem folgenden Brief am 23. Januar 1945 schickte Benn die Arbeiten aus Landsberg a.d. Warthe, getarnt als »Nachlass Rönne«, an F. W. Oelze zur Verwahrung nach Nienburg/Weser.67 Benn trifft Verfügungen zur Verwendung der Texte nach seinem möglichen Tod in den erwarteten Kriegswirren: Also, kommt die Sache an, steht sie zu Ihrer freien Verfügung. [. . .] 3) Gedichtband, die 22 Gedichte von 1943 u. die letzten, die »statischen« [. . .]68
»[S]tatische« Gedichte meint hier das im Dezember 1944 an Oelze gegangene Sammelkonvolut. Das Gedicht St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts ist in 63 BOelze, I, S. 376. DLA, Benn datierte die Widmung auf Oelzes Geburtstag am 3. Januar vor. Vgl. Überlieferung TH1 1886. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, Sigle tII . 64 BOelze, I, S. 377. Das erwähnte literarische Vorbild ist John Dos Passos: Auf den Trümmern. Roman zweier Kontinente. Aus dem Englischen übers. v. Paul Baudisch. Berlin: Fischer 1932. Benn hatte den Roman am 3. April 1944 ausgelesen, vgl. Tagebucheintrag Nb 9a, SW, VII/2, S. 115, und Brief an Oelze desselben Tags BOelze, I, S. 357. In Auf den Trümmern verwendete Dos Passos die bereits in Manhattan Transfer und Der 42. Breitengrad entwickelte Technik in den Prosatext eingeschalteter Collage-Gedichte, der sog. »Weltwochenschauen«. Vgl. auch Benns Erwähnung seiner Manhattan Transfer-Lektüre gegenüber Oelze am 29. August 1935, vgl. ebd., I, S. 63. 65 SW, VII, S. 123. 66 Ebd., VII, S. 124. 67 Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 57. 68 BOelze, I, S. 380.
570
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
diesem noch nicht enthalten.69 Am 22. Januar 1946 sendet Benn das »Manuskript ›Stat. Gedichte‹« an den Berliner Verleger Karl Heinz Henssel, welches nach Steinhagens Rekonstruktion TH3 StPbg und TH2 1886 enthielt.70 Erst mit der Übersendung des Henssel-Privatdrucks am 2. Mai 1946 teilt Benn das Petersburg-Gedicht auch Oelze mit.71 Bereits kurz vor und kurz nach Kriegsende kam es zu ersten Kontakten zwischen Benn und einer Reihe von Verlegern: Karl Heinz Henssel, Eugen Claassen, Ernst Rowohlt (bzw. Kurt Marek), Peter Suhrkamp (bzw. Hermann Kasack) und Johannes Weyl.72 Die Verhandlungen verliefen allerdings zunächst wenig glücklich und scheiterten oft schon in frühem Stadium an Benns Nennung in »schwarzen oder grauen Listen« bei den Besatzungsbehörden.73 Im Januar 1946 stand Benn mit dem Berliner Verleger Karl Heinz Henssel über die Herausgabe der Statischen Gedichte und weiterer Schriften in intensivem Kontakt.74 Am 22. Januar schickt er das größtenteils überlieferte »Manuscript ›Stat. Gedichte‹ an Henssel.«, welches 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts enthält.75 Das Manuskript enthält ferner eine »biografische Notiz«, die allerdings nicht gedruckt wird.76 Am 4. Februar erscheint Henssel persönlich bei Benn, um Fragen der Papierzuteilung zu besprechen.77 In seinem Brief an Oelze vom 27. Februar 1946 sieht Benn einer Veröffentlichung der Statischen Gedichte bei Henssel noch optimistisch entgegen:
69 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, Siglen E1 , tIII . Benn könnte die mglw. noch nicht für reif genug erachteten Manuskripte am 28. Januar 1945 mit auf die Flucht nach Berlin genommen haben. Vgl. BOelze, II.1, S. 383. 70 Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 62–66, Ausschlagtafel Siglen tIII , E2 . 71 Vgl. BOelze, II.1, S. 29–30, siehe S. 572. 72 Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 338–344. 73 Brief an Else C. Kraus und Alice Schuster vom 18. November 1945, AusgB, S. 83. Benn vermutet in den »schwarzen Listen« ein »Emigranten-Femeaktenstück« und hinter den Lizenzverweigerungen Alfred Döblin, vgl. Brief an Oelze vom 3. Oktober 1946, BOelze, II.1, S. 51. 74 Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 62. In Notizbuch 11 sind am 22., 29. Januar und 4. Februar Besuche von Herrn und Frau Henssel bei Benn vermerkt. Einer der Einträge liegt im Bereich dieser Editon, siehe S. 614. 75 Ebd., S. 62. Das Exemplar im DLA sieht die Gedichte St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts und 1886 in der Inhaltsauflistung vor, das Konvolut enthält allerdings nur das letztere. 76 »Gottfried Benn, seit 1932 ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, der sogenannten Dichterakademie, 1933 in seinem bekanntgewordenen ›Offenen Brief an die literarischen Emigranten‹ die politische Lage allzu idealistisch beurteilend, 1936 im ›Schwarzen Korps‹ literarisch bloßgestellt und vor der Öffentlichkeit denunziert, 1938 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, hat nach 1936 nichts mehr veröffentlichen können. Die folgenden Gedichte sind in den Jahren geschrieben, einige von ihnen, darunter der ›Monolog‹ illegal gedruckt und vertrieben.«, ebd., S. 64. 77 »Henssel hier wegen Papier«, ebd., S. 63. Siehe Nb 11 7r , S. 614.
Entstehung und Druckgeschichte
571
Ich stehe jetzt vor der Frage, ob ich die »Statischen Gedichte« (Kombination der 22 Gedichte vom Jahre 1943 u. der Ihnen zugesandten vom 3. I. 1945, etwas modifiziert, im ganzen 30) erscheinen lassen soll. Ein junger Verleger hier, der eine amerikanische Lizenz hat, druckt sie.78
Allerdings erhält Henssel von den Behörden trotz Drucklizenz nicht die nötige Papierzuteilung für eine größere Auflage von Benns Werk. Mit offensichtlichem Bedauern teilt er Benn am 11. April 1946 mit: Lieber Herr Dr. Benn, ich habe gestern nochmals mit Herrn Bleistein über die Veröffentlichung Ihrer Gedichte gesprochen. Er will nicht, und zwar hält er sich an die Liste, die vom Volksbildungsamt ausgegeben wurde. Mein Eindruck ist, dass er es nicht auf einen Kampf mit den Leuten vom Magistrat ankommen lassen will. Er wäre allerdings bereit, der Kommission, der Frau Dr. Flören voransteht, Ihren Fall über die alliierte Kommandantur zuzuleiten. Das lehnte ich ab, indem ich ausdrücklich ihm gegenüber feststellte, daß Sie nicht daran dächten, sich zu rechtfertigen, wo gar keine Rechtfertigung nötig sei. Ich bin nun ganz dafür, dass Goverts – wenn er sich dazu bereiterklärt – alle Ihre Arbeiten übernehmen soll. Ich bedaure es unendlich, dass ich Sie als Autor in meinem Verlage nicht veröffentlichen kann. Von dem Gedichtband rate ich[,] an Goverts ein Fahnenexemplar zu senden. Sollte sich Claassen entschließen, diesen Band zu bringen, so schlage ich vor, von dem Satz hier Matern anfertigen zu lassen und ihm diese zuzustellen, dann braucht das Bändchen nicht noch einmal gesetzt zu werden. – Ich denke, Ihnen Ende der Woche die Korrekturfahnen zuleiten zu können. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie am Donnerstag, den 18. April, kurz aufsuche? Ich schreibe rechtzeitig, sodass eine kurze Antwort möglich ist. Mit sehr herzlichen Grüssen, auch von meiner Frau, Ihr Ihnen aufrichtig ergebener Henssel79
Henssel erweist sich als guter Verbündeter, indem er Frederick Bleisteins ›Angebot‹, Benn zu einem Fall für die Entnazifizierungskommission zu machen, durch Weiterempfehlung Benns an den Goverts Verlag im britischen Sektor ausweicht.80 Der Verleger kann Benn zu seinem Bedauern nur einen Privatdruck 78 BOelze, II.1, S. 20. 79 DLA, Bestand Benn, Brief von Henssel am 11. April 1946, hier vollständig wiedergegeben. Die ersten beiden Sätze zitiert bei Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 340, sonst unveröff. 80 Frederick Bleistein, Information Control Officer der amerikanischen Militärregierung. Vgl. Brewster S. Chamberlin (Hrsg.): Kultur auf Trümmern: Berliner Berichte d. amerikan. Information Control Sect. Juli—Dezember 1945. Übers. v. Christel Frei. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1979,
572
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
von fünf Exemplaren anbieten, von denen er dem Dichter zu dessen 60. Geburtstag eines übersendet. Dieser schickt das Exemplar am 2. Mai 1946 weiter an Oelze, der auf diesem Wege erstmals vom Petersburg-Gedicht Kenntnis erhält: Der junge Verleger hier, der die »Statischen Gedichte« herausgeben wollte, hat zum 2 V 5 Exemplare fertiggestellt, Privatdruck sozusagen, u mir 1 – nur 1. – davon geschenkt. Ich kann Ihnen also keines senden, vermache Ihnen aber mein Exemplar. Sie kennen wohl alles daraus mit Ausnahme einer abwegigen Impression: »St. Petersburg, Mitte des Jahrhunderts« –; [. . .]81
Die sich anschließenden Verhandlungen über die Statischen Gedichte mit dem Claassen & Goverts-Verlag, aber auch indirekte Kontakte mit der DVA, verliefen letztlich im Sande.82 Den Plan für einen Gedichte-Beitrag zu einer Anthologie im Zinnen-Verlag beerdigte Benn noch während dessen Drucklegung.83 Das von Johannes Weyl im Süd-Verlag geplante Projekt einer zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift Pandora, für das er Benn bereits als Beiträger gewonnen hatte, wurde im September 1946 von der zuständigen französischen Besatzungsbehörde abgelehnt, »weil einer der im Register genannten Mitarbeiter auf der ›schwarzen Liste‹ stehe . . .«.84 Nach Vermittlung durch Erhard Hürsch und Johannes Weyl nimmt Peter Schifferli vom Arche Verlag Zürich im September / Oktober 1947 direkt Kontakt mit Benn auf und wirbt um die Veröffentlichung der Statischen Gedichte in Zürich. Tatsächlich plant Benn mit Schifferli auf Basis des erweiterten und revidierten Henssel-Manuskripts erneut die Erstausgabe der Statischen Gedichte, die schließlich im März 1948 erscheint. Bei der Gestaltung des Bandes nimmt Schifferli erheblichen Einfluss. Am 22. Januar 1948, kurz vor dem Druck, berichtet Benn Oelze: S. 49. »Frau Dr. Flören« war Leiterin der Rechtsabteilung der Kammer der Kunstschaffenden. Sie war u.a. mit Fragen der Entnazifizierung, z.B. im Fall Rühmann, befasst. Vgl. Franz Josef Görtz u. a.: Heinz Rühmann 1902–1994. Der Schauspieler und sein Jahrhundert. München: Beck 2001, S. 151. Zur Tätigkeit des Claassen & Goverts Verlags während des Dritten Reichs und zur »Wiederaufnahme des Verlagsgeschäfts« 1945 vgl. Anne-M. Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich. München: K.G. Saur 2007, S. 5–10, hier, S. 6. 81 BOelze, II.1, S. 29–30. 82 Siehe Anm. 72. Während dieses ganzen Prozesses berichtet Benn unter anderem seinem Freund Erwin Gölz (auch bekannt als Frank Maraun) über die Kontakte, lässt sich von ihm bei seiner erneuten Kontaktaufnahme mit der DVA beraten und in diesen Briefen gelegentlich seinen Meinungen zu den Verlegern freien Lauf. Interessant ist bspw. die in Rychners Ausgabe zensierte, sicher ungerechte, Äußerung über Rowohlt: »während Herr Rowohlt erwiderte: einen unerlaubten Autor? aber um Gotteswillen – keinen! Typisch für Herrn R.)«, an Maraun 2. Oktober 1947, DLA, AusgB, S. 96. Erwin Goelz wird Benn später eine größere Zahl auch finanziell wichtiger Sendungen bei Radio Stuttgart verschaffen. Die Korrespondenz mit Goelz ist nur lückenhaft im Rychner-Band publiziert, nicht selten mit Auslassungen und Fehlern. 83 Vgl. die Briefe von Gunter Groll vom 4. und 27. April 1946, DLA, unveröff. 84 Joh. Weyl an Benn, 18. September 1946, DLA. Manfred Bosch: Zeit der schönen Not. Die Anfangsjahre des Südverlag in Konstanz 1945 bis 1952. Konstanz: UVK Verlags GmbH 2009, S. 333.
Entstehung und Druckgeschichte
573
Hinsichtlich der »Statischen Gedichte« habe ich einige Konzessionen an die Stimmung der Eidgenossenschaft machen müssen. Der Verleger bat mich abzusehen von: Chopin. / Monolog. / Clemenceau. / St. Petersburg / 1886. / u dafür 3 frühere einzusetzen nämlich: 1) Ach, das Erhabene / 2) Astern / 3) Tag, der den Sommer endet – Gegen die Ablehnung von Chopin habe ich auf das Bestimmteste protestiert u. ich glaube, dass es mit erscheinen wird. Mit dem übrigen bin ich einverstanden.85
Schließlich erscheint St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts dennoch in der Arche-Ausgabe der Statischen Gedichte, nicht aber 1886. Einigen Unmut erregte Schifferli beim Schriftsteller, indem er das Gedicht Gewisse Lebensabende, das Benn mit St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts austauschen lassen wollte, noch kurz vor dem Druck ohne Einwilligung des Dichters aus dem Band entfernen ließ.86 Am 16. April 1948 kann Schifferli vermelden, dass die amerikanische Militärbehörde in München die Sperre für Benn aufgehoben habe und somit einer Lizenzausgabe der Statischen Gedichte in Deutschland nichts mehr im Wege stehe.87 Zunächst ist die Nymphenburger Verlagshandlung als Lizenznehmer im Gespräch, später auch der Bühler Verlag in Baden-Baden.88 Als sich am 22. Juli auf Vermittlung Emil Lüths der Verleger des Limes Verlages, Max Niedermayer, an Benn wendet, bietet ihm der Dichter bereits am 18. August eine ganze Reihe von Projekten zu Lyrik- und Prosa-Bänden an.89 Am 3. Oktober eröffnet Benn Niedermayer die Möglichkeit, die Statischen Gedichte in Lizenz zu verlegen. Im März 1949 schließlich erscheinen die Statischen Gedichte im Limes-Verlag, unter Hinzunahme der Gedichte Gewisse Lebensabende und Acheron.90 Benn berichtet in einem Brief an Oelze vom 7. Juli, er habe in 1886 einiges gestrichen und »konzentriert«.91 Im vorangegangen Brief hatte F. W. Oelze Benn ermutigt, 1886 in den mit Niedermayer geplanten Herbstband Trunkene Flut aufzunehmen, was allerdings letztlich nicht geschieht. Im Juli und November verweisen einige Briefe an Oelze auf Bearbeitungen des »geistlose[n] 85 BOelze, II.1, S. 111. Die von Schifferli gewünschten Streichungen (nicht Chopin), hat Benn hs. in einer auf den 26. November 1947 datierten Titelaufstellung vermerkt, die im DLA hinter dem ergänzten Henssel-Manuscript eingelegt ist. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 80f. 86 Vgl. Brief von Schifferli an Benn vom 13. August 1948. Er begründet den Eingriff damit, dass ihm Gewisse Lebensabende »nicht ganz dem Ton der übrigen Gedichte zu entsprechen schien.«, Benn: Statische Gedichte. 1983, S. 102, vgl. auch S. 102–121. 87 DLA, unveröff. Indirekt zitiert Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 84. 88 Zu Nymphenburger Verlagshandlung vgl. Brief an Maraun am 24. April 1948, unveröff. DLA. Zu Bühler vgl. BLimes, S. 16. 89 Vgl. ebd., S. 7ff. 90 Vgl. SW, I, S. 479–484. Vgl. BLimes, S. 498. 91 Vgl. SW, II.1, S. 224. Die Korrekturfassung ist nicht überliefert.
574
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
statistische[n] Feuilletons«.92 Am 21. Januar 1950 schickt Benn das Gedicht an Niedermayer, um es nachträglich in Doppelleben einzubringen. Lieber Herr Niedermayer – nun noch eine letzte Anfrage, falls Sie noch 2–3 Seiten Raum haben, könnten wir eventuell dies (sogenannte) Gedicht: 1886 (mein Geburtsjahr) hineinbringen. Ich fand damals ganz originell, eine Jahreszahl in dieser Weise zu beleuchten. Falls Sie Raum und Lust haben, würde ich es zwischen »Literarisches« und »Zukunft und Gegenwart« setzen. Aber es muss nicht sein, nur eine Idee von mir, es ist noch nicht gedruckt. An den Titel 1886 könnte man einen Stern machen und dann eine Fussnote: mein Geburtsjahr – unten an der Seite.93
Drei Tage später, am 24. Januar ergänzt Benn das Gedicht per Briefvermerk um eine Präambel und lässt die Idee einer Fußnote fallen: Falls wir 1886 bringen, würde ich vorschlagen, es in folgender Fassung zu tun: 1886 ————— (mein Geburtsjahr – was schrieben damals die Zeitungen, wie sah es aus?) dann also keine Fussnote unten, wie ich es anfänglich an Sie schrieb.94
1886 erscheint Februar 1950 in Doppelleben erstmals für ein breites Publikum, gerahmt von einer in einem intensiven Montageprozess entstandenen »Autobiografie« und einer in mehreren Ansätzen neu entworfenen »Selbstkorrektur« seines Verhältnisses zu Klaus Mann.95 Das Gedicht wird erneut April 1956 in Über mich selbst. 1886–1956 gedruckt, einer in Lizenz bei Langen-Müller herausgegebenen Sammlung autobiografischer Schriften in der Reihe »Langen-Müller’s kleine Geschenkbücher«.96 Lediglich St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts wird schließlich in die Gesammelten Gedichte von 1956 aufgenommen.
92 Vgl. BOelze, II.1, S. 227, 269. 93 BLimes, S. 214, 216. 94 Ebd., S. 216. 95 Gottfried Benn: Doppelleben. Zwei Selbstdarstellungen. Wiesbaden: Limes 1950, S. 183–186. Zum Montageprozess von Doppelleben und der mehrfachen Revision der Einleitung zum Brief Klaus Manns vgl. Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006, S. 6, 32–33, Abb. passim. 96 Gottfried Benn: 1886. In: Über mich selbst. 1886–1956. München: Langen-Müller 1956 (= Langen-Müller’s kleine Geschenkbücher 55), S. 7–9. Die Lizenzausgabe war bereits seit Frühjahr 1954 zwischen Langen-Müller, dem Limes-Verlag und Benn verhandelt und abgestimmt worden, vgl. BLimes, S. 701, 749, 752, 1157, 1189.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
575
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes Die Entstehungsstufen der Gedichte 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts werden in der vorliegenden Edition als zusammenhängender Entwurfkomplex dargestellt.97 Dieser Zusammenhang der Vorarbeiten zu 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts in Nb 7c wurde bereits in den Sämtlichen Werken abgebildet.98 Die Vorarbeiten der beiden Projekte bilden in der »Arbeitstopografie« des Notizbuchs 7c einen Entwurfkomplex, indem die Notizen aus dem thematischen Umfeld von 1886 nach und nach in eine Material- und Entwurfsammlung zum Petersburg-Gedicht übergehen.99 Hinterer Abschn. 35v –46v Vorarbeiten, Exzerpte und Teilentwürfe zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts / Entwürfe [Verweile weisser Abend] / vermischte Exzerpte, Notizen
28r –35r – Unbeschr. Seiten (nicht in Edition)
21v –27v – Mereschkowski-Exzerpte / Petersburg-Plan (27v )
16v –21r – Vermischte Exzerpte, Notizen
6r –16r – Vorarbeiten zu 1886 / vermischte Exzerpte, Notizen
1r –5v – Jahreskalender (nicht in Edition)
Vorderer Abschnitt 6r –27v
Abbildung 2: Schematische Übersicht Notizbuch 7c, überlieferter Teil.
Das kontinuierliche Exzerpieren aus den historischen Quartalsbänden der Deutschen Rundschau und anderen Quellen bildet die Materialgrundlage für die spätere Montage der beiden Gedichte.100 Während der überwiegend aus der Deutschen Rundschau bezogenen, später in 1886 verarbeiteten, vermischten 97 Vgl. Killy: Der »Helian«-Komplex in Trakls Nachlaß. 1959, S. 391. Vgl. auch Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 212f, ders.: »Materialität«? 2010, S. 178. 98 Vgl. SW, VII/2, S. 436–458. Die Konzeption hierzu ist im Laufe der editorischen Vorarbeiten dieser Dissertation, während der gemeinsamen Arbeit mit Holger Hof an den Notizbüchern entstanden, vgl. Danksagung ebd., VII/2, S. 622. 99 Zur Konzeption ›Arbeitstopografie‹ vgl. Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 212f. 100 Vgl. ders.: »Materialität«? 2010, S. 178.
576
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Notizen im vorderen Abschnitt von Nb 7c (7v –16v bzw. 6r –27v ) entstehen bereits die ersten stichwortartigen Ansätze zur Petersburg-Materialsammlung, welche in die Exzerpte aus Dimitri Mereschkowskis essayistischer Tolstoi und Dostojewski-Doppelbiografie101 (21v –27r ) und den Petersburg-Themenplan (27v ) münden. Bei den nach 14 leeren Seiten folgenden Exzerptnotizen und Entwürfen zum Themenkreis St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts im hinteren Abschnitt von Nb 7c (35v –46v ) greift Benn neben Mereschkowski (43v ) wiederum vor allem auf die Deutsche Rundschau als Quelle zurück (Turgenjew, Hiller, Friedländer102 ), exzerpiert daneben auch aus Hermann Adalbert Daniels Handbuch der Geographie103 und Dostojewskis Schuld und Sühne-Roman.104 Die Notizen dieses Abschnitts sind jedoch nicht auf das Petersburg-Thema beschränkt, Benn setzt die bereits im vorderen Notizbuchabschnitt angelegten Reiseliteratur- bzw. kolonialhistorischen Exzerpte und literarischen Notizen, z.B. zu Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray, fort.105 Erst gegen Ende des überlieferten Fragments von Nb 7c finden sich die durch Winkelmarkierungen gekennzeichneten Entwürfe zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts (40r , 43r ) und die hVerweile weisser Abend [. . .]i-Entwürfe (44v –45v ). Bereits der knappe Überblick über die Vorarbeiten in Nb 7c macht deutlich, dass der Schreibprozess in dieser Phase vor allem von den jeweiligen Lektüren, der Anlage erster thematischer Notizengruppen und an daran anschließenden Notizen und Entwürfen geprägt ist. Die beiden Gedicht-Projekte ergeben sich aus dem Prozess des Exzerpierens und Notierens, durchaus verwandt der Konzeption des »summarischen Überblickens« im Roman des Phänotyp.106 Benn organisiert die »Arbeitstopografie« des Notizbuchs in Phasen-Abschnitten von thematischen oder nach Quellen gruppierten Exzerpt- und Notizensammlungen, Teilentwürfen, aber auch in größeren Projekt-Abschnitten. Im Folgenden werden einige den Schreibprozess organisierenden Konstellationen und Strukturen in Nb 7c dargestellt, um die materiale Organisation des Entwurfkomplexes und den textgenetischen Übergang von den Vorarbeiten zu 1886 zu denen des Petersburg-Gedichts zu verdeutlichen. 101 Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903. 102 Turgenjew: Iwan Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen. 1883; Hiller: In St. Petersburg. 1883; ders.: Erinnerungsblätter. 1884; Friedländer: Erinnerungen an Turgenjew. 1886; ders.: Die Christenverfolgungen der römischen Kaiser. 1893. 103 Daniel: Handbuch der Geographie. 1866. 104 Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. o.J. (um 1905). Siehe Anm. 50. 105 Siehe Anm. 29. 106 Vgl. SW, IV, S. 405–406, vgl. auch Holger Hofs Nachweis von Benns das Überfliegen der Seiten [eines Kunst-Bildbandes] nachahmenden Quellen-Verarbeitung im Roman des Phänotyp. Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 195–200.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
577
Abbildung 3: Ausschnitt Nb 7c 14v mit Überschrift »1886«.
Während der vermischten Exzerpte aus der Deutschen Rundschau (6r –20r ) und Wavrins Das Geheimnis des Orinoko107 (19r , 20r , 21r ) im vorderen Abschnitt von Nb 7c legt Benn zunächst kleinere, thematisch oder nach Quellen gruppierte Notizsammlungen an, welche zu diesem Zeitpunkt noch keinem Textprojekt zuzuordnen sind. Unter diesen Vorarbeiten nehmen die Musik-Theaternotizen aus den Vorabdrucken zu Eduard Hanslicks Aus meinem Leben den größten Raum ein, gefolgt von Notizen aus Adolf Marcuses Deutsche Rundschau-Beitrag über die Hawaiischen Inseln sowie Beiträgen von Rose Blennerhasset, Paul Güßfeldt und verschiedenen anonymen Autoren.108 Auf 14v , 15r findet sich mit der »1886« überschriebenen Notizgruppe (siehe Abb. 3) der erste direkte Hinweis auf eine Materialsammlung für einen Text über das eigene Geburtsjahr. Sie besteht aus der Deutschen Rundschau entnommenen Exzerptnotizen zu politischen, kultur- und alltagsgeschichtlichen sowie meteorologischen Ereignissen des Jahres 1886.109 Zwischen den gleichsam ein Panorama der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildenden Exzerpten im vorderen Abschnitt von Nb 7c finden sich bereits erste Stichwortnotizen zum Themenkreis von St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts. Unter anderem fallen bereits die Namen Tolstoi, Dostojewski, Turgenjew und Mereschkowski, die im Zentrum der weiteren Vorarbeiten stehen werden.110 Einige dieser Namen notiert sich Benn als Merkposten für weitere Recherche. Offensichtlich ist dies etwa bei der Eintragung auf 16v (siehe Abb. 4), mit wel107 Wavrin: Das Geheimnis des Orinoko. 1944. 108 Hanslick: Aus meinem Leben (I., VIII.) 1893 (und folgende), Marcuse: Die hawaiischen Inseln. 1893; Blennerhassett: Was Frauen vermögen. 1894; Güßfeldt: Die erste Ersteigung des Montblanc über die Aiguille Blanche de Péteret. 1893; ders.: Der Montblanc. I. / IX. 1892; ders.: Der Montblanc. X. / XXII. 1892; Anonymus: Bemerkungen über die englische Gesellschaft. 1886; Anonymus: Politische Rundschau. 1886; Anonymus: Literarische Notizen. 1886. 109 Bei den Quellen der Notizen auf den beiden Notizbuchseiten handelt es sich um Artikel der Deutschen Rundschau sowohl aus dem Jahr 1886, aber auch aus den Jahren 1892 und 1894. Siehe S. 559. 110 Nb 7c 10v , 11r , 12r , 14v , 15v –16v , 19v . Siehe S. 347, 348, 352, 363, 367–371, 383.
578
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Abbildung 4: Ausschnitt Nb 7c 16v mittig, Recherche-Notiz »Stadtbibliothek«.
Abbildung 5: Ausschnitt Nb 7c 19v unten, mit Mereschkowski-Notiz.
cher sich Benn für den nächsten Gang in die »Stadtbibliothek«111 daran erinnert, das Sterbedatum Turgenjews und das Verhältnis Nietzsches zu Eugen Dühring und Eduard von Hartmann zu eruieren.112 Anlass der Notiz ist die (Re-)Lektüre von Friedländers Erinnerungen an Turgenjew und Steins Beitrag über Nietzsches »Weltanschauung«, beide Deutsche Rundschau (1886, 1893).113 Tatsächlich geht Benn im Laufe der weiteren Recherche sowohl der Nietzsche-Frage als auch seinem Informationsbedürfnis bezüglich Turgenjews nach. Auf der ersten Seite der Mereschkowski-Notizen (21v 17) gibt er sich bezüglich Nietzsches mit dem Vermerk zufrieden, dass dieser, Tolstoi und Hartmann »Artilleristen« gewesen seien.114 Nach Abschluss der ersten Mereschkowski-Exzerpte wertet Benn zunächst 111 Gemeint ist vmtl. die Volksbibliothek Landsberg a.d.W. 112 In Ludwig Steins Artikel, welcher den Notizen auf 16v wahrscheinlich zu Grunde liegt, werden Schimpftiraden Nietzsches über die beiden Freunde kolportiert. Mglw. ist das Fragezeichen unter der Nietzsche-Notiz ein Hinweis, dass Benn Steins Darstellung bezweifelt. Vgl. Stein: Friedrich Nietzsche’s Weltanschauung und ihre Gefahren. 1893, S. 412. 113 Vgl. Friedländer: Erinnerungen an Turgenjew. 1886; Stein: Friedrich Nietzsche’s Weltanschauung und ihre Gefahren. 1893. Die Lektüre ist u.a. durch den Quellenbezug der Notizen auf 16v belegt. Siehe auch Quellendokumentation, S. 557. Friedländers Artikel war Benn allerdings schon zu einem früheren Zeitpunkt bekannt, wie die Einarbeitung eines Zitats in 1886 zeigt, siehe auch Quellendokumentation, S. 564. 114 Zumindest was Nietzsche angeht, verfügte Benn über diese Information bereits Mitte Oktober, siehe Anm. 22.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
579
Abbildung 6: Ausschnitt Nb 7c 36r mit Überschrift »St Petersburg«.
weitere Quellen zu Turgenjew aus. Der hintere Abschnitt des überlieferten Teils von Nb 7c 35v –37r setzt gleich auf der ersten Seite mit den ausführlichen Exzerpten der gleichfalls in der Deutschen Rundschau publizierten »Literaturund Lebenserinnerungen« Turgenjews ein.115 Benn arbeitet in diesem Abschnitt weiterhin auch mit Friedländers Memoiren und Mereschkowski, nimmt als Erweiterung des Recherchethemas zuerst Hillers Petersburg-Erinnerungen,116 später Daniels Handbuch der Geographie117 und schließlich auch Dostojewskis Raskolnikows Schuld und Sühne als Textquellen hinzu.118 Offenbar anlässlich der Lektüre in Rodenbergs Rezension zu Herman Grimms Schriftensammlung Aus den letzten fünf Jahren,119 darin zur »Geschichte des Essays«, vermerkt Benn unter seinem Exzerpt im vorderen Abschnitt von Nb 7c: »Grosser russischer Essayist: Mereschkowski«, Nb 7c 19v 13, siehe Abb. 5. Wenig später nimmt er ein Exemplar von dessen essayistischer Doppelbiografie Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler120 zur Hand und macht daraus auf den folgenden Notizbuchseiten über die Jahreswende 1944/45121 zahlreiche stichwortartige Notizen und Exzerpte (21v –27r ). Direkt im Anschluss an diesen ersten Block Mereschkowski-Exzerpte folgt auf Nb 7c 27v der stichwortartige Themen-Plan, welcher Motive der vorangegangenen Notizen aufgreift:
115 Turgenjew: Iwan Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen. 1883. 116 Vgl. Hiller: In St. Petersburg. 1883. 117 Daniel: Handbuch der Geographie. 1866. 118 Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. o.J. (um 1925). 119 Rodenberg: Die neuen Essays von Herman Grimm. 1890. 120 Nb 7c 21v ff, siehe ab S. 391, vgl. auch Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903. 121 Vgl. Tagebuch, Eintrag zum 31. Dezember 1944: »Mereschkowski: Dostojewski«. SW, VII, S. 122. Am Neujahrstag 1945 setzt Benn die Exzerpte fort, vgl. die Datierung Nb 7c 25r , siehe S. 404.
580
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Abbildung 7: Ausschnitt Nb 7c 41r . »anderweit: [. . .] anderweit: [. . .]« Themen: Schwarzer Dämmer Notwendigkeit St Petersburg z Z Dostojewskys ? von Gütern? beschränkteste tiefstehender Adel keine Kolonien kein Reichtum122
Hierauf folgen unmittelbar 14 leere Notizbuchseiten, dann der hintere Notizenund Entwurf-Abschnitt von Notizbuch 7c (35v –46v , siehe Schema Abb. 2). Auf der ersten Doppelseite des hinteren Abschnitts 35v /36r findet sich über den ersten Exzerpten aus Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen die ProjektÜberschrift »St Petersburg« (Abb. 6). Der darauf folgende hintere Abschnitt von Nb 7c ist trotz der dominanten Petersburg-Bezüge thematisch durchmischt. Der bereits im vorderen Teil des Notizbuchs angelegte Themenstrang der Reise- und Kolonialliteratur setzt sich nach der im Themen-Plan 27v vermerkten Abwesenheit russischer Kolonien in Form intermittierender Notizen aus NeumannSpallarts Von den europäischen Kolonien und Ernst Haeckels Der Adams Pik auf Ceylon, beide Deutsche Rundschau (1883), fort.123 Auffällig ist in diesem Abschnitt die Gruppierung der Notizen nach Textquellen einerseits, nach durch »anderweit:« bzw. »anderer [. . .]« als assoziativ gekennzeichneten Anschlüssen andererseits (vgl. 40v , 41r , 42r , 43r , Bsp. siehe Abb. 7, 9). 122 Nb 7c 27v , siehe S. 415. Z. 4 kaum eindeutig zu entziffern, an anderer Stelle habe ich statt »von Gütern« die Lesart »Notgüter« vorgeschlagen, vgl. Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 214. Vgl. ohne Entzifferungsvorschlag SW, VII/2, S. 450. 123 Haeckel: Der Adams-Pik auf Ceylon. 1883; Neumann-Spallart: Von den europäischen Kolonien. 1883.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
581
Abbildung 8: Ausschnitt Nb 7c 43r oben.
Abbildung 9: Ausschnitt Nb 7c 43r unten.
Diese thematische Mehrzügigkeit zeigt sich in der Text-Konstellation auf der Seite 43r vom 7. Januar 1945, welche Benn als Bricolage in den Text des Gedichts St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts überträgt (siehe Abb. 8, 9). Im oberen Bereich der Seite befindet sich – wie bei dem vorangehenden Turgenjew-Exzerpt 40r durch Winkelmarkierungen abgesetzt – eine gegenüber 40v sprachlich leicht verknappte Neufassung des »Raskolnikow« überschriebenen Teilentwurfs nach dem Vorbild der »Kabak«-Szene in Dostojewskis Roman. Die Winkelmarkierungen sollten offenbar den Entwurf von der durch »anderer Mörder:« als freie Assoziation angeschlossenen Dorian Gray-Notiz abgrenzen. Ganz unten auf der Seite befindet sich, dem Blattaufdruck ausweichend und durch Beschädigung trunkiert, das Stichwort »Gamelangorchester« (Abb. 9), welches Benn seinen direkt vorangegangenen Notizen aus Neumann-Spallarts Von den europäischen Kolonien entnommen hat (42r 1, 11).124 Im späteren Gedichttext behält Benn die materiale Konstellation der Notizbuchseite bei und fasst Entwurf und Notizen heterogener Provenienz zu einer Strophe zusammen, indem er die assoziative Notiz »(Anderer Mörder: [. . .]« in Klammern setzt und das »Gamelangorchester« syntaktisch anschließt: »Dorian Gray [. . .] bestellt Gamelangorchester.)«. Die geradezu hermetische Verdichtung der intertextuellen Bezüge in dieser Strophe des Petersburg-Gedichts rührt also 124 Siehe Quellendokumentation S. 557ff.
582
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
von der Umsetzung der materialen Textkonstellation auf der Notizbuchseite in Gedichttext her. Die in dieser Passage verdichteten Quellen selbst verweisen ihrerseits – auf der textgenetischen Ebene – weit in den Rechercheprozess des vorderen Abschnitts von Nb 7c zurück, nämlich sowohl auf die Beschäftigung mit Dostojewski über Mereschkowskis Doppelbiografie, als auch auf die Recherchen in den zahlreichen Reise- und Kolonialliteratur-Texten der Deutschen Rundschau. An die Vorarbeiten schließt jeweils die Arbeitsphase der Montage und weiteren Ausarbeitung an, während der Benn die Strophen mitunter physisch rearrangiert, nachträglich neue einfügt und wieder bearbeitet. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieser Prozess an den Manuskripten TH2 1886, TH1, TH2 StPbg. So wurde TH2 1886 etwa durch Zerschneiden und physische Remontage einer vmtl. mit TH1 1886 textidentischen Fassung gekürzt.125 In der Sequenzanalyse zu TH1 und TH2 StPbg wird deutlich, in wie vielen Arbeitsgängen die Komposition vonstatten ging. Mehrmals löste Benn die montierte Strophenfolge auf, änderte sie etwa nachträglich durch Nummerierung, um dann neue Strophen einzufügen.126 Während an St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts nach der Reinschriftfassung TH4 StPbg vor allem Interpunktions- und satzbedingte Umbruchänderungen vorgenommen werden, erfährt 1886 nach TH1 1886 stärkere Eingriffe. So wurde das Gedicht in TH2 stark gekürzt und umgestellt, zudem die Zeile »ferner von Staatsrat Furtwängler,« zu »Dirigent Furtwängler« gemildert und der Firmenname »Armstrong« in »Krupp-Stahl« geändert.127 In der von Benn hs. auf das Entstehungsjahr 1944 datierten, vmtl. aber erst Juli bis November 1949 stattfindenden Bearbeitung TH5 1886 ist »Emigrant Kokoschka« in »Bundesbruder Kokoschka« geändert.128
Ergänzende Hinweise Der Hauptentstehungszeitraum der beiden Texte fällt in die letzten eineinhalb Monate der literarisch hoch produktiven Zeit während der Stationierung in Landsberg an der Warthe, in der Benn zahlreiche Gedichte und kleinere Prosa, vor allem aber den Roman des Phänotyp. Landsberger Fragment verfasst.129 Die 125 Siehe S. 462–508. Vgl. auch die späte, von Benn 1949 eigenhändig korrigierte Abschrift von TH1 1886, TH4 1886 auf den Seiten 530–536. 126 Siehe S. 549f, 551f. 127 TH2 1886 2br 3, 6–7, siehe S. 508. 128 TH5 1886 2r 27. Siehe S. 540. 129 Zur Arbeitsperiode in Landsberg vgl. vor allem die Tagebucheinträge SW, VII/2, S. 104–124 sowie Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 19–27, ders.: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 192–200, Heintel: Block II, Zimmer 66. 1988.
Ergänzende Hinweise
583
letzten drei Monate in Landsberg nach Beförderung zum »Standortarzt von L.a.W. u. Führer der H.San.Staffel L.a.W.«, Verlegung der Dienststelle und erneutem Wohnungsumzug130 sind geprägt von der Erwartung der bevorstehenden militärischen Niederlage und gelegentlicher Hoffnung, das Regime könnte doch noch einem schnellen Kriegsende durch Abdankung den Weg ebnen: »Wann geht der grosse König aus der Sonne?« fragt Benn im Oelze-Brief vom 24. Oktober 1944.131 Am darauf folgenden Tag gibt Benn seiner Erwartung Ausdruck, dass es »ein halbes Jahr [. . .] noch dauern« wird, im »Januar u. Februar soll ja die grosse Peripetie einsetzen, sagen die Militärs«.132 Der von Benn auf den 10. Januar 1945 datierte Gedichtentwurf hVerweile weisser Abend [. . .]i in Notizbuch 7c133 verweist mit der Beschreibung eines verschneiten Abends von »tötlicher Schönheit« »eine Stunde vor Nacht« und der Bemerkung der Sprecherinstanz, dass das »wir« »dem Sturz verfallen« sei,134 nicht nur auf den nahen Zusammenbruch des Dritten Reiches,135 sondern über die Faust-Anspielung ebenso auf dessen tragische und moralische TeufelspaktDimension.136 Noch eindringlicher formuliert der umseitige Vorentwurf die bedrohliche Situation: »wir sind von Göttern verlassen / u müssen uns selbst verstehn«, »dunklen u blinden / Gewalten dargebracht –«.137 Diese Gedichtentwürfe befinden sich zwischen den spätesten Vorarbeiten zu St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts auf den letzten Seiten des überlieferten Teils von Notizbuch 7c. Die auf den vorangehenden Notizbuchseiten befindlichen Exzerpte und Notizen beziehen sich hauptsächlich auf das Welt-, Kultur- und Kunstgeschehen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und weisen kaum Gegenwartsbezüge auf.138 Erst mit der Montage und Bearbeitung des Textmaterials zu den Gedichten 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts139 wird die Signatur von Benns biografischer und intellektueller Schreib-Situation erkennbar – allerdings eben in 130 Im Zuge seiner Beförderung wurde Benns Dienststelle von der »Strantz-Kaserne« in die »WalterFlex-Kaserne« verlegt, was wiederum einen Umzug in die Lehmannstraße 68 mit sich brachte. Vgl. BOelze, I, S. 372, Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 26, ders.: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 192–194. 131 BOelze, I, S. 374. 132 An Oelze 25. Dezember 1944, ebd., I, S. 375. 133 Nb 7c 44v –45v , siehe S. 453–457, Datierung von Benns Hand ebd. 134 Nb 7c 45v 11–13, 15, siehe S. 457. 135 Vgl. Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 19. 136 Vgl. »Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehn!«, Faust. 2005, I, S. 76. 137 Nb 7c 45r 14–15, 21–22. Siehe S. 454. 138 Nur einige wenige, isolierte Notizen in Nb 7c verweisen eindeutig auf Gegenwartskontexte. Bspw. die Erwähnung der »Kamikaze« (13r 15, 18, siehe S. 356) und der »Wehrmacht« (45r 2). Siehe S. 356, 454. 139 Siehe vor allem die Sequenzanalysen zu den komplexen Montage-, Umstellungs- und Ergänzungsarbeiten in TH1, TH2 StPbg, TH2 1886, S. 549, 551, 547.
584
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
montagehaft gebrochener Form. Im vorangegangenen Abschnitt wurde gezeigt, dass Benn die Notizen bzw. materialen Notiz-Konstellationen direkt in GedichtText überführt und an den Montage-Nähten hermetisch wirkende Bruchstellen zurücklässt, welche als Spur des Kompositionsprozesses in den fertigen Texten lesbar bleiben.140 Es handelt sich allerdings nicht nur um Arbeitsspuren, sie gehören zum »artistischen« Gepräge dieser Texte und zur Programmatik der Statischen Gedichte, deren früheste Erwähnung als Stichwortnotiz in Nb 7c nachgewiesen ist.141 Der Montage-Charakter der Gedichte ist es gleichzeitig, der die spezifische Konstellierung des historischen Materials als Bricolage in den Fokus rückt. Beide Gedichte stellen – für Benns Lyrik in dieser Form einzigartig – ihre Komposition aus unzusammenhängenden Bruchstücken geradezu aus. Sie inszenieren die Spuren eines nicht mehr zur Geschlossenheit kommenden Schreibprozesses. Für die Prosa-Produktion war Montage bereits seit den 1930er Jahren eines von Benns bevorzugten Verfahren.142 Die beiden Gedichte waren offenbar geplant als eine Art montierte ›lyrische Essays‹, als Versuche oder »Probe«, wie Benns Exzerptnotiz aus Julius Rodenbergs Rezension zu Herman Grimms Aus den letzten fünf Jahren in Notizbuch 7c nahelegt: »Geschichte des Essays [. . .] Von Montaigne den Namen von Bacon die Feststellung seines Charakters[/] Essai [. . .] aus dem Griechischen in das spätere Latein übergegangene ›Exagium‹ (italien: Saggio): ›Teil einer grösseren Menge, aus dem man auf die Beschaffenheit des Ganzen schliesst, eine Probe‹«143 Kurz nach der Fertigstellung brachte Benn die Poetik der »neuen sachlichen Gedichte« in Zusammenhang mit Dos Passos’ Romanen bzw. den darin enthaltenen »Weltwochenschauen«.144 An verschiedenen Stellen hebt Benn diesen Gedichttypus als »journalistische« Gedichte, als »Feuilletons« hervor. Wie Benn an Oelze später während der Arbeiten am autobiografischen Essay Doppelleben schreibt, welcher ebenfalls als Montage entsteht und 1886 bekanntlich als eine Art Kurzbiografie in Versen integriert: Das neue Buch ist ein großes Tohuwabohu –, Biographisches, Literarisches, Politisches, Feuilleton und Tiefsinn alles durcheinander. Absichtlich, ich mag nicht mehr ordnen u. Regeln. Ich sehe jetzt ein, warum Nietzsche apho140 Einen ähnlichen Effekt beschreibt Benn für Nietzsches späte Prosa in Nietzsche – nach 50 Jahren: »[. . .] die Bruchflächen funkeln lassen auf jede Gefahr und ohne Rücksicht auf die Ergebnisse – das war sein Weg. Und die Herz pries sein Zerbrechen: ›alles ist Lüge an mir‹, sagt der Zauberer im Zarathustra, ›aber daß ich zerbreche – dies mein Zerbrechen ist echt.‹«, SW, V, S. 204. 141 Das Gedicht Statische Gedichte ist nicht genau datierbar, es entsteht vermutlich ebenfalls im Dezember 1944. Vgl. ebd., I, S. 477. 142 Zur Montagetechnik bei Benns Essayistik vgl. Hof: Montagekunst und Sprachmagie. 1997. 143 Nb 7c 19v , siehe S. 383, vgl. auch Rodenberg: Die neuen Essays von Herman Grimm. 1890. Zur Montagetechnik bei Benns Essayistik vgl. Hof: Montagekunst und Sprachmagie. 1997. 144 BOelze, I, S. 377, zu Dos Passos als ›Vorbild‹ der beiden Gedichte siehe S. 569, Anm. 64.
Ergänzende Hinweise
585
ristisch schrieb. Wer keinen Zusammenhang mehr sieht, keine Systematik, kann nur noch aphoristisch verfahren.145
Als »statistische Gedichte«146 waren 1886 und das Petersburg-Gedicht Benns konzeptuelle Prototypen für eine Lyrik der Nachkriegszeit, die Statischen Gedichte von 1948/49 und letztlich auch für »Phase II«.147 Der spezifische historische Zeitpunkt ist hier von Bedeutung. Im Begleitheft zur Ausstellung der Doppelleben-Manuskripte im DLA Marbach im Benn-Jahr 2006 wird deutlich, wie eng die Verflechtung von Montagetechnik, Autobiografie, Legitimationsstrategie und Selbstkritik bei der Entstehung von Doppelleben war.148 Die beiden oben zitierten Änderungen der letzten Strophe von 1886, die Benn kurz vor dem Privatdruck bei Henssel 1946 (»Staatsrat Furtwängler« zu »Dirigent Furtwängler«) und vor dem Abdruck in Doppelleben (»Emigrant Kokoschka« zu »Bundesbruder Kokoschka«) vorgenommen hat, spiegeln eine Tendenz zur strategischen Anpassung des Textes an die politischen Verhältnisse am deutlichsten.149 Während das Gedicht 1886 Benns Geburtsjahr als historischen Bezugspunkt wählt, markiert der Titel St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts einen geografischhistorischen, innerhalb von Benns intellektueller Biografie spezifisch konnotierten Kontext. Die Recherchen und Vorarbeiten drehen sich um das »St Petersburg z Z Dostojewskys«150 – mit dem späteren Titel »St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts« thematisiert Benn zugleich die »Geburtsstunde« des Nihilismus. 145 An Oelze, 27. Dezember 1949. Ebd., II.1, S. 281. 146 Benn an Oelze am 18. Januar 1945: »Man könnte sogar statistisches Gedicht sagen.«, ebd., I, S. 377. 147 Der spätere Titel »Statische Gedichte« findet sich erstmals unter den Notizen zu den beiden Gedichten Nb 7c 12v , siehe S. 355. Es könnte sich hierbei um einen Stichwortentwurf für das um dieselbe Zeit entstandene programmatische Gedicht Statische Gedichte handeln, SW, I, S. 224, 477. Vgl. auch »PHASE II – nämlich Phase II des expressionistischen Stils, aber auch Phase II des nachantiken Menschen«, ebd., VII/1, S. 238. 148 Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006. In der Benns Spätwerk durchziehenden »Absage an Ganzheitsvorstellungen, überhaupt de[r] Verzicht auf die Behauptung eines Zentrums, von dem Sinn ausgeht« wie auch in der »Nonchalance [. . .] selbst dem eigenen Werk gegenüber« (BOelze, II.1, S. 83), liegt nicht nur etwas, das man mit Dirk von Petersdorff »solange kein besserer Begriff vorliegt«, ›postmodern‹ nennen könnte. Es zeigt sich darin, wie Petersdorff fortfährt, auch eine »neue Position«, welche auf die »Verheerungen« reagiert, »an denen sich Benn 1933 beteiligt hatte, nach der Idee, eine ›Metaphysik der Form‹ mit einer ›volkhaften Verpflichtung‹ zu verbinden« (gemeint ist Nach dem Nihilismus). »Der späte Benn, das ist die Westbindung der deutschen Lyrik«, nachdem sich seine Hoffnung auf eine »umfassende Korrektur der Moderne« zerschlagen hatte. Vgl. Dirk von Petersdorff: Benn in der Bundesrepublik. Zum späten Werk. In: Friederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007, S. 24–37, S. 36f, vgl. auch ders.: Wie modern ist die ästhetische Moderne? Gottfried Benns Kunst-Vorstellungen in ihrer Entstehung und in ihren Folgen. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 118 (1999), S. 165–185, S. 181, 185, ders.: Fliehkräfte der Moderne. 2005, S. 232. 149 Vgl. TH4 1886 vs. TH5 1886, siehe S. 536, 540, SW, II, S. 250. 150 Nb 7c, 27v 3. Siehe S. 580.
586
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Diese ist für Benn durch die Publikation von Turgenjews Väter und Söhne im März 1862 markiert. Während der Vorarbeiten in Nb 7c exzerpiert Benn neben Dostojewski eine Reihe von Quellen von und über Turgenjew, deren Textmaterial er sowohl im Petersburg-Gedicht als auch in 1886 einmontiert. In Nach dem Nihilismus stellt Benn 1932 eine Verbindung zwischen der Geburtsstunde des Nihilismus und seinem eigenen Geburtsjahr her: [. . .] aus diesen beiden Ideen kam die Auflösung aller alten Bindungen, die Zerstörung der Substanz, die Nivellierung aller Werte [. . .] von der wir bis zur Bitterkeit tranken: Nihilismus. Dieser Begriff gewann in Deutschland Gestalt im Jahr 1885/86, als das Werk »Der Wille zur Macht« teils konzipiert, teils geschrieben wurde, dessen erstes Buch ja den Untertitel führt: »Der europäische Nihilismus«. Aber dieses Buch enthält schon eine Kritik dieses Begriffes und Entwürfe zu seiner Überwindung. Wollen wir ihn noch weiter zurück verfolgen, wollen wir feststellen, wo und wann dieser schicksalhafte Begriff zum ersten Male in der europäischen Geistesgeschichte als Wort und seelisches Erlebnis auftritt, müssen wir uns, bekanntlich, nach Rußland wenden. Seine Geburtsstunde war der März 1862, der Monat, in dem der Roman »Väter und Söhne« von Iwan Turgenjew erschien. Weiter können auch russische Geschichtsforscher diesen Begriff nicht zurückverfolgen. Aber der Held dieses Romans, namens Basaroff, das ist schon der fertige Nihilist, und Turgenjew stellt ihn mit diesem Namen vor. Dieser Name wurde dann ungeheuer schnell populär, der Autor erzählt in einem Nachwort zu seinem Roman, wie er schon nach wenigen Monaten in aller Munde war, als er im Mai desselben Jahres nach Petersburg zurückkehrte, es war die Zeit der großen Brandstiftungen, des Brandes des Apraxinhofes, rief man ihm zu: »Da sehen Sie Ihre Nihilisten, sie stecken Petersburg in Brand.« Für unser Thema äußerst interessant ist nun, daß der Nihilismus dieses Basaroff eigentlich gar kein Nihilismus in absoluter Form war, kein Negativismus schlechthin, sondern ein fanatischer Fortschrittsglaube, ein radikaler Positivismus in bezug auf die Naturwissenschaft und Soziologie. Er ist zum erstenmal in der europäischen Literatur der siegesgewisse Mechanist, der schneidige Materialist, dessen etwas fragwürdige Enkel wir ja heute noch lebhaft tätig unter uns sehen, – hören wir, welche vertrauten Klänge aus den sechziger Jahren zu uns herüberklingen: Ein tüchtiger Chemiker, hören wir, ist zwanzigmal wertvoller als der beste Poet, Ein Stück Käse ist mir lieber als der ganze Puschkin. [. . .]151
Den gewichtigsten Zitat-Antagonist zur Turgenjew- und Nihilismus-Referenz bilden die langen, teilweise über Mereschkowski bezogenen Zitatpassagen aus Dostojewskis Raskolnikows Schuld und Sühne. Die vorletzte und letzte Strophe des Gedichts setzen pointiert mit dem Namen der Hauptfigur des Romans, »Raskolnikow«, ein und bezeichnen somit offen den Intertext. Jürgen Schröder liest 151 SW, III, S. 398–400. Vgl. auch Züchtung, ebd., IV, S. 35.
Ergänzende Hinweise
587
die »verschwisterten« Gedichte 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts als literarische Auseinandersetzung des Dichters mit seinen »Gewissensbissen«, als einen »an sich selbst gerichtete[n], unsichtbare[n] Subtext« der Reflexion, welcher schließlich – in Fortsetzung von Schröders »Imitatio Christi«-These152 – in einen schambesetzten »Rückfall[] in den christlichen Glauben« bzw. den von Dostojewskis Roman bezogenen Buß- und Erlösungsdiskurs münde. Das durch das Schuld und Sühne-Zitat implizierte Schuldeingeständnis bilde das Gegenstück zu Benns späterer Rechtfertigungsprosa: Jetzt ereignet sich, im Namen Dostojewskis und seines Romans, die einmalige Rücknahme dieser Invektive, denn das Gedicht vereint ganz offensichtlich Gewissensbisse mit Formproblemen, moralisches und konstruktives Denken, Selbstverantwortung und die Hoffnung auf Vergebung und Erlösung. [. . .] Denn »tua res agitur« ist nicht nur eine Devise, mit der Benn die »literarischen Emigranten« herausfordert, sondern sie ist auch der an sich selbst gerichtete, unsichtbare Subtext der verschwisterten Gedichte 1886 und St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, ablesbar an der Art, wie sich Benn den zentralen Sühne- und Erweckungsvorgang Raskolnikoffs lyrisch angeeignet hat. Beide Seiten, die Rechtfertigungsprosa und das St. PetersburgGedicht, gehören zusammen bedacht, um Gottfried Benn am Kriegsende zu verstehen. Es war das Christentum Dostojewskis, ein dem im 19. Jahrhundert aufkommenden Nihilismus mühsam abgerungenes Christentum, das ihn in der äußeren und inneren Krisensituation des nahenden Kriegsendes so tief berührte, dass er sich ihm in einem Gedicht noch einmal beugte. [. . .] als schämte er sich eines Rückfalls in den christlichen Glauben. [. . .] Von dieser östlichen Fassung des Christentums, das nicht dogmatisch zwischen Gut und Böse unterscheidet, und seiner tiefen Erlösungssehnsucht ist das Gedicht St. Petersburg zwar verhalten, aber umso vielsagender geprägt und erfüllt. [. . .]153
Man kann über die Triftigkeit von Schröders Argumentation geteilter Ansicht sein, mit Sicherheit trifft er den literarisch suggestiven Kern des Schuld und Sühne-Zitats angesichts Benns Situation in Landsberg an der Warthe, wie sie sich verschlüsselt auch in den »Verweile weißer Abend [. . .]«-Entwürfen darstellt. Auch wenn Benn im Dezember 1944 bereits über eine mögliche Rechtfertigung nach dem Krieg nachgedacht hat, erscheint es angesichts des Montagecharakters nicht unbedingt naheliegend, die Dostojewski-Zitate im Petersburg-Gedicht als persönliches Schuldbekenntnis oder gar als religiöse Erlösungsphantasie zu lesen. Vielmehr nimmt die sprechende Instanz des Gedichts eine distanzierte, analytische Position gegenüber der Quelle des Montagematerials ein: 152 Schröder: »Imitatio Christi«. 1986. 153 Ders.: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. 2011, S. 322.
588
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
sowohl durch nicht von Dostojewski stammenden, das Gedicht strukturierenden Kommentierungen (z.B. »Raskolnikow / (als Ganzes weltanschaulich stark bedrängt)«154 als auch durch den teils freien, montierenden Umgang mit dem Textmaterial. Tatsächlich setzt um diese Zeit Benns Planung für eine Verteidigungsstrategie in der vorhersehbaren Diskussion über seine Haltung zum Nationalsozialismus 1933–34 und die von ihm gewählte »aristokratische Form der Emigration« in der Wehrmacht ein. Die Entwürfe zu einem Willkommen den literarischen Emigranten, an dem Benn kurz nach seiner Rückkehr nach Berlin und mglw. noch in Neuhaus im März 1945 gearbeitet hat, zeigen sehr deutlich, dass Benn klar war, worin die Kritik an seiner Person bestehen wird.155 Allerdings weist auch das früher als St. Petersburg fertig gestellte 1886-Gedicht entsprechende Anzeichen einer solchen kalkulierten Vorausverteidigung auf. So ist die Gesellung des »gewisse[n] Expressionisten« mit dem Mitverschwörer des 20. Juli »Generalfeldmarschall von W[itzleben].« und dem »Emigrant[en]« (später »Bundesbruder«) Kokoschka in der letzten Strophe unter dem Aspekt apologetischer Werkpolitik lesbar.156 Verfolgte man diese Linie weiter, könnte man entsprechend die Zitate aus August Weismanns Über den Rückschritt in der Natur (Deutsche Rundschau) als Benns antidarwinistische, im Sinne der »Schädigungs«-Theorie aus Provoziertes Leben wider den »Züchtungsoptimismus« gerichtete ›Visitenkarte‹ im Gedicht lesen.157 Auch das Zitat des Zwischenrufs von Herman Grimm gegen die sprachpflegerischen Forderungen Gildemeisters nach einem »Kampf gegen die Fremdwörter« (beide Deutsche Rundschau) ließe sich vor diesem Hintergrund wie eine anachronistisch verschlüsselte Kritik an der Kulturpolitik des Regimes und eine Markierung von Benns stiller Oppositionshaltung lesen. Die Lektüre von Dostojewskis Raskolnikows Schuld und Sühne liegt im Dezember 1944 bereits über ein Jahr zurück. Benn erwähnt sie am 1. Oktober 1943 – man 154 D1 StPbg V. 63, »Raskolnikow, / stark versteift« V. 80f. An anderer Stelle in den Entwürfen: »Raskolnikow / (weltanschaulich immer stark gebunden)«, TH2 StPbg 3/2r , siehe S. 488. 155 SW, VII/2, S. 124–127 Kurz nach seiner Rückkehr nach Berlin (11.–19. März 1945) beginnt Benn an einem, letztlich Fragment bleibenden ›Willkommen den literarischen Emigranten‹ zu arbeiten, in welchem er »Bezug nehmend auf jenen ›Offenen Brief an die l. E.‹, 1933« sein (und Oelzes) »Hierbleiben noch einmal rechtfertige[n] u. begründe[n]« will. BOelze, I, S. 388. Das geplante Willkommen wurde letztlich nicht geschrieben, Benn verlegte sich zunächst darauf, sich nicht auf eine Rechtfertigungsdiskussion einzulassen. 156 D1 1886, V. 80, 83. Siehe S. 524. Siehe auch Anm. 41. 157 Siehe S. 18–20, 22. Tatsächlich wird der Prof. der Zoologie und Direktor des Zoologischen Instituts der Universität Freiburg August Weismann heute nicht als Anti-, sondern Neodarwinist betrachtet. Seinen Aufsatz Über den Rückschritt in der Natur scheint Benn allerdings vor allem als gegen die Ideologie evolutionären Fortschritts und Züchtung gerichtet wahrgenommen zu haben. Vgl. zu Weismann als Neodarwinisten auch Peter Weingart u. a.: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988, S. 321–324.
Ergänzende Hinweise
589
kann sagen: ausgerechnet – gegenüber Carl Schmitt: »Ich lese Raskolnikow und Goethes Gedichte, die einzigen Bücher, die ich in den Koffer packte.«158 Benn zitiert aus dem Roman in zwei kurzen Essays: Persönlichkeit und Oberfläche, beide 1944.159 In Persönlichkeit zieht er Dostojewskis Roman als intertextuelle Kontrastfolie bei seiner harschen Kritik am nationalsozialistischen Deutschland heran. Wie später im Ptolemäer grenzt er sich auch hier gerade von einer einfachen Schuld- und Erlösungslogik ab.160 Deutlich weist Benn hier die Schuld an der menschlichen Katastrophe der »Persönlichkeit« ›des Deutschen‹ zu, also einer Kollektivfigur, der es an innerer Erziehung, geistiger Haltung und Einsicht fehle: Was der Deutsche Persönlichkeit nennt, ist nicht weit ab von dem, was in einer etwas vulgären Sprache als Dicknäsigkeit oder Pampigkeit bezeichnet [. . .] Der Führerbegriff gab ihm dann den Rausch; [. . .] Keine Idee davon, dass man sich innerlich erziehen, dass man überhaupt an sich Forderungen stellen sollte, und dass Haltung und Höflichkeit keine Entartung ist. [. . .] Der Deutsche will sich ja garnicht innerlich gestalten, er will sich entwickeln, zum Schluss erlöst werden und bis dahin immer feste druff und über Gräber vorwärts – fremde Gräber und wohin das führt, das sehn wir ja. [. . .] [. . .] Nun war für Goethe Persönlichkeit gebundener Geist, und diese Verse von ihm ergänzen sein oft so missbrauchtes Wort: »Vergebens werden ungebundene Geister nach der Vollendung reiner Höhe streben.« (Raskolnikow: »Lisaweta! Ssonja! Die Armen, Schüchternen mit den sanften Augen!.. Die Lieben!.. Warum weinen sie nicht? Warum stöhnen sie nicht? Die geben alles hin . . . und schauen so sanft, so schüchtern drein . . . Ssonja, Ssonja, sanfte Ssonja!«)161
Das unverbunden montagehaft gegen den Goethe-Auszug im Vortext gesetzte Zitat ist Raskolnikows wahnhaftem Fiebertraum entnommen, in welchem der Mörder gleichermaßen nihilistische Rechtfertigungen wie auch Momente des Schuldbewusstseins und der Reue ausagiert, bis er am Schluss des Traums sein Verbrechen an Lisaweta übersteigert erneut begeht.162 Aus dieser Zustandsbeschreibung ›des Deutschen‹ lassen sich allenfalls indirekt »Gewissensbisse« Benns ableiten. 158 Traum, S. 217, vgl. zu Schmitts Enttäuschung über Benns »in die Knie«-Gehen: Lethen: Drei Männer im Schutt. Gottfried Benn, Ernst Jünger und Carl Schmitt. Eine Episode aus der Nachkriegszeit. 1997, S. 238f, ebd. 159 Vgl. Persönlichkeit, SW, IV, S. 365f, Oberfläche, ebd., IV, S. 367. 160 Für den Ptolemäer merkt Schröder dies selbst an. Vgl. Schröder: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. 2011, S. 315, SW, V, S. 9. 161 Gottfried Benn: Persönlichkeit, ebd., IV, S. 365f. 162 Vgl. Dostojewski: Raskolnikows Schuld und Sühne. o.J. (um 1925), S. 279.
590
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
In Oberfläche wird, wie in St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, die »Kabak«Szene und das Gespräch mit dem »Titularrat« Marmeladow zitiert: Zum Schluss wird alles öffentlich und Oberfläche, wird Wort z.B. Dipsomanie –, Quartalssäufer, hochgebildete Menschen, Schriftsteller, Epiker, sie wissen, wie es endet: nach drei Tagen liegen sie im Rinnstein, machen die Frau unglücklich, Geldverlust, kommunale Konflikte – aber es dämmert! Denken wir an den Tag, wo es beginnt. Ein geordnetes Leben, nun steigt etwas an, etwas hoch, Unruhe, ein Durst vielleicht noch bürgerlich-natürlich, dann wird er heftig, schaltet ganze Vorstellungsreihen aus, benimmt, der Gaumen brennt schon, – jedenfalls zunächst ins Freie! Ein Bistro winkt, eine Kaschemme, in Petersburg: ein Kabak. So beginnt es. Kumpane, Fusel, ausschweifende Erzählungen. [. . .] Oder die Bildwerdung von Zarathustra, der geradezu kinomäßige Überfall während eines Felsenganges; oder Vorgang und Ausdruck Lustmord. [. . .] Was ist nun daran Wesen und was Oberfläche, was ist Natur und was Unsittlichkeit, wo beginnt und wo endet das Wesen? Ist Wesen nicht überhaupt Mythologie? Hineinblicken, Schwaden, Dämmer? Ein italienischer Schriftsteller setzte auseinander: wir werden das Unbewusste von Freud, die ganze Psychoanalyse, nie begreifen.[. . .] Michelangelo, Dante, Tintoretto, d’Annunzio: Dämmerblicke! Sie gehören der Rasse und die löst von sich gewisse Bestände ab, vielfach die Beunruhigendsten, und das macht aus ihnen Ausdruck, macht aus ihnen – Oberfläche.163
In diesem kurzen Text wird die Schuld und Sühne-Szene im Kabak exemplarisch als Vorstufe des Aufbrechens des geordneten, bürgerlichen Lebens und An-dieOberfläche-Tretens der Dämmerblicke, des künstlerischen »Ausdrucks«, der »Bildwerdung« zitiert im Sinne des Roman des Phänotyp.164 Benn belässt diesen Kunst-Prozess jedoch nicht im Bereich der individuierenden Psychoanalyse, sondern deutet ihn als eine Ausdrucks-Ablösung von »Beständen« der »Rasse«. Die Einbettung der Schuld und Sühne-Zitate in politische, philosophische und anthropologische Bezugsfelder gilt es zu bedenken, wenn man die Montage in der vierten Strophe des Petersburg-Gedichts betrachtet. Der Text dieser Strophe basiert auf den Exzerpt-Vorarbeiten aus Nb 7c, sie wurde als Gedicht-Strophe jedoch erst während den Arbeiten an TH2 StPbg entworfen und eingefügt.165 Hervorgehoben sei die nach Mereschkowski zitierte Passage aus Dostojewskis Die Dämonen,166 in welcher der Ingenieur Kirilow seine Theorie der Umgestaltung des Menschen zum »neuen Menschen« als Fernziel seines atheistischen 163 Gottfried Benn: Oberfläche, SW, IV, S. 367. 164 Ebd., IV, S. 395–397. 165 TH2 StPbg 2r , 3/1r . Siehe S. 482, 486. 166 Vgl. Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903, S. 245, Fedor M. Dostojewski: Die Dämonen. Hrsg. v. Moeller van den Bruck u. a. 2 Bde. München: Piper 1922, 1, S. 157–158.
Ergänzende Hinweise
591
Befreiungs- und Suizidprojekts darstellt.167 Mit dem Dostojewski-Zitat kann Benn unter anderem das anthropo-poetologische Denkmotiv der »Verwandlung« in das St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts einführen:168 Zu den Inseln! Namentlich Kretowsky – Lustort, Lustwort, – Baschkiren, Bartrussen, Renntiersamojeden auf Sinnlichkeits- und Übersinnlichkeitserwerb! Erster Teil: »Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes,« Zweiter Teil: »Von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen« – Kornschnaps! Das Ende der Dinge Ein Branntweinschluckauf Ultratief.169
In dieser Strophe ist Textmaterial aus Mereschkowskis essayistischer Doppelbiografie bzw. Dostojewskis Die Dämonen, Hermann Adalbert Daniels GeografieHandbuch, Ferdinand Hillers Petersburg-Erinnerungen und Turgenjews Memoiren verarbeitet.170 Das Motiv der »Verwandlung« wird gezielt in den zitierten Text eingebracht: In Notizbuch 7c kopiert Benn den Wortlaut der Quelle genau: »[. . .] bis zur physischen Veränderung der Erde und des Menschen [. . .]« (Her-
167 Die Wahl Mereschkowskis als Quelle ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen waren Mereschkowskis Essays auch für andere Autoren der Zeit eine beliebte Informationsquelle zu russischen Autoren, so etwa für Thomas Mann. Zum anderen sind die politischen Sympathien des »christlich antiliberalistischen« Schriftstellers zum Faschismus und seine Wirkung auf konservative Strömungen in Deutschland bekannt. Vgl. Herbert Lehnert u. a.: Nihilismus und Menschenfreundlichkeit. Thomas Manns ›Wandlung‹ und sein Essay Goethe und Tolstoi. Frankfurt a.M.: Klostermann 1991 (= Thomas-Mann-Studien 9), S. 116, Thomas Mann: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher. Hrsg. v. Thomas Sprecher u. a. Frankfurt a.M.: Fischer 2002ff, 19.2, S. 32, 34, 44, Volker Weiß: Dostojewskijs Dämonen. Thomas Mann, Dmitri Mereschkowski und Arthur Moeller van den Bruck im Kampf gegen ›den Westen‹. In: Heiko Kaufmann u. a. (Hrsg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie. Münster: Unrast 2005, S. 90–122. Die von Mereschkowski prononciert vorgetragene Zielstellung des »neuen Menschen« dürfte Benn nicht zuletzt als Wiederaufnahme eines zentralen Motivs des Expressionismus interessiert haben. 168 Die wesentlichen Beiträge zur Diskussion über die poetologische Bedeutung der »Verwandlung« bei Benn finden sich bei Streim: Das Ende des Anthropozentrismus. 2008; Anacker: Unaufhörliche Verwandlungen. 2007; Fischer: ›Stil‹ und ›Züchtung‹. 1987; Allemann: Gottfried Benn. Das Problem der Geschichte. 1963. Für eine weiter reichende, wissenschaftsgeschichtliche Perspektive vgl. Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011. 169 TH2 StPbg 2r , siehe S. 482. 170 Dostojewski: Die Dämonen. 1922; Daniel: Handbuch der Geographie. 1866; Hiller: In St. Petersburg. 1883; Turgenjew: Iwan Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen. 1883. Genaue Nachweise siehe S. 557–565.
592
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
Abbildung 10: Ausschnitt Nb 7c 26r mittig. »bis zur physischen Veränderung der Erde u des Menschen..«. Vgl. auch Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski, S. 245.
Abbildung 11: Ausschnitt TH2 StPbg 3/1r unten. »[. . .] bis zur Verwandlung des physischen Menschen“ – Kornschnaps!«.
vorh. vom Verf.)171 Erst bei den Arbeiten an TH2 StPbg konzipiert und montiert Benn die neue vierte Strophe des Petersburg-Gedichts, indem er das Exzerpt verknappt und den Wortlaut in »bis zur Verwandlung des physischen Menschen« ändert (Hervorh. vom Verf., 3/1r , siehe S. 486, siehe Abb. 10, 11).172 Den laut Mereschkowski (und ebenso im Exzerpt) von der Figur Stawrogin »mit kaltem Hohne« getätigten Einwurf, dass von dort die Menschheit wieder in das Stadium des Gorillas zurückfallen werde, nimmt Benn im Gedichttext heraus und lässt stattdessen – nachträglich mit Bleistift eingefügt – die lyrische Sprecherinstanz mit dem beherzten Ausruf »Kornschnaps!« kommentieren (siehe Abb. 11). Ob die Order an den Kneipenwirt – analog zu Stawrogins höhnischem Einwurf – das anthropologische Verwandlungsprogramm der Romanfigur Kirilow im Gedicht zur sprichwörtlichen ›Schnapsidee‹ erklärt oder ob es sich um eine ins 171 Nb 7c 26r , siehe S. 408. Vgl. Mereschkowski: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. 1903, S. 245, passim. An anderen Stellen ist bei Mereschkowski von »Umwandlung« die Rede. 172 Benn verwendet bei dieser Änderung nicht die syntaktisch näher liegende, analoge Satzstruktur ›bis zur physischen Verwandlung des Menschen‹. Neben klanglichen und rhythmischen Gründen mag bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben, dass es sich in seiner Konzeption bei der »Verwandlung« gerade nicht nur um einen Prozess der Verwandlung von einer physischen Form in eine andere handelt, sondern um eine Transzendierung, welche intellektuelle und emotionale Umwandlung mit einschließt. Vgl. das in Nb 7c direkt anschließende Mereschkowski-Exzerpt: »der Mensch wird zum Gotte u wird sich physisch umwandeln. Die Welt, die Handlungen, die Gedanken u alle Empfindungen werden sich umwandeln«, Nb 7c 26r 8–11, siehe S. 408.
Ergänzende Hinweise
593
Parodistische spielende Bekräftigung dieses Einfalls handelt, ist vom Text des Gedichts her nicht eindeutig entscheidbar.173 Die Frage wäre vor dem Hintergrund von Benns zeitnahen Umdeutungen der »Verwandlung« und seiner Auseinandersetzung mit Nietzsches vermeintlichem ›Darwinismus‹ zu sehen.174 Nachdem Benn 1943 in Zum Thema: Geschichte dieselbe zur »Krankengeschichte eines Irren« und die Begriffe »›Züchtung‹, ›Gesetz‹, ›Geschichte‹« in Verbindung mit »idealistischer Philosophie« wie derjenigen »Hegel[s], Darwin[s], Nietzsche[s]« zur »tatsächliche[n] Todesursache von vielen Millionen« erklärt hatte,175 kommt 1944 im Roman des Phänotyp (Kapitel »Statische Metaphysik«) – kurz vor der Entstehung von 1886 und des Petersburg-Gedichts – eine poetologisch umgedeutete Variante der anthropologischen Verwandlung ins Spiel, welche in Zusammenhang mit der Poetik der Statischen Gedichte zu sehen ist: die »Verwandlungszone«.176 Die »periphere Verwandlung« des Phänotyps, welche »nicht immer in einer eindeutigen Richtung verläuft«, bezieht sich offenbar nicht mehr auf die Verwandlung des erstaunlich beharrenden quartärmenschlichen Körpers, sondern auf eine in experimentell hervorgebrachten Formen verlaufende Differenzierungsbewegung des Geistes, in der »die ganze Mutationsfähigkeit und Variabilität der Art [. . .] in ihm allein tätig geblieben« sei.177 Entsprechend auf die Sphäre des Geistes konzentriert demonstriert Benn auch in seinem Brief an Oelze vom 24. Oktober 1944 – also etwa einen Monat vor dem Beginn der Vorarbeiten zu 1886 und zum Petersburg-Gedicht – in Bezug auf die »Verwandlung« die Abgeklärtheit des Phänotyps178 und diagnostiziert – wenngleich sonst stets auf anthropologische Wendepunkte bedacht –, dass keine »innere schöpferische Verwandlung« des »menschlichen Seins« bevorstehe. Dieser Befund ist am Vorabend des Kriegsendes umso interessanter, als Benn in einer dialektischen Denkbewegung die 173 Tanja van Hoorn hat darauf hingewiesen, dass die Imperative am Schluss von Weinhaus Wolf, darunter »Denke immer: die Verwandlung!«, wohl ebenfalls unter Einfluss rauschfördernder Mittel zu Stande kommen. SW, IV, S. 240f, vgl. Tanja van Hoorn: Weinhaus Wolf, Gottfried Benns »Spätlese«. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 53 (2009), S. 292–317, 316f. Weiter wäre in diesem Zusammenhang an Oberfläche zu erinnern, wo das Aufbrechen der bürgerlichen Ordnung und das Ansteigen der unbewussten Anteile durch »Dipsomanie« im Kabak ausgelöst wird. 174 Zu Benns irriger Annahme, Nietzsche sei Darwinist gewesen, siehe S. 17. 175 Zum Thema: Geschichte, vgl. SW, IV, S. 300. 176 Ebd., S. 393–397, insbesondere 394f. Miller zeigte bereits ausführlich den Einfluss der GenotypPhänotyp-Theorie Wilhelm L. Johannsens in Benns Werk auf, neben Benns schwankender Begriffsverwendung geht sie auch auf die Poetisierung des Konzepts im Roman des Phänotyp ein. Desweiteren verzeichnet Miller ebenfalls den Bruch der Verwandlungskonzeption, welcher sich mit der »Verwandlungszone« als »experimentelle[r] Prozeß des Phänotyps« ergibt. Vgl. Miller: Die Bedeutung des Entwicklungsbegriffs. 1990, S. 70–77, 247. 177 SW, IV, S. 395, siehe auch 20. 178 Vgl. auch den Oelze-Brief vom 25. November 1944: »Im übrigen: die Dinge beobachten u. die Dinge sein [. . .] Ich beobachte durchaus. Dies ist die Bewährung.« BOelze, I, S. 375.
594
1886 · St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
»Verwandlung« gerade dadurch verhindert sieht, dass die »Verbrecher und Lumpen« des nationalsozialistischen Regimes das bestehende »geistige Fundament des menschlichen Seins« moralisch und rechtlich »unbestreitbar« ex negativo legitimiert hätten: Um auf ein Thema Ihres letzten Schreibens einzugehen: Ich kann mich nicht entschließen, die Lebensläufe von Shakespeare u. Goethe für ruhiger und gesicherter zu halten wie unsere. Es gab weniger Bombenexplosionen, aber mehr Feuersbrünste, weniger Totalschäden, aber mehr Seuchen u. Hungersnöte. [. . .] Und was das Innere angeht, so liegt bei uns ja gar keine Krise vor, im Gegenteil: nie hob sich so klar, so kristallinisch rein das moralische und geistige Fundament des menschlichen Seins ab wie heute, so zwingend, so unbestreitbar als moralisches und rechtliches Fundament, es ist doch geradezu leuchtend und überirdisch gesichert auf dem Hintergrund der Verbrecher und Lumpen. Die letzte grosse Krise war der Zerfall der mittelalterlichen Kirche im Ansturm von Renaissance, Reformation, Induktion, das war echteste Zerstörung u. Erschütterung –, jetzt, das ist doch nur Bagatelle, Oberflächengekräusel, Fünftagefieber, eine innere schöpferische Verwandlung und Neuintegration vollzieht sich doch garnicht, kein Vergleich zu 1500!179
179 BOelze, I, S. 374.
Orpheus’ Tod Quartär – Rosen Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
596
Notizbuch 11b, 596 · Notizbuch 11, 612 · H1 Rosen, 678 · H2 Rosen, 680 · TH1 Rosen, 682 · TH2 Rosen, 684 · Notizbuch 12, 686 · H1 Orpheus’ Tod, 749 · H2 Orpheus’ Tod, 750 · H3 Orpheus’ Tod, 752 · TH1 Orpheus’ Tod, 756 · TdH1 Orpheus’ Tod, 762 · TH2 Orpheus’ Tod, 764 · TH3 Rosen, 767 · Notizbuch 13, 768 · TH1 Quartär, 814 · TH2 Quartär, 816 · TH3 Quartär, 820 · TH4 Quartär, 826 · TH4 Rosen, 830 · TH3 Orpheus’ Tod, 832 · TH5 Quartär, 840 · D1 Quartär, 842 · D1 Orpheus’ Tod, 844 · TH5 Rosen, 846 · TH6 Rosen, 848 · TH7 Rosen, 850 · TH8 Rosen, 852 · D1 Rosen, 855 · Druckvarianten, 856.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . Zur Konstitution des Entwurfkomplexes . . Textgenese, Kontexte, ergänzende Hinweise
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
857 873 887 902
596
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11b 2r
Die Küsten singen u die Inseln weben – 3
6
9
u das blaue Meer – hellblaues Eis, Isolierter Mann im Herbst: – seiner Gedanken würdig sterben Kunst giebt es nur auf dem Hintergrund von Nihilismus, das andere ist Unterhaltung u Belehrung.
Nicht wiedergegeben, unbeschrieben: 2v I [1.1] : 1–4 Bl
[1.1] — Notizbuch 11b 2r
597
598
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11b 3r
3
6
9
12
Schwestern Pfarrer Küster Kutscher Wenck Gärtnerfrau Büttner Billet Cigaretten
50 50 5 20 320 20 445. 20 10 40
ich trage dein Bild wie das Geheimnis der Sterne – der eingewobene Tod, die Maserung –
Nicht wiedergegeben: 3v – 9r I [1.2] : 11–14 Bl
[1.2] — Notizbuch 11b 3r
599
600
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[1.3] — Notizbuch 11b 9v
601
Nb 11b 9v
Was denkst Du über die Meere – was trägst Du
[1.3] : 1–3 Bl
3
602
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11b 10r
3
6
9
Lajos Zilahy 2 Gefangene etwas treibt im Wasser „Valamit visz a viz“ unter freiem Himmel: „à la belle étoile“ Bulbul: braunbäuchig, scharlachroter Kopf karmoisene Flügel
Nicht wiedergegeben, unbeschrieben: 10v I
Notizbuch 11b 10r
603
604
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11b 11r
3
6
9
12
[1.41 ] a : 1–14 Bl
es giebt Gesichter, die man nie wiedererkennt, weil es gar keine Gesichter sind, ein angedeutetes Nichts, etwas auf Staub, graues Gewebe, das man nicht behalten kann – – Pläne für mein Leben habe ich nicht mehr, keine Hoffnung, auch keine Sehnsucht. Das Einzige wäre, nicht in Berlin u Umgebung beerdigt zu werden, zwar giebt es
[1.41 ] a — Notizbuch 11b 11r
605
606
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[1.41,2 ]b — Notizbuch 11b 11v
607
Nb 11b 11v
wieder Vollsärge u man wird nicht mehr in Papier eingewickelt u auf dem Bayerischen eingegraben Platz verscharrt, aber ich denke, es wäre in einem Dorfe schöner. Ich bleibe hier, weil ich das Gefühl [g h] abe, dass H noch hier ist, in der Wohnung, auf
[1.41 ] b : 1–4, 6–12 Bl ←,→ [1.42 ] b : 5 bBu
3
6
9
12
608
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11b 12r
den Strassen –
3
6
9
12
ich ertrage Schweigen, verschwiegen werden u vergessen. an Tote zu denken ist süss, so Vollendete, Entferntes ruhend [von auf] dunkler Erde getragen. in man hört die Stimmen die dunkle Lieder s[a i] ngen u fühlt die Küsse auch die flüchtigen u [süssen tiefen] .
Nicht wiedergegeben, unbeschrieben: 12v I [1.41 ] c : 1–3 Bl [1.5] : 2–3 bBu [1.6] : 4–12 Bl → [2.7] [7.19]
99K [24] 11–15 OrphTod
[1.41 ] c [1.5] [1.6] — Notizbuch 11b 12r
609
610
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11b 13r
3
6
Ein Reflex von bisher Unerkennbaren u Unerkannten, ein Leuchten besonderer Art, ein kurzes Leuchten [k a] uch dies vor Allem mit den Zügen des [Ver Er] löschens
Notizbuch 11b 13r
611
612
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 6v
613
Nb 11 6v
30 I Franke fort. Brief an Hilde Mommensen. Vom Bau einer Apfelsine: zahlreiche Schnitten zu sammengewachsen an den Rändern zu einer Frucht, deren Kern u Zentrum aber erst erkennbar wird, wenn man sie auseinandernimmt
3
6
9
614
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 7r
3
6
9
12
Alles Secundäre kann verziehen werden u übersehn, nie aber, dass man primär ist u. Vorausgegangene u Vorausgegangenes, besonders wenn es noch am Leben ist, in Frage stellt.
die Erniedrigung durch das causale Denken. 4 II. 46. Henssel hier wegen Papier, Anruf in Beratungsstelle
Notizbuch 11 7r
615
616
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 7v
617
Nb 11 7v
So wie die weisse Rasse heute ist, ist es ja wohl überhaupt anständiger, in ihren Gefängnissen zu sitzen statt in ihren Clubs –
3
618
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 8r
3
6
9
12
In welche Formen wirst Du mich verwandeln auf welche Sterne wirst Du mich verwehn mit welchen Kräften wirst Du in mir handeln u dann mit welchen Tränen niedergehn ? Kunst ist die Wirklichkeit der Götter . . ist Nordlicht. Nähere Erklärungen z Z nicht möglich
Notizbuch 11 8r
619
620
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[2.1] — Notizbuch 11 8v
621
Nb 11 8v
12 II 46 Briefe an: Fr Muncke Heike ” Herb. Schmidt RA Merkenschlager
wenn aus den dumpfen Stunden ansteigt [das ein] Bild vom Meer
3
6
Du rufst so sehr . . . 13 II Brief von Werckshagen
[2.1] : 6–8 Bl
9
622
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 9r
3
6
9
12
18 II: Diktieren: R A Merkenschlager Herb Schmidt Gunter Groll Goverts Verlag Werckshagen R an: Dr [...] 4 × 8 = 32 [...] 7 I: 15/4 [...] 12 I 17. 19. 23 26 = 5 × 15 = 75 hier Inj: 31. 3. 6. 10. 13 19 = 60 135 Frl [...] 23 I
Notizbuch 11 9r
623
624
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 9v
625
Nb 11 9v
Die deutsche Form der Revolution ist die Denunziation – Was sollten den Kriminalromane ohne das Testament machen – 21. 2. Alle die Gräber – An Wiemer Zinnen-Verlag Govertsverlag
3
6
9
626
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 10r
3
6
9
12
15
In mir sind Spannungen, kein Glück. — R. K. Sie standen bei der „Morgue“ an meiner Seite, Beim „Statischen Gedicht“ wird’s Ihnen schwer, Doch lassen wir die Stunden u die Streite, [wir Welle] der [uns Nacht] auf Strand u schon nähert sich de[r m] Strand, d[ie as] – Dün.en.we.ite „Die weisse Perle rollt zurück ins Meer“. G. B.
Notizbuch 11 10r
627
628
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 10v
629
Nb 11 10v
diese Briefe – Stümperei u klobige Betastungen mir doch unzugänglich gebliebener Grade, Zeichen des Unvermögens, Stigmata unzulänglicher Erfassungsmöglichkeiten. 27 II Brief an Oelze
3
6
630
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 11r
3
6
9
[2.2] a : 1–11 Bl
Der Ekel vor den Zeitgenossen ist so gross, dass man gerne in der Erde läge, wo einen zwar ihre Schuhsohlen u ihre Spucke, nicht aber ihre Worte u Gedanken erreichten. Der innere Verfall ist so [f w] eit, dass sich an man nicht seinedne Formen [sieht reisst] . Manchmal nehme ich Dolantin, ein Morphin-
[2.2] a — Notizbuch 11 11r
631
632
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[2.2] b — Notizbuch 11 11v
633
Nb 11 11v
derivat), sonntags gehe ich zu einer Bekannten, weil sie nahe wohnt alles regional verankert heute, gross rotblond Konfektion gefleckt („gelber Mohn“) – traurige Räusche, traurig gefärbte Röten, fahle u alles doppeltbodig . . .
[2.2] b : 1–11 Bl → [2.9]
3
6
9
99K [24] 11–15 OrphTod
634
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 12r
den unleugbaren Schritt in die Wirklichkeit 3
6
9
12
[2.3] : 6–12 Bl
Gedankenwelt! Nährgut aus hohlen Zähnen geholt – Wenn die Materie in sich selbst verbrennt u der entfärbte Geist sich selbst erkennt . . . [ f ] Wenn au s den Blöcken, hart zu Stein verdammt neue [ geis der neue Stoff, die] Flamme flammt
99K [23] 6, 17–18, 44–45 Quartär
[2.3] — Notizbuch 11 12r
635
636
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 12v
637
Nb 11 12v
Letzter Taumel der Beendigung seinekalte Frostluft: Schneehaufen mit schmutzigen Stummeln anbleckend der rauhe Mittag gut so . . kein Lugano kein Mimosenschaum [tr L] ügnerisch a[m n] Nordens Firmament –
3
6
9
638
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 13r
3
6
9
12
ich bin eigentlich immer von grosser Müdigkeit, was mir aber angenehm ist. Ich könnte diese Müdigkeit durchstossen u neue Arbeiten beginnen, aber es liegt mir nichts mehr, es steht nichts dafür, ich habe genug Abwegigkeit, Einsamkeit, Ferne in die Welt – die kleine literarische meiner Zeit u Genera-
Notizbuch 11 13r
639
640
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 13v
641
Nb 11 13v
gespien oder gelallt tion geschleudert, ich kann gut schweigen. um allmählich zu können.
3
Wer Strophen liebt, der liebt auch Katastrophen –
6
Wie jemand, der Leute mit Pfeil u Bogen kämpfen sieht,
9
642
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 14r
er selber aber besitzt die Atombombe 3
6
9
Rückblickend – Warum habe ich eigentlich soviel gedacht? Zusammenhänge, Epochen, Gedanken systeme, Zonen, Zeiten = immer durchdacht Wein Brod abgestaubt, zuwenig erfahren berührt – Wenn es aber Zwang war, muss es auch Sein haben,
Notizbuch 11 14r
643
644
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 14v
645
Nb 11 14v
kann nicht durch Spiel, Geschenk, Politik ersetzt werden –
3
646
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 15r
3
6
9
12
Frauen, die Kinder haben, können wohl nicht anständig sein, sie plündern u. füllen ihre Kiepe auf den Landstrassen; ihre Gedanken befassen sich mit Kompensationsgeschenken u. mit Kuppelei; – der Löwe reisst, das Reh äst –: dies hier ist die Mutterliebe, – wir betreten den heiligsten bürgerlichen Bezierk . . Ideal Glauben – Schemen aus der in Nacht übergehenden bürgerlichen Schlummermusik, der l’heure bleue des Biologismus
Nicht wiedergegeben, unbeschrieben: 15v I
Notizbuch 11 15r
647
648
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 16r
3
6
9
Trompeter von Säckingen tönen Solos aus abgewetzte Schleifsteine, u ·. .· die Sensen mähen nichts mehr.
Das Öl ist zu Ende u der Duft verblüht Die gerade Linie ist ein Spezialfall aus der Geometrie; aber [B Irren] Irren u Büssen das ist der Mensch.
Notizbuch 11 16r
649
650
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[2.4] a — Notizbuch 11 16v
651
Nb 11 16v
ist in meinem Sinne glanzvoll verlaufen. [Kein Schönes] Wetter, keine Besuche, keine familiären Beläst Aufläufe igungen, Essen in der Küche mit dem Dienstmädchen, Patienten u im übrigen kein Wort gesprochen. Alles dies entspricht meiner Natur. Dann gedachte ich unserer Freundschaft u alles dessen, was Sie für mich waren. Erinnerungen natürlich mancher Art, das ist unvermeidlich, – aber
3
6
9
12
mehr oder weniger honett Ich bin mit mir einig.
[2.4] a : 1–15 Ti → [2.7]
15
652
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 17r
3
6
9
12
15
18
21
es ist angenehm, so unbemerkt zu ungestört leben, die Dinge schlürfen, [die seine] Gedanken spielen lassen zu können gelassen dämmernd, auf gar nichts sie Erinnerungen zu beziehend als auf seine Draperieen Vorstellungen u dankbar, zu den spärlichen Exemplaren sich können gezählt zu haben die noch einmal das Wissen der vergangenen Jahrhunderte durch Schule u Studium in zu sich aufnahmen, es verarbeiteten sich bemühten, sich durch Lesen zu bilden Zeit u. einige Teile der Welt zu durchreisen genügend Subsistenzmittel sich beschaffen wo ist konnten. Nun ist es zu Ende – das? nicht weit ab von Diogenes u Marc Aurel.
[2.4] b : 1–23 Ti → [2.7]
[2.4] b — Notizbuch 11 17r
653
654
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[2.5] — Notizbuch 11 17v
655
Nb 11 17v
Hohn, alle Formen des Gelächters dGeesäuse[ln l] vom Mona Lisa Schmunzeln bis zum Grinsen! sie sind alle christlich, aber sie legen dauernd Grenzbefestigungen an –
3
6
– das Letzte ist die Lust. ist das Letzte die Träne oder ist das Letzte die Lust –? blickst Du auch weit auf die Scene so wird Dir doch nicht bewusst ist nun das – – – – – –
[2.5] : 8–14 Ti → [18.11 ]
9
12
99K [23] 29–30 Quartär
656
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 18r
3
6
9
Oder z B Chorgesänge, wenn man die alle dastehn sieht u plötzlich aus den Mündern diese Geräusche, Misstöne mit Bewegungen der Kiefer, alles andere steht still, die Bäuche wankeln . .
Was ist das Wesen der Macht? Liegt eine Seinentfaltung oder . . erkaltung Nebelschwaden des Styx –
[2.6] : 8–11 Ti → [2.8] [7.21]
[2.6] — Notizbuch 11 18r
657
658
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[2.7] — Notizbuch 11 18v
659
Nb 11 18v
Ich richte mich allein u in der Beziehung habe ich den schwärzesten Talar an, – Dinge Und dann Erinnerungen, unvermeidlich, – Stimmen, die einmal sprachen, auch Küsse, die flüchtigen u die tiefen die einmal da waren u Freundlichkeiten
3
6
9
u das ist allerlei
[1.6] [2.4] a → [2.7] : 5–10 Ti → [7.19]
99K [24] 13–15 OrphTod
660
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 19r
3
6
9
12
15
Selbstgefälligkeit Man kann sagen, das sei Stumpfsinn. Aber es ist auch eine gewisse moralische Nonchalance. Ich bin mit mir einig. Wenn einer meinen Intellekt oder meine Geistigkeit verdächtigte, das wäre mir genauso nebensächlich, als wenn er [behau die] Behauptung verbreitete, dass ich mit Stubenfliegen Geschlechtsverkehr anstrebe, es könnte mich nichts mehr bestimmen, das zu verneinen. Ich bin mit mir allein vor mir
Notizbuch 11 19r
661
662
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[2.8] — Notizbuch 11 19v
663
Nb 11 19v
leicht u ideenflüchtig vom Swing bis zu einem Gebet u dunkel u abgrundsüchtig Styx . .
Wer heute mehr als Kabarett ist, ist schon verdächtig . . Liam O’Flaherty: Inverara Eine grosse Woge rollt Rooruck u das Blut strömt wild Kilmillick ihre Körper strömen Crom-Kopf Salzgeruch aus
[2.6] → [2.8] : 1–4 Ti → [7.6] [15.13]
3
6
9
99K [23] 16, 49 Quartär
664
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 20r
3
6
9
12
Orpheus Tod : u eine grosse Gefleckte, bunthäutig „gelber Mohn“ – der Geist hat immer Tote im Gefolge, der Geist muss kalt sein, sonst wird er familiär. Sie lebt ganz ihrem Hund, seiner Notdurft auf der Strasse 2 ×, Kopftuch hochgeschlagen u tänzeln nach Haus. die Geste des Amtsgerichtspräsidenten: Heraustreten aus der Persönlichkeit, Teilverwandlung in Ausdruck, Geste, Pathetik . . .
[2.2] b → [2.9] : 1–3 Ti → [7.2] [2.101 ] : 4–6 Ti ←,→ [2.102 ] : Anstr. rBu 4–6
99K [24] 28–29 OrphTod
[2.9] [2.101,2 ] — Notizbuch 11 20r
665
666
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 20v
667
Nb 11 20v
Sie sind eine strenge Figur, ein gotischer Ritter, wenn ich müde bin, können sich meine Augen nicht bis zu Ihrem Visier erheben. Lache Bajazzo, lache perlend u positiv – Die Kunst sammelt die Natur madonnenhaft Wenn eine Frau märchenhaft aussieht, besteht immer Gonorrhoeverdacht – Das Hirn ist der Massstab des Mannes.
3
6
9
12
668
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 21r
3
6
9
12
15
18
„ Rosen – Wenn erst die Rosen verrinnen Aus Vasen oder vom Strauch u ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch ——. “ Lächelt nicht über der Stunden Wechsel u Wiedersehn – Gleiten u Auferstehn beginn schmerzlich bleiben die Wunden, wenn die Rosen vergehn – an denen blättern die Rosen hin. Sagt nicht die Stunden steigen Alle ins Auferstehn die Wunden Fühlt Tragt das Schweigen l E l Schwinden, we.n.n. dieE Rosen an denen vergehn.
Nicht wiedergegeben, unbeschrieben: 21v I [2.111 ] : 2–6, 8–18 Ti → [2.121 ] ←,→ [2.112 ] : 1, 7, 8, 11, 16 Bl → [31 ]
99K [31] 1–12 Rosen 99K [31] Titel, 6, 8, 11 Rosen
[2.111,2 ] — Notizbuch 11 21r
669
670
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 22r
3
6
9
12
15
30/V Wenn erst die Rosen verrinnen Aus Vasen oder vom Strauch u ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Denkt Lächelt nicht auf der Stunden Weichen Wieder Wechsel u. Neubeginn –, enden in von Wunden Viele fallen in Schweigen, blättern die Rosen hin. Sagt nicht, die Stunden steigen Alle ins Auferstehn, enden Viele fallen in Schweigen münden
18
Wenn die Rosen vergehn.
[2.111 ] → [2.121 ] : 1–7, 9–14, 16, 18 Ti ←- → [31 ] ,→ [2.122 ] : 8, 10, 15, 17 Bl ←- → [31 ] ,→ [2.123 ] : 8 rBu → [31 ]
99K [31] 1–12 Rosen 99K [31] 6, 11 Rosen 99K [31] 6 Rosen
[2.121–3 ] — Notizbuch 11 22r
671
672
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 11 22v
673
Nb 11 22v
ersehnte u warte die Wirkung meines Schlafmittels ab.
3
674
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 23r
halte Dich nicht mehr 3
6
9
12
15
hüten Sinn streue Dich, treibe die Blüten Wie blätternde Rosen hin Anregende Seltsame Vorstellung: ich sitze hier in meinem Hofzimmer aristokratische spitzen u 2 Kaballeros, Gentryresultate [s t] rinken in Oberneuland ihr Glas sich Mouton Schlossabzug u unterhaltendde sich über meine Hummelpelze. „schönschattierten “
Nicht wiedergegeben: 23v – 27v , ein nach 23 eingel. Bl. I
Notizbuch 11 23r
675
676
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 28r
Oph Tod Er sass u lehnte seine Blicke 3
6
9
12
[2.13] : 1–5 Bl
frei waren sie ans Nichts gebunden hingen Oelze: Werckshagen Wertlosigkeit der frühe Be Dank für Einladung Jean Paul Ein Leben wie Ein Geschäft wie ein Bordell u. man selber denkt auch nur noch an Schnaps u Cigaretten.
99K [24] Titel OrphTod
[2.13] — Notizbuch 11 28r
677
678
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
H1 Rosen 1r
Rosen:
3
6
9
12
15
18
21
Wenn erst die Rosen verrinnen Aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. von Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn, vor Traum – vor der Tiefe der Trauer: blättern die Rosen hin. von Wahn von der Stunden Steigen aller ins Auferstehn, vor Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen: wenn die Rosen vergehn. G. B. Für Frau Charlotte Stephanie Oelze und den Garten in Oberneuland. 30. V 1946.
[2.101,2 ] [2.111–3 ] → [31 ] : 1–7, 9–14, 16, 18 Ti → [4] [32 ] : 6, 9, 12, 15 Ti (Oelze)
99K [31] 1–12 Rosen
[31,2 ] — H1 Rosen 1r
679
680
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
H2 Rosen 1r
Rosen:
3
6
9
12
[4] : 1–13 Ti
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn . Traum – vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunden Steigen Aller ins Auferstehn, Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
99K [31] 1–12 Rosen
[4] — H2 Rosen 1r
681
682
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH1 Rosen 1r
Rosen :
3
6
9
12
[5] : 1–13 Ms
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn. Traum – vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunde Steigen Aller ins Auferstehn, Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
99K [31] 1–12 Rosen
[5] — TH1 Rosen 1r
683
684
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH2 Rosen 1r
Rosen :
3
6
9
12
[61 ] : 1–13 Ms [62 ] : 7 Ti
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn[. ,] Traum – vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunde Steigen Aller ins Auferstehn, Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
99K [31] 1–12 Rosen 99K [31] 6 Rosen
[61,2 ] — TH2 Rosen 1r
685
686
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 1r
3
6
9
12
Hortensie, stille stehende im eigenen Traum, in Sucht die Winde, drüber wehende die Farbenschlucht die hündische Feigheit der geistigen vor den politischen Begriffen. Ohne Scham, ohne Hemmung lassen sie die Wertscala aufstellen von den Politikern, also von 3klassigen Leuten. Sie selber haben offenbar gar keine Massstäbe,
Notizbuch 12 1r
687
688
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 12 1v
689
Nb 12 1v
keine inner wüster Encephalitiker von meterhoch Kraut Brennesseln, Knöterich, Stauden auf dem Trottoir: Die mageren von Krätze u [Schn Pust] eln bedeckten Kinder trinken reichlich aus den Brunnen. Aber die Litfasssäulen kündigen unentwegt „Bunbury“ an u die Nacht der Prominenten.
3
6
9
690
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 2r
3
6
9
12
Ein weiter Weg vom frühen GB, wüster Encephalitiker (Vermessungsdirigent) bis zum Verfasser der Rosenverse, die von Gustav Falke sein könnten u von Phili Eulenburg komponiert – zum Speien alles: das Stillestehn u das weiter müssen, der Stumpfsinn u die Produktion – alles von Fratdzene umstellt, von Kötern umbellt, von Zweifeln zerstückt ein weiter Weg. von Schlangen an die Wand gedrückt u sich selber speiübel.
Notizbuch 12 2r
691
692
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.1] — Notizbuch 12 2v
693
Nb 12 2v
× Rufst Du mich sehr u wie ist Deine Stimme Kommt sie vom Wald, in dem Du mich erwartetest oder vom Schilf am Fluss, auf dem ich kommen wollte – auf welchen schwarzen Stühlen webten die Parzen Dich –
[7.1] : 2–7 Bl → [7.2]
3
6
9
99K [24] 25–26 OrphTod
694
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 3r
3
6
9
Von Begräbnissen, Abendmahlfeiern, Penicillinambulatorien nimmt er sich Mädchen, er kommt [er als] Stier, [gol Gol] dregen, Schwan kommt er als wenn Tränen einen Geruch ausströmten, würde es der des Phloxes sein wenn ein Geruch von Levkoien u Phlox Dein Haupt umzieht . .
[7.3] : 1–5 Bl → [15.14] b [7.4] : 6–10 Bl → [7.7]
99K [23] 25 Quartär
[7.3] [7.4] — Notizbuch 12 3r
695
696
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 12 3v
697
Nb 12 3v
Claire Clairemont an Byron: „ich werde mich immer an die Sanftheit Ihres Benehmens u. an die zügellose Originalität Ihres Wesens erinnern“ —— ist das eigentlich so furchtbar wichtig, dass die Annahme wir darauf verfallen sind, dass sich die Sonne nicht um die Erde dreht? Dorothy L. Sayers „noch 20 Sommer sehn u Herbste fühlen das ist zu schwer für ein zerbrochenes Herz“
3
6
9
12
698
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 4r
3
6
9
12
15
18
Ich wandle Eh’ Im Lichtschein der Gedanken eines Anderen Eh [ Ein Ich] war Als wärs ein Gloriolenschein. ich dunkel, Wie Venus Tempel in der schwarzen Nacht, Doch es war etwas Heiliges in dem Dunkel: sanfter u nicht so dicht wie anderswo u wie das Mondlicht sanft sein mag für den Blinden Und die Liebe kam Als wie das Funkensprühn zertretener Sterne (Thomas Lovell Beddoes.) T. S. Eliot John Donne John Webster Samuel Johnson, Lewis Carroll Drayton, Arden von Feversham
[7.51 ] : 1–17 Ti ←,→ [7.52 ] : 1, 4 bTi
[7.51,2 ] — Notizbuch 12 4r
699
700
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.6] [7.7] — Notizbuch 12 4v
701
Nb 12 4v
Die Tangos von Rio von Habana ein Swing . . . eine Orchidee u es sind die Tage des Phlox — wenn Tränen Geruch ausströmten, denke ich immer, würde es der von Phlox sein. Café und Blumen – letzter Augenblick Ein Vers u
[2.8] → [7.6] : 1–3 Ti → [15.12] [15.13] [15.16] [7.4] → [7.7] : 4–8 Ti → [7.14]
3
6
9
99K [23] 15–16 Quartär 99K [23] 29 Quartär
702
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 11 5r
Kein Freun d- u Mensc hheits Kein Liebe sstrahl 3
6
9
12
Kein Schimmern Schweigen [ u ] Ein Gang vors Tor , still in dem Zimmer – Kein Blick nach vorwärts u kein Blick zurück = Warum Du warst – Du wirst es nie ergründen sich brach dann Noch was in Dir u verschied u nur das Ende fühlst Du ohne
Notizbuch 12 5r
703
704
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.8] — Notizbuch 12 5v
705
Nb 12 5v
Jean Anouilh: Antigone. 11. VIII 46. Parlez-moi d’amour redites-moi des choses tendres – alte Venus, Patina der Liebe, angesetzte Lüste im Fleisch u dies als Süsse Gegorenheit Häufig Erlebtes, wiederholte Worte dabei – verwendete ,hervorgestossene Worte dabei als Geräusch Summen, im Fleisch
[7.51 ] → [7.8] : 3–13 Bl
3
6
9
12
706
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 6r
3
Stunden im eigentümlichen Schwebezustand, gelassen, selbstentstanden, parthenogen.
u eine grosse Gefleckte, bunthäutig, „gelber Mohn“
6
9
12
hier ist schon Herbst: d[ie er] beunruhigend hohe blaue Himmel u der schwelgerische Bronceton an u über der Erde – an d in der Nähe – dies alles – selbst entstanden, in sich schwebend, dieser eigentümliche Schwebezustand, selbst entstanden, parthenogen
[7.2] → [7.9] : 4–5 Bl → [7.12] [7.101 ] : 1–3, 6–14 Bl ←- → [7.231 ] b ,→ [7.102 ] : Unterstr. rBu 3
99K [24] 28–29 OrphTod 99K [24] 23 OrphTod
[7.9] [7.101,2 ] — Notizbuch 12 6r
707
708
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.11] — Notizbuch 12 6v
709
Nb 12 6v
Alles, was Meer ist, kann ich wenig nennen, denn Meer war immer weit von meiner Flur – – –
3
? The Hon?
gene gelun Form – der Ausgleich zwischen Peripherie u Zentrum
[7.11] : 1–4 Bl
6
9
710
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 7r
3
6
9
u eine Grosse Gefleckte Bunthäutig „gelber Mohn“ kam auf ihn zu u bot Keuschheit in der Lust, [in von] wahrer Scham ja Demut gepurpurt [di bis] die L u atmete den Kelch der Liebe hin –
[7.9] → [7.12] : 1–9 Bl → [7.13] [7.22]
99K [24] 28–32 OrphTod
[7.12] — Notizbuch 12 7r
711
712
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.13] — Notizbuch 12 7v
713
Nb 12 7v
„Jeder soll seine eigenen Schlangen töten –“ Das Leben der Lotusesser. Kein Gedanke an Morgen. Man braucht nicht den Schein zu wahren.
reizte mit Demut, Keuschheitsandeu tungen [selbst bei] bei hemmungsloser Lust – Purpur im Kelch der Liebe – vergeblich!
[7.12] → [7.13] : 6–13 Bl → [7.22]
3
6
9
12
99K [24] 30–32 OrphTod
714
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 8r
3
6
9
12
Du sollst nicht verrinnen, Du sollst nicht übergehn in . . Galanthis, Jole Dryope Prokne Deine Züge vermischen Atalanta
u als Letztes – – Geruch von Phlox – wenn Tränen Geruch dachte er immer wäre es dieser – dass ich womöglich Eurydike stammle statt Lais –
[7.7] → [7.14] : 6–10 Bl [7.15] : 1–5, 11–12 Bl → [8]
99K [23] 29–30 Quartär 99K [24] 34–39 OrphTod
[7.14] [7.15] — Notizbuch 12 8r
715
716
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.16] — Notizbuch 12 8v
717
Nb 12 8v
anlockten die gurrten im öden Wald, nur Faune u Schratte, her: Sänger Göttersohn u Prophet Ausgleich herstellend dem Widerstrebenden, Fertig Anheber der Vollender –
3
6
9
den Daumen an der S[e a] ite
[7.16] : 1–11 Bl → [7.18] [7.231 ] a,b
99K [24] 9, 19–22 OrphTod
718
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 9r
zum steilen Rhodope Nordsturm 3
6
9
12
15
„lieb dem Sänger zu sein“ 3 × endete schon den Kreis des rollenden Jahres Sol mit den Fischen des Meers . . . Wald herziehend u Wild mit Macht ausschmückend gebend: die Welt. Schatten dem Schattenlosen wechselfarbiger Ahorn flussanwohnende Weide Myrth’, zweifarbige Beeren rotglühendes Obst
[7.17] : 1–8 Bl → [7.231 ] a Bl [7.16] → [7.18] : 10–15 → [7.231 ] a [2.6] → [7.21] : 9–10 Ti
99K [24] 3–4, 10 OrphTod 99K [24] 10 OrphTod
[7.17] [7.18] [7.21] — Notizbuch 12 9r
719
720
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.19] [7.201,2 ] a — Notizbuch 12 9v
721
Nb 12 9v
An Totes zu denken ist süss So Vollendete, Entferntes in dunkler Erde . . . man hört die Stimme die dunkle Lieder sang auch fühlt die Küsse man die flüchtigen u tiefen – Sie werfen: Thyrsen-Laub in den tönenden Mund Stein sinkt hin „in ungeheurer Verschuldung“ troffen die Steine rot vom heiligen Blut Trommelgeroll u Geklatsch u Jubelgeheul
[1.6] [2.7] → [7.19] : 1–7 Bl → [7.231 ] a,b 1 Bl [7.20 ] a : 8–15 ←- → [7.24] ,→ [7.202 ] a : 2. Unterstr. rBu 8, 10
3
6
9
12
15
99K [24] 11–15 OrphTod 99K [24] 41–49 OrphTod
722
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 10r
3
6
9
12
15
Hündinnen ein Raub, Verwilderten laubumwundene Stäbe Schollen. Baumäste Lastende Haun. Jäthacken, langgeklauete Karste die Leier tönt weiter, fliesst den Strom hinab – die Ufer antworten mit Wehmut Wie hast Du mich zurückgelassen u eine Grosse, Gefleckte Bunthäutig, „gelber Mohn“ unter lockte mit Demut, Keuschheitsandeutungen bei hemmungsloser Lust [, –] Purpur im Kelch der Liebe [: u] vergeblich —
[7.201 ] b : 1–9 Bl ←- → [7.24] 99K [24] 1, 17, 41–49, 52–54 OrphTod ,→ [7.202 ] b : Unterstr. rBu 2–5 [7.12] [7.13] → [7.22] : 10–15 Ti → [7.231 ] b [8] 99K [24] 28–32 OrphTod
[7.201,2 ] [7.22] — Notizbuch 12 10r
723
724
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.231 ] a — Notizbuch 12 10v
725
Nb 12 10v
Wie Du mich zurücklässt, Liebste, von Erebus gestossen, [das dem] unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, zweifarbige Beeren, rotglühendes Obst Belaubung die Schleier schlagend schaffend den Daumen an der Saite[– !] Wunderversammlung! 3 Jahre schon im Nordsturm, – An Totes zu denken ist süss So Entfernte Vollendete in stiller Erde, – reiner man hört die Stimmen tiefer, Deine, die dunkle Lieder sang u fühlt die Küsse,
[7.16] [7.17] [7.18] [7.19] → [7.231 ] a : 1–16 Ti → [8]
3
6
9
12
15
99K [24] 1–14 OrphTod
726
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 11r
3
6
9
12
15
18
die die flüchtigen u tiefen –, doch Du irrend bei den Schatten! Wie Du mich zurücklässt – nymphen anstürmen die Dorfgrazien, winken anlocken die Felsbewohnerinnen gurren: im öden Wald schönen nur Faune u Schratte, doch Du Barde Sänger, Aufwölber azurner Himmel von Bronze licht[, er ]– u eine [schaut starrt] so seltsam, Schwalbenhim meln u eine . . fort die Töne – für 1 Stunde vergessen drohen! Verächter!
[7.101 ] [7.16] [7.22] → [7.231 ] b : 2–6, 8–20 Ti ←- → [8] ,→ [7.232 ] b : 1, 7 Bl → [8]
99K [24] 15–26 OrphTod 99K [24] 15, 19 OrphTod
[7.231,2 ] b — Notizbuch 12 11r
727
728
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.231 ] c [7.24] — Notizbuch 12 11v
729
Nb 12 11v
die Wimpern nass u der Gaumen blutet u schon die Leier hinab [im den] Fluss – die Ufer tönen. u nun die Steine, nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend die Äste besänftigt laubbeschwigtigt die Hacken ährenbesänftigt – wehrlos folgen dem Wurf der Hündinnen der Verwilderten
[7.201 ]b → [7.231 ] c : 3–4 Ti → [8] [7.201 ]b → [7.24] : 1–2, 5–15 Bl → [8]
3
6
9
12
15
99K [24] 52–54 OrphTod 99K [24] 41–46, 48–51 OrphTod
730
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 12r
3
6
9
– „Arbor secco, der dürre Baum, der auf seinen Zweigen die Früchte der Sonne u des Mondes trägt“ der Vogel Rock, der mit Leichtigkeit einen Elefanten in seinen Krallen aufhebt (Madagaskar) „Geruch nach nassen Bäumen“ –
Notizbuch 12 12r
731
732
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 12 12v
733
Nb 12 12v
„du bist ein Kind ein weisses Blatt, auf dem die Götter schreiben“ von eindeme herunterfallenden Pinien zapfen getroffen werden — Villa Borghese .. Rosen, Orangen, Wistarien Lorbeer u Magnolien kronenlose Wellen (von keinem Wind gepeitscht . . .) geisterhafte Schwäne auf einem tintenschwarzen See im Licht der MitternachtsSonne Tzu-hsi
3
6
9
12
734
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 13r
3
6
9
12
„der Baum ist gefallen. Er giebt keinen Schatten mehr“ Chin Sprichwort. die vornehmste Art des Selbstmords in China, das „Goldessen“: man schluckt ein Blättchen Gold, das Erstickung herbeiführt. – – das höchste Wissen, der Bodhi-Geist, die Erleuchtung im Sinne Gautamas die Lyrik bleibt ja doch das Höchste u Seltenste, der Drachentron, auf dem der Ming oder Manestu sitzt –
Notizbuch 12 13r
735
736
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 12 13v
737
Nb 12 13v
Keats hatte [gen den] Vers geschrieben „Mein Nam’ steht ins Wasser geschrieben“ u Shelley fügte nach dessen Tod hinzu: „und jeder Tropfen ist eine Träne“. eines alten Tempels lotusduftende Luft – die Harfe an die Weidenzweige hängen Hirtenpfeife Bienen summen über den Päonien u Heliotropen
3
6
9
12
738
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 14r
u Tauben gurren über den Blüten der Bougainvilleas – 3
das Absolute – claquer les portes
6
gelegentliche Ausflüge ins Pays du tendre –
9
Körner für den Kopf u Stroh für die Nester Lagunen u Taubenlegenden Styx–Acheron – die „gelben Quellen“ der chines. Herrscher
Notizbuch 12 14r
739
740
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 12 14v
741
Nb 12 14v
Freiheit, Fieber der Ferne die ungeheure Erniedrigung des Menschen – man lässt ihm garnichts! Keinen Glauben, keine coelectrischen Beziehungen, keine Anständigkeit, nichts gentlemanlikes, selbst seine Melancholie wird als dumm dargestellt, seine Tragik in Anführungsstriche gesetzt – sollte es nicht genialer sein, die Gegenkurve einzuschlagen (Iphigenie, Laokoon, sogar Wallenstein scheinen
3
6
9
12
742
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 15r
3
6
9
12
15
mir anthropologisch gesehn mehr ins Centrum zu treffen – ein Centrum, das unleugbar primär u. auch unwandelbar ist. die Ovid J H Voss Epik auf ein[en ige] lyrische Perioden, umzulegen auf dem Kamm eines Schneide 5 Minuten Moments zu balanzieren – technische Studie – Aprèsludien um zu komponieren sie schalten Jongleursache
Nicht wiedergegeben: 15v – 26r I
Notizbuch 12 15r
743
744
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.2] — Notizbuch 12 26v
745
Nb 12 26v
Kreiskasse Kreisbank Hagenow u eine grosse Gefleckte, bunthäutig Neben[gelber stelle] [Mohn Neuh] aus a E. 04 Kto. 121/14704 rufst Du mich sehr u wie ist Wilhelm Wenck Deine Stimme vom Wald, vom Schilf am Fluss Züge nach Berlin: ab Ludwigslust: 1209 ab Brahlstorf: 746 S. 638 23 50 9 | 16 909 20 1328 15 1352 H 2147 2236
[2.9] [7.1] → [7.2] : 3-4, 6, 8–9Bl → [7.9]
3
6
9
12
15
99K [24] 28–29 OrphTod
746
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 12 27r
3
Hag L
18 40 ab
Ludwigsl
19 43 an
” Berlin
6
9
21 47 ab 4 54 Zoo
23 X ∗ Herr Wenck Schröder 2045 Hauschildt 2046
- fs * o h d e ri F Neuhaus a E. gärtner Kirchstr 18
Notizbuch 12 27r
747
[8] — H 1 OrphTod 1r
749
H1 OrphTod 1r
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Wie Du mich zurücklässt, Liebste, von Erebus gestossen, dem unwirtlichen Rhodope Wald herziehend zweifarbige Beeren rotglühendes Obst Belaubung schaffend die Leier schlagend den Daumen an der Saite! 3 Jahre schon im Nordsturm – – An Totes zu denken ist süss. So Vollendete man hört die Stimme reiner und fühlt die Küsse die flüchtigen u die tiefen, – doch Du irrend bei den Schatten! Wie Du mich zurücklässt, – Fluss anstürmen die Dorfnymphen, anlocken die Felsenschönen, gurren: „im öden Wald nur Faune u Schratte, doch Du: Barde; Aufwölber von Broncelicht, Schwalbenhimmeln fort die Töne . . vergessen . . !“ Drohen! und Eine starrt so seltsam, und eine Grosse, Gefleckte, bunthäutig, „Gelber Mohn“
lockte unter Demut, Keuschheitsandeutungen bei hemmungsloser Lust – Purpur im Kelch der Liebe – vergeblich!
33
doch Drohen! Nein, Du sollst nicht verrinnen Du sollst nicht übergehn in Jole, Dryope, Prokne, die Züge vermischen mit Atalanta, dass ich womöglich Eurydike bei stammle statt Lais —
36
39
42
do.c.h. Drohen! – Und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Äste laubbeschwigtigt, die Hacken ährenbesänftigt – nackte Mes Haune und wehrlos dem Wurf der Hündinnen der verwilderten wüsten u n.u.n. schon die Wimper nass der Gaumen blutet und nun die Leier hinab den Fluss, die Ufer tönen –
45
48
51
54
57
60
GB Orpheus’ Tod.
[7.15] [7.22] [7.231,2 ] [7.24] → [8] : 1–62 Ti → [9]
26. VIII 46
61 62
99K [24] 1–54 OrphTod
750
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
H2 OrphTod 1r Orpheu’s Tod
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Wie Du mich zurücklässt, Liebste – [: ;] Von Erebus gestossen, dem unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, Zweifarbige Beeren, rotglühendes Obst: Belaubung schaffend, die Leier schlagend Saite den Daumen an der S[e a] ite ! Drei Jahre schon im Nordsturm! An Totes zu denken, ist süss, So Vollendete: man hört die Stimme reiner, fühlt die Küsse die flüchtigen u die tiefen –, doch Du irrend bei den Schatten!
so Entfernte
Wie Du mich zurücklässt –: anstürmen die Flussnymphen, anwinken die Felsenschönen, Gurren: „im öden Wald nur Faune und Schratte, doch Du, Barde, Aufwölber Sänger von Bronzelicht, Schwalbenhimmeln, fort die Töne –, Vergessen . . “ drohen! Und Eine starrt so seltsam, und eine Grosse, Gefleckte, bunthäutig, „gelber Mohn“ lockt unter Demut, Keuschheitsandeutungen
[91,2 ] a,b — H2 OrphTod 1r , 2r
751
H2 OrphTod 2r bei hemmungsloser Lust – (Purpur im Kelch der Liebe) – vergeblich! Dohen!
3
Nein, Du sollst nicht verrinnen, Du sollst nicht übergehn in Jole, Dryope, Prokne, die Züge vermischen mit Atalanta, dass ich womöglich Eurydike stammle bei Lais –
6
9
Doch: drohen –! Und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Äste laubbeschwichtigt, die Hacken ährenbesänftigt – – nackte Haune!
12
15
und wehrlos dem Wurf der Hündinnen, der Wüsten –
18
nun schon die Wimper nass, der Gaumen blutet, und nun die Leier hinab den Fluss – die Ufer tönen – .
21
24
G.B.
[8] → [91 ] a,b : 1r 1–31 Ti , 1r 1–24 Ti ←- → [101,2 ] a,b [101 ] → ,→ [92 ] a : 1r 13, 23 Bl → [111 ]
99K [24] 1–54 OrphTod 99K [24] 12, 20 OrphTod
752
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
H3 OrphTod 1r 1 Orpheus’ Tod 3
6
9
12
15
18
21
24
27
Wie Du mich zurücklässt, Liebste; – von Erebos gestossen, dem unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, zweifarbige Beeren, rotglühendes Obst, Belaubung schaffend die Leier schlagend, den Daumen an der Saite! 3 Jahre schon im Nordsturm! ; An Totes zu denken, ist süss. so Vollendete Entfernte[; ,] man hört die Stimme reiner, fühlt die Küsse die flüchtigen und die tiefen – . doch Du irrend bei den Schatten! Wie Du mich zurücklässt – ! Anstürmen die Flussnymphen, anlocken die Felsenschönen, gurren: „ im öden Wald nur Faune und Schratte, doch Du, Barde, Aufwölber von Broncelicht, Schwalbenhimmeln, – fort die Töne – verg[e i] ssen – ! “ [D d] rohen!
hGBi.
26. VIII 46.
[101,2 ] a — H3 OrphTod 1r
[91 ] a → [101 ] a : 2–28 Ti ←- → [111 ] a ,→ [102 ] a : 14 Bl → [111 ] a
753
99K [24] 1–26 OrphTod 99K [24] 12 OrphTod
754
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
H3 OrphTod 2r 2. Und [e E] ine starrt so seltsam, 3
6
und eine Grosse, Gefleckte, ? bunthäutig – „gelber Mohn“ – , lockt unter Demut, Keuschheitsandeutungen bei hemmungsloser Lust - (Purpur im Kelch der Liebe – –), vergeblich! Drohen!
9
12
15
18
21
24
27
30
Nein, Du sollst nicht verrinnen, Du sollst nicht übergehn in Jole, Dryope, Prokne, die Züge vermischen mit Atalanta, dass ich womöglich Eurydike stammle bei Lais – Doch: drohen –! und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Äste laubbeschwichtigt, die Hacken ährenbesänftigt – ? nackte Haune – ! und wehrlos dem Wurf der Hündninnen, der wüsten – nun schon die Wimper nass, der Gaumen blutet, und nun die Leier hinab den Fluss, — die Ufer tönen – . G.B.
[101,2 ] b — H3 OrphTod 2r
[91 ] a,b → [101 ] b : 1r 2–29 Ti , 1r 1–24 Ti ←- → [111 ] a,b ,→ [102 ] b : 1r 2, 4, 29 Bl → [111 ] a,b
755
99K [24] 27–54 OrphTod 99K [24] 27, 29, 54 OrphTod
756
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH1 OrphTod 1r 26. 8. 46. Orpheus’ Tod. 3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Wie Du mich zurücklässt, Liebste,– von Erebos gestossen, dem unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, [s z] weifarbige Beeren, rotglühendes Obst, Belaubung schaffend, Die Leier schlagend, den Daumen an der Saite! 3 Jahre schon im Nordsturm! Totes zu denken, ist süss, so Entfernte, man hört die Stimme reiner, fühlt die Küsse die flüchtigen und die tiefen–. doch Du irrend bei den Schatten!
[Du An]
Wie Du mich zurücklässt–,: Anstürmen die Flussnymphen, anlocken die Felsenschönen, gurren: “ im öden Wald nur Faune und Schratte,doch Du, Barde, Aufwölber [wie von] Broncelicht,Schwalbenhimmeln, – fort die Töne – verg[i e] ss[ – en] ! “ Drohen! Und Eine starrt so seltsam, und eine [g G] rosse,[g G] efleckte, bunthäutig– “gelber Mohn“–, lockt unter Demut, Keuschheitsandeutungen
[111,2 ] a — TH1 OrphTod 1r
757
758
33
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
bei hemmungsloser Lust– (Purpur im Kelch der Liebe– – ),vergeblich! Drohen!
36
39
Nein, Du sollst nicht verrinnen, Du sollst nicht übergehn in Jo[b l] e, Dryope, Prokne, die Züge vermischen mit Atalanta, dass ich womöglich Eur[i y] dike stammle bei Lais –
hGBi.
[101,2 ] a,b → [111 ] a : 2–40 Ms ←- → [121 ] a ,→ [112 ] a : 9, 12, 24, 26, 29 Ti → [121 ] a
99K [24] 1–39 OrphTod 99K [24] 7, 11, 23, 25, 28 OrphTod
760
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH1 OrphTod 2r
Doch: drohen–!
3
6
9
12
15
Und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Aeste laubbeschwigtigt, die Harken ährenbesänftigt– nackte Haune–! und wehrlos dem Wurf der Hündninnen. der Wüsten – nun schon die Wimper nass. der [D G] aumen blutet, und nun die Leier hinab den Fluss,– die Ufer tönen–. × G B.
hGBi.
[101,2 ] b → [111 ] b : 1–15 Ms ←- → [121 ] b ,→ [112 ] b : 12, 16 Ti → [121 ] b [113 ] b : 17 Bl
99K [24] 40–54 OrphTod 99K [24] 51 OrphTod
[111–3 ] b — TH1 OrphTod 2r
761
762
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TdH1 OrphTod 1r 26. 8. 46. Orpheus’ Tod. 3
6
9
Wie Du mich zurücklässt, Liebste,– von Erebos gestossen, dem unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, [s z] weifarbige Beeren, rotglühendes Obst, Belaubung schaffend, Die Leier schlagend, den Daumen an der Saite! [3 Drei]
12
15
18
21
24
27
30
Jahre schon im Nordsturm! Totes zu denken, ist süss, so Entfernte, man hört die Stimme reiner, fühlt die Küsse die flüchtigen und die tiefen–. doch Du irrend bei den Schatten!
[Du An]
Wie Du mich zurücklässt–,: Anstürmen die Flussnymphen, anlocken die Felsenschönen, gurren: “ im öden Wald nur Faune und Schratte,doch Du, Barde, Aufwölber [wie von] Broncelicht,Schwalbenhimmeln, – fort die Töne – verg[i e] ss[ – en] ! “ Drohen! Und Eine starrt so seltsam, und eine [g G] rosse,[g G] efleckte, bunthäutig– “gelber Mohn“–, lockt unter Demut, Keuschheitsandeutungen
[121,2 ] a — TdH1 OrphTod 1r
bei hemmungsloser Lust– (Purpur im Kelch der Liebe– – ),vergeblich!
763
33
Drohen! Nein, Du sollst nicht verrinnen, Du sollst nicht übergehn in Jo[b l] e, Dryope, Prokne, die Züge vermischen mit Atalanta, dass ich womöglich Eur[i y] dike stammle bei Lais –
36
39
TdH1 OrphTod 2r
Doch: drohen–! Und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Aeste laubbeschwigtigt, die Harken ährenbesänftigt– nackte Haune–! und wehrlos dem Wurf der Hündninnen. der Wüsten – nun schon die Wimper nass. der [D G] aumen blutet, und nun die Leier hinab den Fluss,– die Ufer tönen–.
[111–3 ] a,b → [121 ] a : 1–40 TdH , b : 1–15 TdH ←- → [131 ] a,b ,→ [122 ] a : 1, 11 Ti → [131 ] a
3
6
9
12
15
99K [24] 1–54 OrphTod 99K [24] 10 OrphTod
764
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH2 OrphTod 1r
ORPHEUS’ TOD
3
6
9
12
15
18
21
24
Wie Du mich zurücklässt, Liebste, – von Erebos gestossen, dem unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, zweifarbige Beeren, rotglühendes Obst, Belaubung schaffend, die Leier schlagend, den Daumen an der Saite! Drei Jahre schon im Nordsturm! An Totes zu denken, ist süss, so Entfernte, man hört die Stimme reiner, fühlt die Küsse die flüchtigen und die tiefen – , doch Du irrend bei den Schatten! Wie Du mich zurücklässt – , Anstürmen die Flußnymphen, anlocken die Felsenschönen, gurren: “ im öden Wald nur Faune und Schratte, doch Du, Barde, Aufwölber von Broncelicht, Schwalbenhimmeln, fort die Töne – Vergessen – “ !
27
Drohen!
30
Und Eine starrt so seltsam, und eine Große, Gefleckte, bunthäutig– “gelber Mohn“ –
[13] a — TH2 OrphTod 1r
lockt unter Demut, Keuschheitsandeutungen bei hemmungsloser Lust– (Purpur im Lelch der Liebe– ), vergeblich!
765
33
Drohen! Nein, Du sollst nicht verrinnen, Du sollst nicht übergehn in Jole, Dryope, Prokne, die Züge vermischen mit Atalanta, daß ich womöglich Eurydike stammle bei Lais.
36
39
TH2 OrphTod 2r
Doch: drohen –! Und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Aeste laubbeschwichtigt, die Harken ährenbesänftigt– nackte Haune–! und wehrlos dem Wurf der Hündinnen der Wüsten – nun schon die Wimper naß, der Daumen blutet, und nun die Leier hinab den Fluß, – die Ufer tönen– .
[121,2 ] a,b → [13] a : 1–40 Ms , b : 1–15 Ms → [21.11–3 ] a,b,c [21.2]
3
6
9
12
15
99K [24] 1–54OrphTod
[14] — TH3 Rosen
767
TH3 Rosen
Rosen: Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnern, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn, Traum – vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen dahin. Wahn von der Stunde Steigen Aller ins Auferstehn, Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
[61,2 ] → [14] : 1–13 Ms → [201,2 ]
3
6
9
12
99K [31] 1–12 OrphTod
768
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 1r
3
6
9
12
I. X 46. Unterwelt – „Zerschnitt die Gurgeln über der Grube aus dem Erebos kamen viele Seelen herauf“ Alles Geistige ist zwiespältig u. alles Menschliche schmerzlich – – einsamen – alte Seelen, hoch u alt Du hast die Marke vom Lindenblatt mit Deinem Pfeil gefunden, sonst alles hörnern, die Brünne glatt doch hier die Stelle der Wunden.
[15.1] : 1–3 Bl → [15.14] a,b [15.2] : 4–7 Bl → [15.4] [15.81 ] c,d
99K [23] 19–22 Quartär 99K [23] 8–9 Quartär
[15.1] [15.2] — Notizbuch 13 1r
769
770
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.3] [15.4] [15.5] — Notizbuch 13 1v
771
Nb 13 1v
Du gehst bis an den Rand der Feuer –
Die Götter fehlen die Asche schon dkealt einsame Seelen, hoch u [kalt alt] Die Bilder bleichen u Zeichen Verwandlung genug ein letzter Zug
[15.3] : 1–2 Bl → [15.13] [15.2] → [15.4] : 3–6 Bl → [15.81 ] c [15.91,2 ] [15.5] : 7–9 Bl
3
6
9
99K [23] 17 Quartär 99K [23] 6–9 Quartär 99K [23] 26 Quartär
772
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 2r
In dreeinem Aether von Sternen gelöst
3
6
u der sich nicht mehr um Sterne dreht Einsames Enden –
die Sterne wenden, der Geist verfällt. die Götter fehlen
[15.6] : 1–4 Bl → [15.7] [15.6] → [15.7] : 5–8 Bl → [15.81 ] a–c [15.91 ]
99K [23] 6–9, 41 Quartär
[15.6] [15.7] — Notizbuch 13 2r
773
774
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.81,2 ] a — Notizbuch 13 2v
775
Nb 13 2v
Opfer für die Hexen u Gebete an die Wasserratten manchmal überfällt einen doch ein deutliches Gefühl dafür, ein der Frösteln vor Klarheit des sich die Stunde Ereignenden, nämlich als ob ob sich sich etwas abzieht von der Erde, der Geist oder die Götter oder das, was menschliches Wesen war, fort ausgeglüht – erledigt, zu Ende – Nicht der Verfall des einzelnen
[15.7] → [15.81 ] a : 3–14 Bl ←,→ [15.82 ] a : Markierung rBu 2–3
3
6
9
12
776
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 3r
spricht mehr aus dem Gefühl schalen 3
6
9
12
15
18
Menschen, auch nicht einmal der einer Rasse, eines Kontinents oder einer sozialen Ordnung, eines geschichtlichen Systems. oder aller Kontinente sondern weit ausholender über Erfahrung jede Methode des Denkens, mögliche eines zuk als mit ein zukunftslos ist, zu Ende u alles, was in mehreren Jahrtausenden aufgebaut war. [Hier wo Bei der] weissen noch einige ideologische Draperien aus dem historisch politischen Fond, bei Verschleierungen, sehr durchsichtig
[15.7] → [15.81 ] b : 1–19 Bl
[15.81 ] b — Notizbuch 13 3r
777
778
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.81,2 ] c — Notizbuch 13 3v
779
Nb 13 3v
den Asiaten noch einige Opfer u Geister für die Hexen u einige Gebete an die Wasserratten, aber hier wie dort alles abgespielt u ohne tiefen Glauben u ohne sehr durchsichtig, sehr jede abhebbar Hoffnung aufgelockert, sehr dünn auf Erfüllung Stücke Was noch da ist, sind einige Träger [eines des] Restes ein einsame Seelen, etwas sehr bewusster, tief melancholischer Geist, schweigender gewordener sich erlebender
[15.2] [15.4] [15.7] → [15.81 ] c : 1–17 Bl ←- → [15.91 ] ,→ [15.82 ] c : Anstr. rBu 13–15, 17
3
6
9
12
15
99K [23] 8–9, 43–45 Quartär
780
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 4r
3
6
9
12
Alles Denkerische zwiespältig u. resultatlos, alles Menschliche schmerzlich. alles Intellectuelle hoffnungslos Einsames Enden die Welten wenden sich Fernen zu – die Sterne drehen – Verfall, Verfehlen – Späte Gestalt die Sphären kalt einsame Seelen hoch u alt. die Welten währen nicht mehr lang
[15.2] → [15.81 ] d : 1–4 Bl [15.4] [15.7] [15.81 ] c → [15.91 ] : 5–11 Ti ←- → [161 ] [171 ] [15.4] → ,→ [15.92 ] : 9, 5–11 Bl → [161 ] [171 ] [15.10] : 12–13 Bl
99K [23] 2–9 Quartär 99K [23] 7, 2–9 Quartär 99K [23] 2 Quartär
[15.81 ] [15.91,2 ] [15.10] — Notizbuch 13 4r
781
782
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.11] — Notizbuch 13 4v
783
Nb 13 4v
„Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unser, welcher weiss.“ H. v. Kleist.
3
letztes strahlendes Glück u ich trage es nicht ins Jenseits. Komm lass sie steigen u. fallen, die Cyclen brechen hervor Korallen uralte Sphinxe, Geigen u aus Babylon ein Tor –
6
9
Geigenhand –
[15.11] : 6–11 Bl → [15.12] [15.14] b
99K [23] 11–14 Quartär
784
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 5r
3
Wann ist ein Herz so getroffen, dass es Tränen u weint?
6
Komm lass sie sinken u Reigen vom Rio Grande de Sul.
[7.6] [15.11] → [15.12] : 5–7 Bl → [15.13] [15.14] a
99K [23] 11, 15 Quartär
[15.12] — Notizbuch 13 5r
785
786
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.13] [15.14] b — Notizbuch 13 5v
787
Nb 13 5v
Ein Jazz vom Rio de Grande ein Swing u ein Gebet [d an] den Feuern Rande, u alle in denen die Welt vergeht –
und jeder trank u erzählte von Schwert u Fall u frug –, auch mit Stier u Schwänen vermählte Frauen standdene im Zug. weinten
[2.8] [7.6] [15.12] → [15.13] : 1–4 Bl → [15.14] a [15.16] [7.3] → [15.14] b : 5–10 Ti → [18.11 ]
3
6
9
99K [23] 15–18 Quartär 99K [23] 23–26 Quartär
788
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 6r
3
6
9
12
15
II Komm , – lass sie sinken u steigen die Cyclen brechen hervor: uralte Sphinxe, Geigen u von Babylon ein Tor, ein Jazz vom Rio de Grande ein Swing u ein Gebet vom in sinkenden Feuern, am Rande wo alles zu Asche verweht. × Ich schnitt die Gurgel den Schafen u füllte die Grube mit Blut, die Schatten kamen u trafen sich hier, ich kannte sie gut.
[15.1] [15.12] [15.13] → [15.14] a : 1–15 Ti → [15.16] [18.11 ]
99K [23] 10–22 Quartär
[15.14] a — Notizbuch 13 6r
789
790
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.15] — Notizbuch 13 6v
791
Nb 13 6v
die das Quartär durchzogen
oder Ein Traum, ein Regenbogen der einige Farben bricht – u andre Du weisst, Du weisst es nicht – gespiegelt u oder gelogen göttlich
3
6
9
die das Quartär durchzogen
[15.15] : 1–10 Bl → [18.11 ]
99K [23] 27, 31–34 Quartär
792
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 7r
3
Spann In den Centren, verschwiegen, brennt die sinkende Welt – Riesige Hirne biegen sich über ihr Dann u Wann
6
9
u sehen die [Fäden Netze] fliegen, die die alte Spinne [wob spann] Treibhaus Leichenhäuser letzte Orchidee wuchern
[7.6] [15.13] → [15.16] : 1–11 Bl → [15.17] [15.191 ] [15.23] [15.14] [15.23] a
99K [23] 17-18, 36–39, 42–43 Quartär
[15.16] — Notizbuch 13 7r
793
794
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.17] [15.18] — Notizbuch 13 7v
795
Nb 13 7v
Sterne mit Rüsseln in die Ferne von [wuchsen züchten] sie ihre Kerne, in denen d[ie enen] Welt verglimmt
3
ter“ gsfut n u t l „Erha ter“ gsfut n u t s „Lei
6
Zerfallende Systeme mehr ein Zufall als Zwang entleert Stimmungen,
9
[15.16] → [15.17] : 1–5 Bl → [15.191 ] [15.81 ] a,b → [15.18] : 8–10 Bl
99K [23] 40–43 Quartär
796
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 8r
3
6
9
12
15
Riesige Hirne biegen sich über ihr Dann u Wann u. [seh fühlen] die Fäden fliegen, die die alte Spinne spann, mit Rüsseln in jede Ferne verstellt u Allem was verfällt, züchten sich ihre Kerne: die sich erkennende Welt. begriffliche e najad Karge Kombinationen: als ob u ungefähr Spiele, die sich nicht lohnen Stigmata des Quartär Spiel, die Kerzen nicht wert
[15.16] [15.17] → [15.191 ] : 1–9 Ti ←- → [18.21,2 ] ,→ [15.192 ] : 10–11 Bl → [18.21 ] [15.20] : 12–16 Bl
99K [23] 36–43 Quartär 99K [23] Titel, 46 Quartär
[15.191,2 ] [15.20] — Notizbuch 13 8r
797
798
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 13 8v
799
Nb 13 8v
Was mir an Dramatikern immer auffält ist, dass sie so tun, als ob es noch Beziehungen zwischen Menschen gäbe, Spannungen. Das ist doch garnicht mehr der Fall, jeder rattert sein Leben herunter mit möglichst viel Genuss u möglichst wenig Kosten –
3
6
9
800
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 9r
Einäugig wird die Stunde 3
6
Sturer Polyphem
+ einäugig u kausal Schachtelnd Furchend + Gliedernd mit Mass u Zahl Klammernde Systeme [Erkennend Klafternd]
9
–? weisse Systeme Klafternd mit Mass u Zahl Sture Polypheme Einäugig u kausal.
[15.21] : 1–7 Bl ←,→ [15.221 ] : 8–11 Ti ←,→ [15.222 ] : 8 rBu
[15.21] [15.221,2 ] — Notizbuch 13 9r
801
802
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.23] — Notizbuch 13 9v
803
Nb 13 9v
Eines der Augen Gottes sich nun selber an Blicke des Spiegels, des Spottes in den weissen [S M] ann. wahren
[sieht sah]
im Urwald die wunderbare die blaue Orchidee – Sie hat den Funken, der nicht bei sich selbst bleibt, sondern in den Raum sprüht.
[15.16]→ [15.23] : 1–5 Ti → [15.24] [18.21 ]
3
6
9
99K [23] 44–47 Quartär
804
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 10r
Komm Spätheit, Asterfarben –
3
Wir sind völlig vernünftig, nüchtern, realistisch – u dann die Räusche hüte [d D] ich nicht –
6
blinzelt sich selber an Blick des Spiels, des Spottes vom alten Spinnenmann.
9
12
auch die Worte sind nur noch real, wenn sie geheimnisvoll dunkelhäutig sind. Dunkle Haut über schwammig Straffe geworden, fadenziehenden, angegorenen Körpern
[15.23]→ [15.24] : 5–7 Ti → [18.21 ]
99K [23] 43–47 Quartär
[15.24] — Notizbuch 13 10r
805
806
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.25] — Notizbuch 13 10v
807
Nb 13 10v
Dann pflückt er Asphodelen u wandert den Styxen zu – Allerseelen Lass sich die Letzten quälen Fin du Tout – Selbst heute u selbst von Goethe sind viele Sätze u Verrse dunkel u. keineswegs eingängig, ihr Inhalt selbst den Fortgeschrittensten nicht erlebbar, man ist also über sie hinausgeschritten, ohne sie zu assimilieren u zu integrieren –
[15.25] : 1–5 Ti → [18.21 ]
3
6
9
12
99K [23] 48–53 Quartär
808
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 11r
3
6
9
12
15
Marotte sind sie deswegen überflüssig, sinnlos, abwegig? Ich möchte sagen: nein. Sie stellen das Problem der Peripherie dar, der Verwandlungszonen, die nicht immer in einer eindeutigen Richtung sich entfalten, [s n] icht immer in eine Öffnung zu allgemeingiltigen Formen u. Ausdrucksgebilden sich erfahrungen münden. Darfst Du Dich noch entfalten musst Du oder nur schweigen in Dir – hinab Schweigen mit den Alten In Tibet oder im Grab.
Notizbuch 13 11r
809
810
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Notizbuch 13 11v
811
Nb 13 11v
ist Dir schon [alles Alles] Sündedne Griffel u Taste u oder den Ton verkünden das die Geige „Purpurküste“
3
812
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Nb 13 12r
3
6
9
12
Darfst Du Dich noch entfalten oder musst Du schweigend hinab im Schweigen der Uralten von Tibet oder im Grab Zählt es für Dich schon zu den Sünden, dass Du nach Formen zielst Wort, Laut, Ton verkünden – wenn Du die Geige spielst u etwa will nicht als Sein Dein Schweigen still im Blute u Ausdruck zeigen . . Extroversion . .
Notizbuch 13 12r
813
814
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH1 Quartär 1r 1
Quartär. 3
6
9
Die Welten trinken und tränken sich Rausch zu neuem Raum, und die letzten Quartäre versenken den ptolämäischen Traum. Verfall,Verflammen,Verfehlen–, in toxischen Sphären,kalt, noch einige stygische Seelen, einsame,hoch und alt. G.B. 12 46. X.
12
15
18
21
24
15 X 46 . Müdigkeit Caro Maestro, die Frage der Müdigkeit ist eine brennende brennende, ich habe oft über sie nachgedacht. Ich bin der Meinung, man kann sie einengen, diese Müdigkeit, sogar sie fruchtbar machen, wenn man ein Ziel vor Augen hat. Auch der Schlaf ist ja ein ausgesprochen metaphysisches Problem. Wozu dieser Intervall, diese Erholung zu einem Leben, dessen Charakter ausserhalb jeder Erholung liegt. Wahrscheinlich sind Wachen u Schlaf und
[15.91,2 ] → [161 ] : 2–10 Ms → [18.11 ] [162 ] : 11–12 Ti
99K [23] 2–9 Quartär
[161,2 ] — TH1 Quartär 1r
815
816
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH2 Quartär 1r
Quartär.
3
6
9
Die Welten trinken und tränken sich Rausch zu neuem Raum und die letzten Quartäre versenken den ptolämäischen Traum. Verfall, Verflammen, Verfehlen– in toxischen Sphären,kalt, noch einige stygische Seelen, einsame, hoch und alt. G.B. 12. 46 X
12
15
18
Liebste, gestern Mittag bei mir sahst Du wunderschön aus: glatt, sanft, ruhig; – bleibe immer so – unter meinen Küssen! Liebe ist: Gutes und Böses, Leichtes und Schweres: Alles! Spiel und Trauer! Dein G.
[15.91,2 ] → [17.11 ] : 1–9 Ms → [18.11 ] [17.12 ] : 10–12 Ti
99K [23] 2–9 Quartär
[17.11,2 ] — TH2 Quartär 1r
817
818
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[17.2] — TH2 Quartär 1v
819
TH2 Quartär 1v
Fussnoten zu umstehendem Gedicht (hochgezüchteter Intellectualität) für Nicht-Philosophen und Nicht-Humanisten (z.B. [die das] Elfenbeingesicht I.K.): 1) Die Menschheit ist zu Ende, die Erde fertig; die Schöpfung wendet sich neuen Rändern und neuen Verwandlungen zu (eines meiner Grundgefühle in Anbetracht der völlig entleerten, ausgelaugten Rassen u Gehirne) 2) Ptolemäus, ein griechischer Philosoph und Geograph, schuf das erste geographisch-kosmische Weltbild: die Erde im Mittelpunkt. Dies galt bis Copernikus u Galilei –, nun drehte sich die Erde um die Sonne. Alles blödsinnige physikalische Hypothesen. Seelisch blieb bis heute Ptolemäus im Gefühl: der Mensch nahm sich zentral wichtig. 3) Quartär: unser Erdzeitalter, der Mensch, ohne Haarkleid, mit Technik, der Nach-Affe – jetzt vorbei u. zu Ende, s. Nr. 1. 4) Styx: der Totenfluss. Kuss!
[17.2] : 1–20 Ti
3
6
9
12
15
18
820
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH3 Quartär 1r
Quartär. I. 3
6
9
Die Welten trinken und tränken sich Rausch zu neuem Raum und die letzten Quartäre versenken den ptolämäischen Traum. a VVerfall[. ,] Verflmmen ,Verfehlen– in toxischen Sphären,kalt, noch einigen stygische Seelen, einsame,hoch und alt. [ii. II]
12
15
18
Cyclen
Komm–,lass sie sinken und steigen, die [C y] ce Cyclen brechen hervor: uralte Sphinxe,Geigen u. von Babylon ein Tor, ein Jazz vom Rio del Grande, ein Swing und ein Gebet– an sinkenden Feuern,vom Rande, wo Alles zu Asche verweht.
27
Ich schnitt die Gurgel den Schafen und füllte die Gurgel Grube mit Blut, die Schatten kamen und trafen sich hier–,ich horchte gut, ein Jeglicher trank,erzählte von Schwert und Fall und frug,– auch stier-und schwanenvermählte Frauen weinten im Zug.
30
Quartäre Cyclen[, ;] Scenen, doc[j h] keine macht dir bewusst, ist nun das Letzte :d^ie T[ä r] änen
21
24
[18.11–3 ] — TH3 Quartär 1r
821
822
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
33
oder ist das Letzte: die Lust oder Beides ein Regenbogen, der einige Farben bricht , gespiegelt oder gelogen–:–: du weidsest, du weidsest es nicht.
36
× 13. X. 46. G.B.
[2.5] [15.14] [15.15] [16] [17] → [18.11 ] : 1–34 Ms ←- → [19] ,→ [18.12 ] : 7, 9, 11, 13, ←- → [19] 15, 19, 21, 27–30 Ti/breit ,→ [18.13 ] : 35–38 Ti/dünn → [19]
99K [23] 1–34 Quartär 99K [23] 6, 8, 10, 12, 14, 18, 20, 26–29 Quartär 99K [23] 34 Quartär
824
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH3 Quartär 2r
3
6
9
12
15
18
Riesige Hirne biegen sich über ihr Dann und Wann u nd sehen die Fäden fliegen , die die alte Spinne spann ; mit Rüsseln in jede Ferne und an Alles,was verfällt , züchten sich ihre Kerne die sich erkennende Welt. Träume [s ] Eine r der Augen Gottes blickte sich selber an , Blicke des Spiels,des Spottes vom alten Spinnen mann , dann pflückt er Asphodelen und wandert den Styxen zu –, Lass sich die Letzten quälen –, Allerseel[n – en] , Fini du Tout. ×
Lass sie Geschichte erzählen –
[15.191,2 ] [15.23] [15.24] [15.25] → [18.21 ] : 1–8, 10–18 Ms ←- → [19] ,→ [18.22 ] : 3–4, 6, 9–11 → [19] 13, 15–17, 19–20Ti
99K [23] 36–53 Quartär 99K [23] 38–39, 41, 44–45 47, 49–52 Quartär
[18.21,2 ] — TH3 Quartär 2r
825
826
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH4 Quartär 1r
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
Quartär Qartär. I Die Welten trinken und tränken sich Rausch zu neuem Raum und die letzten Quartäre ver[d s] enken den ptolämäischen Trau[-, – m] , Verfall,Verflammen,Verfehlen–, in toxischen Sphären,kalt, noch einige stygische Seelen, einsame,hoch und alt.
II. Komm,lass sie sinken und steigen, die Cyclen brechen hervor: uralte Sphinxe,Geigen und von Babylon ein Tor, ein Jazz vom Rio del Grande, ein Swing und ein Gebet an sinkenden Feuern,vom Rande, wo Alles zu Asche verweht. Ich schnitt die Gurgel den Schafen und füllte die Grube mit Blut, die Schatten kamen und trafen sich hier–, ich horchte gut–, ein Jeglicher trank,erzählte von Schwert und Fall und frug–, auch stier-und schwanenvermählte Frauen weinten im Zug. Quartäre Cyclen,–Scenen, doch keine macht dir bewusst, ist nun das Letzte die Tränen oder ist das Letzte: die Lust
[191–4 ] — TH4 Quartär 1r
827
828
33
36
39
42
45
48
51
54
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
oder Beides ein Regenbogen, der einige Farben bricht, gespiegelt oder gelogen–: du weidsest, du weidsest es nicht. III. Riesige Hirne biegen sich über ihr Dann und Wann und sehen die Fäden fliegen, die die alte Spinne spann, mit Rüsseln in jede Ferne und an Alles,was verfällt, züchten sich ihre Kerne die sich erkennende Welt. Einer der Träume Gottes blickte sich selber an, Blicke des Spiels,des Spottes vom a[ö l] ten Spinnenmann, dann pflückt er sich Asphodelen und wandert den Styxen zu–, Lass sich die Letzten quälen, l [l s] [l a] lass sie Geschichte erzählen– , Allerseelen– Fini du Tout. ×
57
G.B. X.46.
13
[18.11–3 ] [18.21,2 ] → [191 ] : 2–55 Ms ←- → [221 ] ,→ [192 ] : 7, 53, 56–57Ti → [221 ] [193 ] : 58Bl [194 ] : 1Bl (Oelze)
99K [23] 1–53 Quartär 99K [23] 5, 51
830
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH4 Rosen 1r
Rosen.
3
6
9
12
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vase[b n] oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn, Traum– vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunden Steigen aller ins Auferstehn, Wahn–vor dem Fallen,dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
15
[14] → [201 ] : 1–14 Ms ←- → [25] [202 ] : 15Ti [203 ] : 16Bl
G.B. V/46
99K [31] 1–12 Rosen
[201–3 ] — TH4 Rosen 1r
831
832
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH3 OrphTod 1r
Orpheu’ s Tod
3
6
9
12
15
18
21
24
27
Wie du mich zurücklässt,Liebste, – Von Erebos gestossen, den unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, zweifarbige Beeren, rotglühendes Obst– Belaubung schaffend, die [l L] eier schlagend den Daumen an der Saite! Drei [a J] ahre schon im Nordsturm! An Totes zu denken,ist süss, so Ent[df f]ernte, man hört die Stimme reiner, fühlt die Küsse, die flüchtigen u die tiefen–, doch du irrend bei den Schatten ! Wie du mich zurücklässt–, anstürmen die Flussnymphen, anwinken die Felsenschönen, gurren: “im öden Wald nur Faune und Schratte, doch du, Sänger,Aufwölber von Broncelicht,Schwalbenhimmeln,– fort die Töne– Vergessen–!“ –. –.drohen–!
[13]a → [21.11 ] a : 1–27 Ms ←- → [24] ,→ [21.12 ] a : 1, 2, 9, 13, 15, 27Ti → [24]
99K [24] 1–26 OrphTod 99K [24] Titel, 8, 12, 14, 26 OrphTod
[21.11,2 ] a — TH3 OrphTod 1r
833
834
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH3 OrphTod 2r
3
6
Und Eine starrt so seltsam. Und eine Grosse, Gefleckte, bunthäutig (“gelber Mohn“)“ lockt unter Demut,Keuschheitsandeutungen bei hemmungsloser Lust–(Purpur im Kelch der Liebe–!)– vergeblich! drohen!
9
12
Nein,du sollst nicht verrinnen, du sollst nicht übergehn in Jole,Dryope,Prokne, die Züge vermischen mit Atalanta, dass ich womöglich Eurydike stammle bei Lais–, doch:–drohen–!
15
18
21
undnu Und..n.u.n die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, [, m] it Moos sich hüllend, die Äste laubbeschwi[g ch] tigt, die Hacken ährenbesänftigt – –: [n n] a[ckt ckt] e Haune–!
[13]a,b → [21.11 ] b : 1–22 Ms ←- → [21.2] [24] ,→ [21.12 ] b : 22Ti ←- → [21.2] [24] ,→ [21.13 ] b : 3, 15–16, 19, 21Bl → [21.2] [24]
99K [24] 27–47 OrphTod 99K [24] 47 OrphTod 99K [24] 29, 41, 45, 47 OrphTod
[21.11–3 ] b — TH3 OrphTod 2r
835
836
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH3 OrphTod 2ar
3
6
und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Äste laubbeschwichtigt, die Hacken ährenbesänftigt– –: nackte Haune–!
[21.11–3 ] b → [21.2] : 1–7 Ms → [24]
99K [24] 41–47 OrphTod
[21.2] — TH3 OrphTod 2ar
837
838
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH3 OrphTod 3r
nun wehrlos dem Wurf der Hündinnen, der wüsten– 3
6
nun schon die Wimper nass, der Gaumen blutet–, und nun die Leier hinab den Fluss– die Ufer tönen–. G. B.
9
[13]b → [21.11 ] c : 1–7 Ms → [24] [21.12 ] c : 8Ti [21.13 ] c : 9Bl
X/46
99K [24] 48–54 OrphTod
[21.11–3 ] c — TH3 OrphTod 3r
839
840
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH5 Quartär 1r Quartär–
3
6
9
12
15
18
21
24
27
30
I Die Welten trinken und tränken sich Rausch zu neuem Raum und die letzten Quartäre versenken den ptolemäischen Traum. Verfall,Verflammen,Verfehlen– in toxischen Sphären,kalt, noch einige stygische Seelen, einsame ,hoch und alt. II Komm–lass sie sinken und steigen, die Cyclen brechen hervor: uralte Sphinxe,Geigen und von Babylon ein Tor, ein Jazz vom Rio del Grande, ein Swing und ein Gebet– an sinkenden Feuern,vom Rande, wo alles zu Asche verweht. Ich schnitt die G[i u] rgel den Schafen und füllte die Grube mit Blut, die Sch[tten atte] kamen und trafen sich hier–ich horchte gut– , ein Jeglicher trank,erzählte von Schwert und Fall und frug, auch stier- und schwanenvermählte Frauen weinten im Zug. Quartäre Cyclen,– Scenen, doch keine macht dir bewusst, ist nun das Letzte die Tränen oder ist das Letzte die Lust
[221,2 ] a,b — TH5 Quartär 1 r , 2 r
oder beides ein Regenbogen der einige Farben bricht, gespiegelt oder gelogen– du weisst,du weisst es nicht.
841
33
TH5 Quartär 2r
III Riesige Hirne biegen sich über ihr Dann und Wann und sehen die Fäden fliegen, die die a[o I] te Spinne spann, mit Rüsseln in jede Ferne und an Alles,was verfällt, züchten sich ihre Kerne die sich erkennende Welt. Einer der Träume Gottes blickte sich selber an, Blicke des Spiels,des Spottes vom alten Spinnenmann, dann pflückt er sich Asphod[l e] len und wandert den Styxen zu–, lass sich die Letzten quälen, Lass sie Geschichte erzählen– Allerseelen– Fini du Tout. G.B. X 46
[191 ] → [21.21 ] a,b : 1r 1–35 Ms , 2r 1–19 Ms → [23] [21.22 ] b : 2r : 20–21Ti
3
6
9
12
15
18
21
99K [23] 1–53 Quartär
842
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
D1 Quartär Quartär – I.
3
6
9
Die Welten trinken und tränken sich Rausch zu neuem Raum und die letzten Quartäre versenken den ptolemäischen Traum. Verfall, Verflammen, Verfehlen – in toxischen Sphären, kalt, noch einige stygische Seelen, einsame, hoch und alt. II.
12
15
18
21
24
27
Komm – laß sie sinken und steigen, die Cyclen brechen hervor: uralte Sphinxe, Geigen und von Babylon ein Tor, ein Jazz vom Rio del Grande, ein Swing und ein Gebet – an sinkenden Feuern, vom Rande, wo alles zu Asche verweht. Ich schnitt die Gurgel den Schafen und füllte die Grube mit Blut, die Schatten kamen und trafen sich hier – ich horchte gut –, ein Jeglicher trank, erzählte von Schwert und Fall und frug, auch stier- und schwanenvermählte Frauen weinten im Zug. Quartäre Cyclen – Scenen, doch keine macht dir bewußt, ist nun das Letzte die Tränen
[23] — D1 Quartär
oder ist das Letzte die Lust oder beides ein Regenbogen, der einige Farben bricht, gespiegelt oder gelogen – du weißt, du weißt es nicht.
843
30
33
III. Riesige Hirne biegen sich über ihr Dann und Wann und sehen die Fäden fliegen, die die alte Spinne spann, mit Rüsseln in jede Ferne und an alles, was verfällt, züchten sich ihre Kerne die sich erkennende Welt. Einer der Träume Gottes blickte sich selber an, Blicke des Spiels, des Spottes vom alten Spinnenmann, dann pflückt er sich Asphodelen und wandert den Styxen zu –, laß sich die Letzten quälen, laß sie Geschichte erzählen – Allerseelen – Fini du Tout.
36
39
42
45
48
51
844
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
D1 OrphTod Orpheus’ Tod
3
6
9
12
15
18
21
24
Wie du mich zurückläßt, Liebste –, Von Erebos gestoßen, dem unwirtlichen Rhodope Wald herziehend, zweifarbige Beeren, rotglühendes Obst – Belaubung schaffend, die Leier schlagend den Daumen an der Saite! Drei Jahre schon im Nordsturm! An Totes zu denken, ist süß, so Entfernte, man hört die Stimme reiner, fühlt die Küsse, die flüchtigen und die tiefen –, doch du irrend bei den Schatten! Wie du mich zurückläßt –, anstürmen die Flußnymphen, anwinken die Felsenschönen, gurren: »im öden Wald nur Faune und Schratte, doch du, Sänger, Aufwölber von Bronzelicht, Schwalbenhimmeln –, fort die Töne – Vergessen –!« – drohen –!
27
30
Und Eine starrt so seltsam. Und eine Große, Gefleckte, bunthäutig (»gelber Mohn«) lockt unter Demut, Keuschheitsandeutungen
[24] — D1 OrphTod
845
bei hemmungsloser Lust – (Purpur im Kelch der Liebe –!) vergeblich! drohen –! Nein, du sollst nicht verrinnen, du sollst nicht übergehn in Jole, Dryope, Prokne, die Züge nicht vermischen mit Atalanta, daß ich womöglich Eurydike stammle bei Lais –,
33
36
39
doch: drohen –! und nun die Steine nicht mehr der Stimme folgend, dem Sänger, mit Moos sich hüllend, die Äste laubbeschwichtigt, die Hacken ährenbesänftigt –: nackte Haune –! nun wehrlos dem Wurf der Hündinnen, der wüsten – nun schon die Wimper naß, der Gaumen blutet –,
42
45
48
51
und nun die Leier hinab den Fluß – die Ufer tönen –.
54
846
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH5 Rosen 1r Rosen.
3
6
9
12
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Widerbeginn, Traum- vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunden Steigen aller ins Auferstehn, Wahn- vor dem Fallen,dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
6
[201 ] → [25] : 1–13 Ms → [261 ]
99K [31] 1–12 Rosen
[25] — TH5 Rosen 1r
847
848
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH6 Rosen 1r
Rosen –––––––
3
6
9
12
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum–von der Stunden Dauer Wechsel und Wiederbeginn, Traum vor der Tiefe der Trauer, Blätter[n d] ieblättern die Rosen hin. Wahn–von der Stunden Steigen aller ins Auferstehn, Wahn vor dem Fallen ,dem Schweigen , wenn die Rosen vergehn. ×
[201 ] → [261 ] : 1–13 Ms ←- → [271 ] ,→ [262 ] : 9, 14 bKu → [271 ]
99K [31] 1–12 Rosen 99K [31] 8 Rosen
[261,2 ] — TH6 Rosen 1r
849
850
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH7 Rosen 1r Privatgedichte III
Rosen ––––––––
3
6
9
12
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Widee derbeginn[– ,] Traum -vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunden Steigen aller ins Auferstehn, Wahn-vor dem Fallen,dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
[261,2 ] → [271 ] : 2–14 Ms ←- → [281 ] ,→ [272 ] : 1, 8 Ku → [281 ]
99K [31] 1–12 Rosen 99K [31] 6 Rosen
[271,2 ] — TH7 Rosen 1r
851
852
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH8 Rosen 1r
Rosen ––––––––
3
6
9
12
Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn, Traum–vor der Tiefe der Trauer, blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunden Steigen aller ins Auferstehn, Wahn–vor dem Fallen,dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.
15
[271,2 ] → [281 ] : 1–13 Ms → [31] [282 ] : 14–15 Ku
G.B. ( 1946 )
99K [31] 1–12 Rosen
[281,2 ] — TH8 Rosen 1r
853
[31] — D1 Rosen
855
D1 Rosen Rosen Wenn erst die Rosen verrinnen aus Vasen oder vom Strauch und ihr Entblättern beginnen, fallen die Tränen auch. Traum von der Stunden Dauer, Wechsel und Wiederbeginn, Traum – vor der Tiefe der Trauer: blättern die Rosen hin. Wahn von der Stunden Steigen aller ins Auferstehn, Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen: wenn die Rosen vergehn.
3
6
9
12
856
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Druckvarianten Druckvarianten zu D1 Orpheus’ Tod 1 2 15 17 20 23 27 36 39 51 51/52 54
D3 D2, D3 D3 D3 D3 D3 D3 D3 D3 D3 D3 D3
Wie du mich zurückläßt, Liebste – von Erebos gestoßen, die flüchtigen und die tiefen – Wie du mich zurückläßt – gurren: »Im öden Wald von Bronzelicht, Schalbenhimmeln – Und eine starrt so seltsam. Iole, Dryope, Prokne, stammle bei Lais – der Gaumen blutet –
die Ufer tönen –
Druckvarianten zu D1 Quartär – 1 10 12 23 27 35 49 53
D3 D3 D2, D3 D3 D2, D3 D3 D3 D3
I II Die Zyklen brechen hervor: Ein jeglicher trank, erzählte Quartäre Zyklen – Szenen, III und wandert den Styxen zu – Fini du tout.
Überlieferung und Chronologie
857
Überlieferung und Chronologie Notizbuch 11b [1] Nb 11b (DLA, »Arbeitsheft 11b«, Bestand Benn); Notizbuch (90 × 143 mm, kariert, fadengeheftet) aus der Papierwarenfabrik »A.J. Ostrowski’s Erben«. Deckel aus Pappe in Schlangenleder-Optik. 23 von 23 Blatt beschrieben, verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe (Bleistift, Buntstift, Tinte). Das Notizbuch wurde für literarische Vorarbeiten, Lektürenotizen, vereinzelt auch für Abrechnungen verwendet. Durch verstreute Datierungen von Benns Hand (4r : 21. September 1945, 20v : 6. Januar 1946) und Parallelen zu Briefstellen lässt sich der Nutzungszeitraum auf September 1945 bis April 1946 eingrenzen. Die wiedergegebenen Entwürfe und Notizen dürften im Zeitraum Dezember 1945 bis 6. Januar 1946 entstanden sein. Editorisch wiedergegeben werden die Abschnitte 1v bis 3r und 9v bis 13r mit Vorarbeiten und Teilentwürfen zu Orpheus’ Tod. Die dazwischen liegenden Seiten mit Entwürfen, Notizen und Abrechnungen bleiben unberücksichtigt. Sofern sie literarischen Charakters sind, wurden sie in SW, VII/2, S. 128–130 aufgenommen. [1] Nb 11b [1.1] 2r 1–4Bl |1 [1.2] 3r 11–14Bl [1.3] 9v 1–3Bl [1.41 ] a–c |2
596 598 601 604, 607, 608
a: 11r 1–14Bl , b: 11v 1–4, 6–12Bl , c: 12r 1–3Bl ↓ [1.42 ]
[1.42 ]
b
b: 11v 5bBu
↑ [1.41 ] [1.5] 12r 2–3bBu
[1.6]
12r
4–12Bl
↓ [2.7] [7.19]
607
|3 |4
608 608 99K [24] 11–15 OrphTod
Notizbuch 11 [2] Nb 11 (DLA, »Arbeitsheft 11«, Bestand Benn); Notizbuch mit Aufdruck »Mein Tagebuch« (104 × 184 mm, fadengeheftet). Aufdruck hs. ergänzt zu »Mein KinderTagebuch«. Hs. Nummerierung/Datierung des Notizbuches: »I/46«. Auf 1r Stem1 Stichwort folgende Zeile »isolierter Mann im Herbst« vgl. BOelze, II.1, S. 11 (16. Dezember 1945). 2 Vgl. zu 11r 8–11 Briefe an Else C. Kraus und Alice Schuster: »Ich bin alt, Pläne habe ich nicht mehr, keine Hoffnung, auch keine Sehnsucht mehr.« AusgB, S. 83 (18. November 1945). 3 Vgl. BOelze, II.1, S. 11 (16. Dezember 1945). 4 Auf der folgenden Seite 13r Prosaentwurf, vgl. ebd., II.1, S. 17 (14. Januar 1946).
858
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
pel mit Adresse von Benns Praxis. 34 von 34 Blatt beschrieben, verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Bleistift, Buntstift, Tinte). Das Notizbuch wurde für allgemeine, Lektüre- und tagebuchartige Notizen sowie für literarische Entwürfe zu Lyrik und Prosa verwendet. Durch verstreute Datierungen von Benns Hand lässt sich der Nutzungszeitraum auf Januar bis Juni 1946 eingrenzen. Editorisch wiedergegeben werden der Abschnitt 6v bis 23r und die Seite r 28 mit Vorarbeiten und Teilentwürfen zu Orpheus’ Tod und zu Quartär –. Die dazwischen liegenden Seiten mit Prosaentwürfen bleiben unberücksichtigt. [2] Nb 11 [2.1] 8v 6–8Bl
621
Datiert 12. Februar 1946. [2.2] a,b |5 a: 11r 1–11Bl , ↓ [2.9] [2.3] 12r 6–12Bl
b: 11v 1–11Bl
630, 633 99K [24] 11–15 OrphTod
634 99K [23] 6, 17–18, 44–45 Quartär
[2.4] a,b |6 a: 16v 1–15Ti , b: 17r 1–23Ti ↓ [2.7] [2.5] 17v 8–14Ti
651, 652
|7
655
↓ [18.11 ] [2.6] 18r 8–11Ti
99K [23] 29–30 Quartär
656
↓ [2.8] [7.21] [2.7] 18v 5–10Ti
659
↓ [7.19] ↑ [1.6] [2.4]a [2.8] 19v 1–4Ti
99K [24] 13–15 OrphTod
↓ [7.6] [15.13] ↑ [2.6] [2.9] 20r 1–3Ti
99K [23] 16, 49 Quartär
663 664 99K [24] Titel, 28–29 OrphTod
↓ [7.2] ↑ [2.2] b [2.101 ] 20r 4–6Ti |8
664 668
[2.111 ] 21r 2–6, 8–18Ti ↓ [2.121 ] [2.112 ] [2.121 ] 22r 1–7, 9–14, ↓ [2.122,3 ] [31 ]
99K [31] 1–12 Rosen
16, 18Ti
↑ [2.111 ]
670 99K [31] 1–12 Rosen
Datiert 30. Mai 1946. 5 Prosaentwurf, vgl. BOelze, II.1, S. 22 (20. März 1946). Prosaentwurf, vgl. Geburtstagsbrief ebd., II.1, S. 27–30, hier 28f (2. Mai 1946). Auf den Seiten 6 zuvor 15r f Entw. vgl. ebd., S. 26 (14. April 1946). 7 Entwurf, Stichwort vgl. ebd., II.1, S. 33 (27. Mai 1946). 8 Stichwortentwurf, vgl. ebd., II.1, S. 33 (27. Mai 1946). Der Entwurf wird seit Steinhagens Edition als dem Stichwortentwurf Orpheus’ Tod [2.9] zugehörig betrachtet (Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 111, SW, I, S. 439). Folgeseite 20v vgl. BOelze, II.1, S. 31 (22. Mai 1946).
Überlieferung und Chronologie
[2.112 ] 21r 1, 7, 8, 11, 16Bl ↓ [31 ] ↑ [2.111 ] [2.122 ] 22r 8, 10, 15,
859
668 99K [31] Titel, 6, 8, 11 Rosen
17Bl
↓ [2.123 ] [31 ] ↑ [2.121 ] [2.123 ] 22r 8rBu ↓ [31 ] ↑ [2.121,2 ] [2.102 ] 20r 4–6rBu
670 99K [31] 6, 11 Rosen
670 99K [31] 6 Rosen
664
Unterstreichung, Anstreichung am linken Rand [2.13] 28r 1–5Bl |9
676 99K [24] Titel OrphTod
H1 Rosen [3] H1 Rosen (DLA, Bestand Oelze); ein Blatt Manuskript Reinschrift (167 × 220 mm, Risskante am unteren Ende), recto beschrieben, Tinte. Titel »Rosen:«, hs. datiert 30. Mai 1946, gewidmet »Für Frau Charlotte Stephanie Oelze und den Garten in Oberneuland«, signiert. Mit verdeutlichenden Transkriptionen zu Einzelwörtern von der Hand Friedrich Wilhelm Oelzes. Am 1. Juni 1946 an Oelze und dessen Frau gesandt.10 [3] H1 Rosen [31 ] 1r 1–6, 7–8, 10–11, 13–14, 16–21Ti
678
↓ [4] ↑ [2.101–2 ] [2.111–3 ] Datiert 30. Mai 1946. Mit Widmung für Charlotte Stephanie Oelze.
[32 ] 1r 6, 9, 12, 15Ti
678
Interlineartranskriptionen von Oelzes Hand nach Lesehinweisen in Benns Brief vom 9. Juni 1946.11
H2 Rosen [4] H2 Rosen (DLA, Bestand Oelze); ein Blatt Manuskript Reinschrift (167 × 220 mm), recto beschrieben, Tinte. Titel »Rosen:«, undatiert, nicht signiert. [4] H2 Rosen 1r 1–13Ti
680
9 Entw. befindet sich zwischen Notizen 23r und 28r 6–13 zu Brief an Oelze vom 9. Juni 1946, ebd., II.1, S. 35–37. 10 Ebd., II.1, S. 34f. 11 Ebd., II.1, S. 37.
860
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH1 Rosen [5] TH1 Rosen (DLA); ein Blatt Typoskript (160 × 231 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine. Titel »Rosen :«, undatiert, nicht signiert. [5] TH1 Rosen 1r 1–13Ms 682
TH2 Rosen [6] TH2 Rosen (DLA); ein Blatt Typoskript (160 ×231 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine. Titel »Rosen :«, undatiert, nicht signiert. [6] TH2 Rosen [61 ] 1r 1–13Ms 684 [62 ] 1r 7Ti 684
Notizbuch 12 [7] Nb 12 (DLA, »Arbeitsheft 12«, Bestand Benn); Notizbuch mit Aufdruck »Mein Tagebuch« (104 × 184 mm, fadengeheftet). Aufdruck hs. ergänzt durch »Lotosesser« und die Nummerierung »2«. 27 von 34 Blatt beschrieben, verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Bleistift, Buntstift, Tinte). Das Notizbuch wurde für literarische Entwürfe und Vorarbeiten, teils auch für allgemeine Notizen und Rechnungen verwendet. Durch verstreute Datierungen von Benns Hand und indirekte Datierung lässt sich der Nutzungszeitraum auf Mitte Juli bis September 1946 eingrenzen. Editorisch wiedergegeben werden der Abschnitt 1r bis 15r und die Doppelseite 26v /27r mit Vorarbeiten und Teilentwürfen zu Orpheus’ Tod und zu Quartär –. Die dazwischen liegenden Seiten mit Entwürfen zu Prosa und Lyrik, unter anderem zum Gedicht Gewisse Lebensabende, bleiben unberücksichtigt.12 [7] Nb 12 [7.1] 2v 2–7Bl |13
693 99K [24] 25–26 OrphTod
↓ [7.2]
[7.2] 26v 3–4, 6, 8–9Bl |14 ↓ [7.9]
↑ [2.9] [7.1]
745 99K [24] 28–29 OrphTod
12 Es wäre evtl. ein Bezug zu den Mänaden in Orpheus’ Tod zu sehen (als Motiv mörderischer Frauen, welche das Objekt des Begehrens töten). Auf der nicht berücksichtigten Seite 19r findet sich ein Entwurf zum Gedicht Gewisse Lebensabende: »Alle die Ophelias, Julias bekränzt silbern, weich, auch mörderisch verkleidet [. . .] aufgehört, Rattenpudding auch Herzens-Ariel bei den Elementen.« In Sämtlichen Werken fälschlich in »Arbeitsheft 11« angegeben, vgl. SW, I, S. 480. 13 Vmtl. kurz nach dem 19. Juli 1946. Auf den vorangehenden Seiten 1v /2r Prosaentwurf zu Brief an Oelze vom 19. Juli 1946, inkl. Kommentar über die »Rosenverse«, d.i. Rosen. Vgl. BOelze, II.1, S. 39. Vgl. zu Z. 8–9 auch ebd., II.1, S. 45 (15. August 1946). 14 Der blasse, schwer lesbare Entwurf wurde später teilweise überschrieben durch Notizen zur Reisevorbereitung nach Neuhaus in der letzten Augustwoche, vgl. ebd., II.1, S. 46–47 (31. August 1946).
Überlieferung und Chronologie
[7.3] 3r 1–5
861
694 99K [23] 25 Quartär
↓ [15.14]b [7.4] 3r 6–10Bl
|15
694
↓ [7.7] 1 [7.5 ] 4r 1–17Ti
698
↓ [7.52 ] 2 [7.5 ] 4r 1, 4bTi
698
↑ [7.51 ] [7.6] 4v 1–3Ti
701
↓ [15.12] [15.13] [15.16] [7.7] 4v 4–8Ti
↑ [2.8]
99K [23] 15–16 Quartär
701 99K [23] 29 Quartär
↓ [7.14] ↑ [7.4] [7.8] 5v 3–13Bl |16
705
↑ [7.51 ] [7.9] 6r 4–5Bl
706
↓ [7.12] ↑ [7.2] [7.101 ] 6r 1–3, 6–14Bl
99K [24] 28–29 OrphTod
|17
↓ [7.102 ] [7.231 ] b [7.11] 6v 1–4Bl
706 99K [24] 23 OrphTod
709 710
[7.12] 7r 1–9Bl ↓ [7.13] [7.22] ↑ [7.9]
99K [24] 28–32 OrphTod
[7.13] 7v 6–12Bl ↓ [7.22]
713
↑ [7.12]
99K [24] 30–32 OrphTod
[7.14] 8r 6–10Bl
714 99K [23] 29–30 Quartär
↑ [7.7]
[7.15] 8r 1–5, 11–12Bl
714 99K [24] 34–39 OrphTod
↓ [8]
[7.16] 8v 1–11Bl
717
↓ [7.18] [7.231 ]
a,b
99K [24] 9, 19–22 OrphTod
[7.17] 9r 1–8Bl ↓ [7.231 ]
718 99K [24] 3–4, 10 OrphTod
a
[7.18] 9r 10–15Bl ↓ [7.231 ]
a
↑ [7.16]
718 99K [24] 10 OrphTod
[7.19] 9v 1–7Bl ↓ [7.231 ]
a,b
721 ↑ [1.6] [2.7]
99K [24] 11–15 OrphTod
15 Vgl. ebd., II.1, S. 43 (15. August 1946). 16 Zu auf ders. Seite Z. 1–2, vgl. ebd., II.1, S. 43 (15. August 1946). Steinhagen sieht in der DatumNotiz »Jean Anouilh: Antigone // 11. VIII 46.« auf der Seite eine mögliche Anregung für den darunter stehenden Prosaentwurf. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 112. 17 Vgl. BOelze, II.1, S. 42 (15. August 1946).
862
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[7.201 ] a,b a: 9v 8–15Bl , b: 10r 1–9Bl ↓ [7.202 ] [7.231 ] c [7.24] [7.102 ] 6r 3rBu
721, 722
99K [24] 1, 17, 41–49, 52-54 OrphTod
706
↑ [7.101 ] Unterstreichung
[7.202 ] a,b a: 9v 8, 10rBu , b: 10r 2–5rBu
721, 722
↑ [7.201 ] Unterstreichungen [7.21] 9r 9–10Ti ↑ [2.6] [7.22] 10r
718
10–15Ti
722
↓ [7.231 ] b [8] ↑ [7.12] [7.13] [7.231 ] a,b,c |18 a: 10v 1–16Ti , b: 11r 2–6, 8–20Ti , c: 11v 3–4Ti
99K [24] 28–32 OrphTod
725, 726, 729
↓ [7.232 ] [8] ↑ [7.101 ] [7.16] [7.17] [7.18] [7.19] [7.201 ] b [7.22] 99K [24] 1–27, 52–54 (28–32) OrphTod
[7.232 ]
11r
7Bl
1, b ↓ [8] ↑ [7.231 ] [7.24] 11v 1–2, 5–15Bl ↓ [8] ↑ [7.201 ] b
726 99K [24] 15, 19 OrphTod
729 99K [24] 41–46, 48–51 OrphTod
H1 OrphTod [8] H1 OrphTod (Privatbesitz); ein Blatt Manuskript (ca. 200 × 250 mm, nach Seitenverhältnis), recto beschrieben, Tinte. o.T., datiert 26. August 1946, signiert. Das Original befindet sich n.W.d. Hrsg. in Privatbesitz. Die Umschrift basiert auf einer Kopie. [8] H1 OrphTod 1r 1–60 ↓ [9]
749
↑ [7.15] [7.22] [7.231,2 ] [7.24]
H2 OrphTod [9] H2 OrphTod (Privatbesitz); zwei Blatt Manuskript (ca. 210 × 297 mm, nach Seitenverhältnis), recto beschrieben, Tinte. Titel »Orpheu’s Tod«, o.D., signiert. Das Original befindet sich n.W.d. Hrsg. in Privatbesitz. Die erste Seite des Manuskripts, also H2 OrphTod 1r , wurde in dem biografischen Katalog von Holger Hof abgebildet.19 Die Umschrift basiert auf einer Kopie. 18 [7.22] wird durch Andeutung »u eine..« (Nb 12, 11r , siehe S. 726) in den Entwurf eingewiesen und integriert. 19 Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 207.
Überlieferung und Chronologie
[9] H2 OrphTod [91 ] a,b a: 1r 1–31Ti , b: 2r 1–24Ti [92 ] a 1r 13, 23Bl
863
750, 751 750
H3 OrphTod [10] H3 OrphTod (DLA, Bestand Benn); zwei Blatt Manuskript (210 × 297 mm), recto beschrieben, Tinte, Bleistift. Titel »Orpheus’ Tod«, datiert 26. August 1946, signiert. [10] H3 OrphTod [101 ] a,b a: 1r 2–28Ti , b: 2r 2–29Ti [102 ] a,b a: 1r 14Bl , b: 2r 2, 4, 22Bl
752, 754 752, 754
TH1 OrphTod [11] TH1 OrphTod (DLA, Bestand Benn); zwei Blatt Typoskript (210 × 297 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte. Titel »Orpheus’ Tod.«, ts. datiert 26. August 1946, signiert. Mit Stempel von Benns Praxis. [11] TH1 OrphTod [111 ] a,b a: 1r 2–40Ms , b: 2r 1–15Ms [112 ] a,b a: 1r 9, 12, 24, 26, 29Ti , b: 2r 12, 16Ti [113 ] b 2r 17Bl
756, 760 756, 760 760
TdH1 OrphTod [12] TdH1 OrphTod (DLA, Bestand Benn); zwei Blatt Typoskript (210 × 297 mm), Durchschlag mit variierenden Korrekturen. Recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte. Titel »Orpheus’ Tod.«, ts. datiert 26. August 1946 (gestrichen). [12] TdH1 OrphTod [121 ] a,b a: 1r 1–40TdH , b: 2r 1–15TdH [122 ] a 1r 1, 11Ti
762, 763 762
TH2 OrphTod , TH3 Rosen [13] [14] Konvolut Statische Gedichte von September 1946, bestehend aus Ts und Durchschlägen. Benn hat diese Abschriften nicht selbst angefertigt, nur teilweise durchgesehen und korrigiert.20 TH2 OrphTod (DLA, Bestand Benn); zwei Blatt Typoskript (160 ×231 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine. Auf Abschrift von fremder Hand deuten vor allem bei TH2 OrphTod die für Benn ungewöhnliche ›ss‹ / ›ß‹-Schreibung 20 Vgl. auch die Einschätzung Steinhagens Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 77. Sigle: tV .
864
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
und die stillschweigende Korrektur zu »beschwichtigt« hin. Das Exemplar trägt einen Stempel von Ilse Benn. TH3 Rosen (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript (160 ×231 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine. Bei den Varianten Z. 9 »blättern die Rosen dahin.« und Z. 10 »Wahn von der Stunde Steigen« könnte es sich um von Benn nicht korrigierte Abschreibefehler von fremder Hand handeln. Das Exemplar trägt einen Stempel von Ilse Benn. [13] a,b [14]
TH2 OrphTod a: 1r 1–40Ms b: 2r 1–15Ms
764–765
TH3 Rosen 1r 1–13Ms
767
Nachträge im Inhaltsverzeichnis der Statischen Gedichte (1946) Zwei nachträgliche Einträge »Rosen« und »Orpheus’ Tod«21 am unteren Rand des maschinenschriftlichen Inhaltsverzeichnisses zum Statische Gedichte-Typoskriptkonvolut für den Plan des Henssel-Drucks vom Januar 1946 (DLA, Bestand Benn).22 Inhaltsverzeichnis o.D., nicht signiert. Die Texte selbst sind im Konvolut nicht enthalten. Es spricht einiges dafür, dass TH2 Orpheus’ Tod und TH3 Rosen an den bezeichneten Stellen eingefügt werden sollten.
Notizbuch 13 [15] Nb 13 (DLA, »Arbeitsheft 13«, Bestand Benn); Notizbuch mit Aufdruck »Mein Tagebuch« (104 × 184 mm, fadengeheftet). Aufdruck hs. ergänzt durch die Nummerierung »3«. 34 von 34 Blatt beschrieben, verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Bleistift, Buntstift, Tinte). Das Notizbuch wurde für literarische Entwürfe und Vorarbeiten verwendet. Durch verstreute Datierungen von Benns Hand und indirekte Datierung lässt sich der Nutzungszeitraum ungefähr auf Februar 1947 eingrenzen. Die hier wiedergegebenen Abschnitte zu Quartär – sind im Zeitraum vom 1. bis 12. (I.), 13. (II.) bzw. Mitte Oktober (III.) entstanden. Editorisch wiedergegeben wird der Abschnitt 1r bis 12r mit Entwürfen zu Quartär –.
21 »Rosen — (zwischen 27 u 28) // Orpheus Tod. — (zwischen 17 u 18)«. Tinte, nach dem 28. August 1946 / Anfang September. 22 Text des Inhaltsverzeichnisses vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 65, Sigle ebd. tIII .
Überlieferung und Chronologie
865
[15] Nb 13 [15.1] 1r 1–3Bl
768 99K [23] 19–22 Quartär
↓ [15.14] a,b Datiert 1. Oktober 1946.
[15.2] 1r 4–7Bl ↓ [15.4] [15.81 ]
768 99K [23] 8–9 Quartär
c,d
[15.3] 1v 1–2Bl
771 99K [23] 17 Quartär
↓ [15.13]
[15.4] 1v 3–6Bl ↓ [15.81 ]c [15.91–2 ]
771 99K [23] 6–9 Quartär
↑ [15.2]
[15.5] 1v 7–9Bl
771 99K [23] 26 Quartär
[15.6] 2r 1–4Bl
772
↓ [15.7]
[15.7] 2r 5–8Bl ↓ [15.81 ]
a–c
[15.91 ]
772 99K [23] 6–9, 41 Quartär
↑ [15.6]
[15.81 ] a–d | 23
775, 776, 779, 780
a: 2v 3–14Bl , b: 3r 1–19Bl , c: 3v 1–17Bl , d: 4r 1–4Bl ↓ [15.91 ] ↑ [15.2] [15.4] [15.7] [15.91 ] 4r 5–11Ti
99K [23] 8–9, 43–45 Quartär
780
↓ [15.92 ] [161 ] [171 ] ↑ [15.4] [15.7] [15.81 ] c [15.92 ] 4r 9, 5–11Bl ↓ [161 ] [171 ] ↑ [15.4] [15.91 ] [15.10] 4r 12–13Bl
99K [23] 2–9 Quartär
780 99K [23] 7, 2–9 Quartär
780 99K [23] 2 Quartär
[15.11] 4v 6–11Bl
783 99K [23] 11–14 Quartär
↓ [15.12] [15.14] b [15.12] 5r 5–7Bl ↓ [15.13] [15.14] a [15.13] 5v 1–4Bl
784 99K [23] 11, 15 Quartär
↑ [7.6] [15.11]
787
↓ [15.14] a [15.16] ↑ [2.8] [7.6] [15.12] [15.14] a,b a: 6r 1–15Ti b: 5v 5–10Ti ↓ [15.16] [18.11 ] ↑ [7.3] [15.1] [15.12] [15.13] [15.15] 6v 1–10Bl ↓ [18.11 ] [15.16] 7r 1–11Bl
99K [23] 15–18 Quartär
787, 788 99K [23] 10–26 Quartär
791
99K [23] Titel, 27, 31–34 Quartär
792
↓ [15.17] [15.191 ] [15.23] ↑ [7.6] [15.13] [15.14] 99K [23] 17–18, 36–39, 42–43 Quartär
23
Prosaentwurf, vgl. Begleitbrief zu TH1 Quartär, BOelze, II.1, S. 54–56 (12. Oktober 1946).
866
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[15.17] 7v 1–5Bl
795
↓ [15.191 ] ↑ [15.16] [15.18] 7v 8–10Bl
99K [23] 40–43 Quartär
795
↑ [15.81 ] a,b [15.191 ] 8r 1–9Ti
796
↓ [15.192 ] [18.21,2 ] ↑ [15.16] [15.17] [15.192 ] 8r 10–11Bl
99K [23] 36–43 Quartär
796
↓ [18.21 ] ↑ [15.191 ] [15.20] 8r 12–16Bl
796 99K [23] Titel, 46 Quartär
[15.21] 9r 1–7Bl
800
↓ [15.221 ] [15.221 ] 9r 8–11Ti
800
↓ [15.222 ] ↑ [15.21] [15.222 ] 9r 8rBu
800
↑ [15.221 ] [15.23] 9v 1–5
803
↓ [15.24] [18.21 ] ↑ [15.16] [15.24] 10r 5–7Ti
99K [23] 44–47 Quartär
↓ [18.21 ] ↑ [15.23] [15.82 ] a,c a: 2v 2rBu , c: 3v 13–15, Markierung, Anstreichungen [15.25] 10v 1–5Ti
99K [23] 43–47 Quartär
↓ [18.21 ]
804 17rBu
775, 779 807 99K [23] 48–53 Quartär
TH1 Quartär [16] TH1 Quartär (DLA, Bestand Oelze); ein Blatt Typoskript mit hs. Brief an Oelze vom 15. Oktober 1946, Transkriptionen einzelner Wörter von Oelzes Hand (145 × 181 mm), recto/verso beschrieben, Schreibmaschine, Tinte, Bleistift. Titel »Quartär.«, hs. datiert 12. Oktober 1946, signiert. Der hs. Brief an Oelze wird auf der Rückseite fortgesetzt, wird hier jedoch editorisch nicht berücksichtigt. [161 ] TH1 Quartär 1r 2–10Ms
814
Datiert 12. Oktober 1946. Mit Brief an Friedrich Wilhelm Oelze vom 15. Oktober.24
[162 ]
24
↓ [18.11 ] ↑ [15.91,2 ] TH1 Quartär 1r 11–12Ti
BOelze, II.1, S. 53–56 (15. Oktober 1946).
99K [23] 2–9 Quartär
814
Überlieferung und Chronologie
867
TH2 Quartär [17] TH2 Quartär (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript mit hs. Brief an Ilse Kaul (145 × 181 mm), recto/verso beschrieben, Schreibmaschine, Tinte, Bleistift. Titel »Quartär.«, hs. datiert 12. Oktober 1946, signiert. Auf der Rückseite »Fussnoten zu umstehendem Gedicht (hochgezüchteter Intellectualität)«. [17] TH2 Quartär [17.11 ] 1r 1–9Ms ↓ [18.11 ] ↑ [15.91,2 ] [17.12 ] 1r 10–12Ti
816 99K [23] 2–9 Quartär
816
Datiert 12. Oktober 1946. [17.2] 1v 1–20Ti
819
»Fussnoten zu umstehendem Gedicht (hochgezüchteter Intellectualität)«.
TH3 Quartär [18] TH3 Quartär (DLA, Bestand Benn); zwei Blatt Typoskript mit hs. Zusätzen und Korrekturen (210 × 298 mm; 145 × 180 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte. Titel »Quartär.« Blatt 1 mit Zwischentiteln »I« und »II« bzw. »Cyclen«, hs. datiert 13. Oktober 1946, signiert. Blatt 2 o.D., o.T. Die beiden Blätter des Arbeitsmanuskripts repräsentieren zwei Bearbeitungsstadien. Nachdem Benn am Vortag den ersten Teil des Quartär–Zyklus unter diesem Titel an Oelze und seine spätere Frau Ilse Kaul geschickt hatte, konzipiert er nun den zweiten Teil unter den vorläufigen Zwischentiteln »II«/»Cyclen« hinzu. Mit diesem zweiten Teil betrachtete Benn den Zyklus zumindest vorläufig als abgeschlossen: Der Teilentwurf auf 1r ist datiert, signiert und mit dem charakteristischen Kreuz versehen. Erst später setzt Benn den dritten Teil auf 2r hinzu, ebenfalls zum vorläufigen Abschluss mit einem Kreuz markiert. [18] TH3 Quartär [18.11 ] 1r 1–34Ms ↓ [18.12,3 ] [19] ↑ [2.5] [15.14] [15.15] [16] [17] [18.12 ] 1r 7, 9, 11, 13, 15, 19, 21, 27–30Ti/breit ↓ [18.13 ] [19] ↑ [18.11 ] [18.13 ] 1r 35–38Ti/dünn
820 99K [23] 1–34 Quartär
820
99K [23] 6, 8, 10, 12, 14, 18, 20, 26–29 Quartär
820
Datiert 13. Oktober 1946. ↓ [19] ↑ [18.11,2 ] [18.21 ] 2r 1–8, 10–18Ms ↓ [18.22 ] [19]
99K [23] 34 Quartär
824
↑ [15.191,2 ] [15.23] [15.24] [15.25] 99K [23] 36–53 Quartär
868
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
[18.22 ] 2r 3–4, 6, 9–11, 13, 15–17, 19–20Ti ↓ [19]
↑ [18.21 ]
824
99K [23] 38–39, 41, 44–45, 47, 49–52 Quartär
TH4 Quartär [19] TH4 Quartär (DLA, Bestand Oelze); ein Blatt Typoskript mit hs. Korrekturen von Benns und Oelzes Hand (210 × 298 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte. Titel ts. »Quartär.«, alternativ hs. Titel von Oelzes Hand »Quartär«. Datiert Oktober 1946, signiert. Mit Stempel des Oelze-Archivs. Am 4. November 1946 an Oelze übersandt (BOelze, II.1, S. 57). [19] TH4 Quartär [191 ] 1r 2–55Ms [192 ] 1r 7, 53, 56–57Ti
826 826
Datiert Oktober 1946.
[193 ] 1r 58Bl [194 ] 1r 1Bl
826 826
Friedrich Wilhelm Oelzes Hand.
TH4 Rosen, TH3 OrphTod, TH5 Quartär [20] [21] [22] Drei Manuskripte Oktober 1946 (»X/46«), am oberen Rand gelocht. TH4 Rosen (DLA); ein Blatt Typoskript auf zugeschnittenem Karton (160 × 231 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine. Titel »Rosen.«, hs. datiert »V/46«, signiert. Die hs. Datierung bezieht sich auf den Entstehungszeitraum des Gedichts. Das Typoskript wurde vmtl. erst im Oktober 1946 angefertigt, zusammen mit dem auf derselben Kartonsorte getippten, auf »X 46« datierten TH2 OrphTod (vgl. S. 832–839). TH3 OrphTod (DLA, Bestand Benn); vier Blatt Manuskript (1, 2, 3: 160 × 231 mm; 2a: 160 × 102 mm) auf dünnem, glattem und zugeschnittenem Karton, recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte, Bleistift. 2a ist auf 2 aufgeklebt. Blätter 1, 2, 3 am oberen Rand gelocht. Titel »Orpheus’ Tod«, datiert Oktober 1946, signiert. TH5 Quartär (DLA, Bestand Benn); zwei Blatt Typoskript mit hs. Korrekturen (149 × 209 mm), am oberen Rand gelocht, recto beschrieben, Schreibmaschine, Tinte, Bleistift. Titel ts. »Quartär-«. Datiert Oktober 1946, signiert. [20] TH4 Rosen [201 ] [202 ] 1r 15Ti [203 ] 1r 16Bl
1r 1–14Ms
[21] TH3 OrphTod [21.11 ] a–c a: 1r 1–27Ms , b: 2r 1–22Ms , c: 3r 1–7Ms
830 830 830 832, 834, 838
Überlieferung und Chronologie
[21.12 ] a–c
869
832, 834, 838
a: 1r 1, 2, 9, 13, 15, 27Ti b: 2r 22Ti , c: 3r 8Ti [21.13 ] b,c b: 2r 3, 15–16, 19, 21Bl , c: 3r 9Bl
834, 838
Datiert Oktober 1946. 2ar 1–7Ms
[21.2]
836 99K [24] 41–47 OrphTod
[22] TH5 Quartär [221 ] a,b a: 1r 1–35Ms b: 2r 1–19Ms [222 ] b 2r 20–21Ti
840, 841 841
D1 Quartär, OrphTod [23] [24] D1 Quartär In: Statische Gedichte. Zürich: Arche 1948, S. 9–11. D1 OrphTod In: Statische Gedichte. Zürich: Arche 1948, S. 15–17. [23] D1 Quartär [24] D1 OrphTod
842–843 844–845
DrF1 OrphTod (DLA); Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Die angedruckten Gedichte Orpheus’ Tod und Quartär – sind textidentisch mit D1 OrphTod und D1 Quartär –. Am gesetzten Text von Quartär – hat Benn hs. zwei Satzfehler-Korrekturen angebracht: »doch keine macht die bewußt« zu »dir«, »oder beides ein Regenbogen« zu »ein Regenbogen,«. Die Druckfahne ist hs. von Benn auf 15.5.1948 datiert. DrF2 OrphTod (DLA); Druckfahne der Statischen Gedichte für den Arche-Verlag mit einigen hs. Korrekturen. Der Text der Gedichte Orpheus’ Tod und Quartär – wurde nicht hs. geändert und ist textidentisch mit D1 OrphTod und D1 Quartär –. Nicht signiert, o.D.
TH5 Rosen [25] TH5 Rosen (DLA, Bestand Oelze); ein Blatt Typoskript (145 × 180 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine. Mit Stempel des Oelze-Archivs, von unbekannter Hand nummeriert: »6« Titel »Rosen.«, o.D. [25] TH1 Rosen 1r 1–13Ms
846
870
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
TH6 Rosen [26] TH6 Rosen (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript (160 ×231 mm), gefalzt und als halbierte Seite recto beschrieben, Schreibmaschine. O.D., nicht signiert, aber mit dem charakteristischen Kreuz Benns versehen, das auf geplante weitere Bearbeitung hindeutet. [26] TH6 Rosen [261 ] 1r 1–13Ms [262 ] 1r 9, 14bKu
848 848
TH7 Rosen [27] TH7 Rosen (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript mit hs. Zusatz (148 × 210 mm), recto beschrieben, Schreibmaschine und Tinte. Titel »Rosen«, zus. hs. Titel: »Privatgedichte III«, o.D. Wie der zusätzliche Titel anzeigt, hat Benn offenbar kurzfristig erwogen, Rosen an dritter Stelle in den Zyklus Vier Privatgedichte aufzunehmen (17. Februar 1949 an Oelze gesandt). Der Zyklus erschien später unter dem Titel Epilog 1949 in der Sammlung Trunkene Flut.25 Rosen wurde bereits im Exemplar der Vier Privatgedichte für Oelze ersetzt durch den späteren dritten Teil von Epilog 1949, hier u.d.T. Die Himmel wechseln die Sterne –.26 Der Zyklus Epilog 1949 und das Gedicht Rosen erschienen in Trunkene Flut als separate Texte. [27] TH7 Rosen [271 ] 1r 2–14Ms [272 ] 1r 1, 8Ku
850 850
TH8 Rosen [28] TH8 Rosen (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript (160 ×231 mm), gefalzt und als halbierte Seite recto beschrieben, Schreibmaschine. hs. datiert »(1946)«, signiert. [28] TH8 Rosen [281 ] 1r 1–13Ms [282 ] 1r 14–15Ku
852 852
Datiert auf »1946«.
25 Gottfried Benn: Trunkene Flut. Ausgewählte Gedichte (bis 1935, mit Epilog 1949). Wiesbaden: Limes 1949, S. 107–111. 26 Vgl. SW, I, S. 574.
Überlieferung und Chronologie
871
D2 Quartär, OrphTod [29] [30] D2 Quartär In: Statische Gedichte. Ein Buch der Arche im Limes Verlag. Wiesbaden: Limes März 1949, S. 7–9. D2 OrphTod In: Statische Gedichte. Ein Buch der Arche im Limes Verlag. Wiesbaden: Limes März 1949, S. 13–15. [29] [30]
D2 Quartär D2 OrphTod
856 856
D1 Rosen [31] D1 Rosen In: Trunkene Flut. Ausgewählte Gedichte (bis 1935, mit Epilog 1949). Wiesbaden: Limes 1949, S. 99. [31]
D1 Rosen
855
D2 Rosen [32] D2 Rosen. In: Trunkene Flut. Ausgewählte Gedichte. 2. erweiterte Auflage. Wiesbaden: Limes 1952, S. 109. Eine weitere Auflage 1956. [32]
D2 Rosen
856
D3 Rosen, Quartär, OrphTod [33] [34] [35] D3 Rosen In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956, S. 253. D3 Quartär In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956, S. 199–201. D3 OrphTod In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956, S. 205–207. [33] [34] [35]
D3 Rosen D3 Quartär D3 OrphTod
856 856 856
Weitere Drucke OrphTod, Quartär In: Statische Gedichte. 4. Aufl. Wiesbaden, Zürich: Limes 1954, S. 8–10, 13–15. (Die 4. Aufl. wurde neu gesetzt und enthielt 72 statt 80 S.) OrphTod In: Neue Zürcher Zeitung. Literatur und Kunst. Sonntagsausgabe. Nr. 1230 (23), 29.4.1956, Blatt 4. (Titel: »Orpheus’ Tod«)
872
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Quartär In: Jahrhundertmitte. Deutsche Gedichte der Gegenwart. Insel: Wiesbaden 1955, S. 16–17. Quartär In: Flügel der Zeit. Deutsche Gedichte 1900–1950. Hrsg. v. Curt Hohoff. Frankfurt: Fischer 1956, S. 55–57.
Entstehung und Druckgeschichte
873
Entstehung und Druckgeschichte Die Gedichte Orpheus’ Tod, Quartär – und Rosen entstehen von September 1945 bis November 1946 in Berlin.27 Orpheus’ Tod und Quartär – wurden 1948/49 in Statische Gedichte gedruckt und später in die Gesammelten Gedichte aufgenommen. Das Gedicht Rosen wurde erstmals 1949 in der Sammlung Trunkene Flut und gleichfalls erneut in den Gesammelten Gedichten veröffentlicht. Die Entstehung der drei Gedichte verläuft in mehreren Arbeitsphasen, die Vorarbeiten und Entwürfe in den vier überlieferten Notizbüchern 11b, 11, 12, 13 und die jeweils folgenden Ausarbeitungen auf Einzelblatt-Textträgern lassen sich wie folgt skizzieren. Unter Benns laufenden Notizen von September bis Dezember 1945 in Notizbuch 11b finden sich erste Vorarbeiten, die er später in den Entwürfen zu Orpheus’ Tod in den Notizbüchern 11 und 12 wieder aufgreifen wird. Von Anfang Februar bis Anfang Juni 1946 arbeitet er in Notizbuch 11 weiter an Teilentwürfen zum Orpheus-Gedicht, hält erste stichwortartige Konzepte zu Quartär – fest und komponiert in wenigen Notizbuch-Entwürfen das Gedicht Rosen. Zu den Gedichten Orpheus’ Tod und Quartär – entstehen in dieser VorarbeitenPhase vorwiegend fragmentartige Notizen und Teilentwürfe, darunter auch die beiden Stichwort-Entwürfe in Nb 11, die bereits den späteren Titel des OrpheusGedichts nennen: »Orpheus Tod«.28 Das Gedicht Rosen schickt Benn am 1. Juni, »Frau Charlotte Stephanie Oelze« gewidmet, nach Oberneuland.29 Ab etwa 19. Juli setzt Benn die Arbeiten an Orpheus’ Tod in Notizbuch 12 fort, dazwischen weitere Vorarbeiten zu Quartär –.30 Die in den Notizbüchern 11b und 11 konzipierten Textteile montiert der Dichter mit Zitat-Ausschnitten aus dem »Orpheus und Eurydike«-Kapitel der Metamorphosen Ovids31 zu in diesem 27 Zur Text- und Druckgeschichte vgl. auch: Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Anm. 218. S. 47–87, 107–124, 175–203, sowie SW, I, S. 432–438, 439–449. 28 »Orpheus Tod« Nb 11 20r , »Oph Tod« Nb 11 28r , siehe S. 664, 676. 29 H1 Rosen, siehe S. 678. 30 Datierung vgl. Briefentwurf in Nb 12 1r –2r , siehe S. 686–690, und BOelze, II.1, S. 38f. 31 Ovid: Ovids Verwandlungen. Hrsg. und aus dem Lateinischen übers. v. Johann Heinrich Voß. Leipzig: Reclam 1875. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 120ff, Friedrich Wilhelm Wodtke: Die Antike im Werk Gottfried Benns. Wiesbaden: Limes 1963, S. 80f. In Benns Exemplar der Voß-Übersetzung (DLA) finden sich im »Orpheus und Eurydice«-Kapitel folgende Anstreichungen und Marginalien: S. 163, Z. 104 ».«, Z. 108: »1«, Z. 118: »2«, S. 164, Unterstreichungen: Z. 131 »Stäbe«, Z. 132 »Schollen« »Baumast«, Z. 132 »Gestein«, Z. 139 »Lastende Haun, Jäthacken, und langgeklauete Karste.«, Z. 154-56 seitlich angestrichen. In Benns Bibliothek erhalten ist ebenfalls Eckart Peterich: Kleine Mythologie. Die Götter und Helden der Griechen. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Societäts-Verlag 1938. Es ist nicht eindeutig nachzuweisen, dass Benn das OrpheusKapitel (ebd., S. 128ff) in diesem Zusammenhang verwendet hat. Die eigenhändige Zitat-Notiz aus Heinrich Manns Die Göttinnen [. . .] bzw. aus seiner eigenen Heinrich-Mann-Rede auf dem Schmutztitel beweist immerhin, dass sich das Exemplar seit den Arbeiten am Roman des Phänotyp in
874
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Stadium noch ungeordneten, aber bereits weit gehend kompletten Passagen des Gedichts Orpheus’ Tod.32 Diese Textstücke werden am 26. August zu H1 Orpheus’ Tod zusammengesetzt. Es folgen weitere Ausarbeitungsstufen in Manu- und Typoskriptform.33 Nach einer etwa einmonatigen Unterbrechung der Arbeiten beginnt Benn mit konzentrierten Entwurfarbeiten zu Quartär – in Notizbuch 13. Im Vergleich zur Montage von Orpheus’ Tod geht er bei der Komposition des Quartär-Zyklus systematisch und planvoll vor: er entwirft die Zyklusteile sukzessive in separaten Notizbuch-Abschnitten und arbeitet danach in Reinschriftform aus. Vom 1. bis zum 12. Oktober arbeitet Benn an Quartär – I.34 Den ersten Teil des Zyklus tippt Benn als zunächst abgeschlossenes Gedicht unter dem Titel »Quartär.« mit der Maschine und schickt am 12. Oktober je ein Exemplar an Oelze und Ilse Kaul.35 Bereits am 13. Oktober erweitert er das Gedicht zu einem zweiteiligen Zyklus und schreibt Quartär – I und II in TH3 Quartär – 1r ins Reine. Für den zweiten Teil36 greift der Dichter an mehreren Stellen auf seine Notizen und Vorentwürfe aus den Notizbüchern 11 und 12 zurück. Der zweite Teil des Zyklus ist im Typoskript TH3 Quartär – 1r zunächst mit der Zyklus-Nummerierung »II.« überschrieben, die bei der hs. Überarbeitung durch die Überschrift »Cyclen« ersetzt wird. Die neue Überschrift, das typische Kreuz und die datierte Unterschrift am unteren Seitenende zeigen an, dass Benn die beiden zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Zyklusteile zumindest vorläufig als separate Gedichte Quartär und Cyclen für abgeschlossen hielt. Wenig später allerdings erweitert Benn den Zyklus wiederum mit einem zweiten Blatt (TH3 Quartär – 2r ) um den dritten Teil, welchen er zuvor in Notizbuch 13 entworfen hatte.37 Am 4. November schließlich sendet Benn »das komplettierte ›Quartär‹«-Manuskript an Oelze.38 Dieser hat auf TH4 Quartär – die Schreibweise des Titels korrigiert und auf Benns briefliche Anweisung vom 21. November das Wort »Geschichte« unterstrichen.39 In den Notizbüchern 11b, 11, 12 und 13 verarbeitet Benn zahlreiche literarische Quellen in Form punktueller intertextueller Bezüge, Exzerpte oder bibliografischer und Lektürenotizen. Die für den Entstehungsprozess bedeuBenns Besitz befand: »›Die Mänade taumelt, die Nymphe lacht und ein Widerschein ihres ewigen Prangerns fällt auf die vergängliche Hand.‹ H.M. / G.«, unveröffentlicht. Vgl. auch SW, IV, S. 399, 780, III, S. 305. 32 Nb 12 8r bis 11v , siehe S. 714–729. 33 H1, H3 und TH1 OrphTod sind von Benn auf den 26. August 1946 datiert, siehe S. 749, 754, 760. 34 Nb 13 1r –4r , siehe S. 768–780. 35 TH1 und TH2 Quartär, siehe S. 814, 816. 36 Nb 13 4v –6v , siehe S. 783–791. 37 Notizbuch 13 7r –10v , siehe S. 792–807. 38 TH4 Quartär –, siehe S. 826, vgl. auch BOelze, II.1, S. 57. 39 Ebd., II.1, S. 60.
Entstehung und Druckgeschichte
875
tendste Quelle ist sicherlich Johann Heinrich Voß’ Übersetzung von Ovids Metamorphosen. Die von Benn aus dem Orpheus-Kapitel entnommenen Textteile bilden ab den Montage-Vorbereitungen in Nb 12 das Strukturgerüst von Orpheus’ Tod.40 In den edierten Notizbuch-Abschnitten werden folgende weitere Autoren und Werke direkt oder indirekt zitiert bzw. erwähnt. Nb 11b: Lajos Zilahy41 — Nb 11: Theodor Däubler, Goethe,42 Liam O’Flaherty,43 Jean Paul44 — Nb 12: Jean Anouilh,45 Jane Clairmont,46 T.S. Elliot,47 Homer,48 Jean Lenoir,49 Ovid,50 Dorothy L. Sayers (ebd. Th. L. Beddoes u.a.),51 Marco Polo,52 Daniele 40 Bis auf »Atalanta« repräsentieren die im Gedicht genannten Figuren Kapitelüberschriften der Metamorphosen: »[. . .] du sollst nicht übergehn in Jole, Dryope, Prokne, die Züge nicht vermischen mit Atalanta«, D1 OrphTod 35–38, S. 845–845. Die »Atalanten« werden im Roman des Phänotyp im Kontext »summarischen Überblicken[s], Überblättern[s]« zitiert: »[. . .] So erheben sich die Welten. Andromeden, Atalanten, [. . .]«, SW, IV, S. 405f. Zur von Benn durchgeblätterten Bildband-Quelle des Phänotyp vgl. Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 196. 41 Nb 11b 10r 1–4, siehe S. 602; Erwähnung und bibl. Angabe. Vgl. Lajos Zilahy: Etwas treibt im Wasser. (Ungar. Valamit visz a víz). Übers. v. Käthe Gaspar. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1937; ders.: Zwei Gefangene. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1940. 42 Nb 11 8r , siehe S. 618; die »Nordlicht«-Zeile verweist mglw. auf die in Benns Privatbibliothek (DLA Marbach) erhaltene Gedichtsammlung Theodor Däublers: Theodor Däubler: Die Treppe zum Nordlicht. Leipzig: Insel 1920. Die erste Zeile zitiert außerdem In tausend Formen magst du dich verstecken [. . .], Goethe: Sämtliche Werke, Frankfurter Ausgabe. 1987–2013, III.1, S. 101. 43 Nb 11 19v , siehe S. 663; Erwähnung und Romanpersonal. Vgl. Liam O’Flaherty: Die dunkle Seele. Aus dem Englischen übers. v. Richard von Gossmann. Berlin: Th. Knaur Nachf. 1928. 44 Nb 11 28r , siehe S. 676; Erwähnung. Wiederholte Erkundigung nach Übersendung eines Bandes von J.P. Vgl. BOelze, II.1, S. 39, 41, 45, 50, 66. 45 Nb 12 5v , siehe S. 705; Erwähnung, Notiz Theaterbesuch. Vgl. ebd., II.1, S. 43. 46 Nb 12 3v 1–5, siehe S. 697. Erwähnung und Zitat. Quelle der dt. Übersetzung nicht ermittelt. Brief Jane ›Claire‹ Clairmont an Byron: »Do what you will, or go where you will, refuse to see me and behave unkindly, I shall never forget you. I shall ever remember the gentleness of your manners and the wild originality of your countenance.«, Lord Byron: The Works of Lord Byron. A New, Revised and Enlarged Edition, with Illustrations. Hrsg. v. Rowland E. Prothero. Bd. Letters and Journals Vol. III. London, New York: John Murray, Charles Scribner’s sons 1899, S. 436. 47 Nb 12 4r , siehe S. 698; Erwähnung. 48 Nb 13 1r 1–3, siehe S. 768. Stichwort und Zitat. Homer: Homers Odyssee. Hrsg. v. Abraham Voß. Aus dem Griechischen übers. v. Johann Heinrich Voß. Leipzig: Müller 1843, S. 173. Vgl. Wodtke: Die Antike im Werk Gottfried Benns. 1963, S. 80f. 49 Jean Lenoir: Parlez-moi d’amour. Schlager. 1930. 50 Ovid: Ovids Verwandlungen. 1875. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969. 51 Nb 12 3v , 4r , siehe S. 697, 698; Erwähnung, Zitat, notierte Schriftstellernamen: Thomas Lovell Beddoes, John Donne, John Webster, Samuel Johnson, Lewis Carrol, Drayton, Arden von Feversham. Von Benn notiert aus Sayers: Lord Peters abenteuerliche Hochzeitsfahrt. 1938, S. 287, vgl. weiter 33, 53, 65, 166, 185, 268. Benn kopiert Zitat und Schriftstellernamen von den Kapitelanfängen. Zitat nach Sayers, Original Th. L. Beddoes: The Second Brother, 2. Akt, 1. Szene. 52 Die von Benn verwendete Quelle der Notizen über den »Arbor Secco« und den »Vogel Rock« (Nb 12 12r 1–8, siehe S. 722) ist nicht eindeutig zu identifizieren. In Marco Polo’s Reiseberichten ist von beiden wiederholt die Rede. Er war es, der »den Vogel Rock nach Madagascar versetzte«. Vgl. Privatsitzung am 13. April [1860]. In: Schriften der Physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg 1 (1861), S. 13–20, hier S. 16, Marco Polo: Das Buch von den Wundern der Welt. Zürich: Manesse 2008, Kap. 36.
876
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Varé (ebd. Keats, Shelley),53 Ernst Ziel54 — Nb 13: Goethe,55 Heinrich v. Kleist,56 Dimitri Mereschkowski.57 Die Vorarbeiten und Entwürfe in den Notizbüchern 11b, 11, 12 und 13 sind durchmischt mit parallel entstandenen Tages- und Lektürenotizen, Briefkonzepten und Entwürfen zu anderen Prosa- und Gedichttexten. Zwischen den Vorarbeiten und Entwürfen zu Rosen, Orpheus’ Tod und Quartär – finden sich weitere Gedichtentwürfe wie »In welche Formen wirst Du mich [. . .]«,58 »Wenn die Materie [. . .]«59 und ein Entwurf zu einem Widmungsgedicht für Rudolf Kurtz zu den Statischen Gedichten.60 Zumindest »Wenn die Materie [. . .]« ist als frühe Vorarbeit zu Quartär – zu lesen.61 In den Notizbüchern 11 und 13 finden sich zwischen den Gedichtentwürfen Vorarbeiten zu Der Ptolemäer, die teils motivische Übereinstimmungen mit den Entwürfen zum Orpheus-Gedicht aufweisen.62 Daneben ist ein ganzes Feld von bibliografisch nicht eindeutig bestimmbaren Referenzen zu berücksichtigen. Bei den Arbeiten an Quartär – in Notizbuch 13 greift Benn auf Denklinien und literarische Motive zurück, die er bereits 1943/44 in den Aufsätzen Pessimismus, Physik 1943, Bezugssysteme und Zyklen entwickelt hatte.63 Wesentliche Bilder und Kerngedanken zum »Quartär« entwickeln sich allerdings schon weitaus früher, wie der Oelze-Brief vom 13. August 1939 zeigt.64 Im Hintergrund einiger Bilder und Motive in Quartär – 53 Nb 12 12v –14r , siehe S. 733–738. Div. Exzerpte. Vgl. Daniele Varé: Der lachende Diplomat. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1938, S. 30–31, 46, 127, 133, 152, 192. 54 Nb 12 12v 1–3, siehe S. 733. Zitat. Benns Quelle nicht ermittelt, Erstdruck der Verse Ernst Ziel: O, bleib’ ein Kind! In: Die Gartenlaube 24.28 (1876), S. 475. 55 Nb 13, 10v , siehe S. 807; Erwähnung. 56 Nb 13 4v 1–3, siehe S. 783. Zitat. Vgl. Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. In: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Roland Reuß u. a. Bd. 2. Frankfurt a. M., Basel: Stroemfeld 2007, S. 19. 57 Nb 13 8r 14, 16, siehe S. 796. Zitat. Dimitri Mereschkowski: Napoleon, sein Leben, Napoleon der Mensch. Berlin: Grethlein & Co 1928, S. 210. 58 Nb 11 8r , siehe S. 618. 59 Nb 11 12r , siehe S. 634. 60 Nb 11 10r , siehe S. 626. Benn schreibt das Gedicht in Rudolf Kurtz’ (1884–1960) Exemplar der Statischen Gedichte (Arche, 1948) ins Reine. Hof datiert die Widmung anhand eines Tagebucheintrags auf den 20. Oktober 1948 (Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 56). Kurtz hatte 1912 die Morgue rezensiert. Vgl. auch Heinz Sigurd Brieler: In alter Zeitgenossenschaftlichkeit 1912–1956. Gottfried Benns Widmungen an Rudolf Kurtz. Warmbronn: Keicher 2011. 61 Ries: Notizbuchexperimente. 2007, S. 221–225, vgl. auch ders.: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. 2010. 62 Nb 11 15r , Nb 12 3r , 3v , 4v , 6r , 6v , 7v , Nb 13 2v ; vgl. SW, V, S. 285–287. Vgl. auch Parallelstelle zum »schwelgerische[n] Bronceton« des Himmels, »Broncehimmeln« aus den Orpheus’ Tod-Vorarbeiten in Der Ptolemäer: »ptolemäische Erde und langsam drehende Himmel, Ruhe und Farbe der Bronce unter lautlosem Blau«, ebd., V, S. 54. 63 Ebd., IV, S. 305–309, 327–331, 364. 64 »Offenbar ist es im Abgleiten, in einer Umwandlung, vielleicht im Verwinden. / Die Fuge des Quartär! Bewusstsein!«, »verwehend. Niedersinkend«, »einsamen, späten Traum«, BOelze, II.1, S. 217. Vgl. auch Christian Schärf: Die Fuge des Quartär. Essay und Finallage in Gottfried Benns
Entstehung und Druckgeschichte
877
III, insbesondere dem des »Spinnenmann[s]«, steht wahrscheinlich eine durch Schopenhauer vermittelte Rezeption indischer Mythologie bzw. des Buddhismus,65 möglicherweise auch Nietzsches.66 In einzelnen Fällen sind auch Bezüge zu Bildwerken oder Museumsbesuchen nachweisbar.67 Das Gedicht Rosen ist Charlotte Oelze gewidmet, es ging jedoch kein Besuch in Oberneuland als Schreibanlass voran. Benn befand sich in Berlin und reiste in dieser Zeit nicht. Das Gedicht scheint auf die Antwort Oelzes auf die vorangegangene Frage zu replizieren: »Was blüht jetzt in Ihrem Garten? Jetzt ist eine Pause, nicht? Bis die Rosen kommen.«68 Benn sendet das Gedicht mit den folgenden Worten:69 Lieber Herr Oelze, ich denke öfter an Ihren Garten, in den Sie von den zwei Terrassenstufen aus steigen. Da ich ihn nicht malen kann u keine Phantasie besitze, trachte ich ihn in einem kleinen Vers zu erfassen, den ich Ihrer Gattin, die ja auch schon soviele Jahre lang unbekannterweise mein Leben aus der Ferne begleitet, in ihre – wahrscheinlich wildlederbehandschuhten – Hände lege. Ein Dank Prosa nach 1935. In: Friederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007, S. 191–204. 65 Benn gibt in Pessimismus die Vermittlung durch Schopenhauer als Quelle an, vgl. SW, IV, S. 328. Möglich wäre zudem eine sekundäre Vermittlung durch den Indologen Heinrich Zimmer bzw. dessen Schriften. Friedrich Wilhelm: Gottfried Benns Briefe an den Indologen Heinrich Zimmer. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 15–34. In Benns Bibliothek sind ein Buch, ein Sonderdruck und ein Typoskript Zimmers erhalten, teils mit persönlicher Widmung für Benn. Theo Meyer verweist an anderer Stelle darauf, dass die Spinne in verschiedenen Kulturkreisen die Rolle eines Demiurgen einnimmt. Meyer: Kunstproblematik und Wortkombinatorik bei Gottfried Benn. 1971, S. 302–309. Koch weist zu Recht Wellershoffs Vermutung eines direkten Spengler-Einflusses zurück, ebd., S. 308. 66 Meyer verweist bereits auf mögliche Referenzstellen in Menschliches, Allzumenschliches und Also sprach Zarathustra, wo von der »ewige[n] Vernunft-Spinne« und dem »Ausspinnen des ganzen Weltennentzes« durch die große »Welten-Spinne« die Rede ist. Vgl. ebd., S. 302–309. Möglicherweise ebenso relevant ist eine Passage aus Der Antichrist: »Selbst die Blassesten der Blassen wurden noch über ihn [den christlichen Gott, d. Verf.] Herr, die Herrn Metaphysiker, die Begriffs-Albinos. Diese spannen so lange um ihn herum, bis er, hypnotisirt durch ihre Bewegungen, selbst Spinne, selbst Metaphysicus wurde. Nunmehr spann er wieder die Welt aus sich heraus – sub specie Spinozae –, [. . .] Der christliche Gottesbegriff – Gott als Krankengott, Gott als Spinne, Gott als Geist – [. . .]«, Friedrich Nietzsche: Kritische Gesamtausgabe Werke. Hrsg. v. Giorgio Colli u. a. Berlin et al.: de Gruyter 1967ff, VI3 , S. 182f. 67 Winfried Asendorpf hat in seiner Studie zum Zitat von Bildwerken in Benns Werk unter anderem zeigen können, daß sich die Zeile »und von Babylon ein Tor« mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die im Berliner Vorderasiatischen Museum ausgestellte Rekonstruktion des Ischtartors an der Fassade des Stadtschlosses von Babylon bezieht. Vgl. Winfried Asendorpf: »Überhaupt Bilder haben manchmal große Macht über mich.« Kunst und Künstler im Werk Benns. In: Wolfgang Peitz (Hrsg.): Denken in Widersprüchen. Korrelarien zur Gottfried Benn-Forschung. Freiburg i.B.: Becksmann 1972, S. 225–281, hier S. 267. 68 22. Mai 1946 an Oelze, BOelze, II.1, S. 32. In demselben Brief übersandte Benn »die kleine Laune über St. Petersburg«, die erste vollständige Fassung von St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts, an Oelze. 69 H1 Rosen, S. 678.
878
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen wäre zuviel Belastung für diese kleine Melodie, – geschrieben auf den letzten Bogen des diesbezüglichen Papiers, das mich soviele Jahre begleitet hat. Hoffentlich haben Sie mir meinen extravaganten Alcoholbrief von kürzlich nicht verdacht. Tausend Grüsse. Ihr Benn.70
Im Folgebrief stellt Benn noch einmal den Wortlaut des Gedichts auf H1 Rosen klar, den Oelze dann entsprechend interlinear auf dem Textträger festhält. 6) Im Rosensong, bitte beachten: in der 1. Reihe Vers 2 u 3 von (n wie Nebukadnezar); in der 3. Reihe: vor (r wie Romeo). Bei meiner Schrift ist alles möglich.)71
Wenig später, Mitte Juli 1946, distanziert sich Benn auf den ersten Seiten des Notizbuchs 12 in auffallend dezidierter, selbstkritischer Form von seinen »Rosenverse[n]«: Ein weiter Weg vom frühen GB, wüster Encephalitiker (Vermessungsdirigent) bis zum Verfasser der Rosenverse, die von Gustav Falke sein könnten u von Phili Eulenburg komponiert – zum Speien alles: das Stillestehn u das weiter müssen, der Stumpfsinn u die Produktion – [. . .]72
Während der Arbeiten an Orpheus’ Tod und Quartär – experimentiert Benn häufig in seinen Briefen an Oelze mit fragmentartigen Formulierungen aus den Vorarbeiten. Besagter »Alcoholbrief« vom 27. Mai etwa, für den sich Benn am 1. Juni entschuldigt, enthält eine ganze Reihe von Motiven und Formulierungen aus Nb 11, welche generell den Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod und Quartär – zugerechnet werden: Selbst wenn das zutrifft, was Sie schrieben, dass ich noch einmal in meinem Schädel sammelte, was verloren in den Jahrtausenden u. Zonen73 vor sich ging, wie fruchtlos ist das Alles! [. . .] Was lebt, muss durchschnittlich sein, sonst wächst es ins Astrale u dort ist es kalt u. aufgelöst u. atemlos! Selbst geistige Produktion ist menschlich-rückblicklich u. fast plump u familiär,74 es ist immer noch Glauben, aber echt ist nur, wer völlig sich versagt u. schweigt, [. . .] 70 An Oelze am 1. Juni 1946, BOelze, II.1, S. 34f. 71 An Oelze am 9. Juni 1946, ebd., II.1, S. 37. Vgl. H1 Rosen, siehe S. 678, Z. 6, 8, 10, 12. 72 Nb 12 2r , siehe S. 690. Der Prosaentwurf wird im Brief an Oelze vom 19. Juli verwendet. Dort erscheint das Urteil noch verstärkt: »Verfasser der harmlosen Rosenverse«, ebd., II.1, S. 39. 73 Vgl. Nb 11, 14r , siehe S. 642. 74 Vgl. die beiden Notizen Nb 11, 20r , siehe S. 664: »Orpheus Tod : / u eine grosse Gefleckte, bunt/ häutig ›gelber Mohn‹ – / / der Geist hat immer Tote im / Gefolge, der Geist muss kalt / sein, sonst
Entstehung und Druckgeschichte
879
Ich erhielt heute eine Alcoholzuteilung zu medizinischen Zwecken u. Zielen, natürlich verleibe ich ihn mir privat ein u. koche über. Ich werde mich dessen morgen sehr schämen. Aber: »blickst Du auch weit auf die Scene, so wird Dir doch nicht bewusst: ist nun das Letzte die Träne oder ist das Letzte die Lust?«75 Seien Sie nicht böse.76
Fünf Tage nach Fertigstellung des Orpheus-Gedichts, am 31. August, schickt Benn das Manuskript an Oelze. In seinem Begleitbrief legt er bereits eine Verbindung zwischen seiner »Studie« zu Orpheus und Eurydike und seinem Bericht von der Reise zum Grab seiner Frau, einer »wahrhafte[n] Fahrt über den Styx« nahe: Haben Sie Ovids ›Verwandlungen‹ zur Hand? Von ›Orpheus und Eurydike‹ fand ich immer den 2. Teil auffallender als den bekannten 1. Anbei eine Studie dazu – für das Archiv! [. . .] Ich war in dieser Woche 2 Tage in Neuhaus a. E., um nach dem Grab meiner Frau zu sehn. Eine wahrhafte Fahrt über den Styx! Ein Unternehmen auf Leben und Tod. Verhungern, verschleppt werden, im überfüllten Coupée niedergeschlagen werden – alles da. Mit grossem Glück entging ich einer Verhaftung u. Unschädlichmachung durch eine r. . . Feldpolizei, – vielleicht war es auch nur eine private Räuberbande. Neuhaus liegt 12 km. von der Bahn u. in der Nacht kommt man von der Reise horrend, was die Zukunft des Einzelnen von und wie der gesamten Ostgegend betrifft. [. . .]77
Benn war am 27. August 1946 zum zweiten Mal nach Neuhaus gefahren, um einen Stein für das Grab seiner Frau Herta zu bestellen und die Obliegenheiten zu regeln.78 Die Fahrt plante Benn auf den weit hinten gelegenen Seiten von Notizbuch 12, die Bankverbindung des Steinmetzes Wilhelm Wenk notiert Benn über einen der Teilentwürfe zu Orpheus’ Tod.79 Der Verlust seiner Frau Herta in den letzten Kriegstagen ist eines der bestimmenden Themen in den Notizbüchern dieser Monate. Das Orpheus-Gedicht wird gleichwohl nicht allein durch diese Linie des Biografischen bestimmt.80 Den oben zitierten Brief vom wird er familiär.« Die zweite Notiz wurde in Der Ptolemäer wiederverwendet. Vgl. auch Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 111. 75 Nb 11, 17v , siehe S. 655. 76 BOelze, II.1, S. 33. 77 Ebd., II.1. S. 46–47. Bei der erwähnten »Studie« handelte es sich wahrscheinlich um H3 Orpheus’ Tod, siehe S. 752ff. 78 Brief an Doris von Wedemeyer vom 8. Dezember 1945, an Gerhard Wilke vom 27. Juli 1945. Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, 206f. 79 Nb 12, 26v, siehe S. 745. 80 Steinhagen, Theweleit und Ridley lesen das Orpheus-Gedicht primär auf seine biografischen Hintergründe hin, als Transformation von persönlichen Erfahrung in die künstlerische Gestaltung des Mythos. Steinhagen attestiert dem schließlich fertiggestellten Gedicht gleichwohl eine unbestimmte »Losgelöstheit« von den biografischen Zusammenhängen. Ähnliches gilt für das Quartär-
880
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
31. August 1946 schickt Benn erst am nächsten Tag ab, zusammen mit einem weiteren, in dem es heißt:81 In der Skizze zu Orpheus sind die Dinge sehr hart neben einander gesetzt u. sie muss studiert werden u. bedacht vom Leser. Eine Zumutung! Aber Gedichte sind eigentlich immer eine Zumutung, das ist ihr Wesen.82
Kurz vor Kriegsende kam es zu ersten Kontakten zwischen Benn und einer Reihe von Verlegern: Karl Heinz Henssel, Eugen Claassen, Ernst Rowohlt (bzw. Kurt Marek), Peter Suhrkamp (bzw. Hermann Kasack) und Johannes Weyl.83 Auch bei Benns ehemaligem Verlag, der DVA, wurde sondiert, was Benn aber schließlich abbrach. Die Gedichte Orpheus’ Tod, Rosen und Quartär – entstehen also während intensiver, gleichwohl von Rückschlägen begleiteten Verhandlungen mit Verlagen über die Statischen Gedichte. Am 17. Februar 1946 schreibt Benn an Oelze: Ich stehe jetzt vor der Frage, ob ich die »Statischen Gedichte« (Kombination der 22 Gedichte vom Jahre 1943 u. der Ihnen zugesandten Statischen Gedichte vom 3. I. 1945, etwas modifiziert, im ganzen 30) erscheinen lassen soll. Ein Verleger hier, der amerikan. Lizenz hat, druckt sie. Aber ich zögere vor der letzten Entscheidung. Ich sehe soviel Schwierigkeiten sozialer u. persönlicher Art voraus, Angriffe, Beleidigungen, Gefahren, dass ich mich Gedicht, als dessen Hintergrund Steinhagen vor allem die Erfahrung des Kriegsendes sieht. Abweichungen des Orpheus-Gedichts gegenüber der Ovid-Quelle werden von Theweleit und Ridley als in apologetischer Absicht vorgenommene Verfremdungen gewertet. Ridley (1990) qualifiziert, Steinhagen zitierend, das Gedicht als eine auf den Orpheus-Mythos ausweichende Sinndeutung des Verlusts Hertas. 1996 setzt Ridley die Frage nach dem Verhältnis von Mythos, Biographie und Poetik im Orpheus’-Gedicht in Bezug zur konkreten historischen, politischen und persönlichen Krisensituation einerseits und zum traditionsbildenden Vorbild von Rilkes Sonetten an Orpheus andererseits. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 152, 185, Theweleit: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. 1988, S. 142, 144, 225, Hugh Ridley: Gottfried Benn. Ein Schriftsteller zwischen Erneuerung und Reaktion. Opladen: Westdeutscher Verlag 1990, S. 102, ders.: Orpheus Reborn: Gottfried Benn’s Orpheus’ Death. 1996. 81 Vgl. die These der »Losgelöstheit« bei Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 125, vgl. Briefzitat vom 4. Oktober 1946, s. S. 882. Vgl. auch den Aspekt der »Querelle« antiker und moderner lyrischer Formpoetik bei Homann. Vgl. Homann: Literatur als inhärente Komparatistik. Gottfried Benns Gedicht ›Orpheus’ Tod‹. 1995. 82 BOelze, II.1, S. 47. 83 Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 338–344. Zu Benns Reetablierungsstrategie und zum Kollektiv der Helfer vgl. Thomas Wegmann: Zur Kybernetik eines literarischen Comebacks. Gottfried Benn und Walter Boehlich – ein wiedergefundener Briefkontakt. In: BennForum 2 (2010/11), S. 145–152, S. 148f, ders.: »Ach, vergeblich das Fahren!« Gottfried Benns Ästhetik des Bleibens und einige konservative Allianzen im literarischen Feld. In: Peter Uwe Hohendahl u. a. (Hrsg.): Perspektiven konservativen Denkens. Bern et al.: Langen (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. N.F. 26), S. 163–178, hier S. 171, Thomas Ehrsam: Konzessionen an die Stimmung der Eidgenossen. Drei Schweizer als Geburtshelfer von Benns Comeback. In: Werner Bucher (Hrsg.): Orte. Schweizer Literaturzeitschrift 31.150 (2007), S. 53–57, Rolf Aurich: Benns Bewunderer: Erwin Goelz alias Frank Maraun. In: Benn-Forum 1 (2008/9), S. 147–160. Siehe auch S. 570, Anm. 72.
Entstehung und Druckgeschichte
881
frage, warum ich meine ruhige Position, die mir durch meine Praxis Kohlen, Wohnung, Café, Cigaretten ermöglicht, aufs Spiel setzen soll. [. . .]84
Die bereits bis zu einem von Benn hergestellten Druckmanuskript gediehene Ausgabe bei Henssel allerdings scheiterte im April 1946 am Widerstand der Besatzungsbehörden. Lediglich einen Privatdruck mit einer Auflage von fünf Exemplaren konnte Henssel umsetzen, von denen er Benn eines zu dessen 60. Geburtstag übersendet.85 Das von Johannes Weyl im Süd-Verlag geplante Projekt einer zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift Pandora, für das er Benn bereits als Beiträger gewonnen hatte, wurde im September 1946 von der zuständigen französischen Besatzungsbehörde abgelehnt, »weil einer der im Register genannten Mitarbeiter auf der ›schwarzen Liste‹ stehe . . .«.86 Auch ein Druck beim Goverts-Verlag (Claassen & Goverts) kam letztlich nicht zu Stande, obwohl Benn über einige Zeit in intensivem Kontakt mit Eugen Claassen stand.87 Den bis April 1947 dauernden Bemühungen des Rowohlt-Verlages, die britischen Zensurbehörden für ein Erscheinen von Benns Werken einzunehmen, setzte der Dichter mit einer brüsken Absage ein plötzliches Ende.88 Vermittelt durch Erhard Hürsch und Johannes Weyl, nahm schließlich Peter Schifferli vom Arche Verlag in Zürich im September / Oktober 1947 direkt Kontakt mit Benn auf und wirbt um die Veröffentlichung der Statischen Gedichte in der Schweiz. Eine wesentliche Vertragsbedingung war, dass Schifferli Benn eine spätere Lizenzausgabe bei einem deutschen Verlag zusicherte. Die Revisionsarbeiten an den Statischen Gedichten für den Druck bei Arche besorgte Benn auf Basis des für Henssel hergestellten Manuskripts.89 Hinsichtlich der erst in der Zwischenzeit fertiggestellten Gedichte bat er Oelze in einem Brief vom 12. September 1946 um Rat: Ich wage Sie um Ihr Urteil zu bitten, ob ich zu den »Statischen Gedichten« »Rosen« u. »Orpheus’ Tod« hinzunehmen soll. Aus den »22 Gedichten« habe ich ja manches fortgelassen. Jetzt sind es 31 Gedichte, – dann wären es 33. Natürlich wird schon allein der Titel »Statische Gedichte« Anstoss erregen in einer Zeit, die sich in einer – wenn auch sinnlosen – Bewegung zu befinden als ihr besonderes Verdienst u. ihre politische Forderung ansieht.90
Anfang 1946 hatte Benn mit Blick auf die später lediglich als Privatdruck realisierte Ausgabe beim Henssel-Verlag die Texte der 1943 bereits privat gedruckten 84 BOelze, II.1, 20f. 85 Siehe S. 572. 86 Siehe S. 572. 87 Siehe S. 570. 88 Unveröff. DLA, Benn an Kurt Marek 29. April 1947. Vgl. auch Brief an Maraun/Goelz vom 2. Oktober 1947, AusgB, 95f, siehe auch S. 572, Anm. 82. 89 DLA, Beschrieben bei Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 62–70. 90 BOelze, II.1, S. 49–50.
882
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Sammlung Zweiundzwanzig Gedichte mit denjenigen des am 25. Dezember 1944 an Oelze gesandten »Landsberger Typoskripts« in einem neuen TyposkriptKonvolut Statische Gedichte zusammengefasst.91 Im Zuge der im Brief angedeuteten Überlegungen fügt Benn im September 1946 die beiden Texte vorläufig in die Statischen Gedichte ein, indem er handschriftlich am Fußende des Inhaltsverzeichnisses zum Henssel-Manuskript vom Januar 1946 notierte: Rosen – (zwischen 27 u. 28) Orpheus Tod. – (zwischen 17 und 18).92
Entsprechend finden sich die Gedichte Rosen und Orpheus’ Tod im gehefteten Typoskript-Konvolut der Statischen Gedichte vom September 1946.93 Offenbar hat sich Benn allerdings noch anders entschieden, denn Rosen wurde letztlich nicht in die Statischen Gedichte aufgenommen – über die Aufnahme des Textes ist auch keine Diskussion überliefert.94 In einer späteren handschriftlichen sowie in der maschinenschriftlichen Titelaufstellung vom 26. November 1947 zu den Statischen Gedichten im Arche-Verlag ist Rosen nicht aufgeführt.95 Während Benn bereits an Quartär – I arbeitet, geht er in einem Brief an Oelze vom 4. Oktober 1946 erläuternd auf poetologische Aspekte der »Studie« Orpheus’ Tod ein: [. . .] in Ergänzung meines gestrigen Schreibens ein Wort zu Orpheus. O. wird – nach Ovid – tatsächlich von den Frauen getötet, mit Steinen beworfen, verwundet, zermalmt, da er sie zu beschlafen offenbar ablehnt. Ein sonderbarer Gedanke innerhalb der griechischen Welt! Nicht klar wird aus Ovids Darstellung, warum seine die Natur bezwingende Macht, die ihm in seinem Gesang verliehen war u. die zunächst soweit ging, die kahlen Berge usw seines Aufenthalts zu beleben u. zu belauben, die Tiere zu bändigen u. anfänglich auch die Wurfgeschosse u. Hacken, die die Frauen nach ihm schleuderten, zu besänftigen u. unschädlich zu machen, dann plötzlich nachlässt u. seinen Tod ermöglicht. Das ist der Inhalt des Ovid’schen Gesangs. Alles Einzelne ist natürlich nicht von Ovid; die Grosse, Gefleckte usw, die Totenklage sind natürlich nicht in ihm enthalten. Dagegen, dass ihm dann die Leier entsinkt, sie dem Fluss hinabtreibt u. dann von den Ufern ihr Gesang gewissermassen aufgenommen wird, ist in der Ode enthalten. Auch der absonderliche Ausdruck: »nackte Haune« findet sich in der Vossischen Übersetzung – ein Ausdruck, der mir in seiner, allerdings befremdenden, 91 Beschrieben bei Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 50–53, Ausschlagtafel im Anhang. 92 Wobei 27 = Der Traum, 28 = Abschied, 17 = Ein später Blick, 18 = Verlorenes Ich. DLA, vgl. ebd., S. 65. 93 TH3 Rosen, TH2 Orpheus’ Tod, siehe S. 863. Vgl. auch ebd., S. 75–76. 94 Benn beklagte sich bei Oelze über die »Konzessionen«, die er gegenüber Schifferli und der »Stimmung der Eidgenossen« machen musste. Vgl. BOelze, II.1, S. 111, vgl. auch Ehrsam: Konzessionen an die Stimmung der Eidgenossen. Drei Schweizer als Geburtshelfer von Benns Comeback. 2007. Siehe S. 293. 95 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, Siglen HIII und tVI .
Entstehung und Druckgeschichte
883
Kompactheit, gut verwendlich schien. Das Ganze ist eine Stilstudie von mir, den episch erzählten Vorgang auf eine Messerschneide zu bringen, in einem Moment – einem stilistischen Moment – zu liquidieren; es ist ein ›Mit-demRücken-an-der-Wand-Stil‹, – unbeweglich, nicht im erzählerischen Fluss, den Vorgang darstellen, vielmehr ein expressives Aprèslude fabrizieren.96
Am 1. Oktober hatte Benn mit der Arbeit an Quartär – I begonnen, am 12. des Monats schickte er Typoskripte des Gedichts an Oelze und an Ilse Kaul.97 Auf der Verso-Seite des Blattes für »das Elfenbeingesicht I.K.« finden sich eine Reihe von kommentierenden »Fussnoten«.98 Darin stellt Benn bereits den Bezug zum anthropologischen Verwandlungsmotiv und zu den im Hintergrund der Arbeiten an Quartär – liegenden Denklinien des Ptolemäer her: 1) Die Menschheit ist zu Ende, die Erde fertig; die Schöpfung wendet sich neuen Rändern und neuen Verwandlungen zu (eines meiner Grundgefühle in Anbetracht der völlig entleerten, ausgelaugten Rassen u Gehirne) 2) Ptolemäus, ein griechischer Philosoph und Geograph, schuf das erste geographisch-kosmische Weltbild: die Erde im Mittelpunkt. Dies galt bis Copernikus u Galilei –, nun drehte sich die Erde um die Sonne. Alles blödsinnige physikalische Hypothesen. Seelisch blieb bis heute Ptolemäus im Gefühl: der Mensch nahm sich zentral wichtig. 3) Quartär: unser Erdzeitalter, der Mensch, ohne Haarkleid, mit Technik, der Nach-Affe – jetzt vorbei u. zu Ende, s. Nr. 1. [. . .]99
Der Begleitbrief an Oelze enthält zur Erläuterung poetologische und anthropologische Reflexionen in Anspielung auf Orpheus’ Tod und Quartär –, hervorgegangen aus den Notizen in Notizbuch 12 und 13. Die Verse [des Gedichts Gewisse Lebensabende] sind salopp, aber sie sollen es sein. Sie sollen die ganze Nonchalance ausdrücken selbst dem eigenen Werk gegenüber, die Gleichgültigkeit gegen das eigene Ich, die Vergesslichkeit selbst den produktiven Strömen gegenüber, die einen vielleicht einst erfüllten. L e e r ist er geworden, Gleichgiltigkeit herrscht: Ruhm, Grösse, Kränze – kein Gefühl mehr dafür, die Harfe hängt in der Weide, – Schweigen. [. . .] Herr Oelze, Ihre Ausführungen über die von Deutschland erregten Induktionsströme treffen das Richtige, aber ich füge hinzu, es wird an der Gesamtlage nichts mehr ändern. Immer stärker wird mein Gefühl davon, als ob die Stunde da wäre, in der sich etwas abzieht von der Erde, nennen Sie es den Geist oder die Götter oder das, was menschliches Wesen war. Es handelt sich nicht mehr um den Verfall einzelner Menschen, auch nicht einmal einer Rasse oder eines Kontinents oder einer sozialen Ordnung, eines geschichtlichen 96 97 98 99
BOelze, II.1, S. 52–53. TH1 und TH2 Quartär, siehe S. 814, 816. TH2 Quartär 1r , siehe S. 819. TH2 Quartär 1v , siehe S. 819. SW, I, S. 438.
884
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen Systems, sondern um weit Ausholenderes, das mit keinerlei Methode des Denkens mehr zu erfassen ist. Es ist die Zukunftslosigkeit des Quartär, es ist hinüber. Man wird hier noch eine Weile ideologische Draperien um politischhistorische Symbole ziehn, Paravents herumstellen. – Ihre Makartbuquetts – u. in Asien noch eine Weile einige Opfer an die Wasserratten richten, aber es ist einheitlich zu Ende. Etwas ist nicht mehr in Ordnung. Da sind noch einige Stellen mit Geist, einem sehr bewussten, tief melancholischen, schweigend sich erlebenden Geist, aber das Menschliche ist ausgeglüht, zerstoben. Die Schöpfung richtet ihr Ejakulat in andere Räume, andere Formen, andere Aufnahmeapparate, mit uns ist sie fertig. [. . .] s. das Anfangsgedicht!100
Während Benn die beiden Briefe schrieb, dürfte er bereits längst mit den Arbeiten an Quartär – II beschäftigt gewesen sein, denn schon am 13. Oktober datiert er die erste Seite von TH3 Quartär – mit Quartär – I und II. Den Zwischentitel »II.« hat Benn auf diesem Blatt gestrichen und durch »Cyclen« ersetzt. Das Blatt ist von ihm unterschrieben und datiert, was darauf hindeutet, dass Benn den Zyklus zumindest vorläufig für abgeschlossen hielt. Das charakteristische Kreuz allerdings, das er ebenfalls darunter setzte, zeigt an, dass er weitere Überarbeitung oder Ergänzung für nötig hielt. Wenig später erweitert er dieses Manuskript um ein zweites Blatt (2r ) mit dem dritten Teil des Zyklus, welcher zuvor in Notizbuch 13 entworfen worden war.101 Am 4. November 1946 sendet Benn »das komplettierte ›Quartär‹«-Manuskript an Oelze, begleitet von weiteren Anmerkungen zur Textquelle von Orpheus’ Tod: Ich schliesse daher heute das Orpheus-Thema ab, indem ich Ihnen die Stelle aus Ovid zitiere, Ihnen das weitere überlassend: »– die Geräte der Arbeit bleiben zurück; und es liegen, zerstreut durch verlassene Felder, Lastende H a u n (!), Jäthacken, und langgeklauete Karste. Als die Verwilderten solches geraubt und zerrissen die Stiere trotz dem drohenden Horn . . .« u.s.w. Dann sende ich Ihnen noch das komplettierte »Quartär« – für das Archiv. Sie wollen nicht darauf eingehen, ersparen Sie sich Gedanken und Eindrücke. [. . .]102
Am 21. November weist Benn Oelze auf ein Missverständnis zu Quartär – hin, das ihm in dessen vorangegangem Brief aufgefallen war: [. . .] 13) Erlaube mir, ohne wichtigtuerisch sein zu wollen, darauf hinzuweisen, dass in »Quartär«, letzte Strophe, es G e s c h i c h t e heisst, nicht Ge100 BOelze, II.1, S. 54–56. Vgl. auch Nb 12 13v 10–11, siehe S. 737; Nb 13 2v –4r , siehe S. 775–780. 101 Nb 13, 7r –10v , siehe S. 792–807. 102 BOelze, II.1, S. 56–57. Bezüglich des rätselhaften Wortes »Haune« erläutert Benn wesentlich später, am 19. Februar 1952, gegenüber Edgar Lohner auf Anfrage: »[. . .] III. ›Haune‹ ist ein Wort, das ich in meinem Leben nie gehört hatte, bis ich es in Ovids ›Verwandlungen‹ in seinem Gedicht
Entstehung und Druckgeschichte
885
schichte n, Sie verstehen. Ich bitte gehorsamst, das Wort zu unterstreichen, d. h. es soll – in jener fernen Zukunft, wenn sie die Gestirne herbeiführen sollten – g e s p e r r t gedruckt werden.103
Auf dem ihm übersandten Typoskript TH4 Quartär – führt Oelze u.a diese diese Änderung aus, in späteren Drucken des Gedichts allerdings unterbleibt sie. Der Quartär-Zyklus wird erstmals auf der undatierten handschriftlichen Titelaufstellung zu den Statischen Gedichten und später auf der TyposkriptInhaltsübersicht für die Arche-Ausgabe vom 26. November 1947 geführt.104 Erst kurz vor dem Druck, offenbar im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Schifferli um den Abdruck von Chopin,105 wird die Position der Gedichte Chopin und Quartär – vertauscht, so dass letzteres und Orpheus’ Tod nicht mehr unmittelbar aufeinander folgen. Im September 1948 werden Orpheus’ Tod und Quartär – in Statische Gedichte beim Arche-Verlag Zürich veröffentlicht und somit nach dem Henssel’schen Privatdruck erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Bereits am 16. April hatte Peter Schifferli Benn mitteilen können, dass seine Bemühungen um die Druckgenehmigung für die Statischen Gedichte bei den Besatzungsbehörden in Deutschland Früchte getragen hatten.106 Die amerikanische Behörde in München hätte sogar »grundsätzlich die verhängte Sperre aufgehoben« und es wäre auch wieder möglich, frühere Werke Benns in Deutschland zu verlegen.107 Als Partnerverlag schlägt Schifferli die Nymphenburger Verlagsbuchhandlung vor, was Benn zunächst akzeptiert.108 Es war auch der offene Ärger Benns über den eigenmächtigen Umgang Schifferlis mit den Statischen Gedichten, der ihn dem Wunsch des Schweizer Verlegers letztlich nicht entsprechen ließ.109 Für die Lizenzausgabe in Deutschland hatte Benn offenbar eigentlich den Goverts Verlag vorgesehen, Claassen aber hatte sich offenbar aus dem Briefwechsel mit Benn zurückgezogen, als er von Benns Plänen mit dem Arche-Verlag erfuhr.110 Als dann Max Niedermayer, Verleger des Limes ›Orpheus‹ in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß fand. Es erschien mir ein gutes Wort, ich forschte ihm nach, jedoch ohne Erfolg.«, AusgB, S. 148. 103 BOelze, II.1, S. 60. 104 Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, Ausschlagtafel, Sigle tVI . 105 BOelze, II.1, S. 111 (22. Januar 1948), 120 (27. Februar 1948). 106 DLA, unveröff. Indirekt zitiert Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 84. Siehe S. 573. 107 Ebd. 108 Ebd. Siehe auch S. 573. Zu seinen Zweifeln Brief an Maraun/Goelz vom 24. April 1948, DLA. 109 Nach den schwierigen Verhandlungen um die Komposition der Statischen Gedichte hatte Schifferli – ohne Benn davon vorher in Kenntnis zu setzen – noch während der Drucklegung das Gedicht Gewisse Lebensabende aus dem Band entfernen lassen, weil es ihm den Ton der anderen Gedichte nicht zu treffen schien. Vgl. Schifferlis »Verteidigungsepistel«, Benn: Statische Gedichte. 1983, S. 105, vgl. auch BOelze, II.1, S. 153. 110 Ebd., S. II.1, 153. Vgl auch Benns Brief an Claassen vom 13. April 1948, DLA, unveröff.
886
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Verlags in Wiesbaden, auf Vermittlung Emil Lüths am 22. Juli 1948 mit dem Wunsch an Benn herantritt, dessen »unveröffentlichte Arbeiten« in Deutschland herauszubringen, zögert der Dichter zunächst, sagt aber schließlich zu.111 Am 3. Oktober eröffnet Benn Niedermayer die Möglichkeit, die Statischen Gedichte in Lizenz zu verlegen.112 An seinen alten Freund Frank Maraun (d. i. Erwin Goelz) schreibt Benn am 20. Oktober: Bald erscheint im »Limes Verlag« Wiesbaden die Deutsche Lizenzausgabe [der Statischen Gedichte]. Dort ist auch schon der Novellenband im Satz! Der Verleger ist überaus eifrig, telefoniert mit mir, telegrafiert, u möchte seine Hand völlig auf mich legen. Ich habe mit ihm Vertrag gemacht über den Novellenband und die Gedichte.113
Im März 1949 erscheinen Orpheus’ Tod und Quartär – mit kleineren Korrekturen im Rahmen der Lizenzausgabe der Statischen Gedichte bei Limes. 1956 werden die beiden Gedichte erneut in den Gesammelten Gedichten abgedruckt. Für den Neusatz von Orpheus’ Tod gab Benn Marguerite Schlüter brieflich Anweisungen bezüglich der neuen Anordnung der letzten sieben Verse.114 Das Gedicht Rosen indes, nachdem es 1947/48 nicht in die Statischen Gedichte aufgenommen wurde, erschien stattdessen 1949 in der Sammlung Trunkene Flut. Im Februar 1949 hatte, wie TH2 Rosen zeigt, Benn noch wenigstens kurzzeitig erwogen, das Gedicht als drittes in der Sammlung Privatgedichte an Oelze zu schicken. Das »Rosengedicht« wurde in Trunkene Flut als eigenständiger Text gedruckt, während die Privatgedichte unter dem Titel Epilog 1949 als Zyklus erschienen. Bereits Ende Mai beginnen Benn und Niedermayer mit der Konzeption des neuen Bandes, bestehend aus bekannten und einigen neuen Gedichten: [. . .] Ich beschäftige mich jetzt mit der Zusammenstellung des Gedichtbandes der früheren Gedichte. Aber – erschrecken Sie nicht, es werden wohl 100 Seiten werden. Titel: »Trunkene Flut«, Gedichte zwischen 1920 und 1930. (Das ist der Titel des ersten Gedichts) Einige Gedichte aus früheren u. aus späteren Jahren schmuggele ich mit hinein, aber dann ist Alles Wesentliche drin, das ich zur Zeit herausgeben möchte. [. . .]115 [. . .] Ferner kommt über Herrn Oe. noch eine nachträglich von mir vorgenommene Änderung des Schlusses: ich möchte den Epilog 1949 aus 5 neuen 111 Vgl. BOelze, II.1, S. 153, BLimes, S. 7. 112 Vgl. Ebd., S. 15f. 113 DLA, unveröff. Zum Verhältnis Benns zu seinem Bewunderer, vor allem aber auch alten Kameraden und Förderer beim südwestdeutschen Rundfunk Erwin Goelz alias Frank Maraun vgl. Rolf Aurich u. a. (Hrsg.): Erwin Goelz alias Frank Maraun. Filmkritiker. München: edition text und kritik 2006 (= Film und Schrift 3). 114 BLimes, S. 847f. 115 Ebd., S. 92f. Brief vom 28. Mai 1949.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
887
Gedichten zum Schluss bringen, die alle einen einheitlichen Ton haben. Ich hatte anfänglich einige davon ganz fortgelassen, andere in die letzten Seiten als Manuscript vorgesehn, möchte sie aber da wieder heraushaben und alle zusammen als Schluss. Ein weiteres kleines ungedrucktes mit dem Gartenlaubentitel: »Rosen«, das ich anfänglich fortlassen wollte, an dem überlege ich noch. Ich erwarte noch Herrn Ö.s Äusserung dazu. [. . .] Auch was den Titel angeht, schwanke ich zwischen »Trunkene Flut« und »Das späte Ich«, habe aber dann doch dem ersteren den Vorzug gegeben.116
Das Gedicht wurde schließlich in die Sammlung aufgenommen. Benn entschied sich, das Gedicht ohne die Widmung an Charlotte Oelze unter dem eigenständigen Titel Rosen drucken zu lassen.117 Im Rahmen der Vorbereitung der zweiten Auflage erinnert Niedermayer an die Anregungen Oelzes zu einer Umstellung von Epilog und Rosen, die allerdings nicht vorgenommen wurde.118 1956 wurde Rosen in Gesammelte Gedichte erneut abgedruckt.119
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes Die Vorarbeiten und Entwürfe Rosen (Nb 11), Orpheus’ Tod (Nb 11b, 11, 12) und Quartär – (Nb 11, 12, 13) liegen durchmischt mit parallel entstandenen Tagesund Lektürenotizen, Briefkonzepten und Entwürfen zu anderen Prosa- und Gedichttexten vor. Zusammen bilden diese einen über mehrere Notizbücher verteilten Arbeitszusammenhang, welcher in der vorliegenden Edition erstmals als Entwurfkomplex zusammengefasst dargestellt wird. Die Konstitution des Entwurfkomplexes versteht sich im Sinne der critique génétique als editorisch umgesetzter Lektürevorschlag zur Textentstehung, welcher die Interpretation des handschriftlichen Befundes mit so viel Material wie derzeit möglich zur Verfügung stellt, um den materialen Kontext der Gedicht-Entwürfe in den Blick zu nehmen. Im Rahmen der »Textmonografie« ist die Konstitution dieses Entwurfkomplexes als editorischer und argumentativer Zwischenschritt zu einer historisch-kritischen Ausgabe zu sehen, welche die Notizbücher Benns vollständig diplomatisch darstellt, mit Faksimiles versieht und somit die Vorarbeiten und Entwürfe des gesamten Komplexes im textgenetischen Zusammenhang erschließt. Dies würde für den Leser unter anderem den Blick auf die in den Notizbüchern 11, 12 und 13 verteilten Vorarbeiten zum sich parallel entwickelnden Projekt Der Ptolemäer öffnen. 116 Ebd., S. 100. Brief vom 14. Juni 1949. 117 Ebd., S. 121–123, 130. Wohl mit schlechtem Gewissen sandte er 19. November 1949 Oelze ein Exemplar mit der Bitte, »beifolgenden Karton« einzukleben: »Frau Charlotte Oelze, der das Rosengedicht S. 99 gewidmet war. [. . .]«, BOelze, II.1, S. 266, 347. 118 BLimes, S. 502f. 119 Vgl. zur Druckvorbereitung auch ebd., S. 851f.
888
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
An der Entwurftextauswahl der Orpheus’ Tod-Editionen Steinhagens und der Sämtlichen Werke lässt sich gut ablesen, welche Schwierigkeiten sich hieraus im Rahmen einer historisch-kritischen Ausgabe ergeben. Steinhagen nimmt eine ganze Reihe von frühen Vorarbeiten, Entwürfen und Kontextnotizen in den kritischen Apparat auf, die in den Sämtlichen Werken unberücksichtigt bleiben120 bzw. in anderen Bänden ohne entsprechenden Hinweis erscheinen.121 In den Sämtlichen Werken hingegen wurde gegenüber Steinhagen zusätzlich eine zweizeilige Vorarbeit aufgenommen,122 im Supplementband kommt als wichtigste Ergänzung der frühe Entwurf zur zweiten Strophe in Nb 11b hinzu.123 In Steinhagens Edition werden der textgenetische Zusammenhang der Entwurfnotizen im Apparat durch einen diskursiven Kommentar erläutert, wo der Bezug zum Werktext bzw. den Texten im Apparat nicht direkt ersichtlich ist.124 Dass die Vorarbeiten editorisch oft nicht eindeutig zu fassen sind, zeigt sich in Formulierungen wie »Zugehörigkeit zum Entwurf nicht ganz gesichert«,125 interpretierenden Kommentaren wie »[. . .] zwei Notizen, die möglicherweise die Niederschrift des Entwurfs angeregt haben«126 oder der Einordnung eines Briefentwurf-Ausschnitts in den Apparat anhand eines »Keimworts« (»Erinnerungen«).127 Steinhagen verweist an mehreren Stellen auf Bezüge zu Der Ptolemäer, an einer Stelle deutet der einen thematischen Querbezug von Quartär – zu den Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod an.128 Die aus Benns Arbeitsweise herrührenden Unschärfen, die Steinhagen im Rahmen seiner Rekonstruktion der Textentstehung dokumentiert, verweisen indirekt immer auf die jeweils 120 Folgende bei Steinhagen edierte Entwurftexte fehlen im Apparat der Sämtlichen Werke (Mit Zählung bei Steinhagen und Angabe in vorliegender Edition): 1 (Nb 11 8v 6–8), 2 (11v 1–7), 3 (16v 1–13), 8 (Nb 12 26v 3–4, 6, 8–9), 9 (3r 6–10), 10 (4v 4–8), o.N. teilw. in SW fehlend (5v 1–4, 8v 6– 9). Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 110–113. Zumindest die Entwürfe 2 und 8 sind direkt auf den gedruckten Werktext von Orpheus’ Tod abbildbar und hätten sicher aufgenommen werden müssen. Vgl. auch Ries: Notizbuchexperimente. 2007. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969; SW; Ries: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. 2010; ders.: »Materialität«? 2010. 121 Vgl. SW, VII/2, S. 136–137. 122 Ebd., I, S. 440 »Alles was Meers ist, kann ich wenig nennen, denn Meer war immer weit von meiner Flur – – –«. Der Zusammenhang zum Orpheus’ Tod-Komplex bleibt in den SW unklar. 123 Ebd., VII/2, S. 460. 124 Steinhagens Apparat orientiert sich am Modell der Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 91–93. 125 Ebd., S. 110, 111, Entw. Nr. 1, 6. 126 Ebd., S. 112. 127 Ebd., S. 110, 111, Entw. Nr. 3, 4. In der Verwendung des Begriffs »Keimwort« zeigt sich ebenfalls die Anlehnung an Beißners editorische Theorie. Vgl. zur Funktion des Begriffs »Keimwort« bei Beißner auch Hoffmann u. a.: Hölderlin-Editionen. 2005, S. 219, Martens: Dichterisches Schreiben als editorische Herausforderung. 1998, S. 109. 128 »(Heft 11, 34) Kurz davor (S. 32) steht Benns Schilderung seines 60. Geburtstags; die folgenden Verse sind also wohl nicht lange nach dem 2. Mai entstanden, vgl. Nr. 3 in den Lesarten zu Orpheus’ Tod, S. 110f.«, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 178.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
889
deutungsabhängige Rolle des textgenetischen Kontexts, der »Arbeitstopografie«. Die vorliegende, diplomatisch verfahrende Edition rekonstruiert den textgenetischen Prozess der drei Gedichte Rosen, Orpheus’ Tod und Quartär – einschließlich der publizierten Textfassungen. Sie versteht sich in diesem systematischen Sinne nicht als historisch-kritische Ausgabe dreier ›Werktexte‹ und deren Varianten, sondern als textgenetische Ausgabe der Zeugen des Entstehungsprozesses, d.h. auch: des Entstehungszusammenhangs. Der materiale Zusammenhang der »Arbeitstopografie« wird durch großzügig gewählte NotizbuchAusschnitte editorisch gewahrt und dem Leser zugänglich gemacht. Obwohl die Textauswahl in dieser Systematik durch die Kategorie der Materialität des Textträgers bestimmt wird, beruhen die editorischen Entscheidungen sowohl zur Konstitution des Entwurfkomplexes (Rosen, Orpheus’ Tod, Quartär –) als auch zur Auswahl der wiedergegebenen Notizbuch-Abschnitte auf einer begründungsbedürftigen Interpretation des Entstehungsprozesses und von Benns Arbeitsweise.129 Zuordnungsfragen
Innerhalb des Entwurfkomplexes Rosen, Orpheus’ Tod, Quartär – hängen die Notizen und Entwürfe der drei Werktexte durch thematische und motivische Verkettungen sowie textgenetische Funktionsbezüge zusammen. Einige davon werden im Folgenden dargestellt, um die Konstitution des Entwurfkomplexes transparent zu machen. Hierbei wird besonders das grundsätzliche Problem werkzentrierter Editionstypen deutlich, Entwürfe und Notizen einem Werk zuordnen zu müssen. Dies ist bei frühen Vorarbeiten in Benns Notizbüchern oft nicht ohne stark interpretierende Auswahl möglich, erst durch eine gleichzeitig die vertikale Werktext-Perspektive und die horizontal-materiale Perspektive im Blick behaltende Lektüre wird die spezifisch konzeptgenetische Relevanz dieser ›am Rande‹ der Textgenese gelegenen Entwurftexte deutlich. Der folgende Entwurf Notizbuch 11 17v macht es dem Editor auf den ersten Blick leicht, wird er doch später leicht abgewandelt in die dritte Strophe von Quartär – II einmontiert. Es handelt sich bisherigen Editionen zufolge um den frühesten Entwurf zu Quartär –: – das Letzte ist die Lust. ist das Letzte die Träne oder ist das Letzte die Lust –? blickst Du auch weit auf die Scene 129 Ries: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. 2010; ders.: »Materialität«? 2010.
890
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen so wird Dir doch nicht bewusst ist nun das –130
Das auf gegenüberliegenden Seite gelegene Prosakonzept wird ebenfalls Quartär – zugeordnet,131 wohl wegen des Kältemotivs und der Erwähnung des Styx (»leicht u ideenflüchtig / vom Swing zu einem Gebet / u dunkel u abgrundsüchtig / Styx«,132 »einige stygische Seelen«133 ): Was ist das Wesen der Macht? Liegt eine Seinentfaltung oder . . erkaltung Nebelschwaden des Styx –134
Nun ist weiter zu bemerken, dass folgender kurzer Prosa-Entwurf auf Nb 12 8r , der aus Platzgründen von einem Entwurf zu Orpheus’ Tod umflossen wird und den Vorarbeiten zum Orpheus-Gedicht bisher stets als Vorstufe zugeordnet wurde, offensichtliche Ähnlichkeiten mit dem obigen Quartär-Entwurf aufweist. Das Fragment – die dritte das Phlox-Motiv variierende Textstufe innerhalb von Nb 12 – wurde übrigens letztlich weder in Orpheus’ Tod noch in Quartär –, sondern erst in Der Ptolemäer verarbeitet.135 u als Letztes – – Geruch von Phlox – wenn Tränen Geruch dachte er immer wäre es dieser –136
Man könnte konsequent weiter fragen, ob der Entwurf Nb 11 17v nicht auch Orpheus’ Tod zuzuordnen wäre, weil bei »u als Letztes – –« in den Gedankenstrichen die nach den anderen Entwürfen bewusst offen gelassene, mögliche Ergänzung durch »Lust« oder »Träne[n]« mitgedacht ist. Zwei Seiten weiter wird »Macht« im Rahmen der Orpheus’ Tod-Entwürfe direkt »dem Sänger« zugeschrieben – als nachträglicher Zusatz in Tinte. Dies ist 130 Nb 11 17v 8–13, siehe S. 655. SW, I, S. 433, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 178. Theweleit zieht die erste Zeile des Entwufs übrigens bei seiner Interpretation einer Vorarbeit von Orpheus’ Tod heran: »›das Letzte ist die Lust‹: – eine impulsive Entscheidung, über Hertas Tod hinwegzuschreiten, zu leben. Im veröffentlichten Gedicht gemildert, in Frageform. In den Entwürfen zu Orpheus Tod sind es die Zeilen ›der Geist hat immer Tote im / Gefolge [. . .]‹.« Theweleit: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. 1988, S. 75. 131 Bei Steinhagen auch hier mit dem Vermerk »Zugehörigkeit zum Entwurf nicht ganz gesichert«, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 178. 132 Nb 11 19v, siehe S. 663. 133 TH1 Quartär 1r 9, siehe S. 814. 134 Nb 11 18r 8–11, siehe S. 656. 135 Vgl. SW, V, S. 23. 136 Nb 12 8r 6–10, siehe S. 714.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
891
insofern bemerkenswert, als das »Macht«-Motiv innerhalb der hier in Auszügen edierten Notizbücher nur an diesen beiden Stellen vorkommt. mit Macht ausschmückend die Welt.137
Dies könnte dafür sprechen, dass der Entwurf von Nb 11 18r eher unter die Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod einzureihen wäre, zumal die Motive »Styx«,138 Macht139 und »Kälte« auch dort eine Rolle spielen.140 Es soll hier allerdings nicht argumentiert werden, dass die angeführten Entwürfe einfach jeweils anderen Werktexten zugeordnet werden müssten. Vielmehr zeigt das Beispiel, dass das Entwerfen und Notieren in der VorarbeitenPhase (Nb 11b, 11) noch auf keinen eindeutig erkennbaren Werktext hinzielt, weshalb diese Entwurftexte in einem möglichst weiten materialen Prozesszusammenhang zu sehen sind. Thematische und motivische Querbezüge
Es seien exemplarisch einige der Stichwort- und Motivlinien skizziert, welche die über mehrere Notizbücher verstreuten, teilweise thematisch entlegenen Vorarbeiten und Entwürfe der drei Gedichte verbinden und als Zeugnis eines diskontinuierlichen, aber doch zusammenhängenden poetischen Prozess lesbar machen. Diese Skizze belässt es bei der Darstellung von Verknüpfungen einiger zentraler, immer wieder aufgegriffener und neu konstellierter Stichwörter und Motive durch die Notizbücher und Entwurfmanuskripte, um den Entwurfkomplex zu begründen. Einer tiefer gehenden Interpretation des Schreibprozesses oder der Werktexte wird damit nicht vorgegriffen. Bereits angesprochen wurde der Motivkomplex von Kälte und Hitze. Die Kältemotivik zieht sich von den nicht eindeutig zuzuordnenden Notizen141 durch die Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod142 bis hin zu Quartär-Entwürfen in allen vier No137 Nb 12 9r 9–10, siehe S. 718. Vgl. Ovid »Wie er mit Macht ausschmückte die Welt und den Trotz der Giganten / Zwang, die phlegräische Flur durch siegende Donner zerschmetternd.« Ovid: Ovids Verwandlungen. 1875, S. V. 102-103. 138 »Ich war in dieser Woche 2 Tage in Neuhaus a. E., um nach dem Grab meiner Frau zu sehn. Eine wahrhafte Fahrt über den Styx!«, BOelze, II.1. S. 46-47. 139 »Nicht klar wird aus Ovids Darstellung, warum seine die Natur bezwingende Macht, die ihm in seinem Gesang verliehen war [. . .] dann plötzlich nachlässt u. seinen Tod ermöglicht.«, ebd., II.1, S. 52–53. 140 »der Geist muss kalt sein [. . .]«, Nb 11 20r , siehe S. 664. 141 »Eis« (Nb 11b 2r , siehe S. 596), das mit der Kunst verbundene »Nordlicht« (Nb 11 8r , siehe S. 618), die kalte Frostluft des »letzte[n] Taumel[s] der Beendigung« (Nb 11 12v , siehe S. 637). 142 Vgl. den kalt zu haltenden »Geist«, Nb 11 20r , siehe S. 664.
892
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Abbildung 1: Ausschnitt Doppelseite Nb 11 11v /12r mit gegenüberliegenden Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod und Quartär –.
tizbüchern.143 In diesem Zusammenhang wären auch die »Stern«-Motive durch die Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod und Quartär – zu verfolgen.144 Die komplementären Hitze-Motive finden sich vorwiegend im Zusammenhang der Quartär – Entwürfe in den Notizbüchern 11 und 13.145 In diesem Zusammenhang ist auch die an anderer Stelle ausführlicher besprochene Konstellation auf der Notizbuch-Doppelseite Nb 11 11v /12r (siehe Abb. 1)146 zu sehen, in welcher eine Prosa-Vorarbeit zu Orpheus’ Tod und ein früher Entwurf aus dem Quartär-Zusammenhang einander direkt räumlich stehen. Das Tertium bildet hier die Hitze-Motivik einerseits und die der Entfärbung bzw. Fahlheit andererseits: »›gelber Mohn‹) – traurige Räusche, / traurig gefärbte Röten, / fahle u alles doppeltbodig«; »Wenn die Materie in sich selbst verbrennt / u der entfärbte Geist sich selbst erkennt . . . [. . .] die neue Flamme flammt«.147 Von 143 »Seinserkaltung«, Nb 11 18r , siehe S. 656; »einsame[n] Seelen, / hoch und (k)alt«, Nb 13 1v , siehe S. 771; »Frösteln vor Klarheit«, Nb 13 2v , siehe S. 775; »die Sphären kalt«, Nb 13 4r , siehe S. 780. Vgl. auch Pallas »Es nähert sich das Gesetz der Kälte [. . .] an den Lenden erschöpft sich die Natur; nach ihr – vor ihr im Zyklus der Stunden erschien der Geist, [. . .] und erfüllte es mit dem Traum des Absoluten.« SW, IV, S. 336. 144 Vgl. Nb 11b 3r »ich trage dein Bild wie das Geheimnis der Sterne – der eingewobene Tod, die Maserung –«, siehe S. 598, vgl. weiter Nb 11 8r , Nb 12 4r , Nb 13 2r , 4r , siehe S. 618, 698, 772, 780. Vgl. »Einsames Enden / die Welten wenden / sich Fernen zu – die Sterne drehen – / Verfall, Verfehlen – / Späte Gestalt die Sphären kalt / einsame Seelen / hoch u alt.«, Nb 13 7v , siehe S. 795. 145 »[w]enn die Materie sich selbst verbrennt«, »die neue Flamme flammt« (Nb 11 12r , siehe S. 634); »Du gehst bis an den Rand der Feuer«, »die Asche schon kalt« (Nb 13 1v , siehe S. 771) »den Feuern Rande« (Nb 13 5v , siehe S. 787), »sinkenden Feuern, vom Rande« (Nb 13 6r , siehe S. 788), »brennt die sinkende Welt«, Nb 13 7r , siehe S. 792; »Verfall, Verflammen, Verfehlen –«, TH1 Quartär 1r , siehe S. 814. 146 Siehe S. 74–76, vgl. auch Ries: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. 2010. 147 Nb 11 11v / 12r , siehe S. 633, 634. Das Motiv der Entfärbung wird noch einmal in den QuartärEntwürfen und den »Fussnoten« Benns aufgegriffen: »Die Bilder bleichen u Zeichen«, Nb 13 1v 7 (siehe S. 771); »völlig entleerte[n], ausgelaugten Rassen u Gehirne«, TH2 Quartär 1v , siehe S. 819. Vgl. auch im Ptolemäer unter Hinzufügung von »atrophisch«, SW, V, S. 21.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
893
hier aus führt die poetische Reflexion einige Notizbuchseiten später wiederum zur Verknüpfung des Geistes mit dem Kälte-Gegenmotiv im Orpheus-Kontext: »Orpheus Tod: / u eine grosse Gefleckte, bunt- / häutig ›gelber Mohn‹ – // der Geist hat immer Tote im / Gefolge, der Geist muss kalt / sein, sonst wird er familiär.«148 Ein weiterer Motivstrang, der – anschließend an das »Verflammen« – quer durch die Vorarbeiten und Entwürfe der drei Gedichte zu verfolgen wäre, ist das des Verwehens, Vergehens, Verrinnens und Verschwindens. Die bereits aus Pessimismus149 und – noch früher – aus einem Brief vom 11. August 1939150 bekannte Motivik zieht sich durch die keinem der Werktexte zurechenbaren Vorarbeiten,151 die Rosen-Entwürfe,152 die Entwürfe und Notizen im Orpheus Tod-Kontext153 und die Entwürfe zu Quartär –.154 In diesem Zusammenhang sind auch diejenigen Stellen zu sehen, die als Motivkomplex der »Ablösung« insbesondere die Rosen-Entwürfe mit den Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod verbinden155 und noch die Quartär-Entwürfe prägen.156 Für 148 Nb 11 20r , siehe S 664. Siehe auch S. 67. 149 »Der moderne Nihilismus geht über Schopenhauer unmittelbar auf ihn zurück. ›Verlöschen‹ –, ›Auswehen‹, ›Spiele des Gauklers‹ –, ›sternenloses Nichts‹«; »Das Leben als solches wirft jene Handvoll Staub in die Luft [. . .] auswehen jeden Dunst des Verlangens, – keine Götter, – das Nichts.« SW, IV, S. 328. 150 »Seine [des Bewusstseins] geistigen Prozesse erscheinen völlig erschöpft. [. . .] Offenbar ist es im Abgleiten, in einer Umwandlung, vielleicht im Verschwinden«, »Die Fuge des Quartär! [. . .] Schallplattenklänge, Musik darüber, anfallsweise und verwehend.« BOelze, II.1, S. 217. Vgl. auch Schärf: Die Fuge des Quartär. 2007, S. 191. Vgl. auch die Parallelstelle in der Rede auf Stefan George, »Fuge des zweiten Zeitalters«, SW, IV, S 110. 151 »auch dies vor Allem mit den Zügen des VErlöschens« Nb 11b 13r , siehe S. 610; »u durch mich deht der Raum ( u wehn die Meere / u weht der Felsen, auch das Nordlicht weht« Nb 11b 22r , vgl. ebd., VII/2, S. 134, »auf welche Sterne wirst Du mich verwehn« Nb 11 8r siehe S. 618. 152 »Wenn erst die Rosen verrinnen«, »Entblättern beginnen«, »die Rosen vergehn«, »Schweigen / Schwinden« Nb 11 21r 2, 4, 10, 15-16, 18, siehe S. 668. Vgl. auch Nb 11 22r 2-3, 12, 18, siehe S. 670. 153 »Du sollst nicht verrinnen, su sollst nicht übergehn [. . .]«, Nb 12 8r 1, siehe S. 714. Hierhin gehören auch 11b 11r »etwas angedeutetes auf Staub, graues Gewebe. das man nicht behalten kann«, siehe S. 604, und die Thematisierung des eigenen Ablebens Nb 11b 11r /11v , siehe S. 604, 607, und als Thema von Orpheus’ Tod allgemein. Vgl. auch »ich ertrage Schweigen, verschwiegen werden u vergessen.«, Nb 11b 12r , siehe S. 608. 154 »ausgeglüht, erledigt, zu Ende –«, Nb 13 2v , siehe S. 775; »wo alles zu Asche verweht« Nb 13 6r , siehe S. 788; »Verfall, Verfehlen«, Nb 13, 4r , siehe S. 780. Vgl. auch die früheren Vorarbeiten 1943 zu Pessimismus, »Geschlossene pessim. Weltanschauung auf religiösem Gebiet der Buddhismus: das Leben des Gautama Sakja [. . .] ›Verlöschen‹ ›Auswehen‹ des Bewusstseins Nirwana«, SW, IV, S. 717. 155 Rosen: »Entblättern beginnen«, »blättern die Rosen hin«, Nb 11 21r, 22r , siehe S. 668, 670. Orpheus’ Tod (im Übergang von Rosen): »halte Dich nicht mehr / hüten / Sinn / streue Dich, treibe die Blüten / Wie blätternde Rosen hin«, Nb 11 23r , siehe S. 674; »Oph Tod / Er sass u lehnte seine Blicke / frei waren sie ans Nichts / gebunden / hingen«, Nb 11 28r , siehe S. 674. »abhebbar«, Nb 13 3v , siehe S. 779. 156 Quartär –: »[. . .] nämlich als ob ob sich sich etwas abzieht von der Erde, der Geist oder die Götter oder das, was menschliches Wesen war [. . .]«, Nb 13 2v , siehe S. 775, mit einer Tendenz zum Begriff der Auflösung: »In reinem Aether von Sternen gelöst«, Nb 13 2r , siehe S. 772.
894
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
alle drei Gedichte ist dieser Motivkomplex allerdings komplementär zu sehen mit dem »Auferstehn« (Rosen), dem Nekyia-Motiv bzw. der Präsenz der »Stimmen« und Toten (Orpheus’ Tod, Quartär –157 ) und der »Zyklen« (Quartär –). Die bisher angeführten motivischen Entwicklungslinien deuteten bereits an, dass eine Reihe von Entwürfen und Vorarbeiten, die bislang ausschließlich vor einem biografischen Hintergrund gesehen wurden158 , sich bei näherer Betrachtung des arbeitstopografischen Zusammenhangs als Zwischenstufen eines experimentierenden, bestimmte Motive und Stichworte immer wieder aufgreifenden und neu konstellierenden poetischen Denkprozesses herausstellen. Unter dieser Perspektive ist zum Beispiel auch das in den Notizbüchern und den drei Gedichten immer wiederkehrende Motiv des Schweigens als Linie eines textgenetisch über die Grenzen einzelner Werktexte hinweg verfolgten poetischen Denk- und Schreibprozesses zu lesen.159 Der Gegensatz der verlebendigenden und die Natur beherrschenden Stimme des Orpheus, der gurrenden Stimmen der »Nymphen« und der sprechenden, singenden und rufenden Stimmen der Toten zum Machtverlust der Stimme des mythischen Sängers, seinem Verstummen und nachfolgendem Schweigen (bzw. Nachtönen der Ufer) ist das zentrale Thema des Gedichts Orpheus’ Tod: »der Gaumen blutet, / und nun die Leier / hinab den Fluss, – / die Ufer tönen –.« Während Benn im Brief an Oelze vom 4. Oktober 1946 diesen Fokus aus »Ovids Darstellung« des Mythos und aus der Kompositionstechnik des Gedichts heraus begründet,160 zeigt sich im Brief vom 15. Oktober unter Referenz auf den Tod Orpheus’ eine weiter ausgreifende, den Dichter wie den »Geist« betreffende Perspektive:
157 Zum Nekyia-Motiv in Orpheus’ Tod vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 188, zuerst bei Helene Homeyer: Gottfried Benn und die Antike. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 79 (1960), S. 113–124, hier S. 117, Wodtke: Die Antike im Werk Gottfried Benns. 1963, S. 81f. 158 Weitere Ausführungen hierzu S. 72. 159 Für einen Überblick zum Motiv des Schweigens in der Moderne vgl. Otto Lorenz: Schweigen in der Dichtung: Hölderlin – Rilke – Celan. Studien zur Poetik deiktisch-elliptischer Schreibweisen. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1989 (= Palaestra 284); Katja Schönwandt: Das Gegenstück zum Sprechen. Untersuchungen zum Schweigen in der skandinavischen und deutschen Literatur. Frankfurt a. M. u.a.: Lang 2011 (= Berliner Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte 10). Einige wichtige Spuren des Schweigen-Motivs in Benns Werk verfolgt Wilfried W. Dickhoff: Zur Hermeneutik des Schweigens. Ein Versuch über das Imaginäre bei Gottfried Benn. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Athenäum 1987 (= Hochschulschriften Literaturwissenschaft 64). 160 »Nicht klar wird aus Ovids Darstellung, warum seine die Natur bezwingende Macht, die ihm in seinem Gesang verliehen war [. . .] dann plötzlich nachlässt u. seinen Tod ermöglicht. Das ist der Inhalt des Ovid’schen Gesangs. Alles Einzelne ist natürlich nicht von Ovid; die Grosse, Gefleckte usw, die Totenklage sind natürlich nicht in ihm enthalten. Dagegen, dass ihm dann die Leier entsinkt,
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
895
Sie [die Verse des Gedichts Gewisse Lebensabende] sollen die ganze Nonchalance ausdrücken selbst dem eigenen Werk gegenüber, [. . .] Gleichgiltigkeit herrscht: Ruhm, Grösse, Kränze – kein Gefühl mehr dafür, die Harfe hängt in der Weide, – Schweigen. [. . .] Da sind noch einige Stellen mit Geist, einem sehr bewussten, tief melancholischen, schweigend sich erlebenden Geist, aber das Menschliche ist ausgeglüht, zerstoben. Die Schöpfung richtet ihr Ejakulat in andere Räume, andere Formen, andere Aufnahmeapparate, mit uns ist sie fertig. [. . .] s. das Anfangsgedicht! [d.i. Quartär – I]161
Die entsprechenden Vorarbeiten der Kontexte Orpheus’ Tod und Quartär – aus Nb 11 kondensierend schreibt Benn bereits am 27. Mai 1946: Was lebt, muss durchschnittlich sein, sonst wächst es ins Astrale u dort ist es kalt u. aufgelöst u. atemlos! Selbst geistige Produktion ist menschlichrückblicklich u. fast plump u familiär, es ist immer noch Glauben, aber echt ist nur, wer völlig sich versagt u. schweigt, [. . .]162
Im als erstes von den dreien fertiggestellten Gedicht, Rosen, taucht das Schweigen explizit als Telos jenseits des »Wahn« auf: Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen, wenn die Rosen vergehn.163
Beim Blick in die Notizbuch-Entwürfe zeigt sich, dass an den »Schweigen«Zeilen des Gedichts am stärksten gearbeitet und geändert wurde. Das Motiv des Schweigens findet sich in den Notizbüchern allerdings nicht erst in den Rosen-Entwürfen, sondern bereits zwischen den frühesten Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod und Quartär – auf Nb 11b 12r , Nb 11 13r / 13v und im Briefentwurf zum Bericht über den 60. Geburtstag Nb 11 16v . ich ertrage Schweigen, verschwiegen werden u vergessen.164 [. . .] ich habe genug Abwegigkeit, Einsamkeit, Ferne in die Welt – die kleine literarische meiner Zeit u Generation geschleudert, gespien oder gelallt. [I]ch kann gut schweigen. um allmählich [gut schweigen] zu können.165 sie dem Fluss hinabtreibt u. dann von den Ufern ihr Gesang gewissermassen aufgenommen wird, ist in der Ode enthalten.«, BOelze, S. 52. 161 Ebd., II.1, S. 54–56. Vgl. auch den Brief an Oelze vom 13. Juli 1947: »den letzten Zerfall nur in mir selbst schweigend erleben«, ebd., II.1, S. 83. 162 Ebd., II.1, S. 33. 163 D1 Rosen, siehe S. 855. 164 Nb 11b 12r 2–3, siehe S. 608. Die Niederschrift erfolgte nachträglich mit blauem Buntstift als Ergänzung zum vorangehenden Prosakonzept. 165 Nb 11 13r 8–12 /13v 1–4, siehe S. 638f.
896
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Abbildung 2: Ausschnitte Nb 11 21r 14–16 / 22r 15–17 mit Entwürfen zu Rosen.
[. . .] Essen in der Küche mit dem Dienstmädchen, Patienten u im übrigen kein Wort gesprochen. [. . .]166
Zumindest die beiden ersten Notizen müssen in ihrem resignativen Grundton auch vor dem Hintergrund von Benns zu jener Zeit desillusionierend verlaufenden Suche nach einem Verlag für die Statischen Gedichte gelesen werden. Spuren dieser Bemühungen sind in Notizbuch 11 in Form von die Vorarbeiten begleitenden Tagesnotizen und einem Widmungsgedicht zu den Statischen Gedichten an Rudolf Kurtz zu finden.167 Eng hiermit verknüpft sind auch die zahlreichen Notizen und Prosakonzepte, welche sich im Notizbuch-Selbstgespräch gegen die Kritik der »Zeitgenossen« verwahren,168 sich der eigenen zu stellen169 oder von der politischen und literarischen Gegenwart abzusetzen versuchen.170 Im Kontext der Quartär-Entwürfe gewinnt das Motiv des Schweigens eine neue, ins ›Geistige‹ gewendete, kontemplative Qualität171 –, hier in dem Prosa166 Nb 11 16v , siehe S. 651. Vgl. BOelze, II.1, S. 28. Steinhagen nimmt einen anderen Teil des Entwurfs wegen des Stichworts »Erinnerungen« als Vorarbeit zu Orpheus’ Tod auf, vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, 110f. 167 Nb 11 7r , 9r , 9v , 10r , 28r (siehe S. 614, 622, 625, 626, 676). 168 Nb 11 »Der Ekel vor den Zeitgenossen [. . .] wo einen zwar ihr Schuhsohlen u ihre Spucke, nicht aber ihre Worte u Gedanken erreichten.« 11r , siehe S. 630, »Ich richte mich allein u in der Beziehung habe ich den schwärzesten Talar an, –« 18v , siehe 659, »Wenn einer meinen Intellekt oder meine Geistigkeit verdächtigte [. . .]« 19r , siehe S. 660. Siehe S. 630, 659, 660. 169 Nb 11 16r , siehe S. 648; Konzept zu »Sich irren u doch sich weiter Glauben schenken müssen –: das ist der Mensch.«; vgl. auch Brief an Oelze vom 13. Mai 1948, BOelze, II.1, S. 130. 170 Nb 11 »So wie die weisse Rasse heute ist [. . .]« 7v , siehe S. 617; »ich habe genug Abwegigkeit, Einsamkeit [. . .]« 13r , siehe S. 638; »Wer Strophen liebt [. . .] er selber aber besitzt die Atombombe« 13v /14r , siehe S. 641f, vgl. auch Bürger: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. 2006, 67f; »kann nicht durch [. . .] Politik ersetzt werden« 14v , 19r , siehe S. 660. Nb 12 »die hündische Feigheit der geistigen vor den politischen Begriffen [. . .]« 1r , siehe S. 686. 171 Steinhagen charakterisiert den Gestus des Quartär-Gedichts als »monologisches Reflektieren«. Vgl. Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969. Vgl. auch Sorgs Analyse der paradoxen, entsubjektivierten Subjektivität des ›lyrischen Ich‹, seines auf Traditionen referierenden
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
897
konzept in Notizbuch 13 3v , welches aus den texträumlich umgebenden ersten Textstufen zu Quartär – I172 das Stichwort der »einsamen Seelen« aufgreift:173 Was noch da ist, sind einige einsame Seelen, etwas sehr bewusster, tief melancholischer, schweigend[er] sich erlebender Geist174
Noch auf den Folgeseiten der Entwürfe zu Quartär – setzen sich die Prosa- und Verskonzepte in Nb 13 11r bis 12r weiter fort, in diesem Fall direkt im Anschluss an die Abschrift einer Passage aus dem Roman des Phänotyp (»Statische Metaphysik«).175 Auffällig ist hier die Rückwendung von der kosmisch-anthropologischen Perspektive des Quartär-Gedichts auf das Schweigen des Künstlers, der »nach Formen ziel[]t« und »Wort, Laut, Ton« verkündet: Darfst Du Dich noch entfalten oder musst Du schweigend hinab im Schweigen der Uralten von Tibet oder im Grab Zählt es für Dich schon zu den Sünden, dass Du nach Formen zielst Wort, Laut, Ton verkünden – [. . .] will nicht als Sein Dein Schweigen [. . .]176
Mitunter sind es die verschlüsselt oder nur in begleitenden Notizen auftretenden Motive und Stichwörter, welche den Entstehungsprozess als Subtext mit strukturieren. Dies gilt etwa für das Denkmotiv der »Verwandlung«, welches zwar in den gedruckten Werktexten nicht genannt wird, jedoch die Schreibprojekte Orpheus’ Tod und Quartär – auf der Ebene des avant-texte miteinander verbindet. Mit Steinhagens Edition und Studie wurde deutlich, dass Ovids »Verwandlungen« in der Übersetzung J.H. Voß’ als Bearbeitungs- und Konstruktionsmatrize für das Orpheus-Gedicht gedient haben.177 Für das Gedicht Quartär – ist schon durch den Titel, aber auch durch das Versenken der »letzten Quartäre« ein Ende dieses den homo sapiens hervorgebracht habenden Erdzeitalters und somit entweder der Untergang oder die Verwandlung des Menschen indiziert. In »Alexandrinismus«, im »absoluten Gedicht« Quartär – und der resultierenden Monologizität. Sorg: Das lyrische Ich. 1984, S. 163–187, hier 181, 182. 172 Nb 13 1r , 1v , 4r . Siehe S. 768, 771, 780. 173 Vgl. auch den oben zitierten Brief an Oelze vom 15. Oktober 1946, BOelze, II.1, S. 55f. 174 Nb 13 3v , siehe S. 779. 175 Nb 13 10v , 11r . Siehe S. 807, 808. 176 Nb 13 12r , siehe S. 812. 177 »Haben Sie Ovids ›Verwandlungen‹ zur Hand?«, BOelze, II.1, S. 46. Vgl. auch Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969; Wodtke: Die Antike im Werk Gottfried Benns. 1963.
898
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
den erläuternden »Fussnoten« zu Quartär – I für die »Nicht-Philosophin und Nicht-Humanistin« Ilse Kaul verweist Benn explizit auf sein »Grundgefühl[] in Anbetracht der völlig entleerten, ausgelaugten Rassen u Gehirne«: 1) Die Menschheit ist zu Ende, die Erde fertig; die Schöpfung wendet sich neuen Rändern und neuen Verwandlungen zu [. . .] 3) Quartär: unser Erdzeitalter, der Mensch, ohne Haarkleid, mit Technik, der Nach-Affe – jetzt vorbei u. zu Ende, [. . .]178
Die Verknüpfung des Quartär-Endes mit der bevorstehenden Verwandlung des Menschen wird Benn später unter anderem in Der Ptolemäer prominent wieder aufgreifen,179 ihr anthropologischer Bezugsrahmen ist allerdings bereits als »Umwandlung, vielleicht [. . .] Verschwinden« des »hohe[n] Bewusstsein[s]«, der niedersinkenden »Fuge des Quartär«, im Oelze-Brief vom 13. August 1939 erkennbar.180 Die »Verwandlung« durchzieht als Stichwort und Motiv bereits die Vorarbeiten in den Notizbüchern 11 und 13. Der früheste Befund ist der an Goethe angelehnte Entwurf »In welche Formen wirst Du mich verwandeln [. . .]«, welcher bereits einige der in den späteren Entwürfen wieder aufgegriffenen Stichwörter und Motive einführt: In welche Formen wirst Du mich verwandeln auf welche Sterne wirst Du mich verwehn mit welchen Kräften wirst Du in mir handeln u dann mit welchen Tränen niedergehn?181
In der Folge tritt das Verwandlungsmotiv noch in mehreren Entwurfkontexten des Orpheus- und des Quartär-Gedichts auf, unter anderem zwischen den ersten Entwürfen zu Quartär – in Nb 13: Die Bilder bleichen u Zeichen Verwandlung genug ein letzter Zug182 178 TH2 Quartär 1v , siehe S. 819. Siehe auch S. 883. Vgl. SW, I, S. 438. 179 »das Quartär ging hintenüber«, ebd., V, S. 21. 180 »Das hohe Bewusstsein! [. . .] Seine geistigen Prozesse erscheinen völlig erschöpft. Überall, wo es sich noch aufspielt, sieht man sofort die Schminke, das Hervorgeholte, die enge Absicht, etwas Kleines. Offenbar ist es im Abgleiten, in einer Umwandlung, vielleicht im Verschwinden. / Die Fuge des Quartär! Bewusstsein! [. . .] Das ist das individuelle Bewusstsein, darüber ist es nicht hinausgekommen. / Nun wird es versinken. [. . .]« BOelze, II.1, S. 216–217. Vgl. auch Schärf: Die Fuge des Quartär. 2007, S. 191, 194. Für die anthropologische Perspektive des Quartär siehe 3–27. Vgl. auch Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011; Gess: Sie sind, was wir waren. 2012; Anacker: Anthropologie der Kunst. 2004. 181 Nb 11 8r 1–4. Siehe S. 618. 182 Nb 13 1v , siehe S. 771.
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
899
Mit den letzten Entwürfen zu Quartär – in Notizbuch 13 endet der Gedankengang nicht, Benn reflektiert weiter und zitiert gleich auf der folgenden Notizbuchseite wörtlich den Passus über die »Verwandlungszone« aus dem Roman des Phänotyp (Statische Metaphysik), welcher sich mit der Frage befasst, wo sich der Mensch verwandle: [. . .] Sie stellen das Problem der Peripherie dar, der Verwandlungszonen, die nicht immer in einer eindeutigen Richtung sich entfalten, nicht immer in eine Öffnung zu allgemeingiltigen Formen u. Ausdrucksgebilden sich erfahrungen münden [. . .].183
Es schließt sich, nach dem obigen Text in Tinte, eine Fortsetzung in einer BleistiftTextschicht an, welche der »Verwandlung« des Menschen die Frage nach der Entfaltung des individuellen »Du« entgegensetzt: Darfst Du Dich noch entfalten oder musst Du schweigen in Dir – hinab Schweigen mit den Alten [i]n Tibet oder im Grab.184
Wechselwirkungen im Schreibprozess
Die editorisch zu einem Entwurfkomplex zusammengefassten Gedichte Rosen, Orpheus’ Tod und Quartär – sind durch Motiv- und Stichwortketten so zu einem gemeinsamen poetischen Prozess verwoben, dass ihre Entstehung als gemeinsamer Schreibprozess zu betrachten ist – dies gilt vor allem für die prozessorientierte Arbeitsphase der Vorarbeiten. Die Textprojekte sind daneben durch übergeordnete textgenetische Zusammenhänge verbunden, geben sich gegenseitig Impulse oder weisen schreibstrategische Parallelen auf. Mit der Berücksichtigung dieser Faktoren bei der Rekonstruktion der Textentstehung befindet sich der Editor zweifellos im Bereich der Deutung. Umso wichtiger ist, diese Beobachtungen für den textkritisch interessierten Leser offen zu legen. Das folgende, im Kommentar zur Entstehungsgeschichte bereits als distanzierender Selbstkommentar zum Gedicht Rosen gekürzt wiedergegebene Prosakonzept befindet sich auf den ersten Seiten von Notizbuch 12 (2r , siehe S. 690).185 Es liegt somit an einer Schwellenposition im dossier génétique, nämlich zwischen den vorangegangenen, noch prozessorientierten Vorarbeiten zu Orpheus’ Tod und Quartär –, den Rosen-Entwürfen in Nb 11b und 11 auf der einen Seite und der auf den nächsten Notizbuchseiten folgenden produktorientierten Kompositionsbzw. Textualisierungsphase des Orpheus-Gedichts auf der anderen. Anzeichen für den Übergang zur Textualisierungsphase sind vor allem, dass Benn auf den 183 Nb 13 11r 4–12, siehe S. 808. Zur Radikalität der konzeptuellen Veränderung, welche die »Verwandlungszone« bedeutete, siehe S. 20. 184 Nb 13 11r 13–17. Siehe S. 808. 185 Siehe auch S. 878.
900
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
Folgeseiten in Nb 12 erstmals das Textmaterial aus der Voß-Übersetzung der Metamorphosen einführt (nach zweimaliger sporadischer Titelnennung in Nb 11)186 und zwischen den Notizen auch Textmaterial aus den vorigen Notizbüchern abschreibt, um es in diesem aktuellen Arbeits-Notizbuch präsent zu haben.187 Mitte Juli 1946 notiert Benn im Ton autobiografischer Rückschau über seine gegenwärtige Verfassung als Dichter und über die »Rosenverse«: Ein weiter Weg vom frühen GB, wüster Encephalitiker (Vermessungsdirigent) bis zum Verfasser der Rosenverse, die von Gustav Falke sein könnten u von Phili Eulenburg komponiert – zum Speien alles: das Stillestehn u das weiter müssen, der Stumpfsinn u die Produktion – alles von Fratzen umstellt, von Kötern umbellt, von Zweifeln zerstückt ein weiter Weg. von Schlangen an die Wand gedrückt u sich selber speiübel.188
Der Prosaentwurf wird, leicht abgewandelt, in den Brief an Oelze vom 19. Juli eingearbeitet.189 Benn kommentiert einerseits nachträglich das Rosen-Gedicht, dessen ästhetische Qualität seinen Avantgarde-Ansprüchen nicht zu genügen scheint, wie der Vergleich mit den Dichtungen Philipp zu Eulenburgs und Gustav Falkes zeigt.190 Das scharfe Urteil über die jüngste eigene dichterische Produktion bildet nicht nur den Auftakt für das auf den Folgeseiten Gestalt gewinnende Orpheus’ Tod-Projekt, die Passage nimmt auch bereits einige der 186 Das Einbringen des Textmaterials aus Voß’ Übersetzung der Metamorphosen lässt sich textgenetisch klar auf Nb 12 8r datieren: Erste Titelnennung »Orpheus’ Tod«: Nb 11 20r 1; 28r 1. Erste Anspielungen auf andere mythologische Quellen finden sich Nb 12 2v , 3r , 5v . Die Verarbeitung des Textmaterials reicht von Nb 12 8r bis 11v . 187 Nb 12 6r (von Nb 11 11v / 20r , Nb 12 26v 3–9, weiter bearbeitet Nb 12 7r / 10r ); Nb 12 9v 1–7 (von Nb 11b 12r 4–12, weiter verarbeitet Nb 12 10v ). 188 Nb 12 2r , siehe S. 690. Der zitierte Text ist nicht in den SW enthalten. Veröffentlicht wurde er erstmals Harald Steinhagen: Gottfried Benn. Texte aus dem Nachlass (1933–1955). In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 13 (1969), S. 98–114, hier S. 111. Abweichend liest Steinhagen nicht »Schlangen«, sondern »Schlägen«. Vgl. auch Nb 12 7v 1–2, siehe S. 713: »›Jeder soll seine eigenen Schlangen töten‹«. 189 Dort erscheint das Urteil über Rosen noch verstärkt: »Verfasser der harmlosen Rosenverse«, ansonsten wird die Passage sprachlich eher gemildert. BOelze, II.1, S. 39. 190 Möglicherweise hatte Benn Philipp zu Eulenburgs Rosenlieder im Sinn, welche neben Skaldengesängen zu seinen bekannteren Dichtungen gehörten, vgl. Philipp zu Eulenburg und Hertefeld: Rosenlieder. Gedichtet und in Musik gesetzt von Philipp zu Eulenburg. Berlin: Bote und Bock [ca. 1888]. Benn dürfte ferner zumindest in Grundzügen über die »Eulenburg-Affäre« informiert gewesen sein, die Maximilian Harden ab Herbst 1906 mit einer Reihe von publizistischen Angriffen und Prozessen gegen Eulenburg und die »Kamarilla« um Wilhelm II. führte. Vgl. Andreas Stuhlmann: Die »Literatur – das sind wir und unsere Feinde«: Literarische Polemik bei Heinrich Heine und Karl Kraus. Würzburg: Königshausen und Neumann 2010, S. 158–165. Von Gustav Falke sind zahlreiche »Rosen«-Gedichte bekannt, etwa Das Mädchen mit den Rosen, Von weissen Rosen, Späte Rosen, vgl. Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Braunschweig: Westermann 1919 (= Hamburgische Hausbibliothek), S. 23, 27,
Zur Konstitution des Entwurfkomplexes
901
später in den Entwürfen und Begleitnotizen wieder aufgenommenen Motive vorweg. So erscheint schon in diesem Prosakonzept der Dichter als physisch Angegriffener, wie später Orpheus. Auch die »Hündinnen« erscheinen hier bereits als »Köter«, welche den Dichter umbellen.191 Die Schlangen, welche ihn an die Wand drücken, kehren wieder in der Notiz »Jeder soll seine eigenen Schlangen töten –«192 und in der nachträglichen Charakterisierung der Poetik des Orpheus-Gedichts als »Mit-dem-Rücken-an-der-Wand-Stil«.193 Man kann sagen, dass von diesem Selbstkommentar auf das Gedicht Rosen nicht nur ein wesentlicher Impuls für die Textualisierungsphase von Orpheus’ Tod ausgegangen ist, sondern hier auch bereits einige wichtige Motive für die spätere Fortsetzung bereits vorhanden sind. Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass zwar schon früh die Voß-Übersetzung von Ovids »Verwandlungen«194 als Quelle des Orpheus-Gedichts und das »Nekyia«Zitat aus dem elften Gesang der Odyssee Homers in Quartär – II identifiziert,195 diese Funde aber nie in einem textgenetischen Zusammenhang gesehen wurden. Die Einführung der beiden mythologischen Intertexte stehen in einem textgenetisch-chronologischen Zusammenhang. Oben wurde bereits dargestellt, dass mit der Einführung der Voß-Quelle in Nb 12 die Montagephase des Orpheus-Gedicht beginnt. Die Textualisierungsphase von Quartär – beginnt, direkt folgend auf die Arbeiten in Nb 12, mit der Einführung des Homer-Zitats auf der ersten Seite des Notizbuchs 13. Die ersten drei Zeilen zitieren, von Benn datiert, das Opferritual des Odysseus,196 welches bei Homer die Totenschau auslöst: 36. Zur »Verbundenheit von Dichter und Landschaft« des Impressionisten Falke vgl. Ruth SchmidtWiegand: Gustav Falke. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 5. 1961, S. 7–8. 191 Bei Voß sind die Hunde noch ohne Geschlechtsbestimmung und nicht die Angreifer, Orpheus wird den »Hunden ein Raub«, Ovid: Ovids Verwandlungen. 1875, S. V. 130. Die Hunde bzw. das ›Hündische‹ spielt zwei Notizbuchseiten weiter vorn in einem weiteren Prosakonzept eine Rolle, welches auch Benns antizipierte isolierte Position als Intellektueller im Nachkriegsdeutschland reflektiert: »die hündische Feigheit der geistigen vor den politischen Begriffen. [. . .]«, Nb 12 1r, siehe S. 686. 192 Nb 12 7v 1–2, siehe S. 713. 193 Brief an Oelze vom 4. Oktober 1946. BOelze, II.1, S. 53. 194 Wodtke: Die Antike im Werk Gottfried Benns. 1963; Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969. 195 Wodtke: Die Antike im Werk Gottfried Benns. 1963; Homeyer: Gottfried Benn und die Antike. 1960, Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. 1969, S. 188. Wodtke gibt Rohde als Benns Quelle für das Nekyia-Motiv an. Anhand des Quellenbefundes kann dies direkt nicht bestätigt werden, obwohl Benn Rohdes Psyche zweifellos gekannt hat. Vgl. Erwin Rohde: Psyche. Freiburg i.B.: Mohr 1894. Wahrscheinlicher ist, dass Benn direkt auf Voß zurückgegriffen hat. 196 Die Wertung des Motivs in diesem Kontext ist übrigens nicht einhellig. Während es von den meisten Interpreten neutral als antikisierende Referenz und als ›Vorspiel‹ zur Totenschau gesehen
902
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen I. X 46. Unterwelt – »Zerschnitt die Gurgeln über der Grube aus dem Erebos kamen viele Seelen herauf«197
Die Erwähnung des »Erebos« verweist zurück auf die ersten beiden Verse des zu diesem Zeitpunkt gerade erst fertiggestellten Orpheus-Gedichts mit dessen Prosopopöie der Eurydice (»Wie du mich zurücklässt, Liebste, – / Von Erebos gestossen«),198 an die »Seelen« schließen sich auf derselben Seite bereits die »einsamen Seelen, hoch u alt« an. Man kann demnach sagen, dass der Einbezug der Intertexte von Ovid und Homer (in beiden Fällen Totenbeschwörungs- und Hadesfahrt-Referenzen) sowohl bei Orpheus’ Tod als auch bei Quartär – eine wesentliche Rolle bei der Einleitung der Textualisierungsphase gespielt haben. Es handelt sich hierbei um eine schreibstrategische Analogie, welche die Entstehung der beiden Texte, deren Vorarbeiten in Nb 11 und 12 bereits durchmischt vorliegen, auch auf der Ebene der Textualisierung verknüpft.
Textgenese, Kontexte, ergänzende Hinweise Die Vorarbeiten und Entwürfe stehen in biografischen und intertextuellen Bezügen, die sich an den begleitenden Tages- und Lektürenotizen ablesen lassen. Steinhagen hat nachgewiesen, dass die frühen Entwürfe zu Orpheus’ Tod offenbar unter dem Eindruck der Trauer um seine Frau Herta entstanden sind, die sich in den letzten Kriegstagen das Leben genommen hatte. Dieser Bezug wird durch den Befund in Nb 11b, das Steinhagen seinerzeit noch nicht vorgelegen hat,199 nochmals bestätigt. Der Entwurf zu Orpheus’ Tod Nb 11b 12r 4–12 schließt sich texträumlich – allerdings abgetrennt durch einen Abteilungsstrich und eine Notiz (»ich ertrage Schweigen[. . .]«) – an ein Prosakonzept an, in welchem auch auf den Verlust H[ertas] Bezug genommen wird: Pläne für mein Leben habe ich nicht mehr, keine Hoffnung, auch keine Sehnsucht. Das Einzige wäre, nicht in Berlin u Umgebung beerdigt zu werden, wird, sieht Sorg darin im Rahmen des Gedichts eine durch die Kunst aufzuhebende »archaische Barbarei« repräsentiert. Sorg: Das lyrische Ich. 1984, S. 180. 197 Nb 13 1r 1–3, siehe S. 768. 198 In der späteren Bearbeitung Nb 13 6r (siehe S. 788) fällt das verbindende Element »Erebos« dann weg zugunsten eines neu gestalteten Zitats: »Ich schnitt die Gurgel den Schafen / u füllte die Grube mit Blut, / die Schatten kamen u trafen / sich hier, ich kannte sie gut.« (ebd.) Vgl. auch die Stelle in der Übersetzung von Voß: »Nahm ich die Schaf’, und zerschnitt die Gurgeln über der Grube; / Schwarz entströmte das Blut: und aus dem Erebos kamen / Viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten. / Jüngling’ und Bräute kamen, und kummerbeladene Greise, Und aufblühende Mädchen, im jungen Grame verloren. / Viele kamen auch, von ehernen Lanzen verwundet, / Kriegerschlagene Männer, mit blutbesudelter Rüstung. [. . .]« Homer: Homers Odyssee. 1843, S. V. 35–41. 199 SW, VII/2, S. 460.
Textgenese, Kontexte, ergänzende Hinweise
903
zwar giebt es | wieder Vollsärge u man wird nicht mehr in Papier eingewickelt u auf dem Bayerischen Platz eingegraben, aber ich denke, es wäre in einem Dorfe schöner. Ich bleibe hier, weil ich das Gefühl habe, dass H noch hier ist, in der Wohnung, auf | den Strassen – ich ertrage Schweigen, verschwiegen werden u vergessen. an Tote zu denken ist süss, so Vollendete, Entferntes dunkler Erde ruhend. man hört die Stimmen die dunkle Lieder s[a i] ngen u fühlt die Küsse auch die flüchtigen u [süssen tiefen] .200
Die Bedeutung der biografischen Konstellation wird Benn auch in späteren Jahren betonen, zum Beispiel, wenn er in einem Brief an Oelze vom 27. März 1949 zum Gedicht Acheron schreibt: Das Gedicht »Acheron« stammt wohl aus dem vorigen Jahr. [. . .] Ich nahm das Gedicht auf – gegen den Widerstand meiner Frau. [. . .], doch in diesem Punkt ist sie schwierig, sie fühlt die innere u. äussere Macht, die meine verstorbene Frau immer noch über mich ausübt, und das kränkt sie. Daher auch Gedichte wie »Orpheus’ Tod«, »Dann –« »Kleines süsses Gesicht« von ihr bekämpft werden. [. . .]201
Zur den an diesen Aspekt anschließenden biografischen Deutungslinie siehe S. 72f. Im textgenetischen Umfeld der Vorarbeiten und Entwürfe zu Orpheus’ Tod, Quartär – und Rosen dokumentieren zahlreiche Notizen und Prosaentwürfe die zeitgleichen Bemühungen Benns um einen Verlag für die Statischen Gedichte und belegen seine Befürchtungen, als Dichter nach Kriegsende wegen seiner zeitweiligen, selbstgewählten Nähe zum Nationalsozialismus weiterhin zum Schweigen verurteilt zu werden202 , 203 – ein mögliches Schicksal, das er gelegentlich vorgab, mit »Nonchalance« tragen zu wollen.204 Dieses Textmaterial im lokalen Umfeld der Entwürfe wurden in bisherigen Editionen aus systematischen Gründen 200 Siehe S. 607, 608. Vgl. auch ebd., VII/2, S. 460. Vgl. auch Brief vom 18. November 1945 an Else C. Kraus und Alice Schuster, AusgB, S. 83. 201 SW, II.1, S. 193. 202 Nb 11b 12r 2-3; Nb 11 7r 1–7, 11r 1–6, 13r –13v , 16r 9–10, 18v 1–4, siehe S. 608, 614, 630, 638– 641, 648, 659. Das Motiv des Schweigens bzw. Verstummens zieht sich entsprechend durch die Entwürfe und Vorarbeiten zu allen drei Gedichten, siehe S. 894–897. 203 Vgl. auch das die historischen Positionen abwägende Kapitel »Irrtum, Kontinuität oder Verrat« bei Lethen: Der Sound der Väter. 2006, S. 174–180. 204 Vgl. BOelze, II.1, S. 54, Nb 11 19r ; Nb 12 13v 10–11, siehe S. 660, 737.
904
Orpheus’ Tod · Quartär – · Rosen
ebenso ausgeblendet wie die begleitenden poetologischen Fragmente und Selbsterläuterungen zu den Gedichten. Die Arbeiten an Orpheus’ Tod und Rosen fallen nicht nur wegen Herta Benns Tod und wegen der schweren Nachkriegstage in eine Zeit allgemeiner Trübnis. Benn zweifelte in diesen Tagen offenbar daran, dass er nach 1945 in Deutschland wieder würde veröffentlichen können. Als »unerwünschter Autor« fürchtete er, nach dem Krieg von den Besatzungsbehörden erneut Publikationsverbot zu erhalten.205 In der Tat verhielten sich die Verleger Benn gegenüber vorsichtig, weil er offenbar in einigen deutschen Sektoren auf »schwarzen oder grauen Listen« geführt wurde.206
205 Sein streckenweise trotziger Entwurf für ein Willkommen den literarischen Emigranten im März 1945 zeugt von Benns Befürchtung, von den früher angefeindeten »Emigranten«, den »Besserwissern«, ungerecht abgeurteilt zu werden. Vgl. SW, VII/2, S. 124–127, vgl. auch die Antwort an die literarischen Emigranten. Seinem Gefühl intellektueller Isolation in Nachkriegsdeutschland gab Benn später in seinem Brief vom 18. Juli 1948 an Hans Paeschke Ausdruck, den dieser dann Februar 1949 als Berliner Brief im Merkur veröffentlichte. Vgl. ebd., V, S. 56–61. 206 Siehe S. 572, 570, 571.
Reisen
Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
906
Notizbuch 15a, 907 · Notizbuch 15c, 910 · H1 Reisen, 912 · TH1 Reisen, 914 · D1 Reisen, 916 · TH2 Reisen, 917 · TH3 Reisen, 918 · D2 Reisen, 919 · Druckvarianten, 920.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . .
921 924
906
Reisen
[1.2] — Notizbuch 15a 51v
907
Nb 15a 51v
hell, kühl, 6°+ morgens Letztes Mal Beratungsstelle. Reisen. Telefon 31 M bezahlt. 20 M – für 5 M Marken. 31 5 20 Exemplare “Doppelleben“ 5 Mathilde 3 Cigaretten [2 3] Auto 67. M. Abends zu Haus.
– mit Felsen u Meer
[1.1] → [1.2] : 11–14 bKu → [2]
Reisen sind öfter leer dass es kein Reisen tut Sommern sich mit Sonnen u Glut
3
6
9
12
99K [5] Titel Reisen
908
Reisen
Nb 15a 52r
3
Ly: Meinen Sie Zürich zum Beispiel Sei eine tiefere Stadt wo man Wunder u Weihen immer als Inhalt hat –
3 I
Ach die Städte sind alle 6
9
12
15
18
21
Glauben Seien Sie sicher in Ihnen selber liegt der Beschluss, ichhafte Stilleren Weiten ob Sie dem Tieferen dienen oder dem Glück u Genuss Augen Leiden – rue’en Bahnhofstrassen u Ga? x? ten Lidos Boulevards, Quais, Laa’[ns n] Selbst auf den fifte Avenuen Fällt Sie die Leere an wollen Sie immer bedenken nur Sie selber durchtränken beschenken sich mit Schweigen u Glut
[1.1] : 1–21 bKu → [1.2] [2] [3]
99K [5] 1–12 Reisen
[1.1] — Notizbuch 15a 52r
909
910
Reisen
Nb 15c 9r
3
6
9
hell, etwas wärmer 10°+ Im “Spiegel“ Aufsatz Rotzoll Busch M 10. Nachm. Dahlem Dorf Ostereier an Diebo Bode Abends Flint.
Ach, vergeblich das Fahren! träumen u tragen Sie sich – Bleiben u stille bewahren das sich umgrenzende Ich!
[1.1] [1.2] → [2] : 7–10 bKu → [3]
99K [5] 13–16 Reisen
[2] — Notizbuch 15c 9r
911
912
Reisen
H1 Reisen 1r
Reisen: 3
6
9
12
15
18
21
24
Meinen Sie Zürich zum Beispiel Sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder u Weihen immer als Inhalt hat? Meinen Sie aus Habanna weiss u hibiscusrot bräche ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot? Bahnhofstrassen u rue n Boulevards, Lidos, Laan Selbst auf den fifte Avenuen fällt Sie die Leere an.
–
fifthe
ach vergeblich das Fahren Drängt es Sie Cars u Steamer Leiden Sie , sagen Sie sich: spät erst erfahren Sie sich: Bleiben – u stille bewahren sich das umgrenzende Ich! das sich erleidende Ich lokaler Bezug Träumen Sie alles in prüfbare Bdtung Bleiben Sie einsam für sich Bleiben u stille bewahren Das sich umgrenzende Ich!
[1.1] [2] → [3] : 1–25 bKu → [4]
99K [5] 1–16 Reisen
[3] — H1 Reisen 1r
913
914
Reisen
TH1 Reisen 1r
[R R] eisen.
3
6
9
Untertitel cursiv sperren
Meinen Sie Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat? Meinen Sie,aus Habana, weiss und hibiskusrot, bräche ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot? [B B] ahnhofstrassen
12
15
und rue’en, Boulevards,Lidos,Laan– selbst auf den fifthe avenue’en fallt Sie die Leere an–
5.
ach,vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich: bleiben und stille bewahren xa das sich|umgrenzende Ich.
18
× G.B.
[3] → [41 ] : 1–17 Ms ←- → [5] ,→ [42 ] : 1, 10, 12, 17–19 Ku → [5] [43 ] : 1, 12, 18–19 Bl (fr. Hand)
99K [5] 1–16 Reisen 99K [5] Titel, 9, 11 Reisen
[41–3 ] — TH1 Reisen 1r
915
916
Reisen
D1 Reisen Reisen
3
6
9
12
15
Meinen Sie, Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat? Meinen Sie, aus Habana, weiß und hibiskusrot, bräche ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot? Bahnhofstraßen und rue’en, Boulevards, Lidos, Laan – selbst auf den fifth avenue’en fällt Sie die Leere an – ach, vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich: bleiben und stille bewahren das sich umgrenzende Ich.
[5] [6] — D1, TH2 Reisen 1r
917
TH2 Reisen 1r Reisen. Meinen Sie Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat? Meinen Sie, aus Habana, weiss und hibiskusrot, bräche ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot? Bahnhofstrassen und rue’en Boulevards, Lidos, Laan– selbst auf den fifth avenue’en fällt Sie die Leere an– ach, vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich: bleiben und stille bewahren das sich umgrenzende Ich. –––––
[4] → [6] : 1–18 Ms → [8]
3
6
9
12
15
918
Reisen
TH3 Reisen Reisen.
3
6
9
12
15
Meinen Sie Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat? Meinen Sie, aus Habana, weiß und hibiskusrot, bräche ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot? Bahnhofsstraßen und rue’en, Boulevards, Lidos, Laan – selbst auf den fifth avenue’en fällt Sie die Leere an – ach, vergeblich das Fahren ! Spät erst erfahren Sie sich: bleiben und stille bewahren das sich umgrenzende Ich.
18
––––
“Neue Zeitung“ 25 XII 50.
[4] → [71 ] : 1–18 Ms → [8] [72 ] : 19 bKu
[7] [8] — TH3, D2 Reisen
919
D2 Reisen Reisen Meinen Sie Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat? Meinen Sie, aus Habana, weiß und hibiskusrot, bräche ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot? Bahnhofstraßen und rue’en, Boulevards, Lidos, Laan – selbst auf den fifth avenue’en fällt Sie die Leere an – ach, vergeblich das Fahren! Spät erst erfahren Sie sich: bleiben und stille bewahren das sich umgrenzende Ich.
3
6
9
12
15
920
Reisen
Druckvarianten Druckvarianten zu D2 Reisen 9 11 13
D3 D3 D3
Bahnhofstraßen und Rueen, selbst auf den Fifth Avenueen Ach, vergeblich das Fahren!
Überlieferung und Chronologie
921
Überlieferung und Chronologie Notizbuch 15a [1] Nb 15a (DLA, »Arbeitsheft 15a«, Bestand Benn); Notizkalender »Merck« für das erste Quartal 1950 (100 × 138 mm, fadengeheftet). verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe (Bleistift, Kugelschreiber, verschiedene Tinten). Benn nutzte den Kalender vom 1. Jan. durchgängig bis 31. März 1950 als Tagebuch, für private Notizen, Abrechnungen und Praxisnotizen, daneben auch Gedichtentwürfe. Editorisch wiedergegeben werden die beiden hs. auf 3. Januar datierten Entwürfe zu Reisen auf der Doppelseite 51v /52r (Kalenderblatt zum 31. Januar und Blatt »Notizen«). [1] Nb 15a [1.1] 52r 1–21bKu ↓ [1.2] [2] [3]
908 99K [5] 1–12 Reisen
Datiert 3. Januar 1950.
[1.2] 51v 11–14bKu ↓ [2] ↑ [1.1]
907 99K [5] Titel Reisen
Notizbuch 15c [2] Nb 15c (DLA, »Arbeitsheft 15c«, Bestand Benn); Notizkalender »Merck Darmstadt« für das zweite Quartal 1950 (100 × 138 mm, fadengeheftet). X von Y Blatt beschrieben, verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Bleistift, Kugelschreiber, verschiedene Tinten). Benn nutzte den Kalender vom 1. April durchgängig bis 31. Juni 1950 als Tagebuch, für private Notizen, Abrechnungen und Praxisnotizen, daneben auch Gedichtentwürfe. Editorisch wiedergegeben wird der Entwurf zu Reisen auf Seite 9r (Kalenderblatt zum 7. April). [2] Nb 15c 9r 7–10bKu ↓ [3]
↑ [1.1] [1.2]
910 99K [5] 13–16 Reisen
Um den 7. April 1950 (Kalenderblatt).
H1 Reisen [3] H1 Reisen (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Manuskript (210 × 295 mm), recto beschrieben mit Entwurf zu Reisen, o.D. [3] H1 Reisen 1r 1–25bKu 912 ↓ [4]
↑ [1.1] [2]
99K [5] 1–16 Reisen
922
Reisen
TH1 Reisen [4] TH1 Reisen (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript zu Reisen (210 × 295 mm) mit hs. Korrekturen und Ergänzungen, recto beschrieben. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Schreibmaschine, Kugelschreiber, Bleistift). Das Typoskript diente offenbar als Druckvorlage für den Erstdruck in der Neuen Zeitung. Der Vermerk des Redaktors »Untertitel cursiv sperren« bezieht sich auf den gemeinsamen Titel »Wie weit willst Du noch gehen?«, unter dem Reisen und Ein Schatten an der Mauer unter [6] gedruckt wurden. [4] TH1 Reisen [41 ] 1r 1–17Ms [42 ] 1r 1, 10, 12, 17–19Ku [43 ] 1r 1, 12, 18–19Bl
914 914 914
Redaktionsanweisungen von fremder Hand.
D1 Reisen [5] D1 Reisen In: Die Neue Zeitung. Frankfurter Ausgabe. Nr. 304/305. 23. Dezember 1950, S. A5. Abgedruckt zusammen mit Ein Schatten an der Mauer (unter dem Titel Schatten) unter gemeinsamer Überschrift »Wie weit willst du noch gehen?«. Der abweichende Strophenwechsel geht auf einen Satzfehler oder Eingriff des zuständigen Zeitungsredakteurs zurück. Dieselbe Fassung, ohne diesen Druckfehler, wurde am 27. Juli 1951 in der Zürcher Weltwoche abgedruckt.1 [5] D1 Reisen
916
TH2 Reisen [6] TH2 Reisen (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript zu Reisen (210 × 295 mm), nicht signiert, o.D. In: Sammeltyposkript, nach Benennung von Oelze: »Fragmente I (Fassung) Reihe Ende Juni 50«, dort Blatt 11. [6] TH2 Reisen 11 1–18Ms
917
TH3 Reisen [7] TH3 Reisen (DLA, Bestand Oelze); ein Blatt Typoskript zu Reisen (210 × 295 mm), nicht signiert, o.D. In: Sammeltyposkript, »Fragmente 20 Gedichte. G.B. II/51«, von Oelze Empfangsvermerk: »rec. 2/III.51«, dort Blatt 21r . [71 ] TH3 Reisen 11 1–18Ms [72 ] TH3 Reisen 11 19bKu Der Vermerk »›Neue Zeitung‹ 25 XII 50.« verweist auf den Erstdruck. 1
Gottfried Benn: Reisen. In: Die Weltwoche. 27. Juli 1951. 19. Jg. Nr. 924, S. 5.
918 918
Überlieferung und Chronologie
923
D2 Reisen [8] D2 Reisen In: Fragmente. Wiesbaden: Limes 1951, S. 31. (2. Aufl. 1953 unverändert) [8] D2 Reisen
919
DrF Reisen (DLA, Bestand Benn) Druckfahne der Fragmente, mit hs. Korrekturen von Benns Hand, acht Seiten (160 × 420 mm), Reisen auf S. 8, nicht hs. korrigiert, textidentisch mit D2 Reisen.
D3 Reisen [9] D3 Reisen In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956, S. 343. [9] D3 Reisen
920
Weitere Drucke Reisen In: Die Neue Zeitung, 29.12.1950, Nr. 303, S. 7. (Mit abweichendem Druckfehler. Richtige Strophenaufteilung, jedoch fehlendes »h« bei »ibiskusrot«.) Zürich In: Der Abend, Berlin, 16. Juni 1951.2 Reisen In: Die Weltwoche, Zürich, 924, 27. Juli 1951. Reisen In: Schwäbische Zeitung. 24.5.1956, Jg 12, Nr. 12, Feuilleton.
2 Vgl. Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 235. Artikel Um die Ecke: Gottfried Benn. Zu seinem neuen Gedichtband »Fragmente« mit Gedichtabdruck übersandt an Oelze am 19. Juni 1951. Vgl. BOelze, II.2, S. 107.
924
Reisen
Entstehung und Druckgeschichte Das Gedicht Reisen ist an den Daten 3. Januar, 7. April 1950 und vmtl. an den unmittelbar darauf folgenden Tagen in Berlin geschrieben worden. Erstmals gedruckt wurde es am 23. Dezember in der Frankfurter Ausgabe der Neuen Zeitung und im Mai 1951 in der Sammlung Fragmente beim Limes Verlag. Benn konzipiert die ersten drei Strophen des Gedichts am 3. Januar 1950 in Notizbuch 15a, die vierte wahrscheinlich am 7. April in Notizbuch 15c. Zusammengesetzt werden sie offenbar erst in der nicht datierten Konzepthandschrift H1 Reisen. Zusammen mit 10 weiteren Gedichten sendet Benn das Gedicht Reisen am 12. Juni 1950 an Oelze.3 Am 23. Juli schickt Benn ein zweites GedichteKonvolut an Oelze, zusammen bilden die beiden den Textbestand der späteren Fragmente.4 Benn überlässt der Frankfurter Ausgabe der Neuen Zeitung auf mehrere Bittschreiben5 des Feuilletonchefs Bruno E. Werner hin die Gedichte Reisen und Ein Schatten an der Mauer für den Erstdruck in der Weihnachtsbeilage. Am 25. Februar 1951 schließlich sendet Benn ein Sammeltyposkript Durchschläge mit 20 Gedichten, betitelt »Fragmente« an Oelze: Anbei eine Sendung für das Archiv: 20 Gedichte, von denen Sie einige kennen, ich weiss heute noch nicht, ob und wann ich sie publiziere. Sie haben nur Sinn, wenn sie alle zugleich publiziert werden, sie ergänzen einander und heben sich gegenseitig auf. [. . .] Isolierung von »Fragmentchen« zu Ihren Händen.6
Am 2. April 1951 regt Max Niedermayer ein »schmales Bändchen« an, weil »oft nach neuen Gedichten von GB gefragt« werde.7 Bereits am 7. April sendet Benn ein Sammeltyposkript unter dem Titel Fragmente an Niedermayer, offenbar das Original der zuvor an Oelze gegangenen Durchschrift: »Anbei eine Serie von 20 Gedichten, ziemlich bösartige Sachen darunter.«8 Am 9. April regt Niedermayer von sich aus an, die Fragmente als eigenständigen Band zu veröffentlichen: 3 BOelze, II.2, S. 40, 301. Dieses Konvolut wurde von Oelze hs. betitelt und ungenau datiert: »›Fragmente‹ 1950/51 I. (Fassung) Reihe Ende Juni 50«. 4 Ebd., II.2, 52f, 305. Dieses Konvolut wurde von Benn signiert und datiert: »Herrn Oelze zu seinen Fragen nach Ruhm, Vornehmheit und Fehlbeträgen. 19. VII 50.« Oelze datiert: »II. (Fassung) Reihe 20. VII. 50«. 5 Unveröff. Briefe, DLA, vom 25. 3. 1949, 13. 5. 1950 und schließlich 14. 10. 1950, 28. 11. 1950. Am 6. 12. 1950 bestätigt Werner den Erhalt der drei Gedichte Reisen, Ein Schatten an der Wand und Denk’ der Vergeblichen. Das letztere bittet Werner später in der Neuen Zeitung abdrucken zu dürfen. 6 BOelze, II.2, S. 89f, 315. Oelzes Empfangsvermerk »rec. 2/III. 51 Oe«, Sammeltyposkript Fragmente 1951, SW, I, S. 343. 7 BLimes, S. 381. 8 Ebd., S. 381f. Es handelte sich hierbei vmtl. um das Original der Durchschrift, die zuvor an Oelze ging.
Entstehung und Druckgeschichte
925
Soll ich aus diesen zwanzig Gedichten nicht einen Band machen — keinen pompösen Leinenband, aber schön broschiert? Ich habe noch gute Papierreste, die gerade für etwas Derartiges reichen, und verkaufen werden wir es schon. Wir könnten es im Herbst machen, vielleicht auch noch bis zum Mai. Ja, es könnte sogar bis zum Mai noch klappen. Dann können Sie Ihre Gratulanten beschenken.9
Nach einigen Korrekturen und Hinzunehmen des Gedichts Eine Hymne gibt Benn sein Imprimatur am 2. Mai. Am 10. Mai wurde der Verlagsvertrag für die bereits in Druck befindlichen Fragmente unterzeichnet.10 Am 1. und 4. Juni treffen die gedruckten Exemplare der Fragmente bei Benn ein.11 Die Veröffentlichung der Sammlung wurde von einem Schlagabtausch über den Titel überschattet, ausgelöst von Rainer Maria Gerhardt, dem Herausgeber der literarischen Zeitschrift Fragmente.12 Aus Benns Fragmente-Sammlung wurden einige Gedichte in Zeitungen nachgedruckt – darunter vor allem Reisen. Benn hat das Gedicht mehrfach im Rundfunk gelesen. Schließlich wurde es in die Gesammelten Gedichte aufgenommen.
9 Ebd., S. 385. 10 Ebd., S. 396, 398, 401, 405, 1035. 11 Ebd., S. 414, 1038. 12 Benn hatte sich zuvor sehr für den kleinen Kreis von Freiburger Avantgarde-Lyrikern interessiert, hatte ihn positiv in einem Radio-Interview erwähnt und sich mit Gerhardt auf einen Briefkontakt eingelassen. Gerhardt allerdings begann in der Folge die literarische Qualität von Benns Arbeiten öffentlich zu diskreditieren und versuchte mit Druck auf den Limes Verlag zu erreichen, dass Benn in einem Vorwort zu seinem Gedichtband auf seine Zeitschrift hinweist. Benn hierzu gegenüber Niedermayer am 26. April: »[. . .] ich habe nicht die Absicht, Herrn G.s Wunsch in irgendeiner Weise zu entsprechen. Das Wort ›Fragmente‹ ist kein Monopol von den Freiburgern, sie mögen selber abgrenzen oder mitgeben, was sie wollen.[. . .]«, ebd., S. 402, vgl. auch Gerhard: Umkreisung. Das Gesamtwerk. 2007; Uwe Pörksen: Rainer Maria Gerhardts legendäre Zeitschrift »fragmente« und sein Versuch, am Thron Benns zu rütteln. In: Helmut Böttiger u. a. (Hrsg.): Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland. 2 Bde. Bd. 2. Göttingen: Wallstein 2009, S. 395–402.
Nur zwei Dinge
Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
928
Notizbuch 18b, 929 · TH1 Nur zwei Dinge, 936 · TH2 Nur zwei Dinge, 938 · TH3 Nur zwei Dinge, 940 · D1 Nur zwei Dinge, 943 · Druckvarianten, 944.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
945 948 948
928
Nur zwei Dinge
[1.1] — Notizbuch 18b 3v
929
Nb 18b 3v
trübe. Dieter mittags, I Theater mit Dieter. 10 M M Abends Reichshof, Flint
3
6
Ob Rose ob Schnee ob Meere wie sie blühten u verblichen. es gibt nur 2 Dinge: die Leere u das gezeichnete Ich.
Keine Krisen, keine Krone weder Inneres noch Gestalt Ein gepflegter Epigone ohne Selbstgehalt.
12
15
[1.1] : 11–16 bKu → [21 ]
9
99K [5] 13–16 NzDinge
930
Nur zwei Dinge
Nb 18b 4r
Schnee.
3
6
9
12
Trübe. [...]5 Haushalt 20 M Frl [...] 3 Frl [...] 3 [...] 5 Zoonose (Letzte) 16 M 20 von Ilse 120 I zu Solti Konzert Titan. Ich 2 Flaschen Beckbier von Flint, gearbeitet Einleitung zu Kolbeabend. Abends neuer Schnee.
Notizbuch 18b 4r
931
932
Nur zwei Dinge
[1.2] — Notizbuch 18b 4v
933
Nb 18b 4v
Etwas Schnee.
Tappe hier. mit Frau
-1° Bank 787 M Frl [...] 3 [...] 5 [...] 28
3
6
Abends viel Schnee Dramburg mit Geltkants. Ob Sinn ob Sucht Ob Sage: Das eine dunkle: Du musst 9
12
[1.2] : 9–12 bKu → [1.3]
99K [5] 8–9 NzDinge
934
Nur zwei Dinge
Nb 18b 5r
3
6
9
12
15
starker Schneefall nachts. Morgens auch Schneefall. Nachm. Tau Matsch. M Von “Weltwoche“ 47 M Abends Reichshof. 0° Durch viele Formen geschritten Durch Ich u Wir ? u [, Du] doch alles wurde erlitten die Frage: wozu . ewige Es ist eine Kinderfrage Der Mann hat immer gewusst Es gibt nur eines: ertrage Das Du musst. dunkle Frl Maria ∗ Ob Sinn oder Sage:
[1.2] → [1.3] : 6–16 bKu → [21 ]
99K [5] 1–9 NzDinge
[1.3] — Notizbuch 18b 5r
935
936
Nur zwei Dinge
TH1 NzDinge 1r
Nur Zwei Dinge .
3
6
9
12
15
Durch soviel Formmen gesc[s h] ritten, durch Ich und Wir und Du, doch alles wurde erlitten blieb durch die ewige Frage:wozu. Das ist eine KInderfrage. be Der Mann hat immer gewusst bewusst Du hast zu spät gewusst es gibt nur eines: ert[ar ra] ge – ob Sinn,ob Sucht ob Sage – fern [d a] s eine dunkle:du musst. In Dir bestimmte: Du musst ewig Ob Rosen,ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte (und ) verblich es gibt nur zwei Din[f g] e:die Leere und das geze[ci ic] hnete Ich. GB 7/I 53
[1.1] [1.3] → [21 ] : 2–15 Ms ←- → [31 ] ,→ [22 ] : 1–4. 6–13, 15–16 Ku → [31 ]
99K [5] 1–16 NzDinge 99K [5] Titel, 1–3, 6–11, 13 NzDinge
[21,2 ] — TH1 NzDinge 1r
937
938
Nur zwei Dinge
TH2 NzDinge 1r
Nur zwei Dinge
3
6
9
12
Durch soviel Formen geschritten, durch Ich und Wir und Du, doch alles blieb erlitten durch die ewige Frage:wozu? Das ist eine Kinderf[a r] age. Du hast erst spät gewusst, es gibt nur Eines:ertrage dein fernbestimmtes :du musst. Ob Rosen,ob Schnee,ob Meere, was alles verblühte,verblich, es gibt nur zwei Dinge:die Leere und das gezeichnete Ich.
[21,2 ] → [31 ] : 1–13 Ms ←- → [41 ] ,→ [32 ] : 13 Ku → [41 ]
99K [5] 1–16 NzDinge 99K [5] 16 NzDinge
[31,2 ] — TH2 NzDinge 1r
939
940
Nur zwei Dinge
TH3 NzDinge 1r
Nur zwei Dinge
3
6
9
12
15
viele Durch soviel Formen geschritten, durch Ich und Wir und Du, doch alles blieb erlitten durch die ewige Frage:wozu.
Das ist eine Kinderfrage. Am Ende Dir wurde zu spät bewusst, Hättest Du doch gewusst es gibt nur eines:ertrage –ob Sinn,ob Sucht,ob Sage– das ein fernbestimmtes:du musst. Ob Rosen,ob Schnee,ob Meere, was alles erblühte,verblich,– es gibt nur zwei Dinge:die Leere und das gezeichnete Ich. GB
[31,2 ] → [41 ] : 1–15 Ms ←- → [5] ,→ [42 ] : 2, 8, 11, 13, 16 Ku → [5] ,→ [43 ] : 7 Bl → [5]
99K [5] 1–16 NzDinge 99K [5] 1, 6, 9, 11 NzDinge 99K [5] 6 NzDinge
[41,2 ] — TH3 NzDinge 1r
941
[5] — D1 NzDinge
943
D1 NzDinge Nur zwei Dinge Durch soviel Formen geschritten, durch Ich und Wir und Du, doch alles blieb erlitten durch die ewige Frage: wozu? Das ist eine Kinderfrage. Dir wurde erst spät bewußt, es gibt nur eines: ertrage – ob Sinn, ob Sucht, ob Sage – dein fernbestimmtes: Du mußt. Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte, verblich, es gibt nur zwei Dinge: die Leere und das gezeichnete Ich.
3
6
9
12
944
Nur zwei Dinge
Druckvarianten Druckvarianten zu D1 Nur zwei Dinge 1 7
D3 D3
Durch so viel Formen geschritten, es gibt nur eines: Ertrage
Überlieferung und Chronologie
945
Überlieferung und Chronologie Notizbuch 18b [1] Nb 18b (DLA, »Arbeitsheft 18b«, Bestand Benn) Notizkalender der Firma Beiersdorf für das erste Quartal 1953. (»Taschenkalender für Ärzte«, 70 × 145 mm, klammergeheftet, Umschlagdeckel entfernt). 50 von 52 Blatt beschrieben, ein beschriebenes Blatt lose einliegend, verschiedene Schreibmaterialien (blauer Kugelschreiber, Bleistift). Benn nutzte den Kalender vom 1. Jan. durchgängig bis 26. März 1953 als Tagebuch, für private Notizen, Abrechnungen und Praxisnotizen, daneben auch Gedichtentwürfe, vor allem die Gedichte Nur zwei Dinge, Destille und Bar. Wiedergegeben wird der Abschnitt 3v bis 5r (Kalenderblätter vom 4. bis 7. 1. 1953) mit Entwürfen zu Nur zwei Dinge auf den Seiten 3v , 4v und 5r . [1] Nb 18b [1.1] 3v 11–16bKu ↓ [21 ]
929 99K [5] 13–16 NzDinge
Um den 4. Jan. 1953 (Kalenderseite).
[1.2] 4v 9–12bKu
933 99K [5] 8–9 NzDinge
↓ [1.3] Um den 6. Jan. 1953 (Kalenderseite). [1.3] 5r 6–16bKu ↓ [21 ]
↑ [1.2]
934 99K [5] 1–9 NzDinge
Um den 7. Jan. 1953 (Kalenderseite).
TH1 Nur zwei Dinge [2] TH1 NzDinge (DLA, Bestand Benn) 1/2 Blatt Typoskript (210 × 145 mm) mit hs. Ergänzungen und Korrekturen, recto beschrieben. Hs. signiert, datiert 7. Januar 1953. [2] TH1 NzDinge [21 ] 1r 2–15Ms ↓ [22 ] [3] ↑ [1.1] [1.3]
936 99K [5] 1–16 NzDinge
[22 ] 1r 1–4, 6–13, 15–16Ku ↓ [3] ↑ [21 ]
936 99K [5] Titel, 1–3, 6–11, 13 NzDinge
Datiert 7. Januar 1953.
TH2 Nur zwei Dinge [3] TH2 NzDinge (DLA, Bestand Benn) 1/2 Blatt Typoskript (210 × 145 mm), recto beschrieben.
946
Nur zwei Dinge
[3] TH2 NzDinge [31 ] 1r 1–13Ms [32 ] 1r 13Ku
938 938
TH3 Nur zwei Dinge [4] TH3 NzDinge (DLA, Bestand Benn) 1 Blatt Typoskript (210 × 291 mm), recto beschrieben. Mit hs. Ergänzungen und Korrekturen, signiert. [4] TH3 NzDinge [41 ] 1r 1–15Ms [42 ] 1r 2, 8, 11, 13, 16Ku [43 ] 1r 7Bl
940 940 940
D1 Nur zwei Dinge [5] D1 NzDinge In: Die Neue Zeitung. Frankfurter Ausgabe. Nr. 72. 26. 3. 1953, S. 4. [5] D1 NzDinge 1–16
943
D2 Nur zwei Dinge [6] D2 NzDinge In: Destillationen. Wiesbaden: Limes 1953, S. 19. (2. Aufl. 1954 unverändert) [6] D2 NzDinge
944
DrF1,2 Destillationen (DLA, DrF1: Bestand Benn, DrF2: Bestand Oelze); zwei Druckfahnen Destillationen (150 × 210 mm). Auf dem Titel DrF1 hs. Empfangsvermerk Oelzes: »Exemplar von Benn mit Brief 4. III. 1953.« mit Stempel des Oelze-Archivs.1 Auf dem Titel DrF2 hs. Empfangsvermerk Oelzes: »4. III. 53 Oe«. Beide Exemplare mit hs. Korrekturen von Benn und Oelze, der Text von Nur zwei Dinge blieb allerdings ohne Änderungen und ist textidentisch mit D1 / D2 Nur zwei Dinge.
D3 Nur zwei Dinge [7] D3 NzDinge In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956, S. 358. [7] D3 NzDinge
944
Weitere Drucke NzDinge In: Die Neue Zeitung. 12.4.1953, Nr. 85, o. S. NzDinge In: Welt am Sonntag. 12.4.1953. 6. Jg. Nr. 15, o. S. (u. abw. Titel »Du mußt . . .«). 1
BOelze, S. 163f.
Überlieferung und Chronologie
947
NzDinge In: Frankfurter Rundschau. 19.4.1953, o. S. NzDinge In: Das Gedicht. Jahrbuch zeitgenössischer Lyrik. Hrsg. v. R. Ibel. Hamburg: Wegner 1954, S. 101. NzDinge In: Jahrhundertmitte. Deutsche Gedichte der Gegenwart. Insel: Wiesbaden 1955, S. 21.
948
Nur zwei Dinge
Entstehung und Druckgeschichte Gottfried Benn schrieb das Gedicht Nur zwei Dinge im Januar 1953, die ersten Entwürfe und die erste Reinschrift entstanden zwischen dem 4. und dem 7. Januar in Berlin. Der Text erschien nach dem Erstdruck in Die Neue Zeitung am 26. März 1953 in den Sammlungen Destillationen und später in Gesammelte Gedichte im Limes Verlag. Die frühen Entwürfe zu Nur zwei Dinge finden sich in Notizbuch 18b, unmittelbar darauf folgten die Entwurfreinschriften TH1 bis TH3 NzDinge. Am 28. Januar 1953 übersendet Benn Nur zwei Dinge als Teil einer Sammlung, die er am 4. Februar nach dem Gedicht Destille vorläufig »Destillation« betitelt, an den Verleger Max Niedermayer.2 Am 15. Februar nennt Benn den späteren Titel Destillationen und legt die Komposition des Bandes fest.3 Bereits am 17. Februar leitet Niedermayer nach kurzen Beratschlagungen zu Auswahl und Titel der Sammlung sowie zu einigen Stellen in anderen Gedichten den Umbruch ein.4 Einen Korrekturabzug der Destillationen schickt Benn am 5. März an Oelze, dessen Korrekturen Benn und der Limes Verlag am 10. März erhalten haben.5 Im Mai kommt Destillationen auf den Markt. Am 26. August 1954 kann Niedermayer vermelden, dass die erste Auflage der Destillationen vergriffen ist.6 Nur zwei Dinge wurde später in die Sammlung Gesammelte Gedichte aufgenommen. Der Text wurde in der Folge mehrfach nachgedruckt und von Benn auf Lesungen beziehungsweise Schallplattenaufnahmen vorgetragen.
Ergänzende Hinweise Das Gedicht hat in der Literaturwissenschaft durch seinen hermetisch-antithetischen Charakter einerseits und seine Schlussposition direkt vor Epilog in den Gesammelten Gedichten von 1956 andererseits7 eine intensive, teils kontroverse Rezeption aus den unterschiedlichsten Perspektiven erfahren.8 Da es sich bei 2 BLimes, S. 617f, 620. Im Tagebuch 18b an diesem Tag Eintragung: »Gedichte an Max«. Ebd., S. 1103. 3 Ebd., S. 624f. 4 Ebd., S. 625. 5 BOelze, II.2, S. 165. 6 BLimes, S. 718. 7 »[P]oetisches Testament«, vgl. Helmuth Kiesel: Reim als Botschaft. In: Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Hundert Gedichte des Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Insel 2000, S. 122–123, hier S. 124, »Bilanzund Vermächtnischarakter«, vgl. Jürgen Schröder: Destillierte Geschichte. Zum Gedicht »Nur zwei Dinge«. In: Gottfried Benn und die Deutschen. Studien zu Werk, Person und Zeitgeschichte. Hrsg. v. dems. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg 1986 (= Stauffenburg Colloquium 1), S. 73–79, hier S. 20. 8 Es seien an dieser Stelle und in den folgenden Fußnoten immerhin die einflussreichsten Äußerungen aufgeführt: Eva M. Lüders: Das lyrische Ich und das gezeichnete Ich. Zur späten Lyrik Gottfried Benns. In: Wir-
Ergänzende Hinweise
949
Nur zwei Dinge nicht um einen Montage-Text handelt, erübrigt sich an dieser Stelle eine weiter gehende historische Kommentierung. Es wurden in der Forschung Bezüge hergestellt zu einer weit früheren Formulierung in einem Brief an Oelze,9 sowie zu den Gedichten Reisen,10 Ach, das Erhabene11 und Rosen.12 Eine weitere Deutungsebene tritt hinzu, wenn man berücksichtigt, dass in Nur zwei Dinge der Motivkomplex der »Sage« aus Was singst du denn – (1927) und Wo keine Träne fällt – (1933) erneut anklingt.13 In den beiden früheren Gedichten sind noch deutliche Anspielungen auf Edgar Dacqués spekulatives Modell der Paläo-Anthropogenese und auf Lévy-Bruhl zu bemerken.14 Im Vergleich zu den beiden früheren Gedichten muss der Bezug in Nur zwei Dinge als beinahe ausgeblichen gelten, dennoch ist er in Stichworten noch lesbar.15 Folgt man kendes Wort 15 (1965), S. 361–385, Meyer: Kunstproblematik und Wortkombinatorik bei Gottfried Benn. 1971, S. 341–344, Dieter Liewerscheidt: Gottfried Benns Lyrik. Eine kritische Einführung. München: Oldenbourg 1980, S. 65, Hans-Martin Gauger: Hoher Stil als eskalierende Schriftlichkeit. Gottfried Benn: »Restaurant« und »Nur zwei Dinge«. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1996. Göttingen: Wallstein 1997, S. 124–125, Hermann Korte: Lyrik von 1945 bis zur Gegenwart. München: Oldenbourg 2000, S. 51–52, Friederike Reents: Nur zwei Dinge – Zur Doppelsichtigkeit des lyrischen Ichs. In: dies. (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007, S. 75–88. 9 »Es giebt nur 2 Dinge: dreckige Menschheit u. einsames schweigendes Leiden – keine Grenzverschiebungen!«, BOelze, I, S. 203. Vgl. auch Jürgen Haupt: Natur und Lyrik. Naturbeziehungen im 20. Jahrhundert. Stuttgart: Metzler 1983, S. 106. 10 Edith A. Runge: Gottfried Benns »Nur zwei Dinge«. In: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur 49.4 (1957), S. 161–178. 11 Schröder: Destillierte Geschichte. 1986. 12 Hans Byrner: Das Rosenmotiv in Gottfried Benns Lyrik. Skizzen zu Bild und Bau. Bern et al.: Lang 1985, S. 119–132. 13 Solche über Jahre oder Jahrzehnte frühere Gedichte zitierende, umschreibend aufgreifende Reprisen sind in Benns Œuvre nicht selten. Das Fort- und Weiterschreiben früherer Gedichte und Motive ist ein weiterer Aspekt von Benns Arbeitsweise. Vgl. beispielsweise die Reihe Die Schöpfung (1928), Das Ganze (1934/35) und Ein Wort (1941), SW, II, S. 66, I, S. 171, 198. 14 Wo keine Träne fällt: »Untröstlichkeiten – in Sagen, / frühmenschlich strophischer Schau [. . .]«, ebd., I, S. 144. Was singst du denn –: »[. . .] eine alte Sage der See: Meerwiddern und Delphinen [. . .] singst du des Blickes Sage, / des Menschenauges Schein, / über Werden und Frage, / tief von Ferne und Sein, / [. . .] ja singe nur das Eine, / [. . .] des Hirn ins regressiv: [. . .] singe die alte Stunde, / die alte Sage der See.«, ebd., II, S. 102f. 15 »– ob Sinn, ob Sucht, ob Sage – / dein fernbestimmtes: Du mußt.«, »Durch soviel Formen geschritten, / durch Ich und Wir und Du,«, »Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,«, siehe S. 943. Vgl. Dacqué: Urwelt, Sage und Menschheit. 1924. Zu »Sage«, »Verwandlungen« ›des‹ Menschen und Parietalorgan. Vgl. zu Benns Rezeption der Dacquéschen »Sage« Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, II, S. 633, vgl. zum primitivistischen Bezugsfeld der »Meere«, ebenfalls gegeben in »Meer- und Wandersagen«, ebd., II, S. 431–474. Weitere Hinweise zu Dacqué vgl. auch Gess: Sie sind, was wir waren. 2012. Kryptobezüge auf Dacqué und Lévy-Bruhl sind bei Benn keine Seltenheit, vgl. etwa Ursula Kirchdörfer-Boßmanns Bemerkungen zu Zur Problematik des Dichterischen: »[. . .] Die klanglich auffällige Zusammenstellung in Alliterationen [. . .] und der kryptische Bezug auf Motive von Dacqués Entwicklungstheorie in den Worten Herkunftseinäugigkeiten und Schöpfungspolyphonien [. . .].«, Ursula Kirchdörfer-Boßmann: »Eine Pranke in den Nacken der Erkenntnis«. Zur Beziehung von Dichtung und Naturwissenschaft im Frühwerk Gottfried Benns. St. Ingbert: Röhrig 2003, S. 292, Anm. 806.
950
Nur zwei Dinge
dieser Deutungshypothese weiter, liest sich das Durchschritten-Haben eines zunächst unbestimmten Subjekts durch die »Formen« des »Ich und Wir und Du« als eine motivische Variante des Dacquéschen Menschen-Ich, von dessen »unausdenkbaren Verwandlungen« die Sagen zeugen.16
16 Vgl. auch Der Aufbau der Persönlichkeit (1930): »[. . .] es begann die Großhirnstunde, die an den Menschen ging. [. . .] Daß er [der Planet Erde] noch in den Bann neuer Leitorgane treten wird; daß er diese Persönlichkeit wieder zum Hirnstamm zurückholen wird, wenn neue Spezialisierungen beginnen? [. . .] wenn der große Abbau des Lebendigen beginnt –, daß dann vielleicht auch unsere – quartäre – Persönlichkeit noch einmal als Sage aufsteigen wird in das große Gesetz, unter dem alles geschah: das Gesetz einer unausdenkbaren Verwandlung?«, SW, III, S. 277. Der Weg, der in Nur zwei Dinge ›vorwärts‹ durchschritten wird, wird in Epilog und Lyrisches Ich ›rückwärts‹ als Regression beschrieben: »Regressionstendenzen mit Hilfe des Worts, heuristische Schwächezustände durch Substantive – das ist der Grundvorgang, der alles interpretiert: jedes ES ist der Untergang, die Verwehbarkeit des ICH; jedes DU ist der Untergang, die Vermischlichkeit der Formen.«, ebd., III, S. 133.
Destille
Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
952
Notizbuch 18, 952 · Notizbuch 18b, 955 · H1 Destille I, 982 · TH1 Destille I, 984 · TH1 Destille III, 988 · H1 Destille II, 990 · TH1 Destille II, 992 · TH1 Destille IV, 996 · Erstdruck Destille, 998 · Druckvarianten, 1001.
Überlieferung und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002 Entstehung und Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 1006
952
Destille
Nb 18 44r
3
6
9
12
× Sie haben etwas errichtet u eine Aula mit Litanei – Schalmei da wird gespielt u gedichtet was garnicht mehr besteht. was schon l[a ä] ng[e st] vorbei Ich lasse mich zerfallen ich bleibe dem Ende nah, dann steht zwischen Träumen u Ballen eine tiefe Stunde da.
× Ich will mich nicht erwähnen. Doch fällt mir manchmal bei zwischen Gläsern u Hähnen eine Art Graal eine Art Kunstverein
[1.1] : 1–9 bKu → [81 ] [1.2] : 10–14 bKu → [81 ]
ein
99K [9] 65–72 Destille IV 99K [9] 61–64 Destille IV
[1] — Notizbuch 18b 44r
953
954
Destille
Notizbuch 18b 5v
955
Nb 18b 5v
Düster, Matsch 0° Bank 834 Brief an Genf Abends mit I Flint. Die Krieger halten vor den Bildern Die Generäle hören still Musik ein Lied u was für Lieder alle schildern Ein Herz, [wie das] es nach Hause zieht –
3
6
9
956
Destille
Nb 18b 6r
düster, schmutzig 0° Bank 748 M 3
6
9
12
von Bank 100. Abends I Vortrag Olga Rinnebach mit Dieter dann Stadtkrug bis 11/2. Ich Stellbrink M [...] 5
Hardenbergstr 33 Hauptgeb II Obergeschoss Z 235 15 h 15 – 18 h.
Notizbuch 18b 6r
957
958
Destille
[2.2] — Notizbuch 18b 6v
959
Nb 18b 6v
Schmutzig, düster [...]
5
Die Bassgeige steht etwas bieder Boheme statisch stabil u sieht stabil in die ez la Cherch Welt Femme ich wünschte, sie [spielt hätt] en Lieder, Max Brief Lohner in denen das fällt wo das Quartär zerfallen —
[2.2] : 1–3 bKu → [2.3]
3
6
9
12
99K [9] 29, 55 Destille II/III
960
Destille
Nb 18b 7r
3
6
9
Das Etikett auf der Flasche ist höhl[n en] zeichnungsfern Ich lasse mich überraschen
Bassgeige steht etwas bieder u sieht stabil in die Welt Ich wollte, sie hätte Lieder wo das Quartär zerfällt
[2.1] : 1–3 bKu → [51 ] [2.2] → [2.3] : 4–9 bKu
99K [9] 56-57, 59 Destille III 99K [9] 29, 55 Destille II/III
[2.1] [2.3] — Notizbuch 18b 7r
961
962
Destille
Notizbuch 18b 7v
963
Nb 18b 7v
3
trübe, düster 0° Haareschneiden Frl [...] 3 nze hertä c ä F u lung, d bla unke d r e r sin V e h i e die R r h Rei e l [. . .] 3 Fr . [. .] 3
6
9
12
19
Lennig Flint Dann Dramburg mit I u Grete
u ie Fra um d . .] Frl [. . .] Frl [.
5 3 46 52 30 19 Rath Schön. Kammersaal christl jüd 6 49 . .] . [ l r F 55
15
18
964
Destille
Nb 18b 8r
3
6
9
12
etwas heller 0° – 2° Telegramm von u an Darmstadt Brief von I mit Frau Dr Winz in Oper. Ich Reichshof M
250 Limes 100 Wohnung 350 Pension 50 Liselotte 600 M. 35 Telefon. 50 Georg 150 Wirtschaft 435 40 Heiner 475.
Notizbuch 18b 8r
965
966
Destille
Notizbuch 18b 8v
967
Nb 18b 8v
Kälter 5° – Abrechnung Limes: 1713,40 748 Bank 2461 165 N.Z 2626 Eintracht: Bauer, Nelson, Dietz, Kraft, Schlüter, Diegel, Langschmidt Bank 748 165 [...] ! 913 1700 ab 17 XI 3 2613 M 58 R I Berlin Centre Blöcker ich Flint
3
6
9
12
15
968
Destille
Nb 18b 9r
3
6
Kalt. 5° – etwas Schnee. R Lehmann 2 × Strophe 10 M Frl [...] 10 o Fr [...] 3 78m 200 M von Bank 31/2 – 51/2 Sitzung AdK
9
12
Abends mit I Flint Starker Schneefall Tiessen Doppelleben Lennig: Marken Gescher Exner
Notizbuch 18b 9r
969
970
Destille
[2.5] — Notizbuch 18b 9v
971
Nb 18b 9v
trübe. Nachts Schneefall . . . Bank: 439 keine gute Post kein Telefon kaum Patienten. I. nachm. Kd.We u Grete. zu “Melodie“. I. 11 zurück Doch jetzt ist Schluss! Ich glühe von Magma u von Kern, von Vorquartär u Frühe kulturkreisfern. schrift u u Flaschen selbst Kupfer u höhdleenzeichnungsfern
[2.5] : 9–14 bKu → [5]
3
6
9
12
99K [9] 53–56 Destille III
972
Destille
Nb 18b 10r
trübe.
3
6
Abends ich Dietrich, Fr Kursch u Kunze. I. zu Hause liest Gedichte. Max: – Dank für Abrechnung. – Liter. Welt Brentano – Südd Ztg Kuby 11h Fr Komarek
Notizbuch 18b 10r
973
974
Destille
[2.6] a — Notizbuch 18b 10v
975
Nb 18b 10v
furchtbar trübe, 2°+ Nebel Nachm. Edith zu engl. Ma nuscripts. Herr [...] jun. mit Dermatitis. Abends Reichshof, dort Steinberg u Flender Ich erlebe vor Allem Flaschen u abends etwas Funk es sind die die laschen Stunden der Dämmerung Du wirst Dich doch bemühn errichten zu Sinn u Um Handlung Weib u Kind ich erfülle m Pflichten, gewiss wo sie vorhanden sind
[2.6] a : 8–16 bKu → [51 ]
3
6
9
12
15
99K [9] 41–48 Destille III
976
Destille
Nb 18b 11r
3
6
9
12
15
Sehr trübe. Regen. [...] 5 Frl. [...] 3 Frl. [...] 3 Frl. [...] Steuerbescheid Fr [...]
5 5 21 M 99
Übermuth †15 I I abends zu Zahntechnischem Vortrag. Ich: Insel. Es wurde mir nichts erlassen kein rot, kein Tod kein Bett ich musste mit Trebern prassen keine Gaben im Jakett
Nicht wiedergegeben: 11v – 48r I [2.6] b : 13–16 bKu → [51 ]
99K [9] 49–52 Destille III
[2.6] b — Notizbuch 18b 11r
977
978
Destille
[2.4] a — Notizbuch 18b 49v
979
Nb 18b 49v
Schäbig. Abends Destille. der Durst ist die bei Tage oft verfluchte aber Sucht – was ist der Wille Durst – hgegeni den Säuferwahn. sucht
Natürlich sitzen in Stuben matt Gelehrte still – zart sanft machen u drücken aus Tintentuben ihre Pendekten satt — Dom Es ist nicht zu begreifen Sie wissen die Zeiten schleifen alles wieder ab Der Blick aufs Ganze gerichtet
3
6
9
12
15
katastrophal
[2.4] a : 1–16 bKu → [3]
99K [9] 1–4, 9–16 Destille I
980
Destille
Nb 18b 50r
3
6
9
12
15
Wenn man die Seele sichtet Potenz u Potential D[er en] Blick aufs Ganze gerichtet. – zweifellos katastrophal. Natürlich bauten sie Dome 300 Jahre das Stück – wissend im Zei[e t] enstrome bröckeln d[ie er] Stei[ne n] zurück es ist nicht zu begreifen abends in Destillen verlassen, verhärmt – was muss sich verlieren Sovieles muss sich stillen wenn sich d[er as] Blut erwärmt so wissend, so verhärmt
[2.4] b : 1–15 bKu → [3]
99K [9] 5–8, 13–17, 25–27 Destille I
[2.4] b — Notizbuch 18b 50r
981
982
Destille
H1 Destille I 1r
3
6
9
12
15
18
21
30
33
36
27
[2.4] a,b → [3] : 1–36 bKu → [41 ]
im
Tr u
nk
24
Schäbig. Abends Destille verfemt Bei Tage vielfach verflucht 11 Durst, doch was ist der Wille I 53 Gegen die Säufersucht. Vergessenssucht Verklärungs Wenn man die Seele sichtet Potenz u Potential Den Blick aufs Ganze gerichtet zweifellos katastrophal. Vergessen, vages Verschleiern Natürlich sitzen in Stuben Gelehrte sanft u matt u machen aus Tintentuben vorbei, à bas, u nieder die Pandekten satt die grosse Rebellion Konfession Natürlich bauten sie Dome u alle wollen nur Lieder ein Schlagworten 300 Jahre das Stück mit Scherz u Schnuggelton wissend, der im Zeitenstrome heute, nur en gros bröckelt der Stein zurück. immer neu, immer mehr, immer wieder Es ist nicht zu begreifen die milde Konvention hatten sie für konforme wie hielten sie die Substanz wissend die Zeiten schleifen Turm, Rose, Krypte Monstranz Abends in Destillen entleert, verflucht so isoliert u verhärmt verjagt, verzagt, verhärmt so vieles muss sich stillen Verklärungssucht wenn sich das Blut erwärmt sein aus Trunk des
99K [9] 1–28 Destille I
[3] — H1 Destille I 1r
983
984
Destille
TH1 Destille I 1r
Destille
3
6
9
12
15
18
21
24
Sc[g h] äbig,abends Destille, in in Trieb als Zwang als Flucht bei Tage verfehmt, everflucht Durst,s doch was ist der Wille aber auch gegen Verklärungssucht. Wenn man die Seele sichtet Potenz und Potential Den Blick aufs Ganze gerichtet: katastrophal ! Natürlich sitzen in Stuben Gelehrte sanft und matt und machen aus [t T] intentuben ihre Pandekten satt, natürlich bauten sie Dome 300 Jahre das Stück, wissend im Zeitenstrome bröckel[n t] der SStein zurück es ist nicht zu begr[e i] fen was hatten sie für Substanz wissend,die Zeiten schleifen Turm,Rose,Krypte,Monstranz,
jetzt vorbei – ins alles ins Hühnergefieder
vorbei,à bas und nieder gefragt nur u die grosse Ko[h n] fession, – d e wir:neu und mehr und wi e der immer neu, immer mehr haben, im .m . er wieder konforme konfes Konvention wie schäbig, mehr u wieder Konfektion
[41–3 ] — TH1 Destille I 1r
985
986
27
30
Destille
Abends in Destillen verjagt,verzagt,verhärmt verflucht v so vieles muss sich stillen, im Trunk Verklärunssucht. bei (Flint)
33
[3] → [41 ] : 1–30 Ms ←- → [9] ,→ [42 ] : 2–4, 12, 17, 20, 23–26, ←- → [9] 28, 31–34 bKu ,→ [43 ] : 2–3, 9, 20–21 Bl → [9]
11 I
53
99K [9] 1–28 Destille I 99K [9] 1–3, 11, 16, 22–24, 26, 28 Destille I 99K [9] 1–2, 9, 21, 23 Destille I
988
Destille
TH1 Destille III 1r
III
3
6
9
12
15
18
21
Ich erlebe vor Allem Flaschen und abends etwas Funk, es sind die lauen,die laschen Stunden der Dämmerung “du musst dich doch errichten empor und hochgesinnt“! “ich erfülle meinen Pflichten, wo sie vorhanden sind“. Mir wurde nichts erlassen, Tode und oft kein Bett, ich musste mit Trdeebern pra ssen im zerrissnen Jakett nun Doch heute ist Schluss,ich glühe von Magma und von Kern von Vor-Quartär und Frühe wort-,schdreift-und kupferfern,
23 I 53
ich lasse mich überraschen, Versöhnung–und ich verzieh–,: aus Fusel,Funk und Flaschen, die Neunte Symphonie.
[2.1] [2.5] [2.6] → [51 ] : 2–22 Ms ,→ [52 ] : 1, 3–4, 8, 10–12, 14–15, 18–21 bKu
←- → [9] → [9]
99K [9] 41–60 Destille III 99K [9] 42–43, 47, 49–51, 53, 58–59 Destille III
[51,2 ] — TH1 Destille III 1r
989
990
Destille
H1 Destille II 1v
Es gibt Melodien u L[ei ie] der Rhytmen die gewisse Motive betreun, Inneres Die schlagen etwas in Dir nieder Du bist am Boden bis Neun – solange wieder Meistens Nachts u Du bist schon dämmerst nickst in vagem Säusel u hörst Zu Belange Von fremden Gästen Geschichten, Erzählen, durch die Du in Leben blickst. u diese Leben sind trübe
3
6
9
12
so trübe Dich so trübe nichts würde so erfreun
15
Aufsteh Die Rhytmen wenn keine Aufrichtungsschübe, ach wie oft am Boden bis Neun. Du bliebst am
18
Ph. ist ein Begriff aus der Erblehre: Er bedeutet die Erscheinungsform des heutigen Menschen. Sein Gegenbegriff Genotyp bedeutet die Gesamtheit aller lebenden möglichen Erscheinungsformen der Art: Sie können für Ph. einfach Ind setzen.
24 21
[6] : 1–20 bKu → [71 ]
99K [9] 29–40 Destille II
[6] — H1 Destille II 1r
991
992
Destille
TH1 Destille II 1r
Bis Neun
3
6
9
12
15
18
21
24
Es gibt Melodieen und Lieder , die gewisse Rhytdhemen betreuen e die sschlagen Dein INNeres niedr du bist am Boden bis Neun . Meistens na[hc ch] ts,du bist schon lange in vagem Säusel und nickst zu fremder Gäste Be[ö l] ange , durch die du in Leben blickst . und diese Lebben sind trübe so trübe,es würde dich freun , wenn die wenn kiienAufstehschübe nur ewige Rhythmenschübe u du blieb[aes es] t am Boden b[si is] Neu[m n] .
26 I
Kein Blühen Ich kann kein Blühen mehr sehn es ist so leicht u so gründlich u dauert mindestens stündlich als Traum u Auferstehn fort Nimm doch die Amaryll[en e] ich sagte gründlich: sie glüht setzt tief u Fülle Ganz rot, ganz ganz Ihr Eins u In Eins ihr im Allerletzt In Augenblicken hin –
[71,2 ] — TH1 Destille II 1r
993
994
27
30
Destille
Was noch Stunde Wo wäre noch etwas stündlich dauernd so von zerstörtem Sinn nur Es brach sich Alles erschauernd
[6] → [71 ] : 2–13 Ms ←- → [9] ,→ [72 ] : 1, 3, 6, 8, 11–13 bKu → [9]
99K [9] 29–40 Destille II 99K [9] 30–31, 33, 35, 38–40 Destille II
996
Destille
TH1 Destille IV 1r
IV
3
6
9
Ich will mich nicht erwähnen, doch fällt mir manchmal ein zwischen Gläsern und Hähnen Fässern eine ArtVKunstverein. von
4 II 53
Die haben etwas errichtet , eine Aula mit Schalmei , da wird gestpielt und gedidhtet , wss längst vorbei. [i I] ch
12
lasse mich zerfallen , ich bleibe dem Ende nah , dann steht zwischen Trümmern und Ballen eine tiefe Stunde da. ×
[1.1] [1.2] → [81 ] : 2–13 Ms ←- → [9] ,→ [82 ] : 1–2, 4–11, 13 bKu → [9]
99K [9] 61–72 Destille IV 99K [9] 61, 63–70, 72 Destille IV
[81,2 ] — TH1 Destille IV 1r
997
998
Destille
D1 Destille Destille I
3
6
9
12
15
18
21
24
Schäbig; abends Destille in Zwang, in Trieb, in Flucht Trunk – doch was ist der Wille gegen Verklärungssucht. Wenn man die Seele sichtet, Potenz und Potential, den Blick aufs Ganze gerichtet: katastrophal! Natürlich sitzen in Stuben Gelehrte zart und matt und machen aus Tintentuben ihre Pandekten satt, natürlich bauten sie Dome dreihundert Jahre ein Stück wissend, im Zeitenstrome bröckelt der Stein zurück, es ist nicht zu begreifen, was hatten sie für Substanz, wissend, die Zeiten schleifen Turm, Rose, Krypte, Monstranz, vorbei, à bas und nieder die große Konfession, à bas ins Hühnergefieder konformer Konvention – abends in Destillen verzagt, verjagt, verflucht,
[9] — D1 Destille
so vieles muß sich stillen, im Trunk Verklärungssucht.
999
27
II Es gibt Melodien und Lieder, die bestimmte Rhythmen betreun, die schlagen dein Inneres nieder und du bist am Boden bis neun. Meist nachts und du bist schon lange in vagem Säusel und nickst zu fremder Gäste Belange, durch die du in Leben blickst. Und diese Leben sind trübe, so trübe, du würdest dich freun, wenn ewig Rhythmenschübe und du bliebest am Boden bis neun.
30
33
36
39
III Ich erlebe vor allem Flaschen und abends etwas Funk, es sind die lauen, die laschen Stunden der Dämmerung. »Du mußt dich doch errichten empor und hochgesinnt!« »Ich erfülle meine Pflichten, wo sie vorhanden sind.« Mir wurde nichts erlassen, Tode und oft kein Bett, ich mußte mit Trebern prassen im zerrissnen Jackett.
42
45
48
51
1000
54
57
60
Destille
Doch nun ist Schluß, ich glühe von Magma und von Kern, von Vor-Quartär und Frühe wort-, schrift- und kupferfern, ich lasse mich überraschen, Versöhnung – und ich verzieh: aus Fusel, Funk und Flaschen die Neunte Symphonie. IV
63
66
69
72
Ich will mich nicht erwähnen, doch fällt mir manchmal ein zwischen Fässern und Hähnen eine Art von Kunstverein. Die haben etwas errichtet, eine Aula mit Schalmei, da wird gespielt und gedichtet, was längst vorbei. Ich lasse mich zerfallen, ich bleibe dem Ende nah, dann steht zwischen Trümmern und Ballen eine tiefe Stunde da.
Druckvarianten
Druckvarianten Druckvarianten zu D1 Destille 59
D2
Aus Fusel, Funk und Flaschen
1001
1002
Destille
Überlieferung und Chronologie Notizbuch 18 [1] Nb 18 (DLA, »Arbeitsheft 18«, Bestand Benn); Notizheft (145 × 205 mm, fadengeheftet, liniert). 46 von 74 Blatt beschrieben, verschiedene Schreibgeräte und Schreibstoffe (blauer Kugelschreiber, Bleistift). Das Notizheft wurde ausschließlich für literarische Vorarbeiten verwendet. Editorisch wiedergegeben wird der Entwurf zu Destille IV auf 44r , anhand Datierungen im Notizbuch sicher nach 11. Dezember 1952 zu datieren, anhand sachlich-inhaltlicher Kriterien auf 9.–11. Januar 1953. [1.1] Nb 18 44r 1–9bKu ↓ [81 ]
952 99K [9] 65–72 Destille IV
[1.2] Nb 18 44r 10–14bKu ↓ [81 ]
952 99K [9] 61–64 Destille IV
Notizbuch 18b [2] Nb 18b (DLA, »Arbeitsheft 18a«, Bestand Benn); Notizkalender der Firma Beiersdorf für das erste Quartal 1953. (»Taschenkalender für Ärzte«, 70 × 145 mm, klammergeheftet, Umschlagdeckel entfernt). 50 von 52 Blatt beschrieben, ein beschriebenes Blatt lose einliegend, verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (blauer Kugelschreiber, Bleistift). Benn nutzte den Kalender vom 1. Jan. durchgängig bis 26. März 1953 als Tagebuch, für private Notizen, Abrechnungen und Praxisnotizen, daneben auch Gedichtentwürfe, vor allem die Gedichte Nur zwei Dinge, Destille (I, III) und Bar. Editorisch wiedergegeben werden die für den Zyklus Destille im weiteren Sinne relevanten Abschnitte aus Nb 18b: 5v bis 11r (Kalenderblätter vom 8. bis 19. 1. 1953, S. 954 – 977) und 49v bis 50r (Blätter für »Dauer-Notizen«, S. 978 – 981). Darin enthalten sind Entwürfe zu den Gedichten Destille (I, III), Bar und das Fragment .1 [2] Nb 18b [2.1] 7r 1–3bKu ↓ [51 ]
960 99K [9] 56–57, 59 Destille III
10./11. Januar 1953 (Kalenderseite). [2.2] 6v 3–13bKu ↓ [2.3]
959 99K [9] 29, 55 Destille II/III
10./11. Januar 1953 (Kalenderseite vom 10. Januar). Teilentwurf zu Bar.2 1 2
Vgl. auch SW, VII/2, S. 293. Vgl. ebd., VII/2, S. 580.
Überlieferung und Chronologie
1003
[2.3] 7r 4–9bKu
960 99K [9] 29, 55 Destille II/III
↑ [2.2]
10./11. Januar 1953 (Kalenderseite). Teilentwurf zu Bar.3 [2.4] a,b a: 49v 1–16bKu , b: 50r 1–15bKu 979, ↓ [3] 99K [9] 1–17, 25–27 Destille I
980
11. Januar 1953. Benn hat die Doppelseite 49v und 50r als zusammenhängendes Tableau abwechselnd beschrieben und die Strophenentwürfe texträumlich in Konstellation gesetzt. [2.5] 9v 9–14bKu
971
↓ [51 ]
99K [9] 53–56 Destille III
Vermutlich 16. Januar 1953 (Kalenderseite), spätestens 23. Januar.
[2.6] a,b a: 10v 8–16bKu , b: 11r 13–16bKu ↓ [51 ]
975, 976 99K [9] 41–52 Destille III
Vermutlich 18./19 Januar 1953 (Kalenderseiten), spätestens 23. Januar.
H1 Destille I [3] H1 Destille I (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Manuskript (210 × 295 mm), recto beschrieben mit Entwurf zu Destille I. Hs. datiert 11. Januar 1953. [3] H1 Destille I 1r 1–36bKu ↓ [41 ]
982 99K [9] 1–28 Destille I
↑ [2.4] a,b
Datiert 11. Januar 1953.
TH1 Destille I [4] TH1 Destille I (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript (210 × 295 mm) mit hs. Korrekturen und Ergänzungen, recto beschrieben. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Schreibmaschine, Kugelschreiber, Bleistift). Ms. Titel: »Destille«, hs. datiert 11. Januar 1953. Mit Widmungsnotiz »(Flint)«.4 [4] TH1 Destille I [41 ] 1r 1–30Ms [42 ]
↓ [42,3 ] [9] ↑ [3] 1r 2–4, 12, 17, ↓ [43 ] [9]
984 99K [9] 1–28 Destille I
20, 23–26, 28, 31–34bKu
↑ [41 ]
984
99K [9] 1–3, 11, 16, 22–24, 26, 28 Destille I
Datiert 11. Januar 1953.
3 Vgl. ebd., VII/2, S. 580. 4 Gemeint ist Otto Flint (1893–1964), erster Deutscher Meister im Schwergewichtsboxen, dessen »Boxerkneipe« am Bayerischen Platz Benn regelmäßig frequentierte. Vgl. Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 235, ders.: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 355, 438.
1004
Destille
[43 ] 1r 2–3, 9, 20–21Bl
984
↓ [9] ↑ [41,2 ]
99K [9] 1–2, 9, 21, 23 Destille I
TH1 Destille III [5] TH1 Destille III (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript (210 × 295 mm) mit hs. Korrekturen und Ergänzungen, recto beschrieben. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Schreibmaschine, Kugelschreiber). O.T., aber mit hs. Nummerierung: »III«, hs. datiert 23. Januar 1953. [5] TH1 Destille III [51 ] 1r 2–22Ms ↓ [52 ] [9] ↑ [2.1] [2.5] [2.6]
988 99K [9] 41–60 Destille III
[52 ] 1r 1, 3–4, 8, 10–12, 14–15, 18–21bKu ↓ [9]
↑ [51 ]
988
99K [9] 42–43, 47, 49–51, 53, 58–59 Destille III
Datiert 23. Januar 1953.
H1 Destille II [6] H1 Destille II (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Manuskript (210 × 295 mm), verso hs. beschrieben mit Entwurf zu Destille II, o.D. blaue Tinte. Das Blatt ist Teil des Typoskripts Rede im Kolbe-Museum (Blatt 3v ), auf der Vorderseite ist ein Teil der Rede getippt. Auf der Rückseite befindet sich eine hs. variante Fassung zweier Sätze des umseitigen Redetextes,5 der auf der zweiten Seite des Manuskripts auf einem kleinen Zettel getippt und angeklebt wurde. Der Entwurf zu Destille II wurde spätestens am 26. Januar 1953 mit um 180° gedrehtem Blatt geschrieben. [6] H1 Destille II 1v 1–20bKu ↓ [71 ]
990 99K [9] 29–40 Destille II
TH1 Destille II [7] TH1 Destille II (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript (210 × 295 mm) mit hs. Korrekturen und Ergänzungen, recto beschrieben. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Schreibmaschine, Kugelschreiber). Hs. Titel »Bis Neun«. Durch die hs. Datierung des Entwurfes »Kein Blühen« (Nimm fort die Amarylle6 ) in der unteren Blatthälfte ergibt sich indirekt die Datierung auf spätestens 26. Januar 1953.
5 Von »Das ist der Mensch und das ist die Lage für den Künstler.« bis »Das versuchte ich auszudrücken in dem Vers eines Gedichtes, mit dem ich schliesse:«, vgl. abweichender Text SW, VI, S. 108. 6 Ebd., I, S. 259, 507.
Überlieferung und Chronologie
1005
[7] TH1 Destille II [71 ]1r 2–13Ms ↓ [72 ] [9] ↑ [6] 2 [7 ]1r 1, 3, 6, 8, 11–13bKu ↓ [9] ↑ [71 ]
992 99K [9] 29–40 Destille II
992 99K [9] 30–31, 33, 35, 38–40 Destille II
TH1 Destille IV [8] TH1 Destille IV (DLA, Bestand Benn); ein Blatt Typoskript (210 × 295 mm) mit hs. Korrekturen und Ergänzungen, recto beschrieben. Verschiedene Schreibgeräte und -stoffe (Schreibmaschine, Kugelschreiber). O.T., mit hs. Nummerierung »IV«, datiert 4. Februar 1953. [8] TH1 Destille IV [81 ]1r 2–13Ms ↓ [82 ] [9] ↑ [1.1] [1.2] [82 ]1r 1–2, 4–11, 13bKu ↓ [9] ↑ [81 ]
996 99K [9] 61–72 Destille IV
996 99K [9] 61, 63–70, 72 Destille IV
Datiert 4. Februar 1953.
D1 Destille I–IV [9] D1 Destille In: Destillationen. Wiesbaden: Limes 1953, S. 11–13 (2. Aufl. 1954 unverändert). [9] D1 Destille I–IV
998–1000
DrF1,2 Destillationen (DLA, DrF1: Bestand Benn, DrF2: Bestand Oelze); zwei Druckfahnen Destillationen (150 × 210 mm). Auf dem Titel DrF1 hs. Empfangsvermerk Oelzes: »Exemplar von Benn mit Brief 4. III. 1953.« mit Stempel des Oelze-Archivs.7 Auf dem Titel DrF2 hs. Empfangsvermerk Oelzes: »4. III. 53 Oe«. Beide Exemplare mit hs. Korrekturen von Benn und Oelze, der Text von Destille I–IV blieb ohne Änderungen und ist textidentisch mit D1 Destille I–IV.
D2 Destille I–IV [10] D2 Destille In: Gesammelte Gedichte. Wiesbaden, Zürich: Limes, Arche 1956. S. 291–294. [10] D2 Destille I–IV
7
BOelze, II.2, S. 163f.
1001
1006
Destille
Entstehung und Druckgeschichte Der Gedichtzyklus Destille I–IV ist im Zeitraum Dezember 1952 bis 4. Februar 1953 in Berlin entstanden. Erstmals abgedruckt wurde er in der Sammlung Destillationen, später wurde er in die Gesammelten Gedichte aufgenommen. Die frühen Entwürfe machte Benn in den Notizbüchern 18 und 18b. Von 11. Januar bis 4. Februar arbeitete er an den zunächst noch nicht als Zyklus konzipierten Gedichten auf Einzelblättern (Manuskripte, Typoskripte). Der früheste Entwurf zu Destille IV, noch ohne Titel und motivische Verbindung zur Thematik von Destille I–III, entsteht im Zeitraum vom 9. bis 11. Januar 1953 in Notizbuch 18. Diese tentative Datierung hat folgenden Hintergrund. Die mokant anmutenden Verse »Sie haben etwas errichtet / eine Aula mit Litanei– Schalmei / da wird gespielt u gedichtet / was garnicht mehr besteht.« und »eine Art von Kunstverein« nehmen vmtl. Bezug auf eine Diskussion während der Sitzung des Gründungsausschusses der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin (West) vom 9. Januar 1953, an der Benn als Gründungsmitglied teilgenommen hatte. Im Protokoll der Sitzung ist nachzulesen, welche Rolle der Vergleich der Akademie mit einem »Verein« spielte: Es ergibt sich eine anregende Diskussion über darstellende Kunst und schöpferische Kräfte. Dr. Benn findet, daß die Akademie nicht nur schöpferische, sondern auch soziale und repräsentative Aufgaben habe. Allerdings läge die Gefahr, sich nur in Protesten zu äußern, die dann doch ohne rechte Wirkung blieben, sehr nahe. Hierzu äußert Prof. Taut, daß die Akademie unbedingt Stellung und Einfluß nehmen müsse, da sie sonst nichts anderes als ein Verein sei. Zur Bezeichnung ›Abteilung Dichtung‹ äußert Dr. Benn, daß es nur sehr wenige Dichter gäbe, doch erklärt Prof. Dr. Tiburtius, daß mit dieser Bezeichnung nur der Weg angedeutet wäre. [. . .]8
Die Formulierung »was garnicht mehr besteht« bzw. »was längst vorbei« in Entwurf und Text des Gedichts mag in diesem Zusammenhang auf Benns Erfahrung der Selbstgleichschaltung der Akademie 1933 anspielen, an der er immerhin selbst wesentlich beteiligt war,9 oder auf seine dokumentierte Bemerkung, »dass 8 Christine Fischer-Defoy u. a. (Hrsg.): ». . . und die Vergangenheit sitzt immer mit am Tisch«. Dokumente zur Geschichte der Akademie der Künste (West) 1945 / 1954–1993. Berlin: Henschel 1997, S. 145f. 9 Die Vorgänge sind wohldokumentiert. In der Bewertung von Benns Rolle allerdings gehen die Meinungen weit auseinander. Das Spektrum reicht von der Kritik des »Verbrechens« (Lethen), sich an der Selbstgleichschaltung und dem Ausschluss politisch missliebiger Mitglieder aktiv oder willfährig beteiligt zu haben, über die These, dass Benn die positive Rolle der Akademie als »glanzvolle Angelegenheit« der Kunst im von ihm zunächst emphatisch begrüßten »neuen Staat« bei zunehmendem Unwohlsein bis zu seinem Rückzug aus allen Ämtern mitgestalten zu können glaubte (Mittenzwei, Hof), bis hin zur These, dass Benn durch die Ausgabe des »Revers« unter den vorhersehbaren
Entstehung und Druckgeschichte
1007
es nur sehr wenige Dichter gäbe«, im Sinne von: ›[. . .] nur noch sehr wenige Dichter‹. Ein weiterer Hinweis auf den Akademie-Zusammenhang kann darin gesehen werden, dass Benn zwischen den Destille-Entwürfen in Nb 18b eine der entscheidenden Gründungssitzungen am 15. Januar notiert, auf welcher er ebenfalls anwesend war: »31/2 – 51/2 Sitzung AdK«.10 Am 10. und 11. Januar 1953 entstehen, teilweise Motive der Entwürfe zum Gedicht Bar aufnehmend, die ersten Konzepte zu Destille I und III in Notizbuch 18b.11 Noch am 11. Januar arbeitet Benn das Gedicht auf H1 und TH1 Destille I aus. In dieser bereits »Destille« überschriebenen Typoskriptfassung erscheint das Gedicht durch die hs. Datierung und die Widmung als vorläufig abgeschlossen. Es folgen weitere Entwürfe zu Destille III in Notizbuch 18b vom 16. bis vmtl. 19. Januar, dann am 23. Januar die vorläufige Reinschrift (noch ohne Titel) zu Destille III mit Schreibmaschine und hs. Korrekturen. Am oder kurz vor dem 26. Januar verfasst Benn zwei Entwürfe zu einem hs. »Bis Neun« überschriebenen Gedicht, das später als Destille II aufgenommen wird. Der undatierte handschriftliche Entwurf H1 Destille II befindet sich auf der Verso-Seite eines Konzeptblattes zur Rede im Kolbe-Museum.12 Der wahrscheinlich nur wenig später verfasste Typoskript-Entwurf TH1 Destille II (»Bis Neun«) ist auf den, vmtl. sogar vor dem 26. Januar zu datieren. Bereits am 28. Januar 1953 sendet Benn eine Reihe von Gedichten an Max Niedermayer: Lieber Herr Niedermayer, anbei, wie verabredet, einige (sogenannte) Gedichte, alle aus der trüben Atmosphäre des Bayerischen Platzes. Ich bin keineswegs entschlossen, sie zum Drucken vorzuschlagen, vielmehr zögere ich sehr. Vor allem frage ich mich, ob man auch die leichteren und leichtsinnigen von sich geben soll, ob es nicht mehr meinem Alter und meiner Stellung entspricht, nur ganz seriös und reif und abgeschlossen aufzutreten.13 politischen Umwälzungen die Abteilung Dichtung der Akademie so lange wie möglich zu erhalten versuchte (Dyck). Vgl. zur Dokumentation, Diskussion: Jens: Dichter zwischen rechts und links. 1971, Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie [. . .] 1992, S. 359–369, Lethen: Der Sound der Väter. 2006, S. 165–180, Dyck: Der Zeitzeuge. 2006, S. 88–95, Jan-Pieter Barbian: Die vollendete Ohnmacht? Das Verhältnis der Schriftsteller zu den staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen im Dritten Reich. In: ders. (Hrsg.): Schriftsteller, Verleger und Buchhändler im NS-Staat. Ausgewählte Aufsätze. Essen: Klartext 2008, S. 13–36, Hof: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. 2011, S. 263–267. 10 Nb 18b, 9r , siehe S. 968. Vgl. Fischer-Defoy u. a. (Hrsg.): ». . . und die Vergangenheit sitzt immer mit am Tisch«. 1997, S. 149. 11 Die bereits hier, Nb 18b 9v 11 (siehe S. 971), entworfene Zeile »von Vorquartär u Frühe« spielt offenbar mit den in der Geologie verwendeten Begriffen »Vorquartär« und »Frühquartär«. Letzteren dürfte Benn spätestens durch seine Lektüre Gieselers oder auch von Dacqué her kennen. Vgl. Gieseler: Tatsächliches und Umstrittenes über den fossilen Menschen. 1931, Dacqué: Urwelt, Sage und Menschheit. 1924. Vgl. Befund in Benns Bibliothek (DLA) Hahn: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2011, 2, S. 577. 12 Vgl. SW, S. I, 106–108. 13 BLimes, S. 617f., 620. Das übersandte Manuskript ist vmtl. nicht überliefert. Im Tagebuch 18b an diesem Tag Eintragung: »Gedichte an Max«, ebd., S. 1103.
1008
Destille
Zu diesem Zeitpunkt war der Zyklus Destille noch nicht vollständig. Denn erst nach dieser ersten Gedichte-Sendung an Niedermayer, am 4. Februar, greift Benn den Entwurf vom Dezember des vorigen Jahres aus Notizbuch 18 auf und arbeitet den vierten Teil auf TH1 Destille IV aus. Schließlich ordnet Benn den dritten und vierten Teil dem Destille-Zyklus zu, indem er handschriftlich die Nummern »III« und »IV« über die Typoskript-Entwürfe TH1 Destille III und IV setzt.14 Am selben Tag schreibt er entsprechend an Niedermayer über die fortgesetzten Arbeiten an Destille und den möglichen Titel der Anthologie: [. . .] Aber vielleicht wächst sich »Destille« noch mit 2 weiteren Knospen aus u. vielleicht nenne ich den ganzen Band »Destillation«, es sind ja keine natürlichen Gedichte, sondern gefilterte, sublimierte, eben destillierte. Aber vielleicht finde ich noch etwas anderes.15
Am Ende des Briefes hält Benn eine Klarstellung für angebracht: à propos: »Destille« ist nicht Flint. Das ist ja ein hochanständiges Lokal. Aber an einer andern Ecke hat sich eine wahre Kaschemme aufgetan, Schnaps u Bier 10–20 Pf. billiger als sonstwo, von morgens an immer überfüllt u. schmutzig, da schiebe ich abends manchmal ein.16
Die nahe des Bayerischen Platzes gelegene »Boxerkneipe« des ehemaligen Schwergewichtsmeisters Otto Flint war eine von Benns Lieblingskneipen, er hatte sich bereits früher mit Niedermayer dort getroffen.17 Bei der Bemerkung Benns, es handele sich bei der »Destille« nicht um das »Flint-House«,18 könnte es sich um eine bewusste Irreführung handeln. Das Entwurftyposkript TH1 Destille I enthält eine Widmungsnotiz bzw. den expliziten Hinweis auf »(Flint)«, siehe S. 986. Am 15. Februar schreibt Benn einen Brief an Max Niedermayer, in dem er den späteren Titel der Sammlung Destillationen anregt19 und dessen Anordnung festlegt. In der beiliegenden Titelaufstellung für Marguerite Schlüter wird deutlich, dass Destille zu diesem Zeitpunkt definitiv als vierteiliger Zyklus verstanden ist: Benn nennt ihn »Destille 1–4«.20 In seinem Antwortbrief vom 17. Februar legt 14 Es ist aufgrund der gegebenen Überlieferung nicht eindeutig zu erschließen, ob Benn das »Bis Neun« betitelte Gedicht zu diesem Zeitpunkt noch als eigenständiges Begleitgedicht zu Destille I oder bereits als Destille II gesehen hat. 15 BLimes, S. 620. 16 Ebd., S. 620. 17 11./12. Juni 1950, ebd., S. 265. Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. 2007, S. 235. Die am häufigsten besuchte Kneipe in dieser Zeit war die Weinhandlung »Dramburg«, BLimes, S. 265. 18 Brief an Oelze vom 19. Juni 1951 zu Fragmente: »Gedichte um den Bayerischen Platz herum, insonderheit aus dem Flint-House, Innsbruckerstr 1 –« BOelze, II.2, S. 107. 19 Im Spiel sind ferner die Gedichttitel Jener und Nimm fort die Amarylle, BLimes, S. 624f. 20 Ebd., S. 624f.
Entstehung und Druckgeschichte
1009
Niedermayer den Titel Destillationen fest und kündigt den Umbruch an.21 Einen Korrekturabzug des Verlags schickt Benn am 5. März an Oelze, seine Anmerkungen und Korrekturen erhalten Benn und der Limes Verlag am 10. März.22 Im Mai 1953 schließlich kommt Destillationen auf den Markt. Am 26. August 1954 kann Niedermayer vermelden, dass die erste Auflage der Destillationen vergriffen ist.23 Destille I–IV wurde später in die Sammlung Gesammelte Gedichte aufgenommen.
21 »Da wir die Titelwahl haben, wollen wir also doch bei Destillationen bleiben. Das ist, glaube ich, auch ganz wirkungsvoll. Wir werden nun gleich mit dem Umbruch beginnen.«, ebd., S. 625. 22 BOelze, II.2, S. 165. 23 BLimes, S. 718.
Dank Zum Entstehen und Gelingen der vorliegenden Arbeit haben zahlreiche Personen und Institutionen direkt und indirekt beigetragen. Mein Dank gilt an erster Stelle Nele Topsøe und ihrem Sohn Vilhelm Topsøe, Ingrid Bussemer-Heinrich, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar und dem Verlag Klett-Cotta, die durch ihre freundliche Erlaubnis die Benutzung und Verwendung der Archivmaterialien im Rahmen der vorliegenden Dissertation ermöglicht haben. Dank gebührt ebenso den Universitäten Hamburg und Gent, welche mich in den Jahren der Bearbeitung auf verschiedenste Weise unterstützt und schließlich gemeinsam die Schritte zur Durchführung des Joint-PhD-Verfahrens unternommen haben. Der Universität Hamburg und dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach ist an dieser Stelle auch für die Gewährung eines Abschlussstipendiums und eines sogenannten »Marbach-Stipendiums« gedankt, welche diese Arbeit erheblich vorangebracht haben. Meinen Betreuern Jörg Schönert (Hamburg), Gunther Martens (Gent) und Benjamin Biebuyck (Gent) möchte ich für ihre Geduld, für ihren institutionellen Einsatz und ihre stetige Bereitschaft zur konkreten Unterstützung im fachlichen Gespräch besonders danken. Besonderer Dank gebührt auch den Kollegen, die in den Forschungsfeldern ›Gottfried Benn‹, ›Editionswissenschaft‹ und ›critique génétique‹ zu wichtigen Gesprächspartnern wurden und mich immer wieder fachlich und persönlich in meinem Vorhaben unterstützten. Für den besonders fruchtbaren Austausch und die vielfältige, substanzielle Unterstützung möchte ich mich bedanken bei Michael Ansel (Wuppertal), Jan Bürger (Marbach am Neckar), Almuth Grésillon (Paris), Marcus Hahn (Siegen, Gent), Louis Hay (Paris), Holger Hof (Berlin, Wuppertal), Jean-Louis Lebrave (Paris), Gunter Martens (Hamburg), Mirko Nottscheid (Hamburg), Rüdiger Nutt-Kofoth (Hamburg, Wuppertal), Galina Potapova (Bremen), Bodo Plachta (Münster), Harald Steinhagen (Bonn), Andreas Stuhlmann (Hamburg) und Dirk Van Hulle (Antwerpen). Ohne die intensive Unterstützung des Archivs wäre eine Arbeit wie diese nicht möglich gewesen. Während der Bearbeitung des Themas wurde die professionelle und gleichzeitig persönliche Betreuung und Unterstützung durch die MitarbeiterInnen des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, der Handschriften-, der Dokumentations-, der Medien- und der Bildabteilung zu einer
1012
Dank
unverzichtbaren Basis meiner Arbeit. Unter den MitarbeiterInnen habe ich besonders zu danken Jutta Bendt, Ulrich von Bülow, Jan Bürger, Michael Davidis, Frank Druffner, Marcel Lepper, Jochen Meyer, Nikolai Riedel und Katharina von Wilucki. Der VG Wort möchte ich für die großzügige Finanzierung der Druckkosten danken. Außerdem ist an dieser Stelle besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages De Gruyter für die freundliche Betreuung bei der Vorbereitung der Publikation Dank auszusprechen: Manuela Gerlof, Julia Gernth, Kevin Göthling und Susanne Rade. Ebenso sei meinen Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden gedankt, die mir in diesen Jahren in vielfältiger Weise zur Seite gestanden haben, sei es mit fachlichem Rat oder menschlich. Dieser Dank richtet sich besonders an Beate Amrhein (Hamburg), Regine Anacker (Dortmund), Olaf Benox (Hamburg), Carolin Juliane Benzing (Gent), Marta Bigus (Gent), Lenka Brandt (Hamburg), Brigitte Häring (Basel), Gerd Käckenmester (Hamburg), Elisabetta Mengaldo (Berlin, Greifswald), Ronja Müller (Hamburg), Silke Nowak (Hülben), Brenda Steinecke-Soto (Hamburg), Pamela Steen (Leipzig), Nele Tincheva (Hamburg), Daan Van den Nest (Gent) und Maaike Van Liefde (Gent). Schließlich sei auch meinen Eltern Dank zugedacht, ohne deren Rückhalt dieses Projekt nicht realisierbar gewesen wäre.
Literaturverzeichnis Editionen zu Werken und Briefen Gottfried Benns mit Siglen Gottfried Benn: Ausgewählte Briefe. Mit einem Nachwort von Max Rychner. Hrsg. v. Max Rychner. Wiesbaden, München: Limes 1957. BBüller Gottfried Benn: Briefe an Elinor Büller. Hrsg. v. Marguerite Valerie Schlüter. Stuttgart: Klett-Cotta 1992 (= Gottfried Benn Briefe 5). BHindemith Gottfried Benn: Das Unaufhörliche. Briefwechsel mit Paul Hindemith. Hrsg. v. Ann Clark Fehn. 2. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta 1993 (= Briefe 3). BLimes Gottfried Benn: Limes Verlag Briefwechsel 1948–1956. Hrsg. v. Holger Hof/Marguerite Valerie Schlüter. Stuttgart: Klett-Cotta 2006 (= Gottfried Benn Briefe 8). Gottfried Benn: Briefe an Friedrich Wilhelm Oelze. Hrsg. v. Harald BOelze Steinhagen/Jürgen Schröder. 3 Bde. Wiesbaden, München: Limes 1977 (= Gottfried Benn Briefe 1, 2). Karl Pagel: Gottfried Benn: Briefe an den Halb-Chef. In: Neue BPagel Deutsche Hefte 19.1 (1972), S. 26–61. BWedekind Gottfried Benn: Briefe an Tilly Wedekind. In: Marguerite Valerie Schlüter (Hrsg.). Gottfried Benn Briefe 4 1986. BZimmer Friedrich Wilhelm: Gottfried Benns Briefe an den Indologen Heinrich Zimmer. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 15–34. GW1 Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Hrsg. v. Dieter Wellershoff. 4 Bde. Wiesbaden: Limes 1958–61. GW2 Gottfried Benn: Gesammelte Werke. In der Fassung der Erstdrucke. Hrsg. v. Bruno Hillebrand. 4 Bde. Frankfurt a. M.: Fischer 1982– 1986. Hörwerk Gottfried Benn: Das Hörwerk 1928–56. Lyrik, Prosa, Essays, Vorträge, Hörspiele, Interviews, Rundfunkdiskussionen [mit 1 MP3 CD, 11:09 Std. Spieldauer]. Hrsg. v. Robert Galitz/Kurt Kreiler/Martin Weinmann. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins 2004. SW Gottfried Benn: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Gerhard Schuster/Ilse Benn/Holger Hof. 7 Bde. Stuttgart: Klett-Cotta 1986–2003. AusgB
1014
Traum
Literaturverzeichnis
Gottfried Benn: Den Traum alleine tragen. Neue Texte, Briefe, Dokumente. Hrsg. v. Paul Raabe/Max Niedermayer. Wiesbaden, München: Limes 1966.
Editionen zu Werken anderer Autoren Beckett, Samuel: Samuel Beckett Digital Manuscript Project. Hrsg. v. Dirk Van Hulle und Mark Nixon. 2011. url: http://www.beckettarchive.org (besucht am 27. Jan. 2013). Brecht, Bertolt: Notizbücher. Hrsg. v. Peter Villwock u. a. 14 (gepl.) Bde. Berlin: Suhrkamp 2010ff. Byron, Lord: The Works of Lord Byron. A New, Revised and Enlarged Edition, with Illustrations. Hrsg. v. Rowland E. Prothero. Bd. Letters and Journals Vol. III. London, New York: John Murray, Charles Scribner’s sons 1899. George, Stefan: Sämtliche Werke. Hrsg. v. d. Stefan-George-Stiftung. 18 Bde. Stuttgart: Klett-Cotta 1984. Gerhard, Rainer Maria: Umkreisung. Das Gesamtwerk. Hrsg. v. Uwe Pörksen, Franz Josef Knape und Young-Mi Quester. Göttingen: Wallstein 2007. Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Hrsg. v. Albrecht Schöne. 2 Bde. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 2005. Ders.: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Hrsg. v. Dieter Borchmeyer, Peter Huber, Klaus-Detlef Müller, Gottfried Honnefelder, Karl Eibl, Dorothea Kuhn, Gerhard Neumann, Hendrik Birus u. a. 1. Aufl. 40 Bde. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 1987–2013. Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Friedrich Beißner. 13 Bde. Stuttgart: Cotta, Kohlhammer 1943–1985. Klopstock, Friedrich Gottlieb: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Klaus Hurlebusch, Adolf Beck, Karl Ludwig Schneider, Hermann Tiemann u. a. Bd. Abteilung Addenda: II. Berlin et al.: de Gruyter 1977ff. Mann, Thomas: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher. Hrsg. v. Thomas Sprecher und Michael Neumann. Frankfurt a.M.: Fischer 2002ff. Ders.: Notizbücher in zwei Bänden. Hrsg. v. Hans Wysling und Yvonne Schmidlin. Frankfurt a. M.: Fischer 1991ff. Meyer, Conrad Ferdinand: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Hans Zeller und Alfred Zäch. 15 Bde. Bern: Benteli 1958–1996. Nietzsche, Friedrich: Digitale Faksimile Gesamtausgabe Nietzsches (DFGA). Hrsg. v. Paolo D’Iorio u. a. 2000ff. url: http://www.nietzschesource.org (besucht am 27. Jan. 2013). Ders.: Kritische Gesamtausgabe Werke. Hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin et al.: de Gruyter 1967ff.
Forschungsliteratur Benn, Literaturwissenschaft
1015
Schiller, Friedrich: Schillers Werke. Nationalausgabe. Hrsg. v. Siegfried Seidel, Norbert Oellers, Julius Petersen, Benno von Wiese u. a. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1980. Trakl, Georg: Dichtungen und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Walther Killy und Hans Szklenar. 2 Bde. Salzburg: Otto Müller Verlag 1969. Ders.: Sämtliche Werke und Briefe. Innsbrucker Ausgabe. Historisch-kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls. Hrsg. v. Eberhard Sauermann und Hermann Zwerschina. Basel, Frankfurt a.M.: Stroemfeld / Roter Stern 1995ff.
Forschungsliteratur zu Gottfried Benn, Literaturwissenschaft Agazzi, Elena: »Farben und Klänge gibt es in der Natur, Worte nicht«. Benns Arbeit am lyrischen Experiment zur Zeit der Statischen Gedichte. In: Raul Calzoni und Massimo Salgaro (Hrsg.): »Ein in der Phantasie durchgeführtes Experiment«. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 2010 (= Interfacing Science, Literature, and the Humanities / ACUME 2, vol. 3), S. 159–176. Agazzi, Elena und Amelia Valtolina (Hrsg.): Der späte Benn. Poesie und Kritik in den 50er Jahren. Heidelberg: Winter 2012 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 281). Allemann, Beda: Gottfried Benn. Das Problem der Geschichte. Pfullingen: Neske 1963 (= Opuscula aus Wissenschaft und Dichtung 2). Alter, Reinhard: Gottfried Benn und Börries von Münchhausen. Ein Briefwechsel aus den Jahren 1933/34. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 25 (1981), S. 139–170. Anacker, Regine: Aspekte einer Anthropologie der Kunst in Gottfried Benns Werk. Würzburg: Königshausen und Neumann 2004. Dies.: Unaufhörliche Verwandlungen. Poetik und Mutation in Benns Werk. In: Gottfried Benn. Wechselspiele zwischen Biographie und Werk. Hrsg. v. Matías Martínez. Göttingen: Wallstein 2007, S. 11–34. Ansel, Michael: Der verfemte und der unbehelligte Solitär. Gottfried Benns und Ernst Jüngers lietrarische Karrieren vor uns nach 1933. In: Lutz Hagestedt (Hrsg.): Ernst Jünger. Politik – Mythos – Kunst. Berlin, New York: de Gruyter 2004. Ders.: Wirklichkeit rein aus Hirnrinde in acht Bänden. (Rezension zu: Gottfried Benn: Sämtliche Werke – Stuttgarter Ausgabe. [. . .] Stuttgart: Klett-Cotta 2004). In: IASL Online, 27. Feb. 2005. url: http://www.iaslonline.de/index. php?vorgang_id=1268 (besucht am 27. Jan. 2013). Ders.: Zwischen Anpassung und künstlerischer Selbstbehauptung. Gottfried Benns Publikationsverhalten 1933 bis 1936. In: Gottfried Benn. Wechselspiele zwischen Biographie und Werk. Hrsg. v. Matías Martínez. Göttingen: Wallstein 2007, S. 35–70.
1016
Literaturverzeichnis
Anz, Thomas: Benns Bekenntnisse zur expressionistischen Moderne und zum Nationalsozialismus. In: Friederike Reents (Hrsg.). Göttingen: Wallstein 2007 (= Gottfried Benns Modernität), S. 11–23. Asendorpf, Winfried: »Überhaupt Bilder haben manchmal große Macht über mich.« Kunst und Künstler im Werk Benns. In: Wolfgang Peitz (Hrsg.): Denken in Widersprüchen. Korrelarien zur Gottfried Benn-Forschung. Freiburg i.B.: Becksmann 1972, S. 225–281. Aurich, Rolf: Benns Bewunderer: Erwin Goelz alias Frank Maraun. In: BennForum 1 (2008/9), S. 147–160. Aurich, Rolf und Wolfgang Jacobsen (Hrsg.): Erwin Goelz alias Frank Maraun. Filmkritiker. München: edition text und kritik 2006 (= Film und Schrift 3). Baier, Lothar: Literaturpfaffen. Tote Dichter vor dem moralischen Exekutionskommando. In: Freibeuter 57 (1993), S. 42–70. Bajohr, Frank: Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit. Frankfurt a. M.: Fischer 2001. Barbian, Jan-Pieter: Die vollendete Ohnmacht? Das Verhältnis der Schriftsteller zu den staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen im Dritten Reich. In: ders. (Hrsg.): Schriftsteller, Verleger und Buchhändler im NS-Staat. Ausgewählte Aufsätze. Essen: Klartext 2008, S. 13–36. Ders.: Literatupolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Frankfurt a. M.: dtv 1995. Beiküfner, Uta: Naturauffassung und Geschichtlichkeit im Kontext der Zeitschrift ›Das Gedicht. Blätter für die Dichtung‹ 1934 bis 1944). In: Walter Delabar, Horst Denkler und Ernst Schütz (Hrsg.): Banalität mit Stil. Zur Widersprüchlichkeit der Literaturproduktion im Nationalsozialismus. Bern et al.: Lang 1999 (= Beihefte zu ZfG 1, N.F.), S. 199–216. Berghofer, Gerd: Friedrich Merkenschlager. Ein Wissenschaftler trotzt den Rassegedanken der Nazis. Treuchlingen u.a.: wek Verlag 2010. Bielefeld, Michael: Bestätigung tiefster Zerrüttung. Zum Reise-Motiv und seiner Bedeutung bei Gottfried Benn. In: Heinz Ludwig Arnold u. a. (Hrsg.): Gottfried Benn. 2. Aufl. München: edition text und kritik 1985 (= Text und Kritik 44), S. 54–62. Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Geschlechterpolitik. Münster: MV-Wissenschaft 2010. Bohrer, Karl Heinz: Der Abschied. Theorie der Trauer. Baudelaire, Goethe, Nietzsche, Benjamin. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996, S. 30ff. Bosch, Manfred: Zeit der schönen Not. Die Anfangsjahre des Südverlag in Konstanz 1945 bis 1952. Konstanz: UVK Verlags GmbH 2009. Breuer, Stefan: Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995.
Forschungsliteratur Benn, Literaturwissenschaft
1017
Brieler, Heinz Sigurd: Autographen nachgereicht. Gottfried Benn in Erstausgaben, Widmungen und Handschriften. Privatdruck. Goslar: Axel Klose Ultraleicht Katalog Druckerei 2012. Ders.: In alter Zeitgenossenschaftlichkeit 1912–1956. Gottfried Benns Widmungen an Rudolf Kurtz. Warmbronn: Keicher 2011. Buddecke, Wolfram: »Alles ist möglich«. Zum Thema Frauen und Liebe in der Lyrik Gottfried Benns. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 110.4 (1991), S. 593–618. Burdorf, Dieter: Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte. Stuttgart, Weimar: Metzler 2000. Burger, Hermann: Die Kunst der Schwebe. In: Frankfurter Anthologie 13 (1990), S. 195–198. Bürger, Jan: Benns Doppelleben oder Wie man sich selbst zusammensetzt. Marbach a. N.: Deutsche Schillergesellschaft 2006 (= Marbacher Magazin 113). Busche, Jürgen: Die Meldung zum Ende des Humanismus. In: Frankfurter Anthologie 27 (2004), S. 115–117. Büssgen, Antje: Der späte Benn: Modern, postmodern, konventionell – oder nur sich selbst treu als Verfechter einer anthropologisch fundierten Werkpoetik? In: Elena Agazzi und Amelia Valtolina (Hrsg.): Der späte Benn. Poesie und Kritik in den 50er Jahren. Heidelberg: Winter 2012, S. 31–54. Dies.: Glaubensverlust und Kunstautonomie. Über die ästhetische Erziehung des Menschen bei Friedrich Schiller und Gottfried Benn. Heidelberg: Winter 2006 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 217). Byrner, Hans: Das Rosenmotiv in Gottfried Benns Lyrik. Skizzen zu Bild und Bau. Bern et al.: Lang 1985, S. 119–132. Chamberlin, Brewster S. (Hrsg.): Kultur auf Trümmern: Berliner Berichte d. amerikan. Information Control Sect. Juli—Dezember 1945. Übers. v. Christel Frei. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1979. Decker, Gunnar: Gottfried Benn. Genie und Barbar. Berlin: Aufbau 2006. Detering, Heinrich: »Es kann nicht kalt genug sein«. Bemerkungen aus Anlaß der neuen Benn-Ausgabe. In: Merkur 58 (2004), S. 620–627. Dickhoff, Wilfried W.: Zur Hermeneutik des Schweigens. Ein Versuch über das Imaginäre bei Gottfried Benn. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Athenäum 1987 (= Hochschulschriften Literaturwissenschaft 64). Dotzler, Bernhard: Nihilistischer positiv sein. Zur Stuttgarter Benn-Ausgabe. In: Merkur 46 (1992), S. 436–441. Düsterberg, Rolf: Hanns Johst. »Der Barde der SS«. Karrieren eines deutschen Dichters. Paderborn: Schöningh 2004. Dyck, Joachim: Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929–1949. Göttingen: Wallstein 2006. Ders.: Dichten in der Wehrmacht. Gottfried Benns Gedicht Monolog (1941) im zeitgenössischen Kontext. In: Benn-Forum 2 (2010/11), S. 59–78.
1018
Literaturverzeichnis
Dyck, Joachim: Gespräch mit Fritz Werner (1986). In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 112–131. Ders.: Gottfried Benn. Einführung in Leben und Werk. Berlin et al.: de Gruyter 2009. Ehrsam, Thomas: Konzessionen an die Stimmung der Eidgenossen. Drei Schweizer als Geburtshelfer von Benns Comeback. In: Werner Bucher (Hrsg.): Orte. Schweizer Literaturzeitschrift 31.150 (2007), S. 53–57. Ders.: Tief in der Tusche des Lichts. Verse für eine mondäne Geliebte: Ein unbekanntes Gedicht Gottfried Benns auf die Porträtfotografin Riess. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Apr. 2007, S. 37. Fick, Monika: Komm, Schöpfer Tod. Zum Verhältnis von Biologie und Dichtung bei Gottfried Benn. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 81.2 (2007), S. 282–314. Fischer, Bernhard: ›Stil‹ und ›Züchtung‹. Gottfried Benns Kunsttheorie und das Jahr 1933. In: IASL 12 (1987), S. 190–212. Fischer-Defoy, Christine und Stiftung Archiv der Akademie der Künste (Hrsg.): ». . . und die Vergangenheit sitzt immer mit am Tisch«. Dokumente zur Geschichte der Akademie der Künste (West) 1945 / 1954–1993. Berlin: Henschel 1997. Fues, Wolfram Malte: Nur zwei Dinge: um 50. Todestag Gottfried Benns. In: Manuskripte 46 (2006), S. 121–126. Gamm, Hans-Jochen: Der Flüsterwitz im Dritten Reich. Mündliche Dokumente zur Lage der Deutschen während des Nationalsozialismus. München: List 1990. Gann, Thomas: Gehirn und Züchtung. Gottfried Benns psychiatrische Poetik 1910 bis 1933/34. Bielefeld: Transcript 2007. Gauger, Hans-Martin: Hoher Stil als eskalierende Schriftlichkeit. Gottfried Benn: »Restaurant« und »Nur zwei Dinge«. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1996. Göttingen: Wallstein 1997, S. 124–125. Gerhard, Rainer Maria: Umkreisung. Das Gesamtwerk. Hrsg. v. Uwe Pörksen, Franz Josef Knape und Young-Mi Quester. Göttingen: Wallstein 2007. Gess, Nicola: Sie sind, was wir waren. Literarische Reflexionen einer biologischen Träumerei von Schiller bis Benn. In: Jahrbuch der deutschen SchillerGesellschaft 56 (2012), S. 107–125. Goodrick-Clarke, Nicholas: Black Sun. Aryan Cults, Esoteric Nazism and the Politics of Identity. New York 2002, S. 52–72. Görner, Rüdiger: Gottfried Benn’s »Statische Gedichte«: Implications of Benn’s Notion of History. In: Paul Foley Casey und Timothy J. Casey (Hrsg.): Gottfried Benn. The Galway Symposium. Galway: Galway University Press 1990, S. 127–140. Görtz, Franz Josef und Hans Sarkowics: Heinz Rühmann 1902–1994. Der Schauspieler und sein Jahrhundert. München: Beck 2001. Greve, Ludwig, Ute Doster und Jutta Salchow: Gottfried Benn 1886–1956. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar. Marbach a. N.: Deutsche Schillergesellschaft 1986 (= Marbacher Kataloge 41).
Forschungsliteratur Benn, Literaturwissenschaft
1019
Grimm, Reinhold: Die problematischen »Probleme der Lyrik«. In: Bruno Hillebrand (Hrsg.): Gottfried Benn. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (= Wege der Forschung 316), S. 206–239. Günther, Heintz: Ein Kapitel aus der poetischen Wirkungsgeschichte Stefan Georges: Gottfried Benn. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht 13.1 (1980), S. 1–28. Hahn, Marcus: Assoziation und Autorschaft. Gottfried Benns Rönne- und Pameelen-Texte und die Psychologien Theodor Ziehens und Semi Meyers. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 80.2 (2006), S. 245–316. Ders.: Das anti-darwinistische Ich. Gottfried Benn und die Biologie 1919. In: Friederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007, S. 142–171. Ders.: »Der Affe stammt vom Menschen ab«. M. Westenhöfer, H. Klaatsch und die Anthropologie-Rezeption Gottfried Benns. In: Franz-Josef Deiters, Axel Fliethmann, Birgit Lang, Alison Lewis und Christiane Weller (Hrsg.): Nach der Natur = after nature. Bd. 3. Freiburg i.B.: Rombach 2010 (= Limbus: Australisches Jahrbuch für germanistische Literatur- und Kulturwissenschaft 3), S. 127–157. Ders.: Die armen Hirnhunde: Gottfried Benn und die Neurologie um 1910. In: Matías Martínez (Hrsg.): Gottfried Benn. Wechselspiele zwischen Biographie und Werk. Göttingen: Wallstein 2007, S. 147–167. Ders.: Die Stellung des Gehirns im Leben. Gottfried Benn und die philosophische Anthropologie Max Schelers. In: Ulrich Bröckling, Benjamin Bühler, Marcus Hahn, Matthias Schöning und Manfred Weinberg (Hrsg.): Disziplinen des Lebens. Zwischen Anthropologie, Literatur und Politik. Tübingen: Narr 2004 (= Literatur und Anthropologie 20), S. 87–110. Ders.: Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. 2 Bde. Göttingen: Wallstein 2011. Ders.: Innere Besichtigung 1912. Gottfried Benn und die Anatomie. In: Weimarer Beiträge 52.3 (2006), S. 325–353. Ders.: (Rezension zu Thomas Gann: Gehirn und Züchtung. Gottfried Benns psychiatrische Poetik 1910–1933/34, 2007). (Rezension zu: Gottfried Benn: Sämtliche Werke – Stuttgarter Ausgabe. [. . .] Stuttgart: Klett-Cotta 2004). In: Benn-Forum 1 (27. Feb. 2005), S. 163–167. url: http://www.iaslonline.de/ index.php?vorgang_id=1268 (besucht am 27. Jan. 2013). Ders.: Über einen Fall von innerer Einklemmung zwischen Literatur und Wissenschaft. Gottfried Benns »Ithaka«. In: Text und Kritik 44 (2006), S. 50– 57. Ders.: Zusammenfließende Eichhörnchen. Über Lucien Lévy-Bruhl und die Ethnologie-Rezeption Robert Musils. In: Ulrich Johannes Beil, Michael Gamper und Karl Wagner (Hrsg.): Medien, Technik, Wissenschaft: Wissensüber-
1020
Literaturverzeichnis
tragung bei Robert Musil und in seiner Zeit. Bd. 17. Zürich: Chronos 2011 (= Medienwechsel, Medienwissen 17), S. 47–72. Hakl, Hans Thomas: »Die Adler Odins fliegen den Adlern der römischen Legion entgegen«. Gottfried Benn und Julius Evola. In: Benn Jahrbuch 1 (2003), S. 100–134. Hanna, Christian M.: Gottfried Benn Bibliographie. Sekundärliteratur 1957–2003. Berlin et al.: de Gruyter 2006. Hannum, Hunter T.: George and Benn. The Autumnal Vision. In: Wolfgang Peitz (Hrsg.): Denken in Widersprüchen. Korrelarien zur Gottfried Benn-Forschung. Freiburg i.B.: Becksmann 1972, S. 205–224. Hans von Pezold. Personendatensatz. In: Deutsche Nationalbibliothek, WEBIS online. url: http://d-nb.info/gnd/132300001 (besucht am 27. Jan. 2013). Haupt, Jürgen: Natur und Lyrik. Naturbeziehungen im 20. Jahrhundert. Stuttgart: Metzler 1983. Heintel, Helmut: Block II, Zimmer 66. Gottfried Benn in Landsberg 1943–1945. Eine bildliche Dokumentation. Stuttgart: Urachhaus 1988. Hochbahn, Renate: Astern. In: Interpretationen. Gedichte von Gottfried Benn. Hrsg. v. Harald Steinhagen. Stuttgart: Reclam 1997, S. 113–132. Höcker, Arne: Artistische Dinge oder Wie man lyrische Gedichte macht: Gottfried Benns Schreibszene. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 129.4 (2010), S. 609–621. Hof, Holger: Aprèslude oder »Der Frau gehört die Welt«. Letzte Ergebnisse des Schwarzen Heftes. In: Elena Agazzi und Amelia Valtolina (Hrsg.): Der späte Benn. Poesie und Kritik in den 50er Jahren. Heidelberg: Winter 2012, S. 95–116. Ders.: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten. Stuttgart: Klett-Cotta 2007. Ders.: Gottfried Benn – der Mann ohne Gedächtnis. Eine Biografie. Stuttgart: KlettCotta 2011. Ders.: Montagekunst und Sprachmagie. Zur Zitiertechnik in der essayistischen Prosa Gottfried Benns. Aachen: Shaker 1997. Hoffmann, Christoph: Schneiden und Schreiben. Das Sektionsprotokoll in der Pathologie um 1900. In: ders. (Hrsg.): Daten sichern. Schreiben und Zeichnen als Verfahren der Aufzeichnung. Zürich, Berlin: Diaphanes 2008 (= Wissen im Entwurf 1), S. 153–196. Hoffmann, Christoph und Lidia Westermann: Gottfried Benns Literaturreferate in der Berliner Klinischen Wochenschrift. Faksimileabdruck und Einführung. Berlin: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte 2009 (= Max-PlanckInstitut für Wissenschaftsgeschichte Preprint 387). Holthusen, Hans Egon: Leben, Werk, Widerspruch 1886–1922. Stuttgart: KlettCotta 1986. Holzerland, Franz: Die Arbeiterbewegung in Berlin. Ihre Organisation und ihre Führer. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 95–112.
Forschungsliteratur Benn, Literaturwissenschaft
1021
Homann, Renate: Literatur als inhärente Komparatistik. Gottfried Benns Gedicht ›Orpheus’ Tod‹. In: Hendrik Birus (Hrsg.): Germanistik und Komparatistik. DFG-Symposion 1993. Stuttgart: Metzler 1995, S. 92–110. Homeyer, Helene: Gottfried Benn und die Antike. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 79 (1960), S. 113–124. Hoorn, Tanja van: Weinhaus Wolf, Gottfried Benns »Spätlese«. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 53 (2009), S. 292–317. Horch, Hans-Otto und Gerhard Schuster: ». . . ein eigentümlich zwiespältiges Etwas«. Gottfried Benn und Hugo von Hofmannsthal. Anmerkungen zu einem poetologischen Konflikt. In: Dieter Borchmeyer (Hrsg.): Poetik und Geschichte. Viktor Žmegač zum 60. Geburtstag. Tübingen: Niemeyer 1989, S. 250–269. Hörisch, Jochen: »Die Mitte, der sich alle neigten«. Gottfried Benns Gedicht »Verlorenes Ich«. In: Andreas Böhn, Ulrich Kittstein und Christoph Weiß (Hrsg.): Lyrik im historischen Kontext. Festschrift für Reiner Wild. Würzburg: Königshausen und Neumann 2009, S. 327–332. Jander, Simon: Die Poetisierung des Essays. Rudolf Kassner, Hugo von Hofmannsthal, Gottfried Benn. Heidelberg: Winter 2007. Jens, Inge: Dichter zwischen rechts und links. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst der Peußischen Akademie der Künste. Dargestellt in Dokumenten. München: Piper 1971. John, Helmut: Fritz Wüllners Gottfried-Benn-Sammlung in der Stadt- und Landesbibliothek in Potsdam. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 221–223. Karcher, Simon: Sachlichkeit und elegischer Ton. Die späte Lyrik von Gottfried Benn und Bertolt Brecht – ein Vergleich. Würzburg: Königshausen und Neumann 2006. Kauf, Robert: Das Wort ›Haune‹ in Gottfried Benns Gedicht Orpheus’ Tod. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 203.1 (1967), S. 52–53. Keith, Thomas: »Die Welt als artistisches Phänomen«. Gottfried Benns NietzscheRezeption. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 10.1 (2000), S. 116–126. Kiesel, Helmuth: Gottfried Benns Probleme mit dem »Herrn [Sedlmayr] von der Mitte«. In: Peter Uwe Hohendahl und Erhard Schütz (Hrsg.): Perspektiven konservativen Denkens. Bern et al.: Langen 2012 (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. N.F. 26), S. 179–194. Ders.: Reim als Botschaft. In: Frankfurter Anthologie 17 (1994), S. 145–148. Ders.: Reim als Botschaft. In: Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Hundert Gedichte des Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Insel 2000, S. 122–123. Kiesel, Helmuth und Birgit Pape: »Zur Schröder-Hymne ein Kaninchenfell!« Die Hymnen-Debatte von 1950–1952 unter besonderer Berücksichtigung von Gottfried Benns Anmerkungen zu Rudolf Alexander Schröders Entwurf für eine neue deutsche Nationalhymne. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.):
1022
Literaturverzeichnis
Geschichtserfahrung im Spiegel der Literatur. Festschrift für Jürgen Schröder zum 65. Geburtstag. Tübingen: Stauffenburg-Verlag 2000 (= StauffenburgFestschriften), S. 290–303. Kirchdörfer-Boßmann, Ursula: »Eine Pranke in den Nacken der Erkenntnis«. Zur Beziehung von Dichtung und Naturwissenschaft im Frühwerk Gottfried Benns. St. Ingbert: Röhrig 2003. Kittler, Friedrich A.: Benns Gedichte – ›Schlager von Klasse‹. In: ders. (Hrsg.): Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. Leipzig: Reclam 1993, S. 105–129. Körber, Thomas: Nietzsche nach 1945. Zu Werk und Biographie Friedrich Nietzsches in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Würzburg: Königshausen und Neumann 2006. Korte, Hermann: Lyrik von 1945 bis zur Gegenwart. München: Oldenbourg 2000. Krüger, Horst: Vergeblich das Fahren? In: Frankfurter Anthologie 3 (1978), S. 146– 148. Kuhlmann, Wolfgang: 15500 Belegstücke zu Gottfried Benn. Der Freiburger Buchhändler Fritz Werner hat das größte Gottfried-Benn-Archiv aufgebaut. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 42.61 (1986), S. 2020–2021. Küsters, Beate: »Im Wettlauf mit der Zeit«. Die Restaurierung der BennBibliothek. In: Michael Knoche, Justus H. Ulbricht und Jürgen Weber (Hrsg.): Zur unterirdischen Wirkung von Dynamit. Vom Umgang Nietzsches mit Büchern zum Umgang mit Nietzsches Büchern. Wiesbaden: Harrassowitz 2006 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 48), S. 219–223. Lee, David: Gottfried Benns »St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts«. In: Martha Woodmansee und Walter F. W. Lohnes (Hrsg.): Erkennen und Deuten. Essays zur Literatur und Literaturtheorie. Edgar Lohner in memoriam. Berlin: Erich Schmidt 1983, S. 273–299. Lehnert, Herbert und Eva Wessel: Nihilismus und Menschenfreundlichkeit. Thomas Manns ›Wandlung‹ und sein Essay Goethe und Tolstoi. Frankfurt a.M.: Klostermann 1991 (= Thomas-Mann-Studien 9). Leibfried, Erwin: Gottfried Benns Gedicht »Astern« oder der Übergang von Hermeneutik in Theorie der Geschichte. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht 11 (1978), S. 141–148. Lethen, Helmut: Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit. 2. Aufl. Berlin: Rowohlt 2006. Ders.: Drei Männer im Schutt. Gottfried Benn, Ernst Jünger und Carl Schmitt. Eine Episode aus der Nachkriegszeit. In: LiteraturMagazin 39 (1997), S.142– 157. Liewerscheidt, Dieter: Gottfried Benns Lyrik. Eine kritische Einführung. München: Oldenbourg 1980. Lingens, Peter: Die Absage an das Reisen bei Gottfried Benn. Ein literarisches Motiv und seine Quelle. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 194–206.
Forschungsliteratur Benn, Literaturwissenschaft
1023
Lohner, Edgar: Gottfried Benn. Bibliographie 1912–1955. In: Philobiblon 1.1 (1957), S. 59–79. Lorenz, Otto: Schweigen in der Dichtung: Hölderlin – Rilke – Celan. Studien zur Poetik deiktisch-elliptischer Schreibweisen. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1989 (= Palaestra 284). Lüders, Eva M.: Das lyrische Ich und das gezeichnete Ich. Zur späten Lyrik Gottfried Benns. In: Wirkendes Wort 15 (1965), S. 361–385. Meyer, Theo: Kunstproblematik und Wortkombinatorik bei Gottfried Benn. Köln: Böhlau 1971. Miller, Gerlinde: Die Bedeutung des Entwicklungsbegriffs für Menschenbild und Dichtungstheorie bei Gottfried Benn. New York et al.: Lang 1990 (= New York University Ottendorfer Series N.F. 29). Mittenzwei, Werner: Der Untergang einer Akademie [. . .] Der Einfluß der nationalkonservativen Dichter an der Preußischen Akademie der Künste 1918 bis 1947. Berlin, Weimar: Aufbau 1992. Neue deutsche Biographie. Berlin: Duncker und Humblot 1951–2013. Perels, Christoph: Nachwort. In: Gottfried Benn. Gedichte. Hrsg. v. dems. Leipzig: Reclam 1988, S. 145–166. Ders.: »tief versöhnt«. Kleiner Beitrag zur Benn-Philologie. In: Heimo Reinitzer (Hrsg.): Textkritik und Interpretation. Festschrift für Konrad Polheim. Frankfurt a. M. u.a.: Lang 1987, S. 439–451. Petersdorff, Dirk von: Benn in der Bundesrepublik. Zum späten Werk. In: Friederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007, S. 24–37. Ders.: Fliehkräfte der Moderne. Zur Ich-Konstitution in der Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Hermaea Germanistische Forschungen neue Folge 107). Ders.: Wie modern ist die ästhetische Moderne? Gottfried Benns Kunst-Vorstellungen in ihrer Entstehung und in ihren Folgen. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 118 (1999), S. 165–185. Pfeiffer, Jürgen: Hirnforschung im Zwielicht. Beispiele verführbarer Wissenschaft aus der Zeit des Nationalsozialismus. Julius Hallervorden – H.-J. Scherer – Berthold Ostertag. Husum: Matthiesen 1997 (= Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 79). Ders.: Neuropathologische Forschung an ›Euthanasie‹-Opfern in zwei KaiserWilhelm-Instituten. In: Doris Kaufmann (Hrsg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. Bd. 2. Göttingen: Wallstein 2000 (= Geschichte der KaiserWilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 1, 2), S. 667–698. Pörksen, Uwe: Rainer Maria Gerhardts legendäre Zeitschrift »fragmente« und sein Versuch, am Thron Benns zu rütteln. In: Helmut Böttiger, Bernd Busch, Thomas Combrink und Lutz Dittrich (Hrsg.): Doppelleben. Literarische Szenen
1024
Literaturverzeichnis
aus Nachkriegsdeutschland. 2 Bde. Bd. 2. Göttingen: Wallstein 2009, S. 395– 402. Raabe, Paul: Gottfried Benn in Hannover 1935–1937. Seelze-Velber: Friedrich 1986. Raulff, Helga, Marcel Lepper, Jan Bürger und Reinhard Laube (Hrsg.): Strahlungen. Atom und Literatur. Marbach a. N.: Deutsche Schillergesellschaft 2008 (= Marbacher Magazin 123/124). Reents, Friederike (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007. Dies.: Nur zwei Dinge – Zur Doppelsichtigkeit des lyrischen Ichs. In: dies. (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007, S. 75–88. Ridley, Hugh: Gottfried Benn. Ein Schriftsteller zwischen Erneuerung und Reaktion. Opladen: Westdeutscher Verlag 1990. Ders.: Orpheus Reborn: Gottfried Benn’s Orpheus’ Death. In: Classics Ireland 3 (1996), S. 163–181. Ries, Thorsten: »Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht«. Zur Problematik der Textgenese in den Notizbüchern Gottfried Benns. In: Edition und Interpretation moderner Lyrik seit Hölderlin. Hrsg. v. Dieter Burdorf. Berlin et al.: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 33), S. 155–175. doi: 10.1515/9783110231526.155. Ders.: »Materialität«? Notizen aus dem Grenzgebiet zwischen editorischer Praxis, Texttheorie und Lektüre. Mit einigen Beispielen aus Gottfried Benns ›Arbeitsheften‹. In: Martin Schubert (Hrsg.): Materialität in der Editionswissenschaft. Berlin et al.: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 32), S. 159– 178. Ders.: Notizbuchexperimente. Strategien der Textproduktion in Gottfried Benns ›Arbeitsheften‹. In: Hrsg. v. Matías Martínez. Göttingen: Wallstein 2007, S. 203–230. Roche, Mark W.: Christ and the Lost I. Multiple Interpretations of Gottfried Benn’s Poem »Verlorenes Ich«. In: Religion & Literature 34.3 (2002), S. 27–56. Ders.: Mehrdeutigkeit in Benns Gedicht »Verlorenes Ich«. In: Benn Jahrbuch 1 (2003), S. 135–156. Rübe, Werner: Provoziertes Leben. Gottfried Benn. Stuttgart: Klett-Cotta 1993. Runge, Edith A.: Gottfried Benns »Nur zwei Dinge«. In: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur 49.4 (1957), S. 161–178. Dies.: Gottfried Benns »Nur zwei Dinge«. Kunst und Künstler im Werk Benns. In: Wolfgang Peitz (Hrsg.): Denken in Widersprüchen. Korrelarien zur Gottfried Benn-Forschung. Freiburg i.B.: Becksmann 1972, S. 343–364. Sallinger, Michael: Fritz Werner und sein Gottfried Benn-Archiv in Freiburg. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 101–110.
Forschungsliteratur Benn, Literaturwissenschaft
1025
Sauder, Gerhard: »Monolog« in der Bendlerstraße 34. In: Harald Steinhagen (Hrsg.): Gedichte von Gottfried Benn. Stuttgart: Reclam 1997 (= UniversalBibliothek 17501). Schärf, Christian: Der Unberührbare. Gottfried Benn – Dichter im 20. Jahrhundert. Bielefeld: Aisthesis 2006. Ders.: Die Fuge des Quartär. Essay und Finallage in Gottfried Benns Prosa nach 1935. In: Friederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Göttingen: Wallstein 2007, S. 191–204. Schmidt-Wiegand, Ruth: Gustav Falke. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 5. 1961, S. 7–8. Schöne, Albrecht: Gottfried Benn: »Monolog«. In: Vom Betreten des Rasens. Siebzehn Reden über Literatur. Hrsg. v. Albrecht Schöne und Ulrich Joost. München: Beck 2005. Schönwandt, Katja: Das Gegenstück zum Sprechen. Untersuchungen zum Schweigen in der skandinavischen und deutschen Literatur. Frankfurt a. M. u.a.: Lang 2011 (= Berliner Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte 10). Schröder, Jürgen: Destillierte Geschichte. Zum Gedicht »Nur zwei Dinge«. In: Gottfried Benn und die Deutschen. Studien zu Werk, Person und Zeitgeschichte. Hrsg. v. dems. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg 1986 (= Stauffenburg Colloquium 1), S. 73–79. Ders.: »Die Laus aus Mansfeld (Westpriegnitz)«. Gottfried Benn und Fjodor M. Dostojewski. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 55 (2011), S. 307–323. Ders.: »Es knistert im Gebälk«. Gottfried Benn – ein Emigrant nach innen. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 12 (1994), S. 31–52. Ders.: Gottfried Benn. Poesie und Sozialisation. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1978 (= Sprache und Literatur 103). Ders. (Hrsg.): Gottfried Benn und die Deutschen. Studien zu Werk, Person und Zeitgeschichte. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg 1986 (= Stauffenburg Colloquium 1). Ders.: Gottfried Benns späte Lyrik und Lyriktheorie. In: Günter Schnitzler, Gerhard Neumann und Jürgen Schröder (Hrsg.): Bild und Gedanke. Festschrift für Gerhart Baumann zum 60. Geburtstag. München: Fink 1980, S. 410–424. Ders.: »Imitatio Christi«. Ein lyrisches Bewältigungsmodell in den Jahren 1934– 1936. In: Gottfried Benn und die Deutschen. Studien zu Werk, Person und Zeitgeschichte. Hrsg. v. dems. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg 1986 (= Stauffenburg Colloquium 1), S. 39–57. Sedgwick, Mark J.: Against the Modern World. Traditionalism and the Secret History of the Twentieth Century. Oxford 2004. Sideras, Agis: Paul Celan und Gottfried Benn. Zwei Poetologien nach 1945. Würzburg: Königshausen und Neumann 2005 (= Epistemata 545).
1026
Literaturverzeichnis
Sorg, Bernhard: Das lyrische Ich. Untersuchungen zu deutschen Gedichten von Gryphius bis Benn. Tübingen: Niemeyer 1984. Steinhagen, Harald: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. Die Vollendung seiner expressionistischen Lyrik. Stuttgart: Klett 1969 (= Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft 28). Ders.: Gottfried Benn. Texte aus dem Nachlass (1933–1955). In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 13 (1969), S. 98–114. Stephan, Inge: »Frei flottierende Affekte«. Zu Klaus Theweleits Buch der Könige. In: Zeitschrift für Germanistik NF 8 (1998), S. 108–113. Stocker, Peter: Orpheus-Krisen. Zum Verhältnis von poetologischer Grenzsituation und Orpheus-Bild in der Literatur der Moderne. In: Dorothea Lauterbach, Uwe Spörl und Uli Wunderlich (Hrsg.): Grenzsituationen. Wahrnehmung, Bedeutung und Gestaltung in der neueren Literatur. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 2002, S. 151–164. Streim, Gregor: Das Ende des Anthropozentrismus. Anthropologie und Geschichtskritik in der deutschen Literatur zwischen 1930 und 1950. Berlin, New York: de Gruyter 2008 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 49). Stuhlmann, Andreas: Die »Literatur – das sind wir und unsere Feinde«: Literarische Polemik bei Heinrich Heine und Karl Kraus. Würzburg: Königshausen und Neumann 2010. Theweleit, Klaus: Das Buch der Könige. Orpheus und Eurydike. Bd. 1. Basel, Frankfurt a.M.: Stroemfeld Roter Stern 1988. Ders.: The Politics of Orpheus between Women, Hades, Political Power and the Media. Some Thoughts on the Configuration of the European Artist, starting with the Figure of Gottfried Benn or: What happened to Eurydice? In: New German Critique 36 (1985), S. 133–156. Townson, Michael R.: The Montage-Technique in Gottfried Benn’s Lyric. In: Wolfgang Peitz (Hrsg.): Denken in Widersprüchen. Korrelarien zur Gottfried Benn-Forschung. Freiburg i.B.: Becksmann 1972 (= Materialien zur deutschen Literatur 3), S. 142–170. Travers, Martin: Gottfried Benn’s »Statische Gedichte« (1948) and the Final ›Turn‹ towards the Poetic in the Work of Martin Heidegger. In: German Life and Letters 63.28 (2010), S. 179–193. Ders.: The Poetry of Gottfried Benn. Text and Selfhood. Oxford, Bern, Berllin et al.: Lang 2007 (= Studies in Modern German Literature 106). Urban, Bernd: An der Klosterpforte. Spuren der Thomas von Aquin-Rezeption bei Benn. In: Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik 6 (2009), S. 271– 298. Wallrath-Janssen, Anne-M.: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich. München: K.G. Saur 2007.
Quellen
1027
Wegmann, Thomas: »Ach, vergeblich das Fahren!« Gottfried Benns Ästhetik des Bleibens und einige konservative Allianzen im literarischen Feld. In: Peter Uwe Hohendahl und Erhard Schütz (Hrsg.): Perspektiven konservativen Denkens. Bern et al.: Langen (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. N.F. 26), S. 163–178. Ders.: Erlesene Tatsachen. Gottfried Benn und das populäre Sachbuch. In: Non Fiction 2.1 (2007), S. 47–59. Ders.: Zur Kybernetik eines literarischen Comebacks. Gottfried Benn und Walter Boehlich – ein wiedergefundener Briefkontakt. In: Benn-Forum 2 (2010/11), S. 145–152. Weiß, Volker: Dostojewskijs Dämonen. Thomas Mann, Dmitri Mereschkowski und Arthur Moeller van den Bruck im Kampf gegen ›den Westen‹. In: Heiko Kaufmann, Helmut Kellershohn und Jobst Paul (Hrsg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie. Münster: Unrast 2005, S. 90–122. Wellershoff, Dieter: Der Gleichgültige. Versuche über Hemingway, Camus, Benn und Beckett. Köln, Berlin: Kiepenheuer und Witsch 1963 (= Essay 2). Ders.: Gottfried Benn. Phänotyp dieser Stunde. [1. Aufl. 1958]. München: dtv 1976. Wilhelm, Friedrich: Gottfried Benns Briefe an den Indologen Heinrich Zimmer. In: Benn Jahrbuch 2 (2004), S. 15–34. Willems, Gottfried: Benns Projekt der »Phase II« und die Problematik einer Postmoderne. In: Horst Albert Glaser (Hrsg.): Gottfried Benn 1886–1956. Referate des Essener Colloquiums zum 100. Geburtstag. 2. Aufl. Frankfurt a. M. u.a.: Lang 1991, S. 9–28. Ders.: Großstadt- und Bewußtseinspoesie. Über Realismus in der modernen Lyrik, insbesondere im lyrischen Spätwerk Gottfried Benns und in der deutschen Lyrik seit 1965. Tübingen: Niemeyer 1981 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 31). Wodtke, Friedrich Wilhelm: Die Antike im Werk Gottfried Benns. Wiesbaden: Limes 1963. Zimmer, Dieter E.: Warnung vor Tourismus. In: Frankfurter Anthologie 8 (1984), S. 146–148.
Quellen Anonymus: Bemerkungen über die englische Gesellschaft. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 366–384. Anonymus: Literarische Notizen. In: Deutsche Rundschau 49 (1886), S. 157. Anonymus: Politische Rundschau. In: Deutsche Rundschau 49 (1886), S. 147–152. Bamberger, Ludwig: Arthur Chuquet. Ein Muster objectiver Geschichtschreibung. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 240–263.
1028
Literaturverzeichnis
Bilz, Rudolf: Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen. Leipzig: Georg Thieme 1940 (= Schriftenreihe zur Deutschen medizinischen Wochenschrift). Blennerhassett, Rose: Was Frauen vermögen. In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 72–86. Blennerhassett, Rose und Lucy Sleeman: Adventures in Mashonaland, by two Hospital Nurses. London: Macmillan & Co. 1893. Boas, Friedrich: Vom Formbild zum Wirkbild der Pflanze. In: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft VII (1941), S. 31–43. Bolk, Louis: Das Problem der Menschwerdung. Vortrag gehalten am 15. April 1926 auf der XXV. Versammlung der Anatomischen Gesellschaft zu Freiburg. Jena: Fischer 1926. Brockhaus’ Konversations-Lexikon. 14. Aufl. Leipzig: Brockhaus 1894–1896. Bychowski, Gustav: Metaphysik und Schizophrenie. Eine vergleichend-psychologische Studie. Berlin: Karger 1923. Byron, Lord: The Works of Lord Byron. A New, Revised and Enlarged Edition, with Illustrations. Hrsg. v. Rowland E. Prothero. Bd. Letters and Journals Vol. III. London, New York: John Murray, Charles Scribner’s sons 1899. Chuquet, Arthur: Ewald de Kleist. Paris: Plon-Nourrit 1902. C.N.: Berichte über die Bibliotheken einzelner Städte. In: Centralblatt für Bibliothekswesen 20 (1903), S. 163–172. Dacqué, Edgar: Die Urgestalt – der Schöpfungsmythus neu erzählt. Leipzig: Insel 1940. Ders.: Urwelt, Sage und Menschheit. Eine naturhistorisch-metaphysische Studie. München: Oldenbourg 1924. Daniel, Hermann Adalbert: Handbuch der Geographie. 2. Teil: Die europäischen Länder außer Deutschland. 2. Aufl. Leipzig: Fues’s Verlag 1866. Däubler, Theodor: Die Treppe zum Nordlicht. Leipzig: Insel 1920. Dilthey, Wilhelm: Die drei Epochen der modernen Aesthetik und ihre heutige Aufgabe. In: Deutsche Rundschau 72 (1892), S. 200–236. Dingler, Hugo: Die Methode der Physik. München: Reinhardt 1938. Dos Passos, John: Auf den Trümmern. Roman zweier Kontinente. Aus dem Englischen übers. v. Paul Baudisch. Berlin: Fischer 1932. Dostojewski, Fedor M.: Die Dämonen. Hrsg. v. Moeller van den Bruck und Dimitri Mereschkowski. 2 Bde. München: Piper 1922. Ders.: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Janke o.J. (um 1905). Ders.: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Paul Franke o.J. (um 1910). Ders.: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Th. Knaur Nachf. o.J. (um 1925). Ders.: Raskolnikows Schuld und Sühne. Berlin: Schreiter o.J. (um 1925). Esenbeck, H. Nees von: Das Kauffahrteiwesen der Gegenwart, insbesondere Deutschland. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 401–415.
Quellen
1029
Evola, Julius: Erhebung wider die moderne Welt. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlagsanstalt 1935. Ders.: Heidnischer Imperialismus. Leipzig: Armanen-Verlag 1933. Falke, Gustav: Ausgewählte Gedichte. Braunschweig: Westermann 1919 (= Hamburgische Hausbibliothek). Fischer, Paul David: Betrachtungen eines in Deutschland reisenden Deutschen. In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 30–52. Frenzel, Karl: Die Berliner Theater. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 299– 309. Ders.: Die Berliner Theater. In: Deutsche Rundschau 63 (1890), S. 447–461. Friedländer, Ludwig: Die Christenverfolgungen der römischen Kaiser. In: Deutsche Rundschau 76 (1893), S. 386–415. Ders.: Erinnerungen an Turgenjew. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 117– 125. Geffcken, Friedrich Heinrich: Das britische Weltreich und die Londoner ColonialAusstellung. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 382–413. Georg, Eugen: Verschollene Kulturen. Das Menschheitserlebnis. Ablauf und Deutungsversuch. Leipzig: Voigtländer 1930. Gieseler, Wilhelm: Tatsächliches und Umstrittenes über den fossilen Menschen. In: Der Erdball. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 5.8 (1931), S. 291–300. Gildemeister, Otto: Der Kampf gegen die Fremdwörter. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 95–116. Grimm, Herman: Aus den letzten fünf Jahren. Gütersloh: Bertelsmann 1890. Ders.: Die Bereicherung der Deutschen Sprache durch Aufnahme fremder Wörter. Ein Essay. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 301–305. Ders.: Leonore von Este. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 177–205. Güßfeldt, Paul: Der Montblanc. I. / IX. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 73– 98. Ders.: Der Montblanc. X. / XXII. In: Deutsche Rundschau 73 (1892), S. 206–239. Ders.: Die erste Ersteigung des Montblanc über die Aiguille Blanche de Péteret. In: Deutsche Rundschau 77 (1893), S. 355–371. Ders.: Reise in den Andes von Chile und Argentinien. In: Deutsche Rundschau 41 (1885), S. 241–268. Haeckel, Ernst: Aus Insulinde. Malayische Reisebriefe. In: Deutsche Rundschau 108 (1901), S. 381–406. Ders.: Der Adams-Pik auf Ceylon. In: Deutsche Rundschau 37 (1883), S. 53–70. Ders.: Über unsere gegenwärtige Kenntniß vom Ursprung des Menschen. In: Deutsche Rundschau 97 (1898), S. 179–194. Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur 1894 (= Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur 20,3).
1030
Literaturverzeichnis
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben (I., VIII.) In: Deutsche Rundschau 77 (1893), S. 200–235. Ders.: Aus meinem Leben (XV., XIX.) In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 53–71. Ders.: Aus meinem Leben (XX., XXV.) In: Deutsche Rundschau 78 (1894), S. 254– 277. Hertefeld, Philipp zu Eulenburg und: Rosenlieder. Gedichtet und in Musik gesetzt von Philipp zu Eulenburg. Berlin: Bote und Bock [ca. 1888]. Heyse, Paul: Zwischen Lipp’ und Bechersrand. In: Deutsche Rundschau 47 (1886), S. 161–175. Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 27–46. Ders.: In St. Petersburg. In: Deutsche Rundschau 35 (1883), S. 95–106. Holzerland, Franz: Die Arbeiterbewegung in Berlin. Ihre Organisation und ihre Führer. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 95–112. Homer: Homers Odyssee. Hrsg. v. Abraham Voß. Aus dem Griechischen übers. v. Johann Heinrich Voß. Leipzig: Müller 1843. Jókai, Mór: Schwarze Diamanten. Roman. Berlin: Otto Janke 1905. Karlick, Gert und Erwin Bootz: Ich bin so scharf auf Erika. Foxtrot. Musik v. Erwin Bootz, Text v. Gert Karlick. Jazz-Orchester John Morris. Refraingesang: Eric Garell und Walter Jura. Schallplatte, 78 UpM; 25 cm. o.O. o.J. (um 1931). Kastein, Josef: Eine Geschichte der Juden. Berlin: Rowohlt 1933. Kind, Friedrich: König Ankäos. In: Gedichte. Leipzig: Hartknoch 1808, S. 7. Kleist, Heinrich von: Michael Kohlhaas. In: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Roland Reuß und Peter Staenge. Bd. 2. Frankfurt a. M., Basel: Stroemfeld 2007, S. 19. Krause, Theodor: Aus dem Berliner Musikleben. In: Deutsche Rundschau 46 (1886), S. 458–466. Lacaze-Duthiers, Félix Joseph Henri de: Mémoire sur le pourpre. Lille: Impr. de L. Danel 1859. Mann, Heinrich: Zwischen den Rassen. Leipzig: Wolff 1916. Marcuse, Adolf: Die hawaiischen Inseln. In: Deutsche Rundschau 76 (1893), S. 231–245. Mayer, Ludwig: Lourdes, Konnersreuth oder Gallspach? Schopfheim: Uehlin 1932. Medwin, Thomas: Gespräche mit Lord Byron. Ein Tagebuch, geführt während eines Aufenthalts zu Pisa in den Jahren 1824 und 1822. Stuttgart, Tübingen: Cotta’sche Buchhandlung 1924, S. 116. Meilhac, Henri und Philippe Gille: Manon. Opera Comique en cinq actes et six tableaux. Paris: Calmann-Lévy 1899. Mereschkowski, Dimitri: Napoleon, sein Leben, Napoleon der Mensch. Berlin: Grethlein & Co 1928. Ders.: Tolstoi und Dostojewski als Menschen und als Künstler. Eine kritische Würdigung ihres Lebens und Schaffens. Übers. v. Carl von Gütschow. Leipzig: Verlagsbuchhandlung Schulze 1903.
Quellen
1031
Merkenschlager, Friedrich: Rassensonderung, Rassenmischung, Rassenwandlung. Berlin: Hoffmann 1933. Meyers Konversations-Lexikon. 4. Aufl. 19 Bde. Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut 1885–1892. Neumann-Spallart, Franz Xaver von: Von den europäischen Kolonien. In: Deutsche Rundschau 37 (1883), S. 368–392. O’Flaherty, Liam: Die dunkle Seele. Aus dem Englischen übers. v. Richard von Gossmann. Berlin: Th. Knaur Nachf. 1928. Ovid: Ovids Verwandlungen. Hrsg. und aus dem Lateinischen übers. v. Johann Heinrich Voß. Leipzig: Reclam 1875. Peterich, Eckart: Kleine Mythologie. Die Götter und Helden der Griechen. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Societäts-Verlag 1938. Petzoldt, Joseph: Das Weltproblem vom Standpunkt des relativistischen Positivismus aus. 2. Aufl. Leipzig, Berlin: Teubner 1912 (= Wissenschaft und Hypothese 14). Pezold, Hans von: Moses als Eugeniker. In: Deutsche medizinische Wochenschrift 58.35 (1932), S. 1370f. Polo, Marco: Das Buch von den Wundern der Welt. Zürich: Manesse 2008. Prinz, Joachim: Jüdische Geschichte. Berlin: Verlag für Kulturpolitik 1931. Prokosch, Frederic: Sieben auf der Flucht. [Original: The Seven Who Fled]. Übers. v. Hans Reisiger. Stuttgart: Rowohlt 1940. Richter, E.: Die Herabsetzung der Menschenverluste im Kriege. In: Deutsche Rundschau 71 (1892), S. 412–433. Rodenberg, Julius: Die neuen Essays von Herman Grimm. In: Deutsche Rundschau 62 (1890), S. 154–156. Rohde, Erwin: Psyche. Freiburg i.B.: Mohr 1894. Rötscher, Heinrich Theodor: Abhandlungen zur Philosophie der Kunst. 2. Aufl. Berlin: Duncker und Humblot 1838. S.A.M.: Die Auferstandenen von Kerke. In: Deutsche Rundschau 62 (1890), S. 95– 113. Sayers, Dorothy L.: Lord Peters abenteuerliche Hochzeitsfahrt. Liebe mit Kriminalistik. Übers. v. Marianne von Schön. Zürich: Scientia 1938. Scheler, Max: Die Stellung des Menschen im Kosmos. Darmstadt: Reichl 1928. Schlesinger, Sigmund: Die Musik- und Theaterausstellung in Wien. In: Deutsche Rundschau 72 (1892), S. 456–466. Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. München: Duncker und Humblot 1932. Ders.: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung. Leipzig: Reclam 1942. Ders.: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung. 4. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta 2001. Sedlmayr, Hans: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit. Salzburg, Wien: Otto Müller Verlag 1948.
1032
Literaturverzeichnis
Stein, Ludwig: Friedrich Nietzsche’s Weltanschauung und ihre Gefahren. In: Deutsche Rundschau 74 (1893), S. 392–419. Turgenjew, Iwan: Iwan Turgenjew’s Literatur- und Lebenserinnerungen. In: Deutsche Rundschau 37 (1883), S. 393–418. Varé, Daniele: Der lachende Diplomat. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1938. Verdi, Guiseppe: La Forza del Destino. Uraufgeführt: St. Petersburg 1862. Versluys, Jan: Hirngrösse und hormonales Geschehen bei der Menschwerdung. Ein Vortrag über die Untersuchungen von E. Dubois und L. Bolk und die Bedeutung derselben. Mit Ausführungen von Otto Poetzl und Konrad Lorenz. Wien: Maudrich 1939. v.W.: Maßgebliches und Unmaßgebliches. In: Die Grenzboten 60/3 (1901), S. 93– 96. Wavrin, Robert Frédéric Marquis de: Das Geheimnis des Orinoko. Erlebnisse und Forschungen. Hrsg. v. H. Sartini. Aus dem Französischen übers. v. Karl Soll. Berlin: Scherl 1944. Weidenreich, Franz: Die Variabilität des Menschen als Grundproblem physischanthropologischer Forschung. In: Der Erdball 5.8 (1931), S. 281–291. Weismann, August: Über den Rückschritt in der Natur. In: Deutsche Rundschau 48 (1886), S. 437–459. Weizsäcker, Viktor von: Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen (Rezension). In: Deutsche medizinische Wochenschrift 66 (1940), S. 1430–1431. Westenhöfer, Max: Das Problem der Menschwerdung. Berlin: Nornen-Verlag 1934. Westphal, Wilhelm Heinrich: Physik des alltäglichsten Lebens. Frankfurt a. M.: Societäts-Verlag 1940. Wilde, Oscar: Das Bildnis des Dorian Gray. Ein Roman. Aus dem Englischen übers. v. Hedwig Lachmann und Gustav Landauer. Leipzig: Insel 1908. Winter, Georg: Schuljahr und Ostern. Ein Vorschlag zur Reform der Ferienordnung unserer Schulen. In: Die Gartenlaube 1886, S. 223–224. Worringer, Wilhelm: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. München: Piper 1908. Ziel, Ernst: O, bleib’ ein Kind! In: Die Gartenlaube 24.28 (1876), S. 475. Zilahy, Lajos: Etwas treibt im Wasser. (Ungar. Valamit visz a víz). Übers. v. Käthe Gaspar. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1937. Ders.: Zwei Gefangene. Berlin, Wien, Leipzig: Zsolnay 1940.
Editionswissenschaft, Texttheorie Backmann, Reinhold: Die Gestaltung des Apparates in den kritischen Ausgaben neuerer deutscher Dichter. In: Euphorion 25 (1924), S. 629–662. Biasi, Pierre-Marc: Edition horizontale, édition verticale. Pour une typologie des éditions génétiques (le domaine français 1980–1995). In: Béatrice Didier und Jacques Neefs (Hrsg.): Editer des manuscrits: archives, complétude, lisibilité.
Editionswissenschaft, Texttheorie
1033
Saint-Denis: Presses univ. de Vincennes 1996 (= Manuscrits modernes 10), S. 159–193. Bockelkamp, Marianne: Analytische Forschungen zu Handschriften des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel der Heine-Handschriften der Bibliothèque Nationale Paris. Hamburg: Hauswedell 1982. Boden, Petra: Probleme mit der Praxis. Hochschulgermanistik zwischen Wissenschaft, Bildung / Erziehung und Politik. In: Rainer Rosenberg, Inge MünzKoenen und Petra Boden (Hrsg.): Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich; Wissenschaft – Literatur – Medien. Berlin: Akademie Verlag 2000 (= Literaturforschung), S. 181–225. Bücher, Rolf: Beda Allemann über Textgenese. In: Axel Gellhaus, Winfried Eckel, Diethelm Kaiser, Andreas Lohr-Jasperneite und Nikolaus Lohse (Hrsg.): Die Genese literarischer Texte. Modelle und Analysen. Würzburg: Königshausen und Neumann 1994, S. 327–338. Campe, Rüdiger: Die Schreibszene. Schreiben. In: Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 759– 772. Ders.: Vorgreifen und Zurückgreifen. Zur Emergenz des Sudelbuchs in Georg Christoph Lichtenbergs »Heft E«. In: Karin Krauthausen und Omar W. Nasim (Hrsg.): Notieren, skizzieren. Schreiben und Zeichnen als Verfahren des Entwurfs. Zürich: Diaphanes, S. 61–87. Dammann, Günter: Theorie des Stichworts. Ein Versuch über die lyrischen Entwürfe Georg Heyms. In: Gunter Martens und Hans Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München: Beck 1971, S. 203–218. Ferrer, Daniel: Logiques du brouillon. Paris: Les Editions du Seuil 2011 (= Poétique). Gellhaus, Axel: Textgenese zwischen Poetologie und Editionstechnik. In: Axel Gellhaus, Winfried Eckel, Diethelm Kaiser, Andreas Lohr-Jasperneite und Nikolaus Lohse (Hrsg.): Die Genese literarischer Texte. Modelle und Analysen. Würzburg: Königshausen und Neumann 1994, S. 311–326. Ders.: Vorwort. In: Die Genese literarischer Texte. Modelle und Analysen. Hrsg. v. Axel Gellhaus, Winfried Eckel, Diethelm Kaiser, Andreas Lohr-Jasperneite und Nikolaus Lohse. Würzburg: Königshausen und Neumann 1994, S. 7–8. Ders.: Wortlandschaften. Konzeption und Textprozesse bei Celan. In: Axel Gellhaus und Karin Herrmann (Hrsg.): »Qualitativer Wechsel«. Textgenese bei Paul Celan. Würzburg: Königshausen und Neumann 2010, S. 11–68. Gellhaus, Axel und Karin Herrmann: Vorwort. In: dies. (Hrsg.): ›Qualitativer Wechsel‹. Textgenese bei Paul Celan. Würzburg: Königshausen und Neumann 2010, S. 7–10.
1034
Literaturverzeichnis
Giuriato, Davide und Stephan Kammer: Die graphische Dimension der Literatur? Zur Einleitung. In: dies. (Hrsg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur. Frankfurt a. M.: Stroemfeld 2006 (= nexus 71), S. 7– 24. Grésillon, Almuth: Bemerkungen zur französischen »edition génétique«. Möglichkeiten und Grenzen der genetischen Textdarstellung in historisch-kritischen Ausgaben. In: Gunter Martens und Hans Zeller (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 52–64. Dies.: Critique Génétique. In: Wilhelm Hemecker (Hrsg.): Handschrift. Wien: Zsolnay 1999 (= Profile 4), S. 115–124. Dies.: Literarische Handschriften. Einführung in die ›critique génétique‹. Aus dem Französischen übers. v. Frauke Rother und Wolfgang Günther. Bern et al.: Lang 1999. Dies.: Literarische Handschriften im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Von der Mimesis zur Simulation. In: Gerhard Neumann, Andreas Kablitz u. a. (Hrsg.): Mimesis und Simulation. Freiburg i.B.: Rombach 1998, S. 255–275. Dies.: Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben. In: Wolfgang Raible (Hrsg.): Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Schreibprozesse. Elf Aufsätze zum Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Tübingen: Narr 1995 (= ScriptOralia 72), S. 1–36. Groddeck, Wolfram: Über Methode. Entgegnung auf Dietrich Uffhausens Rezension. In: Le pauvre Holterling 3 (1978), S. 35–54. Ders.: Überlegungen zu einigen Aporien der textgenetischen Editionsmethode am Modell von Trakls Gedicht »Untergang«. In: Text.kritische Beiträge 5 (1999), S. 27–41. Ders.: »Und das Wort hab’ ich vergessen«. Intertextualität als Herausforderung und Grenzbestimmung philologischen Kommentierens, dargestellt an einem Gedicht von Heinrich Heine. In: Gunter Martens (Hrsg.): Kommentierungsverfahren und Kommentarformen. Tübingen: Niemeyer 1993 (= Beihefte zu editio 5), S. 1–10. Ders.: ›Vorstufe‹ und ›Fragment‹. Zur Problematik einer traditionellen textkritischen Unterscheidung in der Nietzsche-Philologie. In: Martin Stern (Hrsg.): Textkonstitution bei mündlicher und schriftlicher Überlieferung. Tübingen: Niemeyer 1991 (= Beihefte zu editio 1), S. 165–175. Groddeck, Wolfram und D.E. Sattler: Einleitung Frankfurter Hölderlin Ausgabe. Frankfurt a. M.: Stroemfeld / Roter Stern 1971. Grumach, Ernst: Prolegomena zu einer Goethe-Ausgabe [1955/51]. In: Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition. Hrsg. v. Rüdiger Nutt-Kofoth. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 1), S. 150– 153.
Editionswissenschaft, Texttheorie
1035
Gumbrecht, Hans Ulrich: Die Macht der Philologie. Über einen verborgenen Impuls im wissenschaftlichen Umgang mit Texten. Aus dem Amerikanischen übers. v. Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003. Ders.: Präsenz. Hrsg. v. Jürgen Klein. Aus dem Amerikanischen übers. v. Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012. Haentjens Dekker, Ronald, Dirk Van Hulle, Gregor Middell, Vincent Neyt und Joris Van Zundert: Computer-supported collation of modern manuscripts: CollateX and the Beckett Digital Manuscript Project. In: Literary and Linguistic Computing, 19. März 2014, S. 1–19. doi: 10.1093/llc/fqu007. (Besucht am 24. März 2014). Hahn, Marcus: »Zahllose Bastardisierungen«. Gottfried Benns Lebensweg eines Intellektualisten (1934) und die Rassentheorie des Botanikers Friedrich Merkenschlager. In: Euphorion 2014, im Druck. Hay, Louis: De la lettre au livre. Semiotique des manuscrits litteraires. Paris: CNRS 1989. Ders.: Des manuscrits des écrivains. Paris: CNRS 1993. Ders.: Die dritte Dimension der Literatur. Notizen zu einer ›critique génétique‹. In: Poetica 16 (1984), S. 307–323. Ders.: La naissance du texte. Paris: Corti 1989. Hoffmann, Christoph: Umgebungen. Über Ort und Materialität von Ernst Machs Notizbüchern. In: Martin Stingelin und Matthias Thiele (Hrsg.): Portable Media. Schreibszenen in Bewegung zwischen Peripatetik und Mobiltelefon. München: Fink 2010 (= Zur Geneaologie des Schreibens 12), S. 89–107. Hoffmann, Dierk O. und Harald Zils: Hölderlin-Editionen. In: Editionen zu deutschsprachigen Autoren als Spiegel der Editionsgeschichte. Hrsg. v. Rüdiger Nutt-Kofoth und Bodo Plachta. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 2), S. 199–245. Hurlebusch, Klaus: Den Autor besser verstehen: aus seiner Arbeitsweise. Prolegomenon zu einer Hermeneutik textgenetischen Schreibens. Möglichkeiten und Grenzen der genetischen Textdarstellung in historisch-kritischen Ausgaben. In: Gunter Martens und Hans Zeller (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 7–51. Jannidis, Fotis, Lou Burnard, Elena Pierazzo und Malte Rehbein: An Encoding Model for Genetic Editions. In: Website des TEI Consortium, 1. März 2010. url: http : / / www. tei - c . org / Activities / Council / Working / tcw19 . html (besucht am 2. März 2013). Kammer, Stephan: Reflexionen der Hand. Zur Poetologie der Differenz von Schreiben und Schrift. In: Davide Giuriato und Stephan Kammer (Hrsg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur. Frankfurt a. M.: Stroemfeld 2006 (= nexus 71), S. 131–161. Kanzog, Klaus: Einführung in die Editionsphilologie der neueren deutschen Literatur. Berlin: Erich Schmidt 1991 (= Grundlagen der Germanistik 31).
1036
Literaturverzeichnis
Kanzog, Klaus: Prolegomena zu einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke Heinrich von Kleists. Theorie und Praxis einer modernen Klassiker-Edition. München: Hanser 1970. Killy, Walther: Der »Helian«-Komplex in Trakls Nachlaß. Mit einem Abdruck der Texte und einigen editorischen Erwägungen. In: Euphorion 53 (1959), S. 380–418. Ders.: Entwurf des Gedichts. Über den Helian-Komplex. In: ders. (Hrsg.): Über Georg Trakl. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1960, S. 52–96. Kittler, Wolf: Literatur, Edition und Reprographie. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 65 (1991), S. 205–235. Köhler, Sigrid G. und Martina Wagner-Egelhaaf: Einleitung. Prima Materia. In: dies. (Hrsg.): Prima Materia. Beiträge zur Materialitätsdebatte. Königstein/Ts.: Ulrike Helmer-Verlag 2004, S. 7–23. Lämmert, Eberhard: Das Ende der Germanistik und ihre Zukunft. In: Jürgen Kolbe (Hrsg.): Ansichten einer künftigen Germanistik. München: Hanser 1969, S. 79–104. Lepper, Marcel: Notizbücher: Prozessbegleitende Dokumentation philologischer Arbeit. In: Zeitschrift für Germanistik 23.2 (2013), S. 343–358. Lüdeke, Roger: Tanzschrift. Zu einer Zeitfigur in Paul Valérys Aufzeichnungen zu »La Jeune Parque«. In: Davide Giuriato und Stephan Kammer (Hrsg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur. Frankfurt a. M.: Stroemfeld 2006 (= nexus 71), S. 163–182. Mainberger, Sabine: Schreiben, Zeichnen, Denken. Zu vier Skizzen Robert Musils aus dem Nachlaß zum Mann ohne Eigenschaften. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 130 (2011), S. 217–244. Martens, Gunter: Das Werk als Grenze. In: editio 18 (2004), S. 175–186. Ders.: Dichterisches Schreiben als editorische Herausforderung. Möglichkeiten und Grenzen der genetischen Textdarstellung in historisch-kritischen Ausgaben. In: Gunter Martens und Hans Zeller (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 103–116. Ders.: Die editorische Einheit »Textstufe«. Überlegungen zur Einrichtung des Zeilenzählers in genetischen Textdarstellungen. In: Gunter Martens und Hans Zeller (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 177–193. Ders.: »Historisch«, »kritisch« und die Rolle des Herausgebers bei der Textkonstitution. In: editio 5 (1991), S. 12–28. Ders.: Kommentar: Hilfestellung oder Bevormundung des Lesers? In: editio 7 (1993), S. 26–50. Ders.: Schichten und Verbände, Schreibphasen und Korrekturfolgen. Die Behandlung von versübergreifenden Korrekturzusammenhängen in der textgenetischen Ausgabe der Gedichte Georg Heyms. In: Gunter Martens und Hans
Editionswissenschaft, Texttheorie
1037
Zeller (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 223–232. Ders.: Textgenese als Hilfsmittel zur Erschließung poetischer Texte. In: Françoise Lartillot und Axel Gellhaus (Hrsg.): Dokument – Monument. Textvarianz in den verschiedenen Disziplinen der europäischen Germanistik. Bern et al.: Lang 2008, S. 139–160. Ders.: Was ist – aus editorischer Sicht – ein Text? Überlegungen zur Bestimmung eines Zentralbegriffs der Editionsphilologie. In: Siegfried Scheibe und Christel Laufer (Hrsg.): Zu Werk und Text. Beiträge zur Textologie. Berlin: Akademie Verlag 1991, S. 135–156. Ders.: Wie subjektiv darf, wie subjektiv muss eine Edition sein? Probleme der editorischen Deutung von Hölderlins ›letzter Hymne‹ Die Nymphe / Mnemosyne. In: Dieter Burdorf (Hrsg.): Edition und Interpretation moderner Lyrik seit Hölderlin. Berlin et al.: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 10), S. 83–102. Meier, Andreas: Von Les- und Hörarten. Zum editorischen Umgang mit ›Hörbüchern‹. Vortrag auf der Tagung »Text – Material – Medium. Zur Relevanz editorischer Dokumentationen für die literaturwissenschaftliche Interpretation« an der Bergischen Universität Wuppertal. 10.–12. Feb. 2011. Mersch, Dieter: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. München: Fink 2002. Müller, Hans-Harald: Wissenschaftsgeschichte und neugermanistische Editionsphilologie. In: editio 23 (2009), S. 1–13. Müller-Seidel, Walter: Wissenschaftssprache, Verwissenschaftlichung der Sprache, Sprachkultur. Vorüberlegungen zu einer Diskussion. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 32 (1988), S. 3–6. Neef, Sonja: Abdruck und Spur. Berlin: Kadmos 2008. Nutt-Kofoth, Rüdiger: Abmalen vs. Lesen oder Handschriftentranskription vs. Textedition. Zwei neue Grimm-Briefausgaben als Konkurrenzunternehmen. In: IASL Online, 8. Jan. 2002. url: http://www.iaslonline.lmu.de/index.php? vorgang_id=2303 (besucht am 27. Jan. 2013). Ders. (Hrsg.): Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 1). Ders.: Editorische Axiome. In: editio 26 (2012), S. 59–71. Ders.: Schreiben und Lesen. Für eine produktions- und rezeptionsorientierte Präsentation des Werktextes in der Edition. In: ders. (Hrsg.): Text und Edition. Positionen und Perspektiven. Berlin: Erich Schmidt 2000, S. 165–202. Nutt-Kofoth, Rüdiger und Bodo Plachta (Hrsg.): Editionen zu deutschsprachigen Autoren als Spiegel der Editionsgeschichte. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 2). Ortner, Hanspeter: Schreiben und Denken. Tübingen: Niemeyer 2000 (= Reihe Germanistische Linguistik 214).
1038
Literaturverzeichnis
Pierazzo, Elena: A Rationale of Digital Documentary Editions. In: Literary and Linguistic Computing 26.4 (2011), S. 463–477. Polheim, Karl Konrad: Textkritik und Interpretation bedingen einander. In: Gertraud Mitterauer, Ulrich Müller, Margarete Springeth, Verena Vitzthum u. a. (Hrsg.): Was ist Textkritik? Zur Geschichte und Relevanz eines Zentralbegriffs der Editionswissenschaft. Tübingen: Niemeyer 2009 (= Beihefte zu editio 28), S. 209–220. Reuß, Roland: »Lieder [...], die nicht seyn sind«. Der Briefwechsel zwischen Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, Achim v. Arnim und Friedrich Carl v. Savigny aus dem Jahre 1811 und das Problem der Edition. Einführung und FaksimileEdition mit diplomatischer Umschrift. In: Text.kritische Beiträge 7 (2002), S. 1–227. Ders.: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ›Textgenese‹. In: Text.kritische Beiträge 5 (1999), S. 1–25. Ders.: Text, Entwurf, Werk. In: Text.kritische Beiträge 10 (2005), S. 1–12. Ries, Thorsten: »die geräte klüger als ihre besitzer«. Philologische Durchblicke hinter die Schreibszene des Graphical User Interface. Überlegungen zur digitalen Quellenphilologie, mit einer textgenetischen Studie zu Michael Speiers »ausfahrt st. nazaire«. In: editio 24 (2010), S. 149–199. Röcken, Per: Was ist – aus editorischer Sicht – Materialität? Versuch einer Explikation des Ausdrucks und einer sachlichen Klärung. In: editio 22 (2008), S. 22–46. Sahle, Patrick: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. 3 Bde. Norderstedt: BoD 2013 (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik). Scheibe, Siegfried: Die Arbeitsweise des Autors als Grundkategorie der editorischen Arbeit. In: editio 12 (1998), S. 18–27. Ders.: Variantendarstellung in Abhängigkeit von der Arbeitsweise des Autors und Überlieferung seiner Werke. In: Gunter Martens und Hans Zeller (Hrsg.): Textgenetische Edition. Tübingen: Niemeyer 1998 (= Beihefte zu editio 10), S. 168–176. Ders.: Von den textkritischen und genetischen Apparaten. In: Siegfried Scheibe, Waltraud Hagen, Christel Laufer und Uta Moschmann (Hrsg.): Vom Umgang mit Editionen. Berlin: Akademie Verlag 1988, S. 85–159. Ders.: Zum editorischen Problem des Textes. In: Norbert Oellers und Hartmut Steinecke (Hrsg.): Probleme neugermanistischer Edition. Berlin: Erich Schmidt 1982 (= Zeitschrift für deutsche Philologie Sonderheft 101), S. 12–29. Schubert, Martin: Einleitung. In: ders. (Hrsg.): Materialität in der Editionswissenschaft. Berlin, New York: de Gruyter 2010 (= Beihefte zu editio 32), S. 1– 13.
Editionswissenschaft, Texttheorie
1039
Stingelin, Martin: ›Schreiben‹. Einleitung. In: ders. (Hrsg.): »Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte. München: Fink 2004 (= Zur Genealogie des Schreibens 1), S. 7–53. Van Hulle, Dirk: Darwins kladjes. Nijmegen: Vantlit 2010. Ders.: Zum editorischen Umgang mit Notizbüchern. Mit einem besonderen Blick auf Joyces Finnegans Wake-Notebooks. In: editio 18 (2004), S. 145–156. Van Hulle, Dirk und Mark Nixon: Historisch-krrritische genetic crritic! In: editio 26 (2012), S. 30–37. Vierhaus, Rudolf (Hrsg.): Deutsche biographische Enzyklopädie. 2. Aufl. München: K.G. Saur 2008. Vietor, Sophia: Astralis von Novalis. Handschrift – Text – Werk. Würzburg: Königshausen und Neumann 2001. Villwock, Peter: Bertolt Brecht, Notizbücher. Einführung in die Edition. Berlin: Suhrkamp 2010. url: http://www.suhrkamp.de/brecht/bertolt_brecht_ notizbuecher_einfuehrung_559.html (besucht am 27. Jan. 2013). Ders.: Prolegomena zu einer kritischen Ausgabe der Notizbücher Bertolt Brechts. In: editio 23 (2009), S. 71–108. Vinçon, Hartmut: »Jahrhundertwende«. Status und Funktion autobiographischer Schriften für die Edition kritischer Ausgaben der Literarischen Moderne. In: Jochen Golz (Hrsg.): Edition von autobiographischen Schriften und Zeugnissen zur Biographie. Tübingen: Niemeyer 1995 (= Beihefte zu editio 7), S. 249–263. Zanetti, Sandro: Wo beginnt der Anfang? Lektürenotizen – erste Gedichtentwürfe bei Paul Celan. In: Hubert Thüring, Cornelia Jäger-Trees und Michael Schläfli (Hrsg.): Anfangen zu schreiben. Ein kardinales Moment von Textgenese und Schreibprozeß im literarischen Archiv des 20. Jahrhunderts. München: Fink 2009 (= Zur Genealogie des Schreibens 11), S. 215–237. Ders.: »zeitoffen«. Zur Chronographie Paul Celans. München: Fink 2006 (= Zur Genealogie des Schreibens 6). Zapf, Volker: HNML. HyperNietzsche Markup Language. In: Website des Hypernietzsche-Projekts, 25. Juni 2006. url: http://www.hypernietzsche.org/ events/sew/post/Slides%20and%20Texts_files/HNML.pdf (besucht am 1. März 2013). Zeller, Hans: Befund und Deutung. Interpretation und Dokumentation als Ziel und Methode der Edition. Ein Versuch über die lyrischen Entwürfe Georg Heyms. In: Gunter Martens und Hans Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München: Beck 1971, S. 45–90. Ders.: Zur gegenwärtigen Aufgabe der Editionstechnik [1958]. In: Dokumente zur Geschichte der neugermanistischen Edition. Hrsg. v. Rüdiger Nutt-Kofoth. Tübingen: Niemeyer 2005 (= Bausteine zur Geschichte der Edition 1), S. 194– 214.
Abbildungsnachweise Die Originale der in der vorliegenden Edition und den begleitenden Studien abgebildeten Faksimiles von Gottfried Benns Handschriften und Typoskripten gehören sämtlich zum Benn-Nachlass im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar. Die verwendeten digitalen Reproduktionen der Materialien wurden von der Digitalisierungs- und Fotostelle des Deutschen Literaturarchivs hergestellt. Es handelt sich hierbei im Einzelnen: Einführung in die Edition: 38. Textgenese lesen, Benns Arbeitsformen: 86, 90, 91, 92, 96, 67, 68, 70, 72, 75. Ach, das Erhabene, Astern, Die weißen Segel: 114, 117, 118, 121, 122, 125, 126, ,129, 130,133,134, 137, 138, 141, 142, 145, 146, 149, 150, 153, 154, 157, 158, 161, 162, 165, 166, 169, 170, 173, 175, 176, 179, 180, 183, 185, 186, 189, 191, 193, 195, 211, 213. Monolog: 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 247, 248, 251, 253, 254, 257, 259, 263, 271, 275, 280, 281. Verlorenes Ich: 300, 303, 304, 307, 308, 311, 312, 315, 316. 1886, St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts: 328, 330, 333, 334, 337, 338, 341, 342, 345, 346, 349, 350, 353, 354, 357, 358, 361, 362, 365, 366, 369, 370, 373, 374, 377, 378, 381, 382, 385, 386, 389, 390, 393, 394, 397, 398, 401, 402, 405, 406, 409, 410, 413, 414, 416, 419, 420, 423, 424, 427, 428, 431, 432, 435, 436, 439, 440, 443, 444, 447, 448, 451, 452, 455, 456, 459, 460, 467, 471, 473, 475, 476, 479, 483, 487, 489, 491, 493, 497, 501, 503, 507, 531, 535, 577, 578, 579, 580, 581, 581, 592. Orpheus’ Tod, Quartär –, Rosen: 597, 599, 600, 603, 605, 606, 609, 611, 612, 615, 616, 619, 620, 623, 624, 627, 632, 631, 632, 635, 636, 639, 640, 643, 644, 647, 649, 650, 653, 654, 657, 658, 661, 662, 665, 666, 669, 671, 672, 675, 677, 679, 681, 683, 685, 687, 688, 691, 692, 695, 696, 699, 700, 703, 704, 707, 708, 711, 712, 715, 716, 719, 720, 723, 724, 727, 728, 731, 732, 735, 736, 739, 740, 743, 744, 747 753, 755, 757, 761, 769, 770, 773, 774, 777, 778, 781, 782, 785, 786, 789, 790, 793, 794, 797, 798, 801, 802, 805, 806, 809, 810, 813, 815, 817, 818, 821, 825, 827, 831, 833, 835, 837, 839, 847, 849, 851, 853, 892, 896. Reisen: 906, 909, 911, 913, 915. Nur zwei Dinge: 928, 931, 932, 935, 937, 939, 941. Destille: 953, 954, 957, 958, 961, 962, 965, 966, 969, 970, 973, 974, 977, 978, 981, 983, 985, 989, 991, 993, 997. Abbildung »Gödecke Kalendarium« auf das Jahr 1939 (im Vergleich zum beschädigten Notizbuch 7c), Foto aufgenommen von Maaike Van Liefde: 546.